§ 12. Das Rittertum. 45 ihm beim Entkleiden. Dann schlief er ein. Als er nach bösen Träumen erwachte, brach der lichte Tag durchs Fenster ein; doch kein Page, der ihn bediene, war zu sehen. Er erhob sich, zog sich seine Ritterrüstung an und eilte aus dem Gemach. Aber alle Zimmer, durch die er kam, waren leer, niemand zu hören noch zu sehen! An der Treppe sand er sein Roß an- gebunden, weit geöffnet war das Burgtor. Er stieg zu Pferde, spornte das Roß zur Eile an und stürmte über die Zugbrücke. Kaum hatte er sie hinter sich, als wie von unsichtbarer Hand sie mit jähem Schall emporslog. Da er sich umwandte, hörte er eine Stimme, die ihm zurief: „Was wollt ihr? Ihr seid eine Gans! Könnt ihr nicht austun euer Maul? Wärt ihr doch nicht so redefaul Und hättet ihr den Wirt gefragt! Nun bleibt euch hoher Preis versagt." So wußte Parzival erst recht nicht, was er von der Burg und ihren Be- wohnern halten sollte. Er ritt traurig weiter und traf bald nachher am Wege sitzend ein klagendes Mädchen. Von ihr erfuhr er, was er versäumt hatte. Die Burg war die Gralsburg, der kranke König hieß Anfortas; dieser hatte mit seinen Rittern den heiligen Gral zu bewachen. Da er aber gegen die Gralsgesetze verstoßen hatte, mußte er an einer schweren Wunde leiden und warten, bis er durch die Frage eines Jünglings nach den Wundern des Grals erlöst wurde. Diese Frage hatte Parzival versäumt und sich so sein Heil, Gralsritter zu werden, verscherzt. Als dann auch die Fluchbotin des Grals, Kundrie, am Hose des Königs Artus den Fluch über ihn aussprach, und er ausgestoßen wurde, ergriff Parzival Erbitterung und wilde Ver¬ zweiflung. Fünf Jahre streifte er in der Welt umher, manches Land durchstrich er zu Roß und zu Schiffe; jeden, mit dem er kämpfte, warf er zu Boden. Aber keine Ruhe fand er in seinem Herzen, die Gralsburg war ihm ver- schloffen, er hatte sie noch nicht wiedergesehen. Ja er kümmerte sich nicht um Gott und zweifelte an dem Höchsten. So traf er an einem Karfreitag, an welchem er zum Hohn gegen alles Ritterrecht in voller Wehr und Waffen umherzog, einen frommen Pilger, der ihn auf den rechten Weg wies. Durch ihn wurde Parzival ermahnt, sich an einen heiligen Mann, einen Klausner, der in der Nähe wohne, zu wenden. Parzival tat es und wurde durch diesen von seinen Seelenzweifeln befreit. Er glaubte wieder an Gottes Gnade und Barmherzigkeit, er bereute sein gottloses Leben und hoffte auf Verzeihung. So gelang es ihm, die Gralsburg zu finden. Wieder wurde er