392 Kaiser Wilhelm I. und seine Zeit. Außerdem wurde die freie Schiffahrt auf dem Kongo und Niger ge¬ währleistet. Die Konferenz, unter Bismarcks Vorsike tagend wurde als em neuer Triumph der Politik Bismarcks angesehen. 'Die deutsche Politik schritt indessen auf ihrer Bahn erfolgreich weiter. Außer 1) Anara Pequenci wurden m kurzer Aufeinanderfolge unter kaiserlichen Schutz gestellt: 2) das Kamerungebiet im Innern des Busens von Guinea- 3) kleinere Besitzungen an der Sklaven- und der Sierra-Leonaküste' 4) weite Gebiete in Ost-Afrika, westlich von dem Reiche des Sultans von Zanzibar, deren Größe auf 3 000 Quadratmeilen angegeben wird • 6) ber nördliche Teil der Osthälfte der Insel Neu-GuiVea (Kaiser- Wilhelms-Land) mit den sämtlichen Inseln vor der Nordostküste der¬ selben und der Inselgruppe Neubritannien (Bismarck-Archipel). d. Das deutsche Reich als Friedenshort. Wie die deutsche Politik bei ihren Erwerbungen im Auslande alles sorgfältig vermied, was irgendwie den Frieden mit fremden Völkern hätte brechen können, so sah Kaiser Wilhelm überhaupt die höchste Aufgabe des deutschen Reiches dann, „ein zuverlässiger Bürge des europäischen Friedens zu sein." In diesem Sinne suchte er die Hochachtung und Zuneigung des russischen Kaisers, der ihn „seinen besten Freund" nannte, zu verwerten und ein sreunblicheres Verhältnis zwischen Rußlcmb unb Östreich zu vermitteln. Es 1872 gelang Kaiser Wilhelm, im September bie Monarchen ber beiben Nachbar¬ reiche bei der „Drei-Kaiser-Zusammenkunft" in Berlin als feine Gäste zu begrüßen, und die dort bestimmte Politik hat während ber nächsten Jahre Europa beherrscht unb namentlich die Kriegsgelüste Frank¬ reichs zurückgedrängt. Besonders in den Unruhen auf der Balkanhalb- mfel zeigte sich Deutschlands Einfluß in feiner wertvollen Bedeutung für dm Weltfrieden. Der Wunsch der drei kaiserlichen Höfe ging dahin, die in der Herzegowina ausgebrochene kriegerische Bewegung aus ihren Herd zu beschränken, und die europäischen Mächte vereinigten sich unter Deutsch¬ lands Einfluß in dem „Berliner Memorandum" unb bem „Lonboner Protokoll" über eine gemeinsame Politik, nach welcher bie hohe Pforte aufgeforbert würbe, in ben vom Bürgerkriege verwüsteten Provinzen Friebe unb Orbnung wiederherzustellen. Noch beim Schluß des Reichs¬ tages von 1876 hob Kaiser Wilhelm hervor: „Ich werbe, gestützt von bem Vertrauen, welches Deutschlanbs srieblieknbe Politik sich er¬ worben hat, im Wege freunbfchaftlicher unb selbstloser Vermittelung mit Gottes Hilfe auch ferner bazu mitwirken." Dennoch kam es zum blutigen Kriege zwischen Rußland und der Türkei (1877). Nach den Siegen Rußlands mußte die Türkei den Frieden von San Stefano ahfchließen, in welchem es dem Feinde Zugeständnisse machte, welche die Interessen anderer Großmächte zu verletzen schienen; namentlich drohte ein Krieg zwischen England und Rußland auszu- 1878 brechen. Auf dem Kongreß in Berlin, wo Fürst Bismarck die von ihm selbst so bezeichnete Rolle eines „ehrlichen Maklers" im Interesse des Weltfriedens durchführte, gelang es, den Frieden von San Stefano mit den Wünschen der Großmächte in Einklang zu bringen: der im Frieden von Berlin (15. Juli) bestimmte Berliner Vertrag wurde eine neue Grundlage des Völkerrechts.