Georg-Eckert-Institut BS78
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Charakterbilder
aus der
Geschichte und Sage,
für
einen propädeutischen Geschichtsunterricht gesammelt, bearbeitet und gruppirt von
A. W. Grube.
Erster Theil:
Die vorchristliche Zeit.
Zwanzigste Auflage.
Mit dem Bildnih Alexander's des Großen.
Leipzig. Friedrich Brandstetter.
1 87 7.
Georg-£ekert-lrstitUt für internationale Schu v
Braunschweig
Schulbucnbibliothek
JLM»
Einleitende Vorrede.
Daß der erste Geschichtsunterricht nichts Anderes geben sönne, als Geschichten aus der Geschichte", darüber sind wir wohl einig; und daß die ersten Kurse im Geschichtsunterricht möglichst biographisch gehalten werden müssen, ist wenigstens von allen tüchtigen Methodikern anerkannt. Schon der alte wackere Bredow hat uns mit seinem, aus ächt pädagogischem Geiste entsprungenen Buche: „Umständlichere Erzählung der merkwürdigen Begebenheiten aus der allgemeinen Weltgeschichte" auf die rechte Bahn gewiesen. Seitdem wird die biographische Richtung in manchen Schulbüchern mit Glück und Geschick verfolgt und unter den neueren methodisch bedeutsamen Werken nenne ich, als ausgezeichnet, die Weltgeschichte von Th. Welter (in 3 Theilen) und die Weltgeschichte von Th. Althaus (Ister Theil). Aber selbst Bücher, wie die genannten, genügen noch nicht für einen propädeutischen Gesch ichtsunterricht, und ich will gleich sagen, warum?
„Weltgeschichten für Kinder" sind zwei sich schnurstracks widersprechende Begriffe. Man merkt es aber unsern besten Schulbüchern an, daß sie sich von dem Gedanken, der Jugend eine zusammenhängende Weltgeschichte zu liefern, nicht ganz haben befreien können. Weil sie nun einen Pragmatismus, eine äußere Vollständigkeit und Ganzheit anstreben, geben sie auf der einen Seite zu viel, nämlich zu viel Stoffliches von Notizen, Na-meu und Jahreszahlen, das der Anfänger als rohen Ballast aufnehmen muß und nicht in Fleisch und Blut verwandeln kann; — und auf der andern Seite geben sie zu wenig, nämlich zu wenig in sich vollendete Einzelbilder, zu wenig individuelle charakteristische Züge, welche das geschichtliche Objekt vor die innere Anschauung des Schülers bringen und in seine Empfindung überleiten.
Alles Interesse, welches der Geschichtsunterricht in dem Herzen der Jugend zu erregen vermag, haftet nicht an der Begebenheit als solcher, sondern an der Person, von der die Begebenheit ihren Ursprung erhält. Die Person ist der lebendige Mittelpunkt, von dem alle Geschichte ausgeht und in den sie wieder zurückkehrt. Vor Allem muß der Held dem Schüler menschlich nahe treten und zu seinem Herzen sprechen, dann wird auch der Verstand des Schülers gern und leicht die Thatsachen anschauen, welche der Held vollbracht hat. Auch Beschreibungen vonBildungszu-ftänden müssen als Erzählungen auftreten, denn die junge Seele faßt
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gern und leicht das Nacheinander, ungern und schwer das Nebeneinander. Für den Anfänger sind „Bildungsstufen", „Volkszustände" u. dergl. sehr abstrakte Dinge, die erst konkret und anschaulich werden durch Persönlichkeiten, in und an denen sie sich offenbaren. Für das Alter, das ein propädeutischer Geschichtsunterricht in Anspruch nimmt, sind die Völker nur in den Helden der Völker vorhanden. Das Charakterbild des fränkischen Volksstammes würde in Nebel zerfließen, wenn es nicht in einem Karl dem Großen plastisch vor die Anschauung träte, und in dem Sachsenhelden Wittekind — so wenig wir auch von ihm wissen — stellt sich die Religiosität und zähe Anhänglichkeit an die heimische Sitte, die Offenheit, der Freimuth und die Biederkeit des ganzen Sachsenstammes verkörpert dar. Späterhin soll und muß der Schüler allerdings zu der Erkenntniß geführt werden, daß die hervorragenden Heldenpersönlichkeiten eines Volkes nur die Darstellung des Geistes, der in dem Volke lebte und wirkte, nur das Ergebniß einer ganzen Zeit, die ihnen die Bahn bereitete, sind. Und dann mag die Geschichte auch „Zustände" erzählen, dann mag sich zu der Erzählung auch die Beschreibung gesellen. Wer aber das Umgekehrte verlangt, der versteht sich wenig auf die Psychologie. Ich weiß aus Erfahrung, daß selbst die sehr anziehend geschriebenen Kapitel in Welter's Weltgeschichte „von den Kulturstufen des Nomadenlebens, des Ackerbaues, vom Handel rc." die Schüler sehr kalt ließen, weil es an persönlicherHandlung fehlte. Jugendgeschichten muss en dramatisches Leben haben! Macht immerhin ein Kapitel „über das Ritterthum im Mittelalter", aber unterlaßt nicht, die lebendigen Gestalten eines du Guesclin, Bayard und Götz von Berlichingen in lebendiger Handlung vorzuführen. Wenn ihr blos von der „Hansa" sprecht, so bleiben das trockene Notizen, aber diese werden lebendig, wenn sie sich an die Anschauung eines Wullenweber knüpfen.
Ferner: Unsere Lehr - und Lernbücher für den ersten Geschichtsunterricht erzählen wohl von der Gesetzgebung des Lykurg, aber sie haben keinen Raum für die Scene, wo die über Lykurg's Neuerungen aufgebrachten Spartaner mit Steinen auf ihren Gesetzgeber werfen und der leidenschaftliche Jüngling Alkandros den großen Mann blutig schlägt. Und doch ist gerade dieser Zug so höchst charakteristisch und das Gemüth ergreifend^ die Sanftmuth und Liebe, welche hier der Schwergekränkte offenbart, wie ist sie doch geeignet, den strengen Gesetzgeber dem Herzen des Schülers nahe zu bringen, ihn — ich möchte sagen — von einer christlichen Seite zu zeigen und die Hochachtung in Verehrung zu wandeln! Oder — um ein anderes Beispiel anzuführen — ist es nicht zweckmäßiger, anstatt den ganzen siebenjährigen Krieg in trockener Skizze abzuhandeln, lieber einige charakteristische und bedeutsame Scenen lebendig darzustellen? Da ist z. B. die Schlacht bei Torgau ein ergreifendes Gemälde. Der schwergeprüfte
Held sitzt in dunkler Nacht vor dem Altar der Dorfkirche, mit Sehnsucht den Morgen erwartend, Boten über Boten an Ziethen sendend. Ungeduldig reitet er in die Dämmerung hinaus, da erscheint plötzlich, wie ein Engel vom Himmel, der treue Ziethen und bringt die frohe Botschaft und ruft den Husaren zu: „Unser König hat gesiegt, unser König soll leben!" Die braven Soldaten stimmen ein, rufen aber auch: „Unser Ziethen, unser Husarenkönig auch!" Solche ganz individuelle Züge sind von der tiefsten sittlichen Wirkung.
Es wäre jedoch ein anderes Extrem, wenn man es darauf anlegte, lauter vollständig ausgeführte Biographien geben zu wollen; man würde dann wieder in eine Systematik fallen, die man vermeiden wollte, und das Kind würde erdrückt von der Menge des Individuellen, wie früher von der Menge des Generellen. Darum möglichst einfache, wenige Pinselstriche, diese aber mit den hellsten, lebhaftesten Farben! Der Anfänger verlangt Einzelbilder; werden aber diese zu lang ausgesponnen, so hören sie auf, Einzelbilder zu sein. Aus diesem Grunde habe ich längere Biographien wieder in einzelne Nummern zerlegt, die für sich ein abgerundetes Bild darbieten. Zuweilen habe ich die kleinen Abschnitte mit Ueberschrif-ten versehen, zuweilen auch nicht, damit der Schüler dann Gelegenheit bekomme für eine sehr bildende Uebung, selber die Überschrift zu finden.
Wenn es einem Historiker darauf ankommt, gute Quellen zu finden, aus welchen die geschichtliche Thatsache möglichst rein geschöpft werden kann, so muß es dem Pädagogen, der ein Geschichtsbuch sür den ersten Geschichtsunterricht herausgiebt, daran gelegen sein, pädagogische Quellen zu finden, d. H. Darstellungen, die sich durch die Einfachheit, Klarheit, Lebendigkeit, charakteristische Anschaulichkeit, kurz durch ihren methodischen Werth auszeichnen. Da ist manches Geschichtsbüchlein, das ein Historiker von Fach verächtlich über die Achsel ansehen würde, für den Methodiker von Fach ein wahrhaft klassisches Werk. Wer seine Geschichtsbilder für den propädeutischen Unterricht aus Raumer oder Ranke, oder aus Böt-ticher's Weltgeschichte in Biographien entnehmen wollte, würde sehr unpädagogisch verfahren. Manches habe ich, wenn es vollendet war und dem Zwecke des Buches vollkommen entsprach, ganz wörtlich mitgetheilt; Manches, wenn es der Darstellung an Lebendigkeit und Abrundung fehlte, auch geändert und selbst bearbeitet. Im Ganzen bin ich aber von dem Grundsätze ausgegangen, daß es bei Büchern, wie das vorliegende, besser sei, wenn der Verfasser unter dem bereits vorhandenen Guten das Beste auswählt, als wenn er Alles nur als seine Arbeit mittheilen will. Eine gewisse Einseitigkeit und Einförmigkeit ist dann schwer zu vermeiden.
So viel über das Wie? der Darstellung; nun einige Worte über das Was? — Hellas, Rom und das deutsche Vaterland sind die drei Sonnen, die im propädeutischen Geschichtsunterricht, wie im Geschichts-
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unterricht auf Schulen überhaupt, hell leuchten müssen, damit sich der nationale Sinn daran erwärme und erfrische. Wer da meint, gleich mit der deutschen Geschichte beginnen zu müssen und die Griechen und Römer aus eine spätere Zeit verschiebt, handelt eben so sehr gegen das pädagogische, wie das nationale Interesse, denn an Griechenland und Rom lernt die Jugend die eigene Nationalität verstehen. Ferner: Für einen propädeutischen Geschichtsunterricht ist es vor allen Dingen erforderlich, daß die Sage eine größere Berücksichtigung finde, als solches bisher der Fall war. Mit der Sage beginnt die Geschichte, mit der Sage muß auch der Geschichtsunterricht beginnen. In der Sage lebt und webt der Volksgeist in seiner kindlichen Unmittelbarkeit, in der Sage spiegelt sich die Geschichte, wie sie dem Volksgemüthe, der noch blos empfindenden Volksanschauung sich darstellt; darum prägt hier das Volk sein eigenstes, innerstes Wesen, seinen nationalen Kern selber aus. Soll der Geschichtsunterricht ferne Aufgabe, den nationalen Sinn, das Volksgemüth im Schüler anzuregen und zu entwickeln, sicher lösen, so müssen auch die Sagen, vor Allem die griechischen und deutschen, viel mehr in den Vordergrund treten, als solches bisher geschehen ist. In einem Geschichtsbuche für den propädeutischen Unterricht muß ein Siegfried und Roland, ein Herkules und Theseus eben so viel Geltung haben, als ein Alexander oder Karl der Große. Ja, schauen wir näher 51t, so findet sich, daß in der Geschichte aller großen Helden, daß in der römischen Geschichte bis zu den punischen Kriegen herab noch sehr energisch die Sage waltet, daß sie in unserer Geschichte nicht blos einen Carolus Magnus und Friedrich Barbarossa verklärt, sondern bis zum Wilhelm Tell hinaufreicht, ja in jedes Heldenleben hineinspielt. Denn alle großen Männer, welche ins Volksbewußtsein eindringen, werden alsbald auch ergriffen vom Volksgemüthe, das sie in ein ideales Reich der Anschauung versetzt, damit sie nicht blos mit den Augen des Verstandes, sondern mit den Augen des Herzens betrachtet und genoffen werden. Die Sagenwelt muß die Pforte fein, durch welche der Schüler in die Geschichtswelt eintritt; die Sagengeschichte muß die Ouvertüre, das erste Konzert spielen, dessen Töne mächtig das Gemüth ergreifen und es mit Lust und Liebe zur Geschichte erfüllen. Solches muß aber zur rechten Zeit geschehen und diese Zeit ist das Alter von 9 bis 12 Jahren, wo der Verstand noch eingehüllt ist von der Phantasie, aber auf dem Punkte, feine Knospe zu durchbrechen.
Für den propädeutischen Geschichtsunterricht gehören alle Anfänge großer Geschichtsepochen, die Heroen und gewaltigen Kriegshelden, die großen Könige und Gesetzgeber, Reformatoren und Staatsmänner in großem Styl, die als Sterne erster Größe auch der Volksanschauung zugänglich geworden sind; auch ein Albrecht Dürer, ein Haydn und Geliert als Anfänge deutscher Malerei, Musik und Dichtkunst, die eben als An-
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sänge noch ein naives, einfaches Wesen offenbaren, dessen Bild sich in leicht faßlichen Umrissen darstellen läßt. Es sind die ersten Grundstriche und Konturen, die vom eigentlichen Geschichtsunterricht dann verbunden und ausgefüllt werden. Je einfacher und derber die ersten Striche sind, desto klarer und anschaulicher werden sich späterhin vollendete Gemälde der Seele einprägen. Darum hüte man sich vor den Massen und gebe Charakterbilder, welche äußerlichen Reichthum mit innerer Fülle ersetzen.
Ein Fehler unserer gangbaren Geschichtsbücher ist, daß sie neun Zehntel ihres Inhalts mit Schlachten, Erbfolgestreitigkeiten und Dynastiengeschichten anfüllen. Ist es aber nicht besser, wenn der Schüler einige tüchtige deutsche Kaiser von Angesicht zu Angesicht kennen und lieben lernt, als wenn er die ganze Sippschaft mittelmäßiger Fürsten lernen muß, die sich gleichen, wie ein Ei dem andern? Und wird nicht durch die ewigen Kriege und das fortwährende Blutvergießen die Empfindung des Schülers von vornherein und systematisch abgestumpft? Ich verkenne es nicht, daß gerade die Kriege es sind, deren heroisches Moment für die Jugend so viel Anziehendes hat, weil hier alles Große und wahrhaft Menschliche, weil hier Tugend und Laster besonders anschaulich hervortreten; aber es bleibt ja, wenn man die Hälfte abschneidet, immer noch genug übrig und dies ist dann von größerer Wirkung. Ich verkenne auch nicht, daß die Kulturgeschichte in einem propädeutischen Kurse weder herrschen kann noch herrschen soll, aber sie darf auch nicht ganz zurücktreten. Die biblische Geschichte aber soll man weglassen, denn es thut nicht gut, sie mit der Profangeschichte zu vermengen. Man sollte aber in gehobenen Volks-, wie in Realschulen und Gymnasien die biblische Geschichte in die Kirchengerichte in größerer Ausdehnung überleiten, als bisher geschehen ist; die Kirchengeschichte liegt noch sehr brach, und gute Bearbeitungen derselben fehlen.
Ich habe die Geschichtsbilder zu einzelnen Gruppen vereinigt und so viel als möglich Parallelen und Gegensätze zusammengestellt, am liebsten aber so, wie es die Geschichte selber gethan hat. Wohl hätte ich einen Alexander mit einem Karl dem Großen, die Zerstörung von Troja mit der Zerstörung von Karthago zusammenstellen können, allein es wäre das wieder nicht methodisch gewesen. Wenn der erste Unterricht auch nur Einzelnes, Abgerissenes bietet, so können und sollen doch bereits diese Theile in einem innern Zusammenhange stehen; der Schüler soll heimisch werden auf griechischem, römischem, deutschem Boden, der eigenthümliche Geist des Volkes soll ihn anwehen, ihm vertraut werden. Das ist aber nicht möglich, wenn man den Anfänger beim Schopf nimmt und ihn durch die Lüfte entführt von Asien nach Europa, von Hellas nach Altgermanien, ohne daß er Zeit gewann, in Einem Lande erst heimisch zu werden. Vergleichende Geschichte können wir erst dann treiben, wenn wir die an-
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schauende Geschichtskenntniß sicher gepflanzt haben. Es bleibt ja dem Lehrer unbenommen, bei der Eroberung von Karthago den Blick des Schülers auf die Zerstörung von Troja zurückzuwenden, oder Karl den Großen mit Alexander dem Großen zu vergleichen, ohne daß diese Helden im Buche neben einander stehen müßten. Die Geschichte bietet aber selber auf gleichem Boden und in gleicher Zeit der Parallelen und Gegensätze so viel dar, daß der Methodiker ihr nur zu folgen braucht. Steht nicht ein König Xerxes neben einem König Leonidas, ein Cäsar und Pompejus, Gregor VII. und Heinrich IV. zusammen? Man wird füglich die englische und französische Revolution zusammenstellen können, nicht aber nach den Perserkriegen gleich den siebenjährigen Krieg abhandeln.
In der Weise, wie ich die Gegensätze zusammengestellt habe, wird der Schüler mit der Eigenthümlichkeit jedes einzelnen Objektes um so besser vertraut dadurch, daß ich ihm Zeit lasse, in einer Zeitepoche, oder in einem Lande oder unter ähnlichen Verhältnissen mit seinem Blicke zu verweilen. Sv stehen z. B. im ersten Abschnitte drei Völker zusammen: die Aegypter, Assyrer, Phönicier. Bei allen drei erblicken wir das Volk als Ein Ganzes wirkend, ohne daß einzelne Helden aus dem Volke in ihrer Persönlichkeit hervortreten, wie es im zweiten oder dritten Abschnitte der Fall ist. Aber innerhalb des ersten Abschnittes ergibt sich bald ein bedeutender Gegensatz. Unter den Phöniciern ist jeder Einzelne ein Herr und König, während bei den Assyrern absolute Monarchie (Despotie) und bei den Aegyptern ein durch Priester beschränktes Königthum herrscht. Bei den Assyrern und Aegyptern ist aber das Volk willenlose Masse, das Werkzeug, um die Gedanken und Befehle eines Alleinherrschers auszuführen: daher die großartigen Bauten und Heerzüge, während umgekehrt bei den Phöniciern großartige Handelsunternehmungen erscheinen, die unbeschränkte Freiheit desEinzelnen zur Voraussetzung haben. Im zweiten und dritten Abschnitte stellen sich die Helden in ihrer Einzelpersönlichkeit dar; aber im zweiten Abschnitt ist Ein Heros der Handelnde, während im dritten sich mehrere — a. Individuen, b. Volksstämme — zu gemeinsamem Handeln vereinigen. Der trojanische Krieg war die erste nationale That der Hellenen, die erst dann erfolgen konnte, nachdem die inneren Gährungen und Kämpfe des Heroen-thums sich abgeklärt und befriedigt hatten. Der Inhalt des vierten Abschnitts verhält sich zu dem des fünften, wie asiatischer Despotismus zu europäischem Volksthum, wie prunkvolle Barbarei zu edler freier Menschlichkeit. Alexander bringt das Griechenthum zum Abschluß, das in Achill, dem Helden des trojanischen Krieges, so herrlich begonnen hatte; er selbst betrachtete sich als den wiedergeborenen Achill, der die Arbeit seines edlen Vorbildes zu vollenden habe. Der fünfte Abschnitt stellt wieder im Verhältniß zum sechsten ein Volk dar, das in Vielstaaterei untergeht, während
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Rom durch die Einheit seines Staatswesens die Welt erobert; bei den Griechen die höchste ästhetisch-humane, bei den Römern die höchste poli-tisch-nationale Bildung. Diese Verhältnisse werden dem Schüler nicht in ihrer abstrakten Allgemeinheit, sondern in ihrer konkreten Anschaulichkeit durch bestimmte Fragen nach Thatsachen zum Bewußtsein gebracht. So stehen im zweiten Theile die Römer in ihrer Auflösung und Zerrüttung und die Germanen in ihrer Jugendfrische sich gegenüber, ferner das deutsche Reich in der Einheit des Kaiserthums und in der Zersplissenheit souveräner Fürstengewalt, die bereits in der Eifersucht zwischen Franken und Sachsen ihren Anfang nimmt, durch den Zwiespalt zwischen Kaiser und Papst begünstigt und endlich durch den religiösen Gegensatz (Reformation, dreißigjähriger Krieg) vollendet wird. Die Entdeckung von Amerika und die Erfindung der Buchdruckerkunst leiten eine Entwickelung ein, die sich wesentlich vom Mittelalter unterscheidet und die in der Reformation wie in der englischen, amerikanischen und französischen Revolution ihre Knotenpunkte hat. Mit den Kämpfen des freien Geistes, des freien Staates, der freien Gesellschaft, wie sie in Hauptpersönlichkeiten charakteristisch sich darstellen, hat es der dritte Theil zu thun. Das Christenthum aber ist überall der Sauerteig, der die Welt durchdringt und vor Fäulniß bewahrt, und Jesus Christus ist auch in der weltlichen Geschichte der Mittelpunkt und der Wendepunkt zwischen alter und neuer Zeit. So sind die Grundlinien gezogen, nicht willkürlich, sondern in festbestimmtem Zusammenhange.
In jedem einzelnen Abschnitte sind wieder Parallelen und Gegensätze zu finden, welche die Anschauung zur Beobachtung überleiten. So sind z. B. Attila, Alarich und Theodorich der Große zu einer Gruppe vereinigt. In Attila stellt sich, gegenüber der verweichlichten und versumpften Römerkraft, die frische, aber noch ganz rohe Naturkraft dar, unbildsam und vom Christenthum uubezwungen; die frische bildsame Naturkraft des Germanen äußerlich vom Christenthum berührt, gezügelt und gemildert in Alarich; bereits innerlich ergriffen und den Ansatz zu einem christlichen Staate bildend, in welchem „Gerechtigkeit wohnt", in Theodorich d. Gr. So wird der Schüler in Bonifacius und Ansgar leicht zwei christliche Charaktere, den stürmenden Petrus und den sanften Johannes erkennen. So ist Friedrich der Große groß durch die überwiegende Macht seines Verstandes, Joseph II. groß durch die überwiegende Macht seines Herzens. Bei letzterem sind gerade die einzelnen Anekdoten so recht am Platze, damit der Schüler den Menschen im Kaiser achten und lieben lerne, während er von den gescheiterten Plänen des Fürsten noch nicht viel zu fassen vermag. Der auf den Vorbereitungs-Kursus folgende Geschichtsunterricht, welcher auf den inneren, festgegliederten, übersichtlichen Zusammenhang der geschichtlichen Thatsachen hinarbeitet, würde nicht mehr Zeit haben für die Einzelheiten; darum müssen sie vorher abgethan werden, denn sie sind nöthig.
Durch eine Gruppirung wie die vorliegende wird nicht blos das freie Nacherzählen, sondern auch das Bilden von Aussätzen bedeutend erleichtert. Ich verstehe aber unter diesen Aufsätzen keine „Abhandlungen", sondern ausführliche Antworten auf bestimmte Fragen, deren Ausgangspunkt die Vergleichung der ähnlichen oder im Gegensatz stehenden Persönlichkeiten ist. Diese Vergleichung gewinnt im Fortgange des Unterrichts ein immer größeres Feld. „Worin stimmt der Lebensgang des Lykurg mit dem des Solon überein? Was haben sie in ihrer Gesetzgebung gemeinsam, was nicht?" Kommt dann Numa Pompilius und Servius Tullius an die Reihe, so werden diese Römer mit jenen Griechen in Parallele gesetzt, und so die behandelten Stoffe immer im Kurs erhalten. In seiner schriftlichen Arbeit fixirt der Schüler die Resultate, die er aus der mündlichen Unterredung mit dem Lehrer gewonnen hat. Auch muß er sich die Geschichtstafeln und Uebersichten selber anfertigen. Das bloße Nacherzählen der Geschichte genügt keineswegs, um den Schüler des Stoffes Herr werden zu lassen; er soll sie geistig durchdringen, indem er sie beobachten lernt.
Wer den Sinn des propädeutischen Geschichtskurses recht versteht, wird denselben nicht auf ein Jahr beschränken, sondern zwei bis drei Jahre ihm widmen. Mit zehn bis zwölf Biographien ist die Sache nicht abgethan. Dr. G. Weber fordert drei Jahre und ich stimme ihm bei. Ein Schüler, der auch nur den propädeutischen Kurs durchgemacht hätte, würde doch bereits ein relativ Ganzes und Vollständiges gewonnen haben, er hätte bereits aus den „Geschichten" Geschichte gelernt.
Ist einmal ein solcher äußerlich vereinfachter und innerlich bereicherter Lehrgang hergestellt, dann können auch historische Gedichte ihre volle Wirksamkeit entfalten und Viel dazu beitragen, jene Bildung des Gemüthes zu erzeugen, die zugleich sittliche Kräftigung ist. Desgleichen wird nun auch die Wirkung eines historischen Bilderbuches (dessen Mangel bei den jetzigen Mitteln unverzeihlich ist) bedeutend sein, weil sie mit dem Streben des Unterrichts, der auf das individuelle Bild gerichtet ist, sich 'vereinigt. Das Ausmalen von Scenen, die im Buche nur angedeutet, oder auf dem Bilde dargestellt sind, bietet eine sehr geeignete Uebung für schriftliche Arbeiten. Man sollte weder von ägyptischer, noch griechischer, noch deutscher Baukunst den Schülern erzählen, wenn man ihnen nicht die entsprechenden Abbildungen vorzeigen kann, gleichwie es rathsam ist, wenn der „Guttenberg" an die Reihe kommt, die Schüler zuvor in eine Buchdruckerei zu führen. Wenig extensiv, viel intensiv! Vertiefung in das Individuelle und lebendige Anschauung der Person! Dieser Grundsatz gilt besonders auch für den Geschichtsunterricht, und nur in dem Maße, daß wir ihn zur Geltung bringen, wird die Geschichte ein wirksames Moment werden für die sittliche Bildung des Schülers, nur dann wird derselbe an den Charakteren
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der Geschichte den eigenen Charakter entwickeln und stärken, nur dann wird er sich begeistern zu dem Entschlüsse, Theil zu nehmen an dem Kampfe für die höchsten Güter des Menschenlebens, für Wahrheit, Freiheit und Recht, und nur dann wird er Liebe und Vertrauen gewinnen zu Dem, dessen starke Hand die Geschicke der Menschheit führt und lenkt, damit mehr und mehr das Reich Gottes auf Erden wachse und blühe.
Möge für solch' einen Zweck dieses Buch ein brauchbares Mittel sein! Es bietet sich zunächst denunterenKlassender Gymnasien und Realschulen dar, möchte aber auch für gehobene Volksschulen willkommen geheißen werden.
In der Volksschule wird zwar immer auf die biblische Geschichte und auf die Geschichte der Ausbreitung des Christenthums in ihren Hauptmomenten der Hauptakzent fallen, aber ganz weglassen wollen wir die Profangeschichte keineswegs, wir wollen nicht das schöne Ziel aus dem Auge verlieren, gerade dadurch die Volksschule zu heben, daß wir die Geschichte in ihren Lektionsplan aufnehmen. Denn fordert nicht auch der christlich-kirchliche Zweck, eines Augustus und Nero, eines Konstantin und Julian Erwähnung zu thun wie eines Karl und Bonisacius? Und ist es nicht gerade dem patriotischen Zwecke förderlich und ganz entsprechend, von der Schlacht bei Marathon und Salamis zu reden, wie von der Leipziger Völkerschlacht? Ein systematischer Geschichtsunterricht gehört allerdings nicht in die Volksschule, wohl aber ein propädeutischer, der dann in der Fortbildungsschule — die nothwendig die Volksschule ergänzen muß, wenn sie nicht ein Anfang ohne Ende bleiben soll — seinen Abschluß findet und entschiedener a^s bisher auf eine christlich-nationale Bildung hinarbeitet. Von dem unfruchtbaren Notizenkram müssen die Volksschullehrer sich los machen, und zur lebendigen Quelle der Geschichte, zur Vertiefung in die Persönlichkeit zurückkehren, dann können sie auch mit Wenigem Viel ausrichten. „Theile und herrsche!" — so heißt es auch hier.
Hard am Bodensee, im März 1852.
A. W. Grube.
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Borwort zur siebenten Auflage.
Seit dem Erscheinen dieses Werkes sind mehrere ähnliche an's Licht getreten, auf welche ich hier prüfend und vergleichend näher eingegangen sein würde, wenn sie nicht — bei allen Variationen und Abweichungen im Einzelnen — ganz den Grundsätzen folgten, wie ich sie im Vorwort zur ersten Auflage dieses Buches entwickelt habe.
Auf Einen Punkt muß ich aber hier aufmerksam machen, da man von diesem aus den ganzen Elementarunterricht in der Geschichte radikal umgestalten möchte. Durch den begründeten Gedanken, die Kulturgeschichte auch für den Anfang des Geschichtsunterrichts nicht zu sehr vor den Kriegsund Königsgeschichten zu vernachlässigen, haben sich nicht blos die Verfasser ähnlicher Chrestomathien verleiten lassen, griechisches und römisches, indisches und chinesisches Kulturleben behandeln zu wollen, ohne biographische Vermittelung, auch bewährte Kulturhistoriker, wie Prof. Biedermann, sind mit Vorschlägen zu einer Reform des Geschichtsunterrichts hervorgetreten, die darauf ausgehen, mit Kulturgeschichte zu beginnen, die dem Anfänger zumuthen, politische Verfassungen und Kulturverhältnisse zu studiren, welche ein Sekundaner und Primaner nur mit Anstrengung sich klar macht, die aber durchaus über dem Horizonte eines zehn- oder elfjährigen Knaben liegen. Schon dieser soll (vergl. die Broschüre von K. Biedermann „der Geschichtsunterricht in der Schule" S. 17) sich darüber Rechenschaft geben, ob die heutige A)enk- und Lebensweise, die heutigen Gewohnheiten und Sitten besser seien, als die unserer Vorfahren oder nicht? Ist nicht — so fragt man — die Chronik des Dorfes oder der Stadt, worin der Schüler lebt, das Nächstliegende, das er zuerst kennen lernen muß? „Hier gilt es," sagt Biedermann a. a. O. S. 15, „den Schüler theils zur Erfassung der kulturgeschichtlichen Eigenthümlichkeiten des gegebenen Ortes, im Vergleich oder Gegensatz mit anderen Orten (gleichsam der kulturgeschichtlichen Physiognomie desselben) anzuleiten, theils ihn mit den Veränderungen bekannt zu machen, welche diese Physiognomie nach den wichtigsten kulturgeschichtlichen Beziehungen im Laufe der Zeit erfahren hat!"
Es ist aber nicht Alles, was uns räumlich oder zeitlich am nächsten liegt, für den Unterricht und im psychologisch-pädagogischen Sinne das Nächstliegende, und der natürliche Uebergang vomWohnort zum Bezirk, von diesem zur Provinz u. s. f. als Lehrgang für den Geschichtsunterricht ist Seitens der Methodik ein sehr unnatürlicher, weil er nicht mit dem Einfacheren, sondern mit dem Zusammengesetzten, nicht mit dem Ursprünglichen, sondern mit dem Abgeleiteten, mit den komplicirtesten Kulturverhältnissen beginnt.
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Die Geschichte ist kein Kartenspiel, das man beliebig mischen kann, um bald dieses bald jenes Blatt zuerst auszuspielen.
Diese psychologisch und pädagogisch — wie mir scheint — wohlbegründeten Ansichten und Grundsätze glaubte ich gewissen übertriebenen Forderungen gegenüber, die an den ersten Geschichtsunterricht gestellt werden, hier nochmals kurz hervorheben zu müssen.
Vorliegende neue Auflage ist eine sorgfältig durchgesehene und in manchen Punkten berichtigte; daß sie es sein konnte, verdankeich besonders der gütigen Unterstützung des Herrn Rektor Köstlin in Nürtingen, jetzt Pfarrer in Derdingen. Auf seinen Rath habe ich dem dritten Theile auch noch die Skizze: „Schlacht bei Waterloo und Napoleons Ende" hinzugefügt. Ihm auch an diesem Orte für seine freundliche Bemühung besten Dank zu sagen, ist mir eine sehr angenehme Pflicht, die ich um so lieber erfülle, als solche Recensenten, die nicht mit einigen oberflächlichen Phrasen über ein Werk aburtheilen, sondern gründlich und liebevoll auf den Inhalt desselben eingehen, um eine positive Kritik zu geben, sehr selten geworden sind.
Hard bei Bregenz im Sommer 1861.
A. W. Grube.
Vorwort zur siebzehnten Auslage.
Diese Auflage hat neben kleineren Verbesserungen und Ergänzungen eine nicht kleine Bereicherung des dritten Theils erfahren; ein ganzer Abschnitt, der zehnte, die Entwickelungskämpse der neuesten Zeit enthaltend, in soweit sie für unser deutsches Vaterland von besonderer Wichtigkeit sind, ist hinzugekommen. Um das Buch nicht über Gebühr anschwellen zu lassen, konnte ich nur die Hauptmomente hervorheben; es mußte jedoch, dem Zwecke des Ganzen gemäß, in scharf markirten anschaulichen Zügen geschehen. Man muß theilen, um zu herrschen und nicht schon im ersten Geschichtskursus den Schüler mit zu vielem Detail überschütten. Der glorreiche deutsche Krieg von 1870/71 durfte aber in einer Bildungsschrift wie die vorliegende nicht länger mehr fehlen, und ich glaube den Wünschen vieler Leser und Freunde dieser Geschichtsbilder entsprochen zu haben, daß ich den neuen Abschnitt gerade in der vorliegenden Weise schrieb.
Bregenz im Sommer 1873.
A. W. Grube.
Inhalt.
Seite
Erster Abschnitt. AuS der Geschichte der Aegypter, Assyrer und
Phönicier............................................... 1—17
L DieAegypter Möns S. 1.—Sesostri82. — Cheops und Chephren 3.
— Verehrung der Todten 4. — Todtengerichte 5. — Kasten 5. —
Götter- und Thierdienst 6. — Psammetich 8. — Necho 9.
U. Die Assyrer. Ninus und SemiramiS 9. — Sardanapal uud Arbaces 12.
HI. Die Phönicier. Handelswege und Kolonien 13. — Erfindungen 15. — Blüthe und Fall von Tyrns 16.
Zweiter Abschnitt. Griechische Heroen..........................................18—29
I. Herkules. Des Helden Jugend 18. — Herkules am Scheidewege 19. — Die zwölf Arbeiten des Herkules 19. — Herkules schafft die Menschenopfer in Aegypten ab und bezwingt den Riesen AntäuS 22. — Tod des Herkules 22.
IL TheseuS. Des Helden Geburt 24. — Seine Kämpfe mit Peri-phetes und Sinis, Sikron und Damastes 25. — Er tobtet den Minotaur 26. — Er wird König von Athen 27. — Pirithous wirb sein Freunb 29. — Thefeus' Tod 29.
Dritter Abschnitt. Heroenzüge..................................................30—69
I. Der Argonautenzug 30—34.
II. Der trojanische Krieg. 1)Scenen auS der Jliade. Die
Hochzeit des PeleuS und der Thetis 34. — Die Griechen in Aulis 35.
— Der Kampf vor Troja 36. — Paris' Kampf mit Menelaus 36.
— Hektor und Ajax im Zweikampf 39. — Achilles 41. — Hektor und Anbromache 44. — Achilles und Hektor 45. — Achilles und Priamns 48. — Die Eroberung von Troja 49. — 2) Die Irrfahrten desOdysseus. Das Land der Cyklopen. Polyphem 51.
- Aeolus. Die Lästrygonen. Ciree'55. — Odysseus im Hades 56.
— Die Sirenen; Scylla und Charybdis; die Rinder bes Sonnengottes; Kalypso 58. — Penelope unb bie Freier; Telemach unb Mentor 61. — Die Insel Scheria; bie Phäaken; Alcinons und Naufikaa 62. — Die Fahrt nach Jthaka. Eumäus 65. — Odysseus geht als Bettler in die Stadt. Melanthens 66. — Antinous;
Jros 67. — Der Kampf mit den; Freiern; Odysseus siegt über sie 68.
XV
Vierter Abschnitt. Aus der Geschichte der Perser.............................
I. Cyrus. Unter den Hirtenknaben 70. - AmHosebesKönigsAstyages73-— Feldzug gegen die Meder und Lydier 74. — Krösus 75.
II. Kambyses. Feldzug gegen die Aegypter 78. — Feldzug gegen bk Aethiopier 79.
HI. DariuS. HistiäuS unb MiltiabeS 82. — Schlackt bei Marathon 85.
Fünfter Abschnitt. Aus ver Geschichte der Griechen . . . .
L Lykurg und Solon. Lykurg verzichtet auf den Thron 88. — G'ht auf Reisen 89. — Gibt Sparta eine neue Verfassung 90. — Spartanische Kinbererziehung 93. — Kodrns 95. — Solon's Verfassung des athenischen Staates 97. — Solon's Reisen und Tod lOü.
ü. Aristobemus unb Aristomene s. Krieg ber Spartaner mit ben Messeniern 101. — Aristodemus, König der Messender 103. — Aristo-menes, Heerführer derselben 104. — Seine wunderbare Rettung vom Tobe in ber Gefangenschaft 105. — Besiegung ver Messenier 107.
m. Xerxes unb Leonibas. ThemistokleS. Xerxes'Heerfahrt nach Europa 109. — Leonibas mit seinen Spartanern im Paß von Thrr-mopylä 112. — Themistokles 113. — Schlacht bei Salamis 116. — Fernere Schicksale bes Themistokles 118.
IV. Aristibes nnbSokrates. AristidesberGerechte 120.—Charakterschilderung bes Sokrates 121.— Seine Lehrweise 123.— Sein Tod 125.
V. Perikles und Alcibiades. Blüthezeit des athenischen Staates unter Perikles 127. — Die Propyläen, bas Parthenon rc. 128. — Gym-nasimn; Zeuxis unb Parrhasius 130. — Peloponncsischer Krieg 131. Alcibiades als Knabe und Jüngling 133—134. — Aus Athen verbannt geht er nach Sparta 134. — Das Volk ruft ihn nach Athen zurück 136. — Er muß flüchten und stirbt in der Verbannung 137.
VI. Kritias unb Theramenes. Thrasybnl- Die 30Tyrannen in Athen 138. — Verurtheilung bes Theramenes 139. — Thrasybul stürzt bie 30 Tyrannen 139.
VII. Pelopibas unb Epamiuonbas. Pelopibas befreit Theben vom Joche der Spartaner 140. — Epainmonbas’ Charakter 141. — Schlacht bei Leuktra unb Mantinea 142. — Tob bes Epaminondas 142. — Tod bes Pelopibas 143.
VIII. Philipp von Macedonien. Demosthenes und Phocion. Philipp mischt sich in die Angelegenheiten der Griechen 145. — Wie sich Demosthenes zum Redner bildet 146. — Er erhebt sich gegen Philipp 147. — Phocion, der „Rechtschaffene" 148. — Schlacht bei Chäronea; Philipp, Oberfeldherr von Griechenland 149.
IX. Alexander bet Große. Wirb von Aristoteles erzogen 150.— Diogenes 152. — Felbzug gegen Persien 152. — Schlacht bei JssnS 154. — Zug nach Aegypten 154. — Schlacht bei Gangamela. Tod des Darius 155. — Zug nach Indien. König Porus 157. — Alexander's Tod 158,
Sechster Abschnitt. Aus der Geschichte der Römer...........................
A. Rom unter ben Königen.
1) Romulus unb Numa PompiliuS. Romulus unb Reutus 159 — Romulus, erster König von Rom 161. — Raub ber Sabinerinnen 162. — Titus Tatius; Tob bes Romulus 162—163. — Numa wirb König; seine Sinnesweise 164. — Seine Regierung 164.
6eUc
70—87
88-158
159—234
XVI
Seite
2) TulluS HostiliuS und Ankus Martius. Die Horatier und Kuriatier 166.—Zerstörung von Albalonga 168.—AnkusMartius 169.
3) TarquiniuS PriScus und ServiuS Tullius. Wie Tar-quinius König wird 170. — Was er für Rom that und wie er endet 170—171.— Servius Tullius wird König 171. — Er begründet das römische Staatswesen 173.—Ermordung des Servius Tullius 173.
4) Tarquinius Superbus und Junins Brutus. Ein übermüthiger König 174. — Ein Vaterlandsfreund 174. — Die Konsuln 175. — Der strenge Vater 175.
B. Rom ein Freistaat.
1) Vaterlandsliebe. Horatius KokleS; Mucius Skävola; Klölia 176—177.
2) Kämpfe zwischen Patriciern und Plebejern. Ein Schuldknecht 177. — Diktator Valerius 178. — Menenius Agrippa 179.—
Marcins Koriolanus 179—180. — Cincinnatus 180. — Die Zehnmänner; Appius KlaudiuS und Virginia 180—182. — KamilluS 182. — Krieg mit den Galliern; Brennns 184. — Kamillus;
Manlius 184. — Die Plebejer setzen ihre Rechte durch 185.
2) Die Heldenzeit der Republik. Knrtins; Manlius; Decius 186. — Pyrrhus 187. — Fabricius 188. — Kurtius 189. — Die Censoren 190. — Die römischen Legionen 190. — Die pnnischen Kriege 191. — Dnilins und Regulus 192. — Hanuibal 193. —
Sein Zug über die Pyrenäen und Alpen 195. — Siege über die Römer; Fabius der Zauderer 196. — Schlacht bei Kannä 197. — Archimedes 197. — Scipio; Schlacht bei Zama, Karthago unterliegt 198. — Hannibal's Tod 199. — Der Censor Kato 200. — Zerstörung Karthago's 201. — Eroberung Korinths 202. — RomS Weltmacht 202.
4) Verfall des freien Staates. Mißverhältniß zwischen Patriciern und Plebejern 203. — Tiberins und Kajus Gracchus 204. — Jugnrtha 207. — Marius und Sulla 208. — Spartakus 212. —
Julius Cäsar und Pompejus der Große 213. — Pompejns' Tod 219. — Cäsar'S Ermordung 221.
5) Oktavianus und Antonius; Triumvirat Beider und des LepidnS 223. — Schlacht bei Philippi 224. — Kleopatra 225. — Oktavia 226. — Schlacht bei Aktium 227. — OktavianuS als Alleinherrscher,
Augnstus 228. — Tiberius, sein Nachfolger 229. — Rückblick auf die Kultur der Römer 229. — Das Christenthum 233.
Erster Abschnitt.
Aegypter. Assyrer. Phönicier.
I. Die Aegypter.*)
1. Möris.
Das älteste Volk, welches wir in der Geschichte kennen, sind die Aegypter. Vor mehreren lausend Jahren herrschte über sie der König Möris; der ließ von seinen Unterthanen einen großen See ausgraben, um das Wasser des N i l darin zu sammeln und es für die heiße Jahreszeit, wo es an Wasser mangelte, aufzubewahren. Denn Aegypten ist ein heißes und trockenes Land, wo es fast niemals regnet oder thaut. Aber der Nil fließt mitten hindurch und macht es fruchtbar durch seine Ueber-schwemmungen. Im Monat März fängt seht Wasser an zu steigen von dem vielen Regen, der in den Bergländern fällt, aus denen der Nil entspringt; dann wächst er immer mehr, bis er aus den Ufern tritt, und im Monat August überschwemmt er das ganze Aegyptenland, so daß man mit Kähnen über die Felder fährt, und die Städte wie Inseln aus einem großen See hervorragen. Wie dies vor drei- und viertausend Jähren geschah, geschieht es auch noch jetzt. Erst um die Zeit, wenn bei uns der Winter anfängt, fällt das Wasser wieder in seine User, dann säet man ohne zu pflügen und zu eggen in den Schlamm hinein, und schon im December blüht der Flachs, im Januar schlägt der Weinstock aus, im März ist das Korn reif zum Schnitt und im Juni hat man schon reife Weintrauben.
Wenn aber der Nilfluß nicht hoch genug steigt, oder wenn er zu sehr das Land überschwemmt, kommt Aegypten in große Gesahr. Darum ließ der König Möris jenen großen See graben, der nach ihm der Möris-See genannt wurde und eine große Wohlthat für die Aegypter war. Stieg nämlich das Wasser zu hoch, so wurde es in das Seebecken geleitet, und trat große Trockniß ein, konnte man wieder das Wasser des Sees auf das ----------------------------
*) Nach Althaus „Geschichte der alten Welt".
Grub e, Geschichtsbilder. I. 1
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Feld leiten. Viel tausendmal tausend Menschen mußten viele Jahre lang arbeiten, um die Erde fortzuschaffen; als das Becken tief genug war, ließ der König noch zwei große Pyramiden mitten in den See erbauen, zum Denkmal für sich und die Königin. Auf die Pyramide des Königs ward noch dessen Standbild gesetzt, auf einem Throne sitzend; auf die Pyramide der Königin kam gleichfalls ein Thron und das Standbild der Frau des Königs — Alles aus schwarzem weißgefleckten Marmor gearbeitet.
2. Sesostris.
Nach dem Möris regierte der König S e s o ft r i s. Da seinem Vater vom Phtha*) verkündigt worden war, daß sein Sohn der Herr der Erde werden solle, ließ er alle mit seinem Sohne an Einem Tage geborenen Knaben an den Hof bringen und mit dem Prinzen Sesostris erziehen, damit sie seine treuesten Diener und Feldherren würden. Beim Anfange seiner Züge waren deren 1700, die alle Anführerstellen bekamen. Sie waren tüchtig abgehärtet und durften z. B. immer erst nach einem Wege von mehreren Meilen essen.
Sesostris war kriegerisch; sein erster Zug ging gegen die Araber. Dann griff er Libyen (den nördlichen Theil Afrikas) an und breitete seine Herrschaft bis an den atlantischen Ocean aus. Hierauf ward ein Eroberungszug von neun Jahren unternommen, der allen reichen Goldländern galt; zuerst ward Aethiopien bezwungen, das seinen Tribut in Gold, Elfenbein und Ebenholz entrichten mußte. Unterdessen ging eine Flotte von 400 Schiffen in die persischen und indischen Gewässer, eine andere ins Mittelmeer und eroberte alle Küsten und Inseln. Mit seinem Landheere soll Sesostris bis an den Ganges und an den indischen Ocean gekommen sein; dann ging er nordwestlich zu den Skythen und unterwarf sie sich bis an den Don. Erst Europa setzte seinen Siegen Grenzen, sei es, daß Hunger und Beschwerden, oder die kriegerischen Geten fast sein ganzes Heer aufrieben. Ueberall ließ er Säulen zum Andenken an seine Siege errichten. Eine Menge von Menschen brachte er als Sklaven mit nach Aegypten zurück; gefangene Könige mußten seinen Siegeswagen ziehen. Da geschah's, daß einer dieser Könige unverwandt auf Ein Rad blickte, und darum befragt zur Antwort gab: „O König, das Umdrehen des Rades erinnert mich an die Veränderung des Glücks. Wie hier das Unten ein Oben und das Oben bald ein Unten wird, so ist es auch mit den Königen, die heute auf dem Throne und morgen in Knechtschaft find!" Dieß Wort rührte den Sesostris, und die gefangenen Könige zogen fortan nicht mehr den Siegeswagen.
Die unterjochten Völker wurden zu Arbeitern verwandt für die Riesenbaue, welche Sesostris aufführte. Noch heute sind in Aegypten die ungeheuren Ruinen davon zu sehen. Zuerst stehen hohe Spitzsäulen da, die inan Obelisken nennt; manche sind so hoch wie Thürme, und doch nur
*) Gott des Feuers.
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aus einem einzigen Stein gehauen. Viele Inschriften und Figuren sind auf den Obelisken eingegraben. Dann kommen lange Alleen von steinernen Thierbildern, durch diese gelangt man in einen großen Säulenhof, hinter welchem der Tempel liegt. Die Decke des Tempels wird von 134 Säulen getragen, von denen manche 30 Fuß im Umfange haben. So ließ Sesostris von den Sklaven Tempel und Paläste bauen; vor seinem schönsten Palaste stand seine eigene Bildsäule, 60 Fuß hoch, und die seiner Frau, eben so hoch; vier steinerne Gestalten, jede40 Fuß hoch, stellten seine vier Söhne vor. Auf den Wänden der Gebäude waren seine Kriege und Triumphzuge abgemalt und alle bezwungenen Völker mit ihren Trachten und Waffen abgebildet.
Nachdem Sesostris länger als ein Menschenalter regiert hatte, ward er blind und brachte sich selber urn's Leben. Alle von ihm unterworfenen Völker machten sich aber wieder von der ägyptischen Herrschaft frei. Von jenen Bildern sind aber noch manche übrig geblieben, doch muß man mit Fackeln in die düstern Tempelgänge einbringen, wenn man sie besehen will. Denn die Aegppter bauten ihre Tempel und Paläste sehr düster, manche sogar in Felsengrotten und unterirdischen Räumen.
3. Cheops und Chephrcn.
Unter dem König Cheops mußte das ganze Volk arbeiten, um für ihn die große Pyramide zu bauen, in der er sich begraben lassen wollte. Da mußten zuerst in dem arabischen Gebirge die Steinblöcke gebrochen werden, die wurden dann bis an den Nil geschleift und auf Schiffen herüber gebracht. Auf dem Wege nach dem Hauptplatze mußte mitten durch einen Berg ein Gang gebrochen werden, der war eine Viertelstunde lang und man mußte zehn Jahre lang daran arbeiten. Bei dem Pyramidenbau waren immer hunderttausend Aegypter zu gleicher Zeit beschäftigt, und alle drei Monate kamen andere Hunderttausend an die Reihe, und zwanzig Jahre dauerte es, bis eine Pyramide fertig war. Sie wurde aber auch so hoch erbaut, wie ein mäßiger Berg, viel höher als der Straßburger Münster. Im Innern machte man Gänge in ein Grabgewölbe , in das der Sarg zu stehen kam. Die innere Steinmasse bestand aus Kalksteinen, die äußeren Steinplatten waren von Granit und Marmor; diese sind jetzt aber nicht mehr vorhanden. Doch der Riesenbau selber hat den Jahrhunderten getrotzt und steht noch unerschüttert da.
Fünfzig Jahre lang soll Cheops regiert haben, und nach ihm sein Bruder Chephren eben so lange Zeit. Auch dieser zwang die Aegypter, eine große Pyramide zu bauen. Diese und die des Cheops und noch eine dritte lind die größten; es giebt aber noch eine Menge kleinerer. Alle sind noch wohl erhalten und stehen in Mittelägypten. Man zählt im Ganzen vierzig und theilt sie in fünf Gruppen. In der Form sind alle gleich; von einer breiten Grundlage ausgehend laufen sie nach oben spitz zu uitf; endigen sich in eine platte Decke. Eine Seite schaut genau nach Ost, di«? . entgegengesetzte nach West, die dritte noch Nord, die vierte nach Süd.
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4. Verehrung der Todten.
Die Aegypter verwandten viele Mühe darauf ihre Todten zu ehren, und da sie glaubten, daß die Seele sich nicht von dem Körper trenne, so lange dieser nicht verwest sei, wandten sie die größte Sorgfalt darauf, die Leichname zu erhalten und vor der Verwesung zu schützen. Sie hatten drei Arten, die Leichen zu behandeln, eine für die geringen Leute, eine für die mehrangesehenen, und endlich die umständlichste und kostbarste Art für die Könige und Vornehmen. Wenn einer von den letzteren gestorben war, nahm man die inneren Theile aus dem Körper heraus und wusch ihn inwendig mit Wein. Dann füllte man den so gereinigten Körper mit Räucherwerk und wohlriechenden Specereien, nähete ihn wieder zu und legte ihn 70 Tage lang in Salz. Wenn diese Zeit um war, umwickelte man ihn von oben bis unten ganz mit seinen Binden, über das Gesicht wurde Gyps gestrichen und auf dem Gyps das Gesicht mit Farben abgemalt. Dann stellte man den Leichnam in einen verzierten Sarg, auf welchen: allerlei Inschriften und Zeichen (Hieroglyphen) waren. Die Leichen der Geringen aber wurden nur in Salz gelegt und dann mit Binden umwickelt; alle Todten aber wurden nicht in die Erde begraben, sondern in unterirdischen Gemächern aufbewahrt, die bei jeder Stadt angelegt waren. Wenn nun eine Stadt so groß wie Theben war, wo die großen Tempel und Paläste des Sesostris stehen, dann wurde aus diesen Gräbern nach und nach eine ganze unterirdische T o d t e n st a d t. Die bei Theben zieht sich zwei Stunden Wegs unter der Erde hin und alle Kammern sind unter einander verbunden, so daß es sehr schwer ist, wieder den Ausgang zu ftnden. Drinnen ist es entsetzlich heiß und ein betäubender Dunst von den vielen ausgetrockneten Leichen oder Mumien, wie man sie auch nennt. Zum Theil sind diese Mumien an den Wänden aufgestellt, zum Theil sind sie heruntergefallen oder herabgerissen, so daß man imTodtenstaube geht. In vielen Kammern sind die Wände auch mit Figuren bemalt, deren Farben sich noch ganz frisch erhalten haben. Da sind Küchengeräthschaften abgebildet, Möbeln der Vornehmen, Waffen der ägyptischen Krieger, Barken und Nachen mit Musikern besetzt, die auf 21 sättigen Harfen spielen.
Auf diese Art sind wir hauptsächlich zur Kenntniß der Sitten und Gebräuche der alten Aegypter gekommen. Es war natürlich, daß sie ihre Grüfte und Grabmäler mit eben solcher Pracht ausstatteten wie ihre Paläste Die besten Kunstwerke zierten die Todtenstadt; das Gold war bei der Bereitung der königlichen Mumien verschwendet. Man hat Mumien gesunden, denen alle Finger und alle Zehen, das Gesicht und vielleicht der ganze Kopf in massivgoldenen Futteralen eingeschlossen waren; andere hatten einen ganzen goldenen Ueberzug und waren mit Juwelen bedeckt. Unsere Museen (Kunstsammlungen) besitzen einen Ueberfluß anHalsketten, Ringen und andernKlei-noden von Gold und Edelstein, die Ausbeute der Gräber. Da die Königsgräber die reichsten sein mußten, so wurden sie auch am meisten mißhandelt. Die Ueberwinder der Pharaone (Könige) fanden in den Gräbern reiche Schätze.
5. Todtengericht.
In jenen Todtenstädten wurden aber nur Diejenigen ordentlich in den Mumienreihen mit aufgestellt, die im Leben nichts Schändliches begangen hatten. Daher wurde scher jeden Verstorbenen ein Todtengericht gehalten, wo Kläger und Vertheidiger auftreten konnten. Manchen ereilte die Strafe noch im Tode, wenn er sich auch im Leben derselben entzogen hatte, und eine größere Schande gab es kaum, wie diejenige der Verweigerung des ehrenvollen Begräbnisses.
Die Sage meldet, daß Aegyptens Könige Achtung und Liebe genossen, denn sie waren den Gesetzen gehorsam, und ihre Namen vermischten uch mit allen Gebeten und Opfern des Volkes. Bei dem Tode des Königs legte das ganze Volk Trauer an, die Tempel wurden geschlossen, 72 Tage lang blieben alle Festlichkeiten eingestellt, Männer und Frauen bestreuten ihr Haupt mit Asche, beteten und fasteten. Mittlerweile wurde des Königs Mumie und Sarg bereitet. War die Trauerzeit verflossen, so stellte man die Leiche am Eingänge des Grabmals aus, und da hatte Jeder aus dem Volke das Recht, den König wegen einer schlechten Handlung anzuklagen. Hierauf hielt der Priester die Trauerrede, erinnerte an die Tugenden des Hingeschiedenen und an die Dienste, welche er dem Vaterlande geleistet hatte. Entschied nun der Beifall der versammelten Menge, so sprach das Gericht der 42 Geschworenen das Urtheil, und der König empfing die Ehren des Begräbnisses. Einige Fürsten — sagt man — haben durch das Mißvergnügen und die Einrede des Volkes diese letzte Ehre verwirkt und so für ihre schlechten Thaten die gerechte Strafe erfahren. Die Furcht vor dem Todtengerichte war sehr geeignet, die Fürsten auf der Ba^n der Gerechtigkeit und der Tugend festzuhalten. Noch trifft man in Aegypten sehr sprechende Zeugnisse für diesen Brauch. Die Namen mehrerer Herrscher find auf den Denkmälern, die sie bei ihren Lebzeiten errichten ließen, sorgfältig ausgetilgt; sie wurden weggehämmert selbst in den Gräbern.
6. Kasten.
Die Priester hatten die meiste Macht im Lande neben den Königen. AlleAegypter waren in Stände eingetheilt, die man nach einem portugiesischen Worte „Kasten" genannt hat, und deren man sechs bis sieben zählte. Die hauptsächlichsten waren die Kasten der Priester, der Krieger, der Ackerbauer, Handwerker und Hirten. Keiner durfte aus einer Kaste in die andere übertreten; war der Vater ein Hirt, so mußte auch der Sohn wieder ein Hirt werden, wenn er auch keine Lust dazu und die besten Anlagen zu etwas Höherem hatte. Alles Land war in drei Theile getheilt: der eine Theil gehörte dem Könige, der andere den Priestern, der dritte den Kriegern. Die Ackerbauer hatten kein eigenes Land, sondern mußten es für die Grundbesitzer bestellen, und die Hirten waren die verachtetsten und geplagtesten aller Stände. Darum mußten auch die Israeliten, die zu den verhaßten Nomaden gezählt wurden, von den Aegyptern eine so harte Behandlung erleiden.
Die geeinteste Kaste war die der Priester. Sie waren die Erzieher und Räthe des Königs, sie gaben die Gesetze und richteten das Volk nach diesen Gesetzen. Sie bestimmten nach dem Laufe der Gestirne und dem regelmäßigen Austreten des Nil die Emtheilung des Jahres und Ordnung des Kalenders; sie waren die einzigen Gelehrten im Lande, die Pfleger der Künste und Wrssenschasten. Zugleich waren sie auch die Aerzte, doch so, daß Jeder nur für eine bestimmte Krankheit die Heilmittel studirte. Es gab also Aerzte für Augenkrankheiten, Magenkrankheiten, für gebrochene Glieder u s w wie das auch bei uns zum Theil der Fall ist. Von ihrer Kenntniß der Naturkräfte zeugen die Wunder, die sie vor den Augen des Moses verrichteten. Darum wurden sie auch vom Volke als Zauberer angesehen
Der Oberpriester wohnte am Hofe des Königs; die Söhne der Priester hatten die vornehmsten Stellen bei Hofe, und mit ihnen wurden die Prinzen erzogen. Mit ängstlicher Genauigkeit ward dem Könige vorgeschrieben, wann er aufstehen, opfern, essen, zu seiner Gemahlin gehen durfte. In der ersten Stunde nach dem Aufstehen wurden die Depeschen eröffnet. Dann verfügte sich der König, angethan mit prächtigen Gewändern, Krone und Scepter, nach dem Tempel. Hier predigte ihm der Oberpriester, was für Eigenschaften ein guter König haben müßte, und las ihm einen Abschnitt aus der Reichsgeschichte vor, um ihn zu belehren.
Nächst den Priestern waren die Krieger die angesehenste Kaste. Diese bildeten aber nicht ein stehendes Heer von Söldlingen (Soldaten), wie bei uns. Der Gedanke eines Miethheeres, welches Leib und Leben einem Herrn verkaufte, kam den weisen Aegyptern gar nicht in den Sinn. Das Gesetz hatte den Kriegsdienst einer Klasse der Nation als ein Vorrecht überttagen und damit eine Ausstattung an Ländereien verbunden, die ihr erblich blieben wie ihr Beruf. Die Aegypter dachten, daß es vernünftig sei, die Obhut des Staates Leuten anzuvertrauen, die Etwas besaßen, dessen Vertheidigung ihnen am Herzen lag.
7. Götter- und Thierdienst.
Die Aegypter sind wohl das frömmste Volk gewesen, das je gelebt hat. Sie hatten eine Menge von Gottheiten, die sie verehrten und heilig hielten ; vor Allem war es der Nilstrom, der den Grund- und Mittelpunkt bildete ihres Gottesdienstes. Aegypten ist ja nichts als ein.Stücf Pflanzenerde im Wüstensande, geschaffen und erhalten durch den Nil. Daher wurde dieser wohlthätige Strom nicht nur durch den Beinamen des Heiligen, des Vaters und Erhalters gefeiert, sondern als ein Gott verehrt, ja als das sichtbare Abbild der obersten Gottheit Ammon betrachtet , der in dieser Gestalt Aegypten belebte und bewahrte. Darum nannten auch die Griechen den Nil den ägyptischen Jupiter.
Die ägyptischen Philosophen hatten sich am Himmel ähnliche Einteilungen ersonnen wie auf Erden, sie hatten einen himmlischen und einen irdischen Nil. Der himmlische Nilgott hat drei Vasen, als Sinnbilder der Ueberschwemmung: eine dieser Vasen bezeichnet das Wasser, welches Aegypten
selbst hervorbringt; die zweite das, welches zur Zeit der Überschwemmung aus dem Ocean nach Aegypten kommt; die dritte die Regen, welche berm Steigen des Nil in den südlichen Theilen Äthiopiens fallen. Der gro!;e Gott Cnuphis, auf einer großen Zahl von Denkmälern dargestellt, tst uuell und Richtmaß des irdischen Nil. Er hat menschliche Gestalt, fttzt auf emem Thron und ist von einer blauen Tunica umhüllt. Aus dem menschlichen Körper aber sitzt ein Widderkopf mit grünem Gesicht, und in der Hand hält er ein Gefäß, woraus er die wohlthätigen Wasser ausgretzt.
Das Sinnbild der fruchtbaren Erde war die Göttin ^frs, mtt welcher sich der Gott Osiris als Nilgott vermählte. Beide Gottheiten, Osiris und Isis, sind aber zugleich die Sonne und der Mond; Ostns machte das Sonnenjahr, Isis das Mondjahr. Beide wurden auch m menschlicher Form abgebildet und dem Volke zur Verehrung aufgestellt. Selbst demTyphon, dem versengenden Winde, jetzt „Chamsin" genannt, hatte man Tempel geweihet, denn man hielt ihn für den ibater des Bö^en und suchte ihn durch Opfer zu versöhnen.
Dankbarkeit und Furcht trieben auch zur Verehrung der Thiere, je nachdem sich diese den Menschen nützlich oder_ schädlich erwiesen. So wurde der storchartige Vogel Ibis verehrt, weil er die im NiVchlantm nistenden Schlangen wegfraß. Das Krokodil, diese 20 Fuß lange gefräßige Eidechse, die blitzschnell auf ihre Beute losschießt, und mit ihrem Schuppeuschwanze ein ganzes Boot umschlägt, ward aus Furcht verehrt. Der Feind des Krokodils ist der Ichneumon oder die Pharaons-Ratte; diese weiß die Krokodileier im Sande zu finden und verzehrt sie. Darum ward sie von den Aegyptern in hohen Ehren gehalten und empfing Dankopfer. Einer ausgezeichneten Verehrung genossen die K a tz e n. Sie ruheten auf kostbaren Decken und Polstern, wurden mit den leckersten Speisen gefüttert und nur mit silbernen und goldenen Gefäßen bedient. Wer eine Katze unvorsichtiger Weise tödtete, mußte ohne Barmherzigkeit sterben. Der Leichnam des heiligen Thieres ward einbaUamirt, in köstliche Leinwand gewickelt und feierlich bestattet.
Doch war es nicht selten, daß man in einer Stadt Thiere als heilige verehrte, die man in einer andern ohne Bedenken schlachtete. Allen Aegyptern ohne Ausnahme war aber der Ochs, Apis genannt, heilig; denn er war ihnen ein Sinnbild des Ackerbaues, und auf dem Ackerbau ruhete das ganze bürgerliche Leben. Der heilige Ochse mußte am ganzen Leibe schwarz sein und vor der Stirn einen viereckigen weißen Fleck haben; nur dann war der Gott echt. Sein Palast war in der Königsstadt Memphis; Priester bedienten ihn und reichten ihm knieend die Speisen. — War ein neuer Apis gefunden, so jubelte das ganze Volk. In feierlichem Aufzuge wurde das göttliche Thier von den Priestern zum Tempel geleitet. Krieger zogen vor ihm her, zur Seite gingen zwei Reihen schön geschmückter Knaben und sangen Loblieder. Sieben Tage dauerte das fröhliche Fest. Starb aber der Gott, so trauerte das ganze Land und zwar so lange, bis ein neuer Apis gefunden war.
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8. Psammetich.
Um die Zeit 666 v. Chr. vereinigten sich zwölf Fürsten und theilten sich in die Herrschaft über Aegyptenland. Zur Verewigung ihres Namens baueten sie das berühmte Labyrinth. Herodot, der Vater der Geschichte, hat es auf seiner Reise in Aegypten besucht und war ganz erstaunt über die wunderbare Pracht und Größe des Gebäudes. Er beschreibt es also: „Man erblickt im Innern zwölf Vorsäle, von einem Dache bedeckt und mit einander gegenüberstehenden Thüren. Sechs dieser Säle liegen gegen Norden, sechs gegen Süden. Die Gemächer in dem Gebäude des Labyrinths sind alle doppelt, die einen unterirdisch, die andern über diesen; ihre Zahl ist 3000, 1500 in jedem Stock. Die über der Erde haben wir durchschritten, von den untern wissen wir aber nichts, als was man uns gesagt, da die Aufseher sie um keinen Preis uns zeigen wollten. Es wären darin, hieß es, die Gräber der Könige, welche das Labyrinth bauen ließen, sowie jene der heiligen Krokodile. Was aber die oberen Gemächer anlangt, so müssen wir gestehen, daß wir nie etwas Großartigeres gesehen haben unter den Werken von Menschenhand; die unendliche Mannichfaltigkeit der mit einander verbundenen Galerien und Säle und Gemächer verursacht tausend Ueberraschungen, indem der Beschauer bald aus einem der Säle in die sie umgebenden Gemächer, bald aus diesen Gemächern in Säulenhallen, bald aus den Säulenhallen in andere Säle gelangt. Die Decken und Wände stnd überall von Stein, und auf den Wänden sind eine Menge von Figuren eingegraben. Jeden der Säle faßt eine Reihe von Säulen ein, die aus ganz weißen Steinen zusammengefügt sind. An der Ecke, wo das Labyrinth sich schließt, erhebt sich eine 240 Fuß hohe Pyramide, die mit großen Figuren in erhabener Arbeit geziert ist. Mittelst eines unterirdischen Wegs hängt diese Pyramide mit dem Labyrinth zusammen."
Der Riesenpalast war aus zwölf einzelnen Palästen zusammengesetzt, nicht bloß nach der Zahl der oben erwähnten zwölf Fürsten, sondern auch nach der Zahl der zwölf Provinzen Aegyptens. Wenn die Abgeordneten derselben sich versammelten, brachte jeder seine Priester und Opferthiere mit, und in den großen Sälen hielt man Rath.
Uebrigens war die gemeinschaftliche Regierung der zwölf Pharaonen von kurzer Dauer. Es war eine alte Weissagung vorhanden, daß derjenige einst ganz Aegypten beherrschen würde, der sein Opfer in einer ehernen Schale brächte. Da geschah es bei einem Feste, wo alle zwölf Könige versammelt waren, um den Göttern zu opfern, daß der Priester nur eilf goldene Schalen austheilte und Psammetich keine bekam. Schnell entschlossen nahm dieser seinen Helm vom Haupte und brachte in diesem das Trankopfer. Die Fürsten erschraken, und aus Furcht, die Weissagung möchte in Erfüllung gehen, verbannten sie den Psammetich in die sumpfigen Gegenden Nieder-Aegyptens. Die Priester aber weissagten ihm, es würden eherne Männer aus dem Meere aufsteigen und ihn an den eilf Fürsten rächen. Das schien dem Psammetich unmöglich, doch nicht lange darauf
kamen treue Diener und berichteten ihm, daß am Ufer des Meeres geharnischte Männer gelandet seien, ganz mit Erz bedeckt vom Kopf bis zu den Füßen. Es waren griechische Seeräuber, die Alles in Schrecken setzten, denn noch nie hatte man in Aegypten einen geharnischten Mann gesehen. Psammetich gewann die fremden Männer zu Freunden, und mit ihrer Hülfe vertrieb er feine Mitkönige. So erfüllte sich das Orakel und Psammetich wurde Alleinherrscher. Aus Dankbarkeit bewilligte er den Griechen Wohn-plätze an der pelufifchert Nilmündung, erlaubte auch den Ausländern, in ägyptischen Häfen mit ihren Waaren einzulaufen, und so entstand ein lebhafter Handelsverkehr, besonders mit Griechenland. Auch bildete sich jetzt eine neue Kaste, die der Dolmetscher. Das bisher verschlossene Aegypten ward nun von vielen Fremden besucht, nicht bloß des Gewinnes halber, sondern um der Weisheit willen, die bei dem hochgebildeten Volke zu finden war.
9. Necho.
Psammetich's Sohn Necho (Necao) folgte den Grundsätzen seines Vaters und beförderte Handel und Schifffahrt. Zu diesem Zwecke machte er den Versuch, durch einen Kanal den Nil mit dem arabischen Meerbusen zu verbinden. Er nahm auch phönicische Seefahrer in seinen Dienst und ließ von diesen ganz Afrika umsegeln. Man fuhr ans dem Rothen Meere (dem Arabischen Meerbusen) ab und steuerte nach Süden, immer der Küste entlang. Die Fahrt ging freilich nicht so schnell, als heutzutage; wenn es Herbst war, stiegen die Schiffenden an's Land und säeten Korn, bauten sich Hütten und warteten so lange, bis das Korn reif war. Dann ernteten sie und fuhren weiter. Im dritten Herbst kamen sie durch das Mittelländische Meer glücklich nach Aegypten zurück.
Necho war auch kriegerisch und drang erobernd bis an den Euphrat vor; bei Circesium aber ward er von Nebukadnezar, dem König von Babylonien, geschlagen und mußte sich eiligst zurückziehen. Unter seinen Nachfolgern sank das Reich mehr und mehr und ward 525 v. Chr. eine Beute der Perser. Psammetich und Necho hatten zuerst das verschlossene „bittere" Aegypten, wie es die Fremden nannten, dem Auslande geöffnet und mit der einheimischen fremde Sitte gemischt; aber der alte ägyptische Staat war damit nicht stärker geworden, denn die Völker sind nur ftar^ wenn sie nach ihrer Weise wachsen und sich entwickeln können.
ü. Die Assy rer.
1. Ninus und Semiramis.
Die ungemeine Fruchtbarkeit des Landes zwischen dem Euphrat und Tigris hat viele Menschen herbeigelockt. Sie konnten aber nicht alle zusammenbleiben; denn — wie die Bibel erzählt — als sie eine große Stadt
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bauen wollten mit einem himmelhohen Thurme, der weit in die Ebene hinausschaute, verwirrten sich ihre Sprachen, und die Stadt bekam den Namen Babylon oder Babel, d. i. Verwirrung.
Ein tapferer Krieger, Ninus mit Namen, eroberte Babylon und die angrenzenden Länder. Als er nun von seinen siegreichen Zügen mit reicher Beute beladen heimgekehrt war, wollte er auch eine Residenzstadt haben, die seiner würdig sei. Er wählte dazu ein kleines Städtchen am Tigris und bauete es mit Hülse der vielen tausend Ueberwundenen so groß, daß die neue Stadt der Sage nach zwölf Meilen im Umfange hatte. Und groß muß sie gewesen sein, denn der Prophet Jonas erzählt von ihr, es seien allein 120,000 Kinder in derselben gewesen, und zwar so kleine, daß sie die rechte Hand von der linken noch nicht zu unterscheiden wußten. Welche Menschm-zahl, die Erwachsenen dazu gerechnet! Wie klein müssen da unsere deutschen Städte Berlin und Wien erscheinen! Eine einzige solche Stadt konnte schon für ein besonderes Reich gelten. Von der Riesenstadt ist aber nichts übrig geblieben, als ein Hügel und ein Dorf, mit Namen Nunia.
Nach diesem Baue blieb aber der rastlose Ninus nicht daheim in ferner schönen Residenzstadt, sondern zog wieder aus gegen Morgen bis zu der festen Stadt B actra. Hier lernte er eine Frau kennen, die eben so schön als klug war und Semirami s hieß. Es ging die Sage von ihr, sie wäre die Tochter einer Göttin, die sie gleich nach ihrer Geburt ausgesetzt hätte; da hätten ihr aber Tauben Nahrung gereicht und sie unter ihren Flügeln erwärmt. Diese wunderbare Frau gab dem Ninus ein Mittel an die Hand, wie er die Stadt, deren Belagerung ihn aushielt, bezwingen könnte. Es gelang, und die Freude über den Sieg, sowie die Schönheit und Klughett der Semiramis rissen den König dermaßen hin, daß er sie zur Gemahlin erkor.
Nach dem Tode des Ninus herrschte Semiramis als Vormünderin ihres Sohnes Ninyas. Sie setzte sich vor, den Ruhm ihres Gemahls noch zu übertreffen. Wie er Ninive, so bauete sie Babylon so groß und verschönerte es mit einem solchen Aufwande, daß die Nachrichten hierüber an's Unglaubliche grenzen. Die Stadt war ein großes Viereck und hatte über 1-4 Stunden im Umfange. Die Mauern waren so hoch wie Thürme, und so breit, daß sechs Wagen neben einander auf ihnen fahren konnten. In jeder Sette der Mauer waren 25 eherne Thore. Mitten durch die Stadt strömte der Euphrat, dessen beiderseitige Ufer ebenfalls mit einer hohen dicken Mauer eingefaßt waren. In der Mitte war eine 30 Fuß breite Brücke mit zwei schönen Palästen an jedem Ende. Jeder dieser Paläste trug auf gewölbten und hoch aufgethürmten Terrassen die schönsten Gärten, die mit ihren duftenden Blumen und schattigen Bäumen wie durch Zauberkraft frei in der Luft zu schweben schienen. Die wunderbaren lustigen Anlagen nartrtte man die schweb enden Gärten der Semiramisund zählte sie zu den sieben Wunderwerken der Welt. An der östlichen Seite der Brücke erhob sich zu den Wolken empor der Belusthurm. Dieser trug einen reich geschmückten Tempel, auf dessen Spitze das kolossale Bildniß des hier verehrten Sonnengottes Belus stand, der von seiner hohen Warte die ganze Gegend be-
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herrschte. Der Thurm war 600 Fuß hoch, also noch höher als der Straßburger Münster, der höchste Thurm, den man bis jetzt kennt; der hat 574 Fuß Höhe.
Aber nicht in Babylon allein, überall, wo Semiramis hinkam, mußten neue Städte und Paläste und staunenswerthe Anlagen den Namen der großen Königin verewigen. Und wie sie ihren Gemahl in Werken der Baukunst übertreffen hatte, so wollte sie ihn auch in Thaten des Krieges übertreffen. An der Spitze eines großen Heeres durchzog sie in hastiger Siegeseile die Länder Asiens und bezwang die noch nicht unterjochten Völker. Das assyrische Reich erstreckte sich bald vom Mittelländischen Meere bis zum Indus, und vom Schwarzen bis zum Arabischen Meere. Nur ein Volk im Osten, die Indier, waren unabhängig von Assyrien. Das Land, welches diese bewohnten, sollte das größte und schönste sein, und dahin zog jetzt die Königin mit großer Heeresmacht. Schon war sie siegreich über den Grenzfluß Indus in's Innere des Landes gedrungen, als sie plötzlich auf ein großes Heer stieß, dessen Anblick sie erschreckte. An der Spitze desselben stand eine Reihe von Elephanten, welche nicht allein ganze Thürme voll Krieger auf ihren Rücken trugen, sondern auch mit ihren Rüsseln Alles zerschlugen und mit ihren Füßen Alles zertraten, was ihnen in den Weg kam. Schon von ihrem Anblicke wurden die Pferde scheu. Die stolze Beherrscherin Asiens wollte den Indiern nicht nachstehen. Da sie selbst feinen einzigen Elephanten hatte, so ließ sie sich eine große Anzahl machen. Sie ließ nämlich viele tausend Büffelochsen schlachten, die Häute derselben so zubereiten, daß sie elephantenartig aussahen, und bedeckte mit diesen ebensoviel Kameele, auf die sich bewaffnete Männer setzten. Diese künstlichen Elephanten stellte sie an die Spitze. Die Indier erschraken anfangs beim Anblick so vieler Elephanten und zogen sich eilig zurück. Bald aber erfuhren sie durch Ueberläufer die List. Da faßten sie neuen Muth und machten einen wüthenden Angriff. Die Kameele rannten scheu zurück und brachten Alles in Verwirrung. Das assyrische Heer floh, viele Männer wurden erschlagen. Semiramis selbst rettete sich nur durch schleunige Flucht. Mit einem kleinen Häuflein kam sie beschämt in ihr Land zurück.
Bald nachher entstand ein Aufruhr unter ihrem eigenen Volke. Sie saß eben und ließ sich die Haare flechten, als ihr die Nachricht davon überbracht wurde. Sie sprang hinaus und stürzte sich mit fliegenden Haaren mitten unter die Rotte. Der Anblick der erzürnten Königin stillte sogleich den Aufruhr und brachte die Leute zur Ruhe. Zum Andenken an diese Begebenheit wurde ihr eine Statue errichtet, welche die Art ihrer Erscheinung unter den Aufrührern darstellte.
Als sie ihr Ende nahe fühlte, übergab sie dem Ninyas die Herrschaft Sie selbst entzog sieb den Augen der Menschen, als wäre sie unter die Götter versetzt. Sie flog, wie die Fabel erzählt, in der Gestalt einer Taube gen Himmel.
Ihr Nachfolger Ninyas war aber sehr weibisch und regierte so schlecht, daß man allgemein die Semiramis zurückwünschte. Er verschloß sich mit
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seinen Weibern im Palaste und schämte sich so sehr vor Männern, daß er sich gar nicht vor ihnen sehen ließ. Ihm glichen die meisten seiner Nachfolger, so daß ihre Namen nicht einmal der Aufzeichnung werth befunden wurden. Der letzte dieser Weichlinge war Sardanapal.
2. Sardanapal (885 v. Chr.) und Arbaces.
Sardanapal übertraf alle seine Vorgänger an Schlechtigkeit. Sein Name ist ein Spottname für alle verworfenen Weichlinge geworden. Um die Regierung kümmerte sich dieser König gar nicht; dies mühsame Geschäft überließ er Andern. Er selbst verschloß sich in der Burg mit seinen Weibern, spielte mit ihnen, spann auch Wolle mit ihnen. Er putzte und schminkte sich nach Frauenart und trug sogar einen Weiberrock. In diesem weibischen Aufzuge traf ihn einst Arbaces, der Statthalter von Medien. Der Anblick empörte ihn. Er erzählte es seinen Soldaten, verband sich mit noch zwei andern Feldherren und zettelte eine Verschwörung an gegen den unwürdigen König. Als Sardanapal hiervon Nachricht erhielt, verkroch er sich in seinem Palaste. Da er sich aber in keinem Winkel sicher glaubte, so faßte er einen verzweifelten Entschluß; er kam hervor und wollte eine Schlacht wagen. Da noch nicht alle Aufrührer beisammen waren, fiel er über einen kleinen Haufen derselben her, und wirklich, er schlug sie mit seinem Heere in die Flucht. Hierüber gerieth er fast außer sich vor Freude. Er gab ein Gastmahl nach dem andern, und eins war köstlicher als das andere. Sein ganzes Heer mußte mit schmausen und lustig sein.
Diesen Jubel erfuhr Arbaces und fiel bei Nacht über das schwelgende Lager her. Was sich noch rettete, verschloß sich mit dem König in der festen Stadt Ninive. Zum Unglück trat der reißende Fluß Tigris aus seinen Ufern und zerstörte einen Theil der Stadtmauern. Arbaces war im Anzuge, da gerieth der feige König in Todesangst, zündete seinen Palast selber an und verbrannte sich mit seinen Weibern und Schätzen. Arbaces nahm das Reich in Besitz, denn der andere Feldherr, Belesys, Statthalter von Babylonien, bat sich bloß die Asche des verbrannten Palastes aus. Freilich waren noch manche Schätze darin verborgen.
III. Die Phönicier.
i.
Das älteste und berühmteste Handels volk im Alterthume waren die Phönicier. In dem ältesten uns erhaltenen Buche, dem ersten Buche Mosis, heißt Sidon, die Hauptstadt der Phönicier, der erstgeborene Sohn Kanaans. „Kanaan" nannten die Juden die ganze Küste des Mittelmeeres von Kleinasien bis Aegypten, und dies hebräische Wort bedeutet „Land und Kaufleute."
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Das Ländchen war ein schmaler Küstenstrich, vom Mittelmeere bespült; feine Breite betrug kaum fünf Meilen, seine Länge 25 Meilen. Von dem übrigen Asien war es durch das hohe Gebirge des Libanon und Antilibanon geschieden. Der Boden war felsig und unfruchtbar und gestattete weder Viehzucht noch Ackerbau. So sahen sich die Phönicier hinausgedrängt auf das Meer, das ihre eigentliche Heimath und nährende Mutter wurde, und ihnen vorläufig seinen Reichthum an Fischen darbot.
Der Fischfang machte die Leute mit dem Meere und dessen Gefahren bekannt. Da ihnen gegenüber die große Insel Cyprus lag, so zimmerten sie Schiffe und wagten sich hinüber. Cypern war aber schon bevölkert, und als Fremde, die man für Feinde ansah, wollte man die Phönicier nicht landen lassen. Diese erzwangen mit List und Gewalt die Landung, fanden Manches, was ihnen fehlte, plünderten und schifften wieder zur heimischen Küste zurück. Die Schifffahrt weckt den Muth der Menschen, macht sie listig und erfinderisch. Die Phönicier wiederholten ihre Fahrten, und als sie merkten, daß die arglosen und unwissenden Inselbewohner auf kleine bunte Spielsachen großen Werth legten, brachten sie dergleichen mit und begannen einen Tauschhandel. Das Plündern ward aber nicht vergessen, und wenn sie konnten, führten die Phönicier auch Menschen mir sich fort, um sie anderwärts als Sklaven zu verkaufen. Bald wußten sie es dahin zu bringen, daß die Cyprier für sie arbeiteten; sie brachten ihnen dagegen, was sie hatten, und verhandelten die von ihnen gewonnenen Früchte und Arbeiten wieder in andere Gegenden. So wurden die Phönicier nach und nach Herren der Insel Cyprus. Mehrte sich nun zu sehr die Anzahl der Einwohner im eigenen Vaterlands, so ging ein Haufen nach Cypern hinüber und baute sich dort an. Eine solche Ansiedlung im fremden Gebiet heißt eine Kolonie.
Die Kolonie auf Cypern gab wegen der reichhaltigen Kupferbergwerke der Insel guten Gewinn, und erweckte die Lust, noch mehrere Kolonien zu gründen. So segelten die Phönicier nach der ferner gelegenen Insel Kreta, dann um ganz Kleinasien herum bis nach der Meerenge der Dardanellen, welche Asien von Europa trennt. Sie fuhren durch diese Meerenge hindurch und beschifften die Ufer des Schwarzen Meeres. Ueberall errichteten sie feste Punkte, wo sie später ihre Schiffe ausbessern, Nahrungsmittel einnehmen und Waaren austauschen konnten. Dann segelten sie nach dem europäischen Griechenland und in das griechische Jnselmeer. Doch die Griechen in Kleinasien wurden nun selbst Seefahrer, nahmen die Phönicier zu ihren Lehrmeistern und verdrängten sie dann von allen Handelsplätzen. Doch konnten die europäischen Griechen der Phönicier nie ganz entbehren, weil sie ihnen manche wohlriechende Kräuter, Harze, Früchte, edle Me* talle u. s. f. brachten, die sie für ihre Opfer und Tempel brauchten.
Desto fester siedelten sich dafür die Phönicier an der Nordküste Afrika's an. Hier legten sie auf einer hervorragenden Landspitze, der Insel Sicilien gegenüber, die berühmte Kolonie Karthago an, die nachher ein eigener mächtiger Staat wurde, und von dort schifften sie über nach Sicilien, baneten
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nach hier Städte und machten sich einen großen Theil der Insel unter» than. Endlich schifften sie noch weiter gegen Westen bis zu den Säulen des Herkules (der Meerenge von Gibraltar), die von den Alten als das Ende der Welt betrachtet wurden. Sie landeten an der europäischen Seite in Spanien und fanden hier anfangs eine solche Menge von Silber, daß sie alle ihre Geräthe von Holz, Stein und Kupfer dort ließen und silberne dafür zurückbrachten. Selbst die Anker sollen sie sich von Silber gegossen haben. Ihre berühmteste Kolonie in Spanien war TartessiS (die Stadt hieß Tarteffus).
Doch fand auch hier die Gewinnsucht der kühnen Kaufleute kein Ziel; sie schifften noch über das vermeinte Ende der Welt hinaus und kamen nach den britischen Inseln, wo sie ein neues Metall, das Zinn, fanden, weshalb sie auch das Land die Zinninseln nannten. Als sie mit Glück ihre Fahrt dahin öfters wiederholt hatten, gingen sie bis an das Nord-ufer Deutschlands, und fanden hier an der preußischen Küste den glänzenden Bernstein, von den Griechen Elektron genannt. Als sie diesen wunderbaren durchsichtigen Körper in die Länder des Mittelmeeres brachten, betrachtete man ihn als das kostbarste Kleinod und schätzte ihn höher als Gold. Wie man jetzt goldene Ringe mit Edelsteinen besetzt, schmückte man sie damals mit Bernstein.
Aus allen Gegenden der bekannten Erde führten nun die Phönicier jedem Volke das zu, was es sich vorzüglich wünschte, und durch mancherlei Kunstgriffe wußten sie sich im Besitz des gewinnreichen Handels zu erhalten. So erzählten sie, wenn man über die Säulen des Herkules hinauskomme, würde das Meer so dick wie Gallerte und man müßte sich durch feuerspeiende Seeungeheuer hindurchschlagen. Versuchte dennoch ein fremdes Schiff, ihnen zu folgen, um ihre heimlichen Wege kennen zu lernen, so führten sie dasselbe absichtlich in die Irre, bis es auf eine Sandbank gerieth oder an Klippen zerschellte.
Doch nicht bloß zu Wasser, auch zu Lande trieben die Phönicier durch Karawanen Handel nach Norden, Osten und Süden. Sie holten aus dem innern Lande nordwärts von Phönicien, nämlich aus Armenien, Eisen und Stahl; Pferde und Sklaven; von Osten aus Babylonien und Persien Leinwand, vielleicht auch Seide; aus den südlicher gelegenen Ländern^Gewürze und Specereien. Sie folgten da dem Gestade des Arabischen Meerbusens, und fanden an der Küste der großen Halbinsel Arabien jene Harze und wohlriechenden Kräuter, welche alle Völker zu ihren Opfern verbrannten. Auch entdeckten sie bort einen Ueber flu ß an Gold unb die Zähne des Elephanten, aus welchen man das Elfenbein schnitt. Als es erst fund ward, daß Kaufleute in Arabien landeten, kamen die entferntesten Völker und brachten ihre Waaren zum Austausch. So führten östliche Völker über den Persischen Meerbusen die Früchte Indiens den Phöniciern zu, ohne daß diese je Indien kennen lernten. Besonders werthvoll waren ihnen die Pfauen und Affen und der Zimmet von der Insel Ceylon; die Phönicier glaubten, alle diese Erzeugnisse kämen aus beut Innern von Arabien,
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2.
Der Zufall hatte die Phönicier auf mehrere Entdeckungen geführt, die sie kunstreich zu benutzen wußten, um glänzende, in die Augen fallende Waaren zu liefern. Sie erfanden das Glas und die Purpurfarbe; auch das kunstreiche Weben der Wolle sollen sie erfunden haben, und selbst den ersten Gebrauch der Buchstabenschrift schreibt man ihnen zu.
Phönicische Kaufleute — erzählt man — welche Salpeter auf ihrem Schiffe führten, landeten nicht weit von Sidon am Flusse Belus, an dessen Usern ein feiner Kiessand lag. Sie wollten sich hier ein Essen bereiten, und da es ihnen an Steinen fehlte, den Kessel über dem Feuer zu erhalten, nahmen sie große Stücke von Salpeter aus ihrem Schiffe, legten diese auf den Sand und setzten den Kessel darauf. Der Salpeter ward in der Hitze flüssig, vermischte sich mit der Asche und dem glühenden Sande, und als die Flamme erloschen war, blickte den Ueberraschten eine glasartige Masse entgegen. Das Glas war erfunden, aber man wußte es vorläufig zu nichts Anderem zu gebrauchen als zu Schmuck und Zierrath. Fenster von Glas kannten die Alten nicht, sie hatten blos Vorhänge oder Jalousien. Ihre Trinkgefäße waren meist irdene Krüge oder metallene Becher, auch ihre Spiegel waren von Metall. Dagegen schmückten sie die Decken und Wände ihrer Zimmer mit Glas. Nachher ging die Kunst des Glasmachens zu den Aegyptern über; diese verstanden die flüssige Masse durch Blasen zu bilden, ihr dann auf einer Drehscheibe die erforderliche Gestalt zu geben oder sie auch nach Belieben zu schneiden. Die Römer erhielten zur Zeit Christi fast all ihr Glas aus Aegypten; ein gläserner Becher war aber theurer als ein goldner.
Ein andermal weidete ein phönieischer Hirt seine Heerde nicht weit vom Meeresufer bei Tyrus. Sein Hund hatte die Schale einer Meerschnecke zerbissen und kam mit hochroth gefärbter Schnauze zu seinem Herrn zurück. Dieser, in der Meinung, der Hund sei verwundet, wischt ihm mit einem Knäuel Wolle das vermeintliche Blut ab; da fand sich keine Wunde, aber die Wolle hatte die schönste rothe Farbe angenommen. Nun forschte der Hirt weiter nach und entdeckte die zerbissene Schnecke, welche die echte Purpurschnecke war. Bald wurde der lyrische Purpur weit und breit berühmt und galt für die größte Kostbarkeit, so daß nur Könige und reiche Leute ihn tragen konnten.
Wie viele andere Erfindungen mögen noch von dem betriebsamen ge-werblustigen Völkchen ausgegangen sein! Die Rechenkunst wird noch ausdrücklich als ihre Erfindung ausgegeben, und ihr Handel mußte nothwendig darauf sichren. Wie sehr sie in der Baukunst erfahren waren, beweist der prachtvolle Tempel in Jerusalem, welchen Salomo durch phönicische Künstler ausführen ließ, die ihm sein Freund, der König Hiram, zugeschickt hatte.
3.
Durch einen so ausgebreiteten Handel und Verkehr über alle Länder und Meere hin waren die Phönicier das reichste und wohlhabendste Volk
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der ganzen Welt geworden. „Ihre Kaufleute," sagt der Prophet Jesaias, „sind Fürsten, ihre Krämer die Herrlichsten im Lande." Ihr früher so armes Ländchen glich nunmehr einem schönen Lustgarten. Alle vier Stunden war eine Hauptstadt mit fortlaufenden Meiereien bis zu der folgenden Stadt. Und welches Leben überall! Da flatterten die Segel, da schnurrten die Räder, da pochten die Hämmer, Alles lebte und webte, Alles handelte, Städte und Küsten wimmelten von geschäftigen Menschen. Phöniden war der Markt der ganzen Welt.
Doch der Reichthum und Wohlstand des Kaufmanns-Völkchens reizte die kriegerischen Nachbarn. Sein naher Untergang ward ihm von den Propheten Hesekiel und Jesaias vorhergesagt: „Klaget, ihr Schiffe von Tarsis! Daheim ist Verheerung! Auf's Meer streckt Gott den Arm, und Reiche beben; Verderben trifft, so will es Gott, Phöniciens Städte. Du beraubtes Sidon, jauchzest nicht mehr, und deine Veste, o Tyrus, wird zerstört!"
Es war um das Jahr 600 v. Chr., als Nebukadnezar mit großer Heeresmacht hereinbrach. Sidon eroberte er leicht, Tyrus aber mußte er dreizehn Jahre lang belagern, so hartnäckig wehrten sich die Einwohner. Und als er es endlich erobert hatte, fand er doch nur eine menschenleere Stadt, denn die Einwohner hatten sich mit all ihrer Habe auf eine benachbarte Insel geflüchtet und dort wieder angebaut. Hier erhob sich bald ein neues Tyrus mit der Pracht der alten Landstadt, und wurde abermals der Sitz des Welthandels. Das blieb es bis zum Jahre 333 v. Chr.^ wo der Welteroberer Alexander der Große, König von Macedonien, heranzog.
Die Tyrier schickten ihm Geld und Lebensmittel entgegen, doch versagten ste ihm den Einzug in die Stadt. Das brachte den stolzen Krieger auf, und er beschloß, sich den Einzug mit Gewalt zu eröffnen. Die Stadt lag eine Viertelstunde vom festen Lande ab und war durch eine hohe Mauer geschützt. Alexander ließ einen festen, 200 Fuß breiten Damm in's Meer bauen, wozu er besonders die Trümmer des alten Tyrus benutzte. Mit Erstaunen und Schrecken sahen die Tyrier den Damm ihrer Stadt immer näher kommen. Fast schon war er fertig, als ein heftiger Sturm einen großen Theil des in's Meer geworfenen Schuttes fortschwemmte. Alexander ließ sich dadurch nicht abschrecken; mit verdoppelter Anstrengung ward die Arbeit von Neuem begonnen, eine Flotte schützte die macedonischen Arbeiter gegen die Angriffe der Phönicier, besonders gegen die Taucher derselben, die unversehens unter dem Wasser heranschwammen und die Arbeiter überfielen. Bald hatte der Damm wieder die Insel erreicht. Jetzt begann die eigentliche Belagerung der Stadt, und die Maeedonier stürmten mit solcher Wuth, daß die Mauer bald einstürzte. Doch eine neue und weit stärkere war bereits von den Tyriern innerhalb der ersten Ringmauer aufgeführt. Auch diese wurde eingestoßen, Alexanders Soldaten drangen in die Stadt: aber die Tyrier vertheidigten sich mit solcher List und Tapferkeit, daß jene wieder zurück mußten. Die Oeffnung in der Mauer ward schnell ausgebessert, und bei neuen Angriffen umschlangen die Tyrier ihre Feinde mit Netzen, bestreuten sie mit glühendem Sande, so daß jetzt
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Alexander selbst auf den Rückzug dachte. Noch einen letzten Versuch wollte er wagen; er umschloß mit seiner Flotte die ganze Stadt und ließ sie von allen Seiten bestürmen. Indeß hätte er vielleicht auch jetzt noch nicht die Stadt erobert, wenn nicht ein thörichter Aberglaube der Tyrier ihm zu Hülfe gekommen wäre. Sie meinten, einer ihrer Götter habe Tyrus verlassen, und verloren nun den Muth. So drang Alexander endlich in die Stadt, die er 7 Monate lang belagert hatte. Er war so erbittert über den hartnäckigen Widerstand, daß er die Stadt verbrannte, 2000 Gefangene kreuzigen ließ und 30,000 als Sklaven verkaufte. Zwar ward später Tyrus wieder aufgebaut, aber seine Kraft und sein Ruhm war dahin, und der Welthandel zog sich nach Alexandrien, der von Alexander neugegründeten Stadt an der westlichen Mündung des Nil.
Grube, Geschichtsbilder. I.
Zweiter Abschnitt.
Griechische Heroen. — Herkules und Theseus.
I. Herkules.
1. Des Helden Jugend.
In Theben lebte ein König Amphitryon, der hatte eine schöne junge Frau, Namens Alkmene, und diese war Herkules' Mutter. Mit ihr, sagen die Dichter, hatte in des Mannes Abwesenheit der Gott Zeus sich heimlich vermählt, und die Frucht dieser Ehe war Herkules. Doch Juno, die eifersüchtige Gemahlin des Zeus, hatte die Untreue ihres Mannes erfahren und wollte sich nun an dem Knäblein rächen. Kaum war der junge Herkules acht Monate alt, so schickte sie zwei giftige Schlangen in seine Wiege; aber der Knabe streckte lächelnd seine Hände nach ihnen aus und erdrückte sie beide. Der Göttervaler gewann eine besondere Vorliebe für den schönen kraftvollen Knaben, und er dachte darauf, wie er diesem seinem Sohne die Unsterblichkeit verleihen könnte. Dazu gehörte nun freilich, daß der junge Herkules wenigstens Ein Mal an der Mutterbrust der Juno gesogen haben mußte; darum sann Jupiter mit dem Merkur darauf, wie die Himmelsgöttin überlistet werden könnte. Der allezeit fertige Götterbote säumte nicht lange; einst, als Juno schlief, eilte er mit Flügelschritten auf die Erde herab, holte den Kleinen und legte ihn der Juno an die Brust. Aber hier sog der Junge mit so gewaltigen Zügen, daß die Göttin erwachte und höchst aufgebracht über den erdgebornen Säugling ihn von sich riß. Sie that das mit solcher Heftigkeit, daß ein Theil der Milch verschüttet ward, die sich in dem Himmelsraume des blauen Aethers zertheilte und die Milchstraße bildete. Sieh da, wie im Kindesalter eines Volks die Dichtkunst der Wissenschaft vorgreift!
Amphitryon, ohne Eifersucht darüber, daß seine Gemahlin dem Jupiter einen Sohn geboren hatte, erkannte bald dessen große Bestimmung und sorgte nun eifrig dafür, daß das Götterkind frühzeitig von den besten Meistern in allen Künsten unterrichtet werde, durch welche sich in jener
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Zeit Helden auszeichneten. Allerlei kriegerische Uebungen wechselten mit friedlichen Geschäften ab. Herkules machte die auffallendsten Fortschritte, zeigte aber auch früh eine außerordentliche Heftigkeit. Sein Lehrer Linus, der ihn auf der Lyra unterrichtete, gab ihm einstmals Schläge, weil er schlecht gespielt hatte. Darüber wurde der Knabe so aufgebracht, daß er seinen Lehrer mit der Leier erschlug. Amphitryon entfernte ihn zur Strafe dafür von seinem Hofe und schickte ihn auf's Land, wo er die Heerden weiden mußte.
