986 Religion. ganze Götterwelt in drei Classen theilen: 1) Göt¬ ter des Olhmpvs (Reich des Zeus), 2) Götter der Gewässer (Reich des Poseidon), 3) Götter der Unterwelt (Reich des Hades). Zu dieser letzten Classe, den chthonischen Göttern, rechnen wir auch diejenigen, welche zu dem Erdboden und der Vegetation iu Beziehung stehen, da sie mit der Unterwelt zusammenhängen. Zu bett olympischen Göttern steheu bie chthonischen in schroffem Ge- geusatz; jene sind dem Licht und Leben, biese bem Dunkel und dem Tode und der Erde als dem Sitze des Dunkels zugekehrt, und dieser entgegen¬ gesetzte Charakter zeigt sich auch in ihrem Culte. Die erwähnten drei Hauptelassen von Göttern kann man wieder theilen in Hauptgötter und solche von niederem Rang. Die Letzteren repräsentiren größtenteils einzelne Seiten ber Hauptgötter, wie z. B. Moira, Tyche, Dike, Horen Seiten bes Zeus, Nike ber Athene; Hebe repräsentirt eine Haupt¬ eigenschaft sämmtlicher Götter. Zum Theil finb biese mitergeorbneteii Gottheiten wirklich indivi- dnalisirte, in sich beruhende Wesen, die gleich den Hauptgöttern von Alters her einen Cult hatten (Horen, Chariten), zum Theil bloße Persouisica- tionen ohne Cult. In späterer Zeit jedoch wurde auch diesen Personisicationen hier und da ein Cult zu Theil, doch nie in dem Maße, wie bei den Römern. Die Götter des Homer waren die in Griechenland allgemein anerkannten und ver¬ ehrten; doch hatten die einzelnen größere oder geringere Verbreitung ihres Cnltes, je nachdem ein Gott von Alters her hier oder da bei diesen oder jenen Stämmen verehrt worben war. Ge¬ wöhnlich hatte ein Ort einen Hauptenlt, ber vor beit übrigen eine befonbere Pflege genoß (zu Athen Athene, zu Delphoi Apollon, zn Argos 5 Hera it. s. f.). — Im Fortschritt ber Zeit kamen bie Mängel in bett Vorstellungen ber Gottheiten ber griechischen Volksreligion allmählich zu Tage; sie waren zn sehr vermenschlicht und iit die Aeitßerlichfeit getreten, so daß sie einestheils dem prüfenden Verstände, anberntheils ben Bedürf¬ nissen eines tieferen religiösen Gefühls nicht ge¬ nügten. Namentlich wurde die bestehende Reli¬ gion von ber Philosophie angegriffen, welche seit ungefähr 600 v. C. in den Colonteen erwachte. In beut Mutterlanbe jeboch unb überhaupt bei ber Mehrzahl bes Volks würbe bie Religion durch die Philosophie sobald noch nicht gesährbet; man verehrte noch währeitb ber Perserkriege uitb der daraus folgenden glorreichen Zeit mit nuerschiUter- tem Glauben bie Götter, welche bitrch bie Rettung bes Vaterlandes von der Gefahr fremder Knecht¬ schaft ihre Macht so wunderbar bethätigt hatten. Seit dem peloponnesischen Kriege aber, der auch den Grund zum politischen Ruin Griechenland gelegt hat, trat eilt allgemeiner Verfall der Reli¬ gion und der Sitten ein. Die Zweifel der Philo¬ sophie gingen in bas Volk über unb erzeugten Unglauben uitb Irreligiosität; neben beut Un¬ glauben aber ging sein steter Gefährte, ber Aber¬ glaube, her, ber besonders genährt wurde durch die mystische Secte der Orphiker und die Myste¬ rien (s. Mysteria). Vgl. ferner Mythologie. 