§. 1000. Die neuere Kunst. 651 des Geistes hervorgebracht waren." Man strebte die Wirklichkeit nach den Idealen der Antiken zu verbessern und ersetzte den Mangel an schöpferischer Phantasie durch künst¬ liche Reflexion des Verstandes und durch gezwungenen dramatischen Ausdruck. Dieser mechanischen Methode trat ein junger Mann aus Schleswig, Asmus Jacob Carstens, mit Kraft und Entschiedenheit entgegen, ein Künstler, „dessen kurzes Leben eine Reihe von Drangsalen war, in welche kaum ein anderer Schein des Glücks gefallen ist, als das klare Bewußtsein des Künstlerberufes". Statt die Antiken abzuzeichnen und sich mecha¬ nisch ihre Formen anzueignen, versenkte er sich in aufmerksames Anschauen derselben und suchte den Totaleindruck seinem Geiste und Gedächtniß so einzuprägen, daß er sie in freier Darstellung zu reproduciren vermochte. Mit einer fruchtbaren und wahrhaft dich¬ terischen Einbildungskraft begabt, gelangte Carstens auf diesem Wege dahin, die antike Kunstwelt mit Freiheit in das Leben zurück zu führen, in den Geist der Alten einzudringen, ohne bei ihnen Knechtsdienste zu thun. Aber er hatte wenig Freunde und viele Gegner. Wie sehr auch Karl Ludwig Feruow, nachmals Bibliothekar in Weimar, Carstens' Ansichten und Leistungen zur Geltung zu bringen suchte, die Stimmen seiner Neider und Widersacher, unter denen der „Maler Müller" in erster Linie stand, waren mächtiger. Verkannt und wenig beachtet, fand er nicht die nöthige Unterstützung zu großen Com- positionen in Oel oder al fresco. Von Armuth und Krankheit niedergebeugt, starb er in jungen Jahren in Rom. Erst das nachgeborne Geschlecht erkannte seine hohe Be¬ gabung. Die künstlerische Hinterlassenschaft von Carstens besteht ausschließlich in Zeichnungen und Aquarellmalereien, wovon die bedeutendsten sich in Weimar befinden. Es sind meistens Motive aus der antiken Götter- und Heroenwelt, mit Freiheit und geistiger Selbstthätigkeit dargestellt, z. B. „der Argonautenzug"; „die Nacht mit den Schicksalsgottheiten"; „Homer als Sänger vor dem Volke"; „das goldene Zeitalter" u. a. Daß bei solchem Verfahren einzelne Fehler in der Zeichnung der Formen vorkommen mußten, war natürlich, und diese Fehler und Ungenauig¬ keiten dienten den Gegnern zur Folie ihrer Kritik. Carstens hatte den Weg gezeigt, auf dem der Kunst Wahrheit und Würde wieder¬ gewonnen werden könnte. Durch seine Anregung erwachte daher bald ein lebendiger Geist unter den deutschen Künstlern. Joseph Anton Koch, Sohn eines Tyroler Bauern aus dem obern Lechthal, in der Karlsschule in Stuttgart erzogen und an der großen Alpenwelt der Schweiz herangebildet, empfing von dem norddeutschen Künstler, mit dem er in Nom in der innigsten Freundschaft lebte, die Begeisterung für das Alterthum und für Dante's göttliche Komödie. Nach dem letztem Werke machte er eine Reihe von Zeichnungen und einige größere Compo- sitionen al fresco (in der Villa Masfimi), die von einer eigenthümlichen, großartigen Phantasie Zeugniß geben. Neben dem Florentiner Dichter waren es vornehmlich die griechische Mythologie und das Alte Testament, von denen er sich zu bildlichen Darstellungen angezogen fühlte. Doch beruht Kochs künstlerischer Ruhm hauptsächlich auf seinen landschaftlichen Zeichnungen, Radi¬ rungen und Gemälden, häufig durchwoben mit Scenen aus der Mythologie oder aus dem Leben der alten Völker. Am gelungensten sind seine Bilder aus der Umgegend von Rom. Gottlob Schick aus Stuttgart wurde gleichfalls durch Carstens auf die neue Bahn geführt. Aber in der Schule von David, die er zuvor durchgemacht, hatte er sich eine größere technische Meisterschaft angeeignet, als der fchleswigsche Jüngling, daher er demselben in der vollkommenen Ausbildung des Ganzen der Malerkunst eben so sehr überlegen war, als er ihm an Reichthum der Erfindung nachstand. Zu seinen ersten Werken hatte Schick den Stoff aus dem Alten Testamente und aus der Mythologie gewählt („David vor Saul auf der Harfe spielend", „das Opfer Noa's" und das herrliche Bild „Apollo unter den Hirten") Als er sich, angeregt von Tieck, Schlegel u. A., der neuromantischen Richtung zuwendete, ging seine Erdenlaufbahn in jungen Jahren zu Ende, auch hierin seinem Freunde Carstens ähnlich. — Schick's Landsmann Eberhard v. Wächter aus Bahlingen schöpfte gleichfalls die Motive für seine Gemälde mit Vorliebe aus der Mytho- Carstenr 1754—'JB. Fernow t 1508. Schult von Carstens. Koch 1768-1839. Schick 1779—1812. Wächter 1762—1841