321 Da sprach von Ortland wieder der König Ortwein: „Ich frag' Euch Mädchen beide, sollt' Euch bekannt nicht sein Ein fremdes Ingesinde, das kam zu diesem Land? Eine war darunter, die war Gudrun genannt." Sie sprach: „Ich bin auch Eine, die mit Hartmuth's Heer Im Streit gefangen wurden und geführet über's Meer. Ihr suchet Gudrunen: Das thut Ihr ohne Noth, Die Magd von Hegelingen fand vor großem Leid den Tod. Da thränten Ortweinen seine Augen licht; Die Kunde ließ auch Herwig unbeweinet nicht. Als sie das vernahmen, daß gestorben wäre Die Magd von Hegelingen, das belud ihr Herz mit großer Schwere. Als sie die Helden beide vor ihr weinen sah, Die geraubte Jungfrau sprach zu ihnen da: Ihr gehabt Euch also bei dieser Trauermäre, Als ob die edle Gudrun Euch verwandt, Ihr guten Helden, wäre. Da sprach König Herwig: „Wohl tranr' ich um die Maid, Sie ist mein Weib gewesen alle Lebenszeit. Sie war mir zugeschworen mit Eiden fest und stäte. Nun hab' ich sie verloren durch des alten Ludwig grimme Räthe." „Ihr wollt mich betrügen," sprach die arme Magd, Von Herwig's Tode war mir oft gesagt: Die höchste Wonn' auf Erden sollt' ich in ihm gewinnen; Wär' der noch am Leben, so hätt' er längst mich geführt von hinnen." Da sprach der edle Ritter: „So seh't meine Hand, Ob Ihr das Gold erkennet; Herwig bin ich genannt. Mit diesem Mahlschatz sollt' ich Gudrunen minnen: Seid Ihr denn meine Gattin, wohlan, ich führ' Euch minniglich von hinnen." „Da sprach die Enkelin Hagen's: Freude nahet mir, Trost und Wonne: ob sie bis morgen hier Mich mit Besen schlügen, daran werd' ich nicht sterben. Doch die uns so mißhandeln, deren müssen Viele verderben." „Nun will ich diese Kleider tragen zu der Fluth, Sie sollen wohl erfahren," sprach das Mägdlein gut, „Daß ich mich vergleichen dürfe Königinnen, Ich werfe sie in's Wasser, daß ich sie lustig fließen seh' von hinnen." Von diesen naiven Gestaltungen der deutschen Volksdichtung ist es ein wohl vorbereiteter Schritt auf die poetischen Erzählungen der höfi¬ schen Dichter, auf das Kunftepos überzugehen, welches nicht minder in der geschilderten Periode seine Blüthezeit erreicht hat. Herr Wolfram von Eschenbach, ein armer Ritter aus Franken, benützte die britisch-französischen Arthur- und Gralsagen zu einem großen und herrlichen Gedichte Parzival, welches der Ausdruck einer liefen, Oeser's Weltgeschichte. II. 7. Aufl. 21