Georg-Eckert-Institut BS78
BS78$10842039
Di^.etu
im letzten Schuljahre überreicht von
der Oberschulbehörde.
Hamburger Ariegsbuch
3m Aufträge der Lernmittelkommission der Vberschulbehorde
zusammengestellt von
Aarl Jahrmarkt.
Pom stellvertretenden Generalkommando in Altona genehmigt.
Druck von Julius pubbrefe, Hamburg U-
Goorg-Eckert-lnstltut
ür internationale huchiOrschung { a , ;ichweig
. : K
<9 ;/5Xfi3
Inhalts- und tyuellen-verzeichnis.
(Seite Titel Verfasser Quelle
* 7 j Einst geschieht's 8 Zur Einführung I. * !» Schwert aus der Scheide! 10 ; Wie ist es gekommen? *12 Am 1. August *211 „D mein Vaterland" Em. Geibel K. Jahrmarkt vor den Schlachten Isolde Kurz K. Jahrmarkt Ludwig Thoma G. Hauptmann Ges. Werke Bd. 4 S 213 Handschrift Windegg „D. dtfche,Krieg"S8 Handschrift Windegg „D.dtfche.Krieg"S.7 Botea.d.Riefengeb.Nr.4(12.8)
22 Eine Reise in den Mobilmachungstagen *281 Aufruf!
28: In letzter Stunde nach dem Festlande *31 i Die Helgoländer 311 In der Kaserne *33; Drei Söhne
34 j Gastfreundschaft
35 | Auf Wacht an der Ostsee *41: Feldmarschbereit
Gertr. Engel Gustav Schüler
Handschrift
„WiderdieWeltinsFeld"I.S.7
W—s j N. Hamb. Z. 6. 8.
Wald. b. Grumbkow Müller,Kriegsliederbuch S.38
e. z. ! N. Hamb. Z. 7. 8
Fr. Brücker | Hamb. Nachr. (24. 8) n. d.
„Rhein.-Westf. Z."
— N. Hamb. Z. (13. 8)
H. Michaelsen Handschrift
O. Crusius Handschriftlich v. Dichter
II. Auf hoher See und an fernen Küsten.
*43,
44
45
52
53
*54
55
56
57 61 63
*64
An mein Vaterland Funksprüche in New York Wie ich d. Kriegsgefangenschaft entging Entwischt Marineflieger
Matrosenlied Kriegswache an Bord Unterseeboot auf Patr. Achtung Unterseeboot! Weihn, im Unterseeboot Heldentat des „U. 9" Wir und die Welt
Otto Ernst K. F.
66 | Untergang d. „Magdebg."
68 j „ d. „Trafalgar" *71 ] Flaggenlied 1 Str.
H. Seyfarth K. Jahrmarkt
Herm. Löns
G. A. Erdmann
Deutschland an England, Nr. N. Hamb. Z. (3. 9)
Vom Verf. durchges. u. ergänzt Nach mündl. Bericht N. Hamb. Z. (24. 8) nach „Tägl. Rdsch"
„Kl. Rosengarten" S. 6 J N. Hamb. Z. (29.9)n.Frkf.Z.
„ (l6.y)n.Mtinch.N.N. Gen.-Anz. (24. 10)
| Hamb.Corr. (30.12)n.Wes.-Z.
— j Abschrift der Handschrift. Hanns Heinz Ewers Peter, Deutschl. Kriegsgesänge
S. 46 (N. York. St. Z.)
— I „Uns, blauen Jungen" S. 22
nach „Old. N."
— Abschrift der Handschrift.
Linderer ! (Bagel) Soldatenliederb. ©.89
4
Sette Titel Verfasser Quelle
71 Seegefecht b. Helgoland — H. Fremdenbl. (17. 11)
74 Aus engl. Gef. entkommen R. Hansen (16. 11)
76 Von Algier nach Messina „Uns. blauen Jungen" S. 15 nach „Tag"
*77 „(Soeben" und „Breslau" Peter Scher „Simpl. "Kriegsflugblatt Nr.3
78 Seegefecht vor Sewastopol — N. Hamb. Z. (11. 12)
80 Seeschlacht bei Coronel — Gen.'Anz. (20.12) n. „Union"
82 Wie die „Nürnberg" ein
Kabel zerschnitt -— N. Hamb. Z. (28 12)
84 Schlacht b. d. Falklandsins. — „ „ n. Daily Tel.
*85 Kriegstelegramm O. Anthes „Jugend" 1904
87 Belagerung v. Tsingtau — N. Hamb. Z. (16. 12) nach
„Deutsche Z. für China"
*91 Kiautschou R. Zoozmann „Kriegslieder 1914" S. 22
92 Die höfliche „Emden" — N. Hamb. Z. (10. 11) nach
„Rh -Westf. Z."
93 Todeskampf d. „Emden" N. Hamb. Z. (4. 1. 15) nach „Basler N."
97 Scarborough III. 3m westen. N. Hamb. Z. (2. 1. 15)
99 I In den Rebbergen Mül- — „Lieb Vaterland I." (S. 45)
Hausens nach „Frks. Ztg."
102 Nach Belgien hinein H. Michaelsen Handschrift
*104 O Deutschland Zwei Lehrerbriefe L. Bauer Wehner,Vaterl.GesängeS. 11
105 a) an 9jährige Schüler Hans Huss Hamb. Nachr. 4. 10
108 b) an 11jährige C. Schwantes Handschrift
111 Artillerie-Schrecken General Leman H. Fremdenbl. 19. 10.
*114 Lüttich 2. Thoma „Simpl. "KriegsslugblattM.2
115 Feuertaufe in Löwen C. Mönckeberg N. Hamb. Z. 7. 9 (Gekürzt)
120 Vor Antwerpen H. Michaelsen Handschrift
*125 Drei Tage W. Vershosen Vom Verf. durchgesehen
126 Eroberung von Lierre N. Hamb. Z. 31. 10
128 Im zerschossenen Fort H. Michaelsen Handschrift
*129 De dicke Berta G. Fock „John Bull" S. 7
130 Einzug in Antwerpen H. Michaelsen Handschrift
133 Am Mer-Kanal — H. Fremdenbl, 26. 11
135 Tommy Atkins R. Presber „D. Tag des Deutschen" S. 90
136 Vor Nieuport O. F. (Handwerker) Handschrift
137 Zeppelin über Ostende — Mühsam „Uns. Flieger" S. 28
138 Geistesgegenwart zweier S. 164
Flieger —
140 Villenkolonie — N. Hamb. Z. 10. 12
141 Haushalt ohne Frauen — N. Hamb. Z. 14. 12
144 Bei der Proviantkolonne R. Evers Handschrift
Aus den Schützengräben Handschrift
148 a) Erster Eindruck Hamb. Arbeiter H. S.
149 b) D. Niederl. Dankgebet Soz. Parteiführer Hamb. Echo 30. 10
150 c) 76 er im Schützengr. — N. Hamb. Z. 22. 12
153 d) Wie ein Hamburger Handschrift
Kaiarbeiter . . . F. M.
5
Seite Titel Verfasser Quelle
154 e) Abwechselung W. Buch Handschrift
157 f) Wir unter uns H. Brunckhorst
158 g) Ernste Gedanken
161 h) Willkommene Rast
163 i) Forschungsreise
164 k) M. d. Spaten schaffend
168 1) Siegesmeldungen
169 m) Treue Kameraden Hamb. Nachr. 16. 12
174 Er war einer unsrer Besten
*176 Zum Totenfest Herrn. Sudermann Berl. Z. Nr. 47 (22. 11)
177 In der Schlacht bei St. Hamb. Fremdenbl. 27. 10
Quentin —
180 Über Paris — Mühsam „Uns. Flieger"©.149
Bei den 76em Handschrift
184 a) In der Schlacht H. Pentzien
187 bj Stilleben im Felde ,,
189 Die Hamburger Batterie — N. Hamb. Z. 27. 10
190 Am Telegraphendraht — // 14. 1
194 Kampf in der Luft — Hamb.Corr.4.12 n. „Wds.B."
196 Brückenbau — Hamb. Frbl. 14.11
197 Heldentot deutfch.Pioniere — „ 7.10n. Stett.G.-A.
199 Schlacht an der Aisne — Hamb. Corr. 9. 10
203 Ein Besuch bei Nachbarn W. Rönn Handschrift
206 Ein Patrouillengang W. Laudan „
207 Gefecht bei Gerbeviller ,, "
210 Ein deutscher Arzt in N. Hamb. Z. 24. 11
Gefangenschaft —
217 Vor Vailly — „ 16. 11
219 Menschlichkeit — 15. 8
219 Krankenträger im Felde W. Rönn Handschrift
*223 Der sterbende Grenadier R. Presber „Der Tag d. Deutschen" S. 69
225 Eine Nacht im General- Hbg. Corr. 21.10 n.„D.Tgbl."
kommando —
IV. wir in Hamburg während
232 Aus einer Kriegspredigt D. Hunzinger
234 Verleumdungen von Fein-
desseite —
*236 Führer E. Lifsauer
236 Ein Gefangenenlager Rud. Petersen
238 Mit dem Hamburger
Lazarettzug Friedr. Kühne
243 Verwundete kommen! K. Jahrmarkt
246 Ernste Gedanken auf dem
Krankenlager —
*250 Deutscher Trost H. Claudius
*250 Der Sieger „
251 Weihnachtsabend in Ohls-
dorf K. Jahrmarkt
*251 Das Fenster H. Claudius
252 Hamburgs Söhne i. Felde —
*255 Im Wetter Gust. Falke
der Rriegszeit.
1. Kriegspredigt S. 4
Hamb. Corr. 4. 10 „Worte in die Zeit" I S. 4 N. Hamb. Z. 15. 12
Handschrift
N. Hamb. 3- 16. 10 „Eisenschritt" ©. 36 Handschriftlich vom Dichter
Handschrift
Handschriftlich vom Dichter Senatskanzlei
Hamb.Frbl.,v. Verf. verbessert
| Titel Verfasser Quelle
256 Drei Siegeszeugen 257 ' Die Glocken I K. Jahrmarkt ! I. Loewenberg Handschrift Hamb. Fremdbl. 10. 10
258; Neidenburg
262 ! Hindenburg im Krieg
265
271
272 275
*277
278
*292
293
*295
296
299
301
303
305
307
307
*315
316
Das Schlachtfeld botr Hohenstein Gefangene und Beute Kampf mit ruff. Fliegerj Ein Vorstoß Hindenburgs! Sturmlied
Liebesgaben-Transport
Husarenlied
Verwundet zurück an die Grenze Er schleppte sich . . .
Bei den Pionieren Neuer Vorstoß Wieder im Kampf Ruhetage Im Luftschiff ,
Begrüßung d. Österreicher In Eilmärschen bis Lodz Reservistenlied 1914 Siegessreude
V. Im Osten. Th. Boettner
E. -Hertel Fr. Frerk
Ernst Zahn L. Brauer Herrn. Löns
I. Jauchen A. Kerr
Fr. Frerk
L. Adelt O. Engel E. List O. Crusius O. Engel
Zparr „Feldpostbriefe" S. 162 nach dem „Tag"
Hamb. Corr. 21. 11 und Wiener Fr. Pr. 19. 11
Gen.-Nnz. nach „Pos. Land" Handschrift
Mühsam „Uns. Flieger"©.170 N. Hamb. Z. 18. 11 Ü. Land u. Meer 1914 Nr. 48 Hbg.Frbl. 18.-20. lO(Gekürzt) „Kl. Rosengarten" S. 11
Handschrift
Vom Dichter durchgesehen Gen.-Anz. 18. 12 n. Köln. Z. Handschrift
N. Hamb. Z. 1. 9
Handschrift
Handschrift
Breitk. u. Hürtel Flugbl. 51 Handschrist
317
*322
322
323
324
*326
327
*328
*331
Rede des Reichskanzlers am 2. Dez.
Altniederl. Dankgebet Weihnachtsstimmung Weihnachtsfeier im Gr.
Hauptquartier Weihnachtsfeier unserer Landstürmer Weihnacht
Am letzten Tage des Jahres 1914 Hamburg Ein Gesicht
VI. Am Jahresende.
Hamb. Gesangbuch S. 515 Handschrift
Gen.-Anz. 30. 12
N. Hamb. Z. 29. 12 Handschriftlich b. Verf. Bericht der Handelskammer und Telegramme „Eisenschritt" S. 29 Uebermittelt b. einem Freunde des Dichters
VII. Die wichtigsten kriegerischen Ereignisse bis zum Schluß des Jahre» 19H-
©eite 332—335.
W. Kruse
H. Claudius
H. Claudius Hans Fr. Blunck
„Einst geschieht^".
Einst geschieht's, da wird die Schmack Seines Volks der Herr zerbrechen:
Der auf Leipzigs gelbem sprach,
Wird im Donner roteber sprechen.
Dann, o Deutschland, sei getrost!
Dieses ist das erste Zeichen,
Wenn verbündet West und Ost Wider dich die Hand sich reichen.
Wenn verbündet Ost und West Wider dich zum Schwerte fassen,
Wisse, dah dich Gott nicht läßt,
So du dich nicht selbst verlassen.
Deinen alten Bruderzwist Wird das Wetter dann verzehren,
Taten wird zu dieser Frist,
Helden dir die Not gebären.
Bis du wieder stark wie sonst,
Auf der Stirn der Herrschaft Zeichen,
Vor Europas Völkern thronst,
Eine Fürstin sondergleichen.
Schlage, schlage denn empor,
Läutrungsglut des Wellenbrandes?
Steig als Phönir draus hervor, ftatferaar des deutschen Landes!
Emanuel Eeibel.
Zur Einführung.
Meine lieben Jungen und Mädchen!
Die Oberschulbehörde überreicht Euch bei Eurem Ausscheiden aus der Schule ein „Hamburger Kriegsbuch". Der Titel darf Euch nicht stutzig machen. Hamburger kämpfen auch in anderen Regimentern, nicht nur bei den 76ern; sie kämpfen auch nicht nur für Hamburg, sondern für die Sache des großen deutschen Vaterlandes. Aber wie Glück und Leid unseres gesamten Volkes sich bei Hamburgern und in Hamburg kundgetan haben, das möchte dies Buch besonders betonen.
Es sind mir Tagebücher und Feldpostbriefe in liebenswürdigster Weise zugänglich gemacht worden. Wir alle danken den Verfassern für das hohe Vertrauen, das sie uns durch deren Zustellung bekundeten. Wir danken den Redaktionen der Hamburger Zeitungen, die uns in entgegenkommender Weise den Nachdruck aus ihren Blättern gestatteten. Wir danken endlich den Dichtern Deutschlands, die in freundlicher — manche in freudigster — Zustimmung die Aufnahme ihrer Gedichte erlaubten.
Was aus Aktenstücken, aus Briefen und Dichtungen spricht, die gewaltige Tapferkeit unserer Krieger, der begeisterte Opfermut aller Stände, das soll Euch im Gedächtnis bleiben. Das soll Euer Herz bewegen und Euch zu gleichen Leistungen entflammen. Für die Sache unseres Volkes sollt auch Ihr all Euer Denken und Können einsetzen, Ihr Mädchen und Ihr Knaben, die Ihr heute aus der Schule hinaustretet in das Leben.
I. Vor den Schlachten.
9
I. Vor den Schlachten.
Schwert aus der Scheide!
In der Halle des Hauses, da hängt ein Schwert, Schwert in der Scheide.
In seinem Blitzen vergeht die Erd'.
Wir hüten's und beten Tag und Nacht,
Daß es nicht klirrend von selbst erwacht.
Denn uns ist geschrieben ein heilig' Gebot:
Ihr sollt es nur brauchen in letzter Not,
Schwert in der Scheide.
Wir sind geduldig, wie Starke sind,
Schwert in der Scheide.
Wir achten's nicht, was der Neid uns spinnt.
Sie haben uns manchen Tort getan,
Wir litten's und hielten den Atem an.
Die Sonne glüht auf der Ernte Gold,
Friede, wie bist du so hold, so hold!
Schwert in der Scheide.
Doch der Neid mißgönnt uns den Platz am Licht, Schwert in der Scheide.
Feinde umziehn uns wie Wolken dicht,
Zehn gegen einen in Waffenschein.
Wer bleibt uns treu? Unser Gott allein!
Die Erde zuckt und der Himmel flammt.
Schwert, nun tu dein heiliges Amt,
Schwert aus der Scheide!
Isolde Kurz.
10
I. Vor den Schlachten.
Wie ist es gekommen?
So ist es gekommen:
Am 28. Juni, einem Sonntage, wurden in Bosnien der österreichische Thronfolger und seine Gemahlin bei einer Wagen-sahrt durch Serajewo ermordet. Der Mörder, ein Gymnasiast, wurde verhaftet. In der Untersuchung wurde festgestellt, daß er durch serbische Beamte und Offiziere verleitet und unterstützt worden war. Da fordert Österreich von Serbien eine strenge Bestrafung der Schuldigen und die Unterdrückung des Auf-wiegelns gegen Österreich. Die Antwort Serbiens ist ungenügend, ja, am 24. Juli rüstet es. Vier Tage später erklärt Österreich an Serbien den Krieg. Inzwischen hat die russische Regierung dem deutschen Botschafter in Petersburg erklärt, daß Nutzland nicht „indifferent" bleiben könne. Doch versichert der russische Generalstabschef, datz Rußland noch keine Mobilmachung vorgenommen habe.
Wir in Deutschland sehen mit Spannung auf diese Verwicklungen, doch ohne jede Besorgnis, daß auch wir davon betroffen werden könnten. Doch unterbricht unser Kaiser seine Nordlandsreise und kehrt nach Berlin zurück. Der Kaiser sucht in Petersburg, Wien, Paris und London für die Erhaltung des Friedens einzutreten. Da aber erklärt Rußland zu unserem Erstaunen den Kriegszustand, nicht nur in seinen südlichen Provinzen, sondern auch an der ostpreußischen Grenze, und am 31. Juli macht es seine gesamte Streitmacht mobil. Jetzt wird im Deutschen Reiche der Kriegszustand verhängt. (Damit gehen viele Rechte und Pflichten, die sonst von den Regierungen der Bundesstaaten wahrgenommen werden, über an die kommandierenden Generale der einzelnen deutschen Armeekorps. So kommt es, datz auch für Hamburg viele Bestimmungen des Generalkommandos in Altona maßgebend sind.)
Nun, noch am 31. Juli, erklärt die deutsche Regierung dem Zaren, Deutschland müsse mobil machen, falls Rußland nicht innerhalb 12 Stunden seine militärischen Maßnahmen gegen Deutschland und Österreich einstelle. Gleichzeitig ergeht an Frankreich die Anfrage, ob Frankreich bei einem deutsch-russi-schen Kriege neutral bleiben wolle. Von Rußland erfolgt keine Antwort. Frankreich antwortet zweideutig, es werde tun, was seine Interessen erforderten. Es macht am 1. August seine sämtlichen Truppen mobil. Das Gleiche hatte Belgien schon am
I. Vor bcn Schlachten.
11
Tage vorher getan. Noch vor der Kriegserklärung haben russische Kriegsschiffe den deutschen Dampfer „Prinz Eitel Friedrichs bei Reval gekapert, und russische Truppen sind bei Iohannisburg und Eydtkuhnen in deutsches Gebiet eingedrungen.
Noch vor der Kriegserklärung überschreiten französische Truppen die deutsche Grenze. Sie besetzen die Ortschaften Mar-iirch, Gottesthal und den Schluchtpatz. Unter Neutralitätsbruch ziehen französische Flieger über Belgien und Holland nach Deutschland bis gegen Nürnberg und werfen Bomben.
Schon am 31. Juli um 3 Uhr nachmittags hielt der Kaiser an die vor dem Schloß versammelte vieltausendköpfige bgeisterte Menge folgende Ansprache:
„Eine schwere Stunde ist heute über Deutschland hereingebrochen. Neider überall zwingen uns zu gerechter Verteidigung. Man drückt uns das Schwert in die Hand. Ich hoffe, das;, wenn es nicht in letzter Stunde meinen Bemühungen gelingt, die Gegner zum Einsehen zu bringen und den Frieden zu erhalten, wir das Schwert mit Gottes Segen führen werden, bis wir es mit Ehren wieder in die Scheide stecken können. Enorme Opfer an Gut und Blut würde ein Krieg vom deutschen Volk erfordern. Den Gegnern aber werden wir zeigen, was es heißt, Deutschland anzugreifen. Und nun empfehle ick Euch Gott. Jetzt gehet in die Kirche und kniet nieder vor Gott und bittet ihn um Hilfe für unser braves Heer.“
Um 3/412 Uhr nachts bewegte sich ein großer Zug von den Linden unter patriotischen Gesängen die Wilhelmstratze hinab. Er machte vor dem Palais des Reichskanzlers Halt. Der Reichskanzler erschien am Mittelfenster des Kongretzsaales, von stürmischen Rufen begrützt. Als Stille eintrat, sprach der Reichskanzler folgende Worte mit fester, weithin schallender Stimme:
„In ernster Stunde sind Sie, um Ihrem vaterländischen Empfinden Ausdruck zu geben, vor das Haus Bismarcks gekommen, Bismarcks, der uns mit Kaiser Wilhelm dem Grotzen und Feldmarschall Moltke das Deutsche Reich schmiedete. Wir wollten im Reiche, das wir in 44jähriger Friedensarbeit ausgebaut haben, auch ferner im Frieden leben. Das ganze Wirken des Kaisers war der Erhaltung des Friedens gewidmet. Die letzten Stunden wirkte er für den Frieden Europas und wirkt noch für ihn. Sollten alle seine Bemühungen vergeblich sein, sollte uns das Schwert in bie Hand gezwungen werden, dann werden wir ins Feld
12
I. Vor den Schlachten.
ziehen mit gutem Gewissen und uns bewußt sein, daß wir den Krieg nicht wollen. Wir werden dann einen Kampf um unsere Eristenz und nationale Ehre mit Einsetzung des letzten Bluttropfens führen. Im Ernste dieser Stunde erinnere ich Sie an das Wort, das einst Prinz Friedrich Karl den Brandenburgern zurief: ,Laßt eure Herzen schlagen zu Gott, eure Fäuste auf den Feind!4“
Mit begeisterten Hochrufen auf den Kaiser und den Kanzler und unter dem Gesänge der Nationalhymne und der Wacht am Rhein setzte der Zug seinen Weg durch die Wilhelmstraße fort.
Am 2. August richtete unser Kaiser an die vor dem Berliner Schloß versammelte Volksmenge folgende Worte:
„Aus tiefstem Herzen danke ich euch für den Ausdruck eurer Liebe, eurer Treue. In dem jetzt bevorstehenden Kampfe kenne ich in meinem Volke keine Parteien mehr, es gibt unter uns nur noch Deutsche! Und welche Parteien im Laufe des Meinungskampfes sich auch gegen mich gewendet haben sollten: Ich verzeihe ihnen allen. Es handelt sich jetzt für uns nur darum, daß wir alle wie Brüder zusammenstehen, und dann wird dem deutschen Schwert Gott zum Siege verhelfen.“
Dann wird am 1. August die Mobilmachung der deutschen Streitmacht angeordnet. Der Erlaß lautet:
Wir bestimmen hiermit:
Das Deutsche Heer und die Kaiserliche Marine sind nach Maßgabe des Mobilmachungsplanes für das Deutsche Heer und die Kaiserliche Marine kriegsbereit auszustellen. Der 2. August 1914 wird als erster Mobilmachungstag festgesetzt.
Wilhelm I. R. y. von Sethmama Hollcoeg.
Am 1. August.
Es wurde still.
Ein ganzes Volk, es hielt mit einem Den Atem an. Doch stockte keinem Darum des Herzens Schlag.
So ging der Tag.
Dann senkt sich feierlich und milde Der Abend über die Gefilde,
I. Vor den Schlachten.
13
Und heiter blinkt und fern Ein Heller Stern,
Als wenn er's heut' wie immer fände,
In allen Hütten müde Hände,
Und gute Naft
Nach harter Arbeit Last.
Horcht!
War's nicht, als hättt' ein Ruf geklungen,
Ein Ton, als wie aus Erz gedrungen?
Da — wieder! Auf!
Auf zu den Waffen! Auf!
Nun geht es brausend durch die Wälder,
Nun dröhnt es über stille Felder:
Die Wehr zur Hand!
Und schützt das Vaterland!
Auf springt das Volk, es reckt die Glieder,
Und keine Sorge drückt uns nieder, ftomm, was es sei!
Von Ungewißheit frei,
Wir wollen es gemeinsam tragen Und heute schon als Bestes sagen,
Daß man uns Hand in Hand Als Brüder fand.
Dem Kaiser, der dies Wort gegeben,
Wird Dank in jedem Herzen leben,
Und jetzt — Hurra!
Du Mutter uns — Germania!
Ludwig Thoma.
Am 2. August wird der ftrieg erklärt an Rußland, am 3. August an Frankreich.
Schon am 2. August ist die friedliche Besetzung Luxemburgs erfolgt zum Schutze der dort befindlichen deutschen Eisenbahnen. Auf die Nachricht vom Erscheinen französischer Truppen in Belgien beginnt der deutsche Einmarsch in belgisches Gebiet. Das rechtfertigt der Reichskanzler in feiner großen Rede in der Reichstagssitzung am 4. August.
Dieser 4. August wird in der deutschen Geschichte unvergeßlich bleiben. Auch den Franzosen gilt der 4. August als denkwürdiger Tag. Das war im Jahre 1789. Da wurden in der Nationalversammlung die „Allgemeinen Menschenrechte"
14 I. Vor den Schlachten.
verkündet und Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit allen Völkern verheißen. Wir alle wissen, wie die Franzosen ihr Versprechen hielten!
Der 4. August 1914 aber ist für uns Deutsche ein Nuhmes-tag geworden, an den wir immer freudig denken wollen. Da zeigte sich das deutsche Volk, vertreten durch seine Reichstags-abgeordneten, in einer Einmütigkeit, Opferwilligkeit und Entschlossenheit, wie nie zuvor.
Diese Sitzung nahm folgenden Verlauf:
Der Kaiser eröffnet mittags 1 Uhr im Weitzen Saale des Königlichen Schlosses die außerordentliche Session des Reicbs-tages mit folgender
Thronrede:
„Geehrte Herren!
In schicksalsschwerer Stunde habe ich die gewählten Vertreter des deutschen Volkes um mich versammelt. Fast ein halbes Jahrhundert lang konnten wir auf dem Weg des Friedens verharren. Versuche, Deutschland kriegerische Neigungen anzudichten und seine Stellung in der Welt einzuengen, haben unseres Volkes Geduld oft auf harte Proben gestellt. In unbeirrbarer Redlichkeit hat meine Regierung auch unter herausfordernden Umständen die Entwicklung aller sittlichen, geistigen und wirtschaftlichen Kräfte als höchstes Ziel verfolgt. Die Welt ist Zeuge gewesen, wie unermüdlich wir in dem Drang und den Wirren der letzten Jahre in erster Reihe standen, um den Völkern Europas einen Krieg zwischen Großmächten zu ersparen.
Die schwersten Gefahren, die durch die Ereignisse am Balkan heraufbeschworen waren, schienen überwunden. Da tat sich mit der Ermordung meines Freundes, des Erzherzogs Franz Ferdinand, ein Abgrund auf. Mein hoher Verbündeter, der Kaiser und König Franz Joseph, war gezwungen, zu den Waffen zu greifen, um die Sicherheit seines Reiches gegen gefährliche Umtriebe aus einem Nachbarstaat zu verteidigen. Bei der Verfolgung ihrer berechtigten Interessen ist der verbündeten Monarchie das russische Reich in den Weg getreten. An die Seite Österreich-Ungarns ruft uns nicht nur unsere Bündnispflicht. Uns fällt zugleich die gewaltige Aufgabe zu, mit der alten Kuliurgemeinschaft der
I. Vor den Schlachten.
beiden Reiche unsere eigene Stellung gegen den Ansturm feindlicher Kräfte zu schirmen.
Mit schwerem Herzen habe ich meine Armee gegen einen Nachbar mobilisieren müssen, mit dem sie auf so vielen Schlachtfeldern gemeinsam gefochten hat. Mit aufrichtigem Leid sah ich eine von Deutschland treu bewahrte Freundschaft zerbrechen. Die kaiserlich Russische Regierung hat sich, dem Drängen eines unersättlichen Nationalismus nachgebend, für einen Staat eingesetzt, der durch Begünstigung verbrecherischer Anschläge das Unheil dieses Krieges veranlaßte. Daß auch Frankreich sich auf die Seite unserer Gegner gestellt hat, konnte uns nicht überraschen. Zu oft sind unsere Bemühungen, mit der französischen Republik zu freundschaftlicheren Beziehungen zu gelangen, auf alte Hoffnungen und alten Groll gestoßen.
Geehrte Herren!
Was menschliche Einsicht und Straft vermag, um ein Volk für die letzten Entscheidungen zu wappnen, das ist mit Ihrer patriotischen Hilse geschehen. Die Feindseligkeit, die im Osten und Westen seit langer Zeit um sich gegriffen hat, ist nun zu hellen Flammen aufgelodert. Die gegenwärtige Lage ging nicht aus vorübergehenden Interessenkonflikten oder diplomatischen Konstellationen hervor, sie ist das Ergebnis eines seit langen Jahren tätigen Übelwollens gegen Macht und Gedeihen des Deutschen Reiches.
Uns treibt nicht Eroberungslust, uns beseelt der unbeugsame Mille, den Platz zu bewahren, auf den Gott uns gestellt hat, für uns und alle kommenden Geschlechter.
Aus den Schriftstücken, die Ihnen zugegangen sind, werden Sie ersehen, wie meine Regierung und vor allem mein Kanzler bis zurrt letzten Augenblick bemüht waren, das Äußerste abzuwenden. In aufgedrungener Notwehr, mit reinem Gewissen und reiner Hand ergreifen wir das Schwert.
An die Völker und Stämme des Deutschen Reiches ergeht
mein Ruf.
mit gesamter Kraft, in brüderlichem Zusammenstehen mit unseren Bundesgenossen, zu verteidigen, was wir in friedlicher Arbeit geschaffen haben. Nach dem Beispiel unserer Väter fest unb getreu, ernst unb ritterlich, bcmütig vor Gott
16
I. Vor den Schlachten.
und kampfesfroh vor dem Feind, so vertrauen wir der ewigen Allmacht, die unsere Abwehr stärken und zu gutem Ende lenken wolle!
Auf Sie, geehrte Herren, blickt heute, um seine Fürsten und Führer geschart, das ganze deutsche Volk. Fassen Sie Ihre Entschlüsse einmütig und schnell — das ist mein inniger Wunsch."
Ein Gelöbnis der Parteien.
Der Kaiser setzte der Thronrede folgendes hinzu:
„Sie haben gelesen, meine Herren, was ich zu meinem Volke vom Balkon des Schlosses aus gesagt habe. Ich wiederhole, ich kenne keine Parteien mehr, ich kenne nur Deutsche (stürmisches Bravo!); und zum Zeugen dessen, daß Sie fest entschlossen sind, ohne Parteiunterschiede, ohne Standes- und Konfessionsunterschiede zusammenzuhalten mit mir durch dick und dünn, durch Not und Tod, fordere ich die Vorstände der Parteien auf, vorzutreten und mir dies in die Hand zu geloben."
Das geschah. Und dann sagte der Kaiser zu einem der Abgeordneten persönlich: „Nun wollen wir sie dreschen."
Darauf fand im Neichstagsgebäude der zweite Teil der Sitzung statt. Die Rede des Reichskanzlers lautete:
„Ein gewaltiges Schicksal bricht über Europa herein. Über 40 Jahre lang haben wir im Frieden gelebt und den Frieden Europas beschirmt. Wir sind in friedlicher Arbeit stark und mächtig geworden und werden darüber beneidet. Mit zäher Geduld haben wir es ertagen, wie unter dem Vor-wande, datz Deutschland kriegslüstern sei, in Ost und West Feindschaften genährt und Fesseln gegen uns geschmiedet wurden. Der Wind, der dort gesät wurde, geht jetzt als Sturm auf. Vom Kaiser bis zum jüngsten Prinzen geht es wie ein unausgesprochenes Gelübde: Nur zur Verteidigung einer gerechten Sache soll unser Schwert aus der Scheide fliegen. (Stürmischer Beifall.) Jetzt ist der Tag erschienen, da wir es ziehen müssen. Rußland hat die Brandfackel an das Haus gelegt." (Allseitige stürmische Bewegung.)
Unter gespanntester Aufmerksamkeit und andauernder Zustimmung gibt dann der Reichskanzler in großen Zügen ein Bild von der gewaltigen dramatischen Entwicklung der letzten Tage, besonders von dem trügerischen Spiele Rußlands, das
I. Vor den Schlachten.
an unseren Grenzen mobilisierte, während noch die von dem Zaren erbetene Vermittlertätigkeit andauerte. (Gewaltige Bewegung und Entrüstungsrufe.) Der Reichskanzler schildert sodann die Grenzverletzungen an der Westseite und führt dann aus:
„Von deutscher Seite ist in einem einzigen Falle von einer Patrouille gegen den ausdrücklichen Befehl die Grenze überschritten worden. Inzwischen aber hatten die französischen Truppen schon kompagnieweise die deutsche Grenze überschritten, französische Flieger durch Bombenwerfen unsere Eisenbahnen zu zerstören versucht. (Stürmische Bewegung und Pfuirufe.) Damit hat Frankreich, obwohl der Kriegszustand noch nicht erklärt war, den Frieden gebrochen. Wir sind in der Notwehr, und Not kennt kein Gebot. (Stürm.
Bravo.) Unsere Truppen haben Luxemburg besetzt und be- JL-;. > reits belgisches Gebiet betreten. (Bewegung und Beifall.)
Das widerspricht den Geboten des Völkerrechts, aber ein französischer Einfall in unsere Flanke am Niederrhein hätte verhängnisvoll werden können. So waren wir gezwungen, uns über den berechtigten Protest der luxemburgischen und belgischen Regierung hinwegzusetzen. Das Unrecht, das wir damit tun, werden wir wieder gutmachen, sobald unser mili- . • w ^ tärisches Ziel erreicht ist."
„Wer um das Heiligste kämpft, darf nur daran denken, wie er sich durchhaut. (Ungeheure Bewegung, stürmischer Beifall, Händeklatschen.) Wir haben der englischen Regierung die Erklärung abgegeben, daß, solange sich England neutral verhält, unsere Flotte die Nordküste Frankreichs nicht angreifen wird, und datz wir die territoriale Integrität und die Unabhängigkeit Belgiens nicht antasten werden, und ich kann hinzufügen, datz, solange England neutral bleibt, wir auch bereit wären, im Falle der Gegenseitigkeit keine feindlichen Operationen gegen die französischen Handelsschiffe vorzunehmen. Ich wiederhole das Wort des Kaisers: Mit reinem Gewissen zieht Deutschland in den Kampf. (Stürm.
Beifall.) Wir kämpfen um die Früchte unserer friedlichen Arbeit, um das Erbe unserer großen Vergangenheit und um unsere Zukunft. Die 50 Jahre sind noch nicht vergangen, von denen Moltke sprach, datz wir gerüstet dastehen mützten, um das Erbe von 1870 zu verteidigen. Jetzt hat die grotze Stunde der Prüfung geschlagen, aber mit Heller Zuversicht sehen wir ihr entgegen. Unsere Armee steht im
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I. Vor den Schlachten.
Felde, unsere Flotte ist kampfbereit, aber hinter ihnen steht das ganze deutsche Volk." (Stürmischer Beifall, Händeklatschen auf allen Seiten.)
Der Reichstag nimmt alle Vorlagen einstimmig an, an erster Stelle den Antrag, zur Bestreitung der Kriegsausgaben die Summe von 5 Milliarden im Wege des Kredits flüssig zu machen. Der Präsident schließt mit einem von dem ganzen Hause mit stürmischer Zustimmung aufgenommenen dreifachen Hoch auf Kaiser, Volk und Reich, das von sämtlichen Abgeordneten stehend angehört wird.
Reichskanzler von Bethmann Hollweg: „Meine Herren! Am Schlüsse dieser kurzen, aber ernsten Tagung ein kurzes Wort. Nicht das Gewicht Ihrer Beschlüsse gibt dieser Tagung ihre Bedeutung, sondern der Geist, aus dem heraus sie gefaßt sind, der Geist der Einheit Deutschlands, des unbedingten rückhaltlosen gegenseitigen Vertrauens auf Leben und Tod. Was uns auch beschieden sein mag, der 4. August 1914 wird bis in alle Ewigkeit hinein einer der größten Tage Deutschlands sein. Seine Majestät der Kaiser und seine hohen Verbündeten haben mir den Auftrag gegeben, dem Reichstage zu danken." (Stürm. Beifall.)
Am 6. August erfolgen die Aufrufe des deutschen Kaiser-paares:
An das deutsche Volk!
Seit der Reichsgründung ist es durch 43 Jahre Mein und Meiner Vorfahren heißes Bemühen gewesen, der Welt den Frieden zu erhalten und im Frieden unsere kraftvolle Entwicklung zu fördern. Aber unsere Gegner neiden uns den Erfolg unserer Arbeit.
Alle offenkundige und heimliche Feindschaft von Ost und West und von jenseit der See haben wir bisher ertragen im Bewußtsein unserer Verantwortung und Kraft. Nun aber will man uns demütigen. Man verlangt, daß wir mit verschränkten Armen zusehen, wie unsere Feinde sich zu tückischem überfall rüsten. Man will nicht dulden, daß wir mit entschlossener Treue zu unserem Bundesgenossen stehen, der um sein Ansehen als Großmacht kämpft und mit dessen Erniedrigung auch unsere Macht und Ehre verloren sind.
So muß denn das Schwert entscheiden. Mitten im Frieden überfällt uns der Feind. Darum auf zu den Waffen! Jedes Schwanken, jedes Zögern wäre Verrat am Vaterland!
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Um Sein oder Nichtsein unseres Reiches handelt es fick, das unsere Väter sich neu gründeten, um Sein oder Nichtsein deutscher Macht und deutschen Wesens.
Wir werden uns wehren bis zum letzten Hauch von Mann und Rotz, und wir werden diesen Kampf bestehen auch gegen eine Welt von Feinden. Noch nie ward Deutschland überwunden, wenn es einig war.
Vorwärts mit Gott, der mit uns sein wird, wie er mit unseren Vätern war!
Berlin, 6. August 1914. Wilhelm.
An die deutschen Frauen!
Dem Rufe seines Kaisers folgend, rüstet sich unser Volk Zu einem Kampfe ohnegleichen, den es nicht heraufbeschworen hat und den es nur zu seiner Verteidigung führt.
Wer die Waffen zu tragen vermag, wird freudig zu den Fahnen eilen, um mit seinem Blut einzustehen für das Vaterland.
Der Kampf aber wird ein ungeheurer, und die Wunden werden unzählig fein, die zu schließen sind. Darum rufe ich euch, deutsche Frauen und Jungfrauen und alle, denen es nicht vergönnt ist, für die geliebte Heimat zu kämpfen, zur Hilfe auf. Es trage jeder nach seinen Kräften dazu bei, unseren Gatten, Söhnen und Brüdern den Kampf leichter zu machen. Ich weitz, datz in allen Kreisen unseres Volkes ausnahmslos der Wille besteht, diese hohe Pflicht zu erfüllen. Gott der Herr aber stärke uns zu dem heiligen Liebeswerke, das auch uns Frauen beruft, unsere ganze Kraft dem Vaterlande in seinem Entscheidungskampfe zu weihen.
Wegen der Sammlung freiwilliger Hilfskräfte und Gaben aller Art sind weitere Bekanntmachungen von denjenigen Organisationen bereits ergangen, denen diese Aufgabe in erster Linie obliegt und deren Unterstützung vor allem vonnöten ist.
Berlin, 6. August 1914.
Auguste Viktoria.
Aber schon am 4. August war uns ein neuer Feind erstanden-. England.
Kurz nach der Rede des Reichskanzlers, in der bereits der durch das Betreten belgischen Gebietes begangene Verstoß gegen
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I. Vor den Schlachten.
das Völkerrecht freimütig anerkannt und der Wille des Deutschen Reiches, die Folgen wieder gutzumachen, erklärt war, erscheint der grogbritannische Botschafter Sir Edward Goschen im Reichstag, um dem Staatssekretär v. Iagow eine Mitteilung seiner Negierung zu machen. In dieser wurde die deutsche Regierung um alsbaldige Antwort auf die Frage ersucht, ob sie die Versicherung abgeben könne, daß keine Verletzung der belgischen Neutralität stattfinden werde. Der Staatssekretär von Iagow erwidert sofort, dafz dies nicht möglich sei, und setzt nochmals die Gründe auseinander, die Deutschland zwingen, sich gegen einen Einfall einer französischen Armee durch Betreten Belgiens zu sichern, fturz nach 7 Uhr erscheint der grotz-britannische Botschafter im Auswärtigen Amt, um den Krieg zu erklären und seine Pässe zu fordern.
Das war eine Überraschung, die wie ein Bombenschlag wirkte. Daß Frankreich und Rußland zusammen uns angreifen würden, konnte man schon seit 1891 ahnen. Datz auch Serbien und Montenegro uns den Krieg erklärten, rührte uns nicht sonderlich. Aber England? England, das bei Waterloo Seite an Seite mit den Deutschen gefochten hatte, dem mir nie Grund zum Hasse gegeben hatten. Zum Hasse wohl nicht, aber zum Neide auf Deutschlands wachsenden Wohlstand und Einfluß in anderen Ländern. Erklärte doch der Vertreter der Auswärtigen Politik Englands, sein Land würde ein besseres Geschäft in einem Kriege mit Deutschland machen, als wenn es neutral bleibe. Und nun loderte ein Hatz gegen England im deutschen Volke auf, der die feindlichen Gefühle gegen Frankreich und Nutzland weit übertraf.
Und nun kam noch einer, auch einer, der bei dieser günstigen Gelegenheit uns am Gewände zupfte. Das war Japan. Riautfchou schien ihm eine willkommene Beute. Die deutschen Streitmächte in Europa beschäftigt, da mutzte ihm die Kolonie leicht zufallen. Die Japaner hatten auf deutschen Universitäten nebst anderen Kenntnissen auch so viel geographisches Wissen erworben, daß sie auf der Karte das so kleine deutsche Reich gegen das russische Niesengebiet, die englische Weltmacht und Frankreich wohl vergleichen konnten. Datz sie etwas Wichtiges nicht erkannt haben, den Geist des deutschen Volkes im Beharren für sein gutes Recht, das haben ihnen diese fünf Monate des Weltkrieges bewiesen. Für diesen Geist lassen wir unsere,. Streiter im Waffenkleid und die Dichter das Wort nehmen.
I. Vor den Schlachten.
„O, mein Vaterland".
O, mein Vaterland, heiliges Heimatland,
Wie erbleichtest du mit einem Mal?
Banger Atem ging durch Feld und Tal,
Bleiern wuchs ringsum der Wolken Wand.
O, mein Vaterland, heiliges Heimatland,
Wer denn rief das Wetter dir herein,
Daß des fahlen Hasses gelber Schein Dich umzucket wie ein Weltenbrand?
„Das tat meine Ehr, die untadlig war,
Tat mein unbeflecktes Friedenskleid,
Tat, die mich gebar, die große Zeit,
Und die große Zeit, die ich gebar!"
Ist es so bestellt, fürcht ich keine Welt!
Weh ihr, wenn dein Herz uns nicht mehr schlägt, Deine heilige Seele uns nicht trägt,
Und dein Strahlenblick uns nicht erhellt.
Doch, mein Vaterland, heiliges Heimatland, Welche Prüfung mußt du nun bestehn!
„Kind, sie mutz geschehn, mutz vorübergehn, Nimm du nur die Sichel in die Hand!
Denn du mutzt ein Gras mähn mit fester Faust, Mutzt es furchtlos mähn in Wetternacht,
Mähn, ob Blitz und Donner um dich kracht, Blutiger Eisenhagel dich umsaust.
Und es ist ein Gras, das von Blute traust!
Kein Erbarmen kann dir sein erlaubt.
Zischend sinkt vom Halme Haupt um Haupt, Und zu Leichenbergen wird's gehäuft.
Undermüdlich mutzt du stehn und mähn, Schnitter, dich entbindet nur der Tod:
Erst nach einem blutigen Morgenrot Darfst du neue Körner in mich fä'n.
Wenn dein Arm erlahmt, wenn dein Herz erbebt, Tilgt mich Gott von dieser Erde aus,
Schutt und Asche wird dein Elternhaus,
Und der deutsche Name hat gelebt.“
I. Vor den Schlachten.
O, mein Vaterland, heiliges Heimatland,
Was du sagst, ich will es gerne tun:
Mähen will ich und nicht ruhn! —
Eh' ich nicht die letzte Garbe band
Und der Tod mich löst aus meiner Pflicht,
Bin ich mit dem letzten Hauche dein.
Deine Ernte soll geborgen sein,
Schwör ich dir vor Gottes Angesicht!
Und wie ich, dein Rind, sind sie all gesinnt,
Die dein heißgeliebter Boden grohgesäugt,
Sei gewiß, daß sie fein Wetter beugt,
Weil sie eines, deines Blutes sind.
Und dann harrt ein Tag, sonnenstark und frei,
Wo dein Himmel sich uns wieder klärt,
Deinen Söhnen neu und treu bewährt.
Komme, komme, deutscher Völkermai!
©erhärt Hauptmann.
Eine Reise in den Mobilmachungstagen.
Schon lange drohten dunkle Wolken am politischen Himmel. Aber das beunruhigte uns wenig. Wir saßen in der herrschen Schweiz in 2000 Meter Höhe und freuten uns über unsere Weltabgeschiedenheit. Wohl brachten die Ortszeitungen lange politische Berichte, aber keiner von uns konnte genug Italienisch, um daraus klug zu werden. Da kam in unsere Unbefangenheit hinein plötzlich ein Telegramm: „Kommt nach Hause!" Das war am Sonntagmorgen. Unsere Ruhe war dahin. Das Fortkommen wurde uns sehr schwer gemacht. Alle Pferde waren zur Mobilisierung fortgegeben, doch endlich fand sich ein Senne, der uns mit einem Maulesel ins Poschiavotal hinunterfuhr. Dort bekamen wir noch mittags Anschluß, und nun gings hinein ins italienische Veltlin über die Schweizer-grenze. Unsere Reisekarten lauteten auf diese Strecke. Todmüde von der heißen Fahrt kamen wir abends in Colico an. Das Schiff fuhr erst am nächsten Morgen, und so mußten wir wohl oder übel im elenden italienischen Städtchen übernachten, denn auch der Mailänder Erpreßzug war schon fort. Der Portier rnn Bahnhof konnte nur gebrochen Deutsch, aber so viel ver-
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standen wir doch: Deutschland hatte den Krieg erklärt! Wir waren wie zerschlagen. Unser einziger Gedanke mar, nur schnell nach Hause kommen. So ging es durch die dunklen Straßen und Eätzchen. Die Häuser waren alle dunkel, nur aus den Osterien, den Wirtschaften, drang heller Lichtschein, Stimmengeschwirr und laute, quietschende Blechmusik. Durch die offenen Eingänge sahen wir in Dunst und Rauch wildgestikulierende Italiener in Knäueln beieinanderstehen oder hocken. Aus der Unterhaltung tönte immer nur das eine schreckliche Wort: guerra, guerra, Krieg, Krieg!
Während der Nacht konnten wir nicht schlafen. Wie wird unsere Mutter sich ängstigen um uns und vor allem um unsere Brüder, von denen der eine im Oktober fertig gedient hat und der andere gerade Soldat ist. Um 3 Uhr standen wir am offenen Fenster und warteten auf die aufgehende Sonne, und wir atmeten auf, als der Himmel sich im Osten rot färbte. Der See war ganz in Nebel gehüllt. Von ferne läutete eine Glocke zur Frühmette. Um 6 Uhr fuhr unser Schiff. Wie hatte ich mich gefreut, die italienischen Seen kennen zu lernen, und nun schien mir trotz der unsagbaren Schönheit alles so erdrückend fremd. An jeder neuen Haltestelle kamen mehr Leute auf unser Schiff und mit ihnen immer mehr Aufregung. Extrablätter wurden verteilt, auf denen in Niesenbuchstaben schreckliche Worte standen. Alles gestikulierte wild durcheinander, und kein deutsches Wort, nach dem wir uns so sehnten. Nach endlos scheinender Fahrt tauchte im Glanz der Morgensonne Menaggio auf. In der Kleinbahn nach Porlezza wieder dieselbe Erregung! Dazu kam noch, datz es hietz, wir kämen nicht Über die Grenze in die Schweiz, jeder Durchweg sei gesperrt. Doch das Schiff ging glatt durch bis Lugano; dort bekamen wir gleich den Eotthardzug, und nun klangen auch wieder deutsche Stimmen an unser Ohr. Auch in der Schweiz war große Erregung. In geringen Abständen waren auf den Vahngeleisen überall Posten. Überall begegneten uns Züge mit heimkehrenden Italienern. Dicht gedrängt standen sie in den Viehwagen beieinander. Je mehr wir uns der deutschen Grenze nähern, desto größer wird unsere Aufregung: Wenn hier schon alles kopflos ist, wie wird es dann erst in Deutschland sein. Der blaue italienische Himmel liegt schon weit hinter uns; je mehr wir uns der Grenze nähern, desto grauer wird er. Wir wenden uns an den Schaffner um Auskunft wegen der Verbindung nach Deutschland. Hier erfahren wir denn, datz nach Deutschland
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I. Vor den Schlachten.
tatsächlich jeglicher Verkehr abgeschlossen ist und niemand ohne vollständige Papiere über die Grenze komme. Uns gegenüber spacht uns Mut zu, wir sollen uns ihm anschließen, er sei auch Deutscher. Da überholen wir einen 3uq heimkehrender deutscher Reservisten, und in all unsere Anast tönt das Lied: „Lieb Vaterland magst ruhig sein". Und nun bekommen wir Mut. — In Basel kommen wir spät abends an. Im Bahnhof und rund herum sind ungeheure Menschenmassen. Draußen wartet ein Omnibus, um deutsche Reisende nach der Grenze zu befördern. Wir steigen ein. Auf der Straße smd ungeheure Massen von Menschen. Dann kommt die Grenze. Der Omnibus hält, und nun heißt es zu Fuß weiter bis zur ersten deutschen Stadt St. Ludwig. Vorher kommt die Zollrevision. Von uns hat nur meine älteste Schwester Papiere. Wir werden angehalten. Wir berufen uns auf unsere große Familienähnlichkeit, die in Wirklichkeit gar nicht vorhanden ist. Aber es hilft, denn es ist dunkel. Das Geväck wird auf einen darren geladen, und nun geht es durch die dunklen Straßen. Alle Augenblicke gibt es ein unfreiwilliges Halten, wenn ein Gepäckstück vom schwerbeladenen Wagen fällt. Wie wird man mit jedem Schritt, den man macht, ruhiger, es ist ja deutscher Boden, über den wir gehen! Oft sind Barrikaden errichtet. Dann muß das Gepäck umgeladen werden. Endlos scheint der Weg. Endlich kommt der' Bahnhof von St. Ludwig. Nun heißt es eine Stunde warten bis zurrt Abgang des Zuges. Der ganze Zug ist dunkel, der Himmel wird abgeleuchtet mit Scheinwerfern. Wir sitzen erschöpft und schauen in die nachtdunkle Landschaft. Dort hinten, hinter den dunklen Bergen, liegt das drohende Unheil, dort lauert der Feind. Hin und wieder blitzen Lichter auf: „Mülhausen". Nun heißt es wieder heraus, denn eine regelrechte Verbindung ist nicht mehr vorhanden. Am Bahnhof hocken Reservisten auf ihren Koffern. Manche liegen langgestreckt und schlafen. Der Herr verabschiedet sich, es ist ein Iustizrat aus Saarbrücken. Nun sind wir ganz allein. Wir wollen etwas essen. Es gibt nur schwarzen Kaffee und Brot. Noch etwa zwei Stunden geht es weiter nach Straßburg; ob wir von da überhaupt noch Verbindung bekommen, weiß keiner. Der ganze Zuq ist wieder dunkel, damit er den französischen Fliegern nicht zur Zielscheibe dienen kann. Trotz aller Müdigkeit können wir nicht schlafen. Wir schauen hinaus ins Elsaß. Dann und wann blitzen Scheinwerfer auf, auf beiden Seiten. Vielleicht kämpfen dort schon deutsche Jungen um unsere
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Freiheit! An jedem kleinen Bahnhof wird gehalten. Überall ein Posten „in finst'rer Mitternacht" pflichgetreu auf seinem Platz. Durch die Nacht rattern ab und zu Militärzüge, dann Hort man ein abgerissenes Hurraschreien. Endlich bricht der Morgen an. Der Himmel ist tintenschwarz, dazwischen blutrote Streifen grell hingetuscht, als ob ein zürnender Gott es so gemacht. Im grauen Dunst sieht man die Spitze des Sttatz-burger Münsters. Vorbei geht es an den Festungsforts, die mit so frischem Grün bewachsen sind, und hinter denen doch der Tod lauert. Hier ist wieder mehrstündiges Warten. Auf dem großen Bahnhof wimmelt es von Soldaten. Wie schmuck sie aussehen in ihrer neuen „Feldgrauen" und in den hellen „Lang-schäftigen". Jeder hält den Kopf hoch, als könne ihm kein Feind der Welt etwas anhaben. Hohe, stramme Gestalten sieht man; das ist die deutsche Kraft! Wir bekommen weiter Verbindung, sind immer linksrheinisch. Beamte warnen, wir sollen so schnell wie möglich auf die andere Seite des Rheins, aber wir fürchten uns nicht, jetzt fahren mir ja in einem Soldatenzug. Alles sind Elsässer Reservisten. Nun kommt Weitzenburg! Da wachen Erinnerungen auf, und das Auge sucht die Denkmäler der Gefallenen am Horizont. Am 4. August war's. Merkwürdig! Heute ist wieder der 4. August! Dasselbe Leid ist über uns hereingebrochen. O, wenn wir doch siegreich wären wie damals! Nun geht es hinüber in die Hardt. Auch hier endlose Züge von Reservisten. Wenn es ein Halten gibt, schauen alle dichtgedrängt aus den Fenstern. Und dann geht das Fragen los. Stolz weisen sie auf ihre luftigen Wagen-aufschriften. Auf einem Abteil ist Bismarcks markiger Kopf von Künstlerhand gezeichnet, unb darunter stehen groß die Worte: „Wir Deutfche^ fürchten Gott, sonst nichts auf biefer Welt." Manches Abteil ist mit frischen Eichenzweigen geschmückt, unb wo ber Zug auf freiem Felbe hält, wirb bie Böschung erstürmt unb neuer Vorrat geholt. An unserem Abteil prangen zwei riesengroße Sonnenblumenstauben unb viele schöne Birken-zweige. In Neustabt an ber Harbt ist roteber Zugwechsel. Ein alter General steht ba mit seinen Mannschaften. Der Zugführer öffnet ein Coupe 1. Klasse, ber General tippt gleichmütig an feine Mütze unb steigt in den Viehwagen, ihm nach seine Mannschaften. In Ludwigshafen müssen wir aussteigen und mit einer Fähre über den Rhein fahren, die große Rheinbrücke ist gesperrt. Von Mannheim nach Frankfurt gehts im Viehwagen. Im Zug sind fast nur eingezogene Reservisten. Im letzten
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Augenblick steigt eine wohlbeleibte Dame keuchend herein. Zwei Soldaten rücken zusammen, um ihr Platz zu machen. Die Dame bedankt sich in fließendem Französisch. Alles starrt sie an. Da erheben sich die Reservisten, und einer von ihnen sagt: „Ich möchte Sie darauf aufmerksam machen, daß hier Deutsch gesprochen wird, Französisch ist durchaus nicht angebracht!" Das half! Nun kam fließend eine deutsche Entschuldigung zur Antwort. Ihr gegenüber saß ein Soldat, den das lange Fahren schlapp gemacht hatte. Die Französin hielt ihm nun alle Augenblick ein Riecyftascychen unter die derbe Nase. Er schnitt Grimassen, erwachte aber nicht. Schließlich starrte er sie groß an und meinte: „Nee, Madam, behalten Sie man Ihren schönen französischen Geruch." Jetzt wurden alte Soldatenlieder angestimmt, die ich so oft mit meinen Brüdern gesungen, und bald sang das ganze Abteil. Vor Frankfurt hält der Zug auf offener Strecke. Schon fanden sich Blondköpfe, die im Laufen Wurzeln aus den Feldern rissen und in ihren Schürzen den Reservisten antrugen. Die Jungen versuchten inzwischen Obst von den Bäumen zu schütteln. Die Einfahrt gestaltet sich zu einem wahren Triumph. Aus jedem Haus kamen winkende Tücher. Kopf an Kopf gedrängt, stand die Frankfurter Bevölkerung auf den Straßen. Und immer ertönte das schöne Lied: „Deutschland, Deutschland über alles!“ An ein Weiterfahren ist nickt zu denken. Der nächste Zug nach Norden fährt erst am nächsten Morgen. Die Umgebung des Bahnhofes ist fast ganz dunkel, damit er französischen Fliegern nicht kenntlich ist. Wir nehmen uns ein Hotel, essen etwas und werfen uns todmüde auf unsere Betten. Plötzlich erwachen wir von einem ohrenbetäubenden Lärm und Geknatter. Es ist gegen 1 Uhr. Unten auf der Straße ist eine ungeheure Menschenmenge. Man schießt auf drei französische Flieger, die es versucht haben, Bomben zu werfen. — Hübsch gestaltete fick die Fahrt durchs Hessenland. Auf dem kleinsten Dorfbahnhof ist alles versammelt, junge Mädchen und alte Mütterchen, alle im Schmuck ihrer Trachten. Aus dem Nebenabteil schaut ein blonder Kopf und singt. Ick qlaube etwas von Hamburg zu hören. Endlich wage ich die Frage: „Sind Sie Hamburger?" „Ja, und das merken Sie erst jetzt?" Im Nebenabteil sind lauter Hamburger Jungen. Bald ist mir ein Brief eingehändigt: Für Muttern in Eppendorf. Nun werden wieder Soldatenlieder gesungen. An den Bahnhöfen sind überall hilfsbereite Hände, die Kaffee, Limonade und Brot und viele andere Liebesgaben verteilen. Unsere
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Reservisten greifen gierig danach, denn viele kommen von weit her. Je weiter nach Norden, desto ruhiger scheint die Bevölkerung. In Rassel müssen wir wieder mehrere Stunden warten. Hier bekommen wir ein Abteil 2. Klasse, das wir mit 5 Marine-mannschaften teilen. Auch sie kommen alle aus der Schweiz. In der Nacht überlassen wir ihnen zwei Plätze und wechseln dann immer mit Sitzen ab. Der Gang ist fast ganz besetzt. Um uns herum hocken die Offiziere auf ihren Koffern. Zuweilen kommt ein Schaffner und fordert Ausweispapiere. Wir werden dann immer ein wenig schief angesehen.
