Übersicht über die Geschichte der französischen Revolution. 177 1. Durch den ungeheuren Aufwand des Hofes (jährlich 60 Millionen) und die Beteiligung des Staates an nutzlosen, aber um so kostspieligeren Kriegen war die Schuldenlast Frankreichs derartig gestiegen, daß sich die Aufnahme weiterer Anleihen zu mäßigem Zinsfüße als unmöglich erwies. Hierzu kam, daß die Einnahmen des Staates infolge der unsinnigen Wirtschaftspolitik fortwährend verringert worden waren. Daher hatte sich die Finanzlage Frankreichs allmählich so verschlechtert, daß ein jährliches Defizit von über 150 Millionen entstand. 2. Die vergeblichen Versuche einer Finanzreform, die sämtlich an der Schwäche der Regierung dem Widerstande der privilegierten Klassen gegenüber scheiterten, zwangen den König schließlich dazu, das Volk zur politischen Mitarbeit aufzurusen. а. Der kluge und energische Finanzminister Turgot wollte der Finanznot durch eine allgemeine Reform des ganzen Staatswesens entgegenwirken. (Keine neuen Anleihen, keine Steuererhöhung, sondern Hebung des wirtschaftlichen Lebens und Belebung des Gemeinsinns der Staatsbürger durch Abstellung der wirtschaftlichen und sozialen Übelstände und Heranziehung der Untertanen zu politischer Tätigkeit.) Allein schon 1776 wurde Turgot durch den Haß der privilegierten Stände und den Einfluß der Königin Marie Antoinette gestürzt, und sein Reformwerk geriet ins Stocken oder wurde sogar wieder rückgängig gemacht. I). Turgots Nachfolger, der aus Genf gebürtige Pariser Bankier Necker, verschaffte dem Staate durch seinen persönlichen Einfluß neuen Kredit und vermehrte die Schulden um über 500 Millionen. Durch seinen berühmten „Rechenschaftsbericht" (1781), dessen unwahre Schönfärberei die Aufnahme neuer Anleihen ermöglichte, zog er sich ebenfalls den bittersten Haß der Hofkreise zu, der auch diesen Finanzminister zu Falle brachte. Auf die öffentliche Meinung aber hatte die erstmalige Enthüllung des Etats einen un¬ geheuren Einfluß ausgeübt. „Die Meinung griff immer mehr um sich, daß das Land einem förmlichen Raubsystem preisgegeben sei." б. Der leichtsinnige, frivole Calonne, einer der Nachfolger Neckers, wußte mit den Künsten eines wahrhaft genialen Bankrotteurs die Schuldenlast des Staates um weitere 800 Millionen zu vermehren, indem er durch ge¬ steigerten Luxus den Schein einer glänzenden Finanzlage vortäuschte. Als aber die völlige Zerrüttung der Finanzen auch durch Calonnes betrügerische Manöver nicht länger zu verbergen war, sollte eine Notabelnversammlung (1787) die Aufhebung der Steuervorrechte des Adels und Klerus beschließen, und als die Notabeln die Annahme der Projekte Calonnes ablehnten, mußte der Finanz¬ minister, von dem Haß aller Stände verfolgt, seinen Abschied einreichen. d. Nachdem auch der Erzbischof von Toulouse als Finanzminister die verzweifelte Lage des Staates nicht zu bessern vermocht hatte, folgte der König der Stimme der öffentlichen Meinung und berief gegen seinen Willen Necker zum zweitenmal in die Stellung eines leitenden Ministers (1789). e. Inzwischen war die Frage der Finanzreform längst zu einer An¬ gelegenheit von größter politischer Bedeutung geworden; schon am 1. Mai 1789 war die Einberufung der Reichsstände angekündigt worden, deren Mit¬ wirkung die ratlose Regierung nicht mehr entbehren zu können glaubte. Hatte aber die Autorität des Königs schon lange vorher infolge der nachgiebigen Schwäche Ludwigs XVI. in dem Streite zwischen der Krone und dem Pariser Jahn, Zur deutschen Geschichte. II. Teil. 12