— 65 — Die größten Verbände waren vielmehr die Völkerschaften, und deren gab es mehr als fünfzig. Die Versammlung der freien Männer der Völkerschaft fand höchstens ein- bis zweimal im Jahre statt. In ihr wurde über den Krieg entschieden und für diesen ein Herzog gewählt. Hier machte man auch die Jünglinge wehrhaft und richtete über Verräter. Viel mehr Bedeutung hatte der Gauverband, der gewöhnlich mehrere Markgenossenschaften umfaßte. An seiner Spitze stand ein aus den angesehenen Freien, den Edelingen, gewähltes Oberhaupt. Unter seinem Vorsitz fanden die Versammlungen der freien Männer statt, die Thinge, die meist Gerichts versa mm- lungen waren. Dabei ging alles sehr ernst und feierlich zu. Es wurde nach ganz anderen Gesetzen gerichtet als bei uns. Wenn ein Mord geschah, so war die Verfolgung des Übeltäters nicht Sache des Gerichtes, sondern Sache der Sippe. Diese hatte die Pflicht, für die Sühnung zu sorgen. Sie mußte entweder Blut durch Blut rächen, oder von dem Täter das Wergeld (Manngeld) eintreiben, das in Vieh gezahlt wurde. Das Gericht half dabei nur, wenn der Übeltäter nicht zahlen wollte oder die Tat leugnete. In letzterem Falle mußte er sich durch einen Eid oder durch ein Gottesgericht reinigen. Beschwor er seine Unschuld, so standen ihm Verwandte als Ei des Helfer'zur Seite und erklärten, daß sie seinen Eid für wahr- Haft hielten. Das Gottesgericht wurde entweder durch einen Kampf ausgemacht, oder der Angeklagte mußte feine Hand in siedendes Wasser stecken oder glühendes Eisen anfassen. Er galt als unschuldig, wenn er keine namhafte Verletzung davontrug. 5. Die Religion. Unsere Vorsahren dachten sich die ganze Natur belebt von göttlichen Wesen. In Wald und Busch, in Wiese und Heide, in Berg und Tal walteten die flinken und nicht immer guten Elfen, tief unten in Höhlen und Bergen wirkten geheimnisvoll miß- gestaltete Zwerge. Die Hauptgottheiten aber und Lenker des Menschengeschickes suchten die Germauen hinter den großen Naturkräften. Wenn der Sturm über Wald und Heide fegte und die Wolken jagte, dann meinten sie den Windgott Wotan mit seinem einen Auge, seinem langen Bart und seinem Sturmhure daherfahren zu sehen. Er war ihr oberster Gott, der Götterkönig. Wenn die Blitze zuckten und der Donner durch die Wälder grollte, dann war es Donar, der mit feurigem Haar und Bart auf seinem ras- selnden Wagen durch die Lüfte fuhr und seinen gewaltigen Ham- mer auf die Erde warf. Hatte sich sein Zorn besänftigt, so wurde er zum Gott des Segens durch seinen befruchtenden Gewitterregen. Im Kriege verlieh der einarmige Gott Zin den Sieg. Wotans Gemahlin war Frei et; sie beschützte Familie, Haus und Herd. Die Göttin N erthus (Hertha) fuhr alljährlich auf ihrem Froning und Wewer, Geschichte. Ausg. C. 1. M. 5