Die Marinereservisten sind alle große, stramme Gestalten. Einer aus einem anderen Abteil hat die Ärmel bis zur Schulter aufgekrempelt und läßt die riesigen Muskeln spielen. Man bekommt ordentlich Angst. Nun, es ist morgens 4 Uhr, wird das Seemannsklavier, die Mundharmonika aus der Tasche geholt, und es geht wieder ans Singen. Keiner der Reisenden beklagt sich, alle singen mit. Alle sind sehr lustig. Doch eigenartig stimmt es uns alle, als einer beim Schein der Morgensonne das Reiterlied anstimmt: „Morgenrot, Morgenrot, leuchtest mir zum frühen Tod". Ein anderer aber sagt: „Och, laß man, Hein, das ist nii für unsre Mädchens." Damit waren wir gemeint, denn es waren keine Reisenden weiter im Zug. So standen wir den ganzen Tag über im Gang und sangen. Der Gesang und die drolligen Erklärungen und Witze der Marine über den Krieg machten uns immer wieder frisch. Ich kannte einige Reservelieder von meinen Brüdern, und als sie bas merkten, freuten fie sich ganz furchtbar. Ins Abteil wurden wir gar nicht mehr gelassen, immer wieder holten sie uns heraus, wir müßten doch mit ihnen singen, das gehörte sich so für deutsche Mädchen. Nach mehrmaligem Umsteigen und in großer Begeisterung kamen wir endlich am Donnerstagabend unter großem Jubel der Soldaten in Hamburg an. In unserem Zuge hätte wohl keiner mehr Platz gefunden, denn unterwegs stiegen noch sehr lustige Studenten ein. Nachdem uns alle eine Feldpostkarte, einen Russen oder Franzosen oder Engländer versprochen hatten, nahmen wir Abschied und fuhren nach Hause. Immer noch klang mir ein brausendes Hurra! und der Endvers des Liedes in den Ohren: „Lieb Vaterland, magst ruhig fein!“
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Aufruf!
Hub alle sprangen zornfunkelnb vor
Aus Werkstatt unb Haus unb Tür unb Tor,
Aus ben rußigen, rauchenben Hammerwerken Mit roilben, brechenben Armesstärken.
Unb bie im Schoß ber Erbe geschafft,
In ftrchle unb Erz mit wuchtenber Kraft —
Aus ber Fabriken Räberloben Haben sie horchenb bie Köpfe gehoben,
Unb sie ließen bie leeren Näber laufen Unb füllten bie Straßen in zornigen Haufen,
Mit ben schweißfurchigen Stirnen unb notharten Augen, Die werben zum Rächen unb Retten taugen!
Mitten im Schnitt stockt ber Schwaben Fall,
Die Bauern unb Schnitter kamen all!
Die beutschen Bauern als Lanbsturmmanuen Werben bie Flinten eisern umspannen!
Die im Pflugschritt stampfenben Ochsenknechte Sinb grab bas Richtige unb Rechte!
Die Fischer unb Schiffer von Netz unb Kähnen Prüfen bie rubergehärteten Sehnen.
Die Jäger unb Heger aus Walbrevieren Werben wohl gute Vückse führen.
Iebe Hanbwerksstube wirb aufgestört,
Mitten im Stück wirb aufgehört.
Es haben bie hinter ben Schreibertischen Nicht Zeit, bie Febern auszuwischen.
Fort, fort! Die Läben werben leer!
Unb keiner richtet unb rebet mehr!
Allbeutfchlanb sprang aus Tür unb Tor Zornfunkelnb vor.
Gustav Schüler.
In letzter Stunde nach dem Festlande.
Am Montag gegen 5 Uhr nachmittags begaben wir uns von Kämpen nach Munkmarsch, um Sylt zu verlassen. Der panikartige Sturm auf bie Dampfer seitens ber Babegäste sollte — Gerüchten zufolge — nachgelassen haben. Immerhin sahen wir, auf ber Höhe bes Dorfes angelangt, eine beträchtliche Menschenmenge am Lanbungssteg, bie auf bie Abfahrt
wartete. Wir schlossen uns an, jeber nur so viel an verpacktem
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Hab und Gut in den Händen, wie möglich war zu tragen. Eine Stunde darauf etwa wurde die Barriere geöffnet; Militär, sechs Mann, hielt Ordnung und Ruhe aufrecht. Frauen mit Kindern kamen als erste an Bord; es folgten alleinreisende Frauen, alte Männer und die männlichen Verwandten der schon an Bord Befindlichen. Lärm entsteht; man will helfen, wo Frauen durch die Menge sich zu drängen versuchen, Kinder werden über die Köpfe hinweggehoben, verzweifelte Unmutsausbrüche der seit vielen Stunden vergeblich auf Beförderung Harrenden. „Das Schiff faßt nur 90 Personen; ledige Männer kommen auf keinen Fall mit." — Stille. — Erneuter Lärm. — Einige setzen sich resigniert auf die Erde, auf ihr Gepäck, auf herumliegende Holzbohlen. Ein Gerücht entsteht, ein zweiter Dampfer fahre gegen 12 Uhr in der Nacht; man beschließt, an Ort und Stelle zu warten. Wir vier, zwei junge Ehepaare, ziehen langsam die Brücke entlang. Ein junger Soldat gibt uns Auskunft: „Vor morgen früh fein Dampfer zur Abfahrt zu erwarten." Inzwischen kommen zu Futz, auf Wagen, auf Autos, auf Karren immer neue Menschenmengen, Flüchtlinge im eigenen Vaterland. Wir erkämpfen zwei Stühle auf der Veranda vorm Gasthof. Ein paar Bevorzugte haben Betten in einem Bauernhaus erwischt; sie treten uns weitere Stühle ab. Die Flut steigt, vorn an der Brücke fährt der Dampfer ab. Mein Mann und ich versuchen am Strand hinter einem Schuppen im Sand zu liegen. Es ist aber kalt und beginnt etwas zu regnen. Wir schlendern umher und untersuchen mehrere andere Schlupfwinkel auf ihre Brauchbarkeit, alles überfüllt. Im Pferdestall ruhen wir eine Weile auf einem Stapel Holz, in unsere Wettermäntel gewickelt. Wagengerassel, lärmende Zurufe treiben uns wieder heraus. Am Horizont des Wattenmeeres, das zwischen uns und dem Festland sich dehnt, erscheinen Lichter. Vermutungen, erregte Auseinandersetzungen. Allmählich weicht die Spannung; es sind drei Dampfer zur Personenbeförderung. Die Dämmerung treibt Wolken am Himmel vor sich her; der verblassende Mond hat zwei längliche Niegel in seiner Mitte — mildreich verdeckende Hände.
Mein Mann versucht etwas über die Abfahrt des nächsten Dampfers zu erfahren; ich lehne in einer Ecke, fühle mich plötzlich auf einen Stuhl gezogen, und ein dicker Soldatenmantel hüllt mich ein. Ich danke kaum und schlafe ein. Gegen sechs Uhr weckt mich mein Mann. „Abfahrt um halb elf." Die Sonne kämpft mit Wolken. Wasservögel kreischen in der Luft,
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herrlicher Wind treibt das Blut in die Wangen. Ich fühle eine gewisse Zuversicht, um so mehr, als ein umsichtiger Herr die Runde macht, zu ruhigem Verhalten auf der Brücke mahnt und Ratschläge fürs Einsteigen gibt. Seinen Bemühungen gelingt es, eine geschlossene Anzahl Reisender — alles Leute, die feit mehr als 12 Stunden gewartet haben — auf die Brücke und nach einiger Zeit auch aufs Schiff zu bringen. Wir vier setzen uns aufs Hintere Verdeck; Regen war dem sonnigen Frühmorgen gefolgt, das Watt hatte kleine, aufgeregte Wellen, und der Wind sauste. Unser Schiff lud Kohlen. Drei Stunden später, nachdem immer neue Menschen eingelassen waren, und ein erbärmliches Durcheinander von Koffern, aufgeweichten Pappschachteln, schreienden Kindern, verängstigten Müttern und erregten Männern alle Winkel füllte, fuhren mir ab. In letzter Stunde erschien ein Junge mit Extrablättern, von Westerland gesandt: „Libau beschossen." Langsam ging's von der Brücke fort; man sang patriotische Lieder, dazwischen las man gegenseitig aus den Extrablättern vor. Der Regen wurde stärker, nichts, was decken oder noch schützen konnte; bange Sorgen stiegen auf: wie würde die Beförderung in Hoyerschleuse verlaufen? Man sprach von Hunderten, die dort auf dem Bahnhof aufs Weiterkommen warteten. Da — ein Motorboot saust vorbei, Geschrei entsteht. Eine Meldung war's. Keiner weiß, was es ist, jeder sucht es zu erfahren. Die lähmende Angst der entsetzlichen Gewißheit befällt uns: Furchtbares mutz auf dem Festlande unserer warten; die Kriegsnachrichten werden vielleicht ganz anderer Art sein, als die auf der Insel verbreiteten. In Hoyerschleuse nehmen Soldaten uns in Empfang. Die Überfüllung ist unerwartet schon überwunden. Wir werden in einem Viehwagen verstaut. In Sondern geht's in einen dort wartenden Personenzug. Die Fahrt, mitten durch Deutschlands blühendes Weideland, zwischen behaglich grasenden Kühen, hat etwas Beruhigendes. Es wird Nachmittag, bis wir in Husum, Abend, bis wir in Itzehoe sind. In der Nacht passieren wir Elmshorn; Hunderte von Schulkindern jubeln uns hinter der Sperre zu. Langsam geht's weiter; um 12 Uhr sind wir in Altona und werden, halb gestoßen, halb getragen, zur Stadtbahn bugsiert. Am Hauptbahnhof Hamburg gibt's Ertrablätter: England hat Deutschland den Krieg erklärt!
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Die Helgoländer.
Grün ist das Land,
Rot ist die Kant,
Weiß ist der Strand,
Das sind die Farben von Helgoland.
Aber den Frieden — aus traulichen Gassen Treibt ihn des Krieges entsetzlich Gebot;
Langsam ziehn sie, zum Strande gelassen,
Heimatlose, von Nacht umdroht.
Alles, was kam, hier gelebt, hier getragen,
Kind hier gewesen, als Mutter gebangt,
Heimkehr erfleht für den Mann, oft verschlagen Weiß der, daß Wasser und Schicksal schwankt.
Nahe schon rauscht die befreundete Welle,
Still läßt der Zug den gewohnten Strand,
Bald in der Dampsboote blendende Helle,
Wie ein Irrland, von Träumen gebannt.
Schlaf schließt der Kinder halboffene Lider, Hindämmern die Frau'n, voll Weh, überwacht; Stumm stehn die Männer und wissen sich Brüder, Suchen die Heimat im Nebel der Nacht.
Brandrot das Land,
Blutrot der Sand,
Deutsch bleibt die Kant'!
Das ist das Schicksal von Helgoland!
Waldemar v. Grumbkow.
In der Kaserne.
In den Kasernenhof strömen die Scharen der eingezogenen Zivilisten. Keiner ist mißmutig, keiner läßt den Kopf hängen — alle tragen ihn hoch, und der freudige Stolz leuchtet aus ihren Augen. Nicht etwa bloß von den jungen Leuten! Die älteren, die Landwehrleute, sind dem Ruf nicht weniger gern gefolgt, und auf ihren reifen Zügen steht die Zuversicht noch überzeugender. Sie tragen ihr Räuberzivil, die Pappschachtel, in der Hand, und einige haben sich eigene hohe Stiefel geleistet (für die eine Entschädigung gezahlt wird). Mütter und Frauen
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I. Vor den Schlachten.
kommen mit auf den Hof; sie setzen sich auf die Mauer und sehen zu, wie eingestellt wird. Die meisten der Einberufenen sind noch bekannt, die gleichen Jahrgänge begrüßen sich vergnügt und begeistert. Offiziere und Unteroffiziere freuen sich über jeden ihrer alten Leute, der die alte Compagnie gewählt hat, und der Empfang ist so herzlich, daß die jungen aktiven Mannschaften aufhorchen; die sich noch nicht alle ganz beim Militär eingelebt hatten, merken jetzt, eine wie einige, bleibende Gemeinschaft aus der gemeinsamen Dienstzeit wächst.
Die Frage nach der Felddienstfähigkeit ist rasch beantwortet: „Wir sind gesund!" schallt es einstimmig aus dem Glied. Das Einkleiden geht schnell und ist eine freudige Überraschung: wie bequem sitzen die Felduniformen, alle funkelnagelneu, mit dem weichen Halstuch statt der Binde und dem Klappkragen statt des steifen Kragens! Das gibt gute Laune. Es schadet nichts^ wenn man etwas aufs Essen warten mutz; dafür schmeckt's, und man kann sich Zeit lassen.
Der Hauptmann läßt zum Löhnungsappell antreten. Da kommen alle schnell. Eine kurze, herzhafte Ansprache, dann wird die stramme Haltung wieder erlassen. Denn gute Laune mutz sein in schweren Zeiten. Die Offiziere erkundigen sich nach den Witzbolden aus früheren Jahrgängen, diesen pfiffigen und mundfertigen Gesellen, die im Frieden leicht mal einen kleinen Dämpfer brauchen, jetzt aber hoch irrt Kurse stehen. Bei der Kompagnie ist einer: ein kurzer, stämmiger Holsteiner mit einem lustigen Bauerngesicht, ein echtes dreistes und gottesfürchtiges Landkind. Er zieht eine Mundharmonika aus der Tasche und füllt, während die eisernen Rationen verteilt werden, die Pausen mit lieblicher Musik. Ein Reserveoffizier kommt über den Hof, Säbel umgeschnallt, aber den Besatz der Uniform noch in der Hand; er sucht überall den Schneider, um bald in voller kriegerischer Glorie prangen zu können. Ein Holsteiner ruft ihm nach: „Wies mol de Franzosen Mn Smolt (Besatz), denn kniept se all ut!“ Und alles freut sich mächtig.
Auf dem Hof herrscht Getümmel. In dieser Ecke wird eingekleidet, dort eingeteilt, die Fourage verpackt, dort eine fertige Kompagnie aufgestellt — und die Angehörigen sehen zu. Sie sind stolz auf diese Männer, die sich drängen, in die Front zu kommen. An die Kommandos, die sonst von Drückebergern bevorzugt werden, will keiner ran. Ins Ersatzbataillon, das später ausrückt, will keiner rein. Kämpfen wollen sie, mit der Waffe in der Hand.
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Abends dürfen die, die eine Wohnung haben, fort. Sie nehmen die Frau oder den Schatz untern 91 rm; die Väter führen die Kinder an der Hand. Die in der Kaserne bleiben, haben’s ein biftchcn eng. Aber man kann auch mal auf einer Matratze im Korridor schlafen. Macht nichts! Das und die Pökelsahrt in der Eisenbahn geht vorbei; und bann: an den Feind!
Drei Söhne.
Die Sonne brannte, das Feld war voller Glut,
Das Korn war reif, aber die Sichel ruht.
Der sie geschärft und ihre Schneide gewetzt.
Mein Erstgeborner, hat sich aufs Pferd gesetzt.
Was er vor Jahren mit Lust und Liebe war,
Das ist er wieder geworden, ein schmucker Husar.
Heim kam mein Zweiter gestern vom Felde gerannt,
Hetfo hat das Blut durch die braune Haut ihm gebrannt.
Er ritz von der Wand den Pallasch und schwang ihn empor: „Bald trag ich den Harnisch, hei, Gardedukorps!“
Und seine Stimme scholl wie Metall so tief:
„Ins Feld mutz ich reiten; denn der König rief!“
Und heute, heut’! Dort drüben am Lindenbaum,
Da stand mein jüngster Bub, zählt siebzehn kaum.
Er ballte die Faust und äugt in die Ferne wie ein Luchs. Ich sah, wie unterm Wams das Herz ihm wuchs.
And ich hörte, wie's gleich dem (rturzquell hervor bann brach: „Mein Vater! Ich mutz ich mutz den Brüdern nach!“
Nun steht verlassen mir Feld und Hof und Pflug.
Der König rief zum (Streit, und das war genug.
Nun bin ich allein; all meiner Kinder beraubt,
Wohl beugt sich tiefer zur Erde mein graues Haupt.
Unb doch? unb doch! Wären bie Fütze wie früher mir reg’, Herr Nachbar, morgen ging' ich denselben Weg!
Friedr. Brüder.
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I. Vor den Schlachten.
Gastfreundschaft.
Den letzten v-Zug hatten wir noch eben erwischt. Mein Mann mutzte am nächsten Vormittag in Rendsburg sein, und ich wollte wenigstens bis dorthin mit. In einem Abteil erster Klasse mit acht Männern zusammengepfercht, die alle ihrer Garnison zustrebten, saßen wir in fürchterlicher Enge. Im Gang, auf Schachteln und Koffern verstaut, kampierte eine russische Familie, zwei alte Damen, eine jüngere, ein alter Herr. Mit zornigen, verächtlichen und mißtrauischen Blicken wurden sie von allen Seiten bombardiert, und ich wünschte ihnen irrt stillen, daß sie nicht alle Äußerungen, die von unseren Fahrt-genossen reichlich fielen, verstanden. Doch allmählich durch die gemeinsame Qual der Enge und Hitze schmolz auch die Härte unserer grimmigen Vaterlandsverteidiger, und als auf den Stationen freundliche Rote-Krcuz-Damen uns Wasser brachten, wurde auch für die „alten Damen aus Rußland" eine Schale herübergereicht. Als sie uns fragend ein Geldstück hinhielten, schrie einer nur: „Kost ni$ in Deutschland". Etwas mutiger fragten die russischen Damen, ob Obst oder sonst etwas zum Essen zu haben wäre. Es war nichts aufzutreiben, aber ein junger Leutnant steckte mir heimlich eine Schachtel Kakes zu, bie ich bann zu unseren Feinben hinüberpraktizierte; beim Aus-steigen bekamen sie noch eine Tüte Obst, unb unseren Männern fiel bie finstere Miene ganz ab, als bie alten Damen: „Viel Dank unb viel Glück" sagten.
Nun standen wir in finsterer Nacht am Renbsburger Bahnhof in einem furchtbaren Gebränge. Lauter Eingezogene, bie nun in ber Stabt Unterschlupf für bie Nacht suchten. Wir blieben mit unseren Reisekameraben zusammen, es waren zufällig alles Hanseaten, Bremer unb Hamburger — und suchten gemeinsam ein Nachtquartier. Wir zogen von Gasthof zu Gasthof, aber vergebens — alles überfüllt. Traurig ftanben wir auf einem großen Platz unb machten uns mit ber Ibee vertraut, im Freien zu übernachten, als ein bieberer Renbsburger Bürger auf uns zutrat unb sagte: „Ja, wenn denn bie Herren für lieb nehmen wollen, bann kommen Sie mal mit. Ich hab1 ba zwei Betten, ba können vier Herren brin schlafen, bann hab' ich noch 'n Zimmer mit einem Bett, ba kann benn bas Ehefrau brin schlafen, bann hab’ ich noch ’n Sofa, ba kann ich benn braus schlafen.“ Sprach's unb nahm uns wirklich alle mit. In ber Wohnung stellte er erst eine Kiste Zigarren auf
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den Tisch, dann drückte er mir den Schlüssel vom Wäscheschrank in die Hand: „Meine Frau hilft nämlich drautzen am Land beim Schwager," sagte er dazu. Das alles mit einer Selbstverständlichkeit und ohne Aufhebens — so ein echter Holsteiner vom guten Schlag. So war ich plötzlich in einer fremden Stadt Hausfrau in einer fremden Wohnung mit fünf fremden Männern und dem eigenen. Unser Wirt ging mit, das Gepäck zu holen, während mir ein Bremer Anwalt die Betten beziehen half — sehr würdevoll.
Am nächsten Morgen erwartete uns ein großartiges Frühstück mit Eiern und holsteinischem Schinken. Alle hieben tüchtig ein — unser Wirt satz dabei und sah zu. „Nee, erst die Soldaten und denn ich." sagte er. Als wir uns nun bescheiden nach unserer Schuld erkundigten, schüttelte er den Kopf und meinte: „Ach was, schuldig? Das ist nur unsere Pflicht — schreiben Sie mir mal 'ne Karte, wenn Sie ’n Franzosen ober Englishman tüchtig vertobakt haben, bann ist bas Dankeschön genug.
Auf Wacht an der Ostsee.
Es würbe V-7 Uhr, als wir sang- unb klanglos aus Kiel abmarschierten. Wenn ich bei zurüdbenfe an ben Auszua da-mals nach Afrika! War bas ein Theater! Heute sinb bie Zeiten ernster, unb niemanb hat Zeit zum Herumstehen unb Lust zum Zujubeln. Mein Zug ist 80 Mann stark, 7 waren in China unb 6 mit mir in Afrika. Gefreiter G. . . . war acht Monate mit mir zusammen, hat Waterberg usw. mitgemacht. Es sind alles alte prachtvolle Kerle, bie ich schon begeistern will, datz sie mit mir biirch bick und dünn gehen.
Der Marsch war den alten Leuten zuerst recht sauer. Ich ließ daher öfter Ruhepausen eintreten und Trinkwasser verabreichen. Um V2I2 Uhr kamen wir in H. . . . an. Quartier war nicht gemacht, so mutzte ich also auch dafür sorgen. Vierzig Mann brachte ich bei Gastwirt L. . . . gut unter, der seinen Stall ooll Stroh warf. Auf dem Wege nach K. . . stellte ich meinen Unteroffizier und 6 Mann als Posten auf. Die übrigen 40 Mann nahm Amtsvorsteher W. .. . auf, der auch in liebenswürdigster Weise für mich sorgte. Nachdem ich auf dem Wege nach G. . . . einen zweiten Unteroffizierposten aufgestellt und die Posten vor Gewehr für beide Quartiere bestimmt hatte, überreichte mir Frl. W. .. ., eine frische, hübsche Probfteierin, Kaffee (mit dem Ton auf der letzten Silbe) und Butterbrot. Das
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Bett, das mir freundlicherweise zur Verfügung gestellt wurde, konnte ich leider nicht benutzen; denn als Feldwachhabender habe ich, wie der Name schon andeutet, zu wachen, und zwar zwei Tage und zwei Nächte, ohne aus den Kleidern zu kommen. Es gilt für das geistige und leibliche Wohl der Leute zu sorgen, Instruktionen der Posten vorzunehmen, zu revidieren und zu wachen. Dann gibt es 48 Stunden Ruhe in der Garnison S., wo die Kompagnie ihren Standort hat.
Ich bin von Posten zu Posten gegangen und habe den Leuten den Ernst der Lage klar gemacht, habe an ihr Ehrgefühl appelliert und sie ermahnt, bcn Dienst für des Vaterlandes Recht und Wohl als deutsche Männer auszufüllen.
Es war eine prachtvolle Nacht; kein Lüftchen regte sich, und der Mond goß sein Silberlicht über die liebe und schöne holsteinische Landschaft mit ihren Wiesen und Feldern, mit ihren Knicks und Baumgruppen. Ich habe darauf die Leute aufmerksam gemacht und ihnen gesagt: „Seht, das wollen uns die barbarischen, verräterischen Russen und die von Neid platzenden Engländer vernichten und rauben. Ja, sie wollen das ganze liebe Vaterland in den Staub werfen, sie wollen es demütigen, unser mit berechtigtem Stolz erhobenes Haupt zertreten, damit wir es nie wieder so frisch und frei und so selbstlos erheben können. Sie wollen unser Volk von der Erde vertilgen. Wir sollen vom Schauplatz abtreten wie einst Griechen und Römer. Sie wollen eure eigene Eristenz vernichten durch ihre barbarischen Gesetze, sie wollen uns vom Weltmarkt, auf dem wir etwas bedeuten, vertreiben. Wer das sich gefallen lassen will, ruhig mit ansehen will und nicht gesonnen ist, alles, was er ist und was er hat, einzusetzen für das Teuerste, was wir besitzen, wer das nicht verteidigen will bis zum letzten Blutstropfen, der ist nicht wert, daß er das Leben hat, der sollte lieber schon jetzt sein Gewehr von sich werfen und mir nicht den Geist meines Zuges verderben!“
Da hallt dumpf ein Kanonenschuß von der Kieler Föhrde herüber, noch mehrere folgen und mahnen mit grausiger Deutlichkeit an den eisernen Ernst der Zeit. Unheimlich rollt der Geschützdonner über die schlafende Landschaft. Was mag das Schicksal wohl für dich bestimmt haben? So denken gewiß alle. Und gar mancher hat wohl in dieser Stunde den Treu-schwur, den er einst geleistet, in heißer Vaterlandsliebe und mit innigstem Danke für den Mann erneuert, der Deutschland stark
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gemacht hat, so stark, daß er stets fertig, stets gerüstet guten Mutes in den ungleichen Kampf ziehen kann.
Im Laufe des Vormittags wurden die Posten revidiert, t)ie Leute über Feldwachdienst instruiert und die Quartiere in menschenwürdigen Zustand gebracht. Kurz, ich hatte die Hände voll zu tun. Inzwischen kam von Kiel die Nachricht, daß es hier von Spionen wimmele. Rein Mensch darf von jetzt an die Postenkette ohne Legitimation passieren. Namentlich soll besonders auf das Auto 12 386 I gefahndet werden. Man glaubt, es solle französisches Gold nach Rußland bringen. Jedes Auto, jeder Radfahrer, jeder Wagen soll genau untersucht werden, da der Verdacht besteht, das genannte Auto habe feinen Inhalt inzwischen an ein anderes Fahrzeug abgegeben.
Mittags kommt von kiel der Befehl, datz ich meine Feldwache zwecks Verhaftung der sämtlichen Nüssen verlassen soll. Um 2 Uhr zog ich zunächst zum Gutsbesitzer V. . . . Unser Kommen löste dort große Freude aus. Zwei entzückende kleine Mädel flogen mir entgegen: Bekommen wir Einquartierung? Schmollend, mit betrübten Mienen standen sie da, als sie mein Nein hörten. Dann aber brachte der Gedanke, datz wir am Ende durstig sein könnten, Leben in die beiden. Die Leute bekamen Vraunbier, ich bat um kalten Kaffee. Sie wetteiferten in ihrer Sorge um mich, datz ich auch ja genug bekam. Die kleinen reizenden Dinger ließen mich fast den Ernst der Lage vergessen.
Als ich mich überzeugt hatte, datz B. ... nur ruthenische Mädchen beschäftigte, marschierten wir nach herzlichem Abschied weiter. Ich bin immer wieder und immer mehr von der Landschaft entzückt. Welche gesegneten Felder, welch prächtiger Buchenwald! Auch auf die Leute verfehlte dieser Anblick nicht seine Wirkung. Mancher machte mich auf ein besonders reizvolles Bild aufmerksam. Ich gehe in der Negel neben den Leuten, bald rechts, bald links, bald vorn, bald hinten. Ich will in persönliche Fühlung zu meinen Leuten kommen. Ich freue mich, daß mir das mehr und mehr gelingt. Es tvar erfreulich, zu sehen, wie sie bemüht waren, den Geist, den ich ihnen einzuflößen mich stets befleißigt Hatte, selbst weiter zu bilden. Das erscheint mir absolut sicher zu sein: wenn die ganze Armee aus lauter solchen Leuten besteht, dann ist der Sieg auch dank des Menschenmaterials unser.
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Unser Morsch führte uns dann nach H. . . . zurück, ein Marsch von 41 Kilometern. Ich hatte den Marsch mit den Leuten, die noch nicht fußkrank waren, absichtlich etwas ausgedehnt. Wer hierbei nicht fußkrank wurde, wird's später, wo wir vielleicht noch ganz andere Märsche zu machen haben, auch nicht werden. Ich habe schon einen Stabsarzt zum Revier-dienst reklamiert. Vorläufig untersuche ich die Füße, offne die Blasen und verbinde. Schön ist das nicht, aber es muh eben sein. Der Fuß ist für den Soldaten ebenso wichtig, als das Oiewehr, und außerdem sind die Leute so dankbar, wenn man sich um ihr Wohlergehen bemüht.
Abends kam eine Zeitung. Ich setzte mich mitten unter meine Leute und las ihnen die prachtvollen, klaren und markigen Worte des Kaisers vor, die er vom Balkon des Schlosses in Berlin und gelegentlich der Eröffnung des Reichstages gesprochen hatte. Ich sagte dann: „Der Mann ist größer, als selbst seine Freunde wissen." Ich verlas dann unter steigendem Beifall die Telegramme, die der Kaiser mit dem Zaren gewechselt hatte, und zeigte, mit welch perfider Gemeinheit dieser russische Friedensfürst längst einen Überfall planmäßig und systematisch vorbereitet hatte.
Der 6. August findet uns schon eingearbeitet. Die Schraube der militärischen Disziplin wird nach und nach stärker angezogen, doch so, daß es kaum empfunden wird, und aus einem Trupp LandweHrlcutcn ist allmählich ein Zug von tadellosem Schneid geworden. Ein Soldat bat mich, einen Brief an seine Eltern mit zu unterschreiben, der etwa so lautete: Eine schwere Stunde, wohl die schwerste, die Deutschland jemals gesehen hat, ist über uns hereingebrochen. Es ist Ehrenpflicht eines jeden Staatsbürgers, mit allem, was er hat, sich einzusetzen gegen die Feinde, die uns den Frieden gestört haben. Für (Such, liebe Eltern, ist dieser Krieg besonders schwer, denn Ihr schickt alle Eure Söhne ins Feld. Aber als echte Deutsche werdet Ihr Euch in dieser Stunde nicht grämen, sondern stolz sein, dem Kaiser und dem Ba'erlande dienen zu können mit dem Besten, was Ihr Habt usw. usw. Wenn dies auch in der Hauptsache die Gedanken sind, die ich immer wieder predioe, so zeicien sie doch den Geist der Truppe. Lieb Vaterland, kannst ruhig sein. Auch Ihr, liebe Eltern, die Ihr Eure Söhne ins Feld ziehen laßt l
Abends war's schön und stimmungsvoll. Auf der W.'schen hofstelle ist ein geräumiger Platz, von dem aus man bis zur
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See sehen kann. Hier zündeten die Leute abends ein Feuer an, hotten für mich einen Stuhl und legten sich um das Feuer rund um mich herum. Ich erzählte ihnen dann von den afrikanischen Erlebnissen, die ich mit sechs von meinen Leuten teile. Oder sie singen zweistimmige Lieder. Das ist so feierlich und stimmungsvoll, dah meist das ganze Dorf um uns versammelt ist. Die einzige Unterbrechung unserer Unterhaltung besteht darin, datz ab und zu ein Bauer einen Korb mit Obst oder einen Rasten mit Bier bringt. Die Leute sind alle älter als ich, haben Weib und Kind und leben zum Teil in sehr guten Verhältnissen — riner hat ein eigenes Auto. Sie hängen alle sehr an mir und geben sich die erdenklichste Mühe. Es macht mir gro'fie Freude, wenn sie Mutter W. . . . gegenüber äußern: Ja, unser Leutnant, mit dem gehen wir durch dick und dünn.
Wenn wir die Blicke in dem Abenddunkel über die See schweifen lassen, haben wir oft einen herrlichen Anblick. Die jetzt gebildeten Reserve-Geschwader üben auf der Ostsee. Wunderbar sieht es aus, wenn plötzlich die Scheinwerfer aufleuchten und die Umgebung nach durchbrechenden Torpedobooten absuchen. Dann blitzt es grell auf. Eine Batterie feuert! Dumpf rollt der Donner über See und Land. Die Leute werden still. Ein jeder hängt seinen Gedanken nach, jeder ahnt die gewaltige Organisation, die mit weitschauendem Blick auf ein hohes Ziel hinarbeitet; jeder fühlt auch wohl in sich den Drang, an seinem Teile mitzuarbeiten für die Ehre und für das Recht des Vaterlandes.
Am 13. August, an meinem Geburtstage, ging es zurück nach S. .. . Die Kompagniekameraden hatten meiner gedacht, indem sie mir eine große Torte und viele Blumen schickten. Die Blumen schmückten mein Heim, und die Torte bekam meinen liebenswürdigen Wirtsleuten gut. Als meine Leute gemerkt hatten, was los war, brachten sie mir ein Ständchen, und ein Unteroffizier hielt eine schwungvolle Rede. Das hat mich ganz weich gemacht. Das merkwürdigste Geschenk war aber ein
Spanferkel. Gefreiter G................hatte es tadellos am Spieß
gebraten. Frau P bei der mir sonst essen, lieferte
Salat, Rotkohl ufm. dazu. Datz es ein Fätzchen Bier dazu gab, ist selbstverständlich. Es mar ein schönes Fest. Wir haben das Schwein mit Haut und Haar verzehrt, d. h. meine Kompagniekameraden, der Pastor, der Arzt Dr. D...., zwei Juristen und noch ein anderer Arzt.
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Ein Wesen hier hat sich dermaßen in mich verliebt, das; es mir auf Schritt und Tritt folgt. Es ist ein schöner großer Hund — Airednle-Terrier —, wie mein Bursche sagt. Der läßt sich nicht von mir wegschlagen. Wenn er eingesperrt wird, bellt er so lange und so entsetzlich, daß man ihn freimachen muh. Selbst nachts verläßt er mich nicht. Er liegt vor meinem Fenster und bellt laut, wenn jemand sich nähert. Ich habe ihn feierlichst zum RonipagnieHuni) ernannt.
Das zweite, was mir entgegenkommt und nachläuft, dar sind — verheimlichen läßt es sich nicht mehr — die kleinen Mädchen. Freilich nur die ganz kleinen. Rinder mit blauen Augen und flachsblondem Haar. Sie kennen mich alle, die kleinen Würmer und freuen sich diebisch, wenn ich sie auf den Arm nehme und sie in die Backen kneife oder sie an die Hand nehme. Die Mütter und Großmütter sind sich darüber klar* daß ich solche kleinen Bälger im Hause zurückgelassen hätte.
Dann habe ich noch zwei besondere Freundinnen. Es sind des Pastors 14jährigcs Töchterlein und deren Freundin. Sie haben ausnahmsweise die Erlaubnis, von Kiel, wo sie Schulen besuchen. Sonntags nach Hause zu fahren, weil Hier kein
Spionageverdacht in Betracht kommt. Sie haben eine Mords-freude, wenn ich ihnen kleine Aufträge gebe. Neulich Hatte ich sie gebeten, mir etwas Lauchkraut mitzubringen. Sonntag brachten es die kleinen Krabben. Das Paket war sauber eingewickelt und mit roten und weißen Bändchen verschnürt. Sie
plaudern so anmutig und frisch, daß es für mich eine angenehme Unterbrechung in dem ewigen Einerlei des Kaiserlichen
Wachdienstes ist, wenn ich mich mit ihnen unterhalte.
Meine beste Freundin ist aber Großmutter V Ihre
zwei Söhne und drei Schwiegersöhne sind im Felde. Die aanze Last eines großen Gärtnereibetriebes liegt auf ihren müden 74jährigen Schultern. Der Krieg hat die alte, feine Dame ganz zaghaft gemacht. Ich gehe öfters zu ihr, rede ihr gut zu, scherze-mit ihr und tröste sie, so gut es geht. Dafür schenkt sie mit bann schöne Blumen, die sie nun doch nicht oerkaufen kann.
Ich habe es durchgesetzt, daß wir mit den Leuten in der Woche zweimal an die nahe Ostsee zum Baden gehen sönnen. Das ist natürlich eine große Freude. Es ist ein prachtvoller Anblick. wenn die 80 Gestalten auf mein Kommando auf einmal ins Wasser stürzen. Wenn sie wieder heraus sind, lasse ich sie unter Führung des ältesten Unteroffiziers nach Hause gehen^
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um dann meinen heiligen Leib in die salzigen Fluren zu tauchen. Als ich eben vom Dienst komme, sehe ich, baß an meine Haustür ein Zettel geklebt ist mit der Aufschrift: „Hier werden weitere Kriegserklärungen gerne entgegengenommen" — das hatten Leute von meinem Zuge verbrochen. Jetzt reite ich wieder täg-üch 2—3 Stunden. Ich lasse mir von dem Halbzug-Dragoner rin Pferd stellen, wenn ich die Feldwache revidiere, und mache dann so 30—35 Kilometer. Das ist zwar recht anstrengend, wenigstens in der ersten Zeit. Aber man gewöhnt sicb wieder an das Reiten; denn man weiß nicht, wozu das gut ist.
Am 28. August hat sich endlich unser trauriges Seesoldatenlos entschieden. Wir waren gerade dabei, uns eine leerstehende Villa anzusehen, die wir fünf Offiziere uns einrichten wollten. Schon wollten wir die Frau eines unserer Leute kommen lassen und ihr die Leitung unserer Verpflegung übertragen, als das Telegramm ankam: „Morgen Abmarsch nach Kiel. Ausrüstung und Transport in Feindesland." Es war, als ob mit einem Male in einen Ameisenhaufen hineingefahren wäre, solch Leben brachte diese Nachricht in unsere Leute und in uns selbst. Schnell wurden die Sachen gepackt, von den hier erworbenen Freundschaften Abschied genommen, einige Karten geschrieben, und jubelnd verließen wir das uns liebgewordene S. .. . Der letzte Blick auf die blinkende Ostsee war freilich etwas lang. Das Baden werden wir uns für die nächste ZeU wohl verkneifen müssen.
Feldmarschbereit.
Die Losung heißt: Feldmarschbereit,
Gerüstet Leib und Seele!
Aus Heldenmunde gottgeweiht Erklang ein Spruch in grauer Zeit,
Drei göttliche Befehle.
Die Welt steht auf, die Stunde schallt, Sturm auf die deutsche Sache;
Durch Wog' und Wolke. Kluft und Wald. Das wilde Heer, List und Gewalt:
Das erste Wort heißt: wache!
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I. Vor den Schlachten.
Allbeulschlanb, Freiheit, Mannesehr —
Den Hort Iaht euch nicht rauben;
Gewissen rein unb gute Wehr;
Als Richter waltet Gott ber Herr:
Drum heißt es: steht im Glauben!
Kein Engel, ber bie Lanbesmark Für uns beschirmt' unb löste.
Colt prüft bie Herzen, prüft bas Mark,
Zum brittcn: männlich seib unb stark!
Das war unb bleibt bas größte.
Otto Lrusiu
II. Auf hoher See und an fernen Küsten.
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II. Auf hoher See und an fernenAüsten.
An mein Vaterland.
O mein Deutschland, wie sie dich ehren!
Sieben Völker mit ihren Heeren Fielen tapfer über dich her;
Denn für sechse wär es zu schwer.
O mein Deutschland, wie mutzt du stark sein, Wie gesund bis ins innerste Mark sein,
Datz sich's feiner allein getraut,
Datz er nach sechsen um Hilfe schaut.
Deutschland, wie mutzt du von Herzen echt fein, O wie strahlend hell mutz dein Recht sein,
Datz der mächtigste Heuchler dich hatzt,
Datz der Brite vor Wut erblatzt.
Wär' es zu denken, könnt' es sich fügen, Deutschland, könntest du unterliegen —
Wer einer Welt von Feinden sich stellt,
Ist auch im Sturze der siegende Held.
Aber du wirst sie zermalmen zu Staube,
Die dich umschlichen zu nächtlichem Raube.
Fege die Welt vom Truge rein,
Latz die Unschuld geborgen sein!
Stürz dich ins siebenfache Gewimmel.
Morde den Teufel, und hol dir vom Himmel Sieben Kränze des Menschentums,
Sieben Sonnen unsterblichen Ruhms!
Otto Ernst.
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ü. Auf hoher See und an fernen Küsten.
Funksprüche in Neuyork.
Der Funkentelegraphist, der in seiner stillen Kabine dem Geknatter der von Kontinent zu Kontinent und von Schiss zu Schiss eilenden drahtlosen Meldungen lauscht, kann aus dem Vibrieren dieser Nerven des modernen Krieges manchen Schluß auf die Vorgänge hinter den Kulissen tun. So schildert der Telegraphist des an der Spitze der Manhattan-Insel errichteten Funkenturmes des New 2)orf Herald seine Eindrücke aus einer der ersten Kriegsnächte.
Wie zwei düstere Schatten ruhen der Hapagdampser „Vaterland" und der englische Passagierdampfer „Lusitania“> nur an den beiden roten und grünen Nichtungslaternen kenntlich, an der Hafenmauer von Hoboken. Von Zeit zu Zeit blitzt auf dem „Vaterland" ein gewaltiger Scheinwerfer auf, der die breite Fläche des Hudson absucht und stets längere Zeit am Stern der „Lusitania" verweilt. Kein Zweifel, die Besatzung des deutschen Schiffes will feststellen, ob der Engländer den Hafen verlädt, und sie steht darüber mit der Station der Tele--sunkengeseUschast in Sayville in ständiger Verbindung. Dazwischen hört der Telegraphist aus dem Geknatter, wie diese deutsche Station Kode-Telegramme an den Passagierdampfer „Kronprinz Wilhelm" und die beiden aus dem mexikanischen Golf nordwärts dampfenden Kreuzer „Dresden“ und „Karlsruhe" sendet. Einige der Meldungen stammen aus Berlin, andere aus Neuyork, und eine ist eben erst von Habana auf der Insel Kuba beim deutschen Beamten der Station eingetroffen. Ununterbrochen hört man den Telegraphisten von Say-ville arbeiten.
Um Mitternacht tritt plötzlich Nuhe ein; „Dresden“ und „Karlsruhe“ scheinen jetzt ihrerseits zu antworten, doch da die Station des New Pork Herald eine nur beschränkte Reichweite besitzt, vermag sie diese Meldungen nicht abzufangen. Da setzt das Geknatter der Funken wieder ein, und der Beamte hört, wie in offener Sprache abgefaßte Telegramme von Bord der deutschen Kriegsschiffe nach der deutschen Funkenstation auf amerikanischem Boden gehen, ein Zeichen dafür, dah sie sich dieser bereits beträchtlich genähert haben. Doch auch englische Kreuzer sind nicht weit entfernt, „Esser“ und „Lancaster“ stehen mit der englischen Marconistation von Neuyork in wiederholter Verbindung, sie können höchstens 75 Meilen vom Hafen entfernt sein. Aus sie wartet die „Lusitania“, um beim Näher»
II. Auf hsher See und an fernen Küsten.
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kommen unter ihrem Schutz das offene Meer zu erreichen und dort in einen Hilfskreuzer umgewandelt zu werden. Allmählich werden die Funkenmeldungen von Bord der englischen Kriegsschiffe stärker, sie müssen unter Volldampf 15—20 Meilen zurückgelegt haben.
Da wird es auf einmal auf der „Lusitania" lebendig, und nach wenigen Minuten gleitet das unerleuchtete Schiff mit seinen abgeblendeten Lichtern an den Hafenbefestigungen vorbei, Kurz darauf hört der Telegraphist das Knattern eines von der „Lusi-tania" ausgehenden Funkenspruches, der den beiden englischen Kreuzern die eben erfolgte Abfahrt aus dem Hafen meldet.
Wie ich der Kriegsgefangenschaft entging.
Systematische Eeschichlsfälschung in Amerika.
Von Pastor Dr. H. Seyfarth, Hamburg-Fuhlsbüttel.
Daß ich wohlbehalten wieder in der deutschen Heimat angelangt bin, erscheint mir wie ein unbegreifliches Wunder, und die vergangenen Wochen liegen hinter mir wie ein wüster Traum.
Am Mittwoch, den 29. Juli, trat ich mit meiner Frau eine Erholungsreise nach Nordamerika an. Ein Ertrazug der Hamburg-Amerika-Linie brachte uns morgens nach Curhaven, wo wir uns alsbald an Bord des Dampfers „Cincinnati" begaben. Die Sonne strahlte vom Himmel hernieder, und zahlreiche Badegäste riefen uns ein Lebewohl zu. Bald erschallten die schrillen Töne der Schiffssirenen, und während die Kapelle das alte innige Lied spielte: „Mutz i denn, mutz i denn zum Städtle hinaus", setzte sich langsam unser Dampfer in Bewegung. Wir ahnten nicht im entferntesten, welchem Schicksal wir entgegenfuhren und welch grotze und furchtbare Ereignisse sich während unserer Abwesenheit im deutschen Vaterlande abspielen würden. Obwohl der politische Horizont durch den österreichisch-serbischen Konflikt etwas umwölkt war, glaubten wir doch die Reife ruhig antreten zu können, da alle unsere Bekannten mit uns die Überzeugung teilten, datz die Streitigkeiten auf Österreich und Serbien beschränkt bleiben würden. In dieser Auffassung wurden wir noch bestärkt, da zwei unserer Reisegefährten, die preußische Reserveoffiziere waren, noch am 28. Juli ihren Auslandspatz erhalten hatten. Die Reife verlief denn auch bis Boulogne ohne jede Störung, und wir
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II. Auf hoher See und an fernen Küsten.
dampften, nachdem dort eine Anzahl neuer Passagiere unser Schiff bestiegen hatten, nach Amerika weiter. An der Rüste oon Southampton sahen roir einen Teil der englischen Kriegsflotte manöorieren, und als sich der Abend herabsenkte, boten die schimmenden Forts und die von unzähligen Lichtern erleuchteten Badeorte der Isle of Wight einen feenhaften Anblick.
Die Mehrzahl der Passagiere der „Cincinnati" waren Ame-kaner. Unter ihnen befand sich der Kardinal von Boston O'Connel mit seinem Gefolge, der von einer Nomreise heimkehrte. Deutsch waren an Bord nur die gesamte Schiffsbesatzung und etwa 8 oder 10 Passagiere der ersten Klasse, unter ihnen die Witwe des ehemaligen Gesandten in Peking, v. Ketteier, der 1900 dem Boreraufstand zum Opfer gefallen war. Frau v. Ketteier und der Kapitän der „Cincinnati“ waren unsere Tischnackbarn, und wir haben an beide die angenehmsten Erinnerungen. Die Fahrt verlief bei schönstem Wetter, und alle an Bord waren in freudiger Stimmung, bis am Sonntaa, den 2. August, uns die ersten Nachrichten erreichten, daß für Deutschland eine ernste Krisis angebrochen sei. Die Telefunkenstation unseres Dampfers veröffentlichte nämlich an diesem Tage ein von Norddeich aufgenommenes Telegramm, wonach der Kaiser die Mobilmachung der gesamten deutschen Streitkräfte angeordnet hätte. Wir waren beim Empfang dieser Nackricht 1600 Meilen entfernt von Deutschland und hatten keine Möglichkeit mehr, zurückzukehren. Immer noch glaubten wir. daß die Mobilisierung der Armee nur den Zweck Habe, für alle Fälle vorbereitet zu fein, aber schon am Abend des 2. August wurde uns die Nachricht verkündigt, daß Deutschland an Nußland den Krieg erklärt habe. Nun folgten die Ereignisse wie Donner-schläge bet einem Geroitter aufeinander, zunächst die Kriegs-erklärung an Frankreich und am folaenden Tage die Nachricht, daß England auf die Seite unserer Feinde getreten roar. Die Amerikaner verhielten sich den Ereignissen gegenüber ziemlich teilnahmlos. Sie scherzten und lachten und ließen sich in ihrem Bridgefpiel nickt stören, lins Deutschen aber beschwerte der Ernst unserer Seme das SSerz. Es kam uns zum Bewußtsein, daß wir und unser herrlicher Dampfer mit uns. nunmehr in der größten Gefahr schwebten, und die Unmöglichkeit, mit den Lieben in der SSeimat uns in Verbindung zu fetten. lastete fckroer auf unserer Seele. Für mich und meine ftrau kam noch der fast unerträaliche Gedanke hinzu, daß unser lieber Sohn in den Krieg ziehen müsse, ohne uns Lebewohl sagen zu können,
II. Auf hoher See und an fernen Küsten.
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und batz wir lange Wochen hindurch auf keinerlei Nachricht über sein Schicksal rechnen könnten.
Es war ein großes Glück für uns, batz wir in der Person des Kapitäns Schaarschmidt einen Schiffsführer von grötzter Besonnenheit und Tüchtigkeit hatten. Lediglich seiner Vorsicht und seiner geradezu bewundernswerten Pflichttreue hat es die Hamburg-Amerika-Linie zu verdanken, datz ihr stolzes Schiff heute nicht in den Händen der Engländer ist. Wir Deutschen an Bord werden es ihm aber nicht vergessen, datz er auf einer Fahrt auf Tod und Leben uns vor dem Schicksal bewahrt hat, von englischen Kriegsschiffen aufgegriffen und als Gefangene nach Kanada geführt zu werden. Seiner grotzen Umsicht kam ein dichter Nebel zu Hilfe, der sich in den folgenden Tagen vom Himmel auf das Meer herniedersenkte und unser Schiff wie mit einem dichten Mantel umhüllte. Wir fuhren des Nachts stets mit abgeblendeten Lichtern. Die Deckvorhänge waren heruntergelassen, und in den Gesellschaftszimmern und Kabinen war nur spärliche Beleuchtung, so datz kein Lichtschimmer in die Dunkelheit hinausdringen konnte. Ununterbrochen wurde nach der „Cincinnati" gesucht. Die Markonistation fing fortwährend Anfragen auf, die unser Schiff betrafen. Der englische Kreuzer „Esser" gab sich die erdenklichste Mühe, zu erkunden, wo sich unser Dampfer befände, unser Kapitän aber antwortete auf keinen Anruf, und so entstand das Gerücht, datz die „Cincinnati" im Nebel zugrunde gegangen fei. Als wir daher unerwartet dennoch im Hafen von Boston einliefen, wurden wir von einer grotzen Menschenmenge mit ungeheurem Jubel empfangen. Die Zeitungen brachten Bilder von unserem Kapitän und feierten feine heldenhafte Pflichttreue, durch die das Schiss mit feinen vielen Passagieren gerettet war. Wir Deutschen aber empfanden noch eine ganz befonbere Genugtuung barüber, batz unseren englischen Feinben biese gute Beute entgangen war, benn bie „Cincinnati" repräsentierte mit ihrer Labung einen Wert von annähernb 14 Millionen Mark.