2. Herkules am Scheidewege.
In der Einsamkeit des Landlebens reifte der Knabe zum Manne heran; in der Einsamkeit ward dem Herkules seine große Bestimmung klar, ein Wohlthäter des Menschengeschlechts zu werden. Einst als er, mit großen Gedanken und Entwürfen in der Seele, ganz allein in der Gegend umherstreifte, gelangte er an einen Scheideweg. Indem er noch überlegte, für welche Richtung er sich entscheiden sollte, erschienen ihm plötzlich zwei Göttinnen. Die eine, schön und lockend von Gestalt, halb nackt und eitel sich selber beschauend, ging ohne Scheu auf den jungen Mann los, schmiegte sich an ihn und versprach ihm die höchste Wonne und Glückseligkeit, wenn er ihr folgen wolle. „Wer bist du?" fragte Herkules mit prüfendem Blicke. „Meine Freunde," sprach die Göttin mit selbstgefälligem Lächeln, „nennen mich das Vergnügen, meine Feinde aber das Laste r." Da schaute der junge Held nach der andern Göttin, die war nicht so schön, aber auf ihrem Antlitze strahlte ein himmlischer Friede, bescheiden, aber würdevoll stand sie da, und mit ihren klaren, hellen Augen schaute sie ernst und doch freundlich dem Manne in's Angesicht. „Wohin führst du mich?" sprach Herkules zu der strengeren Göttin. „Ich führe dich" — war die Antwort — „in Arbeit und Gefahren, aber verheiße dir Unsterblichkeit, Ehre und Ruhm bei Göttern und Menschen, wenn du meiner Leitung dich anvertrauest." Diese Worte ergriffen das Herz des Helden, er fühlte, daß er ein Göttersohn sei und Ehrenvolles auf Erden vollbringen müsse. So entschloß er sich schnell: er stieß die zudringliche Wollust zurück und reichte der bescheidenen Tugend seine Hand. Diese führte ihn rauhe Pfade, in zwölffacher Arbeit prüfte sie seinen Willen und seine Kraft, aber sie machte ihn auch zum Wohlthäter des Menschengeschlechtes, zum ersten Helden seines Volkes, von dem alle Dichter sangen, und weil er sich in allen Kämpfen als Held bewährte, erstieg sein Geist den Himmel und wohnte als ein Gott unter den Göttern.
3. Die zwölf Arbeiten des Herkules.
Um seinen Muth und seine Ausdauer zu prüfen, schickten die Götter den Herkules auf Befehl des Orakels zu Delphi zum Könige Eurystheus, auf daß er thue, was dieser ihm gebieten würde. Der Held folgte dieser
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göttlichen Weisung und murrte nicht, als ihm der strenge Eurystheus Schwereres auferlegte, als je ein Mensch vollbrachte.
1. Die erste Aufgabe war, einen Löwen zu erlegen, welcher in den Wäldern der Landschaft Argolis, zwischen N e m e a und Kleonä, große Verheerungen anrichtete und von keinem Geschosse erlegt werden konnte, da alle Pfeile von seinem zottigen Felle absprangen. Herkules griff das Raubthier mit seinen Fäusten an, drückte es zusammen und erschlug es dann mit seiner Keule. Das undurchdringliche Fell zog er ihm ab und hing es sich als Mantel um.
2. Er tödtete die Lernäische Schlange oder Hyder, ein schlangenarüges Ungeheuer mit hundert Köpfen, die immer wieder wuchsen, wenn sie auch abgehauen waren. Dieses Ungethüm hauste beiLernä, in den sumpfigen Einöden der Landschaft Argolis. Kein Mensch, kein Thier durfte sich in seine Nähe wagen, es zog sie alle in seinen Schlupfwinkel und verspeiste sie dann. Herkules ging diesem Ungeheuer zu Leibe in Begleitung seines Freundes Jo laus. Dieser mußte einen Wald anzünden und ihm einen brennenden Stamm reichen; sobald Herkules mit einem sichelförmigen Schwerte einen Kopf der Hyder abgehauen hatte, hielt er sogleich den Feuerbrand auf den Rnmpf, und der Kopf konnte nicht wieder neu wachsen. Als er so die Schlange glücklich erlegt hatte, tauchte er seine Pfeile in die Galle des Ungeheuers, wodurch sie vergiftet und unfehlbar tödtlich wurden.
3. Herkules mußte eine der Diana geweihte Hindin (Hirschkuh) einfangen. Dieses Thier hatte eherne Füße und goldene Hörner und lief so schnell, daß kaum der Pfeil es einholte. Aber Herkules ließ nicht nach; unverdrossen hetzte er das Thier so lange, bis es ermüdet niedersank und seine Beute wurde.
4. Er fing den erymantischen Eber, welcher um den Berg Erymantus her die Ebene Thessaliens verwüstete, lud ihn lebendig auf seine Schultern und brachte ihn dem erschrockenen Eurystheus nach Mycene.
5. Er reinigte in einem Tage die Ställe des Augias, Königs von Elis. Dreitausend Rinder hatten geraume Zeit in diesen Ställen gestanden, ohne daß der Dünger hinweggeräumt worden wäre. _ Die Aufgabe zu lösen, schien daher unmöglich. Aber Herkules riß eine Wand des Stalles ein, leitete einen Arm des Flusses Peneus in dieselbe, und so spülten die Fluchen den Unrath weg.
6. Er tödtete die Stymphaliden, ungeheure Raubvögel mit ehernen Flügeln und Schnäbeln, die sich in den dichten Waldungen am See Stymphalis in Arkadien aufhielten und in der Umgegend großen Schaden anrichteten.
7. Er fing den wüthenden Stier, der die Felder von Kreta verheerte. Minos derJüngere hatte sich denselben einst vom Neptun erbeten, ihn aber unter seine Heerde gebracht, wo er in Wuth gerieth imd Alles niederstieß. Herkules bemächtigte sich dieses wüthenden Stieres
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und brachte ihn lebendig nach Mycene; Eurystheus ließ ihn aber wieder los und nun verheerte das Thier die Gefilde Attika's.
8. Er brachte die Pferde des thracischen Königs Diome-des nach Mycene. Der grausame Diomedes ließ alle Fremdlinge diesen Thieren vorwerfen, und Niemand wagte sich nach Thracien, aus Furcht, von den Pferden verschlungen zu werden. Herkules, von mehreren muthigen Männern begleitet, schiffte sich nach Thracien ein, erschlug die Führer der Rosse, brachte diese zu Schiffe und führte die gefährlichen Thiere dem Eurystheus zu, welcher sie in Gebirgsklüfte treiben ließ, wo sie von wilden Thieren zerriffen wurden.
9. Er holte das Wehrgehänge der Amazonen-Königin Hippolyte. Er tödtete diese tapfere Königin in einem Treffen, das sie ihm mit ihrer entschlossenen und krieggewohnten Weiberschaar lieferte, nahm ihr das Wehrgehänge ab und brachte es der Tochter des Eurystheus.
10. Er holte die Heerden des Geryon von der Insel Erythia im westlichen Ocean und führte sie nach Mycene. Geryon war ein dreiköpfiger Riese, und seine Heerde ward von einem dreiköpfigen Hunde bewacht. Herkules erschlug beide mit seiner Keule.
11. Herkules brachte die goldenen Aepsel der Hesperiden und tödtete den Drachen, der sie bewachte. Diese Aufgabe war höchst schwierig, denn Herkules wußte Anfangs gar nicht, wo die Hesperiden-gärten lagen. Auf gut Glück ging er vorwärts, gelangte an das Nord-westende von Afrika, wo der Riese Atlas auf seinen Schultern den Himmel trug. Dieser entdeckte ihm den Aufenthalt der Hesperiden; dafür aber mußte Herkules eine Weile das Himmelsgewölbe auf seine Schultern nehmen.
Die Hesperiden waren Nymphen. Bei der feierlichen Vermählung des Jupiter und der Juno brachten die Götter verschiedene Hochzeitsgeschenke dar, und die Göttin der Erde, Gäa, ließ aus der Erde einen Baum hervorwachsen, der goldene Früchte trug. Diesen Baum sollten die Nymphen bewachen, aber sie ließen sich verleiten, von den goldglänzenden Früchten des Wunderbaumes zu naschen. Da schickte Juno zur Wache einen furchtbaren Drachen, welcher nie schlief. Herkules erschlug diesen Drachen mit seiner Keule, pflückte die schönen Aepsel und brachte sie dem Eurystheus.
12. Herkules vollführte zuletzt die allerschwerste Aufgabe; er holte denHöllenhundEerberus aus der Unterwelt. Pluto hatte nur unter der Bedingung die Erlaubniß gegeben, daß der Held sich an das dreiköpfige Ungeheuer wagen dürfe, wenn er ihn ohne Waffen anzugreifen wagte. Der kraftvolle Heros ging dem Unthier zu Leibe und bewältigte es mit seiner Riesenstärke. Herkules brachte den Höllenhund lebendig zuin Eurystheus; dieser aber befahl nun, das Thier wieder zur Unterwelt hinabzutragen. Auch dieses vollführte der hartgeprüfte Manu, und nun war er aus der Knechtschaft seines Peinigers erlöst. — Des Eurystheus Tochter aber, Namens Admete, wurde begeistert von den Thaten des
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Herkules, und wurde die Erste, welche die göttliche Verehrung des Heros einführte.
4. Herkules schafft in Aegypten die Menschenopfer ab und bezwingt den Riesen Antäus.
In Aegypten lebte ein Tyrann mit Namen Busiris. Der galt für einen Sohn Neptuns und hatte die Gewohnheit, alle Jahre einen Fremdling, der sein Land betrat, dem Jupiter zum Opfer zu schlachten. Dieses war ihm angerathen worden von dem Wahrsager Phrasius aus Cypern bei einer großen Dürre, die Aegyptenland heimsuchte. Busiris versuchte das Mittel zuerst an jenem Wahrsager, und siehe! die Dürre hörte auf. ^ feo hielt er die Gewohnheit aufrecht und opferte alle Jahre einen Menschen. Als Herkules ankam, führte man ihn gleichfalls zum Opferaltar; aber der Held besann sich nickt lange, er schlug den Busiris sammt seinem Sohne und Herolde todt und damit hatte das Menschenopfern ein Ende.
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Noch war ein Menschenwürger vorhanden, der Riese Antäus. Der war ein Sohn der Erde, und wenn er seine Mutter berührte, gewann er immer wieder neue Kraft. So überwältigte er Jeden, der es wagte, mit ihm zu ringen, denn seine Mutter leistete ihm stets Hülfe. Als der Riese den Herkules zum Kampfe aufforderte, salbte sich dieser mit Del und jener bcjtreute itch mit Sand. Herkules warf seinen Feind zur Erde; weil er aber merkte, daß jener immer neu gestärkt wieder aufsprang, hob er ihn tu die Höhe und erdrückte ihn zwischen seinen Armen.
5. Tod des Herkules.
Nachdem Herkules noch viele rühmliche Thaten vollbracht hatte, kehrte er nach Theben zurück. Von der großen Anstrengung ermattet, fiel er biet in eine Gemüthskrankheit, die zum heftigen Wahnsinn sich steigerte. In solchen trüben Anfällen verübte er leider manche Unglücksthat, plünderte sogar das delphische Orakel und beleidigte die Gottheit des Apoll. Da verkündigte ihm die weissagende Priesterin: „Du wirst nur dann von deinem Wahnsinn genesen, wenn du abermals auf drei Jahre als Sklave dich vermiethest!" Herkules befolgte den Rath und trat in den Dienst der Königin Omphale von Lydien. Diese bediente sich der Gewalt, die er ihr freiwillig über seine Person gegeben hatte, so wohl, daß sie ihn sogar vermochte, ^ ihre Kleider anzuziehen und sich an den Spinnrocken zu setzen, während sie sich mit seiner Löwenhaut bedeckte und seine Keule ergriff.
Nachdem er die drei Jahre wieder gehorsam überstanden hatte, vermählte er sich mit der Deianira. Ihr Vater hieß Oeneus, und da er sie keinem der mächtigen Freier abschlagen wollte, versprach er sie demjenigen, der in einem Wettkampf obsiegen würde. Herkules gewann den Preis. Als er mit seiner jungen Frau fortzog, kam er an den reißenden
Strom Evenus, an welchem der Centaur Nessus wohnte. Dieser erbot sich, Deianiren auf den Rücken zu nehmen und mit ihr durch den Fluß zu 'schwimmen, was ihm sehr leicht wurde, da er unten ein Pferd mit vier Füßen, oben ein Mensch mit zwei Armen war. Der Vorschlag ward gern angenommen. Deianira gelangte glücklich an das andere Ufer, aber dort wollte ihr der Centaur Gewalt anthun. Herkules, der ihr Geschrei hörte, spannte schnell seinen Bogen und schoß mit solcher Gewalt einen Pfeil über den Strom, daß er dem Ehrenräuber durch Brust und Rücken drang. Nessus fühlte bald, daß er mit einem von den Pfeilen verwundet sei, welche Herkules ehemals in das Gift der Hydra getaucht hatte. Um sich zu rächen, überreichte er sein wollenes, mit Blut getränktes Gewand der Deianira, und sagte ihr dabei, wenn sie einst die Untreue ihres Mannes besorge, möge sie ihm nur das Kleid tragen lassen, dann würde seine Liebe zu ihr zurückkehren.
Die Gelegenheit fand sich nur zu bald. Herkules hatte sich in einem Kampfe die schöne Prinzessin Jole erobert und Deianira ward eifersüchtig auf diese. Sie erinnerte sich des Gewandes vom Centauren Nessus. Als eines Tages Herkules auf einem Vorgebirge der Insel Euböa dem Jupiter ein Opfer bringen wollte, übersandte ihm seine Gemahlin ein schön zubereitetes Opferkleid. In dieses Kleid hatte sie die Wolle vom Gewände des Nessus verwebt. Kaum hatte Herkules dieses Kleid angezogen und mit seinem Körper erwärmt, als er einen brennenden Schmerz empfand. Er riß es wüthend vom Leibe, riß aber Haut und Fleisch mit weg. Vom Schmerz überwältigt, schleuderte er den Ueberbringer des verderblichen Geschenks vom Felsen in's Meer hinab. Als er fühlte, daß er nicht mehr lange leben könnte, ließ er sich nach Trachin übersetzen, wo Deianira aus Verzweiflung über die schreckliche Wirkung ihres Geschenks sich selber das Leben nahm. Hierauf ließ sich Herkules auf den Berg Oeta führen, legte sich auf einen breiten Scheiterhaufen, den ihm Jolaus errichten half, und befahl seinem Freunde Pöas, dem Vater des Philo kt et es, dem er zuvor seine Pfeile schenkte, solchen anzuzünden. Jupiter aber verzehrte den Scheiterhaufen und Alles, was noch sterblich an dem Helden war, mit seinen Blitzen, und nahm ihn in einer Wolke gen Himmel. Das Unsterbliche war gerettet, und Herkules lebte fortan als der größte der Halbgötter im Olymp.
H. Thesen s*j.
Die Landschaft Attika ward zur Zeit des Herkules von einem König beherrscht, der Aegeus hieß. Dieser hatte schon zwei Gemahlinnen, aber noch keine Kinder. Er fragte das Orakel um Rath, und dieses gab ihm
*) Nach K. F. Becker „Erzählungen aus der alten Welt."
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den räthselhaften Befehl, er sollte reisen. Aegeus machte sich auf den Weg und besuchte zuerst seinen Freund Pittheus, welcher Beherrscher von Tröcene war. Der gab dem Gastfreunde seine Tochter Aethra zur Frau, denn es war ihm geweissagt worden, sie werde durch einen Fremdling einen Sohn bekommen, dessen Name weit berühmt sein würde. — Aegeus verweilte noch einige Tage in Tröcene, dann schickte er sich zur Abreise an. Ehe er aber sein Schiff bestieg, ging er mit Aethra in eine abgelegene Gegend am Meere, wo große Felsstücke lagen, und stark wie er war, hob er einen großen Stein auf, und legte sein Schwert und seine Sohlen darunter. „Sieh, Aethra!" — sprach er — „wirst du mir einen Sohn gebären und er wächst heran, so führe ihn hierher an diesen Stein und laß ihn denselben aufheben. Kann er das, dann erst sage ihm, wer sein Vater ist; und sehe ich dann einmal einen Jüngling, mit diesen Sohlen angethan und mit diesem Schwerte gegürtet, zu mir kommen: so werde ich ihn mit Freuden für meinen Sohn erkennen!"
Aethra versprach das und trennte sich mit traurigem Herzen von ihrem neuen Gemahl. Dieser kam bald darauf glücklich wieder zu Athen an, und ließ sich gegen Niemand merken, wo er gewesen sei.
Aethra gebar einen Knaben, ganz so, wie es ein Orakel dem Pittheus vorausgesagt hatte. Dieser nannte seinen Enkel Theseus und erzog ihn mit großer Sorgfalt zu allen körperlichen Geschicklichkeiten, die damals den Mann schmückten und ehrten. Der Knabe wuchs zu einem schönen, starken und klugen Jüngling heran, und durch seinen Anblick allein tröstete sich die Mutter über die Langeweile ihres einsamen Lebens im elterlichen Hause, denn ihr heimlicher Gemahl Aegeus kam nie wieder.
Als Theseus seine volle Manneskraft erlangt hatte, wünschte er nichts mehr, als die Welt zu sehen und sich in Abenteuern zu versuchen. Dazu feuerten ihn besonders die Reden und Thaten des Herkules an, der oft auf seinen Zügen. bei seinem Gastfreund Pittheus einzukehren pflegte und sich schon oft über den kühnen Ehrgeiz des Jünglings gefreut hatte. Damals stand dieser Held schon im Mittagsglanze seines Ruhms und war, wohin er kam, ein Gegenstand der allgemeinen Bewunderung. Ihn also nahm der junge Theseus zum Vorbilde, und in der That hatte die Natur auch ihn zum Heroen bestimmt, denn in Körperkraft und Klugheit war er dem Herkules ähnlich.
Die zärtliche Mutter konnte ihren Sohn nicht länger zurückhalten; da führte sie ihn zu dem großen Steine hin, unter den vor 20 Jahren sein Vater Aegeus sein Schwert und seine Sohlen verborgen hatte. Mit Leichtigkeit wälzte Theseus den Stein hinweg, gürtete das Schwert um seine Lenden und band die Sohlen unter seine Füße. Die Mutter zeigte ihm darauf die Stelle am Ufer, wo sein Vater vormals abgesegelt sei, und rieth ihm, auch zur See nach Athen zu gehen.
Aber der kühne Jüngling verwarf den vorsichtigen Rath, denn gerade deshalb — meinte er — weil der Landweg nach Athen sehr gefährlich
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sei, müsse er diesen mit Fleiß einschlagen, damit er das Land Argolis und die Landenge, den waldigen Isthmus, von bösen Menschen säubere.
Theseus hatte kaum eine Tagereise zurückgelegt, so fand sich schon eine Gelegenheit, um seinen Muth zu erproben. In dem Walde von Epidauros wohnte nahe an der Straße ein übermüthiger Unhold, mit Namen Periphetes, der allen Vorübergehenden mit einer schweren Keule auflauerte und sie von hinten erschlug. Theseus, vorher schon gewarnt, durchsuchte die Gegend sehr vorsichtig, und als er den Riesen erblickte, forderte er ihn laut zum Kampfe heraus. Der Wilde kam trotzig hervor und schwang die Keule über ihm; aber ehe er sie niederschmettern konnte, war ihm schon des Jünglings scharfes Schwert in den Leib gefahren, daß er laut stöhnend zurückschwankte und rücklings auf die Erde fiel. Freudig steckte Theseus sein Schwert in die Scheide und ergriff die Keule des Periphetes, die nun sein treuer Begleiter ward.
Indem er getrosten Muthes weiter zog, kam er in bewohnte Gegenden, in welchen ihm die Leute schreckliche Geschichten von einem andern Wilden erzählten, den sie nur „den Fichtenbeuger" nannten, oder auch wohl Sinis, d. i. Bösewicht. Dieser Räuber hauste am Eingänge der korinthischen Landenge, und da bog er denn zwei benachbarte Fichten mit seinen starken Armen zusammen, indem er die Vorüberreisenden einlud, ihm das Kunststück nachzumachen; konnten sie das nicht, hing er sie an den Bäumen auf. Theseus, der außer dem Herkules noch keinen Mann gesehen hatte, der ihm an Stärke gleichgekommen wäre, war recht begierig, sich mit dem gewaltigen Sinis zu messen. Er kam, faßte die glattbehauenen Fichten und bog sie so kräftig zusammen, daß ihre Spitzen sich durchkreuzten. Bei diesem Anblick erblaßte der Bösewicht zum ersten Mal in seinem Leben, denn er merkte, daß die Strafe nahe sei. Theseus packte ihn an der Kehle und hängte ihn an der Tanne auf, einem Unglücklichen gegenüber, den Sinis vor Kurzem an der andern Tanne aufgeknüpft hatte.
Weiter kam Theseus in eine Gegend, wo große Eber hausten und alle Aecker der armen Einwohner verwüsteten. Diese Thiere wurden von dem Helden aufgejagt und erlegt; noch nie hatten die Leute einen so gewaltigen Jäger gesehen, und Alle strömten herzu, ihrem Wohlthäter zu danken.
Zwischen Korinth und Megara ging ein Weg an einem Felsenabhang hin, an welchem tief unten im Grunde das Meer fluthete. Vor diesem Engpasse warnte man den Theseus, denn dort lauere ein grausamer Riese, Skiron, den Wanderern auf, um sie plötzlich in's Meer zu stürzen. Noch Niemand hatte diesen Frevler bezwingen können; doch Theseus fürchtete sich nicht vor ihm. Er ging auf ihn los und rang lange mit ihm, endlich aber stürzte er ihn in denselben Abgrund, der schon so manche unschuldige Pilger verschlungen hatte.
Theseus kam Athen, der Hauptstadt seines Vaters, immer näher; aber ein Hauptkampf stand ihm noch bevor. Damastes, der Aus-
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dehner (Prokrustes) genannt, hauste am Ufer des Cephissus und lud alle Fremdlinge freundlich in seine Wohnung ein, bewirthete sie und führte sie dann höflich in eine Schlafkammer, wo zwei Bettgestelle standen, ein großes und ein kleines. War der Gast von kleiner Statur, legte er ihn in das große Bettgestelle, band ihn mit den Füßen an das untere Ende an und zog dann so lange am Kopfe, bis der Scheitel das obere Ende berührte; eine Folter, die immer mit dem Tode, endigte. War der Gast aber groß, so warf er ihn in die kleine Bettstelle und hackte ihm so viel von den Füßen ab, bis das Mißverhältniß gehoben war. Theseus, von der Gewohnheit des Unholds unterrichtet, kehrte freiwillig bei demselben ein und ließ sich ruhig in die Folterkammer fuhren. Damastes wies ihm das kurze Bett an, und er freuete sich schon tückisch auf den Aug enblick, da sein Gast sich niederlegen würde. Aber zu seinem Schrecken fühlte er sich plötzlich umschlungen, aufgehoben und selbst auf seine Folterbank niedergedrückt. Kein Bitten half; der Kopf ward mit den schon vorhandenen Schlingen festgeschnürt, die Beine wurden ausgestreckt und was zu lang war, mit dem wohlbekannten Beile abgehauen. Dann, um die Marter zu endigen, gab der Sieger mit seinem Schwerte dem Prokrustes noch einen Gnadenstoß.
Nun gelangte Theseus nach Athen; aber dort herrschte Zwietracht zwischen Aegeus und den Söhnen seines Bruders Pallas, die nach der Herrschaft strebten und denen der alte schwache König nicht zu widerstehen vermochte. Dem alten Vater kam der herrliche Sohn wie ein Engel vom Himmel; aber die Neffen des Königs stellten ihm nach dem Leben. Theseus faßte den weisen Entschluß, vor allen Dingen sich erst die Liebe des athenischen Volkes zu erwerben und ihm zu zeigen, daß er als Wohlthäter der Menschen gekommen sei. Ein grimmiger Auerochs irrte eben damals in den Feldern von Marathon umher; es war derselbe Stier, den Eurystheus losgelassen hatte. Das wüthende Thier streifte bis in die Nähe von Athen, und Keiner wagte sich mehr auf das Feld. Theseus faßte einen Wurfspieß in seine Rechte und begann sogleich den Kampf. Eine Menge Neugieriger Jchaute von den Stadtmauern herab zu, wie gewandt Theseus den Stößen des Thieres begegnete und wie kräftig er endlich den Spieß ihm in die Brust stieß. Frohlockend jauchzten die Athener dem Sieger entgegen.
Bald darauf leistete ihnen Theseus noch einen wichtigern Dienst. Der mächtige König Minos in Kreta, dem die Athener einen Sohn gelobtet hatten, war mit Heeresmacht herangezogen und hatte das Völk-lein der Athener gezwungen, ihm einen jährlichen Tribut von sieben Jünglingen und sieben Jungfrauen zu schicken, die in das Labyrinth, ein großes Gebäude mit vielen Jrrgängen, geworfen wurden, wo ein Ungeheuer, der Minotaur, sie verzehrte. Eben sollte wieder die Sendung der unglücklichen Opfer nach Kreta abgehen, da erbot sich Theseus, selber den Zug mitzumachen und als Opfer sich dem Minos zu stellen.
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Mil blutendem Herzen sah der alte Vater den blühenden Sohn scheiden; dieser versprach, im Fall er siegreich zurückkehrte, wollte er ein weißes Segel aufstecken anstatt des schwarzen, mit welchem die armen Kinder absegelten.
Das Schiff kam in Kreta an; die Knaben und Mädchen wurden ausgeschifft. Die schöne Gestalt und kräftige Mannheit des Theseus gefielen der Königstochter Ariadne, und bald hatte der Held ihr Herz gewonnen. Als nun die Opfer in das Labyrinth gebracht werden sollten, gab Ariadne dem Theseus heimlich einen Knäuel, dessen Faden er unbemerkt am Eingänge festknüpfte; nun drang er muthig mit seinem Schwerte bis zum Minotaurus vor. Dieser, halb Mensch, halb Stier, wollte den Helden verschlingen; aber Theseus hieb ihm den Kopf ab und kam mit den Seinigen glücklich wieder aus den Jrrgängen heraus. Heimlich entfloh er mit den sieben Knaben und den sieben Mädchen; auch Ariadne nahm er mit in sein Schiff, und fröhlich segelte die Gesellschaft nach Athen zurück.
Aegeus hatte schon lange mit Sehnsucht der Rückkehr des Schiffes geharrt: alle Tage ging er an das Gestade des Meeres und stellte sich auf einen Felsen, von dem er weit in die See hinausschauete. Jetzt kam das Schiff, noch konnte man die Farbe des Segels nicht erkennen; aber Theseus hatte vergessen, an die Stelle des schwarzen Segels ein weißes zu setzen. Der alte König schauet, und o Jammer! ein schwarzes Segel wehet auf dem Schiffe. Verzweiflungsvoll stürzt er sich in das Meer hinab, um in den Fluchen seinen Kummer zu begraben. Seitdem führt das Griechische Meer auch den Namen des „Aegäischen."
Bittere Reue kam in das Herz des Theseus, als er den Tod seines Vaters erfuhr. Doch die Athener jubelten und erwählten sogleich den heldenmütigen Sohn an der Stelle des Vaters zu ihrem Könige. Jetzt sann der Held darauf, wie er das Land, das er fortan regieren sollte, blühend und kräftig machen könnte. Zuerst beschloß er, die in weiter Entfernung zerstreuten Bewohner in einen Staat zu vereinigen. Athen bestand damals noch aus einer bloßen Burg, der Akropolis, und aus einigen um dieselbe herum gehenden Gassen, die zusammen mit einer Mauer umschlossen waren. Rings auf dem Felde umher lagen zwölf kleine Kolonien, Dörfern ähnlich, von denen jede ihren eigenen Beherrscher hatte. Theseus, im Vertrauen auf sein Ansehen, durfte es schon wagen, diesen kleinen Herrschern einen Vorschlag zu machen. Er lud sie ein, ihre Gerichtsbarkeit aufzugeben und sich mit der Mutterstadt zu vereinigen. Dafür sollten sie in einem Rathe Sitz und Stimme haben, in welchem auch Theseus nur ein Mitglied sein wollte. Ihr Herrscheramt gewann also im Grunde an Bedeutung, und so gingen denn die zwölf Häuptlinge in den Vorschlag des Theseus ein. Die engen Mauern von Athen wurden niedergerissen, die zwölf Dörfer schlossen sich an ihren gemeinsamen Mittelpunkt an. Die Einwohner wurden in drei Klassen
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abgetheilt, in Landbauer, Handwerker und Adlige. Unter den letzteren wurden alle jene regierenden Familien aufgenommen, und nur aus diesen die Mitglieder des hohen Gerichtshofes und die Priester erwählt.
Diese Einrichtungen waren ein sehr wichtiger Schritt zur Bildung, ein Schritt, den die Landschaft Attika allen andern griechischen Staaten vorausthat. Bald gewann der athenische Staat ein Ansehen in ganz Griechenland. Theseus vereinigte auch das benachbarte Gebiet von M e -gara mit Athen, maß dann die Grenzen von Attika ab, und weil er neue Spiele und neue Feste einführte, zog er die nächsten Nachbarn nach Athen, die gern sich in einer so lebenslustigen Stadt ansiedelten.
Für den Krieg hatte sich Theseus den Oberbefehl ausbedungen; da aber jetzt Alles in Frieden lebte, beschloß er, an einem Heldenzuge seines großen Meisters und Vorbildes Herkules Theil zu nehmen. Herkules hatte eben damals den Auftrag bekommen, den Gürtel der Amazonenkömgin zu holen, und warb überall in Griechenland tapfere Jünglinge zu Gefährten auf dem weiten Zuge. Theseus schloß sich mit Freuden an und gewann so sehr die Liebe seines Meisters, daß ihm dieser die schönste Beute, nämlich die Amazone Antiope, schenkte.
Indem er wieder nach Hause zurückkehren wollte, traf er auf einen verwegenen Jüngling, Namens Pirithous, den Sohn des Lapithen-königs Jxion aus Thessalien; dieser war in die marathonischen Felder eingebrochen, um dort eine zahlreiche Heerde zu entführen. Es war nicht sowohl Raubsucht, als vielmehr ein Kitzel, sich durch irgend einen kühnen Streich hervorzuthun, denn auch in ihm brannte die Begierde, unter den Starken und Berühmten seiner Zeit genannt zu werden. Noch hatte er Herkules und Theseus nicht gesehen, aber er sehnte sich nach ihrem Anblick. Er hatte vielleicht den Einfall in Marathon nur deshalb gethan, um mit dem Theseus persönlich bekannt zu werden.
Mit geheimer Freude und Bewunderung sah er hierauf wirklich den Helden erscheinen, denn daß es Theseus war, verrieth ihm sogleich der ausgezeichnete Adel der Gestalt, die Würde des Ganges und der Stimme. So etwas hatte er nie gesehen; er stand bewundernd still, faßte sich und rief ihm entgegen, indem er ihm zum Zeichen des Friedens die Hand hinstreckte: „Würdigster Held, ich weiche dir ehrfurchtsvoll. Sei selbst mein Richter! Welche Genugthuung verlangst du?" — Theseus sah ihn mit Wohlgefallen an. „Daß du mein Waffenbruder werdest," antwortete er ihm. Freudig fiel ihm Pirithous um den Hals, und Beide wurden unzertrennliche Freunde.
Noch manches Abenteuer bestand Theseus mit seinen Freunden gegen seine Feinde. Aber auf heimliche Feinde in seiner Nähe hatte er nicht geachtet; dies waren die Söhne seines Oheims Pallas, die Pallantiden genannt. Sie benutzten jede Gelegenheit, um den Theseus beim Volke zu verdächtigen, als strebe er nach der Alleinherrschaft. Die Athener vergaßen schnell die Wohlthaten, die ihnen der Held erwiesen, und ver-
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bannten ihn aus der Stadt. Er floh auf die Insel Skyros zum König Lykomedes; dieser nahm ihn freundlich auf, aber in seinem Herzen war er falsch gesinnt und trachtete, wie er den gefährlichen Gast am besten los werden konnte, denn er fürchtete sich vor den Pallantiden in Athen. Als nun Theseus gar keine Anstalt machte, wieder abzureisen, führte ihn der hinterlistige Lykomedes auf eine Felsenspitze, um ihm die ganze Landschaft und das Meer zu zeigen. Als der Held, ohne Arges zu ahnen sich umschaut, stößt ihn Lykomedes hinab in den Abgrund des Meeres. — So schmählich endete ein Wohlthäter des Menschengeschlechts. Die Athener bereuelen bald ihre Undankbarkeit, baueten dem Theseus Tempel und Altäre, und holten später seine Gebeine von der Insel Skyros nach Athen. In der Schlacht bei Marathon erschien ihnen der Geist des Helden, und man sagte, er habe sich an die Spitze der Athener gestellt und tapfer auf die Perser eingehauen.
Dritter Abschnitt.
Heroenzü ge.
Der Argonautenzug. Der trojanische Krieg.
Jason ober der Argonautenzug ^).
Als eine Vereinigung Vieler zu einem Zuge in's Ausland ist zuerst der Zug der Argonauten merkwürdig; er fällt in die früheste Periode der griechischen Geschichte, noch 60 Jahre vor dem trojanischen Krieg. Der Hauptheld dieser Unternehmung war Jason, ein thessalischer Königssohn.
In Thessalien lag die Stadt Jolkus, die von dem Großvater des Jason, der Kretheus hieß, gegründet ward. Des Kretheus Sohn, Aeson, hätte seinem Vater in der Herrschaft folgen sollen, aber Pelias, ein Anverwandter des königlichen Hauses, entriß diesem die Herrschaft, und Aeson mußte mit dem kleinen Jason auf das Land wandern, wo er in stiller Zurückgezogenheit seine Tage verlebte. Jason bearbeitete das Feld, wurde aber auch von dem Centauren Chiron in allerlei schönen Künsten unterrichtet und wuchs zu einem starken Jüngling heran.
Einst wollte Pelias dem Poseidon, dem Beherrscher des Meeres, ein Opfer bringen und lud viele Gäste dazu ein. Jason, der so eben seinen Erzieher verlassen hatte und in seine Heimath zurück wanderte, hörte von dem Feste in Jolkus und wollte es auch sehen. Als er an den Bach Anauros kam, war dieser durch Regengüsse sehr angeschwollen. Am Ufer weilte ein kleines schwaches Mütterchen, das auch gern hinüber wollte, nun aber unschlüssig am Ufer wartete. Jason hatte Mitleid mit der Frau, nahm sie auf seine starken Arme und trug sie wohlbehalten über das Wasser. Am andern Ufer bemerkte er zu seinem Schrecken, daß er einen Schuh habe im Schlamme stecken lassen, und mit dem andern Schuh allein auf das Fest zu gehen, schien doch nicht rathsam. Schon
*) Nach L. Stacke „Erzählungen aus der griechischen Geschichte."
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wollte er wieder umkehren; doch die alte Frau rieth ihm mit beredten Worten, getrost seine Wanderung fortzusetzen. Und kaum hatte sie gesprochen, so verschwand sie vor seinen Augen. Da erkannte Jason, daß er eine Göttin über den Fluß getragen hatte und ging getrosten Muthes weiter.
Dem Pelias hatte einst ein Orakel geweissagt, er solle sich vor dem Manne mit Einem Schuh hüten, denn er werde ihm Verderben bringen. Als nun Pelias den Jason mit Einem Schuh ankommen sah, erschrak er, denn er dachte an die Weissagung. Gern hätte er den Jüngling sogleich fortgeschickt oder heimlich ermordet; doch scheuete er sich, so sträflich das Gastrecht zu verletzen. Da sann er auf eine List. „Ich werde dir, Jason, mein Scepter abtreten und dir die Herrschaft geben, zu der du ohnehin ein Recht hast, wenn du ausziehest und mir das goldene Vließ eroberst." Der heldenmüthige Jüngling nahm sogleich diesen Vorschlag an und rüstete sich eiligst zu der großen Fahrt.
Mit dem goldenen Vließ verhielt es sich aber also. In der Stadt Orchomenus in Böotien herrschte einst ein König, welcher zwei Kinder hatte, einen Sohn, der Phrixus, und eine Tochter, die Helle hieß. Die Mutter dieser Kinder starb und es kam eine böse Stiefmutter, die ihnen nach dem Leben trachtete. Um dem Tode zu entgehen, floh der kühne Phrixus mit seiner Schwester Helle auf einem goldwolligen Widder über das Meer. Als sie aber an die Meerenge kamen, die Asien von Europa trennt, fiel Helle von dem Widder herab in's Meer, das von ihr den Namen „Hellespont", d. i. Meer der Helle, erhielt. Den Phrixus trug der Widder an die Küste des Schwarzen Meeres, in das Land Kolchis. Dort opferte er das goldwollige Schaf den Göttern, und das Fell oder Vließ hing er in dem heiligen Haine des Kriegsgottes Ares auf. Der König von Kolchis, Namens Aeetes, hielt das schöne Fell hoch in Ehren, denn es war ihm geweissagt worden, er werde so lange regieren, als er das goldene Vließ behielte. Darum ließ er auch den heiligen Hain mit einer großen Mauer umgeben und stellte einen feuerschnaubenden Drachen, dem nie der Schlaf in die Augen kam, vor den Eingang. Solches war dem Pelias wohl bekannt, und er vermeinte, der Drache solle den Jason verschlingen.
Jason rüstete indessen, und lud die berühmtesten Helden Griechenlands, unter ihnen den Herkules und Theseus, Kastor und Pollux und den Sänger Orpheus, zur Theilnahme ein. Es ward ein langes Kriegsschiff, eine fuufzigruderige Galeere gezimmert, welche den Namen Argo*) erhielt. Die Argoschiffer nannte man Argonauten. Der Kiel des merkwürdigen Schiffes war aus einer Eiche von Dodona gezimmert, welche die Gabe hatte, zu reden, ja zu wahrsagen; diese Gabe ging nun auch auf das Schiff über.
Als die Argo mit allen Walzen und Hebeln, woran die Helden selbst zogen, nicht vom Lande zu bringen war, sang der alte Orpheus und spielte
*) Arco heißt im Phönicischen „lang".
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dazu auf seiner Leyer, die ehemals Bäume bewegt hatte; alsbald erhob sich das Schiff und glitt vom Ufer herunter. Hierauf verband er die Argonauten durch ein großes Opfer, eine feierliche Rede und einen vorgesprochenen Eid, ihrem erwählten obersten Befehlshaber Jason in allen Gefahren treu zu bleiben.
Unter Jason's Anführung segelten nun die Helden ab. Beim Eingänge in das Schwarze Meer trafen sie auf die Symplegaden; das waren zwei Felsen, die beständig zusammenschlugen, so daß jedes Sä iff, welches hindurch wollte, von ihnen zerschmettert wurde. Die Argonauten erhielten von dem Wahrsager Phineus den Rath, eine Taube abzuschicken; wenn diese glücklich hindurch flöge, so möchten sie getrost vorwärts segeln, wenn sie aber umkomme, sollten sie die Durchfahrt nicht versuchen. Sie ließen eine Taube aus ihrem Schiffe fliegen; dieser wurden von den zusammenschlagenden Felsen nur ein paar Schwanzfedern ausgerissen, sonst kam sie mit dem Leben davon. Da bekamen die Argonauten Muth, sie fuhren hindurch und nur der hintere Theil des Schiffes wurde verletzt. Von dieser Zeit an standen die Symplegaden fest auf dem Grunde des Meeres, denn es war ihnen eine Weissagung zu Theil geworden, daß sie feststehen würden, wenn zuerst ein Schiff glücklich hindurchgefahren sei.
Auf einer Insel, die von den Dolionen bewohnt ward, herrschte ein König, mit Namen Cycicus. Diesem war die Ankunft der Argonauten geweissagt worden, und er nahm die Gäste sreundlich auf, versah sie auch bei ihrer Abfahrt mit allerlei Lebensmitteln. Kurze Zeit, nachdem die Argoschiffer wieder abgesegelt waren, trieb sie ein widriger Wind in denselben Hafen zurück, den sie eben verlassen hatten, den sie aber in der Finsterniß nicht erkannten. Die Dolionen glaubten, ihre Feinde, die Pelasger, wären gelandet, und trieben sie mit den Waffen in der Hand zurück. Darüber entstand ein hitziges Gefecht und Jason rannte dem Cycicus seinen Speer durch den Leib. Bei Tagesanbruch erkannten beide Theile ihren Irrthum. Man begrub den König mit großer Pracht und stellte ihm zu Ehren Leichenspiele an. Obgleich Jason den Mord wider Willen begangen hatte, so war doch Rhea, die Schutzgöttin des Landes, so erzürnt über ihn und seine Gefährten, daß der Steuermann Tiphys das Schiff nicht von der Stelle bringen konnte. Die Nacht daraus erschien Minerva dem Tiphys im Traume und gab ihm den Rath, der Göttin Rhea auf dem Berge Dindymus zu opfern; das that er, und Argus schnitzte ihr Bildniß aus Holz und erbaute ihr eine Kapelle.
Als die Schiffenden wieder abfahren konnten, geriethen sie nach manchen Abenteuern wieder auf eine Insel, und wurden da von den grimmigsten aller Raubvögel, den Stymphaliden, angefallen. Um sie von sich abzuhalten, setzten sie ihre Helme aus und schlugen mit den Spießen auf ihre Schilde. Durch dieses Getöse und das Winken der Federbüsche auf den Helmen wurden sie verscheucht.
Endlich gelangten die Helden an den Fluß Phasts in Kolchis, und da landeten sie. Jason ging alsbald zum Könige Aeetes und richtete
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seinen Auftrag aus, daß er das goldene Vließ dem Pelias überbringen müsse. Der König versprach ihm zu willfahren, wenn er zuvor zwei wilde Stiere mit ehernen Hufen und feuerspeienden Rachen allein an einen Pflug spannen, vier Hufen Ackerlandes damit umpflügen und in die Furchen Drachenzähne säen würde. Dann solle er noch eine Schaar Riesen erlegen, die aus den Drachenzähnen hervorwachsen würden. Das waren harte Bedingungen und Jason gerieth in nicht geringe Verlegenheit. Doch Medea, die Tochter des Königs und eine kluge Zauberin, half ihm aus der Noth. Sie hatte den schönen und tapferen Jüngling lieb gewonnen und versprach ihm ihren Beistand, wenn er schwören wolle, sie zu heirathen und in die Heimath mitzunehmen. Als Jason geschworen hatte, gab ihm Medea eine Salbe, mit welcher der Held seinen Schild, seine Lanze und seinen Körper bestrich. Diese Salbe machte ihn fest gegen alle Tritte und Stöße und Feuerflammen der Stiere.
Nun spannte Jason muthig die Thiere, welche im Haine des Tempels gepflegt wurden, an den Pflug, ohne von dem glühenden Athem der Stiere versengt zu werden. In die gezogenen Furchen streuete er die Drachenzähne und versteckte sich dann eiligst in den nahen Wald. Und siehe! es dauerte auch gar nicht lange, da wuchsen geharnischte Riesen aus dem Acker empor. Medea aber reichte ihrem Geliebten einen Stein, den warf Jason mitten unter die Schaar der Riesen. Da begannen diese unter sich selbst einen Zank und Streit, und in der Wuth erschlug einer den andern.
So hatte Jason seine Aufgabe glücklich gelöst; aber dennoch weigerte sich Aeetes, ihm das goldene Vließ zu geben; ja, er wollte sogar die Argo in Brand stecken und die Helden ermorden. Aber Medea führte den Jason des Nachts in den heiligen Hain, wo das Vließ hing; mit ihren Zauberkünsten schläferte sie den Drachen ein, der die Wache hielt, und Jason konnte unangefochten das Vließ fortnehmen. Noch in derselben Nacht bestieg er mit seinen Gefährten die Argo, nahm auch die Medea mit ihrem kleinen Bruder Absyrtus mit und fuhr in aller Stille von dannen.
Am andern Morgen gewahrte König Aeetes, daß er hintergangen sei, und zornigen Muthes setzte er den Flüchtlingen nach. Als Medea an den Segeln das Schiff ihres Vaters erkannte, ergriff sie ihren kleinen Bruder, schlachtete ihn, streuete die Glieder auf dem Wasser umher, den Kopf aber steckte sie auf einen Felsen an der Küste des Meeres. Aeetes erkannte bald die Glieder seines gemordeten Sohnes und sammelte sie mit kummervollem Herzen, um dem Todten die letzte Ehre zu erweisen. Indessen gewannen die Argonauten einen Vorsprung und entkamen glücklich der Verfolgung.
Als Jason mit der Medea in Jolkus ankam, überlegte er, wie er sich an dem Pelias für alle Grausamkeiten rächen sollte, die er und seine Familie von ihm erfahren. Medea nahm diese Rache allein über sich. ^ie versprach den Töchtern des Pelias, ihren alten Vater wieder jung zu machen. Damit sie an dieses Kunststück glauben möchten, zerstückle sie
Grube, Geschichtsbilder. I. _ 3
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einen alten Widder, that ihn in einen Kessel und kochte ihn. Bald darauf sprang ein junges Lamm aus dem Kessel. Die Schwestern (Alceste ausgenommen, welche keine Hand hierbei anlegen wollte) zerstückten ihren Vater und kochten ihn mit den Kräutern, die ihnen Medea gab. Weil sie ihnen aber die unrechten gegeben hatte, ward er nicht wieder lebendig.
Einige sagen, Medea habe vorher noch den Aeson, Jason's Vater wieder jung gemacht; Andere aber leugnen dies und behaupten, daß Pelias ihn durch Ochsenblut hingerichtet habe, weil er vernommen hätte, daß die Argonauten umgekommen wären.
Der trojanische Krieg.
(Um's Jahr 1200 v. Chr.)
I. Scenen aus der Jliade.
1. Die Hochzeit des Peleus unb der Thetis.
Als Peleus, ein König in Thessalien, seine Vermählung mit der Meergöttin Thetis feierte, waren alle Götter und Göttinnen zum Feste eingeladen, außer Eris, der Göttin der Zwietracht, weil man befürchtete, sie würde nach ihrer Gewohnheit Zank und Hader-stiften und die Heiterkeit des Festes stören. Vor Ingrimm über diese Zurücksetzung sann sie auf Rache. Während sich alle Gäste der Freude des Festes hingaben, öffnete sie die Thür des Saales und ließ einen goldenen Apfel mit der Aufschrift: „Der Schönsten!" über den Fußboden hinrollen. Kaum aber hatten die Göttinnen den Apfel und die Aufschrift gesehen, als sich über den Besitz derselben ein lebhafter Streit unter ihnen erhob, indem jede behauptete, die Schönste zu sein. Am meisten Ansprüche machte jedoch Here (lat. Juno), die Königin des Himmels und Gemahlin des Zeus (Jupiter), dann Pallas Athene (Minerva), die Göttin der Weisheit, und Aphrodite (Venus), die Göttin der Liebe. Da keine von ihnen nachgeben wollte, befahl Zeus, um allem Streit ein Ende zu machen, daß der Götterbote Hermes (Merkur) die streitenden Göttinnen zu einem durch seine Schönheit berühmten Prinzen führen sollte, nämlich zum Paris, Sohn des trojanischen Königs Priamus; dieser möge dann als Schiedsrichter ihren Streit schlichten. Der schöne Königssohn weidete gerade die Heerden seines Vaters am Berge Jda, als die drei Göttinnen vor ihm erschienen und ihm die Ursache ihres Streites vortrugen. Eine jede suchte ihn durch Versprechungen zu gewinnen: Here verhieß ihm, wenn er sie für die Schönste erklären würde, die Herrschaft über alle Länder der Erde; Athene versprach ihm den Ruhm eines Weisen unter den Menschen; Aphrodite aber gelobte, ihm Helena, die schönste Frau der Erde, zu
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schenken. Dieses Geschenk zog Paris allen übrigen vor; er erklärte Aphrodite für die schönste Göttin und überreichte ihr den goldenen Apfel. Zum Dank dafür geleitete die Venus den Paris nach Sparta in Griechenland, zum König Menelaus, der sich mit der schönen Helena vermählt hatte. Menelaus nahm den trojanischen Prinzen sehr gastfreundlich auf, aber dieser vergalt das Gastrecht schlecht. Denn eines Tages, wo der König abwesend war, entführte er diesem die Gemahlin mit allen ihren Schätzen und entfloh mit der kostbaren Beute nach Troja.
Darob schworen die Griechenfürsten den Trojanern Rache, und als König Priamus sich weigerte, die geraubte Helena zurückzusenden, begannen die Griechen einen Krieg gegen Troja, der zehn Jahre dauerte und mit dem Untergange dieses Reiches endigte.
2. Die Griechen in Aulis.
Am eifrigsten rüsteten sich zum Kriege Menelaus und sein Bruder Agamemnon, König von Argos und Mycene, der mächtigste der griechischen Fürsten. Sie entboten aber auch die Könige aller übrigen Griechenstädte, und es dauerte nicht lange, so strömten von allen Seiten Heerschaaren zusammen, um an dem Rachekriege gegen das übermüthige Troja Theil zu nehmen. Die Helden versammelten sich in dem Hafen Aulis in Böotien, wo eine Flotte von 1200 Schiffen, die über 100,000 Krieger trugen, zusammenkam. Lange schon lagen die Schiffe zur Abfahrt gerüstet im Hafen, aber anhaltende Windstille hielt die Harrenden zurück. Da brach Unzufriedenheit aus im griechischen Heere. Um nun die Ursache der ungünstigen Winde zu erfahren, wurde Kalchas, der Wahrsager, aufgefordert, seine Meinung zu sagen und ein Mittel anzugeben, wie dem Uebel abgeholfen werden könnte. Der Seher verkündigte, daß Artemis (Diana), die Göttin der Jagd, erzürnt sei, weil Agamemnon die ihr geheiligte Hirschkuh erlegt habe, und daß der Zorn der Göttin nur durch den Opfertod der Jphigenia, der Tochter Agamemnon's, versöhnt werden könnte. Das Vaterherz des Königs blutete bei diesem Ausspruch, aber die andern Fürsten drangen in ihn, daß er nachgeben mußte; einer der beredtesten Anführer, Odysseus, König von Jthaka, ging nach Argos und lockte die Jungfrau aus den Armen ihrer Mutter unter dem Vor-wande, daß sie im Lager mit Achilles, dem Tapfersten der Griechen, vermählt werden sollte. Schon stand die Jungfrau vor dem Opferaltare, schon zuckte der Priester das Schwert, sie zu durchbohren, da erbarmte sich Artemis der Unschuldigen, hüllte sie in eine dichte Wolke und entführte sie nach Tauris, an der Küste des Schwarzen Meeres gelegen, wo sie dieselbe zu ihrer Priesterin machte. An ihrer Stelle fand man am Altar eine weiße Hindin. Die Göttin war versöhnt; ein günstiger Fahrwind schwellte die Segel der Schiffe, die nun glücklich an der feindlichen Küste landeten.
Doch schon vor ihrer Abfahrt sollten die Griechen durch ein ungünstiges Vorzeichen an die lange Dauer des Krieges gemahnt werden. Bei einem Opfer schoß unter dem Altar ein gräulicher Drache hervor,
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schwang sich auf einen über dem Altar ausgebreiteten Platanenbaum, verschlang acht junge Sperlinge sammt ihrer Mutier, und wurde sofort von Zeus in einen Stein verwandelt. Dieses Zeichen erklärte Kalchas
wegen der Zahl neun dahin, daß die Griechen neun Jahre vor Troja
liegen und erst im zehnten die Stadt erobern wurden.
3. Der Kampf vor Troja.
Troja war eine stark befestigte Stadt in Kleinasien, welche die Griechen nicht beim ersten Angriff erobern konnten; sie mußten zu einer förmlichen Belagerung schreiten. Bald aber gingen ihnen die Vorräthe aus, und sie sahen sich genöthigt, einzelne Abtheilungen des Heeres abzusenden, um durch Plünderung der nahe liegenden Inseln und Küsten dem Mangel abzuhelfen. Die Trojaner hatten inzwischen ihre Bundesgenossen zu sich gerufen und leisteten tapfern Widerstand. Die Griechen schlugen ein befestigtes Lager auf, das aus hölzernen mit Rasen oder Schilf überdeckten Hütten bestand. Die Anführer kämpften auf Streitwagen, die mit ein oder zwei Rosien bespannt waren, die Gemeinen zu Fuß; Reiterei gab es noch nicht. Die Angriffswaffen waren Lanzen, Schwerter, Wurfspieße, Bogen und Schleuder; die Schutzwaffen bestanden in einem Helm, einem Brustharnisch und in Beinschienen von Erz, endlich in einem Schilde, der gewöhnlich mit Ochsenhaut, oft mit Erz überzogen war. Die Brust war durch einen Harnisch geschützt, an den sich ein Gürtel anschloß. Man kämpfte nicht in Masse, sondern die einzelnen Helden Mann gegen Mann. — Von den ersten neun Jahren des Kampfes wissen wir wenig, und nur die Geschichte des letzten Jahres ist uns durch die unsterblichen Gesänge Homer's bekannt geworden.
4. Paris' Kampf mit Menelaus.
Das Heer, auf Nestor's, des alten weisen Königs von Pylos, Rath nach Volksstämmen geordnet, stand in Schlachtordnung, als man endlich den Staub der aus ihren Mauern heranziehenden Trojaner gewahr wurde. Nun setzten sich auch die Griechen in Bewegung. Als beide Heere einander so nahe waren, daß der Kampf beginnen konnte, schritt aus der Reihe der Trojaner der Königssohn Paris hervor, in ein buntes Pantherfell gekleidet, den Bogen um die Schulter gehängt, sein Schwert an der Seite, und indem er zwei spitze Lanzen schwenkte, forderte er den tapfersten aller Griechen heraus, mit ihm den Zweikampf zu wagen. Als Menelaus den Unbesonnenen erblickte, freute er sich wie ein hungriger Löwe, dem eine ansehnliche Beute, etwa ein Gemsbock oder ein Hirsch, in den Weg kommt. Schnell sprang er in voller Rüstung von seinem Wagen zur Erde herab, den frevelhaften Dieb seines Hauses zu bestrafen. Dem Paris graute beim Anblick eines solchen Gegners, und als hätte er eine Natter gesehen, wandte er sich erblassend um und verbarg sich im dichtesten Gedränge der ©einigen. Als ihn Hektor, sein tapferer Bruder, so feige
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zurücklaufen sah, rief er ihm voll Unmuth zu: „Bruder! du bist wohl dem Scheine nach ein Held, in Wahrheit aber ein weibischer, schlauer Verführer. Wärest du lieber gestorben, ehe du um Helena gebuhlt! Siehst du nicht, wie die Griechen ein Gelächter erheben, daß du es nicht wagest, dem Manne Stand zu halten, dem du die Gattin gestohlen hast? Du verdienest es, daß der Mann dich zu Boden streckt, an welchem du dich versündigt hast!" Paris antwortete ihm: „Hektor! Dein Herz ist hart und dein Muth unwiderstehlich, wie eine Axt aus Erz, mit welcher der Schiffszimmermann Balken behaut. Du tadelst mich nicht mit Unrecht, aber schilt mir nicht meine Schönheit, denn auch sie ist eine Gabe der Unsterblichen. Willst du mich aber kämpfen sehen, wohlan! so heiß' Griechen und Trojaner von ihrem Kampfe ruhen, dann will ich um Helena und alle ihre Schätze mit dem Helden Menelaus vor allem Volk den Zweikampf wagen. Wer von uns Beiden siegt, soll die Helena heimführen; ein Bund soll es bekräftigen, ihr bauet alsdann in Frieden das trojanische Land, und jene schiffen heim nach Argos."
Freudig überrascht hörte Hektor diese Worte, er trat vor die Schlachtordnung heraus in die Mitte, und hemmte, den Speer vorhaltend, den Anlauf der trojanischen Haufen. Als die Griechen seiner ansichtig wurden, zielten sie um die Wette mit Wurfspießen, Steinen und Pfeilen nach ihm. Agamemnon aber rief laut in die griechischen Reihen zurück: „Haltet ein, Argiver, werfet nicht! Der helmumflatterte Hektor begehrt zu reden V* Die Griechen ließen ihre Hände sinken und verharrten in Schweigen ringsumher! Hektor verkündete mit lauter Stimme den Völkern den Entschluß seines Bruders Paris. Auf seine Rede folgte ein tiefes Stillschweigen; endlich nahm Menelaus das Wort: „Hört mich an" — rief er, „mich, auf dessen Seele der allgemeine Kummer am schwersten lastet! Endlich, so hoffe ich, werdet ihr Trojaner und ihr Argiver des Streites ledig werden und wir werden versöhnt von einander scheiden. Einer von uns Zweien soll sterben, ihr Andern aber sollt in Frieden scheiden. Laßt uns opfern und schwören, alsdann mag der Zweikampf beginnen!"
Beide Heere wurden froh über diese Worte, denn sie sehnten sich nach dem Ende des langen Krieges. Auf beiden Seiten zogen die Wagenlenker den Rossen die Zügel an, die Helden sprangen von ihren Streitwagen, schnallten ihre Rüstungen ab und legten sie ans die Erde nieder. Die Feinde lagerten ganz nahe bei den Feinden, als wären sie Freunde. Hektor sandle eilig zwei Herolde nach Troja, die Opferlämmer zu bringen und den König Priamus zu holen; auch der Heerführer Agamemnon schickte einen Herold nach den Schiffen, ein Lamm zu holen.
Eben saß Helena, durch die Götterbotin Iris, die auf dem Regenbogen zur Erde niederstieg, von dem bevorstehenden Zweikampf benachrichtigt, auf den Zinnen der Burg neben Priamus, als die Herolde die Bundesopfer durch die Stadt trugen. Der Herold Jdäus folgte mit einem blinkenden Weinkrug und goldenem Becher zum Brandopfer. Dieser uahete dem König Priamus und sprach zu ihm: „Mache dich auf,
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o König, es nahen sich beide, die Fürsten der Trojaner und der Griechen, sie rufen dich hinab ins Gefilde, damit du dort einen heiligen Vertrag beschwörest. Dein Sohn Paris und König Menelaus werden mit dem Speere kämpfen um das Weib; wer im Kampfe siegt, dem folgt sie mit den Schätzen. Alsdann schiffen die Danaer mit allen ihren Mannen nach Griechenland zurück!"
Der König erschrak; doch befahl er seinen Gefährten, die Rosse anzuschirren, und mit ihm bestieg Antenor den Wagen. Priamus ergriff die Zügel, und die Rosse flogen hinaus auf's Blachfeld nach dem Lager. Als sie zwischen den beiden Völkern angekommen waren, verließ der König mit seinem Begleiter den Wagen und schritt hervor in die Mitte. Nun eilten auch Agamemnon und Odysseus herbei. Die Herolde führten die Bundesopfer heran, mischten den Wein im Kruge und besprengten die beiden Könige mit dem Weihwasser. Dann zog der Atride Menelaus das Opfermesser, das er immer neben der Scheide seines großen Schwertes trug, schnitt den Lämmern das Stirnhaar ab, und rief den Göttervater an zum Zeugen des Bundes. Hierauf durchschnitt er den Lämmern die Kehlen und legte die geopferten zur Erde nieder. Die Herolde gossen unter Gebet den Wein aus goldenen Bechern und alles Volk von Troja und von Griechenland flehete dazu laut: „Jupiter und ihr unsterblichen Götter alle! Welche von uns zuerst den Eidschwur brechen, deren Gehirn fließe auf den Boden wie dieser Wein!"
Priamus aber sprach: „Jetzt, ihr Trojaner und Griechen, laßt mich wieder zu Jlion's hoher Burg zurückkehren, denn ich kann es unmöglich mit meinen Augen ansehen, wie hier mein Sohn auf Leben und Tod mit dem erzürnten Fürsten Menelaus kämpft: weiß es doch Zeus allein, welchem von Beiden der Untergang bestimmt ist!" So sprach der Greis, als seine Opferlämmer in den Staub gelegt waren, bestieg mit seinem Begleiter den Wagen und lenkte die Rosse wieder der Stadt Troja zu.
Nun maßen Hektor und Odysseus den Raum des Kampfplatzes ab und schüttelten in einem ehernen Helm zwei Loose, zu entscheiden, welcher der beiden Gegner zuerst die Lanze werfen sollte. Hektor, rückwärts gewandt, schwenkte den Helm, da sprang das Loos des Paris heraus. Beide Helden waffneten sich jetzt und wandelten im Panzer und Helm, die mächtigen Lanzen in der Hand, in der Mitte ihrer Völker, drohenden Blickes und von den Ihrigen angestaunt. Endlich traten sie in den abgemessenen Kampfraum einander gegenüber und schwangen zornig ihre Speere. Durch das Loos berechtigt, entsandte zuerst Paris den seinen; der traf dem Menelaus den Schild, aber die Lanzenspitze bog sich am Erz und sank zurück. Nun erhob Menelaus seinen Speer und betete dazu mit lauter Stimme: „Zeus, laß mich den strafen, der mich zuerst beleidigt hat, daß man noch unter den späten Enkeln sich scheue, Dent Gastfreunde Böses zu thun!" Schnell flog der Speer, durchschmetterte dem Paris den Schild, drang auch noch durch den Harnisch und durchschnitt auch den Leibrock an der Weiche. Darauf riß der furchtbare
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Atride sein Schwert aus der Scheide und führte einen gewaltigen Streich auf den Helm seines Gegners, aber knitternd zersprang ihm die Klinge. „Grausamer Zeus, was mißgönnst du mir den Sieg?" rief Menelaus, stürmte auf den Feind los, ergriff ihn am Helm und zog ihn umgewendet der griechischen Schlachtordnung zu; ja, er hätte ihn geschleift und der beengende Kehlriemen ihn erwürgt, wenn nicht die Göttin Aphrodite die Noth gesehen und den Riemen gesprengt hätte. So blieb dem Menelaus der leere Helm in der Hand; er schleudert ihn unwillig den Griechen zu und will den Gegner abermals packen. Aber siehe — Paris ist verschwunden, die Göttin hat ihn in eine Wolke gehüllt und schnell nach Troja entführt, wo sie ihn bei der geliebten Helena niedersetzte.
Auf dem Kampfplatze durchstürmte Menelaus noch immer wie ein Raubthier das Heer, um nach der verlorenen Beute zu spähen; aber weder ein Trojaner noch ein Grieche vermochte den Fürstensohn zu zeigen Da erhob Agamemnon seine weithinschallende Stimme und rief: „Höret, ihr Griechen und ihr Völker aus Troja 1 Menelaus hat gesiegt, ihr habt den Eid geschworen und gebet nun Helena mit den Schätzen zurück, bezahlet auch fortan den Griechen Tribut!" Die Danaer hörten diese Worte mit Jubel, die Troer aber schwiegen. Sie meinten, Paris, von den Göttern geschützt, sei noch nicht überwunden — und der Kampf entbrannte aufs Neue.
5. Hektor und Ajax im Zweikampf.
Einst sah die Göttin Pallas Athene (Minerva) vom hohen Olymp herab die zwei Brüder Hektor und Paris hineilen zum Kampf; da flog sie stürmisch hinab zur Stadt Troja. An Jupiter's Buche begegnete ihr Apollo, der von der Zinne der Burg, von wo er die Schlacht der Trojaner lenkte, daher kam, und seine Schwester also anredete: „Welcher Eifer ist doch über dich gekommen, Minerva! Bist du noch immer auf den Fall Troja's bedacht, Erbarmungslose? Hast du mir doch versprochen, für heute den entscheidenden Kampf ruhen zu lassen! Laß ein ander Mal die Feldschlacht toben, da du und die strenge Juno nicht ruhen, bis die hohe Stadt Ilion dahin sinkt!" Ihm antwortete Pallas Athene: „Fernhintreffer, es sei, wie du sagst. Aber wie gedenkst du den Kampf der Männer zu stillen?" — „Wir wollen" — sprach Apollo — „dem gewaltigen Hektor seinen Muth noch steigern, daß er einen Danaer fordere zum entscheidenden Zweikampf; laß uns dann sehen, was diese thun." Damit war die Göttin zufrieden.
Das Gespräch der Unsterblichen hatte der Seher Helenos in seiner Seele vernommen; eilig kam er zu Hektor und sprach: „Weiser Sohn des Priamus, wolltest du diesmal meinem Rathe gehorchen, der ich dein liebender Bruder bin? Heiß die Andern alle, Trojaner und Griechen, vom Streite ruhen; du selbst aber fordere den Tapfersten aller Argiver zum Zweikampf heraus. Es drohet dir kein Unglück, deß bin ich Bürge."
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Hektor freuete sich dieses Wortes. Er hemmte die trojanischen Heerhaufen und trat, den Speer in der Mitte haltend, zwischen die kämpfenden Heere. Auf dieses Zeichen ruhete alsbald der Streit auf beiden Seiten, denn auch Agamemnon ließ seine Krieger sich lagern. Minerva aber und Apollo setzten sich in Gestalt zweier Geier auf Jupiter's Buche und fteueten sich der tapferen Männer, wie sie in einem Lanzenwald so ruhig sich lagerten. In der Mitte der kämpfenden Völker begann nun Hektor also: „Trojaner und ihr Griechen, höret, was mir jetzt mein Herz gebietet! Den Bund, den wir unlängst geschlossen, hat Zeus selber zerrissen, das ganze Volk soll entscheiden, ob Troja falle oder nicht. Doch in eurem Heere sind die tapfersten Männer, und wer es wagt, mit Hektor zu kämpfen, der trete heraus und stelle sich mir. Falle ich im Kampfe, so mag der Sieger meine Waffen zu den Schiffen seines Volkes tragen, meinen Leib aber nach Troja senden; wenn aber Apollo mir Ruhm verleiht, so hänge ich die Rüstung des Besiegten auf zu Troja im Tempel des Phöbus Apollo."
Die Danaer schwiegen, denn es war gefährlich, den Kampf anzunehmen, und schimpflich, ihn zu verweigern. Da erhob sich Menelaus und strafte seine Landsleute mit den Worten: „Wehe mir, nicht Männer seid ihr, sondern Weiber. Ist keiner unter euch, der dem Hektor widerstehet? O, verwandelt euch in Koth, ihr Memmen, ich aber will zum Kampfe mich gürten!" So sprach er und griff nach der Rüstung; aber die Griechen hielten ihn zurück, und sein Bruder Agamemnon erfaßte seine Rechte und sprach: „Hüte dich, Bruder, mit dem starken Manne zu streiten, der schon so manchen tapferen Griechen in den Sand streckte!" Und der kluge Greis Nestor hielt eine Rede an das Volk. „Wäre ich noch so jugendlich, wie ihr, die ihr zaudert, ich würde selbst zum Kämpfer mich stellen!" Da drängten sich die besten Helden herzu, Odysseus, Diomedes, die beiden Ajax und Jdomeneus; sie alle erboten sich zu dem gefürchteten Kampf. „Das Loos mag entscheiden" — so begann abermals Nestor — „und wen es auch trifft, er wird kämpfen, daß die Griechen sich freuen!" Nun bezeichnete sich jeder selbst sein Loos, und jeder warf seines in den Helm Agamemnons; das Volk betete, Nestor schüttelte den Helm und heraus sprang das Loos des Telamoniers Ajax. Freudig warf der Held sein Loos vor die Füße und rief: „Freunde, wahrlich es ist meines, und mein Herz ist froh, denn ich hoffe über Hektor zu siegen."
Schnell hatte Ajax den riesigen Leib in blinkende Erzwaffen gehüllt, und als er kühn hervorschritt, war er dem schrecklichen Kriegsgott selber ähnlich. Die Troer zitterten und der gewaltige Hektor ward ernst. Ajax näherte sich ihm, den ehernen siebenhäutigen Schild vortragend. Als er ganz nahe vor Hektor stand, sprach er drohend: „Hektor, nun magst du erkennen, daß es unter dem Danaervolk noch Helden giebt, auch wenn der göttergleiche Achilles aus dem Kampfplatze fehlt. Wohlan denn, beginne den blutigen Kampf!" Ihm antwortete Hektor: „Herrlicher Sohn des Telamon, versuche mich nicht wie ein schwaches Kind oder ein un-
kriegerisches Weib. Sind mir doch die Männerschlachten wohl bekannt; ich weiß den Stierschild zu wenden rechts und links, weiß den Tanz des schrecklichen Kriegsgottes zu tanzen und die Rosse im Gewühl zu lenken! Wohlan, nicht mit heimlicher List sende ich dir den Speer, tapferer Held, nein, öffentlich!" Mit diesen Worten entsandte er in hohem Schwünge die Lanze, und sie fuhr dem Ajax in den Schild, durchdrang sechs Schichten und ermattete erst in der siebenten Haut. Jetzt flog die Lanze des Tela-moniers durch die Luft; sie zerschmetterte dem Hektor den ganzen Schild, durchschnitt seinen Leibrock und würde ihm in die Weiche gedrungen sein, wenn nicht Hektor ihrem Fluge ausgebogen wäre. Beide zogen die Speere aus den Schilden und rannten wie unverwüstliche Waldeber aufs Neue gegen einander. Hektor zielte, mit dem Speere stoßend, auf die Mitte des Schildes, aber seine Lanzenspitze bog sich an der harten Haut und durchbrach das Erz nicht. Ajax jedoch durchbohrte mit seinem Speere den Schild seines Gegners und streifte ihm selbst den Hals, daß ihm schwärzliches Blut entspritzte. Da wich Hektor ein wenig rückwärts, seine nervige Rechte aber ergriff einen Feldstein und traf damit den Schildbuckel des Feindes, daß das Erz erdröhnte. Doch Ajax hob einen noch viel größeren Stein vom Boden auf und sandte ihn mit solchem Schwünge dem Hektor zu, daß er den Schild einwärts brach und dem Gegner das Knie verletzte Hektor sank rücklings nieder, doch verlor er den Schild nicht aus der Hand, und Apollo, der unsichtbar ihm zur Seite stand, richtete ihn schnell wieder auf. Beide Helden wollten nun mit dem Schwerte auf einander los, um den Streit endlich zu entscheiden; da eilten die Herolde der beiden Völker herbei und streckten die Stäbe aus. zwischen den Kämpfenden.
„Nun ist es genug des Kampfes," rief Jdäus, der trojanische Herold, „ihr seid ja Beide tapfer und von Jupiter geliebt, deß sind wir alle Zeugen!" Und Hektor selbst sprach zum Held Ajax: „Ein Gott hat dir, o Ajax, den gewaltigen Leib, die Kraft und die Speerkunde verliehen; darum laß uns heute ausruhen vom Kampfe der Entscheidung; ein ander Mal wollen wir so lange fechten, bis die Götter dem einen Volke Sieg, dem andern Verderben bereiten!" Da wurde Ajax freundlich und reichte seinem Gegner die Hand. Und Hektor sprach weiter: „Nun laß uns aber auch einander noch rühmliche Gaben schenken, damit es einst bei Griechen und Trojanern heiße: „„Sehet, sie kämpften zusammen den Kamps der Zwietracht, aber in Freundschaft sind sie von einander geschieden !"" Nach diesen Worten löste Hektor sein Schwert mit dem silbernen Griff und der silbernen Scheide und dem zierlichen Wehrgehenk. Ajax aber löste seinen purpurnen schöngestickten Gurt vom Leibe und bot ihn dem Hektor dar. So schieden die trefflichen Helden.
6. Achilles.
Wir haben oben der Hochzeit des Peleus mit der Göttin des Meeres Erwähnung gethan; aus dieser Ehe entsproß ein Sohn, der Achilles genannt wurde und sich bald durch Schönheit, Schnelligkeit und Tapferkeit
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hervorthat. Thetis, seine Mutter, wollte ihn gleich nach seiner Geburt unsterblich machen und tauchte daher ohne Wissen des Peleus bei nächtlicher Weile den Knaben in ein Feuer, um das Sterbliche an ihm zu vertilgen, des Tages aber übersalbte sie ihn mit Ambrosia. Doch Peleus lauerte ihr einst aus, und als er den Knaben über dem Feuer zappeln sah, schrie er laut auf und hinderte seine Gemahlin, ihr Vorhaben ganz zu vollenden. Zornig verließ diese ihren Gemahl, um nie wieder das Haus des sterblichen Mannes zu besuchen; sie tauchte hinab in die Tiefe des Meeres zu ihren Eltern und Geschwistern. Achilles war aber durch das Feuer unverwundbar geworden bis an die Fersen, an denen ihn seine Mutter gehalten hatte und welche deshalb vom Feuer nicht berührt werden konnten.
Peleus brachte seinen Sohn zum weisen Chiron, daß dieser ihn zu einem Helden erziehen sollte. Dieser nährte seinen Zögling mit den Eingeweiden der Löwen und dem Mark der Eber und Bären, wodurch er stark und kräftig wurde. Dem Achilles war vom Schicksal ein doppeltes Loos bestimmt worden: entweder sollte er fern von Waffen und Kämpfen, aber auch ruhmlos, als hochbetagter Greis in seiner Heimath sterben, oder in der Blüthe der Jahre auf fremder Erde fallen, dann aber auch mit Ruhm gekrönt werden. Zwischen beiden Loosen hatte er die Wahl. Die Göttin Thetis wollte ihren Sohn aus mütterlicher Liebe vor dem frühen Tode bewahren, und brachte ihn heimlich zum König Lykomedes auf der Insel Skyros. Denn Kalchas hatte geweissagt, daß Troja nicht ohne Achilles würde erobert werden. Als nun ganz Griechenland sich rüstete, wollten die Fürsten auch den Heldenjüngling Achilles einladen zum Kampfe, aber er war nirgends zu finden. Indeß gelang es dem schlauen Odysseus, der immer Rath wußte, ihn aufzufinden und zum Kampfe zu bestimmen. Odysseus verkleidete sich als Kaufmann, nahm allerlei Waren mit sich und erschien so am Hose des Königs Lykomedes auf der Insel Skyros. Da hatte man den Achill in Mädchenkleider gesteckt und er ward mit den Töchtern des Königs erzogen. Odysseus nun breitete vor den Mädchen schöne Armspangen, Bänder, Ringe und andere Schmucksachen aus, darunter aber auch Waffen. Die Töchter des Lykomedes griffen nach den Schmucksachen, Achilles nach den Waffen. Dadurch verrieth er sein Geschlecht und die blitzenden Waffen erweckten seine Kampflust so gut, daß er dem Odysseus willig nach Aulis folgte.
Achilles war der furchtbarste Feind der Trojaner, wen seine Lanze traf, der war verloren; er allein verwüstete 23 Städte in der Landschaft Troas. Im zehnten Jahre des Kampfes hatten die Griechen eines Tages große Beute gemacht, Achilles forderte die schöne Sklavin Briseis für sich, aber der Völkerfürst Agamemnon verweigerte sie ihm. Darüber entstand ein heftiger Streit, dessen Ende war, daß Achilles mit den Schaaren seiner Myrmidonen, die er aus Thessalien hergeführt hatte, von den übrigen Griechen sich trennte. Er lag nun ruhig in seinem Zelte, vertrieb sich mit den Klängen der Cither die Zeit und schaute ruhig dem
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Kampfe zu. Die Trojaner kamen dem griechischen Lager immer näher und wurden immer kühner, weil Achilles fehlte. Doch den zornigen Peliden kümmerte das nicht, Odysseus vermochte mit all seiner Beredt-samkeit nichts mehr über ihn, und er wollte in wenigen Tagen in seine Heimath wieder zurückkehren.
Da geschah es, daß Patroklus in der Rüstung seines Freundes Achilles gegen die Troer zum Streite auszog. Diese glaubten den Achilles selber zu schauen, flohen nach der Stadt oder wurden, wenn sie dem Patroklus widerstanden, niedergestreckt. Doch zu weit ließ er sich von seiner Kampflust fortreißen; Hektor, der gewaltige Sohn des Priamus, stellte sich ihm selber entgegen, und Patroklus erlag diesem Kriegshelden im Streite. Als Achilles die Leiche des theuren Gefährten sah, ward es Nacht vor seinen Augen, mit beiden Händen griff er nach dem schwarzen Staube und bestreute sein Haupt, Antlitz und Gewand. Dann warf er sich, so riesig er war, zu Boden und raufte sich das Haupthaar aus, und sein Jammergeschrei schallte so fürchterlich in die Lüfte hinaus, daß seine Mutter die Stimme des Weinenden vernahm und, aus dem Meere auftauchend, zu ihrem Sohne eilte. Hier vernahm sie sein Leid und hörte seinen Entschluß, den gefallenen Freund zu rächen. Da aber seine Rüstung in Hektors Händen war, begab sich die Meergöttin selbst in die Wohnung des Hephästos (Vulkan), des Schmiedegottes, der auf ihre Bitten dem Achilles eine neue prächtige Rüstung verfertigte. Diese brachte die besorgte Mutter zu ihrem immer noch klagenden Sohne.
Der aber ging nun in die Volksversammlung und söhnte sich aus mit dem Völkerfürsten Agamemnon, und jetzt zog mit neuem Muth das Griechenheer in die Schlacht, in der nicht nur Menschen, sondern diesmal die Götter des Olympos selber mitkämpften - auf Seiten der Troer, wie auf Seiten der Griechen. Der furchtbare Mars brüllte wie ein Sturm, die schadenfrohe Eris tobte durch die Schaaren, dazu donnerte Zeus vom Olymp, und Poseidon, der Beherrscher des Meeres, erschütterte die Erde, daß Pluto selber in seinem unterirdischen Reiche erschrak. Achilles wüthete wie ein gereizter Löwe unter der Heerde, seine Rosse trabten stampfend über Schilder und Leichname dahin, die Achse seiner Wagenräder troff von Blut, und bis zu den Rändern des Sitzes spritzten die Tropfen empor. So drängte er die Fliehenden in den Strom Skamander und stürzte sich mit dem Schwerte ihnen nach. Bald röthete sich das Wasser von Blut, seine Hände wurden starr vom Morden und der Stromgott Skamander selbst ergrimmte ob des entsetzlichen Würgens. Er fing an zu schwellen, regte seine trüben Fluthen auf, warf die Getödteten mit lautem Gebrüll an's Gestade und seine Brandung schlug schmetternd an den Schild des Achilles. Nur mit Mühe, über die Aeste einer losgerissenen Ulme klimmend, erreichte dieser das Ufer, aber der Flußgott rauschte ihm nach, die Wogen bespülten seine Schultern und raubten ihm den Boden unter den Füßen. Da kam Minerva und half ihm, daß er das Ufer wieder gewann. Doch der zornige Stromgott rief den benachbarten Simois
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zu Hülfe, und erst als Hephästos mit feinem Feuer die Bäume am Gestade anzündete, die Fische, von der Gluth erschreckt, angstvoll nach frischem Wasser schnappten, der Strom endlich selbst in lichten Flammen wogte, flehete er die Göttermutter Juno um Mitleid an, und aus deren Befehl löschte Hephästos die Gluth, der Skamander aber rollte in feine Ufer zurück.
7. Hektor und Andromache.
Als die Feldfchlacht vor Troja's Mauern so furchtbar tobte, eilte Hektor in die Stadt zurück, um feine Mutter Hekuba zu mahnen, sie möchte doch durch feierliche Gelübde die erzürnte Pallas Athene (Minerva) versöhnen, daß Achilles nicht mit übermenschlicher Kraft zum Siege gelange. Der treffliche Mann benutzte die Gelegenheit, nach Weib, Kind und Gesinde zu schauen, bevor er wieder in die tobende Feldschlacht eilte. Die Gattin aber war nicht zu Hause. „Als sie hörte" — sprach die Schaffnerin — „daß die Trojaner Noth leiden und der Sieg sich zu den Griechen neige, verließ sie angstvoll das Haus, um einen der Thürme zu besteigen. Die Wärterin mußte ihr aber das Kind nachtragen."
Schnell legte Hektor den Weg durch die Straßen Troja’s jetzt wieder zurück. Als er das Sküische Thor erreicht hatte, kam seine Gemahlin Andromache eilenden Laufes gegen ihn her; die Dienerin, ihr folgend, trug das unmündige Knäblein Astyanax, schön wie ein Stern, an der Brust. Mit stillem Lächeln betrachtete der Vater den lieblichen Knaben, Andromache aber trat weinend an feine Seite, drückte ihm zärtlich die Hand und sprach: „Entsetzlicher Manul Gewiß tödtet dich noch dein Muth, und du erbarmst dich weder deines stammelnden Kindes noch deines unglückseligen Weibes, das bald eine Wittwe fein wird. Sollte ich dich verlieren, so wäre es das Beste, ich sänke auch zur Unterwelt hinab. Den Vater hat mir Achilles getödtet, meine Mutter hat mir der Bogen Diana's erlegt, meine sieben Brüder hat auch der Pelide umgebracht. Ohne dich habe ich keinen Trost, mein Hektor, du bist mir Vater und Mutter und Bruder. Darum erbarme dich, bleibe hier auf dem Thurme; mache dein Kind nicht zur Waise, dein Weib nicht zur Wittwe! Stelle das Heer dort an den Feigenhügel, dort ist die Mauer zum Angriffe frei und am leichtesten zu ersteigen, dorthin haben die tapfersten Krieger, die Ajax beide, die Atriden (Menelaus und Agamemnon), Jdo-ineneus und Diomedes schon dreimal den Sturm gelenkt — fei es, daß ein Seher es ihnen offenbarte oder daß das eigene Herz sie trieb."
Liebreich antwortete Hektor feiner Gemahlin: „Auch mich härmt alles dieses, Geliebteste! Aber ich müßte mich ja vor Troja's Männern und Frauen schämen, wenn ich hier aus der Ferne feig und erschlafft dem Kampfe zuschauen wollte. Auch treibt mich mein Muth, in den vordersten Reihen zu kämpfen. Wohl sagt es mir eine Stimme im Herzen: Einst wird kommen der Tag, wo das heilige Ilion hinsinkt, und Priamus und all fein Volk: aber das Leid meiner Brüder und meines Volkes ist nicht so bitter, als wenn das Weib Hektors, fortgeführt in die Gefangenschaft,
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zu Argos am Webstuhl sitzen und Wasser tragen muß, und die Männer dann auf die Weinende schauen und mitleidig sprechen: Das war Hektors Weib!" So sprach der tapfere Mann und streckte seine Hände nach dem Knäbchen aus; aber das Kind schmiegte sich schreiend an den Busen der Amme, denn es fürchtete sich vor dem ehernen Helm und dem fürchterlich wehenden Roßschweif. Der Vater schaute das Kind und die zärtliche Mutter lächelnd an, nahm sich schnell den schimmernden Helm vom Haupte, legte ihn zu Boden, küßte sein geliebtes Kind und wiegte es auf dem Arm. Dann flehte er zum Himmel gewandt: „Zeus und ihr Götter! Laßt dieses Knäblein werden dem Vater gleich, voranstrebend dem Volke der Trojaner; laßt es mächtig werden in Troja, und wenn es einst heimkehrt aus dem Streit, dann möge das Volk sprechen: Der Sohn ist noch tapferer als der Vater!" Mit diesen Worten gab er den Sohn der Gattin in den Arm, die unter Thränen lächelnd ihn an ihren Busen drückte. Hektor aber streichelte sie, inniger Wehmuth voll, mit der Hand und sagte: „Armes Weib! trauere nicht zu sehr in deinem Herzen; gegen den Willen der Götter wird mich Niemand todten, dem Verhängniß aber ist noch kein Sterblicher entronnen. Gehe du nun zurück in dein Haus zum Webstuhl und zur Spindel und befiehl deinen Weibern; der Mann aber muß hinaus in die Schlacht und siegen oder sterben." Und wie er das gesagt, nahm Hektor rasch seinen Helm und eilte sofort in das Getümmel der Schlacht. Weinend und kummervoll schaute das blühende Weib ihm nach.
8. Achilles und Hektor.
Immer näher kam Achilles geschritten, dem Kriegsgott an furchtbarer Herrlichkeit gleich; auf der rechten Schulter wiegte sich die schreckliche Lanze aus Eschenholz vom Pelion, seine Erzwaffen schimmerten um ihn wie eine Feuersbrunst oder wie die aufgehende Sonne. Als Hektor ihn sah, ward er beklommen um's Herz, seine Füße zitterten und er wandte sich um, dem Thore zu. Doch hinter ihm her flog der Pelide wie ein Falke hinter der Taube, die oft seitwärts schlüpft, während der Raubvogel gerade andringt in seinem Fluge. So flüchtete Hektor längs der Mauer von Troja über den Fahrweg hinüber an den beiden sprudelnden Quellen des Skamander vorbei, der warmen und der kalten, immer weiter um die Mauer, und ein Starker floh, aber ein Stärkerer folgte. Also kreisten sie dreimal um die Stadt des Priamus, und aufmerksam schauten die ewigen Götter vom Olymp auf den Kampfplatz herab und mit Schrecken schaueten Priamus und die ©einigen die Gefahr des besten Trojaners. Wie ein Jagdhund den aus seinem Lager aufgescheuchten Hirsch, so bedrängte Achilles den Hektor, er gönnte ihm keinen Schlupfwinkel und kerne Rast. Auch winkte er den Griechen zu, daß keiner sein Geschoß auf Hektor werfen und ihm, dem Achilles, nicht den Ruhm schmälern sollte, den furchtbaren Feind der Griechen mit eigner Hand erlegt zu haben.
Als sie nun zum vierten Male auf ihrer Runde um die Mauer an die Quelle des Skamander gelangt waren, da erhob sich Jupiter auf
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dem Olymp, streckte die goldene Wage vor und legte zwei Todesloose hinein, das eine für den Peliden, das andere für Hektor. Dann faßte er die Wage in die Mitte und wog; da sank Hektors Wagschale tief nach dem Hades zu, und augenblicklich verließ Phöbus Apollo seine Seite. Zu Achilles aber trat Pallas Athene, die kriegerische Göttin, und flüsterte ihm in's Ohr; „Steh' und erhole dich, während ich jenem zurede, dich kühn zu bekämpfen." Achilles lehnte sich, der Göttin gehorchend, auf seinen ehernen Speer, sie aber, in der Gestalt des Deiphobos, trat ganz nahe zu Hektor und sprach zu ihm: „Ach, mein älterer Bruder, wie bedrängt dich der Pelide! Wohlan, laß uns Stand halten und ihn abwehren!" Freudig aufblickend, erwiederte Hektor: „Du warst immer mein trautester Bruder, Deiphobos, jetzt aber liebt dich mein Herz noch mehr, daß du dich herauswagst aus der Stadt, während die Andern alle hinter der Mauer sitzen." Athene winkte dem Helden zu und schritt, die Lanze gehoben, ihm voran, dem ausruhenden Achill entgegen. Diesem rief Hektor zuerst zu: „Nicht länger entfliehe ich dir, o Pelide, mein Herz drängt mich, dir Stand zu halten, daß ich dich tödte oder selber falle! Laß uns aber bei den Göttern schwören: wenn mir Jupiter den Sieg verleiht, werde ich dich nimmer mißhandeln, sondern die Leiche deinen Volksgenossen zurückgeben, nachdem ich dir die Rüstung abgezogen habe. Ein Gleiches gelobe auch mir."
„Nicht von Verträgen geplaudert!" erwiederte finster Achilles. „So wenig ein Hund zwischen Menschen und Löwen Freundschaft stiftet, so wenig zwischen Wölfen und Lämmern Eintracht ist, so wenig wirst du mich dir geneigt machen, und Einer von uns muß blutig zu Boden stürzen. Nimm deine Kunst zusammen; du mußt Lanzenschwinger und Fechter zugleich sein. Doch du wirst mir nicht entrinnen; das Leid, das du mir und den Meinigen gethan, sollst du nun auf einmal büßen!" So schalt Achilles und schleuderte die Lanze. Doch Hektor sank schnell in's Knie und das Geschoß flog über ihn weg in die Erde. Hier faßte es Athene und gab es dem Peliden, unbemerkt von Hektor, zurück. Mit zornigem Schwünge entsandte nun Hektor auch seinen Speer, und dieser fehlte ihn nicht, er traf mitten auf den Schild des Achilles, aber prallte auch davon ab. Bestürzt sah sich Hektor nach seinem Bruder Deiphobos um, denn er hatte keine zweite Lanze zu versenden. Doch dieser war verschwunden. Da wurde Hektor inne, daß es Pallas Athene war, die ihn getäuscht hatte. Wohl sah er ein, daß das Schicksal ihn jetzt fassen würde; so dachte er nur darauf, nicht ruhmlos in den Staub zu sinken. Er zog sein gewaltiges Schwert von der Hüfte und stürmte, in seiner Rechten es schwingend, wie ein Adler daher, der auf ein Lämmlein herab-- chießt. Der Pelide wartete den Streich nicht ab; er drang von seinem Schilde gedeckt vor, sein Helm nickte, die Mähne flatterte und sternhell strahlte sein Speer, den er grimmig in seiner Rechten schwenkte. Sein Auge durchspähete den Leib Hektors, forschend, wo etwa eine Wunde haften könnte. Da fand er Alles blank von der Rüstung umhüllt: nur wo Achsel
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und Hals das Schlüsselbein verbindet, erschien die Kehle, die gefährlichste Stelle für des Leibes Leben, ein wenig entblößt. Dorthin lenkte Achilles schnell besonnen seinen Stoß und durchstach ihm den Hals so mächtig, daß die Lanzenspitze zum Genick hinaus drang. Heften: sank nieder, aber der Speer hatte nicht ihm die Kehle durchschnitten, und schwer athmend flehete der Gefallene: „Ich beschwöre dich, Achilles, bei deinen Knieen, bei deinen Eltern, laß meinen Körper nicht schmachvoll bei den Schiffen der Danaer liegen, entsende ihn nach Troja zu den Meinen!"
Aber Achilles schüttelte sein fürchterliches Haupt und sprach: „Beschwöre. mich nicht bei meinen Knieen und bei meinen Eltern, du Mörder meines Freundes! Niemand soll dir die Hunde verscheuchen von deinem Haupt und wenn auch Priamus dich aufwiegen wollte mit Gold!" — „Ich kenne dich" — stammelte der sterbende Hektor — „dein Herz ist eisern! Aber denk' an mich, wenn die Geschosse Apolls am Skäischen Thore dich treffen." Mit dieser Weissagung verließ Hektors Seele ihren Leib und floh zum Hades hinunter. Der grausame Achilles aber rief der fliehenden Seele nach: „Stirb du, mein Loos empfang' ich vom Jupiter, wenn die Götter wollen. Jetzt aber will ich meinem Freunde Patroklus das Sühnopfer bringen." Und nun zog er die Rüstung ab von dem Leibe des Gemordeten, durchbohrte ihm an beiden Füßen die Sehnen zwischen Knöchel und Fersen, durchzog sie mit Riemen und band diese am Wagensitze fest. Dann schwang er sich in den Wagen und trieb seine Rosse mit der Geißel den Schiffen zu, den Leichnam nachschleppend. Staubgewölk umwallte den Geschleiften, sein jüngst noch so liebliches Haupt zog mit zerrüttetem Haar eine breite Furche durch den Sand. Von der Mauer herab erblickte seine Mutter Hekuba das grauenvolle Schauspiel, warf den Schleier ihres Hauptes weit von sich und sah jammernd ihrem Sohne nach. Auch der König Priamus weinte und jammerte und das Geheul der Trojaner hallte durch die ganze Stadt. Der alte Vater wollte dem Mörder seines Sohnes nach und mit ihm um die Beute kämpfen. Er warf sich auf den Boden und rief: „Hektor, Hektor! Alle anderen Söhne, die mir der Feind erschlug, vergesse ich über dich! O wärest du doch in meinen Armen gestorben!"
Ruhig saß in einem der Gemächer des Palastes Andromache, denn sie hatte von dem Unglück noch nichts vernommen. Sie durchwirkte eben ein schönes Purpurgewand mit bunter Stickerei und rief einer der Dienerinnen einen großen Dreifuß an's Feuer zu stellen, um ihrem Gemahl ein wärmendes Bad vorzubereiten, wenn er aus der Feldschlacht heimkehrte. Da vernahm sie vom Thurme her Geheul und Jammergeschrei. Finstre Ahnung im Herzen rief sie: „Weh' mir, ihr Mägde, ich fürchte, Achilles habe meinen mächtigen Gatten von der Stadt abgeschnitten!" Mit pochendem Herzen durchstürmte sie den Palast, eilte auf den Thurm und sah herab über die Mauer, wie die Rosse des Pelidett den Leichnam ihres Gemahls durch das Blachfeld schleppten. Da sank Andromache rückwärts in die Arme ihrer Schwäger und Schwägerinnen in tiefe Ohn-
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macht und der köstliche Haarschmuck, das Band, die Haube, die schöne Binde, das Hochzeitsgeschenk Aphrodite's, flogen weit weg von ihrem Haupte. Als sie endlich zum Bewußtsein kam, rief sie mit gebrochener Stimme schluchzend vor Troja's Frauen: ,Hektor! Wehe mir Armen! Du elend, wie ich, geboren zum Elend, wie ich! In Schmerz und Jammer verlassen sitze ich nun im Hause und der unmündige Knabe, des Vaters beraubt, wird mit thränendem Auge erwachsen! Er wird betteln müssen bei den Freunden des Vaters und man wird ihn verstoßen, weil er keinen Vater hat. Dann flüchtet er sich weinend zur Mutter, die keinen Gatten hat, und Hektors Leichnam sättigt die Hunde!" So sprach jammernd und wehklagend das arme Weib und die Trojanerinnen seufzten.
9. Achilles und Priamus.
Nun erst, als der Tod des Freundes gesühnt war, wurde der Leichnam des Patroklus verbrannt und glänzende Spiele wurden gehalten, das Fest der Bestattung zu feiern. Nur Hekwr's Leichnam lag wie ein Aas auf dem Felde und am frühen Morgen spannte Achilles seine Rosse in's Joch, befestigte den Leichnam am Wagen und schleifte ihn dreimal um das Denkmal des Patroklus. Doch Apollo schützte den Leichnam vor Verwesung und auch die andern Götter erbarmten sich über den Todten.
Die Götterbotin Iris stieg abermals herab und mahnte den greisen Priamus, an das Lager des Achilles zu fahren, um den Sohn auszulösen. Da machte sich Priamus auf, ließ den Wagen anschirren und fuhr, von Hermes (Mercurius) beschirmt, in der Stille der Nacht mitten durch das griechische Lager in das Zelt des Achilles. Der Held ruhete schon; der greise König umschlang seine Kniee und küßte dann die Hände, die ihm schon so viele Söhne erschlagen hatten. „Göttergleicher Achilles" — so sprach er — „gedenke deines Vaters, der alt ist, wie ich, vielleicht auch bedrängt von feindlichen Nachbarn in Angst und ohne Hülfe. Doch bleibt ihm die Hoffnung, seinen geliebten Sohn wieder zu sehen. Ich aber, der ich fünfzig Söhne hatte und davon neunzehn von einer Gattin, bin der meisten in diesem Kriege beraubt worden und zuletzt durch dich des einzigen, der die Stadt und uns Alle zu schirmen vermochte. Darum komme ich nun zu den Schiffen, ihn, meinen Hektor, von dir zu erkaufen und bringe unermeßliches Lösegeld mit. Scheue die Götter, Pelide, erbarme dich mein und gedenke des eigenen Vaters! Muß ich doch leiden, was kein Sterblicher erduldet, denn ich drücke die Hand an meine Lippe, die meine Kinder getödtet hat." So sprach der Greis und der Held gedachte seines Vaters und faßte den Alten sanft bei der Hand. Dieser aber sank zu den Füßen des Peliden und weinte; Achilles weinte auch über seinen Vater und seinen Freund und das ganze Zelt erscholl von Jammertönen.
Da sprang Achilles wie ein Löwe aus der Pforte und ihm nach seine Genossen. Vor dem Zelte spannten sie die Thiere aus dem Joch und führten den Herold herein. Dann hoben sie die Lösegeschenke vom Wagen und ließen nur zwei Mäntel und einen Leibrock zurück, um damit die
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Leiche Hektors anständig zu verhüllen. Dann ließ Achilles, fern und ungesehen vom Vater, den Leichnam waschen, salben und bekleiden. Achilles selbst legte ihn auf ein unterbreitetes Lager, und während die Freunde den Todten auf den Wagen hoben, rief er den Namen seines Freundes an und sprach: „Zürn' und eifere mir nicht, Patroklus, wenn du etwa in der Unterwelt vernimmst, daß ich Hektor's Leiche seinem Vater zurückgebe! Er hat kein unwürdiges Lösegeld gebracht und auch dir soll dein Antheil davon werden!"
Nun kehrte Achill zurück in's Zelt, setzte sich dem Könige wieder gegenüber und sprach: „Siehe, dein Sohn ist jetzt gelöst, o Greis! In ehrbare Gewänder gehüllt, liegt er auf deinem Wagen. Sobald der Morgen sich röthet, magst du ihn schauen und dann davon sichren. Jetzt aber laßt uns der Nachtkost gedenken; du hast noch Zeit genug, deinen lieben Sohn zu beweinen, wenn du ihn zur Stadt gebracht hast, denn wohl verdient er viele Thränen!" Darauf ließ Achilles ein Mahl bereiten und bewirthete seinen Gast. Während des Mahles staunte Pria-mus über Wuchs und Gestalt des Helden und dieser bewunderte seinerseits das würdevolle Antlitz und die weise Rede des Greises. Darauf ward ihm ein Lager bereitet und Achilles verhieß ihm eine Waffenruhe von neun Tagen, um den edlen Hektor würdig zu bestatten. Der unglückliche Vater konnte nicht schlafen und schon vor Anbruch des Tages erschien ihm Hermes und mahnte zur Rückkehr nach Troja. Da erhob sich Priamus und fuhr mit dem theuern Leichnam zum trauernden Ilion zurück.
10. Die Eroberung von Troja.
Nachdem die Griechen zehn Jahre lang vor Troja gelagert und vergebens gekämpft hatten, nahmen sie endlich ihre Zuflucht zur List. Auf den Rath des Odysseus fällten sie auf dem waldreichen Jdagebirge hochstämmige Tannen und nun zimmerte der kunstreiche Held Epeos ein mächtiges Roß. Er machte zuerst die Füße des Pferdes, dann den Bauch, über diesen fügte er den gewölbten Rücken, hinten die Weichen, vorn den Hals und über diesen formte er zierlich die Mähne, die sich flatternd zu bewegen schien. Kopf und Schweif wurden reichlich mit Haaren versehen, aufgerichtete Ohren an den Pferdekopf gesetzt und gläserne leuchtende Augen unter der Stirn angebracht — kurz, es fehlte nichts, was an einem lebendigen Pferde sich regt und bewegt. Und weil ihm Minerva half, vollendete der Meister das Werk in drei Tagen, zur Bewunderung des ganzen Heeres.
_ ^un stiegen die tapfersten Helden, Neoptolemus, der Sohn des Achilles, Menelaus, Diomedes, Odysseus, Philoktet, Ajax und Andere, zuletzt Epeos, der das Roß gefertigt, in den geräumigen Bauch des hölzernen Pferdes; die übrigen Griechen aber steckten Zelte und Lager-gerüth in Brand und segelten nach der nah gelegenen Insel Tenedos, wo sie an's Land stiegen.