6 — li. Die Religion der Römer stand in ur¬ sprünglicher Verwandtschaft mit der griechischen, weshalb auch in fpäterer Zeit die Verschmelzung beider Religionen so leicht von statten ging. Die ältesten Bewohner Roms, Latiner und Sabiner, waren wie die Griechen pelasgischeu Ursprungs. Von ihnen stammen die meisten römischen Gott¬ heiten; die Etrusker dagegen scheinen vorzüglich einen äußerlichen Einfluß auf die römische Reli¬ gion geübt zu haben durch Ausbildung des reli¬ giösen Eeremonieubienstes. Die italischen, mit den Griechen verwandten Völkerschaften haben auf bem italischen Boden ihre Religion auf eigen¬ thümliche, selbständige Weise ausgebildet, nament¬ lich haben sie und besonders auch die Römer we¬ gen Mangels an schöpferischer Phantasie nicht ben Reichthum von Mythen, bett bie Griechen von ihren Göttern besaßen, geschaffen, aber deswegen auch nicht ihre Götter so in bie Beschränktheit und Schwächen des menschlichen Daseins herab¬ gezogen. Ihr mehr auf das Praktische und Aeußere gerichteter Sinn hat vorzugsweise die praktische Seite der Religion culticirt; die ehrwürdigen, ernsten Götter wurden mit der größten Gewissen¬ hastigkeit und Genauigkeit, die in Wort und That auch das Geringste nicht versah, verehrt. — Die Bewohner Latiums, aus denen die rö¬ mische Bevölkerung erwuchs, waren Hirten und Landbauer von einfachem patriarchalischem Sinn; ihre Religion trug aber auch den Charakter der Ländlichkeit und Häuslichkeit an sich, sie verehrten vorzüglich Götter der Natur, des Feldes und des Waldes, bie den Heerden und Früchten Gedeihen schaffen (wie Fauitus, Vertttmnus, Saturuus, Ops), und Gottheiten des Hauses und der Fa¬ milie (Laren, Penaten). — Die Culte dieser 7 Götter wurden von Ansang ait nach Rom ver^ pflanzt und erhielten sich bei dem Sinn der Rö¬ mer für Hans und Familie und für das Land¬ leben während der ganzen römischen Zeit in manchen ländlichen und häuslichen Festen mit altertümlichen Gebräuchen, wie den Saturualieu, Luperealien u. s. w. Neben den Gottheiten des Feldbaues, der Viehzucht und des Hauses wurden von Anfang an iu Rom auch Schutzgottheiten des Staates verehrt, und diese traten mit der Zeit iu beit Vordergrund. Jupiter, der Grüuber unb Erhalter bes römischen Staats, steht au ber Spitze ber Götterwelt, ihm zur Seite als höchste Staatsschirmer Mars, der Vater des Romnlus und des römischen Volkes, und Quirinus, der vergötterte Romulus. Eilten zweiten staatsschir- menden Dreitierein bitbete Jupiter mit seiner Gemahlin Juno unb seiner Tochter Minerva. Daneben würbe hoch verehrt Vesta, bie Göttin des häuslichen Herdes, der Grundlage bes Staa¬ tes. Der Cultus ber bisher erwähnten Gott¬ heiten, namentlich ber (Schntzgottheiten bes Staa¬ tes, dübele ben Haupttheil ber römischen Staats¬ religion , als bereit Begritnber und Ordner der König Nutna angesehen wurde. In geringerem Maße hing mit dem öffentlichen Wesen bie Ver¬ ehrung abstracter, besonders sittlicher Begriffe als göttlicher W et eit (Virtus, Fides, Pietas), zu¬ sammen ; sie entsprang mehr aus dem Ermessen und Gutdünken Einzelner, und man ging in Ver¬ götterung so Id) er Abstraktionen so weit, daß man allen möglichen Eigensd)aften, den gewöhnlichsten Dingen unb Thätigkeiten uttb zufälligen Verhält¬ nissen eine göttlid)e Wesenheit unterlegte unb re¬ ligiöse Verehrung zollte (Orbona, Abwehr ber Verwaisung uitb Trost in berfelben, Fessonia,