Nachbem wir so zum erstenmal ber englischen Gefangenschaft entronnen waren, begaben wir uns an Lanb, um bort im Lanbe ber unbegrenzten Möglichkeiten eine unsagbar ernste Zeit zu verleben. Das erste, was wir erfuhren, war bie Nachricht, batz bas beutftie Kabel von ben Englänbern zerstört fei, unb batz es unmöglich sei. irgenb welche Nachricht aus ber Heimat zu erhalten.
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II. Auf hoher See und an fernen Küsten.
Wir begaben uns in ein Hotel, das Parkerhouse, wo wir sehr gut aufgehoben waren; sobald wir auf die Strafte traten, hatten wir die furchtbarsten Eindrücke. Überall nämlich wurden Tag und Nacht in der Amerika charakterisierenden reklamehaften Weise (Extrablätter ungezählter Zeitungen ausgeboten, die die neuesten Berichte vom Kriegsschauplatz brachten. Was in dieser Zeit in bcn amerikanischen Zeitungen auf Grund englischer und französischer Berichte zusammengelogen worden ist, spottet jeder Beschreibung. Ich habe mir eine Anzahl dieser Blatter mitgenommen und kann jetzt, wo ich die wahre Sachlage kenne, nur darüber staunen, daß man es wagt, dem zeitunglesenden Publikum solche Berichte zu unterbreiten. Man las nichts anderes, als von den furchtbarsten Niederlagen des deutschen Heeres, von dem Blutdurst unseres Kaisers, der zu Beginn des Krieges alle sozialdemokratischen Abgeordneten habe erschienen lassen, und von ben Greueltaten, die die geschlagenen deutschen Truppen aus Nache verübt haben sollten. Es schnitt einem ins Herz, zu sehen, wie biese Nachrichten von betn amerikanischen Volke verschlungen würben, unb wie baburch jebe Sympathie für unsere gute Sache systematisch erstickt würbe. Die beutschen Zeitungen, voran bie Neuyorker Staatszeitung, kämpften mit aller Energie, aber ohne sichtbaren Erfolg gegen biese unerhörten Geschichtsfälschungen. Sie werben noch einen schweren Stanb haben, ehe sie bie Stimmung für Deutschland) in Amerika günstiger gestalten können. Deutschlanb galt offenbar tvährenb ber ersten Kriegswochen in ben Auaen ber Amerikaner als ein verlorenes Lanb. Man merkte bies an sehr vielen Kleinigkeiten, vor allem daran, bah niemanb einem beutfches Gelb abnehmen wollte. Für 100 Mark beutfches Golb bot man mir 15 Dollar; Papiergelb hatte überhaupt feinen Wert.
Da von Boston aus eine Heimkehr nach Deutschlanb ausgeschlossen schien, begaben wir uns nach Neuyork, wo wir eher eine Möglichkeit zur Rückkehr zu finben hofften. Auch bort hatten bie Zeitungen basfelbc niebrige Niveau wie in Boston. Die englischen unb französischen Lüqenberichte würben in reklamehafter Weise an allen Straßenecken oerfünbet unb an ben Wänben burch Scheinwerfer verbreitet. Man teilte auch hier in weiten Kreisen bie Anschauung, bie bie Blätter in bie amerikanische Welt hineinposaunten, bah Deutschlanb in wenigen Wochen von ber Lanbkarte Europas verschwunben sein werbe. Keine Schiffahrtslinie beförberte Deutsche, unb man muhte mit ber Möglichkeit rechnen, bis zu Enbe bes Krieges in Amerika zu
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verbleiben. Ich unternahm daher sofort Schritte, um mir imertb eine Erislenz zu begründen, damit ich unseren Lebensunterhalt bestreiten könnte. Geld aus Deutschland zu erhalten, war ebenso unmöglich, wie eine Nachricht von da zu bekommen. Da verbreitete sich plötzlich die Kunde, baß der am 15. August nach Rotterdam fahrende Dampfer „Potsdam" der Holland-Amerika-Linie bereit sei, Deutsche zu befördern. Wir begaben uns sofort in das Bureau der Gesellschaft, und es gelang mir, da natürlich viele Deutsche diese Gelegenheit zur Heimkehr ergriffen, nur schwer, noch eine gute Kabine erster Klasse zu erhalten. Ich muß gestehen, baß ich von vornherein schon ein unsicheres Gefühl hatte, aber der Umstand, das; Holland eine neutrale Macht im Kriege war, und basz der Dampfer direkt nach Rotterdam fuhr, trug dazu bei, meine Bedenken zu zerstreuen. Gleichwohl begab ich mich noch einmal auf das Generalkonsulat und erkundigte mich nach ber Ansicht, die dort herrschte. Ich hatte Gelegenheit, den Generalkonsul persönlich zu sprechen, unb er riet mir und meinen Freunben bringenb, bie „Potsbam" zur Heimfahrt zu benutzen. So bestiegen wir benn am 15. August nachmittags das Schiff und waren froh, den amerikanischen Staub von unseren Schuhen abschütteln zu können. Nach dem Aufenthalt auf der deutschen „Cincinnati" konnte uns freilich die holländische „Potsdam" nicht imponieren. Alles aus dem Schiff war sehr mäßig, die Kabinen klein, nicht sehr sauber, die Verpflegung mangelhaft. Vor allem hatte man das Gefühl, baß die Bedienungsmannschaft des Schisses durchaus deutschfeindlich war. Alle Leute waren mürrisch, unfreundlich und unaufmerksam. Sie hatten wohl auch ihre Kriegsnachrichten nur aus den amerikanischen Zeitungen gewonnen und glaubten, ben Angehörigen eines bem Untergänge geweihten Volkes keine befonbere Aufmerksamkeit zuwenben zu brauchen. Um so erhebenber war bie Stimmung ber Deutschen an Vorb. Es waren fast lauter Reservisten, bie, von glühenber Vaterlanbsliebe beseelt, ihre Stellungen im Auslanbe aufgegeben hatten, um in ben großen Kampf für Deutfchlanbs Ehre unb Existenz zu ziehen. Aus Meriko, Panama, Venezuela, Argentinien, Chile, Brasilien, von allen Seiten waren sie auf bie erste Nachricht bavon, baß ihr Vaterlanb bebroht fei, herbeigeeilt, um mitzuhelfen an feinet Rettung. Man atmete orbentlich auf in bieser Umgebung, nach* bem man in Amerika so wenig Interesse unb so wenig freunb* liche Gesinnung gefunben hatte. Wenn auch ber Kapitän nicht gestattete, baß — wie es an einem Abenb geschehen war— hie
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II. Auf hoher See und an fernen Küsten.
vielen Patrioten auf dem Weltmeer deutsche Vaterlandslieder erschallen ließen, so drehten sich doch alle Gespräche von morgens bis spät in die Nacht hinein um den Krieg, von dem nun allmählich der Wahrheit mehr entsprechende Berichte bei der Markonistation einliefen. Vis zum 25. August verlief die Reise ruhig und ohne Störung, das Meer war spiegelglatt und das Wetter herrlich. Nur selten begegnete man einem Schiff; meist waren es Fischerboote, die ihrem mühevollen und gefährlichen Handwerk nachgingen. Da, am Nachmittag des 25. August, als wir uns der englischen Rüste näherten, erschienen plötzlich englische Kriegsschiffe, die sofort Flaggensignale gaben und unseren Dampfer zum Stehen zwangen. Es dauerte nicht lange, da wurde von dem englischen Kreuzer „Diana" ein Boot herabgelassen, das auf unsere „Potsdam" zuruderte. Es hatte einen englischen Offizier, englische Soldaten, sowie einen Lotsen an Bord, die unseren Dampfer bestiegen und ihn in den Hafen von Falmouth hineinbugsierten. Unser Kapitän fuhr mit den Engländern an Land, und als er abends gegen 10 Uhr zurückkehrte, gab er bekannt, daß am nächsten Morgen, den 26. Aug., eine englische Militärkommission an Bord komme, und daß daher alle Passagiere sich zu dieser Zeit an Deck einfinden müßten. Um 5 Uhr wurden wir denn auch am nächsten Morgen geweckt, und mit bangem Gefühl sah wohl jeder den kommenden Ereignissen entgegen. Die Kommission, an ihrer Spitze der General-stabsoffizier Eaptain Wallee, und mehrere Zivilisten erschienen, und nach einiger Zeit verkündete der erste Offizier unseres Schiffes, daß alle Deutschen und Österreicher mit Ausnahme der Frauen in kürzester Zeit das Schiff zu verlassen und sich an Land zu begeben hätten. Darauf wurden die Papiere jedes einzelnen geprüft, und alle vom 16. bis 60. Lebensjahre wurden in bereitstehende große Dampfboote gebracht und in englische Gefangenschaft abgeführt. Die Szenen, die sich abspielten, als die Männer ihren Frauen und Kindern Lebewohl sagten, lassen sich nicht beschreiben. 460 deutsche Patrioten, in der Mehrzahl junge blühende Männer, darunter aber auch nicht wenige mit grauen Haaren, mußten die steile Falltreppe hinuntergehen, um auf unbestimmte Zeit, fern von der Heimat, unter unseren erbittertsten Feinden in der Gefangenschaft zu leben; nur 22 Ärzten und 5 Geistlichen wurde gestattet, an Bord zu bleiben. Diese Konzession an die Geistlichen ist wesentlich dem Umstande zu verdanken, daß ich am Sonntag, 23. August, drei Gottesdienste an Bord unseres Dampfers abgehalten hatte,
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im Zwischendeck, in der ersten und zweiten Kajüte. Die Gottes-bienfte vertiefen außerordentlich stimmungsvoll, und keiner der deutschen Passagiere fehlte. Eine deutsche Sängerin sowie ein holländischer Leigenspieler wirkten mit. Brausend ertönte das Lutherlied: „Ein' feste Burg ist unser Gott". Ich. hatte meiner Predigt den Tert zugrunde gelegt: „Seid fröhlich in Hoffnung, geduldig in Trübsal, haltet an am Gebet". Es war derselbe Tert, über den ich gepredigt hatte, als ich meinen Sohn einsegnete, der nun im Kriege war. und den wir nur mit unseren Gebeten umgeben konnten. Von diesen Gottesdiensten hatte der Kapitän unseres Schiffes natürlich Kenntnis, so bah er imstande war, mich der englischen Kommission gegenüber als Geistlichen zu legitimieren. Wäre das nicht der Fall gewesen, so hätte ich, da mir alle Papiere fehlten, und ich nicht einmal einen Pah bei mir hatte, das Schicksal meiner 460 Reisegenossen teilen müssen. Unter den Gefangenen befanden sich, wie erwähnt, alle Leute bis zum 60. Lebensjahre, darunter ein Oberlandesgerichtsrat von 59 fahren, der am Abend vorher noch im Scherz sagte, bah er sich zum erstenmal über seine weihen Haare freue, da sie ihn vor der Gefangennahme schützen würden. Als ich muhte, bah ich frei fei, fragte ich den englischen Offizier, weshalb er so alte Herren nicht zurücklassen wolle, unb er erklärte mir barauf, bah in Deutschland) alle Männer vom 16. bis 60. Lebensjahre unter ben Waffen ftänben, unb bah er beshalb ältere Leute nicht freilassen könne. Das Herz blutete einem, als man bie armen Menschen bie Falltreppe bes Schiffes hinuntergehen sah unb muhte, bah sie nun von ben Ereignissen unserer grohen Zeit nichts erfahren würben als höchstens hin unb wieder einen englischen Lügenbericht. Wohin sie gebracht mürben, war nicht genau zu erfahren. Vermutlich werben sie in bem Gefangenenlager Dorcbester in Eornwallis untergebracht worden fein. Die ganze Angelegenheit ist tieftraurig, unb ich kann der Hollanb-Nmerika-Linie sowie bem beutschen Generalkonsulat in Neuyork ben Vorwurf nicht ersparen, bah sie bie Interessen ber deutschen Passagiere zu wenig gewahrt haben. Beide muhten wissen, bah nach ben Beschlüssen ber Haager Konvention bie sämtlichen europäischen Staaten mit Ausnahme von Englanb sich bnrüber einig geworben finb, bah neutrale Schiffe auch im Kriensfalle nicht burchfuebt werben biirfcn. Sie hätten bcshalb bie Pflicht gehabt, bie beutschen Paffaaiere barauf aufmerksam zu machen, bah Englanb ohne Zweifel versuchen würbe, ben Dampfer, von bem es natürlich längst muhte, bah
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er deutsche Passagiere beförderte, anzuhalten. Auch mutzte der Holland-Amerika-Linie bekannt sein, datz die Einfahrt in den Kanal von englischer Seite so scharf bewacht und kontrolliert wird, datz es ein Ding der Unmöqlikeit ist, unbeobachtet den Kanal zu passieren. Wenn die deutschen Passagiere hierauf aufmerksam gemacht worden wären, so hätten ohne Zweifel viele es vorgezogen, in Amerika zu verbleiben, bis eine sicherere Gelegenheit zur Heimkehr sich gefunden hätte.
Wären wir nicht gleich bei Falmouth angehalten worden, so hätte uns das Schicksal bei Dover erreicht, denn hinter Dover am Goodwinsand erschien eine Halbslottille englischer Torpedoboote, die unser Schiff abermals anhielten und die Fahrt erst freigaben, als die Revision der Schiffspapiere ergeben hatte, datz die Deutschen und Österreicher bereits abgenommen waren. Auch von Calais drohte uns die Gefahr in gleicher Weise, und wir waren immerhin noch dankbar dafür, datz unsere armen Neisegenossen in England waren und nicht in französische Gefangenschaft geraten konnten.
Endlich am 27. August gegen Abend erreichten wir Rotterdam und fuhren sogleich über Utrecht nach Arnheim, um möglichst schnell die deutsche Grenze zu erreichen. Am 28. August gelangten wir nach Elten und waren glücklich, wieder deutschen Boden unter unseren Fützen zu haben. Dort erhielten wir denn auch auf telegraphische Anfrage die erste Nachricht über das Ergehen unseres Sohnes, der sich bereits am 23. August in der Schlacht von Mons im Kampfe gegen die Engländer das Eiserne Kreuz erworben hatte.
Entwischt.
Das war ein Schiffsjunge auf einem Hamburger Dampfer. Das Schiff lag still bei vielen anderen deutschen Schiffen im Hafen zu Lissabon. Fort können sie nicht, im Atlantischen Dzeart lauern die englischen Kreuzer. Und nun Heitzt es, auch Portugal solle dem Deutschen Reiche den Krieg erklären. Was bann? Dann werden die Schiffe als gute „Prisen aufgeschnupft", und der Schiffsjunge kommt in eins der Gefangenen-lager. Also fori auf jeden Fall, fori in die Heimat und dort bann dem Vaterlande helfen auf einem deutschen Kreuzer oder noch besser auf einem Unterseeboot. U. 9! wie hast du jedes Seemannsherz hoch schlagen lassen !
Aber wie kommen sie aus dieser Mausefalle? Es sind noch viele deutsche Schiffsjungen, die jetzt herumlungern in den
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öS
Hafenstrahen von Lissabon, und die den gleichen Wunsch haben. Und sie beraten und schmieden Pläne, bis sie wissen, was sie wollen. Sie zählen den Nest ihrer Heuer. Viel ist's nicht, aber es reicht doch wohl aus. Hinauf aus die Eisenbahn, und'dann durch Portugal und Spanien hindurch bis Barcelona. Da stehen sie wieder am Hafen. Mit einem neutralen Schiff zu fahren, ist gefährlich. Das wird auch von den Franzosen angehalten und durchsucht. Sie wissen die Sache schlauer anzufangen. Sie ergattern sich eine Segeljacht. Mit den Segeln wissen sie umzuspringen, das haben sie schon auf der Elbe und auf der Alster geübt. Fort aus dem Hafen, Karte und Kompah sollen sie nach Genua führen. Mit den Wellen werden sie fertig, fein, fein! Aber was da auf den Wellen heranzieht, immer näherkommt. Alle Wetter! Die Flagge blau-weih-rot: ein französisches Kriegsschiff! Faßt es sie, oder läht es sie laufen? Vumm! Unsere Jungen sind kreideweitz — der Signalschuh zum Beilegen. — Aber der Kreuzer scheint von ihnen gar nichts zu wollen, da ist wohl drüben ein anderes Schiss, das er sprechen will! Hurra— los Jungen! Dem Steuer ein Nuck, das Segel eingestellt — fort aus dieser schlimmen Nachbarschaft. Es glückt, es glückt! Immer weiter ab, immer weiter ab; der Kreuzer wird kleiner und kleiner. Bald nur ein matter Streifen, dann ist er verschwunden. Die Hände zittern noch, der Schweisz klebt noch aus der Stirn — aber das SSerz schlägt allmählich ruhiger. — Endlich, endlich der ersehnte Hafen — "Genua! Und nun wissen sie sich geborgen. Der deutsche Konsul mutz Helsen, und er hilft. „Aber an der deutschen Grenze müssen Sie sich sofort beim Bezirkskommando melden." Wie gern sie das tun! Und der Bescheid? „Sofort weiterfahren nach Wilhelmshaven." Und nun die Fahrt durch das ganze Vaterland von Süden nach Norden! Überall nur deutsche Gesichter, deutsche Worte, überall deutsche Soldaten! — Heimat, o Heimat! Der Zug hält in Hamburg. Zwei Stunden hat unser Junge Zeit, um die Eltern in Eimsbüttel zu besuchen und sein Abenteuer zu erzählen. Und dann, dann weiter nach Wilhelmshaven. Da kann man solche Jungen gebrauchen!
Unsere Marineflieger auf dem Posten.
Im Schein der Morgensonne steigt ein Flugzeug an der deutschen Nordseeküste auf und erhebt sich in die blaue Luft. Sein Kurs geht nach Nordwesten auss freie Wasser hinaus: es gilt, das neue Flugzeug zu erproben, denn die Kriegsleitung
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sorgt dafür, daß nur bewährtes Material an die Front kommt. Plötzlich tritt ein Motordefekt ein — das Flugzeug mutz niedergehen und auf dem Wasser landen. Glatt gelingt die Landung, aber alsbald stellt sich heraus, daß eine Reparatur mit Vord-müteln nicht möglich ist. Nun bringt der junge Flugzeugführer «inen Treibanker aus. um nicht vom Winde wahllos vertrieben zu werden. Aber der auffrischende Wind und die zunehmende See bringen das Flugzeug bald in eine gefährliche Lage, und schließlich kenntert es. Der Führer, ein Seeoffizier, und sein Begleiter, ein Heizer, binden sich fest und bleiben auf dem immer tiefer sinkenden Flugzeug. 14 Stunden halten sie aus, mehr unter als über Wasser. Da nähert sich ein Fischdampfer den beiden Tapferen, und sofort fragt der Offizier den Dampfer-fapüan nach englischen Schiffen. „Wat hewt Se man bloß mit den Engländer?" fragt der biedere Mann im Ölrock ganz gemütlich. „Mann, wissen Sie denn nicht, daß wir seit über einer Woche mit England. Frankreich und Rußland im Kriege liegen?-Der Alte steckt die Hände in die Taschen und schiebt den Priem auf die andere Seite. „Düwel, Düwel, denn man her mit das Gewehr, Modell 71/84 kenne ich noch." Tatsächlich, der Mann hatte noch nichts vom Kriegsausbruch erfahren. Aber in aller Seelenruhe ließ auch er sich von der großen Begeisterung erfassen und wußte sofort, was er zu tun hatte. Zunächst aber nimmt der Dampfer die beiden Verunglückten auf und setzt sie auf einem Torpedoboot ab, das sie nach Helgoland bringt. Von Helgoland aus bietet sich ja Gelegenheit, nach dem Festlande zurückzukehren. Aber die Wasserreise dauert unserem Flugoffizier zu lange, und so steigt er bereits am nächsten Morgen mit einem fremden Flugzeug auf nach Curhaven, um sich ein neues zu holen.
Matrosenlied.
Heute wollen wir ein Liedlein singen.
Trinken wollen wir den kühlen Wein,
Und die Gläser sollen dazu klingen,
Denn es muß. es muß geschieden sein:
Gib mir deine Hand, deine liebe Hand,*)
Leb wohl, mein Schatz, leb wohl;
Denn wir fahren gegen Engeland.
*) In der Quelle stets „weiße Hand* und „Engelland*.
II. Auf hoher See und an fernen Küsten.
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Unsere Flagge und die wehet auf dem Maste,
Sie verkündet unsres Reiches Macht.
Denn wir wollen es nicht länger leiden,
Datz der Englischmann darüber lacht;
Gib mir deine Hand, deine liebe Hand,
Leb wohl, mein Schatz, leb wohl;
Denn wir fahren gegen Engeland.
Kommt die Kunde, datz ich bin gefallen,
Datz ich schlafe in der Meeresflut.
Weine nicht um mich, mein Schatz, und denke,
Für das Vaterland da flotz sein Blut.
Gib mir deine Hand, deine liebe Hand,
Leb wohl, mein Schatz, leb wohl;
Denn wir fahren gegen Engeland.
Hermann Löns.
Kriegswache an Bord.
Sieben Schiffe hintereinander, wir als letztes. Seestimmung: grau in grau, mal ein Sonnenstrahl, mal ein Regenschauer, ganz weit in der Ferne graues Land: so fahren wir dauernd hier umher, schwenken, wenden, drehen, Kiellinie, Dwarslinie, Staffel. Und alles ist ruhig, immer im selben Abstand laufen die sieben Panzer unseres Geschwaders durch die
See. Dann klettern am Führer schiff Flaggen hoch, alle wiederholen, und wenn sie niedergehen, schwenkt alles wie mit einem ^auVerschlage genau im selben Augenblick. Ein wundervolles Bild.
Oder nachts. Wir fahren abgeblendet und schießen auf Scheiben, die vorbeigeschleppt werden. Alles kracht, Feuerstrahlen schlagen aus den Rohren. Pulverqualm. Apparate klingeln, Befehle, Munition wird gefaßt, ein Krach und Lärm! Dazu leuchten grell die Scheinwerfer. Oder wir gehen wie allnächtlich, wenn wir nicht im Hafen liegen, Kriegswache. Da liegt die Miste der Gefcfniümannschaften angezogen bei den Geschützen. die andern stehen klar zum Schietzen. Nach 4 Stunden wird gewechselt. — Das ist das Anstrengendste, was es gibt. Alles dunkel, nur ein paar blaue Lampen, die man von autzen nicht sehen kann. Wie ein Nubenssches Bild: kräftige, tief-dunkle Schatten, Schatten in allen Nuancen, hier und da glimmt ein Pünktchen: die Zigarette eines Mannes. Bei Kriegs-
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ü. Auf hoher See und an fernen Küsten.
wache darf geraucht werden, damit die Leute nicht einschlafen. Irgend eine Geschützbedienung fingt leise ein Volkslied. Wir haben fast nur Thüringer und Rheinländer an Bord, die gern singen. Andere kommen mit Fragen (ich habe die Batterie der 5triegsroache unter mir): „Herr F., wann gehts denn los?' Alles wartet auf die Entscheidung, die wohl in den nächsten Wochen fallen wird. Und wir haben's da viel schwerer als die Armee: die dreifache Übermacht. Aber entweder siegen wir, oder mir gehen hinunter mit den großen Gefechtsflaggen im Topp und kommen nicht wieder. Dann find die Engländer aber auch kapul.
Ein anderes Bild: Kohlen! Wir liegen an der Boje, Kohlenprähme längsseits, und alles arbeitet wie wild, vom Heizer bis zum Offizier. Sogar unser Prinz, ein Oberleutnant zur See. schwarz wie ein Teufel vom Kohlenstaub, schleift die Körbe mit. Wir Fähnrichs, die Leutnants, alle helfen mit Körben, Schaufeln und Händen. Und es spornt die Leute gewaltig an. Von Zeit zu Zeit leert man seine Zigarettendose unter sie, was jedesmal ein Freudengeheul auslöst. Sind die Bunker voll, dann ist alles tot.
Schlaf gibt's kaum. Die ewigen Kriegswachen erlauben den Lurus nicht. Alle entbehren ihn für den einen Tag, für die paar Stunden, die für uns entscheidend sind. Jeden Tag sönnen wir vom Geschwader Befehl bekommen, in die See zu Sehen, und dann wird's bitter ernst und gibt's Männerarbeit.
Unterseeboot aus Patrouille.
Fünfzehnhundert Meter vom Feind weg haben wir Ziehharmonika gespielt. Und der Feind hat es nicht einmal gehört. Manchmal nicht einmal mir selbst, wenn unsere Motoren zu großen Nadau machten. Unsere Ohren hörten nicht, was die Ziehharmonika spielte. Aber wir sahen das Lied an den Bewegungen des Spielers, an seinen Mienen, an seinen Fingern, wie sie über die Knöpfe glitten, an seinen Füßen, die den Takt schlugen, an dem Instrument selbst. Und wir haben das Lied mitgebrüllt. Gebrüllt, was unsere Lungen noch Kraft hatten, und doch haben wir von unserem eigenen Sang nichts gehört. So lärmen die Maschinen im Unterseeboot!
Was ich weiß von der Fahrt an die Küste? Fast
nichts! Wir wußten nur eins: siegen oder sterben? Bequem ift's nicht in so einer Nußschale. Der Mannschaftsraum ist ganz
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gewiß Fein Tanzsaal. und was die Lunge zum Atmen bekommt, ist keine Bergluft. Petroleum! Petroleum und wieder Petroleum! Da schnappt man nach Luft, wenn das Ding in die Höhe taucht.
Zehn Tage waren wir unterwegs. Wir wußten nicht, wohin es ging. „In den Tod oder zum Sieg. Mehr weiß ich selbst nicht,“ sagte unser Kommandant. Und dann ging's mit den anderen Unterseebooten hinaus ins Meer. Ansangs zusammen, dann trennten wir uns. An der ganzen englischen Rüste ging's entlang, zeitweise unter Wasser. Sechs Stunden Arbeit und sechs Stunden Schlaf. Durch zehn Tage hindurch! Da gibt’s fein Kommando. Man hört nichts als Lärm. Wie ein Taubstummer ist man. Man hört mit den Augen und redet mit Händen und Füßen. Wie es gerade kommt. So ein leichter Fußtritt, das Heißt: „Du, paß auf! Schau hin! Der Maat will dir was sagen!" Es gibt Höllisch viel Arbeit für die paar Mann, besonders, wenn das Boot unter Wasser ist. Da muß jeder auf seinem Posten sein.
So ging es tagelang. Bald unten, bald oben. Das war die einzige Abwechslung. Und dann gab’s aus einmal eine Sensation. Einer nach dem andern durfte auf eine Minute seinen Platz verlassen und einen kurzen Blick durch das Periskop tun. Es war der schönste Anblick meines Lebens! Droben wie eine Herde friedlicher Lämmer lag ein englisches Geschwader. Unbesorgt, als gäbe es keine deutschen Seewölfe in Panzerkleidung.
Zwei Stunden lang waren wir da aus Vorposten unter Wasser. Einen großen Panzer zu uns Herunter zu Holen, das wäre uns sicher gelungen. Aber wir durften nicht; wir roaren auf Patrouille. Unser Boot mußte weiter. Wie mag's unserem Kommandanten zumute gewesen sein! So nahe am Feind und das Torpedo im Nohr lassen müssen. So mag's einem Jäger sein, der einen Tag vor Aufgang der Nehbockjagd auf feinem Virschgang dreißig Schritte vor sich einen kapitalen Bock eräugt.
Achtung Unterseeboot!
Naßkaltes, unfreundliches Wetter. Als feiner Regen riefelt der Nebel nieder. Die Wasserfläche des Hafens ist mäßig bewegt. und das Wetter ist zu unsichtig, um weit draußen die weihen Wellenköpfe erkennen zu können, die bie Wellenkämme
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II. Auf hoher See und an fernen Küsten.
frönen. Es ist frühe Morgenstunde; bie Leute in ber Hafenstadt liegen meist noch in tiefem Schlummer, unb auf dem Pier ist kaum ein Mensch zu sehen.
Alles dies stellt mit Zeichen lebhafter Befriebigung ber ctommanbcmt bes Unterseebootes fest, der auf dem kleinen ftommandoturm seines Fahrzeuges steht und ben prüfenden Blick nach allen Nichtungen hin schweifen läfot.
„Man wird unsere Ausfahrt kaum bemerken!" sagte er zu dem eng neben ihm stehenden Nubergast — für einen brüten Mann, möchte er auch noch so schmächtig sein, wäre beim besten Willen kein Naum mehr ba. „Wir sinb fertig unb wollen los-werfen."
Schnell ist bie Verbinbung mit ber Siegestelle gelöst; kräftig pufft der weithin sichtbare, übelriechende weihe Fettdampf des Petrolmotors in bie Lust, betäubender noch als vorher lärmt der angelassene Motor. Raum sichtbar gleitet das nur wenig über den Wasserspiegel hinausragende Boot aus dem Hafen hinaus und der offenen See entgegen, und bald ist es dem Auge nicht anders mehr erkennbar, als durch bie verräterische weitze Rauchfahne, tvährcnb bas Ohr noch längere Zeit bas knatlernbe Geräusch bes Motors vernimmt.
Der Kommandant hat sich eine Zigarre angezündet. Hier oben kann er sich diesen Genuß noch gönnen, aber nicht mehr lange. Das Boot gleitet in die offene See hinaus, und sogleich ersehen die stets zu allerlei tollem Unfug bereiten Meernixen sich den schlanken grauen Gesellen zum Ziel ihres Übermuts. Sie ahnen ja nicht, was für ein unheilschwangerer Bursche er ist, und mit was für schicksalsschweren Absichten er ihr Reich durcheilt.
Die Wellenkämme klettern immer kecker über bas niebrige Deck, bie Schaumspritzer gehen immer aufdringlicher gegen den Kommandoturm vor. Jetzt überflutet eine Welle das ganze Deck.
Der Kommandant schleudert ben Nest ber bereits reichlich durchfeuchteten Zigarre ins Wasser: „Nun ist's genug, wir wollen tauchen.“
Schnell geht eine beträchtliche Veränderung mit bem Boote vor sich. Der Petrolmotor, ber bisher in Tätigkeit war, wirb abgestellt unb dafür ber Elektromotor für bie Unterwasserfahrt in Tätigkeit gesetzt. Der Schornstein wirb niebergekappt unb die Öffnung zum Schiffskörper luft- und wasserbicht geschlossen. Das eiserne Gelänber um ben ftommanboturm mit seiner flei-
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nen Schutzumkleidung verschwindet. Die Geschütze verschwinden in einer Lersenkung/die fest verschlossen wird; nur der niedrige ftommandoturm bleibt als einzige Erhöhung auf dem immer lebhafter von den Wellen überfluteten Deck zu sehen. Alle Leute der Besatzung sind schon im Innern des Bootes, nur der Kommandant steht noch auf dem Turm, wirft einen letzten Blick rings auf die Wasserfläche und verschwindet dann ebenfalls in der Öffnung des Einsteigschachtes. Gleich darauf wird von innen der Deckel fest zugeschraubt. Das Boot ist äußerlich zum Tauchen fertig.
Aber so ohne weiteres in die Tiefe zu steigen, wäre gefährlich; erst mutz der Kommandant die Gewitzheit haben, datz sein Boot luft- und wasserdicht ist. Er gibt den Befehl zur „Dichtungsprobe“.
Das sind, besonders für den Neuling, unangenehme Augenblicke, die peinliche physische Empfindungen wachrufen. Ist die Probe gut überstanden, so kommt der Befehl zum Tauchen.
Schnell sinkt das Fahrzeug in die Tiefe. Märchenhaftes grünes Dämmerlicht kommt durch die Fenster, tiefe Stille umgibt uns, das ungleichmäßige Singen des Elektromotors ist das einzige vernehmbare Geräusch. Die Schlingerbcwegungen Hören in der Tiefe gänzlich auf; ruhig und friedlich gleitet das Fahrzeug tief unter der Wasseroberfläche dahin. Man könnte ruhen und träumen. j
Aber die zwanzig tapferen Leute da unten ruhen nicht, im Gegenteil, ihre Aufmerksamkeit ist auf das Höchste gespannt. Der Kommandant steht am Sehrohr und betrachtet das Spiegelbild des Horizonts. Der Nebel mutz nachgelassen Haben, denn man Hat einen ziemlich weiten und klaren Umblick.
„Nichts!“
Also weiter! Der Kurs wird geändert, rein westlich. Man Hört das Geräusch ferner Schiffsschrauben. Das Sehrohr zeigt einen Handelsdampfer mit neutraler Flagge. Schnell wird das Nohr eingezogen, damit die Anwesenheit des Bootes nicht bemerkt wird. „Weiter!" Fischerboote? Man Hört das Tönen einer Unterwassersignalglocke. Das Sehrohr zeigt eine leere Wasserfläche. Das Unterseeboot steigt empor und fährt eine Zeitlang über Wasser, aber elektrisch, denn der weitze Qualm ist zu verräterisch.
Da — Steuerbord voraus — dunkle Rauchwolken von Schiffen. „Tauchen!“ Das Boot sinkt lautlos unb schnell unter
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ü. Auf hoher See und an fernen Küsten.
Wasser, mit dem Rurs auf die verdächtigen Wolken. Nach einiger Zeit kommt vorsichtig das Sehrohr hervor. Ein Blick: „Donnerwetter! feindliche Torpedoboote! eine ganze Flottille!" Sie patrouillieren die Gegend ab, suchen wohl nach Unterseebooten und ahnen nicht die Nähe des Feindes.
„Für die sind unsere Torpedos zu schade! Da wird wohl bessere Beute in der Nähe sein, tiefer tauchen, drunter weg!“
Das Boot sinkt in größere Tiefen, steuert unter den Torpedobooten weg, steigt nach einiger Zeit wieder etwas höher und hebt „sein Auge" etwas über Wasser. Aber blitzschnell verschwindet es wieder, denn es hat eine Anzahl feindlicher Unterseeboote bemerkt, die offenbar dort Tauchübungen machen. Aber gleichzeitig zeigt das Spiegelbild in weiter Ferne auch eine verdächtig dunkle Rauchwolke, und der Kommandant beschließt, den Kurs darauf zu setzen, um sich das verdächtige Ding einmal aus größerer Nähe anzusehen.
Vielleicht —! ?
Nach einer längeren Unterwasserfahrt wird das Sehrohr wieder ausgestreckt. Ein Blick — ein Ruf freudiger Erregung. Da liegt ahnungslos ein feindlicher Kreuzer.
„Den müssen wir haben!“ erklärt der Kommandant, und alles stimmt ein. Aber es gibt zunächst noch eine Schwierigkeit zu überwinden, denn wieder sind Torpedoboote in der Nähe, die gewissermaßen eine Schutzmauer um den Kreuzer bilden.
„Drunterweg tauchen!“
Tiefer geht's. Man hört das Geräusch der Schiffsschrauben der Boote. Dann wird's still. Das Sehrohr steigt einen Augenblick auf. Gut so, die Kette liegt hinter dem Boot, der Kreuzer etwa 700 Meter entfernt. Der Kommandant gibt dem Boot den richtigen Kurs zum Gefecht.
„Erstes Rohr fertig!“ — nochmals ein Blick ins Rohr. Der Kommandant drückt auf einen Knopf. Ein Knall ertönt, ein Zischen. Das Boot erhält einen Stoß, und der Torpedo gleitet seinem Ziele zu.
Gleich darauf ändert das Boot feinen Kurs, um möglichst von einer anderen Seite noch einmal an den Feind heranzukommen. um ihm, wenn nötig, noch einen zweiten Schuß als „Fangschuß" zu versetzen. Auch dieses Manöver gelingt. Gleichzeitig sieht der Kommandant, daß sein erster Schuß gewirkt hat, der Kreuzer hat sich schräg gelegt, und von allen Seiten eilen Schiffe zum Retten herbei.
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Nun aber heiht's: unbemerkt verschwinden; denn die Jagd nach dem Übeltäter wird sofort beginnen.
Das Voot geht wieder in größere Tiefen und nimmt entgegengesetzten Rurs. Nach langer Fahrt steigt es etwas hoher, aber verdächtige Schraubengeräusche lassen es sofort wieder die sichere Tiefe aufsuchen. Wieder eine lange Fahrzeit. Man steigt höher. Nichts Verdächtiges. Das Sehrohr sucht den Horizont ab. Die Wasserfläche ist leer. Man taucht auf und fährt nun
eine beträchtliche Strecke mit Rurs auf die Heimat in aufge-
tauchtem Zustande.
Der Abend sinkt mit seiner Dämmerung hernieder. Es wird
dunkler. Plötzlich blitzt ein Helles grelles Leuchten über die
Wasserfläche und streicht suchend über sie weg. Feindliche Kreuzer auf der Wacht. Jetzt trifft der Strahl das Voot und haftet einen Augenblick auf ihm. Bevor einige Pulsschläge vergangen sind, donnern Geschütze, und Granaten schlagen ins Wasser. Aber das Boot ist bereits im Tauchen. Jetzt ist es verschwunden und für die Geschosse unverwundbar. Aber es wird von feindlichen Schiffen verfolgt und darf nicht wagen, emporzutauchen.
Nuhig bestimmt der Kommandant den Rurs. Einige (Stunden Fahrt, man muh in den heimischen Gewässern sein. Ein Funkspruch bringt der Station die Runde: „Wir haben feindlichen Rreuzer torpediert und werden verfolgt. Sendet Hilfe.- {
Ein deutscher Rreuzer fährt dem heimkehrenden Boote entgegen, das nun in aufgetauchtem Zustand wieder mit Petrolmotor fährt. Auf dem Rommandoturm steht der Rommandant, stolz und stark. Im Munde hat er die langentbehrte Zigarre, im Herzen trägt er die Hoffnung der Anwartschaft auf das „Eiserne Rreuz“ für sich und seine brave Mannschaft.
Weihnachten im Unterseeboot.
Nach ein paar Tagen der Nuhe, während deren die 17-Voote immer wieder instand gesetzt und zu neuen Unternehmungen klargemacht worden waren, geht die I7-Bootflottille am Abend des 23. Dezember wieder in See. In langer Riellinie fahren die Boote, nackdem sie die Schleuse passiert haben, die Jade hinab. Alle Luken der Boote sind luftdicht verschlossen, auf dem Turm steht der Rommandant mit seinem Stab: Wach-offizier, Signalmaat und Rudergänger. Im geschlossenen Leibe
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II. Auf hoher See und an fernen Küsten.
des Bootes entfaltet sich eine emsige Tätigkeit, jeder befindet sich auf seiner Station, während die Motoren surrend die Schraubenflügel drehen, einen Lärm verursachend, der sogar das harte Schlagen der an Der Bordwand sich brechenden Seen übertönt. Ter Mannschaft legt sich die durch Ol-, Teer- und hunöertelei andere Gerüche geschwängerte Luft schwer auf die Lungen. Durch das gefahrvolle Fahrwasser sich einen Weg suchend, passieren die Boote Helgoland und fahren nun getrennt, jedes seinen vorgeschriebenen Rurs einhaltend. Die Augen der auf der Brücke Stehenden, durch die scharfe Luft und die salzigen Spritzer gerötet, sind bemüht, die Dunkelheit zu durchdringen. Jeder klammert sich an die niedere Reeling, um nicht von einer der Sturzseen hinabgerissen zu werden, die sich wütend auf das platte, linoleumbeiegte Deck stürzen und die Absicht kundgeben, den ihnen scheinbar im Wege stehenden Turm mit den darauf befindlichen Menschen herabzureißen. Hochauf spritzt der Gischt gleich einer tveifzen Wolke über Deck und überschüttet die Mannschaft, den entblößten Körperteilen einen nicht geringen stechenden Schmerz verursachend. M tt'er-wcile weicht die Nacht dem dämmernden Morgen, und ais die Boote auf der Höhe der Dogger-Bank ankommen, hat die liebe Sonne, deren Strahlen wenig Wärme entwickeln, längst ihren Tageslaus begonnen. Die Schiffsleitung hat sich, da die Boote sich jetzt in feindlichem Wasser bewegen, ins Innere des Turmes zurückgezogen, da die Vorsicht es erheischt, unter Wasser mit ausgebrachtem Periskop zu fahren. Während der langen Fahrt war trotz größter Aufmerksamkeit kein feindliches Schiff in Sicht gekommen, und die Sonne verschwindet nun wieder Hinter den westlichen Wellenbergen, leichte Nebelschwaden senken sich, mit zunehmender Dunkelheit immer dichter werdend, auf die Wasserfläche herab, die sich im Schutz der englischen Rüste beruhigt hat. Unser Boot gleitet, nur einige Meter getaucht, mit langsamer Fahrt durch das Wasser. Der Kommandant, auf die Platte sehend, die ihm das vor dem Boot befindliche Seefeld vermittelst des Periskops widerspiegelt, sieht nur Nacht, kein Lichtschein kommt in Sieht. Seine Gedanken schweifen in die Heimat zurück, zurück nach Frau und Rindern; er sieht seine Lieben um den lichteralänzenden Weihnachtsbaiim versammelt, strahlenden Auaes blicken die Kleinen in den Lichterglanz der Kerzen. Und siehe — das oberste Licht überstrahlt alle die anderen, es nimmt eine grüne und eine rote Färbung an. wird immer größer, und — Was war da? Ein schriller Ton
II. Auf hoher See und an fernen Küsten.
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durcheilt jäh die Näume des Bootes, Kommandorufe erschallen, die Mannschaften, die an ihren Stationen teilweise auch ihren Gedanken nachgehangen hatten, werden durch den Klang der Alarmglocke unsanft in die rauhe Wirklichkeit gerissen und führen nun mit großer Schnelligkeit die erteilten Befehle aus. Die Motoren arbeiten heftig, und die Schraubenflügel drehen sich in rasender Geschwindigkeit, während die Vertikalruder sich scharf nach unten legen. Bange Minuten folgen. Der Tiesenzeiger zeigt, dem Beobachter viel zu langsam, ein Meter nach dem anderen an, und erleichtert atmet jeder auf, als 20 Meter Tiefe erreicht sind und somit die Gefahr, in der das Boot soeben geschwebt, vorüber ist. Was war geschehen? Das rote und grüne Licht kündeten das Herannahen eines feindlichen Panzers, der den Kurs des U-Bootes kreuzte und sich mit grotzer Schnelligkeit dem Boot näherte. Dieses wäre überrannt worden, wenn der Kommandant nicht noch rechtzeitig die Gefahr erkannt und Boot und Mannschaft vor dem Untergang bewahrt hätte.
Die Heldentat des U. 9.
Wir fuhren am Sonntag, den 20., in aller Frühe von Helgoland fort und kamen am Dienstag, den 22., 6 Uhr, an die holländische Küste, wo wir in der Ferne Rauchwolken aufsteigen sahen. Darauf tauchten wir mit unserem Boot unter und fuhren darauf zu. Beim Näherkommen erkannten wir. das; es drei englische Panzerkreuzer waren. Wir liehen nun, ohne bemerkt zu werden, das erste1) an uns vorüberfahren und schossen auf das zweite2) in ca. 1500 Meter Entfernung einen Torpedo ab, der das Schiff sehr gut traf, so datz es nach einer Viertelstunde versank. Das erste Schiff eilte nun zuhilfe, und konnten wir auf dieses auf 500 Meter einen Doppelschutz, also zwei Torpedos zugleich, abfeuern, die beide Volltreffer waren, so datz dieses Schiff schon nach 3—4 Minuten von der Bildfläche verschwunden war. Nun mutzten wir erst wieder frische Torpedos laden. Wahrend dieser Zeit kam auch der dritte Kreuzer3) zuhilfe, auf 100 Meter konnten wir auch auf diesen einen Doppelschutz abgeben. Da er aber nicht recht versinken wollte, bekam er noch den letzten Torpedo, den wir hatten, woraus er sich sogleich auf die Seite legte und kieloben unterging. In der Nähe befanden sich zwei holländische Fischerboote, welche sich an den Nettungsarbeiten beteiligten. Wir fuhren aber davon,
*) Aboukir, *) Hogue, *) Cresiy.
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II. Auf hoher See und an fernen Küsten.
natürlich immer unter Wasser. Nach einer Viertelstunde tauchten wir aus und fuhren über Wasser nach Hause. Um 11 Uhr bemerkten mir, datz mir von englischen Torpedozerslörern ver-solgt rnurden, die uns zuletzt so dicht aus den Leib kamen, datz mir von 5 Uhr nachmittags mieder unter Wasser fuhren, was mir bis 11 Uhr abends meilermachten. Da sie uns nun überholten und den Weg verlegten, sahen mir uns genötigt, da auch die Batterie knapp murde, aus den Grund zu tauchen und liegen zu bleiben. Wir lagen von 11 Uhr abends bis 6 Uhr morgens aus 32 Meter Wassertiese und ca. 40 Seemeilen von der Elbmündung. Als mir mieder hochkamen, mar vom Feind nichts mehr zu sehen, und mir machten klar zur Weiterfahrt der Heimat zu. Um 7 Uhr gaben mir Funkspruch, und nach einigen Stunden mürben mir von deutschen Torpedobooten mit Hurra empfangen, melche uns nach dem Heimathafen begleiteten,
Wir und die Welt.
Wir haben gefchroiegen im Völkerrat,
Einmal und zroeimal und mehr;
Und standen zur Seite und mieden die Tat —
Einmal und zmeimal und mehr!
Wir haben uns nimmermehr beeilt,
Als man die Erde aufgeteilt:
Wir hörten der andern heiseren Schrei —
Wir molllen den Frieden — und standen dabei —
Einmal und zmeimal und mehr!
Und dennoch gaben sie feine Nuh,
Keinen Tag und nimmermehr.
Und sahen uns scheel und neidisch zu Einmal und zroeimal und mehr!
Sie haben gehöhnt und haben gehetzt Und Säbel geschliffen und Messer gemotzt,
Den Deutschen zu schimpfen, mar feiner zu faul?
Wir wollten den Frieden! — Wir hielten das Mau!» Einmal und zweimal und mehr!
Sie trieben durch Jahre das frevle Spiel Mehr noch und immer mehr!
Bis der Tag anbrach, der Gott gefiel,
Einmal und nimmermehr.
Bis die Erde ward von Lügen krank,
II. Auf hoher See und an fernen Küsten.
Dis der Hasser Heulen zum Himmel stank,
Bis der Deutsche sprach: „Nun ist es genug,
Nun duld ich die Lüge und dulde den Trug Nimmer und nimmermehr?"
Und er fuhr empor wie ein Wetterstrahl,
Und er blickte rings umher,
Und er sah seiner Neider Überzahl,
Einen und manchen mehr!
Sah im Ost den Feind und im West den Feind, Mit dem Russen den Franzmann eng vereint; Und den Serben dann, und den Belgier dann, Und den Briten und alles, was lügen kann, Mehr noch und manche mehr!
Montenegro noch und Ägypten noch,
Ist es wirklich keiner mehr?
Die Feinde kriechen aus jedem Loch,
Mehr noch und viele mehr!
Der Lügenbrite ist immer noch feig,
Er knetet weiter den Bündnisteig,
Hat immer noch Angst vor des Deutschen Sieg. Da hetzt er den Japsen hinein in den Krieg — Den noch und manchen mehr!
Mit Senegalnegern — o schmähliche Zeit! — Füllte der Welsche sein zitternd Heer,
Mit dem Volk, das die Wüste Sahara ausspeit, Mit dem Turko und manchem mehr!
Und aus Britanniens Riefenfchotz Bricht der Schwarze, der Braune, der Gelbe los Es tanzt nach dem englischen Dudelsack Fünfhundert Millionen Sklavenpack — —
Gegen einen — — hundertmal mehr!
Der Feinde Hohn und der Übermacht Spott Nast durch die Welt daher.
Und der Deutsche betet: „Nun helfe mir Gott Einmal, nur einmal mehr!“
Und es fiel feine Faust, und es fiel fein Streich, Da fank der Belgier zu Boden gleich.
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II. Auf hoher See und an fernen Küsten.
Und ein neuer Tag und ein neuer Schlag —
Vis daß ber Franzos' auf den Knien lag?
Recht so! Und mehr noch! Noch mehr!
Nun zittre, Brite! Wie ein Taifun stark Ist des Deutschen blanke Wehr,
Es trifft sein Schlag und er trifft ins Mark Einmal und zweimal und mehr!
Nun zittre, Nüsse! Und denke dran:
Auch deine Stunde naht schon heran.
Nur ein Atemholen! Nur Zeit, nur Zeit!
Auch dir ist ein heiles Süpplein bereit,
Einmal und zweimal und mehr!
Ein Schlag erdröhnt durch die ganze Welt Einmal und zweimal und mehr!
Wo der Deutsche trifft — ist ein Heer zerfpellt,
Eines und noch eins mehr!
Still lauscht die Welt und atemlos:
Denn dies Ringen ist so gewaltig grofo;
Und in dem wilden, dem letzten Krieg,
Pflückt sich der Deutsche den ewigen Sieg:
Er allein — und keiner mehr!
Hanns Heinz Ewers.
Was Mannschaften erzählten vom Untergang der „Magdeburg".
^ Es herrschte dichter Nebel. Die Aussicht war grau in grau verhüllt, steine hundert Meter weit konnte man sehen. Wu fuhren, nachdem wir im Finnischen Meerbusen gekreuzt hatten, auf eine unbewohnte russische Insel zu. Es war Befehl gekommen, einem vor uns fahrenden Schiff, das uns den Weg zeigen sollte, zu folgen. Gefeuert sollte nicht werben. Alles mutzte in größter Nuhe geschehen, um ben Feinb nicht zu alar mieren. Mit halber Kraft folgten wir bem Piloten. Plötzlich war biefer im Nebel verschwunben. Nun galt es, auf eigene Faust weiterzufahren. Wir suchten uns nach ber Seekarte ben Weg. Da plötzlich — ein Knirschen, ein Zittern ging burch ben stolzen Leib ber „Magbeburg“. Ein leises Beben folgte. Wn waren auf eines ber in ber bortigen Geqenb zahlreichen Riffe aufgefahren. Wo wir uns befanben, roufote vielleicht nur ber
II. Auf hoher See und an fernen Küsten. 67
Kommandant, von der Mannschaft niemand; denn der Nebe. war inzwischen noch dichter geworden, so dasz absolut keine ^rrnsicht mehr vorhanden war. Auf der Kommandobrücke stehend, erteilte der Kommandant seine Befehle mit eisiger Ruhe. Keine Muskel zuckte in seinem Gesicht. Wie ein treuer Soldat stand er da oben und erteilte uns seine Befehle, als befänden wir uns im Manöver. Wir alle aber wußten, daß es bitterer Einst war. Denn mitten in Feindesland auf ein Riff gefahren zu sein, das sonnte nur den Untergang bedeuten, wenn wir nicht schnell wieder freikamen, jedenfalls früher freikamen, als bis der Nebel sich verzogen hatte. Es wurden denn auch die verzweifeltsten Anstrengungen gemacht, um das Schiff zu retten. 3n diesen ernsten Stunden hat niemand an sein eigenes Leben gedacht. Alles arbeitete fieberhaft an dem Versuche, die Sandbank verlassen zu können. Es gelang nicht. Unser schönes Schiff, auf dem wir so herrliche Stunden verlebt haben, war ocnt Untergang geweiht. Diese Erkenntnis brach sich bei allen Bahn. Rasend arbeitete bie Maschine. Das Schiff ächzte und stöhnte, bewegte fich aber nicht nach rückwärts.
Da zerrissen langsam bie Nebelwände. Vor uns sahen wir feindliche Schiffe,' die unsere Annäherung gar nicht bemerkt hatten. So vorzüglich war unser Manöver gelungen. Die Magdeburg“ bekam von den russischen Schiffen und den Batterien Feuer, als sei die Hölle losgegangen. Wir haben aber auck nicht mit Munition gespart. Schutz auf Schutz krachte, und vor allen Dingen: fast jeder traf und satz, was man von ber russischen Artillerie gerabe nicht behaupten kann. Unb wenn ein mal ein Gcschotz auf uns nieberging, bann krepierte es nicht. Ein Torpedoboot, bas in unserer Nähe war, unterstützte lebhaft unser Feuer. Wir aber boten in unserer hilflosen Lage bem Feinde ein gutes Ziel. Es ist doch keine Kunst, ein stilliegendes Fahrzeug zu treffen. Schlag aus Schlag sausten unsere Granaten in die russischen Batterien hinein und haben ihnen schweren Schaden zugefügt. Einige würben zum Schweigen gebracht. Die Verluste ber Russen müssen enorm sein. Der Nebel hatte tvieber zugenommen, so batz wir nicht beobachten konnten, ob auch russische Schiffe gesunken sinb. Anzunehmen ist bies aber sicher. Als unser ftommanbant keine Rettung mehr sah, befahl er, bie „Magbeburg“ in bie Luft zu sprengen. Wir sahen unseren Kommandanten jetzt zum erstenmal weinen. Er wischt-' sich bie Tränen, bie ihm über bie Backen liefen, mit ber ?ort. Dann starb er ben Tob fürs Vaterlanb.
68 II. Auf hoher See und an fernen Sttifteu.
Die Erplvsion erfolgte im Vorderschiff. Ein dumpfer Knall dorrte, dem ein furchtbarer Schlag und eine dichte Rauchwolke folgte. Und zum letzten Male vernahmen wir die Stimme des Kommandanten, die weithin über das Deck schallte:' „Adieu, Kameraden ! Rette sich, wer kann. Seine Majestät der "Kaiser' Hurrra!“ Dann neigte sich der Vorderteil des Schiffes. Wer nicht durch den gewaltigen Luftdruck über Bord geschleudert worden war, sprang jetzt ins Wasser. Nur der Kommandant, der sich fest an die Kommandobrücke angeklammert hatte, wankte nichts Grüßend sank er mit seinem Schiff in die Tiefe...
Inzwischen waren die russischen Schiffe näher heran« gekommen und begannen jetzt ein wildes Feuer aus allernäch. ster Nähe auf das Torpedoboot. Besseren Schützen als den Russen hätte das Boot nicht entkommen können. So aber wurden von dem Torpedoboot aus umfangreiche Rettungsversuche gemacht und auch recht gute Resultate erzielt. Dicht an das Torpedoboot heranzukommen, wagten die Russen nicht, wohl aber schossen sie auf die im Wasser schwimmenden Mannschaften, von denen einige sicher durch die russischen Kugeln ae* troffen worden sind.