Grube. Geschichtsbilder. I. 4
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Als die Trojaner den Rauch vom Lager in die Lust steigen sahen und auch die Schiffe verschwunden waren, strömten sie voll Freuden aus der Stadt nach dem griechischen Lager zu und erblickten hier das gewaltige hölzerne Roß. Während sie unter einander stritten, ob man das Wunderding verbrennen oder in die Stadt schaffen sollte, trat Laokoon, ein Priester des Apollo, in ihre Mitte und rief: „Unselige Mitbürger, welcher Wahnsinn treibt euch! Meint ihr, die Griechen seien wirklich davon geschifft, oder eine Gabe der Danaer verberge keinen Betrug? Kennt ihr den Odysseus nicht besser? Entweder ist irgend eine Gefahr in dem Rosse verborgen, oder es ist eine Kriegsmaschine, die von dem im Verborgenen lauernden Feinde in unsere Stadt getrieben wird. Was es aber auch sein mag — trauet dem hölzernen Thiere nicht!" Mit diesen Worten stieß er eine mächtige eiserne Lanze in den Bauch des Pferdes. Der Speer zitierte im Holz und aus der Tiefe tönte ein Wiederhall wie aus einer Kellerhöhle. Aber der Sinn der Trojaner blieb verblendet.
Siehe, auf einmal bringen trojanische Hirten einen gefangenen Griechen daher. Sinon hieß er; sie hatten ihn im Schilfe des Skaman-der ertappt. Da freueten sich Alle. Neugierig stellten sie sich im Kreise um ihn herum und drangen in ihn, er solle auf der Stelle bekennen, was das Pferd bedeute. Das eben hatte der Arglistige gewünscht, denn er hatte es früher mit seinen Landsleuten verabredet, sich von den Trojanern fangen zu lassen und dann die Trojaner zu bewegen, daß sie das Pferd in ihre Stadt führten. Er sing laut an zu weinen und stellte sich lange, als könne und dürfe er um Alles in der Welt nicht das Geheimniß verrathen. „Nein, ich bitte euch" — sprach er — „tobtet mich lieber auf der Stelle!" Um so neugieriger wurden die Trojaner. Endlich gab er ihren Bitten und Drohungen nach. „So hört denn," rief er — „die Griechen schiffen jetzt nach Hause. Auf Befehl des Priesters ward dieses Pferd gezimmert, damit die Heimfahrt der Danaer glücklich sei; denn es ist ein Sühnunqsgeschenk für die beleidigte Schutzgöttin eurer Stadt, deren Bildniß Diomedes und Odysseus einst freventlich entwandten. Kommt das Pferd unverletzt in eure Stadt, so wird sie nach dem Ausspruch des Sehers unüberwindlich sein und die Völker rings umher beherrschen. Das eben wollten eure Feinde verhindern: darum bauten sie das Roß so groß, daß es nicht durch die Thore geht."
So sprach der listige Grieche und die beihörten Trojaner glaubten seiner gleißenden Rede. Eiligst machten sie jetzt Räder unter das Pferd, hefteten Stricke an seinen Bauch und Alt und Jung spannte sich daran. Wer nicht so glücklich war, einen Strick erfassen zu können, schloß sich wenigstens dem Zuge der Knaben und Mädchen an, die schön geschmückt zu beiden Seiten gingen und feierliche Lieder sangen. Nun kommen sie an das Thor, aber das Pferd ist zu groß. Flugs sind starke Männer bereit und reißen einen Theil der Stadtmauer nieder. Jubelnd schieben sie das Pferd durch die weite Oeffnung, der Zug geht durch die langen Straßen, hin nach der Burg. Hier, vor dem Tempel der Göttin, wird
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bas Wunderthier feierlich ausgestellt, damit Jeder es sehen und über seinen Besitz sich freuen möge.
So fröhlich der Tag, so schrecklich war die ihm folgende Nacht. Während Alles in tiefem Schlafe lag, schleicht Sinon sich zu dem hölzernen Pferde, öffnet leise die Thür und die geharnischten Männer steigen aus dem finstern Bauche hervor. Sie gehen nach den Thoren der Stadt; die Wächter schlafen, man tödtet sie. Draußen aber harren schon der Griechen beutelustige Schaaren. Die Thore werden geöffnet und mit freudigem Siegesgeschrei dringen die Danaer in die wehrlose Stadt. Sinon läuft mit Brandfackeln in den Straßen umher und zündet die Häuser an. Zu spät merken die Trojaner den Verrath. In allen Straßen, in allen Häusern wird blutig gekämpft. Bald steht die ganze Stadt in Flammen und was nicht vom Schwerte der Griechen fortgerafft wird, stirbt den Tod durch's Feuer. Nur ein kleines Häuflein rettet sich, mit ihm der fromme Aeneas. Wie er Alles verloren sah, wie schon die Flamme aus dem Giebel seines Daches helllodernd gen Himmel schlug: da nahm er hurtig seinen alten Vater Anchises auf die Schultern, sein Söhnlein Askanius bei der Hand, und so entkam er dem Verderben.
Nicht so glücklich war der König Priamus. Er hatte sich mit Weib und Kind in das Innere des Pala^es geflüchtet und sich dort vor den Altären der Hausgötter flehend niedergeworfen. An dieser heiligen Stätte hoffte der unglückliche Greis Gnade zu finden bei den erzürnten Feinden. Aber wie hatte er sich geirrt. Mit entblößten Schwertern drangen sie herein, erst stachen sie die Söhne nieder vor den Augen des Vaters, dann diesen selbst. Sein Weib und seine Kinder schleppten sie auf die Schiffe und theilten dann die Sklaven unter sich. Menelaus bekam seine Helena wieder; aber das schöne Ilion lag zertrümmert!
II. Die Irrfahrten des Odysseus.
1.
Als Odysseus nach der Zerstörung von Troja mit seinen zwölf Schiffen der Heimath zusegelte, verschlug ihn ein Sturm an das Land der Cyklopen, der ungeschlachten Riesen, die weder pflanzten noch säeten, denn ohne Arbeit erwuchs ihnen Weizen und Gerste und die edle Rebe, nur von Zeus' Regen befruchtet. Sie kannten weder Gesetze, noch Versammlungen des Volkes zu gemeinsamer Berathung; sie wohnten einsam in gewölbten Felsgrotten des Gebirges. Vor dem Lande der Cyklopen lag eine kleine Insel voll Wälder, in denen zahllose Heerden wilder Ziegen umherstreiften. Dahin kamen die Schiffe des Odysseus in dunkler, mondloser Nacht; mit Anbruch des Tages machten sich die Griechen auf und durchwanderten das Eiland, mit ihren Pfeilen wilde
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Ziegen zu ihrer Nahrung erlegend. Da sie noch Weins die Fülle hatten, verbrachten sie bei fröhlichem Mahle den Tag.
Bald aber erkannten sie an dem aufsteigenden Rauch und an den Stimmen des Volkes das nahegelegene Land der Cyklopen und den folgenden Morgen machte sich Odysseus mit einem Theile seiner Genossen auf, nach dem Lande hinzusegeln, um zu erforschen, was für Menschen es bewohnten. Als sie ant Gestade landeten, sahen sie eine von Lorbeerbüschen umschattete Felsenhöhle, um die sich langstämmige Fichten und hochgewipfelte Eichen erhoben. In der Höhle hauste ein Mann von Riesengestalt, der, einsam seine Heerde weidend, niemals mit Andern umging, sondern für sich allein auf frevelhafte Thaten sann.
Odysseus erwählte zwölf seiner Gefährten und gebot den Andern, bei dem Schiffe zu bleiben. Nun wanderte er mit seinen Freunden weiter, die Wein in einem Schlauche und noch Reisekost trugen. An der Höhle angelangt, fanden sie den Riesen nicht daheim, denn schon hatte er seine Heerde auf die Weide getrieben. In feiner Abwesenheit betrachteten die Griechen neugierig die Höhle; darin standen ringsum Körbe mit Käsen; Lämmer und Zicklein waren in den Ställen; auch fehlte es nicht an Geschirren, Butten und Kübeln zur Aufbewahrung der reich vorhandenen Milch. Die Griechen zündeten ein Feuer an und aßen von den Käsen. Bald erschien der Riese mit einer gewaltigen Ladung trockenen Holzes, das er mit lautem Gekrach auf die Erde warf, so daß die Griechen vor Schrecken in die Winkel der Höhle flohen. Jetzt trieb er die Schafe und Ziegen, die er melken wollte, in die Felsenkluft, während er die Widder und Böcke draußen ließ; dann setzte er einen gewaltigen Felsen vor den Eingang der Höhle, den kaum 22 vierräderige Wagen hätten fortschaffen können. Als der Riese seine Heerde gemolken und an der Milch sich gelabt hatte, und die übrig gebliebene in die Geschirre gefüllt war, zündete er ein Feuer an. Da bemerkte er die Fremdlinge und sprach zornig also: „Wer seid ihr und warum durchschifft ihr die Wogen des Meeres? Seid ihr ein Raubgeschwader und wollt ihr fremde Völker anfeinden ?"
Bei dem rauhen Gebrüll seiner Rede und bei dem Anblick des Scheusals erbebten die Griechen, doch Odysseus, sich schnell ein Herz fassend, redete: „Wir sind Griechen, vom Heere des Königs Agamemnon und auf der Heimfahrt von Troja, das wir zerstörten, durch den Sturm in unbekannte Gewässer verschlagen: stehend nahen wir jetzt deinen Knieen, um ein Gastgeschenk dich bittend. Du aber scheue die Götter, denn Zeus schirmt die Fremdlinge."
Der grausame Cyklope erwiederte: „Ein Thor bist du, o Fremdling, daß du mich die Götter scheuen heißest: was kümmern wir Cyklopen uns um Zeus und die seligen Götter, da wir viel vortrefflicher sind, als sie. Aus Scheu vor den Göttern werde ich weder dich, noch einen deiner Gefährten verschonen. Doch sage mir, wohin du dein Schiff gesteuert hast, ob es sich nah oder fern von hier befindet?" Odysseus, schnell eine
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List ersinnend, antwortete hierauf: „Unser Schiff ist an den Klippen gescheitert und wir allein sind dem Verderben entronnen."
- Ohne noch etwas zu sagen, packte jetzt das Ungeheuer zwei der Gefährten des Odysseus, schlug sie wie junge Hündlein auf den Boden, daß Blut und Gehirn umherspritzte. Darauf zerhackte er sie Glied für Glied und fraß dann drein, so emsig, daß weder Fleisch noch Knochen übrig blieb. Den Griechen gerann das Blut vor Entsetzen. Als sich nun das Scheusal mit Menschenfleisch und Milch den Bauch gefüllt hatte, streckte es sich, so lang es war, in der Höhle aus und sank in tiefen Schlaf. Nun hätte ihm Odysseus das Schwert in die Brust gestoßen, wenn nicht der Gedanke ihn zurückgehalten hätte, daß doch alle Griechen nicht im Stande wären, den gewaltigen Felsen vom Eingänge fortzuwälzen. In der Höhle eingeschlossen, hätten sie alle eines schmachvollen Todes sterben müssen.
Den andern Morgen packte der Cyklope wieder zwei Griechen und verzehrte sie zum Frühstück, dann hob er ohne Mühe den Felsblock weg und setzte ihn eben so wieder vor den Eingang, wie wenn Jemand einen Deckel auf den Köcher setzt; darauf trieb er die Heerde auf die Trift. Jetzt sann Odysseus auf Rache, ihm seine Frevelthaten zu vergelten. In der Höhle lag, dick und lang wie der Mast eines zwanzigruderigen Schiffes, die Keule des Cyklopen, vom Stamme des Oelbaums. Diese ließ nun Odysseus von seinen Gefährten glätten, er selbst schärfte sie oben spitz zu, brannte die Spitze an und verbarg die Keule sorgfältig unter dem Mist. Dann wählte er durch das Loos vier Gefährten, um mit ihnen dem schlummernden Cyklopen die Keule in's Auge zu stoßen. Diese Riesen hatten nämlich nur Ein Auge und das saß mitten auf der Stirn.
Am Abend kam der grausame Cyklope zurück, verrichtete wie sonst seine Geschäfte und schlachtete wieder zwei Griechen, die er zur Nachtkost verzehrte. Jetzt nahete ihm Odysseus und reichte ihm eine Kanne voll Wein. Mit Entzücken leerte sie der Riese, ließ sie sich drei Mal füllen und leerte sie drei Mal, ohne etwas Arges zu vermuthen. Auch den Namen das Odysseus verlangte er zu wissen, um ihm wieder ein Gastgeschenk geben zu können.
„Meinen Namen sollst du erfahren," sprach der kluge Odysseus, „doch gieb mir dann auch das Gastgeschenk. Niemand, so nennen mich Vater, Mutter und Geschwister, Niemand ist mein Name."
Daraus erwiederte der tückische Niese: „Nun denn, so will ich Niemand zuletzt verzehren — das soll dein Gastgeschenk sein!" Mit diesen Worten sank der Cyklope zurück und verfiel in eineil so tiefen Schlaf, daß sein Schnarchen dem rollenden Donner glich.
Jetzt war Odysseus bereit, er nahm den Oelstamm, hielt ihn in's Feuer, bis seine Spitze eine glühende Kohle war, und dann faßten die vier Gefährten mit an und bohrten den Stamm mit aller Kraft in das Auge des Riesen. Der brennende Pfahl versengte dem Riesen Wimpern und Augenbrauen, siedend heiß quoll das Blut auf und das Auge zischte,
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als wenn ein glühendes Eisen in kaltes Wasser getaucht würde. Der Cyklope erhob ein so gransenhastes Geheul, daß die Wände der Höhle erzitterten. Tobend und unsinnig vor Schmerz rief der Geblendete die andern Cyklopen zu Hülfe; die kamen an den Eingang der Höhle und fragten: „Was schreist und brüllst du so, Polyp hem? Hat man dir die Heerden geraubt oder thut dir Jemand etwas zu Leide?" — „Niemand," schrie Polyphem, „Niemand will mich tödten, Niemand hat mich überlistet."
Die Cyklopen, welche diese Antwort nicht verstanden, vermeinten, der Polyphem sei wahnsinnig geworden und zogen wieder ab. Odysseus lachte aber in seinem Herzen und freute sich der gelungenen List. Mit den Händen tappend nahm nun der Riese den Felsblock vom Eingang, setzte sich selber in die Pforte und wollte die Schafe herauslassen, um dann besser die gefangenen Fremdlinge aufspüren zu können. Odysseus jedoch band je drei dickwollige Widder zusammen und unter dem mittleren verbarg er einen Griechen. Für sich wählte er den größten und stärksten Bock der Heerde und hing sich ihm unter den Leib, indem er mit den Händen in der langen Wolle sich festhielt. So trabten am Morgen die Widder mit den Griechen hinaus und Polyphem, der jedes Schafes Rücken betastete, merkte nichts vom Betrug. Zuletzt kam sein Lieblinysbock, der den Odysseus trug, und zu dem er sagte: „Böckchen, was trabst du so hinter der Heerde, du warst ja sonst der erste beim Ausgang auf die Weide und auch der erste bei der Heimkehr. Gewiß ' betrübt dich das Auge deines Herrn, das mir der tückische Mann geblendet hat! Könntest du mir nur sagen, wo er sich versteckt hat, dann sollte bald sein Gehirn den Boden bespritzen." So ließ er ihn hinausgehen.
Die Griechen aber band Odysseus, als sie eine Strecke von der Höhle entfernt waren, los und nun eilten sie rasch an das Ufer, wo die Genossen sie freudig empfingen. Die Widder wurden auf das Schiff gebracht und dann fuhren sie ab. Als sie ein wenig von der Insel weggerudert waren, rief Odysseus dem Cyklopen die höhnenden Worte zu: „Ha, Polyphem, du fraßest die Genossen keines verächtlichen Mannes, aber Zeus hat durch mich deine Frevel thaten gestraft!" Da schleuderte der Riese ein ungeheures Felsstück in's Meer, daß die von dem Falle brausende Woge das Schiff wieder der Insel zutrieb; doch durch eifriges Rudern kamen die Griechen von dem Cyklopenlande wieder fort und Odysseus rief abermals: „Polyphem, wenn dich Jemand fragt um deines Auges Blendung, so sag' ihm: der Städteverwüster Odysseus, Laertes Sohn von Jthaka, hat mich blind gemacht!" Da erinnerte sich Polyphem einer alten Weissagung und rief: „Wehe mir, jetzt gedenke ich des Sehers, der mir einst verkündigte, ich würde durch einen Griechen, mit Narrten Odysseus, mein Auge verlieren. Doch glaubte ich immer, dieser Feind sei ein großer gewaltiger Mann, noch stärker als ich — und nun muß so ein kleines Ding, so ein Wicht kommen, der mich berauscht und betrügt! Komm doch herein" — wandte er sich jetzt zu Odysseus — „komm doch herein zu mir, ich will dir Alles verzeihen und meinen Vater Poseidon
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bitten, daß er dir eine glückliche Fahrt verleihe." Doch Odysseus hütete sich wohl. Da flehete Polyphem zu Poseidon, dem mächtigen Beherrscher des Meers, daß er die Beleidigung seines Sohnes rächen und dem Odysseus eine schlechte Fahrt verleihen möge. Und nochmals schleuderte er ein Felsstück in's Meer, daß der Schaum aufspritzte; aber Odysseus und seine Gefährten ruderten nach der Insel hin, wo der andere Theil der Mannschaft zurückgeblieben war. Dort opferte Odysseus den Lieblingsbock Polyphem's dem Zeus.
2.
Sie gelangten zur Aeolischen Insel, wo Aeolus, der Gott der Winde, seine Residenz hatte und die Winde nach Gefallen in alle Welt entsandte oder sie in seinen Schlauch zurückkehren ließ. Dieser Gott nahm den Odysseus freundlich auf und schenkte ihm einen Schlauch, worin alle Winde enthalten waren; ihn selbst aber geleitete er mit einem günstigen Westwinde. Auf dem Meere entschlummerte Odysseus in seinem Schiffe. Unterdessen öffneten seine Gefährten, von heilloser Neugierde getrieben, den fest zugebundenen Schlauch und siehe! da fuhren im Sturme alle Winde heraus und trieben die Schiffe zur Aeolischen Insel zurück. Doch zum zweiten Male war Aeolus den Fremden nicht gnädig; er wies sie mit rauhen Worten ab, als Menschen, die der Zorn der Himmlischen verfolge.
Sechs Tage trieben sie auf dem Meere umher, am siebenten kamen sie zu den riesigen Lästrygonen, die dem Odysseus eilf Schiffe zerstörten und viele Gefährten erschlugen. Nun hatte der Held nur noch Ein Schiff, in diesem entfloh er mit seiner übrig gebliebenen Mannschaft und gelangte zu einer Insel, auf der die Zauberin Circe wohnte. Odysseus erstieg einen Hügel und von diesem sah er Rauch aus dem Palaste der Zauberin aufsteigen. Da schickte er 22 seiner Gefährten voraus, um die Gegend zu erforschen. Es kamen den Griechen viel Löwen und Wölfe entgegen; aber diese Thiere waren nicht raubgierig, sondern wedelten mit den Schwänzen wie Hunde; es waren Menschen, durch die Zauberkräfte der Circe in gräßliche Ungeheuer verwandelt. Bald naheten die Griechen dem Zauberpalaste und hörten den melodischen Gesang seiner Bewohnerin, die eben an einem großen wundervollen Gewände webte. Die Wanderer riefen die Göttin mit lauter Stimme und nicht vergebens; sie trat aus der Pforte und nöthigte die Fremden, einzutreten. Arglos folgten sie der Einladung und tranken von dem Wein, in den Zauberkräuter gemischt waren. Alsbald berührte sie die Göttin mit ihrem Stabe und sie waren in Schweine verwandelt, mit Borsten und grunzender Stimme, nur ihr Geist war unzerrüttet. Die armen Griechen weinten, aber ihr Weinen ward zum Grunzen und Circe trieb sie allzumal in Schweinskoben und legte ihnen Schweinefutter vor. Aber einer, Eury-lochus mit Namen, entfloh und brachte dem Odysseus die schreckliche Kunde.
Sogleich machte sich dieser auf den Weg; Eurylochus wollte aus großer Furcht ihn nicht begleiten. Als er dem Zauberpalast näher kam,
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begegnete ihm Hermes in der Gestalt eines zarten Jünglings. Der gab ihm das Kraut Moly, um ihn gegen den Zauber der Circe zu schützen. Zugleich ertheilte er ihm noch den Rath, in dem Augenblicke, wo die Zauberin ihn mit ihrem Stabe berühren würde, mit dem Schwerte auf sie einzudringen, gleich als wollte er sie ermorden. Darauf verschwand der Gott zu den Höhen des Olympos.
Odysseus langte an der Pforte des Palastes an und rief die Göttin, die ihn einlud, näher zu treten. Sie reichte auch ihm einen Becher Weins, der mit schädlichen Zauberkräutern gemischt war; doch Odysseus trank, ohne daß es ihm schadete, denn er hatte das Kraut Moly in seiner Tasche. Nun berührte ihn die Zauberin mit ihrem Stabe, um ihn in ein Schwein zu verwandeln und gleich seinen Gefährten in den Koben zu sperren. Da aber rannte Odysseus mit gezücktem Schwerte auf sie los und laut schreiend sank Circe zu seinen Füßen, umfaßte ihm die Knie und rief: „Wer bist du, der du dem Zaubertranke widerstehest, dem noch kein Mann widerstanden hat? Bist du vielleicht Odysseus, dessen Ankunft mir Hermes verkündet hat? Stecke das Schwert in die Scheide und laß uns Beide auf dem Teppich Platz nehmen!"
Doch Odysseus traute der Arglistigen nicht eher, bis sie ihm durch einen Eidschwur versichert hatte, nicht auf ferneren Schaden zu denken. Jetzt deckte eine Dienerin für Odysseus einen schönen Sessel mit purpur-rothem Polster, davor stellte eine andere einen silbernen, mit goldenen Körben besetzten Tisch; eine dritte mischte Wein und die vierte wärmte in einem ehernen Kessel Wasser zum Bad für Odysseus. Nach dem Bade hüllte sich der Held in den prächtigen Mantel und Leibrock, den ihm Circe reichte, und ließ sich auf den Sessel nieder. Doch auch jetzt noch trug er Bedenken, von den Speisen des reichbesetzten Tisches zu kosten, und er aß nicht eher, bis ihm die Göttin feine Genossen, die als neunjährige Eber vor Odysseus erschienen, wieder in Menschen verwandelte. Durch die Zauberkräfte der Circe waren alle die Männer nun viel jünger und schöner, als vorher; und Odysseus lebte mit seinen Genossen ein ganzes Jahr in dem schönen Palast.
3.
Als Odysseus von der Zaubergöttin Abschied nahm, offenbarte ihm diese noch die Zukunft. „Du wirst" — so sprach sie — „nicht eher in deine Heimath gelangen, bis du in die Unterwelt hinabgestiegen bist und den Seher Tiresias um deine Fahrt befragt hast." Zugleich zeigte sie ihm den Weg zum furchtbaren Hades und lehrte ihn die Opfer, durch welche die Schatten der Todten herbeigelockt werden. Odysseus merkte sich Alles genau.
Die Fahrt ging über den großen Strom Oceanus, der die ganze Erdscheibe umkreist; an dessen Ende, in dichte Finsterniß gehüllt, lag der Ort, den Circe ihm als Eingang zur Unterwelt bezeichnet hatte. Hier grub Odysseus ein Loch, eine Elle in's Geviert, und goß ein Trankopfec
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hinein, aus Honig, Milch, Wein und Wasser bereitet; darüber streute er weißes Mehl. Den Schatten der Todten gelobte er, nach seiner Heimkehr, ein Rind und dem Tiresias insbesondere den schönsten Widder der Heerde zu opfern. Darauf zerschnitt er den mitgebrachten Schafen die Kehlen und ließ das Blut in die Grube laufen. Jetzt schwebten die Seelen der abgeschiedenen Todten heran, Bräute und Jünglinge, Greise die viele Leiden erduldet, Mädchen, in der Blüthe der Jahre vom Grame hinweggerafft, auch Viele, die im Kriege von ehernen Lanzen durchbohrt worden waren. — Alle wandelten schaarenweis mit Schauder erregendem Geschrei um die Gruft. Die Gefährten des Odysseus verbrannten die geopferten Schafe und fleheten zu den Göttern der Unterwelt. Odysseus das Schwert in der Hand, setzte sich neben die Grube und wehrte den Todten, dem Blute zu nahen, denn er mußte erst den Tiresias befragen. Wohl naheten manche Freunde, endlich auch die Seele der Hingeschiedenen Mutter des Odysseus; aber der Sohn bezwang seine Sehnsucht, mit der Mutter zu reden, und ließ zuerst den Tiresias von dem Blute trinken Als der Seher getrunken hatte, weissagte er und sprach zum Odysseus also: „Du wünschest fröhliche Heimkehr, ruhmvoller Odysseus! Doch eurer der ewigen Götter ist dir entgegen; der Erderschütterer Poseidon hat tiefen Groll gegen dich im Herzen, weil du ihm seinen Sohn Poly-phem geblendet hast. Doch endlich muß er dich dennoch ziehen lassen-nur Hute d!ch, wenn du mit deinen Gefährten auf der Insel Thrinakia landest, dre Rinder, die dort weiden, zu verletzen. Sie gehören dem Erdenbeleuchter Helios und er wird dir alle deine Genossen tödten, wenn du thu erzürnest Auf einem fremden Schiffe wirst du zur Heimath gelangen, aber in deinem eigenen Hause viel Herzeleid finden. Da sind übermüthige Männer, die werbeu mit schönen Brautgeschenken um deine Oattm Penelope und wollen sie freien. Die arme Frau hat schon viel
Iva ^ ietoetrnt unb au$ der Jüngling Telemach, dein Sohn. Mit x und Gewalt wirst du die Freier todten, aber dann vergiß auch nicht den Göttern ein Dankopfer zu bringen!" ^
Nun wünschte Odysseus auch mit dem Schatten seiner geliebten Mutter zu reden denn diese saß am Blute; so lange sie aber nicht da-!1 ^ vermochte sie auch nicht den Sohn zu erkennen.
r fte bem SIute sich nahen und davon kosten, dann
wird sie die Wahrheit verkünden!"
Odysseus ließ sogleich seine Mutter vom Blute trinken und plötzlich erkannte )ie ihren Sohn und sprach jammernd die Worte: „Wie kamst ou, ein Lebender, tu das nächtliche Dunkel herab, in das sonst kein sterblicher zu dringen vermag, wenn ihn die Götter nicht geleiten? Bist
n4t * ba| «e Land Jthaka zurückgekehrt und haben deine -lugen noch nicht die Penelope gesehen?"
hpr o^e antwortete Odysseus, „führte mich in die Wohnungen der Todten denn ich mußte die Seele des thebauischen Greises Tiresias befragen. Noch irre ich seit meiner Abfahrt von Troja umher, noch haben
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meine Augen die geliebte Insel nicht geschauet. Doch sage mir, o Mutter, was für ein Geschick hat dich hinweggerafft, eine verderbliche Seuche oder ein sanfter, plötzlicher Tod? Erzähle mir auch von meinem Vater und meinem Sohne, führen sie noch mein Herrscheramt, oder hat es schon ein anderer Mann empfangen, der an meine Rückkehr nicht mehr glaubt? Sage mir auch von der Gattin, ob sie ihres Gemahls noch harrt oder schon sich einem edlen Griechen vermählt hat?"
Darauf erwiederte die Mutter: „Noch weilt Penelope, deine Gemahlin, in deinem Palaste, voll Jammer trauert sie um dich, Tag und Nacht Thränen vergießend, denn die übermüthigen Freier bedrängen sie hart; noch übt dein Sohn Telemach das Herr scher amt, aber in Furcht vor den Männern, die dein Hab und Gut verzehren. Dein Vater aber kommt nicht mehr zur Stadt, er weilt auf dem Lande, schläft nicht mehr in Betten, sondern im Winter bei den Knechten am wärmenden Feuer und im Sommer auf Baumsprossen unter freiem Himmel. Dein Geschick beklagend verbringt er gramvoll die Tage. Ich aber starb weder an zehrender Seuche, noch eines plötzlichen Todes, nur die Sehnsucht und der Kummer um dich hat mir das Leben geraubt!"
Von Sehnsucht ergriffen wollte jetzt Odysseus seine Mutter umarmen, drei Mal streckte er die Arme nach ihr aus und drei Mal schwand der Schatten ihm aus den Händen. Voll Wehmuth rief er: „Mutter, warum bleibst du nicht, da ich mich sehne, dich zu umfangen, damit wir mit einander das gramerfüllte Herz erleichtern?" Doch die Mutter antwortete: „Wenn einmal die Sterblichen verblichen, wenn Fleisch und Gebein von der Flamme des Feuers verzehrt find, dann schwindet die Seele dahin, wie ein luftiges Traumbild. Du aber gehe wieder an das Licht und verkünde Alles deiner Gemahlin!"
4.
Odysseus fuhr wieder über den Oceanus zurück zur Insel Aeäa, dem Wohnplatze der Circe. Diese kam an die Stelle des Ufers, wo die Griechen gelandet waren, und Dienerinnen mit Speise und Trank folgten ihr. Als sich alle an Fleisch und Wein gelabt hatten, erzählte ihr Odysseus, entfernt von seinen Gefährten und leise redend, seine Abenteuer in der Unterwelt. Circe aber weissagte ihm noch also: „Du wirst" — sprach sie — „zu den Sirenen gelangen, zu schönen Jungfrauen mit Schwimmfüßen, welche durch den Zauber ihrer melodischen Stimme alle Vorübergehenden bethören. Wehe aber denen, die sich ihnen nahen, sie sehen nie wieder ein menschliches Antlitz. Um die Sirenen herum liegen Haufen von Knochen der getödteten Männer. Du, Odysseus, steure vorbei und verklebe deinen Gefährten die Ohren mit Wachs; wenn du sie aber zu hören begehrst, so lasse dich an Händen und Füßen gefesselt an den Mastbaum binden und verbiete deinen Dienern, dich zu lösen.
„Weiter werden sich auf deiner Fahrt zackige Klippen erheben, Jrr-felfen genannt, zwischen denen kein Vogel durchzufliegen, kein Schiff durch-
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zusegeln vermag. Auf der andern Seite ragt ein kahler, nackter Fels zum Himmel empor, den nie ein Sterblicher bestieg. In dem Felsen ist eine tiefe dunkle Höhle, vor welcher dein Schiff durchsegeln muß. Hier hauset Scylla, ein fürchterliches Scheusal mit bellender Stimme; es hat zwölf Füße, sechs Schlangenhälse und ebensoviel gräßliche Häupter mit drei Reihen von Zähnen besetzt. Die Füße behält das Ungeheuer in der Höhle, aber die Köpfe streckt es heraus, um einen Delphin oder einen vorüberfahrenden Menschen wegzuschnappen. Noch nie ist ein Schiff hindurchgefahren, ohne seine besten Ruderer verloren zu haben. Der Scylla gegenüber ist ein anderer niedriger Felsen, unter welchem dieCharybdis haust, die dreimal täglich das dunkle Meerwasser einschlürft und dreimal es wieder heraussprudelt. Mögest du nicht ankommen, wenn sie die salzige Woge einschlürft, denn es möchte Poseidon selber dich nicht vom Untergange erretten können. Rudere du dein Schiff nahe an der Scylla vorbei, denn es ist besser, sechs Genossen, als alle zugleich zu verlieren.
„Bist du glücklich der Scylla und Charybdis entronnen, so gelangst du zur Insel Thrinakia, wo Helios, der Sonnengott, seine schönsten Heerden hat, Hornvieh und wollige Schafe, deren Zahl nie abnimmt. Rührt ihr nicht Hand an diese Thiere, dann möget ihr wohl nach Jthaka kommen, obschon immer noch Gefahren deiner harren. Wirst du sie aber verletzen, so wird es dein und deiner Gefährten Verderben sein und von Allen verlassen, arm und bloß wirst du in Jthaka landen."
So hatte die Göttin erzählt und schon war die Morgenröthe am Himmel erschienen. Odysseus eilte zu seinen Gefährten zuürck und bald faßen diese auf den Ruderbänken, von Circe mit günstigem Fahrwinde geleitet. Odysseus eröffnete nun seinen Freunden, was ihm Circe von den Sirenen erzählt hatte. Als das Schiff den gefährlichen Jungfrauen sich näherte, nahm er Wachs und verklebte damit den Gefährten die Ohren; sich selbst aber ließ er an Händen und Füßen festbinden und um den Mast schlingen. Schon hörte er den Gesang der Sirenen, die dem Lauschenden zuriefen: „Komm, preiswürdiger Odysseus, lenke dein Schiff dem Lande zu, wir wollen dir schöne Lieder singen. Wer unsere süßen Töne vernommen, kehrt fröhlich und mit hoher Weisheit begabt zurück. Denn wir wissen Alles, was zwischen Griechen und Troern sich begeben hat, wir kennen alle Dinge auf der nahrungsprossenden Erde."
Da erwachte im Herzen des Odysseus ein heißes Verlangen, zu den Sirenen hinüberzufahren, und er gebot den Freunden, ihn zu lösen, doch diese waren taub für alle seine Bitten und vernahmen auch nichts von den Zauberklängen der listigen Sirenen. So segelte das Schiff glücklich vorbei und Odysseus nahm seinen Gefährten das Wachs aus den Ohren, das sie gerettet hatte.
Als sie wieder eine Strecke weiter gefahren waren, da hörten sie das dumpfe Getöse des brausenden Strudels der Charybdis und vor Schrecken ließen die Griechen ihre Ruder fallen. Odysseus ermuthigte sie und befahl dem Steuermann, fern von dem Strudel, nahe am Felsen
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das Schiff vorbeizulenken; von der Scylla aber sagte er ihnen nichts. Jetzt waren sie in der Enge des Meeres, hier drohete die Scylla, dort die grausige Charybdis und während die Blicke der Mannschaft auf diese sich hefteten, hatte die gefräßige Scylla schon sechs der tapfersten Griechen gepackt. In den Lüften schwebend, mit Händen und Füßen zappelnd, riefen die Armen vergeblich den Odysseus um Hülfe an; er mußte zusehen, wie das Ungethum seine Gefährten verschlang.
Den beiden Ungeheuern, Scylla und Charybdis, war nun Odysseus glücklich entkommen; mit seiner sehr zusammengeschmolzenen Mannschaft kam er nun nach der Insel Thrinakia, wo die Heerden des Helios weideten. Jetzt gedachte Odysseus der Warnung des Tiresias und der Circe; um der Gefahr zu entgehen, befahl er den Gefährten, an der Insel vorbeizusteuern. Aber seine Leute waren vom Rudern und vom Schrecken so entkräftet, daß sie nach Erquickung und Schlummer jich sehnten, und ohne auf des Helden Mahnung zu achten, bestanden sie darauf, an der Insel zu landen. Da ahnte Odysseus die Erfüllung der schrecklichen Weissagung; doch ließ er wenigstens die Genossen schwören, keins von den Rindern und Schafen des Sonnengottes zu schlachten, sondern nur die Speisen zu genießen, die ihnen Circe mitgegeben hatte. Alle schwuren den Eid. Aber den ganzen Monat hindurch brauseten ungünstige Winde; so lange der Vorrath im Schiffe ausreichte, schonten die Griechen die Rinder, dann als alle Nahrung verzehrt war, fingen sie Vögel und Fische zur Speise. Einst aber, als Odysseus in tiefem Schlummer lag, siegte der Rath des Eurylochus bei seinen Freunden, und als er erwachte, drang ihm schon der Duft von dem Opfer der geschlachteten Rinder entgegen. Umsonst war nun alles Schelten, die That war geschehen und schon ward die Strafe der Götter offenbar, denn die abgezogenen Häute fingen an zu kriechen und das Fleisch an den spießen brüllte. Doch die hungrigen Griechen schmausten sechs Tage lang von dem Fleisch und am siebenten setzten sie ihre Fahrt fort.
Sobald sie auf dem offenen Meere waren, hüllte sich der ganze Himmel in finsteres Gewölk, ein gewaltiger Orkan begann zu toben, die Wogen fuhren zischend empor und Segel und Mastbaum zerbrachen. Mit lautem Gekrach stürzte der Mast in das Schiff und zerschmetterte dem Steuermann den Kopf. Der Donner brüllte und ein Blitz schlug in das Fahrzeug, die Ruderer stürzten heraus und fanden, wie Krähen auf den schwarzen Wellen schwimmend, ihren Untergang. Odysseus stand noch allein auf dem Schiffe; da löste sich auch dieses aus seinen Fugen und der Unglückliche hatte kaum Zeit, den Mast mit dem Kiel durch ein Seil zu verknüpfen. Auf dieses Floß sich setzend, trieb er schwimmend auf den empörten Wellen umher. Da wechselte der Wind, der Süd erhob sich und trieb den Schiffbrüchigen wieder zur Charybdis zurück, als sie gerade das Wasser einschlürfte. In seiner höchsten Noth erblickte Odysseus einen Feigenbaum, aus einer Spalte des Felsens erwachsen; den erfaßte er behende und schwang sich hinauf, als eben die Charybdis den Mast-
bäum verschlang. Doch es dauerte nicht lange, so gab das Ungeheuer den verschlungenen Kiel und Mastbaum wieder von sich; schnell sprang der Muthige auf die Balken und gewann, von der Charybdis ungefährdet, wieder das offene Meer. So trieb er noch lange umher, bis er an eine Insel gelangte, Ogygia mit Namen, auf welcher die schöngelockte Göttin Kalypso wohnte. Diese nahm den Helden freundlich auf, pflegte sein und gewann ihn so lieb, daß sie ihn gar nicht mehr fortlassen wollte. Odysseus wäre gern heimlich entflohen, aber er hatte kein Schiff. So war er abermals gefangen.
5.
Während Odysseus durch den Zorn des Poseidon auf dem Meere umher geschleudert wurde und viele Drangsale erlitt, blieben auch die Seinigen auf Jthaka, sein treues und gutes Weib Penelope und sein Sohn Telemach, den er als kleines Knäblein verlassen hatte, nicht verschont von Leiden mancherlei Art. Fast waren es schon zwanzig Jahre, daß der Held Jthaka verlassen hatte; alle andern Fürsten und Helden waren längst von Troja zurückgekehrt, nur Odysseus nicht; man hielt ihn für todt und gab jede Hoffnung auf seine Rückkehr auf. Nur Penelope hoffte noch immer und bewahrte dem Manne ihrer Jugend die Treue. Ueber hundert Freier hatten sich in ihrem Hause eingefunden und hausten da auf die unverschämteste Weise. Sie schlachteten die Rinder des Odysseus, seine Ziegen und Schweine, und zwangen seine Diener und Dienerinnen, ihnen aufzuwarten. Tag für Tag lebten sie in Saus und Braus und wollten die verlassene Penelope zwingen, einen von ihnen zu ihrem Gemahle zu erwählen. Laertes, der Vater des Odysseus, war vor den übermüthigen Männern auf das Land geflohen und Telemachus noch zu jung, um dem Unwesen zu steuern. Die Mutter des Odyffeus war vor Gram gestorben, und Penelope weinte Tag und Nacht um ihren Gemahl. Da die Freier immer heftiger auf eine Vermählung drangen, kam sie auf eine List. Sie stickte gerade an einem
Teppich, und wenn dieser vollendet sei — so erklärte sie —, wollte sie
einen von den Freiern zu ihrem Manne erwählen. Aber Nachts beim Schein der Fackeln trennte sie immer das wieder auf, was sie am Tage gewebt hatte, und so wurde sie nie fertig. Eine geschwätzige Dienerin
jedoch verrieth den Freiern die Lift und diese wurden nun noch viel
zudringlicher.
Doch jetzt erbarmte sich die Göttin der Weisheit, Pallas Athene, der armen verlassenen Penelope und ihres Sohnes, des trauernden Telemach; Odysseus, der kluge listige Mann, war ja ihr Liebling und ihn konnte sie nicht verlassen. Als eines Tages im hohen Götterrathe der meergebietende Poseidon fehlte und der Göttervater Zeus auch guter Laune war, bat die kluge Minerva mit inständiger Bitte ihren Vater Zeus, daß er sich des unglücklichen Odysseus erbarmen und ihn wieder in die ersehnte Heimath entsenden wolle. Die Bitte ward gewährt und der
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schnelle Götterbote Hermes eilte mit beflügelten Füßen auf die Insel Ogygia; Pallas Athene aber schwebt hernieder auf Jthaka, tritt in den Palast, wo die Freier sich eben am Bretspiel vergnügen, und in der Gestalt eines alten Gastfreundes des Odysseus tritt sie zu Telemach, um ihn zu trösten und seinen.Muth zu erfrischen. Da macht sich Telemach auf, rüstet insgeheim ein Schiff und ohne daß auch Penelope von der Abreise weiß, fährt er aus, seinen Vater zu suchen. Minerva aber, unter der Gestalt Mentor's, eines Führers und Rathgebers, begleitet den Jüngling.
G.
Odysseus hatte schon sieben lange Jahre auf der Insel der Kalypso geweilt und Gram und Kunnner nagten an seinem Herzen. Alle Tage ging er an das Gestade des Meeres und schaute hin nach der Gegend, wo sein geliebtes Jthaka lag. Da kam Hermes, der Götterbote, und Kalypso erschrak, als sie ihn sah. Dem Befehl der hohen Götter mußte sie Folge leisten und sie versprach, obwohl mit schwerem Herzen, den geliebten Odysseus in seine Heimath zu entlassen. Odysseus erhielt eine Axt, um sich im Walde Baume zu fällen, und ein anderes Werkzeug, die Stämme zu zimmern und zu einem Fahrzeuge zusammenzufügen. Da kam neue Jugendkraft in die Arme des Helden und in vier Tagen hatte er seine Arbeit vollendet. Nachdem ihm die Göttin noch Speise und Trank und Kleider auf die Reise gegeben hatte, fuhr er mit seinem kleinen Fahrzeug von der Insel ab und lenkte es nach dem Anblick der Gestirne.
Siebzehn Tage lang ging die Fahrt glücklich von Statten und schon erblickte der Schiffende aus der Ferne die Berge der Insel Scheria, wo ihm sein nächstes Ziel gesteckt war. Da erspähete ihn Poseidon, der eben aus dem Aethioperlande zurückkehrte, und zornig schleuderte er seinen mächtigen Dreizack, so daß die Meereswellen sich empörten und die Winde zu heulen begannen. Angstvoll, mit bebendem Herzen und zitternden Knieen stand Odysseus in seinem Schifflein und pries Diejenigen glücklich, denen im grimmigen Kampfe vor Troja der Tod bescheert ward: da schlug brausend eine Woge über ihn zusammen und riß im Wirbel das Fahrzeug um. Der Held war weit von dem Floß hinweggeschleudert und tief in den Abgrund der Wellen versenkt. Doch er arbeitete sich wieder empor, spie die salzige Fluth des Meeres aus seinem Munde und schüttelte sein triefendes Haupt. Sein Floß war wieder in seine Nähe gekommen, er faßte es und schwang sich hinein. So irrte er, eine Beute der Winde, nach allen Seiten umher, wie wenn der Nordwind dürre Disteln in wilder Flucht durch das Feld treibt. Da erbarmte sich eine Meergöttin, Leukothea, der Noth des Unglücklichen und reichte ihm einen Schleier mit dem Befehl, ihn unter den Armen festzubinden, das schwere Gewand aber von sich zu werfen. Als Odysseus das gethan, schlug eine neue stärkere Woge in sein Fahrzeug und zertrümmerte es. Er schwang sich auf einen Balken und weil der Schleier unter den Armen ihn schützte, blieb er oben auf den Wellen. Zwei Tage und zwei Nächte hatte der
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Sturm gedauert, da beruhigten sich die Winde und Odysseus nahete sich den Gestaden der Insel Scheria. Die Ufer aber waren voller Klippen und seine Gebeine wären zerschellt worden, wenn Odysseus nicht schnell einen Felsen umfaßt hätte, bis die Woge vorbei war. Doch die zurückkehrende Welle zog ihn wieder rn’s Meer zurück und er wäre verloren gewesen, wenn sein Auge nicht die Mündung eines Stromes entdeckt hätte, der sich ganz in seiner Nähe in's Meer ergoß. Dahin schwamm er mit der letzten Kraft und dort gelang ihm endlich die Landung. Nun warf er den Schleier der Göttin in's Meer zurück, mit seinen ermatteten Händen häufte er sich im Gebüsch ein Lager von Moos und Blättern auf und sank ohnmächtig darauf nieder. Doch kam bald der wohlthätige Gott des Schlafes und stärkte die Glieder des Helden mit frischer Kraft.
7.
Die Insel Scheria ward von dem Handels- und lebenslustigen Volke der Phäaken bewohnt, über welche zwölf Könige herrschten; der oberste König war aber der Held Alcinous. Der hatte eine Tochter, mit Namen Nausikaa, welche eine fleißige Jungfrau war. Sie wollte am Morgen die Gewänder und Leibröcke ihrer Brüder waschen und ließ die Maulthiere vor den Wagen spannen, setzte sich mit ihren Gespielinnen hinein und fuhr nach dem Flusse, an dessen Ufer sich Odysseus verborgen hatte. Die Mädchen legten die Wäsche in viereckige, mit Wasser gefüllte Löcher, stampften sie darin und breiteten sie dann auf dem weißen Sande aus. Hierauf erfrischten sie sich durch ein Bad und salbten sich mit glänzendem Oel; dann begannen sie ein Ballspiel. Schon wollten sie wieder nach Hause zurückkehren, da warf noch einmal Nausikaa den Ball einer ihrer Freundinnen zu, aber diese fing ihn nicht und der Ball fiel in's Wasser. Da erhoben die Mädchen ein großes Geschrei, das den schlafenden Odysseus erweckte. Jetzt trat er nackt, von Schlamm, Meergras und Blättern verunstaltet, hervor. Die Mädchen flohen bei dem Anblick der seltsamen Gestalt entsetzt von dannen, doch der Nausikaa flößte Athene Muth in die Seele, daß sie es wagte, die flehende Anrede des Fremdlings zu hören. Dieser schilderte in mitleiderregenden Worten sein trauriges Schicksal und bat flehentlich um ein Stück Zeug zur Bekleidung. Die gerührte Nausikaa sprach ihren Freundinnen Muth ein und ließ dem Odysseus Leibrock und Mantel nebst Salböl in goldener Flasche reichen. Hocherfreut stieg nun der Held, während die Mädchen sich entfernten, in den Strom, um sich zu baden, und als er sich gereinigt hatte von dem Schlamme des Meeres, salbte er feinen Körper und legte die köstlichen Gewänder an. Seine Schutzgöttin erhöhete die Größe und die Fülle feiner Gestalt und ließ fein Haar in Locken von feinem Scheitel wallen. So stand er, vorher noch der unansehnliche Fremdling, in jugendlicher Kraft und Schönheit vor den erstaunten Mädchen, deren Blicke voll Verwunderung auf dem herrlichen Manne
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ruhten. Nachdem Odysseus sich durch Speise und Trank erquickt, folgte er den-Mädchen zur Stadt; doch Nausikaa lief voraus, denn sie schämte sich, mit dem fremden Manne heimzukehren.
Athene selbst, in der Gestalt eines Mädchens mit einem Wasserkrug, zeigte ihm den Weg zum königlichen Palast, in welchem Alles vom Glanz des Goldes und Silbers strahlte. Odysseus nahte flehend der am Herde sitzenden Königin und bat, ihre Kniee umfassend, um gastliche Aufnahme. Dann setzte er sich, der Antwort harrend, auf den Herd; doch alsbald trat König Alcinous selbst zu ihm und führte ihn zu einem prächtigen Sessel. Von nun an ward Odysseus geehrt wie ein Fürst und er durfte in des Königs Palast leben wie in seinem eigenen.
Zur Ehre des fremden Gastes wurden Spiele und heitere Feste angestellt und es erschien ein Sänger, der sang von dem Kriege gegen Troja, von dem hölzernen Roß, durch welches die stolze Veste erobert ward, von der Klugheit des Odysseus. Niemand ahnte, daß der Held selber gegenwärtig sei. Als man ihn aufforderte, auch Etwas der Versammlung zu erzählen, da bewegte es den Helden das Herz und er begann seine Rede und erzählte nun Alles, was er selber erlebt vom Falle Troja's an bis dahin, wo er auf der Insel der Phäaken landete. Mit staunendem Entzücken lauschten die Versammelten seiner Rede und als die Erzählung geendet, herrschte tiefe Stille im Kreise. Endlich erhob sich Alcinous und sprach: „Heil dir, edelster der Gäste, den mein königliches Haus jemals bewirthet hat; da du zu mir gekommen bist, so hoffe ich, du werdest nicht mehr von der rechten Bahn abirren und bald in deine Heimath gelangen. An Schiffen und guten Ruderern fehlt es uns nicht. Aber zuvor wollen wir dir unsere Geschenke bringen. In einer kunstreich geformten Lade liegen schon die herrlichen Kleider, dazu goldene Becher und Schalen von getriebener Arbeit. Hierzu füge ein Jeder von uns noch einen Dreifuß und ein Becken. Und wenn wir dann noch dem Zeus geopfert haben, dann magst du in Frieden von uns ziehen."
Allen Fürsten und den versammelten Gästen gefiel diese Rede. Am andern Morgen brachten die Phäaken sämmtliche Erzgeschenke auf das Schiff und Alcinous selbst stellte Alles sorgfältig unter die Bänke, damit die Ruderer nicht gehindert würden. Hierauf ward im Palast des Königs ein großes Abschiedsmahl gefeiert und dem Jupiter von den besten Rindern ein Opfer gebracht.
Schön war das Schiff geschmückt und wohlgerüstet; weiche Polster waren für Odyffeus ausgebreitet. Der Held stieg schweigend ein und legte sich zum Schlaf nieder. Sein Schlummer war süß, aber auch tief wie der Tod. Das Schiff aber flog schnell und sicher dahin, wie ein Wagen von vier Hengsten gezogen durch das Blachfeld; es war, als ob es das Fahrzeug wüßte, daß es einen Mami trage, der in Klugheit mit den Himmlischen wetteiferte und mehr Leides erduldet hatte, als irgend ein Sterblicher.
ßö
8.
Als der Morgenstern am Himmel stand und den Tag ankündigte, steuerte das Schiff in vollem Laufe schon auf die Insel Jthaka zu und bald lief es in die sichere Bucht, welche dem Meeresgott Phorkos gewidmet war. Zwei Landspitzen mit gezackten Felsen laufen hier zu beiden Seiten in das Meer hinaus und bilden für die Schiffe einen sicheren Hafen. Im Mittelpunkte der Bucht stand ein schattiger Oelbaum und neben demselben war eine liebliche Grotte, in deren tiefer Dämmerung Meernymphen ihren Wohnsitz hatten. Dort standen steinerne Krüge und Urnen gereiht, in welchen Bienen Honig bereiteten; auch Webstühle von Stein konnte man da sehen, mit purpurnen Fäden bezogen, welche die Nymphen zu wundervollen Gewänden verwoben. Zwei nie versiegende Quellen rannen durch die Grotte, die einen gedoppelten Eingang hatte, den einen für die Menschen, den andern für die Nymphen, den nie ein Sterblicher betrat.
Bei dieser Höhle landeten die Phäaken, hoben den immer noch fest schlafenden Odysseus aus dem Schiff, legten ihn sammt dem Polster ganz leise auf den Sand unter dem Oelbaum nieder und holten dann auch alle Geschenke herbei und legten diese seitwärts vom Wege, damit nicht etwa ein vorübergehender Wanderer den Schlummernden berauben möge. Den Helden aus seinem Schlafe zu wecken, wagten sie nicht.
Als Odysseus erwachte, glaubte er von den Phäaken hintergangen und an ein ganz fremdes Gestade ausgesetzt zu sein, denn Athene hatte die, Gegend rings umher in einen dichten Nebel gehüllt, so daß der Held seine eigene Heimath nicht erkannte. Bald aber erschien die Göttin, nahm den Nebel oon_ der Gegend hinweg und nun schaute Odysseus mit freudigem Herzen sein Heimathland. Die Schätze mußte er auf Befehl der Minerva in der Grotte verbergen und dann eröffnete ihm die kluge Göttin, wie er Rache an den übermüthigen Freiern nehmen könnte, die ihm Hab und Gut verpraßten. Zuerst aber, so rieth sie ihm, sollte er zum Eumäus, dem göttlichen öauhirten, gehen, der von allen seinen Dienern am treuesten ihm anhing. Damit aber Niemand den Odysseus erkennen möge, verwandelte ihn Athene in einen armen alten Bettler, ließ seine blühende Gestalt zusammenschrumpfen zum häßlichen Greise und blendete den Glanz seiner Augen. Statt der köstlichen Gewänder hüllte sie ihn tn ärmliche Lumpen und gab ihm sogar noch einen Bettelsack. In diesem Aufzuge erschien Odysseus bei seinem treuen Diener Eumäus.
d Dieser saß gerade und schnitt sich ein Paar Sohlen aus einer Stierhaut; beim Anblick des Fremden ließ er aber die Arbeit fahren und führte den Gast in seine Wohnung, wo er ihn mit Ferkelfleisch bewirthete, denn die fetten Mastschweine mußte er ja für die Freier in die Stabt schicken. Die Rede kam bald auf Odysseus und der vermeintliche Bettler schwur beim Zeus, daß der Held bald kommen und Rache an den Frevlern nehmen würde. Doch Eumäus schenkte dem keinen Glauben
Grube, Geschichtsbilder. I. -
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und meinte, sein unglücklicher Herr sei gewiß schon längst eine Beute der Fische. „Glaube das nicht, mein Lieber," sprach Odysseus, „ich schwöre dir bei deinem gastfreundlichen Tische und bei dem Herde des Odysseus, ehe noch dieser Monat abgelaufen ist, wird er erscheinen und die Frechen züchtigen."
Am andern Tage kehrte auch Telemach von seiner Reise zurück, wiederum ganz geheim, denn die Freier lauerten ihm auf. Bevor er zur Mutter ging, kehrte er erst bei dem treuen Sauhirten ein und ward von ihm wie ein Sohn von seinem Vater empfangen. Ehrerbietig stand der verkleidete Odysseus vor seinem eigenen Sohne auf; doch Telemach sagte freundlich: „Bleib sitzen, Alter, es wird sich für mich auch noch ein Plätzchen finden" Eumäus aber eilte, der Penelope die glückliche Ankunft ihres Sohnes zu melden.
Jetzt sprach die Göttin Minerva in das Herz des Odysieus: „Gib dich dem Sohne zu erkennen!" Und von Minerva's Stabe berührt, stand jetzt der Vater, in einen kostbaren Mantel und Leibrock gekleidet, in der Fülle seiner schönen und kräftigen Heldengestalt vor dem Sohne, der ihn staunend für einen Gott hielt. „Nein, ich bin fein Gott" erwiederte Odysseus — „ich bin dein Vater, wegen dessen du von trotzigen Männern viele Kränkungen erduldest." Noch immer war Telemach ungläubig und erst als ihn Odysseus beschied, die Verwandlung sei ein Werk der Schutzgöttin Athene, schlang der Sohn in Freudenthränen die Arme um den lange vermißten Vater. Dieser erzählte nun in aller Hast die Geschichte seiner Heimkehr und besprach dann mit Telemach den Plan zur Rache. Als Bettler wollte Odysseus in die Stadt gehen, alle Schmähungen und Kränkungen der Freier geduldig ertragen und auch Telemach sollte sein Gefühl für den Vater verleugnen und ruhig zusehen, wenn dieser mißhandelt würde. Telemach sollte ganz im Geheimen alle Waffen aus dem Saale tragen und nur für sich und Odysseus Schwerter, Speere und Schilde zurücklassen. Niemand, selbst Penelope nicht, dürfte von -dem Plane etwas erfahren.
9.
Nach dieser Unterredung kehrte Telemach nach der Stadt zurück in den königlichen Palast. Als die Freier ihn sahen, wurden sie zornig, daß er ihnen entwischt war, denn sie trachteten ihm nach dem Leben.
Odysseus hatte schon seine Bettlergestalt wieder angenommen, als Eumäus von der Stadt zurückkehrte. Der tresfliche Sauhirte bereitete seinem Gastfreund ein weiches Lager und am andern Morgen ging er mit ihm zur Stadt. Schon unterwegs erfuhr der verkleidete König harte Kränkungen von einem unverschämten Ziegenhirten, dem Melatttheus, der es mit den Freiern hielt und ihnen Ziegen zum Schmause in die Stadt führte. Als er die beiden Alten sah, rief er höhnisch: „Wahrlich, das heißt recht, ein Taugenichts führt den andern! Stets gesellen ja die Götter Gleiches zu Gleichem! Was führst du nun, Sauhirt, diesen
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Fresser, diesen Tellerlecker, diesen beschwerlichen Bettler in die Stadt, der, die Schultern an den Thürpfosten sich reibend, um Brocken bittet? Wenn er zum Hüter eines Geheges, zum Ausfegen der Ställe taugte, könnte er Molken trinken und Fett auf die Lenden gewinnen; doch zur Landarbeit wird er keine Lust haben und lieber für seinen unersättlichen Vauch um Futter betteln. Im Palast des Odysseus werden ihn die Freier mit Schemeln werfen und ihm die Rippen zerschmettern!"
Diese und andere Schmähungen ertrug der Held mit ruhiger Gelassenheit; der Ziegenhirt Melantheus enteilte zum Palaste und auch Eumäus und der Bettler langten nach ihm an. Vor der Wohnung auf einem Haufen Dünger lag ein alter Hund des Odysseus, der, vormals ein stattlicher Jagdhund, verachtet und von Ungeziefer verzehrt wurde. Das treue Thier erkannte sogleich den Herrn und wedelte mit dem Schwänze, doch vermochte es aus Schwäche nicht mehr zu ihm zu gehen. Sein Herr unterdrückte heimlich eine Thräne, der Hund aber fiel, als ob er des Herrn Wiederkehr habe abwarten wollen, todt nieder.
Jetzt trat Odysseus in den Saal, und als er von Telemach Speise empfangen hatte, flehete er der Reihe nach auch die Freier um Gaben an, die ihm auch alle von ihrem Ueberfluß mittheilten; nur der Vornehmste und Uebermüthigste, Antinous, wies ihn mit Scheltworten ab und warf ihn mit dem Schemel an die Schultern; doch Odysseus duldete schweigend die Mißhandlung. Da kam noch ein Bettler, Namens Jros, in den Saal, der bei den Freiern Zutritt hatte. Dieser ward unwillig, einen andern Bettler an seinem Platze zu sehen, stieß den Odysseus zurück und drohete ihm mit Faustschlägen. „Laßt die Bettler kämpfen" — riefen die Freier — „das wird ein ergötzliches Schauspiel sein!" „Dem Sieger einen fettgebratenen Geismagen zur Belohnung!" riefen wieder Einige. Odysseus war gleich bereit und als er seine gewaltigen Schultern und Arme entblößte, erstaunten die Freier über den kräftigen Gliederbau. Bald war der Kampf beendet; denn Odysseus schlug dem Jros unter dem Ohr an den Hals, daß die Knochen zerbrachen und ein Blutstrom seinem Munde entquoll. Dann zog er den Geschlagenen auf den Vorhof und setzte ihn dort an einer Mauer nieder.
Als der Abend herankam, wurden Feuer angezündet, den großen Märmersaal zu erleuchten. Die Freier kamen von ihren Spielen zurück und das tobende Gastmahl begann auf's Neue. Odysseus fand sich auch wieder ein und bettelte bei den Gästen in demüthiget Stellung. Da mußte er wieder manches Schmähwort erdulden, vorzüglich von Antinous, dem der Bettler besonders zuwider war. Endlich begaben sich die ausgelassenen Männer in ihre eigenen Häuser zur Ruhe. Da trat die schöne Penelope mit ihren Mägden aus dem Gemach, denn sie hatte durch den treuen Eumäus vernommen, es sei ein fremder Bettler angekommen, der viel vom Helden Odysseus zu erzählen wisse. Man setzte dem verkleideten Alten einen Sessel zurecht und dieser erzählte nun, wie er aus Kreta gebürtig sei, vor Troja gekämpft, auch den Odysseus gesehen habe,
5*
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von dem man wisse, daß er frisch unb gesund im Lande der Thesprotier sich aufhalte und bald in die Heimath zurückkehren werde.
Diese Erzählung klang so wahrscheinlich, daß Penelope, im Herzen darüber erfreut, dem armen Bettler sehr gewogen war und ihrer Schaffnerin Euryklea gebot, dem Gaste die Füße zu waschen. Die gute Eury-klea holte schnell eine Wanne, goß warmes Wasser hinein, fühlte sich aber von einer freudigen Ahnung bewegt, denn sie hatte an dem fremden Manne bekannte Züge entdeckt. Als sie aber die Wanne dem Gaste unter die Füße schob und an dem Bein des Fremden die ihr wohlbekannte Narbe gewahrte, erschrak sie so sehr, daß sie das Gefäß umwarf und alles Wasser verschüttete. Penelope war schon hinausgegangen und bemerkte das nicht; aber Odysseus gebot der hocherfreuten Schaffnerin mit strenger Miene, zu schweigen.
Nachdem noch der Jüngling Telemach die Waffen gebracht hatte, hüllte sich Odysseus in eine Stierhaut und streckte sich auf den Fußboden des Saales zur Ruhe hin; aber der Schlaf kam nicht in seine Augen.
10.
Mit dem andern Morgen brach der Tag der Entscheidung an. Die Freier kamen und begannen ihr wüstes Treiben noch ärger als sonst, ohne sich durch die Zeichen des nahen Verderbens warnen zu lassen; sie aßen blutbesudeltes Fleisch und die Thränen standen ihnen in den Augen. Doch sie achteten nicht darauf, denn Minerva hatte ihre Augen mit Blindheit geschlagen.
Penelope veranstaltete nun einen Kampf und versprach dem Sieger ihre Hand zu geben. Sie stellte zwölf Beile hinter einander im Saale auf und gebot den Freiern, einen Pfeil mit dem gewaltigen Bogen des Odysseus durch die zwölf Oehre der Beile zu schießen. Die Freier nahmen den Kamps an, doch keiner vermochte den schweren Bogen zu spannen, obschon sie ihn durch Salbe und Wärme geschmeidig zu machen suchten. Da wurden die Männer ungeduldig und sprachen: „Lasten wir die Sache bis morgen!" Doch Odysseus bat sie in aller Demuth, daß sie ihm doch auch einmal den Bogen überlassen möchten. Die Freier lachten und ergrimmten über die Unverschämtheit des Bettlers, aber Telemach reichte ihm die Waffe. Eine Weile betrachtete der Held kunstverständig den ihm wohlbekannten Bogen, dann faßte er mit kräftiger Hand die Sehne und spannte sie — es krachte und der Pfeil flog durch die Oehre der Veile, ohne ein einziges zu verfehlen.
Jetzt aber war auch Telemach bereit; auf einen Wink des Odysseus gürtete er sein Schwert um, trat zu dem Vater heran und beide stellten sich auf die Schwelle des Saales. Daun die Pfeile aus dem Köcher schüttend, rief Odysseus mit lauter Stimme zu den Freiern: „Ein Wettkamps ist vollendet, aber ein anderer kommt noch. Jetzt wähle ich ein Ziel, das noch kein Schütze getroffen hat!" Kaum hatte er die Worte gesprochen, so flog sein Pfeil dem Antinous in die Kehle; der sank
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blutig zurück und stürzte den Tisch mit den Speisen um. Noch glaubten die Freier, es sei dem Alten unversehens der Pfeil entflogen, doch Odysseus rief mit finsterem Blick: „Ha, ihr Hunde! Ihr dachtet, ich würde nimmer meine Heimath wiedersehen, darum habt ihr mein Gut verpraßt. Doch jetzt ereilt euch die Rache!"
Unterdessen hatten sich auch der treue Sauhirt und der Ninderhirt
bewaffnet und kämpften gegen die Freier. Diese zogen sich hinter die
Tische und Bänke zurück und lehnten sich an die Wand. Eurymachus, einer von den Edelsten in Jthaka, rief: „Wir wollen dir Alles ersetzen, furchtbarer Odysseus, schone nur unser Leben!" Doch er hatte seine letzten Worte gesprochen, ein Pfeil des schrecklichen Bogens streckte ihn zu Boden. Telemach traf auch gut und eine Leiche nach der andern füllte den Saal. Da Holle der schändliche Ziegenhirt Melantheus den Freiern Waffen herbei und diese drangen verzweiflungsvoll kämpfend vor. Sie schleuderten ihre Lanzen auf den grimmigen Odysseus, aber Athene schirmte ihn und keine traf. Zum zweiten Male schlich sich der treulose Hirt hinweg, um neue Waffen zu holen; doch der Sauhirt und der Rinderhirt
eilten ihm nach, banden ihm Hände und Füße auf den Rücken und hingen
ihn aus unter das Dach des Hauses. Dann kehrten die Treuen in den Saal zurück und halfen die letzten der Freier todten.
Als der furchtbare Mord vollbracht war, rief man die Schaffnerin Euryklea in den Saal. Diese frohlockte beim Anblick der Haufen der Erschlagenen, doch Odysseus bezähmte ihren Jubel mit den Worten: „Freue dich im Geiste, Mutter, und enthalte dich alles Frohlockens, denn es ist Sünde, über erschlagene Menschen zu jauchzen." Sie mußte aber die treulosen Mägde nennen, welche den Freiern ergeben gewesen waren; die wurden, zwölf an der Zahl, alle aufgehängt.
Nun schafften Odysseus und Telemach die Leichen aus dem Saale, die Schaffnerin wusch das Blut hinweg und Odysseus räucherte mit Schwefel; Penelope hatte noch geschlafen und wußte nicht, was sich unter-deß in ihrem Hause begeben. Jetzt wird sie von Euryklea gerufen und in den Saal geführt; der Held Odysseus stand vor ihr in seiner Kraft und Hoheit und die treue Gattin fiel sprachlos in seine Arme.
Vierter Abschnitt.
Charakterbilder aus der Geschichte der Perser. Cyrus, Kambyses, Darms.
I. Cyrus*).
1.
Eon der Geburt und Erziehung berühmter Männer erzählt die Sage gewöhnlich immer Wunderbares und Auffallendes, als hätte die Vorsehung schon dadurch die Menschen aus die wichtige Bestimmung derselben aufmerksam machen wollen.
Astyages, der letzte König von Medien, hatte einen Traum, in welchem er aus dem Schooße seiner Tochter Mandane einen Baum hervor -wachsen sah, dessen Schatten ganz Asien und ihn selber überdeckte. Er ließ die Traumdeuter an seinen Hof kommen und legte ihnen seinen sonderbaren Traum vor. Diese deuteten ihn auf einen Sohn, den Mandane gebären und der einst Herr über ganz Asien und ihm selbst gefährlich werden würde. Hierüber erschrak der König. Damit der Traum nicht in Erfüllung gehen möchte, entfernte er seine Tochter vom Hofe und schickte sie nach der kleinen Landschaft Persis. Dort gab er sie einem Perser, mit Namen Kambyses, zur Frau, von dem er nichts fürchtete, weil er ohne Macht und Ansehen und friedliebender Natur war. Nach Jahresfrist bekam Mandane einen Sohn, welcher den Namen Kores oder Cyrus, d. i. Sonne, erhielt. Der König, welcher wiederholt von der künftigen Macht seines Enkels geträumt hatte, wurde immer ängstlicher. Er ließ das Kind holen und gab es dem Harpagus, einem seiner Hofleute, mit dem Befehle, dasselbe im wildesten Gebirge dem Verhungern auszusetzen. Harpagus nahm das Kind, ging fort und weinte. Er konnte es nicht über's Herz bringen, das unschuldige Kind selbst zu tödten. Doch fürchtete er den Zorn seines Königs und gab es einem Hirten zum Aussetzen. Dem guten Hirten wollte das auch nicht
*) Nach Th. Weiter.
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in den Sinn. Er nahm das schöne Knäblein mit sich nach Hause und gab es seiner Frau, deren Kind eben gestorben war. Und sie schmückten ihr todtes Kind mit den schönen Kleidern des Cyrus und setzten es statt seiner aus. Drei Tage nachher ging der Hirt in die Stadt und sprach zum Harpagus: „Jetzt kann ick dir des Knaben Leiche zeigen!" Da schickte Harpagus seine getreuesten Lanzenträger, ließ Mischen und diese begruben — des Hirten Sohn.
Cyrus aber wuchs in voller Schönheit heran, denn das einfache Leben bei den Rinderhirten bekam ihm gut. Fröhlich wie das Lämmchen auf der Weide, hüpfte er umher und spielte mit den andern Kindern. Gewiß ahnte Keiner, daß das muntere Knäblein in feinem Schäferröckchen einst noch der mächtigste König von Asien werden würde. Die Kinder hatten ihn alle so lieb, weil er so munter und verständig war. Bei ihren Spielen mußte er immer König sein. Einst spielte auch der Sohn eines vornehmen Meders mit ihnen. Cyrus war wieder zum König erwählt worden und wies jedem seinen Posten an. Das vornehme Söhn-chett aber wollte sich von dem Hirtenknaben nicht befehlen lassen und zeigte sich sehr widerspenstig. Doch der kleine König machte wenig Umstände mit ihm, er ließ ihn von den andern Knaben greifen und spielte seinem Rucken mit Peitschenhieben übel mit. Der also bestrafte Knabe lief eilends zu fernem Vater und klagte ihm weinend, was Cyrus ihm gethan habe. Er sagte aber nicht „Cyrus" (denn diesen Namen hatte jener noch nicht), sondern „der Knabe vom Rinderhirten des Astyages." Der Vater ging in feinem Zorn vor Astyages, nahm auch gleich den Knaben mit und erklärte, daß ihm Schimpf angethan worden fei, indem er sagte: „Mein König, von deines Knechtes, des Rinderhirten Sohn, werden wir so gemißhandelt." Und dabei zeigte er den Rücken des Knaben.
Astyages, um der Ehre des vornehmen Mannes willen, versprach, den übermüthigen Knaben strafen zu lassen. Er ließ sogleich den Hirten sammt feinem Sohne kommen. „Wie hast du dich unterstehen können" — so fuhr er den Cyrus an — „so schmählich den Sohn eines Mannes zu behandeln, der bei mir in großen Ehren steht?" „O Herr," — antwortete der kleine Cyrus freimüthig, — „dem ist bloß fein Recht geschehen. Die Knaben des Ortes, unter welchen auch dieser war, hatten mich zu ihrem Könige ernannt. Die andern alle thaten, was ihnen geboten war; der aber war ungehorsam und achtete mich nicht. Dafür hat er feine Strafe bekommen. Habe ich damit etwas Schlimmes gethan, wohlan, da hast du mich J"
Als der Knabe so sprach, schöpfte Astyages sogleich Verdacht; denn nicht nur schienen ihm die Gesichtszüge wie die seiner Tochter, sondern auch das Benehmen des Knaben war so fürstlich und nicht wie das eines Sklaven: auch die Zeit der Aussetzung schien ihm mit dem Alter des Knaben zusammenzutreffen. „Wie!" — sprach Astyages bei sich selbst — „sollte das der Sohn meiner Tochter sein? Wer hat dir den Knaben
gegeben?" fuhr er den Hirten an. Dieser gestand vor Angst Alles. Jetzt ergrimmte der König in seinem Herzen über Harpagus und er gebot seinen Lanzenträgern, ihn sogleich zu rufen. Als Harpagus da war, that Astyages freundlich und sprach: „Sag' mir doch, lieber Harpagus, welchen Tod hast du dem Kinde angethan, das ich dir übergab, da cS meine Tochter geboren hatte?" Harpagus erschrak, und als er den Rinderhirten beim Könige erblickte, war er nicht mehr in Zweifel, daß die Sache verrathen sei. Darum erzählte er offen und frei heraus, wie er das Kind dem Hirten übergeben habe, daß dieser es tödten sollte. Astyages verbarg seinen Zorn und stellte sich, als wäre er hocherfreut, daß der Knabe noch am Leben sei. „Ich will ein Freudenmahl aus* richten," sprach er zum Harpagus, „und du sollst mit mir zu Tische sein. Zuvor schicke mir aber dein Söhnchen, daß es mit dem Cyrus spiele!"
Da freuete sich Harpagus und schickte seinen Knaben, das einzige Kind, das er hatte. Aber Astyages nahm den Sohn des Harpagus, schlachtete denselben und zerschnitt ihn gliederweis: von diesem Fleisch bratete er einen Theil, den andern kochte er. So richtete er's schicklich zu und hielt es bereit. Als aber zur Stunde des Mahles die Gäste und darunter auch Harpagus sich einfanden, wurden die Tische vor dem Könige und seinen Gästen mit Lämmerfleisch besetzt, dem Harpagus aber sein ganzer Sohn aufgetragen, außer dem Kopf, den Händen und Füßen. Das lag beiseit in einer Schüssel verdeckt. Als nun Harpagus gegessen hatte, fragte ihn Astyages: „Nun, wie hat dir der Schmaus behagt?" — „Ganz vortrefflich," erwiederte fröhlich der Vater. „Weißt du aber auch," fuhr Astyages mit bitterem Hohne fort — „von welchem Wildpret du gegessen hast?" Und siehe, da brachten auf einen Wink des Königs die Diener eine verdeckte Schüssel, darin waren Kopf, Arme und Beine des gemordeten Knaben. „Kennst du das Wild?" sprach hohnlachend der König. Harpagus erbleichte, sein Vaterherz blutete, aber er durfte seinen Schmerz nicht laut werden lassen. Schnell faßte er sich und antwortete: „Es ist Alles gut, was der König thut." Aber im Stillen schwur er dem grausamen König furchtbare Rache.
Nun ließ Astyages dieselben Magier wieder zu sich entbieten, die ihm das Traumgesicht gedeutet hatten. Sie beruhigten den besorgten König und sprachen: „Dein Traum, o König, ist nun in Erfüllung gegangen, denn dein Enkel ist zum König erwählt worden. Gut, daß er nur im Spiele König gewesen ist, denn er wird nicht zum zweiten Mal König werden. Ein Traum geht nur Ein Mal in Erfüllung."
Astyages freute sich und ließ den Cyrus kommen und sprach: „Mein Sohn, ich habe dir großes Unrecht gethan, weil mich ein trügerisches Traumgesicht verführte, doch ein gutes Glück hat dich erhalten. Jetzt gehe freudigen Muthes nach dem Perserlande, ich werde dich geleiten lassen. Dort wirst du einen ganz anderen Vater und eine ganz andere Mutter finden, als den Hirten und seine Frau." Hierauf entließ er den Cyrus, der ganz erstaunt war über das, was er vernommen.
73
2.
Als der Knabe im Hause des Kambyses anlangte und sich Zu erkennen gab, da war die Bewunderung und Freude seiner Eltern über alle Maßen. Sie hatten ihn schon längst todt geglaubt. Cyrus konnte nicht genug erzählen und sein drittes Wort war immer die Hirtenmutter, die er sehr lieb gewonnen hatte.
Den Astyages verlangte es aber nach seinem Enkel und er ließ ihn und seine Mutter wieder zu sich an seinen Hof kommen. Der Knabe war in der strengen kriegerischen Lebensweise der Perser auserzogen und machte große Augen, als er beim Könige Alles so fein geputzt und geschmückt fand. Selbst der König auf seinem Throne hatte sich Lippen und Wangen, Stirn und Augenbrauen gefärbt. Cyrus sprang, wie er in das Zimmer trat, auf den geputzten Alten zu, fiel ihm um den Hals und rief: „O was ich für einen schönen Großvater habe!" — „Ist er denn schöner als dein Vater?" fragte lächelnd die Mutter. „Unter den Persern," antwortete Cyrus, „ist mein Vater der schönste; aber unter den Medern der Großvater." Dem alten Könige gefiel diese Antwort; er beschenkte den Kleinen reichlich und dieser mußte bei Tische immer neben ihm sitzen. Hier wunderte er sich über die Menge Gerichte, mit welchen die Tische von oben bis unten besetzt wurden. „Großvater" — rief er — „du hast doch viele Mühe, satt zu werden, wenn du von dem Allen essen mußt!" Astyages lachte und sprach: „Jst's denn hier nicht besser als bei euck in Persien?" — „Ich weiß nicht," antwortete Cyrus, — „aber wir werden viel geschwinder und leichter satt. Uns ist Brod und Fleisch genug, um satt zu werden; ihr aber, ach! was braucht ihr für Arbeiten und Umschweife, bis ihr so weit kommt!" Mit Erlaubniß des Großvaters vertheilte nun Cyrus die übrig gebliebenen Speisen unter die Diener und alle bekamen etwas, nur nicht Sakas, der Mundschenk und Liebling des Königs. „Warum bekommt denn dieser nichts," — fragte scherzend der König, — „er schenkt ja den Wein so geschickt ein?" „Das kann ich auch," — erwiederte rasch der Kleine, — „und trinke dir nicht zuvor den halben Becher aus!" Darauf nahm er den Becher, goß Wein hinein und reichte ihn ganz artig dem Könige. „Nun," - sprach der Großvater, „du mußt auch den Wein erst kosten." — „Das werde ich wohl lassen," antwortete der Kleine, — „denn es ist Gift darin, das habe ich neulich bei eurem Trinkgelage wohl bemerkt. Was war das für ein Lärm! Wie habt ihr durcheinander geschrien und gelacht! Die Sänger schrien sich die Kehlen heiser und Niemand konnte sie hören. So lange ihr saßet, prahltet ihr mit eurer Stärke; und als ihr aufstandet, konnte keiner gehen, ihr fielet über eure eignen Füße. Ihr wußtet nicht mehr, was ihr wäret, du, o König, nicht, daß du König, jene nicht, daß sie Unterthanen waren." — „Aber," sprach Astyages, „wenn dein Vater trinkt, berauschet er sich nie?" — „Nie." — „Und wie macht er es denn?" — „Er hört auf zu dürsten, sonst nichts."
Wegen solcher und ähnlicher munterer Einfälle gewann Astyages seinen Enkel immer lieber. Er ließ ihn reiten, schenkte ihm die schönsten
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Reitpferde, nahm ihn mit sich auf die Jagd und machte ihm allerlei Kurzweil, um ihn recht an sich zu feffeln. Harpagus freute sich auch über den Jüngling, aber aus einem andern Grunde als Astyages.
3.
Cyrus kehrte wieder nach Persien zurück und galt bald für den angesehensten und rüstigsten Mann im ganzen Lande. Harpagus schickte ihm heimlich allerlei Geschenke, um ihn für sich zu gewinnen. Eines Tages schickte er ihm einen Hasen. „Du möchtest ihn," sagte der Bote, „aufschneiden, wenn Keiner es sieht." Cyrus that das und fand zu seinem Erstaunen im Bauche einen Brief, worin ihn Harpagus ermunterte, die Perser zum Abfalle von der medischen Herrschaft zu bewegen und
dann seinen tyrannischen Großvater selbst mit Krieg zu überziehen. Der
Vorschlag gefiel dem thatenlustigen Manne. Mit dem Brief in der Hand trat er unter das versammelte Volk und sprach: „Kraft dieses Briefes hat mich Astyages zu eurem Anführer ernannt und ich befehle euch nun, daß Jeder morgen früh mit einer Sichel erscheine." Die Perser thaten, wie ihr Anführer ihnen befohlen. Den ganzen Tag mußten sie die schwerste Arbeit verrichten, ein wüstes Dornfeld reinigen und umarbeiten. Am Abend dieses arbeitsvollen Tages befahl ihnen Cyrus, am andern Morgen abermals zu erscheinen, aber wohl geschmückt. Als die Menge versammelt war, lud er sie ein, im weichen Grase sich zu lagern. Nun wurden Früchte und Wein und Schlachtvieh herbeigeschleppt, man kochte und bratete, Alles war froh und schmauste nach Herzenslust.
„Nun, liebe Landsleute," sprach Cyrus, — „welcher Tag gefällt euch besser, der gestrige oder der heutige?" „Wie du doch fragst," riefen Alle verwundert, — „gestern waren wir ja Sklaven und heute sind wir Herren!" — „Und solche Herren werdet ihr immer sein," fuhr Cyrus fort, „wenn ihr das Joch der Meder abwerft; Sklaven aber wie gestern, so lange der Wütherich Astyages euer Herr ist. Wohlan denn, folget
mir und ihr werdet frei sein!"
Die Perser waren schon längst über den harten Druck der Meder empört, darum war ihnen der Antrag des Cyrus willkommen. Sie sagten sich von Astyages los und riefen den Cyrus zu ihrem Könige aus. Sobald Astyages hiervon Kunde erhielt, sendete er ein Heer aus gegen die Empörer und den Harpagus stellte er an die Spitze. Für diesen war jetzt die Zeit der Rache gekommen; er ging mit dem ganzen Heere zum Cyrus über. Da gerieth der König in Wuth und ließ alle Traum-deuter kreuzigen. Er selbst aber zog nun mit einem zweiten Heere gegen Cyrus. Bei Pasargadä (Persepolis), dem uralten Sitze persischer Fürsten, kam es zum Treffen; Astyages wurde geschlagen und gefangen. Cyrus behandelte seinen Großvater mit schuldiger Liebe und behielt ihn bei sich bis zu dessen Tode. So war Cyrus Herr von Medien.
Die umliegenden Völker, namentlich die Armenier, welche den Medern Tribut bezahlt hatten, glaubten ihn dem Cyrus, einem Perser, verweigern
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zu können. Cyrus fiel schnell in ihr Land ein und nahm die ganze armenische Königsfamilie gefangen. Diese fürchtete Tod oder ewige Gefangenschaft. Doch Cyrus ließ sie mit einer so freundlichen Großmuth frei, daß er sich aus Feinden die besten Freunde machte und in Verbindung mit den Armeniern alle Nachbarvölker zwang, den Persern sich zu unterwerfen.
4.
Ganz Asien zitterte. Da stand in Kleinasien der König von Lydien auf, Krösus mit Namen, der Schwager des Aftyages. Seine Herrschaft erstreckte sich über ganz Vorderasien bis hinauf zum Flusse Halys, der sein Reich von Persien trennte. Er war unermeßlich reich und hielt sich deshalb auch für den glücklichsten Mann von der Welt. Einst kam Solon zu ihm, ein Weiser aus Griechenland. Diesem zeigte er alle Reichthümer und Schätze und sagte ihm dann mit großem Selbstbehagen: „Wohlan, Solon, du bist so weit in der Welt umhergereist, sage mir, wen du für den glücklichsten unter den Sterblichen hältst?" — „Tellus, einen Bürger von Athen," war die Antwort. Krösus wunderte sich, daß er einen gemeinen Bürger ihm, dem großen Könige, vorzöge und fragte unwillig: „Warum hältst du diesen Menschen für den glücklichsten?" „Dieser Tellus" — antwortete der weise Solon, — „lebte zu Athen, als die Stadt blühend und glücklich war. Er hatte schöne und gute Kinder, erlebte sogar Kindeskinder und alle blieben am Leben. Er selbst war brav und in der ganzen Umgegend geachtet. Bei genügendem Auskommen lebte er glücklich und zufrieden und hochbejahrt starb er in einem siegreichen Treffen den Tod für's Vaterland. Seine Mitbürger ehrten sein Andenken durch eine Ehrensäule, die sie ihm setzten." — „Aber wen," fragte der König, „hältst du nach diesem für den glücklichsten?" — „Zwei griechische Jünglinge," war die Antwort, „Kleobis und Bi ton. Sie waren Brüder und besaßen eine außerordentliche Leibesstärke. Beide trugen einst in unsern öffentlichen Kampfspielen den Sieg davon. Dabei hatten sie eine innige Liebe zu ihrer alten Mutter. Diese war Priesterin. Einst bei einem Feste mußte sie nothwendig nach dem Tempel fahren; aber ihre Ochsen kamen nicht zu rechter Stunde von dem Felde. Da spannte sich das schöne Brüderpaar selbst vor den Wagen und zog die alte Mutter bis an den Tempel. Und als das Volk bewundernd dies sah, als die Männer die Kraft und Tugend der Jünglinge erhoben, die Frauen aber die Mutter über den Besitz solcher Kinder glücklich priesen, wurde die Mutter tief gerührt. Freudig eilte sie mit ihren Söhnen in den Tempel, warf sich vor dem Bilde der Göttin nieder und flehete, sie möge ihren Kindern geben, was für diese das Beste wäre. Darauf sanken die betenden Jünglinge, überwältigt von der Ermüdung, in einen tiefen Schlaf, aus dem sie nicht wieder erwachten. Die Griechen aber setzten ihnen Ehrensäulen zum Denkmal ihrer schönen That und ihres schönen Todes."
„O athenischer Fremdling!" — rief Krösus unwillig, — „achtest du denn mein Glück so gering, daß du mich nicht einmal mit gemeinen Bürgern
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in Vergleichung stellst?" Solon antwortete: „O Krösus! Oft ist ein armer Mann weit glücklicher, als ein reicher. Und dann bedenke ich immer, daß das menschliche Leben wohl siebenzig Jahre währt und in dieser Zeit Vieles sich ändern kann. Niemand ist vor seinem Ende glücklich zu preisen."
Krösus hielt den Solon für sehr unweise, weil er das gegenwärtige Glück nicht achtete, sondern das Ende eines jeden Dinges abzuwarten befahl. Er mochte nicht länger mit ihm reden. Doch nur zu bald sollte er es erfahren, wie wahr Solon gesprochen habe. Er verlor einen Sohn, der auf einer Jagd verunglückte, und hatte leider nur noch einen, der taub und stumm war. Ein noch größeres Unglück aber stand ihm von Cyrus bevor. Gegen diesen rüstete er ein gewaltiges Kriegsheer. Bevor er aber ausrückte, schickte er nach Delphi, einer Stadt in Griechenland. Da war ein Tempel des Apollo und die Priester desselben standen in dem Rufe, daß die Götter durch ihren Mujtd die Zukunft offenbarten. Er ließ prachtvolle goldene Gefäße und andere Geschenke ihnen überbringen und fragen, welchen Ausgang der bevorstehende Krieg nehmen würde? Die Antwort lautete: „Wenn Krösus über den Halys geht, so wird er ein großes Reich zerstören/
Jetzt hielt er sich des Sieges gewiß. In freudiger Erwartung zog er über den Halys dem Cyrus entgegen. Fürchterlich war die erste Schlacht, kein Heer siegte, die Nacht trennte die Streitenden. Krösus zog sich nach seiner Hauptstadt Sardes zurück und ließ die Truppen auseinander gehen. Er hatte vor, im folgenden Jahre mit einem noch größeren Heere wieder vorzurücken.
5.
So lange ließ aber Cyrus nicht auf sich warten. Kaum war Krösus in Sardes, so stand er auch schon mit seinen wilden Schaaren von Reitern und Fußvolk vor den Thoren der Hauptstadt. Krösus wurde geschlagen, die Stadt erobert. Mit klirrenden Waffen drangen die erbitterten Feinde hinein und hieben Alles nieder. Und schon wollte einer den Krösus, welchen er nicht kannte, durchbohren, als sein ältester Sohn, dem die Angst plötzlich das Band der Zunge gelöst hatte, laut schrie: „Mensch, tödte den König nicht!" Da führte man den Krösus gefangen zum Cyrus. Im ersten Rausche des Sieges befahl dieser, ihn lebendig zu verbrennen. Sogleich wurde ein Scheiterhaufen errichtet und Krösus gefeffelt darauf gestellt. Schon schlugen hier und dort die Flammen gen Himmel auf, als der Unglückliche, eingedenk der Worte des griechischen Weisen, aus seiner dumpfen Betäubung erwachte und plötzlich durch die tiefe Stille des versammelten Volkes laut aufschrie: „O Solon, Solon, Solon!"
Das hörte Cyrus und «ward neugierig zu wissen, wen doch Krösus anrufe. Er ließ ihn deshalb wieder vom Scheiterhaufen herunter nehmen und durch Dolmetscher erfragen, was der Name „Solon" zu bedeuten habe. Krösus schwieg eine Weile still, dann aber sagte er: „Dieser Name nennt einen Mann, dessen Unterredung ich allen Fürsten wünsche, da sie
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mehr werth ist, als alle Schätze der Welt!" Dann erzählte er das mit Solon geführte Gespräch.
Cyrus wurde tief gerührt. Er bedachte, daß auch er ein Mensch und daß unter den menschlichen Dingen nichts beständig sei. So schenkte er dem Krösus das Leben und behielt ihn fortan als Freund und Rath-geber bei sich. Krösus war durch sein Unglück weiser geworden; denn als die Perser die lydische Hauptstadt ausplünderten, sprach er zum Cyrus: „König, soll ich dir jetzt meine Gedanken sagen, oder in diesem Augenblicke schweigen?" Cyrus ließ ihn aber getrost sagen, was er wollte. Und er fragte ihn: „Was hat denn jener Haufe von Kriegsleuten da so eilig zu schaffen?" Jener antwortete: „Deine Stadt plündern sie aus und deine Schätze führen sie fort." Da erwiederte Krösus: „Nicht meine Stadt noch meine Schätze plündern sie, sondern sie berauben dich!"
Cyrus wurde nachdenklich und drang in den unglücklichen König, ihm nur weiter feine Gedanken zu offenbaren. Da sprach Krösus: „Siehe, die Perser find durch Reichthum noch nicht verdorben, aber trotzig von Natur. Haben sie erst die Schätze in ihrem Besitz und du willst sie ihnen dann nehmen, so werden sie widerspenstig werden. Darum lege an alle Thore Wachen, welche den Plündernden die Schätze abnehmen, mit dem Bedeuten, daß der zehnte Theil dem Zeus geopfert werden müsse. Jetzt wirst du sie willig finden, später aber nicht."
Diese Worte gefielen dem Cyrus gar wohl und er befolgte den Rath feines Freundes. Dann sprach er zu ihm: „Bitte dir eine Gnade aus und sie soll dir werden!" Krösus antwortete: „Möchtest du, o Herr, dem obersten Gott der Griechen meine Fesseln übersenden und ihn fragen lassen, ob Betrug an Wohlthätern Brauch bei ihm sei?" — Die Boten wurden abgesandt, aber die delphischen Priester ließen dem Krösus sagen, sie hätten ihn nicht betrogen. Ein großes Reich sei ja zerstört, sie hätten aber nicht gesagt, daß das persische Reich zerstört werden sollte.
G.
Fortan begleitete Krösus den Cyrus auf seinen Heereszügen. Nach--dem schon fast alle Völker Asiens unterworfen waren, sollten nun auch die Griechen, welche an der westlichen Küste wohnten, sich unter die Herrschaft der Perser beugen. Cyrus hatte ihnen früher feine Freundschaft angeboten, sie aber hatten diese übermüthig zurückgewiesen und sich sogar mit dem Krösus verbinden wollen. Cyrus gab ihnen nun folgende Fabel zur Antwort: „Es war einmal ein Fischer, der saß lange am Ufer und Pfiff den Fischen zum Tanze. Sie wollten aber nicht kommen. Da nahm er ein Netz und fing sie. Und als er sie an's Land zog und sie nun um ihn herum sprangen, sagte er: „„Höret jetzt nur auf zu tanzen, da ihr vorher auf mein Pfeifen nicht habt tanzen wollen."" Es erging den asiatischen Griechen wie den gefangenen Fischen. Cyrus sendete einen feiner Feldherren ab, der sie besiegte und seinem Könige unterwarf. Er selbst aber ging auf das große babylonische Reich los und griff Babylon
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an. Die Riesenstadt mit ihren gewaltigen Mauern konnte durch Gewalt nicht genommen werden; Cyrus eroberte sie durch List. In einer finstern Nacht, als ein großes Fest in Babylon gefeiert wurde, ließ er das Wasser des Euphrat in ein anderes schon vorhandenes Bett ableiten. Da wurde der Fluß, welcher die Stadt durchzog, seichter und die Krieger drangen, bis an den Gürtel im Wasser watend, mit dem Strome unter den Mauern hindurch in die Stadt und überrumpelten die Einwohner bei ihrem schwelgerischen Feste. So wurde Cyrus in einer Nacht Herr der Stadt und des großen babylonischen Reiches.
Hiermit war er aber noch nicht zufrieden. Hinter dem kaspischen Meer wohnte das arme, aber kräftige Volk der Massageten. Auch dieses sollte unterworfen werden. Die Königin des Landes, mit Namen Tomyris, bot ihm die Hand zum Vertrage an, aber der kühne Eroberer wollte nichts von Verträgen wissen. Siegend drang er in's Land hinein, schlug die Massageten und nahm selbst den Sohn der Tomyris gefangen. Da rief die bedrängte Königin in Verzweiflung ihr ganzes Volk zum Kampfe auf. Nun wurde Cyrus geschlagen und fiel selbst im Treffen. Die zornige Königin ließ seinem Leichnam den Kopf abschlagen und diesen in ein Gefäß voll Blut tauchen mit den Worten: „Nun trinke dich satt, Barbar!"
Nach einer anderen Erzählung soll aber Cyrus daheim in Frieden gestorben sein und noch lange zeigte man zu Pasargadä sein von Magiern bewachtes Grab.
II. Kambys es.
Dem Cyrus folgte Kambyses und dieser schien mit dem Thron auch den kriegerischen Sinn des Vaters geerbt zu haben. Wie dieser Asien erobert hatte, so wollte er Afrika unter seine Herrschaft bringen. Aegypten sollte zuerst unterjocht werden und mit einem großen Heere brach er dahin auf. Er kam glücklich durch die arabische Sandwüste, welche der nördlichen Seite von Aegypten zur Vormauer dient. Bei der Stadt Pelusium traf er auf das feindliche Heer. An der Spitze desselben stand der König von Aegypten, mit Namen Psammenit. Dieser wurde geschlagen und floh mit den Trümmern seines Heeres in die feste Stadt Memphis. Auf eine ganz sonderbare Art soll Kambyses diesen Sieg erlangt haben. Seine vordere Schlachtreihe war mit Katzen bewaffnet, welche bei der Ankunft der Aegypter in die Höhe gehoben wurden. Die bestürzten Aegypter wagten nicht, ihre Pfeile abzuschießen, aus Furcht, die heiligen Thiere zu treffen.
Kambyses sandte alsbald ein Schiff den Nil hinaus und ließ durch Herolde die Stadt Memphis zur Uebergabe auffordern. In der ersten Wuth hieben die Aegypter das Schiff sammt der Mannschaft in Stücke.
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Da ging Kanibyses auf die Stadt los und nahm sie mit stürmender Hand. Psammenit und seine ganze Familie nebst den vornehmsten Aegyptern wurden zu Gefangenen gemacht. Der aufgebrachte Sieger suchte dem Psammenit sein Schicksal recht fühlbar zu machen. Der Unglückliche saß in einem Hause der Vorstadt, von persischen Trabanten bewacht. Zuerst wurde seine Tochter nebst den vornehmsten Jungfrauen in ärmlicher Sklaventracht aus dem Lager in die Vorstadt geschickt, um Wasser zu holen. Es weinten die Jungfrauen, es weinten ihre Väter; nur Psammenit saß schweigend und thränenlos da, die Augen auf die Erde gerichtet. Darauf schickte Kambyses den einzigen Sohn des Psammenit, an der Spitze von 2000 vornehmen Jünglingen, mit Stricken um den Hals und mit Zäumen im Munde, den Augen ihrer Väter vorüber zum Richtplatz. Und noch einmal stoffen die Thränen, noch einmal erhob sich das Jammergeschrei; nur aus Psammenit's Auge kam keine Thräne, aus seinem Munde kein Laut. Als der Zug der zum Tode verurtheilteu Jünglinge vorüber war, kam ein Greis, einst ein reicher Mann und des ägyptischen Königs Freund und Tischgenoß, jetzt hilflos und gebeugt unter dem Druck der Jahre und der Armuth, und der ging beim Kriegsvolk bettelnd umher. Als Psammenit diesen Freund sah, weinte er bitterlich und rief ein wie das andere Mal laut dessen Namen. Da wunderte sich Kambyses, daß er beim Anblick des alten Mannes weine, während er doch beim Anblick der Tochter und des Sohnes ungerührt geblieben war, und fragte nach der Ursacbe. Psammenit aber sprach: „Für das Unglück des Freundes, der zum Bettler geworden ist, hatten meine Augen noch Thränen; aber mein eigenes Unglück ist zu groß, als daß ich darüber wemen könnte." Den Kambyses rührten diese Worte. Er befahl, den Sohn des Psammenit am Leben zu lassen; doch es war zu spät, denn dieser war unter den SSerurtheilten zuerst hingerichtet worden. Den gefangenen Vater aber behielt der König bei sich und behandelte ihn gütig. Als er aber in der Folge merkte, daß er die Aegypter heimlich zum Aufstande gegen die Perser reizte, ließ er auch ihn hinrichten.
So ward durch Kambyses im Jahre 525 v. Chr. der Thron der Pharaonen über den Haufen geworfen und Aegypten eine persische Provinz.
Nach der Eroberung Aegyptens beschloß Kambyses, das südlich gelegene Aethiopien, von dessen Reichthum man Wunderdinge erzählte, sich zu unterwerfen. Er schickte vorerst Boten ab, um das Land zu erkunden und mit dem Auftrag, den König der Aethiopier zu fragen, ob er nicht des Kambyses Freund werden wolle? Der äthiopische König aber merkte die List und gab den persischen Abgesandten einen Bogen mit den Worten: „Wenn die Perser einen solchen Bogen eben so leicht als wir spannen können, dann mögen sie kommen; wenn nicht, mögen sie es den Göttern danken, daß es den Aethiopiern nicht in den Sinn gekommen ist, gegen die Perser zu ziehen."
Kambyses geriet!) über diese Antwort in Zorn, und ohne sein Heer mit Lebensrnitteln zu versehen, brach er auf. Als er nach Theben ge-
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kommen war, sonderte er 50,000 Mann von seinem Heere ab und schickte diese gegen die Ammonier, um sie zu Sklaven zu machen. Mit dm übrigen Theil des Heeres setzte er seinen Zug durch den heißen Wüstengürtel fort. Noch war der dritte Theil des Weges nicht zurückgelegt, als dem Heere schon alle Nahrungsmittel ausgingen. Dennoch dachte Kambyses an keine Rückkehr, denn er vermeinte, bald in die Wohnsitze der Aethiopier zu gelangen. Die Perser schlachteten ihre Laftthiere und in ein paar Tagen waren diese verzehrt; dann fristeten sie ihr Leben mit Gras und Kräutern. Aber bald kam wieder die schreckliche Sandfläche und da verfielen sie aus ein grausames Mittel; sie schieden den zehnten Mann des Heeres aus und verzehrten ihn. Da fürchtete Kambyses, sie möchten alle einander auffressen und nun trat er, nachdem er schon Tausende seiner Krieger eingebüßt hatte, den Rückweg an.
