— 134 — Siebenter Abschnitt. Yon Moses Mendelssohn Ms auf die Gegenwart. § 1. Moses Mendelssohn. Der Mann, mit dem die neuere Geschichte der Juden beginnt, ist Moses Mendelssohn, nach seinem Geburtsorte Dessau auch Moses Dessau genannt. Er wurde geboren 6. September 1729, in demselben Jahre, in dem auch Lessing das Licht der Welt erblickte. Sein Vater Mendel, ein armer Elementarlehrer und Thorarollenschreiber, ertheilte ihm den ersten Unterricht, übergab ihn aber bald der Leitung des damaligen dessauer Rabbiners David Frankel, der ihn im Talmud unterrichtete und ihm Anleitung zum Verständniss der jüdisch-philo- sophischen Schriften gab; ganz besonders war es das Werk More Nebuchim des Maimonides, dessen Studium sich der Jüngling, freilich auf Kosten seiner Gesundheit, mit glühendem Eifer ergab. „Diesem Maimonides“, sagte er oft scherzend, „habe ich es zuzuschreiben, dass ich einen so verwachsenen Körper bekommen; er allein ist die Ursache davon, aber deswegen Hebe ich ihn doch, denn der Mann hat mir manche trübe Stunde meines Lebens versüsst und so auf der einen Seite mich zehnfach für das entschädigt, um was er mich in Betracht meines Körpers gebracht hat“. Als im Jahre 1742 Fränkel als Oberrabbiner nach Berlin berufen ward, folgte ihm bald der von Wissensdurst getriebene 14jährige Moses dorthin. Mit nur wenigen Groschen, ohne Empfehlungen, ohne den Muth, sich Fremden zu nähern, ohne Freunde und Bekannte, trat Moses in die Metropole der Bildung ein. Wo sollte er nun wohnen, wovon sich ernähren, an wen sich um Bath und Hülfe wenden? Er stellte sich seinem Lehrer vor und dieser nahm sich seiner mit aller Liebe an. Bei einem wohlthätigen Manne, namens Heimann Bamberger, verschaffte er ihm freie Wohnung in einem Dachstübchen und einige Freitische; er selbst zog ihn an Sabbat- und Festtagen an seinen Tisch, und da Moses eine schöne Hand schrieb, so übertrug er ihm die Abschrift seiner Arbeiten, wofür er ihm wöchentlich einige Groschen gab. Manche Nacht legte der arme Jüng¬ ling sich nieder, ohne seinen Hunger stillen zu können! Auf dem Brote, das oft seine alleinige Mahlzeit büdete, bezeichnete er mit sorgsam abgemessenen Strichen den Theil, den er an dem einen Tage essen durfte, um den ändern Tag nicht vollends darben zu müssen, ja es mangelte ihm zuweilen an reiner Wäsche, so- dass er sich den Leuten aus Scham nicht zeigen mochte. Die Noth beugte seinen Geist nicht. Mendelssohn widmete sich mit un¬ geschwächtem Eifer dem Studium des Talmud und suchte sich die damals bei den Juden noch verpönte deutsche Sprache anzueignen. Israel Samoscz, ein Pole, der seiner Freisinnigkeit wegen aus seiner Heimat verjagt worden war, brachte ihm die Elemente der Mathematik bei, und ein junger jüdischer Arzt aus Prag, namens Kisch, erbot sich, ihm bei der Erlernung des Lateinischen behülflich zu sein. Durch Kisch, der ihn nur wenige Monate unterrichtete, machte er die Be¬ kanntschaft eines jüdischen Arztes, Doctor Ahron Gumperz, der ihn nicht nur Englisch und Französisch lehrte, sondern auch in die Literatur und m die damals herrschende Leibniz-Wolfsche Philosophie einführte. Auch zur Ver-