Untergang der „Trafalgar".
Am Montag, den 14. September, wurden wir beim Kohlen von dem englischen Hilfskreuzer „Carmania" überrascht. Als dieselbe noch etwa 7—8 Seemeilen von uns ab war, morste er mit seinem Scheinwerfer. Hierauf hißten wir in sämtlichen Masten die deutsche Kriegsflagge. Dieselbe war noch nicht hoch, als die „Carmania" schon zu schießen anfing. Wir erwiderten das Feuer, und es entspann sich ein heftiger Kampf, der etwa 1^2 Stunden dauerte. Wir bekamen mehrere Unterwasserschüsse, während wir vom „Garmania“ die ganze Kommandobrücke wegschössen und auf derselben ein großes Feuer ausbrach, so daß er schleunigst das Weite suchte, und wir ihn verfolgten. Aber mittlerweile hatte unser Schiff mächtig Schlagseite" bekommen. Als der Engländer dieses sah, drehte er wieder bei und begann von neuem zu feuern. Es gelang uns, feine Ge. schütze bis auf eins zu vernichten, aber zuletzt konnten wir nicht mehr schießen, weil unser Schiff mächtig nach Steuerbord über* fag. Durch die Unterwasserschüsse bekamen wir viel Wasser in ' Bunker. Die Bunkerwände waren dem Wasserdruck nicht 1 ew^hsen und brachen, so daß zwei Heizräume gänzlich unter
11. Auf hoher See und an fernen Küsten. 69
Wasser kamen. Allmählich bekamen wir 25° Schlagseite. Dann fiel das Schiff plötzlich auf 20° Schlagseite, so daß wir uns in der Maschine schon alle festhalten mußten. Als „Lap Trafalgar" immer noch weiter überfiel und schon über 30" nach Steuerbord lag, gab unser Kommandant, Korvettenkapitän Wirth, den Befehl, das Schiff in die Luft zu sprengen. Es wurden aus jeder Seite in der Maschine zwei Sprenggrcmaten mit Zeitzündern angesteckt, dann die Maschine gestoppt, und nun ging die Kletterei los. Als wir mit ungefähr 10 Mann, die noch unten geblieben waren, auf dem Bootsdeck erschienen, bot sich uns ein trauriges Bild. Beinahe alle Boote waren zerschossen, und die heilen waren schon zu Wasser gelassen. Hose und Stiefel ausziehen, Schwimmweste um, und dann rinn ins Wasser und ungefähr 20 Minuten bis zum Boot geschwommen. Als ich aber im Boot war, legte sich die „Trafalgar" ganz auf die Seite, und mit wehenden Fahnen, die eine total zerschossen, ging die „Trafalgar", nachdem wir drei Hurras auf unseren Kaiser ausbrachten, unter den Klängen des Flaggenliedes in die Tiefe.
Auf telegraphischen Anruf war die „Eleonore Woermann0 zu Hilfe geeilt, und es wurden beinahe alle gerettet. Den Heldentod durch Gefchützfeuer starben Leutnant Schreiner unh Koch Zirkelbach. Der Kommandant ging mit zwei Oberleutnants, die es sich zur Ehre anrechneten, unter. Im ganzen verloren wir 15 Mann; viele wurden von Haien gefressen, sonst wären wohl nur wenige ertrunken, denn die Schwimmwesten halten einen ohne weiteres über Wasser.
Wie tapfer wir gekämpft haben, geht daraus hervor, baß es uns mit zwei 10,5 em-Eeschützen gelang, dem Engländer, der mindestens sechs 15 und zwei 10,5 em-Eefchütze, also im ganzen acht, hatte, so zuzusetzen, baß er nicht imstande war, uns gefangen zu nehmen. Er dampfte schleunigst, in eine große Rauchwolke gehüllt, nach Westen weiter. Wir hörten nur noch einmal seine Notsignale; dann wird ihm wohl das Schwimmen vergangen sein.
Dieses Lügenpack berichtet bann nach Montevideo, daß wir auf seine Boote geschossen hätten, bie er zu Wasser gelassen hatte; aber er weiß natürlich nicht, wo er seine Toten, die unsere Sprenggrcmaten verursacht haben, verbergen soll, unb beshalb greift er zu so gemeinem Mittel; benn als wir unsere Boote zu Wasser ließen, schoß er noch auf biefelben, weil wir bie Flagge nicht gestrichen hatten. Unser Schiff lag so schief, baß
70 U. Auf hoher See und an fernen Küsten.
es überhaupt unmöglich war, noch eine Patrone ins Geschütz zu bekommen. Also haben wir uns brav verteidigt, wenn wir auch nichts weiter als das nackte Leben gerettet haben.
Nun, nachdem uns die „Eleonore Woermann" ausgenonv men hatte, hietz es vor allen Dingen daraus bedacht sein, daß ilns der Feind, der 20 Kreuzer und Hilfskreuzer hinter dem Äquator stehen hat, nicht gefangen nahm. Wir dampften dann unter allen möglichen und unmöglichen Kursen nach Montevideo zu. Unterwegs sichteten wir einmal Rauch, und schleif nigst wurde wieder umgekehrt. Mittwoch nacht wurde dann der Durchbruchsversuch nach Buenos Aires unternommen und glücklich ausgeführt. Allerdings hatten wir sehr günstiges Wetter. Als wir in Buenos Aires ankamen, fragte uns die Regierung ob uns die Engländer denn so durchgelassen hätten. Sie waren alle sprachlos, datz es uns gelungen war, die Kette des Feindes zu durchbrechen, denn auf dem La Plata lagen fünf englische Kriegsschiffe, die sehnsüchtig auf uns warteten. Na. als wir dann in neutralem Fahrwasser waren, haben wir dann gleich telegraphisch mitgeteilt, dah wir gut durch ihre Reihe hindurchgekommen sind. Nur haben wir unsere Schwerverwun beten, alles wahre Helden, wie man es in Büchern liest. Wer so etwas nicht mitgemacht hat, der glaubt es einfach nicht. Ein Matrose, welcher das linke Bein verlor, bat, man möchte ihn doch ins Wasser werfen, damit er nicht in Gefangenschaft gerate. Seine Kameraden ließen ihn ins Wasser, und mit dem Bein, das nur noch an ein paar Sehnen hing — ich habe es selbst gesehen—, ist er beinahe eine Stunde geschwommen und ist gerettet worden. Ich fragte ihn, ob er denn nichts davon gespürt hätte ? Darauf antwortete er mir, nur wenn er das Bein beim Schwimmen nach hinten stieß, dann zuckte es etwas. Unser Kapitänleutnant, ebenfalls ein wahrer Held! Das rechte Bein an zwei Stellen zerschossen, Granatsplitter im Rücken, so lief er mit zerfetzten Kleidern bis zum letzten Augenblick umher, das Schiff als einer der letzten verlassend. Der Matrose Zimmer mann bekam einen Bauchschutz, hielt sich denselben mit dem reckten Ellenbogen dicht und stopfte eine Granate nach der anderen ins Geschütz hinein. Im ganzen hatten wir fünf Schwerverwundete, die alle gerettet wurden und in Buenos Aires ins Hospital kamen.
II. Auf hoher See und an fernen Küsten.
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Stolz weht die Flagge schwarz-weis)-rst!
Stolz weht die Flagge schwarz-weih-rot Von uns'rer Schiffe Mast;
Dem Feinde weh', der sie bedroht,
Der diese Fahne haht!
Sie flattert an der Heimat Strand Im Winde hin und her,
Unb fern vom teuren Vaterlanb Auf sturmbewegtem Meer.
Ihr woll'n wir treu ergeben sein.
Getreu bis in den Tod,
Ihr woll'n wir unser Leben weih'n,
Der Flagge schwarz-weih-rot!
Das Seegefecht bei Helgoland am 28. August.
In einer englischen Zeitung veröffentlichte ein Seeoffizier, der sich an Bord eines der beteiligten englischen Zerstörer befunden hat, folgenden anschaulichen und sachlichen Bericht: hinsichtlich unseres Kampfes bei Helgoland kann ich wohl sagen, bah unsere Zeitungen eine Sache aufbauschen, die in Wirklichkeit ein Vorpostengefecht war. — Wir Torpedozerstörer gingen vor, um den Feind herauszulocken und hatten eine Menge aufregender Momente. — Dann kamen die „großen Burschen" — wir waren froh, daß sie kamen — und hatten eine ausgezeichnete Scheibenschiefeübung. Aber man darf nicht benfen, bah wir einen Kampf hatten, benn es war ein Abschlachten, nicht ein Kampf. Es war großartige Strategie, bah wir überwältigenbe Kräfte zur Stelle hatten, aber biese hatten weiter nichts zu tun, als ben Feinb abzuschieben, gerabe so, wie Papa Fasanen schient.
Es war geradezu erfrischend, die alte „Fearleh" in diesem ihren zweiten Gefecht in den Kampf gehen und nach frischen Feinden ausschauen zu sehen. Bis die „großen Brüber" herankommen konnten, war sie unser ein unb alles, unb babei hatte sie keine größeren Kanonen, als wir haben. Ich habe auch gelernt, bah ein großer Unterschieb ist zwischen einer vierzölligen Kanone auf einem Kreuzer unb einem oierzölliqen Geschütz auf einem Zerstörer. Persönlich bin ich ber Ansicht, bah ein Kreuzer mit einem „breizölligen“ ungefähr einem Zerstörer mit
73 It. Auf hoher See und an fernen Küsten.
.„vierzölligen" entspricht, wobei ich allerdings einschalten mu& datz ich die Sache vom Standpunkt des Torpedozerstörers aus betrachte. Bei Tageslicht wird fein Zerstörer einen noch so leichten Kreuzer angreifen, es sei denn, daß ganz besondere Vor--eile ihn begünstigen, und selbst dann wird für den Zerstörer immer ein großes Risiko damit verbunden sein.
Haben Sie je einen Hund in eine Herde Schafe brechen und sie zerstreuen sehen? Er macht sich zuerst an das nächste heran und verbellt es. Dann verbellt er ein anderes, und die Herde breitet sich fächerförmig aus. So sieht man denn vor dem Hund allmählich einen Halbkreis von Schafen und hinter ihm Nichts! — Das war ungefähr, was wir am 28. August um 7 Uhr morgens taten. Die Schafe waren die deutschen Torpedoboote, die bis auf Schutzweite zurückfielen und nun versuchten, uns unter die Geschütze von Helgoland zu locken. Aber ein Kreuzer (die „Ariadne"?) kam heran und engagierte unsere „Arethufa“. Sie hatten eine Aussprache von Herz zu Herz, und wir schauten zu. Einige von uns versuchten den Feind zu beschießen, aber es ging über unsere (Schieß-) Distanz hinaus.
Näher und näher kamen wir an Helgoland heran; es herrschte dichter Nebel, und ich erwartete jeden Augenblick, daß die Festungen der Insel uns bombardieren würden. Da zog sich die „Arethusa“ plötzlich zurück, nachdem sie vorher zum mindesten einen guten Treffer auf den Feind gelandet hatte. Aber auch dieser gab alles von sich, was er nur in sich stecken hatte. Wir rangierten dann in neuer Stellung, aber ein starker Zerstörer, der zu unseren Unterseebooten gehörte, wurde gejagt, so daß „Arethusa“ und „Fearletz“ wieder umdrehten, um ihn zu schützen. Wir hörten achtern sich ein heftiges Gefecht entwickeln, so daß wir auf Befehl unseres Flvttillenführers wieder umdrehten, um zu helfen. Aber die Unsrigen hatten den Feind schon vertrieben, und wir wurden angewiesen, uns hinter der „Areihusa“ zu formieren. Während wir noch formierten, ziemlich zusammengebündelt waren und eine schöne Zielscheibe boten, kamen plötzlich aus dem Nebel fünf oder sechs Granaten geflogen, feine 150 Mrds entfernt. Während wir noch schauten, woher sie kämen, durchzuckten wiederum fünf oder sechs feurige Stiche den Nebel, und nun konnten wir einen Kreuzer mit vier Schornsteinen, der „BresIauMUasfe angehörig, unterscheiden. Es war die „Köln". Wir warteten 15 Sekunden, und Schuß und Kanonendonner war fast eins, jetzt nur noch 50 Pards ■entfernt. Ihre nächste Salve ging über uns weg, und ich duckte
11. Auf hoher See und an fernen Küsten. -73
mich nieder, als sie wie ein Zug schneller Rebhühner über uns dinsauste.
Für unseren Kapitän schien es sich um etwas Alltägliches zu handeln. Er lieg sofort volle Rraft vorausgehen, um unser Bündel zu entwirren und weniger Zielscheibe darzubieten, während gleichzeitig der Kommodore der „Arethusa" signalisierte, daß wir mit Torpedos angreifen sollten. Wir schwenkten also wieder im rechten Winkel herum und mit Volldampf gegen den Feind, wie bei einer Husaren-Attacke. Unser Boot hatte einen prächtigen Start, so daß das ganze Feld von uns gejährt wurde und der Feind während der nächsten 10 Minuten sein ganzes Feuer auf uns konzentrierte. Als wir so nahe heranwaren, batz die Granatstücke auf Deck fielen, änderten wir den Rurs und warfen dadurch ihre Rechnung über unsere Schnelligkeit um, so daß sie diese ganze Arbeit noch einmal machen mutzten.
Nach zehn Minuten kamen wir nahe genug, unsern Torpedo abzufeuern, und drehten dann zur „Arethusa“ um. Dann kam der nächste Zerstörer heran, feuerte seinen Torpedo ab, und natürlich konzentrierte der Feind nun auf ihn sein Feuer anstatt auf uns! Welch eine Erlösung! Nach den Zerstörern kam die „Fearletz" Herart und blieb aus der Bühne. Wir merkten bald, datz sie mit einem Dreischornsteiner, der „Mainz", im Gefeck! war. Wir brachen wieder los, diesmal gegen die „Mainz", während die zum Krüppel gewordene „Arethufa“ nur noch ein Schwimmtrog war und durch uns, ihre Rinder, beschützt werden mutzte. Raum hatten wir uns in Bewegung gesetzt, als aus dem Nebel heraus, quer zu unserer Front und in wütender Verfolgung, das erste Rreuzergeschwaber — die Städte-Rlasse, „Birmingham" usw. — jede Einheit drei „Mainz“ gewachsen — erscheint. Während wir nun zuschauen und unsere Rraft reduzieren, eröffneten sie das Feuer, und das klare „Bäng-Bäng?" ihrer Ranonen war für uns wie ein kühlender Trunk.
Die „Mainz“ zeigte sich außerordentlich tapfer. Wie ich sie zuletzt sah, oben und unten ein Wrack, mittschiffs ein rauchendes Inferno, hatte sie vorn und achtern noch ein Geschütz, die immer noch Wut und Rampf ausspien, gerade wie eine verwundete Wildkatze. Unser eigener vierschornsteiniger Freund begann in diesem Augenblick noch einige Salven zu feuern, aber mehr ober weniger mit halbem Herzen bei der Sache, wie auch wir oerbammt gleichgültig geworben waren, benrt siehe da, genau vor uns, in mächtiger Prozession, wie Elefanten,
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II. Auf hoher See und an fernen Küsten.
die durch eine Meute von Hunden schreiten, kamen „Lion“ «Queen Mary", „Inoincible" und „New Zealand«," grofc' grimmig und plump wie einige antidiluvianische Ungeheuer. Sie schauten aus, als ob sie die Erde erbeben machen konnten.
2Bir machten sie auf unseren letzten Widersacher aufmerksam, den sie von ihrem Standort aus noch nicht wahrnehmen konnten. Sie dampfen über das Schlachtfeld, links und rechts oon kleinen Zerstörern flankiert. Etwas später Hörten wir den Donner ihrer Rationen für eine kurze Meile, und dann war alles Schweigen, und wir wußten, datz alles vorbei sei.
Aus englischer Gefangenschaft entkommen.
Ein deutscher 22jäHriger Matrose, namens N. Hansen, dem es gelungen ist, aus der englischen Gefangenschaft zu entkommen, erzählt:
»Ich befand mich bei Kriegsausbruch an Bord des norwegischen Dampfers „Grane", der von Bergen in See ging. Bei den Kanarischen Inseln wurden wir von einem englischen Torpedoboot durch das Megaphon angerufen, ob Deutsche an Bord wären. Unser Kapitän bejahte, worauf die Weisung zurückkam, die Deutschen hätten sich im Heiz- oder Maschinenraum aufzuhalten, sich jedenfalls nicht an Deck zu zeigen. Ich ging darauf in den Maschinenraum. Bald darauf wurde unser Schiff zum zweiten Male angerufen, und zwar oon einem englischen Lotsenkutter. Ein englischer Lotse kam mit einem Matrosen an Bord, und von ihnen erfuhren wir zuerst, daß zwischen England und Deutschland der Krieg ausgebrochen wäre. Der englische Matrose kam in den Maschinenraum und wollte mich verprügeln; als ich aber dann ihm mit handgreiflicher Gebärde zu oerstehen gab, datz ich Hamburger wäre und mich oor nichts fürchtete, zog sich der Engländer schleunigst an Deck zurück. Wir fuhren dann nach Hüll. Die Maschine stoppte kaum, als auch schon sechs englische Soldaten an Bord kamen und uns Deutsche festnahmen. Die Engländer luden vor unseren Augen ihre Gewehre, pflanzten die Seitengewehre auf und gaben uns zu verstehen, datz jeder, der zu entfliehen versuchte, niedergeschossen würde. Es wurde uns nicht gestattet, auch nur das Geringste mitzunehmen; wir durften uns nicht einmal waschen. So kam ich mit einem Sammeltransport von 30 Mann zusammen, der bei strömendem Negen zu Futz nach Goole geführt wurde. Hier wurden wir zunächst einmal wie Schwerverbrecher pbotogra-
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pyiert. Für diesen Zweck wurde uns ein Jackett geliefert, soweit wir keins hatten mitnehmen dürfen.
Nun begann erst eigentlich unsere Leidenszeit. 20 Soldaten mit Gewehren geleiteten uns nach Dorf Castle. Das war ein Weg oon 14 Tagen, den wir, bewacht oon etwa 20 Soldaten! bei durchweg strömendem Regen zu Futz zurücklegen mußten. Unsere Nahrung bestand in kaltem Kaffee, und morgens, mittags und abends einem Stück Brot. Ein einziges Mal bekamen wir oon unserer Quartierwirtin in einem Dorfe warme Bohnen. So ging es fünf Tage lang. Wenn wir, weil wir uns die Fütze wund gelaufen hatten oder oor Erschöpfung nicht weiterkonnten, um kurze Nast baten, bekamen wir oon unseren Transporteuren Kolbenstoße. Geschlafen wurde auf freiem Felde oder im Chausseegraben, ohne Decken, geschweige denn, datz wir in Zelten nächtigen konnten. Als wir in 5) orf Castle ankamen, waren verschiedene von uns krank. Wir baten um einen Arzt, worauf uns die Antwort zuteil wurde, für die deutschen Hunde wäre kein Arzt da! In unserer verzweifelten Stimmung fielen wir nun über unsere Wache, die unser Peiniger war, her. Zur Strafe wurden wir in Retten gelegt und krumm geschlossen und dann zu 14 Mann in den Festungsturm geschlossen. -
Eines Tages hietz es, datz wir wieder zurück nach Goole muhten, weil die Festung Pork Castle für deutsche Kriegsgefangene freigemacht werden müßte. Der Rückmarsch vollzog sich genau so wie der Hinmarsch. Am Pier von Goole verabredeten wir uns zu vier Mann, zu fliehen. Unsere Kameraden, die ins Einverständnis gezogen waren, veranstalteten eine künstliche Schlägerei, während deren vier von uns ins Wasser sprangen. Wir tauchten sofort und schwammen eine Strecke unter Wasser. Ein Kamerad von mir, namens Strecker, der nicht mehr tauchen konnte, kam an den Wasserspiegel empor und erhielt von einem der bewaffneten Soldaten einen tödlichen Schutz in den Hinterkopf. Er sank fofort unter, und wir haben ihn nicht wieder gesehen. Wir anderen schwammen auf ein norwegisches Schiff zu, das auf der Rede im Nebel lag. Durd) die Ankerklüse zwängten wir uns an Deck. Dem Wachmann gaben wir ein paar Groschen, damit er uns nicht sehen sollte Er ging bann ins Mannfchastslogis. Wir drei Flüchtlinge vei steckten uns im Kohlenbunker. Nach 2% Tagen ging der eng lUcke Lotse von Bord. Dann kamen wir aus unserem Versteck
hervor und sind dann über Malmö und Lübeck glücklich nach Hause gekommen.
Bon Algier nach Messina.
Am 4. August früh, im fahlen Frühlicht, wird die afrikanische Rüste erspäht. Rein Feind. Biserla scheint zu schlafen, niemand ist den deutschen Panzerreitern auf der Spur. Langsam zieht sich die „Breslau" voraus und entschwindet im Westen. Pünktlich mit Tagesanbruch senden beide der afrikanischen Rüste ihre ehernen Grütze. In Philippeville und Bone liegen die Dampfer friedlich am Rai, die französische Truppen von Algier nach ber Heimat bringen sollen. Hei, wie die Granaten hineinsausen in den Hafen und ihnen die Lust vergällen. Balb ist das Zerstörungswerk getan — unb blitzschnell, wie sie kamen, sinb unsere Rreuzer verschwunben. Noch immer kein Feind, denn die Ranonen, die von Land widerdonnerten, sie waren nicht gar so ernst zu nehmen. Am verabredeten Punkte trifft man sich, und am 5. nimmt der gastliche Hafen von Messina unsere Panzerreiter wieder auf.
Jetzt wird es ernst! Nun gilt es, noch einmal Rohlen zu nehmen, so viel man kann, um größeren Ausgaben gewachsen Zu sein. Allmählich haben unsere Feinde sich den Schlaf aus den Augen gerieben. Der Hafen von Messina ist umstellt, en-lische Schlachtkreuzer und französische Geschwader sind gemeldet. Auch der freundwillige Neutrale darf kriegführenden Schiffen nur genau befristeten Aufenthalt gewähren. Es heißt also, schnell der jetzt doppelt kostbaren Diamanten so viel hinein in die Schiffe, wie sie fassen wollen. Der Neutrale erlaubt so viel, daß sie den nächsten Heimatshafen erreichen können, unb dann endlich und wirklich — ran an den Feind und durch!
Die Sonne finkt tiefer, dunkle Schatten breiten sich über dir Straße von Messina, stärker qualmen die Schlote, durch bie Stille schellt bas Rlingen ber Ankerketten beim Ankerlichten Taufenbköpfig brängt sich bie Menge am Hafen. Da erklinqi vom Flaggschiff „Goeben" hell bie Musik: „Heil bir im Sieaer-krctnz!“ Unbebeckten Hauptes stehen Offiziere unb Mannschaften an Deck, brausenb schallen brei Hurras auf ben Rrieqsherrn herüber zum Ufer, wo schweigenb bie Volksmenge harrt, ergriffen von ber heiteren Nuhe unb Zuversicht, mit ber beutscke Seeleute in ben Rampf ziehen. Nur ber Monb leuchtet balb ber nächtlichen Fahrt. Tiefe Stille, mein hat toobl Ranonenbonner
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gehört weit in der Ferne, Trümmer hat man gefunden non einem englischen Schiff, aber noch schweigt jede Kunde, was öem lauernden Feinde alles geschah. Emes nur wissen wir: Sie sind durch!
„Goeben" und „Breslau" vor Messina.
Durch Messina geht ein Raunen und Staunen,
Dunkle Menschenscharen wälzen sich zum Meer,
Fernher klingt es wie von Kriegsposaunen,
Greift in Menschenseelen, schauernd, grosz und schwer.
Schwarz und ehern stehn wie Eisenwände Deutsche Schiffe dort im Glanz der Abendröte,
Und viel aufgeregte Italienerhände
Deuten nach dem dicken Qualm der Schlote.
Männerschreie fliegen wirr und Weiber stöhnen:
Hört ihr schon die Ankerketten dröhnen —
Deutschland, Deutschland, ach wie wird bir’s gehn — Draußen will Britannia bich erlauern!
Tausenb Menschen stehn in Tobesschauern,
Die um Deutschlands Flaggen wehn.
Plötzlich — Horch! Vom Flaggschiff „Soeben" schmettert Hurra unb Kommanboruf an Lanb;
Tausenb Augen sinb an einen Mann gebannt,
Der ben Mast erklettert;
Unb wie Hammerschlag auf Eisen hagelt,
Zuckt's burch aller Herzen wie ein Schutz:
Seht bie Flagge — an ben Mast genagelt — Siegen ober sterben — das ist beutscher ©rufe!
Stille. Schweres Atmen im Gebränge.
Fern ein letzter Funkenblitz vom Meer,
Unb ben Italienern scheint's, als schwänge Seine Siegesfackel Mars daher. —
Und Britannia Hat uns nichts genommen,
Und das wirb, beim Himmel, nicht geschehn,
Unb bie deutschen Fahnen soll sie nie bekommen,
Die in Gottes Winden wehn!
Peter Scher.
Das Seegefecht vor Sewastopol.
Wir erhielten Telegramme, datz die russische Flotte die türkische Stadt T... beschossen habe. Da wir annahmen, datz sie von dort direkt nach ihrem Kriegshafen Sewastopol zurück fahren werde, liefen wir aus, um mit ihr Fühlung zu nehmen Die ganze Nacht über wurde trotz scharfen Ausguckens nichts dom Feinde gesehen. Vom Offizier bis zum einfachen Matrosen hielten wir alle treue Wacht. Dunkel und diesig war es noch dazu, so datz uns das Ausgucken sehr erschwert wurde und wir uns freuten, datz es ohne Zwischenfall endlich hell wurde. Diesig aber blieb es trotzdem, nur ein paar schwache Sonnenstrahlen, die nicht Kraft genug hatten, das Dunkel zu durchdringen, kamen zum Vorschein. Es war direkt kalt und ungemütlich. so auf einem Fleck zu stehen und der Dinge zu warten, die da kommen sollten. Schließlich warfen sich schon die Frage« auf, ob wir überhaupt etwas von den Russen zu sehen be kämen. Gegen l/$ Uhr morgens bekamen wir Sewastopol in Sicht, das in Hellem Sonnenschein lag und dann um 8 Uhr erreicht wurde. Neugierig ward die Einfahrt gemustert, ob sich schon von da etwa was sehen lieft, und weil wir von Land aus ganz gut bemerkt werden mutzten. Die Nüssen waren abtr wohl nicht schlau genug, oder die Brüder hatten wohl noch geschlafen. Mittlerweile hörten wir aus dem Gespräch der Offi ziere, datz nun die „Eoeben“ wohl bald in Sicht kommen mützte, mit der wir tags zuvor ausgelaufen waren, und von der mit uns des Nachts aetrennt hatten. Endlich meldete auch der Ausguck aus dem Mars: „Rauchwolke an Steuerbord", die sich spater auch als die von der „(Soeben“ entpuppte. Jetzt hatten wir doch wenigstens diesen dicken Bruder bei uns. Signale wurden beiderseits abgegeben. Wir gingen in Kiellinie. Gerade als wir von der „(Soeben“ das Signal erhielten, datz sie vom Feind keine genaue Nachricht hätte, meldete unser Ausguck: „Fahrzeug in Sicht, Steuerbord voraus.“ Wir brechen ein eben angefangenes Signal ab und beobachten alle das Gemeldete. Dann kam Meldung von oben: „Fahrzeug ist ein Kriegsschiff? Sofort kommt der Befehl: „Klarschiff zum Gefecht.“ Alles stürzt sich auf die Station. An Deck wurde alles zum Gefecht vorbereitet. Der Hornist blies fein Signal; ein recht erhebender Augenblick; alles ruhig und gesetzt. Die „(Soeben“, die von alledem wohl noch nichts gehört und gesehen zu Haben schien, sollte gerade von uns benachrichtigt werden. Aber der Schein
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trügt, heiht es; denn plötzlich sehen mir aus allen Ecken und Luden Leute rausstürzen auf ihre Station. Auf das Signal -er „Soeben": „Hohe Fahrt laufen" springen wir auf hohe Fahrt. Ein großartiger Anblick war es, als die „Soeben" so aufsprang; es sah aus, als wenn ein wildgewordener Stier auf seine Peiniger stürzt. Es ging direkt aus den Russen los. Da werden »om Ausguck eines nach dem anderen noch fünf weitere Schifft gemeldet, die, als sie uns angerast kommen sahen, erst weg tiefen, dann aber, als sie sahen, dah wir nur zwei Schiffe waren, plötzlich beidrehten, und sich alle sechs so hinlegten, dah Etliche Breitseiten auf uns gerichtet waren.
„Passiergejecht an Backbord" kam der nächste Befehl, und schon fielen die ersten Schüsse vom russischen Flaggschiff. Von Erfolg war der erste Schuf; begleitet, denn das Torpedonetz wurde der „(Soeben" verbogen, und durch Granatsplitter muhten ein paar tapfere Leute ihr junges Leben fassen, ^zetzt ging aber das reine Donnerwetter los. Salve auf Salve krachte, die russischen 30,5 Granaten sausten wie Hagel um uns, aber alle ohne etwas zu treffen, wie durch ein Wunder. Alle gingen sie zu kurz oder zu weit. Die Russen schossen sehr schlecht. Wenn man bedenkt, sechs Schiffe mit unheimlich viel Armierung gegen zwei Schiffe, und dann nur ein Treffer! Die „Goeben" war aber such nicht mundfaul geblieben und schickte ihre 28 cm und 15 cm Grüfte hinüber, und mit mehr Erfolg. Zwei feindlicke Schiffe sollen, so viel, wie wir hörten, stark beschädigt sein. Leider konnten wir uns am Schießen umständehalber, die ick hier nicht nennen kann, nicht beteiligen, was uns sehr leid tat. So muhten wir denn immer hinter der „Soeben" herlaufen und diesem schaurig-schönen Schauspiel zusehen. So mit hoher Fahrt weiterlaufend, kamen wir dann aus Schuhbereich. Zurücksehend, wurden wir dann gewahr, dah uns ein kleiner Kreuzer und fünf Torpedoboote, welche hinter den Linienschiffen gelegen hatten, folgten, gaben aber bald die Jagd aus, da sie an unsere Fahrtgeschwindigkeit nicht tippen konnten.
Das ganze Gefecht hatte 40 Minuten gedauert, aber die 40 Minuten waren auch danach. Wir können von Glück sagen, dah wir mit heiler Haut davongekommen sind. Jedenfalls haben sich die Russen bei diesem ersten Treffen furchtbar blamiert, denn es kommt noch der Umstand hinzu, dah wir während des Gefechts im Licht waren, während die Russen im Nebel lagen. Jedenfalls schmeckte uns das Essen, weil die Mittagszeit wegen des Gefeckts verspätet wurde, ausgezeichnet.
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unb wir bampften benn auch wohlgemut zum Bosporus zurück, wahrenb „(Soeben“ noch eine kleine Inspizierungsfahrt unter nahm, um etwaige Verfolger abzufassen.
H?be noch vergessen, bafj am Tage zuvor beim Auslaufen von (Soeben" bie Nachricht kam, batz Se. Majestät ber Kaiser 140 Eiserne Kreuze bcn in ber türkischen Flotte Dienenben ver lieben hatte, wovon ca. 20 Stück auf „Breslau" fielen.
Die russische Flotte ist jetzt wenigstens gewahr geworben, baß uns ihre Überzahl nicht schrecken kann, unb beshalb werben wir auch wohlgemut in bic Zukunft blicken.
Ein Bericht über die Seeschlacht bei Coronet.
Die englischen Schiffe wollten sich an ber chilenischen Küste treffen, unb zwar zwischen Talcahuano unb Loronel. Die Mit ieilungen barüber hatten bie beutfehen Schiffe aufgefangen Die beutfchen Kreuzer trafen sich nörbiich von Valparaiso und fuhren vereint ben Englänbem entgegen, bie sich in ber Bucht uon (£oncepcion treffen wollten. Es war Sonntag abenb, bie Deutschen fuhren in folgenber Reihenfolge: „Scharnhorst“/ ber --Me am nächsten, bann Famen „Gneisenau", „Dresben“ uno „Nürnberg". Weiter hinten fuhren „Leipzig" unb bie Transportschiffe. Das englische Geschwabcr be]ianb aus bem Panzer Kreuzer „Monmouth", bem geschützten Kreuzer „Glasgow" und dem Hilfskreuzer „Otranto". Sie fuhren in Kiellinie norbmäris, um sich zwischen Talcahuano unb Coronet mit „Goob Hope44 zu vereinigen, bie vom Westen kam. Sie wußten nicht, baft sie ben Deutschen begegneten. Erst auf ber Höhe ber Bucht von Eoronel bemerkten sie, batz feinbliche Schiffe in Siebt waren Voran fuhr „Monmouth“, bann folgten in Kiellinie „Glasgow' unb „Otranto". Schon war es 6 Uhr abenbs. Es herrschte Eoütenber Norbfturm. Kaum gewahrten sic ben Fcinb, sv drehten sie sübwärts. Wahrscheinlich wollten sie bic neutralem Gewässer erreichen, um einem zweifelhaften Kampfe auszu weichen. Die beutfchen Schiffe erkannten bas Manöver und letzten sich zwischen bie Englänber unb bie Küste, um sie zum Kampfe zu zwingen. In Kiellinie voran „Scharnhorst", bann „Gneisenau". „Dresbcn" unb „Nürnberg“. In biesem Augenblick sah man „Goob Hope" mit voller Maschinenkraft fübost wärts kommen unb sich in Kiellinie mit seinen Kameraden ver-einigen. Die zwei Geschwabcr fuhren nun auf gleichen Kursen, 'ubwärts ber Küste zu bic vier beutseben (später mit der „Leip-
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zrg- fünf), seewärts die vier englischen. Der Abstand wurde immer kleiner. Um 6,30 signalisierte „Scharnhorst" 10 500 Meter Entfernung zwischen sich und „Good Hope". Um 6,32, nachdem die Entfernung noch geringer geworden, wurde der Befehl: „Feuer eröffnen!" gegeben, und das deutsche Geschwader gab die erste Salve; doch beteiligten sich nur „Scharnhorst" unb „Gneisenau", die gleichzeitig feuerten, und zwar mit zwei Geschützen von der Back, mit zwei von Steuerbord mittschiffs und uvet vom Heck, zusammen je sechs Geschütze mit 21 Zentimeter Kaliber. Sie richteten alle Schüsse aus „Good Hope", und in dieser Weise wurde das Feuer einige Minuten lang fortgesetzt. Die Engländer traten nicht ins Feuer, da ihre Artillerie auf die große Entfernung von 10 000 Metern noch nicht reichte. Unterdessen näherte sicb das deutsche Geschwader auf südwestlichem Kurse dem englischen, so daß die Entfernung bald nur noch 6000 Meter betrug. Jetzt begann auch bie „Good Hope' zu feuern, aber nur mit ihren beiden 23,4-Zentimeier-Geschützen. „Good Hope" hatte noch 16 Geschütze mit 15 Zentimeter, die auf 6000 Meter Entfernung hätten verwendet werden können: wegen des Sturmes war dies indessen unmöglich. „Good Hope' entfernte sich deshalb, und „Monmontb" schob sich vor, um sie zu becken. Die Entfernung betrug jetzt 5000 Meter, unb nun kämpften nur „Monmouth“ unb „Glasgow" gegen vier Gegner. „Dtranto" war schon seewärts gebampft, rtachbem sie durch ver-schiebene Schüsse havariert war. Die zwei beutschen Panzer-kreuzer konzentrierten jetzt bas Feuer ihrer zwölf schweren Ge schütze auf „Monmouth", sie gaben zuerst Salven ab. Vier von den Geschossen erreichten bas Schiff, bann folgte eine zweit» Salve, beren sämtliche 12 Geschosse trafen. „Monmouth" geriet in Brand, nahm bei dem herrschenden Sturm eine schwere See über und fing an zu sinken. Die vorderen Geschütze von „Scharnhorst" gaben noch zwei weitere Salven ab. die den Untergang des Gegners besiegelten. Die Schüsse, die bie beutschen Schiffe trafen, kamen von der „Monmouth". Eine 15-Zentimeter-Granate traf den vorderen Turm der „Gneifenau" und verursachte dort einigen Schaden, eine andere drang in eine der Kammern. Als die „Monmouth" sank, war der Abstand Zwischen den beiden Geschwadern etwa 4500 Meter.
Bis zu biesem Augenblick hatte sich ber beutsche Abmirai bemüht, sich ben Englänbern zu nähern. Wie er ben chilenischen Seeoffizieren erklärte, verzichtete er auf bie Verwenbung von Torpebos, ba er bie Lage mit feiner Artillerie zu beberr-
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sch-n sicher war. AIs ,M°nm°utI>- versunken war und man dem „Eood Hope keine Hilfe leisten konnte, kam „Slasqotc“ an die Reche Der Chef des deutschen Geschwaders fürchtete. £>aj$ bte Englischen Schiffe von Torpedos Gebrauch machen wurden. Er lief daher näher der Küste zu und ließ noch weitere (5ranalen gegen die zwei feindlichen Schiffe feuern. „Glasgow" wurde |ehr beschädigt und dampfte seewärts. „Eood Hope^ ^9ann zu brennen, und eine mächtige Erplofion erfolgte, als öas (schiff gegen 7 Uhr abends in einer Entfernung von 630( «Meiern im Westen aus Sicht kam. Die Deutschen glauben, dak der Brand zu bewältigen gewesen wäre, das; aber eine weitere irrplosion den Untergang des Schisses herbeigeführt habe.
Admiral von Spee sandte gleich den Kreuzer „Nürnberg" nach oer Stelle, wo „Good Hope" verschwunden war. Alles wurde gut abgesucht, aber keine Spur gefunden. Dem „Mon-moutb' konnten die Deutschen keine Hilfe leisten, da sie sich bei en m "och im Gefecht mit den beiden anderen ochiffen befanden, von denen sie torpediert werden konnten.
Ein Offizier von der „Gneisenan" berichtet, daß von dem Kreuzer 60 Granaten aus den schweren Geschähen gefeuert gefeuert wurden und 40 davon ihr Ziel getroffen haben.
, Vormittags 11 Uhr fuhren „Scharnhorst“, „Gneifenau" und „Nürnberg, nachdem sie 24 Stunden im Hafen von Valparaiso gelegen hatten, südwärts. Vor der Abfahrt wurden die Schiffe von vielen Menschen besucht, namentlich von Damen der deutschen Kolonie, die verschiedene Liebesgaben an Bord brachten.
Wie die „Nürnberg" ein Kabel zerschnitt.
Wie das Schiff diese wichtige Tat vollbrachte, das schildert anjchaulich der Brief eines auf der Fanning-Infel wohnenden Engländers an feine Mutter in Australien: ‘
„Die Deutschen sind gekommen und wieder gegangen, und wir sind alle noch lebendig und wohlauf. An Stelle aller der (Urchtbaren Gerüchte, die herumschwirrten, hier ein Bericht über das Erscheinen der „Nürnberg". Die Deutschen kamen am 7. September. Ich hatte Nachtdienst, und so um 5 Uhr morgens wurde gemeldet, daß ein großer Dampfer herannahte. Wir gingen nach der Küste, sahen aber nichts. AIs ich um 6 Uhr wieder hinunterging, kam ich gerade zurecht, um einen großen Dampfer mit drei Schornsteinen herannahen zu sehen. Es war
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Schon ziemlich hell. Der Oberaufseher, zwei Ingenieure, der Koch und ein Arbeiter waren mit mir zusammen die einzigen, Die sich an der Küste befanden. Als das Schiff auf wenige hundert Meter herangekommen war, sahen wir. datz es ooü war von bewaffneten Matrosen, und dah ein Maschinengewehr aufgestellt war. Im Nu hatte der Dampfer Boote ausgesetzt, bewaffnete Männer sprangen an Land, Gewehre waren aus uns gerichtet, und ein Offizier sagte: „Hände hoch. Sie sind meine Gefangenen." Das alles vollzog sich im Handumdrehen, so datz wir gar nicht zur Besinnung kamen. In wenigen Minuten war die Maschine völlig unbrauchbar gemacht und eine Rette um alle Gebäude gestellt. Die Schlafenden, die noch in den Betten lagen, wurden durch das brachen der Akkumula toren aufgeweckt und kamen heraus, um zu sehen, was los sei. Das erste, was sie sahen, waren Gewehre, und zugleich kam der Ruf: „Hände hoch!".
Wir befanden uns alle an der Küste, von den Deutschen umgeben, und es dauerte nicht sechs Minuten, bis wir alle G^ fangene waren. Dann waren die Ärte geschäftig bei der Arbeit, und in wenigen Sekunden war das Bureau für drahtlose Tele^ graphie, waren die Batterien eine wirre und wüste Masse. Nun war auch ein anderes Boot gelandet, und man gestattete uns. ein wenig auf und ab zu spazieren, obwohl das am Strand aufgestellte Maschinengewehr gerade keinen angenehmen Anblick bot Das nächste, was sie taten, war die Sprengung des Maschinenraumes. Zunächst war die Maschine zum Stehen gebracht worden, indem man Hineinfeuerte; nun wurden mir da vor gewarnt, näher heranzugehen, und bann erfolgten zwei furchtbare (Explosionen. Das Dach unb bie Wänbe krachten unb stürzten ein, unb bie Maschine war für immer zerschmettert Ich glaube, batz sie Schießbaumwolle verwenbeten. Die Küsten enben ber Kabelanlage würben auf bieselbe Weise behanbeU zwei riesige Säulen von Wasser, Sanb, Fischen, Korallen usw. flogen 80—90 Futz in bie Höhe, unb nachbcm bas ausgeführt war, war's mit bem Kabel zu Enbe. Die Flaggenstange wurde heruntergeholt unb in kleine Stücke zersägt. Unterbesfen hatten mir eine neue Aufregung. Plötzlich war Ranch zu sehen, unb ein kleiner hübscher Dampfer erschien, ben mir für ein harmloses Hanbelsfchiff Hielten. Es mar aber ein Kohlenschiff. bas ben beutfchen Dampfer begleitete unb nun bas Kabel im Meer an oerschiebenen Stellen aufsuchte unb burchschnitt. Um 3 Uhr ?am noch ein anberes Boot unb bat um alle vergrabenen In
ftrumente, Gewehre und Munition. Was wir da hergeben mutzten, waren 9—10 Kisten mit Instrumenten, *20 alte Flin-ten und 20 000 Stück Munition. Nachdem sie noch alle Pläne und Papiere der Verwaltung sorgfältig eingepackt hatten, empfahl fidi die üandungsaöteilung, und die Voote kehrten Zurück. Dann lichteten beide Schiffe die Anker und fuhren nach Westen.
Was uns bei diesem Abenteuer den größten Eindruck machte, das war die reihende Schnelligkeit, mit der sich alles abspielte. Es schien uns nur Sekunden zu dauern, bis mir "olüg abgeschnitten waren. Uns war allen recht unbehaglich zumute, aber sie waren sehr freundlich und entsetzlich Höflich. „Möchten Sie nicht so liebenswürdig sein und mir eine Alt geben“, so lautete z. V. die Aufforderung, als sie die Flaggenstange niederholten. Als Zwei Ärte die etwa 40 000 Mark kostenden Vergrößerungsgläser zerschmetterten, sagte ein Matrose entschuldigend:^ „Es tut mir leid, meine Herren, aber das ist der Krieg." Wir plauderten mit ihnen, und sie rauchten unsere Zigaretten. Sie äußerten alle den Wunsch, mit japanischen Schiffen zusammenzutreffen. Nun sind wir von der Außenwelt abgeschnitten und gucken trübselig durch die Ferngläser, ob uns nicht jemand hilft. Heute nacht dachte ich schon, es wäre das Licht eines Schiffes, aber dann war es bloß ein Stern. . ."
Von ber Schlacht bei den Falklandsinseln.
Die Offiziere der Flotte des Admirals Sturdes sind besonders stolz darauf, daß es den Engländern gelang, die Deutschen zu überlisten und die Überreste des Geschwaders des Admirals Eradock zu verstärken, ohne daß der Feind davon erfuhr. Es^ gelang ihnen, zwei mächtige Panzerkreuzer hemnzu-Ziehen, die sich mit den Kreuzern „Eanopus", „Enrnorvo“. „Cornwall", „Bristol" und „Glasgow" vereinigten, die am 7- Dezember in Port Stanley zum Kohlen anlegten. Die großen Kreuzer konnten sich im Hasen hinter dem Landrücken vollstän big verbergen. Am 8. Dezember früh erschien bas beutsche Geschwader, offenbar in ber Absicht, bie Falklanbsinseln zu überrumpeln unb Port Stanley als Kohlenstation zu besetzen. Als die deutschen Schiffe nur bie weniger starken britischen Schiffe fallen, machten sie sich zum Gefecht klar. Es kam zum Kampf. Plötzlich erschienen am engen Hafeneingang die beiden aroften
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britischen Panzerkreuzer. Admiral Graf von Spee merkte jetzt, datz er in eine Falle geraten war, und gab semen Schiffen das Signal, sich zu zerstreuen! Es war jedoch zu spät. Der ftampf entwickelte sich. Die Deutschen, namentlich die „Scharnhorst", schossen ausgezeichnet. „Gneisenau" und „Scharnhorst" feuerten bis zum Augenblick des Untergangs. Inzwischen kämpfte die „Glasgow" mit der „Leipzig", die mehr ausrichten konnte als die anderen deutschen Schiffe. Als die „Leipzig", in Feuer gehüllt, im Begriffe war, unterzugehen, stellte die „Glasgow" das Feuer ein, fuhr dicht an das deutsche finkende Schiff heran und ließ Boote herab. Als jedoch Ine ersten Boote davonfuhren, um die Besatzung der „Leipzig" zu retten, schotz die „Leipzig" noch einmal. Das Geschotz explodierte an Bord der „Glasgow". Darauf feuerte die „Glasgow" die letzte Breitseite aus die „Leipzig", die sie zum Sinken brachte. Die britischen Offiziere bedauerten, datz von der „Leipzig" offenbar in der SSitze des Kampfes dieser letzte Schutz abgegeben wurde. Sie glaubten, datz es sich um einen bedauerlichen Zufall handelt. Die übrigen britischen Schiffe holten die „Nürnberg" ein und forderten sie zur Übergabe auf. Da diese sich weigerte, wurde sie in Grund geschoben, svhr Untergang rettete die Schiffe „Dresden" und „Prinz Eitel Friedrich", weil die englischen Schiffe die Verfolgung einstellten, um die Überlebenden des deutschen Schiffes aufzunehmen. Nach anderen Gerüchten aus Montevideo wurde der Panzerkreuzer „Invincible" zwanzig Mal von Geschossen getroffen, ohne datz er ernstlichen Schaden litt. Nur 14 Mann von der Besatzung wurden verwundet. Als die „Gneisenau" sank, hatte sie die ganze Munition verschossen. wollte jedoch nichts von Übergabe wissen. Beim Untergang salutierten viele Offiziere. Ein Teil der Besamung versammelte sich auf dem Achterdeck, und sie sangen „Die Wacht am Rhein" Eine grotze Anzahl, darunter auch Offiziere, wurden nachher gerettet. Einige starben an Bord der englischen Schiffe. Die übrigen werden nach England gebracht. Von der „Scharnhorst" wurde niemand gerettet.
Kriegstelegrrnnm.
(1 9 04 gedichtet.)
Ein Telegramm ist ausgehängt:
„Die baltische Flotte ist zersprengt.
86 II. Auf hoher See und an fernen Äfiften.
Sechstausend Russen sind untergegangen.
Dazu ihr Admiral gefangen."
Und zwischen den Röpsen dicht an dicht Seh' ich ein klein' mongolisch' Gesicht,
Aus grünlich-gelbem Holz geschnitzt,
So unbewegt, nur das Auge blitzt,
Wie es da an der Depesche hängt:
„Die baltische Flotte ist zersprengt.
Sechstausend Nüssen sind untergegangen.
Dazu ihr Admiral gefangen.“
Dann wendet er ruhig sich zum Gehen,
Als wäre weiter nichts geschehen.
Nur einmal noch sein Auge schießt iiber die Menge, die die Depesche liest,
Über den Platz und die Straße hin —
Hunger blitzt es und Raubtiersinn.
Und mitten in dem Menschenschwarm Zwei deutsche Matrosen Arm in Arm,
Zwei Jungens von der Waterkant, auf Urlaub an Lans Und plötzlich sagt der eine Mann:
„Junge, Junge, nun kommen wir dran.
Hast du das gelbe Biest gesehn?
Wie dem die Äugen spazieren gehn?
Da kommt so'n fterl dir rin ins Haus
Und kuckt dir alle Ecken aus
Und fragt: Wohnt nicht Herr Müller hier?
Und abends bricht er ein bei dir.
Junge. Junge, die Sache ist flau Mit dem verdammten Riautfchou.“ —
Der andre spuckt erst vor sich hin:
„Wenn schon, denn schon. Latz man rin!
Wenn der Düwel die Mühle dreht,
Mühle und Müller zum Düwel geht.
Aber, Junge, das sag' ich dir:
So ’ne Depefcbe hängt dann nicht hier,
Von wegen „Admiral gefangen“!
Dann heitzt’s:
„Die Flotte ist untergegangen Mit Mann und Maus und Offizier.
Und mit Hurra!
Das sag' ich bir!“
Otto AntKes.
II. Auf hoher See und an fernen Küsten.
Die Belagerung von Tsingtau.
Die „Deutsche Zeitung" für China, eine erst während des Krieges gegründete, in Schanghai erscheinende deutsche Tageszeitung, enthält in ihrer Nr. 68 vom 12. November eine Schilderung der Belagerung von Tsingtau, die bis zum 5. November reicht — also bis zwei Tage vor dem Fall am 7. November. Dieser Bericht ist also als der erste säst vollständige Bericht über den heldenhaften Kampf anzusehen. Er lautet:
Am 23. August, als das Ultimatum Japans abgelaufen war, rückte ein Detachement von etwa 1000 Mann ins Vorgelände, um die Straßen nach Tsingtau zu verteidigen. Dieses kleine Häuflein hat seine Aufgabe hervorragend gelöst. Eine Strecke zuerst von 30 Kilometern, dann von 10 Kilometern war zu verteidigen. Da. wohin zwei Armeekorps gehört hätten, standen tausend Mann. In zähem, unerschrockenem Kamps, oft nur Patrouillen ganzen Bataillonen gegenüberstehend, wichen sie langsam der Übermacht. Am 28. September erst, als die erste große Beschießung von See einsetzte, kam diese Truppe hinter das Haupthindernis, das sich nun für uns bis nach dem ausgetobten Kampf nicht wieder öffnete. Von diesem Tage ab war Tsingtau umklammert. Und wie sah unsere Verteidigungslinie aus? Wer Tsingtau vorher gesehen Hatte, würde es jetzt kaum wiedererkennen. Wie ist da Tag und Nacht gearbeitet und geschuftet worden! Eine Titanenarbeit ist vollbracht worden, um die Verteidigung bis zum äußersten durchführen zu können. Und diese Arbeiten sind bis zum letzten Tag fortgesetzt worden. Am 28. September fand die erste große Beschießung von See aus statt. Die japanischen Schiffe „Suwo" und „Tango“ warfen ihre 30,5-Zentimeter-Granaten und das englische Linienschiff „Triumph" seine 25,4-Zentimeter-Eranaten aus die Werke und in die Stadt. Die sonst so stolzen Briten! Ob sie es als einen Triumph ansahen, daß einer ihrer Admirale unter dem Kommando eines japanischen Admirals stand? Und daß ihr Flaggschiff als letztes Schiff hinter den japanischen her fuhr?! Britannia rules the waves! Galt das nicht?
Das Krachen und Krepieren der Granaten in Tsingtau war furchtbar, aber nur so lange, wie wir uns nicht daran gewöhnt Hatten; es war nur ein Kinderspiel gegen das, was später noch kommen sollte. Vom 28. September an kamen die Achiffe fast täglich und warfen ihre „Koffer" auf die Werke oder
auch in die Stadt. Auch unsere Geschütze schwiegen nur noch selten. Tag und Nacht nahmen wir die Anmarschstraßen und das Vorgelände unter das Feuer, aber langsam und unaufhaltsam, trotz großer Verluste, rückten die Japaner zu Lande vor.
Am 2. Oktober um 8 Uhr abends machte die 3. Kompagnie des Ostasiatischen Marinedetachements einen heftigen Ausfall, wobei sie die Japaner aus den vor den Werken liegenden Höhen hinausdrängten. Am nächsten Morgen ging sie/ einer enormen Übermacht weichend, wieder hinter das Haupthindernis zurück. Vesonders^wichüg für die seitliche Beobachtung war unser Kanonenboot „Jaguar" und der österreichisch-ungarische Kreuzer „Kaiserin Elisabeth", die beide in der Bucht von Kiaut-schou lagen und die Bewegungen des Feindes wie das Artillerie-feuer von Tsingtau beobachteten. Obwohl beide Schiffe an dauernd auf das heftigste mit Steilfeuergeschützen beschossen wurden, hielten sie unerschrocken auf ihrem Posten aus. Am 5. Oktober wurde der Fesselballon von feindlichen Schrapnells getroffen und sank zu Boden. Der darin befindliche Offizier, Leutnant der Reserve Weihe, wurde nicht verletzt. Ein kleiner Ballonsack wurde, um die Japaner zu tauschen, am 7. Oktober steigen gelassen. Bei dem heftigen Wind ritz er sich los und flog davon. Auch unser einziger Flieger, Oberleutnant zur See Plüschow, arbeitet unermüdlich. Trotzdem er dauernd aufs heftigste mit Gewehren, Maschinengewehren und mit Schrapnells beschossen wird, zieht er unerschrocken stundenlang seine Kreise über den feindlichen Stellungen und kommt mit wichtigen Meldungen zurück. Die Tragflächen feines wackeren Flugzeuges find meist von feindlichen Eewehrgeschossen und Schrapnellkugeln durchlöchert, die dann nach der Landung wieder geflickt werden müssen. Am 12. Oktober fand eine dreistündige Waffenruhe statt, um die im Vorgelände liegenden Toten beerdigen zu können. Am 14. Oktober fände eine besonders heftige Beschießung des Seewerkes Hu-chuin-Huk und der Iltisbergbatterie statt. Allein Hu-chuin-Huk erhielt unter anderem 51 30,5-Zentimeter-Granaten oder Sprenggranaten. Trotz der heftigen Beschießung feuerte Hui-chiun-Huk auf „Triumph“ und brachte ihm bei dem ersten Schuß einen Volltreffer mit einer 24-Zentimeter-Sprenggranate bei. „Triumph" drehte sofort ab und verschwand für etwa acht Tage. Das ist das einzige Mal während der ganzen Belagerung gewesen, daß ein Schiff sich so nahe an die deutschen Seewerke herangetraut hat, daß es be-
schossen werden konnte, und das ist scheinbar auch nur aus Versehen geschehen. Unsere Seewerke haben daher, allerdings zu unserem großen Vorteil, mit nach Land zu geschossen.
