- 39 — mir doch auch einmal den Bogen," sagte da Odysseus, der auf der Thürschwelle saß. Die Freier hielten das für sehr unverschämt von dem Bettler; aber Tele mach sprach: „Der Bogen ist mein; da nimm ihn, Alter!" Und siehe, Odysseus spannte den Bogen mit Leichtigkeit und schoß klirrend den Pfeil durch die Löcher. Alle staunten. Stumm gab Odysseus dem San- und dem Rinderhirten einen Wink mit den Augen und sprach dann: „Jetzt seht her, jetzt wähle ich mir ein Ziel, das noch kein Schütze getroffen hat." Und in demselben Augenblick flog sein Pfeil dem frechsten der Freier durch die Gurgel, daß er todt zusammenstürzte. Zugleich warf er den Bettlers¬ kittel ab und rief mit furchtbarer Stimme: „§)a, ihr Hunde, ihr meintet, Odysseus kehre nimmer zurück; darum zehrtet ihr sein Gut aus und quältet sein braves Weib mit Heirathsanträgen, da er noch lebte. Jetzt steht er vor euch; ihr aber seid des Todes." Und sie entsetzten sich Alle; denn der Schreckliche hatte schon wieder einen Pfeil ans dem Bogen, Te- lemach hatte ihm und sich bereits Schwert, Helm und Schild umgeworfen, und der Sauhirt und Rinderhirt, die alle Hinterthüren verriegelt hatten, traten jetzt auch bewaffnet herein. Da wimmerten die Elenden um Scho¬ nung; aber Odysseus kannte kein Erbarmen. Mit jeglichem Schusse streckte er einen Freier zu Boden, und als die Pfeile verschossen waren, warf er sie mit Lanzen todt. Auch T eiern ach und die beiden Hirten hiel¬ ten sich wacker, und Mancher fiel von ihrer Hand. Endlich war der furcht¬ bare Kampf vollendet; von allen den übermüthigen Frevlern war keiner mehr am Leben. Da ließ Odysseus die Leichen hinwegschaffen, und jetzt erst suchte er die liebe Gattin auf. Die hatte in ihrem weitabgelegenen Gemache von dem grausigen Mordgetümmel nichts vernommen; denn ein tiefer Schlaf hielt sie umfangen. Wie staunte sie. als sie nun Alles ver¬ nahm. Sie vermochte sich kaum dareiu zu finden, daß der theure, zwanzig Jahre entbehrte Gemahl da vor ihr stehe. Aber Odysseus erinnerte sie nun an so Manches, was sie einst mit einander erlebt, erzählte ihr Dinge, die nur er und sie wissen konnten; da brannte ihr das Herz, und mit Freu- denthräuen im Auge flog sie dem endlich wiedergekehrten Gatten an die Brust. Sie hielten sich beide umschlungen, und es vermochte längere Zeit keiner von ihnen ein Wort vor Weinen hervorzubringen. Bald gelaugten nun unter Odysseus Regierung Ordnung, Ruhe, Friede und Sitte auf Jthaka zur Geltung. 16. Lykurgos. (888 v. Chr.) Während die vorigen Erzählungen aus Griechenlands Vorzeit mehr oder weniger mit Sagen verflochten sind, treten wir nun in die geschicht¬ liche Zeit ein. Unter den kleinen Staaten Griechenlands sind es zwei, die im Laufe der folgenden Jahrhunderte in den Vordergrund treten: Sparta im Peloponnes und Athen in Hellas. Wir reden zuvörderst von Sparta.