§ 17. Deutsche Zustände in dem Jahrhundert nach dem Westfälischen Frieden. 97 Steuereinheit der vom Reichstage nach der Kopfzahl jedes Territoriums ver- teilten „Matrikularbeiträge" —auf den guten Willen der einzelnen Reichsstände angewiesen war. Da auch die Abgaben der Reichsstädte und das Schutz- geld der reichsunmittelbaren Ritterschaft den Charakter der Freiwillig- keit annahmen, anderseits die aus den kaiserlichen Privilegien herrührenden Ein- nahmen (Sporteln) nicht bedeutend waren, so blieb die finanzielle Lage des Reichsoberhauptes unsicher und kläglich. ^) Einen verhältnismäßig großen Einfluß dagegen besaß der Kaiser immer Das noch auf dem Gebiete des Rechts Wesens. Gerade die Unklarheit, die bezüglich Reichsjustizwesen, der Zuständigkeit des ursprünglich für Lehnsangelegenheiten und Kriminalfälle der Reichsunmittelbaren eingerichteten Reichshofrates bestand, hatte seine Aus- bilduug zu einem mit dem Reichskammergericht konkurrierenden Gerichts- Hofe höherer Instanz gefördert. Deshalb hintertrieb Ferdinand IV. auch die namentlich von den protestantischen Reichsständen geforderte Reform und erließ aus eigener Initiative eine „Reichshosratsordnung", die diese Behörde ganz zum Werkzeug des kaiserlichen Willens und damit der Habsburgischen Politik machte. Wenn sich deshalb das Mißtrauen gegen dies kaiserliche Hofgericht steigerte, so verlor auf der andern Seite das Reich skammergericht^) fast jedes Ansehen; denn auch die 1648 unternommene Reform, die die Hebung seiner Leistungs- sähigkeit durch Einschränkung der Revisionen®) und durch Erhöhung der Bei- sitzerstellen („Reichskammergerichtsassessoren") auf 50 bezweckte, mußte fehl- schlagen, da nie das Geld auszubringen war, um die neuen Stellen auch nur annähernd vollzählig zu besetzen. Deshalb konnten weder eine neue ,,Prozeß- Ordnung" noch die immer wiederkehrenden Beschlüsse, daß die „Reste" ans- gearbeitet werden sollten, irgend etwas an dem herkömmlichen Verschlep- pnngssystem ändern. Ein Gegengewicht gegen dies Stocken des Rechtswesens im Reiche bildete das Bestreben einsichtiger Territorialfürsten, sich für ihre Länder Oberappellationsgerichtshöfe zu schaffen (z. B. Preußen 1703). An der Reichskriegs Verfassung, die noch immer auf der fast bedeutuugs- $a3 g^chs- los gewordenen Kreiseinteilung beruhte, wurde durch den Westfälischen Frieden kriegswesen. nominell nichts geändert; aber ihre Grundlage wurde dadurch völlig erschüttert, daß den Landesherren die Bildung des „stehenden Heeres" und das „Bündnis- recht" auch mit auswärtigen Staaten zugestanden worden war. Die Kaiser wnrden gerade durch das Emporblühen des miles perpetuus der Einzelstaaten für die Aufstellung eines Reichsheeres mehr noch als bisher auf den Weg des VerHandelns verwiesen. Hierdurch erklärt sich u. ct. die klägliche Rolle, die Deutschland im „Reichskriege" gegen Ludwig XIV. spielte. 1) Die oft bespöttelte chronische Geldnot der habsbnrgischen Kaiser erklärt sich nicht zum wenigsten daraus, daß sie die Mittel ihrer Länder dauernd für Reichszwecke heranziehen mußten. 2) Es wurde nach der Verwüstung der Pfalz 1689 von Speyer nach Wetzlar verlegt. 3) Da das Reichskammergericht die „Revisionsinstanz" für alle Gerichte bildete, soweit sie nicht durch das kurfürstliche Privilegium de non appellando davon ausge¬ nommen waren, so hatte die Gewohnheit überhand genommen, durch Einlegung der Revision alle erstinstanzlichen Urteile unwirksam zu machen, was oft dem Aufhören jedes Rechtszustandes gleichkam. Schenk-Koch, Lehrbuch d. Geschichte, IX. 2. Aufl. 7