_ Auch der Zug gegen die Ammonier nahm ein unglückliches Ende. Auf dem Wege erhob sich eines Morgens ein heftiger Südwind, der ungeheure Sandwirbel empor trieb und die Perser verschüttete.
Diese Unfälle erbitterten noch mehr den grausamen Kambyses. Vor Zorn übte er jetzt schonungslos die unerhörtesten Grausamkeiten. Als er nach Memphis zurückkehrte, fand er das ganze Volk im Jubel. Ein neuer Apis (ein schwarzer Ochs mit einem viereckigen weißen Fleck auf der ' Stirn) war gefunden und dieser Gott wurde von dem frohlockenden Volke in festlichem Aufzuge durch die Stadt geführt. Kambyses glaubte, man freue sich seiner Unfäll- und ließ seine Soldaten mit gezückten Schwertern in die Volksmasse einhauen und die Priester mit Ruthen peitschen. Selbst der arme Thiergott blieb nicht verschont; Kambyses ließ ihn vor sich führen und durchstach ihn mit dem Säbel.
Seinen Kummer zu vergessen, ergab er sich von nun an dem Trunke. Keiner war mehr vor seiner Laune sicher. Einst kam sein Günstling Prexaspes zu ihm. Diesen fragte er im Weinrausch, was wohl die Perser von ihm dächten. „Herr", antwortete jener freimüthig — „sie geben dir das größte Lob. Nur meinen sie, du seiest zu sehr dem Weine ergeben." „So!" — rief der König — „und also glauben sie wohl, ich sei meines Verstandes nicht mehr mächtig? Wohlan, wir wollen gleich sehen, ob sie Recht haben. Gib Acht! Wenn ich deinen Sohn, der dort unten im Vorhof steht, mit dem Pfeil mitten in's Herz treffe, so müssen die Perser doch wohl Unrecht haben." Und mit diesen Worten nimmt er Bogen und Pfeil, legt an und zielt. Wie er abdrückt, stürzt das Kind nieder. Der Pfeil hat wirklich das Herz getroffen. „Nun, Prexaspes?" — rief der Unmensch — „bin ich wirklich betrunken? Gibt es einen besseren Schützen?" — „Nein," — stammelte der unglückliche Vater, — „nein, selbst ein Gott hätte nicht besser treffen können." Seinen eigenen Bruder Smerdis, über den ein Traum ihn beunruhigt hatte, ließ er umbringen; seine Schwester, die des Smerdis Tod beweinte, tödtete er mit einem Fußtritte. In Anwandlung übler Laune ließ er oft Menschen, die nichts verbrochen hatten, lebendig begraben.
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Diese und andere Handlungen der unsinnigsten Wuth hatten die Gemüther von ihm entfernt. Ein Meder benutzte dieses Mißvergnügen und bemächtigte sich unter dem Namen Smerdis, dessen Tod man verheimlicht hatte, des Thrones. Kambyses war entschlossen, nach Susa zu gehen, um den Betrüger zu bestrafen, als er beim Aufsteigen auf das Pferd sich mit seinem Säbel in der Hüfte verwundete. Er starb an dieser Wunde, ohne Kinder zu hinterlassen.
III. Darius.
Nach dem Tode des Kambyses herrschte der falsche Smerdis (Pseudo-Smerdis) sieben Monate lang und bewies gegen alle seine Unterthanen eine außerordentliche Milde, indem er ihnen auf drei Jahre alle Abgaben erließ und sie von jedem Kriegszuge besreiete. Doch erregte die strenge Zurückgezogenheit des Königs, der sich nirgends blicken ließ, den Verdacht des Otanes, eines angesehenen Persers. Dieser Verdacht wurde bald zur Gewißheit. Es hatte einst Cyrus dem Magier Smerdis wegen eines Vergehens die Ohren abschneiden lassen, das war dem Otanes nicht unbekannt. Nun war eine von den Töchtern des Otanes die Gemahlin des Smerdis und diese bestätigte die Vermuthung ihres Vaters, daß der König keine Ohren habe.
Darauf thaten sich sieben vornehme Perser, die keinen Meder über sich dulden wollten, in einer Verschwörung zusammen, drangen eines Tages mit Dolchen bewaffnet in das königliche Schloß und stachen den falschen Smerdis nieder. Sie waren unschlüssig, ob sie dem Volke wieder einen König geben, oder die Herrschaft unter sich theilen sollten. D a r i u s, der Sohn des Hystaspes, stimmte für die Wahl eines Königs und seine Stimme drang durch. Sie verabredeten aber unter sich, daß Derjenige König werden sollte, dessen Pferd am andern Morgen, wenn sie vor die Stadt ritten, zuerst wiehern würde.
Darius hatte einen klugen Stallmeister; dieser führte am Abend des Darius Pferd, einen Hengst, mit einer Stute zusammen an jenem Orte, wo die sieben sich einfinden wollten. Als nun der Morgen dämmerte , stiegen die Perser zu Pferde und ritten vor die Stadt; da wieherte des Darius Roß, das sich der Stute erinnerte. Zugleich aber kam auch Blitz und Donner aus heiterer Luft. Sogleich sprangen die Anderen von ihren Pferden'und begrüßten den Darius als ihren König.
Die lange Abwesenheit des Kambyses und die Regierung des falschen Smerdis hatten vielen Unordnungen im Lande freien Lauf gelassen. Zuerst suchte Darius diese abzustellen. Dann theilte er das ganze Land in zwanzig Satrapien oder Statthalterschaften und bestimmte für jede die erforderlichen Abgaben. Bald aber rief ihn eine große Empörung in
Grube, Geschichtsbilder. 1. 6
Babylon, wo man das Perserjoch abwerfen wollte, zu den Waffen. Darius zog selbst hin an der Spitze seines Heeres und belagerte die Stadt; doch diese war so fest, daß sie jedes Angriffes spottete. Als nun der König einst mißmuthig in seinem Zelte saß und schon sein Vorhaben aufzugeben gedachte, trat plötzlich sein Feldherr Zopyrus herein. Nase und Ohren waren ihm abgeschnitten, das Haupt wie einem Sklaven geschoren, der Rücken mit Geißelhieben blutig zerfleischt. Erschrocken sprang der König auf und rief: „Wer ist der Verwegene, der so an meinem treuesten Diener gehandelt hat?" — „Ich selbst" — antwortete jener ganz ruhig — „und zwar aus Liebe zu dir, o König; denn so hoffe ich, die Stadt zu erobern. So wie du mich hier siehst, gehe ich nach Babylon und sage, ich sei von dir so grausam verstümmelt worden und wünschte nun nichts mehr, als an dem Grausamen mich zu rächen. Sie werden mir eine Mannschaft geben und mit derselben werde ich glückliche Ausfälle thun. Du mußt mir am zehnten Tage 1000 Mann der schlechtesten Truppen entgegenschicken, daß ich sie schlage; sieben Tage darauf 2000 andere und nach zwanzig Tagen 4000. Bin ich so zu drei Malen glücklich gewesen, so werden sie mir gewiß trauen und den Oberbefehl über das ganze Heer mir anvertrauen; dann ist Babylon dein!" — Jetzt eilte er nach den Thoren von Babylon und sah sich unterwegs oft um, als wäre er ein wirklicher Ueberläufer. Er wurde in die Stadt gelassen und spielte hier seine Rolle ganz meisterhaft. Die getäuschten Einwohner übergaben ihm eine Mannschaft; mit dieser hieb er die ersten 1000 Feinde, später auf gleiche Weise die 2000 und zuletzt die 4000 nieder. Die ganze Stadt pries sich glücklich über die Aufnahme dieses Gastes und machte ihn zum Oberfeldherrn. Da war es ihm ein Leichtes, die Perser in die Stadt zu lassen und das ihm anvertraute Heer iu'S Verderben zu führen. Darius machte den Zopyrus zum Statthalter von Babylon und gab ihm große Geschenke. Er hatte großes Mitleid mit ihm. „Lieber wollte ich" — pflegte er zu sagen — „den Zopyrus nicht so verstümmelt sehen, als noch zwanzig Städte wie Babylon erobern."
Als die Ruhe im Innern des Reichs hergestellt war, beschloß Darius, dasselbe auch nach Außen zu erweitern. Er wollte jetzt an der Spitze feiner Völker den dritten Erdtheil, unser schönes Europa, unterjochen. Zum Glück aber hatte die göttliche Vorsehung an der äußersten Grenze von Europa ein zwar kleines, aber muthiges und freiheitsliebendes Völkchen als feste Schutzwehr gegen die wilden Asiaten hingestellt. Das waren die Griechen.
Hiftiäus und MiltiSdes.
Der erste Zug, den Darius nach Europa unternahm, war gegen die Scythen gerichtet, die zwischen dem Tanais (Don) und dem Jster (der Donau) in den Gegenden des heutigen Südrußlands wohnten. Er halte ein Heer gerüstet, das 700,000 Mann zählte. Mit diesem ging er über
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den thracischen Bosporus (die Meerenge von Konstantinopel) nach Europa und befahl den Ioniern, welche die Flotte von 600 Schiffen führten, bis an den Jster zu fahren, dort eine Brücke zu schlagen und ihn daselbst zu erwarten. Die Brücke wurde zwei Tagereisen von dem Ausflusse des Stromes geschlagen und das Heer der Perser zog hinüber. Darius aber nahm einen Riemen, machte darin sechzig Knoten und gab diesen den Ioniern, die er als Wächter der Brücke zurückließ, mit den Worten: „Sobald ihr mich gegen die Scythen abziehen sehet, löset jeden Tag einen Knoten. Bin ich noch nicht zurückgekehrt, wenn der letzte Knoten gelöst ist, so ziehet heim in euer Vaterland. Bis dahin aber bewachet die Schiffbrücke."
Die Scythen vermieden jedes Treffen gegen die Perser und zogen, alles Land vor den heranrückenden Feinden verwüstend, bis über die Grenzen ihres Landes und lockten die Perser in eine wüste Steppe. Darius schickte zu dem Könige der Scythen Boten, die ihn aufforderten, er solle sich entweder zum offenen Kampfe stellen, oder Erde und Waffer als Zeichen der Unterwerfung senden. Der Scythe aber that keines von beiden, sondern schickte einen Vogel, einen Frosch, eine Maus und fünf Pfeile, ohne weitere Antwort. Darius deutete diese Zeichen auf Unterwerfung, der Perser Gobryas jedoch wußte eine bessere Erklärung: „Wenn ihr nicht Vögel werdet und in die Luft flieget, ihr Perser, oder Mäuse und in die Erde euch verkriechet, oder Frösche und in die Sümpfe springet: so werdet ihr durch diese Geschosse umkommen."
Bald darauf brach das Scythenheer hervor und Darius ward in die Flucht geschlagen. Schon waren die sechzig Tage verflossen und die Ionier überlegten, ob sie die Brücke abbrechen sollten, denn es zeigten sich bereits scythische Reiter. Der Athener Miltiades, einer von den Wächtern der Brücke, sprach: „Jetzt, ihr Griechen, ist die Zeit gekommen, wo ihr das persische Joch abschütteln könnt. Brecht die Brücke ab und die Macht des Tyrannen ist gebrochen!" Aber ein anderer Grieche, Histiäus von Milet, widersprach dem Miltiades und wollte sich bei dem Darius Gunst erwerben. So blieb die Brücke stehen und die fliehenden Perser konnten sich retten.
Darius belohnte die Treue des Histiäus dadurch, daß er ihm ein Stück Land am Flusie Strymon (Jskar) schenkte, wo der kluge Grieche sich eine Stadt bauete und bald zu großer Macht gelangte. Da ward Darius argwöhnisch, denn er fürchtete, Histiäus könne ihm selber gefährlich werden. Darum rief er ihn nach Susa, wo er unter dem Namen eines Freundes und Rathgebers immer bei ihm bleiben sollte. In der That war aber Histiäus ein Gefangener; als er das bemerkte, sann er auf Rache gegen Darius.
Ari,lagoras, der Schwiegersohn des Histiäus, war Statthalter von Milet, einer von den Griechen bewohnten blühenden Handelsstadt in
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Kleinasien. Diesen wollte Histiäus zu einem Aufstande gegen die Perser bewegen, denn die kleinasiatischen Griechen strebten schon längst nach Freiheit. Wie sollte er aber sein Vorhaben dem Aristagoras mittheilen, ohne entdeckt zu werden? Er schor einem Sklaven den Kopf, schrieb auf die Haut die nöthigen Zeichen und ließ die Haare wieder wachsen. Dann sandte er den Boten an den Aristagoras mit dem Auftrag, dem Sklaven die Haare zu scheeren und den Kopf zu besehen.
Dem Aristagoras, der in Ungnade gefallen war, kam die Aufforderung sehr erwünscht. Nachdem er bei seinen Landsleuten die Empörung heimlich eingeleitet hatte, reiste er zu den Brüdern in Europa, nämlich nach Griechenland hinüber, um auch deren Hülfe anzusprechen. Zuerst ging er nach Sparta. Da waren die Bürger mit ihren beiden Königen auf dem Markte versammelt und er trug seine Bitte in einer langen, schön gesetzten Rede vor. Die Spartaner, welche Kürze liebten, wurden ungeduldig. Der König Kleomenes fragte kurz: „Wie weit ist es denn vom Meere bis nach Susa?" Aristagoras merkte nicht das Verfängliche dieser Frage und erwiederte: „Drei Monate Weges."
„Freund von Milet" — rief nun der König unwillig — „mach', daß du noch vor Sonnenuntergang aus unserer Stadt kommst!" und finster wandte er dem Abenteurer den Rücken. So schnell aber ließ er sich nicht abweisen. Er folgte traurig dem Könige in dessen Haus. Hier fand er ihn allein bei seiner kleinen achtjährigen Tochter und wiederholte seine Bitte. Der König schlug sie ihm abermals ab. Aristagoras bot Geld, eine Summe über die andere, der König schüttelte den Kopf. Zuletzt bot er ihm sogar 50 Talente, fast 60,000 Thaler. Da rief das kleine Mädchen: „Vater, geh’ weg, sonst besticht dich noch der Fremde!" Das wirkte. Kleomenes folgte dem Rathe feiner Tochter und Aristagoras mußte abreisen.
Nun wandte er sich nach Athen und hier war er glücklicher. Alle Bürger der Stadt waren aufgebracht gegen den stolzen Perserkönig, der ihnen einen Tyrannen, Hippias mit Namen, den sie vertrieben hatten, wieder aufdringen wollte. Aus Rache gaben sie dem Aristagoras 20 Schiffe. Mit diesen zog er ab und als er in Kleinasien ankam, brach die Verschwörung der Ionier von allen Seiten öffentlich aus. Sie griffen Sardes an und nahmen es ein. Und als ein Soldat aus Bosheit ein Haus anzündete, verbreitete sich der Brand so schnell, daß die ganze Stadt ein Raub der Flammen ward. Darüber ergrimmten die Perser. Sie sammelten sich, überfielen die Griechen, schlugen sie zurück und steckten die schöne Griechenstadt Milet in Brand. Die Ionier gaben den Athenern die Schuld an diesem Unglück und die Athener beschuldigten wieder die Ionier der Saumseligkeit. Darüber entstand Zwietracht und die Athener segelten nach Hause. Die verlassenen Ionier wurden unterjocht und die Anstifter der Empörung, Histiäus und Aristagoras, hingerichtet.
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Miltiades *).
^atte ben Darius so beleidigt, als daß die Athener, ein Lolklem, von dessen Dasein er nur so eben gehört, es gewagt hatten, chm, dem Herrn der Erde, Widerstand zu leisten. Der verjagte Tyrann Athens, Hippias, wußte diesen Zorn so zu nähren, daß der König täg-Itch betete: „Götter, laßt mich Rache üben an den Athenern!" und daß ein Diener ihm bei jeder Mahlzeit zurufen mußte: „Herr, gedenke der Athener!" Doch nicht Athen allein, ganz Griechenland sollte den Frevel büßen. Noch einmal wollte Darius die Griechen einladen, sich freiwillig zu unterwerfen, und er schickte zuvor Gesandte an die einzelnen griechischen Staaten, um Erde und Waffer zu fordern. Mehrere Staaten schickten diese Zeichen der Unterwerfung, aus Furcht vor der Schrecken erregenden Macht des Persers; allein die beiden Hauptstaaten Griechenlands, Sparta und Athen, thaten es nicht. In Sparta wurde man über dre persische Forderung so erbittert, daß die Herolde in der ersten Hitze aus der Stelle niedergehauen wurden, und in Athen warf man sie mit Höhnen die Gräben und Brunnen, dort sich zu holen, was sie forderten.
^etzt rüstete der zornentbrannte Darius eine Flotte und eine Landarmee; aber die Flotte wurde durch einen Sturm so stark beschädigt, daß sie wieder umkehren mußte, und das Landheer kam vor lauter Unfällen auch nicht nach Griechenland.
Furchtbarer segelte eine zweite Flotte daher, gerade auf Athen los-Dte Landarmee fuhr diesmal auf den Schiffen. Es war in der That eine furchtbare Macht, der nichts widerstehen zu können schien. Die Perser hatten sich mit vielen Ketten versehen, um die große Menge von Gefangenen, die sie machen würden, zu fesseln; auch hatten sie den sonsten werßen^Marmor mitgebracht, um auf dem Schlachtfelde ein Denkmal thres Sieges zu errichten. Alle griechischen Inseln, an denen die ungeheure Flotte vorbeifuhr, mußten sich unterwerfen; kein Volk außer den Spartanern, wollte jetzt den Athenern beistehen. Bei den Spartanern herrschte der Aberglaube, man dürfte keinen Krieg vor dem ooUmonde anfangen; sie kamen also nicht. Nur eine kleine Stadt Platää, schickte 1000 Mann zu Hülfe; die Athener stellten 9000 Bürget: und in der Noth bewaffneten sie auch ihre Sklaven. Dieses Häufchen war freilich nur klein, aber fest entschlossen, für Freiheit und Vaterland Allev zu wagen. Die Bürger waren geübt in Kampfspielen aller Art fmftvoU, nicht allem durch Stärke, sondern auch durch Gewandtheit; auch hatten sie bequemere Waffen und festere Rüstungen als die Perser. Diese aber konnten den 10,000 Griechen hundert Tausend der Ihrigen entgegenstellen. J
der Ebene von Marathon zogen beide Heere einander entgegen ; es war im Herbst des Jahres 490 vor Christi Geburt. Als die
*) Nach Bredow.
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Griechen das ungeheure Heer des Feindes in der Nähe erblickten, kam auch den Tapfersten eine Furcht an vor der überlegenen Macht der Perser, denn das athenische Heer war gar zu klein; Einige fingen schon an vom Rückzug zu reden und ob es nicht besser sei, noch die Verstärkung durch die Spartaner zu erwarten. Aber Ein Mann hielt die Verzagten und flößte Allen wieder Muth und Vertrauen ein; das war Miltiades. „Zeigen wir uns nicht gleich vom Anfang als tapfere Männer/' — so rief er — „räumen wir schon das erste Mal schimpflich
dem Feinde das Feld: dann wird er, kühn gemacht durch unsere Flucht,
uns verfolgen, angreifen und schlagen; unsere Stadt wird ein Raub der wilden Asiaten und der entflohene Tyrann Hippias wird uns zu Sklaven der Perserkönige machen. Zaudert nicht, ihr Griechen, lastet uns einig fein, einig zur Schlacht; dieser Entschluß rettet uns, rettet Griechenlands Freiheit!" Alle folgten dem Miltiades in die Schlacht.
Auf dem rechten Flügel standen die Athener, auf dem linken die
Platäer; die Sklaven hatte man in die Mitte genommen. Die Mitte
ward von den Persern durchbrochen und geworfen, aber der rechte und linke Flügel drang siegend vor und bald eilte Miltiades mit seinen Tapfern auch den weichenden Sklaven zu Hülfe. Mancher edle Grieche fiel, aber die Athener siegten und schlugen das ganze große Perserheer in die Flucht. Als die Perser umkehrten, drangen ihnen jubelnd die tapfern Griechen nach und hieben nieder, was ihnen in den Weg kam. Die Geschlagenen suchten ihre Schiffe und überließen ihr Lager mit allen Kostbarkeiten, auch mit dem Marmorblock und mit den Fesseln, den Siegern.
So glorreich war lange kein Sieg erfochten und größere Freude hat wohl nie ein siegendes Heer empfunden, als das athenische bei Marathon. Während man noch die fliehenden Perser verfolgte, stürzte ein Bürger Athens in vollem Laufe nach seiner zwei Meilen entfernten Vaterstadt, rief fast athemlos durch die Straßen und auf dem Markte: „Freuet euch, Athener, wir haben gesiegt" — und als er es gerufen, fiel er todt zur Erde. Noch lange nachher feierten die Athener diesen Siegestag; sie brachten ihren Göttern Opfer auf der Wahlstatt und setzten den Gefallenen Inschriften. Der vor Allen gefeierte Held war aber Miltiades; das Volk empfing ihn mit Jubelgeschrei und verewigte sein Andenken durch ein schönes Gemälde, welches den Feldherrn darstellte, wie er sein tapferes Heer zum Siege führte.
Als die athenischen Sieger in ihre Vaterstadt zurückkehrten, begegnete ihnen ein spartanisches Heer, das in Eilmärschen ausgerückt war, nachdem der Tag des Vollmondes vergangen. Sie kamen zu spät, ließen sich aber doch das Schlachtfeld zeigen und lobten die Tapferkeit der Athener.
Des Miltiades Ansehen stieg immer höher bei seinen Mitbürgern und der treffliche Mann war emsig bemüht, den Athenern neue Vortheile zu verschaffen. Bald aber beneidete man ihn um fein Ansehen und suchte ihn zu stürzen. Einst wollte er mit der athenischen Flotte die Insel Paros erobern und belagerte die Haupstadt derselben. Schon hatte er
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die Belagerungsmaschinen erbaut und drang in die Stadt ein, als auf dem festen Lande von Asien ein Wald in Brand gerieth. Beide Theile wurden die Flammen gewahr und hielten sie für ein Zeichen der persischen Flotte, die zum Entsätze der Parier herbeirückte. Sofort hob Miltiades die Belagerung auf, steckte seine Werke in Brand und eilte nach Athen zurück, da er, von schweren Wunden krank, nicht mehr im Stande war, den Krieg fortzusetzen.
Wegen dieses Rückzuges klagten ihn die Athener der Verrätherei an und seine Feinde beschuldigten ihn, er habe, durch persisches Geld bestochen, die Belagerung aufgehoben. Da feine Wunden ihn hinderten, sich selbst zu vertheidigen, übernahm sein Bruder die Vertheidigungsrede. Miltiades wurde zwar losgesprochen, aber zu einer Geldbuße zu 50 Talenten verurtheilt, die man auf die Ausrüstung der Flotte verwandt habe. Unfähig, eine so große Summe zu bezahlen, mußte er in's Gefängniß wandern und starb hier, ein Opfer des Undanks seiner Mitbürger.
Fünfter Abschnitt.
Charakterbilder aus der Geschichte der Griechen.
L Lykurg und Solon.
Lykurg*).
1.
Äm Peloponnes, an den lieblichen Ufern des Eurotas, lag eine große alte Stadt ohne Mauern und Thore. Das war Sparta. Sie war das Haupt der Provinz Lakonien und wurde mit ihrem Stadtgebiete auch wohl Lacedämon genannt. Die eingewanderten Dorier hatten sie erobert und die Zwillingssöhne Prokles und Eurysthenes theilten sich in die Herrschaft. Seitdem hatte Sparta immer zwei Könige, den einen aus des Prokles, den andern aus des Eurysthenes Stamme. Die dorischen Spartaner sahen sich als die Vollbürger und Herren des Landes an, die unterworfenen Lakonier aber für ihre Unterthanen und Erbpächter. Hart drückte auf diese die neue Herrschaft und die Einwohner der Stadt H e l o s waren die ersten, welche ihr altes Recht mit den Waffen in der Hand wieder gewinnen wollten. Allein der Versuch mißlang. Die stolzen Spartaner nahmen aus Rache den Besiegten nicht nur das beschränkte Landeigenthum, sondern auch die persönliche Freiheit. Die Heloten wurden Sklaven und ihr Schicksal theilten Alle, die später noch für ihre Freiheit gegen die Spartaner zu kämpfen wagten.
Bald erhob sich aber auch Zwietracht unter den vornehmen Bürgern selber und diese standen gegen die Könige auf, wenn letztere nach ihrer Meinung zu streng regierten. In einem solchen Aufstande geschah es, daß der König Eunomos, der Vater des Lykurgos, mit einem Küchenmesser erstochen ward.
Er hinterließ die Regierung seinem ältesten Sohne Polydektes. Dieser starb jedoch bald und nun glaubte Jedermann, sein jüngerer Bruder
•) Nach „Bäßler — hellenischer Heldensaal."
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Lykurgos sei sein Nachfolger. Lykurg übernahm das Regiment. Da erfuhr er, daß seine Schwägerin, die Wittwe des verstorbenen Königs Polydektes, ein Kind unter ihrem Herzen trage. Sogleich erklärte Lykurg den Thron für das Eigenthum dieses Kindes und verwaltete die Regierung fortan nur noch als dessen Vormund. Inzwischen that ihm die Königin heimlich zu wissen, sie sei bereit, das Kind zu todten, wenn er ihr verspräche, sie als König zu heirathen. In der Absicht, das Kind selber zu retten, verbarg Lykurg den tiefen Abscheu, den er gegen ein solches Anerbieten empfand, und ließ die Königin bitten, sie möchte nur ihm die Tödtung des Kindes überlassen.
Als nun der Knabe geboren war, schickte die Mutter ihr Kind sogleich dem Lykurg. Dieser saß gerade mit den höchsten Beamten bei Tische; er nahm das Kind auf seine Arme und rief den Anwesenden zu: „Spartiaten, ein König ist uns geboren!" Darnach legte er es aus den königlichen Stuhl und gab ihm den Namen Charilaos, d. i. Volksfreude, denn Alles war erfreut über einen solchen Beweis von Edelmuth und Gerechtigkeit.
Auch sein übriges Betragen erwarb dem Lykurg die höchste Achtung bei seinen Mitbürgern und diese beeiferten sich, seinen Befehlen als Reichsverweser pünktlich Folge zu leisten. Aber die Königin und ihr Bruder fühlten sich schwer beleidigt und suchten nun das Gerücht zu verbreiten, Lykurg warte nur auf eine gelegenere Zeit, um den jungen König aus dem Weg zu räumen und sich selber zum Alleinherrscher zu machen. Als der brave Mann solche Verläumdung hörte, beschloß er, so lange außer Landes umherzureisen, bis sein junger Neffe zum Manne erwachsen sei.
2.
Zuerst begab sich Lykurg zu Schiffe nach der Insel Kreta. Diese Insel war schon lange berühmt durch die vortrefflichen Gesetze, die ein Weiler König Minos den Bewohnern gegeben hatte und wodurch diese mächtig zur See und glücklich in ihrem Lande geworden waren. Durch seine Weisheit und Gerechtigkeit hatte sich Minos eine solche Achtung unter den Menschen erworben, daß nach seinem Tode die Sage ging Minos verwalte in der Unterwelt das Richteramt über die Todten.
Von Kreta schiffte Lykurg nach Kleinasien hinüber und von dort soll er auch nach Aegypten gekommen sein. Ueberall machte er sich mit der Landesverfassung bekannt und merkte sich Alles, was er an den Gesetzen Vortreffliches fand, um es dann in seine Heimath zu verpflanzen. In Kreta hatte er die einfache strenge Lebensweise der Einwohner bewundert' unter den kleinasiatischen Griechen fand er große Prachtliebe und Ueppig-fett. Natürlich gefiel ihm die Lebensweise der ersteren viel besser, dagegen traf er bei den letzteren auf ein unschätzbares Kleinod, nämlich die Gedichte des Homer. Die herrlichen Gedichte schienen ihm ebenso ergötzlich und unterhaltend, als reich an Lebenserfahrung und Staatsklugheit. Darum wandte er allen Eifer an, sie zu sammeln und abzuschreiben, um
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sie auch in Griechenland heimisch zu machen. Dorthin waren nur erst einzelne Bruchstücke gekommen, nun aber sollte das Griechenvolk das ganze Gedicht erhalten und Lykurg erwarb sich das hohe Verdienst, dies Ganze zu überbringen, das von allen Griechenstämmen mit Begeisterung ausgenommen und ein Mittel ward, daß sich die einzelnen Griechenvölker als eine Nation fühlten. Durch die Griechen sind aber die Gesänge des Homer ein Weltbuch geworden für alle gebildeten Völker der Erde.
Zu Lacedämon wurde Lykurg schmerzlich vermißt und mehrere Male gingen Gesandte an ihn ab, um ihn einzuladen, bald zurückzukehren und die wankende Ordnung des Staates durch neue bessere Gesetze wieder zu befestigen. Er kehrte zurück, erkannte aber sogleich, daß einzelne Gesetze nichts fruchten würden; die ganze Verfassung mußte umgestaltet werden.
Mit solchen Gedanken erfüllt, wanderte er zunächst nach Delphi, um das Orakel zu befragen. Er verrichtete sein Opfer und gleich beim Eintritt in die Halle empfing er den berühmten Ausspruch der gottbegeisterten Priesterin Pythia:
O Lykurgos, du kommst zu meinem gesegneten Tempel,
Werth und theuer dem Zeus und den sämmtlichen Himmelsbewohnern.
Soll ich als Gott dich begrüßen, so frag' ich mich, oder als Menschen,
Ja, ich meine, du bist wohl eher ein Gott, o Lyknrgos 1
Zugleich erhielt er die Erklärung: Der Gott Apollo genehmige seine Bitte um gute Gesetze und bewillige ihm eine Verfassung, die weit besser sein würde, als alle übrigen.
3.
Hierdurch ermuthigt, schritt er zum Werk. Zuerst vertrauete er seinen Plan nur seinen Freunden, zog dann immer Mehrere auf seine Seite und suchte die vornehmsten Bürger für sein Unternehmen zu gewinnen. Als nun sein Vorhaben zur Reife gediehen war, mußten dreißig der angesehensten Lacedämonier in der Frühe des Morgens bewaffnet auf dem Markte erscheinen, um die Gegner einzuschüchtern und jeden Widerstand zurückzuschrecken. Der König Charilaos, in der Meinung, daß dieser Anschlag gegen ihn gerichtet sei, flüchtete sich in den Tempel der Athene, als man ihm aber seine Sicherheit durch Eidschwüre bekräftigte, ließ er sich bewegen, den Zufluchtsort zu verlassen und unterstützte nun selber den Lykurg.
Die erste und wichtigste unter den neuen Einrichtungen war die Einsetzung eines Senats, d. i. eines Rathes der Alten. Dieser Senat (Gerusia genannt) bestand aus 28 unbescholtenen Männern, die über 60 Jahr alt waren, und hatte mit den Königen gleiches Stimmrecht. Eine sehr heilsame Anordnung! Denn während bis dahin Könige und Volk um die Herrschaft gerungen hatten und der Staat immer zwischen beiden Parteien schwankte: so diente nun der Senat, zwischen beide sich bekämpfenden Mächte in die Mitte gestellt, wie der Ballast in einem Schiffe — er erhielt das Gleichgewicht. Wollte das Volk zu viel fordern,
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hatte es den Senat gegen sich; machten die Könige Uebergrisfe, stellte sich der Senat aus die Seite des Volks. Nur die Könige und Aeltesten durften in den Versammlungen der Volksgemeinden ein Gesetz vorschlagen; das Volk hatte aber das Recht, dieses Gesetz anzunehmen oder zu verwerfen. Damit aber das Volk die hohen Staatsbeamten überwachen konnte, wählte es noch fünf Ephoren aus seiner Mitte, die an der Regierung Theil nahmen.
Die zweite und kühnste Verfügung des Lykurg war dieTheilung des Grundbesitzes. Die Ungleichheit des Vermögens war zu jener Zeit überaus groß in Sparta; während der Reichthum in wenig Häuser zusammengeflossen war, fiel eine Menge besitzloser, armer Leute dem Staate zur Last. Die Einen schwelgten in Ueppigkeit, die Andern darbten im Elend. Um dieses Uebel von Grund aus zu heilen, überredete Lykurg seine Mitbürger, das gesammte Grundeigenthum als Gemeingut zu erklären und dann von Neuem unter Alle zu vertheilen. Für die Markung von Sparta wurden 9000 Loose gemacht, das übrige Lakonien in 30,000 Loose getheilt. Jedes einzelne Loos hatte die Größe, daß es dem Besitzer an Gerste, Wein und Oel — als den unentbehrlichsten Nahrungsmitteln — so viel lieferte, als nöthig war, um sich bei Kraft und Gesundheit zu erhalten.
Als er einmal, von einer Reise zurückkehrend, durch die frisch geschnittenen Felder kam und die aufgeschichteten Getreideschober sah, wie sie gleich und gleich einander gegenüberstanden, sprach Lykurgos lächelnd zu seinen Begleitern: „Man sollte meinen, ganz Lakonika gehöre vielen Brüdern, welche eben getheilt haben!"
Lykurgos blieb indeß hierbei nicht stehen; auch die bewegliche Habe mußte getheilt werden, wenn die Ungleichheit schwinden sollte. Die Gold-und Silberschätze waren aber leicht zu verbergen und so gutwillig würden ibre Besitzer sie nicht weggegeben haben. Was that nun der kluge Mann? Er schaffte alle Gold- und Silbermünzen ab und führte eisernes Geld ein, dessen Stücke aber so groß und schwer waren, daß man, um 2x/2 Hundert Thaler aufzubewahren, ein großes Gemach haben, und um diese Summe fortzuschaffen, einen zweispännigen Wagen nehmen mußte. Sobald diese neue Münze in Umlauf kam, verschwanden aus Sparta eine Menge von Verbrechen. Denn wer hätte noch Lust gehabt, durch Dieb-stahl, Betrug oder Bestechlichkeit Geld an sich zu bringen?
Mit den Gold- und Silbermünzen verschwanden noch viele unnütze Künste, ohne daß sie Lykurg besonders in Bann zu thun brauchte. Denn die übrigen Griechen bedankten sich schön für das eiserne Geld, daher konnte man in Sparta keine ausländischen Flitterwaaren kaufen; kein Handelsschiff lief in den lakonischen Hafen ein, kein Lehrer der Beredsamkeit, kein Wahrsager, kein Goldarbeiter betrat mehr das arme Land. So mußte der Luxus von selbst absterben, und die einheimischen Künstler verwandten ihre Geschicklichkeit auf die unentbehrlichen Hausgeräthe, als Betten, Stühle, Tische und Becher.
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Um alle Ueppigkeit noch wirksamer zu bekämpfen, führte Lykurg die ge me i nichaftlrchen Mahle etn. Keiner durfte zu Hause essen, selbst die Konrge mcht. Zur bestimmten Stunde mußte sich jeder nach dem
%'MrrUpCrrnAto? ?nr 9r^en %i^n gemeinschaftlich gespeist wurde, ^ede Tischgesellschaft bestand gewöhnlich aus 14 Personen und jeder
Ir9™ - ferte baju etnen bestimmten monatlichen Beitrag an Gersten-- a ^n, Käse, Feigen und etwas Weniges an Geld zum Ankaufe der Zukost. Außerdem schickte der, welcher opferte, eine Erstlingsgabe, und wer ein Wild erlegt hatte, einen Theil seiner Beute. Ein Lieblinqsqe-
mr , ton-r Suppe, ein Gemisch von Schweinefleischbrühe,
Blut Eisig und Salz. Ern fremder Fürst, der viel von dieser Suppe gehört hatte lietz sich eigens einen spartanischen Koch kommen, um sich etn wlches Gericht bereiten zu lassen. Aber ihm wollte die Suppe nickt schmecken. ,McH dachte es wohl" - sagte der Koch - „denn unsere Suppe schmeckt nur denen gut, die tüchtig gearbeitet und gehungert haben."
Zu diesen Mahlzeiten der Erwachsenen fanden sich auch oft die Kna-Speisesälen ein; man führte sie dahin als in Schulen der Weisheit, wo sie Gespräche über die öffentlichen Angelegenheiten hörten. Borbilder eines würdigen Benehmens vor Augen hatten und sowohl ohne Rohheit scherzen, als auch ohne Verdruß den Scherz ertragen lernten. Denn auch dies rechnete man zu den vorzüglichsten Eigenschaften emes Lacedämoniers, Scherz zu verstehen. Wem es übrigens wehe that der durfte nur bitten, daß man aufhöre, und sogleich geschah es. Auch übte man dabei zugleich die männliche Tugend der Verschwiegenheit: beim Eintritt eines Jeden deutete der Aelteste auf die Thür mit den Worten: „Durch diese geht kein Wort hinaus!"
Wenn man nun gegessen und zuletzt mäßig getrunken hatte, ging man ohne Fackel nach Hause; denn es war nicht erlaubt, sich bei irgend emem Gange einer Leuchte zu bedienen, damit man in Nacht und Dunkel die Herzhastigkeit lernte.
4.
Man kann sich aber denken, wie sehr diese Anordnungen den Zorn der Reichen gegen Lykurg erregen mußten. Sie stießen Schmähworte gegen ihn aus, rotteten sich zusammen, um Rache zu üben und beleidigen ihn auf alle Weise. Zuletzt warf man gar mit Steinen nach ihm, jo daß er sich genöthigt sah, den Marktplatz eilend zu verlassen und sich in einen Tempel zu flüchten. Schon hatte er den Vorsprung vor seinen Verfolgern gewonnen, als ein leidenschaftlicher Jüngling, Alkandros, ihn erreichte und dem Lykurg, als dieser eben sich umwendete, mit dem Stock ein Auge ausschlug. Lykurg blieb stehen und zeigte den Bürgern fein blutiges Gesicht und das zerstörte Auge, ohne einen Laut des Schmerzes. Scham und Reue ergriff sie bei diesem Anblicke und tilgte ihren Zorn; sie überlieferten ihm den Alkandros und begleiteten ihn unter lebhaften Aeußerungen der Theilnahme nach Haufe. Lykurg war mit dieser Sühne
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zufrieden, entließ die Menge und nahm den Räuber seines Auges mit sich in sein Haus. Zerknirscht und erbangend stand der Jüngling vor dem Verletzten. Dieser aber sagte ihm kein hartes Wort, entfernte nur seine gewöhnlichen Diener und ließ nun den Alkandros deren Dienste verrichten. Der Jüngling, dem es nicht an natürlicher Gutmütigkeit fehlte, vollzog mit schweigendem Gehorsam die Befehle seines Herrn und lernte als ein täglicher Zeuge seines Wandels die Sanftmuth und Gelassenheit, die strenge Lebensart und unermüdete Thätigkeit des großen Mannes dermaßen schätzen und verehren, daß er mit aller Liebe an ihm hing und Allen das Lob des Lykurgos verkündete. So rächte sich Ly-kurgos, indem er aus einem ungesitteten und anmaßenden Jünglinge einen tugendsamen Mann bildete.
Der große Gesetzgeber hatte seine Gesetze nicht aufgeschrieben, gleichwie auch Sokrates und der größte Erzieher der Menschheit, unser Heiland Jesus Christus, eine schriftliche Aufzeichnung ihrer Lehren unterlassen haben. Lykurg war überzeugt, daß öffentliche Einrichtungen nur dann sicheren Bestand haben, wenn sie in die ganze Denk- und Lebensweise der Bürger übergegangen sind. Er wollte aber jeden einzelnen Bürger so erziehen, daß er sich selber ein Gesetzgeber sein könnte. Vor Allem suchte er seine Spartaner zu einem starken, abgehärteten Kriegsvolke zu bilden. Die Verhältnisse selbst erforderten dieses. Denn die Spartaner waren ursprünglich eine Kolonie von Kriegern, die sich mit Gewalt im Peloponnes niedergelassen hatten und sich inmitten einer feindseligen Bevölkerung auch nur durch Gewalt behaupten konnten. Wie Schildwachen im Felde mußten sie immer zum Empfange eines Gegners bereit sein. Darum war auch fast ihr ganzes Leben nur dem Kriege geweiht. Kein Spartaner trieb Ackerbau oder ein friedliches Gewerbe, — das Alles war Sache der Heloten, die nun ein noch härteres Schicksal hatten, nachdem die Sklaven Eigenthum des ganzen Staates geworden waren. Früher schonten die Herren ihre Sklaven des Vortheils willen, nun aber war der Tod eines Sklaven kein Verlust mehr; ja, als sich die Heloten vermehrten, sah man es gern, wenn viele derselben hingeopfert wurden. Wie weit entfernt war hierin doch das Lykurgische Gesetz von dem Geiste christlicher Liebe, die alle Menschen als Brüder betrachtet! Es mag nicht in der Absicht Lykurg's gelegen haben, aber doch kam es bald nach seinem Tode dahin, daß junge Spartaner auf die Heloten zuweilen Jagd machten, wie unsere Jäger auf Hirsche und Rehe, und wer dann die meisten erlegt hatte, nmrtie auch am meisten gelobt.
5.
Sollte der spartanische Knabe ein tapferer Krieger werden, so mußte er früh sich abhärten; den ganzen Tag übte man ihn im Laufen, Schwimmen, Werfen. Diese Uebungen wurden in leichter Unterkleidung angestellt und die Uebungsplätze hießen Gymnasien, von dem griechischen Worte gymnos = nackt. Zu Athen verband man mit diesen Gymnasien
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auch Uebungen in der Bildung des Geistes, daher unsere Gelehrten-schulen den Namen „Gymnasien" empfangen haben. Der Staat sollte nur aus gesunden und kräftigen Bürgern bestehen. Daher wurde jedes neugeborne Kind erst besichtigt und wenn es zu schwach und kränklich befunden wurde, dem Verhungern ausgesetzt, „weil ja das Leben ein cs gebrechlichen Menschen weder ihm selber, noch dem Vaterlande frommen könne." Die lacedämonischen Ammen warteten die Kinder mit vieler Kunst und Sorgfalt und waren um dieser Vorzüge willen auch im Auslande gesucht. Sie zogen ihre Pfleglinge ohne Windeln auf und ließen ihre Glieder sich frei entwickeln. Auch sorgten sie dafür, daß die Kinder keine Kostverächter wurden, und litten an ihnen keine Unart, noch Furchtsamkeit im Finstern oder in der Einsamkeit.
Sobald die Knaben das siebente Jahr erreicht hatten, entzog sie der Staat der elterlichen Erziehung und nahm sie unter seine eigene Aufsicht, denn man hielt die Kinder für ein Gemeingut des Vaterlandes. Von nun an ließ man sie beständig zusammenleben, mit einander essen, spielen und lernen. Lesen und Schreiben lernten sie nur zur Nothdurft; Gehorsam gegen die Oberen, Ausdauer unter den Mühseligkeiten, Sieg im Kampfe — dies waren die ersten und letzten Tugenden. Darum hielt man sie mit den Jahren immer strenger; man ließ sie jederzeit in leichter Kleidung und barfuß gehen, nackend spielen, auch Hitze und Kälte, Hunger und Durst ohne Murren ertragen. Die Streu, auf welcher sie schliefen, mußten sie sich selber zusammentragen und das Schilf dazu, welches am Flusse Eurotas wuchs, mit der bloßen Hand knicken. Selbst die Mädchen härtete man durch Wettlauf und Ringen ab, damit sie einst kräftige Mütter würden. Bei ihren öffentlichen Spielen priesen die Jungfrauen bisweilen die Thaten der würdigsten Jünglinge, oder spotteten auch wohl der Schwachen und Feigen.
Weil ein guter Kriegsmann auch gewandt und klug sein muß, leitete man die Knaben frühzeitig zur List und Verschlagenheit. Man gab ihnen sehr karge Kost, damit sie aus den Speisesälen und Obstgärten auf geschickte Art stehlen lernten; wurden sie bei der That aber ertappt, so büßten sie — nicht den Diebstahl, sondern ihr Ungeschick, mit Fasten. Auch wurden sie im Tempel der Diana zuweilen bis auf's Blut gegeißelt, ohne daß sie ihr Gesicht zum Schmerz verzogen. Wie weit ihre Selbstüberwindung ging, kann man daraus entnehmen, daß Einer, der einen Fuchs gestohlen und ihn unter den Falten seines Mantels verborgen hatte, keinen Laut von sich gab, bis er todt niederfiel, weil der Fuchs ihm den Unterleib aufgebissen hatte.
Feigheit war die größte Schande und Flucht im Kriege ehrlos. Deshalb gab eine spartanische Mutter ihrem Sohne, als er in den Krieg zog, den Schild mit den Worten: „Mit ihm oder auf ihm!" d. h. entweder sieg' oder stirb! Als eine andere Spartanerin die Nachricht erhielt, ihr Sohn sei gefallen, fragte sie rasch: „Und hat er gesiegt?" Als man ihr das tiejahete, fuhr sie fröhlich fort: „Nun dazu habe ich ihn geboren,
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daß er für sein Vaterland zu sterben wisse." Die spartanischen Schwerter waren kurz, „denn" — sagte einst ein Spartaner — „wir lieben es, dem Feinde nahe zu sein." Eine Schlacht war ihnen ein Fest; geschmückt und mit fröhlichem Schalle der Flöten zogen sie in das Treffen.
Ihre Sprache war kurz und treffend, oft witzig. Eine witzige Antwort war sehr beliebt und daher nennt man noch immer eine kurze, bedeutsame, witzige Rede lakonisch. Ein athenischer Redner nannte die Laeedämonier unwissende Menschen. „Du hast Recht," entgegnete der Spartaner, „denn wir allein unter den Griechen haben nichts Böses von euch gelernt." Von Kunst und Wissenschaft, wie sie in Athen zur Blüthe gelangten, war freilich in Sparta keine Rede, darauf hatte es aber auch Lykurg nicht abgesehen.
Als nun so die Gesetze des großen Mannes in das Leben seiner Landsleute eingedrungen waren und das Orakel zu Delphi Alles gebilligt hatte, ließ er die Bürger schwören, so lange den Gesetzen treu zu bleiben, bis er von einer Reise in's Ausland zurückgekehrt wäre. Der Eid ward geleistet. Lykurgos nahm Abschied, kehrte aber nimmer zurück. Man sagt, er habe sich freiwillig der Speise enthalten und sich so den Tod gegeben, damit seine Mitbürger an den Eid gebunden blieben. Sein Ende war geheimnißvoll, aber es erhöhte den Werth seiner Gesetze. Sparta war der erste und mächtigste Staat in Griechenland, so lange es den Vorschriften Lykurg's treulich folgte.
S o l o n.
i.
In den ältesten Zeiten herrschten Könige über Athen, gute und schlechte, wie es eben kam. Die Athener hatten manche Kämpfe zu bestehen mit ihren Nachbarn; sie geriethen aber besonders in Noth, als die reichen kriegslustigen Dorier (die Athener gehörten zum milderen jonischen Stamme, während die Spartaner ihre dorische Stammesart nie verleugnen konnten) in das Gebiet von Attika einbrachen. Es war ge-weissagt worden, die Dorier würden siegen, wenn der König der Athener, Kodrus mit Namen, am Leben bliebe. Da beschloß der edelmüthige König, für sein Vaterland zu sterben. Er verkleidete sich in einen athenischen Bauer, fing im Lager der Feinde Händel an und wurde erschlagen. Bald wurde es ruchbar, wer dev Erschlagene sei, die Dorier zweifelten an dem Siege und zogen wieder ab.
Als so der letzte athenische König sich für das Vaterland geopfert hatte, schafften die Athener, welche nicht mehr von Königen regiert sein wollten, die Monarchie ab und strebten zur Republik, in welcher das Volk regiert. An die Spitze der neuen Republik stellten sie einen Archonten oder Staatsverweser, der königliche Macht besaß, aber nicht erblich. Aus
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Dankbarkeit übertrugen sie dem Sohne des ruhmvoll gestorbenen Königs, nämlich dem Medon, die Archontenwürde. Diese Verfassung erhielt sich eine geraume Zeit, aber endlich dauerte dem unruhigen Athenervolke die lebenslängliche Herrschaft eines Archonten zu lange und sie wählten alle zehn Jahre einen neuen Archonten, endlich jedes Jahr neun Archonten aus den vornehmsten Familien. Das gab aber bald Hader und Zwietracht; statt eines Königs regierten jetzt die Vornehmen, welche die niederen Volksklassen drückten. Wie in Sparta war auch in Athen ein großer Theil des Volkes verschuldet und ganz von den Reichern abhängig. Als die Bedrückungen der Armen immer empfindlicher wurden, brachen Unruhen und Aufstände aus. Vergebens trat der Archont Drakon als Gesetzgeber auf, welcher durch seine unerbittliche Strenge die Ordnung wieder herzustellen suchte. Seine Gesetze waren grausam, denn auf das kleinste Vergehen war die Todesstrafe gesetzt. Die Unordnung ward immer ärger, bis ein Mann den Staat rettete, indem er ihm eine Verfassung gab, wodurch Athen blühend und mächtig wurde. Dieser Mann war Solon.
2.
Solon stammte zwar nicht von reichen, aber von sehr angesehenen Aeltern ab, denn sein Vater gehörte dem Geschlechte des Kodrus an. Solon's Vater war durch seine Menschenfreundlichkeit und große Wohlthätigkeit verarmt und konnte seinen! Sohne keine glänzende Erziehung geben. Doch der junge Solon fühlte Kraft in sich und vertraute lieber sich selbst, als daß er von seinen Freunden eine Unterstützung angenommen hätte. Er beschloß, Kaufmann zu werden, denn damals war nach Hesiod's Ausdruck: „Arbeit noch keine Schande", und die Handels-schaft hatte zudem noch bei den Athenern das Lob, daß sie Ausländisches heimisch mache, Freundschaftsbündnisse mit Königen schließe und an Kenntnissen bereichere.
Von Natur zum Frohsinn und heiteren Lebensgenuß geneigt, war Solon doch zugleich ein eifriger Verehrer der Weltweisheit, vorzüglich der Sittenlehre in ihrem Verhältnisse zum Staatsleben. Mit dem berühmten Philosophen Thales von Milet war er innig befreundet und der Scythe Anacharsis kam eigens nach Athen, um bei Solon die Weisheit der Griechen zu lernen.
Auch durch seine Anlagen zur Dichtkunst zeichnete sich Solon aus. Anfangs übte er sich nur zu seiner eigenen Unterhaltung in den Mußestunden; später aber machte er von diesem Talent einen sehr würdigen Gebrauch, indem er Sprüche der Weisheit und Lehren der Staatskunst in schönen Versen aussprach, die leicht von seinen Mitbürgern gefaßt und behalten wurden, wie noch heutzutage das Volk die Sprichwörter liebt. Ein Beispiel, wie geschickt und erfolgreich Solon seine Fertigkeit im Dichten anwandte, gibt uns das Folgende:
Die Athener hatten einen schweren und langwierigen Krieg mit den Megaräern um die Insel Salamis geführt und waren nun des Streites
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so überdrüssig geworden, daß sie bei Todesstrafe Jedermann verboten, von der Eroberung der Insel noch ferner zu reden. Das dünkte dem Solon schmachvoll, zumal da er wußte, daß viele junge Männer sich nach einer Erneuerung des Kampfes sehnten. Aber das Gesetz wollte er auch nicht übertreten. Da ließ er denn in der Stadt das Gerücht verbreiten, er sei wahnsinnig geworden. Zu Hause aber verfaßte er ein Gedicht, worin er die Athener mit kräftigen Worten zur Eroberung der Insel ermahnte, und dies Gedicht lernte er auswendig. Dann lief er auf den Markt, einen Filzhut auf dem Kopfe, sprang wie ein Irrsinniger umher und deklamirte sein Gedicht. Die versammelte Menge hörte aufmerksam zu und Alles klatschte den Worten Solon's Beifall. Das unlängst gegebene Gesetz ward aufgehoben, ein neuer Feldzug beschlossen. Solon leitete den Zug und die Megaräer wurden gänzlich geschlagen.
Durch diesen glücklichen Erfolg stieg Solon's Ansehen bedeutend; aber noch gefeierter ward sein Name, als er seine Stimme zum Schutz des delphischen Tempels erhob. Die Einwohner von Kirrha hatten einen zum Gebiet des delphischen Apollo gehörenden Landstrich sich zugeeignet, dazu mehrere Weihgeschenke aus dem Tempel geraubt. Da erklärte Solon, Athen dürfe diesem Frevel gegen das allen Griechen heilige Orakel nicht ruhig zuschauen und müsse den Delphiern Hülse leisten. Die Athener schlossen sich dem Bundesheere an und das Tempelgebiet wurde gerettet.
3.
Was aber den weisen Solon Tag und Nacht beschäftigte und ihm die meiste Sorge machte, war die Rohheit der Sitten in Athen und die drückende Lage des Volks. Dem Uebel konnte nur durch eine ganz neue Verfassung abgeholfen werden; die Athener sehnten sich nach neueren und besseren Gesetzen, wie die Spartaner zu Lykurgos' Zeiten. Wer hätte aber besser ein neues Gesetz zu entwerfen vermocht als Solon, der zwischen den Armen und Reichen unparteiisch in der Mitte stand!
Zu diesem Zweck wurde Solon (594 v. Chr.) zum Archonten erwählt. Seine Freunde riechen ihm, er möchte die erlangte Würde benutzen, die Alleinherrschaft (Tyrannis) von Athen zu gewinnen. Aber Solon antwortete, daß er nicht seine Ehre suche, sondern das Volk der Athener groß und glücklich machen wolle. So blieb er streng in den Grenzen seines Amtes.
Sein erstes Werk war, die Armen von ihrer Schuldenlast zu befreien. Er wollte aber die Schuldner nicht ganz von ihrer Schuld entbinden, auch den Gläubigern nicht die ganze Schuldforderung entreißen, sondern er schlug einen Mittelweg ein. Die hohen Zinsen, welche für ein geliehenes Kapital zu zahlen waren, wurden herabgesetzt, dagegen ward der Geldwerth erhöhet, denn Solon ließ aus je 75 Drachmen fortan 100 Stück prägen, und diese leichtere Münze mußten die Gläubiger an Zahlungsstatt annehmen. Zugleich wurde festgesetzt, daß kein Armer wegen Zahluugs-
©cu.be, Geschichtsbilder, i. 7
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Unfähigkeit zum Sklaven gemacht werden dürfe, welches bis dahin sehr oft geschehen war.
Anfangs war keiner von den beiden Theilen mit dieser „Entlastung" zufrieden; die Reichen schmerzte ihr Verlust und die Armen hatten auf eine allgemeine Gütertheilung gehofft, nach Art der Lykurgischen Gesetzgebung. Doch allmählich erkannte das Volk das Wohlthätige jener Verordnungen und alle Bürger brachten zum Dank ein gemeinschaftliches Opfer, welches man das „Entlastungsopfer" nannte.
Nun theilte Solon das ganze Volk in vier Klassen, die nach dem Vermögen unterschieden waren. Die Bürger der drei ersten Klaffen hatten Theil an den Staatsämtern und mußten im Kriege eine schwere Rüstung haben. Aus den Bürgern der zweiten Klaffe wurde die Reiterei genommen. Die vierte Klaffe enthielt die unbemittelten Bürger, die im Krieg als Leichtbewaffnete, oder später, als Athen eine Seemacht war, auf der Flotte dienten. Diese Klaffe hatte zwar Zutritt zu der Volksversammlung, aber nicht zu den Staatsämtern.
Die Volksversammlung hatte viele Rechte, die sonst nur den Königen und Fürsten zustanden. Sie konnte Krieg und Frieden schließen, Bündnisse eingehen, Beamte wählen, alle Gesetze aufheben und neue einführen. Damit aber die Macht der großen Volksmaffe etwas beschränkt würde, stellte Solon der Volksversammlung den Rath der Vierhundert zur Seite, in welchen jede der vier Klassen hundert Mitglieder wählte. Nur was in diesem Rath beschlossen war, durfte der Volksversammlung vorgelegt werden, welche dann das Gesetz bestätigte oder verwarf. Somit lag immer die Hauptmacht in den Händen des Volks; die Solonische Verfassung war demokratisch, während die Liturgische aristokratisch, d. i. Herrschaft der Vornehmsten, war.
Ferner erneuerte Solon das Ansehen des Areopags, eines sehr heilig gehaltenen Gerichtshofs, der schon seit alten Zeiten bestand und auf dem Hügel des Kriegsgottes Ares Mars) feine Sitzungen hielt. Diese Sitzungen wurden bei Nacht ohne Sicht gehalten, damit die Richter durch den kläglichen Anblick der Angeklagten nicht zum Mitleid bewegt würden. Ihre Urtheilsfprüche schrieben sie auf Täfelchen und warfen diese schweigend in die Urnen, von denen die eine die Urne des Todes, die andere die der Erbarmung hieß. Waren die Stimmen auf beiden Seiten gleich, so wurde noch ein Tafelchen in die Urne der Erbarmung geworfen und der Beschuldigte frei gesprochen. Dieser oberste Gerichtshof hatte namentlich die Aussicht über die Sitten der Bürger und die Entscheidung über vorsätzlichen Mord, Brandstiftung, Giftmischerei u. f. w. Einst nerurtheilte der Ar eopag sogar einen Knaben, der Wachteln die Augen ausgestochen hatte zum Tode, „weil ein solcher Mensch, wenn er herangewachsen sei, seinen Mitbürgern zum Verderben sein würde". Das Ansehen und die Würde des Areopags befestigte Solon dadurch, daß er festsetzte, nur diejenigen Archonten, welche ihr Amt untadelhaft verwaltet hätten, dürften unter die Zahl der Richter aufgenommen werden.
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Indem die Archonten nur aus der ersten Klasse der Bürger gewählt werden konnten, war die oberste Verwaltung und Gerichtsbarkeit in den Händen der Vornehmsten, also der demokratischen Grundlage eine aristokratische Spitze gegeben. Solon wollte allen Volksklassen gerecht werden und seine ganze Gesetzgebung war durchdrungen von einem milden Geiste edler Menschlichkeit. Von einem Stande der Heloten wußten die Athener nichts. Solon hatte Jedem das Recht gegeben, für einen Unrecht Leidenden Genugthuung zu fordern. Wurde z. B. Jemand von einem Stärkeren geschlagen oder sonst verletzt, so durfte, wer irgend wollte, den Beleidiger anklagen und gerichtlich verfolgen. Denn Alle sollten sich fühlen als Glieder eines Körpers, und Solon erklärte diejenige Stadt für die beste und glücklichste, in welcher das Unrecht von dem, der es nicht zu leiden hat, eben so eifrig angeklagt wird, wie von dem Gekränkten.
Ein Solonisches Gesetz verordnete auch, daß bei bürgerlichen Unruhen Derjenige, welcher mit keiner Partei es halte, mit dem Verluste seiner bürgerlichen Rechte bestraft werden solle. Diese Verordnung war sehr weise, denn am Schicksale seines Vaterlandes soll sich Jeder betheiligen.
In den Heirathsverträgen hob Solon die Mitgift gänzlich auf. Die Braut durfte nur drei Kleider und einiges Geräth von geringem Werth in das Haus ihres Gatten bringen; denn die Frau sollte keine Waare sein, die man nach ihrem höheren oder geringeren Werthe nahm, sondern ihrer Tugend willen vom Manne gesucht werden.
Lobenswerth war ferner das Verbot, Verstorbenen Uebeles nachzureden. Denn ein frommer Sinn achtet die Abgeschiedenen heilig, und wenn eS schon unrecht ist, von Abwesenden Uebeles zu reden, da sie sich nicht vertheidigen können, so ist es noch unbilliger, die Todten zu lästern.
Endlich war Solon ganz im Gegensatz zu Lykurg ein preiswürdiger Pfleger der Künste und Wissenschaften. Schon der felsige, unfruchtbare Boden von Attika wies seine Bewohner darauf hin, sich durch ihren Geist und ihre Geschicklichkeit Erwerbsquellen zu öffnen, ihre Lage in der Nähe des Meeres begünstigte den Handel. Um aber den fremden Kaufleuten und Seefahrern Etwas bieten zu können, das des Handels werth wäre, mußten geschickte Handwerker und Künstler vorhanden sein. In dieser Absicht verordnete Solon, daß ein Sohn, der von seinem Vater zu keinem Gewerbe angehalten sei, auch nicht mehr die Pflicht habe, ihm Unterhalt zu geben. Auch hatte der Areopag die Befugniß, auf die Beschäftigung des Einzelnen zu achten und keine Müßiggänger zu dulden.
^ , Dies waren die Grundzüge der Solonischen Verfassung. Welcher Weise könnte es aber allen Leuten recht machen 1 Nach Einführung dieser Gesetze kamen Tag für Tag zu Solon Leute bald mit Lob, bald mit Tadel, bald mit Anfragen und Erkundigungen, bald mit dem Wunsche, noch Dieses und Jenes in die Tafeln aufzunehmen. Um nun diesen Zudringlichen auszuweichen, beschloß Solon auf Reisen zu gehen. Zuvor aber ließ er die Archonten schwören, die ersten zehn Jahre an den Gesetzen unverbrüchlich fest zu halten.
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4.
Zuerst ging er nach Aegypten und verkehrte daselbst mit den Gelehrtesten unter den Priestern. Dann schiffte er sich nach der Insel Cypern ein, wo er die besondere Gunst und Freundschaft eines Königs dieser Insel, des Philokypros, erlangte, der auf seinen Rath und unter seiner Leitung eine neue Stadt anlegte, die dem Solon zu Ehren S olo i genannt wurde. Am berühmtesten aber ist Solon's Besuch bei dem Könige Krösus von Lydien geworden, von dem er eingeladen wurde, nach ber Hauptstadt Sardes zu kommen. Dem Solon verdankte dieser reiche und mächtige König späterhin sein Leben.
Während Solon's Abwesenheit war Athen leider wiederum in das alte Parteiwesen zurückgefallen. Die Küstenbewohner von Attika, das Volk vom platten Lande und dann bie Gebirgsbewohner — Eins stanb wibcr das Andere. Das Haupt der Letzteren, zu denen sich noch die große Zahl der gegen die Reichen am meisten erbitterten vierten Volksklasse schlug, war P i sistr a t us, ein naher Verwandter Solon's von mütterlicher Seite. Solon's Gesetze standen zwar noch in Geltung, aber man sah bereits ihrem Umsturz entgegen, denn jede der Parteien wünschte eine Veränbe-TUng ber Verfassung, um wieber mehr Vorrechte vor ber artbern Partei zu bekommen.
So stanben bie Sachen, als Solon heim kam. Man erwies ihm zwar hohe Ehre, aber er war boch schon zu alt, um so kräftig aufzutreten wie vormals. Darum suchte er auf bem Wege ftieblicher Untembung bie Parteihäupter zu versöhnen. Besonbers schien Pisistratus ihm ein williges Ohr zu leihen. Dieser Mann war sehr gewanbt unb sehr anziehenb in seinem Gespräche unb Umgange, babei ein Wohlthäter ber Armen, bei denen er sich sehr beliebt gemacht hatte. Er strebte nach der Alleinherrschaft, wußte sich aber gut zu verstellen. Solon durchschaute ihn, warf aber deshalb keinen Haß auf ihn, sondern bemühete sich, durch freundliches Zureden ihn von seinem Vorhaben abzubringen. Da irrte sich aber Solon sehr. Pisistratus war zugleich klug an Verstand, unbeugsam und fest in feinem Willen. Sobald er den günstigen Augenblick ersah, brachte er Uch mit eigener Hand eine Wunde bei, fuhr dann in einem Wagen auf den Markt und klagte dem Volke, daß ihn seine Feinde hinterlistig überfallen hätten, weil er ein Freund des Volkes sei. Der große Haufe war sogleich zum Schutze seines Lieblings bereit. In der Volksversammlung ward beschlossen, dem Pisistratus eine Leibwache von 50 Keulenträgern zu geben. Solon sprach zwar mit allem Eifer dagegen, allein es bestätigte sich hier, was einst der Scythe Anacharsis über die griechischen Volksversammlungen gesagt hatte: „Bei euch Griechen halten zwar die verständigen Leute ben Vortrag, aber bie Einfältigen geben ben Ausschlag." Das Volk bewilligte bem Pisistratus bie Leibwache unb balb brang er mit Hülfe berselben in bie Burg von Athen. Wer bie Burg hatte, beherrschte Athen. Ueber bieses unerwartete Ereigniß gerieth bie Stabt in große Bestürzung. Megakles,.
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das Parteihaupt der Küstenbewohner, ergriff mit den Seinen die Flucht; Solon aber, obschon in hohem Alter, erschien furchtlos auf dem Markt und hielt eine Rede an die Bürger, worin er sie wegen ihrer Unbesonnenheit und Feigheit schalt und sie beschwor, nicht von der Freiheit zu lassen. Damals sprach er das berühmte Wort: „Vorher war es euch leichter, die Tyrannei, welche noch im Keime war, zu unterdrücken: jetzt ist es größer und ehrenvoller, die schon erwachsene und erstarkte zu zerstören."
Da aber die Furcht seinen Vorstellungen den Eingang verschloß, so ging er nach Hause, ergriff die Waffen, stellte sich in voller Rüstung auf die Straße und sprach: „Ich habe, so viel in meinen Kräften stand, Vaterland und Gesetze vertheidigt."
Von nun an verhielt er sich ruhig, ohne doch von seiner Gesinnung abzulassen. Vergeblich riechen ihm seine Freunde zur Flucht, und als man ihn fragte, worauf er sich denn verlasse, daß er so tollkühn sei? antwortete er: „Auf das Alter." Pisistratus aber bewies ihm auch fernerhin große Achtung und Zuneigung und bediente sich seiner als Rathgebers. Me Solonischen Gesetze hielt er aufrecht und ging in Befolgung derselben mit gutem Beispiele voran. Ja sogar, als er vor dem Areopag des Mordes angeklagt wurde, erschien er, wiewohl er schon damals unumschränkte Gewalt besaß, ganz bescheiden vor den Richtern, um sich zu vertheidigen. Der Ankläger aber blieb aus.
Lolon widmete die Muße seiner letzten Lebensjahre den Studien und der Dichtkunst, nach seinem Grundsätze:
„Lernend ohn' Unterlaß komm' ich ins Alter hinein."
Doch soll er die Freiheit seiner Vaterstadt nicht lange überlebt haben und bereits im zweiten Jahre der Alleinherrschaft des Pisistratus gestorben sein. Sein Name ist unsterblich und mit Recht ist Solon zu den sieben Weisen des Alterthums gezählt worden.
II. Aristodemus und Aristomenes.
743 v. Chr. 686 v. Chr.
Arist odemus*).
1.
Westlich von Lakonien lag die fruchtbare Landschaft Messenien, nach deren Besitz die Spartaner um so mehr strebten, da ihr eigenes Land jener gesegneten Gegend an Fruchtbarkeit weit nachstand. Unter solchen Umständen konnte es an Feindseligkeiten zwischen beiden Nachbarvölkern nicht fehlen, bis endlich nach zwei blutigen Kriegen Messenien den Lacedämoniern
*) Nach Ludw. Stacke.
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unterworfen ward. Die Veranlassung zum Ausbruch des Krieges wird folgendermaßen erzählt:
Polychares, ein vornehmer Messenier, öesaß viele Rinder, aber nicht so viel eigenes Land, daß sein Vieh hinlängliche Weide gehabt hätte. Er übergab es daher einem Spartaner, Namens Euäphnos, unter der Bedingung, daß er es auf seinen Grundstücken weiden und dafür einen Theil der Nutzung von dem Viehe haben sollte. Dieser EuLphnos war ein Mensch, der ungerechten Gewinn höher achtete, als Treue und Ehrlichkeit, und dabei durch seine Worte sich einzuschmeicheln wußte. So hatte er auch jetzt die Rinder des Polychares an Kaufleute, die in Lakonien gelandet waren, verkauft und ging nun selbst als Bote zu Polychares. Diesem sagte er, Seeräuber wären an's Land gestiegen, hätten Gewalt gegen ihn gebraucht und als Beute Rinder und Hirten mit fortgenommen. Allein während Euäphnos den Polychares zu täuschen suchte, entlief den Kaufleuten einer von diesen Hirten, kehrte zu seinem Herrn zurück und traf hier den Euäphnos, den er in Gegenwart des Polychares Lügen strafte. Ueberführt und nicht im Stande, es abzuleugnen, bat er inständig den Polychares und dessen Sohn um Verzeihung. Dann gab er an, wie viel er für die Rinder bekommen hätte, und bat den Sohn des Polychares, ihm zu folgen und den Preis in Empfang zu nehmen. Auf dem Wege aber erschlug Euäphnos den Sohn des Polychares. Als dieser die That erfuhr, gmg er häufig nach Sparta zu den Königen und Obrigkeiten, um Genugthuung zu erhalten, und als er sie nicht erhielt, gerieth er außer sich und, hingerissen vom Zorne, ermordete er, weil er sein eigenes Leben nicht achtete, jeden Lacedämonier, der ihm in die Hände fiel. Die Laeedämonier verlangten nun die Auslieferung des Polychares, und da sie verweigert wurde, begannen sie den Krieg.
In aller Stille betrieben sie ihre Rüstungen und ohne Kriegserklärung brachen sie in Messenien ein, nachdem sie sich zuvor durch einen feierlichen Eid verpflichtet hatten, nicht eher die Waffen niederzulegen, als bis sie das mesfenische Land erobert hätten. Zur Nachtzeit überfielen sie die Grenzstadt Amphea, wo sie, da die Stadt ohne Wachen war, sogleich eindrangen und die Bewohner theils auf ihrem nächtlichen Lager, theils an den Altären der Götter, wohin sie ihre Zuflucht genommen hatten, tödteten. Der König der Messenier ermahnte jedoch in einer Volksversammlung die Bürger, sich durch das Schicksal Amphea's nicht entmuthigen zu lasten, und übte seine Schaaren sorgfältig in den Waffen. Me Lace-dämonier durchstreiften nun Messenien, verwüsteten aber das Land nicht, da sie es schon als das ihrige ansahen, fällten weder Bäume, noch rissen sie Wohnungen nieder; nur das Vieh, das ihnen in die Hände fiel, trieben sie mit fort, auch Getreide und andere Früchte nahmen sie, wogegen ihre Versuche, die Städte des Landes zu erobern, mißlangen. Aber auch die Messenier raubten und plünderten an den Seeküsten Lakoniens und in den Feldern umher. Erst im fünften Jahre, nachdem der mesfenische König die Seinen zum entscheidenden Kampfe vorbereitet hatte, kam es zu einer
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mörderischen Schlacht; der Verlust war auf beiden Seiten gleich groß und beide Theile fühlten sich sehr geschwächt. Aber den Messeniern fehlte es an Mitteln zur Fortsetzung des Krieges, dazu kamen böse Seuchen und andere Unglücksfälle und die verheerenden Streifzüge der Feinde dauerten fort. Die Messenier vermieden daher offene Feldschlachten und zogen sich in die feste Bergstadt Jthome zurück. Von hier aus befragten sie das Delphische Orakel, was zur Rettung Messeniens zu thun sei, und erhielten den Spruch:
„Aus dem Geschlechte des Aepytus fordert das Loos eine Jungfrau!
Gib sie des Unterreichs Göttern, und retten magst du JthomeI"
Das Loos traf die Tochter des Lyciskus, aber der Seher Ephebolus verbot sie zu opfern, da die Jungfrau nicht die Tochter des Lyciskus sei. Da bot Aristodemus, der auch aus dem Geschlechte des Aepytus stammte und durch Kriegsthaten ausgezeichnet war, seine Tochter freiwillig zum Opfer dar. Aber ein Messenier liebte die Tochter des Aristodemus, erhob Widerspruch gegen ihn und reizte durch seine Einwendungen den Vater so sehr, daß dieser in Wuth gerieth und im Zorn seine Tochter ermordete. Ephebolus verlangte nun, daß ein Anderer seine Tochter dazu hergebe, denn des Aristodemus Tochter helfe ihnen nichts, da sie vom Vater ermordet, nicht aber den Göttern geopfert sei. Nur mit Mühe erwirkte der König die Erklärung des Volkes, daß es keines weitern Opfers bedürfe. Aus Furcht vor der Wirkung des Orakels wagten die Lacedämonier fünf Jahre lang keinen Angriff; erst im sechsten erschienen sie in der Ebene von Jthome, wo es zu einem Treffen kam, in dem der König der Messenier tödtlich verwundet ward, so daß er bald darauf starb. An seiner Stelle wurde Aristodemus zum König erwählt. In den ersten fünf Jahren seiner Regierung fielen nur kleine Gefechte vor, bis im sechsten Jahre beide Heere mit ihren Bundesgenossen einander ein entscheidendes Treffen lieferten, in welchem die Lacedämonier eine schwere Niederlage erlitten. Dennoch hatten die Messenier von ihrem Siege wenig Vortheil, denn zweideutige Orakelsprüche, deren Sinn man nicht erkannte, beunruhigten und entmuthigten sie. Im zwanzigsten Jahre des Krieges befragten sie von Neuem das Delphische Orakel, das ihnen folgenden Spruch ertheilte:
„Wer Dreifüße zuerst au des Zeus Altar zu Jthome
Stellet im Kreis' umher, an der Zahl zehen mal zehen.
Dem gibt Gott mit dem sJ(uhme des Kriegs die messeuischen Fluren."
2.
Diese Antwort des Orakels erfuhren die Lacedämonier; ein gemeiner Bürger verfertigte hundert Dreifüße aus Thonerde und zog als Weidmann verkleidet nach Messenien, wo er sich unter die Landleute mischte und mit ihnen in die Stadt Jthome ging. Hier stellte er mit Einbruch der Nacht die Dreifüße im Tempel des Zeus auf und entkam glücklich nach Sparta. Durch die List gerieten die Messenier in große Bestürzung und dazu kamen noch andere unheilbringendeVorzeichen,dieden Untergang Messeniens
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verkündigten: ein Seher, der von Geburt an blind gewesen war, bekam plötzlich das Gesicht und verlor es bald nachher wieder; die Bildsäule der Artemis ließ ihren Schild fallen; die Hunde kamen an einem Orte zusammen und heulten die ganze Nacht; die zum Opfer bestimmten Widder stießen die Hörner mit solcher Gewalt in den Altar, daß sie von dem Stoße starben; vor Allem aber erschütterte den Ariftodemus selbst ein Traumgesicht. Es träumte ihm, er wolle zu einem Treffen ausziehen und sei gerüstet und die Eingeweide der Opferthiere lägen vor ihm auf einem Tische; seine Tochter erscheine ihm in schwarzer Kleidung und zeige ihm die aufgeschnittene Brust und die Erscheinung werfe das auf dem Tische Liegende um, nehme ihm die Rüstung ab, setze ihm statt ihrer einen goldenen Kranz auf und werfe ihm ein weißes Gewand über. In diesem Traume sah Ariftodemus die Verkündigung seines nahen Todes; er erwog, daß er vergebens der Mörder seiner Tochter geworden sei, und da er keine Hoffnung zur Rettung seines Vaterlandes mehr sah, tödtete er sich auf dem Grabe seiner Tochter. — Im letzten Jahre des Krieges wurde Jthome belagert und erobert, die meisten Meffemer waren zu ihren Gastfreunden in benachbarte Länder geflohen; die zurückgebliebenen aber wurden von den Spartanern mit Härte behandelt und mußten die Hälfte des Ertrages ihrer Felder nach Sparta abliefern und bei den Begräbnissen der spartanischen Könige und Obrigkeiten in Trauerkleidern erscheinen, weshalb die Sieger in ihren Liedern von ihn an sangen:
„So rote Esel gedrückt tragen sie mächtige Last.
Unter dem traurigen Zwang darbringend ihren Gebietern Alles zur Hälfte getheilt, was fie von Früchten erbaut." und von Leichenbegängnissen:
„Männer und Weiber betrauern zugleich mit Seufzen die Herren,
Raffte deS Todes Geschick einen vernichtend dahin."
Aristomenes.
1.
Die Messenier ertrugen mit Unwillen die drückende Herrschaft der Spartaner, am meisten das jüngere Geschlecht, das von den Drangsalen des vorigen Krieges nichts erfahren hatte. Daher wurde die Empörung beschlossen. Unter den Jünglingen, die in Messenien herangewachsen waren, zeichnete sich vor Allen Aristomenes durch Muth und Tapferkeit aus. Das erste Treffen mit den Lacedämoniern blieb unentschieden, aber Aristomenes hatte so glänzende Thaten verrichtet, daß ihn die Meffenier zum König wählen wollten. Da er sich aber diese Ehre verbat, wählten sie ihn zum unumschränkten Anführer im Kriege. Um nun die Lacedämonier gleich im Anfange des Krieges in Schrecken zu setzen, ging er bei Nacht nach Lace-dämon und stellte einen Schild an den Tempel der Minerva, auf dem
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geschrieben war: „Ariftomenes weiht diesen Schild der Göttin als Zeichen des Sieges über die Spartaner." Die Lacedämonier aber hatten einen Orakelspruch aus Delphi, daß sie den athenischen Rathgeber holen sollten. Sie baten also durch Gesandte die Athener um einen Mann, der ihnen riethe, was nöthig wäre, und diese schickten ihnen den Tyrtäus, einen Kinderlehrer, der am wenigsten mit scharfem Verstände begabt zu sein schien und an dem einen Fuße lahm war. Tyrtäus wußte durch seine Kriegsgesänge die Lacedämonier so zu begeistern, daß sie ihn als ein göttliches Geschenk betrachteten. Beide Theile rüsteten sich bei dem sogenannten „Denkmal des Ebers" zur Schlacht. Ariftomenes war von einer Schaar von achtzig auserlesenen Messeniern umgeben, von denen jeder sich hochgeehrt fühlte, daß er gewürdigt worden war, an der Seite des Ariftomenes zu fechten. Diese selbst und Ariftomenes hatten zuerst schwere Arbeit, da sie gegen den spartanischen König und den Kern des lacedämonischen Heeres kämpften; aber keine Wunde scheuend und ihre Kampfwuth bis auf den höchsten Grad steigernd, schlugen sie durch fortgesetzten Kampf und ihre Wagstücke die Schaar des spartanischen Königs zurück. Diese Fliehenden ließ Ariftomenes durch eine andere Abtheilung der Mesienier verfolgen; er selbst stürzte sich auf die, welche den meisten Widerstand leisteten. Als er auch diese geworfen hatte, wandte er sich wiederum gegen Andere; schnell drängte er auch diese zurück, und ungehindert warf er sich nun auf die, welche noch Stand hielten, bis er die ganze Schlachtordnung der Lacedämonier und ihrer Bundesgenossen in völlige Unordnung brachte. Und da sie nun ohne Scham und Scheu flohen und Keiner mehr den Andern erwarten wollte, drängte er die Nachhut furchtbarer, als man von einem einzigen Manne hätte erwarten können. Bei der weiteren Verfolgung der Feinde verlor Ariftomenes seinen Sckild, und dieser Umstand war Schuld, daß sich mehrere Lacedämonier durch die Flucht retteten, weil er, während er den Schild suchte, Zeit verlor. Die Lacedämonier waren durch diesen Schlag sehr entmuthigt; aber dem Ariftomenes warfen, als er nach Haufe zurückkehrte, die Weiber Bänder und Blumen der Jahreszeit zu und sangen die Verse:
„Sparta's Schaaren verfolgt Ariftomenes bis in die Mitte
Von Stenykleros*) Gefild und bis zum hohen Gebirg."
Seinen Schild fand Ariftomenes bald darauf wieder und überfiel sogleich mit einer auserlesenen Schaar zwei spartanische Städte, wobei er beträchtliche Beute wegführte.
2.
Einst erfuhr er, daß zu Aegila, einem Ort in Lakonien, wo der Ceres ein Heiligthum gestiftet war, die Frauen ein Fest feierten. Ariftomenes brach mit seinen Gefährten auf und suchte sie zu rauben. Allein die Weiber
*) Stenykleros hieß der Ort, wo sich das Denkmal des Ebers befand.
festen sich zur Wehr; die meisten Meffenier wurden mit den Messern, womit die Frauen die Opferthiere schlachteten, und mit den Spießen, woran sie das Fleisch steckten, um es zu braten, verwundet; auf Aristo-menes aber schlugen sie mit brennenden Fackeln und nahmen ihn gefangen. Doch Archidamia, die Priesterin, ließ ihn frei und gab vor, er habe die Stricke durchgebrannt und sei entronnen. Aristomenes aber rettete sich in derselben Nacht nach Messenien.
Doch im dritten Jahre des Krieges erlitten die Meffenier bei Mega* lothaphros, d. i. beim großen Graben, eine schwere Niederlage. Aristo-krates, König der mit ihnen verbündeten Arkadier, war von den Lacedä-moniern bestochen worden und zog sich gleich im Anfange der Schlacht mit den Seinen zurück, wodurch die Meffenier so in Verwirrung geriethen, daß die Lacedämonier ohne Mühe einen leichten Sieg davon trugen und eine große Menge der Meffenier erschlugen.
Nach diesem Treffen sammelte Aristomenes die Reste der Meffenier und zog sich mit ihnen nach der Bergfestung Eira, die nun von den Lace-dämoniern elf Jahre belagert wurde. Von hier aus unternahm Aristomenes Streifzüge bis in das Innere des lakonischen Landes; auf einem solchen Zuge stieß er einst auf eine starke Abtheilung der Lacedämonier. Er vertheidigte sich, erhielt mehrere Wunden, ein Stein traf ihn an den Kopf, es verdunkelten sich ihm die Augen, er fiel, haufenweise liefen die Lacedämonier hinzu und nahmen ihn gefangen. Es wurden aber auch fünfzig seiner Gefährten gefangen genommen; diese alle beschlossen sie in die sogenannten Käaden, eine Grube, worin man Missethäter warf, zu stürzen. Die übrigen Meffenier nun, die hineinfielen, kamen sogleich um, den Aristomenes aber soll ein Adler, der unter ihm geflogen, auf seinen Flügeln gehalten und unverletzt und ohne irgend eine Wunde auf den Boden hingebracht haben. Als er auf den Grund des Schlundes gekommen war, legte er sich nieder, zog das Gewand über das Gesicht und erwartete den Tod, den er für unvermeidlich hielt. Am dritten Tage darauf hörte er ein Geräusch, er enthüllte sein Gesicht und erblickte einen Fuchsder an den Leichnamen fraß. In der Voraussetzung, daß das Thier irgend woher einen Eingang habe, wartete er es ab, bis der Fuchs sich ihm näherte. Als er ihm nahe gekommen war, ergriff er ihn, mit der andern Hand aber hielt er ihm, so oft er sich gegen ihn wendete, das Gewand vor und ließ ihn hineinbeißen. Den größten Theil lief er mit dem laufenden Fuchse; an Stellen, wo schwer durchzukommen war, ließ er sich auch von ihm nachziehen. Endlich sah er ein Loch, das für den Fuchs zum Durchkriechen groß genug war, und Licht durch dasselbe. Der Fuchs eilte, als er von Aristomenes losgelassen worden war, seiner Höhle zu. Aristomenes aber machte das Loch, das zum Durchkommen für ihn zu klein war, mit den Händen weiter und entkam zu den Seinen nach Eira.
Den Lacedämoniern wurde sogleich von Ueberläufern gemeldet, daß Aristomenes unversehrt zurückgekommen sei. Sie hielten es aber für un-
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glaublich, bis er eine Schaar von Korinthern, die den Lacedämoniern zu Hülfe zogen, schlug und ihre Anführer tödtele. Nach dieser That brachte er dem Jupiter das Opfer dar, welches man Hekatomphonia nennt und das jeder Messenier, der hundert Feinde erlegt hatte, verrichtete. Aristo-menes hatte es zum ersten Male dargebracht, als er am Denkmale des Ebers gefochten hatte; auch zum dritten Male soll er es in der Folge wiederholt haben.
3.
Die Laccdämonier schlossen einst, als sie das Fest der Hyacinthiert feierten, mit den Messeniern in Eira einen Waffenstillstand auf vierzig Tage. Als nun Aristomenes, ohne etwas zu fürchten, sich eine Strecke von Eira entfernt hatte, wurde er von kretischen Bogenschützen, die in Messenien umherschwärmten, gefangen und mit den Riemen, die sie an ihren Köchern hatten, gebunden. Sie brachten ihn in einen Meierhof im messenischen Gebiete, wo eine Mutter mit ihrer Tochter wohnte; der Vater war gestorben. Dieser Jungfrau war in der vorhergehenden Nacht ein Traumgesicht erschienen: Wölfe führten zu ihnen in den Meierhof einen gefesselten Löwen, der feine Klauen hatte; sie selbst löste dem Löwen die Fesseln, fand seine Klauen und gab sie ihm, so wurden im Traume die Wölfe von dem Löwen zerrissen. Jetzt, da die Kreter den Aristomenes hereinführten, merkte die Jungfrau, daß das in der Nacht erschienene Traumgesicht in Erfüllung gehe, und fragte ihre Mutter, wer das wäre. Als sie seinen Namen erfuhr, faßte sie Muth, das auszuführen, was ihr im Traume befohlen worden war. Sie schenkte daher den Kretern so viel Wein ein, als sie nur trinken wollten, und als sie berauscht waren, entwendete sie dem, welcher am tiefsten schlief, sein Messer und zerschnitt die Fesseln des Aristomenes; er aber ergriff das Schwert und tödtete die Kreter. Die Jungfrau aber gab er, um ihr den Lohn der Rettung zu zahlen, seinem Sohne zur Gemahlin.
Aber im elften Jahre der Belagerung war es vom Schicksal bestimmt, daß Eira erobert und die Messenier vertrieben werden sollten. Als Aristomenes und der Wahrsager Theoklos nach der Niederlage am Graben nach Delphi kamen und das Orakel wegen ihrer Rettung befragten, erhielten sie vom Gotte folgende Antwort:
„Wenn ein Tragos*) trinket der Neda sich schlängelndes Wasser,
Schütz' ich Messena nicht mehr, denn es naht sich schon das Verderben."
Nach diesem Orakelspruche hüteten die Messenier die Böcke, daß sie nicht aus der Neda trinken möchten. Doch damals stand an diesem Flusse ein wilder Feigenbaum, der nicht gerade in die Höhe gewachsen war, sondern sich zu dem Strome der Neda hinneigte und das Wasser mit den Spitzen seiner Blätter berührte. Als dies der Wahrsager Theoklos sah,
*) Das Wort Tragos bedeutet einen Ziegenbock und einen wilden Feigenbaum. Die Neda ist ein Fluß, der viele Krümmungen macht.
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errieth er, daß in dem Orakelspruche unter dem Tragos dieser wilde Feigenbaum zu verstehen sei und daß nun den Messeniern ihr Schicksal nahe bevorstehe. Auch dem Aristomenes theilte er seine Entdeckung mit.
4.
Ein lacedämonischer Ueberläufer besuchte damals oft eine ntefienische Frau, die außerhalb der Festung ihre Wohnung hatte, in Abwesenheit ihres Mannes, wenn dieser auf dem Wachtposten stand. Einst war eine mondlose, stürmische Nacht und der Regen ergoß sich in dichten Strömen vom Himmel. Da verließen die Messenier, die in dieser Nacht keinen Angriff besorgten, die Wache; Aristomenes aber lag an einer kurz vorher erhaltenen Wunde darnieder und konnte nicht wie gewöhnlich die Runde bei den Wachtposten machen. So kam denn auch jener Messenier in seine Wohnung zu seiner Frau, die, als sie die unerwartete Ankunft ihres Man* ne^ bemerkte, den lacedämonischen Ueberläufer schnell versteckte. Der Messenier erzählte, daß wegen des stürmischen Wetters alle Posten unbesetzt wären. Als dies der Ueberläufer in seinem Versteck hörte, schlich er sich leise davon und meldete Alles dem spartanischen Feldherrn. In der Nacht erstiegen nun die Spartaner auf angelegten Leitern die Mauern von Eira und erst das Bellen der Hunde weckte die Messenier aus ihrem Schlafe. Obschon Aristomenes und die Wahrsager wußten, daß Messeniens Untergang unvermeidlich sei, gingen sie doch zu allen Messeniern und ermahnten sie, wackere Männer zu sein, und riefen die Zurückbleibenden aus den Häusern. In der Nacht setzte die Finsterniß dem weitem Vordringen der Feinde Schranken, mit Anbruch des Tages aber erhob sich ein ver--weiflungsvoller Kampf, an dem sogar die Weiber Theil nahmen, indem sie Dachziegel und was jede hatte auf die Feinde warfen. Aber noch dichter schoß der Regen herab unter dem heftigen Krachen des Donners und entgegenstrahlende Blitze blendeten die Augen der Messenier, während die Laeedämonier, da es ihnen zur rechten Hand blitzte, dies für ein günstiges Zeichen hielten und sich von größerem Muthe beseelt fühlten. Schon drei Tage und Nächte hindurch dauerte der Kampf, die Messenier waren durch Schlaflosigkeit, Regen und Kälte abgemattet, dazu quälte sie Hunger und Durst. Da lief der Wahrsager Theoklos gegen die Feinde und rief ihnen begeistert die Worte zu: „Wahrlich, nicht in allen künftigen Zeiten werdet ihr fröhlich die Früchte der Messenier genießen." Hierauf stürzte er sich unter die Feinde und hauchte, nachdem er seine Rache mit dem Blute der Feinde gesättigt hatte, tödtlich verwundet den Geist aus. Nun tief Aristomenes ^ die Messenier vorn Kampfe zurück, nahm die Weiber und Kinder in die Mitte und ging mit gesenktem Speere, zum Zeichen, daß er um Durchzug bitte und abzuziehen beschlossen habe, auf die Feinde zu, die ihre Reihen öffneten und sie ungestört durchziehen ließen. Sie gingen zu den Arkadiern, ihren Bundesgenossen. Aristomenes aber wählte 500 der tapfersten Messenier aus, mit denen er Sparta, während das lacedämonische Heer noch in Messenien stand, überfallen wollte. Allein
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Aristokrates übte zum zweiten Male an den Meffentern Verrath, er zeigte den Lacedämoniern den Plan an, wodurck die Unternehmung vereitelt wurde. Dafür steinigten die Arkadier ihren König zu Tode und warfen seinen Leichnam unbegraben über die Grenze. Die meisten Messenier zogen nun nach Unteritalien, wo sie die nach ihnen benannte Stadt Mes-sana bewohnten. Aristomenes, den sie zum Führer haben wollten, lehnte es ab mit den Worten, er werde, so lange er lebe, gegen die Lacedämo-nier Krieg führen, er wisse genau, daß immer irgend ein Unheil durch ihn für Sparta entstehen werde. Später ging er nach Delphi. Als der Herrscher einer Stadt auf der Insel Rhodos, Damagetos, das Orakel befragte, wessen Tochter er zur Frau nehmen sollte, erhielt er die Antwort, die Tochter des tapfersten Mannes unter den Griechen zu heirathen. Darauf heirathete er die Tochter des Aristomenes, dieser zog nach Rhodos, wo er nach einiger Zeit an einer Krankheit starb. Die Rhodier errichteten ihm ein ausgezeichnetes Denkmal und erwiesen ihm besondere Verehrung.
III. Xerxes und Leonidas. Themistokles.
3Eerjre§’ Heerfahrt nach Europa *).
Als die Nachricht von der Niederlage bei Marathon an den König Darms kam, da entbrannte sein Zorn noch heftiger gegen die Athener und er rüstete sich zu einem neuen Feldzuge gegen Hellas vier ganze Jahre lang. Aber er starb, ehe er ausführen konnte, was er im Sinne hatte, und sein Sohn Terxes übernahm mit dem Throne zugleich den Racheplan des Vaters. Hierin bestärkte ihn sowohl Mardonius, welcher bei den Persern am meisten in Ansehen stand, als auch ein Traumgesicht. Es bäuchte ihm nämlich, er wäre mit einem Oelsprößling bekränzt und die Zweige desselben reichten über die ganze Erbe unb nach biesem verschwänbe ber Kranz, ber ihm auf bem Haupte gelegen. Das legten ihm bie Magier so aus: Dieser weitreichenbe Kranz bebeute, baß er burch ben Felbzug, ben er vorhabe, bie Herrschaft gewinnen werbe über bie ganze Erbe. Und Lerxes hatte wirklich im Sinn, nach Unterwerfung Griechenland ganz Europa sich eigen zu machen, bis baß ber Himmel selbst bie alleinige Grenze bes Perserreichs wäre. Hätten aber jene Weisen barauf achten wollen, baß ber Kranz nachher vom Haupte bes Königs entschwunben war, so hätten sie wohl bem Traume eine richtigere Deutung gegeben.
Terxes inbeß glaubte ben Worten seines Rathgebers unb seiner Traum-beuter, unb nachdem er noch vier Jahre lang die Kriegsrüstung fortgesetzt
*) Nach gerb. Bäßler.
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hatte, zog er im Frühling des Jahres 480 v. Chr. mit einer fast zahllosen Menge Volks wider die Griechen zu Felde. Das Vorgebirge Athos, wo die Perser vormals Schiffbruch gelitten, ließ er mit ungeheurer Arbeit vom Festlande durch einen breiten und tiefen Graben trennen, in welchem nun die persische Flotte ungehindert durchfuhr. Um aber das Landheer von Asien nach Europa hinüberzubringen, ließ Terxes über den Hellespont Brücken schlagen. Doch ein Sturm zertrümmerte die Brücken. Als der König solches erfuhr, ließ er den Baumeistern die Köpfe abschneiden und das widerspenstige Meer mit Ruthen peitschen.
Nun wurden zwei andere Brücken, stärker als die ersten, hergestellt und das ganze Heer bereitete sich zum feierlichen Uebergctnge vor. Der Weg war mit Myrthenzweigen bestreut und auf den Brücken dampfte der Weihrauch. Es war in der Morgendämmerung. In dem Augenblick, wo die still und andächtig erwartete Sonne am Osthimmel herrlich über den Völkern emporstieg, goß Lerxes aus einer goldenen Schale ein Trankopfer in das Meer und betete zur Sonne, daß sie ihm eine sieghafte Bahn beleuchten möge bis an das Ende Europa's. Darnach warf er die Schale sammt einem goldenen Becher und einem persischen Krummschwerte in die See und als das geschehen, setzte sich das Heer in Bewegung und ging über von Asien nach Europa. Dieser Zug über die Brücke wahrte ununterbrochen sieben Tage und sieben Nächte, und wer das mit ansah, achtete den König an Macht gleich einem Gotte.
Als sie nun nach Thracien in die Ebene von Doriskos kamen, hielt Lerxes Heerschau und veranstaltete eine Zählung seines Kriegsvolkes in folgender Art. Man stellte 10,000 Mann auf einen Ort dicht zusammen und zog alsdann einen Zaun um sie; darnach ließ man sie herausgehen und trieb Andere hinein, bis die Umzäunung abermals gefüllt war. Solchergestalt wurde das persische Heer gezählt oder vielmehr wie Getreide gemessen. Die Gesammtmenge streitbarer Männer wurde bei dritthalb Millionen befunden; der Troß der Diener, Köche, Weiber u. dgl. betrug mindestens ebensoviel, so daß dieser ungeheure Zug von mehr als fünf Millionen Menschen eher einer Völkerwanderung als einer Heerfahrt glich. Da war kein Volk zwischen dem indischen und mittelländischen Meere, das nicht zu dieser Armee seine Heerschaar gestellt hätte! Welch’ ein buntes Gewimmel der verschiedenartigsten Gestalten, Trachten und Waffenarten! Den Kern dieser Kriegsmacht bildeten die Perser. Kleidung und Rüstung derselben war von den Medern entlehnt: sogenannte Tiaren oder ungefilzte Hüte, bunte Aermelröcke mit eisernen Schuppen belegt, Hosen um die Beine, statt des Schildes ein Geflecht, kurze Speere, große Bogen, im Köcher Pfeile von Rohr und einen Dolch im Gürtel. Die Assyrier hatten eherne, geflochtene Helme auf und linnene Panzer an; ihre Hauptwaffe war eine mit Eisen beschlagene Keule. Die Saken, ein scy-thifches Volk, gingen mit hohen Turbanen einher, welche oben spitz zuliefen; im Kampfe führten sie eine Streitaxt. Die Indier trugen Kleidung von Baumwolle, die Kaspier von Pelz. Die Araber waren mit weiten
Oberkleidern umgürtet und führten lange Bogen, die man nach Belieben auf beiden Seiten spannen konnte. Die afrikanischen Aethiopier hatten Panther- und Löwenfelle um, ihre Bogen waren aus dem Blüthenstiele eines Palmbaums gefertigt, ihre Pfeile waren von Rohr und vorn war ein spitzer Stein von großer Härte befestigt; die Spitze ihres Speeres aber bildete ein Antilopenhorn, und wenn sie in die Schlacht zogen, hatten sie ihren Leib gar seltsam halb mit Kreide, halb mit Mennige (roth) gefärbt. Die asiatischen Aethiopier hatten sich das Haupt mit abgezogenen Stirnhäuten der Pferde bedeckt, an denen noch die Ohren gerade in die Höhe standen und die Mähne hinten wallend hinunterhing. An Glanz zeichneten sich vor Allen die Perser aus, welche auch die Tapfersten waren. Ihre Rüstungen strahlten von der Menge Goldes. Auch führten sie eine zahlreiche, schön geschmückte Dienerschaft auf Wagen mit sich. Unter der Reiterei that sich das persische Hirtenvolk der Sagartier hervor. Diese hatten 8000 Reiter gestellt und führten keine anderen Waffen mit sich, als einen kurzen Dolch und eine aus Riemen geflochtene Schlinge, womit sie im Gefecht den Gegner fingen und hinter sich fortschleifend tödteten. Die Indier kamen theils zu Roß, theils zu Wagen, theils zu Fuß; die arabische Reiterei ritt auf raschen Kameelen und mußte zu hinterst bleiben, da die Pferde vor den Kameelen sich scheuen.
