— 369 — i) Urteil Friedrichs des Groszen über den Staat unter Friedrich Wilhelm I.*) „Der Staat veränderte unter Friedrich Wilhelm fast ganz seine Ge- stalt. Der Hof ward verabschiedet und die großen Gehalte erlitten Schmälerungen; viele, die früher eine Kutsche gehalten hatten, gingen jetzt zu Fuße, daher es im Volke hieß, der König hätte den Lahmen die Beine wiedergegeben. Unter Friedrich L war Berlin das nordische Athen, unter Friedrich Wilhelm ward es zum Sparta. Die ganze Regierung war militärisch. Man vermehrte die Armee, und in dem Eifer der ersten Werbungen wurden einige Handwerker zu Soldaten genommen, dies verbreitete Schrecken unter die andern, die zum Teil die Flucht ergriffen. Dieser unvorhergesehene Umstand that unseren Fabriken bedeutenden Schaden. Der König half dem Übel sogleich ab und widmete der Wiederherstellung und dem Fortgänge des Gewerbefleißes besondere Aufmerksamkeit. Er verbot sehr strenge die Ausfuhr der Wolle. 1714 errichtete er das Lagerhaus, ein Magazin, woraus die armen Fabrikanten die Wolle ge¬ borgt erhalten und mit der verarbeiteten bezahlten. Unsere Tuche fan- den einen sicheren Absatz im Bedarfe der Armee, welche alljährlich neue Kleidung erhielt. Dieser Absatz verbreitete sich auch nach auswärts; seit 173d waren unsere Manufakturen so blühend, daß sie 44 OOO Stück Tuche zu 24 Ellen nach dem Auslande absetzten. Berlin war gleichsam das Vorratshaus des Mars; alle für eine Armee brauchbaren Handwerker kamen daselbst empor, und ihre Arbeiten wurden in ganz Deutschland gesucht. Man errichtete bei Berlin Pulver- mühten, in Spandau siedelten sich Schwertfeger, in Potsdam Waffen- schmiede und in Neustadt Eisen- und Kupferarbeiter an. Der König bewilligte allen, die sich in den Städten seines Reiches ansiedeln wollten, Freiheiten und Belohnungen. Er erweiterte die Hauptstadt um das ganze Viertel der Friedrichstadt und bedeckte die Plätze, wo früher Wald war, mit Häusern. Er erbaute Potsdam, welches damals kaum 400 Einw. hatte, jetzt über 20000 zählt, und bevölkerte es. Berlin erhielt 1734 nach der Vergrößerung eine neue Polizei-Ein- richtung, ähnlich der Pariser Jedes Viertel der Stadt erhielt eigene Polizei-Offizianten. Man führte auch Fiakres ein. Die Stadt ward von den Müßiggängern, die nur andern zur Last liegen, gesäubert, und jene unglücklichen Menschen, die wir nur mit Ekel oder Mitleid ansehen, und welche die Natur stiefmütterlich behandelt hat, fanden Aufnahme in den öffentlichen Krankenhäusern. Während diese Veränderungen vorgenommen wurden, verschwanden Luxus, Prunksucht und Vergnügungen; der Geist der Sparsamkeit Der- breitete sich über alle Staude, bei Reichen wie bei Armen Unter ben vorigen Regierungen verkauften viele Abtige ihre Besitzungen, um Drapd'or unb Tressen zu kaufen. Diese Thorheit horte jetzt auf. In ben meisten preußischen Ländern müssen bie Ebelleute sehr sorgfältig haushalten, um ihre Familie zu ernähren, weil bas Erstgeburtsrecht nicht stattfindet, * Gesammelte Werke Friedrichs d. Gr. nach Znrbonsen. 188 ff. Lewin, Unsere Kaiser und ihr Haus. 24