Am 17. Oktober abends lies unser einziges Torpedoboot S. 90 (Kapitänleutnant Brunner als Kommandant) aus und versenkte bei einem erfolgreichen Angriff durch drei Torpedoschüsse den japanischen Kreuzer „Takachiho". S. 90, das nicht zurückkehren konnte, sprengte sich selbst in die Lust; die wackere Mannschaft blieb unversehrt.
Der 27. Oktober war ein Iubeltag. Da traf von Seiner Majestät dem Kaiser folgendes Telegramm ein: „Mit mir blickt gesamtes deutsches Volk auf die Helden von Tsingtau, die, getreu den Worten ihres Gouverneurs, ihre Pflicht erfüllen. Seien Sie meines Dankes gewiß!“ Da gab es wohl keinen in Tsingtau, dem das Herz nicht höher schlug. Unser oberster Kriegsherr, der zu Hause so schwer zu arbeiten hatte, hatte seine getreue kleine Schar hier im fernen Osten nicht vergessen. Da gelobte sich jeder nochmals im Innern, zu kämpfen und seine Pflicht bis zum Letzten zu tun, dag sein Kaiser mit ihm zufrieden sein konnte.
Die Beschießung nahm ihren Verlauf. Um einen Begriff von der Heftigkeit zu bekommen, seien nur einige annähernde Zahlen genannt. Am 29. Oktober erhielt Tsingtau allein von der Seeseite ungefähr 213 30,5-Zentimeter- uud am 30. Oktober 239 30,5-Zentimeter-Eeschosse.
Am 31. Oktober war der Geburtstag des Mikado. Durch Kundschafter hatten wir erfahren, daß die Japaner Tsingtau an diesem Tage bestimmt nehmen würden. Den Tag zu beschreiben, ist unmöglich. Die Japaner hatten bis zu dieser Nacht ihre sämtlichen Landbatterien fertig gebaut, und am 31., um 6 Uhr früh, donnerten auf einmal von See und von Land die feindlichen Geschütze und warfen ihre furchtbaren Geschosse auf uns. Als Erstes schossen die Japaner die Petroleumtanks in Brand, und bei dem herrlich blauen Himmel stand die riesige dicke Qualmwolke wie ein drohendes Rachezeichen am Himmel. Die Japaner schossen von Land in erster Linie mit schweren Haubitzen bis zum 28-Zentimeter-Kaliber hinauf. Und von See krachten die schwersten Schiffsgeschütze. Das Fauchen der herabsausenden Haubitzgeschosse, das Zischen der Flachbahngeschosse, Das Aufschlägen der Granaten und Svrenggranaten. und die Detonation beim Krepieren, dann das Bellen der zerplatzenden Schrapnells und das Dröhnen unserer schweren Geschütze
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II. Auf hoher See und an fernen Küsten.
machten einen Lärm, als ob die Hölle selbst losgelassen wäre. Und wie wurden die Werke und all das in der Nähe liegende Gelände mitgenommen! Ganze Bergkuppen wurde abgetragen, Löcher bis zu 10 Meter Breite und 5 Meter Tiefe ausgestampft. Endlich kam der Abend, und das Feuer schwieg. Nach Ansicht des Feindes wie auch nach unserer eigenen mußten unsere sämtlichen Werke niedergekämpft sein, denn sie glichen zum Teil nur noch Trümmerhausen, aber als unsere braven blauen Iungens an ihre Kanonen eilten, die zum Teil aus Erd- und Stein Massen förmlich herausgegraben werden mutzten, fanden sie doch fast sämtliche Geschütze noch heil oder nur gering beschädigt.
Da fingen plötzlich mitten in der Nacht, als die feindlichen Sturmkolonnen sich sammelten, unsere sämtlichen Eisenschlünde an zu feuern und überschütteten die feindlichen Batterien unb die heranrückenden Sturmkolonnen mit ihrem vernichtenden Feuer. Die Wirkung dieser Beschießung mutz für die Japaner verheerend gewesen sein, denn es erfolgte kein Sturm, wie be absichtigt, und am nächsten Tage setzte das feindliche Artilleriefeuer erst gegen Mittag sehr flau wieber ein. Allerbings war das Feuer noch so stark, datz die Bismarck-Batterie über 20 Volltreffer und Hui-chuin-Huk über 50 Volltreffer aus schwer sten Haubitzen erhielten. Von nun an hat die Beschießung Tag und Nacht feine Minute mehr gestoppt, und in ganz Tsingtau gibt es kaum noch einen nicht beschossenen Platz, denn wahllos treffen die Granaten in die Stadt, und unberechenbar werden Wege mit einem Schrapnellhagel eingedeckt. Gegen die feindlichen Geschosse ist man allmählich ganz abgestumpft, und ruhig geht man seiner Wege. Nur wenn das Zischen und Heulen bedrohlich nahe kommt, wirft man sich in die nächste Ecke oder hinter den nächsten Stein ober was sonst als Schutz gerabe oor-hanben ist. Die in Tsingtau verbliebenen Familien wohnen selbstverstänblich schon längst in Reitern, unb nur zum Luftschöpfen kommen sie verstohlen heraus, wenn bie Brummer nicht zu bicht herunterhagcln. Besonbers schwer haben jetzt bie Infcinleriewerke auszuhalten. Ununterbrochen sinb sie bem furchtbaren Feuer ausgesetzt, bie Brustwehren werben einfach abrasiert, bas Drahthinbernis ist zum Teil zerstört. Die fünf Insanleriewerke mit bem Haupthindernis zusammen bildeten unsere Hauptverteibigungslinie. Diese Linie war 5000 Meter lang, unb wir hatten feine 3000 Mann, um sie zu oerteibigen. Selbst bem krassesten Laien müssen biese beiben Zahlen zu denken geben.
11. Auf hoher See und an fernen Küsten. 91
Am 1. November abends erfolgte der erste Sturm gegen unsern linken Flügel, der jedoch abgeschlagen wurde. Die Beschießung der Werke, besonders der am linken Flügel, wurde daraufhin noch heftiger und hat überhaupt nicht mehr aufgehört. Während der ganzen Zeit graben sich die Japaner immer näher an die Werke heran, und bereits am 2. abends waren sie am linken Flügel durch das Drahthindernis durch und bis auf 50 Meter an das Infanteriewerk heran. Den außerordentlichen Mut und die Ausdauer der Iapaner mutzte man wirklich bewundern. Am 5. abends erfolgte ein zweiter Sturm, der aber ebenfalls abgeschlagen wurde. Wer weitz, was uns noch alles bevorstehen wird.
Die Stimmung der Truppe in der Festung ist hervorragend gut. Es ist eine Freude, zu sehen, wie jeder, vom höchsten Offizier bis zum jüngsten Mann, seine ganze Straft und sein bestes Rönnen einsetzt, um seinem Vaterland zu dienen. Jeder Mann ist voll grimmer Entschlossenheit, mit dem Feind bis zum äußersten zu kämpfen, und voll Wut und Verachtung gegen die rucklosen Heraufbescbwörer all des Elends, das über Tsingtau gekommen ist.
Kiautschou.
Übers Meer, übers Meer Geht ein Fragen bang und schwer.
Welle auf Welle ans Ufer dringt,
Keine aus Osten Runde bringt.
Und wie der Wellen dumpser Gang Klopft das Herz uns weh und bang:
Brüder im Osten, lauernd umdroht Steht ihr vom Tod.
Durch die Luft, durch die Luft Kommt es wie Geisterstimme und ruft:
Gegen Tücke und schnöden Verrat Setzen wir pflichtbewußte Tat.
Wir stehen fest, das Schwert in der Hand,
Schützen die Heimat in fernem Land:
Brüder im Westen, was hass für Not?
Sieg oder Tod!
Übers Jahr, übers Jahr Machen Schiffe nach Osten klar.
Nulng legt Sankt Michaels Hand
92 II. Auf hoher See und an fernen Küsten.
Wieder sich auf geraubtes Land.
Und seine sausende Klinge blinkt,
Daß die Tücke zu Boden finkt:
Rächen wird er, blitzumloht,
Dann euern Tod!
Richard Zoozmann.
Die höfliche „Emden".
Die Abenteuer von vier englischen Kapitänen, deren Schiffe durch die höflichen deutschen Freibeuter im Stillen Ozean versenkt wurden, sind in den „Times of Ceylon" vom 29. September beschrieben. Alle loben die Höflichkeit vom Befehlshaber der „Emden".
Kapitän I. I. Tulloch von der „Tymeric" erzählt: Wir verließen Colombo am Freitag (25. September) und fuhren munter vorwärts, bis wir um 11,25 Uhr nachts ein Kriegsschiff trafen, das ohne Licht fuhr. Das Kriegsschiff, das, wie sich später herausstellte, die „Emden" war, gab uns mit einer Laterne das Signal Stopp. Ein Boot, von einem Leutnant befehligt, wurde heruntergelassen und kam auf uns zu. Der Offizier sagte zu mir: „Wir sind ein deutsches Kriegsschiff, und ich wünsche Ihre Papiere zu sehen." Dann wurden uns zehn Minuten Zeit zum Verlassen des Schiffes gegeben und uns mitgeteilt. daß wir Gefangene feien. Nachdem die Deutschen das Schiff nach Lebensmitteln durchsucht und das letzte Boot unser Schiff verlassen, hörten wir eine bnmofe Erplosion. Sie hatten das Schiff gesprengt, und es verschwand in den Fluten. Der erste Maschinist wie auch ich wurden an Bord der „Emden" gut behandelt. Nur wurde uns abends kein Licht gestattet. Doch brachten uns die Offiziere Karten, um beim Tageslicht zu spielen. Ein junger Schiffsleutnant besonders war sehr freundlich und gab uns Bücher zum Lesen. Das Boot war voller Leben, soweit man sehen konnte, und mit den Lebensmitteln, die sie sich von den gefangenen Schiffen geholt, schienen sie sparsam umzugehen.
Kapitän I. Isdale von der „Ribera“ (dessen Schiff 200 Seemeilen westlich von Colombo versenkt wurde): Mein Maat sah ihn zuerst. „Kreuzer in Sicht, Kapitän,“ rief er mir zu. Dann gab der Kreuzer Signale: „Augenblicklich stoppen.“ Ich sagte zu dem Maat: „Antworte ihm, er sollte uns nicht belästigen, bevor er seine Flagge gezeigt.“ Im nächsten Augen«
II. Auf hoher See und an fernen Küsten. 93
blies ging bie Flagge hoch. „Teufel, mir sinb fertig.“ Dann kam ein Schiffsoffizier an Borb, ber mir sagte: „So viele Klei, bungsftücke wie möglich zusammen, unb zwar schnell, bettn bas Schiff wirb zerstört.“ Er fragte nun nach ben Lebensrnitteln, die ich an Borb hätte, unb nahm alles mit hinüber, weil, wie er sagte, sie baoon leben müßten. Sonst war er sehr freunb* lief). „Was wollen Sie, Kapitän, es ist Kriegsglück.“ Er gab mir eine halbe Stunbe Zeit, um alles, was wir mitnehmen wollten, zu dem „Grypevale“ zu bringen, ein gekapertes Schiff, bas bie Gefangenen nach Colombo, bem ersten geeigneten Hafen, herüberbringen sollte.
Kapitän W. H. Gibson von ber „Foyle“ (315 Meilen von Colombo versenkt): Die beutschen Offizieren waren sehr höflich. Ich möchte sagen, außergewöhnlich höflich. Ehe mir burch bie „Grypevale“ nach Colombo gebracht mürben, manschte man uns allen eine angenehme Reise.
Kapitän D. Hanis von bem „King Lub“: „Wir haben leiber feine Häfen, mo mir Sie hinbringen können, mie Sie es mit unseren Schiffen getan haben,“ sagte ber Offizier, ber zu mir an Vorb kam. „Bereiten Sie sich vor, Ihr Schiff zu verlassen. In einer Stunbe mutz es vernichtet sein.“
Der Todeskampf der „Emden".
Ein Offizier bes australischen Kreuzers „Sibney“ berichtet über bas Gefecht mit ber „Emben“. Die „Sibney“ mar mit ihrem Schmefterschiff „Melbourne“ als Spitzenschiff ber Bebedung eines Truppentransports auf ber Fahrt nach Colombo, als sie von ber Funkenstation auf ben Coeosinseln eine Nachricht erhielt, bie burch Dazmifchenfunken von anberer Seite (b. H. von ber „Emben“), sehr gestört mar, aber boch bie Anmesenheit eines oerbächtigen Schiffes bei ben Coeosinseln erkennen ließ. Es mar ein Zufall, baß bie australischen Kreuzer sich nur zroei Boll* bampsstunben von jenen Inseln befanben, ein paar Stunben früher ober später märe ber Streich ber „Emben“ gegen bie Funkenstation gelungen gemesen. Der Offizier schilbert, mie er gerabe im Babe saß, als ihm bie Nachricht gebracht mürbe; er hielt sie für Scherz, mürbe aber burch bas alsbalbige Losrasen der Maschinen auf äußerste Fahrt eines Besseren belehrt. Denn* noch ließ er sich zunächst einmal bie Hetäre schneiben, rooburch bie Stimmung seiner Kameraben beträchtlich gehoben mürbe, 'oeine Aufgabe mar bie Überroachung ber Munitionsversorgung ber brei vorberen Geschütze, mobei er immer zmischen betn
Munitionsaufzug und den Geschützen hin und her zu gehen hatte. Außerdem hatte er das Aufkommen von Bränden auf Deck zu verhindern.
Der Ausgang konnte von vornherein nicht zweifelhaft fein, da die „Sidney" viel neuer, größer, stärker und schneller war als die „Emden". In ihrer Breitseite standen fünf 15,2-Zenti-meter-Geschütze über einer gepanzerten Bordwand gegen fünf 10,5-Zentimeter-Geschütze ohne Panzergürtel bei der „(Emden“. Der Zufall spielte merkwürdig in diesem Gefecht. Die „Emden" eröffnete auf große Entfernung (über 9000 Meter) das Feuer in der Hoffnung, trotz des schwächeren Kalibers glückliche Ansangstreffer zu machen. Die „Sidney" antwortete sogleich, und beide hatten Gluck und Unglück: der „Sidney" wurde der (Bni fernungsmesser abgeschossen, so datz ihr Feuer zunächst unsicher wurde, der „Emden" aber durchschlug ein ähnlicher Zufallstreffer den Schacht mit den Kommando-Elementen, so datz der Kommandant sofort aller Sprachrohre und elektrischer Leitungen beraubt war. Dadurch wurden seine Befehle verhängnisvoll verzögert. Die „Emden" versuchte angesichts ihrer artilleristischen Unterlegenheit, in Torpedoschutzweite heranzukommen, was ibr trotz der überlegenen Geschwindigkeit der „Sidney" auch fast gelungen wäre. Da es nicht ganz gelang, mutzte sie brennend, halb zertrümmert, ihrer Schornsteine und des Vormastes beraubt, mit 180 zerfetzten Leichen und 40 Verwundeten bedeckt, auf den Strand der Keelingsinsel laufen.
Hören wir nun den englischen Offizier selbst. Nachdem er hatte laden lassen, berichtete er: „Dann hörte ich einen Krach und sah rückblickend, datz eine Granate in die Nähe des zweiten Steuerbordgeschützes getroffen hatte, aber da das Kartenhaus im Wege war, bemerkte ich nicht, datz der Schutz die ganze Geschützmannschaft nutzer Gefecht gesetzt hatte. Da ich weder Flammen noch Rauch aufsteigen sah (mir löschen das geringste Feuer sofort), blieb ich bei meiner Tätigkeit; diese erforderte besondere Aufmerksamkeit." Er berichtete bann über die Schwierigkeiten gleichmäßiger Munitionsversorgung im Gefecht und über bas Saufen unb Klatschen ber beutfchen Geschosse. „Wie ich nach hinten ging, hörte ich, wie eine Granate ben oberen Nanb bes Schutzschildes am ersten Steuerborbgeschütz streifte; ein Unteroffizier kam von hinten unb sagte mir, er habe gerade einen Offizier unter Deck gebracht (er war nicht schwer verwundet), und datz die Hintere Kontrollstation vollständig zerschmettert und alle Mann dort verwundet seien. Ich fragte, ob
II. Auf hoher See und an fernen Küsten.
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et imstande sei, zum zweiten Steuerbordgeschütz zu gehen und zu sehen, ob dort kein Feuer sei, und wenn, daß dann alle Munition in der Umgebung schleunigst über Bord zu werfen sei. Er war sehr bereit und hinkte nach hinten, und richtig fand er ein recht böses Feuer im Entstehen. Er und andere vermochten es noch zu löschen.“ — — „Wie ich vom Vorder» geschütz zur Backbordbatterie zurückkam. traf ich eine Gruppe hochrufender Matrosen, die ihre Mützen schwenkten. Ich fragte: Mas ist los?“ — „Sie ist bin, Herr, sie ist hin.“ Ich rannte nach der Bordwand und konnte keine Spur eines Schiffes sehen. Wenn man wenigstens eine dunkle Rauchwolke gesehen hätte, aber ich konnte nicht das geringste sehen. So rief ich: „Alle Mann die Boote ausschwenken, es werden Leute im Wasser sein.“ Sie wollten das gerade tun, da rief jemand: „Sie feuert noch, Herr,“ und alle liefen zurück an die Geschütze. Es hatte sich eine Wolke ganz hellen Rauches aebitdet, so daß man den Eindruck besam, die „Emden“ sei vollständig verschwunden.“
Dieser kleine Zwischenfall ist sehr bezeichnend für die etwas lockere Art der Disziplin und Organisation aus dem australischen Kreuzer. Ein solcher Befehl ist naturgemäß Sache des Kommandanten, nicht eines der jüngsten Offiziere. Ebenso freimütig berichtet der Briefschreiber, daß der Befehl zum Laden zu einem feiner Geschütze nicht durchdrang, während die anderen ihn schon zehn Minuten vorher erhalten hatten; so wurde dort erst geladen, nachdem die „Emden“ bereits das Feuer eröffnet hatte. Ferner merkte er mit Schrecken, daß er vergessen hatte, Verband-watte verteilen zu lassen, als einer seiner Geschützführer getroffen wurde. Er versichert, daß er es nicht wiedertun wolle. Einem gleichstarken Feinde gegenüber Hätten sich diese kleinen Ungenauigkeiten aber doch rächen können.
Die „Emden" lief nun auf den Strand, und damit war das Gefecht nach hundert Minuten zu Ende. Die „Sidney" erhielt außer den genannten Treffern noch eine Anzahl anderer, die aber keinen schweren Schaden taten; denn die Zerstörung der Mannschaftsräume Hat militärisch wenig Bedeutung. Sie suchte nun zunächst den Kohlendampfer der „Emden" zu nehmen, konnte aber nur die Mannschaft retten, da diese den Dampfer selbst versenkte. AIs sie zum Wrack der „Emden“ zurückkehrte, wehte dort die weiße Flagge; die „Sidney" wagte aber kein Rettungsrverk in die Nacht hinein, weil sie die Anwesenheit des deutschen Kreuzers „Königsberg“ in den Gewässern befürchtete, und dampfte ab. „Ein Schrei in der Dunkelheit, und wir
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II. Aus hoher Lee und an fernen Küsten.
stoppten, und Rettungsboote wurden ausgesetzt, um einen ganz erschöpften deutschen Matrosen auszunehmen, den vierten, den wir an diesem Tage auffischten. Am nächsten Morgen gingen wir zunächst zur ftabelstation und fanden, daß das deutsche Landungskorps einen Schoner*) weggenommen hatte imD an gefahren war. Die armen Teufel werden kaum weit kommen mit einem lecken Schiff, von dessen Pumpen alle Leder entfernt waren. Um 11 Uhr trafen wir wieder bei der „Emden" ein. ich wurde mit einem Kutter hinübergeschickt. Glücklicherweise ragte das Hinterschiff aus der Brandung heraus.“ Der Offizier kam mit einigen Schwierigkeiten an Bord und verständigte sick mit dem deutschen Kommandanten. Dann kam die schreckliche Arbeit, die Schwerverwundeten zu bergen. Die Deutschen waren ganz verdurstet, da sie beim Gefecht am vorigen Morgen ihr Trinkwasser verloren hatten; die Engländer gaben ihren Bootsvorrat, der zuerst den Verwundeten zugute kam. „Ich benutzte die erste Gelegenheit, den Kapitän der „Emden" zu begrüßen und sagte: .Sie haben sehr gut gefochten? Er schien in Gedanken zu versinken und sagte: .Nein? Ich ging weiter, aber er trat gleich wieder zu mir und sagte: .Ich danke Ihnen sehr, das; Sie mir das sagen, aber ich war nicht zufrieden, wir hätten es besser machen sollen. Sie haben oiel Glück gehabt, mir gleich zu Anfang alle Sprechrohre wegzuschießen?"
Bei Gelegenheit, als alle Boote fort waren, warf ich einen Blick rund um das Schiff. Ich will nicht beschreiben, was ich sah. Mit Ausnahme der Back, die kaum berührt ist, ist das Schiff von dex Brücke bis zum Heck ein wahres Schlachthaus, und der Anblick war ganz entsetzlich. Der deutsche Stabsarzt bat mich, nach Morphium zu signalisieren, schickte mich fort, und ich ging nicht wieder nach vorn." Der englische Offizier spricht sich dann sympathisch über einige deutsche Offiziere aus, besonders über den Kapitän von Müller. „Es machte den Deutschen großen Eindruck, als sie bemerkten, daß unser Kommandant sich jede laute Begrüßung in Eolombo verbeten hatte; aber wir hatten wirklich kein Bedürfnis nach Hochrufen mit unseren Reihen von Schwerverwundeten aus dem Achterdeck?' — „Am Tage, als Kapitän von Müller das Schiff in Colombo oerließ, kam er zu mir aufs Achterdeck und dankte mir für die Rettung der Verwundeten, schüttelte mir die Hand und grüßte, was sehr nett und höflich von ihm war." — „Wir meinten
*) Von der Mannschaft in den Hilfskreuzer „Kleist" umgewandelt.
II. Auf hoher See und au fernen Küsten.
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offenbar übereinstimmend, datz es unsere Pflicht war, einander zu vernichten, aber es war kein Hatz dabei."
Der Angriff auf Scarborough.
Heute, Montag, haben wir soeben das kohlen beendet — eine bekannte Montagsarbeit. Die Musik spielt flott dazu. Vor 14 Tagen, gerade an unserem Kohlentag, hatte unser Russenfänger Hindenburg eine siegreiche Schlacht geschlagen und 30 000 Mann gefangen, vor acht Tagen ebenso, wieder an unserem Kohlentag, 70 000 Russen. Da sagte nun unser 1. Offizier, je schneller wir kohlten, desto mehr Russen würden gefangen. Wie solch eine Siegesmeldung hier aufgenommen wird, das müßtet Ihr mal erleben; da werden die schwarzen Gesellen im Kohlenleichter wie elektrisiert, und die Schaufel flitzt nur so. Der 1. Offizier steht auf der Brücke und macht uns „Meldung", Hindenburg bekommt feine drei Hurras, und schon fällt die Musik ein. Das ist eigentlich die interessanteste Arbeit — die mit Musik. Nun sitze ich auf Wache in der Maschine und schreibe Euch diese Zeilen. Wenn wir ruhige Seewache gehen, d. h. wenn wir nicht fahren, ist zum Schreiben die beste Gelegenheit.
Donnerstag, den 17. Dezember. Zwischen diesen Zeilen liegt eine dreitägige Frist. Ich konnte diesen Brief nicht mehr beenden, es ist auch ganz gut so. Etwas Großes hat sich nämlich in diesen zwei Tagen für uns ereignet. Wir kriegten plötzlich Befehl für äußerste Bereitschaft. Und nun hört, — ich mutz damit raus —, wir sind über Nacht drüben an der englischen Küste gewesen! Die Nachricht werdet Ihr gewitz schon haben, wenn dieser Brief ankommt. Ich will's Euch aber einigermatzen schildern: Unser Kommandant hat uns heute morgen den Plan erklärt. Der Angriff ging von unsern Kreuzern aus. Schon in der Nacht vom Montag auf Dienstag waren die Schiffe unterwegs und hatten die Küste vor der Humber-Bucht mit Minen gespickt und für eine Seeschlacht das günstigste Fahrwasser für uns festgelegt. Wir dampfen am Dienstag nachmittag 4 Uhr in die Nordsee, Kurs West-Nord-West, — also rüber zu John Bull. Unsere Kleidersäcke waren gepackt und unter Panzerdecke gestaut, die Spinde also leer, die Backen und Bänke entfernt (wir satzen bei den Mahlzeiten platt auf Deck! Hau rinn in die Pellkartüffel!). Jeder Mann trug seine Nasenbinde, Verbandspäckchen und die Erkennungsmarke bei
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11. Auf hoher See und au fernen Küsten.
sich und war so gerüstet auf seiner Eefechtsstation. Ich hatte Maschinenwache von 4—8; wir fuhren nun mit aller Kraft bis morgens 6 Uhr durch. Jetzt kamen wir bald an Land und kreuzten im Rücken unserer Panzerkreuzer zum Schutz und zur Deckung nach allen Richtungen. Inzwischen dauernd Alarm, auch in der Maschine. Es wurde uns bekannt gegeben: an St. 33. feindliche Schiffe in Sicht! 4 Torpedozerftörer! Kurz darauf wurde von einem kleinen Kreuzer ein Zerstörer durch Salvenfeuer vernichtet und versenkt!! Es war 8 Uhr, ich kam von der Wache; auf dem Weg zur Badekammer ging ich aufs Batteriedeck und konnte durch die Sehschlitze in den Panzerungen das Blitzen unserer Granaten beobachten.
Ein wunderschöner Morgen bricht an. Unsere Panzerkreuzer bombardieren andauernd in Salven die Küste und spenden die herzlichsten deutschen Eisengrütze. Wir liegen immer noch vor unseren Scharfschützen, auf alles gespannt, den Torpedo und die Granate im Rohr. Vis 10 Uhr wurde gekreuzt. Das Bombardement dauerte von 8—9 Uhr. Ein herrliches Schauspiel, liebe Eltern! Die Zeppeline, Wasserflugzeuge und Torpedoboote vermitteln die Aufklärung großartig. Die Befestigungen von Hartlepool und Scarborough sind zerstört, Häuser und Kirchen zusammengeschossen, ein Gasometer steht in Flammen, die Signalstation ist zerstört und 20 Menschen sind getötet, 80 schwer verwundet. Das melden die englischen Blätter heute morgen. O, armes England, wie magst du erwacht sein! Die Bevölkerung flüchtet ins Innere des Landes. Wenn wir vorhin bei dem Aufmarsch der Schiffe als letzte fuhren, so fahren jetzt unsere Panzerschiffe als Nachhut. Es wurde gemeldet, wir würden verfolgt; uns ist aber nichts bekannt davon. Spät am Nachmittag soll ein englisches Geschwader aus dem Humber ausgelaufen fein. Also hat das erbärmliche Pack sich nicht getraut, uns anzufassen! Mit großer Sehnsucht haben wir auf unseren Stationen auf den ersten Schuß von unserem 28-Zentimeter-Turm gelauscht. So brausten wir um Mittag heimwärts, die Maschinen machten 100 Umdrehungen in der Minute und lagen am Abend um 10 Uhr im sicheren Hafen.
III. Im Westen
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III. 3m westen.
In den Rebbergen Mülhausens.
(Schilderung eines Augenzeugen.)
Mülhausen, den 12. August 1912.
Wir haben grotze und furchtbare Dinge erlebt. Es hiefo hier, das Oberelsah solle preisgegeben werden, andere meinten aber auch, datz es sich nur um eine Falle für die Franzosen handeln solle. Am Donnerstag rückten unsere Soldaten nach der Grenze ab. Am Freitag und Samstag gab es Gefechte bei Altkirch bis vor die Tore Mülhausens. Den ganzen Tag über erdröhnte Kanonendonner, gegen Abend hörte man Kleinfeuer und Rampflärm. Unsere paar Regimenter leisteten erbitterten Widerstand, muhten aber vor der Übermacht zurück, und am Samstag abend zogen die Franzosen mit klingendem Spiel in die Stadt ein. Schon am Freitag abend hatte die ganze Post, die Eisenbahn mit allen Lokomotiven, die Reichsbank die Stadt verlassen. Die Gleise waren gesprengt und die Stadt still wie ein Grab.
Der Sonntag kam herauf in strahlender Schönheit und beleuchtete die französischen Biwaks gerade vor uns am Tannenwald und die Artillerie, die eine Viertelstunde von uns am Kamm nach der Ebene aufgezogen war. Ein ganzes französisches Armeekorps hatte die Stadt passiert. Eine Abteilung Husaren kam auch durch den Kronenweg. „Hier sind wir. hier bleiben wir," erklärten sie; „jetzt geht es nach Berlin. Der Kaiser wird seine Koffer packen müssen." Es waren frische Jungen, steckten aber in miserablen Uniformen und hatten zerlumptes Sattelzeug, ersetzt teilweise durch Stricke. Und der Tag ging weiter in unerhörter Schönheit, so still, so unheimlich schön, man ahnte die Katastrophe. Zwischen 4 und 5 Uhr sahen wir Truppen von den Vogesen herbeiziehen, und schon kamen die ersten Kanonenschüsse im Norden Mülhausens bei Pfastatt <33orort). Das war deutsche Artillerie. Wir sahen, wie die
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III. Im Westen.
ersten Schrapnells in die Stadt einschlugen, wir sahen die französische Artillerie feuern, die leuchtenden Kugeln flogen, pfiffen und platzten. Und aus einmal kam uns die Erkenntnis, es geht auch um uns hier oben auf dem Nebberg. Wir flohen in den Keller, hatten gerade noch Zeit, den Kinderwagen, Sorhlet, Zwieback und ein paar Stühle runterzuschaffen. Da kam's Schlag auf Schlag, immer stärker pfiffen die Bomben, immer sicherer platzten sie in unserer Nähe. Und dann kam ein Moment, dessen Schrecknis nicht zu sagen ist. Unser Haus war getroffen, und wir fatzen da im schwarzen Pulverdampf und wußten nicht: brennt es ober stürzt es zusammen? Und noch eine halbe Minute, und es schlug wieder ein, und znm dritten Male. Wir alle rangen die Hände in schweigendem Entsetzen und warteten auf das nächste Schrapnell, das uns zerreißen mutzte. Unser kleiner Klaus war ganz still, nur seine A,ugen sahen grotz und starr, und er versuchte zu sagen: „Gelt, es war schon ein bißchen weiter weg." Und es platzten noch viele Schüsse über uns. Wir dachten, wir müßten ersticken, bis wir endlich die Kellertür aufmachen konnten. Als die Detonation nicht mehr ganz so über uns war, hörten wir auf einmal unseren Gärtner und seine Frau rufen: „Kommen Sie raus, Ihr Haus fällt ein!“ Und ohne uns umzusehen, sind wir in wilder Flucht durch all den ©ranatenregen zu Nachbarsleuten in den Keller gerannt. Später, als die Schüsse nicht mehr Schlag auf Schlag kamen, bin ich mit Ernst noch mal rüber, um Klaus' Matratze und Decken zu holen. Jetzt sah ich die Zerstörung. Im Nachbarhaus ist der halbe erste Stock zertrümmert, ein großes Loch. auch durchs Dach, zwei Zimmer und die Speichertreppe total zerstört. Bei uns keine Fensterscheibe mehr, die Zimmer voll Elassplitter, und sogar im Keller, wo wir saßen, Schrapnellstücke. Unser Haus hat vier Schüsse, die nicht ganz durchgingen. Die Bäume, Blumen, Palmen, alles hin, tiefe Löcher im Gras, entsetzlich.
Und es kam die Nacht, und ringsum entbrannte der fürchterliche Nahkampf. Wir saßen im Keller, 12 Menschen in einem kleinen Mittelraum, der uns am sichersten schien. Es war eine furchtbare Schlacht, und sie wollte nicht enden. Da, gegen Mitternacht, hörten wir auf einmal die französische Artillerie auf der Ziemersheirrter Landstraße nach dem Zoologischen zu in wilder Flucht abziehen. Ein Teil ging durch unsere Zurhein-ftraße. 11/2 Stunden hörten wir sie rasen. Es war uns wie eine Engelsbotschaft, aber wir durften noch nicht aufatmen.
III. Im Westen.
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Immer noch kamen Schrapnells von Pfastatt, und auf der anderen Seile grollte schrecklich der Idsteiner Klotz. Und vor und neben uns der Nahkampf, Gewehrfeuer, das Prasseln und Knattern des Maschinengewehrs, und auf einmal deutsche Kommandos, Signale: „Kartoffelsupp, Kartoffelsupp" zum Angriff mit dem Bajonett und die Kugeln flogen ums Haus und prasselten in die Bäume Und drunten aus der Stadt raste der Stratzenkampf herauf, bis es dann gegen 4 Uhr still wurde.
Wir gingen hinaus in die kalte Sternennacht und achteten nicht mehr darauf, datz noch immer einzelne Kugeln flogen. Die ersten Hähne schrien, der Mond stand kalt und klar am Himmel. Und wieder schwoll und raste eine Schlacht im Tannenwald, und dann wieder Totenstille. Wir sahen das weite Schlachtfeld, wir sahen dunkle Körper, und als um V25 Uhr das erste Morgenrot über den Blauen (Schwarzwald) stieg, rafften wir alles zusammen und flohen in rasendster Eile in die Stadt zu Bekannten. Und kaum waren wir dort, ging noch einmal eine schwere Kanonade über die Stadt, wir satzen wieder im Keller. Aber dann war der herrliche Sieg entschieden. Und zwei Stunden später rasten die Autos, um die Verwundeten zu holen. Es lagen die Leichen in Haufen übereinander wie Kartoffelsäcke. Alle Spitäler sind voll und die Notlazarette und die Häuser, die aufnehmen wollten. Ich sah bejammernswerte Menschen, ich will es nicht beschreiben. Und mittags zog das ganze siegreiche Armeekorps ein. Auch ein Vetter von mir, frisch und froh. Er kam herauf, als ich gerade nach unserem Haus sah, und nahm Saft, Wein und Kirsch- und Sulzmatter-Wasser mit. Von ihm hörten wir dann, datz sie die Kanonen auf unser weitleucktendes weihes Haus auf dem Berg eingestellt hatten, weil sie glaubten, die Höbe sei von Franzosen besetzt. So hatte er selbst uns so jämmerlich beschossen.
Es zogen nun unerhörte Mengen Soldaten in die Stadt ein. Ich sah die Feldpost, das Rote Kreuz. Der Stab ist da. Es war ein brausendes Jubeln bis abends 9 Uhr. Da ging der Verrat an. Franzosen waren noch da, versteckt in den Häusern, und sie schossen, und wieder war's ein Stratzenkampf und tolles Maschinengewehrknattern. Wir waren gerade wieder zu Hause angekommen, weil in der Stadt überall starke Einquartierung war. Und wir saßen wieder mit den Kindern beim Nachbar im Keller und legten uns um Mitternacht auf Matratzen. Es sind unzählige Verhaftungen vorgenommen worden. Ein Kloster in Niedisheim soll ausgehoben sein, weil hier eine ganze
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Compagnie Franzosen versteckt war. Andere Leute sind sofort erschossen morden, als man die Franzosen bei ihnen fand. Gestern den ganzen Tag gab's Haussuchungen mit aufgepflanztem Bajonett. Mir hielt ein Leutnant die Pistole unter die Nase, als ich gestern nichtsahnend an solch einem Haus vorbeikam. Aber man ist schon abgehärtet, daß man vor so was nicht mehr abschrickt. Wir fürchten nur noch die Schrapnells.
Und nun ist Nuhe, heißer Sommer, aber es zieht ein Brandgeruch, und nachts riecht es nach Leichen, die noch da liegen auf dem Wege nach Ziemersheim; hoch aufeinandergeschichtet, mit Mänteln zugedeckt, tvarten sie auf das Massengrab. Diese Nacht sind tvir zum ersten Male wieder aus den Kleidern gekommen und haben gut geschlafen. Wir haben Einquartierung und bewirten die Leute mit den besten Sachen. Es ist ein Wunder, bah wir noch leben und unversehrt sind. In der Stadt sind viele Zivilisten erschlagen.
Nach Belgien hinein!
Am 3. September 11.55 Uhr ging’s fort von Kiel. Der Ausmarsch von der Kaserne der 85 er, in der wir untergebracht waren, war sehr schön. Blumen regnete es förmlich, und als bas Bataillon auf dem Bahnhof antrat, sah es aus wie eine Herde Pfingstochsen. Mir hatte man so viele Blumen gebracht, baß das ganze Abteil einem Blumenladen glich. Selbst die Prinzessin Heinrich lietz es sich nicht nehmen, noch einige in den bunten Kranz hineinzufügen. Der Prinz hatte uns am Tage vorher besichtigt und einige ganz prachtvolle Worte zu uns gesprochen.
Mit fieberhafter Spannung verfolgten wir die Fahrtrichtung; denn noch immer war uns das Ziel unserer Reise unbekannt. Dies unsympathische Dunkel ist aber notwendig. Es könnte sonst auf irgend eine Weise über unsere Bewegungen etwas bekannt und selbst den Feinden etwas übermittelt werden.
In Langenfelde, d. h. auf dem Altonaer Rangierbahnhof, wurden wir ausgeladen, um verpflegt zu werden. Hier war eine große Kriegsverpflegungsstation errichtet. Nachbem bie Mannschaften, herzlich begrüßt von bem Publikum, ihre Mahlzeit unter Scherzen unb Lachen eingenommen hatten, kamen wir baran, unb bann ging’s vorwärts.
Die Fahrt burch Hamburg war für mich natürlich von besondrem Reiz. Ich habe viel an Euch gebacht unb war boch froh, baß Ihr nicht an ber Bahn wäret. Ich liebe berartige
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Abschiede nicht, und für Euch war's auch besser so. Euer prachtvolles Gleichgewicht wäre dadurch kaum verbessert worden. Statt von Euch habe ich von den Türmen, von der Alster und von meinem lieben Hafen Abschied genommen und daran gedacht, wie oft ich da und dort allein oder mit Euch mich ergangen habe. Die Fahrt über die Elbbrücken schafft endlich Klarheit. Rußland schied, wie ich es gehofft und erwartet hatte, aus unserem Programm aus. Die Lüneburger Heide zeigte sich uns in ihrer ganzen Schönheit. Die Heideblüte erfüllte unsere stickigen Abteile mit süßem Duft. An allen Brücken standen Landwehrposten, sogar die Strecken wurden durch Patrouillen abgegangen. Diese weitsichtige Organisation ist doch einfach großartig und ringt jedem einfachen Manne mit gesunden Sinnen unverhohlene Bewunderung ab. Zugleich wird klar, daß es mit der englisch-französischen Fliegerei doch nicht weit her sein kann; denn es ist nicht gelungen, auch nur eine einzige von unseren großen wichtigen Brücken zu sprengen.
Auf allen Stationen, wo wir hielten, war vom Noten Kreuz ein geradezu rührender Liebesdienst eingerichtet. Wir wurden nicht nur mit allem möglichem Eßbaren, sondern auch mit Zigarren, Postkarten, Handtüchern und Strümpfen und anderen netten Sachen bedacht. Der Betrieb geht Tag und Nacht ununterbrochen fort. Die Damen lösen sich richtig ab. Buchholz, das alte liebe Nest, das ich so oft mit Vater und Ernst besuchte, passierten wir gegen Abend.
Um 7 Uhr erreichten wir Münster und fuhren dann weiter dem Rhein entgegen. Die Fahrt über die Nheinbrüde bei Rheinhausen (Duisburg) gehört zu den eindrucksvollsten, die ich je erlebte. Die Wacht am Rhein, die stündlich mindestens einmal gesungen wurde, klang so ernst und entschlossen, daß einem die Pulse höher schlugen. Wie ein Choral brauste der Sang von über 1000 Männern über das Land, so daß uns etwas wie ein heiliger Schauer erfaßte. Stolz schlug das Herz in unserer Brust!
7. September. Die Fenster unseres Salon-, Schlaf- und Speisewagens sind dicht verhängt. Um 6.30 Uhr werden wir mit ohrenbetäubendem Hurra aus unseren Träumen gerissen. Wir überschreiten die belgische Grenze. In Feindesland! Ein kräftiges: „Heil dir im Siegerkranz" und ein markiges: „Die Wacht am Rhein“ macht unseren Herzen Luft. Bei Dolhain passieren wir den Tunnel, den die Belgier vergebens zu sprengen versuchten. Um ihn unpassierbar zu machen, haben sie dann 17
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III. Jni Westen.
Lokomotiven in voller Fahrt hineinsausen lassen. Unsere Eisenbahner haben hier in fünf Tagen eine 6 Kilometer lange Umgehungsbahn gebaut und später den Tunnel geräumt.
Der belgische Bahnkörper wird genau so vom Landsturm bewacht, wie daheim. An jeder Brücke, bei jedem Tunnel und bei jedem Niveau-Übergang stehen Posten. Auch werden die Strecken begangen, um die Bahn vor Franktireurs zu schützen und die Transporte zu sichern. Die Landschaft, welche wir durchfahren, ist entzückend. Zunächst fahren wir im Talboden der Vesdre. Weithin dehnen sich die fruchtbaren Felder aus. Reizend gelegene Dörfer und romantische alte Schlösser ziehen an uns vorüber.
Die Städte, die wir passieren, Berviers, Ensival, Pepinster, Chaudfontaine usw. sind still; nur selten zeigt sich ein neugieriges Gesicht. Die Bahnhöfe stehen unter deutscher Verwaltung, unsere Rotmützen tun hier ihren Dienst. Die Polizei ist belgisch geblieben, steht aber unter militärischer Kontrolle. Auf den offiziellen Gebäuden wehen deutsche Fahnen. Belgische Farben bemerken wir nicht. Dafür hängt an allen Häusern etwas Weißes: Hemden, Bettücher usw., als Zeichen der Ergebenheit. Vor Berviers fanden wir die ersten zerschossenen und verbrannten Häuser. In schauriger Ode stehen die kahlen Giebel da, leere Fensterhöhlen gähnen uns an, und ein wüstes Durcheinander zeigt sich allenthalben. Der Krieg kommt näher, seine Zeichen werden deutlicher. Sie wirken entsprechend auf Mann und Offizier. Die Soldaten singen fröhlich: Haltet aus im Sturmgebrüus! — Wie mutz das aus die unglücklichen Bewohner wirken??
O Deutschland hoch in Ehren!
O Deutschland hoch in Ehren,
Du heil'ges Land der Treu',
Stets leuchtet deines Ruhmes Glanz In Ost und West aufs neu'.
Du stehst wie deine Berge fest Gen Feindes Macht und Trug.
Und wie des Adlers Flug vom Nest Geht deines Geistes Flug.
Haltet aus! Haltet aus!
Lasset hoch das Banner wehn!
Zeiget ihm, zeigt der Welt,
III. Im Westen.
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Wie wir treu zusammenstehn!
Daß sich unsre alte Kraft erprobt,
Wenn der Schlachtruf uns entgegentobt.
Haltet aus im Sturmgebraus!
Zum Herrn erhebt die Herzen,
Zum Herrn erhebt die Hand,
Gott schütze unser teures,
Geliebtes Vaterland.
Das sind die deutschen Schwerter noch,
Das ist das deutsche Herz,
Sie zwingt ihr nimmermehr ins Joch,
Sie dauern aus wie Erz!
Haltet aus! Haltet aus!
Lasset hoch das Banner wehn!
Zeiget ihm, zeigt der Welt,
Wie wir treu zusammenstehn!
Daß sich unsre alte Kraft erprobt,
Wenn der Schlachtruf uns entgegentobt.
Haltet aus im Sturmgebraus!
Zwei Lehrerbriefe an Hamburger Schulklassen.
a) A n Neunjährige.
Dilbek-Heelgem, dicht bei Brüssel,
3. September 1914.
Meine lieben, lieben Iungens!
Heute habt Ihr mir eine große Freude gemacht: ich besam drei Postkarten und einen Brief von Euch. Es war nicht das erste Mal, daß mir die Post etwas von meinen lieben Bengeln brachte. Ich habe schon recht viele Karten und Briefe von Euch. Aber heute war's so fein viel auf einmal. Ich danke Euch allen, die Ihr mir geschrieben habt, meine guten Freunde. Ich danke Euch auch für das große Stück Schokolade, das Ihr alle mir geschickt habt. Es hat fein geschmeckt. Ihr tut mir einen großen Gefallen, wenn Ihr mir mal wieder ein Stück sendet. Ich gebe den anderen Soldaten davon ab. Ihr ahnt ja nicht, Ihr kleinen Kerls, wie gut etwas Süßes schmeckt, wenn man tagelang nichts anderes gegessen hat als dünne Fettsuppe und trockenes Brot und saure, unreife Apfel. Ehe ich Euch nun etwas vom Kriege und von unseren Kämpfen erzähle, will ich Euch noch eine Bitte aussprechen: jeder von Euch schreibt mir
III. Im Westen.
zu Hause einen Brief und erzählt mir darin, was er mag. Dann bringt Ihr Eure Briefe alle mit in die Schule; Herr Dr. W. tut sie in einen Umschlag und sendet sie mir. Das kostet nichts. Auch die Freimarken auf dem Schokoladenbrief wären nicht nötig gewesen. Wollt Ihr das tun? Ich würde mich mächtig freuen, mal von Euch allen einen Gruß zu kriegen.
Nun will ich Euch schreiben, wie es mir inzwischen gegangen ist. Am 6. August mutzte ich morgens um 8 Uhr in der Rinderhalle auf dem Heiligengeistfelde sein. Wir wurden da mit vielen tausend Mann in die Eisenbahn gepackt und nach Flensburg gefahren. Flensburg liegt nicht weit von Dänemark, ganz im Norden unseres Vaterlandes. Nach zehn Stunden ganz langsamer Eisenbahnfahrt im Viehwagen kamen wir in Flensburg an. Auf dem Bahnhöfe bekamen wir Abendbrot, und dann gingen wir in die Wohnhäuser zum Schlafen bei ganz fremden Leuten. Am anderen Tage bekamen wir unsere feldgrauen Uniformen, unsere Gewehre und die sehr scharfen Seitengewehre zum Stechen. In Flensburg blieben wir ein paar Tage. Wir übten uns da im Marschieren und im Eefechtsdienst auf den Feldern. Ihr könnt mir glauben, meine Kerls, es ist gar nicht so leicht, in den großen schweren Stiefeln zu laufen und dabei noch einen Tornister zu schleppen, der etwa so viel wiegt wie einer von Euch. Vielen von uns gingen zu Anfang die Füße entzwei; sie hatten große Blasen auf der Haut. Und viele von uns konnten die Schlepperei in der Hitze nicht aushalten; sie fielen einfach um und waren krank; mir ist das nicht so gegangen. Aber das ist nun vorbei; jetzt sind wir alle den Rummel gewohnt und können alles aushalten. Natürlich ist das bei den Franzosen noch schlimmer und bei den anderen Feinden auch. Von Flensburg gingen mir in die Dörfer der Umgegend. Vierzehn Tage lang haben wir uns für den Krieg eingeübt. Dann kam ganz plötzlich der Befehl: „Marsch mit der Eisenbahn nach Belgien?" Wir mußten zwei Tage fahren. Ich war mit der Fahne in einem Abteil und mußte die während der Fahrt bewachen. Die Eisenbahn in Belgien gehörte uns schon. Wir fuhren einfach mit belgischen Lokomotiven, auf belgischen Schienen und mit belgischen Steinkohlen. Alles hatten die Deutschen schon erobert und bewachten ies. Als wir ausgestiegen waren und unsere Offizierspferbe unb der Patronenwagen und die Feldküche — das ist ein Kochherd auf einem Wagen — ausgeladen waren, marschierten mir noch ein paar Stunden ins feindliche Land hinein. Am Abend
III. Im Westen.
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bauten wir uns in einem verbrannten Dorfe Zelte zum Schlafen. Am frühen Morgen ging es weiter bis zu einem Dorfe, das Bueken hieß. Hier waren die Bewohner sehr freundlich gegen uns, setzten uns Wasser zum Trinken heraus und gaben uns Obst zu essen. Aber als wir am Abend abmarschierten und ihnen den Rücken drehten, schossen sie plötzlich aus den Dachluken auf uns wie verrückt. Wir ftehrt gemacht, hinein in die Häuser, alle Leute verhaftet, alle Männer, bei denen Waffen gefunden wurden, sofort totgeschossen, und alle Häuser, aus denen sie geballert hatten, in Brand gesteckt. Das sah schauerlich aus, wie am dunklen Abend die großen Feuer ringsum leuchteten. Die Bewohner, die unschuldig waren, wurden zur Sicherheit in eine große Scheune eingesperrt; es geschah ihnen aber sonst nichts. Wir marschierten in derselben Nacht noch ab und gruben uns auf einem freien Felde ein. Wir gruben einen tiefen Graben, in dem mir stehen und aus dem wir schienen konnten, ohne daß der Feind uns sah. Die ganze Nacht hatten wir zu arbeiten; schlafen durfte keiner. Nur einmal bekamen wir von unserer Feldküche eine Portion Kohlsuppe, aber ohne Fleisch, mitten in der Nacht. Am andern Morgen fing der Feind an zu schießen. Da hielten wir's in unserm sicheren Graben nicht mehr aus. Raus, und den Belgiern entgegen. Junge, Junge, die schossen wie die Teufel. Die feindlichen Flintenkugeln sausten uns um die Ohren. Aber sie taten uns wenig; denn die Feinde zielten sehr, sehr schlecht. Wir liefen ein großes Stück vor, legten uns aufs Feld und schossen. Ich hatte acht Soldaten zu führen. Die zielten fein langsam und bedächtig; das ist viel besser als das schnelle Schießen. Leider konnten wir die Feinde zuerst nicht sehen. Sie hatten sich in einer großen Fabrik versteckt und schossen aus Dach und Fenstern. Aber da jagten unsere Kanonen ein paar kräftige Treffer in das böse Dach. Die Belgier kriegten es mit der Angst, liefen aus der Tür heraus, und da haben wir der Bande mit unseren Flinten eingeheizt! Wie sie liefen! Wir immer hinterher und auf sie geschossen. Und unsere Kanonen jagten sie ganz in die Flucht. Nach sieben Stunden Gefecht hatten wir Ruhe. Der Feind hatte zwar auch mit feinen Kanonen auf uns gezielt. Aber er schoß auch damit schlecht, und feine Kugeln hatten beim (Explodieren längst nicht soviel Kraft wie unsere. Sonst hätte es uns bös gehen können, denn der Belgier waren dreimal mehr als wir. Angst haben wir aber nicht gehabt, kein bißchen. Und was für eine Freude das ist,
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III. Im Westen.
wenn die Feinde auskneifen, das könnt Ihr Euch gar nicht vorstellen. Wir hatten aber auch Tote und Verwundete, sehr viele sogar. Aber der Feind hatte viel mehr. — Ein paar Tage später wollten wir mit den Engländern streiten. Aber die hatten sich gedrückt, ehe wir da waren. Feiges Pack!
Ihr seht, meine Iungens, wir siegen. Wir Deutschen siegen, und das ist recht so. Das ist schön, datz wir alle gern unser Leben wagen. Ich wünsche mir sehr, daß ich Euch alle wiedersehe, datz ich Euch in Biblischer Geschichte oder im Schreiben unterrichten kann, wenn Ihr in der Serta seid; denn vorher werden wir uns nicht sehen, meine Iungens. Aber wenn ich nicht wiederkomme — unser herrliches Vaterland kann auch mein Leben bekommen.*)
Euer Hans Hutz.
b) An Elfjährige.
27. September 1914.
Meine lieben Jungen!
Heute endlich habe ich einmal Zeit, Euch recht herzlich zu danken für all die lieben Grütze, die Ihr zu mir herübergeschickt habt. Und Ihr müßt es mir nicht übelnehmen, daß ich nicht jedem Einzelnen wiederschreibe. So gern ich es wohl möchte, es geht nicht; dazu ist keine Zeit. Noch immer bin ich in Brüssel, obschon es in jedem Augenblick losgehen kann: bereit ist alles. Das war eine lange, lange Fahrt von Hamburg bis Brüssel. Am schonen Sonntagnachmittag, den 6. September, sind wir in Altona verladen worden. Reiner wußte, wohin es gehen würde. Da fuhr unser Zug zuerst in der Richtung auf Vahrenfeld-Eidelstedt, bis zum dortigen Güterbahnhof, und wir meinten schon, wir sollten wohl nach der dänischen Grenze geschickt werden. Dann hielt der Zug. Eine einzelne Lokomotive kam in eiligster Fahrt uns nach und brachte zwei von unseren Leuten, die zu spät auf dem Kasernenhof angekommen waren. Da wurde unsere Lokomotive umgespannt, und nun ging’s wieder zurück nach Altona und bann nach dem Hamburger Hauptbahnhof. Wieber ein kurzer Aufenthalt, unb weiter! Wohin geht es nun? Nicht nach Berlin zu, bas merkten wir balb, also auch nicht nach Ostpreußen. Aber nun konnten wir nur ja entweder na* Frankreich kommen, nach Belfort, wie
*) Der Verfasser hat anf° dem Schlachtfelde den Heldentod gefunden.