Mehr als 50 Völkerschaften aus allen drei Welttheilen waren auf das Geheiß eines einzigen Gewaltherrn unter £>ie Waffen getreten. Nachdem das Heer gezählt und geordnet war, bestieg Xerxes einen Wagen und fuhr von einem Volke zum andern. Er fragte jedwedes nach seinem Namen, nach Zahl, Führer und was sonst wissenswerth schien; seine Schreiber zeichneten es aus. Nach der Musterung des Landheeres besichtigte der König auch die Flotte. Die Schiffe lagen nahe am Ufer in einer Linie, die Schnäbel dem Lande zugekehrt, vor Anker und die Besatzung derselben hatte sich gewaffnet wie zur Schlacht. Der König bestieg ein sidonisches Schiff und saß auf dem Verdeck unter einem goldenen Zelte. Dann fuhr er an den Schiffen entlang, befragte sie alle und ließ Alles aufschreiben. Es waren außer den 3000 Lastschiffen 1200 Kriegsschiffe, wovon 300 von den Phöniciern, 200 von den Aegyptern, 150 von den Cypriern, 100 von den Ciliciern, ebensoviel von den Ioniern (den kleinasiatischen Griechen) und 50 von den Lyciern gestellt waren. Die besten Segler gehörten den ältesten Seefahrern, den Phöniciern, an. Nächst diesen zeichneten sich vor allen die fünf herrlichen Galeeren aus, welche die Königin Artemisia führte, die tapferste unter den Heerführern und die weiseste unter den Rathgebern des Königs.
So groß war die Heeresmacht, die gegen das kleine Griechenland auszog.
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Leonidas im Paß von Thermopylä.
1.
Schwer und langsam kam die Persermacht herangezogen, ohne Widerstand zu finden, bis zum Engpasse Thermopylä, der in das Herz von Griechenland führt. Hier, wo das Meer von der einen und das steile Oetagebirge von der andern Seite nur einen schmalen Steg gelassen hat, hielt der spartanische König Leonidas mit 300 Spartanern und einigen verbündeten Truppen. Xerxes lachte überlaut, als er hörte, daß dieses Häuflein seine Millionen aufzuhalten gedenke und sich zu dem Kampfe wie zu einem Feste schmückte. Er schickte Boten hin mit dem Befehl, ihm sofort die Waffen auszuliefern. „Komm' und hole sie!" war die Ant-wort. ^ Und als den Griechen gesagt wurde, der Feinde seien so viele, daß ihre Pfeile die Sonne verfinstern würden, erwiderte ein Spartaner kalt: „Desto besser, so werden wir im Schatten fechten."
Noch zögerte Xerxes mit dem Angriff. Er konnte es sich nicht möglich denken, daß diese Handvoll Menschen wirklich Widerstand leisten würde; so ließ er ihnen denn vier Tage Zeit zur Besinnung; vielleicht — so meinte er — würden sie von selber umkehren und abziehen. Dann aber ließ er seine Asiaten gegen den Hohlweg losstürmen. Hier standen die Griechen, dicht geschlossen, Mann an Mann, in der Linken den Schild, der sich wie eine eherne Mauer vor der Reihe herzog, von welcher die Pfeile der Barbaren klirrend zurückflogen; mit der Rechten streckten sie» einen Wald langer Lanzen vor sich hin. Schaar auf Schaar stürmte heran und suchte den Wald zu durchbrechen, aber immer wurden sie über die Leichen der Ihrigen zurückgeworfen. Xerxes ließ jetzt die Tapfersten seines Heeres, die „unsterbliche Schaar" genannt, vorrücken. Auch sie fielen. Kein Perser mochte mehr den Angriff wagen. Zuweilen gebrauchten die Spartaner ihre Kriegslist und flohen; die persischen Reiter hinterdrein, aber plötzlich wandten sich die Tapfern und stachen Roß und Mann nieder. Xerxes sprang oft von seinem Sitze auf, wenn er seine besten Krieger fallen sah, er wüthete und tobte und ließ seine Schaaren mit Geißeln in den Hohlweg peitschen, wo ihr sicheres Grab bereitet war. Hier wäre vielleicht schon die ganze persische Macht an der Tapferkeit von ein paar hundert heldenmütigen Griechen gescheitert, wäre nicht ein Verräther gewesen — Ephialtes ist sein Name — der dem persischen Feldherrn einen geheimen Fußpfad über das Gebirge entdeckte.
Nun schlichen sich die Perser in aller Stille an dem Berge hinauf, überstiegen die abschüssigen Höhen und fielen den verrathenen Griechen in den Rücken. Diese sahen nun ihren unvermeidlichen Tod vor Augen, aber sie wollten das Leben auch theuer verkaufen. Wüthend stürzten sie sich in die Feinde, die wie Gras unter der Sense des Schnitters unter ihren Streichen fielen. Als die Lanzen der tapfern Spartaner zerbrochen waren, gingen sie mit ihren kurzen Schwertern den Feinden zu Leibe. Da fiel Leonidas.
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tn diesem Handgemenge, nachdem er heldenmüthig gekämpft, und mit ihm viele tüchtige Spartaner; über seinen Leichnam entstand ein großes Gedränge der Perser und Lacedämonier, bis daß die Griechen ihn durch ihre Tapferkeit fortbrachten und dreimal die Perser in die Flucht schlugen. Aber nun drangen von allen Seiten die Feinde auf das immer kleiner werdende Griechenheer ein und die Tapfersten mußten der Uebermacht erliegen.
2.
Von jenen 300 Spartanern starben alle den Heldentod, bis auf einen, Aristodemus. Dieser war bei einem andern Spartaner, Namens Eurytos, der wegen einer schlimmen Augenkrankheit vonLeonidas fortgeschickt war. Als sie nun hörten, daß die Perser über den Berg gegangen seien, forderte Eurytos seine Rüstung, legte sie an und befahl seinem Diener, ihn nach dem Kampfplätze zu führen. Hier angekommen, stürzte er sich in den feindlichen Haufen und ward erschlagen; Aristodemus aber rettete sein Leben durch die Flucht. Doch in Sparta erklärten ihn alle Bürger für ehrlos, Keiner sprach mehr mit ihm, Keiner durfte ihm ein Feuer anzünden. Die Kinder nannten ihn den „Ausreißer Aristodemus." Solche Schmach vermochte er nicht zu ertragen; er zog nachher in die Schlacht von Platää und hielt sich da so tapfer, daß er seine Schmach löschte.
Solchergestalt war der Kampf der Griechen bei Thermopylä im Juli 480 v. Chr. Nach der Schlacht besuchte Terxes die Leichname, und als man den Leichnam des Leonidas gefunden, ließ er demselben den Kopf abschneiden und ihn schmachvoll an's Kreuz schlagen wider Sitte und Recht. Die Griechen aber ließen nachher an der Stelle, wo Leonidas gefallen war, einen steinernen Löwen und eine Denksäule errichten mit der Inschrift:
„Wanderer, kommst du nach Sparta, verkündige dorten, du habest Uns hier liegen geseh'n. wie das Gesetz es befahl."
T h e mi st o k les*).
Alle Tapferkeit zu Lande wäre zuletzt gegen die zahllosen Schaaren des Xerxes fruchtlos geblieben, wenn nicht der Muth und die hochherzige Aufopferung der Athener alle Griechen zum gemeinsamen Kampfe zur See verbunden hätte. Unter den Athenern war nur ein Mann, der mit richtiger Einsicht erkannte, daß nur zur See den Persern erfolgreicher Widerstand geleistet werden könnte. Diesem Manne gebührt vor Allem der Ruhm, Griechenlands Retter gewesen zu sein. Sein Name ist T h e m i st o k l e s.
Schon als Knabe war Themistokles lebhaften Geistes und voll kühner Entwürfe; die kindischen Spiele verschmähte er, dagegen beschäftigte er sich eifrig mit Anfertigung gerichtlicher Reden, indem er Fälle erdichtete,
*) Nach L. Stacke.
Grube. Geschichtsbilder. L 8
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wo er andere Knaben anklagte und vertheidigte. Daher sagte einst sein Lehrer zu ihm: „Aus dir, o Knabe, wird einst nichts Geringes werden, sondern etwas recht Gutes oder etwas recht Schlechtes." Zu den Künsten und Wissenschaften, die nur zum Vergnügen oder zur feineren Bildung dienen, zeigte er keine Lust, namentlich war er der Musik ganz unkundig. Als er sich später in einer Gesellschaft befand und ihm eine Lyra oder Cither gereicht wurde, damit er, wie die Anderen, etwas darauf vorspielen sollte, schob er das Instrument zurück und sagte: „Die Lyra spielen habe ich nicht gelernt, aber einen Staat groß und berühmt zu machen, diese Kunst glaube ich zu verstehen." Sein ganzes Dichten und Trachten war auf das Kriegswesen und die Verwaltung des Staates gerichtet, und nur was hierauf Bezug hatte, betrieb er mit Nachdruck. Begierde nach Ruhm brannte in des Jünglings Herzen; als des Miltiades Name in aller Munde war, sah man ihn in Gedanken vertieft umhergehen; er mied die fröhlichen Gesellschaften seiner Freunde und sah ganz leidend aus. Als man ihn um die Ursache dieser plötzlichen Veränderung befragte, antwortete er: „Das Siegesdenkmal des Miltiades läßt mich nicht schlafen."
Das Volk glaubte, daß die Niederlage der Barbaren bei Marathon das Ende des Krieges sei; aber Themistokles war anderer Meinung; ihm war dieser Sieg der Athener nur der Anfang zu neuen Kämpfen. Mit großem Scharfblick erkannte er, wie nothwendig eine Flotte für die Athener sei. Die Athener pflegten die Einkünfte eines Bergwerks unter die einzelnen Burger zu vertheilen. Themistokles beredete sie, diese Einkünfte zum Bau von 3U0 Ruderschiffen zu verwenden, indem er den Krieg gegen die Einwohner von Aegina, einer benachbarten Insel, zum Vorwand nahm. So wurde aus seinen Rath die Flotte gebaut, die Griechenlands Freiheit rettete.
Als nun Terxes mit seiner gewaltigen Flotte und dem zahllosen Heere gegen Griechenland anzog, schickten die Athener Boten nach Delphi, den Gott um Rath zu fragen. Der aber gebot ihnen, sich hinter hölzer-nenMauern zu vertheidigen. Es erhob sich unter den Athenern großer Streit über den Sinn dieser Worte, doch der scharfsinnige Themistokles überzeugte seine Mitbürger, daß unter den hölzernen Mauern die Schiffe zu verstehen feien und daß der Wille des Orakels fei, den Perfern zur See Widerstand zu leisten.
Die Griechen sandten nun Boten an die Städte und forderten sie zu gemeinsamer Hülfe auf, doch nicht alle zeigten sich dazu bereit. Die Argi-ver versagten die Theilnahme aus Haß gegen Sparta. Andere Gesandte reisten nach Sicilien, um mit Gelon, König von Syrakus, zu unterhandeln. Gelon war bereit, die Griechen mit einer Flotte von 200 Kriegsschiffen, mit einem Heere von 28,000 Mann und mit Korn für das ganze verbündete Heer zu unterstützen, dieß Alles aber nur unter der Bedingung, daß die Griechen ihm den Oberbefehl gegen die Perser übertrügen. Als einer der Gesandten, ein Lacedämonier, diese Bedingung hörte, hielt er
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sich nicht länger, sondern sagte: „Wie würde es den Pelopiden Agamemnon schmerzen, wenn er hörte, daß den Lacedämoniern durch den Gelon und die Syrakuser der Oberbefehl entrissen worden sei! Daran denke nicht weiter! Wenn du den Griechen helfen willst, so mußt du unter dem Befehl der Lacedämonier stehen; willst du dir aber nicht befehlen lassen, so brauchst du uns auch nicht zu helfen." Da mäßigte Gelon seine Forderung und verlangte nur noch den Oberbefehl über die Flotte. Dem aber widersprach der athenische Gesandte: „Nicht um einen Obersten zu bitten" sprach er — „hat uns Griechenland hergesandt, sondern um ern Heer!" Also zerschlugen sich die Unterhandlungen mit Gelon und dieser entließ die Gesandten mit den Worten: „Ihr habt den Frühling aus dem Jahre genommen!"
Dieselben Boten ersuchten auch die Bewohner der Insel Korcyra (Korfu) um Hülfe. Die Korcyräer bemannten zwar 60 Schiffe und segelten nach dem Peloponnes, dort aber hielten ste auf hoher See vor Anker, um erst den Auvgang des Kampfes abzuwarten und im Falle, daß die Perser siegten,, sich die Gunst des Terxes zu verschaffen. Die Kreter versagten einem Orakelspruche zusolge allen Beistand.
So waren es denn außer Athen noch die Insel Aegina, Korinth, Epi-dauros, Lacedämon und einige andere Staaten, welche Schiffe lieferten.
e f e Ablief lich aus 271 Schiffe, von denen die Athener allein 127 gestellt hatten. Ihnen hätte daher die Anführung der Flotte gebührt, da aber die Lacedämonier vor allen Griechen den Vorrang behaupteten so gaben die Athener, denen die Rettung des Vaterlandes am Herzen lag nach und der Spartaner Eurybiades ward Oberbefehlshaber der Flotte' die vorerst nach dem Vorgebirge Artemisium bei Euböa segelte, c - na^e*e Persische Flotte. Als die Griechen die Menge der feindlichen Schiffe sahen, und wie Alles vom Volke wimmelte, beschlossen ste, sich zurückzuziehen. Da bewogen die Euböer, welche den Zorn des Perftrkönigs fürchteten, den Anführer der Athener, Themistokles, durch ein Geschenk von 30 Talenten, Stand zu halten und bei Euböa eine Schlacht zu lies ern. Themistokles gab von diesem Gelde dem Eurybiades fünf und dem korinthischen Anführer zwei Talente und gewann durch diese Geschenke Beide, daß sie vor Euböa stehen blieben.
Als die Feinde die wenigen Schiffe bei Artemisium sahen, beschlossen ue emen Umgriff und dachten, es sollte auch keine Maus davon kommen. Sie schickten daher 200 Schiffe ab, die auf einem Umwege Euböa umsegeln und den Griechen den Rückzug abschneiden sollten, während die Hauptmacht der Perser von vorn angreifen würde. Doch die Griechen erhielten von diesem Plane Kunde und beschlossen, den umsegelnden Schif-fett nach Mitternacht entgegen zu fahren. Zuvor aber machten sie einen Angriff auf die persische Flotte, um die Art ihres Kampfes zu erfahren. Die Perier meinten, die Griechen seien rasend gewesen, als sie so wenige r* r ?uj ^ Zukommen sahen. Aber bald wurden sie andern Sinnes, a >ie >ahen, wie die griechischen Schiffe tapfer Stand hielten und, ohne
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besiegt zu werden, bis zum Einbruch der Nacht fortkämpften. Nach dem Treffen zogen sich beide Theile auf ihren Standort zurück; die 200 umsegelnden Schiffe aber wurden theils verschlagen, theils zerschellt, denn in der Nacht tobte ein heftiger Sturm.
Schlacht bei Salamis. 480 v. Chr. *)
Da die Griechen durch einen Boten erfuhren, daß Leonidas mit seinen Spartanern gefallen sei, schoben sie den Rückzug nicht länger auf. Die persischen Schaaren aber überschwemmten die Insel Euböa und das griechische Festland, brannten die Städte nieder und machten die Einwohner zu Sklaven. Die Athener erkannten, daß sie in ihrer Stadt sich nicht würden halten können, zumal da alle übrigen Griechen sie verließen und sich in die südliche Halbinsel des Peloponnes zurückzogen, die nur durch eine schmale Landenge, den Isthmus von Korinth, mit dem übrigen Griechenland zusammenhing. Diesen Isthmus befestigten sie, zogen querüber eine starke Mauer und überließen Athen seinem Schicksal.
Themistokles brachte es durch seine Beredtsamkeit dahin, daß alle waffenfähigen Bürger die Schiffe besteigen, die wehrlosen aber auf benachbarte Inseln sich flüchten mußten. Das Volk gehorchte mit schwerem Herzen, denn es glaubte kein Glück mehr zu haben, wenn es die Heiligtümer der Götter und die Gräber der Vorfahren den Barbaren preisgegeben hätte. Doch ein Anzeichen ermunterte sie zum Abzüge. Die Schlange, welche auf der Burg im Tempel der Minerva gehalten wurde, halte den Honigkuchen, den man ihr sonst alle Monate vorsetzte, nicht verzehrt. Daraus schlossen die Athener, die Göttin selbst habe die Stadt verlassen. Als nun so viele Menschen ihrer Vaterstadt Lebewohl sagten, erregte ein solcher Anblick großes Mitleid, aber auch hohe Bewunderung; denn die Männer blieben fest bei den Thränen und der Umarmung ihrer Frauen und Kinder und setzten nach der Insel Salamis über. Die treuen Haushunde folgten bis an den Hafen und erhoben ein jämmerliches Geheul, als sie zurückbleiben mußten und ihre Herren davon rudern sahen. Ein treuer Pudel stürzte sich nach in's Meer und folgte mit aller Anstrengung dem Schiffe seines Herrn: aber die große Entfernung überstieg die Kräfte des treuen Thieres, und als er das Ufer der Insel Salamis erreicht hatte, sah er sich nocb einmal nach seinem Herrn um und starb.
Kaum hatten die Athener ihre Stadt verlassen, so folgte Xerxes, bedeckte das ganze Land mit seinen Schaaren, plünderte die Stadt und zündete sie dann an. Die Athener sahen von Salamis aus die Rauchsäulen und Fenerflammen. Zu gleicher Zeit erschien die persische Flotte an der Küste von Athen. Die übrigen Griechen, welche schon höchst ungern ihre Schiffe bei den athenischen gelassen hatten, wollten jetzt fliehen, als sie das ganze Meer mit persischen Segeln bedeckt sahen; und selbst die kriegerischen Spartaner, welche einen feigen Anführer hatten, wollten
*) Nach Bredow.
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die Athener verlassen. Man müsse — so meinten fast alle — im Peloponnes Sicherheit suchen. Themistolles sprach heftig gegen ein solches Beginnen und drohete dem Enrybiades, er würde mit seinen Athenern nach Italien segeln, um sich dort ein neues Vaterland zu suchen, wenn die Spartaner nicht blieben. Doch alles vergeblich. Man wollte in der Nacht ganz still nach dem Peloponnes entfliehen.
Da kam Themistokles auf eine kühne List. Er schickte einen treuen Sllaven an den König der Perser und ließ ihm sagen: „Ich meine es gut mit dir, o König! In der nächsten Nacht wollen die Griechen aus der Bucht bei Salamis entfliehen, um ihre Schiffe und sich vor dem gewissen Untergange zu retten. Jetzt hast du noch alle beisammen; umringe die Bucht und es wird ein Leichtes sein, alle zu fangen!"
Xerxes folgte diesem Rathe, umschloß noch am selben Abend die Bucht, und die Griechen, welche entfliehen wollten, sahen sich nun gezwungen, zu fechten. Schon hatte aber Themistokles die ganze athenische Flotte zum Empfange der Feinde gerüstet; diese griff tapfer an und das machte den Uebrigen Muth. Die persischen Schiffe liefen in der Dunkelheit der Nacht und in Gewässern, die sie nicht kannten, häufig gegen Klippen; von der großen Anzahl konnten die Perser gar keinen Gebrauch machen und in der engen Bucht kamen immer nur wenige zum Gefecht. Die persischen Schiffe waren alle viel schwerfälliger als die griechischen, und wenn eins von den Griechen zurückgedrängt wurde, brachte es zwei, drei andere mit in Verwirrung. Die Griechen thaten Wunder der Tapferkeit und bald war das Wasser mit Leichen übersäet, die zwischen zerbrochenen Rudern und zertrümmerten Schiffsschnäbeln schwammen. Da gingen auch noch die kleinasiatischen Griechen, die zur See den persischen Krieg hatten mitmachen müssen, zu ihren europäischen Brüdern über und nun wandte sich die ganze persische Flotte zur Flucht. Xerxes, der, auf einem hohen Throne sitzend, vom Lande aus der Seeschlacht zugeschaut hatte, floh, als er die Zerstreuung und Flucht seiner Schiffe sah, mit solcher Eile, daß er an sein Landheer gar nicht mehr dachte, alle Kostbarkeiten zurückließ und nicht ruhete noch rastete, bis er an den Hellespont kam. Seine Schiffbrücke war vom Sturm zertrümmert worden; die Angst vor den nachsetzenden Griechen machte ihn kühn, er bestieg einen kleinen Fischerkahn und setzte mit Lebensgefahr nach Asien über. Sein großes Heer folgte ihm; aber Krankheit und Hungersnoth rafften viele Tausende dahin und es blieben nur noch 300,000 Mann übrig, die nordwärts an der Grenze von Griechenland stehen blieben. Diese brachen im nächsten Jahre abermals über Griechenland herein und verwüsteten, was sie im letzten Feldzuge noch übrig gelassen hatten. Auch die Kriegsflotte der Perser hatte sich wieder gesammelt und bedrohete das Griechenvolk aufs Neue. Beide Feinde wurden aber jetzt zu Land und zu Wasser so entscheidend geschlagen, daß der stolze Perserkönig es nie wieder wagte, die Griechen in Griechenland anzugreifen.
Griechenland erkannte, daß es seine Rettung einzig den Athenern ver-
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banste unb unter ben Athenern vor Allem bem Themistokles. Die Spartaner führten ihn im Triumph nach ihrer Hauptstabt, gaben ihm einen Olivenkranz als Preis ber Weisheit, schenkten ihm ben schönsten SSagen, ber in ihrer trabt zu finben war, unb ließen ihn feierlich burch 300 Jünglinge bis an bie Grenze geleiten. Als barauf fast ganz Griechenland) zu ben olympischen Spielen versammelt war, um nach alter Sitte Wettkämpfe im Ringen unb Rennen zu feiern, unb auch Themistokles babei erschien, erregte er so sehr bie Aufmerksamkeit bes ganzen Volkes, baß alle Zuschauer bie Kämpfenben vergaßen unb ben ganzen Tag nur auf ihn bie Augen richteten. Einer zeigte ihn betn Anbern; ber Name „Themistokles" tönte von Aller Lippen unb innig gerührt gestanb ber Helb seinen Freun-ben, baß biefer Tag ber schönste seines Lebens sei.
Fernere Schicksale des Themistokles.
Auch nach bem Perserkriege gab sich Themistokles nicht ber Ruhe hin, sonbern er war unablässig bemüht, seine Vaterstabt Athen zum ersten Staate Griechenland zu machen. Da er ersannt hatte, baß Athen burch seine Lage ant Meere auf bie Herrschaft zur See hingewiesen sei, so würbe auf seinen Rath ber geräumige Hafen Piräus, ber bamals noch nicht gebraucht warb, erweitert unb mit Mauern umgeben. Auch sorgte er stets für Vermehrung ber Flotte. Noch größer aber warb sein Verbienst, baß er ben Wieberaufban ber Mauern Athens betrieb unb ihn trotz ber Hin-berniffe, welche bie Spartaner ihm in ben Weg legten, zu Staube brachte. Die Spartaner verboten ben Athenern gerabezu bie Errichtung von Mauern, bamit, wie sie sagten, bie Perser bei einem neuen Angriff keinen festen Haltpunkt gewännen; in Wahrheit aber wollten sie bie aufMühenbe Macht ber Athener, auf bereu Ruhm sie eifersüchtig waren, unterbrächen. Sie schickten baher Gesanbte nach Athen, welche feierlich gegen ben Aufbau ber Mauern protestirten. Themistokles gab ben Athenern ben Rath, bie Gesanbten so lange mit Gewalt zurückzuhalten, bis bie Mauern eine gewisse Hohe erreicht hätten; unter ber Zeit reiste er selbst als Abgeorbneter nach Sparta unb zog hier bie Unterhaltungen so viel als möglich in bie Länge. Inzwischen mußten zu Athen alle Einwohner ohne Unterschieb, Männer, Weiber unb Kinber, an bem Mauerbau arbeiten, Weber eigene noch öffentliche Gebäube schonen, sonbern Alles abtragen, was man an Steinen unb sonstigem Material für bie Mauern brauchen konnte; Säulen unb Heiligthümer, rohe Steine unb schöne Denkmäler — Alles würbe in ber Eile mit in bie Stabtmauer hinein gebaut. Das Werk warb vollenbet unb bie Spartaner bürsten bem Themistokles nicht an’s Leben, weil bie Athener bie spartanischen Gesanbten in ihrer Gewalt hatten.
Ein Mann, wie Themistokles, ber sich vor seinen Mitbürgern so glänzenb auszeichnete, konnte bem Reibe unb ber Feinbschaft eines Volkes nicht entgehen, bas immer vor ber Alleinherrschaft eines feiner Mitbürger in Angst lebte. So warb auch Themistokles angeklagt, baß er bem Staate gefährlich sei, unb in einer Volksversammlung burch bas Scherbengericht
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verbannt. Er ging nach Argos, wo ihn die Griechen achteten und ehrten. Doch hier war er nicht lange sicher, denn die Lacedämonier schickten wieder Gesandte nach Athen, welche ihn des Verrathes an Griechenland und des geheimen Einverständnisses mit dem Perserkönig anklagten. Therni-stokles rechtfertigte sich zwar freimüthig mit den Worten: „Zu herrschen habe ich zwar immer gestrebt; aber mich beherrschen zu lassen und die Griechen an die Barbaren hinzugeben, dazu bin ich weder fähig noch geneigt." Dennoch ließen sich die Athener von seinen Anklägern bereden, Leute auszuschicken, die ihn greifen sollten, wo sie ihn fänden. Therni-stokles, der hiervon Kunde erhielt, floh nach Korcyra, und da er hier nicht sicher war, zum Admet, König der Molosser. Dieser war gerade nicht zu Hause. Da trat Themistokles als Flehender vor seine Gemahlin und bat sie um Schutz. Auf ihren Rath setzte sich Themistokles mit dem kleinen Sohne des Admet am Herde nieder. Der König, welcher keineswegs des Themistokles Freund war, behielt ihn großmüthig bei sich und verlieh ihm seinen Schutz trotz der Vorstellungen der Lacedämonier, die seine Auslieferung verlangten. Die Griechen verfolgten aber ihren Wohlthäter so lange, bis dieser gezwungen war, zum Perserkönig zu entfliehen. Admet entsandte ihn nach der macedonischen Stadt Pydna, wo er ein Schiff bestieg. Beinahe wäre er, durch einen Sturm unter das athenische Geschwader getrieben, den Athenern in die Hände gefallen, wenn er sich nicht dem Schiffsherrn entdeckt und ihn durch das Versprechen einer Belohnung vermocht hätte, einen Tag und eine Nacht auf offener See zu halten. Dadurch wurde er gerettet und kam glücklich nach Asien; an den König Artaxerxes, den Nachfolger des Xerxes, hatte er schon folgendes Schreiben gesandt:
„Ich, Themistokles, komme zu dir, der ich, so lange ich mich gegen deines Vaters Angriff zu vertheidigen genöthigt war, deinem Hause am meisten von allen Griechen Schaden zugefügt, aber auch noch weit mehr Gutes erwiesen habe, nachdem ich wieder in Sicherheit war, er aber unter Gefahren sich zurückzog. Denn ich habe ihn benachrichtigt, daß man damit umging, die Brücken über den Hellespont zu zerstören. Man ist mir daher Dank schuldig für meine Wohlthat; ich bin auch jetzt noch im Stande, dir wichtige Dienste zu leisten, da mich die Griechen wegen meiner Freundschaft gegen dich verfolgen. Ich will aber nach Jahresfrist dir selbst eröffnen, warum ich hierher gekommen bin."
Der König bewunderte den Verstand des Themistokles und billigte seinen Plan. Themistokles machte sich in Jahresfrist mit der Sprache und den Sitten der Perser bekannt und erschien dann vor dem König. Er gelangte bei diesem zu großem Ansehen, besonders weil er ihm Hoffnung machte zur Unterwerfung Griechenlands und sich überhaupt als einen sehr einsichtsvollen Mann bewies. Der König beschenkte ihn reichlich und gab ihm drei Städte zu seinem Unterhalt: Magnesia sollte ihm das Brod, Lampsakus den Wein und Myus die Zukost liefern. Ueber seinen Tod sind die Nachrichten verschieden; die Meisten glauben, er habe Gift ge-
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nommen, als der Perserkönig in ihn gedrungen habe, gegen die eigenen Landsleute, die Griechen, zu Felde zu ziehen. Er ward in Magnesia begraben, seine Gebeine sollen aber heimlich nach Altika gebracht und dort beigesetzt worden sein.
IV. Aristides und Sokrates.
Aristides.
Ein Zeitgenosse des Themistokles war Aristides, der Sohn des Lysi-machos. Als Xerxes abgezogen war, hatte er seinen Schwiegersohn Mar-donius mit 300,000 Mann zurückgelassen. Diese zerstörten, was von dem zertrümmerten Athen noch übrig geblieben war, dann zogen sie sich in die Ebenen von Böotien zurück und lagerten sich bei Platää. Die Spartaner unter Anführung des P a u s a n i a s und die Athener unter Aristides rückten ihnen nach und lieferten den Persern eine blutige Schlacht. Mardonius selbst fiel und sein Tod war die Losung zur allgemeinen Flucht. Das ganze persische Lager mit allen Kostbarkeiten wurde eine Beute der trium-phirenden Sieger. Aristides aber vertheilte seinen Antheil an der Beute und blieb arm, wie zuvor. Der Spartanerfürst Pausanias widerstand nicht den Lockungen des Goldes, das die Perser ihm schenkten, aber Aristides wies streng jede Bestechung zurück. Da verloren die Lacedämonier ihre Oberherrschaft (Hegemonie) und die Griechen übertrugen dem Aristides den Oberbefehl. Alle nannten Aristides nur den „Gerechten" und er verdiente den Namen, wie Wenige. Selbst gegen seine Feinde war er voller Uneigennützigkeit und Gerechtigkeitsliebe. Einst war er genöthigt, einen Athener vor Gericht zu verklagen, und als er seine Anklagerede beendigt hatte, waren die Richter so sehr von dem Rechte seiner Sache überzeugt, daß sie sofort, ohne den Angeklagten hören zu wollen, zur Verurteilung desselben schritten. Da stellte sich Aristides auf die Seite des Angeklagten und unterstützte dessen Bitten, damit auch diesem sein Recht, sich vertheidigen zu dürfen, zu Theil werden möchte.
Leider bestand zwischen Aristides und Themistokles keine Freundschaft. Der ruhmsüchtige Themistokles sah mit neidischem Blick auf das Ansehen, welches Aristides beim Volke genoß; auch war Aristides dem Themistokles, der in den Mitteln, um seine Zwecke zu erreichen, nicht eben gewissenhaft war, oft unbequem, weil er offen das schlecht nannte, was schlecht war, und dem Themistokles mit Festigkeit widersprach. So kam einst Themistokles in die Volksversammlung und sagte, er habe einen Plan, der für die Athener sehr heilsam sei, er könne ihn aber nicht öffentlich bekannt machen. Man möge ihm einen wackeren Mitbürger geben, dem wolle er Alles mittheilen. Das Volk erwählte hierzu den Aristides. Themistokles
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eröffnete ihm nun, matt könne die Flotte der Sacedämonier bei Gythium auf heimliche Weise in Brand stecken und so auf Ein Mal die Seemacht der Spartaner vernichten. Darauf sagte Aristides in der Versammlung des Volkes, die Ausführung des geheimen Planes sei zwar für Athen sehr Vortheilhaft, aber zugleich höchst ungerecht. Im Vertrauen zu dem Gerechtigkeitssinne des Aristides wollten die Athener gar nicht einmal den Plan des Themistokles erfahren und derselbe unterblieb.
Da es aber dem Aristides nicht an Feinden fehlte, so brachte es endlich Themistokles dahin, daß er durch den Ostracismus (das Scherbengericht) auf zehn Jahre aus Athen verbannt wurde. Aristides war selbst in der Volksversammlung, in welcher seine Verbannung beschlossen wurde. Da nahete sich ihm ein Landmann mit der Bitte, er möchte den Namen „Aristides" auf das Täfelchen schreiben, das zur Aufgabe der einzelnen Stimmen diente. Aristides nahm das Täfelchen und sprach: „Was hat dir denn Aristides zu Seide gethan, daß du ihn verurtheilen willst?" Der Landmann antwortete: „Nichts, ich kenne den Mann nicht einmal; nur verdrießt es mich, daß man ihn immer den Gerechten nennt." Darauf schrieb Aristides seinen Namen auf die Scherbe und gab sie dem Manne. Als er die Stadt verließ, erhob er seine Hände gen Himmel und flehte, daß doch die Götter nie eine Zeit möchten eintreten lassen, wo die Athener genöthigt wären, seiner zu gedenken*).
Nach einigen Jahren schon ward Aristides wieder zurückgerufen und leistete dem Vaterlande große Dienste. Er ordnete mit der größten Uneigennützigkeit die jährlichen Geldbeiträge der Verbündeten und legte die ganze Bundeskasse in Delos unter dem Schutze des Tempels nieder. Von diesem schwierigen Geschäft ging der edle Mann so artn fort, als er gekommen war. Er starb so arm, daß er nicht aus eigenen Mittel begraben werden konnte und seine Tochter mußten vom Staate genährt und ausgestattet werden.
Sokrates **)»
1 Charakterschilderung.
Sokrates wurde im Jahre 469 v. Chr. geboren. Sem Vater war ein Bildhauer zu Athen, seine Mutter eine Hebamme. Frühzeitig kündigte sich die hohe und eigenthümliche Bestimmung des Knaben an. Eine Sage erzählt, daß gleich nach seiner Geburt der Vater einen Orakelspruch er-hielt, welcher ihm befahl, den Knaben Alles, was diesem einfiel, thun zu
*) Luc. 23, V. 41.
**) Nach F. Bäßler.
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lassen, ihn zu nichts zu zwingen, noch von etwas abzuhalten. Man solle ihn nur den Eingebungen seines eigenen Geistes überlassen und bloß zu Zeus und den Musen für ihn beten, denn diese hätten ihm einen Wegweiser bescheert, der besser sei als tausend Lehrer und Erzieher.
Als Jüngling widmete er sich Anfangs der Kunst seines Vaters, doch diese Beschäftigung genügte nicht dem Drange seiner Seele. Nicht in Stein, Holz oder Elfenbein, sondern an sich selbst wollte er die sämmtliche Schönheit eines tugendhaften Lebens zur Erscheinung bringen und an Denen, die seiner Lehre und Leitung sich anvertrauten, auch diese Seelenschönheit herausarbeiten. Er studirte die Schriften der Weisen und begab sich in den Unterricht der vorzüglichsten Lehrer. Da er arm war, so erweckten die Götter einen edlen Freund, den reichen Kriton, der ihn unterstützte.
So nahm er zu an Weisheit und Verstand; aber er wollte die Wahrheit nicht blos erkennen und darüber streiten, wie jene Weisheitskrämer, die Sophisten, sondern er übte sie im Leben und ging überall mit gutem Beispiele voran. Vor Allem wollte er den Geist befreien von der Herrschaft des Leibes und äußerer Güter. „Nichts bedürfen," sagte er, „ist göttlich, und wer am wenigsten bedarf, kommt der Gottheit am nächsten." Der Grundstein der Tugend war ihm die Mäßigkeit. Er nahm nur so viel Speise, als er zur Nothdurft gebrauchte, und weil er sich durch Leibesbewegung hungrig gemacht hatte, schmeckte ihm jede Kost. Ging er auf die Einladung eines Freundes zu Gast, so konnte ihn auch die leckerste Speise zu keinem Uebermaß verlocken und nie trank er über seinen Durst.
Seine Tracht war schlicht und unansehnlich. Er trug kein Unterkleid, sondern begnügte sich mit dem Mantel und ging fast zu jeder Zeit barfuß. Durch solche Lebensart hatte er sich dermaßen abgehärtet, daß er Frost und Hitze, Hunger und Durst mit großer Leichtigkeit ertrug. Doch vernachlässigte er keineswegs seinen Leib, und welche dies thaten, die tadelte er. Als einer seiner Schüler, Antisthenes, der es dem Meister in der Gleichgültigkeit gegen alles Aeußerliche zuvor thun wollte, in einem zerrissenen Mantel einherging, rief ihm Sokrates zu: „Freund, Freund! Durch die Löcher deines Mantels schaut die Eitelkeit hervor!
Sokrates war von Natur heftig, aber durch große Achtsamkeit und Strenge gegen sich selber hatte er einen edlen Gleichmuch gewonnen, den Nichts erschüttern konnte. Als ihm ein jähzorniger Mann einen Backen-streich gab, sagte er ruhig lächelnd: „Es ist Schade, daß man nicht voraussehen kann, wann es gut wäre, einen Helm zu tragen." Nie sah man ihn verstimmt und mürrisch; seine Rede war immer von anmuthi-gem Scherz gewürzt. Wenn er aber von dem Werth der Tugend und dem Walten der Gottheit sprach, dann waren seine Worte tief in die Seele dringend. Selbst der leichtsinnige Alcibiades, der sich sonst nicht viel aus den vortrefflichsten Rednern machte, bekannte: „Von Sokrates' Rede werde ich so ergriffen, daß mir das Herz klopft und die Thränen mir aus den Augen dringen."
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Mehrmals kämpfte Sokrates für sein Vaterland und sein Name ward unter den Tapfersten genannt, aber bescheiden leistete er Verzicht auf die öffentliche Anerkennung seiner Verdienste. Durch seine Unerschrockenheit rettete er in einer Schlacht dem Alcibiades das Leben. Der kühne Jüngling war schon verwundet niedergesunken; da eilte Sokrates herzu, deckte ihn mit seinem Schilde und entzog ihn glücklich der Gefahr.
Ebenso unerschrocken war er auch im bürgerlichen Leben, und weil er die Gottheit fürchtete, kannte er keine Menschenfurcht. Als die Athener bei Lesbos einen Sieg über die Flotte der Lacedämonier gewonnen hatten, waren zwei von den zehn Befehlshabern beauftragt worden, die während des Gefechtes schiffbrüchig Gewordenen zu retten und die Leichname der Gebliebenen in Sicherheit zu bringen. Die stürmische Witterung hatte dies aber unmöglich gemacht. Darüber zogen die wankelmüthigen Athener _ sämmtliche Zehn zur Verantwortung vor Gericht und in der Leidenschaft verlangte man, Alle auf einmal zu verurtheilen. Sokrates aber, der an diesem Tage gerade Vorsitzender der richterlichen Versammlung war, widersetzte sich standhaft jenem Vorhaben, weil es wider das Gesetz sei, Jemanden ohne Verhör zu verdammen. Das Volk tobte, viele der Mächtigen droheten, aber Sokrates blieb fest, ließ sich nicht einschüchtern vom Geschrei des Volkes und dem Zorn der Vornehmen und sein Wille drang durch. Denn er war des Glaubens, daß die Götter Alles wüßten, was man redete oder handelte, ja auch was das Herz dächte.
2. Lehrweise.
Sokrates bildete nicht, wie die Philosophen nach ihm, eine abgesonderte Schule oder einen geschlossenen Kreis von Jüngern, sondern suchte vielmehr allen seinen Mitbürgern durch gelegentliche Unterredungen zu nützen. Als ein echter Bürgerfreund und leutseliger Mann verkehrte er mit den verschiedensten Menschen aus allen Ständen von jederlei Alter und Gewerbe, und, tote Einer unserer Dichter von Jesu sagt, daß er durch Gleichniß und Exempel jeden Markt zum Tempel gemacht, so wurde oftmals durch Sokrates die Werkstatt eines Riemers oder Panzermachers zu einer Akademie und Schule der Weisheit. Man konnte ihn den größten Theil des Tages an öffentlichen Orten sinden. Frühmorgens besuchte er die Hallen und Gymnasien, wo die athenische Jugend Leibesübungen trieb, auch viele Erwachsene sich einfanden, um sich über Dies und Jenes zu besprechen. Nach der dritten Stunde (9 Uhr Vormittags) war er auf dem Markte und die übrige Zeit des Tages da, wo er die meisten Leute vermuthete. Dabei sprach er mehrentheils und wer Lust hatte, konnte ihm zuhören. „Menschen zu sangen"*), wie er selber sagte, war bei diesem scheinbaren Müßiggänge sein Zweck. Und daraus verstand er sich trefflich.
Sokrates wünschte den Tenophon, einen schönen Jüngling von vor-
*) Math. 4, 19: Folget mir nach, ich will euch zu Menschenfischern machen.
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trefflichen Geistesgaben, in seinen Umgang zu ziehen. Einst begegnete er ihm in einer engen Gasse und hielt ihm einen Stock vor. Der Jüngling blieb stehen. „Sage mir doch," begann Sokrates, „wo kauft man Mehl?" — „Auf dem Markte," war die Antwort. — „Und Del?" — „Ebenda." — „Aber wo geht man hin, weise und gut zu werden?" — Der Jüngling schwieg und sann auf eine Antwort. „Folge mir", sprach der Weise, „ich will es dir sagen!" Seitdem schlossen die Beiden eine innige Freundschaft und Xenophon ward ein Mann, der sich nachmals nicht nur als Feldherr und Schriftsteller, sondern auch durch Tugend und Frömmigkeit bei seinen Zeitgenossen und bei der Nachwelt in hohe Achtung setzte.
Seine Schüler hingen mit aller Hingebung an ihm und kannten keinen höhern Genuß, als um ihn zu sein und ihn zu hören. Der schon oben erwähnte Antisthenes, der außerhalb Athens wohnte, ging täglich eine Stunde weit, um Sokrates willen. Euklid von Megara kam oft vier Meilen weit, um nur einen Tag mit dem geliebten Lehrer beisammen zu sein. Als die Athener beim Ausbruch des Krieges gegen die Megarenser Jedem derselben bei Strafe des Todes verboten, in die Stadt zu kommen, schlich Hch Euklid öfters in Weiberkleidern durch das Thor, um eine Nacht und einen Tag bei Sokrates zu weilen. Dann ging der treue Schüler wieder zur Nachtzeit nach Megara zurück.
_ „Nichts konnte nützlicher sein," versicherte Tenophon, „als seine Gesellschaft und sein Umgang. Selbst wenn er abwesend war, gereichte noch sein Andenken Denen, die bei ihm gewesen waren, zur Stärkung und Kraft in allem Guten." Mancher lasterhafte Jüngling hat von seinen Sünden abgelassen und durch Sokrates Lust zum Guten bekommen. Er rief Allen den schönen Spruch des Hesiod ins Gedächtniß:
Vor die Trefflichkeit setzten den Schweiß die unsterblichen Götter,
Lang' auch windet und steil die Bahn zur Xugenb sich aufwärts
Und ist rauh im Beginn, boch wenn bu zur Höhe gelangt bist,
Alsdann wird sie dir leicht und bequem, wie schwer sie zuvor war*).
Auf die leichteste und einfachste Weise verstand es der weise Mann, die Wahrheit seinen Schülern einleuchtend zu machen. So belehrte er den jungen Alcibiades, als dieser große Schüchternheit verrieth, künftig vor dem Volke als Redner aufzutreten, folgender Art: „Würdest du dich wohl fürchten vor einem Schuster zu reden?" — „O nein!" — „Oder könnte dich ein Kupferschmied verlegen machen?" — „Gewiß nicht!" — „Aber vor einem Kaufmanne würdest du erschrecken?" — „Eben so wenig!" — „Nun stehe" — fuhr er fort — „aus solchen Leuten besteht das ganze athenische Volk. Du fürchtest die Einzelnen nicht, warum wolltest du sie versammelt fürchten?"
Seinen Unterricht gab Sokrates stets unentgeltlich. Der junge Aeschi-nes wünschte sehr, ein Schüler des Sokrates zu werden, scheute sich aber.
*) Matth. 7, 13. 14: Und bie Pforte ist eng und ber Weg ist schmal, ber rc.
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zu ihm zu gehen, weil er arm war. Sokrates, der seinen Wunsch merkte, fragte ihn: „Warum scheuest du dkh vor mir?" — „Weil ich nichts habe, das ich dir geben könnte." — „Ei," erwiederte Sokrates, „schätzest du dich selbst so gering! Gibst du mir nicht sehr viel, wenn du dich selbst mir gibst!".
3. Tov des Sokrates.
Es war vorauszusehen, daß sich Sokrates durch seine ausgezeichnete Weisheit und Tugend bei dem großen Haufen seiner schon sehr verdorbenen Mitbürger Haß und Neid zuziehen mußte. Sie verleumdeten ihn und suchten ihn auf alle Weise lächerlich zu machen. Als ihnen das nichts half, verklagten sie ihn öffentlich. Sie beschuldigten ihn, er glaube nicht an die Götter seiner Vaterstadt, auch verderbe er durch seine Lehre die Jugend; darum müsse er als staatsgefährlich hingerichtet werden. Sokrates, bereits ein Greis von 70 Jahren, fand es seiner unwürdig, sich gegen solche Anklagen weitläufig zu vertheidigen. Er wies auf sein öffentliches Leben hin, betheuerte, daß ihm seit 30 Jahren nichts mehr mit Herzen gelegen habe, als seine Mitbürger tugendhafter und glücklicher zu machen, und dazu habe ihn eine innere göttliche Stimme getrieben*). Eine so freimüthige Vertheidigung erbitterte aber die Richter. Denn sie hatten erwartet, er würde, wie andere Verbrecher, durch eine lange Rede unter Bitten und Thränen um Mitleid und Begnadigung flehen. Darum schickten sie ihn vorläufig in's Gefängniß. Hierhin brachte ihm einer seiner Freunde, Lysias, eine sehr schön ausgearbeitete Vertheidigungsrede, die sollte er halten. Sokrates las sie und fand sie schön. „Aber" — sagte er — „brächtest du mir weiche und prächtige Socken, ich würde sie nicht anziehen, weil ich es für unmännlich halte." Damit gab er ihm die Rede zurück.
In der nächsten Versammlung wurden die Stimmen über ihn gesammelt. Eine geringe Mehrheit von drei Stimmen verurtheilte ihn zum Tode. Sokrates hörte sein Todesurtheil mit der größten Ruhe, nicht aber seine Schüler. Sie drängten sich mit Thränen in den Augen zu den Richtern und fleheten und boten eine große Summe Geldes für die Freiheit ihres Lehrers. Sie wurden aber abgewiesen. Sokrates nahm Abschied von den Richtern, die für ihn gestimmt hatten und verzieh auch denen, die ihn verurtheilt. Mit heiterer Miene, festem Schritte und edler Haltung entfernte er sich hierauf aus dem Gerichtshause und begab sich in das Gefängniß zurück. Seine Freunde gaben ihm das Geleite. Als er einige derselben Thränen vergießen sah, sprach er: „Was soll das, daß ihr erst heute weint? Wußtet ihr nicht schon längst, daß die Natur, als sie mir das Leben gab, mich zugleich auch zum Tode verurtheilte?" Apol-
*) Marc. 14, 61 rc. Bist du Christus, der Sohn des Hochgelobten? Jesus aber sprach: „Ich bin's." Da zerriß der Hohepriester seine Kleider und sprach: ,ZLaS bedürfen wir weiter Zeugen?"
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lobor, ber ihm sehr ergeben war, eine gutmüthige Seele, versetzte bagegen: „Ach, liebster Sokrates, bas geht mir gar zu nahe, baß bu unschulbig sterben mußt!" Sokrates strich ihm lächetnb über ben Kopf unb sprach: „Liebster Apollobor! Wolltest du mich benn lieber schulbig sterben sehen?"
Ein kleiner Trost für bie Jünger bes Sokrates war es noch, baß bet Tag ber Hinrichtung hinaus geschoben würbe. Denn an bemselben Tage, als Sokrates vor Gericht ftanb, hatte ber Priester bes Apoll bas heilige Schiff, welches bie Athener alljährlich nach Delos senbeten, zur Abfahrt bekränzt. Sobalb bies geschehen war, bürste nach einem alten Gesetz bie Stabt burch keine Hinrichtung verunreinigt werben, bis bas Schiff von seiner heiligen Fahrt zurückgekehrt war. Darüber vergingen breißig Tage — eine kostbare Zeit, benn es war nun bem Sokrates vergönnt, in ber nächsten Nähe bes Tobes bie Kraft unb Weisheit seiner Lehre zu bewähren. Er warb mit jebem Tag heiterer, ja er fing sogar an zu bichten, er brachte mehrere äsopische Fabeln in Verse unb machte Loblieber auf bie Götter. Unb wenn bie Freunbe ihn besuchten, fanben sie bei ihrem Meister stets Worte bes Trostes unb Lehren ber Weisheit.
Kriton, ber älteste unb vertrauteste seiner Freunbe, konnte sich aber gar nicht in bas Schicksal seines Lehrers finben. Er hatte baher ben Gefängnißwärter gewonnen unb bieser ließ bes Abenbs bie Thür bes Gefängnisses unverschlossen. Für einen sicheren Aufenthalt unb ein ehrenvolles Leben war bereits gesorgt; Thessalien war bas Ziel einer gefahrlosen Flucht. Als Kriton zum Sokrates eintritt unb mit aller Beredsamkeit ihn zur Flucht ermuntert, antwortet ber Weise: „Lieber Kriton, sind wir nicht einv er stauben, baß man in feinem Falle Unrecht mit Unrecht vergelten soll? Haben wir nicht bas für wahr ersannt, baß bie erste Bürgerpflicht barin bestehe, ben Gesetzen zu gehorchen? Ich habe so lange unter ben Gesetzen meiner Vaterstabt gelebt unb ihre Wohlthat genoffen: warum sollte ich jetzt, ba einige Menschen sie zu meinem Verberben mißbrauchen, mich ihnen entziehen?"
Zwei Tage nach bieser Unterrebung kamen bie Elfmänner, welche bie Hinrichtung ber SSerurtheilten zu besorgen hatten, früh am Morgen in das Gefängniß, nahmen bem Sokrates bie Fesseln ab unb ftinbigten ihm an, baß er heute sterben müsse. Kurz barnach traten seine Freunbe ein, fünfzehn an ber Zahl, um bie letzten Stunben bei ihm zu sein. Da ergriff Kriton bas Wort unb sprach: „Sage uns, welchen Auftrag hinterlässest bu mir unb biefen beinen Freunben in Hinsicht beiner Kinber und häuslichen Angelegenheiten? Womit können wir bir zu Gefallen leben?" — „Wenn ihr so lebt," erwieberte ber Greis, „als ich euch längst empfohlen habe. Ich habe nichts Neues hinzuzufügen." — „Wir werden mit allen Kräften streben, bir zu gehorchen, mein Sokrates," fuhr ber Jünger fort, „wie sollen wir aber nach beinern Tobe mit bir verfahren?" — „Wie ihr wollt," antwortete Sokrates, „wofern ihr mich wirklich habt unb ich euch nicht entwische." Dabei sah er bie Uebrigen lächetnb an unb sprach: „Kriton meint noch immer, mein Leichnam werbe berselbe Sokrates sein,
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der jetzt mit ihm spricht. Man soll bei meiner Beerdigung nicht sagen: Man legt den Sokrates aus die Bahre, man trägt den Sokrates hinaus, denn ich bin ja dann längst bei den seligen Geistern."
Jetzt kamen noch sein Weib und seine drei Kinder, und als er Abschied von diesen genommen hatte, neigte sich die Sonne zum Untergang. Und der Gerichtsdiener trat herein, den vollen Giftbecher in der Hand. „Sage mir doch, wie habe ich mich zu verhalten?" fragte er den Diener. „Du mußt," — erwiederte dieser — „nach dem Trinken aus- und abgehen, bis dich eine Müdigkeit befällt; dann legst du dich nieder." — Und mit heiterer Miene nahm Sokrates den Becher, betete noch zu den Göttern, setzte ihn an den Mund und leerte ihn mit Einem Zuge. Da fingen seine Freunde laut zu weinen an. „Still doch!" sagte Sokrates — „darum habe ich ja die Weiber fortgeschickt." Jetzt ging er aus und ab, dann legte er sich nieder. Das Gift fing an zu wirken, feine Füße wurden schon kalt und die Glieder steif. In trauriger Stille standen seine Jünger umher. Plötzlich schlug er seine Augen auf und sprach : „Ich bin genesen, nun opfert dem Aeskulap ein Dankopfer!" Nach diesen Worten verschied er.
So starb der göttliche Sokrates unschuldig im Jahr 399 v. Chr. Erst nach seinem Tode sahen die Athener ihr Unrecht ein und da reuete es sie. Aber die Reue kam zu spät.
V. Perikles und Alcibiades.
1.
An die Namen Perikles und Alcibiades knüpft sich die Erinnerung an die Blüthe und den Untergang der Athener, an die Größe und Kraft und an die Zersplitterung und Verderbniß der griechischen Freiheit.
Perikles
war einer der größten Redner und Staatsmänner, die je gelebt haben. Er redete, so sagten die Athener, als trüge er den Donner auf feiner Zunge und als säße die Göttin der Ueberredung auf seinen Lippen. Was er dem Volke rieth, das geschah; wen er vertheidigte, dem schadete die grimmigste Wuth des Volkes nicht, sein Wort besänftigte. Einst hielt er den in einer Schlacht gefallenen Athenern eine Leichenrede. Hier erschien er so liebenswürdig und riß Alle so mit sich fort, daß, als er von der Rednerbühne herunterstieg, die Weiber ihn mit Ungestüm umarmten, ihm ihre Armbänder umschlangen und ihn bekränzten, ja ihm eine goldene Krone aufsetzten.
Perikles wollte durch das Volk herrschen, darum brach er die Macht der Vornehmen und Reichen, darum stürzte er vor Allem den Areopag,
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jenen alten ehrwürdigen Gerichtshof von Athen. Durch den Ephialtes, einen ihm sehr ergebenen Mann, setzte er es beim Volke durch, daß dein Areopag die Aufsicht über die Sitten der Bürger und über den Staatsschatz entzogen wurde. Da in der Staatsverwaltung der wackere Cimon, des Miltiades Sohn, sein Gegner war, so ruhete er nicht, bis dieser durch den Ostracismus verbannt wurde; als später das Volk die Zurückberufung dieses Mannes wünschte, war er wieder der Erste, der den Antrag hierzu in der Volksversammlung stellte. So wußte er sich den Launen und Wünschen des Volkes zu fügen und dessen Gunst zu bewahren. Stets suchte er dem Volke etwas zu bieten, was diesem schmeichelte; er veranstaltete bald Festversammlungen, bald öffentliche Gastmähler, bald feierliche Umzüge durch die Stadt. Perikles wollte, daß jeder athenische Bürger, auch der ärmste, an der Staatsverwaltung Theil nehmen sollte, darum führte er für die Richter einen Sold ein, der anfangs täglich einen, später drei Obolen (2 Gr. 10 Pf.) betrug. Nun konnten auch arme Handwerker unter den Richtern sitzen, während früher nur die Reichen und Wohlhabenden das Recht sprachen. Damit die ärmere Volksklasse an den großen Festtagen, wo in Athen Schauspiele aufgeführt wurden, einen geistigen Genuß haben möchte, ließ er den Leuten aus dem öffentlichen Schatze Theatergeld zustellen. Der Bundesschatz war von der Insel Delos nach Athen verlegt; dieses Geld war ursprünglich dazu bestimmt, die Kosten für die Perserkriege zu bestreiten und die Bundesgenossen zu schützen. Da aber von den Persern keine Gefahr mehr drohte, glaubte Perikles den Bundesgenossen über die weitere Verwendung des Geldes keine Rechenschaft schuldig zu sein und er benutzte nun diese Hülfsquellen, um jene herrlichen Kunstwerke aufzuführen, die für alle späteren Zeiten Muster der Schönheit geworden sind und die Athen zu der glänzendsten und berühmtesten Stadt Griechenlands gemacht haben.
2.
Das ohnehin schon kunstsinnige und geistig geweckte Volk der Athener gelangte durch Perikles auf die höchste Stufe der Bildung, und es war ein glückliches Zusammentreffen, daß die größten Bildhauer und Baumeister Zeitgenossen und Freunde des Perikles waren. Ein solcher Freund des Perikles war Phidias, der berühmteste Bildhauer Griechenlands; zu den Hauptwerken des Perikles gehören aber die Propyläen, das Parthenon und das Odeum.
Die Propyläen oder Vorhallen gehörten zu der Burg (Akropolis) von Athen und waren ein Werk des Atheners Menesikles. Sie bestanden in einem fünffachen Marmorthor mit herrlichen Säulen*), das zu beiden Seiten große Flügelgebäude hatte. Durch diese Propyläen kam man in die eigentliche Burg, in der sich der große Athenentempel, das Parthenon
*) Das Brandenburger Thor in Berlin ist nach dem Muster der athenischen Propyläen erbaut, ebenso die Münchener „Propyläen."
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vom schönsten Marmor gebaut, erhob. Er diente ebensowohl einem religiösen Zwecke, namentlich bei den panathenäischen Festzügen, als er auch Schatzkammer und Archiv des athenischen Staates war. Von hier hatte man die entzückendste Aussicht auf die Stadt und das Gewühl des Volkes und aus das Meer mit seinen zahllosen Schiffen und Kähnen. Hier stand die Bildsäule der Pallas Athene, der Schutzgöttin der Stadt, in übermenschlicher Größe, von Phidias aus Elfenbein gearbeitet und mit einem Gewände von purem Gold überkleidet. Als man über den Stoff berathschlagte, aus welchem die Göttin gebildet werden sollte, und Phidias dem Volke vorschlug, lieber Marmor zu nehmen, als Gold und Elfenbein, weil jener billiger sei, da riefen Alle einstimmig: „Nein, nicht aus Marmor, sondern aus Gold und Elfenbein!" Die Athener wollten sich ihrer lieben Göttin nicht undankbar erweisen. Auf dem höchsten Gipfel der Burg stand etne andere Bildsäule derselben Göttin in Erz, von Phidias aus der marathonischen Beute gegossen, von so ungeheurer Größe, daß man Lanze und Helmbusch der Göttin schon vom Vorgebirge Sunion aus in einer Entfernung von fünf Meilen erblickte.
Das Odeum war ein rundes, zu musikalischen und poetischen Vorträgen bestimmtes und mit Säulen und Gemälden verziertes Gebäude. Es war nach dem Muster eines Zeltes des Terxes erbaut und mit marmornen Sitzreihen versehen; das spitzige Dach wurde von persischen Schiffs-masten getragen.
In denselben Fels, auf welchem die Burg thronte, waren auch die itze für das Theater gehauen, die wie Treppen über einander emporstiegen und in einem Halbkreis sich ausdehnten. Von diesen Sitzen über-schauete man auch die Stadt, die Olivenwälder, das Meer Alle Tage wurde Theater gespielt unter freiem Himmel, der in Griechenland fast tmmer Mmg und hetter ist. An einem Festtage wurden oft sechs Stücke hintereinander gegeben; dann ward öffentlich entschieden, welches Stück am besten gedichtet war und wer am besten gespielt hatte. Die Sieger erhielten als Preis einen Kranz und ihre Namen wurden auf einer Säule eingegtaben Der erste von den Trauerspieldichtern der Athener hieß
v t ' vCTm üe,/ ^alamiS 1e^er mit gefochten und sein erstes Stuck hieß: „die Perser , worin die Schlacht bei Salamis gefeiert ward.
Andere Stucke handelten von den alten Helden, die in Griechenland gelebt hatten; in den Lustspielen wurde gescherzt und gespottet und selbst der angesehenste 3Jianrt m Athen durfte es nicht übel nehmen, wenn er auf der Buhne lächerlich gemacht wurde. Die Athener liebten das Theater Über Alles und em Trauerspiel von dem Dichter Sophokles gefiel ihnen ein-mal so gut, daß sie tm nächsten Feldzuge den Dichter zum Feldherrn er-wählten, und Sophokles zeigte sich auch tapfer als Krieger
Di*/ «L Ae Söhne zugleich in den Wissenschaften, in der
Dicht- und Redekunst bildeten und zugleich den Körper Übten und ae-Ichmetdtg erhielten — vom achtzehnten Jahre an mußte Jeder die Waffen fuhren: so konnte Ein Mann zugleich Dichter, Gesetzgeber und Feldherr
Grube, Geschichtsbilder. I. a
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sein, wie Solon, und zugleich ein großer Redner, Staatsmann und Feldherr, tote Perikles. Viele Ringschulen gab es in Athen und drei Gymnasien. So ein Gymnasium lag in einem weiten Garten, der mit Gebüsch bepflanzt war. In der Mitte stand das große Gebäude selbst, umgeben von einem Hof mit Säulenhallen. Dahin gingen nicht bloß die Lehrer, sondern jeder gebildete Mann, der Lust hatte, und die Alten unterhielten sich da mit den Jungen über das Gute und Schöne und Alles, was den Geist eines Knaben zu bilden vermag. In den Sälen ward gebadet, neben den Bädern waren lange Bahnen zum Wettrennen. So stärkten und übten die Athener immer Geist und Körper zugleich.
Der besuchteste Ort war aber der Markt; dort wurde nicht bloß gekauft und verkauft, sondern es versammelten sich dort auch die Richter, um Recht zu sprechen, und die Volksgemeinde kam zusammen, um über neue Gesetze abzustimmen, auch einzelne Bürger fanden sich immer daselbst ein, um über Krieg und Frieden zu sprechen und ihre Geschäfte abzumachen. Nun erwäge noch, daß Athen zu Perikles' Zeiten am volkreichsten war, daß Hunderte von Schiffen täglich in den Hafen liefen, um neue Waaren zu bringen oder auszutauschen, und du kannst dir im Geiste ein schwaches Bild von dem Leben dieser Stadt entwerfen.
Auch die Malerei hatte zu Perikles' Zeiten den höchsten Grad der Vollendung erreicht und mit einem Phidias wetteiferte ein Zeuxis und Parrhasius. Beide stellten einst einen Wettkampf an in ihrer Kunst, Zeuxis malte Weintrauben, so natürlich, daß die Vögel herzuflogen, um davon zu naschen. Nun brachte auch Parrhasius sein Stück; es war mit einer dünnen Leinwand überhängt. „Nun, so nimm den Vorhang weg!" sprach Zeuxis; aber Parrhasius lachte, denn der Vorhang war selber das Gemälde. Der eine Künstler hatte blos Vögel, der andere aber Menschen getäuscht.
3.
Weil Perikles so große Summen aufwendete für die Kunst und die Künstler, klagte ihn Thucydides an,,daß er die Beiträge der Bundesgenossen verschwende; doch Perikles ging siegreich aus diesem Kampfe hervor, und endlich gelang es ihm sogar, die Verbannung seines Gegners zu bewirken. Nun hatte er alle seine Feinde aus dem Felde geschlagen, nun lenkte er allein das Volk durch die Gewalt seiner Rede, und wenn auch das Volk dem Namen nach herrschte, so war doch Perikles in der That Alleinherrscher. Und er führte das Staatsruder mit eben so weiser als kräftiger Hand. Bei all den großen Summen, über die er zu verfügen hatte, bewies er doch fein ganzes Leben lang eine so große Uneigennützigkeit und Unbestechlichkeit, daß er das von seinem Vater ererbte Vermögen nicht um eine Drachme vergrößerte. Darum hatten aber auch die Athener unbedingtes Vertrauen zu ihm. Dies zeigte sich bei folgender Gelegenheit.
Die Insel Euböa empörte sich gegen Athen; kaum hatte Perikles mit einem Heere die Insel betreten, so kam die Kunde, daß auch Megarts ab-
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gefallen sei. Perikles führte sogleich sein Heer aus Euböa zurück, fand aber auf dem Festlande nicht nur die Megarenser, sondern auch ein spartanisches Heer unter dem jungen König Plistoanax, der verwüstend tief in Attika eindrang. Mit so überlegener Macht scheute sich Perikles den Kampf zu unternehmen und er bestach den spartanischen König, worauf das peloponnesische Heer sich zurückzog. Nun ging er wieder nach Euböa, unterwarf die Insel und vertheilte das Land imter athenische Bürger. Als Perikles dem Volke Rechnung ablegte, fanden sich zehn Talente, die er zu einer Ausgabe verwendet hatte, die „er jetzt nicht nennen könnte". Die Athener verlangten keine nähere Erklärung; Perikles hatte das Geld dem. Plistoanax geschickt.
Nachdem Euböa gezüchtigt war, wurden auch die Megarenser hart bestraft, denn Perikles schloß sie von allen athenischen Häfen und Märkten aus, so daß ihr Handel fortan darniederlag. Mit gleicher Härte verfuhr er gegen die andern Bundesgenossen; darüber wurden diese empört und suchten Hülfe bei Sparta. So mußte der schreckliche Bürgerkrieg kommen, welche der peloponnesische heißt, der Griechenlands Blüthe in der Wurzeltödtete.
Eine Insel, Korcyra (jetzt Korfu), hatte mit der reichen Handelsstadt Korinth Krieg angefangen und Athen um Hülfe gebeten. Athen freuete sich, die angesehene Stadt zu demüthigen und leistete die Hülfe sehr gern. Dafür reizte wieder Korinth viele der von Athen unterworfenen und hart gedrückten Städte zum Aufruhr und niit den Korinthern vereinigten sich alle übrigen, den Athenern feindlich gesinnten Griechen, um in Sparta über Athens Herrschsucht sich zu beklagen. Vorläufig schickten sie eine Gesandtschaft nach Athen, mit der Forderung, die unterworfenen Städte und Inseln frei zu geben. Fast hätten die Athener diese Forderung Be* willigt, als Perikles fragte: „Soll Sparta über uns, oder sollen wir über Sparta herrschen?" Alsobald schrie Alles: „Krieg, Krieg!"
Nun begann der für Athen so verderbliche Krieg von 27 Jahren (431—404 v. Chr.). Archidamus, König von Sparta, rückte mit einem Heere, das aus Lacedämoniern und peloponnesischen Bundesgenossen bestand, in Attika ein und verwüstete das Land bis nahe vor Athen. Perikles ließ alle Bewohner der Landschaft mit allen ihren Hab selig feiten sich in die Mauern Athens flüchten, wo nun eine so ungeheuere Menschenmenge zusammenströmte, daß selbst Mauerthürme, Tempel und Kapellen bewohnt wurden. Obgleich die Athener vor Kampflust brannten, hielt es Perikles doch für bedenklich, gegen ein Heer von 60,000 Mann in’s Feld zu rücken. Nur mit Mühe konnte er den Ungestüm der Bürger bezähmen, und um nicht wider seinen Willen zur Schlacht gezwungen zu werden, hielt er in jener Zeit keine Volksversammlung. Seine Freunde drangen mit Bitten auf ihn ein, seine Feinde schmäheten ihn und machten Spottlieder auf ihn; er blieb unerschütterlich fest. Sein Plan war, dem Feinde zur See zu schaden; daher schickte er eine Flotte von 100 Schiffen aus und diese verwüstete die Küsten des Peloponnes. Da mußten die Peloponnesier, denen überdies der Vorrath an Lebensmitteln ausging, abziehen.
9*
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Im nächsten Jahre wiederholten die Feinde ihren verheerenden Einfall in Attika und hier kam zu dem äußeren Feinde noch ein innerer, nämlich jene verderbliche Pest, die wahrscheinlich aus Afrika oder Asien zu Schiffe nach Europa gebracht war und in Athen eine unzählige Menge von Menschen hinwegraffte. Die Hitze des Sommers, die Ueberfüllung der Stadt mit Landbewohnern, die sich mit kleinen dumpfigen Hütten behelfen mußten, vermehrten die Wuth der Krankheit. Den Kranken wurden Augen, Zunge und Schlund feuerroth entzündet, innere Hitze und brennender Durst quälten sie schrecklich. Geschwüre in den Eingeweiden und Eiterbeulen auf der Haut steigerten den Schmerz auf das Aeußerste und eine ertödtende Muthlostgkeit machte das Uebel noch gefährlicher. Furchtbar war der Einfluß der Seuche auf die Gemüther der Menschen; alle Kraft zum Guten wurde erstickt. Der Glaube an die Götter schwand; die Reichen ergaben sich allen möglichen Gelüsten und Genüssen; die Frevelhaften verloren alle Scheu vor dem Gesetz. Die Sittenverderbniß, die wie ein Krebs in die Athener hineinfraß, dauerte viel länger, als das Uebel selbst. Und da sich nun bei den ungeheuern Leiden der athenischen Bevölkerung aller Ingrimm gegen den Perikles wandte, den man für den Urheber des Unglücks hielt, so entsetzte das Volk den hochverdienten Mann seiner Feldherrnwürde und legte ihm noch eine Geldstrafe auf. So erfuhr Perikles noch am Abend seines Lebens den Wankelmuth und die Unbeständigkeit des Volks, das ihn einst vergöttert hatte. Mußte er es doch erleben, wie sein Freund Phidias angeklagt wurde, von dem Golde für die Bildsäule der Athene einen Theil unterschlagen zu haben, und obgleich Perikles die Beschuldigung widerlegte, ward Phidias doch in's Gefängniß geschickt und endigte dort sein Leben. Seinen Lehrer Anaxagoras, der von den Athenern der Gottlosigkeit beschuldigt wurde, konnte er nur dadurch retten, daß er ihn aus der Stadt verbannte.
Doch nicht blos der Schmerz, mit so schnödem Undank belohnt zu werden, traf den Perikles in seinem Alter: auch häusliche Leiden beugten den sonst so starken Mann. Die fürchterliche Pest wüthete in seiner eigenen Familie. Er verlor durch den Tod seine Schwester und seinen Sohn Lanthippus. Dennoch behielt er jenen Muth und jene Seelengröße, die über die Schläge des Schicksals sich erhebt. Als er aber auch seinem Sohne Paralos, den gleichfalls die Pest hinraffte, nach athenischer Sitte den Todtenkranz aufsetzte, da überwältigte ihn der herbe Schmerz und er brach in Thränen aus, wie er nie in seinem Leben gethan hatte.
Endlich erkannte das athenische Volk den Undank und seine Ueber-eilung; es überzeugte sich von der Wichtigkeit undUnentbehrlichkeit des tiefgekränkten Mannes und setzte ihn wieder in seine vorige Würde ein. Doch nicht lange mehr sollte Perikles an der Spitze seines Vaterlandes stehen; auch ihn ergriff die verheerende Seuche. Als er dem Tode nahe war, rühmten die um ihn sitzenden Bürger die Größe seiner Tugend und die Menge seiner Siege, ohne daß sie von Perikles gehört zu werden glaubten. Er aber hatte Alles gehört und sagte: „Ich wundere mich,
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daß ihr nur das erwähnt, woran das Glück gleichen Antheil hat mit mir, und was schon vielen Feldherren begegnet ist; das Schönste und Beste habt ihr jedoch vergessen — kein Athener hat meinetwegen ein Trauergewand angelegt." —
Alcib i a d e ö.
1.
Alcibiades stammte aus einem reichen und edlen Geschlechte, das bis auf den Telamonier Ajax hinausreichte, und war verwandt mit Perikles, der nach dem Tode seines Vaters die Vormundschaft über ihn führte. Die Natur hatte den Alcibiades mit den glänzendsten Gaben des Körpers und der Seele ausgestattet; er besaß eine sehr schöne Gestalt, einen lebhaften, durchdringenden Geist, eine einschmeichelnde Stimme, die durch ein leises Anstoßen mit der Zunge — er konnte den Buchstaben R nicht gut aussprechen — nur um so lieblicher ward. Dagegen hatte er aber auch jenen Leichtsinn und jenen ausgelassenen Muthwillen, der überhaupt ein Zug des athenischen Volkes war. Bei solchen Gaben war es kein Wunder, daß er schon als Knabe die Aufmerksamkeit der Athener auf sich zog und manche witzige Aeußerung, mancher lose Streich wird von ihm erzählt.
Einst übte er sich mit einem stärkeren Knaben im Ringen, und um nicht zu unterliegen, biß er ihn in den Arm. Als sein Gegner ihn mit den Worten schalt: „Alcibiades, du beißest ja wie die Weiber!" antwortete dieser: „Sag' lieber, wie die Löwen!" — Ein andermal spielte er mit mehreren andern Knaben Würfel auf der Staße und er war gerade am Wurf, als ein Wagen gefahren kam. Alcibiades bat den Fuhrmann, ein wenig zu warten; da dieser aber nicht auf ihn hörte, legte er sich mitten auf die Straße, quer vor die Pferde und sagte: „Nun fahre zu, wenn du willst!" Der Fuhrmann mußte umwenden. — Alcibiades war lernbegierig und seinen Lehrern folgsam, nur gegen die Flöte zeigte er einen großen Widerwillen, weil sie das Gesicht entstelle und nicht gestatte, daß der Spielende dazu singe. „Die Kinder der Thebaner" — meinte er — „mögen Flöte blasen, denn sie verstehen nicht zu reden." Er theilte seine Abneigung gegen dies Instrument seinen Gespielen mit und brachte es völlig in Verruf. — Einst wollte er seinen Vormund Perikles besuchen, erfuhr aber vor der Thür, daß Perikles beschäftigt sei und eben darüber nachdenke, wie er den Athenern Rechenschaft ablegen wolle. „Wäre es nicht besser" — sagte Alcibiades — „darüber nachzudenken, wie er ihnen keine Rechenschaft abzulegen brauchte?"
Als Jüngling war er innig befreundet mit dem weisen Sokrates, der den sonst leichtsinnigen und übermüthigen Alcibiades so für sich zu gewinnen wußte, daß er wißbegierig seine Lehren anhörte und ruhig den Tadel des Meisters über sich ergehen ließ. So lange Alcibiades bei dem Sokrates war, faßte er die besten Vorsätze; kam er aber unter das Volk,
134
so schlug er alle guten Lehren in den Wind. Doch in der Liebe zu dem weisen Manne blieb er treu. Auf dem Feldzuge nach Potibäa, den er und Sokrates mitmachten, fiel einst Aleibiabes verwundet nieder; da deckte ihn ber Weise mit seinem Schild und rettete ihm das Leben. Als nach ber Schlacht ber Preis ber Tapferkeit bem Sokrates zuerkannt werben sollte, bat biefer bte Richter, ihn betn Aleibiabes zu ertheilen. — In ber für bie Athener unglücklichen Schlacht bei Delium sah Aleibiabes, selbst schon aus ber Flucht, wie Sokrates von ben Feinben hart verfolgt warb. Aleibiabes sprengte zurück — benn er war zu Pferbe — zerstreuete bte Feinbe unb rettete feinem Lehrer bas Leben.
In einer lustigen Gesellschaft machte einst ber übermüthige junge Mann eine Wette, baß er bem Hipponikus, einem reichen unb angesehenen Athener, eine Ohrfeige geben wolle, unb er führte biefe That auf offener Straße aus. Jebermann war über biefe Frechheit empört. Am anbern Tage jeboch begab sich Aleibiabes zum Hipponikus, bat ihn bemüthig um Verzeihung unb entblößte feinen Rücken zur Wohlverbienten Geißelung. Hipponikus verzieh ihm unb würbe balb so sehr von ihm eingenommen, baß er ihm feine Tochter zur Frau gab.
Durch solche unbesonnene Streiche machte er sich zum Stabtgefpräch, unb bas wollte er eben. Er kaufte einen schönen Hunb um mehr als 1000 Thaler. Die ganze Stabt sprach von bet Schönheit bes Hunbes unb bem theuern Preise. Da hieb er bcnt Hunbe ben Schwanz ab unb nun war ber abgehauene Schwanz bas allgemeine Stabtgespräch. — Einmal ging er über bett Markt, als eben Gelb unter bas Volk vertheilt würbe. Die Athener begrüßten ihren Liebling mit Freubengeschrei; ba ließ er eine Wachtel fliegen, bte er unter feinem Mantel verborgen hatte, unb sogleich lief Alles bem Vogel nach, um ihn wieber zu fangen. Alct-biabes lachte.
Seine Mitbürger suchte er burch Aufivanb unb glänzenbe Pracht zu übertreffen. Auf ben olympischen Wettkämpfen erschien er mit sieben Wagen, was noch kein König gethan hatte, unb mit breien trug er ben Sieg bavon.
2.
Der verberbliche Krieg zwischen Athen unb Sparta war im Jahre 422 v. Chr. burch einen Frieben unterbrochen, aber nicht geenbet. Aleibiabes, ber vor Begierbe brannte, sich Felbhertnruhm zu erwerben, toanbte alle Kunstgriffe an, ben Krieg toieber zum Ausbruch zu bringen.
Vor Allem suchte er bas Volk zu einem Zuge nach Sicilien zu tiereben, wozu sich bamals eine günstige Gelegenheit barbot. Die Einwohner ber Stabt Segesta auf Sicilien würben von ben mächtigen Syraku-fern hart bebrängt. Sie baten in Athen um Hülfe unb versprachen in ihrer Noth 60 Talente monatlichen Solb für 60 Schiffe. Aleibiabes wußte burch feine einfchmeichelnbe Berebtfamkeit bas Volk so zu bethören und ihm bie Eroberung von ganz Sicilien als so gewiß vorzuspiegeln,
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daß es den Segestanern den verlangten Beistand bewilligte. Durch Alcibiades' Reden begeistert, schwelgte das Volk schon zum Voraus in ausgelassener Siegesfreude und träumte sogar von Asrika's und Karthago's Eroberung, worauf dann die Unterwerfung Italiens und des Peloponnes folgen sollte. Die prächtigste von allen Flotten war mit großen Kosten ausgerüstet und der Oberbefehl in die Hände des Nicias, Lamachus und Alcibiades gelegt.
Noch ehe die Flotte auslief, ereignete sich in Athen ein Vorfall, der für Alcibiades die verderblichsten Folgen hatte. In einer Nacht wurden alle Hermessäulen (dem Gott Merkur geheiligte Statuen), die vor den Häusern der Athener standen, umgeworfen und verstümmelt, wahrscheinlich von einer Schaar trunkener und muthwilliger Jünglinge. Das Volk sah hierin einen Angriff auf seine Religion und einen Versuch zum Umsturz seiner Freiheit. Aller Verdacht fiel auf Alcibiades, dessen Feinde nicht säumten, den Unwillen des Volkes gegen ihn rege zu machen, zumal da ein Gerücht im Umlauf war, daß er gewisse gottesdienstliche Handlungen der Athener mit seinen Freunden heimlich nachgeäfft und verspottet habe. Seine Feinde drohten mit einer Anklage und Alcibiades drang darauf, daß diese Sache noch vor seiner Abreise nach Sicilien entschieden würde. Allein seine Gegner wußten, daß sie ihm, so lange er in Athen sei, nichts anhaben konnten, denn er stand bei dem Volke und dem Heere in großer Gunst. Sie ließen daher, die Anklage vorläufig ruhen und drangen auf die Abfahrt.
Alcibiades segelte ab. Die Flotte landete an der Küste von Sicilien (415) und schon hielten die Feldherren Rath über den Kriegsplan, als von Athen ein Schiff ankam, das den Alcibiades abholte, damit er vor Gericht sich stellte. In seiner Abwesenheit hatte man ihn der Entweihung der Religion angeklagt und Viele der Mitschuldigen waren bereits als Opfer der Volkswuth hingerichtet worden.
Alcibiades folgte dem Befehl und bestieg das Schiff. Unterwegs aber faßte er den Entschluß, heimlich seinen Wächtern zu entfliehen, denn er trauete dem Wankelmuthe der Athener nicht. Als ihn Jemand fragte: „Trauest du denn deinem Vaterlande nicht?" antwortete er: „Nicht einmal meiner eigenen Mutter, denn sie könnte aus Versehen einen schwarzer Stein statt eines weißen in die Urne werfen!" Er entkam nach Elis, und als er hörte, daß die Athener ihn zum Tode verurtheilt und sein Andenken verflucht hätten, sagte er: „Ich will ihnen zeigen, daß ich noch lebe!" Aus Rache ging er nach Sparta, wo man ihn natürlich mit Freuden aufnahm. Von nun an war es seine Sorget den Athenern auf alle Weise zu schaden, und er ertheilte den Lacedämoniern die besten Rathschläge, wo sie den Krieg auf die für Athen verderblichste Weise führen könnten. Auf seinen Rath befestigten sie das nahe an der Grenze von Attika gelegene Decelea und wiederholten von diesem festen Standpunkte aus jährlich die verheerenden Einfälle in das attische Gebiet. Ferner ertheilte er ihnen den Rath, den Syrakusern in Sicilien Hülfe zu schicken,
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um die Unternehmungen der Athener zu vereiteln. Dies geschah und mit solchem Erfolge, daß der anfangs für Athen glückliche Feldzug den schlimmsten Ausgang hatte. Nach vielen Verlusten mußten sich die Athener den Syrakusern ergeben, die Gefangenen wurden in die Steinbrüche von Syrakus geworfen, wo sie elend verschmachteten. Nicias wurde nebst seinem Mitfeldherrn auf dem Markte zu Syrakus öffentlich enthauptet. Nun waren die Hülfsmittel der Athener erschöpft und Verzweiflung bemächtigte sich aller Gemüther. Alcibiades hatte sich gerächt.
Dieser wetterwendische Mann nahm in Sparta ganz die Sitten des spartanischen Volkes an; er badete im Eurotas, ward mäßig und aß die schwarze Suppe, wie ein echter Lakone. Bald war er auch hier der Liebling von Alt und Jung. Doch die Regierung schöpfte Mißtrauen, und als er noch obendrein den König Agis beleidigt hatte, war er in Sparta nicht mehr sicher und ging nach Asien zum persischen Statthalter Tissaphernes. Auch diesen wußte er für sich zu gewinnen, daß derselbe nicht mehr wie bisher den Lacedämoniern, sondern den Athenern Hülfe versprach. Hierdurch söhnte sich Alcibiades wieder mit seinen Landsleuten aus und bewirkte seine Zurückberufung. Ehe er aber in seine Vaterstadt zurückkehrte, wollte er erst rühmliche Thaten verrichten; nur als ruhmgekrönter Sieger wollte er in Athen einziehen. So ging er denn zuerst nach Samos, wo die athenische Flotte lag, und mit ihm kehrte das Glück zu den Athenern zurück. Sie schlugen die Spartaner zu Wasser und zu Lande und eroberten alle verlorenen Städte und Inseln wieder. Der Name Alcibiades verbreitete bei den Freunden Siegesmuth, bei den Feinden Furcht und Schrecken. Die gedemüthigten Spartaner schrieben in ihrer gewohnten Kürze nach Hause: „Unser Glück ist dahin, der Anführer ist getödtet, die Soldaten hungern, wir wissen nicht, was zu thun." In dieser Noth schickte Sparta eiligst Gesandte nach Athen, die demüthigst um Frieden baten; aber das übermüthige Volk der Athener wies alle Anträge stolz zurück.
Alcibiades segelte mit reicher Beute beladen und mit den Trümmern von 200 zerstörten Schiffen als Siegeszeichen zu seiner Vaterstadt zurück. Als er sich dem Piräus näherte, erwartete ihn eine zahllose Menge Volkes; doch stieg der Held nicht eher aus, als bis er seine Verwandten am Ufer erblickte. Nun landete er; das Volk richtete alle seine Blicke nur auf ihn und schien für die andern Feldherren, die ihn begleiteten, gar kein Auge zu haben. Alcibiades ging in die Volksversammlung und vertheidigte sich hier gegen alle ihm zur Last gelegten Beschuldigungen, klagte jedoch nicht das Volk, sondern nur sein Mißgeschick an, und am Schluffe seiner Rede feuerte er die Athener zur kräftigen Fortsetzung des Krieges an. Das Volk gab ihm sein Vermögen zurück, widerrief den über ihn ausgesprochenen Fluch und ernannte ihn zum unumschränkten Anführer zu Wasser und zu Lande. Weinend empfing Alcibiades die Beweise des Wohlwollens seiner Mitbürger und unter der Menge selbst beweinten Viele sein herbes Mißgeschick.
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Doch Alcibiades sollte zum zweiten Male erfahren, wie unsicher und schwankend die Volksgunst ist. Er kehrte nach Samos zurück und stellte seine Flotte bei dem Vorgebirge Notium, in der Nähe der Stadt Ephesus, auf, während Lysander mit der peloponnesischen Flotte in dem Hafen dieser Stadt lag. Einst entfernte sich Alcibiades auf kurze Zeit von seiner Flotte und übertrug den Oberbefehl einem Unterfeldherrn, doch mit der ausdrücklichen Weisung, sich durchaus in keine Schlacht einzulassen. Lysander aber wußte schlau die Abwesenheit des Alcibiades zu benutzen, segelte aus dem Hafen heraus und überfiel die athenische Flotte, deren Mannschaft sich auf keinen Angriff vorbereitet hatte. Als Alcibiades zurückkehrte, sah er die schreckliche Niederlage, die seine Flotte erlitten hatte und die er nicht wieder gut machen konnte. Das athenische Volk aber gerieth bei dieser Nachricht außer sich vor Wuth und entsetzte ihn, dem es alle Schuld beimaß, seiner Feldherrnwürde. So sank der Mann, der noch vor kurzer Zeit der Abgott des Volkes war, wieder schnell von dem Gipfel seines Glückes herab.
Er ging nach Thracien, wo er sich schon vorher eine Burg erbaut hatte. Doch nie erstarb in ihm die Liebe zu seinem Vaterlande. Als die athenische Flotte bei Aegospotami lag (405) und die Soldaten sich trotz der drohenden Nähe Lysander's zügellos auf dem Lande zerstreuten, um Beute zu holen, begab sich Alcibiades, der das Gefährliche ihrer Lage einsah, zu dem athenischen Feldherrn und versprach ihm, die Feinde in kurzer Zeit zur Schlacht zu zwingen, wenn er ihn am Kommando wollte Theil nehmen lassen. Doch dieser wies ihn mit der Antwort ab: „Alcibiades hat nichts mehr zu befehlen!" So erlitten denn die Athener jene furchtbare Niederlage bei dem Ziegenflusse (Aegospotami), die Athen der Rache der Lacedämonier preisgab.
Die Spartaner glaubten jedoch ihres Sieges nicht sicher zu sein, so lange Alcibiades noch lebte. Sie stellten ihm nach und er mußte nach Asien zum persischen Statthalter Pharnabazus fliehen. Er war im Begriff, von diesem zum Könige von Persien zu reisen, um durch dessen Beistand die Rettung seines Vaterlandes zu bewerstelligen. Doch Lysander verlangte von Pharnabazus die Auslieferung des gefürchteten Mannes so hartnäckig, bis dieser endlich zwei Mörder schickte,' ihn zu todten. Sie waren aber zu feig, ihn im offenen Kampf zu todten, und zündeten daher das Haus an, in welchem er schlief. Vom Knistern des Feuers aufgeweckt, sprang Alcibiades mit einem Dolche bewaffnet heraus und stürzte sich durch die Flammen. Da erlegten ihn die Männer aus der Ferne durch Pfeile, schnitten dann sein Haupt ab und brachten es dem Pharnabazus. Seine Freundin Timandra, die bei ihm lebte, bedeckte seinen Leichnam mit ihrem Gewände und verbrannte ihn in der Flamme des angezündeten Hauses.
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VI. Kritias und Theramenes. — Thrasybul.
Kritias und TherameneZ.
Nachdem die Athener vorn Lysander aufs Haupt geschlagen waren, zog das spartanische Heer nach Athen selber und besetzte die unglückliche Stadt. Ihre Mauern wurden niedergerissen unter Flöten - und Posaunenschall und dem höhnenden Jauchzen der Feinde; alle noch vorhandenen Schiffe wurden fortgeführt und nur zwölf kleine elende Fahrzeuge blieben den Athenern übrig. Die Volksherrschaft wurde aufgehoben, alle verbannten Aristokraten kehrten frohlockend zurück. Das freie Athen sollte nun nach spartanischem Muster regiert werden; dreißig spartanisch gesinnte Bürger erhielten die unumschränkte Gewalt (Tyrannis) und wurden von den Bürgern die „dreißig Tyrannen" genannt. Diese, von der spartanischen Besatzung unterstützt, mordeten und plünderten nach Willkür.
Das Haupt dieser Tyrannen war Kritias, der mit einem Volksfreunde, Theramenes, anfangs Hand in Hand ging. Als aber Letzterem das Wüthen des Kritias zu arg wurde, that er Einsprache; aber vergeblich. Kritias beschloß, auch den Theramenes zu vernichten. Zu diesem Zwecke stellte er ein Verzeichniß von 3000 Bürgern auf, als „der Besten aus dem Volke". Diese „Besten" sollten allein das Recht haben, Waffen zu tragen und Staatsämter zu bekleiden. Alle übrigen Bürger mußten ihre Waffen ausliefern. Gegen diese Maßregel äußerte sich Theramenes in den heftigsten Worten. „Ist es nicht ungereimt," sprach er, „daß nur diese 3000 Bürger gut sein sollen und alle übrigen schlecht?" Die Hinrichtungen nahmen aber ihren Fortgang und trafen nicht nur die Volksfreunde, sondern Alle, die ein Vermögen besaßen, nach welchem den Tyrannen gelüstete. Auch Theramenes ward aufgefordert, an diesem Unwesen Theil zu nehmen; er aber weigerte sich standhaft und sprach: „Sollten wir, die wir uns die Besten nennen, solche Ungerechtigkeiten begehen?" Von dieser Zeit an betrachteten die Dreißig den Theramenes als einen ihrer Willkürherrschaft gefährlichen Mann und beschlossen seinen Sturz.
Eine Rathsversammlung ward berufen; zuvor aber hatte die Wache Befehl erhalten, mit verborgenen Schwertern zu erscheinen. In Gegenwart des Theramenes erhob sich Kritias und klagte ihn als einen Feind der Verfassung an, ja als den Urheber aller Uebel im Staat. Als er seine Anklage geendet hatte, nahm Theramenes das Wort zu seiner Vertheidigung und bald erhoben sich in der Versammlung mehrere Stimmen zu seinen Gunsten. Da erkannte Kritias, daß, wenn man dem Rathe die Entscheidung überließe, Theramenes der Verurtheilung entgehen würde. Er besprach sich heimlich mit den Dreißigen. Darauf entfernte er sich und befahl der Wache, bis an die Schranken der Versammlung zu treten. Bei seinem Eintritt aber sagte er zu dem Rathe: „Diese Männer hier
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geben zu erkennen, daß sie es nicht gestatten wollen, wenn wir den Thera-menes freisprechen, da er ohne Hehl die Regierung geschmäht hat. Da unsere neuen Gesetze verbieten, die in dem Verzeichnisse der 3000 befindlichen Bürger ohne euer Urtheil zu strafen, so streiche ich mit euer aller Bewilligung den Theramenes aus diesem Verzeichnisse aus. Dann ist er in der Gewalt der Dreißig und wird seiner Strafe nicht entgehen!"
Nach diesen Worten sprang Theramenes an den Altar und sagte: „Ich flehe euch, ihr Männer, an um das, was ich mit dem größten Rechte fordern kann. Wohl weiß ich, daß dieser Altar mich nicht schützen wird, aber Jene sollen zeigen, daß sie nicht blos gegen Menschen, sondern auch gegen Götter freveln. Ihr aber, Männer von Athen, wollt ihr euch nicht selbst helfen und seht ihr nicht, daß man auch eure Namen nach Belieben streichen wird?"
Kritias ließ die Elfmänner kommen, denen die Aufsicht über das Gefängniß und die Hinrichtung oblag; zu diesen sprach er: „Wir übergeben euch den Theramenes, der nach dem Gesetze zum Tode verurtheilt ist; führt ihn in's Gefängniß und thut das Uebrige!" Darauf zogen die Diener den Theramenes, der Götter und Menschen zu seinem Beistände anrief, von dem Altar hinweg. Der Rath aber blieb ruhig, aus Furcht vor den Bewaffneten, und der Volksfteund Theramenes mußte den Giftbecher trinken.
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*
Nach der Hinrichtung des Theramenes fuhren die Dreißig fort, die angesehensten Bürger von Athen ihres Vermögens und ihres Lebens zu berauben. Viele verließen ihr Vaterland und gingen freiwillig in die Verbannung. Theben, Megaris und Argos nahmen die Flüchtlinge fteundlich auf. Doch bald sollte für Athen der Tag der Befreiung kommen.
Thrasybul, der neben Alcibiades einst den Befehl auf der athenischen Flotte geführt hatte und sich jetzt unter der Zahl der Ausgewanderten befand, besetzte von Theben aus mit 70 Vertriebenen die auf der Grenze gelegene Festung Phyle und machte sie zu einem Zufluchtsorte für die Flüchtlinge. Täglich mehrte sich sein Anhang und bald flößte er den Dreißigen in Athen Besorgniß ein. Sie zogen gegen Phyle, die Festung zu erobern; doch der Versuch mißlang und sie mußten sich mit Verlust zurückziehen. Nun unternahm Thrasybul von seiner Festung aus kleine Streifzüge, die für ihn immer siegreich waren und den Muth der Sei-nigen belebten.
Kritias hielt sich mit seinen Genossen in Athen nicht mehr sicher und zog nach Eleusis. Dort ließ er alle ihm Verdächtigen tödten. Thrasybul aber rückte bei Nacht ungehindert bis vor Athen und lagerte mit seinem kleinen Heer, das schon auf die Zahl 1000 gestiegen war, vor der Hafenstadt Piräus. Die Dreißig rafften so viel Mannschaft zusammen, als sie nur vermochten; aber ihrer Schaar fehlte der Muth. Es kam zu einem entscheidenden Treffen und Thrasybul gewann den Sieg. Er beobachtete aber die größte Mäßigung und vergalt nicht Blutvergießen mit
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Blutvergießen. Die fliehenden Bürger wurden nicht verfolgt, die Gefallenen nicht geplündert; nur Waffen und Nahrungsmittel nahmen die Sieger. Jetzt ward mit den Bürgern in der Stadt unterhandelt; die Dreißig wurden abgesetzt und im Jahre 403 v. Chr. bekam Athen seine Freiheit und Verfassung wieder; doch der alte Glanz und die alte Herrlichkeit waren auf immer dahin.
VII. Pelopidas und Epaminondas. '
1. Pelopidas.
Seit dem Falle Athens kannte der Uebermuth der Spartaner keine Grenzen mehr. Mitten im Frieden überfiel ihr Feldherr Phöbidas mi seinem Heere Theben, wo innere Zwietracht zwischen den Aristokraten und Demokraten ausgebrochen war, und besetzte die Burg Kadmea. Jedoch dieses Raubes sollten sich die Spartaner nicht lange erfreuen. Unter den Vertriebenen, die sich nach Athen wandten, war auch Pelopidas, ein edler thebanischer Jüngling. Er hatte keine Ruhe mehr, so lange seine Vaterstadt in den Händen der Feinde war, und leitete eine Verschwörung ein. In der Nacht sollten alle Anführer der Spartaner ermordet, die Besatzung verjagt werden; Alles war hierzu genau mit den Freunden in Theben verabredet. Als der zur Ausführung bestimmte Tag erschien, machte sich Pelopidas mit eilf Gefährten des Morgens in aller Frühe auf den Weg. Sie waren als Jäger verkleidet, mit Hunden und Jagd* gerathen versehen, um kein Aufsehen zu erregen. Abends spät kamen sie vor Theben an, und gingen durch verschiedene Thore der Stadt. In dem Hause des Charon, eines Mitverschworenen, kamen sie nach der Verabredung zusammen. Alle Genossen waren hier versammelt, die Waffen lagen bereit, Alle rüsteten sich zur blutigen That.
Unterdessen schmauseten Archias und Philippus, die beiden vornehmsten Spartaner, bei Phyllidas, einem der Mitverschworenen. Auch dieses war so verabredet. Phyllidas nöthigte fleißig zum Trinken und erwartete seine Gehülfen. Plötzlich trat ein Bote herein und überreichte vom Oberpriester zu Athen einen Brief, der die ganze Verschwörung entdeckte. Der trunkene Archias lächelte und nickte mit dem Kopfe, als ihm der Bote den Brief gab. „Es sind Sachen von Wichtigkeit" — sagte der Bote — „du möchtest den Brief sogleich lesen!" „Sachen von Wichtigkeit auf morgen 1" schmunzelte Archias und legte den Brief bei Seite. —-„So recht" — schrie Phyllidas — „jetzt ist es Zeit zu trinken und fröhlich zu sein; ich habe auch Tänzerinnen bestellt, die werden sogleich erscheinen!" Sie erschienen nur zu bald. Es waren Verschworene, die unter ihren Weiberkleidern die Dolche verborgen hatten. Sie näherten
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sich den beiden jubelnden Spartanern, zogen ihre Dolche und stießen sie nieder. Zu gleicher Zeit wurden auch die übrigen Anführer der Spartaner ermordet.
Ueber diesem Tumult erwachten die Bürger. Jeder zündete in seinem Hause Licht an, hielt aber die Thür dicht verschlossen. Alle erwarteten ängstlich den Anbruch des Tages. Da erschienen die Befreier, feierlich von den Priestern geleitet, welche Friedenskränze in die Höhe hoben, auf dem Marktplatze, wohin das ganze Volk zusammengeströmt war. Epa-min ondas trat auf und schilderte der versammelten Menge in einer ergreifenden Rede die glorreiche That des Pelopidas. „Wer noch ein Herz hat," sprach er, „für sein Vaterland, der ergreife die Waffen zur Vertheidigung der Freiheit!" Freudig folgte das Volk diesem Rufe. Auch die Athener, welche keine Gelegenheit vorbeigehen ließen, wo sie ihren Erbfeinden schaden konnten, schickten Hülfstruppen. Die Burg wurde hart belagert und schon nach einigen Tagen mußte sich die spartanische Besatzung ergeben. So wurde Theben wieder frei.
2. Epaminondas.
Es war aber vorauszusehen, daß die stolzen Spartaner es nicht geduldig ertragen würden, daß man ihnen die köstliche Beute so aus den Händen gerissen hatte. Sie rüsteten ein furchtbares Heer und zogen gegen Theben. Jeder, der den drohenden Zug ansah, hielt die arme Stadt für verloren. Die Thebaner jedoch, durch die gelungene That des Pelopidas ermuthigt, rüsteten sich zur tapferen Vertheidigung ihrer wieder errungenen Freiheit und stellten zwei treffliche Männer an die Spitze ihres Heeres, Pelopidas und Epaminondas. Art diesem herrlichen Freundespaar ist es recht offenbar geworden, wie einzelne große Männer die Kraft und der Segen eines ganzen Volkes sind; mit Pelopidas und Epaminondas sank auch Thebens Ruhm und Größe.
Epaminondas stammte aus einer edeln, aber verarmten Familie, die jedoch seine Erziehung nicht vernachlässigt hatte. In den Wissenschaften hatte der Jüngling solche Fortschritte gemacht, daß er bald mit den berühmtesten Männern Griechenlands wetteifern konnte. Dazu erwarb ihm sein gerades, biederes, liebevolles Wesen viele Freunde, unter andern auch den Pelopidas. Dieser hätte gern seinen Reichthum mit ihm getheilt; aber nie war er zu bewegen, auch das Geringste anzunehmen, so drückend auch oft seine Lage war. Er hatte nur ein einziges Oberkleid und konnte einst mehrere Tage hindurch gar nicht aus dem Hause gehen, weil dieses gerade in der Wäsche war. Ehrenstellen suchte er nie; sobald aber das Vaterland seine Dienste verlangte, war er bereit. Man mochte ihm einen hohen oder niederen Posten anweisen, er verwaltete ihn stets mit der größten Gewissenhaftigkeit. Sein Grundsatz war, der Mann müsse seinem Amte Ehre machen, nicht aber das Amt dem Manne. Einem persischen Gesandten, der mit Säcken Goldes zu ihm kam, um ihn zu bestechen,
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gab er zur Antwort: „Mein Freund, wenn die Absichten deines Königs dem Vaterlande Vortheilhast sind, bedarf es deines Goldes nicht; sind sie ihm aber schädlich, so wird dein Gold mich nicht zum Verrctther meines Vaterlandes machen. Du aber verlaß sogleich die Stadt, damit du nicht Andere verführst." Als er in der Folge das Heer anführte, erfuhr er, daß sein Waffenträger einem Gefangenen für Geld die Freiheit gegeben habe. „Gib mir meinen Schild zurück," sagte er unwillig zu diesem, „Seitdem Gold deine Hände befleckt hat, kannst du nicht länger in Gefahren mein Begleiter sein."
