— 39 - alles dessen, was die Gelehrten im Kreise ihrer Bekannten und Freunde gesagt und geübt, was sie in den Hochschulen gelehrt und geäussert haben. Der Tal¬ mud ist seinem eigentlichen Hauptinhalte nach die weitere Ausführung und Er¬ klärung der Mischna, die lebendige Discussion über Gesetze und Rechte, über religiöse Einrichtungen und Satzungen; da er aber das ganze öffentliche und private Leben umfasst, so enthält er auch Sentenzen und Lebensregeln, Erzählungen und Legenden, Historisches und Geographisches, Philosophisches und Medicinisches. Der Talmud zerfällt in zwei Haupttlieile: Halacha und Hagada. Die Halacha (Regel, Norm), meistens in Form der Disputation abgefasst, sucht die Mischna zu erläutern, das Ueberlieferte logisch zu begründen und durch Vergleich und Folgerungen gesetzliche Schlüsse zu ziehen; sie ist der religionsgesetzliche Theil. Die Hagada (Erzählung), wie der nichthalachische Stoff genannt wird, räumt der subjectiven Deutung den weitesten Spielraum ein; sie enthält neben sinnigen Erzählungen, trefflichen Parabeln und erhabenen Sentenzen, auch Stellen und Aus¬ sprüche, welche als Producte ihrer Zeit häufig unverständlich und ohne jede praktische Bedeutung sind. Die Sprache des babylonischen Talmud ist bald aramäisch, bald rabbinisch- hebräisch, enthält aber auch viele fremde, namentlich griechische Elemente; der jerusalemische Talmud nähert sich mehr dem syrischen Idiom. Die mehrmals auf¬ genommenen Versuche, den Talmud zu übersetzen, erwiesen sich bald als unaus¬ führbar; nur wenige Tractate wurden ins Deutsche übersetzt, so Berachot von Pinner, Baba Mezia von Sammter, Maccot von Hirschfeld, Aboda Sara von Ewald; mehrere Tractate wurden von Rabbinowicz ins Französische übertragen. Es findet sich wohl kaum irgend ein Literaturwerk, das so oft abgeschrieben, so oft öffent¬ lich verbrannt, so oft gedruckt, so vielfach commentirt und mit solcher Hingebung studirt wurde wie der Talmud; er bildete den Mittelpunkt des jüdischen Volkes und wurde ihm das marmorne Grundgesetz, der Lebensborn und der Inbegriff aller Wissenschaften; er hat das religiös-sittliche Leben der Juden bewahrt und sie vor Unwissenheit und Verdumpfung geschützt. Andererseits zog er ihnen auch viele Verfolgungen zu, die bis in die neueste Zeit zumeist von der Unwissenheit und Böswilligkeit ausgingen. Allmählich wird aber dieses so viel geschmähete Werk auch von christlichen Gelehrten anerkannt und gewürdigt. Vierter Abschnitt. Tom Abschluss des Talmud bis zum Erlöschen des Gaonats (500—1040). § 1. Die Juden in Persien, Indien und China. Die Saboräer. Die in ganz Persien zerstreut wohnenden Juden hatten ungeachtet ihrer oft bewährten Treue gegen die persischen Könige tyrannischen Druck zu er-