102 47. Zustand der Kirche vor Luther. in den Händen der Engländer und Burgunder; dennoch unternahm Karl den Zug, und Johanna führte ihn glücklich durch alle Feinde hindurch. In Reims, wo seit Chlodwig alle französischen Könige die Krone empfangen hatten, schmückte auch Karl VII. mit ihr sein Haupt. Während der Feierlichkeit stand Johanna mit dem Banner in der Hand an seiner Seite. Danach aber kniete sie vor ihm nieder und bat mit Tränen in den Augen: „O König, meine Sendung ist erfüllt; laß mich nun wieder heimkehren in meine Heimat und ins Vaterhaus!" Allein, um keinen Preis wollte der König die verlieren, welche ihm bisher so unschätzbare Dienste geleistet hatte, war doch der Feind noch mächtig im Lande und selbst Paris noch in seiner Gewalt. Auf sein Drängen blieb Johanna beim Heere; doch das war zu ihrem Unglück. 5. Johannas Ende (1431). Eine Weile ging noch alles gut; indes erlosch doch bei den Franzosen nach und nach die frühere Be¬ geisterung, und die Feinde erholten sich von lähmender Furcht. Endlich wurde sogar bei einem Ausfalle aus einer Stadt die Jungfrau gefangen genommen. Die Burgunder, welche sie ergriffen, lieferten sie an die Engländer aus, und diese führten das unglückliche Mädchen nach Ronen. Hier wurde sie in einen tiefen Kerker geworfen; denn man betrachtete sie nicht als Kriegsgefangene, sondern als eine Zauberin, die mit der Hölle im Bunde stehe. Ihre Aussage, daß Gott und die heilige Jungfrau ihr erschienen seien, galt als Gotteslästerung, und das geistliche Gericht, vor welches sie gestellt wurde, verdammte sie zum Feuertode. Dieses grausame und ungerechte Urteil wurde im Jahre 1431 auf dem Marktplatze in Rouen an ihr vollzogen. Der undankbare König Karl hatte nicht das geringste versucht, um sie zu retten. Mit ungewöhnlicher Fassung bestieg Johanna den Scheiterhaufen; wiederholt hörte man sie den Namen Jesus rufen, ehe sie den Geist aufgab. Ihre Asche wurde in die Seine geworfen, damit keine Spur von ihr zurückbleibe. Der Tod der Jungfrau führte indes das Waffenglück der Engländer nicht zurück. Die Burgunder versöhnten sich mit Karl VII., Paris öffnete ihm die Tore, und die Engländer mußten schließlich das Festland räumen. Die Jungfrau wurde 25 Jahre nach ihrer Verbrennung durch ein neu eingesetztes Gericht für unschuldig erklärt. In neuerer Zeit ist sie sogar vom Papste heilig gesprochen worden. Auf den Marktplätzen zu Orleans und Rouen sind ihr Bildsäulen errichtet, und ihre wunder- baren Taten leben fort in den Liedern und Sagen ihres Volks. VI. Die M ötrltformntioii uitö der religiösen Niilpse. 47. Zustand der Kirche vor Luther. 1. Der Papst und die Geistlichkeit. Der Papst in Rom lehrte, er sei Christi Statthalter auf Erden, und alle Völker samt ihren Königen und Kaisern müßten ihm untertänig sein. Wenn er etwas lehre oder an¬ ordne, so sei es so gewiß und verbindlich, als habe Gott selber es getan.