Dieser biedere Mann stand jetzt an der Spitze des thebanischen Heeres und rückte den Spartanern kühn entgegen. Sein Freund Pelopidas befehligte eine besondere Abtheilung thebanischer Jünglinge, die heilige Schaar genannt; diese hatten sich durch einen feierlichen Eid verbunden zu siegen oder zu sterben. Bei dem Städtchen Leuktra, wenige Meilen von Theben, stießen beide Heere auf einander. Mustervoll stellte Epami-nondas sein Häuflein gegen die überlegenen Feinde auf. Um nicht von ber größeren Anzahl überflügelt zu werden, ließ er es in einer schrägen keilförmigen Richtung vorrücken. Durch biese schräg eSchlachtorb nung (Phalanx) wirb ber Feinb auf einem Punkt mit aller Gewalt angegriffen unb boch kann er keine großen Heermassen wirken lassen. So burchbrach ber thebanische Keil bie spartanischen Schlachtreihen; ber königliche Felbherr ber Spartaner würbe niebergehauen unb mit ihm bie Schaaren seiner Getreuen. Da wichen bie Feinbe bestürzt zurück unb suchten ihr Heil in ber Flucht. Durch biesen herrlichen Sieg, ben bie Thebaner im Jahre 371 v. Chr. erfochten, würben sie auf einmal bas größte unb angesehenste Volk in Griechenlanb. Als solches orbneten sie sogar bie Königswahl in Macebonien.
Als bie Nachricht bieser Nieberlage nach Sparta kam, würben bie Mütter berjenigen Söhne, bie sich burch bie Flucht gerettet hatten, äußerst traurig; vor Scham ließen sie sich gar nicht sehen. Diejenigen Frauen aber, beten Söhne gefallen waren, erschienen fröhlich, mit Blumenkränzen geschmückt, auf bem Marktplatze, umarmten sich unb wünschten sich Glück, betn Baterlanbe so tapfere Söhne geboren zu haben. Man war jetzt in großer Verlegenheit, wie man mit ben Flüchtlingen verfahren solle, benn bas Gesetz bes Lykurgos verurteilte sie zu ben härtesten Strafen. Aber in bieser Zeit ber Noth beburfte man zu sehr ber Krieger, beshalb sagte ber König: „O lasset bas Gesetz für heute fchlafen; möge es morgen mit aller Strenge wiebet erwachen!" Hiermit hatte es fein Bewenben unb bie Flüchtlinge würben fcegnabigt.
3. Das Ende der Helden.
Der kühne Epaminvnbas suchte Mb barauf bie Spartaner in ihrem eigenen Lanbe auf. Er fiel in ben Peloponnes ein unb nahm ihnen hier eine Stabt nach ber anbern weg. Auch bie Meffenier rief er zum.Frei-
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heitskampfe auf und freudig erhob sich das gedrückte Volk. Die Spartaner geriethen in die höchste Noth und sprachen sogar ihre alten Feinde, die Athener, um Hülfe an. Und diese verbanden sich wirklich mit ihnen, aus Neid über die wachsende Größe Thebens. Doch Epaminondas verlor niesn den Muth, er unternahm vielmehr noch ein kühneres Wagstück und griff Sparta selber an. Schon war er bis auf den Marktplatz vorgedrungen; aber der verzweifelten Gegenwehr des spartanischen Volkes gelang es, ihn wieder zurückzutreiben, und Epaminondas zog sich bis Mantinea zurück. Bei dieser Stadt kam es im Jahre 362 zu einer blutigen Schlacht. Die Spartaner fochten wie Verzweifelte, dessenungeachtet mußten sie weichen. Die Thebaner, von ihrem Helden Epaminondas geführt, drangen mit Ungestüm in ihre Reihen und warfen Alles über den Haufen. Da traf den Feldherrn ein feindlicher Wurfspieß, dessen eiserne Spitze in seiner Brust stecken blieb. Ein blutiges Gefecht erfolgte nun um den Verwundeten, aber die Seinigen retteten ihn aus dem Gedränge der Feinde.
Die Nachricht von der Verwundung des Epaminondas verbreitete Schrecken und Schmerz im thebanischen Heere; die Schlacht wurde abgebrochen und der Sieg nicht verfolgt. Aber den Ruhm des Sieges nahm der Held mit in's Jenseits. Die Aerzte hatten erklärt, daß er sterben würde, sobald man das Eisen aus der Wunde ziehe. Epaminondas ließ es so lange stecken, bis man ihm meldete, der Sieg sei gewonnen und sein Schild gerettet. Man reichte ihm den Schild und er küßte ihn. Dann sprach er: „Ich habe genug gelebt, denn ich sterbe unbesiegt." Und als seine Freunde weinten und klagten, daß er dem Staate keinen Sohn hinterlasse, erwiederte Epaminondas: „Ich hinterlasse euch zwei unsterbliche Töchter, die Schlachten bei Leuktra und Mantinea!" Darauf ließ er das Eisen aus der Wunde ziehen und hauchte seine Heldenseele aus.
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Während Epaminondas gegen die Lacedämonier gekämpft, hatte Pe-lopidas in Thessalien Krieg geführt gegen Alexander, den Tyrannen von Pherä, welcher sich ganz Thessalien zu unterwerfen suchte. Hinterlistiger Weise wurde er von diesem gefangen genommen. Da ihn Jeder im Gefängniß sprechen durfte, sprach er frei und offen gegen den Tyrannen und ließ dem Alexander sagen: „Ich wundere mich, daß du mich so lange leben lässest! Denn wenn ich entkomme, werde ich sofort Rache an dir nehmen." Alexander fragte: „Warum eilt denn Pelopidas zum Tode?" — „Damit du," antwortete Pelopidas, „den Göttern desto verhaßter werdest!" Bald aber kam Epaminondas an der Spitze eines thebanischen Heeres und befreite seinen Freund. Nicht lange darauf wurde Pelopidas abermals gegen Alexander nach Thessalien berufen. Der schlaue Mann hatte sogar die Athener mit seinem Gelde gewonnen und drohte Theben gefährlich zu werden. Als Pelopidas mit seinen Thebanern auszog, trat plötzlich eine Sonnenfinsterniß ein. Darüber wurde das thebanische Heer stutzig und weigerte sich, weiter vorzurücken. Da warb Pelopidas auf eigene Hand dreihundert Reiter und zog mit diesen vorwärts. Nun ver-
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stärkte er wohl unterwegs sein Häuflein, aber nur wenige Thebaner waren mit ihm. Das machte dem Tyrannen Muth und dieser ging dem Pelo-pidas mit einem starken Heere entgegen. Doch Pelopidas machte aus seiner zusammengerafften Mannschaft Helden und schlug den Alexander, der sich während der Schlacht hinter einem seiner Trabanten verkroch. Als Pelopidas ganz allein in seinem Siegesmuth unter die Feinde gedrungen war, ward er von den Seinigen abgeschnitten und niedergemacht. Es entstand darüber solche Trauer im Heere, als wenn es die größte Niederlage erlitten hätte. Nicht blos die Menschen schnitten ihre Haare ab, auch die Pferde wurden geschoren.
VIII.Philipp vonMacedonien. Demosthenes undPhocion.
1.
Als Pelopidas in Thessalien kämpfte, griff er auch in die Angelegenheiten des macedonischen Reichs und befestigte den König Alexander, den ältesten Sohn des Amyntas, auf dem Thron; den jüngsten aber, Philipp, nahm er als Geisel mit nach Theben. Hier lebte Philipp im Hause des Epaminondas und hatte Gelegenheit, sich nach dem Vorbilde dieses großen Thebaners zum tüchtigen Feldherrn und Krieger auszubilden; vor Allem aber lernte er in Theben die Verwirrungen und Zerwürfnisse, sowie die Sittenverderbniß der griechischen Staaten kennen.
Nach dem Tode des macedonischen Königs Perdikkas machte Philipp Ansprüche auf den erledigten Thron; doch befand er sich anfangs in einer sehr schwierigen Lage, da sich mehrere Bewerber um den Thron erhoben und das Reich von allen Seiten durch furchtbare Feinde bedroht ward. Dennoch verlor Philipp den Muth nicht; er besaß Selbstvertrauen genug, alle seine Feinde überwinden zu können. Freilich war ihm auch jedes Mittel recht, wenn es nur zum Zwecke führte, und wenn er auf der einen Seite durch Klugheit, Tapferkeit und Feldherrntalent sich hervorthat, so war er auf der andern Seite nicht minder treulos und hinterlistig. Stets unterhielt er in den griechischen Städten für große Summen Verräther unter den Bürgern, die, durch seine Bestechungen gewonnen, die Freiheit ihres Vaterlandes an den fremden Eroberer verkauften.
Durch seine List und Klugheit schlug Philipp alle andern Thronbewerber aus dem Felde und sobald er allein König war, zog er aus gegen die Barbaren, die von Norden und Westen her das Reich bedrohten, und brachte ihnen blutige Niederlagen bei. In diesen Kriegen bildete er sich ein geübtes und furchtbares Heer, das er unüberwindlich machte durch die eigenthümliche Schlachtordnung, welche er von Epaminondas erlernt und dann selber noch verbessert hatte. Diese Schlachtordnung wurde
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bte macebomsche Phalanx genannt; 8000 Mann schwerbewaffnete Krieger stauben 16 Reihen tief hinter einanber unb bte fünf ersten ©lieber hielten ihre 14 bis 16 Fuß langen Speere vor; bte Masse hatte bas Ansehen eines Keiles unb bitbete einen unburchbrtnglichen Walb von Speeren.
Vor Allem suchte Philipp bie griechischen Pflanzstäbte an ber mace-bDruschen unb thrarischen Küste zu unterwerfen; er nahm Arnphipolis, besetzte Pybna unb entriß bie Stabt Krenibes ben Thasiern; biefe Stabt befestigte er stark unb nannte sie Philippi. Mit ihr fielen auch bie reichen ©olbbergwerke am Pangäus in feine Hänbe; er ließ biefe Minen so eifrig bearbeiten, baß sie ihm jährlich tausenb Talente eintrugen. So gewann er Gelb für bie zahlreichen Bestechungen, burch welche er sich in ben griechischen Stabten Verrather erkaufte. Sein Grunbfatz war: feine Mauer fei so hoch, baß nicht ein mit ©olb Mabener Esel hinüber schreiten könnte.
Denn Philipp, nicht zufrieben mit feinem Königreiche Macebonicn, hatte es sich zur Aufgabe feines Lebens gemacht, bie burch Zwietracht unb Sittenverberbniß zerrütteten griechischen Staaten zu unterwerfen. Um biefes Ziel zu erreichen, hatte er sich bereits bie Freuubfchast ber Thef-falier erworben, bie er gegen bie Anmaßungen bes herrschsüchtigen Tyrannen von Pherä, ber ganz Thessalien zu unterjochen brohte, schützte. So war ihm ber Durchzug burch Thessalien nach bem eigentlichen ©riechen* lanb gesichert unb er wartete nur auf eine günstige Gelegenheit, sich in bie Angelegenheiten biefes Lanbes zu mischen. Die Veranlassung fanb sich Mb.
Die Phocier, in beren Gebiet bie heilige Stabt Delphi lag, berühmt burch ben Tempel unb das Orakel bes Apollo, hatten einen bem Apollo geweihten Lanbstrich bebaut. Für biefes Vergehen warb ihnen eine schwere ©elbstrafe auferlegt, bie sie nicht bezahlen konnten. Die schon lange ben Phociern feinblich gesinnten Thebaner begannen nun ben Krieg, welcher ber „heilige" genannt toarb, weil bie Befchützung bes bem Gotte geheiligten Lanbes ben Vorwanb bazu gab. Die Phocier, bie sehr arm waren, überfielen aus Verzweiflung ben betphifchen Tempel unb verwanbten bie geraubten Tempelschatze zur Anwerbung von Sölbnerheeren. Vier Felb-herren stellten sich nach einanber an ihre Spitze unb führten ben Krieg nicht ohne Glück. Bis nach Thessalien brangett bie siegreichen Phocier vor, bie Theffalier aber riefen ben Philipp zu Hülfe. Er erschien unb schlug bie Phocier in einem großen Treffen. Gern wäre er schort jetzt burch bie Thermopylen nach Griechenland vorgebruugen, allein hier traf er auf ein athenisches Heer unb mußte für biesmal feinen Plan noch ausschieden. Dafür eroberte unb zerstörte er im folgenben Jahre (347) bie von ben Athenern unterstützte Stabt Olynth auf der Halbinsel Chalcibice.
2.
Die Griechen in ihrer Verblenbung hielten ben kleinen nordischen König für gar nicht gefährlich; aber Ein Mann burchfchaute früh ben
förut e, Geschichtsbilder. I. 10
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Plan Philipp's, ganz Griechenland unter seine Botmäßigkeit zu bringen, und erhob sich mit aller seiner Kraft, seine Mitbürger vor dem gefährlichen Feinde zu warnen. Dieser brave Grieche hieß Demosthenes. Er war der Sohn eines Waffenschmieds in Athen und ließ selbst noch dieses Geschäft durch Sklaven betreiben. Seinen Vater verlor er schon als siebenjähriger Knabe. Da er schwächlich und kränklich war, konnte er an den Leibesübungen der übrigen Knaben nicht theilnehmen und mußte deshalb manchen Spott über sich ergehen lassen. Niemand ahnte damals in ihm den künftigen großen Redner, denn er besaß eine schwache Brust und stotterte, konnte auch das R nicht aussprechen. Einst hatte er eine Rede des Redners Kallistratos gehört und war von derselben so ergriffen worden, daß er den Entschluß faßte, selber die Kunst der Beredtsamkeit zu studiren. Er las nun mit dem größten Fleiß die Werke der griechischen Schriftsteller, um sich ihre Darstellungsweise anzueignen und ein großes Werk, die Geschichte des Thucydides, schrieb er achtmal ab. Auch hörte er den berühmten Weisen Plato und den Redner Jsäos.
Zuerst trat er mit einer Anklage gegen seine Vormünder aus, die ihn durch ihren Eigennutz um sein Vermögen gebracht hatten. Er gewann den Prozeß, erhielt aber nur einen kleinen Theil seines veruntreueten Geldes zurück. Nun wagte er es, auch öffentlich vor dem athenischen Volke aufzutreten, aber seine Rede wurde ausgepfiffen und verlacht. Dasselbe Schicksal hatte er auch bei einem zweiten Versuche. Voll Verdruß und Mißmuth lief er nach Hause und beklagte sich bei seinem Freunde Satyros, der ein Schauspieler war, bitter über die Ungerechtigkeit des Volkes, das so viele ungebildete Menschen gern höre und ihn, der allen Eifer auf die Beredtsamkeit verwandt habe, so schmählich behandele. „Du hast Recht," sagte Satyros, „doch ist vielleicht dem Uebel abzuhelfen, wenn du mir eine Stelle aus dem Sophokles oder Euripides hersagen willst." Demosthenes that es und nun wiederholte der Schauspieler dieselbe Stelle mit einem so lebendigen Vortrage und ausdrucksvollen Mienenspiele, daß Demosthenes eine ganz andere Stelle zu hören glaubte. Da sah er ein, daß ihm noch Vieles fehle, und ohne sich abschrecken zu lassen, ging er nun mit verdoppeltem Fleiß an seine Ausbildung.
Um seine Stimme zu stärken, begab er sich an die Meeresküste und suchte das Tosen der an die Ufer schlagenden Wellen zu überschreien. Dann nahm er Kieselsteine in den Mund und versuchte dennoch deutlich zu reden; er ging steile Berge hinan und sagte dabei Reden her, um feinen Athem zu stärken. Um sich längere Zeit den Ausgang unter das Volk zu versperren, schor er sich das Haupt auf einer Seite. Während dieser freiwilligen Verbannung übte er sich in einem unterirdischen Gemache vor dem Spiegel in der Haltung des Körpers und im Mienenspiel. Nach solchen Vorübungen trat er von Neuem vor dem Volke auf und jetzt erntete er allgemeinen Beifall. Was das Aeußere der Beredtsamkeit betrifft, hat kein Mann schlechtere Anlagen zum Redner gehabt, als De-
mosthenes, und keiner ist so berühmt und so vollkommen gewesen, als der größte Redner Demosthenes.
Seine mit so heldenmüthiger Anstrengung errungene Kunst weihete Demosthenes ganz dem Wohle seines Vaterlandes. Schon waren die Griechen sittlich verdorben; aber mit unermüdlichem Eifer suchte Demosthenes den alten Muth und die alte Tugend wieder in dem leichtsinnigen Volke anzufachen; er erinnerte die Athener an die Heldenthaten des Mil-tiades und Themistokles, ermahnte sie, nicht ihren Nacken dem Unterdrücker zu beugen, nicht die Beschützung ihrer Freiheit gemietheten Söldlingen zu überlassen. Er forderte die Reichen auf, Beisteuern zum Kriege zu geben uno der trägen Ruhe und Bequemlichkeit zu entsagen. Leider hatten aber die besten und begeistertsten Reden des trefflichen Mannes wenig Erfolg, denn es gab in Athen nicht blos viel verdorbenes Volk, sondern auch unter den bessern Bürgern Viele, die an der Rettung des Vaterlandes verzweifelten und den Frieden mit dem macedonischen Könige um jeden Preis erhalten wollten. Diese Ansicht theilte auch Phocion und wurde deshalb einer der Gegner des Demosthenes.
Phocion soll der Sohn eines Löffelmachers gewesen sein. Sein Leben lang w.ar er in großer Armuth und zeigte in seinem ganzen Wesen einen tiefen Ernst, denn Niemand sah ihn je lachen oder weinen. Nie besuchte er ein öffentliches Bad, und er hielt stets die Hände unter dem Mantel verborgen, was bei den Griechen für ein Zeichen des Anstandes galt. Auf den Feldzügen ging er stets unbeschuht uud leicht gekleidet, so daß die Kriegsleute es für ein Zeichen eines strengen Winters hielten, wenn er davon eine Ausnahme machte. Sein Aeußeres war finster und mürrisch, weshalb auch Niemand seinen Umgang suchte. Als ein Spaßmacher einst seine finstere Miene verspottete und die Athener ein Gelächter erhoben, sagte er: „Meine Miene hat noch Niemand ein Leid zugefügt, aber das Gelächter dieser Umstehenden hat dem Staat schon viele Thränen verursacht!" Ungeachtet seiner Armuth nahm er nie Geschenke an, und macedonische Boten, welche ihm ein Geschenk von hundert Talenten überbringen wollten, kamen eben dazu, wie seine Frau den Brodteig knetete und er selber das Wasser hinzutrug. In Phocion's Hause herrschte die größte Einfachheit; die Athener nannten ihn den „Rechtschaffenen". Während Demosthenes zum Krieg gegen Philipp rieth, ermahnte Phocion stets in kurzen, aber scharfen Ausdrücken zum Frieden. Wenn sich Phocion erhob, pflegte Demosthenes heimlich zu seinen Freunden zu sagen: „Das Beil meiner Reden ist da!" Und dieses Beil fürchtete Demosthenes mehr, als alle übrigen athenischen Redner. Als sie einst mit ihren verschiedenen Meinungen heftig an einander geriethen, rief Demosthenes unwillig aus: „Phocion, die Athener werden dich todten, wenn sie rasend werden!" — „Und dich" — antwortete Phocion, „wenn sie bei Verstände lind!" Da Phocion den Athenern ihre Fehler, namentlich ihren Leicht* sinn, mit bitterem Ladet vorwarf, so muA" er dann auch gewöhnlich hören, wie seine Vorschläge verworfen wurden. Als einmal seine Worte
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Beifall fanden, verwunderte er sich sehr und rief: „Habe ich vielleicht etwas Dummes gesagt?" Im Jahr 318 v. Chr. ward Phocion von den Athenern der Verrätherei angeklagt und er mußte den Giftbecher trinken. Als einer seiner Freunde sagte: „Welch unwürdiges Schicksal trifft dich, o Phocion!" antwortete er ruhig: „Aber kein unerwartetes, denn es hat noch alle großen Athener betroffen!"
3.
Während Philipp seine Eroberungen in Jllyrien und Thracien immer weiter ausdehnte, wurde von den Griechen der heilige Krieg mit der größten Erbitterung fortgesetzt. Die Phocier hatten die letzten Tempelschätze weggenommen, um Söldner anzuwerben, und die Thebaner sahen sich wiederholt genöthigt, den König Philipp um Hülfe anzusprechen. Philipp wußte die Athener durch listige Unterhandlungen zu täuschen und durch glänzende Versprechungen zu bethören; dann zog er durch die Thermo-pylen gegen die unglücklichen Phocier, deren Städte, zwanzig an der Zahl, von den siegreichen Macedoniern mit schrecklicher Grausamkeit zerstört wurden.
Philipp war übrigens klug genug, für den Augenblick sich wieder zurückzuziehen; nur den Paß von Thermopylä hielt er besetzt. Listig wartete er auf eine neue Gelegenheit, wo er sich wieder in die griechischen Händel mischen konnte, und seine Boten wanderten unterdeß von einer griechischen Stadt in die andere, um die einflußreichsten Männer zu bestechen. Der bekannteste unter denen, die schlecht genug waren, ihr Vaterland zu verrathen, ist der athenische Redner Aeschines. Dieser und Andere seines Schlages bewirkten, daß bald wieder ein heiliger Krieg beschlossen wurde gegen die Einwohner der Stadt Amphissa in Lokris, welche die dem Apoll geheiligte Ebene von Krisa angebauet hatten. Auf den Rath des bestochenen Aeschines ward Philipp sogar zum Oberfeldherrn ernannt (337).
Zwar gelang es den Bemühungen des Demosthenes, die Athener zu bewaffnen; doch konnten diese nicht hindern, daß Philipp Amphissa eroberte und dann auch noch Elatea in Lokris besetzte. Nun hatte der Macedomer festen Fuß in Lokris gefaßt, und der Uebergang nach Böotien war leicht.
Jetzt ward es den Athenern klar, daß ihnen im folgenden Jahre der Entscheidungskampf um ihre Freiheit bevorstände. Mit rastlosem Feuereifer ermahnte Demosthenes seine Landsleute zur Eintracht und zum Kampfe gegen den gemeinsamen Feind. Die Thebaner, welche auch die Gefahr erkannten, verbanden sich mit den Athenern, und im I. 338 v. Chr. zog das vereinigte Griechenheer nach Böotien in die Ebene von Chäronea, den Macedoniern entgegen. Philipp stand den Athenern, sein achtzehnjähriger Sohn Alexander den Thebanern gegenüber. Tapfer fochten die Griechen, aber die heilige Schaar der Thebaner, 400 Mann stark, ward
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niedergehauen, die Athener wichen bem Andränge der macedonischenPhalanx und bald war die Flucht des Griechenheeres allgemein.
Selten mag sich ein Feldherr so gefreuet haben, wie Philipp über den glänzenden Sieg von Chäronea. Aber zu seinem Ruhme gereicht es, daß er große Mäßigung und wirklichen Edelmuth zeigte. Als man ihm rieth, Athen zu zerstören, wies er diesen Vorschlag mit den Worten zurück: „Wie, ich habe so Vieles für den Ruhm gethan, und sollte jetzt den Scharrplatz des Ruhmes zerstören?" Freilich verlor Athen den Chersonnes, fast alle Inseln und seine Herrschaft zur See, aber es bekam doch keine macedo-nische Besatzung. Strenger wurden die Thebaner behandelt, weil diese es Anfangs mit Sparta gehalten hatten. Ihre Burg Kadmea ward von Macedoniern besetzt, ihre Stadt unter den Befehl von 300 macedonisch gesinnten Truppen gestellt, und viele Feinde Philipp's wurden verbannt oder hingerichtet. Theben war nur kurze Zeit mächtig gewesen, und Pelopidas und Epaminondas hatten vergeblich gearbeitet.
Philipp wollte die Kraft der Griechen nicht brechen, er wollte sie vielmehr gebrauchen zum Feldzuge gegen das persische Reich in Asien. Darum bewies er so viel Schonung und Milde, als nur möglich, damit die Griechen die Alleinherrschaft eines Königs erträglich finden möchten. Als in Korinth eine allgemeine Versammlung von Abgeordneten aus den verschiedenen Staaten Griechenlands gehalten wurde, wählte man ihn einstimmig (337) zum Oberanführer gegen die Perser, die wegen ihrer früheren Einfälle in Griechenland gezüchtigt werden sollten. Nur Sparta wollte nichts von dem Fremdlinge wissen und verweigerte jede Unterstützung. Zornig schrieb ihnen Philipp: „Wenn ich nach Sparta komme, soll kein Einziger von Euch im Lande bleiben!" — „Wenrt!" schrieben ihm die Spartaner zurück, und sonst kein Wort. Philipp ließ vorerst seinen Streit mit Sparta ruhen und rüstete sich gegen die Perser. Als er in Maeedonien noch die Hochzeit seiner Tochter feierte, ward er von Pau-sanias, einem Befehlshaber seiner Leibwache, ermordet. Der Mörder ward ergriffen und hingerichtet, er hatte in einer Streitsache vom Könige nicht Recht bekommen und aus Rache die Uebelthat verübt.
Philipp hatte noch kurz zuvor das delphische Orakel über seinen Feldzug nach Asien befragt und die Antwort erhalten:
„Siehe, der Stier ist bekränzt, sein Ende da, nahe der Opfrer."
Diesen Spruch bezog der König auf die Perser; nun aber war er selber das Opfer, das durch die Hand eines Meuchelmörders fiel.
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IX. Alexander der Große*).
1.
Philipp's Tod machte nur einem noch Größeren Platz, reinem Sohne
Alexander.
Alexander war ein Prinz von den vortrefflichsten Anlagen. Seinern Vater lag nichts mehr am Herzen, als diese durch allerlei Leibesübungen und durch emen guten Unterricht aus das Beste auszubilden. Er berief deshalb den Griechen Aristoteles, den ausgezeichnetsten Weisen damaliger Zeit, an seinen Hof, um die Erziehung seines hoffnungsvollen Sohnes zu übernehmen. „Ich freue mich," — schrieb er dem Aristoteles, — „daß das Kind geboren ist, während du lebst, um es zu unterrichten und zu einem guten Könige bilden zu können." Nie hat ein größerer Erzieher einen größeren Zögling gehabt. Alexander hing aber auch mit ganzer Seele an seinem Lehrer.
Schon früh sehnte sich des Knaben Herz nach hohen ruhmwürdigen Dingen. Ueber die ganze Welt wünschte er König und der alleinige Besitzer aller menschlichen Kenntnisse zu sein. Selbst seinen Vater beneidete er wegen feiner Thaten. So oft die Siegesboten die Nachricht brachten, Philipp habe diese oder jene Stadt eingenommen, dieses oder jenes Volk bezwungen, so wurde der Kleine traurig und sagte mit Thränen in den Augen: „Ach, mein Vater wird noch die ganze Welt erobern und mir nichts zu thun übrig lassen!" — Am liebsten hörte er es, wenn seine Lehrer ihm von den Großthaten der alten Helden, von Krieg und Schlachten erzählten. Homer war deshalb sein Lieblingsbuch. Ein Held zu sein wie Achilles, war sein größter Wunsch; aber auch so schön besungen zu werden, war sein Verlangen. Die homerischen Gesänge waren ihm so lieb geworden, daß er sie des Nachts unter sein Kopfkissen legte, um darin lesen zu können, sobald er erwachte. Auch auf seinen Feldzügen trug er das Buch bei sich und bewahrte es in einem goldenen Kästchen. Wie der Held Achilles, so war auch er ein Meister in allen körperlichen Uebungen, vorzüglich in der Behendigkeit. „Willst du denn nicht" — fragten ihn einst seine jungen Freunde — „bei den öffentlichen Wettkämpfen der Griechen mit um den Preis laufen?" „O ja." versetzt' er stolz, „wenn Könige mit mir um die Wette laufen." Einst wurde seinem Vater ein prächtiges, aber sehr wildes Streitroß, Bucephalus genannt, für den ungeheuren Preis von dreizehn Talenten (10,000 Thaler) angeboten. Die besten Reiter versuchten ihre Kunst an demselben, aber feinen ließ es aufsitzen. Der König befahl, das Thier wieder wegzuführen, da es doch kein Mensch gebrauchen könne. Da bat Alexander,
*) Nach Th. Weiter.
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daß man ihn noch einen Versuch machen lasse. Mit stolzer Zuversicht näherte er sich dem Pferde, griff es beim Zügel und führte es gegen die Sonne. Denn er hatte bemerkt, daß es vor seinem Schatten sich scheuete. Dann streichelte und liebkosete er es und ließ heimlich seinen Mantel fallen. Ein Sprung jetzt und der Jüngling sitzt oben. Pfeilschnell fliegt mit ihm das Pferd dahin! Philipp und alle Umstehenden zittern für das Leben des Kühnen. Wie er aber frohlockend umlenkt und das Roß bald rechts, bald links, so ganz nach Willkür tummelt, als sei es das zahmste Thier von der Welt, da erstaunten Alle. Philipp weint vor Freuden und umarmt Alexander mit den Worten: „Mein Sohn, suche dir ein andres Königreich, Makedonien ist zu klein für dich!" — Persische Gesandte, welche den Knaben in Macedonien sahen, erstaunten und fürchteten sich schon vor der Kraft und Macht seines künftigen Reichs.
Achtzehn Jahre alt, focht er tapfer mit in der Schlacht von Chä-ronea, in welcher die Griechenstämme unterlagen. Der Sieg war hauptsächlich sein Werk. In seinem 20. Jahre wurde er König. Schwer war für den jungen Herrscher der Anfang seiner Regierung. Rings umher standen die unterjochten Völker wieder auf; Alle gedachten der Freiheit. Die Athener spotteten des jungen Macedoniers, nannten ihn bald einen Knaben, bald einen unerfahrenen Jüngling, von dem nichts zu fürchten sei. „Unter den Mauern Athens," — sprach Alexander, — „werde ich ihnen schon zeigen, daß ich ein Mann bin!" Sogleich brach er mit seinem Heere auf. Das wirkte; Alles huldigte ihm. Jetzt eilte er zurück und unterwarf sich unter harten Kämpfen die Völker im Norden und Westen. Plötzlich verbreitete sich das Gerücht, Alexander sei umgekommen. Da war ein Jubel in ganz Griechenland, denn die macedonische Oberherrschaft war den freiheitslustigen Griechen verhaßt. Feste wurden gefeiert und Opfer gebracht, die Thebaner tödteten sogar den macedonischen Befehlshaber in ihrer Stadt und verjagten die Besatzung. Aber blitzschnell stand Alexander vor ihren Thoren und zeigte ihnen, daß er noch lebe. Denn als sie ihm auf seine Aufforderung, sich zu unterwerfen, eine kecke Antwort gaben, nahm er mit stürmender Hand die Stadt und zerstörte sie von Grund aus. Nur das Haus des Dichters Pin dar verschonte er, weil dieser in so schönen Liedern die Sieger in den griechischen Kampffpielen besungen hatte.
Ein so fürchterliches Beispiel der Strenge verbreitete Schrecken über ganz Griechenland; Alle beugten sich vor dem gewaltigen Sieger und gelobten Gehorsam. Alexander verzieh Allen und ging nach Korinth, um sich dort, wo eine allgemeine Griechenversammlung gehalten wurde, gleich seinem Vater zum Oberanführer der Griechen gegen die Perser ernennen zu lassen. Die Spartaner waren die einzigen, die von seiner Befehlsherrschaft nichts wissen wollten. „Wir sind gewohnt," — ließen sie ihm sagen — „Andere zu führen, aber nicht uns führen zu lassen." Sie nahmen keinen Theil an dem Zuge.
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2.
Zu Korinth lebte damals ein sehr weiser, aber auch ein sehr sonderbarer Mann, Namens Diogenes. Den Grundsatz, der Mensch müsse so wenig als möglich bedürfen, trieb er in's Lächerliche. Er trug einen langen Bart, einen zerrissenen Mantel, einen alten Ranzen auf dem Rücken und wohnte in einer Tonne. Wenn Alexander Alles, so wollte Diogenes Nichts besitzen, und warf sogar sein Trinkgeschirr entzwei, als er sich überzeugte, daß man aus der hohlen Hand trinken könne.
Alexander hatte Lust, den Sonderling zu sehen und ging, von einem glänzenden Zuge begleitet, zu thut. Er saß gerade vor seiner Tonne und sonnte sich. Als er die Menge Menschen auf sich zukommen sah, richtete er sich ein wenig auf. Alexander grüßte ihn freundlich, unterredete sich lange mit ihm und fand seine Antworten sehr geistreich. Zuletzt fragte er ihn: „Kann ich dir eine Gunst erweisen?" „O ja," — versetzte Diogenes, — „geh' mir ein wenig aus der Sonne!" Hierüber erhoben die Begleiter Alexanders ein lautes Hohngelächter; Alexander aber wendete sich um und sagte: „Wenn ich nicht Alexander wäre, möchte ich wohl Diogenes sein!"
Auch die Künstler besuchte Alexander fleißig; denn durch griechische Maler, Bildhauer und Steinschneider hoffte er verewigt zu werden. Er zeigte sich aber in allen diesen Dingen, die er nicht verstand, zuweilen etwas vorlaut, und mußte dann manchen Spott verschlucken. Einst tadelte er an einem Gemälde die unrichtige Zeichnung des Pferdes, und befahl, sein Pferd selbst zur Vergleichung herbeizuführen. Es kam und wieherte sogleich dem gemalten entgegen. „Sieh da!" sagte der Maler, „dein Pferd versteht sich besser auf die Kunst als du." — Als der junge König ein andermal mit viel Anmaßung und wenig Kenntniß über Gemälde urtheilte, stieß ihn der Meister Apelles an und sagte: „Höre doch aus, Alexander! Sieh nur, wie die Jungen dort lachen, die mir die Farbe reiben."
3.
In seinem dreiundzwanzigsten Jahre — es war im Frühlinge des Jahres 334 — brach Alexander mit dem Heere der verbundenen Griechen und Macedonier nach Persien aus. Seinen Feldherrn Antipater ließ er als Statthalter in Macedonien zurück, um die feindlich gesinnten Völker, besonders die Spartaner, in Schrecken zu erhalten. Er selbst setzte bei Sesttts über den Hellespont (die jetzige Meerenge der Dardanellen), sprang in voller Rüstung zuerst an's Ufer von Asien, und rief freudig aus: „Mein ist Asien, es werde nicht verheert, ich nehme es als erobert in Besitz!" Auf dem Schlachtfelde von Troja besuchte er die Grabmale der alten Helden, besonders das des Achilles. Er schmückte dasselbe mit Blumen und wünschte nichts mehr, als daß einst ein Dichter wie Homer auch seine Thaten durch Gesänge verherrlichen möge. „O glücklicher Achilles," rief er, — „der du im Leben einen treuen Freund, und im Tode einen
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Sänger deiner Thaten gefunden hast!" Hephästion, der Freund Alexan-Der's, bekränzte Patroklus' Grabmal. Dann ging's weiter bis nach dem kleinen Flusse Granikus, jetzt Ouswola genannt. An dem jenseitigen Ufer entlang stand ein großes persisches Heer, unter Anführung mehrerer Satrapen (Statthalter), um den Macebontern den Uebergang zu verwehren. Alexander hielt Kriegsrath. Sein erfahrener Feldherr Parmenio riech, den Abzug der Feinde abzuwarten. „Der Hellespont würde sich ja schämen müssen," — ries Alexander, — „wenn wir uns vor diesem Flüßchen fürchteten!" Er sprang hinein, seine Macedonier ihm nach, die Tapferen wateten durch, griffen an und schlugen die Perser in die Flucht. Im Getümmel der Schlacht wäre der allzukühne Heldenjüngling beinahe urn's Leben gekommen. Zwei persische Feldherren, die ihn an dem hochwallenden Federbusch auf dem blinkenden Helm erkannten, sprengten auf ihn los. Er vertheidigte sich tapfer, doch bekam er einen Hieb auf den Kopf, daß der Helm zersprang; und als er sich gegen den Hauenden wendete, hob schon der zweite Perser das Schwert zum Todesstreiche auf. Aber in diesem Augenblick eilte Klitus, ein braver Macedonier, herbei und schlug dem einen Perser mit einem fürchterlichen Hiebe Arm und Schwert zugleich zur Erde, während Alexander den andern niederstreckte.
Durch diesen Sieg ward er Herr von Kleinasien. Mit seinem jubelnden Heere eilte er von Stadt zu Stadt; welche sich ihm nicht freiwillig unterwarf, ward mit Sturm genommen. In Tarsus war sein Leben in Gefahr. Mitten durch die Stadt schlängelte sich der anmnthige Cydnus-tiach ,| dessen klares Wasser ihn zum Bade einlud. Mit Staub und Schweiß bedeckt stieg er hinein. Da überfiel ein plötzliches Zittern alle Glieder, er wurde leichenblaß und mußte aus dem Bade getragen werden. Die Aerzte gaben ihn auf; sie getrauten sich nicht, Etwas zu verordnen. Nur einer, Namens Philippus, entschloß sich, in dieser Noth ein gefährliches, aber entscheidendes Mittel zu gebrauchen. Der König war eben im Begriff, die ihm verordnete Arznei zu nehmen, als ein Brief von Parmenio anlangte mit der Warnung: „Traue dem Philippus nicht, er soll vom Perserkönig bestochen worden sein, dich zu vergiften." Der König gab den Brief ruhig an seinen Arzt, und während dieser ihn las, nahm er die Arznei. Sein edles Vertrauen ward durch eine schleunige. Genesung herrlich belohnt. Schon am dritten Tage stand er wieder an der Spitze seines, den geliebten Feldherrn jubelnd umringenden Heeres. Er drang durch die unbesetzten Engpässe Ciliciens und kam nach Issus. Hier, an der äußersten Küste, wo das mittelländische Meer sich nach Süden herunterzieht, stand der Perserkönig Darius Kodomannus mit einem Heere von 600,000 Mann zur Schlacht bereit. Wie eine schwere Gewitterwolke kam die macedonische Phalanx unverzagt herangezogen, so daß die Perser trotz ihrer Ueberzahl ein Grauen überfiel. Sie wichen nach dem ersten Angriff zurück; bald lösete sich das ganze Heer in wilde Flucht auf. Schrecklich war das Gemetzel; über 100,000 Perser blieben auf dem Platze. Darius' Wagen konnte wegen der Menge der
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um ihn gehäuften Leichen nicht von der Stelle gerückt werden. Er sprang hinaus, ließ Mantel, Schild und Bogen zurück, warf sich auf sein Pferd und jagte, ohne anzuhalten, Tag und Nacht fort. Seine Mutter, eine seiner Frauen, zwei Töchter und ein unmündiger Sohn fielen dem Sieger in die Hände. Sie brachen in lautes Wehklagen aus, weil sie glaubten, Darius sei erschlagen. Alexander aber tröstete sie und gab ihnen die Versicherung, daß Darius noch lebe. Er behandelte die hohen Gefangenen mit der größten Theilnahme und Hochachtung, gerade als wäre es die Familie eines Freundes. Als später Darius hiervon glaubhafte Nachricht erhielt, streckte er die Hände gen Himmel empor und rief: „Götter, erhaltet mir mein Reich, damit ich mich dankbar bezeigen kann; habt ihr aber den Untergang desselben beschlossen, so gebet es keinem Andern, als dem Alexander von Macedonien!"
4.
Die glorreiche Schlacht bei Jssus ward im Jahre 333 v. Chr. gewonnen. Nun zog der junge Held, unbekümmert um Darius, längs der Meeresküste nach Süden. Die einzelnen Städte unterwarfen sich ihm bereitwillig, weil sie sahen, wie äußerst gnädig der Sieger die eroberten Länder und Völker behandelte. Für die Widerspenstigen aber mußte das Unglück der Stadt Tyrus zur Warnung dienen. Die Bürger derselben versperrten ihm den Eingang und wehrten sich tapfer; aber nach einer Belagerung von 7 Monaten mußten sie sich ergeben und die reiche Handelsstadt wurde gänzlich zerstört.
Hierauf ward Palästina erobert und dann zog Alexander über die Landenge von Suez nach Aegypten. Er schiffte aus dem Nil hinunter bis nach Memphis; der Weg durch dieses Land glich einem Triumphzuge; des persischen Joches müde, empfingen alle frohlockend den Sieger. An einer der westlichen Nilmündungen gründete Alexander, als Ersatz für das zerstörte Tyrus, eine neue Handelsstadt, die nach seinem Namen Alexandria genannt und bald der Sitz des Welthandels wurde.
Westlich von Aegypten, in der großen libyschen Sandwüste, lag eine Oase, d. i. eine grüne, mit schattigen Palmen und Delbäumen besetzte , und wohlbewässerte Fläche, Ammonium genannt, das heutige ©iwah. Hier stand ein uralter Tempel des Jupiter Ammon. Die Priester dieses Gottes standen, gleich denen zu Delphi, im Ruse hoher Weisheit, als verkünde der Gott durch ihren Mund die Zukunft. Perseus, Herkules und andere Helden des Alterthums hatten, der Sage nach, hier hohe Weissagungen erhalten. Alexander, der kein geringerer Held sein wollte, als diese, unternahm den höchst mühsamen Weg dahin. Die beiden ersten Tagereisen ging es erträglich; aber solche Einöden hatte man noch nie gesehen. So wie es weiter in das Sandmeer hineinging, wurde die Hitze immer unerträglicher; kein Baum, kein grünes Plätzchen, keine Spur von Pflanzenleben war zu sehen. Der Wasservorrath, den die Kameele trugen, war erschöpft, und in dem glühenden Sande kein Tropfen zu finden.
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Zum Glück kam ein kleiner Regen, und gierig haschte man nach dieser Erquickung, indem man das Wasser, das vom Himmel fiel, mit dem Munde auffing. Man brauchte vier Tage, um die Wüste zu durchgehen. Als man dem Ziele der Fahrt nahete, diente ein Schwarm Raben Alexanders Heere zum Führer. Endlich langte er in der Oase an, kam zu dem in einem schattigen Haine erbauten Tempel und sah seinen Wunsch erfüllt. Die Priester erklärten ihn für einen Sohn Jupiter's.
5.
Nun wendete sich Alexander, nachdem er sein Heer wieder vollzählig gemacht hatte, nach Asten zurück, um abermals den Darius zu verfolgen. Non diesem kamen ihm unterwegs Gesandte entgegen, die eine ungeheure Summe als Lösegeld für die hohen Gefangenen, ferner die Hand der königlichen Tochter und endlich alles Land vom Euphrat bis zum Hellespont boten. „Was meinst du?" fragte Alexander den Parmenio. „Ich würde es thun, wenn ich Alexander wäre!" antwortete dieser. „Ich auch, wenn ich Parmenio wäre I" antwortete Alexander lächelnd. Er wies den Friedensantrag mit stolzer Verachtung zurück; doch versprach er dem Könige eine ehrenvolle Behandlung, wenn er zu ihm käme. Sonst würde er ihn aussuchen. Noch einmal wollte der bedrängte Perserkönig sein Glück versuchen, und er stellte feine Schaaren bei Gaugamela in Assyrien (nicht weit von Arbela) auf. Die macedonischen Feldherren waren betroffen über die große Zahl der Feinde, und riechen am Abend vor der Schlacht ihrem Könige, die Perser lieber in der Nacht anzugreifen. Alexander aber antwortete mit stolzer Zuversicht: „Nein, stehlen will ich den Sieg nicht!" — und ging mit größter Ruhe zum Schlaf. Am andern Morgen weckte ihn Parmenio und sprach verwundert: „Du schläfst so fest, o König, als ob du schon gesiegt hättest !" — „Und haben wir denn nicht gesiegt," war des Königs Antwort, „da wir endlich den Darius vor uns haben?" Der Kampf war sehr hitzig; die Perser fochten wie Verzweifelte, aber Alexanders Kriegskunst siegte.
Durch den Sieg bei Gaugamela wurde Alexander Herr des großen persischen Reichs. Ein wunderbarer Wechsel! Wer hätte 150 Jahre früher, zu den Zeiten des Miltiades und Themistokles, gedacht, daß einst das griechische Völkchen dem großen Perserreiche das Schicksal bereiten würde, welches die Perser den Griechen zu bereiten versuchten! An Widerstand war nun nicht mehr zu denken; die Soldaten Alexanders durchzogen das weite Perserland nach allen Richtungen und thaten sich gütlich. Die Beute, die sie in den alten Königsstädten Babylon, Susa, Persepolis und Ekbatana machten, war unermeßlich.
Unterdessen floh der unglückliche Darius, stets aufgejagt und verfolgt, von einem Orte zum andern. Beim Verfolgen kam einst Alexander mit seinem Heere selbst in große Gefahr. Er zog durch eine Sandwüste, die gar kein Wasser hatte. Endlich hatte ein Reiter Etwas aufgefunden unb brachte es im Helme seinem Könige. Als aber bieser sah, baß seine
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Krieger eben so wie er nach Wasser lechzten, sprach er: „Soll ich der Einzige sein, der trinkt?" und goß das Wasser auf die Erde. Als nun die Soldaten solche Enthaltsamkeit ihres Königs sahen, riefen sie begeistert: „Führe uns nur weiter, wir sind nicht müde, nicht durstig, auch nicht sterblich, wenn ein solcher König uns führt!"
Der flüchtige Darius ward endlich von seinem eigenen Statthalter in Baktrien — Bessus hieß der Treulose — gefangen genommen und fortgeführt. Dieser Elende ließ sich sogar zum Könige ausrufen. Das hörte Alexander und jagte sogleich mit einem Trupp Reiter ihm nach. Als der Verräther seine Verfolger in der Nähe witterte, versetzte er seinem Könige mehrere Dolchstiche und eilte dann mit seinen Leuten auf raschen Pferden davon. Alexanders Reiter fanden den Unglücklichen, mit Blut und Staub bedeckt, in den letzten Zügen. Er bat sie um einen Trunk Wassers, und ein Macedonier brachte ihm solches in einem Helme. Erquickt sprach der Unglückliche: „Freund, das ist das höchste meiner Leiden, daß ich die Wohlthat dir nicht vergelten kann: doch Alexander wird sie dir vergelten. Ihn mögen die Götter für die Großmuth belohnen, die er an meiner Mutter, meiner.Gemahlin und meinen Kindern geübt hat. Hier reiche ich ihm durch- dich meine Hand." Nach diesen Worten verschied er. Eben jetzt kam Alexander selbst herangesprengt. Gerührt betrachtete er die Leiche des Mannes, den er, ohne ihn zu hassen, so eifrig verfolgte, und ohne es zu wollen, so unglücklich gemacht hatte. Er breitete seinen Mantel über ihn aus und ließ ihn nach Persepolis bringen, wo er in der königlichen Gruft feierlich beigesetzt wurde. Dann brach er schnell wieder auf, um den schändlichen Mörder zu verfolgen, und ruhete nicht eher, bis er seiner habhaft wurde. Bessus ward hingerichtet.
An der Spitze des frohlockenden Heeres zog nun Alexander durch Arien, Hyrkanien, Baktrien und Sogdiana; es war ein ununterbrochener Triumphzug. Die Soldaten konnten ihre reiche Beute gar nicht mehr tragen, und hätten Ruhe gewünscht. Als sie gar kein Ende des Kriegszuges absahen, wurden sie unwillig und murrten laut. Alexander gefiel sich so sehr in Persien, daß es gar nicht den Anschein hatte, als wolle er wieder nach Macedonien zurückkehren. Er verheirathete sich mit einer Perserin, ließ sich auf morgenländische Weise bedienen, forderte, daß man nach morgenländischer Art sich vor ihm niederwerfen sollte, kleidete sich auch wie ein Perser. Ja, er wurde selbst grausam, wie ein Despot, und hörte es gern, wenn man ihm über alle Maßen schmeichelte. Als einst bei einem Schmause die Rede auf die Helden des Alterthums kam, sagten die Schmeichler, sie wären Alle nichts gegen die Heldenthaten des großen Alexander. NurMitus gestand freimüthig, daß ihn doch sein Vater Philipp übertreffe. Da erhob sich Alexander finster von seinem Sitze; sein Auge funkelte vor Zorn, Alle zitterten für das Leben des Klitus, und man führte diesen eiligst hinaus. Doch vergebens gewarnt, trat er wieder ein und behauptete noch kräftiger die Wahrheit seiner Aussage. Da svrang Alexander wüthend von seinem Sitze, riß einem Trabanten die
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Lanze aus der Hand und durchbohrte ben, der ihm am Granikus das Leben gerettet hatte. Kaum war aber bie blutige That geschehen, so kam er wieder zur Besinnung. Er entsetzte sich, weinte laut unb rief unaufhörlich : „Klitus, Klitus!" Er verwünschte sein eigenes Leben, und verschloß sich, ohne bas Mindeste zu genießen, brei Tage unb drei Nächte in seinem Zelte. Seine Solbaten würben unruhig unb jammerten: „Wer wirb uns wieber in unser Vaterlanb zurückführen, wenn Alexander nicht mehr ist!" Endlich drangen die Freunde Alexanders in sein Zelt, trösteten ihn, der Tod des Klitus sei von den Göttern so bestimmt gewesen, und baten, daß er dem trauernden Heere sich zeige. Da kam er wieder hervor, aber seine Reue war kurz, sein Uebermuth blieb. Er wollte wie ein Gott verehrt sein.
6.
An eine Rückkehr war aber noch nicht zu denken; immer weiter nach Osten ging der Zug, auch die reichen Goldländer Indiens wollte Alexander erobern, ja, bis an's Ende der bekannten Erde vordringen. Indien war allerdings ein sehr reiches, gesegnetes Land und sehr bevölkert. Die Bewohner, gleich den Aegyptern in Kasten getheilt, unter denen die Priester und Gelehrten, Br am inen genannt, die vornehmste Kaste waren, erfreuten sich hoher Bildung. Sie gehorchten mehreren Königen und Fürsten. Mehrere derselben kamen ihm mit Geschenken entgegen, als er über den Jndusstrorn setzte. Alexander rückte weiter vor bis an den Hy das-pes, jetzt Dschilum genannt. Hier fand er Widerstand. Am jenseitigen Ufer stand der König Porus mit einem großen Heere, um ihm den Uebergang über den reißenden Fluß zu versperren. In einer schauerlichen Nacht, während es donnerte und blitzte und der Regen in Strömen floß, setzte der kühne Held über und schlug das Heer des Porus in die Flucht. Porus kämpfte wie ein Löwe und war der Letzte, welcher das Schlachtfeld verließ. Von Wunden erschöpft, ergab er sich dem Alexander. Dieser ging ihm entgegen, verwunderte sich über seine Größe, über seine Schönheit unb sein edles Benehmen, unb fragte ihn: „Wie willst bu behanbelt sein?" „Wie ein König!" erwieberte Porus. „Verlangst bu sonst nichts von mir?" fragte Alexander weiter. „Sonst nichts," — war die Antwort — „Jenes begreift schon Alles in sich!" Sein Verlangen ward ihm mehr als erfüllt; er bekam nicht nur sein ganzes Königreich wieder, sondern auch mehrere neue Besitzungen zu demselben.
Die Nachbarvölker, durch die Niederlage des Porus erschreckt, verließen ihr Land und flohen bestürzt über den Hyphasis, jetzt Bejahs genannt. Auch über diesen Fluß wollte Alexander setzen. Da aber wurden seine Macebonier unruhig unb empörten sich. Sie waren es endlich miibe, sich unaufhörlich von einem Volke auf das andere Hetzen zu lassen; sie sehnten sich nach der Heiinath, von welcher sie über 600 Meilen entfernt waren. Alexander wollte sie aufmuntern. Vergebens! Es erhob sich ein dumpfes Gemurmel; Manche weinten. Da sprach der König erzürnt: „Ich werde weiter ziehen, und es werden sich noch genug finden,
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tue mich begleiten; wer nicht will, der kehre um und verkündige daheim, daß er seinen König verlassen hat!" Dann verschloß er sich drei Tage lang in seinem Zelte, und Keiner durfte ihm vor die Augen kommen. Als er aber merkte, daß das Heer bei seinem Vorsatze blieb, erklärte er, daß er mit ihnen umkehren wolle. Da erscholl ein jauchzendes Freudengeschrei aus dem ganzen Lager. Alle drängten sich um ihren König, ihm zu danken. Heitere Waffenspiele wurden angestellt, große Opfer gebracht. Zum Andenken erbaute man zwölf thurmhohe Altäre auf der Stelle der Umkehr.
Der größte Theil des Heeres schiffte sich über den Indus nach dem indischen Ocean ein, um von dort in den persischen Meerbusen zu segeln, und so den Seeweg nach Indien zu erforschen. Alexander selbst kehrte mit dem übrigen Theile seines Heeres unter unsäglichen Beschwerden durch die Sandsteppen von Gedrosien und Karmanien zurück nach Babylon, wo er wieder mit seinen eingeschifften Kriegsleuten zusammentraf. Babylon sollte die Hauptstadt seines Weltreichs werden, denn er hatte vor, alle unterworfenen Völker zu einem einzigen großen Reiche zu vereinigen und dieses auf die höchste Stufe menschlicher Bildung zu bringen.' Aber mitten in seinen großen Entwürfen erkrankte er; die vielen Anstrengungen, aber auch das schwelgerische Leben, dem er sich ergeben hatte, stürzten ihn in ein hitziges Fieber, das nicht mehr zu heilen war. Seine Feldherren standen trauernd an seinem Krankenlager und reichten ihm die Hand. Er Hot) den Kopf etwas in die Höhe, sah jeden bedeutungsvoll an und sprach: „Ich ahne, es werden nach meinem Tode blutige Kämpfe erfolgen." Man fragte den Sterbenden, wen er zu seinem Nachfolger bestimme, denn er selbst hatte keine Kinder. Er antwortete: „den Würdigsten." Hierauf verschied er, in einem Alter von dreiunddreißig Jahren, nachdem er nur 12 Jahre 8 Monate regiert hatte. Sein früher Tod war ein unersetzlicher Verlust für die Menschheit, denn er hinterließ eine Welt in Trümmern.
Sechster Abschnitt.
A. Rom unter Königen.
(753—510 v. Chr.)
I. Romulus und Numa Pompilius.*)
R o m u l u s.
1. Romulus und Remus.
9ta(h der Zerstörung Troja's flüchtete sich Aeneas mit den ©einigen nach Italien und landete an der Tibermündung in der Landschaft Latium. Dort bei den Latinern gründete Ascanius, des Aeneas Sohn, die Stadt Albalonga, welche bald die Hauptstadt eines kleinen Reichs wurde, aus dem die stolze, weltbeherrschende Roma hervorgehen sollte.
Dreihundert und sechzig Jahre hatten schon Könige in Albalonga geherrscht, da geschah es, daß der König Prokas starb und zwei Söhne hinterließ, Numitor und Amulius. Der ältere, Numitor, war gutmüthig und sanft; der jüngere, Amulius, ehrsüchtig und rauh; der stieß seinen Bruder Numitor vom Throne. Damtt aber auch Numitor's Sohn nicht einstmals sein Recht von dem herrischen Oheim zurückfordern möchte, ließ dieser ihn ermorden und zugleich die Tochter des Numitor, Rhea Sylvia, zur V e st a l i n weihen. Die vestalischen Jungfrauen waren die Priesterinnen der Göttin Vesta und durften nie heirathen. So vermeinte Amulius sicher zu sein, daß keine Nachkommenschaft des Numitor ihm gefährlich sein würde. Nun trug sich's aber zu, daß eines Tags die Jungfrau im heiligen Hain des Kriegsgottes Mars Wasser schöpfte, als plötzlich der Sonne Licht erlosch und ein Wolf sie in eine Höhle verscheuchte, wo sie der Gott Mars sträflich umarmte. Bei Todesstrafe durfte feine Vestalin mit einem Manne zusammenkommen, doch die That war einmal geschehen, und Rhea Sylvia gebar Zwillingsknaben, den Romulus und R emus. Darüber erschrak der Oheim und befahl, die Mutter in s Gefängniß, die Kinder in die Tiber zu werfen. Die königlichen Diener
*) Nach Plntarch. — Wie in der griechischen, so ist auch in der römischen Geschichte Mythus, Sage und Geschichte noch vielfach verschlungen.
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legten die Zwillinge in einen Korb und setzten diesen auf das Waffer der Tiber, die zum Glück eben ausgetreten war, so daß der Strom das Schifflein nicht fortführte. Der Korb blieb an einem wilden Feigenbäume hängen, und als das Wasser gefallen war, stand er auf dem Trockenen. Der Gott Mars aber erbarmte sich seiner Söhne und sandte die ihm geheiligten Thiere zur Rettung. Eine durstige Wölfin kam an den Fluß, hörte der Kinder Wimmern, trug sie in die Höhle, leckte und bettele sie auf ein weiches Lager und säugte sie dann. Später flog auch der Vogel Specht, der Vogel des Mars, herbei und brachte Fleisch. So wurden die Knaben mit kräftiger Speise genährt.
Solches Wunder erblickte Faustulus, des Königs Hirte, und sein Herz erbarmte sich der Knaben. Er brachte sie zu seiner Frau, die ihr Söhnlein durch den Tod verloren hatte, und Acca Laurentia, die Hirtenfrau, Pflegte die Zwillinge wie eine Mutter. Romulus und Remus wuchsen heran und tummelten sich mit zwölf anderen Hirtenknaben weidlich herum. Als sie mit ihren Gespielen heranwuchsen, baueten sie sich selber Hütten auf dem palatinischen B er ge; die Jünglinge kämpften rüstig gegen Raubthiere und tapfer gegen Räuber, jeder an der Spitze einer kleinen Schaar. Zuweilen führten sie auch wohl Krieg untereinander, öfter noch geriethen sie in Händel mit andern Hirten, namentlich mit denen Numitor's, die auf dem av entinisch en Berge weideten. Bei solch'einer Fehde wurde einst Remus gefangen und vor Nmnitor gebracht. Diesem fiel die edle Haltung des kräftigen Jünglings auf und er forschte nach dessen Herkunft. Da begab sich Faustulus mit seinem Pflegesohn Romulus nach Albalonga und entdeckte dem Numitor Alles. Mit Freuden erkannte dieser seine herrlichen Enkel und offenbarte ihnen, was Amulius Uebels gethan. Alsbald machten sich Romulus und Remus mit ihren Gefährten auf, erschlugen den bösen König Amulius und setzten den guten Numitor auf dessen Thron. Dann gründeten sie an der Stelle, wo der heilige Tiberstrom sie an den Feigenbaum gesetzt hatte, mit ihren Freunden eine eigene Stadt, im I. 753 v. Chr. Romulus bespannte einen Pflug mit zwei weißen Rindern, zog um den palatinischen Berg im Viereck eine Furche, und neben dieser Furche ließ er rings herum einen Erdwall auswerfen. An der Selle, wo später ein Thor sein sollte, ward der Pflug aufgehoben. In den innern Raum aber wurden kleine ärmliche Lehmhütten gebauet, die mit Schilf und Stroh kümmerlich bedeckt waren.
Als der Bau vollendet war, entstand unter den Brüdern ein Streit, welcher von ihnen der neugegründeten Stadt den Namen geben und als König über sie herrschen sollte. Auf den Rath ihres Großvaters Numitor beschlossen sie, der Götter Willen durch den Vogelflug zu erfunden, und wem zuerst ein glückliches Zeichen sich offenbaren würde, der sollte König sein. Lange harrten sie auf verschiedenen Bergen. Endlich erschienen dem Remus sechs Geier; er brachte die glückliche Kunde seinem Bruder Romulus, da flogen an diesem zwölf Geier vorüber unter Donner und Blitz. Remus behauptete, er müsse den Vorzug haben, weil ihm zuerst
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die Schicksalsvögel erschienen seien: Romulus behauptete, er sei König, weil ihm noch einmal so viel Vögel erschienen seien. Doch Remus verspottete den Bruder und sprang über die niedrige Stadtmauer, um sich über die armselige Stadt lustig zu machen. Da ergrimmte Romulus und schlug seinen Bruder Remus todt. „So fahre Jeder, der nach dir über meine Mauer setzt!" — Diesen Fluch sprach Romulus aus, und die Stadt wurde nach seinem Namen genannt.
2. Der erste König.
Romulus war nun König und Herr der neugegründeten Stadt. Um die Zahl seiner Unterthanen zu erfahren, ließ er eine Zählung veranstalte'! und es fanden sich 3300 starke wehrhafte Männer, die theils aus feinen Gefährten, theils aus eingewanderten Albanern bestanden. Die hausten nun dort auf ihrem Hügel, wie in einem wohlverschanzten Lager, und die Nachbarn sahen mit Schrecken das kriegslustige Volk, angeführt von einem starken kühnen Herrscher.
Zum Zeichen seiner Königswürde umgab ]tch Romulus mit einer Leibwache von 300 Reitern, aus deren Nachkommen sich später ein besonderer Stand, der Stand der Ritter, bildete. So oft er öffentlich erschien, schritten zwölf Gerichtsdiener, Liktoren genannt, mit Beilen und Ruthenbündeln bewaffnet, in stattlicher Reihe vor ihm her, theils um Ordnung und Anstand unter dem Volke zu erhalten, theils um die nöthigen Strafen auf der Stelle zu vollziehen. Aus den angesehensten und erfahrensten Männern wählte er sich einen Rath der Alten (Senatus), der anfangs aus hundert Mitgliedern bestand, später aber bedeutend vermehrt wurde. Die Senatoren sollten mit dem Könige gemeinschaftlich das Beste der Gemeinde berathen, sie sollten die Väter (Patres) des gemeinen Volkes sein. Daher nannte man auch ihre Nachkommen, die einen erblichen Adelsstand ausmachten, Patricier, zum Unterschiede von den gemeinen Bürgern, die Plebejer genannt wurden.
Die Stadt theilte Romulus in drei Bezirke, tribus genannt, jede Tribus wieder in zehn Kurien, so daß im Ganzen dreißig Kurien waren. Nach diesen Kurien mußten sich alle Bürger auf dem Volksplatze (forum) versammeln, um über die Angelegenheiten der ganzen Gemeinde Entschlüsse zu fassen und zu berathen.
Um die Zahl seiner Unterthanen zu vermehren, eröffnete Romulus eine Freistätte (ein Asyl), wohin jeder verfolgte Unglückliche, aber auch jeder verbannte Verbrecher sich retten durfte. Durch dieses Mittel erhielt die Stadt einen bedeutenden Zuwachs an Männern. Aber nun fehlte es an Frauen. Um diese zu erhalten, schickte er an die benachbarten Völker Gesandte und ließ freundlich bitten, sie möchten ihre Töchter den römischen Männern zur Ehe geben. Aber die Nachbarn wiesen die Gesandten höhnisch zurück, keiner wollte mit den Wildfängen und Räubern etwas zu thun haben.
Grube, Geschichtsbilder. I. \ i
3. Raub der Sabinerinnen.
Nun veranstaltete Romulus ein glänzendes Fest dem Neptun zu Ehren, und glänzende Feftspiele sollten dabei gefeiert werden. Das lockte die Bewohner der benachbarten Städte herbei, die bei dieser Gelegenheit auch einmal die wunderschöne Hügelstadt zu sehen wünschten. Besonders zahlreich fanden sich die Sabiner mit ihren Weibern und Töchtern ein. Die Römer hatten ihre Hütten festlich ausgeschmückt und nöthigten die Frem-den, Alles in Augenschein zu nehmen. Dann begannen die Spiele; aber während die Augen Aller auf das Schauspiel gerichtet waren, siehe, da stürzten auf ein gegebenes Zeichen die römischen Jünglinge in die Haufen der Zuschauer, und jeder riß sich eine Jungfrau heraus, die er auf seinen Armen in die Stadt trug. Die bestürzteu Eltern flohen von allen Seiten schreiend und wehklagend auseinander.
Die geraubten Sabinerinnen ließen sich in Nom von ihren Männern leicht besänftigen, aber ihre Väter daheim sannen auf blutige Rache. Und wären jetzt die Völker alle vereint gegen Nom gezogen, so wäre es um den jungen Staat geschehen gewesen. Da sie aber in ihrer Wuth eine gemeinschaftliche Rüstung nicht abwarten konnten, so wurden sie, einzeln wie sie kamen, vorn Schwerte der Römer blutig zurückgewiesen.
4. Titus TatiuS.
Die größte Gefahr für Rom drohte aber von dem kriegerischen Volke der Sabiner, die jetzt unter ihrem Könige Titus Tatius wohlgerüstet herangezogen. Nach mehreren Gefechten kam es in einem Theile zwischen Zwei Hügeln zur Schlacht. Während die beiden Schlachtreihen grimmig gegen einander standen, während die Pfeile hinüber und herüber flogen und die Männer niederstreckten: stürzten plötzlich die geraubten Sabinerinnen mit fliegenden Haaren mitten zwischen die feindlichen Reihen und flehten hier zu ihren Männern, dort zu ihren Brüdern und Vätern, sie nicht zu Wittwen und Waisen zu machen.
Dieser Anblick rührte die Heere und ihre Anführer. Es erfolgte eine tiefe Stille. Gerührt traten die beiden Könige in die Mitte und schlossen Frieden unter der Bedingung, daß beide Staaten vereinigt, die Regierung von Romulus und Tatius gemeinschaftlich zu Rom geführt, die Römer aber fortan Quir iten genannt werden sollten von der sabinischen Hauptstadt Kur es. Durch diesen Frieden wurde die Macht Roms ansehnlich vermehrt. Der nahegelegene Hügel Quirinalis wurde noch mit in das Gebiet der Stadt gezogen und mit Sabinern besetzt. Doch der herrschsüchtige Romulus, der nicht einmal seinen Bruder hatte neben sich dulden können, wollte noch weniger mit einem Fremden den Thron theilen; nach einigen Jahren räumte er ihn aus dem Wege und regierte wieder allein.
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5. Romulus' Ende.
Alle schwächeren Nachbarn mußten sich vor dem Nomulus beugen; alle stärkeren fürchteten ihn. Das tapfere Volk von Veji wurde auch besiegt und in einer Schlacht bei Fidenä soll Romulus allein mehrere Hundert erschlagen haben. So großes Glück machte ihn übermüthig und er wurde immer herrischer gegen seine Untergebenen, immer stolzer gegen die Patricier. Er trug ein purpurnes Unterkleid und eine purpurverbrämte Toga; bei allen öffentlichen Geschäften sah man ihn auf einem Throne mit einer Lehne sitzen. Immer umgab ihn eine Schaar von Jünglingen, die celeres oder Schnellen genannt, von der Schnelligkeit, mit welcher sie seine Befehle ausführten. Die Liktoren (von ligare = lnrtden) verhafteten und banden Jeden, welcher die Unzufriedenheit des Königs erregte.
Solche unbeschränkte Macht erregte den Unwillen und Haß der Patricier und sie verschworen sich, den Nomulus heimlich zu überfallen und umzubringen. Einst hielt der König eine große Volksversammlung, als plötzlich ein großes Ungewitter entstand. Der Himmel wurde schwarz, Blitze zuckten, der Donner rollte; das Volk lief auseinander, um Schutz vor dem Sturme zu suchen. Diesen Augenblick der allgemeinen Verwirrung benutzten die Senatoren, ihren Racheplan auszuführen. Romulus war plötzlich verschwunden. Das Volk kam wieder zusammen und tieiy langte seinen König zu sehen. Da erhob sich Julius Proculus, ein vornehmer Patricier, schwur einen Eid, Romulus sei ihm erschienen, schöner und größer, als er ihn je zuvor gesehen, mit prächtigen, flammenden Waffen geschmückt. Ueber diesen Anblick bestürzt, habe er ihn gefragt: „0 König, womit haben wir dich gekränkt, daß du uns verlässest und die ganze Stadt um dich trauern muß?" Darauf habe Romulus geantwortet: „Es war der Götter Wille, o Proculus, daß ich wieder dorthin zurückkehren sollte, von woher ich stamme, nachdem ich mein Werk auf Erden vollbracht habe. Sage den Römern, sie würden den höchsten Gipfel menschlicher Macht erreichen, wenn sie Mäßigung und Tapferkeit üben. Ich aber werde euch ein gnädiger Schutzgott sein!" Eine wunderbare Bewegung ergriff nun alle Gemüther, und fortan wurde Romulus unter dem Namen „Quirinus" göttlich verehrt.
Numa PornpiliuS. 1. Die Wahl.
Nachdem Romulus gestorben war, beschlossen die Patricier, 150 an der Zahl, nun selber das Regiment zu führen. Jeder von ihnen sollte sechs Stunden des Tages und sechs Stunden des Nachts mit der obersten Gewalt bekleidet werden, Purpurkleid und Scepter, die Zeichen der königlichen Würde, tragen und den Göttern die gebräuchlichen Opfer bringen.
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Diese Einrichtung gefiel den Senatoren sehr, denn sie konnten alle Jahre ein paar Mal als König sich zeigen, aber das Volk murrte, daß es mm statt eines 150 Könige erhalten habe, und verlangte, man solle wieder einen einzigen König wählen.
Allein die Wahl war sehr schwierig, denn die Sabiner, welche Nom bevölkert und mächtig gemacht hatten, wollten aus ihrer Mitte den neuen König gewählt haben, die Römer aber wollten nicht gerne einem sabinischen Manne gehorchen. Endlich kam man darin überein, daß die Römer allem wählen sollten, daß jedoch der neue König aus dem Volke der Sabiner zu wählen sei. Es ward lange in der Volksversammlung berathen; endlich erklärten sich die meisten Stimmen für Numa, den weisen Mann aus Kures, der Hauptstadt der Sabiner. Man schickte nun die Vornehmsten beider Völker als Gesandte an den Mann mit der Bitte, er möchte kommen und die Regierung übernehmen.
2. Simitsweise des Numa.
Numa war der Sohn eines geachteten Mannes und von vier Brüdern der jüngste. Durch göttliche Fügung war er gerade an dem Tage geboren worden, an welchem Rom durch Romulus gegründet war. Sein Herz war für alles Gute und Schöne empfänglich und er hatte es durch Lernen, Dulden und Nachdenken noch mehr veredelt. Von aller Raubsucht und Gewaltthätigkeit hielt er sich fern und er setzte echte Mannestugend in Beherrschung der Leidenschaften durch Vernunft. Aus seinem Hause verbannte er alle Pracht und Ueppigkeit, und er diente bereitwillig jedem Einheimischen und Auswärtigen als Schiedsrichter und Rathgeber. Seine Mußestunden widmete er nicht dem Genießen und Erwerben, sondern dem Dienste der Götter und der Betrachtung ihres Wesens und Wirkens. Deswegen war er auch bei Allen hochgeehrt, und Tatius, der mit Romulus auf dem römischen Throne saß, gab ihm seine einzige Tochter zur Frau. Diese hohe Verbindung konnte aber den Numa nicht bewegen, daß er zu seinem Schwiegervater zog, sondern er blieb im Sabinerlande, seines greisen Vaters zu pflegen.
Zuweilen verließ Numa das Getümmel der Stadt und begab sich in die Einsamkeit und Stille des Landlebens. Da sah man ihn oft ganz allein in heiligen Wäldern und Auen, in deren geheimnißvoller Stille ihm die Nymphe Egeria erschien, die ihn lieb hatte. Von dieser Göttin lernte Numa hohe Weisheit, und es ward ihm Manches offenbart, was d^n andern Menschen verborgen bleibt.
3. Regierung.
Einen bessern Mann als Numa hätten die Römer nicht wählen können. Als er sich entschlossen hatte, den Ruf zur Königswürde anzunehmen, brachte er den Göttern Opfer und begab sich auf die Reise. Senat und Volk gingen i'm freudig entgegen. Die Frauen empfingen ihn mit lauten Glückwünschen, in allen Tempeln wurde geopfert, und
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überall war Jubel. Als ihm die Zeichen der königlichen Würde gebracht wurden, bat er um Aufschub, da er noch einer Bestätigung der hohen Götter bedürfte. Er nahm Auguren, die aus dem Fluge der Vögel weissagten, und Priester mit sich auf das Kapitol, welches damals noch der tarpejische Hügel hieß. Hier ließ ihn der erste Augur das verhüllte Gesicht gegen Mittag wenden, trat dann hinter ihn, berührte sein Haupt mit der Rechten, sprach ein Gebet und schaute sich rings nach allen Seilen um, ob die Götter durch ein Zeichen ihren Willen zu erkennen geben möchten. Indessen herrschte auf dem Markte unter der großen Menge die tiefste Stille, denn Alle harrten begierig des Ausgangs. Siehe, da erschienen günstige Vögel und flogen von rechts heran. Nun erst legte Numa den Königsmantel um und kam zum Volke von der Burg herab. Da erscholl lauter Freudenruf, und Alles hieß ihn, als den ftömmsten Mann und größten Liebling der Götter, willkommen.
Das Erste, was Numa that, war, daß er die 300 Trabanten, mit denen Romulus sich umgeben hatte, entließ. Mit Vertrauen und ohne Rückhalt wollte der friedliebende König unter seinem Volke wandeln, das ihn liebte und verehrte. Es war keine leichte Sache, den raub- und kriegslustigen Sinn der Römer für den Frieden und die Gerechtigkeit zu gewinnen. Doch es gelang dem Numa, die rauhen Sitten des Volkes zu mildern, weil er vor Allem auf die Ehrfurcht gegen die Götter hielt. Darum ordnete er den Gottesdienst, leitete selbst die Opfer und Festaufzüge, verband damit auch festliche Reigen, an denen sich des Volkes Sinn ergötzte. Er bauete neue Altäre und einen neuen Tempel, denJanus-lempel, der nur in Kriegszeiten offen stehen solle, damit man darin um Frieden beten möchte. Dann ordnete er auch die Reihe der Festtage und bestimmte die priesterlichen Würden. In Albalonga bestand schon seit langer Zeit der Orden der vestalischen Jungfrauen, und derselbe ward nun auch in Rom eingeführt.
Das Amt der vestalischen Priesterinnen bestand besonders darin, auf dem Altar ihres Tempels das heilige Feuer zu bewahren. Wie in jedem Wohnhause auf dem Herde des Vorhofs ein stets brennendes Feuer war, so sollte auch für den Staat das Feuer im Tempel der Vesta der geheiligte Mittelpunkt sein. Das Verlöschen dieses Feuers ward für ein großes, den Staat bedrohendes Unglück gehalten, und diejenige Vestalin, welche sich dabei einer Nachlässigkeit schuldig machte, erfuhr eine harte Strafe. Auch durfte keine Vestalin heirathen; verletzte sie das Gelübde der Keuschheit, so ward sie lebendig begraben. Am kollinischen Thore war ein Hügel, in welchen man eine tiefe Höhle grub. In diese Höhle setzte man ein Bett und einen Tisch mit Brot, Wasser, Milch und ein wenig Del, und stellte eine brennende Lampe daneben. Dahin nun ward die Verurtheilte in einer verhüllten Sänfte getragen. Wer dem traurigen Zuge begegnete, ging still vorbei oder folgte mit wehmüthigem Blicke schweigend nach. Am Eingänge der Höhle verrichtete der Oberpriester einige Gebete, hob dann die tiefverschleierte Vestalin aus der Sänfte und
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stellte sie auf die Leiter, auf der sie hinabsteigen musste. Die Leiter ward dann zurückgezogen, und die Unglückliche in ihren Grabeskerker eingeschlossen. Doch genossen auf der andern Bette die Vestalinnen der höchsten Ehren und das Volk wußte ihre strenge Enthaltsamkeit zu schätzen. Aus der Straße schritt ein Liktor vor ihnen her; begegnete sie durch Zufall einem Menschen, den man zum Tode führte, so ward die Hinrichtung nicht vollzogen.
Numa gründete ferner den Priesterorden der Fetialen. Die Vertaten waren bei Kriegserklärungen und Friedensschlüssen wirksam. Wenn ein Volk die Römer verletzt und zum Kriege gereizt hatte, so wurde durch jene Priester erst Genugthuung gefordert, und wenn diese nicht erfolgte, erschienen sie wieder an der Grenze und erklärten den Krieg unter gewissen Ceremonien. Diese Feierlichkeiten sollten den jähen Ausbruch wilder Leidenschaften zurückhalten.
Zu ähnlichem Zwecke diente auch die göttliche Verehrung des Jupiter Terminalis oder des Gottes Terminus (Grenze), dem alle Grenzsteine geheiligt wurden. Bei diesen mußten jährlich unblutige Opfer dargebracht werden, theils, damit die Grenze immer in Erinnerung gehalten, theils, damit die Verletzung derselben als ein Frevel gegen die Götter betrachtet werden möchte. Und wie diese Grenzsteine nicht bloß das Gebiet der Römer von dem der benachbarten Völker schieden, sondern auch die Ländereien der einzelnen Bürger abgrenzten; so sollte die Verehrung derselben nicht bloß den Krieg mit den Nachbarvölkern verhindern, sondern unter den römischen Bürgern selber Frieden und Eintracht erhalten.
Die Jahre von Numa's Regierung verflossen in stillem Glück, ohne Trübsal, ohne Krieg. Der Janustempel blieb verschlossen. Waren die Römer unter Nomulus gefürchtet und gehaßt, so wurden sie unter Ruma geachtet und geehrt: nur dann, wenn zur rauhen Kraft die milde Sitte sich gesellt, ist der Mensch unserer Liebe und Bewunderung werth.
II. Tullus Hostilius und Ankus Martius.
Tutsud Hostilius.
1. Die Horatier mtb Kuriaticr.
Die Wahl der Kurten stet nach Rurna’s Tode auf Tullus Hosti-lius, der in der Sinnesart wieder dem Romulus glich und große Lusi am Kriege fand. Er unternahm wieder Streifzüge in die Umgegend und reizte Roms Mutterstadt, Albalonga, zum Kriege gegen die Römer. Die Albaner unter ihrem Feldherrn Mettus Fuffetius zogen mit einem wohlgerüsteten Heere heran. Schon standen beide Völker in Schlacht-
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ordnnng einander gegenüber, als Mettus in die Mitte der beiden Schlacht-reihen trat und den Tullus zu einer Unterredung einlud. „Ist es nicht thöricht" — so sprach der albanische Feldherr, „daß sich zwei verwandt: Völker anfeinden und schwächen wollen aus bloßer Eifersucht? Werden nicht beide dann eine Beute ihrer Feinde werden? Ehe wir so viel Blut vergießen, mag lieber ein Zweikampf Weniger die Sache entscheiden!"
Der Vorschlag ward angenommen und das Schicksal selbst schien thit zu begünstigen; denn im römischen Heere dienten drei Söhne des Hora-tins, nach diesem die „Horatier" genannt, und im albanischen Heere drei Brüder, die „Kuriatter'' genannt. Diese wurden von beiden Seiten zum Zweikampf auserlesen, die Fetialen bekräftigten mit ihren Opfern dis Gültigkeit des Vertrags und beide Heere stellten sich erwartungsvoll zuschauend um die Kämpfenden her.
Das Zeichen ward gegeben, und mit gezückten Waffen stürzten die Jünglinge auf einander. Nach langem wüthendem Kampfe stürzte endlich ein Römer, dann noch ein Römer zu Boden. Die drei Albaner waren auch schwer verwundet, doch standen nun Drei gegen Einen. Ein Jubelgeschrei ertönte aus dem albanischen Lager und der tiefgebeugte römische Stolz wagte nicht mehr zu hoffen. Da plötzlich floh der Horatier, noch durch keine Wunde entkräftet, und nöthigte die drei Kuriatter, ihn zu verfolgen. So trennte er die dreifache Gewalt, wohl voraussehend, daß die drei verwundeten Feinde ihm nur ungleich, nach Verhältniß ihrer leichteren oder schwereren Wunden, würden folgen können. Nach kurzer Flucht blieb er stehen, blickte zurück und sah die drei Albaner weit von einander getrennt. Nur einer war nahe hinter ihm; auf diesen stürzte er mit gewaltiger Wuth, durchborte ihn und rannte dann auf den zweiten los. Durch alle Lüfte schallte der Zuruf der wieder hoffenden Römer; auch der zweite Kuriatter fiel. Das Geschrei der Römer verdoppelte sich, als der dritte, am schwersten verwundet, athemlos herankeuchte. Mit leichter Mühe streckte diesen der tapfere Römer nieder; da liefert alle seine Kampfgenossen und Kriegs obersten auf ihn zu, umarmten ihn und begrüßten ihn als Sieger. Die Albaner aber unterwarfen sich der römischen Herrschaft.
Stolz ging der Sieger Horatius, trinmphirend die Rüstungen der drei Kuriatter tragend, an der Spitze des römischen Heeres nach Rom zurück. Ant Thore begegnete ihm seine Schwester; sie war mit einem der Kuratier verlobt, und da sie nun dessen Gewand, von ihr selbst gewirkt, unter den Siegeszeichen ihres Bruders erblickte, fing sie laut an zu jammern; sie rang die Hände, löfete ihr Haar und rief einmal um das andere den Namen ihres Geliebten. Das empörte den wilden Sinn des Bruders; solches Wehklagen unter den Tönen der Freude und des Sieges schien ihm ein Verbrechen zu sein. Wild fuhr er seine Schwester an und mit seinem noch blutigen Schwerte stieß er sie nieder. „Fahre hin zu deinem Buhlen" — so sprach er, — „mit deiner unzeitigen Liebe, du Unwürdige, weil du der todten Brüder und des lebenden und des Vater-
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kndes vergessen kannst! und so fahre künftig jede Römerin hin, die einen Feind betrauern wird!"
Dieser Schwestermord stimmte den allgemeinen Jubel herab, und so verdient sich auch Horatius um sein Vaterland gemacht hatte, er wurde vor Gericht gestellt und zum Tode verurtheilt. Die letzte Entscheidung jedoch blieb dem Bolke; und dieses, gerührt durch des Vaters flehende Bitten, man möchte ihm nicht seines letzten Kindes berauben, sprach den Horatius von der Todesstrafe frei. Doch mußten Reinigungsopfer zur Entsündigung dargebracht werden, und der Schuldige ward von den Liktoren unter einem auf zwei Pfählen ruhenden Balken — einer Art von Galgen — mit verhülltem Gesicht durchgeführt.
2. Zerstörung von Albalonga.
Die Albaner trugen das römische Joch mit großem Unwillen und Fuffetius, ihr Feldherr, sann auf Mittel, seine Vaterstadt wieder zu befreien. Er hetzte die Fidenater und Vejenter, zwei Nachbarn Roms, zum Krieg gegen dasselbe auf und versprach ihnen, wenn es zur Schlacht käme, mit alle,: seinen Albanern zu ihnen überzugehen. König Tullus rückte den Feinden entgegen, bot die Albaner auf, ihm Hülfe zu leisten, und stellte sich unter Fuffetius aus den rechten Flügel seines Heeres. Das Treffen begann, Tullus stürzte sich aus die Vejenter, Fuffetius dagegen, anstatt aus die Fidenater einzuhauen, zog seine Albaner allmählich rechts herum, wagte es aber doch nicht, sich öffentlich mit dem Feinde zu vereinigen, denn er wollte erst abwarten, auf welche Seite sich der Sieg neigen würde. Ein Reiter sprengte zum Tullus heran und meldete ihm die Bewegung der Albaner. Tullus erschrak, doch faßte er sich schnell und ries mit scheinbarer Freude so laut, daß die Vejenter es hörten: „Die Albaner umzingeln die Fidenater aus meinen Befehl!" Bei diesen Worten sank den Vejentern der Muth. König Tullus gelobte der Furcht und dem Schrecken Tempel zu erbauen, wenn es ihm gelingen sollte, Furcht und Schrecken unter seinen Feinden zu verbreiten. Das gelang ihm; die Vejenter flohen, die getäuschten und unschlüssigen Fidenater wurden von den Geschlagenen mit fortgerissen, und die Römer erfochten einen glänzenden Sieg.
Nach der Schlacht beeilte sich Fuffetius, dem Tullus feinen Glückwunsch darzubringen, dieser stellte sich freundlich und dankte ihm. Am andern Morgen berief er beide Heere zu einer Versammlung; die Albaner drängten sich neugierig um den König Tullus, die Römer, auf ihres Königs Befehl bewaffnet, umgaben ihn. „Römer," sprach jetzt Tullus, „gestern in der Schlacht haben uns die Götter fichtbarlich beigestanden, denn -— ihr wißt es selbst noch nicht — nicht mit den Feinden allein habt ihr gekämpft, sondern auch mit der Verrätherei unserer Freunde. Nicht auf meinen Befehl zogen die Albaner von unserer Seite fort; es war ihr heimlicher Plan, zu den Feinden überzugehen. Doch nicht auf das Heer schiebe ich die Schuld, es folgte nur dem Befehle feines Fiih-
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rers. Aber ich denke, Niemand soll wieder ein Aehnliches wagen, so wahr ich an Diesem ein schreckliches Beispiel geben will. Bewaffnete umringten sogleich den Fuffetius, der König aber fuhr fort: „Ich habe beschlossen, das ganze Volk der Albaner nach Rom herüberzuführen, und aus beiden Städten wieder eine zu machen, wie sie ja auch aus einer hervorgegangen sind." Die Albaner, unbewaffnet und von lauter Bewaffneten umgeben, schwiegen; zum Fuffetius aber sprach Tullus: „So wie du zwischen Römern und Albanern doppelsinnig geschwankt hast, so soll auch dein Körper zwiefach getheilt werden." Er gab den schrecklichen Wink, und Fuffetius ward von angespannten Pferden lebendig zerriffen. Jedermann wandte von dem unmenschlichen Schauspiel die Augen weg.
Unterdessen war schon Reiterei nach Alba geschickt, um die Menge nach Rom zu führen. Dann rückten römische Legionen heran, die Stadt zu zerstören. Traurig zogen die Einwohner fort, Tullus räumte ihnen einen neuen, bisher unbebauten Hügel, den cölischen, ein und dieser ward dann in die Ringmauer Roms eingeschlossen. So ward die Stadt immer größer und größer.
Noch andere Kriege kämpfte Tullus glücklich aus, aber er versäumte den Dienst der Götter und darob erwachte der Zorn des Himmels, allerlei Wunderzeichen geschahen und Seuchen brachen herein. Erschrocken nahm Tullus zu allerlei abergläubischen Gebräuchen seine Zuflucht, aber mitten in einer Beschwörung fuhr ein Blitzstrahl herab, der ihn mit seinem ganzen Hause verbrannte.
Ankus Martius.
Ankus Martius, der nun zum Könige erwählt wurde, war der Enkel des Numa Pompilius und, wie es schien, der Erbe seiner frommen und friedlichen Gemüthsart. Er stellte den unter Tullus Hostilius sehr in Verfall gerathenen Gottesdienst wieder her und übte die Werke des Friedens. Aber Rom war schon zu sehr in feindliche Verhältnisse verwickelt, als daß die friedliche Sinnesart des Königs hätte vorwalten können. Sabiner, Vejenter, Latiner und andere Nachbarn Roms zwangen den König, die Waffen zu ergreifen und für die Sicherheit seines Staates zu kämpfen. Er that es mit Glück und nach hergebrachter Sitte mußten die überwundenen Völker in Rom sich anbauen und Römer werden. Auf dem aventinischeu Hügel entstand ein neues Stadtviertel, das mit Rom verbunden ward.
Damil die immer mehr wachsende Bevölkerung stets sicher mit Lebensmitteln versorgt werden konnte, suchte sich Ankus der Tiber und der Schifffahrt auf derselben zu versichern. Er nahm den Vejentern den Hafen Ostia an der Mündung des Tiberflusses, sammt den dabei gelegenen Salzquellen. Auch befestigte er den jenseits der Tiber gelegenen Berg Jani-kulus, der nun eine Vormauer bildete, welche Stadt und Fluß gegen
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bie Etrusker schützte. Zu größerer Bequemlichkeit war der Berg mit bcr Stabt burch eine hölzerne Brücke verbunden, pons sublicius, welche als eines ber ältesten Werke biefer Art bis in bie späteste Zeit von ben Römern ehrfurchtsvoll betrachtet würbe. So mischte biefer König in feiner 24jährigen Regierung ben Ruhm bes Krieges unb bie Wohlthaten des Friebens zur Verherrlichung Roms.
ITT. Tarquinius Priskus und Servius TulliuS.
Tarquinius Priskus.
1. Wie Tarquinius König wird.
Währcnb ber Regierung bes Ankus war ein reicher Fremdling, Lukumo mit Namen, nach Rom gezogen. Sein Vater, ein griechischer Kaufmann, war aus Korinth wegen bürgerlicher Unruhen entflohen, hatte sich in Italien bei ben Etruskern in ber Stabt Tarquinii niebergelaffen unb bort eine etruskische Frau geheirathet. Nach bem Tobe seines Vaters beschloß Lukumo nach Rom zu ziehen, im Glauben, baß er bort wohl sein Glück machen könnte. Unb seine Hoffnung täuschte ihn nicht; ber König unb bas Volk nahmen ben reichen freigebigen Frcmbling gern auf unb biefer veränberte seinen Namen in Lucius Tarquinius.
Wegen seiner Klugheit unb feinen Bilbung würbe Tcrquinius vom Könige öfters zu Rathe gezogen; aber er zeigte sich auch als tapferer Krieger unb ward balb vom römischen Volke hoch geehrt. Ankus Mar-tius übertrug ihm daher kurz vor seinem Tode die Vormundschaft über seine beiden noch unmündigen Söhne. Doch Tarquinius war ein unreb* ticher Vormunb. Als bcr Tag ber Königswahl erschien, schickte er bie beibett Königssöhne auf bte Jagb und überredete das Volk, ihn selber zuin Könige zu wählen.
Uebrigens hatten die Römer Ursache, mit ihrer Wahl zufrieden zu fein, denn ber Tarquinicr war gleich erfahren in ben Künsten bes Friebens unb bes Krieges. >
2. Was Tarquinius für Nom that.
Zuerst zog Tarquinius gegen bte Sabiner unb Latiner uttb kämpfte so glücklich, baß Rom auf längere Zeit vor feinblichen Angriffen gesichert war. Die Friebenszeit wußte ber rastlos thätige Mann gut zu benutzen. Anstatt bes Erdwalles ließ er eine feste Stadtmauer um bie ganze Stadt aufführen. Da wegen bcr vielen Hügel bei Regenwetter sich Schmutz uttb Schlamm in ben nicbcrcn Theilen der Stadt anhäuften, waren Abzttgs-kanäle höchst nothwendig. Tarquinius ließ großartige Kloaken mauern,
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in welche alle Unreinigkeiten aus den Straßen und Wohnhäusern abflössen und dann in die Tiber geleitet wurden. Man muß sich aber diese Kanäle nicht eng und niedrig denken, sondern als große, weite Gewölbe von so fester Bauart, daß sie noch Jahrhunderte nachher die schwersten Thürme trugen. Für öffentliche Kampfspiele und Leibesübungen wurde ein großer Platz angelegt, der Circus maximus genannt. Ringsumher gingen in immer steigender Erhebung Bänke, die nach den Kurien vertheilt waren: der Umfang war so groß, daß der Circus 150,000, nach Einigen sogar 250,000 Menschen zu fassen vermochte. Endlich legte der baulustige König noch den Grund zu dem berühmten Kapitol, der mächtigen Tempelburg des Jupiter auf dem kapitolinischen Hügel.
3. Wie Tarquittlns endet.
Die Söhne des Ankus Martius konnten es nicht vergessen, daß sie vom Tarquinius um den väterlichen Thron betrogen worden waren. Der König hielt sie absichtlich von allen Regierungsgeschäften fern, und ging damit um, seinen Schwiegersohn Servius Tullius zu seinem Nachfolger wählen zu lassen. Da trachteten die beiden Brüder thut nach dem Leben. Sie gewannen zwei Hirten, die mußten, mit ihren Holzäxten bewaffnet, in die Wohnung des Königs eindringen und großen Zank und Lärm erheben. Es war damals noch Sitte, daß die Könige in Person das Richteramt übten, und so kam denn auch der alte Tarquinius aus seinem Hause, um den Streit zu schlichten. Während er aber der erdichteten Erzählung des Einen zuhört, schleicht sich der andere hinter ihn und schlägt ihn mit seiner Axt zu Boden. Dann flohen beide Hirten davon.
Servius Tullius.
1.
Servius war in Rout geboren, wo seine Mutter als Gefangene und Sklavin in das Haus des Tarquinius gekommen war. Als Servius noch ein Kind war, brannte ihm einst, erzählt die Sage, das Haupthaar wie in hellen Flammen, ohne daß das Feuer die Haare verzehrte. Die Gemahlin des Tarquinius, die Königin Tanaquil, welche in etruskischer Weisheit wohlbewandert war, erklärte dies Wunder als ein Zeichen der Götter von der künftigen Größe des Knaben. Auf ihren Rath wurde nun Servius wie ein Königssohn für die höchsten Würden erzogen. Er zeichnete sich bald durch Geist und Tapferkeit vor Allen aus; Tanaquil und Tarquinius gaben ihm ihre Tochter zur Frau und bald auch Antheil an der Regierung.
Das Volk ehrte diesen glücklichen und würdigen Emporkömmling und darauf battete Tanaquil die Hoffnung, den geliebten Schwiegersohn einst als König von Rom zu sehen. Als nun Tarquinius ermordet war, du
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Liktoren den Mördern nachsetzten und das Volk neugierig und bestürzt zusammenlief, ließ Tanaquil sogleich die Königsburg verschließen und den Servius holen. Sie zeigte ihm den entseelten Leichnam und beschwor ihn, den Tod seines Schwiegervaters zu rächen. Zugleich entflammte sie seinen Ehrgeiz. „Nicht die Mörder," sagte sie, „müssen herrschen, sondern dein ist das Reich, wenn du ein Mann bist." — Darauf rief sie aus einem oberen Fenster der Burg dem andringenden Volke zu, der König sei bloß verwundet und lebe noch; er habe den Servius zu seinem Stellvertreter bestimmt, dessen Befehlen möge Jeder gehorchen.
Servius erschien nun im Königsmantel, entschied Streitigkeiten, stellte sich bei andern Dingen, als ob er erst mit dem kranken Könige Rücksprache nehmen müßte, und gewöhnte so das Volk an seine Herrschaft. Endlich wurde der Tod des Königs bekannt gemacht, die Kurien versammelten sich und bestätigten die Herrschaft des Servius. Die Söhne des Ankus hatten schon auf die falsche Nachricht, daß Tarquiinus noch leb), die Flucht ergriffen.
2.
Servius wurde der Wohlthäter seines Volkes und der eigentliche Begründer des römischen Staatswesens. Er theilte das ganze Volk nach dem Vermögen in sechs Klassen; diese nach der Vermögensschätzung oder dem Census gebildeten Klassen zerfielen wieder in Centurien.
Die Bürger der ersten Klasse waren die vornehmsten und reichsten; sie mußten 100,000 römische As (oder so viel Pfund Kupfer), nach unserm Gelde etwa 2300 Thaler, besitzen. Man nannte solche Bürger vorzugsweise classici und hiervon bedeutet noch bei uns der Ausdruck „klassisch" das Vorzügliche und Ausgezeichnete. Die Bürger der zweiten Klasse mußten 85,000, die der dritten 50,000, die der vierten 25,000, die der fünften 11,000 As im Vermögen haben. Zu der sechsten Klaffe gehörten die vielen Armen, die Wenig oder Nichts im Vermögen hatten.
Nach diesem Census richtete sich auch der Antheil an der Regierung und am Kriegsdienste. Die erste Klasse bestand aus 80 Centurien Fußvolk und 18 Centurien Reiterei, stimmte also auch in der Volksversammlung mit 98 Centurien, während die zweite Klaffe nur aus 22 Centurien, die dritte aus 20, die vierte aus 22, die fünfte aus 30, die sechste aus einer einzigen Centurie bestand. Wenn es also zur Abstimmung kam, konnten die classici 98 Stimmen gegen 95 aufbringen, und so behielten bie Patricier fortwährend die höchste Gewalt.
Für Bewaffnung und Lebensunterhalt mußte damals jeder Kriegsmann selber sorgen. Darum konnten die Schwerbewaffneten nur aus der ersten Klaffe genommen werden; denn zur schweren Bewaffnung gehörte Beinharnisch, Panzer, Spieß, Schwert, Helm und runder Schild; bei den Rittern natürlich noch ein Pferd sammt deffen Ausrüstung.
Die zweite Klaffe hatte ähnliche Waffen, nur fehlte ihr der Panzer unD der Schild war nicht rund. Ihr zugesellt waren zwei Centurien von Waffenschmieden und anderen Handwerkern.
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Die dritte Klaffe hatte weder Panzer, noch Veinharnische; die vierte Klasse bloß Spieß, Schwert und Schild, und an diese schlossen sich zwei Centurien von Trompetern und Hornbläsern.
Die fünfte Klaffe bildeten die leichten Truppen mit Spieß und Schleuder, die sechste aber war ganz vom Kriegsdienst, die Aermsten derselben auch von Abgaben frei.
Weil das Vermögen einzelner Bürger sich in einigen Jahren sehr vermehren oder vermindern konnte, so verordnete der König alle fürtr Jahre eine neue Schätzung (census), die mit einem Reinigungsopfer (lustrum) begann. Bei der ersten Musterung fanden sich schon 83,700 waffenfähige Bürger. Diese wurden nach ihren Wohnplätzen in 30 Distrikte oder Tribus getheilt, von denen 26 auf das Land und nur vier auf die Stadt kamen, denn die reicheren Bürger zogen den Ackerbau und das Landleben vor.
Unter Servius wurden auch die beiden letzten römischen Hügel, der v i m i n a l i s ch e und esquilinische, angebaut und mit besiegten Völkern aus der Umgegend besetzt. So thronte denn die Hauptstadt Roma auf sieben Hügeln.
