Vaterländische Dichtungen. 139 Starke Weine fließen strömend, heiß wird allen zugetrunken — So ist einer nach dem andern selig untern Tisch gesunken. Nur der Nettelbeck steht sicher, hat sich's heilig vorgenommen. Seine Sinne zu erhalten, und kein Glas mehr angenommen; Sagt nur, ob man ihn bestürme, ihn ein schwächlich Männlein heiße: „Nein, ich habe zur Genüge und ich gab mein Wort als Preuße, Keinen Tropfen trink' ich drüber!" Als nun all die durst'gen Seelen Schnarchend unterm Tische liegen, will sich Nettelbeck empfehlen, Und es spricht der Wirt: „Du bleibe! Prüfen wollt' ich meine Leute, Du nur, Preuße, hast bestanden; rüste du dein Schiff noch heute! Solche Männer, fest und tüchtig, können mir Vertraun er¬ wecken ; Du bekommst die reichste Ladung." Und so wurde Nettelbecken, Mitten in der Armut Weh, eine volle Ladung Thee Und ein Frachtgebot von dreißig — sage dreißigtausend Thalern. Jener war ein prompter Zahler; und der Kapitän lud fleißig. Stach bei Hellem Sonnenschein in die blaue See hinein. Aber eh' er fortgezogen, hat er — wer verdenkt ihm das? — Noch einmal das Zelt besucht, wo der alte Fritze faß. Wohl mancher fchüttelt schweigend nun sein Haupt Und denkt bei sich: Wer hätte das geglaubt, Daß man so schlichten Stoff sich möchte wählen Und obendrein ihn noch fo schlicht erzählen! Und dennoch liegt gar oft ein tiefer Sinn In kleinen Märlein — nehmt es gütig hin! Verändert hat sich viel seit jenen Jahren, Doch sind wir noch, wie unsre Väter waren: Der liebe Gott und Preußens Herrscher thun Das Ihrige, man sieht sie nimmer ruhn, Damit in fernen unbekannten Landen Die Bande halten, die uns hier umwanden. Und jetzt wie sonst, wenn fern von dem Gefild Der Heimat — wie das fremde Land auch heiße — Ein Wandrer anschaut seines Königs Bild, Ruft er mit Nettelbeck: „Ja, ich bin auch ein Preuße!" Karl von Holtet.