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einige glaubten, ober auch nach Belgien. Als wir in Harburg auf bas Bremer Vahngeleise abbogen, ba mußten wir Beweib. Da saßen wir nun in unserem Packwagen, ließen^bie Beine herausbaumeln unb nahmen mit ber scheibenben Sonne zugleich unsern Abschieb von ber lieben heimatlichen Lanbschaft. Einzelne Heibewanberer, bie bei Rieden unb anberen kleinen Haltestellen auf ben Zug warteten, waren bie letzten Hamburger, bie uns Lebewohl zuriefen. Dann kam ber Abenb, verhüllte bas schöne Vilb ba brau gen unb auch bie Trane, bie boch manchem ber scheibenben Krieger bas Auge gefeuchtet hatte. Es würbe kalt, bie Türen würben zugeschoben, unb bei einem spärlichen Ollämpchen unter ber Mitte ber Wagenbecke zogen wir uns mehr unb mehr in unsere eigenen Gebanken zurück. Das laute Gingen unb Pfeifen machte ber Mübigkeit Platz. Unb nicht lange bar auf lag bas ganze Kriegsvvlk auf ben Banken unb auf bem Boben bes Wagens unb schlief. Unb manch einen mag ein schöner Traum noch einmal tvieber mit seinen Lieben zu Hause vereint haben.
Die Tage barauf würben immer ungemütlicher. Hier unb bort würbe gehalten; es würbe uns Kaffee unb Butterbrot, warmes Mittagessen gereicht, so gut es sich machen ließ; als es über bie Grenze hinausging unb unsere Verpflegung schwieriger würbe, haben wir auch mal einen ganzen Tag überhaupt nichts bekommen. Das tut nichts. Im ganzen haben wir ungefähr 75 Stunben auf ber Eisenbahn zugebracht. Als mir bei Herbesthal, in ber Nähe von Aachen, bie belgische Grenze erreichten, mutzten wir bie Gewehre laben, unb vier Mann in jebem Wagen mutzten bie Gewehre schutzbereit halten, für ben Fall, batz ber Zug überfallen würbe. Aber wir haben nichts vom Feinbe gesehen. Wir fuhren burch Lüttich, bie erste grotze belgische Festung, bie von ben Deutschen erobert worben ist. Wir haben bie Hälse gereckt, um etwas von ben zerschossenen Forts ober zerstörten Häusern zu sehen: nichts von allebem, alles so ruhig unb frieblich unb in voller Drbnung, als ob hier niemals Krieg gewesen wäre. Das macht, bie Forts liegen so weit brautzen vor ber Stabt unb sinb so schlecht zu erkennen, batz wir eben nichts gewahr geworben sinb. Unb bie Stabt selbst ist nicht beschossen worben, weil bie Belgier sich gleich ergeben haben, als bie Autzenforts kaputtgeschossen waren. — Weiter nach Belgien hinein! Die ganze Bahnstrecke war von beutschen Lanbwehrleuten besetzt. In ben belgischen Bahnhofs-gebäuben lagerten sie, ober in Bauernhöfen, bie nahe ber Bahn
liegen, oder sie hatten sich ein Zelt oder eine einfache Bretterbude auf offener Strecke errichtet. Da lagen sie umher, stellten Wachtposten auf, fochten das Essen über einem offenen Feuer, spielten Raden, lasen oder schliefen. Und wo wir an einem Lager vorbeikamen, bestürmten uns die Kameraden vom Landsturm, wir sollten Zeitungen geben, und wir hatten selber schon längst keine mehr zu sehen bekommen und wußten nicht, wie's in der Welt stand. Jetzt in Feindesland begegneten uns die ersten Züge mit Gefangenen und Verwundeten. Einmal lagen wir längere Zeit neben einem Zug mit gefangenen verwundeten Franzosen, daß man von einem Zug zu einem danebenliegenden mit der Hand hinüberreichen kann. Uns gerade gegenüber lagen in einem Abteil 3. Klasse drei Franzosen, die bei Maubeuge verwundet worden waren. Sie waren jammervoll zerschossen. Wie sie da nun so lagen, hilflos, mit bleichen Gesichtern, die in der schwarzen Umrahmung ihres Haares noch viel weißer aussahen, da vergaßen wir ganz, daß es unsere Feinde waren, die vor uns lagen. Wir sahen nur die unglücklichen Menschen in ihnen, die wie wir ins Feld hatten ziehen müssen, um ihre Pflicht gegen ihr Vaterland zu erfüllen. Und so wenig wir selber hatten, reichten wir ihnen doch von unserem Brot und Kaffee. Diese dankbaren Gesichter! Trotz aller Schmerzen lachten sie uns zu. „Kamerad, wir Kamerad," rief einer zu uns und meinte damit, daß wir alle, Deutsche sowohl als Franzosen, in der gleichen furchtbar ernsten Lage wären. ..Wünschen Deutsch Sieg! Wünschen Deutsch Sieg!" rief ein anderer zu uns herüber. Ein dritter aber, der mit mehreren schweren Wunden hilflos dalag und durch seine Kameraden von unserem Brot erhalten hatte, richtete sich mühsam etwas auf: „Merci, merci“, kam es mit leisem und doch innigem Dank von seinen blauen Lippen. Sie waren alle drei verheiratete Reservisten, die Frau und Kinder zuhause gelassen hatten.
Ganz anders als in Lüttich sah es in Löwen aus. Dort waren einzelne Stadtteile vollständig zerstört, d. h. es standen von den Häusern nur noch die Außenwände; Dach und alle Decken und Fußböden waren von oben bis unten herunter-gefegt. Wie wir auf dem Bahnhof Löwen ankamen, waren gerade Abteilungen vom Seebataillon angekommen. Es hatten nämlich Belgier einen Ausfall aus Antwerpen unternommen. Schon waren sie dicht bei Löwen. Unser Bataillon erwartete den Befehl zum Aussteigen, um am Kampf teilzunehmen. Lange warteten wir in äußerstem Gespanntsein. Da bekamen
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wir Nachricht, datz wir in Brüssel nötiger wären. So fuhren wir weiter. Alle Transporte, (bie nach uns kamen, mutzten liegen bleiben. Was an Truppen darin war, ging sofort ins Gefecht. Das hat mehrere Tage angehalten. Datz die Unsrigen gesiegt haben, witzt Ihr aus der Zeitung. Löwen ist dabei zum zweitenmal beschossen worden. Ja, und wir kamen also nach Brüssel, verbrachten dort die erste Nacht in einem großen Güterschuppen und zogen dann in die Kadettenschule ein. Das ist bis jetzt unsere Kaserne. Wir müssen in der Stadt Wachen stellen, innen sowohl wie draußen vor. Man fürchtet hier, die Bewohner von Brüssel möchten sich gegen die Deutschen empören, wie es die Leute in Löwen getan haben. Das zu verhindern, sind wir hier. Bislang ist aber alles ruhig geblieben. Heute morgen hat die Beschießung von Antwerpen begonnen. Den Kanonendonner können wir hier Hörem Und natürlich horchen auch die Brüsseler unausgesetzt darauf. Zu tun haben sie größtenteils doch nichts. Alle Arbeit liegt still, noch viel mehr als bei Euch in Hamburg. Die Not bei den Arbeitern ist sehr groß, und so mutz man schließlich doch darauf gefatzt sein, datz die Brüsseler aus Not und Verzweiflung versuchen, uns hinauszujagen. Seit heute darf keiner von uns die Kaserne verlassen; nachts müssen wir in vollem Zeug schlafen, unser Gepäck liegt fertig bereit. Sowie Alarm geblasen werden^ sollte, werden wir in wenigen Augenblicken gefechtbereit sein, too vergeht ein Tag nach dem anderen in Wachen und_ Spannung. So ruhig es die ersten Tage war, so aufgeregt ist jetzt alles. Schon wurde gestern der Bürgermeister verhaftet und gefangen gesetzt. Nun müssen wir sehen, wie es weitergeht. Einstweilen kann ich Euch nocb alle herzlichst grützen.
Euer E. Schmantes.
Artillerie-Schrecken.
Aus dem Tagebuch des Generals Leman.
Der Verteidiger der Festung Lüttich, Generalleutnant L6man, hat denkwürdige Aufzeichnungen über die Beschietzung und Eroberung des Forts Loncin gemacht.
Der General berichtet, datz die Deutschen am 7. August die ganze Stadt in den Händen hatten, weil sie durch das Fehlen eines gedeckten Platzes innerhalb des Forts gürteis auf dem rechten Maasufer sämtliche Forts auf dieser Seite von innen her, d. h. von der Kehlseite her, angreifen konnten. Von
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III. Im Westen.
diesem Augenblick an konnte die Beschießung der Forts auf betn linken Maasufer beginnen. Das Fort Loncin liegt nordwestlich von Lüttich an der großen Heerstraße nach Brüssel unb ist ganz modern ausgebaut.
Über den legten Abschnitt der Beschießung, der mit dem Fall des Forts Loncin endete, hören wir am besten, was der General Lern an selbst berichtet:
»Es war 2 Uhr. als die Beschießung von neuem mit einer Heftigkeit begann, von der man sich keine Vorstellung machen kann. Es kam uns so vor, als ob die deutschen Batterien Salven abgäben. Wir erfuhren später, daß sie da mit 42-Zenti-meter-Mörsern geschossen hatten, die Granaten von 1000 Kilogramm gegen uns schleuderten, von einer bisher noch nicht dagewesenen Erplosionskraft.
Wir hörten, wenn sie ankamen; wir hörten das Sausen der Luft, das sich allmählich bis zum Heulen eines wütenden Orkans steigerte und in einem furchtbaren Donnerschlag seinen Abschluß fand. Ungeheure Wolken von Staub und Rauch wälzten sich über ben erzitternben Voben.
In einem gewissen Augenblick bieser schrecklichen Beschießung wollte ich in ben Aommanbeurstanb zurückgekehen, um zu sehen, was bort vor sich ging. Aber kaum hatte ich einige Schritte in bie Galerie getan, als ein mächtiger Luftstoß, ber den Korridor entlangfegte, mich umwarf, so baß ich aufs Gesicht schlug. Ich erhob mich unb wollte meinen Weg fortsetzen, würbe aber festgebannt durch eine wahre Flut von Stickluft, die alles einhüllte. Es war eine Mischung von dem Gas des eiplobiermben Pulvers unb bem Rauch einer Feuersbrunst, bie in ben Mannschaftsräumen ausgebrochen war, wo sich Betten unb Möbel befanben.
So würben wir also tvieber bahrn zurückgetrieben, woher wir kamen, aber bie Luft war jetzt nicht mehr zu atmen. Wir wären fast erstickt barin, als Hauptmann Gollarb, ber Abju-tant bes Generals, auf ben Gebanken kam, ben oberen Teil ber Panzerung bes Fensters wegzunehmen; inberrt so ber Raum oberhalb bes Eitterwerks freigemacht würbe, kam ein wenig Luft herein.
Da ich fortwährend) bie Ibee hatte, einen Teil ber Besatzung in Sicherheit zu bringen, sagte ich meinen Begleitern, ich wollte mich in bie Kontre-Escarpe begeben. Man ließ mich also burch ben Zwischenraum hinburch unb bann in ben Graben gleiten, ben ich burchschritt. Aber wie groß war mein Entsetzen.
als ich fas), datz das Fort eingestürzt mar, dasz seine Trümmer den Graben der ftef)le anfüllten und einen Damm bildeten, der von der Escarpe bis zur Kontre-Escarpe reichte.
Soldaten liefen auf diesem Damm hin und her. Ich hielt sie für belgische Gendarmen und rief sie an: „Gendarmes!" Aber ein Erstickungsanfall befiel mich, Schwindel ergriff mich. Ich fiel zu Boden.
Als ich wieder zu mir kam, sah ich mich inmitten meiner Begleiter, die versuchten, mir zu helfen; aber im Kreise der Meinen befand sich ein deutscher Hauptmann, der mir einen Becher Wasser zu trinken gab.
Da war es ungefähr 6% Uht abends, was ich später erfahren habe; ich wurde in einen Krankenwagen gelegt und nach
Lüttich gebracht.
Ich war Gefangener, ohne mich ergeben zu haben.
Ich habe später erfahren, datz das Fort Loncin etwa um 4.20 Uhr nachmittags in die Luft geflogen war, gerade in dem Augenblick, als ich durch die Rauchwolke in der Galerie zu Boden geworfen wurde; datz die Leute, die ich für belgische Gendarmen gehalten hatte, deutsche Soldaten waren, die auf den Damm heraufgesprungen waren, als sie den von mir oben erwähnten Graben durchquerten.
Datz deutsche Pioniere kommandiert worden waren, um die von den Verteidigern des Forts zu retten, die man noch am Leben antreffen könnte, erfuhr ich gleichfalls.
Nach Lüttich zurückgekommen, wurde ich im Schlotz des Provinz-Gouverneurs interniert zusammen mit dem Hauptmann und Kompagniechef Collard und meinem Burschen.
Der deutsche Generalleutnant Kolewe, Militärgouverneur dieser Stadt, überreichte mir in Gegenwart des Hauptmanns Tollard und des deutschen Majors B.., der als Platzkommandant funktionierte, einen Säbel als Zeichen der Achtung.
Ich habe diese Waffe hier in meinem Zimmer auf der Magdeburger Zitadelle.
Nichtsdestoweniger waren die moralischen Leiden, die ich auszustehen hatte, entsetzlich; sie lietzen mich meine körperlichen Schmerzen vergessen.
Ich mutzte mich indessen damit beschäftigen, denn alle Augenblicke ergriffen mich Übelkeit und Schwindelanfälle, die mich schwankend machten: der Aufenthalt in der erstickenden Luft von Loncin hatte mich vollständig krank gemacht.
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Mit Hauptmann Collard und meinem Burschen, die mich nicht verlassen hatten, wurde ich zuerst nach ftöln gebracht unter Führung eines deutschen Majors, dessen höfliches und herzliches Wesen ich niemals vergessen werde.
In ftöln angekommen, wurden wir in einem Hotel untergebracht und warteten auf einen anderen Bestimmungsort. Das Hotel war recht gut. Wir wurden dort von einem Militär-posten ständig im Auqe behalten.
Am 23. August brachte man uns nach der Zitadelle Magdeburg.“
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Man sann bie Aufzeichnungen bes tapferen Generals nicht ohne bas Empfinben ehrlicher Hochachtung vor einem Gegner aus ber .Hanb legen, ber sich so ritterlich geschlagen hat. Aufrichtig gönnen wir bem braven ftommanbanten von Lüttick beshalb auch ben Trost, ben ein bei aller 5>ärte gütiges Geschick ihm beschert hat, mbem es ihm burch'eine schwere Erstickungsohnmacht bie bittere Notwendigkeit ersparte, ben so tapfer verteibigten Platz in eigener Person bem Sieger zu übergeben.
Mit doppelt stolzer Freube aber blicken wir nach ber Durchsicht seines Tagebuches auf bie beutschen Helben, beren Un-wiberstehlichkeit bie beutsche Feste an ber Maas erlegen ist.
Lüttich.
Wir horchten noch beklommen,
Da klang's wie ein Signal,
Klang über alle Berge Unb klang in jebes Tal:
Die Deutschen,
Die Deutschen haben Lüttich genommen!
Wie war sie uns willkommen Unb gab uns Zuversicht,
Vom Heer bie erste ftunbe!
Nun hofft unb zaget nicht!
Die Deutschen,
Die Deutschen haben Lüttich genommen!
Und Funken, die schon glommen,
Ersticken vor dem Brand,
Man hört's in alle Weiten,
Man hört's in jedem Land:
Die Deutschen,
Die Deutschen haben Lüttich genommen!
Ludwig Thoma.
Unsere Feuertaufe in Löwen.
Zwischen Lüttich und Löwen war die Strecke mehrfach verrammelt. Man mutzte zuweilen stundenlang auf freiem Felde warten und geriet allmählich in eine etwas stumpfsinnige, lammesgeduldige Geistesverfassung hinein, nur des einen verwegenen Wunsches fähig, sich möglichst bald durch ein Vollbad wieder in einen frischen, schlagfertigen Soldaten zu verwandeln. Bei Tirlemont, der hübschen, weitzen Stadt, bemerkten wir zuerst die jungen Spuren des Krieges: viele Brandstätten. Besonders längs der Landstratze, die nach Löwen führt, standen zahlreiche Häuser in Trümmern. Die Bewohner hatten offenbar aus den Fenstern auf die vorbeiziehenden Truppen geschossen und dafür die verdiente Strafe erlitten. Wir bedauerten die Unvernunft dieser aufgehetzten Leute und freuten uns, im sicheren Eisenbahnwagen ihren hinterlistigen Angriffen entrückt zu sein, machten uns im übrigen aber keinerlei sorgenvolle Gedanken.
Endlich in Löwen. Unsere Truppenleitung wird mit der Nachricht empfangen, datz in einiger Entfernung ein Gefecht im Gange sei. Der kommandierende General und die Herren seiner Umgebung besteigen unverzüglich ein Auto, um sich von der Lage der Dinge zu unterrichten. Wir anderen haben uns zunächst in der Stadt häuslich einzurichten. Meine Satteltaschen in der Hand, schlendere ich über den Bahnhofsplatz, an dem hohen Denkmal van der Weyers vorüber die Bahnhofstratze hinauf, von deren Ende die eigenartigen Konturen der alten Kathedrale in die neue Stadt Herübergrützen. Es kommt mir vor, als zöge ich (wie zuletzt vor 18 Jahren) in ein Manöver-quartier, in dem es allerhand Schönes zu sehen gibt, wenn nur erst die dienstlichen Pflichten erledigt sind. Mit Leichtigkeit finde ich mich zu den beiden Hauptpunkten unseres vorläufigen Standortes hin, zum Hotel Metropole, wo die höheren Offiziere untergebracht find, und zu dem als Militärbureau einge-
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III. Im Westen.
richteten Iustizpalast. Die Bürger betrachten uns mit einer gewissen scheuen Spannung. Man bemüht sich, ihre Gefühle zu schonen, denn es mutz widerwärtig sein, die eigene Vaterstadt von Feinden überschwemmt 311 sehen. Unterwegs treffe ich einen Bekannten aus Hamburg, sonst Rechtsanwalt, und jetzt Husarenleutnant. Er ist angetan von der Liebenswürdigkeit der Löweneri „Gehen Sie hier in irgendeines der stattlichen Wohnhäuser hinein und bitten Sie um ein Zimmer; man wird Sie mit dem größten Entgegenkommen beherbergen wie mich nun schon seit drei Tagen." Ich befolge den Rat und erhalte in einer Apotheke sogleich eine gemütliche, obschon etwas abgelegene und schwer erreichbare Stube.
Wie ich bald darauf mit einigen Herren im Metropole einen kleinen Imbitz nehme, ziehen große Haufen nicht zu uns gehöriger Infanterie durch die Straßen, und es heißt, auch wir würden alarmiert werden und müßten vielleicht noch bei anbrechender Dunkelheit ins Gefecht hinaus. Ich renne zum Marktplatz, wo unsere noch gesattelten Pferde soeben vom Bahnhof angelangt sind, und wo auch der Wagenpark eingerichtet wird. Wir sitzen auf und reiten durch die von Infanterie wimmelnden Gassen. Alles ist in Erregung, um so mehr, je dunkler es wird, je weniger der einzelne weiß,, was denn nun eigentlich los ist, und je mehr die Befehlenden genötigt sind, ihre Mannschaften durch laute Rufe zusammenzuhalten und das allgemeine Getrappel und Gestampf zu übertönen. Nach einer Weile kommt Gegenbefehl: Wir kehren wieder um und rücken von neuem auf den Marktplatz, dessen Rechteck sich inzwischen mit bespannten Wagenkolonnen bis in den letzten Winkel gefüllt hat. Jetzt soll nur noch Fvurage eingenommen werden, damit Mannschaften und Pferde endlich, ehe es Nacht wird, ihre Quartiere beziehen können. Mein etwas ungeduldiger Nachbar will gerade wieder zitieren: „Wohl den grötzten Teil des Lebens wartet der Soldat vergebens" — da stockt ihm das Wort im Munde: ein betäubender Knall aus der einen Ecke des Marktplatzes läßt uns blitzschnell herumfahren. Ich sehe in Mannshöhe einen hellen Feuerschein. Mein erster Gedanke: da kommt belgische Artillerie und schietzt unsere eingepferchte Truppe hier auf dem Marktplatz zusammen. Im nämlichen Augenblick rasen alle Reitpferde in die dem Knall entgegengesetzte Ecke des Platzes, stürzen übereinander und verlegen in zappelndem Knäuel die Gasse, die dort hinausführt. Die angeschirrten Pferde, von derselben Angst weggerissen, bäumen sich auf,
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zerren die Fuhrwerke durcheinander, und viele reißen sich von den Strängen los und galoppieren durch das Gedränge. Unmöglich, sie zu bändigen; da ist kein Halten; die Panik der Pferde droht auf die Menschen überzugehen, von denen kein einziger zu erkennen vermag, was da vor sich geht. Alle starren, ohne etwas zu begreifen, in die Richtung der ersten ungeheuren Detonation und erwarten von dort eine zweite. Da regnet und prasselt von allen vier Seiten des rechteckigen Platzes ein Ee-feuer auf uns nieder, der jeden Plan und alle Vorsicht völlig zuschanden macht. Wohin man sich wendet, sieht man durch die schwarzen Bäume hindurch in den Fenstern die Schutzlichter aufzucken. Wohin man sich wendet, knattert und pfeift es einem um die Ohren wie verrückt. Jeder, der eine Waffe hat, und sie hatten alle entweder Infanteriegewehre oder Karabiner oder Revolver, schießt mechanisch nach dem ersten besten Fleck, wo er einen Feind vermutet, wieder und wieder und immer wieder, und alle befinden sich in der gleich großen Gefahr, entweder von den Belgiern oder von den eigenen Kameraden erschossen zu werden. Mein Revolver versagt: eine Patrone hat sich im Lauf gequetscht. Ich werfe mich mit mehreren schießenden Soldaten platt unter einen Baum und überlege mir ganz klar, aber auch ganz hoffnungslos, daß nur ein höchst unwahrscheinliches Wunder mich retten könnte, wenn dieser höllische Wirrwarr auch nur noch einige Minuten andauern sollte. Ich bete um einen Schutz, der ganz und nicht halb mit mir aufräumt, damit ich diesen Angreifern nicht lebend in die Hände falle. Da horch? Was bedeuten die Rufe, die brüllenden, inständig befehlenden Rufe? Zuerst verstehen wir nichts, denn Knall und Widerknall hören nicht auf. Die Engländer kommen, schreit mir mein Nachbar in die Ohren. Deutsche Truppen rücken ein zu unserem Entsatz, schreit ein anderer. Endlich werden die Schüsse seltener, die rufenden Stimmen verständlicher: Ruhe! (wird besohlen) Stoppen! Nicht mehr schienen! Zum Himmeldonnerwetter Ruhe!
Und wahrhaftig: der Sturm beruhigt sich etwas. Die deutsche Disziplin siegt. Der Feind ist niedergekämpft. Wir gehen wieder umher, sehen uns um, suchen das Geschehene zu begreifen, sammeln uns um unsere Führer und verschnaufen. Mitten in dem nächtlichen Getümmel sah ich beim Schein einer krumm geschossenen Laterne einen einzelnen phlegmatischen Gaul, der mehr Hunger als Angst gehabt und den Kopf friedlich in einen Hafersack gesenkt hat. Was ist das nächste? Wer ist ver-
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wundet? Man sucht und findet, und das (natürlich erst später genau festgestellte) Ergebnis tautet: 7 Offiziere, 30 Mann, 90 Pferde. Nachdem man die Verwundeten geborgen, werden die Überbleibsel der kleinen Truppe geordnet: die Bespannungen ergänzt, die Fuhrwerke notdürftig instand gesetzt, die Mannschaften gesammelt, zur Nuhe ermahnt und nach Möglichkeit beschäftigt. Ärte heraus und alle Häuser, aus denen geschossen worden ist, gewaltsam erbrochen und angesteckt. Die Leute gehen ernst und entschlossen an diese Arbeit, mit gesundem und natürlichem Notwehrbedürfnis, aber durchaus ohne bestialische Zerstörungswut. Von oben bis unten empfindet jeder: dies ist kein Krieg, sondern klägliches Gemetzel; wir haben es nicht mit Soldaten zu tun, wir kämpfen gegen Ungeziefer, gegen schleichende Fallensteller und verzweifelte Banditen. Gegen solche Angreifer gibt es nichts weiter als Ausrottung und Vernich, turtg. Während auf allen Seiten die finsteren Häuser hell aufglühen und schon große Flammenfahnen von den Dächern wehen, setzt unser Trupp sich in guter Ordnung langsam in Bewegung und rückt auf dem kürzesten Wege auf den großen Bahnhofsplatz, wo es vor allen Dingen die Bahn zu sichern gilt, den Weg, auf dem noch ungezählte Truppen nahen und unsere Verwundeten nach Aachen zurückbefördert werden sollen ins Lazarett.
Am Bahnhof treffen wir den kommandierenden General und die Herren seiner Umgebung wieder. Sie sind vom Gefechtsfeld zurückgekehrt und unter heftigem Feuer durch die Stadt gefahren. Ihre Autos sind von Äugeln durchlöchert, sie selbst glücklicherweise sämtlich unverletzt. Raum haben sie vor dem Bahnhof Platz genommen, kaum sind die Truppen mit ihren Fuhrwerken auf dem geräumigen Platz aufgestellt, kaum hat man begonnen, sich gegenseitig über das eben Erlebte erinnernd und ergänzend durch tausend kleine Einzelschilderungen ins reine zu bringen, da hebt die Schießerei von neuem an. Diesmal wird von einem der gegenüberliegenden Hotels mit Maschinengewehren auf den Bahnhof geschossen, aber man ist ja schon einigermaßen abgestumpft. Es kommt, trotz kräftiger Gegenwehr, zu keiner Verwirrung. Die Belgier zielen zu hoch mit ihren Maschinengewehren, ihre Geschosse schlagen über uns in die Fenster des Bahnhofs ein. Rein Haus in der Nachbarschaft, aus dem nicht Schüsse krachten. Und jedes spricht sich selbst das Gericht. Es wird sofort gesäubert und angezündet. Truppweis kommen die Schuldigen hervor und werden vor
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ihren Richter gestellt. Nun fängt ein Schauspiel cm, das die ganze fürchterliche Nacht andauert, und das man schließlich stumpf und grimmig, mitleidlos und zustimmend, zuweilen freilich würgend und von Ekel geschüttelt mit anstarrt: in der grandiosen Beleuchtung eines der auflodernden Häuser, die einem vorkommen wie die knalligste Theaterszenerie, werden von Zeit zu Zeit kleine Rudel verdammter Freischützen auf die Geranienbeete des Denkmalsrondeels gestoßen. Sie heben die Hände, müssen sich niederlegen und sind in der nächsten Sekunde tot. Aus den angezündeten Gasthäusern und Kneipen hringen die Soldaten Zigarren und Weinflaschen mit. Aber niemand betrinkt sich, niemand wagt es, den strengen Befehl zu mißachten und andere Beute zu machen. Alle stehen und warten die lange, schlimme Nacht ab. Und jedesmal, wenn in den brennenden Gebäuden erschütternde Detonationen verraten, daß in allen Ecken und Winkeln Sprengstoffe aufgespeichert waren, die dazu dienen sollten, unsere frischen deutschen Krieger hinzustrecken und die mutige, gerade Truppe außer Rand und Band zu bringen, sagt man immer wieder aus vollem Herzen Ja zu der Strenge des Gerichts: sie kann im Kriege nicht nur dazu da [ein, Schuld und Unschuld abzuwägen, sondern muß vor allem die Moral des Heeres schützen, die in Gefahr gerät, sobald die reinliche Kriegführung durch die Anschläge des organisierten Verbrechers besudelt wird.
In der Tat, wir standen einem glänzend organisierten Komplott gegenüber. Die mit dem Koffer des Kommandanten von Löwen beschlagnahmten Aktenstücke ergaben es (ein glücklicher Fund) über allen Zweifel, daß und in welcher Absicht der Löwen-Straßenkampf militärisch geplant und geleitet worden ist. Belgische Militärs und belgische Geistliche waren erwiesenermaßen die Seele der Verschwörung. Sie haben den Untergang der Stadt Löwen auf dem Gewissen. Ihrer vaterländischen Empörung heiligte der Zweck jedes Mittel. Aber haben sie den Zweck erreicht, haben sie auch nur das Geringste damit gewonnen? Im Gegenteil: Unsere Verluste sind trotz allem nur gering. Unsere Operationen haben sie um keine Stunde verzögert, geschweige vereitelt. Dasselbe Korps, das durch solche Straßenschrecken entmutigt werden sollte, hat am nächsten Tage vier aus Antwerpen hervorbrechende belgische Divisionen, ohne Spur von Nervosität, siegreich abgetan. Daß keine Warnung, kein Strafgericht den Greueln Einhalt gebieten konnte, hat Löwens besten Männern, die uns als Geiseln haf-
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teten, das Leben gekostet, ebenso wie manchen jungen und alten betörten und verblendeten Vaterlandsreitern. Wenn die schöne alte Stadt mit ihren großen Schätzen der Kunst und der Wissen-Mast tn Schutt sinkt, wer ist ihr Zerstörer? Nicht etwa das Barbarentum fremder Eroberer, sondern der sinnlose Hatz toller Chauvinisten, der nicht verstand, daß er Leben und Gut des eigenen Volkes an ein Ding der Unmöglichkeit setzte und ein Abenteuer wagte, das niemals gelingen konnte.
Ich will heute nicht schildern, wie die Straßen uns am nächsten Morgen ansahen, als wir verstimmt und schaudernd zwischen Menschenleichen und Tierkadavern hindurchritten. Der Widerschein der groß aussteigenden Sonne gleißte in einer einzelnen heilgebliebenen Fensterscheibe schöner denn je aber mahnte uns traurig an die rote Fackel der Nacht. Alles 'mutete uns trüb und ekelnd an, am widerlichsten die brandige Luft und der Gestank der Verwesung. Der Himmel bewahre uns vor solchen grausig notwendigen Nachezügen und führe uns immer nur in den Krieg, in den wahren, den anständigen
Vor Antwerpen.
Schimpfend trinken wir am 17. September unsern Morgenkaffee. Wir hatten uns so gefreut, die Herren Belgier einmal ordentlich vertobaken zu können. Aber es war wieder einmal nichts. Kamerad Carl wird mit einer starken Patrouille ms Vorgelände geschickt, findet alles leer. Nur hat er das Glück, eine feindliche Patrouille abzufassen. Der führende Offizier benahm sich derart töricht, daß er sein Leben lassen mußte. Er war 18 Jahre alt. In seiner Tasche fand sich noch ein Telegramm an seine Braut. Es ging daraus hervor, daß er am 28. 8. Offizier geworden und sein Vater am 26. 8. gefallen war. Das ist der Krieg.
Erst am 22. September beginnt sich gegen 10 Uhr morgens rechts von uns, scheinbar in dem etwas weiter vorgeschobenen Abschnitt ein AMllenekampf zu entwickeln. Die Zuckerhüte rauschen durch die Luft, ohne daß sich jemand dadurch stören läßt. Sie scheinen bei uns keinerlei Wirkung zu haben, denn das Feuer wird gar nicht erwidert. Wir benutzen die Zeit, die feindliche Stellung herauszuknobeln, um dann einzige 21-Zenti-meter-Erüße hinüberzuschicken und damit dem dummen Geschieße der Belgier im allgemeinen ein schnelles Ende zu bereiten. Man kann sich des Eindruckes nicht erwehren, daß die
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Belgier durch unsere Ruhe aufs schwerste beunruhigt werden. Sie wissen nicht mehr, woran sie sind, und scheinen nur eine gewaltsame Erkundigung vorzuhaben. Aber auf den Leim kriechen wir nicht. Wir essen ganz ruhig zu Mittag und rücken nachher zum Ererzieren aus. Es war doch eigenartig, wenn wir hier unter dem Donner der Geschütze, in das sich hier und da Maschinengewehrgeknatter mischte, ruhig allerlei Bewegungsübungen oder Entfernungschätzen oder einzeln grüßen durch Anlegen der rechten Hand an die Kopfbedeckung vornahmen.
Am Nachmittag kam unser alter Bekannter, der belgische Flieger, den wir schon so oft beschossen hatten, und fand tatsächlich einige von unseren Batterien. Sofort ließ er Leuchtkugeln fallen und machte so dem Feinde unsere Stellung bekannt. Er kennt nun die Höhe, hat die Richtung und stellt den Winkel fest, in dem das Flugzeug zieht. Wenn er noch ein übriges tun will, mißt er auch die Entfernung. Es dauerte denn auch nicht lange, da rauschte es schon über uns hinweg, und in der Gegend von . . . krepierten Granaten und Schrapnells. Gleichzeitig — ich exerzierte gerade wieder — begann vor unserer Linie ein heftiges Infanteriefeuer, welches mich etwas beunruhigte, da ich Freund .... auf Patrouille unterwegs wußte. Er war, wie er später berichtete, wirklich auf den Feind gestoßen, und einige voreilige Leute hatten sich mit ihm
in eine Schießerei eingelassen, bei dem Gefreiter durch
einen Schuß in die Schulter verwundet wurde.
Am 24. September wurden wir wieder vom 1. Bataillon
abgelöst. Ich traf meinen alten Freund, Major v , den
ich zum Eisernen Kreuz gratulieren konnte. Da wir, wie schon früher erwähnt, keine fahrbare Feldküche mitbekommen hatten, kam ich auf den Gedanken, eine zu bauen. Ich nahm einen herumstehenden Wagen, requirierte zwei große Kupferkessel, mit Feuerungsvorrichtung und Schornstein, ließ den Wagen mit Blech ausschlagen und montierte die Kessel auf. Die Sache sah Zwar etwas zigeunermäßig aus, aber es ging großartig. Der Küchenwagen bestand seine Probe glänzend. Als wir in die Quartiere kamen, war das Essen fertig, und wir brauchten nicht erst im Kochgeschirr zu kochen und stundenlang auf dir Mahlzeit zu warten.
In .... waren wir in der Schule untergebracht. Die Offiziere bekamen die Zimmer der Schulschwestent, Nonnen. (£s ist unglaublich, was für eine Vorstellung man den armen Menschen hier von den Deutschen beigebracht hat. Es find
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Räuber und Mörder von altersher. Darum hat das Voll
überall solche unbeschreibliche Angst vor uns. Sie sind aufs
höchste erstaunt, wenn wir uns als anständige Kerle entpuppten. Es ist mir passiert, daß ein alter Mann mit Tränen in den Augen vor mir auf die Knie fiel und meine Hand fortwährend vor lauter Dank küßte, weil ich sein Haus, an dem ich eine Feldwache hatte, nicht dem Erdboden gleichmachte. Andere sind ganz baff, wenn wir die Lebensmittel, die wir requieren, bar oder mit Gutscheinen bezahlen. Das geht ihnen vollständig über die Hutschnur. Auch die guten Nonnen überzeugten sich bald, baß wir ihnen nichts zuleide taten und „brave Soldaten“ wären. Sie sorgten in rührender Weise für uns. Sie machten sich über unsere schmutzige Wäsche her, wuschen und plätteten, baß es eine wahre Freude war. Sie besserten die zerrissenen
Sachen aus, entfernten die vielen Flecke in den Uniformen, so
daß wir mit einemmale wieder einigermaßen anständig aussahen.
Am 26. September ging ich über das aus gewiesene Gebiet hinaus nach ... Hier steht ein wunderschönes, altes Schloß. Ich kam aber nicht dazu, es richtig zu genießen, denn hier sah ich etwas anderes, was in dieser heißen Zeit der Beachtung mehr wert war: einen deutschen 30,5-Zentimeter-Mör-ser von Krupp. Das Geschütz hat viel Ähnlichkeit mit den österreichischen Skoda-Mörsern. Es wird auch auf riesigen Autos und Straßenlokomobilen montiert. Es war nur ein einziges Geschütz, aber der dazu gehörige Wagenpark wollte gar kein Ende nehmen.
Unser Marsch, der wieder geschlossen vor sich ging, weil wir kein Feuer bekamen, führte uns weithin durch bebautes Ackerland. Gemüse aller Art war hier prächtig gediehen, und alles war mit bewunderungswürdiger Sorgfalt und Liebe gepflegt. Es tat mir ordentlich weh, daß das alles zertreten wurde ober hier verfaulen mußte. Auch hier fanden wir zahlreiche, in größter Eile unb in letzter Stunbe hergestellte Schützengräben. Aber ich fanb nicht ein einzige Patronenhülse. Überall waren bie Belgier, ohne zum Schuß gekommen zu sein, ausgerissen. Merkwürbig! Ich fanb auch einige Zeitungen vom 24. September, z. V. „Het Antwerpens Hanbelsblatt" unb ben „Matin“. In beiben Blättern war in großen Tönen bie Rebe von bem siegreichen Helbenkampf ber Belgier unb von bem ftänbigen fluchtartigen Zurückziehen ber Deutschen auf ber ganzen Linie in Belgien, Frankreich unb Rußlanb. Mit einer
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Schamlosigkeit, für die es keine Worte gibt, wurde hier das arme belgische Voll betrogen, daß man nur Mitleid haben kann. Was wird werden, wenn es ihnen wie Schuppen von den Augen fällt, wenn sie einmal die Wahrheit erfahren. Ich denke mir, es mutz eine furchtbare Wut gegen die Alliierten entfacht werden.
Mit Spitze, aufgepflanztem Seitengewehr marschierten wir, zwei Rotten rechts, zwei Rotten links der Stratze über die alte Pont de Brurelles in Mecheln ein. Es passierte nichts. Mecheln war total verlassen, war eine tote Stadt. An dem prachtvollen alten Brüsseler Tor blieben wir stehen. Ich bekam den gerade nicht angenehmen Befehl, für die Kompagnie zu requirieren, was sie gebrauchte. Die fliehende belgische Armee hatte entsetzlich in der Stadt gehaust. Alle Läden waren erbrochen und deren Inhalt sichtlich stark vermindert. Was die Kerle nicht hatten brauchen können, hatten sie wüst durcheinander geworfen.
Im Brüsseler Tor entdeckten wir eine Militärküche, in der für ein ganzes Bataillon gekocht werden konnte, ein beredter Zeuge einer plötzlichen, kopflosen Flucht. Die Brotsuppe stand angesetzt, die Kartoffeln waren geschält, Blumenkohl war zurechtgemacht, Fleisch lag zum Kochen da, und der Kaffee war bereits gemahlen, nur das Feuer war noch nicht angemacht. Natürlich besorgten wir das, und abends gab es ein schmackhaftes belgisches Futter, das mit deutscher Gemütlichkeit unb Gründlichkeit verputzt wurde.
Ein anderes Bataillon sollte die Sicherung ... an dieser Seite übernehmen^ und wir wurden nach Norden vorgeschoben. Obgleich unsere schwere Artillerie dem Fort .... schon eine Zeitlang ihre ganze Aufmerksamkeit widmete, wurde von dort noch fortwährend in. . . hineingeschossen. Die Stadt brannte an allen Ecken und Enden. Wir sahen bei dem gar nicht angenehmen Durchmarsch, datz zahlreiche schöne alte Häuser zerstört waren. Wenn die Balken durch gebrannt waren, stürzte das Innere der Häuser unter großem Getöse zusammen. Hier und da fiel eine Fassadenmauer ein. Zuerst ging ein Zittern durch das ausgeglühte Mauerwerk, langsam schaukelten die oberen Teile hin und her, und bann krachte alles zusammen. Wir waren froh, als wir die Stadt glücklich passiert hatten.
Es war ein wundervoller Herbstmorgen am 29. September, ein wenig frisch zwar, aber klar. Ein leichter Wind fegte dürres Laub über den Weg, und die Leute suchten die ersten
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wärmenden Sonnenstrahlen oder hielten die Hände über die kleinen Feuerchen, auf denen unser Morgenkaffee brodelte. Die Kühe kamen brüllend auf uns zu, und die Mannschaften taten das, was sie erwarteten, sie melkten sie. Es war das erstemal seit . . . daß ich Milch trank, prachtvolle, kuhwarme Milch. Das war ein Labsal. Die Artillerie feuerte unentwegt weiter. Und wenn sie einmal eine kleine Pause eintreten liefe, um die Belgier glauben zu machen, daß das Feuer eingestellt würde, um dann nachher sie wieder ebenso energisch aus ihrer Ruhe herauszureißen, dann fehlte uns schon etwas. Die fürchterliche Musik, die fortwährenden Detonationen, das Ächzen und Rauschen der sich durch die Luft bohrenden Niesengeschosse lag uns so in den Ohren, dafe wir sogar nachts aufwachten, wenn plötzlich Ruhe eintrat. Man gewöhnt sich eben an alles.
31. September. Unsere Artillerie feuert während der Nacht alle 15 Minuten einen Schutz auf das Fort ab. Der Zweck dieser Übung ist, den Feind im Fort ständig in Aufregung zu halten. Wenn sie eingenickt sind, sollen sie wieder aufgeschreckt werden. Stellt Euch einmal vor, was das bedeutet. Alle Viertelstunde folgt so eine 21-Zentimeter-Granate etwas unsanft an den Panzerturm, so daß die Besatzung lang hinschlägt, oder die Granate reifet ein Loch in den Hof, und die Kopfsteine fliegen umher, als wären es Wattebäusche im Äquinoktialstürme. Dabei müssen die Leute immer gefaßt sein, dafe sie vielleicht mit dem nächsten Zuckerhut eine kleine Luftreise antreten müssen. Das halten die stärksten Nerven auf die Dauer nicht aus. Im Laufe des Vormittags kam die Meldung: Waelhem gefallen, Leutnant E. war im Fort. Das wagen wir kaum zu glauben, v. N. und ich klettern auf den Turm des nahen Schlosses. Wir haben einen wundervollen Überblick. Über zwei Stunden habe ich, auf dem Bauche liegend, das Glas an den Augen, beobachtet, bis sich alles mit mir drehte. Aber ich hatte doch etwas davon. Ganz deutlich sah ich, dafe das Fort feuerte: Dank des Schwarzpulvers, das sie verwenden, konnte ich die wichtige Tatsache einwandfrei feststellen. Es ist doch ganz natürlich, dafe sich feiner auf den Wällen zeigt. Wir würden auch nicht darauf spazieren gehen. Da v. N. und ich nun einmal im Schlosse waren, sahen wir es uns etwas genauer an. Es war wundervoll eingerichtet. Besonders gefiel uns der grofee Musiksaal mit einem prächtigen Flügel, der sich gern für mein Leib- und Magenlied: „Auf der Alm, da gibt’s ka Sünd" hergab, v. N. und ich, dreckig und scheckig, geschmückt mit
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dem Lehm der Schützengräben usw., gaben in dieser Umgebung ein Bild ab, wie es Anton v. Werner einmal aus dem Kriege von 1870/71 gemalt hat. Ich habe mir zum Prinzip gemacht, in Häusern in Feindesland, die ich dienstlich zu betreten habe, jeden Raum anzusehen. Vor allem durchsuche ich stets die Geller. So auch hier. Wir fanden hier eine Menge sehr guter alter Burgunder- und Bordeauxweine, die wir sofort für die Kompagnie requirierten. Eine größere Freude hätten wir den Leuten zurzeit gar nicht machen können. Im Schlotzgarten hingen die Bäume voll von schönstem Obst. Ich habe nie im Leben so schöne Birnen direkt vom Baume gegessen wie hier.
Drei Tage. . .
Drei Tage Marsch, mein Lieb,
Von Lüttich weit gen Norden.
Wie sind da unter unserem Tritt Die Straßen flink geworden!
Gab Wasser nur und Brot Und nimmer Zeit zum Nasten,
Im Hinterhalt der Tod —
Drei Tage Marsch!
Drei Tage Wacht, mein Lieb,
Im Graben auf dem Felde,
Bis an dem einen Regiment Des Feindes Korps zerschellte.
Die meisten liegen ewig da,
In Reih und Glied zu schlafen —
Viktoria!
Drei Tage Wacht!
Drei Tage Schlacht, mein Lieb —
Wie sausten die Granaten,
Wie prasselte Maschinenfeuer Aus Schanzen und Soldaten.
Wie firrte das Gewehrgefchotz!
Wer zählt die Toten,
Mann und Rotz —
Drei Tage Schlacht!
Das ist der Krieg, mein Lieb,
Da gilt nicht Zuck noch Zagen,
Und allenfalls der Feldpostmann
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Hört manchmal bange fragen:
Briefe aus dem Vaterland? —
Doch immer an den Feind heran,
Die Losung ist bekannt:
Wir sterben oder siegen!
Wilhelm Vershofen
Die Eroberung von Sierre,
dem im Festungsbereich Antwerpens liegenden Orte, schildert der folgende Brief eines Hauptmanns und Kompagnieführers: Meine Kompagnie hatte den ehrenvollen Auftrag, zuerst durch Lierre vorzudringen und den jenseitigen Rand zu besetzen. Am 4. 10. nachmittags ging ich vor, überschritt den in ver Stadt fließenden Nethearm auf schnell hergestellten Laufstegen und erreichte bei Dunkelheit den Marktplatz. Von da ab waren die Straßen mit Stacheldraht, der von Klinke zu Klinke kreuzweis gezogen war, gesperrt. Also Drahtschere vor! Beim Vorgehen flammen zu unseren Füßen blaue Lichter auf — der Feind hat geeignete Feuerwerkskörper über die Straßen gestreut, die sich beim Betreten entzünden. Vor mir brennen zwei Häuser. Ich sage zum Spitzenführer Vizefeldwebel D.: „Nun marsch herüber, sonst fällt uns die Bude auf den Kopf!" D. ruft: „Marsch, marsch!" Da schlägt uns vorn ein Höllenfeuer entgegen, das gleich fünf Mann von uns niederstreckt. Glücklicherweise alles nur leichtere Beinschüsse. Ich drücke mich an ein Haus, neben mir mein Hornist. Die Kompagnie war glücklicherweise noch 300 Meter zurück. Ich war froh, daß ich keinen Bauch habe, denn die Haustür war nur 30 Zentimeter tief. Staub. Kalk und Geschosse flogen mir um die Nase, und ich hielt die Luft an. Als das Feuer nachließ, sandte ich alle Leute auf Zehenspitzen zurück und schloß mich dem letzten an. Dann hieß es: „Beilpicken raus und selbst eine Brustwehr hergestellt!" Pflastersteine ergaben das Material. Als die Brustwehr fertig war, ließ ich sie besetzen und in der Richtung der feindlichen Stellung feuern. Antwort: Ein Höllenfeuer aus Gewehren und Maschinengewehren. Wir waren in einem wahren Hagel von Geschossen und Mauersplittern. Das hat also keinen Zweck. Zurückgeschickt: „Ein Geschütz vor!"
Nach einer Stunde war es heran. Vorsichtig hinter meiner Brustwehr in Stellung, und nun Schnellfeuer! Erst Schrapnells, dann Granaten. Antwort: Ein ungeschwächtes Feuer,
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was Zeug und Leder hält. Schlechte Sache das! Abwarten bis Tageslicht, dann Versuch erneuern. Kalte Nacht in zerstörtem Gebäude bei Moet und Ehandon, Kommißbrot und holländischem Käse.
Früh 6.30 Uhr erkennt man die tiefliegende Barrikade. Erneutes Gewehr- und Geschützfeuer, ganz ohne Erfolg. Im Fernglas erkenne ich englische Khakiuniformen und Schirmmützen. Aha, die belgischen Freunde wären auch nicht so ausdauernd gewesen! Aber wir werden den „Beefs" schon beikommen? Ein Zug rechts der Straße durch die Gärten, anderthalb weitere Züge mir folgen; mir werden links vordringen. Wir schnell durch die Häuser, die alle verlassen waren, durch ein Kloster und einen Klostergarten, und wir landen an einer 12 Fuß hohen Mauer. Wie komme ich da hinüber? Da zeigt mir ein guter Gott ein Loch, das eine unserer schweren Mörser-Granaten gestern gerissen hatte. Wir kriechen durch, ersteigen den alten Stadtwall und glauben uns in der Flanke des Feindes und alles gewonnen! Wall besetzen! Auf die Schießscharten halten! Visier 400 Meter! Schützenfeuer! — Da — eine üble Überraschung: Den Wall bestreichen zwei Maschinengewehre, und eine Feuergarbe umbraust uns. Meine beiden Nebenleute sofort tot, Kopfschuß; ein Leutnant zehn Schritte vor mir tot, Kopfschuß; etwa zehn Mann verwundet. Die Sache ist aber faul!
„Leute, wir kriechen jetzt mal bescheiden hinter den Wall und besuchen es von der anderen Seite?" Also zurück durch das Loch und rechts vor. Hier hatte der erste Zug es günstiger getroffen und durch seitwärtige Bestreichung Wirkung gehabt. Nun wurden die feindlichen Schützen und Maschinengewehre nach und nach zum Schweigen gebracht. Dann eine Ruhepause. Wir setzten mit Kahn über und besetzten die feindliche Stellung.
Wir haben erbeutet ein Maschinengewehr und das ganze Gepäck einer englischen Marine-Infanterie-Kompagnie und einer englischen Pionier-Kompagnie? Meine Leute taten sich gütlich an Jams, Visquits, Brot und Butter. Ich beerbte den englischen Kapitän Boote; er hatte sein Frühstück, ein gebratenes Hühnchen, vergessen, ebenso sein Reitstöckchen und sein ganzes Gepäck. Seinen schönen Winter-Khakimantel gab ich einem Offizierdiensttuer. Ein wundervolles leichtes Unterztehärmel* westchen behielt ich für mich. Die Kompagnie erhielt wundervolle Wolldecken, Zeltbahnen und Verpflegung. Wein gab es
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in Überfluß, Grammophon, Pauken und Geigen. Die Engelsmänner hatten dies alles zusammengeschleppt, um sich zu amüsieren; nun taten wir es, nachdem wir sie ausgeräuchert hatten. Und dann hatten wir fast 30 Stunden heftiges Artilleriefeuer aus Feld-, Festungs- und Marine-Geschützen mit allen Geschotz-arten. Die ganze Stadt wurde von den Belgiern und Engländern in Trümmer und Brand geschossen. Unsere Verluste minimal; 2. Compagnie gar keine. Bei schwerem Geschützfeuer begruben wir unsere Toten auf dem Wall bei Lierre. Nachts Patrouillen an den Feind. Am Morgen des 7. besetzten wir eine vor uns liegende Barrikade, die uns schwer beschossen hat. Wir fanden noch drei Maschinengewehre, so daß wir jetzt vier Stück haben.
Im zerschossenen Fort.
Wir gingen ins Fort Waelhem hinein. Der Anblick spottete jeder Beschreibung. Das Fort bestand aus einem inneren Aufbau mit einem Beobachtungsturm. Um diesen herum führte eine etwa 100 Meter breite Straße, die dicht an dicht mit riefigen Mörsertrichtern besetzt war. Einfach gräßlich. Die Straße wurde umgrenzt von der äußeren Umwallung. Hierin sind die großen Kasematten und die Panzertürme. In dem mittleren Aufbau, in dem nur Maschinengewehre aufgestellt und die Patronen für diese reihenweise aufgeschichtet waren, hatte eine 30,6-Zenti-meter-Eranate eine Schicht von 4 Meter Erde, eine 2 Meter dicke Betonschicht, eine 2 Meter dicke Erdschicht und ein 2 Meter dickes Mauerwerk glatt durchschlagen. Eine große Lokomobile, die die Elektrizität für die Beleuchtung und für die Drehtürme herstellte, hatte sich vor Schreck auf den ftopf gestellt. Es scheint, daß dieser Treffer der Besatzung den Rest gegeben hat. Ebenso war die Betonüberführung von dem Kampfwall zerschossen. Von einem einzigen Treffer in einen wüsten Trümmerhaufen verwandelt, war die 2 Meter dicke Wandung des Daches niedergeworfen worden, so daß man gar nicht mehr erkennen konnte, was sie eigentlich vorgestellt hatte. Der rechte Panzerturm hatte vier Schüsse bekommen, drei direkt auf den Turmkopf und einen in die Betonumwallung, die durchschossen war.
Ein Schuß der 15-Zentimeter-Haubitzen hatte einen kaum merklichen Eindruck hinterlassen, aber zwei 21-Zentimeter-Mörsergeschosse hatten tiefe Beulen in den Panzer gedrückt, ihn zur Seite geschleudert, als wenn er ganz weiches Metall gewesen wäre.
III. Im Westen.
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Noch schlimmer sah es im zweiten (linken) Turm aus. Hier waren mehrere 21-Zentimeter-Granaten so in die Betondeckung gefahren, dag der Turm aus seinen Lagern herausgehoben und ein wenig schiefgestellt worden war und somit unbrauchbar gemacht wurde. Der danebenstehende Beobachtungsturm aber war einfach vollständig aus seiner Betonbettung herausgeschleudert, hochgehoben und wieder hineingeworfen worden. Auf der äußeren Umwallung hatte man rings um das Fort eine sehr ungeschickte Stellung für Infanterie hergestellt. Die genaue Betrachtung der ganzen Anlage ergab, datz wir beim Überschwimmen des ca. 100 Meter breiten Grabens überhaupt keine Verluste gehabt hätten, denn sowie die Besatzung den ftopf über die Brustwehr gesteckt hätte, wäre sie von der hinter uns liegenden Kompagnie niedergeknallt worden; auch Mannschaften, die sich an die Stelle begeben hätten, an welcher wir den Übergang machen wollten, hätten leicht von der hinter uns stehenden Artillerie mit Schrapnells zugedeckt werden können. Die Sache wäre also gar nicht so gefährlich gewesen, wie sie gemacht wurde.
De dicke Berta.
Dicke Berta heet ick, tweeunveertig meet ick,
Wat ick kann, dat weet ick!
Söben Milen scheet ick,
Steen un Isen freet ick,
Dicke Muern biet ick,
Grote Locker riet ick,
Dusend Mann de smiet ick,
Beuse ftlütert kok ick,
Blitz un Donner mok ick,
Heete Suppen broo ick,
Grote Reisen do ick:
Erst vor Lüttich stunn ick,
Huy un Namur funn ick,
Ok Eivet, dat kreeg ick,
Un Maubeuge sehg ick!
Un Antwerpen stuk ick,
Un Ostende duk ick,
Vor Verdun, bor stoh ick,
No Paris hen goh ick,
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III. Im Westen.
Df no London, gleuf ick,
Op den Dag, bor teuf ick!
Schient be Sünn, benn summ ick,
Schient be Moon, benn brumm ick,
Ganz verbübelt, rneen ick!
Mienen Kaiser been ick,
Dicke Berta heet ick,
Tweeunveertig rneet ick,
Wat ick kann, bat weet ick!
Gorch Fock.
Einzug in Antwerpen.
