256 Vom Tode Friedrichs des Großen bis zum Ende der Freiheitskriege. des Feindes gegen Smolensk hin. Der Zar hatte unterdessen den religiösen und nationalen Fanatismus seines Volkes zu entflammen gewußt, der Haß und die Rachgier des erbitterten Landvolkes begann „den Partherkrieg" auf eigene Faust. Anmerkung. Die Meinung, daß das vorsichtige Zurückweichen des russischen Heeres im Sinn eines wohlerwogenen Kriegsplanes erfolgt wäre, ist durch das Ergebnis der kritischen Forschung nicht bestätigt worden. Der von Phull entworfene Operationsplan für die russische Kriegssührung hatte jene vielgerühmte Rückzugstaktik gar nicht vorgesehen, und auch die Entwürfe Barclays wußten nichts von dem Plan eines solchen „Partherkrieges". Die Bedenken, sich dem Angriffe des weit überlegenen Gegners auszusetzen, führten mit der Zeit von selber auf die Idee, Raum und Zeit als die besten Verbündeten anzusehen. 1). Napoleons Sieg bei Smolensk (17. und 19. August), wo sich die wesentlich verstärkte russische Armee Barclays infolge des Drängens der Patrioten zum erstenmal stellte, verschaffte dem ungeduldigen Imperator keinerlei ent¬ scheidende Vorteile; sein Heer, das bereits auf 155 000 Mann zusammen¬ geschmolzen war, mußte dem weichenden Gegner nach Moskau zu folgen. Auch die blutige Schlacht von Borodino (7. September), die der Altrusse Kutusow zur Rettung der Hauptstadt wagte, brachte Napoleon keinen Gewinn; schon mußte der Kaiser auf die rücksichtslose Ausbeutung des Sieges verzichten, die Russen zogen unverfolgt ab. 6. Wenn jetzt auch die Besetzung Moskaus den ersehnten Frieden nicht brachte, war die Lage Napoleons bedenklich. Während der Krieg in Spanien immer neue Anstrengungen erforderlich machte und Deutschland sich zu regen anfing, wurde der Glaube an die Unfehlbarkeit des Kaisers durch die Mißerfolge in Rußland erschüttert. Zwar konnte die „große Armee" am 14. September in Moskau einziehen, aber der Besitz der öden Stadt erwies sich sehr bald als nutzlos; denn Alexander, dem der Freiherr vom Stein den Mut stärkte, wies jedes Friedensangebot, ja jede Unterhandlung mit dem Feinde zurück. Anmerkung. Der Freiherr vom Stein war kurz vor dem Ausbruche des Krieges einer Einladung des Zaren an den russischen Hof gefolgt. Er hatte längst erkannt, daß nun die Stunde der Befreiung Deutschlands geschlagen hatte, und entwarf schon im September des Jahres 1812 seine kühnen Pläne über die künftige Verfassung Deutschlands. „Dies bildet, nächst seiner Teilnahme an der Umgestaltung Preußens und der Befreiung Europas, das dritte welthistorische Verdienst des Mannes: er hat früher und schärfer als irgendein Staatsmann die Einheit Deutschlands ohne Phrasen und Vorbehalte als das höchste Ziel deutscher Staatskunst aufgestellt." Zunächst aber galt seine und seines getreuen E. M. Arndt unermüd¬ liche Tätigkeit der Befreiung Europas. Eine Koalition Rußlands, Österreichs und Englands sollte das zaudernde Preußen und das geknechtete Deutschland zum gemein¬ samen Kampfe gegen den Todfeind mit fortreißen. 6. „Wie mit dämonischer Macht gebannt", verweilte Napoleon trotz des Scheiterns seiner Friedenshoffnungen in Moskau, bis es zu spät war, die Reste des stolzen Heeres zu retten. Erst nach dem von den Russen selbst angelegten Brande der „heiligen" Stadt trat der Kaiser am 18. Oktober den Rückzug an, der bald mit der völligen Auflösung und Vernichtung seines Heeres endigte. Nach der furchtbaren Schlacht an der Beresina (26.—28. No¬ vember) bestand die „große Armee" nur noch aus zuchtlosen Banden ver¬ zweifelter Menschen, die der strengen Kälte, dem Hunger und der unbarmherzigen