3*
Zum Dank gegen die Götter über die glückliche Vollendung so vieler wichtigen Dinge errichtete Servius Tullius dem Glück zwei Tempel. Aber dennoch verließ ihn das Glück und die Glieder seiner eigenen Familie bereiteten ihm ein schmähliches Ende. Tarquinius hatte zwei Söhne hinterlassen, Lucius und Aruns. Um diese wegen der verlorenen Herrschaft zu trösten und freundlich zu stimmen, vermählte ihnen der König seine beiden Töchter. Die jüngere, Tullia, war wild und herrschsüchtig, diese gab er dem sanften Aruns; die ältere, welche auch Tullia hieß, war viel gutmüthiger und sanfter, und diese gab der Vater dem wilden, herrschsüchtigen Lucius, um dessen Gemüthsart zu mildern. Doch Servius hatte sich verrechnet; dem Lucius ward seine allzu sanfte und zarte Gemahlin verhaßt und die jüngere Tullia hätte viel lieber mit dem feurigen, kühnen Lucius Tarquinius gelebt. Sie verständigte sich mit diesem und tödtete ihren Mann, Lucius aber brachte seine Frau um und heirathete die Tullia. Nun faßten Beide den Plan, auch noch den König Servius aus dem Wege zu räumen und selbst des Thrones sich zu bemächtigen. Durch schöne Worte und große Geschenke brachten sie einen Theil der Senatoren auf ihre Seite, wiegelten auch Alle , die mit dem König nicht recht zufrieden waren, gegen dessen Regierung auf. Eines Tages erschien Lucius, angespornt von seinem bösen Weibe, im Kriegsmantel auf dem Forum, ging in die Rathsversammlung und setzte sich auf den königlichen Thron. Der alte König, dem man solches meldet, eilt herzu und will den trotzigen Lucius vom Throne stoßen, doch der junge Mann ist stärker als der Greis, stürzt diesen selber die steinernen Stufen hinab, und als derselbe sich blutend wieder erhebt, um zu fliehen, schickt er ihm einige seiner Leute nach, die ihn ermorden. Die unnatürliche Tochter kommt triumphirend
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in einem Wagen gefahren, um ihren Gemahl als König zu begrüßen; sie sieht ihren greisen Vater auf der Straße liegen unb fährt hohnlachend über dessen Leichnam hin, so daß die Räder des Wagens vom Blute ihres Vaters sich röthen. Die Straße, in welcher diese Unthat geschah, hieß von nun an die „verruchte".
IV. Tarquinius Superbus (der Stolze) und Junius Brutus (der Dumme).
1. Ein übermütiger König.
Tarquinius, der sich aus so schändliche Art des Thrones bemächtiget hatte, konnte unmöglich die Liebe und das Vertrauen des Volkes gewinnen. Durch ihn wurde das Königthum, dessen Thron zwei Mal hintereinander mit Blut befleckt worden war, allen Römern verhaßt. Weil Tarquinius aach Niemand trauete, bildete er sich eine Leibwache von Ausländern, die er mit vielem Gelde bezahlte. Er war ein tapferer Feldherr und eroberte mehrere Städte, vollendete auch den Bau des schon früher begonnenen Kapitoliums, der Burg Roms, mit dem dreifachen Tempel des Jupiter, der Juno und Minerva. In der Cella des Jupiter wurden die sibyl-linischen Bücher — sie trugen den Rauten von den Sibyllen, d. H. wahrsagenden Weibern — aufbewahrt, in denen theils Prophezeihungen, theils Rathschläge für wichtige Fälle des Lebens verzeichnet waren. Sie wurden von den Römern in allen Verlegenheiten und wichtigen Entschlüssen zu Rathe gezogen. Der stolze König folgte aber nur seinem Gelüst und von den Rechten feiner Unterthanen wollte er nichts wissen, er drückte die Patricier und Plebejer. Wer sich ihm widersetzte, den ließ er hinrichten, so daß zuletzt weder der Senat, noch das Volk ihm zu widerstehen wagte Man nannte ihn superbus, d. H. den Uebermüthigen, Stolzen. Er schonte selbst feiner eigenen Verwandten nicht, und nur Einer, Lucius Junius nachher Brutus genannt, wußte sich seinem Grimme dadurch zu entziehen, daß er sich blödsinnig stellte. Tarquinius nannte ihn daher spöttisch „den Dummen" (brutus) und setzte kein Mißtrauen in ihn. Bald aber wurde der Name Brutus ein Ehrenname.
2. Ein Batcrlandöfrcnud.
Tarquinius belagerte gerade Ardea, eine feste Stadt im Lande der Rutuler, nur wenige Meilen von Rom entfernt. Eines Abends ritt sein Sohn Sextus aus dem Lager fort nach dem benachbarten Kollatia und besuchte dort die edle Lukretia, die Frau des Kollatinus, deren Schönheit in dem Herzen des wüsten Jünglings eine sträfliche Neigung erweckt hatte. Da Kollatinus im Lager war, glaubte Sextus, die Frau ungestraft mißhandeln zu können, doch Lukretia wollte ihre Schmach nicht über»
leben. Sie ließ eiligst ihren Mann nebst einigen bewährten Freunden aus dem Lager herüber kommen, erzählte ihnen jammernd die erlittene Unbill und im Uebermaß des Schmerzes nahm sie einen Dolch und erstach sich vor den Augen der Männer.
Da erhebt sich zum Erstaunen Aller der früher verspottete Brutus. Während Vater und Mutter der armen Lukretia wehklagen, reißt er den blutigen Dolch aus der Wunde, läßt die Leiche auf dem Markte öffentlich ausstellen, hält eine ergreifende Rede und schwört dem Frevler sammt der ganzen königlichen Familie bittere Rache. Sogleich werden alle Thore geschlossen, während der unermüdlich thätige Brutus in's Lager eilt und dort die neue Uebelthat des Königssohnes erzählt. Da wird auch das Heer gegen den König erbittert, verläßt das Lager und kehrt nach Nom zurück.
Tarquinius mit seiner Familie wurde geächtet, er durfte nicht wieder nach Rom zurückkehren. Er bat, er drohete; es half ihm nichts. Zornig flüchtete er sich nach Etrurien, um die Feinde Roms aufzubringen und seine Rückkehr auf den Thron mit Gewalt zu erzwingen. Die Römer aber schafften die Königswürde für alle Zeiten ab und feierten die Flucht des verhaßten Tarquinius alljährlich durch ein Volksfest. Zweihundert-fünfundvierzig Jahre hatten die sieben Könige Roms regiert.
3. Die Konsuln.
Nun war Rom eine Republik. Aus der Mitte der Patricier wurden jährlich zwei Männer mit königlichem Ansehen gewählt, die an der Spitze des Senats das Volk regierten, die Volksversammlungen leiteten und im Kriege den Oberbefehl hatten. Damit aber keiner der Konsuln, so nannte man die Reichsverwalter, seine Macht zum Schaden der Volksfreiheit mißbrauchen möchte, so wurde die Dauer ihrer Negierung nur auf ein Jahr festgesetzt. Hierin lag ein Grund zu den vielen Kriegen der Römer. Jeder Konsul suchte sein Jahr durch irgend eine glänzende Waf-fenthat zu verherrlichen, um dadurch bei den Nachkommen ein ruhmwürdiges Andenken zu erwerben. Aus Dankbarkeit wählte das römische Voll die beiden Männer, denen es seine Freiheit verdankte, nämlich Brutus und Kollatinus, zu den ersten Konsuln.
4. Der strenge Vater.
So streng BrutuS gegen die Königsfamilie war, eben so streng gerecht war er gegen seine eigenen Kinder. Die römische Jugend war durch Tarquiuius' Söhne verführt worden, einen Versuch zu machen, dem vertriebeilen Könige die Thore Roms zu eröffnen. Der Anschlag ward entdeckt und zwei Söhne des Brutus waren unter den Verbrechern, auch zwei Neffen des Kollatinus. Die beiden Konsuln versammelten das Volt auf dem Forum und ließen die Angeklagten vorführen. Zuerst kamen die Söhne des Brutus. Der Vater sprach das Todesurtheil über sie und wmkte den Likloren. Die banden ihre Nuthenbündel los, geißelten die ^»erurtheilten mit den Ruthen und schlugen ihnen darauf mit dem Beile
das Haupt ab. Brutus blieb sitzen und sah mit unverwandten Augen hin. Darauf kamen die beiden Neffen des Kollatinus. Dieser wünschte das Leben seiner Neffen zu retten und stellte den Antrag, sie möchten aus Rom verbannt werden. Brutus aber sprach für den Tod. Da wurden auch diese beiden vornehmen Jünglinge enthauptet, nach ihnen alle übrigen Verschworenen. Kollatinus aber schien wegen seiner Weichherzigkeit zum Konsul untüchtig und zu schwach, um die Republik zu schützen, darum mußte er sein Amt niederlegen und sich aus Rom entfernen.
B. Nom ein Freistaat.
(510—30 v. Chr.)
L Hohe Vaterlandsliebe.
Horatius Kokles, Mucius Scävola, Klölia.
1. Horatius Kokles.
Nördlich von Rom lag das fruchtbare Land der Etrusker; ein mächtiger etruskischer König, Porsena, war von Tarquinius zu einem Kriegszuge gegen Rom beredet worden. Dieser drang mit einem großen Heere siegreich vor und es gelang ihm, die Stadt einzuschließen. Nur der Fluß Tiber trennte ihn noch von Rom; mit seinen kriegslustigen Schaaren rückte er an die Brücke, welche die beiden Ufer des Flusses verband. Eine kleine Schaar von Römern, die auf der Brücke Wache hielt, floh. Bloß Ein Mann, Horatius Kokles mit Namen, blieb am Eingänge der Brücke stehen; zwei Andere, durch das Beispiel des Tapfern ermuntert, gesellten sich zu ihm, und diese drei Männer sperrten das Brückenthor und hielten mit ihren Schildern und Schwertern den Feind zurück. Unterdessen wird hinter ihnen die hölzerne Brücke abgebrochen; als man an das letzte Brett kommt, rufen die Römer den Ihrigen zu, nun möchten sie sich retten. Die Zwei gehen zurück, Horatius aber bleibt allein und kämpft so lange, bis die Brücke hinter ihm einstürzt. So fällt er mit seiner ganzen Rüstung in den Strom hinab. Aber muthig schwimmt er zu den Seinen hinüber, die ihn frohlockend empfangen. Die feindlichen Wurfspieße hatten ihn nicht verletzt.
2. Mucius Scävola.
Konnte nun auch der feindliche König nicht in die Stadt selber kommen, so hielt er doch alle Zugänge besetzt und drohete das geängstigts Rom auszuhungern. Da entschloß sich ein edler Jüngling, Mucius, zu einer kühnen That, um die Feinde in Schrecken zu setzen. Er ging allein in das Lager der Feinde, mit einem Dolche unter dem Mantel.
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Unangefochten kam er vor das königliche Zelt, wo eben den Kriegsleuten der Sold ausgezahlt wurde. Mueius, welcher den König nicht kannte, stürzte auf den los, an welchen sich die meisten Soldaten wandten, und erdolchte den Schreiber des Königs. Sogleich ergriffen die Soldaten den Unbekannten, entwaffneten ihn und führten ihn vor den König Porsena. Furchtlos sprach der kühne Jüngling: „Mein Name ist Mucius, ich bin ein römischer Bürger und wollte den Feind meines Vaterlandes ermorden. Da ich mich getäuscht habe, will ich dir gestehen, daß ich nicht der Einzige bin, welcher dir nach dem Leben strebt." Der König erschrak und drohete ihn verbrennen zu lassen, wenn er nicht die ganze Verschwörung entdecken würde. Der römische Jüngling aber sprach kein Wort mehr, sondern entblößte seinen rechten Arm, ging an ein dastehendes Kohlenbecken und hielt mit unverändertem Angesichte seine Hand in die Gluth und ließ sie darin langsam verbrennen. Da ergriff Staunen und Entsetzen die Umstehenden und der König rief. „Geh', geh’ ungestraft! Du haft feindlicher an dir, als an mir gehandelt. Ich wollte, daß solche Tapferkeit auch für mich stritte!"
Es war dem Könige angst geworden vor solchen Männern, und er bot nun selber den Römern die Hand zum Frieden. Rom mußte Geiseln stellen und einige früher von den Etruskern eroberte Landstriche zurückgeben.
Horatius Kokles und Mucius wurden vom Volke hochgepriesen und reichlich beschenkt; Mucius erhielt den ehrenvollen Beinamen „Scävola", d. i. „Linkhand", und dieser Name erbte auf die Nachkommen fort.
3. Klölia.
Unter den römischen Geiseln, die nach dem Etruskerlande abgeführt wurden, befand sich auch eine edle Jungfrau, K l ö l i a mit Namen. Gleich in der ersten Nacht überlistete sie ihre Wächter, entfloh mit den übrigen Mädchen und stürzte sich in die Tiber. Glücklich schwamm sie an das andere Ufer und langte wieder in Rom an. Ihre Gespielinnen waren ihr gefolgt und auch der Gefangenschaft entronnen. Doch die Römer sandten die entflohenen Mädchen sogleich zum Porsena zurück. Dieser lobte und bewunderte die Klölia und schenkte ihr die Freiheit, indem er ihr zugleich erlaubte, sich noch einige von den übrigen Geiseln zu erbitten. Klölia wählte sich die jüngsten unter den Mädchen und kehrte mit diesen fröhlich nach Nom zurück.
II. Kämpfe zwischen Patriciern und Plebejern.
1. Ein Schuldknecht.*)
Als die Patricier keinen Krieg mehr zu fürchten hatten, wurden sie immer übermüthiger gegen die Plebejer, und besonders behandelten dieReichen
*) Nach Mthauö.
Grube, Geschichtsbilder. I, J2
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die Armen, die ihnen Geld schuldig waren, hart und grausam. Die Gesetze schützten die Armen nicht gegen solche Bedrückungen, denn die Patricier hatten die Gesetze gemacht und so waren sie fürchterlich streng. Wenn ein Schuldner nicht bezahlte, hatte der Patricier das Recht, ihn zu seinem Knechte zu machen, ihn an Andere zu verkaufen, ja sogar ihn zu todten. Die Plebejer haßten darum die Patricier von ganzem Herzen und warteten nur auf eine Gelegenheit, sich von ihnen zu befreien. Alles war in Rom in Uneinigkeit und Erbitterung und zu diesen Wirren im Innern kam große Gefahr von Außen.
Die Volsker griffen Rom an und die Plebejer wurden von den Konsuln zu den Waffen gerufen. Jetzt in der Gefahr gab man den Plebejern gute Worte. Da geschah es, daß ein alter, aus dem Schuldkerker entsprungener Mann in Lumpen, mit verwilderten: Haar und blutigen Malen schwerer Mißhandlung auf den Markt stürzte und um Hülfe schrie. Er erzählte, wie er in achtundzwanzig Schlachten gefochten, wie ihm Haus und Hof, während er im Felde kämpfte, geplündert und verbrannt sei, wie Krieg und Hungersnoth ihn gezwungen habe, Alles zu verkaufen, wie er dann habe borgen müssen, aber die Wucherer seine Schuld in's Unerschwingliche getrieben hätten. Das Volk lief zusammen und erkannte wirklich in ihm einen alten wackeren Hauptmann. Da murrten die Plebejer und versagten den Kriegsdienst gegen die Volsker. Doch der Konsul Servilius beruhigte die Leute, indem er versprach, fortan dürfe auch jeder Schuldknecht in's Feld ziehen und Niemand solle ihm während des Krieges Kind und Habe pfänden.
Das geduldige Volk war zufrieden gestellt, rückte nun hinaus zur Schlacht und siegte; aber nach Hause zurückgekehrt, fand es den alte t Jammer wieder. Ein stolzer Patricier, Appius Klaudius, widersetzte sich jeder milderen Maßregel und schickte alle seine Schuldner in den Kerker.
2. Der Diktator Valerius.
Im folgenden Jahre entstand ein neuer Aufstand. Das arme Volk forderte Erlaß seiner Schulden. Da schrie Appius Klaudius, den Lumpen sei zu wohl, man müsse ihnen den Uebermuth brechen! Die Gefahr, worin die Stadt schwebte, war groß, denn schon zogen Sabiner und Volsker mit ihren Verbündeten wieder gegen Rom. In dieser Noth wählte der Senat einen Diktator. Das geschah nur in großen Gefahren, denn ein Diktator hatte unumschränkte Macht über Leben und Tod, er stand über dem Gesetze und jeder mußte seinem Willen gehorchen. Ein dem Volke freundlich gesinnter Patricier, Valerius, wurde zum Diktator erwählt, der versprach den Plebejern, ihre Lasten sollten erleichtert werden. Mit zehn Legionen zog er aus und besiegte in drei Treffen die Sabiner, Aequer und Volsker. Triumphirend kehrte er heim. Aber als die Gefahr vorüber, hielten ihm die Reichen wieder nicht Wort und kerkerten wiederum ihre Schuldner ein. Voll gerechten Zorns legte nun Valerius sein Amt nieder, das Volk aber zog aus auf den heiligen Berg außerhalb der Stadt, wo es sich in einem Lager verschanzte.
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8. Meneiiius Agrlppa.
Nun gerieten die Patricier in Angst. Sie schickten zehn Gesandte aus der Mitte des Senats, welche mit dem Volke unterhandeln sollten, daß es wieder in die Stadt zurückkehren möchte. Unter den Gesandten war auch Menenius Agrippa, ein Liebling des Volkes; der führte das Wort: „Hört" — sprach er — „was ich zu erzählen habe. Einst hatten sich alle Glieder des Körpers wider den Magen verschworen; denn sie wollten es nicht länger dulden, daß dieser allein in behaglicher Ruhe nur immer genießen wollte, was die Glieder durch schwere Arbeit erworben hatten. Sie versagten ihm also den Dienst und begaben sich auch zur Ruhe. Die Hände führten keine Speise mehr zum Munde, der Mund rührte sich nicht, um mit den Zähnen die Speise zu zermalmen, und so ging der Magen leer aus. Bald schrumpfte dieser zusammen, aber auch der Körper wurde nun matt und krank, die Arme verloren ihre Kraft zur Arbeit, der Mund seine Luft zum Sprechen. Da merkten die Glieder, daß doch der Magen es sei, von welchem Kraft und Munterkeit in den ganzen Körper überströme, sie gaben ihr thörichtes Vorhaben auf und söhnten sich mit dem Magen wieder aus."
Die Plebejer verstanden das Gleichniß und hörten nun versöhnlich die Friedensvorschläge an, die Menenius Agrippa überbrachte. Alle Schuldknechte sollten freigelassen, den ganz Armen aber die Schulden erlassen werden, und das Volk sollte fortan ein wichtiges Recht erhalten. Es sollte alljährlich aus seiner Mitte zwei Beamte, Tribunen genannt, wählen dürfen; die Tribunen sollten unverletzlich sein, Keiner ihnen eine Gewalt anthun. Das geheiligte Amt, welches die Tribunen übten, war: darüber zu wachen, daß dem Volke kein Unrecht geschähe. Um das Unrecht zu verhüten, hatten sie die Macht, bei jedem Beschlusse des Senats, der ihnen für das Volk verderblich schien, ein Veto oder Nein in den Saal hinein zu rufen; dann war der Senatsbeschluß ungültig. — Auf solche Bedingungen kehrten die Plebejer wieder nach Rom zurück.
4. Marcius Koriolanus.
Die Patricier hatten das Alles nur aus Noth und sehr ungern zugestanden. Vor Allen aber zürnte über die neuen Rechte der Plebejer ein junger Patricier, M a r c i u s, mit dem Zunamen Koriolanus. Er war ein stolzer und tapferer Mann; im letzten Kriege mit den Volskern hatte er die Stadt Korioli mit Sturm erobert und davon den ehrenvollen Beinamen „Koriolanus" empfangen. Als nun in den folgenden Jahren eine Hungersnoth entstand, rieth er den Senatoren, das Brodkorn theuer zu verkaufen und dadurch die Plebejer wieder zu Schuldnern und Knechten der Patricier zu machet:; denn die Patricier allein müßten herrschen, so wäre es von Anfang an gewesen und so müßte es bleiben.
Als die Tribunen das hörten, riefen sie ein Volksgericht zusammen und verbannten den Koriolanus aus Rom. Da schwur der gekränkte
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Patricier, sich an diesen Plebejern zu rächen und sie zu züchtigen für ihren Uebermuth. Er ging zu den Volskern, den Feinden Noms, und versprach ihnen, sie zum Siege gegen die Römer zu führen. Sie machten ihn zu ihrem Feldherrn, er drang in das römische Gebiet ein, verwüstete alle Aecker der Plebejer und lagerte sich nahe bei Rom. Das Volk war nicht zum Kriege gerüstet, zwischen Plebejern und Patriciern herrschte großes Zerwürfniß, kein Heer war aufzubringen. Da schickte der Senat Gesandte, die um Frieden bitten und den Koriolan feierlich in seine Würde als römischer Bürger wieder einsetzen sollten. Doch der aufgebrachte Mann wies sie stolz und höhnend zurück.
Nun sandte der römische Senat eine zweite Gesandtschaft, Priester und Augurn in ihrer heiligen Tracht, die heiligen Gefäße vor sich hertragend; sie richteten eben so wenig aus. Da versammelte eine ehrwürdige Matrone, Valeria, alle edlen Römerinnen, ging mit ihnen zu Marcius' kummervoller Mutter Veturia und seinem gebeugten Weib Volumnia und alle zusammen zogen nun in's feindliche Lager hinaus. Dem Fußfall der alten Mutter und den Bitten des liebenden Weibes, deren Kinder weinend die Kniee ihres harten Vaters umschlangen, konnte der Mann im ehernen Brustharnisch nicht widerstehen, und als ihn endlich noch die geliebte Mutter Veturia zürnend fragte, ob sie denn einen Verräther des Vaterlandes geboren haben sollte, da ward das Herz des stolzen Mannes überwältigt. Er stürzte ihr in die Arme und rief: „O Mutter, Mutter! Rom hast du gerettet, aber deinen Sohn verloren!"
Marcius gab dem Heere der Volsker den Befehl zum Rückzug; diese aber, aus Rache, daß ihr Feldzug vereitelt war, schlugen den Römer todt.
5. Die Zehnmänner und Appius Klaudius, ihr Oberhaupt.^)
1.
Kaum athmeten die Römer freier, so begannen auch wieder die alten Streitigkeiten, die jetzt um so heftiger wurden, da das Volk seine eigene Macht erfahren hatte. Jetzt wollte es auch wissen, nach welchen Grundsätzen die Patricier, seine Richter, ihm das Recht sprächen, was diese ihm bisher sorgfältig verheimlicht hatten. Da trat der Tribun Terenti lus Arsa mit dem wichtigen Antrage auf, gleichmäßiges Recht allen Bürgern durch geschriebene Gesetze zu bestimmen. Aber dieser billigen Forderung widersetzten sich die Patricier mit der unbesonnensten Hartnäckigkeit. Aufs Neue entstand Bürgerzwist in Nom und wiederum benutzten fremde Völker, namentlich die Sabiner, den günstigen Zeitpunkt, um die Römer zu überfallen. Der Feind drang sogar in die Stadt und besetzte das Kapitol. Nur von einem Manne hoffte man Rettung und den wählte man zum Diktator. Dieser Mann hieß Quinctius Cincinnatus. Als die Boten anlangten, um ihm die Wahl zur höchsten Würde zu melden, fanden sie ihn auf seinem Felde hinter dem Pfluge, nach Landrnanns Weise
*) Nach Th. Welter.
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nur mit einem Schurz bekleidet, ©eine Hausfrau reichte ihm eiligst die Toga, damit er würdig die Befehle des Senats entgegennähme. Cincin-nalus eilte nach Rom auf das Forum. Alle Buden wurden geschloffen, alle Processe schwiegen, die Aushebung begann, der Soldat zog muthig dem Feinde entgegen. Die Sabiner hatten sich bereits zurückgezogen, die Aequer wurden entscheidend geschlagen.
2.
Zum zweiten Mal drohten die Aequer und Sabiner; da verweigerte das Volk den Kriegsdienst, denn man hatte es wieder mit leeren Versprechungen wegen der geschriebenen Gesetze hingehalten. Nun entschlossen sich doch endlich die Patricier, drei Senatoren nach Griechenland zu senden, besonders nach Athen, das damals unter Perikies blühete, um dort die besten Gesetze zu sammeln. Darauf wählte man zehn Patricier (decem-viri), welche aus den fremden Gesetzen und einheimischen Satzungen eine Gesetzgebung für den römischen Staat ausarbeiten sollten. Während dieser Zeit wurde den Zehnmännem die höchste Staatsgewalt übertragen, jedem Dcccmvir schritten zwölf Liktoren voran. Am Ende des ersten Jahres waren schon zehn Gesetztafeln fertig, aber sie reichten noch nicht hin; so wurde das Amt der Zehnmänner auf das zweite Jahr verlängert. Appius leitete die Wahl aus sich und feine Anhänger; doch kamen diesmal auch fünf Plebejer hinzu. Nachdem noch zwei Tafeln mit Gesetzen beschrieben waren, konnte man die Gesetzgebung schließen.
3.
Die Zehnmänner hatten indeß keine Lust, ihr Amt, durch welches ste die ersten und mächtigsten Herren in Rom geworden waren, sobald wieder niederzulegen. Ohne sich um die Zustimmung des Volkes und des Senates zu kümmern, behielten sie sich auch für das dritte Jahr ihr Amt bei. Ja, Appius Klaudius, das Oberhaupt der Zehnmänner, schien es darauf angelegt zu haben, sich die Alleinherrschaft zu erringen. Solcher Ueber* muth empörte Alle, die Patricier sowohl als die Plebejer. Endlich kam der lange verhaltene Ingrimm durch eine Gräuelthat des Appius zum Ausbruch. Dieser Tyrann wollte einem Bürger Noms, mit Namen Vir-gimus, feine Tochter Virginia mit Gewalt entreißen, da das schöne und fitt'ame Mädchen nichts von den Anträgen des bösen Mannes hören wollte. Er behauptete frech, Virginia sei die Tochter einer feiner Sklavinnen, also fein Eigenthum; durch seine Diener ließ er sie auf offener Straße ergreifen und vor ein Gericht schleppen, das sie unter dem Schein des Rechts ihm zusprechen sollte.
Als der unglückliche Vater sah, daß gegen den Gewaltigen Niemand ihn schützen konnte, stellte er nur noch die Bitte, seine Tochter etwas fragen zu dürfen. Er trat mit ihr beiseit, riß von einer Schlächterbude ein Messer weg und stieß es feiner Tockter in's Herz. Mit dem blutigen Messer eilte er, wie einst Brutus, durck die Hausen des Volkes und rie;
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Götter und Menschen um Rache an. Das ganze Volk gerieth in Aufruhr. Appius wurde ergriffen und in's Gefängniß geworfen, wo er sich selbst entleibte; seine Genossen flohen aus Rom. So nahm die Regierung der Zehnmänner ein Ende und die Konsuln und Tribunen traten wieder in ihre Rechte ein. Zum zweiten Mal ging Roms Freiheit aus dem Blut einer edlen mißhandelten Römerin hervor!
6. Kamillus und Manlius.
1.
Sobald die Römer wieder Kräfte gesammelt hatten, wollten sie den schon Jahrhunderte lang dauernden Kampf mit V e j i endlich auskämpfen. Veji war die größte und mächtigste Stadt Etruriens; sie lag auf einer Anhöhe, am rechten Ufer der Tiber, lieberragende Felsen und Mauern schienen sie gegen jeden feindlichen Angriff hinreichend zu schirmen. Dennoch unternahmen die Römer (im Jahre 406) die Belagerung; sie warfen Wälle auf, errichteten Sturmdächer und ließen selbst im Winter nicht von der Belagerung ab. Doch ward die Stadt erst im zehnten Jahre, wie das einst von den Griechen belagerte Troja, eingenommen. Der Held, dem die Eroberung gelang, war der Diktator Kamillus. Dieser ließ unter den Mauern hindurch einen unterirdischen Gang graben, und während er von Außen stürmen ließ, stiegen von Innen die geharnischten Männer aus der durchbrochenen Kluft in die Stadt und überrumpelten die Einwohner. Unermeßlich war die Beute, die man in Veji fand. Das Triumphgepränge übertraf alles bisher Gesehene. Der Diktator fuhr in einem mit vier weißen Rossen bespannten Wagen das Kapitol hinan. Das schien Vielen sträfliche Hoffart, denn weiße Rosse waren dem Jupiter und der Sonne heilig. In der That wurde auch Kamillus bald sehr übermüthig, und einen Theil der Beute unterschlug er. Darum ward er von dem Volkstribun Apulejus angeklagt, entzog sich aber der Strafe durch eine freiwillige Verbannung nach Ardea. Scheidend that er das unedle Gebet, daß die Römer bald in Noth kommen und sich nach seiner Hülfe sehnen möchten. So beteten die Vaterlandsfreunde Aristides und Demosthenes nicht.
2.
Dem Kamillus ward sein Wunsch nur zu bald erfüllt. Im Norden von Italien, dort, wo das Land von den hohen Alpen begrenzt wird, hausete ein wilder Stamm der Gallier, die Senonen. Diese mochten nach den reichen Wein- und Kornländern Italiens lüstern geworden sein und drangen mit 30,000 streitbaren Männern nach Süden vor bis vor Klusium (Ehiusi) in Etrurien. Die erschrockenen Klusiner riefen eiligst die Römer zu Hülfe. Diese schickten, um vorläufig den Feind zu erkunden, drei Gesandte, welche Brennus, den Oberanführer der Gallier, fragten, mit welchem Rechte er denn in das Gebiet freier Männer falle? „Das Recht," — erwiederte der tapfere Mann, — „führen wir auf der Spitze des Schwertes. Dem Tapferen und Starken gehört die Welt!"
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Ueber solche Keckheit ergrimmten die Gesandten; sie stellten sich selbst an die Spitze der Klusiner, machten einen Ausfall, und einer der römischen Jünglinge tödtete mit eigener Hand einen gallischen Anführer.
Wüthend über eine solche Verletzung des Gesandtschaftsrechts zog Brennus gegen Rom. An dem Flusse Allia, zwei Meilen vor der Stadt, kam es zur Schlacht (390 v. Chr.). Beim Anblick der wilden gallischen Männer mit ihrer barbarischen eigenthümlichen Bewaffnung kam ein Schrecken über das ganze römische Heer; die Soldaten flohen nach allen Seiten auseinander. In Rom war kein Heer mehr vorhanden; da faßte man auf den Rath des Manlius den Entschluß, die unhaltbare Stadt aufzugeben, Schätze, Lebensmittel, Heiligthümer auf das feste Kapitol zu flüchten und dieses mit den wehrhaftesten Männern zu besetzen. Die übrige Habe wurde vergraben; wer fliehen mochte, floh. Nur achtzig Greise und Priester, welche Rom nicht überleben wollten und sich durch den pontifex maximua (den Oberpriester) dem Tode hatten weihen lassen, setzten sich, in weißer Toga und mit Stäben in der Hand, ernst und unbeweglich auf den Prachtstühlen des Marktes nieder. Die Gallier erstaunten nicht wenig, als sie in die offenen Thore eindrangen, die Straßen leer fanden und dann auf das Forum gelangten, wo sie die lange Reihe ehrwürdiger Greise erblickten. Sie meinten anfangs, es wären Götterbilder. Neugierig, ob die unbeweglichen Gestalten auch wohl Leben haben möchten, näherte sich ein Gallier einem der Priester und zupfte an dessen Bart. Der erzürnte Greis gibt dem Verwegenen einen Schlag mit seinem elfenbeinernen Seepter. Da hauet ihn der Gallier nieder; zugleich werden die Andern alle umgebracht. Nun wird die Stadt angezündet und in einen schaudervollen Schutthaufen verwandelt. Doch die Stürme auf das Kapitol werden von den Vertheidigern muthvoll zurückgeschlagen. Brennus beschloß, die Besatzung auszuhungern, und sandte indeß seine Schaaren nach Latium und Apulien, um Lebensmittel einzubringen.
3.
Ein Theil des gesprengten Römerheeres hatte sich in A r d e a gesammelt, wo Kamillus als Verbannter lebte. Der tapfere Kriegsmann wußte den Verzagten wieder Muth einzuflößen, stellte sich an ihre Spitze und schlug mehrere Haufen plündernder Gallier in die Flucht. Die römischen Soldaten meinten, Kamillus sei nicht länger mehr ein Verbannter, da kein Vaterland mehr sei: er möge wieder den Oberbefehl über das ganze Heer annehmen. Kamillus aber verlangte zuvor die Genehmigung der Obrigkeiten auf dem Kapitol. Der kühne Publius Korninius wagte es, die Einwilligung der Senatoren zu holen. Im schlichten Kleide, unter welchem Kork verborgen war, erreichte er des Nachts die Tiber, schwamm eine Strecke weit hinab, schlich sich mitten durch die feindlichen Posten an das karmentalische Thor, wo das Kapitol für unersteigbar galt, und es gelang ihm wirklich, die steile Höhe zu erklimmen. Da meldete er
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den Sieg Kamill's und den Antrag der Soldaten, und Kamillus ward zum Diktator ernannt.
4.
Die Fährte des Kominius ward aber von den Galliern entdeckt und wurde zu einem Uebersall benutzt. In der stillen, mondhellen Nacht klimmten die Feinde zum Kapitol hinan. Dort lag Alles im Schlaf, die Schildwachen, selbst die Hunde schliefen. Schon war ein Gallier fast oben, als plötzlich die Gänse, welche der Juno geheiligt waren und darum trotz der Hungersnoth nicht geschlachtet wurden, ein so starkes Geschnatter erhoben, daß der Senator Manlius davon erwachte. Der eilte schnell an den bedrohten Ort, hieb dem nächsten Gallier die rechte Hand ab, den folgenden stürzte er mit seinem Schild in die nächtliche Tiefe, so daß auch die Nachfolgenden zurücktaumelten und das Kapitol gerettet war. Die Wachtposten, welche so schlecht Wache gehalten hatten, wurden am nächsten Morgen zum tarpejischen Felsen hinabgestürzt. Für den Manlius aber darbte sich Jeder etwas Wein und Mehl ab. Aus dem letzten Rest von Getreide buk man Brod und warf es, als hätte man noch dessen zu viel, beim Sturm gegen den Feind. Da sank den Galliern die Hoffnung, die Römer auszuhungern, um so mehr, als das Gerücht sich verbreitete, Kamillus sei mit einem Heere im Anzuge.
Brennus zeigte sich zu einem Friedensantrag bereit, unter der Bedingung, daß die Römer ihm 1000 Pfund Gold auszahlten. Beim Abwägen des Goldes übten die Gallier Betrug, und als sich die Römer darüber beschwerten, warf Brennus noch sein Schwert und Wehrgehänge zu dem Gewicht, mit den Worten: „Weh' den Besiegten!" Aber während man so vor- und nachwog, zählte und zankte, erschien der Diktator. Ihm machten die Römer ehrerbietig Platz; Kamillus warf das Gold von der Waage den Seinen mit den Worten zu: „Die Römer bezahlen mit Eisen, nicht mit Gold; der Vertrag gilt nicht, denn er ist ohne den Diktator geschlossen!" Nun kam es zum Gefecht, aber Brennus ward in die Flucht geschlagen.
5.
Kamillus war ein Feind des Manlius, welcher der „Kapitoliner" genannt und vom Volke hochgeachtet ward. Da Kamillus einen zahlreichen Anhang unter den Patriciern hatte, ward er mit Belohnungen überschüttet, doch Manlius blieb unbelohnt. Das erregte seinen Groll und er trat auf die Seite des Volkes, dessen Druck und Plage ihm auch redlich zu Herzen gegangen sein mag. Ein als Schuldknecht vom Wucherer gefesselter alter Hauptmann und Kriegskamerad wurde von ihm auf der Stelle losgekauft. Das Volk jubelte ihm Beifall. Da schlug er auch sein bestes Landgut los und schwor, Keiner solle, so lange er ein As besitze, als Schuldknecht abgeführt werden. Er lieh den Armen ohne Zins. Bald wurde sein Haus ein Sammelplatz der Unzufriedenen; vor ihnen klagte er, wie das gallische Geld unterschlagen worden sei. Er forderte zum Besten des Volkes eine neue Vertheilung der Aecker und Verkauf des
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Gemeindelandes zur Schuldentilgung für die Armen, welche durch den Wiederaufbau der zerstörten Häuser vollends den Reichen in die Hände gefallen waren. Da wurde durch den Einfluß der Patricier ein Diktator ernannt, der ließ den Manlius als einen der Republik gefährlichen Mann, als Meuterer und Verläumder verhaften. Die Plebejer trauerten um ihren Patron in zerrissenen'Kleidern und lagerten sich an feiner Kerkerschwelle. Der Volksauflaus ward immer bedenklicher und der Senat sah sich genöthigt, den ihm Verhaßten wieder frei zu geben.
Es dauerte nicht lange, so klagten die Tribunen den Manlius an, daß er nach Alleinherrschaft strebe. Man hoffte, nun werde er sich selbst verbannen; er erwartete aber unbiegsam und furchtlos das Gericht. Er zeigte auf seine Wunden, auf die Waffen von dreißig erlegten Feinden, auf das gerettete Kapitol; errief die Götter an, gerechter als die Menschen sich seiner Noth zu erbarmen. Da wurde er abermals entlassen. Als aber sein Anhang sich bereitete, das Kapitol bewaffnet zu behaupten, und ihn völlig zur Empörung hindrängte, da wurde Kanüllus, sein Feind, zum vierten Mal Diktator und Manlius abermals in die Acht erklärt. Klüglich versammelten sich dies Mal die Patricier in einem Haine, wo das Kapitol nicht sichtbar war. Dort sprach man die Todesstrafe gegen den Unglücklichen aus, er wurde auf den tarpejifchen Felsen geschleppt und dann in den furchtbaren Abgrund hinabgestürzt. „Es sind nur wenig Schritte vom Kapitol bis zum tarpejifchen Felsen", das ist seitdem ein Sprüchwort geworden.
6.
Noch immer wurden den Plebejern die Rechte geschmälert; da erhoben sich zwei wackere Volkstribunen, Lieinius und Sextius, und Kamillus war hochherzig genug, sie zu unterstützen. Der Senat erkannte endlich, daß es Zeit sei, dem Volke nachzugeben, und glücklich wurden die licinischen Anträge durchgebracht und zu Gesetzen erhoben:
1. Von den Schulden mußte ein Theil den Plebejern erlaffen werden.
2. Bei den Ackervertheilungen durfte Keiner mehr als 500 Joch (480 Magdeburger Morgen) erhalten und auch die Plebejer mußten dabei bedacht werden.
3. Von den beiden Konsuln sollte fortan einer aus den Plebejern genommen und von den Plebejern gewählt werden.
Als diese Gesetze angenommen waren, geschah es, wie Kamillus gelobt hatte; die Römer bauten der Eintracht (Konkordia) einen Tempel. Anderthalbhundert Jahre hatten bis jetzt die Plebejer unablässig gestrebt, ihren Theil an der Staatsgewalt zu erlangen ; vieles Blut war um dieses Siecht vergossen, viele Tribunen und Freunde des Volkes waren erschlagen, und auch von Außen hatten die Römer, weil sie uneins waren unter sich, großes Unglück erlitten und zuweilen an dem Abgrund des Verderbens gestanden. Jetzt aber, da im Innern Friede und Eintracht herrschte und die Rechte des Volkes gesichert waren, nahm die römische Republik mit
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jedem Jahre an Kraft zu; Keiner verweigerte mehr Kriegsdienste, und das Volk hatte frische Lust, große Thaten zu vollbringen, weil es sein Vaterland liebte.
III. Die Heldenzeit der Republik.
1. Kurtius. Manlius. Decius.
1. Kurtius.
Nachdem Kamillus 64 Jahre lang der Republik gedient hatte, starb er an der Pest. Furchtbar wüthete die Krankheit und raffte viele wackere Bürger hin. Die Noth vermehrte sich, als ein Erdbeben die Stadt erschütterte und auf dem Markte einen tiefen Abgrund bildete, der sich durchaus nicht wollte füllen lassen. Die Augurn prophezeiten, es würde der Riß nur dann wieder geschlossen werden, wenn der Stärkste und Mächtigste der Stadt hineingeworfen würde. Da setzte sich der junge Kurtius in voller Rüstung auf sein prächtig aufgezäumtes Roß, weihete sein Leben den Göttern und sprengte muthig in den Abgrund, der ihn verschlang, aber auch alsbald sich schloß.
2. Manlius.
Die Latiner verlangten mit den Römern Ein Volk zu bilden, und daß sie wie die Römer einen Konsul wählen könnten. Dazu waren die Römer viel zu stolz, um solches zu bewilligen; sie wollten Römer bleiben und allein herrschen. Also zogen sie in's Feld unter dem Konsul Titus .Manlius. Dieser befahl seinen Soldaten bei Todesstrafe, daß ohne seine Erlaubniß sich Niemand mit den Feinden in einen Kampf einlassen sollte, denn strenge Ordnung mußte in einem römischen Heere sein. Nun ritt eines Tages sein Sohn mit einigen Reitern aus, um den Feind auszukundschaften; er begegnete dem Anführer der latinischen Reiterei. Dieser forderte den jungen Manlius zum Zweikampf heraus. Der tapfere Römer hielt es für schimpflich zu fliehen, er dachte nicht mehr an das Verbot, nahm den Zweikampf an, erschlug den Latiner und kehrte mit der erbeuteten Rüstung Iriumphirend ins Lager zurück. Er konnte freilich nicht leugnen, daß er wider das Verbot den Kampf gewagt hatte; doch alle Soldaten freuten sich seines Sieges und baten laut den Konsul, die Strafe zu erlassen. Manlius aber winkte den Liktoren, die mußten seinen Sohn ergreifen und ihn enthaupten, damit allen Römern offenbar würde, wie das Gesetz das Höchste sei.
3. Decius.
Dann führte Manlius das Heer den Latinern entgegen; am Berge Vesuv begann die Schlacht. Den einen Flügel des römischen Heeres be-
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fertigte der Konsul Manlins, den andern der zweite Konsul Decius. Vor der Schlacht war beiden Feldherren eine göttergleiche Gestalt erschienen, die hatte verkündet, der eine Feldherr und das andere Heer sei den Todesgöttern verfallen. So beschlossen denn beide Konsuln, daß der Feldherr des zuerst weichenden Flügels sich selbst opfern und damit das feindliche Heer dem Untergange weihen solle.
Decius befehligte den linken Flügel, dessen erstes Treffen wich. Da ließ sich der brave Feldherr vom Oberpriester dem Tode weihen. Er verhüllte sein Antlitz und betete zu allen Göttern der Ober- und Unterwelt für sein Volk um Sieg, für den Feind um Furcht und Graus. Dann sprach er über sich und den Feind den schrecklichen Todesfluch. Jetzt, wie der Geist des Verderbens, brauste er hoch aus schnaubendem Rosse mitten unter die Legionen der Latiner; entseelt sank er nieder. Die Römer wollten ihren Feldherrn rächen, die Latiner wurden bestürzt und konnten dem furchtbaren Andrang nicht widerstehen. Sie mußten fliehen, kaum der vierte Theil entkam. Ihr Lager und Decius' Leiche, die herrlich bestattet wurde, fiel in die Hände der Sieger (361 v. Chr.).
2. Pyrrhus. *) Fabricius. Kurius.
1.
In ganz Mittelitalien waren die Römer schon Herren geworden, und bald fanden sie auch zu ihrer Freude eine Gelegenheit, den Krieg in Unter-italien zu führen. Dort war die mächtigste Stadt T arent. Die Griechen, die sie bewohnten, waren reich und lebten üppig, es waren leichtsinnige und übermüthige Menschen. Sie nahmen einmal ohne allen Grund den Römern vier Schiffe weg, und als deswegen römische Gesandte in Tarent erschienen, wurden sie vom Volke verhöhnt und beschimpft, weil sie das Griechische nicht ganz richtig sprachen. Als nun aber die Römer mit einem starken Heere anrückten, riefen die Tarentiner den König Pyrrhus von Epirus zu Hülfe, der durch seine großen Kriegsthaten weit und breit berühmt war.
Epirus war ein halbgriechisches Land, das westlich von Macedonien lag und Pyrrhus brauchte nur über das Adriatische Meer zu fahren, so war er in Italien. Er war ein vortrefflicher Feldherr, sein Heer hatte er aufs Beste eingerichtet und in vielen Kämpfen geübt. Der Krieg war seine Herzenslust und er war voll Begierde, zu erobern und zu herrschen, gleichviel wo es war. Zuerst hatte er in Macedonien und Griechenland Krieg geführt, denn da war lauter Unordnung, nachdem das Reich Alexanders des Großen zerfallen war.
Nun, als ihn die Tarentiner riefen, dachte er gleich, ganz Italien
*) Nach Mthaus.
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und ©teilten dazu zu erwerben. Nasch kam er nach Tarent mit einem auserlesenen Heere und zwanzig Elephanten (280 v. Chr.).
Die Tarentiner hatten ihm in ihrem griechischen Stolze gesagt, die Römer wären ungebildete Menschen und bloße Barbaren, die würden leicht zu bezwingen sein. Als aber Pyrrhus von einem Hügel bei Her a-klea das römische Heer anrücken sah, sagte er gleich, die Schlachtordnung dieser Barbaren käme ihm gar nicht barbarisch vor, sonbern ganz wohl überlegt. Noch mehr bewunberte er bie Römer, wie sie unerschrocken über ben Fluß Liris gingen unb sich zum Angriff vorbereiteten. Sie stürmten nun auf bas Heer bes Pyrrhus los, um es zu durchbrechen; siebenmal erneuerten sie ben Angriff, aber es gelang ihnen nicht. Als nun vollenbs bie Elephanten mit Thürmen voll Solbaten auf ihren Rücken anrückten, würben bie Römer bestürzt, ihre Pferbe scheueten, warfen bie Reiter ab, unb bie Verwirrung unb Flucht war allgemein. Doch alle Leichen ber gefallenen Römer lagen mit bem Kopfe gegen ben Feinb, kein Einziger war ftiehenb niedergehauen unb Pyrrhus rief: „Hätte ich solche Solbaten, so wäre bie Welt mein."
Er meinte, bie Römer würben nach bieser Nieberlage ben Frieden wohl annehmen, unb schickte beshalb seinen Freunb Cineas nach Rom. Derselbe bot Geschenke, man nahm sie nicht an, seine schlaue, einschmei-chelnbe Rebe bethörte aber Einige, baß sie meinten, man solle bie Vorschläge bes Pyrrhus annehmen. Da staub ein alter bltnber Rathsherr auf, ber sonst nicht in bie Versammlung kam, biesmal sich aber von seinen Sklaven in einer Sänfte hatte hintragen lassen. „Wie?" rief er, „bisher habe ich ben Verlust meiner Augen betrauert; jetzt wünschte ich auch taub zu sein, baß ich bie unwürbigen Vorschläge eurer Feigheit nicht mit anhören bürste. Ihr zittert vor einem Haufen Menschen, bie immer bic Beute ber Macebonter gewesen find, vor einem Abenteurer, ber um bie Gunst ber Diener Alexanders gebuhlt hat." Das wirkte. Die Versammlung beschloß einstimmig, nicht eher sei an Fricbensunterhanblungen zu denken, als bis Pyrrhus Italien geräumt habe. Als Cineas seinem Könige bie Nachricht überbrachte, sagte er: „Der römische Senat sei ihm vorgekommen, wie eine Versammlung von Königen."
2.
Um bie Gefangenen auszulosen, schickten bie Römer ben Ga jus Fa-bricius als Gesandten an Pyrrhus. Er war schon Konsul gewesen, aber ein ganz einfacher Mann und ganz arm geblieben; er hatte nur seinen Acker, den er selbst bebaute. Pyrrhus bot ihm ein großes Geschenk an, nicht um ihn zu etwas Unrechtem zu verleiten, sondern nur als Zeichen seiner Hochachtung. Aber Fabrieius wies es mit den Worten zurück: ,$ch brauche kein Geld!" Am andern Morgen stellte ihn Pyrrhus auf die Probe; er ließ den größten Elephanten heimlich hinter das Zelt führen, worin er sich mit dem Gesandten unterredete. Auf ein gegebenes Zeichen ward der Vorhang plötzlich hinweggezogen, und der Eie-
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phant streckte mit fürchterlichem Gebrüll seinen Rüffel hinter dem Kopfe des Fabricins hervor. Der aber sagte ganz ruhig zum Könige: „So wenig mich gestern dein Geld reizte, so wenig schreckt mich heute dein Elephant!" Pyrrhus konnte sich nicht genug darüber verwundern. Die Gefangenen wollte er zwar nicht freigeben, aber er erlaubte ihnen doch, nach Rom zu einem großen Feste zu gehen unter der Bedingung, daß sie sich freiwillig wieder als Gefangene stellten. Sie gingen hin und feierten das Fest mit, am bestimmten Tage aber erschienen sie alle wieder im Lager des Pyrrhus. Todesstrafe hatte der Senat darauf gesetzt, wenn einer zurückbliebe.
3.
Im folgenden Jahre, 279 v. Chr., kam es abermals zu einem Treffen. Pyrrhus siegte zwar, verlor aber so viel von seinen Soldaten, daß er ausrief: „Noch einen solchen Sieg, und ich bin verloren!" Im dritten Jahre des Krieges führte der wackere Fabricius selber die Römer gegen den König. Ehe die Heere einander nahe kamen, erhielt der römische Feldherr einen Brief vom Leibarzte des Pyrrhus, worin dieser sich erbot, gegen eine angemessene Belohnung den König zu vergiften. Fabricius las den Antrag mit gerechtem Unwillen und meldete dem Pyrrhus die Ver-rätherei seines Arztes. Pyrrhus rief voll Bewunderung: „Eher könnte die Sonne aus ihrem Lauf, als dieser Römer vom Pfade der Rechtlichkeit abgelenkt werden!" Er ließ den Arzt hinrichten, schickte aus Dankbarkeit den Römern alle ihre Gefangenen ohne Lösegeld zurück und ließ abermals Frieden anbieten. Er erhielt wieder die gleiche Antwort: erst müsse er Italien geräumt haben, bevor an Friedensunterhandlungen zu denken sei. Für die erhaltenen Gefangenen schickten die Römer eben so viele Gefangene zurück. Pyrrhus scheute indeß ein drittes Treffen, und da es ihm schimpflich schien, nach Hause zu gehen, ohne den Krieg beendet zu haben, kam ihm ein Antrag von den Siciliern sehr gelegen, die ihn gegen die K a r t h a g er zu Hülfe riefen. Er ließ eine Besatzung in Tarent zurück und schiffte hinüber.
4.
In Sicilien richtete Pyrrhus auch nichts aus und nach zwei Jabren kehrte er auf dringendes Bitten der geängsteten Tarentiner nach Italien zurück. Die Römer stellten ihm ein großes Heer entgegen. Einer der beiden Feldherren war der berühmte Man ius Kurius, an Geisteskraft wie an Armuth dem Fabricius ähnlich. Als er das erste Mal die höchste obrigkeitliche Würde in Rom, das Konsulat, bekleidete, schickte ein Volk Unteritaliens Gesandte an ihn, einen Frieden zu vermitteln. Diese fanden ihn auf einer hölzernen Bank am Feuerherde sitzend, sich ein Gericht Rüben zu kochen. Sie boten ihm eine große Summe Geldes. Er antwortete lächelnd: „Kaun Derjenige, der sich mit Rüben begnügt, noch Geld verlangen? Ich will lieber reiche Leute beherrschen, als selbst reich sein!"
Dieser Mann war jetzt Feldherr gegen Pyrrhus, und hatte eine sehr
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vorteilhafte Stellung eingenommen. — Als es zur Schlacht kam, versuchte Pyrrhus wieder, durch seine Elephanten den Römern Schrecken einzujagen. Allein diese wußten jetzt die Elephanten zu schrecken; sie warfen brennende Pechkränze auf die Ungeheuer, und diese Thiere wurden darüber so wüthend, daß sie sich gegen ihre eigenen Herren wandten und Alles in Verwirrung brachten. Die Römer erfochten einen vollständigen Sieg, und Pyrrhus verlor nicht allein 20,00u Menschen, sondern mußte auch sein ganzes Lager den Siegern preisgeben. Das letztere war für die Römer ein sehr mächtiger Gewinn, denn sie lernten dadurch die Kunst, ein Lager regelmäßig zu befestigen.
Pyrrhus zog aus Italien heraus, Kurius aber mit vier Elephanten triumphirend in Rom ein. Das ganze südliche Italien hatte sich den Römern unterworfen.
5.
Wie Fabricius und Kurius lebten fast alle Römer zu der Zeit einfach, den alten Sitten getreu. Jedes Jahr wurden aus denen, die schon Konsuln gewesen waren, zwei Censoren gewählt; diese hatten das Amt, darüber zu wachen, das Jeder sein Vermögen ordentlich verwaltete, keine Schulden machte und ohne Prunk (Luxus) lebte. So — meinten sie — gezieme es einem Republikaner, d. H. dem Bürger eines freien Staates. Als Fabricius Censor war, stieß er einen vornehmen Patricier aus dem Senate, weil er in seinem Hause zehn Pfund Silbergeschirr fand! Die vornehmsten Römer hielten es für keine Schande, den Acker selbst zu bauen, und durch die Arbeit erhielten sie sich gesund und kräftig. Von studirteu Leuten und Gelehrsamkeit wußte man damals noch nichts; die Römer lasen wenig Bücher, auch von Malern, Bildhauern und Schauspielern wußten sie damals noch nichts, sie verstanden aber den Staat auch ohne solche Künste zu regieren und ihre Herrschaft über alle Nachbarländer auszubreiten. Sie hatten noch wenig Prachtgebäude, baueten aber ihre Häuser dauerhaft und ihre Landstraßen waren unverwüstlich.
3. Die römischen Legionen.
Das römische Heer war vortrefflich geordnet. Es war in Legionen eingetheilt; jede Legion bestand aus 6000 Mann Fußvolk, bewaffnet mit Speeren, Wurfspießen und Schwertern. Statt der Fahnen hatte jede Legion als Feldzeichen einen silbernen Adler auf einer Stange. Zu den 6000 Mann Schwerbewaffneten kamen noch fast eben so viel leichtbewaffnete Bundesgenossen, und außerdem Reiterei. Eine vollständige Legion bestand dann wieder aus zehn Kohorten.
So oft die Römer sich lagerten, warfen sie Schanzgräben auf; innerhalb derselben wurden dann reihenweis die Zelte aufgeschlagen, zwischen denen die Wege so genau abgesteckt waren, daß die Zeltreihen wie Stra-
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ßen aussahen. Gewöhnlich befehligten die Konsuln das Heer; ihre Unter-feldherren hießen Legaten; wenn die Republik in Gefahr kam und der beste Feldherr nicht gerade ein Konsul war, wurde eben der Tüchtigste zum Diktator erwählt. Stets ward auf strenge Mannszuchl gehalten; jeder Soldat mußte unbedingt gehorchen. Wenn einer ungehorsam war, wurde er mit Ruthen gepeitscht oder auch enthauptet; wenn aber ganze Kohorten oder Legionen geflohen waren oder sich empört hatten, so wurde der zehnte Mann von ihnen hingerichtet. Der sich im Kriege ausgezeichnet hatte, wurde feierlich belohnt. Hatte Einer einem Bürger das Leben gerettet, so erhielt er eine Bürgerkrone; hatte Einer zuerst den Wall einer belagerten Stadt erstiegen, so bekam er eine Mauerkrone; und für die Befreiung einer belagerten römischen Stadt wurde eine Be-lagerungskrone geschenkt. Alle diese Kronen waren verschieden gearbeitet, durften aber nur an Festtagen getragen werden.
Wenn ein Feldherr einen Sieg erfochten hatte, bei dem wenigstens 10,000 Feinde erschlagen worden waren, so riefen ihn die Soldaten zum Imperator aus, d. h. zum kommandirenden General, und so wurde er von da an immer genannt. Ein Imperator bewarb sich dann um einen Triumph in Rom, und wenn derselbe ihm gestattet wurde, zog er feierlich mit den erbeuteten Waffen und den Gefangenen in die Hauptstadt ein. Die Soldaten schmückten sich mit grünen Zweigen und sangen lustige Lieder; auch wohl Spottlieder aus den Triumphator selber, damit dieser nicht zu übermüthig würde. Der Triumphator aber fuhr, auf einem offenen Wagen stehend, in der Mitte des Zuges. Sein Lohn war diese Ehre, und sein Schmuck ein Lorbeerkranz.
Weil die römischen Legionen so vortrefflich eingerichtet waren, als römische Bürger sich fühlten und mit Stolz für die Größe ihres Vaterlandes kämpften, wurden sie die berühmtesten und tapfersten Soldaten der alten Welt.
' 4. Die punischen Kriege.*)
1. Duilius. Regulus.
1.
Unter den Pflanzstädten, welche Tyrus, die berühmte phönicische Handelsstadt am mittelländischen Meere, angelegt hatte, war Karthago die mächtigste und blühendste geworden. Diese Stadt lag auf der am nördlichsten in's Meer hervorragenden Spitze Afrika's, da, wo jetzt Tunis liegt, Sicilien gerade gegenüber. Karthago trieb nicht bloß Handel, wie einst Sidon und Tyrus, sondern führte auch Krieg und machte Eroberungen, hatte es sich nicht bloß das umliegende Gebiet in Afrika erworben,
*) Nach Bredow.
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sondern auch die Inseln Sardinien und Korsika, und einen großen Tbeil der Insel Sicilien unterjocht. Außerdem hatte es noch viele Kolonien, seine Flotten segelten auf allen bekannten Meeren, sein Handel war blühend, sein Reich unermeßlich. Die Punier oder Karthager selbst waren ein kleines Volk, aber mit ihrem Gelde mietheten sie fremde Truppen, die ihnen die Länder erobern mußten.
Sobald die Römer über Italien hinausgingen, konnte es nicht fehlen, daß sie mit den Puniern feindlich zusammentrafen; denn beide Völker hatten die Weltherrschaft im Sinn. Die Römer setzten nach Sicilien über, schlugen die karthagischen Soldtruppen, welche dort standen, und eroberten in wenig Jahren mehr als 60 sicilische Städte. Nun schickten die Karthager eine große Kriegsflotte. Die Römer, die auf dürftig zusammengenagelten Brettern nach Sicilien übergesetzt waren, kamen in große Verlegenheit; doch sie wußten sich zu helfen. Zufällig war an der Küste ein karthagisches Kriegsschiff gestrandet; dessen bemächtigten sich die Römer, und erbaueten nach diesem Muster mit unbeschreiblicher Anstrengung in 60 Tagen ihre erste Flotte von 120 Kriegsschiffen. Diese Schiffe waren freilich sehr unbehülflich; sie konnten nur mit großer Mühe fortgestoßen werden. Aber der römische Feldherr Duilius wußte auch hier Rath; er erfand eine Art Zugbrücken, welche man, sobald ein feindliches Schiff nahete, auf dasselbe niederfallen ließ. Widerhaken hielten dann sogleich die beiden Schiffe zusammen, die römischen Soldaten sprangen auf die Brücke und fochten nun wie auf dem festen Lande. Unter des tapfern Duilius Anführung erfochten die Römer einen glänzenden Sieg über 150 feindliche Schiffe (bei Mylä 260 v. Chr.), und die Römer waren über diesen ersten Seesieg so erfreut, daß sie ihrem Feldherrn eine marmorne Ehrensäule errichteten, an welcher die Schnäbel der eroberten karthagischen Schiffe befestigt wurden. Zugleich bewilligten sie dem Duilius, so oft er des Abends von einem Gastmahle nach Hause zurückkehrte, mit Fackeln und mit Musik sich begleiten zu lassen — eine Ehre, die andere Sieger nur an dem Tage ihres feierlichen Einzuges in Rom genossen.
2.
Nach diesem Siege eroberten die Römer die Inseln Sardinien und Korsika, und Regulus wagte es sogar, nach Afrika überzusetzen und die Feinde in ihrem eigenen Lande anzugreifen. Er eroberte eine karthagische Stadt nach der andern, machte sehr reiche Beute und stand schon vor den Thoren Karthago's. Da landeten griechischeMiethstruppen; Regulus, der sich des Sieges allzugewiß glaubte, wurde geschlagen und selbst mit 200 Römern gefangen genommen.
In den nächsten Jahren waren die Römer nicht glücklicher; mehrere Städte in Sicilien wurden von den Karthagern wieder erobert, zwei römische Flotten durch einen Sturm zerstört. Doch die Römer verzagten nicht; sie baueten wieder neue Flotten, und durch einen glänzenden Sieg, den sie auf Sicilien über das karthagische Heer davon trugen, wurden die
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Karthager so gedemüthigt, daß sie den gefangenen Regulus selbst mit mehreren Gesandten nach Rom schickten, um einen Frieden zu vermitteln. Regulus mußte aber schwören, wenn er nichts ausrichtete, wieder nach Karthago zurückzukommen. Wiewohl er nun wußte, daß bei seiner Rückkehr die schrecklichsten Martern seiner warteten, riech er dennoch nicht zum Frieden, sondern zeigte den Römern, daß Erschöpfung die Karthager zwinge, um Frieden zu bitten. Die Vorschläge der Gesandten wurden also verworfen, und Regulus, den weder die Vorstellungen des Senats, noch die Bitten der Seinigen zurückhalten konnten, ging seinem Eide getreu nach Karthago zurück. Dort ward er von den erbitterten Feinden hingerichtet.
3.
Es kam, wie Regulus vorhergesagt hatte. Die Karthager wurden wiederum in einer blutigen Seeschlacht entscheidend geschlagen, und da zugleich Unruhen in Karthago selbst ausgebrochen waren, mußten sie den Frieden auf die Bedingungen annehmen, welche die Römer ihnen stellten. Sie mußten Sicilien gänzlich räumen und eine ungeheuere Summe als Entschädigung für die Kriegskosten den Römern bezahlen. Sicilien, die reiche, fruchtbare Insel, ward nun zu einer römischen Provinz. Eine Provinz mußte Steuern und Abgaben nach Rom bezahlen, Soldaten stellen, so viel und so oft als Rom es verlangte, und von dem Guten, was sie hatte, den Römern das Beste liefern. War ein Römer Konsul gewesen, dann wurde er auf ein Jahr als Statthalter oder P r o k o n s u l in die Provinz geschickt und konnte hier frei schalten und wallen. Nur mußte er nachher dem Senat und Volke Rechenschaft von seinem Wirken geben. Als die Römer die schöne Insel Sicilien erworben hatten, da erfuhren sie, wie herrlich es wäre, über eroberte Länder zu herrschen. Und da sie das mächtige Karthago überwunden hatten, waren sie stolz auf ihre Kraft und scheueten sich vor keinem Volke mehr. Ihre Eroberungssucht war jetzt so groß geworden, daß ihnen auch kein Friedensvertrag mehr heilig war. So nahmen sie, während Karthago in Afrika die Unruhen zu dämpfen suchte, treulos noch die Inseln Sardinien und Korsika weg, und als die Karthager sich darüber beschwerten, droheteu sie Krieg, und verlangten, daß jene noch obendrein die Kosten bezahlen sollten, welche ihnen der Zug nach diesen Inseln verursacht hatte. Kein Wunder also, daß die Karthager aus Rache sannen.
2. Hannibal.
1.
H a m i l f a r, ein edler Karthager, schiffte mit seinem Heere nach Spanien hinüber, um hier seiner Vaterstadt ein Gebiet zu erobern, von wo aus sie dann gegen Rom wieder vorrücken könnten. In Spanien fanden dw Karthager viel Silber in den Bergwerken, und allmählig erholte sich auch ihr Handel wieder. Sie gründeten an der Küste des mittelländischen
Grube, Geschichtsbilder. L iq
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Meeres Neu - Karthago, an der Stelle, wo jetzt Karthagena steht. Als Hamilkar nach Spanien abreiste, bat ihn sein neunjähriger Sohn Hanni-bal, ihn mitreisen zu lassen. Der Vater erlaubte es, führte den Knaben aber zuvor an einen Altar, und ließ ihn schwören, daß er ewig ein Feind der Römer sein wolle. Nie ist ein Schwur treuer erfüllt worden.
Nach dem Tode seines Vaters und Schwagers Hasdrubal übernahm Hannibal den Oberbefehl über das Heer der Karthager, ein Feldherr, der an Geistesgröße und Heldenmuth Wenige seines Gleichen in der Weltgeschichte hat. Er war groß und wohlgewachsen, hatte ein feuriges Auge, einen würdevollen Gang und eine edle kräftige Stimme. Keine Gefahr konnte seine Geistesgegenwart erschüttern, keine Anstrengung seinen Körper ermüden; er war unempfindlich gegen Frost und Hitze, gleichgiltig gegen die Reize des Wohllebens; er konnte hungern und dursten, Nächte durchwachen, ohne daß man es ihm anmerkte. Er begehrte nichts von dem geringsten Soldaten voraus zu haben. Oft schlief er, nur in seinen Kriegs-mantel gehüllt, auf bloßer Erde. Im Treffen war er der Erste und Letzte. Die Soldaten hingen aber auch an ihm, wie an ihrem Vater; die schlechtesten Miethtruppen wurden unter seiner Leitung tapfere Krieger.
Als die Römer von den Eroberungen hörten, welche die Karthager in Spanien machten, wurden sie unwillig und setzten herrisch den Fluß Ebro den Karthagern zur Grenze; auch sollten diese die Stadt Sagunt, noch auf der Westseite des Ebro, unangetastet lassen. Hannibal achtete aber nicht auf die römischen Bedingungen; er belagerte Sagunt. Die Einwohner sandten nach Rom um Hülfe, doch vergebens; da sie sich nicht länger vertheidigen konnten, steckten sie ihre Häuser in Brand und verbrannten sich mit ihren Weibern und Kindern. Die Eroberung von Sagunt erklärten die Römer für einen Friedensbruch; sie schickten Gesandte nach Karthago und verlangten die Auslieferung des Hannibal. Da sich der Rath in Karthago nicht vereinigen konnte, faßte der römische Gesandte, des Redens müde, sein Oberkleid zusammen und sprach: „Hier ist Krieg und Frieden, was wollt ihr?" „Gib, was du willst!" antwortete Einer aus dem Rath. — „So sei es Krieg," rief der Römer, und ließ den Mantel auseinander fallen. Und es begann nun ein Krieg zwischen Rom und Karthago, der das übermüthige Rom seinem Untergange nahe brachte und achtzehn Jahre dauerte (218 bis 201 v. Chr.).
Die Römer erwarteten einen Angriff zur See und machten Plane, den Feind in Spanien anzugreifen. Aber ehe man noch mit dem Plane fertig war, stand Hannibal schon mit Elephanten, afrikanischen Reitern und Fußgängern in Italien. Was kein Mensch für möglich hielt, das führte Hannibal aus. Mit einem Heere von Soldaten, die nur an heißes Klima gewöhnt waren, mit einem Gefolge von Elephanten, die nur m Ebenen brauchbar sind, mit taufenden von Pferden, die über Klippen und Eisschollen an der Hand geführt werden mußten, oft niederstürzten und ihre Führer in den Abgrund rissen; — dann rings umgeben von
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wilden Räubervölkern, die dem Heere des Hannibal Hinterhalte legten, endlich in der schlechten Jahreszeit, im Monat November, unter allen diesen Hindernden stieg Hannibal über zwei der höchsten Gebirge Europa's, über die Pyrenäen und die Alpen. Ueber die Pyrenäen ging es schnell: in zehn Tagen ward das ganze Gallien (Frankreich) durchzogen, als man aber an die Alpen gelangte, schien Kälte und Hunger dem Kühnen ein Ziel zu setzen. Hannibal schreckte nicht zurück. Menschen und Thiere mußten die steilen, mit Eis bedeckten Anhöhen hinaufklettern. Tage lang mußte erst Weg und Steg geebnet werden, und dann, wenn die Führer vermeinten, eine Anhöhe erklommen zu haben, sanken sie oft plötzlich wieder zurück in den Abgrund, oder wurden von Lawinen verschüttet. Ueberall war jedoch der Feldherr selbst gegenwärtig; überall ordnete, arbeitete, kämpfte er selber. Endlich, nach neuntägigem Klettern, bei welchem mehrere tausend Menschen und der größte Theil der Lastthiere umgekommen waren, erreichte Hannibal den Gipfel der Alpen, und hier über den Wolken, auf den ewigen Schnee - und Eisfeldern, ließ er sein Heer zwei Tage lang rasten. Doch das Hinabsteigen war fast noch schwieriger als das Hinaufklettern; ganze Schaaren stürzten in die Felsklüfte und Abgründe, oft konnte man nicht vorwärts noch rückwärts. Als das Heer in den schönen Gefilden Italiens anlangte, war nur noch die kleinere Hälfte vorhanden; von 59,000 Mann waren blos 26,000 geblieben; die Andern waren erschlagen, erfroren, in die Abgründe versunken.
2.
Nun zeigte Hannibal seinen Feldherrngeist. Ein römisches Heer rückte ihm entgegen; er schlug es am Fluß Ticinus. Dann rief er die Gallier auf zur Empörung gegen Rom und verband sich mit ihnen. Aber schnell hatten die Römer ein zweites Heer gesammelt; doch der Meister im Kriege wußte eine günstige Stellung an der Trebia zu gewinnen, so daß ein kalter Wind den Römern Regen und Schnee in's Gesicht trieb, und fast das ganze römische Heer wurde in der Schlacht an ber Trebia aufgerieben. Ganz Oberitalien ging zu bem Sieger über, unb mehr noch als durch Waffengewalt gewann er durch schonende Milde.
Mit dem Frühling des nächsten Jahres drang Hannibal in das mittlere Italien vor. Der Fluß Arno hatte die ganze Gegend überschwemmt; doch das hielt den Hannibal nicht auf. Drei Tage und drei Nächte mußten die Soldaten, ohne zu rasten, im Wasser waten, die Lastthiere blieben int Schlamme stecken, und Hannibal selber verlor durch Erkältung das eitte Auge. Kaum aber war er auf dem Trockenen, so wußte er den neuen römischen Feldherrn durch verstellte Flucht in einen Hinterhalt zu locken, und nun begann die Schlacht amTrasimenischenSee. 6000 Römer wurden gefangen, 15,000 niedergemacht, der Konsul FlaminiuS tödtete sich selbst.
Hannibal zog weiter, hinter Rom hinweg, plünderte Alles aus, und machte erst int südlichen Italien Halt. Da wählten die Römer einen
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alten, äußerst bedächtigen Mann, den Fabius, zum Feldherrn. Diescr ließ sich durch Hannibal's Kriegslisten nicht täuschen; er besetzte sorgfältig alle Anhöhen und suchte seinem Feinde die Flucht abzuschneiden. Die römischen Soldaten jedoch waren unzufrieden mit diesem trägen Hin - und Herziehen, und nannten den Fabius spottend cunctator oder „Zauderer", welchen Namen er nachher als Ehrennamen behielt; denn er ließ sich nicht irre machen und blieb seinem Plane getreu. Und beinahe hätte er den schlauen Karthager gefangen. Wegweiser führten den Hannibal irre; dieser sah sich plötzlich in einem ganz von Bergen umringten Thale eingeschlossen und den Fabius auf den Anhöhen. Sorgfältig besetzten die Römer alle Ausgänge der caudinischen Pässe. In der Nacht aber ließ Hannibal 2000 Ochsen Reisbündel an die Hörner binden, das Reisig anzünden und so die Ochsen gegen das Heer der Römer treiben. Diese, welche nicht anders glaubten, als daß das ganze feindliche Heer gegen sie im Anzuge sei, und überall Flammen sahen, wußten nicht, auf welcher Seite sie sich zuerst vertheidigen sollten, und in der allgemeinen Verwirrung hatte Hannibal Zeit, aus der ihm gelegten Schlinge sich zu befreien.
Hierauf zog Hannibal bei des Fabius Landgütern vorbei; er ließ Alles umher verwüsten, verschonte aber sorgfältig die Güter des Fabius. Seine Absicht gelang; die unzufriedenen Soldaten begannen zu argwöhnen, daß Fabius ein geheimes Einverständniß mit dem Feinde habe, und als der kühne Unterbefehlshaber (Magister equitum) Minueius einen kleinen Vortheil über die Karthager gewann, ward ihm gleicher Antheil an dem Oberbefehl gegeben. Fabius theilte mit ihm das Heer. Kaum sah sich Minueius frei von dem lästigen Zwange, als er sogleich die Höhen verließ, um den Hannibal anzugreifen. Er ward aber, von diesem in einen Hinterhalt gelockt, plötzlich umzingelt und würde mit allen seinen Soldaten nicht davon gekommen sein, hätte ihn Fabius nicht gerettet Dieser aber hatte die Gefahr gesehen und war schnell dem bedrohten Minueius zu Hülfe gezogen. Als Hannibal ihn kommen sah, zog er sich zurück, indem er sagte: „Ich hab' es immer gesagt, daß die Wolke auf den Bergen uns einmal Ungewitter bringen würde!" Nach der Schlacht berief Minueius seine Soldaten. „Genossen!" sprach er, „derjenige ist der erste Mann, der gut räth; derjenige der zweite, der gutem Rathe folgt; wer aber weder selbst zu rathen, noch dem guten Rathe zu folgen versteht, ist der allgemeinen Verachtung werth. Fabius hat uns errettet. Auf! laßt uns zu ihm und seinen Kriegern gehen, ihn als Vater, sie als unsere Retter zu begrüßen, und so uns wenigstens den Ruhm dankbarer Herzen gewinnen!" Alle gingen zum Heere des Fabius zurück. „Nimm uns gütig wieder auf unter deinen Oberbefehl!" sprach Minueius. Und Alle umarmten sich, Bekannte und Unbekannte bewirtheten einander als Gastfreunde, und ein Tag, der kurz vorher ein Tag der Trauer und der Verwünschungen war, endigte als ein festlicher Tag der Freude.
3.
Für dar nächste Jahr, 216 ». Chr., hatten die Römer zwei mue Feldherren erwählt, von denen der Eine ein Mmrsch-r, unvorsichtiger Mann war (TerentinL Varro). Hannibal wünschte daher nichts lehn-licher, als eine Schlacht; und der nnbedachtsame Römer gewahrte ihm diese nur zu Bald. Das römische Heer griff die hervorragende Mitte der kar-thagifchen Schlachtreihe an; diese zog sich eiligst zurück, dre Römer folgten, aber die beiden Flügel des karthagischen Heeres hielten nicht blos Stand, sondern drangen vorwärts. So wurde nach und nach säst das ganze römische Heer eingeschlossen und erlitt eine fürchterliche Niederlage. 50,000 Römer lagen todt, unter ihnen der andere Konsul, gegen teilen Raty iie Schlacht unternommen worden war (Aemilius Paullus). Es waren allein 80 Senatoren umgekommen, und so viele Ritter (von denen jeder als Abzeichen einen Ring am Finger trug), daß Hannibal einen ganzen Lchefsel voll Ringe nach Karthago senden konnte. Bei Eannä in Apulien wurde die blutige Schlacht geschlagen; die Kunde davon verbreitete tiefe grauer in der Hauptstadt, da war fast kein Haus, das nicht einen Vater oder Sohn oder Verwandten zu betrauern hatte. Rom schien verloren, und es wäre verloren gewesen, hätte jetzt Hannibal Unterstützung von Karthago aus erhalten. Denn sein Heer hatte durch die vielen schlachten sehr ge-litten, und in den ausgeplünderten Gegenden konnte er keine Lebensmittel mehr auftreiben. Er war erschöpft; in Karthago aber waren die habsüchtigen Kaufleute unzufrieden, daß er noch immer Geld und Soldaten verlange, und nicht vielmehr Geld schicke. Die Römer aber vertraueten noch in der höchsten Noth auf sich selbst und blieben wie freie Männer fest und ungebeugt. Als der vorsichtige Konsul die Reste de» Heeres guantnieU hatte und mit ihnen im geordneten Zuge in Rom anlangte, ging der Senat ihm entgegen und dankte ihm, daß er nicht an der Republik verzweifelt hätte.
4.
Die Söldlinge des Hannibal fochten nicht wie die Römer für Freiheit und Vaterland, sondern nur für's Geld; sie waren zusammengelaufenes Gesindel. Hannibal suchte sich daher durch Bündnisse mit Sicdien und Maeedonien zu stärken. Allein Marcellus, ein tapferer und kluger Feldherr (die Römer sagten: „Fabius war unser Schild, Marcellus ist unser Schwert"), schlug den Hannibal in mehreren Treffen und eroberte Sicilien. Die Hauptstadt der Insel, Syrakus, hielt sich ant längsten gegen die Angriffe der Römer, besonders durch die kunstreichen Erfindungen Eines Mannes, des A r ch i m e d e s. Der war ein äußerst sinnreicher Kopf, batte viele wichtige mechanische Werkzeuge erfunden, durch die man mit geringen Kräften die schwersten Lasten hob; er hatte Wurfmaschinen verfertigt, mit denen man Steine und Feuerkugeln auf die Feinde und ihre Schiffe hinabwarf. Ja, man erzählt, er habe mit großen Brennspiegeln von der Mauer herab die römischen Schiffe in Brand gesteckt. Endlich
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nach zweijähriger Belagerung mußte sich die Stadt ergeben. Marcellus, der römische Feldherr, hatte zwar befohlen, den Archimedes zu schonen. Dieser aber, ohne noch davon gehört zu haben, daß die Stadt eingenommen sei, saß in Nachdenken vertieft vor einer mit Sand bestreuten Tafel und zeichnete Kreise und andere Figuren. Ein römischer Soldat tritt herein, um nach Schätzen zu suchen. Archimedes ruft ihm ängstlich zu: „Verwirre mir meine Zirkel nicht!" Da durchstößt ihn der Soldat, ohne zu ahnen wer er sei, mit seinem Schwert.
5.
Endlich hatten die Karthager beschlossen, dem Hannibal Hülfe zu schicken. Sein Bruder Hasdrubal sollte ihm aus Spanien ein neues Heer zuführen, und der war bereits glücklich über die Pyrenäen und Alpen gelangt, als er in Oberitalien von den Römern geschlagen ward. Eines Morgens warfen die Römer dem Hannibal über die Wälle seines Lagers einen Kops, — es war der Kopf seines Bruders. Da verzagte der große Mann. „Jetzt seh' ich Karthago's Schicksal!" rief er.
In Spanien hatte ein ausgezeichneter Feldherr, Publius Cornelius Scipio, ein Jüngling von 24 Jahren, das Glück der Römer wieder hergestellt. Er hatte Neukarthago erobert, das feindliche Heer geschlagen und durch seine Freundlichkeit und Milde sich die Herzen der Spanier gewonnen. Dann faßte er den kühnen Plan, Karthago selbst in Afrika anzugreifen; mit einer großen Flotte fuhr er hinüber. Dort fand er weder ein bedeutendes Heer, noch einen bedeutenden Feldherrn sich gegenüber : ohne Widerstand zu finden, durchzog er das ganze feindliche Land, eroberte eine Stadt nach der andern und nahete den Thoren Karthago's. Da ward Hannibal zurückberufen. Traurig, wie Einer, der vom Vaterlande scheidet, verließ der große Feldherr Italien, das Land seiner Siege, das er erobert hatte und das er jetzt aufgeben mußte, weil ihn seine Mitbürger verlassen hatten.
Er landete in Afrika und ging dem Scipio entgegen. Doch er erkannte bald, daß sein Gegner ihm überlegen sei und daß er mit seinem zusammengerafften Heere den Römern nicht widerstehen könne. In der Ebene bei Zama sollte die verhängnisvolle Schlacht geliefert werden. Hannibal bot Frieden an, und im Angesicht beider Heere traten die zwei größten Feldherren ihrer Zeit zu einer Unterredung zusammen. Scipio, der junge Held, blühend und frisch, sprach mit Hannibal und schauete dessen von Gram und Narben durchfurchtes Antlitz. Doch die Unterredung war vergebens; der Römer verlangte gänzliche Unterwerfung. Nun begann die Schlacht. Hannibal bot die höchste Kraft seiner Klugheit und Geistesgegenwart auf; die Stellung seines Heeres war meisterhaft: aber leine Soldaten waren entnervt, seine alten Krieger in Italien gefallen. An 20,000 wurden gefangen und eben so viel niedergemacht. Da mußten sich die Karthager auf Gnade und Ungnade ergeben, und die Friedensbedingungen waren hart. Sie mußten Alles, was sie außer ihrem Gebiete
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in Afrika besaßen, den Römern abtreten: Spanien, Stellten, Sardinien; alle römischen Kriegsgefangenen mußten sie umsonst ausliefern, alle abgerichteten Elephanten herausgeben und versprechen, nie wieder solche Thiere abzurichten; alle Kriegsschiffe bis auf zehn mußten sie verbrennen, den Römern die Kosten des Kriegs bezahlen (über zehn Millionen Thaler!) und endlich geloben, ohne Einwilligung der Römer nie einen Krieg anzufangen.
Als zur Abtragung der ungeheuren Entschädigungssumme eine Kopfsteuer angeordnet wurde, weinte Alles in Karthago; Hannibal aber lachte bitter und rief: „Damals hättet ihr weinen sollen, als ihr vor den Römern flöhet, euch die Waffen genommen und die Schiffe verbrannt wurden!"
6.
So sehr nun auch Karthago gedemüthiget war, so konnte doch Han-nibal nicht in unthätiger Ruhe sein Leben beschließen. In Syrien herrschte damals ein eroberungssüchtiger König, Antiochus. Art diesen schickte Hannibal heimlich Gesandte, die ihn aufmuntern sollten, sich mit den unzufriedenen Griechen gegen die Römer zu verbinden und diese in ihrem eigenen Lande, in Italien, anzugreifen. Allein die Unterhandlung ward verrathen, römische Gesandte erschienen in Karthago und verlangten die Auslieferung des Hannibal. Die Karthager hätten sich diesem Verlangen wohl fügen müssen; Hannibal aber entrann in der Nacht, bestieg ein Schiff, das er schon längst für solche Fälle bereit gehalten hatte, und setzte nach der kleinen Insel Cercina über. Hier lagen einige karthagische Kaufmannsschiffe; man empfing ihn mit Jubel, wunderte sich aber, ihn hier zu sehen. Doch er kam jedem Verdachte durch die Erdichtung zuvor, er gehe als Gesandter nach Tyrus, der Mutterstadt Karthago's. Indeß konnte leicht ein Schiff nach Karthago absegeln und Nachricht von dem Aufenthalte Hannibal's bringen. „Hört," sprach er daher zu den Schiffern, „rückt eure Schiffe zusammen und spannt die Segel aus, damit wir vor der Abendsonne beschirmt irrt Schatten trinken können!" Der Vorschlag fand Beifall, man veranstaltete ein Mahl, und Hannibal nöthigte fleißig zum Trinken. Als Alle berauscht fest schliefen, lösete er sein Schiff und ruderte mit seinen wenigen Getreuen davon, nach Asien zum Antiochus. Dieser beschloß sogleich Krieg gegen Rom, aber er war wohl ein ruhmsüchtiger, doch kein großer Mann. Als die Römer heranrückten, ward er unschlüssig, achtete nicht auf Hannibal's Rathschläge und ließ die beste Gelegenheit zum Siege ungenützt vorübergehen. Da ward er geschlagen und mußte einen schimpflichen Frieden schließen, worin ihm auch zur Bedingung gemacht wurde, den Hannibal an die Römer auszuliefern. Antiochus willigte ein; aber Hannibal entfloh nach dem nordwestlichen Theil Kleinasiens zum Könige von Bithynien. Auch an diesen schickten die Römer Gesandte und erklärten es für eine Feindseligkeit gegen Rom, wenn er dessen erbittertstem Feinde Schutz gewährte. Der eingeschüchterte König ließ Hannibal's Haus mit Wachen umringen, die Wege der Flucht
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waren betn Unglücklichen gesperrt; nur ein einziges Mittel blieb ihm, um bem Schicksal zu entgehen, in Rom als Sklave aufgeführt zu werben. Lange schon trug er bei sich ein Fläschchen mit Gift; als bie Bewaffneten zu ihm eindrangen, zog er es hervor unb trank es aus. So starb der größte Felbherr ber alten Welt.
3. Der Censor Kalo.
Die Römer hatten sich in Asien an bie Schwelgerei unb Ueppigkeit
gewöhnt. Je mehr Schätze bie Republik unb bie einzelnen Bürger gewannen, beste mehr beichte Jeber nur darauf, wie er am besten leben könnte,
unb nicht, wie er am besten bem Staate biente. Dabei würben die
Reichen immer mächtiger, mit Gold konnte man jetzt mehr ausrichten als sonst, und solche Männer, wie Fabricius und Kurius waren, wurden immer seltener. Ein Mann von altem Schrot und Korn war der Censor Kato, der wollte mit aller Gewalt die früheren einfachen Sitten wiederherstellen. Er fürchtete, daß leicht Einer zum Tyrannen sich auswerfen könnte, wenn die Bürger einem weichlichen Leben sich ergeben würden, wenn sie schöne Paläste baueten, Kunstwerke aufstellten und den Griechen es nach thun wollten. Auf die Griechen hatte der strenge Mann besonders seinen Haß geworfen, denn von diesen kamen viele nach Rom, um die jungen Römer in griechischer Kunst und Wissenschaft zu unterrichten. Manche jener Griechen waren allerdings Schwätzer und ausschweifende Menschen, welche einem Republikaner wie Kato nicht gefallen konnten. Feinheit und Anmuth und Kunst, meinte dieser, gezieme nur Sklaven, die kein Vaterland hätten. So versuchte er denn, alle griechischen Redner, Lehrer und Künstler aus Rom zu vertreiben, und darin standen ihm auch Manche von den Volkstribunen bei. Scipio, der ruhmgekrönte „Afrikaner", wie er seit seinem Siege über Hannibal genannt wurde, war diesen Männern auch verhaßt, weil er Gefallen hatte an griechischer Weisheit und Kunst, aber auch, weil sie meinten, es wäre für den Freistaat gefährlich, wenn Einer so viel bedeute. So klagten denn zwei Tribunen den trefflichen Mann unter dem Vorwande an, er habe auf seinen Feldzügen Gelder, die dem Staate gehörten, veruntreut und für sich behalten.
An dem Tage, wo die Sache verhandelt werden sollte, kam Scipio ans das Forum, mit einem Lorbeerkranz um die Stirn. Er sprach: „Heute, ihr Römer, ist der Tag, wo ich einst über Hannibal in Afrika einen herrlichen Sieg erfochten habe. Kommt, laßt uns auf das Kapitol gehen und den Göttern dafür danken!" Da jubelte das Volk und folgte ihm nach; von der Anklage war nun nicht mehr die Rede. Scipio aber mochte seit dieser Zeit nicht mehr in Rom bleiben; er ging auf sein Landgut und lebte dort in stiller Zurückgezogenheit bis an seinen Tod, der in demselben Jahre erfolgte, in welchem Hannibal sich selber das Leben nahm.
Der Censor Kato fuhr inbessen fort, bie Prunksüchtigen zu strafen und gegen die Erpressungen ber Reichen unb Mächtigen zu eifern; boch konnte er ber zunehmenden Zügellosigkeit keinen Damm mehr entgegensetzen.
Aber jedes Mal, so oft Kato im Senate eine Rede gehalten hatte, fügte er regelmäßig die Worte bei: „Uebrigens bin ich der Ansicht, daß Karthago Zerstört werden muß!"*)
4. Die Zerstörung Karlhago's.
Der Wunsch des Kato war auch der Wille des römischen Volks; dieses wartete nur auf eine Gelegenheit, um abermals über die Karthager herfallen zu können. Da geschah es, daß ein benachbarter König (Masi-nifsa) den Karthagern ein Stück Land wegnahm. Sie durften aber ohne Einwilligung der Römer keinen Krieg anfangen, darum schickten sie Gesandte nach Rom und baten um Hülfe. Doch die Gesandten fanden kein Gehör. Die Karthager erneuerten ihre Klagen und Bitten und endlich wurden Römer abgesandt, die Sache zu untersuchen. Diese entschieden gegen Karthago. Der König ward nun übermüthiger, und die Karthager ergriffen die Waffen, sich selbst zu wehren. Dies erklärten die Römer für entert Friedensbruch und schickten ein Heer nach ©teilten; Karthago erschrickt, sendet Abgeordnete und unterwirft unbedingt Land und Leute. „So schickt uns 300 Geiseln als Zeichen eurer Unterwerfung!" Z0<> Jünglinge werden ihren Eltern entrissen und nach Rom geschickt. Dennoch setzt ein römisches Heer unter Seipio dem Jüngern (Aemilianus) nach Afrika über, und den Karthagern wird befohlen, alle Waffen und Kriegs-vorräthe auszuliefern. Sie thun es. Als nun aber der Befehl kommt, Karthago zu schleifen, und sich irgendwo im Lande, drei Meilen von der Küste entfernt, anzubauen: da werden die Karthager zur Verzweiflung gebracht. Sie bieten ihre letzte Kraft auf, um wenigstens nicht ehrlos unterzugehen.
Karthago hatte eine vortreffliche Lage auf einer Halbinsel und war stark befestigt. Der Eingang in den Hafen konnte den römischen Schiffen durch eine Kette gesperrt werden, und ein Landheer war so gestellt, daß die Stadt ununterbrochen mit Lebensmitteln versehen werden konnte. Jung und alt arbeitete nun, Vertheidigungsmittel zu bereiten. Man trug die Häuser ab, um Schiffsbalken zu gewinnen; alles Metall, alle Kostbarkeiten von Gold und Silber wurden zusammengebracht, um Waffen daraus zu schmieden; auf den Straßen, in den Tempeln sogar sah man hämmern, schmelzen, hobeln und zimmern. Es fehlte an Sehnen für die Bogen; die Weiber schnitten ihr langes Haar dazu ab. So wehrten sich die Karthager mit der äußersten Verzweiflung zwei Jahre lang gegen die Römer. Im dritten Jahre endlich, 146 v. Chr., erstürmten die römischen Soldaten die Mauern. Doch mußten sie auch jetzt noch straßenweise die Stadt den Karthagern abringen und das wüthendste Morden in den Straßen und Häusern währte sechs Tage. Von 700,000 Einwohnern blieben nur 59,0 0 am Leben, die als Sklaven verkauft wurden. Die Stadt war an mehreren Orten in Brand gesteckt worden und brannte siebemebn Tage lang.
*) „Ceterum ceuseo, Cavthaginem esse deleudam!“
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5. Die Eroberung von Korinth.
Die Griechen hatten von ihrer früheren Geschichte nichts gelernt; um der Uneinigkeit willen waren sie früher eine Beute Philipp's von Mace-donien geworden, und um der Uneinigkeit willen wurden sie nun eine Beute der Römer. Sparta stand in Fehde mit Korinth, Korinth wiegelte wieder andere Städte gegen Sparta auf. Es waren viele Verräther unter den Griechen, die hielten es mit den Römern und lockten viele in's Land. Da zog der Konsul M ummi us gegen die Korinther und ihre Verbündeten, schlug sie und eroberte Korinth in demselben Jahre, in welchem Karthago zerstört ward. Nachdem die Soldaten die reiche Stadt geplündert hatten, steckten sie dieselbe in Brand. Die herrlichsten Paläste gingen in Rauch auf, eine Menge werthvoller Bildsäulen und Gemälde schickte der rohe Eroberer nach Rom; er war aber in Kunstsachen so unwissend, daß er den Schiffsleuten sagte, sie möchten diese Statuen nicht entzwei brechen, sonst müßten sie dieselben wieder machen lassen. Er hielt die Kunst für ein bloßes Handwerk.
Die Einwohner Korinths und viele andere Griechen wurden als Skla-ven fortgeführt; durch sie kam griechische Weisheit und Kunst nach Rom und verbreitete sich von dort über alle Länder der Erde. So haben die Griechen noch lange für die Bildung der Menschheit gewirkt, obwohl ihr Staat zertrümmert und ihre Kraft gebrochen war.
6. Roms Weltmacht.
Als die Römer auch die Karthager vernichtet hatten, betrachteten sie sich als die Herren der Welt, und Furcht und Schrecken kam über die Völker, wenn sie nur die Römer nennen hörten. Antiochus von Syrien wollte einen Krieg gegen die Aegypter führen; der Senat schickte einen Gesandten und verbot es ihm; Antiochus gehorchte. Als der König Pru-sias von Bithynien einen Besuch in Rom machte, zog er Sklavenkleider an und küßte die Thürschwelle, ehe er in den Senat trat. Der König Masinissa von Numidien, von welchem die Römer Korn gekauft hatten, schickte seinen Sohn zum Senat und ließ sagen: „Er wäre ganz beschämt, daß die Römer ihm Geld dafür gegeben hätten, da er ja selbst, sein Land und Alles darin den Römern gehöre."
Nachdem die Römer fast zu gleicher Zeit in Spanien, in Griechenland, in Macedonien und in Afrika Krieg geführt und überall gesiegt hatten, rührte sich Niemand gegen sie. Der König Attalus in Kleinasien vermachte ihnen, als er starb, sein ganzes Reich und alle seine Schätze. So schienen die Römer die sicherste Macht und das größte Glück auf Erden zu haben. Beides, ihre Macht und ihr Reichthum, wurden mit jedem Tage unermeßlicher; davon sprachen sie auch gern und rühmten ihre Größe mit römischem Stolze.
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IV. Verfall des freien Staates.
1. Die beiden Gracchen.
1. Daß Mißverhältniß zwischen Patriciern und Plebejern erneuert sich.
Der große Reichthum verderbte die Sitten und die Gesundheit des Staatswesens. Denn nur die Vornehmen, die im Senat waren und die Aemter verwalteten, erlangten die großen Schätze; der größte Theil des Volks blieb arm. Die Plebejer hatten zwar seit langer Zeit das Recht, die Konsuln und die andern Beamten mitzuwählen; aber wenn ein Plebejer reich wurde, hielt er sich gleich zur vornehmen Partei, und das Recht war ihm dann Nebensache. Weil aber das Volk arm und ungebildet war, ließ es sich von den Reichen bestechen und wählte zu Staatsmännern nicht die Würdigsten, sondern die, welche am meisten zahlten. So hatte jeder Reiche nicht bloß eine Menge Sklaven, sondern auch unter den Bürgern eine große Menge, die ihm ergeben waren und die sich feine „Schützlinge" (Clienten) nannten. Diese mußten in den Volksversammlungen so abstimmen, wie es der Patron verlangte. Die Prokonsuln gingen arm in ihre Provinz und kamen reich zurück; dann kauften sie Aeckcr und Ländereien und ließen diese von ihren Sklaven bearbeiten. So häufte sich wieder der Besitz bei Wenigen an, und viele tausend Bürger wurden brodlos. Der so herabgekommene Pöbel sah nicht mehr auf das, was recht und gut und gesetzlich war, sondern er verkaufte sich an die Meistbietenden und folgte diesen blindlings, gleichviel ob die vornehmen Herren das Beste des Staates wollten, oder zum Schaden der Freiheit wirkten. Zuweilen standen aber doch brave Männer auf, denen die Noth des Volkes zu Herzen ging; zu solchen edlen und wahrhaften Volksfreunden gehörten die Brüder Tiberius Gracchus und Kajus Gracchus.
2. Zwei Söhne einer edlen Mutter.
Ihre Mutter Kornelia war die Tochter des großen Scipio Afrikanus und eine der edelsten und besten Frauen, die Rom je gehabt hat. Von zwölf Kindern waren jene beiden Söhne ihr allein geblieben; aber sie konnte auch stolz sein auf die beiden Söhne, denn sie waren von der Natur mit den herrlichsten Anlagen ausgestattet. Diese Anlagen verstand die Mutter trefflich zu entwickeln, sie ließ ihre Söhne von den vorzüglichsten Lehrern unterrichten und wandte alle Sorgfalt an, um so edle und brave Männer aus ihnen zu machen, wie einst Scipio war. Eine vornehme Dame zeigte ihr einmal ihren prächtigen Schmuck und ihre Kostbarkeiten; Kornelia aber, als sie nun auch ihre Schätze zeigen sollte, tief ihre beiden Söhne und sagte: „Hier sind meine einzigen und größten Schätze!"
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Die Brüder entwickelten sich sehr verschieden, geriethen aber doch zuletzt auf eine Bahn. Tiberius war sanft, ruhig, fast jungfräulich bescheiden; Kajus, der neun Jahr jüngere, rasch und feurig. Beide glänzten als Redner; aber der ältere rührte und überzeugte; der jüngere riß mit sich fort, und da er wohl auch in Zorn und Schmähungen ausbrechen konnte, so hatte für solche Gelegenheiten ein Sklave den Auftrag, mit dem Ton einer Flöte besänftigend einzufallen. Tiberius lebte einfach und zurückgezogen; Kajus machte Aufwand und liebte Pracht der Tafel und des Haus-geräthes. Beide aber erglühten für die Wahrheit und das Recht.
3. Tiberius Gracchus als Bolkstribuu.
Der ältere Bruder trat zuerst öffentlich hervor. Er ging mit dem geringen Volke um und nahm sich der Armen an. Die Plebejer liebten ihn und wählten ihn zu einem ihrer Tribunen, damit er für die Volksrechte kämpfen sollte. Das Erste und Wichtigste schien ihm, daß jeder Bürger ein Besitzthum haben mußte, wovon er leben konnte; denn so lange Einer von der Gnade Anderer leben muß, kann er nicht frei sein. Da trat er in der Versammlung auf mit einem Gesetzt»erschlage. Zugleich schilderte er die Noth des Volkes. „Das Volk" — rief er — „hat in so vielen Kriegen nur gefochten, um den Vornehmen Reichthum zu verschaffen. Die Römer werden die Herren der Erde genannt, und doch besitzen die meisten von ihnen keinen Fußbreit Landes. Darum rathe ich, das alte Gesetz des Licinius zu erneuern, nach welchem kein Bürger mehr als 500 Morgen von den Staatsländereien besitzen darf."
Da es ihm sehr am Herzen lag, seinen Vorschlag durchzubringen, so that er Alles, was er konnte, um auch die Vornehmen, die viel mehr, als erlaubt war, besaßen, zur Beistimmung zu bewegen. Alle, die Etwas herausgeben mußten, sagte er, sollten dafür eine Entschädigung aus dem Staatsschatze erhalten, und Jeder durfte außerdem 250 Morgen für den ältesten Sohn verwalten.
Aber die Vornehmen waren nicht gesonnen, irgend Etwas von ihrem übermäßigen Besitze abzutreten. Da nun Tiberius Gracchus die meisten übrigen Volkstribunen auf seiner Seite hatte, brachten die Patricier den Tribun Oktavius auf ihre Seite, und als in der nächsten Volksversammlung über den Antrag abgestimmt werden sollte, sprach Oktavius „Veto“ (ich verbiete es!). Da rief Tiberius: „Ihr Römer, nehmt dem Tribun das Amt, welches er zu eurem Schaden mißbraucht!" Es ward zur Abstimmung geschritten, und Oktavius seiner Tribunswürde entsetzt. Nun konnte das Ackergesetz des Tiberius durchgebracht werden, und dazu ward noch bestimmt, die Schätze des Königs Attalus sollten unter die Armen vertheilt werden.
