106 Aus der Kulturgeschichte des Zeitalters der Kirchentrennung. den Strebepfeilern Strebebogen nach demselben. Hohe, helle Fenster, Wimperge, acht- oder zwölfeckiges Chor find dem gotischen Stile eigentümlich. Die spitzbogigen Fenster sind der Länge nach durch senkrechte Pfosten gegliedert, die sich wieder in Spitzbogen zusammenschließen. Die Bogen sind mit steinernem Maßwerk ausgefüllt. Die gotischen Dome haben oft zwei Westtürme, deren Pfeiler sich in Fialen auflösen. Die Fialen sind mit Krabben besetzt. Den Abschluß der Türme bilden Steinhelm und Kreuzblume. (Fig. 96—100.) Die gotische Baukunst mit den großen Kirchenfenstern brachte die Glasmalerei zur Blüte. Die künstlerische Bedeutung des gotischen Stiles besteht in einer Art Vergeistigung des Stoffes. Durch das Aufwärtsstreben seiner kühnen und leichten Formen drängt er Geist und Sinn des Beschauers himmelwärts. Die ersten Anfänge dieses Stiles treten in Nordfrankreich zu Ende des 12. Jahrhunderts auf; seine Ausbildung und Vollendung erhielt er in Deutschland. Hier legte zu dem Meisterwerke der gotischen Baukunst, dem Kölner Dom, im Jahre 1248 Erzbifchof Konrad von Hochstaden den Grundstein. Außerdem sind zu nennen das Münster in Straßburg, von Erwin von Steinbach erbaut, das Ulmer Münster, der Stephansdom in Wien, die Kirche Notre Dame in Paris, die Westminster- abtei in London, St. Gudula in Brüssel, der Dom zu Antwerpen. Die gotische Bauweise blieb nicht auf kirchliche Bauwerke beschränkt; sie fand auch für weltliche Bauten eifrige Pflege. Unter diefen nehmen einen hervor- ragenden Rang ein das Schloß von Marienburg in Weftpreußen und der Gürzenich in Köln, dann die Rathäuser zu Brüssel und Löwen und der Dogenpalast zu Venedig. (Fig. 91—107.)- In der ersten Hälfte des 15. Jahrhunderts fing man an, die Bauformen des griechischen und römischen Altertums mehr nachzuahmen. Von diesem Wiedererwachen der alten 93anformen erhielt der neue Stil den Namen Renaissancestil. Italien ist die Wiege dieses Stiles. Mit Vorliebe wendet man die Kuppel an, der eine sogenannte Laterne aufgefetzt wird. Kühne Tonnengewölbe über weite Räume machen einen überwältigenden Eindruck- In diesem Stile sind die Peterskirche in Rom und nach ihrem Muster die Paulskirche in London gebaut. Die Mauern zeigen nach außen mächtige, fast rohgelafsene Quadersteine, die sog. Rustika. (Fig. 116.) Für den deutschen Renaissancestil ist an weltlichen Bauten bemerkens- wert der hohe Dachgiebel, der oft durch Voluten oder Schnecken und Obelisken geziert ist. Von Renaissancebauten sind bemerkenswert in Deutschland das Heidel- berger Schloß, die Rathauslaube in Köln, das Zeughaus in Berlin, der Louvre in Paris, in Italien die florentinifchen und venetianifchen Paläste, an denen die wagerechte, obere Abfchlußlinie der Faffade charakteristisch ist. (Fig. 109-118.) Übersicht über die Entwicklung der Bildhauerkunst. Die alt christliche Bildhauerkunst oder Plastik wird am reichhaltigsten durch die Sarkophagskulpturen, d. i. Grabsteindarstellungen, vertreten. Mit der christ- lichen Lehre wanderte die Sarkophagskulptur in alle römischen Provinzen. Künst- lerischen Wert haben diese Grabsteindarstellungen wenig, doch hat sich so viel antiker Kunstsinn erhalten, daß die Anordnung der Gruppen auf formalen Kunstregeln beruht. Dazu kommen zahlreiche Reliefs1] an Sarkophagen. (Fig. 67.) Während der Herrschast des romanischen Stiles werden weniger Statuen ge- schaffen; die Gewandungen derselben zeigen schmale, gleichlaufende, teils bandartig !) Jede erhabene, hervortretende Bildhauerarbeit auf einer Fläche wird Relief genannt.