17. Der Bayernstamm im altdeutschen Schrifttum. 71 Als da nichts nicht war der Enden und Wenden, Und da war der eine allmächtige (Bott, Der Männer mildester, und da waren auch manche mit ihm Gute Geister." . . . Diese neuen Eingangsverse eines stabreimenden Gedichtes über den Anfang aller Dinge, mögen sie nun altsächsischen Ursprungs sein oder nicht, fanden jedenfalls in Bayern, vielleicht zu St. Emmeram in Regensburg, ihre Auf¬ zeichnung und wurden in dem bayerischen Kloster Wessobrunn auf die Nachwelt gebracht. Aber auch eiue zweifellos selbständige Leistung steuert der Bayernstamm in so früher Zeit zu dem Schatze der deutschen Dichtung bei, das in den kraftvollen Klängen der altbayerischen Mundart gehaltene, in mar¬ kiger Schilderung sich ergehende prophetische Gedicht vom Ende aller Dinge, Muspilli, das zu Regensburg, dem Sitze Ludwigs des Deutschen, in der nächsten Umgebung des Königs, vielleicht gar von ihm selbst niedergeschrieben ist. Und nicht nur die alte Römerstadt, der Fürstensitz der Arnulfinge und der Kar¬ linge, war Mittelpunkt literarischer Bestrebungen, auch eine der kirchlichen Zentralen des Bayerlandes entfaltete nachweisbar eine nicht unwichtige schrift¬ stellerische Tätigkeit. Im Freifinger Petrnslied, um minder Bedeutendes beiseite zu lassen, ist uns das älteste Beispiel geistlichen Volksgesanges ans deutschem Boden erhalten, eine Art Wallfahrtslied ober ein Bittgesang an den heiligen Petrus, dessen Fürsprache bei Gott erfleht wird. Als weiterer Beleg für die schriftstellerische Betätigung des geistlichen Standes in Bayern sei die Übersetzung des Hohenliedes durch den ge¬ wandten, ehrgeizigen und weltlich gesinnten AbtWilliram von Ebersberg genannt, der dem großen Schulleiter von Sankt Gallen, Notker dem Deutschen, noch am nächsten kommt ohne ihn übrigens.zu erreichen. Inzwischen hatte sich neben der geistlichen auch eine ausgesprochen welt¬ liche Richtung im Schrifttum unseres Volkes Bahn gebrochen. Ihr gehört an „der älteste erfundene Roman der europäischen Literatur, der erste Ritter- roman der Weltliteratur", wie Wilhelm Scherer das Gedicht bezeichnet, das um 1024 in dem bayerischen Kloster Tegernsee in lateinischen Hexametern verfaßte Epos Ruodlieb, das uns die früheste Ankündigung des erwachenden Minnesangs in dem lateinisch-deutschen Liebesgruß überliefert hat: „Melde ihm, Bote, von mir aus treu ergebenem Herzen Soviel Liebes (liebes) als nun auf Bäumen sprosset des Laubes (loubes), Soviel als Liederwonne (wunna) der Vögel, künde ihm Minne (minna), Soviel als Gras und Blumen ersprieszen, entbiet ihm der Ehren!" Und wie beim Rnodlieb ein geistlicher Verfasser sich einen weltlichen Stoff gewählt hat, so übertrug wiederum ein Geistlicher das nationale Helden¬ gedicht der Franzosen ins Deutsche und zwar war es wieder ein bayerischer Dichter, der pfaffe Kuonrät, der am Hofe Heinrichs des Stolzen (1126—1138) zitRcgens- burg das deutsche Rolandslied schuf. Derselbe Konrad scheint auch der