— 15 — Versailles konnte ihr nicht behagen, da sie viel zu einfach und natürlich erzogen war und ihre Offenheit nicht in einen Kreis paßte, wo die Ver¬ stellung herrschte. Auch ihre Ehe war unglücklich. Der Gatte, ein trauriger Schwächling, der wohl an allen Äußerlichkeiten Gefallen fand, aber nicht an ernster Beschäftigung, konnte sich in ihre derbe Art nicht finden. Ihr Wesen geht am besten aus ihren Briefen hervor, die sie an die Verwandten schrieb. So heißt es in einem: „Ihr wist ja woll, daß ich gantz natürlich bin. Wehren mir Ewere brieffe nicht angenehm, so würde ich ja nicht sagen, daß sie mirs sein, würde auch nicht exact drauff antwortten, wie ich thue. Schreibt man dan nur ahn seine gutte freunde undt verwandten umb etwas artiges undt lustiges daher zu machen? Ich meyne, es seye viel mehr, umb zu erweißen, daß man fleysig ahn sie denckt, undt daß weillen man nicht mündtlich ntttt ihnen reden kann, so erweist man doch den willen, sein vertrawn zu volführen, indem man auffs papir setzt, waß der mundt nicht sagen kann; alßo ist man lustig, müßen die brieffe lustig sein, ist man trawerig, deßgleichen, damitt unßere freunde part nehmen können in alles waß uns betrifft." — „Ich spreche offenhertzig undt nehme, wie man sagt, kein blat vors maul." Vor allem hing die Fürstin treu an ihrer Heimat und bewahrte sich die deutsche Gesinnung an dem französischen Hofe: „ich habe noch allezeit ein teutsches Hertz undt gemühte, und Ihr thut mir allezeit einen rechten gefahlen, mir zu berichten, wie es in der gutten ehrlichen Pfaltz zugeht." 5. Der Linfluß Frankreichs auf das übrige Europa, insbesondere auf Deutschland. Ludwigs XIV. Lebensführung, Hofhaltung und Re¬ gierungsweise wurde von den meisten Fürstenhöfen Europas, auch Deutsch¬ lands, als Vorbild genommen. Die Fürsten strebten nach unumschränkter Regierung, bauten prächtige Schlösser und feierten glänzende Hoffeste. Das Französische wurde die Sprache der Gebildeten aller Länder. Französische Sitten und Unsitten verbreiteten sich mehr und mehr auch im vornehmen Bürgertum, und derjenige genoß das größte Ansehen, der sich in Kleidung und Wohnung, in Sprache und Lebensart so französisch wie möglich zeigte. Wie die Erzieher und Erzieherinnen der Prinzen und Prinzessinnen aus¬ schließlich Franzosen und Französinnen sein mußten, so mochte man ihrer bald auch in den Bürgerhäusern nicht entbehren; wer für seine Kinder eine eigene Französin nicht halten konnte, tat sich mit andern Familien zu¬ sammen, um eine „französische Demoiselle" zu gewinnen. Alles Französische hatte den Vorzug und wurde überall bewundert und nachgeahmt; fran¬ zösische Luxus- und Modewaren gingen durch die ganze Welt. Damals entstand das deutsche Volkslied: „Sag nimmermehr: Venediger Macht, Augsburger Pracht, Straßburger G'schütz, Nürnberger Witz, Ulmet Geld, Sondern sage: Frankreich regiert die Welt."