Um 11 Uhr hieß es plötzlich, es sei ein Parlamentär gekommen, um wegen ber Übergabe Antwerpens zu verhanbeln. Da bie Parlamentäre Zivilpersonen waren, vermuteten wir sofort, batz bie Armee ausgerissen sei. So war es benn auch wirklich. Antwerpen ergab sich, von seiner Armee im Stich gelassen. Alle inneren Forts waren ohne Besatzung. Eigentlich hätte man glauben sollen, batz ein unglaublicher Trubel-Jubel ausgebrochen wäre, aber nichts von allebem. Alles ärgerte sich über bas Benehmen ber famosen belgischen Helden, noch mehr aber darüber, datz die verfluchten Engländer entwischt waren. Wir hatten allerdings schon mit diesem Fall gerechnet, benn unser rechter Flügel würbe im letzten Augenblick burch bie Matrosen-Artillerie-Brigabe unb bie gesamte schwere Felbartillerie verstärkt.
Wir glaubten nicht, batz sich bie belgische Armee ben (Eng* Ianbern angeschlossen hätte. Ich bachte mir, sie wirb über bie hollänbische Grenze gegangen sein unb wirb sich bort lieber entwaffnen, als von uns gefangen nehmen lassen. Eine Armee, bie eine so grotze Verteibigungsstellung, wie bie an ber Nethe unb vor ben inneren Forts, ohne weiteres anspielt, kann sich nicht mehr in eine offene Felbfchlacht einlassen.
Wir rückten nun sozusagen schrittweise vor. Das war ein langsames Vorbringen, benn alle Straßensperren mutzten hinweggeräumt, alle Forts burchsucht unb besetzt werben. Die Belgier hatten autzerorbentltch bichte unb feste Drahtverhaue rings um bie Stabt aufgeführt. In ben Forts brannten alle elektrischen Lampen, selbst ein grotzer Scheinwerfer war in Tätigkeit. Das brachte uns auf ben Gebanken, bie Drähte ber
III. Im Westen.
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Verhaue könnten elektrisch geladen sein. So war es denn auch wirklich.
Schlag 6 Uhr begann unsere Musik zu spielen. Wir kamen bis an die innere Stadtumwallung, dann mutzten wir wieder warten. Dann endlich ging's wirklich hinein nach Antwerpen.
Überall in den Vorstädten fanden wir noch Schützengräben und Drahthindernisse. In den Gräben lagen Tausende von Patronen, teils lose, teils noch in versiegelten Kisten. Hier sowohl wie in der Stadt selber fanden wir noch eine Menge Granat- und Schrapnellsplitter. Antwerpen ist zwei Tage und zwei Nächte hindurch beschossen worden. Die Leute, die n'cht fliehen konnten, sind in die Keller geflüchtet. Vor sehr vielen der kleinen Kellerfenster waren Sandsäcke aufgestapelt, die sollten das Eindringen der Splitter und Kugeln verhindern. Wir marschierten über die Chaussee Malines, Avenue des Arts und Nihnplaatz in die Kaserne. Die Menschen, die uns begegneten, sahen ernst rnd sckeu dorein. Nur die Frauen und Mädchen lachten Offiziere und Soldaten liebenswürdig an. Die Häuser waren meist verlassen, und wo sie noch bewohnt waren, sah kaum jemand heraus. Auf der Avenue des Arts mutzten wir längere Zeit halten. Je später es wurde, desto lebhafter wurde es auf der Stratze. In der Kaserne Hetz ich schnell die für meinen Zug bestimmten Zimmer herrichten. Es ging tadellos. Betten waren nicht da, aber wir konnten reichlich Stroh empfangen. Mich erwischte es wieder. Ich wurde Offizier vom Wach-und Kasernendienst. Dazu gehörte 1 Vizefeldwebel mit 16 Mann aufs Gouvernement; 1 Unteroffizier und 6 Mann Kasernenwache. 6 Mann bei der Bagage und 6 Mann auf Dampfer „Eneisenau" des Norddeutschen Lloyd. Ich holte mir einen Schiffer heran, der mich mit dem Posten führen sollte, und der Schuft führte mich falsch. Er führte mich durch den ganzen Hafen hindurch. Das war recht schlimm, aber ich freute mich im stillen. Ich fand darauf etwa 25 andere deutsche Schiffe, die bis auf einen Nickmers-Dampfer sämtlich ohne Bewachung waren, nur die „Gneisenau" war nicht zu sehen. Der ganze Hafen brachte mir feine neuen Eindrücke. Es ist aenau so wie das Bild. welches ich mir an der Hand meiner Studien gemacht habe. Auf dem Heimwege kam ich über die Schelde und durch die Stadt, wo jetzt z. B. auf dem wunderschönen Marktplatz ein buntes Leben herrschte. Bei aenauerem Hinsehen merkte ich allerdings, datz es hauptsächlich Pöbel war, was sich dort breit machte.
9*
12. Oktober: Ich hörte von den Kameraden, daß sie in den Hotels gar nicht so bequem untergebracht seien. Sie müßten sich mit ihren eigenen Decken zudecken, weiße Wäsche gibt es nicht, und die Bedienung ist durchaus nicht ausreichend. Ich zog darum vor, in der Kaserne zu bleiben, wo ich mir ein sehr nettes Zimmer einrichtete. Hier habe ich Tisch und Bett. Waschtisch, Ofen und Gasbeleuchtung, kurz alles, was ich mir wünschte. Es ist ganz gemütlich bei mir; außerdem habe ich noch den Vorteil, bei meiner Kompagnie zu wohnen. Mittags esse ich natürlich mit den anderen Kameraden im Hotel. Die Stadt Antwerpen gewährt uns freie Verpflegung, Trinken eingeschlossen, und zahlt uns noch 10 Franken Ortszulage täglich dazu. Die Herren, die auf den Forts wohnen müssen, bekommen 20 Frk. täglich.
Das Essen ist ausgezeichnet. Wir speisen alle zusammen, auch der General ist dabei. Nach dem Essen besuchte ich mit mehreren Kameraden den Zoologischen Garten. Er ist klein und eng wie der Berliner, aber sehr schön. Man hatte alle wilden Tiere, Löwen, Tiger usw., sowie die Giftschlangen, totgeschlagen. Man hatte gefürchtet, sie könnten sich bei einem Bombardement befreien und allerlei Unheil anrichten. Recht gut war das Aquarium.
13. Oktober: Um 9 Uhr begann ein militärischer Spazier-gang sämtlicher Truppen durch die Stadt. Die guten Bürger sollten sehen, daß mir hier mit einer recht bedeutenden Truppen-macht eingerückt waren. Das belgische Heer ist nur zum Teil geflohen. Viele Angehörige desselben haben sich verkrochen: sie haben die Uniformen einfach fortgeworfen und Zivil angezogen. Jetzt laufen sie in der Stadt umher. Leider können wir diese Bande nicht fassen. Nachmittags machte ich wieder einen Spaziergang durch die Stadt. Ich besichtigte die Börse und erfreute mich an vielen schönen alten Gildehäusern.
14. Oktober: Ich besichtigte die Hafenkais des Norddeutschen Lloyd, die direkt an der Schelde liegen. Ich hörte hier von dem Kapitän eines holländischen Schleppers, datz die „Gneifenau" etwas weiter scheldewärts versenkt worden fei, wo man sie bei Ebbe liegen sehen könne. Auf den Schiffen hat man bös gehaust. Alles ist entzwei geschlagen; die Maschinen sind zum Teil zerstört. Hier scheinen belgische Soldaten gemittet zu Haben, denn auf den Docks waren große Küchen eingerichtet worden. In den Kabinen Haben sich die fliehenden Helden umgezogen. Überall lag es voll von Uniformen.
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Die Armen der Stadt Antwerpen gewöhnen sich am ersten an unsere Anwesenheit. Sie stehen in Scharen vor unserer Kaserne und betteln. Die Soldaten geben ihnen auch gerne, was sie übrig haben, so daß das Gedränge täglich größer wird.
Am Mer-Kanal.
Heute ist der 22. Schlachttag, an dem unsere Haubitz-batterien am Kampfe um den Pserkanal beteiligt sind. Der Feind, eine französisch-englische Armee mit einigen belgischen Truppen dabei, hat sich ein zur Verteidigung ganz vorzügliches Gelände ausgesucht, das mit seinen Hecken, Gräben und nassen Wiesen dem Angreifer ungeheure Schwierigkeiten macht. Dazu hat der Gegner Feldbefestigungen mit Erdhöhlen, Graben, Drahtverhauen geschaffen, die richtigen Festungscharakter haben, und bei denen man kaum begreifen kann, das; er überhaupt herauszutreiben ist. Nördlich von uns, bei Dirmuiden, befinden sich sogar Befestigungen aus Beton, die schon vor langer Zeit geschaffen wurden; erst unseren schwersten Geschützen gelang es, diese Stellungen zu zertrümmern.
Trotz der ungeheuren Schwierigkeit des Geländes und des sehr hartnäckigen Widerstandes der Gegner gewinnen unsere Truppen aber täglich Vodcn, nur geht es eben langsam, wenn man nicht Hunderttausend opfern will. Ich lag z. B. nachts in der weit vorgeschobenen Beobachtungsstellung unserer Haubitzabteilung, als unsere Jäger im Anschluß an ein furchtbares Artillerie- und Infanteriefeuer, das die Franzosen lebhaft erwiderten, zum Sturm vorgingen, gespenstisch beleuchtet von dem Schein einer brennenden Mühle. Aus vier hintereinanderliegenden Schützengräben wurden die Franzosen herausgeworfen, auch ein paar hundert gefangen, aber der Feind hatte noch eine fünfte Grabenreihe mit Drahtverhau, und die war nicht mehr zu schaffen, da der Feind mit Maschinengewehren bas Gelände überschüttete. So lagen unsere Jäger im vierten, einst französischen Schützengraben, 200 Meter vom Feinde entfernt, in verbissener Wut und sangen dem Feind zum Trotz „Die Wacht am Nbein". Es machte in der Nacht einen gewaltig ergreifenden Eindruck.
Da wir die Munition stets den Batterien in die Feuerstellung bringen müssen und dabei oft ganz ungedeckt mitten in
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III. Im Westen.
der Schlacht mit unseren Munitionswagen herumfahren müssen, sind uns die Kugeln und Artilleriegeschosse schon ganz gehörig um die Ohren geflogen. Auf einem Aufklärungsritt nachts bekam auch mein Pferd einen Streifschutz. An den Schlachtenlärm und das Kugelpfeifen gewöhnt man sich aber schnell.
Unangenehm sind dagegen die französischen Flieger, die es mit ihren Bomben besonders auf die Munitionskolonnen und Bagagen abgesehen haben und schon mancherlei Schaden anrichteten. Ein Glück ist, daß sie nur selten wirklich ihr Ziel treffen, sondern die Bomben meist 50 bis 100 Meter vorbeigehen. Die Erplosiowirkung der Bomben selbst ist außerordentlich stark. So schlug eine einzige Bombe neben uns in einen Kiefernwald und knickte dort etwa 30 Baumstämme von 10 bis 20 Zentimeter Stärke etwa 1 Meter über dem Erdboden um, ein paar Stämme waren glatt abgeschlagen.
Gestern lernten wir zum ersten Male auch eine andere Fliegerwaffe kennen, indem unsere Kolonne von einem französischen Eindecker mit einer größeren Zahl spitzer Stahlbolzen überschüttet wurde. Wunderbarerweise wurde niemand verletzt. Die Bolzen drangen in hartem Boden 10 Zentimeter tief ein, kamen also mit ziemlicher Wucht herab. Das Schlimme ist, datz Flieger sehr schwer zu treffen find, da sich die Entfernung schlecht schätzen lätzt. Immerhin find in diesen Schlachttagen drei französische Flieger heruntergeschossen worden.
In den vorderen Schützenlinien liegen stets die Franzosen, während sich die Engländer in den Hinteren Linien aufhalten. Gefangene Franzosen erzählten sogar, daß die Engländer sie mit Feuer empfangen hätten, als die Franzosen aus den vorderen Linien hätten zurückgehen müssen.
Mit welchen Mitteln die französischen Soldaten zum Widerstand aufgestachelt werden sollen, zeigt übrigens die Proklamation des französischen Generalissimus Ioffre, die man bei einem dieser Tage hier gefangenen französischen Offizier fand. Darm wurde den Soldaten angeraten, sich auf keinen Fall zu ergeben, da wir die Gefanaenen auf die Brustwehren unserer Schützengräben legen (!) und, was dann nicht durch die eigenen französischen Kugeln aetötet wird, nachher niederschießen. Es ist erbärmlich, daß mit solchen Lügen und Schauergeschichten gegen uns Stimmung gemacht wird.
III. Im Westen.
Weißt bu% Tommy Atkins?
Weiht bu, weißt bu, wofür bu fichtst,
Tommy Atkins?
Eh' bie Erbe bir Mantel unb Kissen,
Eh' bu im Feuer zusammenbrichst,
Sollst bu’s wissen:
Irgenbwo sitzt auf bem Rechenstuhl Drüben in Lonbon, in Liverpool So ein Krämer, ber fleißig abbiert —
Für ben Krämer bist bu marschiert!
Für ben Wert seines Krams unb Patents Schickt er bich gegen bie „Konkurrenz".
Weißt bu, wofür bu Sturm läufst unb schießt, Tommy Atkins?
Eh' bu im Sanbe unter ben Föhren Blutgeblenbet bie Augen schließt,
Sollst bu’s hören:
Irgenbwo prebigt ein ebler Lorb Vetternvernichtung unb Deutschenmorb.
Spricht sich im Klub gar kriegerisch aus;
Bloß — seine Sohne behalt er zu Haus.
Der Sport ist nobel, ber Krieg ist grob —
In bie Schlachten schickt man bezahlten Mob.
Weiht bu, wofür bu Granaten fängst,
Tommy Atkins?
Ehe sie lassen vom blutigen Werte,
Eh' sie gestehen, liegst bu ja längst Verscharrt bei Dünkerke!
Deutschlanb soll stürzen in splilternber Wehr, Deutjchlanb soll nimmer ans norbische Meer; Deutschlanb soll segnen, was Englanb greift, Deutschlanb soll tanzen, wie Englanb pfeift; Deutschlanb soll nimmer unter ber Sonn' Aufrecht stehn neben Albion. .. .
Weiht bu, wofür man bein Grab bir grub, Tommy Atkins?
Es war ein sinnlos, vergebliches Nausen,
Ins Abenteuer, blöb, wie ein Bub'
136 III. Im Westen.
Bist du gelaufen.
Armer Tommy, verblendeter Mann,
Was ging dich der Lord und der Krämer an?
Du hast für die Spieler dich eingesetzt —
Jetzt liegst in den Dünen du, kugelzerfetzt.
Und stehst du einst auf, für die Ewigkeit frei,,
Mutzt du an den deutschen Flaggen vorbei!
Rudolf Presber.
Vor Nieuport.
Um 11. November habe ich auf der Strecke Westende-Nieuport-Dünkirchen den Sturm auf Nieuport mitgemacht; es Regt ungefähr 16 Kilometer vor Ostende. Es war dieses Gefecht das schwerste, das ich bis jetzt mitgemacht habe, aber durch Gottes Hilfe und wahrscheinlich meiner lieben Mutter heißen Gebeten bin ich glücklich wieder gesund herausgekommen. Das Furchtbare dieser Schlacht zu beschreiben, damit will ich Euch lieber verschonen; Ihr bekommt ja aus den Zeitungen dieses zur Genüge zu wissen. Aber, liebe Mutter, ich möchte Dir besonders noch jagen, daß ich doch an eine höhere Macht glaube, an einen Gott oder an ein Wesen, das trotz diesem furchtbaren Ringen über den Menschen zu entscheiden hat. Während wir bei den früheren Gefechten immer mit Belgiern und Engländern zu tun hatten, bekamen wir es jetzt mit den Franzosen zu tun. Hauptsächlich die französische Artillerie, welche hervorragend gut schießt, hat uns sehr schwere Verluste beigebracht, konnte aber dem furchtbaren Ansturm unserer Truppen nicht standhalten, und sie wurden über den 2)fer=ftanal getrieben. Dir-muiden sowie Nieuport sollen heute gefallen fein. Es ist nun schon das fünfte Mal, daß ich unverwundet herausgekommen bin. Als wir vorstürmten, krachte plötzlich ziemlich dicht vor einem Matrosen und mir ein Schrapnell. Der Matrose fiel sofort, und ich bekam plötzlich etwas vor den Unterleib geworfen. Es war, als wenn jemand mir einen Klumpen Erde vor den Bauch wirft. Da ich weiter keine Schmerzen verspürte, lief ich weiter vor, mußte aber bald halten, weil ich anscheinend einen Stein in den Stiefel bekommen hatte, der mich beim Laufen drückte. Ich sagte zu meinem Kameraden: „Erst muß ich mal den Stein aus dem Stiefel holen,“ legte mich also trotz des Granatfeuers an eine Böschung und zog den Stiesel aus. Aber welch Staunen, als ich aus dem Stiefel keinen Stein, sondern.
eine Schrapnellkugel herausholte. Jetzt erst sah ich mir meine Hofe an und bemerkte, daß die Kugel oben am linken Bei« dicht beim Unterleib eingedrungen war. Sie hatte die blaue Hose sowie die Unterhose durchschlagen; aber da meine Hose an der Stelle ziemlich weit und schlappig war, hatte die Hose gefedert (nachgegeben), die Kugel war schon an mehreren Gegenständen abgeprallt, hatte also auch keine große Kraft mehr gehabt und war nur durch die blaue Hose und Unterhose gegangen und in den Stiefel gefallen. Alle Kameraden staunten, reichten mir die Hand, gratulierten mir und sagten: „Mal wieder Gluck gehabt." So bin ich schon das fünfte Mal durch Gottes Hilfe unverwundet geblieben. Habe mir die Kugel natürlich aufbewahrt, nahe auch die Löcher, wo sie durchgegangen ist, nicht zu.
Ein Zeppelin über Ostende.
Es war Punkt */4ll Uhr nachts, und ganz Ostende lag schon lange in tiefer Finsternis, als ein telephonischer Anruf aus Thourout den Stadtkommandanten von Ostende, Oberst Wielemans, davon verständigte, daß ein „Zeppelin", von Aude-narde kommend, Thourout in der Richtung auf Ostende passiert habe. Und schon einige Minuten später kann man das furchtbare Surren der Maschinen eines „Zeppelin" 200 Meter über den Dächern des schlafenden Ostende hören. Der „Zeppelin" sucht mit dem Feuer seiner gewaltigen Scheinwerfer den Strand ab, dann nimmt er Richtung nach dem Bois de Voulogne und dem Strandbahnhof, und bald zerreißen vier furchtbare Detonationen die Stille der Nacht. Die Bürgergarde von ©ent, die am Bahnhof steht, gibt wohl ein paar Gewehrschüsse auf dar Luftschiff ab, aber mit Windeseile entschwindet das Luftschiff in der Nacht. Die erste Bombe hat ein mehrere Meter tiefes Loch in den Erdboden gerissen, überall sind Staub- und Erdklumpen zu sehen. Die zweite Bombe ist auf einem kleinen Platz zwischen Bahnhof und Strand niedergegangen. Im Umkreis von 5 Metern ist das Erdreich von ihr zerwühlt. Eine dritte Bombe ist auf dem (Straßenpflaster explodiert. Obwohl sie sich nur einen Meter tief in den Boden gewühlt hat, hat sie doch eine furchtbare Detonation verursacht. Auf 100 Meter im Umkreis sind alle Fensterscheiben in Trümmer gegangen. Auch in einigen Eisenbahnwagen sind die Scheiben gesprungen, und
eine Säule aus blauem Stein ist 200 Meter vom Bahnhof fortgeschleudert worden.
Den größten Schaden aber hat die vierte Bombe angerichtet. Sie ist in dem Bureau eines Fischerporteurs namens Willems erplodiert, und das phantastische Zerstörungswerk, das sie dort angerichtet hat, gibt einen Begriff von ihrer Kraft. Sie hat das Dach durchschlagen und fortgeschleudert und ist dann auf einen schweren, ungewöhnlich starken Gelüschrank niedergegangen. Von diesem Eeldschrank waren nur ein paar größere Stücke in allen vier Ecken des Zimmers zu sehen, die übrigen hatten an etwa zwanzig Stellen der Mauern tiefe Spuren zurückgelassen. Durch die Gewalt des Luftdrucks war auch die Stiege des Hauses gesprungen, und ein kleiner Eisenkasten, der in dem Geldschrank gelegen, hatte sich tief in die hölzerne Diele eingebohrt. Während die Bombe auf diese Weise im Bureau des Fischerporteurs alles vernichtet und schließlich ein Loch von zwei Metern Tiefe in den Boden gerissen hatte, war im ersten Stockwerk ein kleiner Kamin, auf dem ein Christus stand, unversehrt geblieben. „Das ist alles, was von meinem Geschäft übriggeblieben ist," sagte Herr Willems. „Seit dreißig Jahren steht dieser Christus da, und er hat sich auch heute nacht nicht gerührt.“
Geistesgegenwart zweier deutscher Flieger.
Wir, L. und ich, hatten den Auftrag erhalten, die gegen Norden vorgeschobenen Stellungen der Verbündeten festzustellen und hatten uns mit dem alten, braven Doppeldecker, der nun schon manche ehrenvolle Narbe aufzuweisen hat, auf den Weg gemacht. Die Luft war dunstig, und über dem Boden lagerte ein Nebel, daß man ihn mit einem Messer hätte durchschneiden können. Das konnte uns aus zwei Gründen wenig angenehm sein; denn erstens war es fraglich, ob wir überhaupt etwas sehen würden, und dann mußten wir tief gehen, um die Stellungen des Feindes festlegen zu können. A'so los, immer nach dem Rompaß steuernd, der uns öfter richtig geführt hatte. Nach einer halben Stunde wurde die Luft etwas sichtiger, und sv kamen wir aus 2000 Meter Höhe in vorsichtigem, flachem Gleitflug tiefer. Richtig! Da unten bewegten sich schwärzliche Striche und Punkte auf hellem Untergrund. Das mußten Truppen auf der Landstraße sein. Ich kreiste in weitem Bogen über dem Feind, während L. Auszeichnungen machte. In-
zwischen aber hatte man uns unten gesehen, und bald erschienen die bekannten weißen Wölkchen. Also Geschützfeuer! Mein Beobachter zeichnete mit Seelenruhe weiter. Hinter einem Walde sahen wir mehrere Kolonnen. Tiefer gehen, lautet die Losung. Jetzt fängt auch die Infanterie zu bummern an. Zu hören ist natürlich bei dem Motorgedonner nichts, aber einige Treffer haben die linke Fläche getroffen. Plötzlich kommt vom Venzin-refervoir her ein matter Knall. Ehe ich über die Ursache klar bin, sinkt der Zeiger der Benzinuhr, und das Druckmanometer zeigt Null. Alle Wetter, der Venzinkasten ist angeschossen! Im nächsten Augenblick verlangsamt sich die Tourenzahl des Motors. Aber schon habe ich die Benzinpumpe gefaßt und presse, so schnell es nur gehen will, neue Luft in das Reservoir, um den Motor in Gang zu halten. Gott sei Dank, der Motor erholt sich wieder. Aber nun zurück, das ist die Losung. Etwa 50 Kilometer trennen uns von unserem Start. Ich bringe den Doppeldecker in die Kurve und gebe dann Höhensteuer, was das Zeug hält. Wir steigen. Immer ängstlich die Benzinuhr beobachtend, die den Verlust des kostbaren Betriebsstoffes kündigt, sausen wir mit etwas Rückenwind dahin. 100 Liter hatten wir beim Aufstieg, da wir nicht allzu weit fliegen wollten. Fast 20 Minuten flogen wir so mit Anstrengung aller Nerven dahin. Da plötzlich das bekannte Puffen im Vergaser. Der Motor bekommt keinen Benzin mehr! Zwar waren wir hoffentlich über den Feind hinweggekommen, aber unsere Lage, inmitten feindlicher Bevölkerung zu landen, war nicht beneidenswert. Vorsichtig stoße ich durch den Nebel durch und lande bei e'ner größeren Stadt. Was nun? Da kommen schon die ersten Neugierigen herbeigeeilt, und von weitem klingt uns das „Vive l’Angleterre“ entgegen. Ich tausche mit L. einen Mck. Man hält uns offenbar für Engländer, und wenn wir diese Nolle durchhalten, können wir davonkommen. L. fängt also an, wie ein richtiger Engländer französisch zu radebrechen und verlangt einen Klempner sowie Benzin. Beides ist schneller da. als wir gehofft, und nach 20 Minuten Aufenthalt, der durch die Gegenwart einiger Zuaven angenehm verkürzt wurde, konnten wir wieder Benzin füllen. Das Leck war verlötet und hielt. Bereitwillig half man uns beim Start, und bald konnten wir davonsausen, so schnell der Motor lief. Aus der Hohe warfen wir den Braven noch eine Meldekarte hinunter, auf der wir für die erhaltene Hilfe bestens dankten — allerdings in deutscher Sprache.
140 III. Im Westen.
Von einer Villenkolonie in Westflandern.
Es ist schon wieder einmal eine Woche herum, und wir liegen immer noch hier in der schlammigen, elenden Gegend. Hütten für den Winter haben wir uns gebaut. Fast einen Meter und noch mehr Boden ausgehoben, aus gefällten Bäumen und aufgeschüttetem Lehm, ebenso hoch, und darüber ein Dach. Erst Baum an Baum — einen ganzen Wald haben wir ruiniert — dann Stroh, Zweige, Reisig. Es ist vollkommen dicht. Man wohnt wie zuhause. Große geräumige Zimmer mit Fenstern (richtig mit Glas), Türen, Wandbrettern und sogar mit eisernen Ösen, Schornsteinen, kurz allem Romsort der Neuzeit. Eine kleine Villenkolonie. Oben im Baum prangt ein künstlerisch geschmücktes Schild: „Waldfrieden. Ständige Siede-lung im deutsch-belgischen Gebiet. Ständiges Laubhüttenfest. Jeden Tag Gartenkonzert." Weiß der Teufel, was alles die übermütige Bande noch angezeigt hat. Heute mittag hat eine französische Granate eine der Hütten getroffen und in einen qualmenden Aschenhaufen verwandelt. Das tut uns aber gar nichts; wir sind übermütiger als je. Manche Kunstbauten werden errichtet, besonders Villa „Waldesruh" mit dem angebauten Ziegenstall, und unsere Villa „Puppchen" sind luxuriös. Neulich hat das sogar der General zugegeben, der vorbeikam und sich unsere Gartenstadt ansah. Andere Truppen sollen hergeschickt werden, sagte er, um sich dort auch so fein einzubauen.
Zu tun gibt es nicht mehr allzu viel. Ich glaube, mir haben sie bald mürbe. Nur die schwere Artillerie schießt noch hin und her. Wir, die leichte Artillerie, haben meistens Ruhe. Nun, mir haben es, glaube ich, auch mal verdient. Und kaum ist die fchmere Arbeit alle, da mürbe die Bande mer rneitz mie übermütig. Die Ziehharmonika hört man den ganzen Tag. Auch die halbe Nacht lärmt und tobt es im Walde; gestern haben mir sogar getanzt, allerdings ohne Damen. Nur ab und zu müssen mir uns allerdings ducken oder hinmerfen, roenn uns von drüben gar zu viel von den guten Sachen geliefert mird, mie mir sagen. Aber sie treffen feiten, und Granaten find mir ja gemohnt, die gehören schon sicher dazu, mie marmes Abendessen. Spatzig sieht es aus, die ganze Gesellschaft mit den oer* milderten, struppigen Vollbärten so ausgelassen zu sehen mie die Schulbuben. Waschen, Rammen und sonstige ftultur* Verrichtungen sind allerdings nach mie vor selten, aber mir haben doch schon die Stiefel ausgezogen und getrocknet und so-
III. Im Westen.
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gar — entschuldige bitte, so etwas schreibt man sonst nicht — die Hemden gewechselt. Wir kamen uns vor wie Kavaliere. Bescheiden, nicht wahr? Jetzt muß ich aber aufhören, es gibt Kaffee. Wie die Wilden stürmen des Königs reisige Stückknechte in die Halle unserer Villa, und zum Schreiben ist Zeit und Ort ungeeignet. Heute abend schreibe ich weiter. Ich soll mit Gewalt was essen, ich wäre schon ganz blaß vor Hunger. Das ist aber Schwindel, bei meinem Bart und meinem Dreck kann das niemand sehen.
So, nun kann ich Dir weiterschreiben. Der Sturm
ist vorübergetobt, die wilde Schar hat Kaffee getrunken. Nun höre und staune, was ich heute getan habe. Ich habe mir drüben bei der Infanterie die Haare und den Bart scheren lassen, rund um mit der Maschine, äußerst praktisch. Und als ich zurückkam, wollte man mich in Villa „Puppchen" gar nicht hineinlassen. Ich soll aussehen wie ein Seehund; lassen wir uns das gefallen? Nur weil ich ganz feierlich versprochen habe, die für morgen (Sonntag) in Aussicht genommene große Waschung aufzugeben, bin ich wieder aufgenommen worden. Also wasche ich mich Montag, denn waschen will ich mich nun ganz bestimmt einmal, das habe ich mir schon vor längerer Zeit vorgenommen. Morgen wird also nichts daraus, aber Montag bestimmt!
Haushalt ohne Frauen.
Heute morgen, erschreckt durch den plötzlichen Alarm, er» freute mich Dein fein sorgfältig verpacktes Paket. Glaube mir, die Freude heute war nicht geringer, als die beim ersten. Meinen herzlichsten Dank dafür. Und denn will ich dir zeigen, indem ich Dir mal so'n bitschen erzähle, wie wir Kerlsvolk uns selbständig und eigenhändig ernähren. Das ist anders als im Schützengraben. Ich hab mich in den letzten Tagen dermaßen erholt, daß ich meinen Leibriemen um drei Löcher habe weiter machen müssen. Er paßte nicht mehr.
Also: Wir leben hier auf einem französischen Bauernhöfe. 6o’n Ding sieht immer etwas schmierig aus. Mitten auf dem Hofe liegt der Misthaufen, die ganze Breite des Hofes einnehmend. Unordentlich! Die Leute find fort. Die erste Nacht schliefen wir auf dem Heuboden; aber die Tür zur Luke fehlt, so daß es ganz nett kalt nachts ist. Da zogen alle aus, die
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einen in den leeren Weinkeller, — Stroh ist genug da — die
anoern in den Hut)|iaU. Ein Rameraö (Hamourger Zollbeamter) und ich zogen in ein kleines Ställchen, das geraoe groß genug ist, baß zwei oder drei Mann darin liegen können. Eine Tür, nicht schon verschließbar, existiert noch. Bon diesen Plätzchen sind drei nebeneinander; zwei sind bewohnt von je zwei Mann, und das dritte dient als gemeinsame Feuerstelle. Im Frieden mag das Ding als Hühnerstall, Scha.staä ober auch für ein ober zwei Schweinchen gedient haben, ooer als Ranin-chenstall. Erkennen kann man's nicht mehr. Es schützt gegen Negen unb Kälte. Hauptsache! Zuerst kochten wir auf bem Hof. Aber bamit wir uns nicht burch ben Qualm ben Fliegern verrieten, würbe uns bas verboten. Nun wirb so unter Dach unb Fach gekocht, unter bem Backofen, ober wo es geschützt ist. Zwei Steine in mäßiger Entfernung, barüber zwei Stangen, ber Ofen ist fertig. Holz gibt es genug an Türen, Einzäunungen unb sonstigen Latten. Es ist Krieg!
Morgens um 5 Uhr kommt bie Gulaschkanone unb bringt heißen Kaffee. Manchmal gibt es viel Kaffee, manchmal wenig. Gibt es viel, wirb was nachbehalten zum Frühstück. Der Morgenkaffee, 5 rot ist empfangen, auch ein Stückchen feten Speck. Wer Lust hat, säbelt sich ein Stück Brot ab, wer nicht, beißt ober schneibet kleine Stücke vom ganzen Brot ab. Dazu ben Speck. Schmeckt herrlich! Dann wirb ber Menuzettel für ben Tag festgelegt. So zwei bis brei Mann tun sich zusammen. Was gibt es? Weiße Bohnen, Schneibebohnen, Breckbohnen, gelbe Wurzeln. Suppenkraut, Weißkohl, Blumenkohl, Kartoffeln, Apfel, Birnen. Schön. Wir wollen heute mal Bohnensuppe kochen. Dann sucht einer Holz, macht Feuer an, ber andere holt Bohnen aus bem Gemüsegarten, Wurzeln, Suppenkraut, Kartoffeln. Dann wirb Wasser geholt im Kochgeschirr, ist nicht ganz sauber (ebenso wie wir), bas Essen von gestern abenb ist noch restlich brin. Schabet nichts! Bißchen ausspülen ! Das Wasser ist auch nicht gerabe sauber, boch zum Kochen gut genug. Man hat nichts besseres. Das wirb mit ben Bohnen aufgefetzt. Wurzeln zu, Suppenkraut. Daneben Kartoffeln gekocht. Nicht orbentlich abgespült! Salz haben wir noch. Werben nun bie Bohnen was? Alle fünf Minuten wird mal geschmeckt. Mit Eebulb werben bie Bohnen weich. Kartoffeln sind gar. Die Suppe dicker unb schmackhaft. Hinzugetan wirb ausgekochtes Fleisch vom gestriaen Essen aus ber Feldküche. Unb ich kann Dir sagen, ein belikates Mittagessen
III. Im Westen. 143
ist fertig. In eine gefundene Suppenterrine, die die ganze Compagnie benutzt, wird die Suppe und die Kartoffeln geschüttet, und beide Leute löffeln mit großem Appetit die Suppe aus, in der anderen Hand ein trockenes Stück Brot. AlsNach-tisch einen oder mehrere Äpfel, dann eine Zigarre, eine Pfeife Tabak und dann ein Mittagsschläfchen.
Das Frühstück bestand aus dem aufgewärmten Kaffee, dazu waren Pellkartoffeln gekocht, die dann — mit Marmelade aus N. — gegessen, herrlich schmecken. Hat man keine Marme-lade, nimmt man Salz oder Speck, was man hat. Oder man ißt sie nüchtern. Andere braten Speck mit Zwiebeln und essen dazu die Kartoffeln. Schmeckt ganz vorzüglich! Kaffeetrinlen besteht meistens aus Brot mit Marmelade oder einem Apfel. Abendbrot ebenso, oder man wartet, bis die Feldküche mit dem Essen kommt. Hat man da viel erbeutet, bewahrt man sich, auf die Gefahr hin, daß man nachts abrückt, trotzdem noch Essen auf und wärmt es dann den nächsten Tag auf.
Mit Dunkelwerden wird es still. Man weiß nicht, wie lange man schlafen kann, und bald herrscht Ruhe. Nur, wenn die Feldküche kommt, die erst gegen 9 Uhr naht — sie steht weiter zurück — erhebt sich nochmals alles. Dann wird's ganz still, und bald ertönt ein lustiges Schnarchen aus allen Ecken, zum großen Schaden der Schlaflosen, die dann Krach machen, so daß immer mehr mach werden, und der Halloh ist da. Da ist es nett, mit zwei Mann allein zu schlafen, wenn keiner schnarcht.
So laßt sich das Leben schon aushalten. Nur eins vermisse ich, ein einziges, und das ist die Frauenhand. Mögen wir noch so schön Essen kochen, noch so schön braten, es hat keine Frau gekocht. Da kommen wir nicht mit. Und damit fehlt auch die Ordnung der Häuslichkeit, die Sauberkeit. Wenn Ihr hier mal einen Tag so plötzlich mit essen und leben solltet, wenn Ihr mich hier so mein Kaffeebrot vertilgen sähet, wie ich in der Tür zu unserem Schweinkoden sitze, in der rechten Hand das Messer und in der linken einen Knacken Brot und einen Apfel, und davon immer Stücke abschneidend, so würde Euch doch, glaube ich, etwas anders zu Mute werden. Schon, wenn man meine Hände ansieht! Doch es ist Krieg!
144 III. Im Westen.
Bei der Proviantkolonne.
Noyon, 27. September 1914.
Mein lieber Vater!_ Gestern erhielt ich Deinen lieben Brief mit dem köstlichen Bericht der in Hamburg ausgebrochenen Hungersnot. Das ist ja haarsträubend, was da alles für Lügen in die Welt hinausgetragen werden. So wurde uns auch damals in Belgien erzählt, die Russen wären in Berlin eingezogen und die deutschen Truppen befänden sich auf dem Rückzug aus Belgien nach Deutschland. Na, solche Geschichten und ähnliche kann ja nur belgische Phantasie hervorbringen; der liebe Feind, der so etwas glaubt, kann einem nur leid tun. — Ich sitze heute am festlichen Sonntagmorgen ganz friedlich vor meiner Hafer-Ausgabestelle in der Reitbahn der hiesigen Dragoner-Kaserne und freue mich, datz ich mal etwas Zeit habe. Gestern war es ziemlich unruhig; es kreisten ununterbrochen französische Flieger über uns. Sie warfen Bomben und haben 50 Schritt von uns einige Pferde und einige Husaren schwer verletzt. Ganz unheimlich sind diese Kriegsvögel, weil man machtlos dagegen ist. In Belgien platzte mal so 'ne Bombe in meiner unmittelbaren Nähe; das pfiff und zischte man so von Granatsplittern. Fünf Schritte von mir ein Mann und vier Pferde schwer verwundet! Wir waren heilfroh, als der unheimliche Geselle wieder verschwand. Im übrigen haben wir seit unserer Feuertaufe damals in Bueken unter feindlichen Kugeln nicht sonderlich zu leiden gehabt. Wir sehnen uns auch gar nicht danach. Datz wir alle so glücklich daraus kommen, ist ein wahres Wunder, denn wir hielten mit unseren Gäulen nachts auf der Chaussee zwischen zwei Reihen brennender Häuser und erhielten von fast allen Seiten Feuer. Die Gäule brannten dann mit uns durch; über umgestürzte Wagen, brennende Balken, Leichen — immer weiter, bis wir so nach und nach uns alle wieder sammelten und mit unseren Gäulen an der Hand den Rest der Nacht in einem Garten hindösten. Am andern Tage war es nicht viel besser; da hatten wir es mit einer großen feindlichen Übermacht zu tun und haben es der rechtzeitig eintreffenden Verstärkung zu danken, datz wir heil blieben, denn der Befehl: „Jeder stirbt, wo er steht,“ war schon gegeben. Na, gegen 5 Uhr nachmittags, als die Halunken ihre Hiebe hatten, zogen wir ins Chateau Wilder, wo wir fünf Tage blieben und wo es gut war, denn Wein, Geflügel, Obst und so „ärmliche" Sachen gab's en masse. Wir zogen dann
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weiter mit ein- oder zweitägigen Unterbrechungen über Campen-hont bis Noyon. Und hier liegen wir nun schon fast 14 Tage. Wir sind jetzt beim ftorps tätig, welches hier in der Stadt und am Bahnhof und in den Kasernen Magazine errichtet hat. Die Franzosen haben sich in den großen, dichten Wäldern hier brillant verschanzt; von morgens früh bis spät abends donnern die Kanonen. Jede Nacht versuchen sie durchzubrechen, denn von Süden her werden sie von unseren aktiven Slorps, die vor Paris stehen, gedrückt. Jetzt sollten die Pioniere dabei und die ganzen Holzungen anzünden, und wenn sie dann herauskommen, sind auf allen Seiten unsere ftanonen und Maschinengewehre bereit zu festlichem Empfang. — Vor einigen Tagen erhielten wir fünf Neserve-Proviantmenschen Befehl, Vieh, Geflügel und sonstige Lebensmittel zu requirieren. Da schwangen wir uns auf unser Rotz und streiften die Dörfer ab. 80 schwere Ochsen, 400 Schafe mit Schäfer und 3 Hunden, 20 Enten. 20 Hühner, einige gute Milchkühe und einige Kälber brachten wir zur Stelle. Es mutz furchtbar hart sein für die Besitzer, wenn ihnen so mir nichts dir nichts ihr Hab und Gut weggeholt wird. Na, man darf ja kein Mitleid zeigen; unsere famosen Soldaten sollen ja leben, und für sie ist nichts zu gut. C’est la guerre!
Noyon ist total ausverkauft; es ist absolut nichts mehr zu haben; die Einwohner — meist Frauen mit ihren Rindern — haben noch weniger als die Truppen. Es ist ein Jammer — all dieses Elend, das der ftrieg mit sich bringt. Beschreiben sann man das gar nicht. Ich habe mich hier einquartiert bei einem Gastwirt, wo ich mit einem Feldwebel gemeinsam in einem Bette schlafe. Das ist sehr fein, obgleich schmutzstarrend. Der Dienst ist anstrengend; von morgens 5 bis abends 9 Uhr. Es geht aber alles, wenn man einige Stunden Schlaf hat und was für'n Magen. Hoffentlich find wir nun bald in Paris, damit die Sache hier wenigstens ein Ende nimmt und wir weiter kommen.
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Die Ruhetage tun uns wirklich gut; ich bin jetzt mit einem Kameraden und unserem Proviant-Ehef bei einem Bäcker einquartiert. Es sind aebildete, saubere, nette und zuvorkommende Leute; wir haben mal wieder ein richtiggehendes Bett, sitzen abends in einer netten Stube bei Petroleumbeleuchtung und leiden in keiner Weise Not. Der Bäcker backt vorzügliches Weife-
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brot, Butter dazu haben wir mit List und Tücke ergattert, und sogar zehn Flaschen deutschen Vieres haben wir von der Etappenstation herangeschleppt. Also, es geht uns mal wieder wirklich fein; sogar regelmäßig waschen und rasieren kann man sich, und das ist ein wahrer Genutz, wenn man mal so bös verlaust war. Unser Essen backen und braten wir bei unserem Wirt im Backofen; wir besitzen darin schon eine ziemliche Fertigkeit. Frisches Fleisch haben wir jeden Tag, denn es wird aus dem Lande gelebt, und große Herden von Vieh und Schafen treiben sich hier herum. Bezahlt werden requiriertes Vieh oder sonstige Sachen nicht; es wird nur eine Bescheinigung gegeben, und nach Friedensschluß wird ganz oder teilweise Entschädigung geleistet. Das Requirieren ist im allgemeinen ein ziemlich gefährliches Geschäft; et is aber noch immer jut je-jangen! Durch Franktireurs haben wir noch nicht zu leiben gehabt; da haben wir in Belgien wohl genug erlebt. Mir ist hier jebenfalls die Bevölkerung bebeutenb sympathischer; man mutz sich natürlich auf ben Stanbpunkt stellen, datz wir als Feinbe hier in Frankreich sind, unb bann kann man wirklich nicht klagen. — Das Wetter ist in ben letzten Tagen ziemlich unfreunblich; milte Luft, aber biesig unb neblig. Das Eine aber ist mir klar geworben: Dauert ber Felbzug ben Winter durch, bann müssen die Franzosen schlimm leiden, denn wir Deutschen sind viel mehr abgehärtet und ertragen ein rauhes Klima verhältnismäßig viel leichter. Von den Operationen selbst Hört man gar nichts; das wißt Ihr in der Heimat viel besser. Wir sind bei unserer Division unb machen mit, was unsere Division macht. Wir wissen, daß mir siegen, unb bas ist genug. Für England Haben wir sicher noch ganz besonbere Pläne; gemunkelt wirb, batz unsere Division oben an bie Rüste, Calais ober Ostende, geht. Na, abwarten! Ich bin gut aus dem Damm unb habe über nichts zu klagen.
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Sitze heute abend mit meinem Kameraden H. bei deutschem Vier und französischem Kognak am offenen Kaminfeuer in der Schule zu Ecuvilly. Frau Lehrerin hat uns ein Beefsteak kredenzt, welches uns einfach sein eingegangen ist; wir fühlen uns kannibalisch wohl und haben beschlossen, in dieser schönen Stimmung Kriegsbericht zu erstatten an unsere Lieben in der Heimat. — Seit 27. Oktober sind wir hier; haben Ausgabe von Verpflegungsmitteln an die in der Feuerlinie liegenden
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Truppen. Der Dienst ist sehr stramm, wir sind von morgens früh bis abends spät mit ganz kleinen Unterbrechungen angestrengt tätig. Aber hochinteressant ist die ganze Geschichte, denn man kommt mit allen Truppenteilen in Berührung und ist eine sehr angesehene Persönlichkeit so als Verpflegungsmensch. Wir selbst leiden natürlich keine Not, haben das Recht, zu requirieren für uns und unsere Truppen, und entwickeln in dieser sehr wichtigen Kunst eine schon ziemlich erstaunliche Firigkeit. So leicht ist das keineswegs; man mutz frech und rücksichtslos sein, sonst bringt man keinen Hammelschwanz an den Laden. Und die vielen, tiefen Keller hier bergen noch wahre Schätze. Wir nennen das Ganze: Nachbar-Visite. — Die Divifionstruppen, die im Umkreis von 6—8 Kilometer von hier in Feuerlinie liegen, empfangen täglich in unserem Magazin ihre Bedürfnisse: Brot, frisches Fleisch, Tabak, Kaffee, Zucker, Salz, Neis, Erbsen, Speck, Branntwein, Petroleum und was so zum Leben im Schützengraben erforderlich ist. Mangel ist hier noch nicht eingetreten, denn der Nachschub aus der Heimat klappt brillant, und im übrigen wird aus dem Lande gelebt, so lange was da ist. Aber die armen Einwohner kommen schon bei uns betteln; mit 6—7 Kindern kommen die Mütter angezogen, und da bleibt einem das Herz natürlich nicht kalt. — Hier ist Zentrum der Kampffront; gegenseitige Belagerung in befestigten Feldstellungen. Jede Nacht werden Durchbruchsversuche unternommen. Vor zwei Nächten war es unheimlich schlimm; da kamen wir denn doch aus der Nuhe heraus. Von V212 bis 2 Uhr nachts ununterbrochen Artillerieschnellfeuer. Ich hab' so etwas von Höllenspektakel nie für möglich gehalten; es war ganz schauderhast. Aber je doller so was wird, je kaltbültiger werden die Adern. Hier ist jedenfalls doch offener Kampf, dagegen in Belgien im Anfang dieses infame Franktireur-Wesen war abscheulich. Das da nicht mal 'ne Kugel traf, ist Gottes Wunder, wo wir immer „Pik solo" in der Gegend rumschipperten. Na: ^ l :
Je prends comme 11 arrive Le beau et le chagrin,
Dien veut, que chaqun vive Et je gagne mon paln.
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Aus den Schützengräben und Steinhöhlen in Nordfrankreich.
a) (Erster Eindruck.
Ab und zu werden mir gestört von lästigen Fliegen, auf die wir dann in unserer Wohnung Jagd machen, und von französischen Granaten und Schrapnells. Unsere Wohnung ist ca. zwei Meter unter der Erde, die rohen Lehmwände sind noch nicht tapeziert. Nach unten und hinten ist sie ausgehöhlt, unb oben haben mir eine Tür übergedeckt und diese mit Erde unb Grassvden bemorfen. 2 Meter ist die Stube lang und ebens» breit. Miete bezahlen mir nicht. Wir liegen jetzt hier 9 Tage drin unb ernähren uns von Brot unb Wasser. Mittagessen gibt es nachts um 12 Uhr. Dann kommen unsere Gulaschkanonen, übrigens bie besten Kanonen, bie mir besitzen, meiner Ansicht nach. Am Tage bürfen mir uns oben nicht sehen lassen, bann hagelt's blaue Bohnen. Dieses Ibyll hat bes Nachts ein ganz anberes Aussehen. Aus allen Löchern kommen bie Höhlenbewohner herausgekrabbelt. Dann mirb es Iebenbig. Es heißt balb: Essen holen unb Deckung ausbessern! — Heute nacht hatten mir einen Angriff ber Franzosen. Zuerst Gemehrter. dann Schrapnells unb zuletzt Schrapnells der fchmeren englischen Schiffsgeschütze. Es mar ein interessantes Terzett: Das hohe C der Eemehre, der erste Baß der leichten Artillerie und der zmeite Bah der Großen. Ein ohrenbetäubender Lärm. Die Franzosen sind meiner Ansicht nach schon ganz nervös. Ist es bei uns etmas laut, dann fangen sie wahnsinnig an zu schießen unb denken, mir greifen an. Wir stehen dann ganz ruhig vor unserer Deckung unb lassen sie auf 40—50 Meter herankommen. Weiter kommen sie bann nicht. Das Seitengemehr roirb auf« gepflanzt, unb es roirb geschossen, roas herausgeht aus bem Lauf. Diesem Feuer halten bie $ rüber nicht ftanb unb laufen, roas sie können, zurück; aber so mancher bleibt liegen. Es ist ein Elenb! Man kann bie Toten nicht mehr beerbigen, weil bann gleich geschossen wirb. Wir hatten einen Verwunbeten —Schutz
durch die Backe. Heute morgen war es etwas neblig, unk
tüir konnten einmal oorne hinausgehen. Wir haben uns gegenseitig angesehen und nichts gesagt, aber jeder hat gedacht: D« find wir wieder einmal glücklich bem Tobe entronnen; benn 1% — 2 Meter vor unserer Linie hatten bie Geschosse ben ganzen Boben aufgewühlt. Schrapnellkugeln in Hülle unb Fülle und
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wir — sind glücklich davongekommen. In dem Tumult des Gefechts merkt man gar nichts davon....
b) Das Niederländische Dankgebet im Kanonendonner und unter Harmonika-Begleitung.
Noch immer liegen wir in unserem trostlosen Nest, oder vielmehr im Walde. In der letzten Woche haben wir gehörig gearbeitet. Am Tage bauten wir regensichere Unterstände für die ganze Kompagnie. Man gräbt sich dabei tief in die Erde ein. Dann wurde ein paar Stunden exerziert. Nachts hatten wir stets Wache, Vorposten, Auswerfen von Schützengräben usw. An Schlaf war kaum zu denken. Ich war mit meinen Kräften ganz am Rande. Öfter haben uns die Franzosen angegriffen, sind aber immer wieder zurückgeworfen worden. Nur haben sie sich in dem unteren Teil des Dorfes, das über zwei Kilometer lang ist, festgesetzt. Dieser Teil ist von unserer Kompagnie schon ausgebrannt worden. Am Sonnabend sollten die Nuinen gesprengt werden, damit sich die Turkos dort nicht mehr festsetzen können. Dazu war ein Sturmangriff nötig, der von zwei Kompagnien Freiwilliger unternommen wurde. Nur zwei oder drei Häuser wurden gesprengt, aber es ist immerhin ein solcher Schutz, daß die schwarzen Brüder nur auf etwa 50 Meter herankönnen. Die Ausrüstung an Wollsachen habe ich erhalten. Was uns fehlt, ist: Schokolade, Tabak, Wurst. Wir waren einmal glücklich,als wir in ... . für schweres Geld eine winzige Portion Bonbon kaufen konnten. Ein Freund von mir erwischte sogar ein Stück Butter. Im übrigen leben wir jetzt recht gut. Auf unserer Feldwache haben wir in dieser Woche schon zwei Kühe geschlachtet, und da fraßen wir draus los. Das ist überhaupt ein Kennzeichen des Krieges, datz sich die Extreme so nahe berühren, tagelang Anstrengungen und Entbehrungen und dann wieder ein gemütliches Ausruhen mit
Eleisch und Wein. Plötzlich platzt irgendwo eine Bombe in die errlichkeit hinein. Es gibt ein Gefecht oder einen langen Eilmarsch und alles ist Essig. Überhaupt ist der Krieg ganz anders, als man sich ihn zu Hause vorstellt. Wer hat geglaubt, datz es bei unseren mörderischen Waffen noch Sturmangriffe gibt? Dabei ist dies das Selbstverständliche. Was soll man auch anders machen, wenn sich die Gegner auf 400—500 Meter stark verschanzt gegenüberliegen? Da gibt es kein anderes Mittel. Unb
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wer glaubt, datz ich hier mit meinen sechs Mann als Führer emes Unteroffizierpostens weit vorgeschoben an der Oise liege wo von den Gegnern aus jede Nackt unsere Patrouillen auf höchstens 50 Meter Entfernung beschossen werden, daß ich jetzt diesen Brief in Seelenruhe schreibe, während über mir die feindlichen Granaten pfeifen und nahe bei uns erderschütternd einschlagen? Das alles läßt sich nicht schildern. Als wir in M .. lagen, haben wir während des Konzerts der Geschütze zur Harmonika gesungen, bis alle plötzlich still wurden und den Atem anhielten. Rechts und links platzten die Granaten. Und siehe, nach einigen Minuten tiefster Ruhe spielt einer leise das Niederländische Dankgebet. Der ganze Schützengraben stimmte mit ein, und wir konnten uns dem überwältigenden Zauber der Stimmung nicht entziehen und sangen bewegt mit. Vorgestern habe ich mir ein besonderes Lob ererntet. Zusammen mit zwei anderen gingen wir in der Morgendämmerung über die Oise, um die feindliche Stellung zu erkunden. Wir waren nicht lange drüben, da bekamen wir aus ganz kurzer Entfernung Feuer aus einem Wäldchen. Wir schlichen uns rechts herum, kamen an einen Deich, und von dort aus konnten wir ungehindert die feindlichen Schützengräben beobachten. Die Meldung wurde mit großem Interesse vom Negimentsstab aufgenommen. Jetzt eben richtet die französische Artillerie ihr Feuer auf die hinter uns liegende Schützenlinie unserer Feldwache. Das ist das erste Mal. Hoffentlich schießt sie zu weit. Wir sind körperlich und geistig frisch und haben alle frohen Mut. Dennoch wünschen tvir alle sehnlichst, daß endlich die Sache hier zu Ende geht. Vielleicht bringt schon die nächste Woche eine Entscheidung. Hoffen wir?
c) 7 6er im Schützengraben.
T., 13. Dezember.
