— 70 — heute bewundert mau die feinen Goldschmiedearbeiten, Holzschnitzereien, Glasgemälde und Taselgemälde, die Prachtvollen Rüstungen und Waffen, die in deutschen Städten gefertigt wurden, und wir haben alles Recht, stolz zu sein aus Mäuuer wie Erwin von Steinbach, der das Straßburger- Münster gebaut hat, aus den Erzgießer Peter Bischer von Nürnberg, den Holzschnitzer Jörg L-Yrlin von Ulm, auf die Maler Martin Schonganer aus Colmar, Hans Baldnng aus Gmünd, Hans Holbein aus Basel, Albrecht Dürer aus Nürnberg. Auch die Dichtkunst wurde in den Städten gepflegt durch die Gesellschaft der Meistersinger. Dies waren Handwerksleute, die schöne Lieder dichteten und Melodien dazu erfanden. Sonntags kamen sie zusammen und trugen ihre Sachen vor; diese wurden streng geprüft, ob sie die Kunstregeln nicht verletzten. Von Zeit zu Zeit wurde ein Wett¬ fingen gehalten, bei dem die Sieger Preise erhielten. Diese Singgefell- fchaften blühten besonders in Mainz, Ulm, Straßburg, Colmar, am meisten in Nürnberg, wo der bekannteste Meistersinger, Hans Sachs, ein Schuh¬ macher, um 1550 lebte, der mehr als 6000 Gedichte hinterlassen hat. In den Städten war man auch auf einen guten Jugendunterricht bedacht; in keiner Stadt fehlte die Pfarrfchnle, in der die lateinische Sprache gelehrt wurde, und um das Jahr 1300 gab es in den meisten Städten Bürger¬ schulen oder Volksschulen. Von der Zeit an, da auch weltliche Leute sich dem Studium der Wissenschaften hingaben, zählten die deutschen Reichs¬ städte Unter ihren Bürgern viele berühmte Gelehrte. Städtebünde. Die $attfa. Tie Fürsten und Adeligen waren den Städten nicht freundlich gesinnt. Sie nötigten die Handelsleute, große Zölle zu entrichten, und mancher adelige Herr hielt es für keine Schande, wenn er einen Zug von Güterwagen auf offener Landstraße Überfiel, die Begleiter derselben niedermachte und die Waren raubte. Um sich dagegen zn schützen, schlossen die Städte Bündnisse miteinander. Der berühmteste Städtebund ist die Hansa,*) zu der mehr als hundert Städte in Nord- und Mitteldeutschland gehörten. Das Haupt der Hansa war Lübeck; hier wurden die Bundesversammlungen gehalten, die anordneten, was zum Schutze und zur Förderung des Handels in Deutschland und im Auslande nötig war. Die Hansa hatte Niederlassungen in England, Norwegen, Schweden, Rußland. Wenn es nötig war, wurde ein starkes Heer auf¬ gestellt oder eine Flotte ausgerüstet, und fo stark war der Bund, daß die Könige von Dänemark, Norwegen und Schweden sich vor ihm beugen mußten. Dao Uemgericht. Infolge der allgemeinen Rechtsunsicherheit in Deutschland gelaugte ein Volksgericht zu mächtigem Einflüsse: das Fem¬ gericht oder „die hl. Feme". Seinen Hauptsitz hatte es in Westfalen. Das Femgericht bestand aus einem Freigrafen und einer Anzahl Frei¬ schöffen**) oder Beisitzer, welche auch die Wissenden hießen, da sie um die Geheimnisse der hl. Feme wußten. Die Mitglieder des Gerichts waren durch einen furchtbaren Eid zur Geheimhaltung verpflichtet; sich selbst aber erkannten sie an geheimen Zeichen und Losungen. Sie walteten ver¬ mummt ihres Amtes. Das Gericht tagte unter freiem Himmel mit selt¬ samen Gebräuchen. Die Verbrechen, über welche das Femgericht ursprünglich richtete, waren Raub, Diebstahl, Mord und Zauberei; später wurden auch andere Vergehen geahndet. Die Vorladung des Angeschuldigten geschah durch einen Brief des Freigrafen und der Schöffen. Im Schuldfalle lautete das Urteil auf . Tod durch den Strang. Erschien der Angeklagte trotz *) Hansa = Gesellschaft; Hamburg, Lübeck, Bremen heißen von jener Zeit her Hansastädte. **) Schöffen — die Schaffenden, weil sie das Urteil schaffen oder finden sollten.