22 § 6. Lykurgos, ca. 800 v. Chr. toa§ jeder einzelne für ein Naturell hatte in Bezug auf die Kühnheit und ob er seinem Gegner beim Kampfe auch standhalte. Alle Er- Ziehung hatte nur einen Zweck: den rechten Gehorsam, die Ausdauer in Anstrengungen, den Sieg in der Schlacht Deswegen machte man auch mit fortschreitendem Alter ihre Übungen immer strenger; man schor sie kahl und gewöhnteste, meistenteils ohne Sandalen zu gehen und ohne Kleider ihre Spiele zu treiben. Wenn sie doy 12. Jahr vollendet hatten, so trugen, sie nie mehr ein Uuter- fleid und bekamen auf das ganze Jahr nur einen einzigen Mantel. Alle schliefen beisammen nach „Stötten, und Herden". Dabei lagen sie ans einer Streu, welche sie selbst von dem Schilf am Enrotas zu¬ sammentrugen. "^ner der ordentlichsten und tapfersten Jünglinge („Eiren") hatte bie Aufsicht über je eine ..Herde". Er führte feine untergebene Schar in ihren Schlachten an; zu Haufe gebrauchte er sie als Diener für das Essen. Er befahl den Ausgewachsenen, Holz zu tragen, den Kleineren, Gemüse zu holen. Sie brachten es auch, aber gestohlen. Die einen gingen deshalb in die Gärten, die anderen schlichen sich in die Speise- säle der Männer, jedoch mit der äußersten List und Behutsamkeit. Ward einer gefangen, so bekam er viele Schläge mit der Peitsche, weil er so leichtsinnig und ungeschickt gestohlen hatte. Ihre Kost war un- gemein schmal, damit sie sich mit eigener Kraft gegen den Mangel schützen lernten und zur Kühnheit wie zur List gezwungen wurden. „Nach der Mahlzeit blieb der Eiren liegen und befahl nun dem einen von den Knaben zu fingen, dem anderen legte er eine Frage vor, welche eine wohlüberdachte Antwort erforderte. Er konnte z. B. fragen, „wer der vorzüglichste Mann fei?" oder „welchen Wert eine bestimmte Handlung von diesem oder jenem habe?" Hierdurch wurden sie gleich von Anfang daran gewöhnt, das Gute zu unterscheiden und sich um die Handlungsweise aller Bürger zu kümmern; denn sobald man bei der Frage: „Wer ist ein guter Bürger?" oder „Wer ver- dient keine Achtung?" um die Antwort verlegen war, so hielt dies jedermann für das Zeichen eines faulen Geistes, der für die Ehre der Tugend durchaus keine Liebe besitze. Übrigens mußte die Antwort auch noch eine Begründung und Beweisführung enthalten, die auf irgend ein paar kurze Worte zusammengedrängt war. „Frühzeitig wurden die Knaben angehalten, sich in Worten auszu- sprechen, welche etwas Beißendes und doch zugleich etwas Anmutiges, sowie auch, trotz der Kürze im Ausdruck, einen tiefen Sinn enthielten (Lakonische Rede). Beispiele: Ein Mann aus Attika spottete einmal über die kurzen Schwerter der Lacedämonier; da bemerkten diese: „Wir lieben es, dem Feinde am nächsten auf den Leib zu kommen!" —