— 45 — dem Löwenthor in Mycenä fanden sich 7—11 m unter der Oberfläche sechs Grabstätten, teils in den Felsen gehauen, teils, wo man auf loses Erdreich traf, mit Steinen ausgesetzt, in jeder die Uberreste mehrerer Toten. Neben den Leichen lagen Gefäße von Thon, Alabaster von Gold, Schmucksachen aus Edelmetallen und anderen Stoffen. Die Goldschmucksachen trugen höchst zierliche Verzierungen, Menschen-, Tier- und Pflanzenfiguren darstellend: Palmblätter und Palmen, Antilopen, Leoparden und Löwen. Die Götzen- bilder, die sich in den Ruhestätten fanden, gleichen zum Teil den phönizifchen Bildern der Astarte. Die Form der Gräber, die Art der Bestattung, Bildwerk und Götzenbilder sind semitischen Ursprungs und beweisen, daß in Argos Menschenalter hindurch Phönizier gewohnt haben. Wie in Argos, so finden sich auch anderswo, so in Korinth, Salamis und Theben, Spuren der Phönizier, von denen die Griechen ihre Maße und Gewichte, die heilige Siebenzahl, vor allem aber ihr Alphabet als Geschenk erhielten. Auch die religiösen Vor- stellungen und Dienste der Phönizier blieben nicht ohne Einfluß, den man in einzelnen Göttergestalten der späteren Zeit, dem Herakles, der Aphrodite, sehr deutlich erkennt; man findet in dieser die Astarte, in jenem den semitischen Nimrod wieder, dem die Phönizier als dem Gott Baal Melkarth in allen ihren Niederlassungen Altäre errichteten. Aber tief drang dieser Einfluß auch auf diesem Gebiete nicht ein; er regte an, aber überwältigte nicht. Hatten die Phönizier sich fügen und schmiegen gelernt, um den Schutz und die Gunst asiatischer Despoten nicht zu verscherzen, so erwuchs dagegen das Volk der Griechen frei und stolz in feinem Lande und auf feinen Inseln; nie hat es den Nacken einem fremden Herrn gebeugt. 2. Die Götterlehre. Die Erschaffung der Welt und der Menschen. Die Welt, so glaubten die Hellenen, ist aus einer ungeordneten Masse, dem Chaos, hervor- gegangen. Die ältesten Gottheiten waren Uranus, der Himmel, und Gäa, die Erde. Ihre Kinder waren die Titanen, die rohen Naturgewalten, die Uranus aus Furcht in dem finstern Tartarus angeschmiedet hatte. Aber Kronos oder Saturn (die Zeit), der jüngste der Titanen, beraubte den Vater der Weltherrschaft und stürzte ihn nun selber in den Tartarus. Da Kronos von seinen Kindern gleiches Schicksal fürchtete, wie der gestürzte Uranus prophezeit hatte, so verschlang er seine Söhne. Aber der jüngste unter ihnen, Zeus, wurde von seiner Mutter Rhea gerettet; er zwang den Vater, die Brüder herauszugeben, und verbannte ihn in die Unterwelt. Dann loste er mit seinen Brüdern, Poseidon und Hades, um die drei Reiche der Welt; er selbst gewann den Himmel, Poseidon das Meer und Hades die Unterwelt.