4. DaS Ende des VolkSfreundeS.
Tiberius, sein Bruder Kajus und noch ein anderer Freund des Volkes wurden gewählt, um die öffentlichen Aecker nun wirklich zu vertheilen.
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Aber es war eine höchst schwierige Aufgabe, auszumitteln, welches Land ein Reicher vom Staate oder als Erbeigenthum besaß. Die Patricier waren wüthend auf den Volkstribun Gracchus, sie trösteten sich aber damit, daß die Zeit seines Amtes bald zu Ende ging. Dann wollten sie Alles aufbieten, um seine Wiedererwählung zu verhindern.
Der verhängnißvolle Tag erschien; der Senat versammelte sich schon früh morgens auf dem Kapitol. Tiberius kam auch mit einer kleinen Schaar seiner Anhänger. Die Senatoren drangen in den Konsul, er solle Waffengewalt gebrauchen, wenn man den Tiberius wieder wählen würde. Doch der Konsul antwortete: „Ich mag kein Bürgerblut vergießen!" Da rief der Oberpriester Nafika: „Ihr Senatoren, der Konsul verräth den Staat: Wer ihn retten will, der folge mir!" So stürzte er fort nach der Volksversammlung, die Senatoren folgten ihm, und deren Anhänger standen schon bewaffnet draußen, um auf das gegebene Zeichen loszuschlagen. Das unbewaffnete Volk ward umzingelt, die Senatoren und ibre Helfershelfer hieben mit ihren Schwertern ein, erschlugen den Tiberius mit 300 Bürgern, schleiften die Leichen dann durch die Straßen und warfen sie endlich in die Tiber.
Kajus Gracchus.
1.
Nun sorgten die Patricier dafür, daß das ganze Gesetz über die Ackervertheilung nicht zur Ausführung kam. Dem Kajus, den sie fürchteten, gab der Staat ein Amt in Sardinien zu verwalten, um ihn von Rom zu entfernen. Er mußte gehorchen und ging. Aber als seine Zeit um war, erschien er plötzlich wieder in Rom, und keine Bitten seiner Mutter, die ihn um Aufschub bat, hielten ihn ab, sich um das Tribunal zu bewerben. Das Bild seines erschlagenen Bruders schwebte ihm Tag und Nacht vor Augen, aber er wollte vollenden, was Tiberius begonnen hatte, und dem Streben seines edlen Bruders nicht untreu werden.
Das Volk wählte den Kajus zum Tribun, und nun ließ er seiner stürmischen Beredsamkeit freien Lauf. Das Andenken an seinen Bruder, die Noth des Volks, die er vor Augen sah, und der Zorn über die vielen vergeblichen Anstrengungen, die bereits zur Abhülfe gemacht waren — das Alles machte ihn leidenschaftlich und ungestüm, und wenn er vor dem Volke sprach, dann war seine Stimme, sein Blick, seine Geberde so hinreißend gewaltig, daß selbst seine Feinde einmal zu Thränen gerührt wurden. Nun war er thätig, wie kein Tribun vor ihm war; er schlug neue Gesetze vor, durch welche das Volk Macht und Vortheil erhielt, und was beschlossen war, das führte er dann mit bewundernswerter Entschlossenheit durch. Ein Gesetz war: die armen Bürger sollten das Korn wohlfeiler bekommen; ein anderes: kein Bürger darf ohne Beschluß des Volks zum Tode verurtheilt werden; ein drittes: der Senat hat nicht mehr über
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die Verbrechen gegen den Staat zu richten. In Italien ließ er große und prächtige Landstraßen bauen, um dem Volke Arbeit und Verdienst gn verschaffen; in den eroberten Ländern gründete er neue Städte, daß die armen Bürger sich dort anbauen möchten.
2.
Während er auf einer solchen Reise nach Afrika zur Gründung einer neuen Stadt sich befand, setzten die Vornehmen alle ihre Macht in Bewegung, daß Kajus nicht wieder zum Tribun gewählt wurde. Sie theilten Geld unter den Pöbel aus, thaten auch dem Volke Manches zu Gefallen und versicherten dabei, sie wollten das Beste des Volks, aber Kajus wollte sich zum Tyrannen machen, und das dürfe Niemand leiden.
Als Kajus nun nach Rom zurückkehrte, war das Jahr seines Tribunals fast abgelaufen, und dann war er nicht mehr eine heilige und unverletzliche Person. So warb er denn von Neuem um die Würde eines Volkstribuns, aber er sah schon, daß Manche von ihm abgefallen waren, und er ahnte, was ihm bevorstand. „Wohin soll ich mich wenden?" rief er in seinem Schmerz. „Auf das Kapitol? es trieft noch vom Blute meines Bruders! Nach Haus? damit ich meine Mutter, die arme, beklagenswert^, sehe? Ich bin euer Freund, ihr seid mein einziger Schutz!"
Nun kam der Wahltag heran. Die Patricier bewaffneten sich, ihre Sklaven und ihre Anhänger; viele von den Freunden des Kajus thaten eben so; sie wachten die Nacht vor seinem Hause. Am Morgen, als er seinen Mantel umwarf, verbarg er einen Dolch darunter; an der Thür warf seine Gattin mit ihrem Kinde sich ihm zu Füßen, und beschwor ihn flehend, zu bleiben. Er aber wand sich aus ihren Armen los und ging zur Versammlung. Sobald der Senat erfuhr, die Versammlung habe begonnen, wurde dem Konsul alle Macht übertragen mit den Worten: „Der Konsul mag darauf sehen, daß der Staat keinen Schaden l e i d e!" Da eilte der Konsul mit seinen Bewaffneten auf den a v e n -tinischen Hügel, wo das Volk versammelt war; unverzüglich griff er an und es begann ein blutiger Kampf. Die Anhänger des Kajus waren bald niedergehauen, die meisten flohen und verließen ihn. Da wünschte er in Verzweiflung ewige Knechtschaft diesem feigen und undankbaren Volke und zückte den Dolch auf seine eigene Brust. Zwei seiner Freunde, die letzten, welche ihm geblieben waren, rissen ihm die Waffe aus der Hand und zogen ihn fort zur Flucht. Die Verfolger waren schon ganz nahe; der eine Freund, Pomponius, trat ihnen im Thore entgegen und hielt sie fechtend auf. Doch er ward niedergestreckt und über seine Leiche stürz-len sie dem Kajus nach. Auf der Tiberbrücke blieb der andere Freund, Licinius, stehen, und wehrte sie so lange ab, bis er nicht mehr konnte; dann stieß er sich sein Schwert in die Brust und sprang in die Tiber. Kajus hatte sich den Fuß verletzt; aus allen Häusern am Wege schrieen die Leute ihm zu: „Schnell! Schnell!" Aber Keiner brachte ihm ein Pferd, Keiner half ihm.
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Da sank er ermattet hin; nur ein Sklave war noch bei ihm, den bat er, seinen Herrn zu todten, da er waffenlos war. Der Sklave that es voll Schmerz, darauf erstach er sich selbst, und die Verfolger fanden nur Leichen. So starb Kajus Gracchus, der größte aller römischen Tribunen. Mehr als 3000 Burger fanden mit ihm den Tod. Alle Güter der Getödteten wurden in den Staatsschatz gebracht, die Unglücklichen wurden als Feinde des Vaterslandes gebrandmarkt, und ihren Wittwen und Kindern wurde sogar die Trauer verboten.
Mehrere Jahre nachher errichtete das Volk den beiden Tribunen Kajus und Tiberius Gracchus Bildsäulen, und hielt die Orte heilig, wo sie gefallen waren. Auch der Kornelia setzten sie ein Denkmal, auf dem geschrieben stand: Kornelia, die Mutter der Gracchen. Denn nur zu bald wurde es klar, was das Volk an den beiden Gracchen verloren hatte. ____________
2. Marius und Sulla.
' 1. Jugurtha.
Das Geld vermochte nun in Rom Alles, mit Geld wurden alle Schandthaten zugedeckt. Dieser Verfall der Tugend ward recht offenbar an Jugurtha, dem König von Numidien.
Der numtdtfche König Micipsa hinterließ zwei Söhne, den Adherbal und Hiempsal und noch einen Bruderssohn, den Jugurtha, einen heimtückischen Afrikaner. Dieser hatte eine Zeit lang in dem römischen Heere gedient, und wußte bereits, was sich auf die Schlechtigkeit der Römer bauen ließ. Er räumte den Hiempsal durch Meuchelmord aus dem Wege, in Rom aber wußten seine Gesandten den Unwillen einiger Senatoren durch Gold zu besänftigen.
Das Reich wurde nun unter Jugurtha und Adherbal getheilt, doch Jener fing sogleich mit seinem Vetter Krieg an und ließ auch diesen heimtückischer Weise ermorden. Seine Bestechungen halfen aber dießmal in Rom nicht, weil ein redlicher Volkstribun sich feiner Straflosigkeit widersetzte. Doch der Konsul, den man an der Spitze eines Heeres gegen ihn schickte, nahm Jugurtha's Gold und schloß Frieden mit ihm, auf sehr gute Bedingungen. Darüber ward das römische Volk so unwillig, daß es nun den Jugurtha selber nach Rom forderte. Dieser erschien aber mit vollen Geldbeuteln, und war noch so verwegen, einen Sprößling der numidifchen Königsfamilie, der auch Ansprüche auf den Thron hatte, in Rom selber durch einen Banditen ermorden zu lassen. Diese Greuelthat war zu empörend. Frei ließ man ihn, — weil man es ihm versprochen hatte, — wieder nach Afrika zurück, und er schied mit den Worten: „Feiles Rom, wer auf dich bieten wollte!" Doch folgte ihm sogleich ein Konsul mit einem Heere nach. Dieses Heer bestand weniger aus Kriegern, als aus zusammengelaufenem Gesindel, und wurde von Jugurtha so geschlagen, daß es unter dem Joch durchgehen mußte.
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Nun erst machten die Römer Ernst; der treffliche Konsul Metellus, als unbestechlicher Mann bekannt, schiffte mit einem auserlesenen Heere nach Asrika über und trieb den Jugurtha so in die Enge, daß dieser in die höchste Noth geriech. Doch noch ehe der Konsul den Krieg ganz beendigt hatte, reiste sein Legat Marius, ein rauher, wilder Mensch von gemeiner Abkunft, aber von unbändiger Ehrsucht, nach Rom, beschuldigte den Metellus, er führe mit Absicht den Krieg so schläfrig; doch wenn man ihm, dem Marius, den Oberbefehl geben wollte, so würde er den Jugurtha bald todt oder lebendig haben. Marius wurde zum Konsul und Feldherrn in Numidien ernannt; der Unterfeldherr, der ihm mitgegeben wurde, hieß Sulla, ein junger Mann von edler Herkunft, großem Ehrgeiz und großer Klugheit. Dieser vermochte den Bocchus, König von Mauritanien (Marokko), dessen Schwiegersohn Jugurtha war, daß er seinen Verwandten, der bei ihm Schutz gesucht hatte, dem Sulla auslieferte. Dafür erhielt der Verräther ein kleines Stück von Numidien; das Uebrige ward römische Provinz.
Jugurtha wurde nun im Triumph zu Rom aufgeführt und ging in Ketten vor Marius' Wagen, von dem Pöbel geschimpft und gemißhandelt. Man warf ihn dann in einen Keller, wo er nach sechs Tagen Hungers starb. Den Triumph hatte zwar Marius, allein der Adel erhob den Sulla als den wahren Beendiger des Kriegs, und seit dieser Zeit waren Marius und Sulla die erbittertsten Feinde.
2. Die Cimbern und Teutonen.
Ein neuer Triumph wartete des Marius. Von Norden her waren aus Deutschland und Frankreich die wilden Völker der Cimbern und Teutonen in die römischen Provinzen hereingebrochen. Sie zogen nach Süden, gleich den Galliern mit Weib und Kind und aller Habe. Mehrere römische Heere hatten sie bereits vernichtet: da kam Furcht in die Herzen der Römer und zum ersten Mal bewarb sich Niemand um das Konsulat; Marius erhielt es, und zwar drei Jahre hintereinander. Doch auch den alten, tapfern Soldaten des Marius kamen jene Barbaren in ihren Thierfellen und mit ihrem riesigen Wuchs so fürchterlich vor, daß der kluge Feldherr sich erst Wochen lang in seinem Lager verschanzte, um die Römer an den Anblick des Feindes zu gewöhnen. Dann, als er eine vorteilhafte Stellung bei Aix (Aquae Sextiae) im südlichen Frankreich genommen hatte, griff Marius die Teutonen an und schlug sie völlig. Der überlegenen Kriegskunst der Römer vermochten die Deutschen noch nicht zu widerstehen. Als die Römer in das teutonische Lager drangen, vertheidigten sich noch die Weiber auf ihrer Wagenburg mit Löwenmuth• sie tödteten lieber ihre Säuglinge und erhängten sich an ihren eigenen langen Haaren, um sich nicht den Römern zu ergeben.
Unterdessen waren die Cimbern über die tyroler Alpen nach Italien hereingebrochen; ihre großen hellglänzenden Schilde hatten sie als Schlitten benutzt, um über Schnee und Eisklüfte damit bergab zu fahren. Sie
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hatten große Felsstücke losgerissen und Baumstämme zwischen die Steine geworfen, um über die Etsch zu kommen. In der Schlacht verbanden sie ihre vorderen Reihen mit Ketten, um nicht getrennt zu werden. Der Konsul Katulus, welcher sich ihnen entgegenwars, ward geschlagen. Da stieß der siegreiche Marius zu ihm und Beide vereint schlugen und vernichteten das ganze eimbrische Heer bei Vercellä in Oberitalien (101 v. Chr.). Furchtbar fochten auch hier noch die Weiber, und da sie Alles verloren sahen, warfen sie ihre Kinder unter die Wagenräder und die Füße der Lastthiere, und dann töbteten sie sich selbst. Nur wenige von den Barbaren hatte Marius in seine Hände bekommen; als er triumphirend in Rom einzog, verbreiteten die an seinen Siegeswagen gefesselten Barbarei: Schrecken und Bewunderung, denn sie hatten riesige Größe. Besonders erzählen die Römer von Teutob o d, wie dieser stolz und majestätisch über alle Siegeszeichen hervorragte, und so kräftig war, daß er über sechs Pferde mit Leichtigkeit hinwegspringen konnte. Marius aber ward von dem Volke fast vergöttert.
3. Der Bundesgenossenkricg.
Kaum war die Gefahr, mit welcher die nordischen Barbaren gedroht, glücklich beseitigt, so entbrannte in Italien selber ein Bürgerkrieg. Die italischen Bundesgenossen, die zu allen Kriegen, welche Rom geführt, das Meiste beigetragen hatten, verlangten als gerechte Belohnung das Bürgerrecht, das ihnen auch längst versprochen war. Der Tribun Drusus sprach laut für die Ansprüche der Bundesgenossen, wurde aber auf der Patricier Anstiften vor seinem Hause ermordet. Nun entstand ein blutiger Krieg von vier Jahren, welcher den Römern viel zu schaffen machte. Endlich gewann Sulla zwei große Schlachten und ließ Tausende von Gefangenen ohne Gnade niederhauen. Da gaben die empörten Völker nach, und es kqm ein Friede zu Stande, in welchem ihnen die Römer die meisten verlangten Rechte gewährten.
4. Marius gegen Sulla.
Um diese Zeit hatte sich der König Mithridates vonPontus (der Landschaft am schwarzen Meere) gegen die Römer erhoben. Er war ein entschlossener Mensch und geschworener Feind der Römer. Bald hatte er ganz Kleinasien erobert und mit Hülfe seines Verbündeten, des Königs von Armenien, ein Heer von 300,000 Mann mit 180 Sensenwagen und 400 Schiffen zusammengebracht. Sulla sollte gegen ihn kämpfen und ward zum Konsul ernannt. Das ertrug Marius nicht. Er erregte mit Hülfe der Volkspartei einen Aufstand in Rom, die vornehmsten Gegner wurden erschlagen und das Volk übertrug dem Marius den Oberbefehl.
Sulla floh zu seinem Heere, das noch von dem Bundesgenossenkriege her in Unteritalien stand. Er erzählte den Soldaten die Schmach, die ihm angethan war, versprach ihnen auch die reichste Beute, die sie unter seinem Kommando erlangen würden. Da riefen sie: „Führe uns nach
Grube, Geschichtsbilder. I. 14
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Nom, o Feldherr!" Das wollte er eben. Mit sechs Legionen rückte er in die Stadt ein; der Volkshaufen, den Marius in der Eile zusammengerafft hatte, wurde auseinander gesprengt, Sulla drohete sogar, die ganze Stadt anzuzünden. Da ward Marius in die Acht erklärt und mußte eiligst fliehen. Als er in M i nturnä, einer kleinen italischen Stadt, anlangte, ergriff ihn die Obrigkeit des Orts und warf ihn in's Gefängniß. Ein wilder cimbrischer Sklave wurde ausgesucht, um ihn zu todten. Als der aber mit seinem Schwerte in's Gefängniß trat, rief ihm Marius mit donnernder Stimme zu: „Sklav', du wagst es, den Kajus Marius zu todten?" Den Cimbrer überkam eine solche Angst, daß er forteilte. Marius entkam und floh nach Afrika; dort lebte er in den Ruinen von Karthago und sann auf Rache.
Bald kam die Gelegenheit. Sein Freund Cinna sammelte das Volk, sobald die Soldaten des Sulla Rom wieder verlassen hatten. Es entspann sich ein blutiges Gefecht innerhalb der Mauern Roms, Cinna wart) aus der Stadt vertrieben, floh aber zu einem Heer, das ihm und der Volkspartei ergeben war. Die Soldaten erkannten ihn als den rechten Konsul an und riefen nun auch den Marius zurück. Der verließ augenblicklich Afrika, fuhr nach Italien hinüber und brannte vor Begierde, sich an seinen Feinden zu rächen. In Trauerkleidern, zum Zeichen der Schmach, die ihm widerfahren war, zog er durch Etrurien; er erinnerte die Einwohner, wie er sechs Mal Konsul gewesen wäre, wie er über den Ju-gurtha gesiegt und die Republik von den Cimbern und Teutonen gerettet hätte. Da sammelten sich viele von seinen Freunden und Anhängern um ihn, alte Soldaten, Sklaven, verlaufenes Volk, es war Alles willkommen, was gegen die Vornehmen, was gegen die Partei des Sulla losschlagen wollte. Mit dem Heere des Cinna vereint rückte Marius an der Spitze einer Bande, die sich nur die „Marianer" nannte, in Rom ein. Dem Konsul Oktavius, der noch drinnen war, hatte Cinna Schutz und Sicherheit versprochen, aber kaum war die Gewalt in den Händen des Marius, als dieser kein Versprechen und keine Bitten mehr achtete, sondern seine Bande losließ, um endlich einmal volle Rache an seinen Feinden zu nehmen.
Nun zogen sie durch die Straßen, plündernd, raubend, mordend; den Konsul Oktavius stießen sie zuerst nieder, dann erschlugen sie Jeden, auf den Marius zeigte; bald war es schon genug, wenn Marius Einen, der ihn grüßte, nicht wieder grüßte, um den niederzumachen. Die größten Schandthaten wurden verübt; fünf Tage und fünf Nächte währten die Gräuel. In den Straßen lagen die Leichname hoch übereinander, denn Marius gönnte Keinem ein ehrliches Begräbniß. Endlich entsetzten sich selbst Cinna und sein Freund Sert orius über dieses Wüthen. Da sich die zügellosen Rotten nicht mehr halten ließen, führten sie in einer Nacht ihr Heer gegen die Marianer und hieben sie Alle, mehr als 4000 an der Zahl, bis auf den letzten Mann nieder.
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5. Sulla zieht nach Rom.
Sulla, der unterdessen glücklich gegen Mithridates gekämpft hatte, machte schnell Frieden, sobald er die Vorgänge in Rom erfuhr, und setzte sich mit seinem siegreichen Heere in Marsch gegen Italien. Marius, der wilde Marius zitterte, und vor Angst trank er so übermäßig, daß er (über 70 Jahre alt) seinen Tod fand. Cinna sammelte ein Heer, um gegen Sulla zu ziehen; aber seine eigenen Soldaten empörten sich gegen ihn und schlugen ihn todt. An der Spitze der Volkspartei standen nun der junge Marius und Sertorius; sie brachten ein Heer von 300,000 Mann zusammen, das aber aus verdorbenen, zügellosen Schaaren bestand und dem wohlgeübten des Sulla nicht Stand zu halten vermochte.
Sulla landete (83 v. Chr.) in Italien, schlug alle seine Widersacher, hielt dann einen prächtigen Triumphzug in Rom, fing aber nun ebenfalls zu wüthen an. Sechstausend von des Marius Sklaventruppen hatten sich ergeben, weil ihnen Verzeihung versprochen worden war; aber sie wurden sammt und sonders in der großen Rennbahn zu Rom niedergemetzelt. Während dies geschah, hielt Sulla in einem benachbarten Tempel eine Versammlung der Senatoren; als diese das Geschrei der Unglücklichen hörten, sprangen sie voll Entsetzen auf. Doch Sulla beruhigte sie mit den Worten: „Es ist nichts, man richtet nur einige Elende hin."
Fürchterlich war die Acht (Proskription), die Sulla über seine Gegner ergehen ließ. Die meisten Reichen und Vornehmen standen auf der Liste der Geächteten (Proskribirten), und wessen Name auf einer solchen Liste stand, der galt für vogelfrei. Wochenlang dauerte das Morden, während Sulla mit liederlichen Weibern, Tänzern, Possenreißern schwelgte. „Wen willst du denn noch leben lassen?" fragte ihn kühn ein angesehener Senator, „es ist nur, um aus der Ungewißheit zu kommen." Sulla äußerte: „er wisse das selbst noch nicht." Vor der Hand hatte er noch 80 auf ein Blatt geschrieben; Tags darauf gab er noch eine Liste von 220, und nächsten Tages eben so viel; im Senat äußerteer: „es sollten noch Alle, wie sie ihm gerade beifielen, daran kommen." Nach ungefährer Berechnung waren lö Konsularen (die Konsuln gewesen waren), 90 Senatoren, 2600 Ritter und über 100,000 Bürger hingerichtet worden; denn nicht allein in Rom, sondern auch in vielen andern Städten Italiens wütheten Schrecken und Mord. Sklaven ermordeten ihre Herren, Verwandte die Verwandten, um die Prämie für den Kopf eines Proskribirten zu erhalten. Viele Güter wurden herrenlos,»die Sulla an seine Günstlinge verschenkte: sein Offizier Krafsus kaufte um ein Spottgeld so viel, daß ihm fast die halbe Stadt zum Eigenthum gehörte. Die 120,000 Soldaten des Sulla wurden königlich belohnt.
Als die Gegenpartei so gut wie vernichtet war, rühmte sich Sulla, die Ruhe und Ordnung im römischen Staate wieder hergestellt zu haben. Ruhig war es nun allerdings geworden; kein Freund des Volkes regte sich mehr, Niemand wagte mehr, seine Meinung frei heraus zu sagen,
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Jeder zitterte vor beut gewaltigen Diktator ober schmeichelte ihm. Tie Macht ber Tribunen hörte nun fast ganz auf, alle Gesetze, welche zum Vortheil bes Volkes gegeben waren, würben aufgehoben; so schien bie Macht bes Abels wieber fest gegrünbet.
Nachbem Sulla fünf Jahre lang unumschränkt geherrscht hatte, würbe er ber Regierung selber iiberbrüßig; er legte seine Diktatur nieber und zog sich auf ein Lanbgut zurück. Dort führte er mit Schmeichlern unb Freunben, unter Tänzerinnen unb Schauspielern ein ausschweifenbes Leben, aber schon nach einem Jahre starb er an einer ekelhaften Krankheit in Folge seiner Schwelgereien.
3. Spartakus der Sklavengeneral.
1. Die Sklaven.
Sklaven gab es in Rom, in Italien, in der ganzen alten Welt eine große Menge; die Kriegsgefangenen, besonders bie von ben barbarischen Völkern, von ben Afrikanern, Galliern, Germanen, Thraciern, würben zu Sklaven gemacht unb verkauft, unb alle Kinber ber Sklaven unb Skla-vinnen blieben bann auch in ber Knechtschaft. Alle möglichen Dienste würben von ben Sklaven verrichtet: sie mußten bas Lanb bauen unb bie häuslichen Geschäfte besorgen; Manche von ihnen, besonbers bie griechischen, lehrten auch bte Wissenschaften unb würben als Lehrer unb Erzieher ober als Schreiber unb Vorleser gebraucht. Dann geschah es oft, baß sie wegen guter Dienste freigelassen würben. Ein reicher Römer hatte wohl ein paar hunbert Sklaven, mit welchen er namentlich seine Güter bewirthschaftete.
Außerbem würben aber auch bie Sklaven als Glabiatoren ober Fechter gebraucht, die zur öffentlichen Belustigung bes römischen Volkes auf Tob unb Leben mit einanber kämpfen mußten. Die an blutige Kriege gewöhnten Römer beburften solcher blutigen Schauspiele. Es würben große ninbe Theater unter freiem Himmel erbaut; in ber Mitte war ein mit Sanb bestreuter Platz, bie Arena, wo bie Fechtersklaven mit ben verschie-bensten Waffen kämpften. Wenn einer bett anbern zu 53 oben gestreckt hatte, so blickte er nach betn Volke in bie Höhe, unb je nachbetn bie Zuschauer ein Zeichen gaben, ließ er ihn leben ober stieß ihn vollends nieber. Wollte ein Vornehmer ober Reicher sich beim Volke beliebt machen, so kaufte er sich eine Menge Fechtersklaven unb ließ biefe im Theater kämpfen.
2. Der Sklaveukrieg.
Nicht lange nach Sulla's Tobe erhob sich in ber Fechterschute zu Kapua ber Thracier Spartakus. Er hatte einst unter bett Römern Kriegsbienste gethan, war in Gefangenschaft gerathen unb unter bie Fechter verkauft worben. Dieser überrebete gegen 70 Fechter, sie sollten ihr Leben lieber für bte Freiheit wagen, als um ein bloßes Schaustück« preisgeben.
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Mit ihnen überwältigte er die Hüter, bewaffnete dann seine Schaar mit Knitteln und Dolchen, die man den Reisenden abgenommen hatte, und flüchtete sich aus den Berg Vesuv. Hier verstärkte er sich mit vielen entlaufenen Sklaven. auch mit vielen Freigeborenen, die Lust zum Rauben und Plündern hatten, und bald hatte er einen ansehnlichen Heerhaufen beisammen. Dre Aufrührer zogen nach Rom zu, verwüsteten das Land, plünderten die Städte. Ein römischer Prätor, der schnell ein Heer zusammenraffte, um sie aufzuhalten, ward geschlagen; ein zweites, vom Konsul selber geführtes Heer hatte gleiches Schicksal.
Schon in's dritte Jahr zog sich dieser Krieg, der bei seinem Beginn als etn bloßer Fechterkampf verlacht wurde. Niemand wollte sich zum Heerführer gegen die Sklaven wählen lassen, da übernahm Licinius Krassus, der schon unter Sulla sich hervorgethan, den Oberbefehl Sein Legat Mummius ließ sich gegen den Befehl des Feldherrn mit Spartakus in ein Treffen ein und wurde geschlagen. Da ließ Krassus von den 500 Römern, die zuerst die Flucht ergriffen hatten, den zehnten Mann hinrichten. Das wirkte. Krassus führte nun selbst sein Heer gegen die Räuberbanden und brachte ihnen blutige Niederlagen bei. Spartakus mußte fliehen und wandte sich gegen Br und isium. Krassus folgte ihm und eilte um so mehr, eine entscheidende Schlacht zu liefern, weil die Römer noch einen Mit - Feldherrn, den Po mp ejus, gewählt hatten; Kraffus wollte allein die Ehre haben; er schloß das Heer des Spartakus ein, die Sklaven fochten wie Verzweifelte und die Scklacht war blutig. Da sank Spartakus, durch einen Wurfspieß in der Hüfte verwundet, auf das Knie, hielt aber die Andringenden tapfer ab, und deckte sich mit seinem Schilde so lange, bis er sammt der Schaar, die einen Kreis um ihn bildete, gefallen war.
Dem Pompejus, welcher nun auch anrückte, fielen noch 5000 aus der Schlacht Entflohene in die Hände, wodurch er doch noch einen Antheil am Siege erhielt.
4. Julius Cäsar und Pompejus „der Große".
1.
Das römische Volk gerieth immer tiefer in die Zerrüttung und inneren Zwiste, so daß sich endlich jeder bessere Bürger darnach sehnte, es möchte wieder ein Mann aufstehen, der mit seinem Geiste und seiner Kraft der Gesetzlosigkeit ein Ende machte. Und es kam ein solcher hochbegabter Mann, der es verdient hätte, das einzige Oberhaupt des römischen Staates zu sein, — das war Julius Cäsar.
Cäsar hatte seinen Vater, dessen Schwester Julia des Marius Gemahlin war, schon im sechzehnten Jahre verloren; er starb als Prätor in Macedonien. Seine Mutter Aurelia aber, eine treffliche Frau, besorgte
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seine Erziehung und ließ ihn von den geschicktesten Lehrern unterrichten. Besonders lernte er von ihr die Freundlichkeit im Umgänge, wodurch er sich nachher so beliebt zu machen wußte, und die sanfte, einnehmende Bo redtsamkeit, die ihn zu den ersten Rednern Roms erhob.
Casar bewies bald, daß in ihm ein Wille lebte, der nicht gewohnt war, sich zu beugen. Er heirathete die Tochter eines Römers, der zu den Gegnern des damals allmächtigen Sulla gehörte. Cäsar erhielt den Befehl, sich von ihr zu scheiden; allein er floh lieber aus Nom und gab das erheirathete Gut seiner geliebten Gemahlin preis. Zum Jubel des Volkes hatte er sogar das Bild des Marius öffentlich ausgestellt. Sulla erklärte ihn in die Acht und begnadigte ihn nur nach langen Bitten vieler Freunde und der Vestalinnen, mit den Worten: „Ihr mögt ihn haben, aber er wird den Untergang vieler Patricier herbeiführen, denn in ihm stecken viele Marinste." Pompejus dagegen, ein Günstling des Sulla, hatte sich dem Willen des Despoten gefügt und seine Gemahlin verstoßen.
Nicht Körperstärke, aber eine proportionirte, angenehme, schlanke Gestalt zeichnete den jungen Cäsar aus; er hatte eine Adlernase und schwarze lebhafte Augen. Später wurde er mager und bleich und auf dem Haupte haarlos; doch trotz seiner Kränklichkeit, an der er öfters litt, hatte er sich zu jeglicher Strapaze abgehärtet und war ein guter Fechter, Reiter und Schwimmer.
Während seiner Aechtung machte er seine ersten Feldzüge in Asien und gewann sich vor Mitylene eine Bürgerkrone. Nach Sulla's Tode kehrte er wieder zurück, blieb aber nicht lange in Rom, sondern ging nach Rhodus, um unter dem berühmten Molo sich noch mehr in der Redekunst zu vervollkommnen. Unterwegs nahmen Seeräuber das Schiff, auf welchem er fuhr, und da sie ihn für einen vornehmen Mann hielten, forderten sie 20 Talente (über 24,000 Thaler) Lösegeld. „Was!" rief Cäsar, „für einen Mann, wie ich bin, verlangt ihr nicht mehr? 50 Talente sollt ihr haben!" Er schickte seine Begleiter aus, diese Summe zusammenzubringen. Sechs Wochen mußte er in der Gefangenschaft bleiben, doch wußte er sich bei den Seeräubern so in Achtung zu setzen, daß er ihr Herr und nicht ihr Gefangener zu fein schien. Wenn er schlafen wollte, gebot er ihnen still zu sein. Zuweilen las er ihnen auch Gedichte und Aufsätze vor, die er gemacht hatte, und wenn sie diese nicht lobten, so drohete er ihnen, sie alle kreuzigen zu lassen, sobald er frei wäre. Endlich brachten seine Leute die 50 Talente Lösegeld. Und kaum war er frei, so verschaffte er sich einige stark bemannte Schiffe, holte die Seeräuber ein, eroberte ihr Schiff, ließ sich sein Geld wieder geben und führte die Räuber nach der Küste Kleinasiens, wo sie alle gekreuzigt wurden.
2.
Nachdem Cäsar wieder nach Rom zurückgekehrt war, lebte er hier mehrere Jahre lang ganz wie ein Stutzer, er kleidete sich schön, duftete von Salben, lebte gern unter Damen und wußte sich durch seine Freund-
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lichkeil die Liebe aller Bürger zu gewinnen. Dabei schien er sich um dir glänzenden Kriegsthaten des Pompejus gar nicht zu kümmern.
'Erst spät bewarb er sich um obrigkeitliche Aemter und ging als Statthalter nach Lusitanien, dem heutigen Portugal. Er reiste gewöhnlich in einem Wagen, von zwei Schreibern begleitet, denen er zu gleicher Zeit diktirte. Die Streitigkeiten in der Provinz entschied er mit solcher Gewissenhaftigkeit und Treue, daß alle Städte Portugals mit ihm zufrieden waren. In Gades, dem jetzigen Kadix, trat er in einen Tempel, der mit den Bildnissen berühmter Helden geschmückt war. Unter diesen bot sich seinem Blicke zuerst Alexander's Statue dar, und Thränen stürzten ihm aus den Augen. „Der hatte in meinem Alter schon die Welt erobert und ich habe noch nichts gethan," sagte Cäsar zu seinen Begleitern.
Als er jetzt wieder nach Rom zurückkam, schien er ganz dem Pom-pejus ergeben und heirathete sogar dessen Schwester. Noch brauchte Cäsar eine Stütze und Pompejus war der angesehenste Mann im Staate. Zugleich aber verschenkte er mit unbegränzter Freigebigkeit ungeheuere Summen an das Volk. Er ließ unter Anderem 320 Paar Fechter zum Vergnügen der Römer auftreten und alle in silbernen Rüstungen. Und in Kurzem hatte er seinen Zweck erreicht; Pompejus, der sich der erste Mann in Rom zu sein dünkte, hatte einen mächtigen Nebenbuhler bekommen; Cäsar war bereits der Liebling des Volkes. So wagte er es, sich um eine Würde zu bewerben, zu welcher sonst nur die ehrwürdigsten und verdientesten Rathsherren gelangten, um das Amt eines Oberpriesters. Seine Mutter begleitete ihn am Tage der Wahl bis vor die Thür, zweifelnd und weinend. „Mutter," rief er, „du siehst mich als Pontifex wieder oder als Verbannten I" Er ging und das Volk wählte ihn, zum Erstaunen und Zittern aller Senatoren, die nach und nach das Große, das in Cäsar's Geiste verborgen lag, ahnten und nicht minder deutlich auch seinen Ehrgeiz erkannten. Einige Zeit nachher sollte er als Statthalter in die Provinz Spanien gehen, aber seine Gläubiger wollten ihn nicht aus Rom fortlassen, denn er war über zwölf Millionen Thaler schuldig. Da wußte er durch seine Gewandtheit den reichen Krassus zu gewinnen, daß dieser für ihn gut sagte. Er reiste ab, und bald hatte er in der Provinz so viel erworben, daß er seine Schulden bezahlen konnte. Auf der Reise nach Spanien kam er durch ein kleines schmutziges Städtchen in den Alpen. Seine Begleiter warfen die Frage auf, ob denn auch wohl unter diesem armseligen Völkchen Neid und Rangstreit herrschen möchte? „Gewiß!', antwortete Cäsar. „Ich wenigstens möchte lieber in diesem Flecken der Erste, als in Rom der Zweite sein."
3.
Nach seiner Rückkehr aus Spanien betrug sich Cäsar schon viel herrischer und die Großen Roms sahen staunend, mit welcher Gewalt er das Volk nach seinem Willen lenkte. Pompejus erkannte bald, daß er ohne Cäsar nichts vermöchte. Krassus, der Reiche, der durch seine Bürgschaft
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den Cäsar gerettet, der durch sein ausgeliehenes Geld fast alle Bürger sich verpflichtet hatte, sah jetzt den Cäsar als Herrn gebieten. Cäsar aber, welcher Beide brauchte, zeigte Beiden in der Ferne die Weltherrschaft, und vereinigte sich insgeheim mit ihnen zu einem Triumvirat, d. h. die drei Männer verbanden sich, für Einen zu stehen. So traten in diesen drei Männern drei große Gewalten: Klugheit und Tapferkeit (Cäsar), Glück und Ruhm (Pompejus) und Reichthum (Krassus) in einen engen Bund. Cäsar stellte die reiche Mittelmäßigkeit vorerst noch zwischen sich und Pompejus in die Mitte, als den Kitt, der ihn mit Pompejus zusammenhalten sollte; aber nur Cäsar begriff, wohin dieser Dreibund führen mußte und wozu Rom reif sei. Die nächste Folge des Triumvirats war seine Erwählung zum Konsul für das Jahr 59 und die Vermählung seiner Tochter Julia mit Pompejus. Während seines Konsulates wußte sich Cäsar beim Volke sehr beliebt zu machen, indem er einige Ackervertheilungen durchsetzte, und als feine Amtszeit um war, setzte er es durch, daß man ihm die Provinz Gallien auf fünf Jahre zur Verwaltung übertrug. Noch nie war Jemand auf so lange Zeit zum Statthalter ernannt worden.
Pompejus wählte sich Spanien, blieb aber in behaglicher Ruhe in Rom ntzeu; Krassus ging nach Asien. Am besten hatte unstreitig Cäsar gewählt, denn Gallien war noch zum großen Theil freies Land und mußte erst erobert werden. Hier konnte also der aufstrebende Mann sich Feldherrnruhm erwerben und ein treues Heer dazu.
4.
Galliens Bevölkerung zerfiel in drei Hauptgruppen von Völkerschaften: in die aquitanifche zwischen den Pyrenäen und der Garonne, die eigentliche gallische von der Garonne bis zur Seine, und die schon halb germanische oder belgische bis an den Niederrhein. Einen inneren Verband hatten jedoch die Völker nicht, es war lauter Zersplitterung unter ihnen. Nach acht Jahren konnte sich Cäsar rühmen, 800 Städte erobert und 300 Völkerschaften bezwungen zu haben. Von drei Millionen Menschen blieb eine todt, wurde die zweite gefangen und die dritte gehorchte.
Seinen ersten Kampf hatte Cäsar mit den Helvetiern zwischen Rhein und Rhone. Sie hatten ihre zwölf Städte und 400 Dörfer verbrannt und wollten nun westwärts nach Gallien auswandern in fruchtbare Gaue. Damit waren sie aber dem Cäsar schlecht willkommen; er warf sich ihnen entgegen und schlug sie in zwei Treffen. Die eine Hälfte des Volkes ging unter, die andere zwang er, wieder nach Helvetien zurückzukehren, damit nicht die Germanen das Land besetzten und Italiens Nachbarn würden.
Bald darauf brachen deutsche Stämme in Gallien ein und griffen die Aeduer an, die es mit Cäsar hielten. Der Anführer jener Schaaren war Ar io bist, ein sehr entschlossener und tapferer Mann. Cäsar forderte ihn zu einer Zusammenkunft; er aber meinte, wenn der Römer ihm
etwas zu sagen habe, möge er zu ihm kommen. Da brach Cäsar gegen ihn auf, seine Legionen folgten ihm diesmal mit schwerem Herzen, denn vor den Deutschen hatten die Römer entsetzliche Furcht. Man hörte im Lager nichts als Testamente machen oder Klagen und Murren gegen den Feldherrn. Die Vornehmsten, selbst die Vertrauten des Cäsar, suchten alle nur möglichen Vorwände hervor, um sich aus dem Lager entfernen zu können, und Diejenigen, die sich schämten, es zu thun, konnten ihre Furcht doch so wenig verbergen, daß man sie oft die bittersten Thränen weinen sah.
Mit seltener Ueberredungsgabe sprach nun Cäsar ermuthigend zu den Hauptleuten und schloß damit, daß, wenn Niemand ihm folgen würde, er mit der zehnten Legion allein angreifen und diese zu feiner Leibwache machen wolle. Da verschwand die Furcht, man folgte dem kühnen Feldherrn, der es längst erprobt hatte, daß für Den keine Gefahr bestehe, der sie nicht fürchtet. Jetzt fand eine Unterredung zwischen dem deutschen und römischen Heerführer statt; aber sie war vergeblich. Als Cäsar erfuhr, daß die Deutschen, durch ihre heiligen Frauen gewarnt, vor dem Neumond nicht schlagen wollten, ließ er auf ihre Bollwerke stürmen und reizte sie so lange, bis die Feinde voller Grimm hervorbrachen und die Schlacht annahmen. Sie stritten mannhaft, unsere Vorfahren, in ihrer rohen Kampfesart, aber Cäsar's Kriegskunst und der Ausdauer erprobter Legionen erlagen sie. Sie gingen über den Rhein zurück. Cäsar folgte ihnen in ihre finstern Wälder; aber da ward es ihm bald unheimlich und er kehrte gern wieder nach Gallien zurück. Auch uach Britannien setzte er mit seinen Legionen über. Der Adlerträger seiner zehnten Legion sprang zuerst au der fremden Küste in's Wasser, die Andern ihm nach. Doch behaupten konnten sich die Römer eben so wenig in Britannien als in Germanien.
5.
Während Cäsar in Gallien ganz mit Krieg und Eroberung beschäftigt schien, vernachlässigte er doch keineswegs die Dinge in der Hauptstadt. Er halte in Rom seine Freunde, die ihm von Allem Nachricht gaben und denen er von der Provinz aus Geld und Befehle zukommen ließ. Er tag wie ein schlauer Feind im Hinterhalt, bereit, zu jeder Zeit mit gerüsteter Macht hervorzubrechen.
Pompejus schaltete und waltete unterdessen mit aller Willkür in Rom und ließ seine Provinz Spanien durch Abgesandte verwalten. Krassus war von Syrien aus in das Land der Parther gezogen und hatte sich von dem tapfern Volke überraschen lassen, so daß er geschlagen und gefangen wurde. 3u,uuu Römer gingen unter, und damit dem reichen Geizhals auch im Tode das Geld nicht fehlen möchte, ließ es der Anführer der Parther geschmolzen ihm in den Hals gießen. Pompejus mochte wohl ahnen, welch' einen Nebenbuhler er in Cäsar hatte; er meinte aber im Vortheile zu sein, wenn er in Rom selber anwesend wäre. Darum ließ er, als seine Zeit um war, die Statthalterschaft von Spanien sich verlängern. Sobald Cä)ai‘ dies erfuhr, ließ er durch seine Freunde
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in Rom ebenfalls um Verlängerung seiner Statthalterschaft in Gallien anhalten, und da Pornpejus ganz wider das Gesetz als Prokonsul von Spanien in Rom obrigkeitliche Aemter verwaltete, verlangte auch Cäsar dergleichen. Dagegen erhob sich nun Pornpejus mit Heftigkeit, brachte den Senat auf seine Seite und es kam ein Beschluß zu Stande, welcher Cäsar für einen Feind des Vaterlandes erklärte, wenn er nicht sogleich die Waffen niederlegte und in Rom erschiene. Dieser Beschluß empörte durch seine Ungerechtigkeit und Cäsar leistete ihm keine Folge. Er rüstete sich, um mit seinen treuen Soldaten auf Rom anzurücken, während Pornpejus in stolzer Unthätigkeit verharrte. Man fragte diesen, womit er denn den Cäsar aufhalten wolle? Er antwortete: „Ich darf nur mit dem Fuße auf den Boden stampfen und es werden Legionen daraus hervorwachsen!" Im Grunde aber glaubte der Kurzsichtige, daß Cäsar mit seiner geringen Macht es nicht wagen würde, gegen Rom selbst zu marschiren. Cäsar aber wagte es allerdings; als er an das Flüßchen Rubikon kam, das seine Provinz von Italien trennte, wurde er nachdenkend, dann aber faßte er sich schnell und sprach: „Die Würfel sind gefallen!" Mit der einen Legion, die er bei sich hatte, ging er schnell auf Rom los. Der Senat hatte dem Pom-pejus den Oberbefehl gegeben; fast alle Senatoren waren für Pornpejus, der in Spanien noch ein großes Heer stehen hatte und sich immer noch für unbezwinglich hielt. Doch als Cäsar so unerwartet schnell sich der Hauptstadt näherte, floh Pornpejus aus Rom, mit ihm 200 Senatoren und seine übrigen Freunde. Sie flohen so schnell, daß sie sogar den ganzen Staatsschatz in Rom zurückließen.
Cäsar hatte in 60 Tagen ganz Italien erobert; fast alle gefangenen Soldaten traten zu ihm über, da er sich gegen Jedermann leutselig und freundlich bewies. Pornpejus sammelte in Kapua, wohin er geflohen war, seine Truppen; und als Cäsar ihn bis dahin verfolgte, schiffte er eiligst nach Griechenland über. Da kehrte Cäsar wieder um, denn er wollte erst Spanien, des Pornpejus Provinz, in Besitz nehmen. „Erst will ich eine Armee ohne Feldherrn schlagen," sprach er, „und dann den Feldherrn ohne Armee!"
Die sieben Legionen des Pornpejus, welche in Spanien standen, wehrten sich tapfer, aber es fehlte ihnen an einem erfahrenen Feldherrn; so wurden sie endlich geschlagen und gingen großenteils unter die Fahnen des Cäsar. Als dieser mit seinem siegreichen Heere nach Rom zurückkehrte^ fürchteten Viele, die es nicht von Anfang mit ihm gehalten hatten, er möchte sie in die Acht erklären und wie Sulla eine große Proskriptionsliste aufsetzen. Die Anhänger des Cäsar wählten ihn zum Diktator; doch er betrug sich so schonend und milde, daß Alle darüber erstaunten. Er ordnete die Angelegenheiten des Staates, rief die meisten Verbannten zurück und ließ das Volk auf die gewöhnliche Art Konsuln wählen. Es wählte ihn selbst und einen seiner Freunde. Nun legte Cäsar seine Diktatur nieder und gewann sich damit die Herzen des Volkes.
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6-
Unterdessen hatte Pompejus in Griechenland ein ansehnliches Heer versammelt und erwartete die Landung Cäsar's. Dieser schiffte mit einer geringen Macht hinüber, um nur recht bald seinem Gegner die Spitze bieten zu können. Doch das erste Zusammentreffen bei D y r r h a ch i u m an der illyrischen Küste war unglücklich für Cäsar; er ward zurückgeschlagen und mußte sich in öde, unfruchtbare Gegenden zurückziehen, wo er einer drohenden Hungersnoth entgegen sah. Aber Cäsar verlor den Muth nicht; seine Soldaten waren meist rauhe, abgehärtete Krieger, an d:e Mühseligkeiten des Feldzugs gewöhnt, auch hatte er sechs Kohorten deutscher Hülfstruppen bei sich, die noch nichts von Salben und Pomaden wußten, während die adeligen Herrchen in des Pompejus Heer sehr verweichlicht waren.
Pompejus ließ sich zu einem zweiten Angriff überreden und bei Ph ar-salus in Thessalien kam es (48 v. Chr.) zur entscheidenden Schlacht, in welcher Cäsar, besonders mit Hülfe der deutschen Kohorten, einen glänzenden Sieg gewann. Er hatte seinen Soldaten befohlen, sie möchten nur immer nach den schönen weißen Gesichtern der vornehmen Herrchen hauen, dann würden diese schon ängstlich werden. Und so geschah es auch. In wilder Flucht lief Alles aus einander und Pompejus, der sicher auf den Sieg gerechnet hatte, war so verwirrt, daß er den Rückzug nicht zu ordnen vermochte. Das ganze Lager fiel in die Hände der Sieger; die Zelte waren mit Epheu bekränzt und wie zu einem Festschmause eingerichtet. Alle Briefschaften des Pompejus fielen dem Cäsar in die Hände; doch der großmüthige Sieger verschmähte es, die Namen seiner Feinde zu erfahren; er ließ die Briefe verbrennen. Den vornehmsten Kriegsgefangenen aber schenkte er die Freiheit.
Mit wenigen Getreuen floh Pompejus an die Küste und bestieg ein Schiff. Man wußte in der Angst nicht, wohin; endlich ward beschlossen, nach Aegypten zu fahren, weil Pompejus, als er in Asien Krieg führte, dem Vater des jetzt regierenden Königs die Herrschaft erworben hatte. Der 13jährige König, sobald er die Ankunft des Gastes erfuhr, ward bestürzt, denn er fürchtete sich vor Cäsar. Er berieth sich mit seinen Ministern, was zu thun sei, und diese riethen, man solle den Pompejus ermorden, das wäre am sichersten. Als der ägyptische Kahn an das Schiff des Pompejus heranfuhr, nahm dieser noch einen schmerzlichen Abschied ■ von seiner treuen Kornelia, von seinen Kindern und Freunden. Es ahnte ihm Unglück, als er die finstern Gesichter der Mannschaft gewahrte. Als der Kahn an's Ufer stieß, fielen die Aegypter über ihn her und ermordeten ihn. Sie schnitten ihm das Haupt ab und ließen den Körper liegen; ein treuer Diener bestattete denselben. So endete der glückliche Pompejus, den man den „Großen" nannte.
7.
Pompejus war nicht mehr, aber seine Partei kämpfte noch hartnäckig fort. Cäsar mußte in Afrika und Spanien noch zwei schwere Kämpfe
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bestehen. In Afrika hatte Kato ein großes pompejanisches Heer gesammelt, mit dem er gegen Cäsar als einen Tyrannen und Feind der Republik ziehen wollte. In Asien hatte der Sohn des Königs Mithridates sich empört, in Spanien stellten sich die Söhne des Pompejus an die Spitze der treu gebliebenen Soldaten.
Zuerst eilte Cäsar nach Asien und endigte dort die ganze Empörung mit einer einzigen Schlacht; das ging so schnell, daß er den Bericht nur in drei Worte abfaßte: „Veni, vidi, vici!“ — „Ich kam, sah, siegte!" Als er nun zurückkehrte, um nach Afrika überzusetzen, schien ihm doch sein Glück untreu zu werden. Es brach eine Empörung in seinem eigenen Heere aus; die Soldaten wollten, ehe sie weiter zögen, erst das Geld in Empfang nehmen, das ihnen Cäsar versprochen hatte. Sie wären eigentlich die Herren, so meinten sie, ihnen hätte Cäsar seine Erfolge zu verdanken. Schon waren mehrere Hauptleute, welche die Aufrührer zur Ruhe bringen wollten, ermordet; da trat Cäsar furchtlos unter sie. Bisher hatte er sie immer Soldaten und „Kameraden" genannt, nun redete er sie also an: „Bürger, da ihr es so verlangt, so seid ihr hiermit aus dem Dieust entlassen. Die versprochenen Belohnungen sollt ihr haben, aber erst, wertn ich mit andern Truppen in Afrika gesiegt habe!" Das überraschte die Aufrührer und sie fühlten, daß sie ohne Cäsar nichts waren. „Nimm uns wieder auf," so flehten sie, „wir wollen dir folgen, wohin du willst!"
Cäsar setzte mit ihnen erst nach ©teilten, dann nach Afrika über. Dort hatten die Pompejaner sich mit dem König von Numidien verbündet und ihr Heer war viel stärker, als das des Cäjar. Dessen Truppen begannen schon zu weichen, Cäsar aber stemmte sich den Fliehenden entgegen, jagte sie zurück in die Schlacht und einen Fahnenträger, der in vollern Lauf war, ergriff er, drehete ihn um und rief: „Dort sind die Feinde!" Mit Mühe errang er den Sieg. Als diese Nachricht nach Uti ka gelangte, wo Kato mit einer Schaar lagerte, wollte der edle Republikaner den Triumph des Tyrannen nidjt überleben und stieß sich den Dolch in's Herz. Rom war aber schon längst nid)t mehr frei.
Auch in Spanien wurde auf Tod und Leben gestritten, auch hier
begann das Heer des Cäsar zu weichen. Da sprang der tapfere Feldherr vom Pferde, lief durd) die Glieder und schrie: „Schämt ihr euch denn nicht, den Cäsar, euern Feldherrn, zweien Knaben in die Hände zu liefern?"
Vergebens, sie neigten fid; zur Flucht. Da stürzte er wie ein gemeiner
Soldat mit Schwert und Sd)ild auf die feindlichen Reihen und rief: „So sei denn dieser Tag der letzte meines Lebens". Das brad)te die Soldaten wieder zum Stehen; sie fochten mit beispielloser Wuth, bis der blutige Sieg gewonnen war. Und Cäsar gestand, in dieser Schlacht (es war bei SJiunda) habe er zum ersten Mal um sein Leben gefochten.
8.
So oft Cäsar nach Rom kam, empfingen ihn seine Anhänget: mit
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den schmeichelhaftesten Lobsprüchen und Ehrenbezeigungen; der Senat, der sich nicht genug vor dem Mächtigen demüthigen konnte, ernannte ihn zum immerwährenden Diktator und Imperator, zum Konsul auf zehn Jahre, zum alleinigen Censor, zum erblichen Pontifex Maximus und erklärte seine Person für heilig und unverletzlich. Das Volk und die Heere hingen ihm an. Er hatte die unermeßlichen Geldsummen, die er in den Kriegen erbeutet, dazu angewendet, das Volk zu belustigen und es ganz von seinem Willen abhängig zu machen. Jedem Soldaten seines Heeres hatte er 1000 Thaler, jedem Bürger Roms 20 Thaler geschenkt. Außerdem ließ er Korn und Oel austheilen, Spiele zu Land und zu Wasser aufführen; einmal fochten 1200 Menschen gegen 40 Elephanten zur großen Belustigung des Volkes, das zum Beschluß aus Cäsar's Kosten in 22,000 Zimmern gespeist wurde.
Cäsar hatte erreicht, was er wollte. Aber die Menschen in ihrer Kriecherei waren ihm bald so verächtlich, daß er auch nicht mehr viel auf sie gab. Oft stand er vor dem Senate gar nicht mehr aus, während ihm doch dieser einen goldenen Sessel und den Purpur gab, sein Bild aus die Münzen schlagen, den Monat Quintilis Julius nennen, seinen Geburtstag als ein jährliches Volksfest feiern ließ. Cäsar vertheilte Aemter und Würden nach Willkür, behandelte auch Manchen mit Verachtung, der es nicht verdiente. Der Staat befand sich aber wohl unter ihm, und nur eine kräftige Herrscherhand konnte ihn regieren. Cäsar war in der That und Wahrheit König, hätte er nur nicht auch nach der Krone gestrebt unb die republikanischen Formen geschont! Aber mehrere edle Römer, welche den Untergang des Freistaates nicht verschmerzen konnten, schwuren dem Alleinherrscher blutige Rache. Die Verschwörung blieb geheim, nur fehlte noch der Anführer. _ Dazu wählten sie den Brutus, einen Nachkommen jenes Brutus, der einst die Könige vertrieben hatte. Er war ein tapferer Feldherr, ein äußerst rechtschaffener Mattn, beim Volke hoch in Ansehen, und sollte die verhängnißvolle That gewissermaßen heiligen. Doch hatte auch Cäsar ihn lieb, ihn mit Gunst und Ehren überhäuft, ihn behandelt wie seinen eigenen Sohn. Brutus hatte sich aber von Cäsar nicht gewinnen lassen, und war ihm so fern wie möglich geblieben; denn es schmerzte ihn, seines Vaterlandes Freiheiten so von der Willkür Eines Mannes unterbrücken zu sehen.
Der Prätor Kassius war bie Seele der Verschworenen; er haßte den Herrscher, während Brutus nur die Herrschaft haßte. Kassius gehörte Zu den blassen hageren Menschen, bie wenig schlafen und viel brüten, unb Cäsar hatte immer eine unerklärliche Furcht vor ihm. Jener unterließ nichts, um den Brutus zu gewinnen. Oft fand der Letztere auf feinem Richterstuhle einen Zettel mit den Worten: „Brutus, du schläfst!" Und cm der (Statue seines Ahnherrn, des alten Brutus, stand mehrere Mal:
" .' daß du jetzt lebtest!" Diese Aufforderungen machten der Unschlüssig-£ ^ Brutus ein Ende; er stellte sich an die Spitze der Verschworenen und Cäsar's Tod ward auf den 15. März des Jahres 44 v. Chr. fest-
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gesetzt, an welchem Tage man den Diktator zum „Könige außerhalb Noms" ernennen wollte.
Cäsar war schon lange gewarnt. „Besser fallen, als immer fürchten!" war seine Rede. Noch am Abend vor seinem Tode ward in einer Gesellschaft bei Lepidus die Frage aufgeworfen, welcher Tod wohl der wünschenswerthefte sei? „Der unerwartete!" rief Cäsar schnell. Er hatte nie etwas von Vorbedeutungen gehalten (Pompejus desto mehr!), aber jetzt häuften sie sich wunderbar. Die heiligen Schilde im Tempel dröhnten; das Opferthier hatte keine Leber; in der Nacht sprangen in Cäsar's Schlafgemach plötzlich alle Thüren und Fenster auf, und seine Gemahlin Kalpurnia träumte von seiner Ermordung. Dringend beschwor sie ihren Gemahl am Morgen des 15., nur heute nicht auszugehen, und wirklich wollte Cäsar, der an seiner Kalpurnia nie weibische Abergläubigkeit wahrgenommen hatte, durch Antonius, den Konsul, die Sitzung absagen lassen. Aber ein Vetter des Brutus, von den ängstlich harrenden Verschworenen abgesendet, überredete ihn dennoch. Noch unterwegs warnte man ihn, aber Cäsar achtete nicht darauf, sprach sogar ganz wohl-gcmuth zum Spurinna, der ihn vor den Jdus des März gewarnt hatte: ^Spurinna, die Jdus des März sind da!" — „Aber noch nicht vorüber!'
antwortete der Freund.
Die Versammlung war in der Kurie des Pompejus. Vor der Kune verflocht einer der Verschworenen den Markus Antonius, dessen persönliche Tapferkeit man fürchtete, in ein langes Gespräch; Cäsar nahm unterdessen seinen Sitz ein. Die Verschworenen umringten ihn; einer von ihnen trat hervor, um den Cäsar zu bitten, seinen verbannten Bruder zu begnadigen. Als Cäsar die Bitte versagte, riß der Verschworene ihm die Toga von der Schulter und ein anderer stieß mit seinem Dolche auf ihn. „Verruchter, was machst du?" schrie Cäsar, und durchstieß mit dem eisernen Schreibgriffel des Mörders Arm. Aber schon folgte Stoß auf Stoß und so hitzig, daß die Mörder sich untereinander selbst verwundeten. Einige Augenblicke vertheidigte sich Cäsar herzhaft. Als er aber auch Brutus unter seinen Mördern erblickte, sprach er blos noch die Worte: „Auch du, mein Sohn Brutus?" verhüllte sein Gesicht mit dem Mantel und sank, von 23 Stichen getroffen, am Fuß einer Bildsäule des Pompejus todt zur Erde. ^
Die Senatoren flohen auseinander, die Mörder des Cäsar aber zogen triumphirend durch die Straßen Noms mit dem Nufe: „Der Thränn ist todt, der Staat wieder frei!" Das Volk entsetzte sich, stimmte aber nicht in den Nuf mit ein. Da flohen die Verschworenen auf das Kapitol, unschlüssig, was sie nun beginnen sollten. Der Senat sollte den Cäsar für einen Tyrannen erklären und seinen Leichnam in die Tiber werfen; aber Antonius widersetzte sich diesem Antrage, indem er der Versammlung bemerklich machte, daß dann auch Alle, die von Cäsar Amt und Würden empfangen hätten, ihre Stellen aufgeben müßten. Nun ward zwar den
Mördern Verzeihung zugesichert, aber auch dem Cäsar ein feierliches Lei-chenbegängniß bewilligt. Mit der höchsten Pracht wurde die Bahre, auf welcher der Leichnam nach dem Forum getragen werden sollte, geschmückt; Senatoren und Freunde Cäsar's trugen sie. Dann hielt Antonius die Leichenrede und stellte mit solcher Beredsamkeit dem Volke dar, wie Cäsar so Vieles für die Römer gethan, wie er ein Freund der Armen und Unterdrückten gewesen sei, daß Alle zu Thränen gerührt wurden. Dann zeigte der Redner den von Dolchstichen durchbohrten Mantel, und dieser Anblick erregte die Wuth des Volkes gegen die Mörder. Endlich zog Antonius noch eine Rolle hervor und ries: „Seht da, was der, den ihr einen Tyrannen nennt, für euch gethan hat. Hier ist das Testament, worin geschrieben steht, daß alle Gärten Cäsar's dem Volke zu dessen Belustigung vermacht werden, und daß jeder römische Bürger ein Geldgeschenk empfangen solle!" Da wurde das Volk fast wahnsinnig vor Schmerz; Alles trug brennbare Dinge zum Scheiterhaufen herbei; vornehme Staatsbeamte warfen ihre Kleider in die Flammen, Weiber ihren Halsschmuck, Soldaten ihre Waffen. Dann nahmen sie Fackeln, um die Häuser der Mörder anzuzünden, die bereits in die Provinzen geflohen waren. Die ganze Stadt gcrieth in Aufruhr.
5. Antonius und Oktavianus. *)
1.
Antonius, welcher die Leibwache des Cäsar befehligte, stellte die Ordnung wieder her. Der Senat haßte und fürchtete ihn, war aber zu ohnmächtig, ihn zu stürzen. Aus die Soldaten kam Alles an, und diese hingen an ihm, weil er ein Freund Cäsar's war. So setzte es Antonius durch, daß ihm die Provinz Gallien überwiesen wurde; dort wollte er, dem Cäsar gleich, sich ein Heer sammeln.
Unterdessen war ein Neffe Cäsar's, der junge Cäsar Oktavianus, aus Kleinasien, wo er eben studirte, herbeigeeilt, und machte Ansprüche auf das Erbe seines Oheims. Er war kein tapferer Kriegsmann, wie Antonius, aber sehr gewandt und schlau. Den Plan des Antonius durckschauete er sogleich, und er beschloß, ihn zu vereiteln. Vor Allem mußte er sich in die Gunst des Volkes setzen; darum verkaufte er alle seine Landgüter und gab Festspiele zu Ehren Cäsar's-, auch die Bildsäule seines Oheims stellte er in einem Tempel auf, und mit den alten Soldaten war er sehr freundlich. So gewann er einen Anhang, der sich mit jedem Tage vergrößerte, und selbst der Senat neigte sich zu ihm, um ein Gegengewicht gegen ben Antonius zu haben.
*) Nach Vredow.
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Jetzt trat Cicero auf, ein Mann von außerordentlicher Rednergabe, ber römische Demosthenes genannt, und donnerte gegen den Antonius, als den gefährlichsten Feind des Vaterlandes. Er suchte den noch vorhandenen FreiheUssinn zu entflammen und brachte es auch dahin, daß der Krieg gegen Antonius beschlossen wurde. Oktavianus begleitete die Konsuln, die mit einem Heere nach Oberitalien zogen, dem Antonius entgegen. Bei Mutina kam es zur Schlacht, in welcher die Konsuln siegten, aber auch beide ihr Leben verloren. Nun stand Oktavianus an der Spitze des Heeres. Aber anstatt den Sieg zu verfolgen, verbündete er sich mit Antonius und dessen treuem Anhänger Lepidus, und stiftete mit ihnen ein zweites Triumvirat, worin sich die Drei in die Herrschaft über das römische Reich theilten.
Die Triumvirn zogen auf Rom los, das, auf das Höchste überrascht, nun wieder traurige Zeiten erlebte. Alle Feinde des Casar und Freunde der Freiheit wurden in die Acht erklärt; auf jeden Kopf eines Vornehmen wurde ein Preis von 5000 Thalern gesetzt; sämmtliche abgehauenen Köpfe wurden auf der Rednerbühne des Forums ausgestellt. Oktavianus, der gern den Cicero gerettet hätte, mußte dem erzürnten Antonius auch das Leben dieses berühmten Mannes preisgeben. Der Unglückliche war bei Zeiten aus Ront entflohen, aber die Mörder holten ihn ein, hieben ihm den Kopf und die rechte Hand ab, und wurden dafür vom Antonius königlich belohnt. Seine Gemahlin, die böse Fulvia, durchstach noch die Zunge des Redners mit glühenden Nadeln.
2.
Alle Freiheitsfreunde waren nach Macedonien geflüchtet, wo Brutus und Kassius ein Heer sammelten. Die Triumvirn zogen mit ihren Kriegsschaaren ihnen nach und bei Philippi kam es zur Schlacht, in welcher die Republikaner auf's Haupt geschlagen wurden. Brutus, voller Verzweiflung, stürzte sich in fein eigenes Schwert. Antonius betrachtete den Leichnam mit Rührung und Bewunderung; Oktavianus ließ ihm den Kopf abschneiden und in Rom aufstecken, Antonius aber verbrannte den Übrigen Leichnam und sandte die Asche der Mutter des Brutus.
Jetzt, da die Sieger keinen Feind mehr zu fürchten hatten, theilten sie die Provinzen des großen römischen Reiches; Lepidus, der weder besonders tapfer, noch klug war, erhielt blos die Provinz Afrika, Antonius wählte Asien, Oktavianus Italien. Doch die Freundschaft der Dreimänner dauerte nicht lange; denn Oktavianus machte heimlich Pläne, die ganze Oberherrschaft an sich zu reißen. Unterdessen schwelgte Antonius in Asien ohne Maß und Ziel. In der Stadt Ephesus zog er als Gott Bacchus verkleidet ein; die Bürger und ihre Frauen und Töchter kamen ihm als Diener und Dienerinen des Bacchus mit Weinschläuchen und Stäben, um die sich Weiulaub rankte, entgegen; sein Aufenhatt dort war ein immerwährendes Trinkgelage.
In Aegypten regierte Kleopatra, die durch Cäsar zur Königin erhoben war. Sie war eine schöne und geistreiche, aber auch eine eitle und herrschsüchtige Frau, die darauf ausging, wo möglich Königin Roms zu werden. Erst hatte sie es mit dem Cäsar gehalten; sobald dieser ermordet war, hielt sie es mit den Mördern des Cäsar; und als diese geschlagen waren, suchte sie den Sieger Antonius durch ihre Reize zu gewinnen. Antonius forderte sie vor sich, um sie zur Verantwortung zu ziehen, daß sie seine Feinde unterstützt hatte. Sie kam auf einem prächtigen Fahrzeuge mit silbernen Rudern, purpurnen Segeln und reichen Vergoldungen. Eine liebliche Musik begleitete den Takt der Ruder, und eine Menge schöner Knaben und Mädchen, als Liebesgötter gekleidet, folgten auf Kähnen neben ihr, die in der Gestalt der Venus, der Göttin des Liebreizes und der Anmuth, vor Allen hervorstrahlte. Sie war damals 25 Jahre alt, und hatte durch einen passenden Schmuck die Schönheit ihrer Gestalt noch zu erhöhen gewußt. AIs die Umstehenden sie erblickten, riefen alle jubelnd: „Venus kehrt beim Bacchus ein!" Die schlaue Frau verfehlte ihren Zweck nicht. Mit Witz und Scherz, mit ihrem feinen Verstand und Geschmack, und mit tausend angenehmen Gaukeleien nahm sie den entzückten Feldherrn so ein, daß er von diesem Tage an für nichts Anderes mehr Sinn hatte, als für Kleopatra. Schmausereien und Lustbarkeiten waren das Hauptgeschäft des Tages, und Einer suchte den Andern in Anordnung derselben zu übertreffen. Einmal wetteten sie, wer von Beiden die kostbarste Mahlzeit geben würde. Antonius ließ die theuersten Leckerbissen anschaffen; die Königin dagegen bewirthete ihn ganz einfach, zum Schluß der Mahlzeit aber gab sie einen Becher mit wenig Flüssigkeit, die nach unserem Gelde eine Million Gulden kostete; es war nämlich eine Perle in Essig ausgelöst, die ihrer seltenen Größe wegen diesen Werth gehabt hatte.
Einmal kam ein Fremder in Antonius' Küche und sah acht wilde Schweine an Spießen braten. Er erstaunte und meinte, es sei wohl große Gesellschaft heute. Ach nein! sagte der Koch, es sind nur zwölf Gäste; allein unter diesen Schweinen ist immer eins später aufgesteckt, als das andere, damit wir gerade in dem Augenblicke, wenn unser Herr befiehlt, das aussuchen können, welches den höchsten Wohlgeschmack hat. — Antonius und Kleopatra belustigten sich zuweilen mit Angeln. Antonius fing selten Etwas und ward dafür ausgelacht. Er befahl daher heimlich einem geübten Schwimmer, unvermerkt unterzutauchen und einen schon gefangenen Fisch an seine Angel zu stecken. Dies geschah, und Antonius fing mit jedem Zuge die schönsten Fische. Kleopatra, welche den Betrug merkte, 'befahl indeß ihrem besten Taucher, jenem Schwimmer zuvorzukommen. Antonius warf die Angel aus, und zugleich fühlte er ein schweres Gewicht an seiner Schnur; er zog es mit Mühe herauf und siehe: es war ein großer eingesalzener Fisch aus einem entfernten Meere. Alle lachten; Antonius erröthete vor Beschämung; Kleopatra aber wußte oen Spaß
Grube, Geschichtsbilder. I. 15
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trefflich zu wenden: „Ueberlaß uns kleinen Fürsten, Fische zu angeln; du, Feldherr, fange Länder, Könige und Völker!"
3.
Indeß hatte Antonius in Rom eine Gemahlin zurückgelaffen, Fu lv ia mit Namen, die sehr unzufrieden darüber war, daß ihr Mann in Aegypten bei der Kleopatra lebte. Sie fing Unruhen in Italien an, reizte den Oktavianus gegen Antonius, um diesen zur Rückkehr zu zwingen. Er kam; da aber Fulvia starb, wußte Antonius den Oktavianus zu besänftigen, sie versöhnten sich wieder, und nach dem Wunsche des Volks, das der neuen Eintracht lange Dauer wünschte, heirathete Antonius die Stiefschwester des Oktavianus, die schöne und tugendhafte Oktavia. Das ganze Reich nahm Antheil an der Freude Roms und Jeder sah einer ruhigen Zukunft entgegen.
Wirklich schien auch die Sanstmuth und Güte der Oktavia den Antonius von seinem ausschweifenden Leben zurückzubringen. Sie war jung und schön, er lebte mit ihr in vergnügter Häuslichkeit und widmete sich wieder ernsten Geschäften. Doch bald entspannen sich wieder neue Streitigkeiten mit Oktavianus, welcher dem Lepidus alle Truppen abspenstig gemacht und den unfähigen Anführer in einen kleinen Ort verbannt hatte, so daß ihm bloß noch Antonius im Wege stand. Dieser, welcher mit seiner jungen Gemahlin in Griechenland lebte, schiffte sich mit einem Heere nach Italien ein. Als er hier gelandet war, bat ihn die sanfte Oktavia, er möchte sie, ehe die Feindseligkeiten anfingen, voran zu ihrem Bruder schicken. Oktavianus stand bereits gerüstet an der Spitze eines zahlreichen Heeres; doch seine Schwester versöhnte wieder Bruder und Gemahl. Eine große Zahl der Soldaten aus beiden Heeren, die als Feinde gekommen waren, eilten jetzt zu einander und umarmten sich als Freunde, und die beiden neu versöhnten Feldherren gaben sich gegenseitig prächtige Gastmähler. Darauf ging Antonius wieder nach Asien zurück, Oktavia aber reiste mit ihrem Bruder nach Rom, um ihres Gemahls Andenken in Liebe hier zu erhalten.
Doch er war der treuen Liebe nicht werth. Kaum war er in Asien, so fing er sein ausschweifendes Leben mit der Kleopatra wieder an und dachte nicht mehr an seine treffliche Gattin. Sie duldete dies lange Zeit, bis sie sah, daß ihm in Rom neue Gefahr drohe, während er unbekümmert fortschwelgte. Nun machte sich Oktavia auf, ihn zu besuchen. Er aber schrieb ihr, sie möchte nur in Athen bleiben, er habe gerade jetzt einen Feldzug gegen die Parther beschlossen. Sie blieb mit ihren Kindern in Athen, und obgleich ihr Bruder sie zu bereden suchte, sie möchte den Schimpf nicht dulden und. sich öffentlich tu Rom über Antonius beschweren, so blieb sie dennoch ihrem Manne ergeben. „Wenn du mich nicht sehen willst," schrieb sie an ihn, „so melde mir wenigstens, wohin ich das Geld und die Truppen und die Kleidungsstücke schicken soll, die ich für <ich mitgebracht habe, um dich zu überraschen!" Dies rührte den Antonius,
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doch sobald das Kleopatra merkte, bot sie alle ihre Künste auf, um ihn zu umstricken; sie stellte sich krank, zeigte sich immer mit verweinten Augen und ihre Kammerfrauen mußten den Antonius versichern, daß sie gewiß sterben werde, wenn er seine Liebe von ihr wende und zu Oktavia zurückkehre, die ja doch nur aus schlauer Berechnung des Oktavianus sein Weib geworden sei! So ward ihm selbst Argwohn gegen die edelste Frau eingeflößt; er vergaß ihrer nach und nach ganz und jede gute Regung seines Herzens ward in dem unaufhörlichen Taumel von Vergnügungen erstickt, in welchem ihn die ägyptische Königin zu erhalten wußte. Endlich machte er sogar die beiden Söhne, die ihm Kleopatra geboren hatte, zu Königen und schenkte ihnen im Voraus die Provinzen Syrien und Sicilien. Hierdurch reizte er den Unwillen des römischen Volkes auf's Aeußerste. Sobald Oktavianus das merkte, klagte er den Antonius öffentlich an; dieser ward für einen Feind des Vaterlandes erklärt und der Kleopatra wurde der Krieg angekündigt. Mit Freuden gab sie zu dem Kriege Geld und Schisse her, sie ging dem Antonius nicht von der Seite und vermochte ihn sogar, daß er seine edle Gemahlin in Rom aus seinem Hause weisen ließ. Oktavia ging mit Thränen; ihre Kinder nahm sie alle mit, und als Antonius und Kleopatra gestorben waren, nahm sie auch deren Kinder zu sich und erzog sie alle zu tugendhaften und achtungswerthen Menschen.
4.
Antonius und Kleopatra zogen mit ihrer Flotte dem Oktavianus entgegen ; bei Aktium im Adriatischen Meere kam es (3 L v. Chr.) zu einer Seeschlacht. Die Soldaten des Antonius fochten, trotz ihrer schwerfälligen Schiffe, mit gewohnter Tapferkeit, als mitten im Gefecht, da noch Nichts entschieden war, Kleopatra ihren Schiffen Befehl gab, nach Hause zu fliehen. Antonius folgte ihr auf dem Fuße nach; die braven Soldaten, die in der Hitze des Kampfes den Feldherrn nicht sogleich vermißten, fochten tapfer bis an den Abend, da endlich ergaben sie sich dem Oktavianus. Die Landarmee, welche die verlorene Seeschlacht durch einen Sieg zu Lande wieder gut machen konnte, wartete mit Sehnsucht auf Antonius; da er aber nach sieben Tagen nicht erschien, ging Alles zum Oktavianus über. Dieser folgte der Geflohenen nach Aegypten. Kleopatra, die treulose, hätte nun gewiß gern den Antonius verrathen, wenn sie nicht von Oktavianus sehr kalt und stolz behandelt worden wäre. So wurde sie gezwungen, sich zu stellen, als ob sie es noch immer mit Antonius hielte. Antonius wollte noch einmal das Kriegsglück versuchen; er stellte seine Truppen zur Schlacht, aber mit Schrecken sah er, daß eine Truppe nach der andern, wahrscheinlich auf Kleopatra's Befehl, zum Feinde überging Verlassen eilte er nach dem Schlosse der Königin. Auch sie verbarg sich vor ihm, verschloß sich in ein Grabgewölbe und ließ dem Antonius sagen, sie sei gestorben. Diese Nachrickt brachte ihn zur Verzweiflung; er stieß sich den Degen durch den Leib, allein die Wunde war nicht tödtlich unb er quälte sich lange zwischen Leben und Sterben. Da sagte man ihm,
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Kleopatra lebe noch. Er bat, daß man ihn zu ihr bringen möchte. Man that es und nach langen Zuckungen starb er zu ihren Füßen.
Oktavianus zog als Sieger in die Hauptstadt Aegyptens, Alexandrien, ein, er ließ den Antonius prächtig begraben und stellte sich gar freundlich gegen Kleopatra, daß sie seine Absicht nicht merken sollte; denn er hatte vor, sie an seinem Triumphwagen gefesselt in Rom mit aufzuführen. Doch sie errieth seine Gedanken und kam ihm durch schnellen Selbstmord zuvor; man sagte, sie habe ein paar giftige Schlangen sich in die Brust beißen lassen. Darauf sandte sie einen Brief an Oktavianus, worin sie ihn bat, daß er sie bei Antonius begraben lassen möchte. Er hielt dies für eine List, schickte sogleich Leute aus ihr Zimmer, aber diese fanden sie bereits todt in ihrem königlichen Schmucke auf dem Ruhebett liegend.
5.
Aegypten war nun eine Beute des Siegers und ihm gehorchte fast der ganze bekannte Erdkreis. Art dem Titel „König" lag ihm nichts; es war ihm der Name „Imperator", erster und einziger Feldherr aller Heere, genug; das Volk gab ihm aber den schmeichelhaften Beinamen „Augustus", der Erhabene, Ehrwürdige. Er war ein Enkel der Schwester des ermordeten Cäsar, welcher ihn an Kürdesstatt angenommen hatte, und da auch seine nächsten Nachfolger zu dieser Familie gehörten, wurde der Name „Cäsar" (woraus unser Kaiser entstanden ist) die Bezeichnung für das oberste Haupt des Staates. Augustus war klug genug, dem Volke den Schein der Republik zu lassen, er ließ wieder Konsuln wählen, übertrug dem Senate mancherlei Geschäfte, ja sogar Volkstribunen wurden noch vom Volke erwählt. Aber die Wahl fiel natürlich immer auf Solche, welche dem Imperator ergeben waren, und der Senat mußte zu Allem „ja" sagen. Augustus regierte unumschränkt, aber doch waren die meisten Bürger froh, daß endlich wieder Ruhe und Ordnung im Reiche herrschte, denn sie sahen, daß für Rom keine andere Rettung sei, als in dem kräftigen Regiment Eines Mannes. Augustus stellte sich zuweilen, als wollte er die Herrschaft niederlegen; dann bat ihn das Volk dringend, er möchte doch die Obergewalt wieder übernehmen. Allmählich änderte sich die Republik um in eine Monarchie (Alleinherrschaft); die Heere wurden stehend, die Beamten erhielten feste Besoldungen und wurden so an die bestehende Regierung gebunden. Augustus vereinigte endlich die wichtigsten Stellen des Staates in seiner eigenen Person und seine Unterthanen waren es zufrieden.
6.
Doch die Macht hilft nicht immer zum Glücklichsein. Augustus, der dem gewaltigen römischen Reiche vom Tajo bis zum Euphrat, von den Sandwüsten Afrika's bis zur Themse im nördlichen Britannien gebot, konnte sich keine Ruhe in seinem eigenen Hause gewinnen. Er hatte zu einer dritten Gemahlin eine sehr böse Frau, die Livia, genommen.
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Diese sah es mitEifersucht, daß Augustus eine Tochter aus voriger Ehe, die Julia, sehr lieb hatte, und noch mehr erbittert ward sie, als der Gemahl der Julia, der treffliche Marcellus, von den Bürgern Roms allgemein geehrt und geliebt und ihren beiden Söhnen, dem Tiberius und Drusus, vorgezogen wurde. Sie war so boshaft, daß sie dem Marcellus Gift beibringen ließ. Nun hoffte sie, ihren Liebling Tiberius, einen kühnen, aber heimtückischen Menschen, dem Herzen des Kaisers allmählich näher zu bringen. Aber Augustus, der den Tiberius nicht leiden konnte, erklärte nach einigen Jahren zwei Söhne seiner Tochter Julia für seine Nachfolger, zog auch den Drusus immer noch dem Tiberius vor. Dies erbitterte die Livia auf's Aeußerste, und da Giftmischerei gleichsam ihr Gewerbe war, so schaffte sie nicht bloß ihres Mannes Enkel, sondern auch ihren eigenen Sohn Drusus aus dem Leben. Augustus war ganz untröst lich bei dem Tode seiner Enkel und hing nun mit doppelter Liebe an seiner Julia. Auch dies konnte die Grausame nicht ertragen, sie klagte die Julia eines ausschweifenden Lebens an und da sie durch Zeugen überführt ward, mußte sie der Kaiser aus Rom verbannen. So brachte es die Livia dahin, daß Augustus den Tiberius zu seinem Nachfolger erklärte. Bald darauf, als Tiberius einen Kriegszug unternehmen wollte, begleitete ihn der alte Kaiser bis nach Neapel, wohnte hier den Schauspielen bei, die man zu seinem Geburtstage gab, und war sehr heiter. Auf einer nahen Insel lebte der jüngste Sohn seiner geliebten Tochter Julia als unschuldig Verbannter. Seine Liebe zu dem Jünglinge erwachte; doch wagte der schwache Greis es nicht, der Livia seinen Wunsch zu äußern. Heimlich schiffte er hinüber und Großvater und Enkel sahen sich wieder. Doch die auflauernde Gemahlin des Augustus erfuhr es: sie fürchtete von dieser Zusammenkunft alles Böse für sich und ihren Liebling. Plötzlich hieß es, Augustus sei krank. Keiner ward zu ihm gelassen, nur Livia war bei ihm und die ließ schnell ihren Sohn Tiberius rufen. Als er gekommen, ward bekannt gemacht, Augustus sei todt, und Tiberius wurde zum Kaiser ausgerufen.
Vierundzwanzig Jahre hatte Augustus das Weltreich mit Umsicht und Mäßigung regiert; kurz vor seinem Tode soll er die umsein Bett stehenden Freunde gefragt haben: „Habe ich meine Rolle gut gespielt? Nun so klatschet Beifall, denn die Komödie ist zu Ende!"
Rückblick auf die Kultur der Römer.
In der ältesten Zeit war der Römer, wie jeder andere Natnrfohn, mit den Verfeinerungen des Lebens noch ganz unbekannt. Zuerst waren seine Häuser und Tempel bloß Lehmhütten; dann banete man von Stein, aber Marmor ward erst zu Sulla's Zeiten angewandt. Die Kleidung war eine Art Hemde ohne Aermel, bis auf die Knie reichend, von Wollstoff (Tunika), und darüber eine Art Mantel (Toga), der bloß ans einem
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viereckigen Stück Tuch bestand; Arme und Beine blieben nackt. Das Bett war ein Strohlager. Die Speisen bestanden lange Zeit in einem einfachen Mehlbrei und in Mehlklößen; erst nach Beendigung der punischen Kriege bekamen die Römer Bäcker. Das Abendessen war die Hauptmahlzeit, die aus Honig, Bohnen, Früchten, Fleisch und Del bestand; Wein mit Wasser vermischt wurde auch nur Abends getrunken. Das Mittagsmahl war ein leichtes Frühstück, das um 11 oder 12 Uhr genommen wurde.
Mit Künsten und Wissenschaften war man anfangs so unbekannt, daß man unter Numa den Tag noch nicht in seine Stunden einzutheilen verstand. Die Münze war bis auf die punischen Kriege Kupfermünze, anfangs ohne Gepräge. Am Ende des zweiten punischen Krieges kamen Goldmünzen auf, und es war darauf das Bild eines Thieres, eines Schafes oder Ochsen (pecus-pecunia) geprägt. Cäsar vertauschte diese Schafsoder Ochsenköpfe mit seinem Brustbilde.
Der Ackerbau war die Hauptbeschäftigung, und selbst Konsuln schämten sich nicht, hinter dem Pfluge herzugehen und ihr kleines Erbgut zu bestellen, von welchem sie ausschließlich lebten. Von anderen Gewerben wußte man wenig. Die Sklaven, welche nachmals Feldbau und Künste treiben mußten, brauchte man anfangs gar nicht für den Ackerbau.
Jeder Hausvater war König in seinem Hause. Noch in späteren Zeiten hatte er volle Gewalt über das Leben seines Sohnes, so lange er ihn noch nicht völlig freigesprochen hatte. Er konnte seine Kinder todten oder zu Sklaven verkaufen, ohne daß ihn Jemand darüber belangen durfte. Auch den Schuldner, der nicht bezahlen konnte, durften die Gläubiger tödten oder als Sklaven verkaufen.
Die strengste Sitteneinfalt war noch nach einem halben Jahrtausend so groß, daß es für etwas Außergewöhnliches galt, als man dem Seehelden Duilius erlaubte, er dürfe mit einer Fackel sich nach Hause geleiten lassen. So lange diese Sitteneinfalt blieb, blieb auch des Römers unwiderstehliche Kraft und Festigkeit, durch welche er die Welt besiegt hatte. Freilich stand er in Künsten und Wissenschaften weit hinter dem Griechen zurück. Zwar plünderten die Römer Asiens Schätze und kauften Griechenlands Kunstwerke und Gemälde zu ungeheuren Summen, aber nur aus Prachtliebe, nicht aus Kunstsinn. Ein köstliches, in Korinth erbeutetes Gemälde brauchten die Soldaten als Würfeltisch, und als ein asiatischer König 30,000 Thaler dafür bot, gab es Mummius nicht her, weil er glaubte, es sei eine Zauberkraft darin verborgen.
Schauspiele auf öffentlicher Bühne wurden schon drittehalbhundert Jahre vor Christo gegeben, allein der blutgierige Sinn des Volkes fand mehr Gefallen an den Fechterspielen, die ihren ersten Grund wohl in dem Gebrauche haben mochten, am Grabe der Vornehmen Sklaven und Gefangene hinzurichten. In Rom kam man auf den Einfall, diese Unglücklichen sich selbst hinrichten zu lassen, woraus dann die Fecht erspiele entstanden, welche zuletzt so furchtbar wurden, daß zuweilen Tausende auf dem
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Platze blieben. Die jungen Gladiatoren wurden oft mit Peitschenhieben und glühenden Eisen gegen ihre überlegenen Gegner getrieben. Auch mußten Menschen mit reißenden Thieren kämpfen, und je mehr Blut floß, je mehr Todesseufzer stöhnten, desto größer war das Entzücken der Zuschauer.
Mit den von fremden Völkern gewonnenen Reichthümern wuchs die Ueppigkeit, mit der Ueppigkeit alle Arten von Schändlichkeiten und Verbrechen. Der alte Kato eiferte schon 200 Jahre v. Chr. gegen den Aufwand, und meinte, daß ein Staat schwer zu retten sei, in dem ein Fisch mehr koste als ein Ochs. Mancher Seefisch wurde mit 200 bis 300 Thalern bezahlt.
Unzählige Schaaren von Sklaven, denen man zuletzt alle Arbeit überließ, die alle Wissenschaften, Künste und Gewerbe trieben, wurden gehalten; die Reichen hatten mehrere Tausend derselben, unter welchen die Geschicktesten zuweilen 5000 ja bis 10,000 Thaler gekostet hatten. Die Ungeschickten wurden aber so gering geachtet, daß Pollio, ein Freund Augusts, sie für begangene Fehler in Stücke zerhauen und die Fischteiche mit der angenehmen Mast versorgen ließ. Antonius hatte bloß für Maurerund Zimmerarbeit 500 Sklaven.
Was war aus den anfänglich so einfachen Mittags- und Abendmahlzeiten geworden! Lukullus, ein reicher Feinschmecker, erhielt einst unerwarteten Besuch von Cäsar und Pompejus, und in aller Eile ward ein ländliches Abendessen veranstaltet, welches 10,000 Thaler kostete. Sulla hatte die Bürger Roms mehrere Jahre lang mit den leckersten Gerichten und feinsten Weinen bewirthet, und wie Viel auch an jedem Tage übrig blieb, es wurde in die Tiber geworfen.
Der Schwiegersohn Sulla's, Markus Skaurus, ließ, nur um für einen Monat das Volk zu belustigen, ein Theater mit 80,000 Sitzen bauen, das auf schönen, mit Marmor bekleideten Säulen ruhete, mit 3000 kostbaren Statuen und Gemälden geschmückt war und Jahrhunderten hätte Trotz bieten können; es wurde aber nach dem Monate des Gebrauchs wieder abgebrochen. Kur io bauete zwei große Theater, die man durch Maschinen herumdrehen, auseinander und nebeneinander rücken konnte. Die Schaubühne und das Amphitheater waren in Rom wie in Griechenland offen, aber seit Cäsar wurden sie mit Purpurdecken überzogen zum Schutz vor den Sonnenstrahlen. Durch Wasserkünste ließ man, zur Erfrischung der Zuschauer, einen seinen Staubregen von Wein und Wasser sprühen.
In der Zeit des Prunkes waren die Tischfitten ganz den athenischen ähnlich; Schaaren von Schauspielern, Sängern und Tänzern mußten zur Unterhaltung dienen. Nur in den Leckereien und in der Kostbarkeit der Gerichte wurden die Griechen von den Römern übertroffen. Um Seefische unterhalten zu können, wurden eigens Kanäle gegraben, welche das salzige Meerwaffer in die Fischteiche leiteten. Dem Römer Hirtius kostete die Unterhaltung feiner Seefische jährlich 400,000 Thaler. Auch für ausländische Vögel wurde viel verschwendet, man baute ihnen die schönsten Prachtgebäude. Schiffe und Karawanen führten damals nach Rom dir
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Leckereien unb Kostbarkeiten ber fernsten Länber; Schaaren von Köchen unb Lakaien würben gehalten, alle prächtig gefleibet; wenn einer biefer Sklaven währenb bes Aufwartens bei Tische nieste ober hustete, bekam er Peitschenhiebe.
Der Römer war von ben ältesten Zeiten bem religiösen Aberglauben ergeben; in btefent Punkte bitbete er seinen Geist nur langsam aus. Seine meisten Gottheiten waren von ben Griechen entlehnt; Vieles in seinem Gottesbienste kam von ben Etruskern. In ben alten (sybillinischen) Büchern fanb sich eine Weissagung, Griechen unb Gallier würben Roms Boben einnehmen. Man ließ baher, auf Anrathen ber Priester, von jeber Nation ein Paar in bie Erbe graben, bamit so ohne Nachtheil für Rom bie Weissagung erfüllt würbe. Als bie Römer (150 v. Chr.) gegen Perseus fochten, setzte sie eine Monbfinsterniß in Schrecken. Sie schlugen (ganz so wie bie Sübamerikaner) ihre metatlnen Schilbe gegen einanber — wahrscheinlich um ben Feinb bes Monbes zu verscheuchen —, hielten brennenbe Fackeln gen Himmel, unb brachten nach Ablauf ber Finsterniß noch große Opfer. Unb wenn eine.Stabt zerstört werben sollte, flehete im Stillen ber Konsul bie Schutzgötter berselben an, herauszugehen, Rom zu ihrem Sitze zu erwählen unb ben unterirdischen unb bösen Göttern ben Ort zu überlassen.
Man zählte zuletzt in Rom 424 Göttertempel, unter welchen bas Pantheon (Tempel aller Götter) eine runbe Gestalt hatte unb fein Licht von oben her erhielt. Jupiters prächtiger Tempel auf bem Kapitol hatte breifache Säulengänge. Die Prachtgebäube waren nach griechischen Mustern angelegt unb oft noch großartiger als bie griechischen. Die öffentlichen Babehäuser hatten Platz für mehrere Taufenb, bie auf Ein Mal baben konnten. Ausgezeichnet waren bie großen Wasserleitungen unb Heerstraßen. Jene führten bas Wasser meilenweit her in alle Häuser, biefe gingen von Rom aus in alle Gegenben unb Provinzen ujtb hatten Ruhebänke unb Baumschatten. Die berühmteste biefer Straßen war bie appische, bie aus großen, fest verkitteten Quabern gebaut war, unb von ber noch bis jetzt einzelne Theile ber Zerstörung getrotzt haben.
Einer ber größten Plätze in Rom war ber länglich runbe Circus maximus; auf welchem bie Kampffpiele gehalten würben. Er hatte eine Länge von 3000 Fuß unb faßte 250,000 Zuschauer. An bem einen Enbe beffelben stauben bret Pyramiben, als Ziel für bie Wettrenner.
Von ben Palästen in Rom werben als ausgezeichnet unb befonbers prunkvoll genannt bas Haus bes Cieero, bessert Werth man auf 240,000 Thaler, unb bas Haus bes Klobius, bas man auf 800,000 Thaler schätzte. Vor allen aber prangte bas Haus bes Mäcenas, bes Freunbes unb Rathgebers bes Augustus, majestätisch unb groß. Dieser reiche Mann beförberte auch bie Künste unb Wissenschaften, unb bie römische Dichtkunst feierte unter Augustus ihr golbenes Zeitalter. Da verfaßte Virgilius Maro fein Helbengebicht, bie Aene'ibe, worin er bie Abenteuer-bes Aetteas nach ber Zerstörung von Troja besang; Horatius
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Flakkus schrieb seine meisterhaften Lob- und Spottgedichte (Oden und Satiren) und Ovidius Naso seine Metamorphosen (Verwandlungen), worin die Göttersagen sehr anmuthig erzählt sind. Auch treffliche Geschichtsschreiber lebten um diese Zeit, ein Livins,Sallu st,Kornelius Nepos, deren Werke aber nur unvollständig auf uns gekommen sind.
Diese Blüthe des geistigen Lebens war aber nur von kurzer Dauer, denn die ganze römische Herrschaft war bereits faul in ihrer Wurzel.
Das Christenthum.
Das Reich des mächtigen Cyrus in aller seiner Macht und Herrlichkeit zerfiel, als der große Held Alexander nach Asien zog; die schöne Blüthe des griechischen Staates verwelkte schon zu Philipp's und Alexander's Zeiten; das macedonische Weltreich, kaum gegründet, brach schnell wieder zusammen, und dem noch größeren und mächtigeren Römerreiche sollte es eben so ergehen. Die Menschen kämpften und stritten für ihre Ehre, zu des Vaterlandes Ruhm, aber das, wofür sie kämpften, war doch nur ein Irdisches, Vergängliches. Das Höchste, wonach der Mensch ringen soll, das, was ewig und unvergänglich ist, was kostbarer als Gold und Edelstein, d i e Gemeinschaft mit Gott, die Verehrung Gottes im Geist und in der Wahrheit, dieses hohe Ziel ward den Menschen durch die heidnische Vielgötterei aus den Augen gerückt. DasReich Gottes, das alle Menschen ohne Ausnahme umfaßt, in welchem es weder Herren noch Sklaven gibt, wo der König gleich ist dem Bettler, in welchem die Liebe walten soll und der Geist des Friedens, der keinen Krieg und kein Blutvergießen kennt — dieses Reich als Ziel des menschlichen Strebens blieb dem Alterthum verborgen, die schöne griechische Götterlehre erhob den Menschen nicht über das Sinnliche, darum waren die Menschen dahingegangen an ihres Herzens Lüste und Begierden, darum konnte alle griechische Weisheit und Kunst ihnen nichts helfen, darum wandelte das Volk in der Finsterniß und im Schatten des Todes. Die Vornehmen und Reichen schwelgten in Wohlleben oder in Ehre und Macht, aber sie konnten die Stimme ihres Gewissens, das nach Gott verlangte, nicht übertäuben; das Volk betete und opferte vor den Götzenbildern, aber es fühlte, daß diese Götter ihm nicht helfen konnten. Die Festauszüge und Opfer, die Wahrsagerei und Zeichendeuterei war den Priestern selbst zum Spott geworden; wenn sich zwei römische Auguren begegneten, mußten sie lachen. Einzelne Männer, wie Sokrates, mochten wohl eine Ahnung von dem wahren Christengott haben, aber ihre Lehre drang nicht in das Volk, denn es fehlte ihr die göttliche Kraft; solche Männer waren Lichtfnnken, die schnell erloschen und die allgemeine Finsterniß dann war um so bemerkbarer machten. Die Menschheit sehnte sich nach dem Heil, nach der Erlösung von der Sünde, nach reiner Gotteserkenntniß und nach reiner Gottesverehrung; wer konnte aber das Bessere bringen, wer anders als Gott selber? Er sandte seinen eingebornen Sohn, Jesus Christus, den Heiland der Welt, mitten in das verderbte Menschengeschlecht, und mit ihm kam eine
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neue Gotteskraft in die ermatteten Seelen. Von ihm, dem König aller Könige, ward ein Reich gestiftet, das bereits viel größer ist, als die Weltmonarchie eines Alexander oder Augustus, das schon langer gestanden hat, als alle Weltreiche der alten und neuen Zeit und das Bestehen wird bis an den jüngsten Tag.
Und Gottes unendliche Weisheit sandte den Heiland zu einer Zeit, welche der Ausbreitung des Evangeliums großen Vorschub leistete.
Jesus Christus ward geboren, „als die Zeit erfüllet war", unter dem Kaiser Augustus. Unter dessen Seepter waren die entlegensten, die rohesten und gebildetsten Völker mit einander in Verbindung gebracht; nach erschöpfenden Bürgerkriegen war endlich eine längere Ruhe gekommen; im ganzen Umfange des Reichs ward die griechische Sprache geredet und die Boten des Evangeliums konnten sich Allen verständlich machen. Es waren die Juden, durch ihre Religion und Hoffnung auf einen Erretter (Messias) ant ersten für die neue Lehre empfänglich, schon früher durch alle Länder des römischen Reiches zerstreut, und ihre Lehr -und Bethäuser (Synagogen) waren auch den Heiden geöffnet. So fand die neue Lehre einen guten Anhalt. Selbst die Verfolgungen mußten dazu dienen, die Herrlichkeit des Christenglaubens zu offenbaren, welcher das Himmelreich höher achtete als Ehre und Leben unter den Menschen. Als nun das römische Reich auseinanderfiel wie ein morsches Gebäude, da kamen die germanischen Völkerstämme, rohe, kräftige, unverdorbene Söhne der Natur, und nahmen die frohe Botschaft von Jesu Christo auf in ihr Herz; und da fand der Same den rechten Boden, in welchem er zu einem herrlichen Baume erwachsen konnte. Davon soll der zweite Band unserer „Charakterbilder" ein Mehreres erzählen.
Pierer'sche Hofbuchdruckerei. Stephan Eeibel & Co. in Menturg.