320 dieser trauernd den Rückgang an. Am Hofe des Attila spielt sich dann der zweite Theil der Nibelungen ab, Heltes Tod, Chriemhildens Ver¬ mählung. Später hebt die Sage den Dietrich zum Herrscher in Italien, wie er es wirklich ward — die Umstände sind im Dunkel verschollen. Nur das Zusammentreffen von Hildebrand und Hadubrand zwischen den zwei Heeren hat die Sage im Hildebrandliede, dem ältesten Denk¬ mal deutscher Heldendichtung überliefert. In Dietrichs Ende erhebt die hochpoetische Mythe ihren Helden zum göttlichen Heros, der den Tod nicht empfindet, sondern von froher Jagd durch seinen Vater, den Nachtgeist, abgeholt und an der Spitze aller Helden Walhalas ein ewig Lebender, als wilder Jäger dahin zu reiten. Als solcher stand Dietrich dem deutschen Volke noch nach Jahr¬ hunderten vor der Seele. Karl der Große hatte sein Standbild, riesen¬ groß, ein Thierfell über den Schultern, auf bäumendem Hengst, von dunklem Erz, aus Ravenna nach Aachen gebracht und auf dem Markt¬ platz aufgestellt. So sah ihn der rheinische Bauer mit leiblichen Augen; so erschien er im Jahr 1197 den Leuten an der Mosel und verkündete, daß schwere Zeiten über das Reich kommen würden. Dann sah man ihn auf schwarzem Geisterroß über den Fluß hinschweben. Hier ein Stück lebendiger deutscher Sagenbildung. Dietrich ist der Lieblingsheld des deutschen Volkes, welches vor allem seine eigenen Charakterzüge in ihm erkennt — „der deutschen Michel in idealer Ge¬ stalt !" Mit ihm stirbt die Heldenkraft; Niemand bleibt Übrig; aber im Volke lebt er in seiner Jugendkraft fort. Der Sagenkreis der Nordseeländer besitzt ein in neuerer Zeit wohl¬ bekanntes Gedicht in dem Gudtunliede, welches mit Recht „die Neben¬ sonne der Nibelungen" genannt wird. Hier spannt sich die weite See aus mit ihren Wogen, Stürmen und Schiffen, und die edelste, zarteste Schilderung eines reinen Frauencharakters giebt der Dichtung einen besonders feinen und lieblichen Reiz. Wir wollen an diesen für die deutsche Bildung so hochwichtigen Erscheinungen nicht vorübergehen, ohne unserer Schilderung durch einen unmittelbaren Klang aus dieser Poesie Leben zu verleihen. Gudrun, die Tochter des Friesenkönigs Hettel, die geraubt ward von Hartmuth, dem Normannenkönigssohn, wird durch ihren Verlobten und ihren Bruder, die Ritter Herwig und Ortwin, aus schmählicher Sklaverei befreit. Am Strande des Meeres waschen die edlen Frauen, die Königstochter Gudrun und ihre Gespielin Hildburg, in eisiger Winter- kälte die Gewände der bösen Königin Gerlinde. Die Helden kommen aus leichtem Boote über die See; sie landen, aber erkennen die Frauen nicht in ihrer armseligen Sklaventracht. „Oftmals blickte Herwig die Jungfrau forschend an, Sie schien so schön dem Degen und auch so wohlgethan, Daft es ihn im Herzen oft zum Seuszeu brachte; Sie glick' so sehr der Einen, an die er oft gar mmmglich dachte.