196 Das Mittelalter. §. 285. die ganze Macht ruhte in dem großen Rath, zu dem nur eine bestimmte Qahl vornehmer Familien (Nobili), deren Namen in dem „goldenen Buche" verzeichnet waren, Zutritt hatten. Und um jeder Staatsveränderung vorzu¬ beugen, wurde ein Ausschuß von zehn Männern mit dilatorischer Ge¬ walt ausgerüstet, denen eine Staatspolizei mit Spionen und Angebern und eine Staatsinquisition mit unterirdischen Kerkern, Foltern und Blei- kammern zur Seite standen. Alle Tritte und Schritte wurden überwacht, alle Worte erlauscht, jede Bewegung des Volkes beobachtet. Der Versuch des Dogen MarinoFalieri, mittelst einer Verschwörung mit einigen verwegenen Leuten 1355. der untern Klassen die stolze Aristokratie zu stürzen, endigte mit seinem eigenen Fall und einem gewaltsamen Tod durch das Richtschwert. Die unersättliche Begierde nach Geld und Reichthum schuf eine unheilbare Herzenshärtigkeit m den Venetianern, wodurch die Familienbande gelockert und das religiöse und kirchliche Leben geschwächt wurde. Im 14. und 15. Jahrhundert suchte Vene¬ dia sein Gebiet auf dem italienischen Festlande auszudehnen und erlangte mit HUse geschickter Söldnerführer die Herrschaft über Verona, Padua, Brescia und viele andere Städte und Landschaften des oberen Italiens. Dadurch kam es aber in feindliche Berührimg mit den übrigen europäischen Staaten und wurde nicht selten mit dem Untergang bedroht; so besonders im 1508. Ansang des 16. Jahrhunderts durch den Bund (Liga) von Cambray, in welchem sich Kaiser Maximilian, Ludwig XII. von Frankreich, Ferdi¬ nand der Katholische von Aragonien und Papst Julius 11. zu einer Theilung des Venetianischen Gebiets vereinigten. Schon bedrohten die Fran- zosen die reiche Stadt mit einer Eroberung, als es dem klugen Rath glückte, den Bund zu trennen und den Papst und Ferdinand für sich zu gewinnen. Auf diese Weise gelang die Rettung der Republik und die Vertreibung der Franzosen aus Italien. Unheilbar aber waren die Schläge, welche Venedig durch die Gründung des osmanischen Reichs in seinen östlichen Besitzungen und durch die Entdeckung des Seewegs nach Ostindien in seinem Handel er¬ fuhr Seitdem war die sinnbildliche Vermählung des D o g e n m i t der A d r i a auf dem Staatsschiff Bueeutöro eine bedeutungslose Feier. Durch die Freigebigkeit und den Kunstsinn der reichen Venetiancr gelaugte die Malerei in der Lagunenstadt zu hoher Blüthe, besonders unter Tizian (§. 370. 6.). §. 285. Venedigs stolze Nebenbuhlerin war Genua. Die gegenseitige Eifersucht der beiden Republiken wegen des morgenländischen Handels führte viele Kriege und manche blutige Seetreffen herbei, aus denen jedoch Venedig gewöhnlich als Sieger hervorging, wenn gleich im Chiogaiakrieg die ge# 1380. nuesische Flotte einmal siegreich die Lagunen befuhr. Genuas glänzende Mar- morpaläste, sein mit einen: Wald von Masten bedeckter Seehafen, seine Bank von S. Georg u. dergl. zeugten von dem Reichthum der Stadt; aber Hader zwischen Demokraten und Aristokraten, zwischen Guelsen (Fieschi und Grimaldr) und Ghibelliuen (Spinola und Doria) schwächten die innere Kraft und zerstörten die Tugenden und edleren Regungen. Habgier und Geldstolz waren die herrschenden Leidenschaften des Volkes.' Unfähig sich selbst zu regieren, suchte es sich fremde Regenten, bis es zuletzt bald unter mailändische, bald unter fran- 1528. zösische Herrschaft kam. Die kunstreiche Verfassung, die im 16. Jahrhundert der Seeheld Andreas Doria für seine Vaterstadt entwarf, nachdem er vu- französische Herrschaft daselbst gestürzt und die republikanischen Formen her¬ gestellt, verschaffte zwar dem Staate wieder die äußere Unabhängigkeit, am keineswegs den innern Frieden. Zwei Jahrzehnte nachher versuchte der schöne, 1547. reiche und gebildete Fiesco, Graf von Lavagna, dem Haufe Doria die Do- qenwürde zu entreißen; allein das Unternehmen wurde vereitelt durch den unerwarteten Tod des kühnen Verschwörers. Auch Genua's Macht uno