Es ist 6 Uhr abends. Der Doppelposten zieht auf. Jede Gruppe von 8 Mann in zwei Unterständen stellt diesen Posten bei Nacht. Am Tage steht nur ein Mann. Wir sind an der Reihe. Um möglichst eine geschlossene Schlafenszeit zu haben, machen mir aus, daß jeder von uns zwei Doppelposten (eine Halbgruppe) sechs Stunden hintereinander steht, der eine von 6—12, der andere von 12—6 Uhr, von welcher Zeit ab der Soloposten auszieht. Ich stehe von 6—12 Uhr mit meinem Schlafnebenmann. Es regnet, was vom Himmel kommen will, der Graben steht bis zum Knöchel voll Wasser. Wenn wir aus-
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und abgehen, wischen unsere Mäntel die Grabenränder ab und nehmen eine schöne Lehmfarbe an. Wir spannen uns eine Zeltbahn über den Graben, und zwar so, datz wir durch die Scharte lugen können. Neben uns arbeiten einige Kameraden an der Verbesserung ihrer Schulterwehr. Ab und zu kracht ein Schutz vom Feinde herüber, der undeutlich die Bewegungen Der Arbeitenden oder das Feuer eines rauchenden Postens bemerkt hat. Die Stunden ziehen sich sehr in die Länge, endlich hört der Regen auf. Um mir die Zeit zu vertreiben, nehme ich mir einen Spaten und versuche, den Graben vor unseren beiden Unterständen trocken zu legen. Schwer hastet der Lehm an dem Spaten und spritzt beim Äbwersen zurück mir ins Gesicht und auf das Zeug, aber so etwas ist uns jetzt egal. Alle zwei Stunden kommt die Ablösung des Horchposlens an uns vorüber. Ich schaudere, wenn ich an meinen Horchposten zurückdenke ! "Nicht wegen der Gefahr, sondern des Schmutzes wegen. Seht einmal meinen Mantel an, — es war vor einer Woche und jetzt ist er noch voll nassen Lehmschlammes. Endlich stelle ich mit der Zigarre fest, datz der Zeiger der Uhr auf 12 weist. Wir zwei wecken die Ablösung, reinigen notdürftig unsere Stiefel, um das Loch im Unterstand nicht zu sehr zu beschmutzen, und verschwinden in demselben. Licht gemacht, Brot und Fretz-kiste raus und erst mal tüchtig gegessen. Dann in die Decken gewickelt und geschlafen bis 6 Uhr morgens. Dann stehe ich wieder l]/2 Stunden Wache.
Die Franzosen scheinen Freiwillige oder wenigstens neue Truppen bekommen zu haben, denn kaum steckte ich meine Nase hindurch, als auch schon mit dem charakteristischen scharfen Knall eines Treffers eine Gewehrkugel gerade vor mir einschlägt und mein Gesicht mit Lehm und kleinen Steinen bewirft. Ein Zoll
weiter und------------. Ich habe nie gedacht, datz ich so gelenkig
wäre, so schnell kam ich von der Schützenbank herunter. Ich gehe um die Seitendeckung und — bums, fällt mir fo eine kleine Lehmlawine in den Kragen. Ich freute mich, als es V28 Uhr war und ich abgelöst wurde. Inzwischen ist um 6 Uhr von jeder der 8 Gruppen des zweiten Zuges der 4. Kompagnie des . . Regiments ein Mann mit seinem Kochgeschirr nach dem Walde gegangen, um Kaffee zu empfangen. Sie müssen den sumpfigen Laufgraben zehn Minuten ausmessen. Andere wagen es bei dem hellen Mondenschein, Über die Deckung zu steigen und feldeinwärts zu laufen, mit dem drückenden Hintergedanken, von einer Kugel erreicht zu werden. Aber das mutz
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schon Zufall sein, denn in der Dämmerung kann der Feind nicht zielen und kann nur auf Gutdünken abdrücken. Sie kommen, über den Dreck schimpfend, zurück, und wir schimpfen über den halben Becher dünnen Kaffees. Wir schlafen, rauchen, stehen Wache und essen um 1 Uhr Mittag. Da fängt drüben die Batterie an. Sonst achten wir nicht auf sie, die Granaten und Schrapnells singen über unserem Wall. Es dauert eine ganze Weile, bis wir Aufschlag und Erplosion hören. Aber heute — was ist das? Was wackelt unser Unterstand? Was soll das Lausen und Nennen? Eine Granate ist mitten im Graben geplatzt, ihre Stücke töteten einen Mann, der im Unterstand ahnungslos seine Speckerbsen atz, und schlugen einem anderen den Arm entzwei. Er ist bleich wie der Tod, ebenso wie seine beiden unverletzten Kameraden. Die Herren Sanitäter wohnen nicht im Graben, sondern im Walde. Da verbinden wir selbst, so gut es geht. Ich habe noch ein wasserdichter Stück Medizintuch von einer Liebesgabensendung her, und der Leutnant gibt dem Armen eine Zigarette zur Beruhigung. Natürlich ist uns anderen die Petersilie verhagelt, und wir warten, datz wir an die Reihe kommen. Aber die Franzosen scheinen zufrieden zu sein mit ihrer Leistung, und ein vollständiges Schweigen tritt ein. Und wieder kommt eine Nacht wie die vorige, nur, datz wir sie durchschlafen können.
Am nächsten Morgen sollen wir ins Dorf, die . . er lösen uns ab. Natürlich grotze Freude, aber leider nur drei Tage. Es wird emsig gepackt. Neben dem Tornister hat jeder noch einen Karton mit „Futteralien" von zuhause bei sich. Um 7 Uhr wird angetreten, leise, leise, datz der Feind nichts merkt. Erst müssen mir raus, dann die anderen herein. Die Stellung ist eine halbe Stunde unbesetzt. Leise, leise, damit er nicht angreift und den ungedeckten Graben nimmt. Im Gänsemarsch durch den Graben. Wir schwimmen fast im Schlamm, polieren die (Srabenränder. Endlich nimmt der Wald uns auf. Da — Helme blitzen auf. Das sind die .... ger. „Mensch, was seid ihr dreckig," rufen sie uns zu. „Geht erst mal in den Graben rein, da werdet ihr euch wundern, wir waren über vier Wochen drin." Im Gänsemarsch über den Knüppeldamm durch den Wald, bis wir die Chaussee erreichen. Hier Gruppenkolonne formiert, und ab geht es nach T. Über die Höhe geht es einzeln im Laufschritt, — dort kann der Feind uns sehen, aber er passiert nichts. Wir kommen in T. an. Ein Hof wird uns angewiesen. 25 Mann liegen wir in einer Scheune. Zwar
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Schrapnellöcher im Schindeldach und keine Türen und Fenster und ein gräßlicher Zug. Aber doch ein seliges Gefühl, einmal vier Wände um sich zu haben, ein Dach zu sehen, seine Beine ausstrecken zu können. Wache stehen im Orte, Arbeitsdienst, Gräben bauen, Straßen reinigen usw. Endlick mal Bewegung zu haben, viele, viele Schritte machen zu können und nicht nur die ewigen vier Schritte im Schützengraben. Nicht mehr dieses beständige Knallen und Krachen, diese beständige Todesahnung. Wir spielen mit den Katzen (die Hunde sind erschossen) und mit den Kindern und singen die Heimatslieder des Hamburgers. Drei Tage — und wie eine serienreife kommen sie uns vor. Und dann wieder ins Alltägliche, in den Graben, wir wir sonst ins Geschäft gingen.
d) W i e ein Hamburger Kaiarbeiter sich das Eiserne Kreuz gewann.
Noye, den 23. Oktober 1914.
Auf unserem Kriegsschauplatz ist alles beim alten. Es-geht abwechselnd in den Schützengraben; vorige Woche haben wir fünf Tage drin gelegen. Wir haben weiter nichts zu tun, als Stellung zu halten. Die Franzosen versuchen oft einen Nachtangriff, was uns aber wenig kümmert, z. V. eine Nacht um 12 Uhr kamen sie an und schossen wie die Verrückten. Wir hatten etwa 80 Meter vor unserem Graben Weizengarben zu stehen, die haben leiden müssen. Wir haben keinen Schuh abgegeben. Als die Franzosen sahen, datz die Weizengarben nicht weichen wollten, zogen sie sich zurück. Na, da haben wir gelacht. Da kann man sehen, datz sie auf blauen Dunst schießen. Wir werden hier warten müssen, bis die Unseren den feindlichen Flügel angreifen.
Nun will ich noch schreiben, wie ich das Eiserne Kreuz bekommen habe. Es war bei Lassigny. Wir hatten mit Zuaven zu tun. Vor uns war ein Berg, der von ihnen besetzt war. Wir waren 15 Mann und haben die Feinde über die Höhe hinuntergejagt. Als wir die Höhe hatten, gingen wir noch etwas vor und hatten schönes Schutzfeld. Inzwischen hatten sich die Zuaven hingelegt; wo sich einer von ihnen blicken lietz, bekam er schon eine Bohne. Endlich standen sie alle auf und gingen in Schwärmen zurück, bis auf 200 Meter vor uns. Da haben wir so viel heruntergeschossen, datz wir keine Patrone mehr hatten. Jetzt fing die feindliche Artillerie an, die hatte
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das richtige Visier und warf mitten in uns Feuer, daß wir nicht vor- noch rückwärts sonnten. Die Zuaoen kamen nun auf uns zu, da war es aus mit uns. Nun fragte der Zugführer,
wer zurücklaufen wollte und Patronen holen. Ich sprang auf
und hin zur Reserve, die 400 Meter hinter uns lag. Ich bin glücklich durchgekommen — aber es war heiß! Ich habe dort meine Meldung gemacht. Einige Tage später hatte ich es, das Eiserne Kreuz. • ' 1 . ; , ,
e) Abwechslung.
21 u t r ö ch e s , 18. November 1914.
Als wir vor ungefähr einer Woche von Auträches ab-
marschierten, kamen wir nach Audignicourt; hier haben die Granaten lange nicht so schrecklich gehaust wie in Autröches, wo fast kein Haus heil geblieben ist. Hier wurden wir geimpft gegen Typhus. Ich habe schandbare Schmerzen davon gehabt, aber ich habe durchgehalten. Noch dazu, als wir früh morgens wieder weiter mutzten. Der Tornister drückte, das Koppel scheuerte, und der Schweiß kam aus allen Poren. Wir waren alle fieberhaft erregt und befanden uns in einer Art Fieber-Zustand. Fast alle glaubten, daß wir wieder die Schützengräben besetzen sollten. Aber glücklicherweise landeten wir in Blerau-court, einem größeren Flecken einige Kilometer hinter der Front. Hier sollten wir Ruhe haben, die uns auch groß nötig tat nach dem anstrengenden Schützengrabendienst der letzten Wochen und nach der Impfung. Hier hatten wir denn auch gute Tage. Wir schliefen in Strobkisten und hatten sogar Tische und Bänke. Im Ofen prasselte ein lustiges Feuer, die Kohlen dazu hatten wir uns aus der benachbarten Zuckerfabrik geholt, deren Besitzer beim Rückzug der Franzosen geflohen ist. Im allgemeinen ist dieser Ort nicht ganz so menschenleer wie die anderen. Hier ist nur die wehrpflichtige Jugend und die sogenannte Hautevolee verschwunden. Die Bauern sind hiergeblieben. Für Kautabak. Zigarren und Zigaretten konnten wir das beste Gemüse erstehen. Daher hatte ich dann für unsere Gruppe eine „blendende" Gemüsesuppe, die allen sehr gut geschmeckt hat. Am Nachmittag hatten wir uns einen Kaffee gekocht, tvie ihn die Feldküche noch nie geliefert hat. Dazu hatten wir Weißbrot mit Butter und Speck. Also — einfach großartig! Unser Unteroffizier war ganz erstaunt über die Findigkeit der Freiwilligen. Unsere drei Landwehrleute schmunzelten, und unser Reserve-
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Offizier hackte Holz und bediente den Ofen. Das Brot hatten wir beim Ortsbäcker gekauft, der auf deutsche Rosten für die Gemeinde Brot backt und verkauft. Es fehlte uns nur der Zucker zum Kaffee. Milch. Marke „Milchmädchen", hatten mir bei der Artilleriekantine erstanden. Und den Zucker wollten wir uns für den nächsten Tag aufsparen, um uns einen feisten Kakao zu kochen. Nachts schliefen wir einfach wie die Herrgötter in Frankreich, besser kann es sich kein Soldat wünschen, als wir es dort hatten. Der zweite Tag, den wir dort verlebten. war ebenso schon wie der erste. Das Wetter war ausgezeichnet, und die Gegend hier ist unvergleichlich schön. Alle Dörfer liegen in tiefen Talkesseln, deren Höhen mit bunt-farbenen Laubwäldern umgeben sind. Die Sonne schien einfach herrlich. Wir hatten das beste Septemberwetter. Der Tag wurde noch versüßt dadurch, daß gegen Abend der Vataillons-packwagen mit den großen Paketen ankam. Wir hatten gerade ein lukullisches Abendbrot oerzehrt, als die Pakete bei der Schreibstube verteilt werden sollten. In dichten Scharen standen wir vorm Fenster und erwarteten die langersehnten Heimat-grütze, als unser Feldwebel mit Donnerstimme in die Nacht hinausrief: „Zehnte Kompagnie sofort antreten, feldmarschmäßig! Pakete werden später verteilt." Im selben Augenblick blies der Trompeter auch schon den Alarmruf. Im Laufschritt ging's in die Quartiere zurück. Es wurden Mäntel gerollt, Zeltbahnen gelegt, Tornister gepackt, und im Augenblick stand die Kompagnie auf dem Alarmplatz zum Abmarsch bereit. Die neunte, elfte und zwölfte Kompagnie kam auch heran, und dann marschierte das Bataillon ab. Im Eilmarsch ging's nach Audignicourt. Während des ganzen Marsches hörten wir heftiges Gewehr- und Artilleriefeuer. Es war also ein großes Gefecht, und wir sollten höchstwahrscheinlich mit einspringen. Aber in Audignicourt wurde Halt gemacht, und wir bezogen Alarmquartiere. Unser Bataillon blieb in Reserve hier liegen. Wir konnten jeden Augenblick darauf gefaßt sein, auch heraus zu müssen. Wir blieben so lange wach. bis das Gewehrfeuer allmählich verstummte, bis die Artillerie die letzten Anstrengungen des Feindes vernichtete. Am anderen Morgen erfuhren wir, daß die Franzosen, unterstützt von Zuaven, bei Autreches einen Massendurchbruch versucht hätten, der aber gescheitert sei. Am Mittag kamen die ersten Gefangenen hier in Audignicourt an. Die Frauen standen am Wege und weinten, als die französischen Liniensoldaten in deutsche Gefangenschaft abgeführt
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wurden. Die Franzosen sahen vollkommen unterernährt und verkommen aus und zeichneten sich durch eine überaus schlappe Haltung aus. Sie waren ganz erfreut über das warme Essen der Feldküchen und küßten den Küchensoldaten vor Freuden die Füße. Hinter den Franzosen kam ganz gemütlich der Bataillonspackwagen angezottelt. Eitel Lust und Freude herrschte jetzt bei der Compagnie. Abends um 6 Uhr begann die Paketverteilung, die um 7 Uhr erst zu Ende war. Dann ging's aber marsch! marsch! in die Quartiere, und das Auspacken begann. Zuerst die Handschuhe, dann der Brief, die Postkarten, Strümpfe, Zigaretten und zum Schluß die Schokolade. Fast alle hatten ein Paket bekommen. Jetzt wurde geschenkt und verteilt, und wir freuten uns wie die Kinder, wenn sie Weihnachtsgeschenke empfangen. Unsere Gruppe, acht Mann und ein Unteroffizier, lag in einem Stall für sich. Zur Feier des Tages brannten drei Talglichter, was bis jetzt noch nie vorgekommen ist. Die neuesten Depeschen wurden verlesen, es wurde gesungen bis in die späte Nacht. Unsere versteckte Erwartung, in der Nacht heraus zu müssen, ging, Gott sei gedankt, nicht in Erfüllung. Das wäre ja eine furchtbare Schlepperei geworden. Am 14. hatten wir wieder Nu he und blieben noch immer in Audignicourt. Abends gingen wir ins Stroh mit der sicheren Gewißheit, nicht heraus zu brauchen. Wir hatten nämlich Befehl bekommen: Morgen um 9 Uhr antreten zum Feldgottesdienst. Aber — mit des Geschickes Mächten ist kein ewiger Bund zu flechten. In der Nacht, genau um halb vier Uhr, ging es los: „Zehnte Kompagnie sofort antreten! Abmarsch!" Wie ein geölter Blitz kamen wir hoch, Tornister fertig gemacht und bann heraus. Dieses nächtliche Glück blüht unserer Kompagnie scheinbar immer bann, wenn wir es besonbers gut haben. Wir marschierten also los in ben eisigen Morgen hinein, fsn ber Nacht hatte es übrigens zum erstenmal gefroren. Bei Hellwerben kamen wir wieder in unserer Heimat — Autreches — an. Hier, wo wir so manchesmal im schärfsten Artilleriefeuer gelegen haben, sind wir jetzt in dumpfen, feuchten Sandsteinhöhlen untergebracht, von denen es in dieser Gegend eine Unmenge gibt. Es ist aber wenigstens besser, als im Schützengraben zu schlafen, wo man jedem Wind und Wetter ausgesetzt ist. Allerdinas haben wir hier verflucht wenig Stroh; aber was schadet das, wenn man nur ein Dach über dem Kopse hat. Wir faulenzen hier jetzt herum, ohne viel Dienst zu haben. Als wir heute morgen ankamen, mußte ich erst arbeiten, bann schrieb ich Eure Karte, unb bann pennte ich
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bis Mittag, um dann diesen Brief zu schreiben, der Euch vielleicht durch seine endlose Länge auffallen wird. Aber was soll man anfangen. Draußen regnet und schneit es. Hier drinnen ist es warm, und ich sitze hier auf einem Steinblock und schreibe, rauche dabei eine von Euren Zigaretten. Vor mir brennt auf einer umgestülpten Pappschachtel eine fterze. Rund herum sitzen malerisch gruppiert vier andere Kameraden, und alle schreiben sie an ihre Lieben in der fernen, fernen Heimat. — Schön ist das Soldatenleben, und, liebe Mutter, mit dem Pulver habe ich bis jetzt nicht gespart. Wir Freiwilligen haben schon feste mitgeschossen und sind um nichts besser oder schlechter als die gedienten Mannschaften. Das seht Ihr schon daraus, datz es in unserer Compagnie Landwehr, Reserve, Aktive und Freiwillige gibt. Das Patrouillengehen tun durchweg die Freiwilligen, und wir sind deshalb auch schon von unserem Leutnant gelobt worden. Manchen Patrouillengang habe ich schon im Morgennebel mitgemacht. Manche kleine Schießerei mit französischen Patrouillen im Nebel habe ich miterlebt. Bei unserem Leutnant bin ich übrigens gut angeschrieben. Unb das kam so. Neulich in Bl6raucourt saß ich auf einer Treppe unb zeichnete eine Felbküche, als unser Leutnant plötzlich kommt unb mich um bie Zeichnung bittet. Also, als ich fertig war, gehe ich zum Leutnant unb bekomme für bie Zeichnung einen Kognak unb brei Leutnantszigarren. Seitbem mutz ich sehr oft Postkarten usw. für ihn zeichnen.
Wenn Ihr wissen wollt, wo ich bin, so kauft Euch Ravensteins Kriegskarte Nr. 3, Belgien unb angrenzenbes Frankreich. Darauf finbet Ihr jebes kleine Dorf. Wir liegen zwischen Noyon unb Soissons. Diese Karte kostet 1 Mk., sie ist aber sehr gut. Mit Grutz an Euch alle. Hurra!
f) W i r unter uns.
Autreches (Oise), 5.10.14.
Der gestrige Sonntag war ganz frieblich. Wir haben uns vormittags Falläpfel gesucht, zerschnitten unb gereinigt und bann brei Stunden lang Apfelmus gekocht, meine Gruppe unb ich. Ich habe mir bei der Rüche etwas Zucker geschnurrt. Der Versuch, bie gekochten Apfel burchzurühren burch einen Durchschlag, glückte nicht, und so haben wir denn heute das Apfelmus mit den Schalen gegessen. Es schmeckt auf unserem Brot recht gut, es ist eine angenehme Abwechslung. — Zwei meiner
Kameraden haben sich im Dorf einen kleinen eisernen Herd mit langem Schornstein erstanden. Ten haben sie im Hose aufgestellt, und dort wird von uns anderen gekocht. Ein anderer Kamerad trocknete Kaffeebohnen, die er in dem Tornister eines gefallenen Franzosen — der inzwischen begraben war — gefunden hatte. Ein dritter kochte Wasser, um Kaffee zu bereiten. Den löste ein vierter ab, der Rosenblätter in der Herdkasse trocknete, die sollen aeraucht werden, da der Tabak alle ist. In der Küche des Hauses wird auch eifrig gekocht: gefundene Kartoffeln, Äpfel, Wurzeln und anderes Gemüse, aber nur als Zutat zu einer Kraftbrühe, die man aus gebettelten Knochen (von der Mannschaftsküche) bereitet. In einer Stube liegen die Leute auf ihrem Stroh, um die infolge Wachtdienft entbehrte Ruhe nachzuholen. Nebenan wird Karten gespielt. Lei mir ist fast ständig Lesesaal, da ich alle Zeitungen, die ich erraffen kann. zusammenschleppe, einmal um sie selbst zu lesen, dann auch. um sie den Kameraden zur Verfügung zu stellen. Zeitungen sind sehr begehrt, aber selten, und vor allen Dingen auch acht bis zehn Tage alt. Man stellt hier nun eben ohne Zeitunyen seine Vermutungen über die neuesten Kriegsereignisse an, füllt damit einen guten Teil der Zeit aus, und das ist ja gut.
g) E r n st e Gedanken beim Marschieren und Rasten.
In der Nacbt von Sonnabend auf Sonntag marschierten wir weiter nach einem Dorfe Eaisne. Dort bezogen wir verlassene Bauernhäuser, richteten uns am Sonntag behaglich darin ein, wärmten uns am offenen Kaminfeuer und schliefen auch eine Nacht in Wärme und Ruhe. Das tat gut. Leider war diese Freude kurz. Unsere Kompagnie und die 11. erhielt Montag mittag Marschbefehl nach Autröches. Der Weg dahin ist nur etwa vier Stunden, das ist nicht schlimm. Er führt durch eine schöne Waldaebirgslandschafl. Da wir nur ein kleiner Trupp waren, marschierten wir bei Tage. Rast machten wir einmal, und zwar im Walde zum Mittagessen. Die fahrbare Feldküche, die zu jeder Kompagnie gehört, Hatte das ben aus dem Marsche fertig gemacht. Über diese Einrichtung war ich des Lobes voll und kann auch feststellen, dah wir bisher stets ausreichend ernährt sind, wenn auch einfach (zusammenaekochtes Essen, trocken Brot, schwarzer Kaffee oder Tee) und wenn auch manchmal erst spät abends, da die Küche erst in der Dunkelheit an die Gefechtslinie herankommen kann. Eine Eigentümlichkeit.
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der modernen Kriegsführung ist die Sicherung nach oben — gegen Flieger. Deswegen wird tags eigentlich nie marschiert. Quartiere und Höhlen dürjen nicht verlassen werden, solange es taghell ist. Die Bagagewagen, die Munitionswagen, die Pferde der feindlichen Artillerie werden nicht nur gegen die feindlichen Feuer gedeckt aufgestellt, sondern ins Gebüsch gebracht oder mit großen Büschen, die sie überdecken, umstellt. Wird man im Freien trotzdem mal von einem Flieger sozusagen überrascht, so heitzt es stille stehen. Da wir nun gestern abend auf unserem Marsch kurz vor Autreches Über eine freie Höhe mutzten, die von feindlichem Artilleriefeuer bestrichen wird, und da wir vier feindliche Flieger sichteten, so blieben wir bis zum Eintritt der Dunkelheit im Nachbarort, von dem aus noch ein einstündiger Marsch bis hierher zu machen ist. Wir hatten in einem Bauernhof die Gewehre zusammengestellt und uns dort gelagert. Dort wurde uns auch unsere Löhnung ausgezahlt. Ich habe dabei Unteroffizierlöhnung erhalten. Das bedeutet also, datz ich am 11. zum Unteroffizier befördert bin. Das förmliche Schriftstück ist zwar vom Vataillonsbureau noch nicht zurück, aber die Löhnung zeigt die vollendete Tatsache. Natürlich freue ich mich dazu. Ich bekomme nun alle zehn Tage 13,33 Mark. Gestern habe ich noch 10,30 Mark Stiefelgeld bekommen .... Hier in den französischen Dörfern ist kein Geld loszuwerden, und der Marketender kann sich natürlich nicht ins feindliche Feuer wagen. Außerdem ist er brandteuer. Mit mir ist noch ein Gefreiter der Landwehr Unteroffizier geworden und zwei Wehrmänner Gefreite. Wenn ich nun auch nicht wie Bruder Ernst das schönste Ehrenzeichen*) des Soldaten errungen habe, so magst Tu doch aus meiner Beförderung ersehen, datz ich meine Pflicht tue.
Während der erste Aufenthalt in Autröches nur Aufmerksamkeit beim Wachdienst erforderte, aber uns fönst nicht beschwerlich fiel, da wir bei Tage in einem guten, festen Hause untergebracht waren, erfordern die Nachtmärsche der letzten Woche sehr grotze Anstrengungen. Unser jetziger neuer Aufenthalt in oder richtiger bei Autröches ist aber wiederum beschwerlicher. Wir liegen nicht im Dorf, sondern oben auf der Höhe in unterirdischen Höhlen eines bergwerkartig angelegten Steinbruchs. Diese Höhlen sind sehr grotz, etwa 3 Meter hoch, im Innern vollkommen düster, zwar trocken, aber doch voll
*) Das ist dem Verfasser jetzt auch zuteil geworden.
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modriger Luft. Wir müssen uns darin verkriechen, um vor dem feindlichen Feuer, insbesondere Artilleriefeuer, geschützt zu sein. (Ich schreibe diesen Brief stehend am Eingang der Höhle.) Unsere Schützengräben ziehen sich oben auf der Höhe entlang. Wir sind heute, um hierher zu gelangen, in ihnen und den dazu gehörigen Laufgräben wohl eine halbe Stunde lang end-langgegangen — großartige Werke. Die Stellung hier ist nach wie vor die am weitesten vorgeschobene. An einer Stelle steht unser Unteroffiziersposten keine 100 Meter vom feindlichen Schützengraben entfernt. Da heißt es natürlich aufpassen, ganz aufmerksam horchen und gucken, damit uns der Gegner nicht überrascht. Dem betreffenden Posten zur Seite steht ein Geschütz und 50 Meter von ihm entfernt ein Maschinengewehr. Das find natürlich starke Helfer. Immerhin sind die Posten hier, die wir jetzt abwechselnd beziehen, sehr verantwortungsvoll, und wir alle werden uns freuen, wenn wir nach 8 oder 10 Tagen hier abgelöst werden. Na. das mutz man abwarten und erst mal seinen Dienst gut verrichten. Daran soll's nicht fehlen. Ich freue mich, daß ich das große Glas habe, das wird meine Beobachtung des Geländes, auch bei Nacht, sehr wirksam verbessern. Leider hat heute die zweite Batterie meiner elektrischen Taschenlampe den Dienst versagt, und zwar, weil sie ausgebrannt ist. Bitte, schickt mir bald wieder eine, aber
wieder eine gute, und nach einigen Wochen wieder eine..................
Dieser Krieg ist eine Schande für die Kulturnationen,_ die ihn verschuldet; man erlebt das täglich. Ist es, um ein kleines Beispiel aus meiner unmittelbaren Umgebung zu geben, nicht unerhört, daß ich gezwungen bin, tagelang in dunkler Erdhöhle zu leben, ohne ein Feuer anmachen zu dürfen, ohne genügend Stroh zu haben, ohne mit Lebensgefahr meine Bedürfnisse draußen vor der Höhle verrichten zu können? Ja, meine Mutier, dieser Krieg ist schrecklich. Ich klage nicht um meiner persönlichen Lage willen, denn ich finde mich als Kamerab unter vielen. Aber ich empfinde bas Furchtbare, Unwürdige, Himmelschreiende dieses systematischen Würgens und Wütens vielleicht stärker als mancher Kamerad. Es ist in der Gegend, durch die wir in den letzten Tagen marschiert sind, furchtbar gekämpft worden. Wieviel zerschossene Dörfer, wo unsere Truppen Haus für Haus haben erkämpfen müssen, haben wir gesehen, wieviel Hab und gut ist verbrannt oder zerstört, wieviel Gemüse verrotet jetzt oder wird von den Soldaten verbraucht, wieviel schönes Korn wird als Stroh unter die Füße
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getreten. Das alles ist Frevel. Aber nicht der einzelne Soldat ist dafür verantwortlich — wir müssen uns Stroh verschaffen, sonst werden wir krank; wir haben jetzt schon mehr als eine Nacht vor Kälte nicht schlafen können — und gedroschen ist das Rom noch nicht. Wer weih, wann wir jetzt das Zeug einmal wieder vorn Leibe kriegen, wann wir uns mal wieder waschen können, und dabei sind wir gestern auf dem Marsch furchtbar eingestaubt. — Das ist der Krieg! Es ist nur gut, daß Ihr in der Heimat, nicht so sehr viel vom Kriege merkt. Meine Mutter, danke Du täglich Deinem Gott, dah er unser Vaterland vom Kriege so gut wie verschont hat, und vergeht nie, daß Ihr tausendmal glücklicher daran seid, als unsere ost-preuhischen Landsleute, deren Dörfer mit Krieg überzogen waren.
Ich freue mich oft über meine Kameraden: die werden niemals so hausen wie Franzosen (im eigenen Lande) und Russen. Beziehen wir irgend ein Quartier (Haus, Hütte. Höhle), so wird zuerst aufgeräumt und nicht geplündert. Das haben wir jetzt mehrere Male erlebt, und jeden Tag wird das
Quartier verbessert — leider ist hier in der Höhle nicht viel
anzufangen. — Überall, wo wir waren, haben meine Kameraden aus eigenem Antrieb den verarmten Einwohnern von ihrem eigenen Brot und Mittagessen abgegeben. Gestern abend, als wir im Nachbardorf die Dunkelheit abwarteten, da haben unsere Wehrmänner gesungen, schöne, meist schwermütige Weisen, echte Deutsche, kindlich und doch mannhaft, und mit diesem Geiste werden wir siegen, das ist gewiß..........
h) Willkommene Rast.
Die Lage ist für unsere Kompagnie augenblicklich ernster und schwerer als je. Wir liegen nämlich nun mit bereit zur Besetzung des Schützengrabens. Am Tage steht ein kleiner Tei! von uns oben, wir anderen liegen in der Höhle. Wie das
Leben dort im Dunkeln oder Haldunkeln ist, kann D. sich noch
ausmalen, wenn sie an die Bergwerke in Tirol denkt. Aber wir freuen uns trotzdem, daß wir erst einmal lebend in die Stellung hineingekommen sind, hoffentlich kommen wir nach 8 oder 14
Tagen auch ebenso heil und gesund wieder heraus Die
Stellung hier ist ausgezeichnet befestigt. Der Gegner wird einen sehr schweren Stand haben gegen uns; aber glücklicherweise brauchen wir ihn auch nicht anzugreifen, sondern sollen nur unsere Stellung verteidigen. Wir sind hier nämlich noch
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III. Im Westen.
immer weit vor. Es sollen große Truppentransporte von der Heimat her unterwegs sein; die werden dann wohl den Angriff vorwärts tragen. Hoffentlich sind wir dann abgelöst... Um unsere Höhlen herum pfeifen und platzen Granaten und Gewehrgeschosse. Hier drinnen aber sind wir ganz sicher. Die Höhlen sind so groß, daß ganz bequem mehrere Regimenter hinein können. Ihr braucht nicht besonders besorgt zu sein, nur wollte ich Euch den Ernst der Lage auch nicht verhehlen. — Du bewunderst die Leistungen von uns Soldaten, von denen ich Dir damals schrieb. Gewiß, die sind auch bewundernswert. Es ist nur furchtbar traurig, daß soviel Intelligenz, soviel Körperkraft und soviel Willensanstrengungen dem Kriege geopfert werden müssen. Welche ungeheuren Werke ließen sich damit im friedlichen Wettbewerb der Völker schaffen. Ich schrieb neulich von übermenschlichen Leistungen. Das war wohl übertrieben und ist auch immer relativ zu verstehen. Es bezog sich damals auf die erste große Marschaufgabe der Landwehrleute. Wir haben inzwischen ganz andere Märsche gemacht, viel anstrengender, rascher, andauernder, und haben's doch gezwungen. Mancher Kamerad ist allerdings am Wege liegen geblieben und mußte mit den weiter hinten folgenden Wagen (Feldküche, Patronenwagen) nachgefahren werden. In der Nacht von Donnerstag auf Freitag war's so: Um 8 Uhr Abmarsch von einem Gut bei Pontoise, wo wir von mittags an unter den Bäumen versteckt gelegen hatten. Flotter Marsch. Nach einer halben Stunde Halt in Noyon, jeder setzt sich, wo er halt, auf seinen Tornister. Um 10 Uhr geht's weiter, zwei Stunden im Eilmarsch, sehr anstrengend. Nach iy2 Stunden bleiben schon viele zurück. Als Halt gemacht wurde, warf sich jeder einfach hin, in den Staub der Straße, ins feuchte Gras des Grabens, auf die Steine am Wegrand. Man wird kühl, man fröstelt, aber niemand hat Lust, zu rücken. Nach einer halben Stunde geht's weiter. Die Füße schmerzen, man mag kaum zutreten und humpelt nur so. Als man einige Zeit im Gange ist, geht's wieder besser. Aber an Eilmarsch ist nicht mehr zu denken. Man denkt an nichts anderes mehr, als: wären wir doch bald da! Ein Dorf wird durchwandert, ein zweites, immer noch nicht, wieder bleiben Kameraden zurück; aber weiter zwingt man sich. Nach 1% Stunden wieder Rast. Nun wirft man sich nicht mehr hin, man fällt einfach um und spürt gar bald die nasse Kühle. Als es weitergehen soll, kriecht man sozusagen, und nach einigen Minuten geht’s wieder besser. Aber
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eigentlich trägt man nicht mehr den Tornister, sondern hängt vielmehr nur drin und bewegt ganz mechanisch die Beine Nur liegen bleiben will man nicht. Um yt 5 Uhr erreichen wir den Bestimmungsort, das Dorf Gruny. Zwar müssen wir ganz an das andere Ende, aber die Gewißheit, am Ziel zu sein, gibt neue Kräfte. Der Hauptmann, ein tüchtiger Offizier und prächtiger Mensch, macht ein gutes Quartier ausfindig, die Feldküche labt uns mit einer warmen Suppe, und um 6 Uhr legen tvtr uns ins Stroh. Das tut wohl. Wir glaubten am folgen» den Tag, alle lahm und steif zu sein, wie damals, als wir in Autröches ankamen; aber es ging viel besser, als wir dachten. Am folgenden Abend konnten wir denselben Weg ganz gut \\x--rückmarschieren, wir sind aber auch in Noyon geblieben und erst abends nach Caisne weitergewandert. Das war nun eine ganz andere Leistung, rein äußerlich genommen, am 23. 9. Aber wir waren es schon viel besser gewohnt und trugen auch tvohl nicht mehr soviel faules Fleisch. Taterpfuhl hatte uns verweichlicht. Gestern machten wir eine große Strecke denselben Weg wie arn 23. Aber gestern war's trotz des Staubes fast nur ein Spaziergang. Wo wir damals viermal rasten mußten brauchten wir es gestern nur einmal. So gewohnt sich der Körper an Anstrengungen. Unb ähnliches wie wir leisten anbere Truppenteile auch, bas ist nichts besonderes. . ..
i) Forschungsreise.
iinh /amen wir in eine andere Höhle, in der Stroh liegt und in der nahe dem Eingänge auch ein Tisch und eine Bank stehen. Daran sitze ich nun und schreibe.
Heute mittag bin ich mit meiner Gruppe als Begleitung des Hauptmanns und mehrerer Feldwebel durch die vielen Gange dieser Hohle gewandert. Es galt zu untersuchen ob ein Ausgang an den Feind herausführt, also ob dieser uns in
Wsk finh mnh 'Öh0n ^ner Seite herkommend, Überfallen kann. Wir sind wohl über eine Stunde in den Gängen gewandert-
unÜstrmrn-fan^^re;e»?USflänfl<» °ber alle waren sie auf unserer Seite Einmal stießen wir auf einen schweren Wagen
oefahren mlhJn ^ im 3nnern gebrochen sind, hinausgefahren werden. Er versperrte den Weg. In einiger Ent-
sernung hinter ihm glaubte ich bas Tageslicht schimmern ,u
sehen. Der H°"p>mann besah!: Zwei Mann vor! Ein Fahnen-
iunker und ich krabbelten unter dem Wagen durch unser ftelb-
»ebel, der von Altona unseren Transpott führt, und noch
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immer Führer unseres Landwehrzuges ist, desgleichen. Am anderen Ende war der Weg oben und unten durch Stacheldraht abgesperrt. Das war verdächtig. Wir zwängten uns durch, ein Mann wurde zurückgeschickt, um eine Drahtschere zu holen, damit uns der Rückzug leicht gemacht wurde. Der Feldwebel und ich gingen leise weiter vor. Ich pflanzte mein Seitengewehr auf. Dann sahen wir den Lichtschein deutlicher — wir hören Stimmen. Der Feldwebel schickt mich zurück, um absolute Ruhe hinter uns herstellen zu lassen. Als ich wieder vorgehe und ihm nacheile, so schnell es in der Dunkelheit gehen wollte — die Lampe, die bis dahin den Weg durch die Höhle beleuchtet hatte, war natürlich hinter dem Wagen zurückgeblieben
— kommt er mir schon entgegen mit der Nachricht, daß dort am Ausgang unsere Truppen seien. Wir waren wieder auf eine Höhle an unserer Seite des Berges gestoßen. Wir haben keinen Ausgang gefunden, der an den Feind heranführte. — Gestern ist in einem anderen Teile der Höhle auch eine solche Untersuchung vorgenommen mit dem gleichen Ergebnis. Vor Überraschungen aus der Höhle heraus sind wir also sicher. (Den Wagen als Verhau hatten jene Truppen, auf die wir gestoßen waren, hergerichtet, um sich zu sichern.)
Ir) Mit dem Spaten schaffend.
Ich sitze wieder in meiner Schlafkoje im Schützengraben. Sie ist aber heute wohnlicher als neulich, d. H. Kamerad F.
— er hat mehr getan als ich, schickt ihm doch auch mal ein Stück Schokolade — und ich haben sie heute vormittag verbreitert, also tiefer in den Lehmboden hineingearbeitet, und auch verlängert, so daß ich jetzt ausgestreckt darin liegen könnte — vielleicht halte ich nachher noch ein bißchen Mittagsruhe darin, sonst nach zwei Tagen (wenn mir dann wieder herkommen, denn man sagt, daß wir morgen zu einer Schutz-Typhus-Impfung — Einspritzung — nach AuMgnicourt sollen und dort dann ein paar Tage bleiben werden). Na, dann werden andere Kameraden das Angenehme der Vergrößerung dieses Unterstandes genießen; ich freue mich der vollendeten Arbeit. Es ist allerdings der ganze Vormittag damit hingegangen; denn es arbeitet sich sehr schwer in dem Lehmboden. Mit der herausgearbeiteten Lehmerde habe ich die Brustwehr und die seitliche Schulterwehr erhöht. Das ist schon nützlich gewesen; denn französische Soldaten, die uns haben arbeiten sehen (das Hinwerfen der Erde) schießen auf uns. Aber entweder singen die Geschosse
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III. Im Westen. 165
uuei uns hmweg oder sie Llalschen even in jene Wehren i)tn= ein. Da sind sie ja gut aufgehoben. —
Ich wollte Euch schon gestern ausführlich schreiben. Aber in der Nacht vom Sonntag zum Montag, als wir eigentlich noch hätten ruhen sollen, mutzten mir von 10 Uhr abends bis 5 Uhr morgens einen neuen Schützengraben ausheben, etwa 50 Meter näher an den Feind heran. Gestern hat der andere Lug unserer Kompagnie ihn so ziemlich vollendet, und heute am Tage bauen die Gruppen unseres Zuges, die diesen Grabenabschnitt künftig besetzen werden, sich Unterstände (Schlafkojen) hinein. Die Arbeit in der Sonntagnacht war recht interessant, schwer und nicht ungefährlich, doch ist alles gut gegangen. Der linke Flügel unseres Schützengrabens liegt zurück; der sollte mit dem übrigen Teil auf die gleiche Höhe gebracht werden. Oder anders: Unser Grabenabschnitt hier vorn sollte nach links um etwa 30—40 Meter verlängert werden. Ich hatte mil meiner Gruppe vorn am Ausheben des neuen Schützengrabens mitzuarbeiten. Ich persönlich hätte als Unteroffizier nicht mitzuarbeiten brauchen, sondern nur die Aufsicht während des Arbeitens meiner Gruppe führen müssen; aber ich habe, wie auch andere Gruppenführer, mehrere Male energisch mitgearbeitet, da das Werk doch in der Nacht so weit geschafft werden sollte, datz der Graben tief genug wurde, um ein Weiterarbeiten am folgenden Tage zu gestatten. Namentlich den Anfang eines Stückes habe ich mitgemacht, um manchen ängstlichen Kameraden anzufeuern, und um auch meine besondere Stellung als Unter führet zum Ausdruck zu bringen in einer Weise, die den Kameraden zeigt, daß sie an mir Hilfe finden, sobald es not tut. Zu Anfang ist man natürlich auf dem freien Felde ganz ungedeckt und hat dem Feind gegenüber nur die Dunkelheit als Schutz. Dann sucht man natürlich rasch einen kleinen Erdhaufen auszuwerfen, hinter dem liegend man dann weiterarbeitet. Aber vorher noch mutz die Richtung des neuen Grabens im allgemeinen angegeben und müssen die einzelnen Abschnitte und Kehren abgesteckt werden. Das ist Sache des Zugführers und der Gruppenführer, die dabei den Arbeitsplatz für ihre Gruppe angewiesen bekommen. So sollte es auch bei uns gemacht werden. Feldwebel H. legte vom Ende des alten Grabens nach ein paar Bäumen auf der Ferme die Richtung fest und kletterte dann mit dem ersten Gruppenführer hinaus, dem nach kurzer Zeit der zweite und der dritte folgten. Alle vier Mann krochen drautzen fast auf dem Bauche langsam und vorsichtig
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weiter — kleine Stäbe zum Abstecken hatten wir vorher geschnitten —, gaben die Abschnitte mit Hilfe dieser Stäbe an und teilten die Arbeit ein. Da pfiffen auch schon ein paar Gewehrschüsse über sie hinweg. Es war eine mondhelle Nacht, und unser Gegner mutzte die Bewegung von menschlichen Körpern auf der Höhe — das Gelände senkt sich vor uns, um sich nach 600 Metern wieder zu heben — wohl beobachtet haben. Die vier Männer waren natürlich sofort mit dem Kopf am Boden und lagen plattgedrückt ganz still. Es dauerte Minuten — 5, wohl 10 —, der Mond wollte nicht hinter Wolken gehen, sondern strahlte in hellem Glanze herab. Schließlich kam eine fast merkliche Bewegung in die Gruppe der vier Bewegungslosen. Ganz langsam kroch einer nach dem andern von ihnen zu uns in den alten Graben zurück. Es gelang. Aber so, wie es geplant war, konnte die Arbeit nicht ausgeführt werden, ba& nämlich erst der ganze neue Abschnitt abgesteckt und dann gleiche zeitig von allen Gruppen in Angriff genommen wurde. Es fing nur eine Gruppe mit zwei Leuten an, und die gruben vom alten Graben aus weiter, schütteten die abgegrabene Lehmerde stets halbrechts vor sich unb schuf so über die ständige Weiterarbeit gleich eine Deckung. Der erste Abschnitt war ja bereits richtig abgesteckt. Der konnte auf biefe Weise bann ja auch bearbeitet werben. Da nun aber nur zwei Leute — nach einer halben Stunbe etwa brei unb später vier — gleichzeitig arbeiten konnten, so hatten biese ben Auftrag, mit größter Anstrengung zu arbeiten, bamit boch noch tüchtig geschafft würde in der Nacht. Wir haben die Leute dann von Viertelstunde zu Viertelstunde abläsen lassen. Dann von Abschnitt zu Abschnitt krochen H. und der eine oder der andere Gruppenführer hinaus und steckten weiter ab. Ich bin auch wiederholt dabei gewesen und haben dann vor allen Dingen — als es längere Zeit vom Gegner ruhig geblieben war — gleich die erste Arbeit an solch neuem Abschnitt mitgemacht. Danach haben wir die Leute hinauskriechen lassen, die gleichzeitig das neue Stück bearbeiteten. Das schaffte dann ja viel mehr. Die erste Stunde Arbeit ist besonders schwierig, da bie Leute bann um ihrer eigenen Sicherheit willen bei ber Arbeit auf bern Bauche liegen; na, unb ba grabe mal einer in schwerem Lehmboden! Dabei sinb wir mehrfach beschossen worben. Da bie Schüsse aber nur ganz vereinzelt fielen, begnügten wir uns bamit, uns nieberzumerfen; bie Leute bückten sich hinter ben Erbhciufen, den sie schon aufgeschaufelt hatten, unb blieben ein paar Minu--
ten liegen. Aber meine und des anderen Unteroffiziers Stimmung dabei war nichts weniger als gedrückt. Wir fühlten uns bei dieser Arbeit sehr wohl und empfanden sie in angenehmer Weise als kriegerische Leistung. Eine Patrouille von 5 Mann war noch vorgeschickt, um uns gegen ein überraschendes Nahen feindlicher Kräfte zu sichern. Nach etwa zwei Stunden arbeiteten unsere Leute schon auf der ganzen Länge des neuen Grabenabschnittes, und wir Unteroffiziere standen dabei, gingen hin und her, halfen, gaben Rat, ordneten an. Da wir uns mehr als unsere Leute abhoben, wurde auch ein- oder zweimal auf uns geschossen, aber in den Stunden von etwa 1 Uhr ab war nichts mehr von dem Gegner zu bemerken. Die Patrouille meldete, daß sie etwa 70 Meter vor dem Graben auf eine Höhle gestotzen war. Ich war beim Eintreffen dieser Meldung gerade nicht zugegen, und so ging denn Sergeant ft. mit dem Mann vor und sah in die Höhle hinein. Er stellte fest, daß sie sich anscheinend weit in die Erde hinein erstreckte, fand aber nichts Verdächtiges. Er ist mit einem Mann der Patrouille dann noch etwas weiter vorgegangen und hat dort am Wege den Leichnam eines französischen Soldaten gefunden. Später bin ich mit ft. auch noch nach der Höhle gewesen. Wir sind etwa 50 Meter hineingegangen, fanden aber nichts von Bedeutung darin und durften auf Grund früherer Erfahrungen annehmen, dah diese Höhle sich bis zur Ferme, wo wir ja auch in einer Höhle mit unendlich langen Gängen gelegen hatten, erstreckte, ft. und ich sind dann auch bis zu dem Leichnam gewesen. Da er schon in Verwesung übergegangen war, so verbot sich eine Untersuchung. Ein weiteres Vorgehen haben wir uns für eine dunklere Nacht vorgenommen. Gegen 4% Uhr früh hatten wir den neuen Schützengraben wirklich so weit ausgehoben, datz er knieenden Leuten Schutz gewährte. (Vorsichtshalber hat der andere Zug unserer Compagnie ihn aber nicht am Tage, sondern erst in der letzten Nacht weitergearbeitet.) Um 5 Uhr rückten wir in unser Laubhüttenlager ein; dann gab's noch Brot und Speck (die Tagesportion, die nun eigentlich zu früh angebrochen wurde); wir atzen mit gutem Appetit ein tüchtig Stück, und dann brachte liebenswürdigerweise Feldwebel H. uns Unteroffizieren noch die eingelaufene Post. .. .
Hier ist noch verhältnismäßig viel Laub auf den Bäumen. Die Laubbäume zeigen sich noch im Herbstesschmuck. Das ist dann von meinem Fensterplatz in unserer Hütte aus ein gar köstlicher Anblick. Auch heute ist übrigens ganz herrliches
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Wetter. Auch die Nächte sind köstlich im strahlenden Monden-schein, und nicht einmal kalt.------
Ich bin gesund und munter trotz Schrapnells und Granatfeuer, das teils uns, teils unseren Kameraden in benachbarten Schützengräben und teils unserer Artillerie gilt. Einer unserer Freiwilligen ist von einer Schrapnellkugel leicht verwundet worden, er kann aber den Dienst weiter mitmachen; im übrigen hat uns das ziemlich lebhafte Feuer, das die französische Artillerie heute unterhalten hat, nichts anhaben können, Dank der Güte unserer Schützengräben, ihrer Tiefe und ihrer starken Brust-und Schulterwehren.
1) Siegesmeldungen.
Gestern abend hatten wir hier im Schützengraben einenz Spatz. Die Division hatte dem Kompagnieführer Mitteilung von dem großen Sieg über die Russen machen lassen. Unser Zugführer, Leutnant H., ging darauf von Gruppe zu Gruppe, ließ alle Leute aus ihrem Unterstand heraustreten und teilte nun die frohe Botschaft mit. Darauf befahl er „Achtung!* In wenigen Sekunden lief das Wort den Graben entlang, und dann „Hurra! Hurra! Hurra!" Das schallte in die Nacht hinaus. Dann einen Augenblick vollkommene Stille, und darauf ging ein Feuern der Franzosen los, als ob die Hölle losgelassen wäre (so sagt man ja wohl). Es prasselten die Geschosse nur so gegen den Erabenrand und pfiffen über unsere Köpfe hinweg, und „knack! knack! knack!" schlugen sie vor und hinter uns ein. Wir aber, die wir das erwartet hatten, satzen unterdessen alle zusammen auf dem Grabenabsatz und freuten uns königlich über den Schrecken, den wir den Franzosen eingejagt hatten. Sie feuerten wohl 10 Minuten so lebhaft, und wir lachten herzhaft und gingen darauf wieder in unsere Höhlen, um weiterzuschlafen. Derselbe Spektakel ging los, als die neben uns liegende 9. Kompagnie ihrerseits ein Hurra rief. Da sind wir aber ruhig liegen geblieben. Solche kurzen Meldungen über Erfolge unserer Truppen bekommen wir hier früh zu wissen. Wir erhalten nämlich, wenn nicht gar wie gestern ganz direkt und sofort eine Siegesmeldung von den höheren Führerstellen aus weitergegeben wird an die Truppen, fast täglich die sogenannte „Etappenzeitung". Leutnant Q. läßt sie durch die Kompagnie gehen. Sie enthält die Telegramme der Obersten Heeresleitung, die in den Tageszeitungen immer auf der ersten Seite in Fettdruck stehen.
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m; Treue Kameraden.
Da die meisten Schanzarbeiten, die zum Ausbau der Stellung nötig waren, fertig sind, und da auch die gegnerische Stellung uns ziemlich genau besannt ist, so hat man jetzt etwas mehr Ruhe am Tage, nachts allerdings fehlt es noch fast stets an ungestörter Ruhe. Ein paarmal haben mir schanzen müssen; solange meine Leute dabei sind, bleibe ich auf, wenn ich auch nur zeitweise mitarbeite. Dann waren die Franzosen uns gegenüber ein paarmal recht lebendig und haben uns mit einem Hagel von Geschossen überschüttet. Den Grabenrand trafen sie Zwar, aber uns nicht. Einmal war Feldwebel ft. abends mit einer Patrouille vor, um die feindliche Stellung, die ich im allgemeinen in der Nacht vorher festgestellt und dabei einen bisher unbekannten feindlichen Schützengraben „entdeckt" hatte, genauer auszukundschaften; da kam man auch erst später ins Loch. Gestern abend nun verirrte sich von einem vorgeschobenen Doppelposten aus Angst vor feindlichen Geschossen, die in feiner Nähe einschlugen, der eine allem Anschein nach. Statt auf unseren Graben zurückzulaufen, suchten die beiden Leute, gebückt seitwärts laufend, den Geschossen auszuweichen und liefen so an der Front unseres Grabens in etwa 50 Meter Entfernung entlang. Unser Rufen hörten sie nicht, da der Win-auf uns zu stand. Der Gegner folgte ihnen mit fernen Geschossen; denn unser Graben liegt auf der Höhe desjenigen der Gegners, so dah er uns viel besser sehen kann als mir ihn. Als die beiden in der Nähe des folgenden vorgeschobenen Postens angelangt roaren, fchoh dieser, in der Annahme — die durchaus berechtigt mar —, datz Franzosen angelaufen kämen, auf den Mann, den er sah, fehlte aber — diesmal ja glücklicherweise. Im Graben mar schon sehr schnell von Posten zu Posten weitergesagt morden: „Nicht schießen! Eine Patrouille von uns hat sich verirrt!“ Aber zu dem vorgeschobenen Posten hatte man diese Nachricht nicht so schnell bringen können. Aber unmittelbar nach dem Schutz traf sie dort ein, und nun suchten mir durch Rufen den Verirrten herauszuleiten. Einer meldete sich gleich darauf, kam aber dann noch recht ungeschickt (sich aufrichtend) heraus, so batz der Franzose mieber ein Ziel sah und sofort schotz. Doch haben mir ihn glücklich heraus und i« den Graben hereingekriegt. Der Mann hat sehr viel Glück gehabt. Seinen Kameraden, der nach seiner Aussage bis zuletzt in seiner Nähe gemesen ist, konnten mir trotz Rufens nicht ausfindig machen, und eine Patrouille, die ein menig vorging,
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kehrte unverrichteter Sache zurück, des hellen Mondscheins wegen konnte sie nicht weit vorgehen. Wir mußten die Angelegenheit dann ruhen lassen. Heute am Tage habe ich ebenso wie unser Leutnant H. von unserem vorgeschobenen Posten aus das Gelände vor uns sorgfältig abgesucht mit den Augen und dem Glase. Wir sind beide dabei beschossen worden, da wir uns über die Deckung erheben mutzten, und konnten wirklich nicht mehr tun. Heute nachmittag hat ein anderer Kamerad nochmals für einen Augenblick hoch über den Nand hinübergeguckt und meint, den zweiten verirrten Kameraden etwa 50 Meter vor unserer Front regungslos liegen gesehen zu haben. Leutnant H., der auch dann nochmals, sich hoch aufrichtend rasch hinüberschaute, glaubt, datz er recht gesehen hat. Zwischen unserem vorgeschobenen Posten und dem Gefallenen ist unser Drahtverhau. Heute abend, wenn's dunkel ist, soll nun eine Patrouille von einem Unteroffizier und fünf Mann vorgehen und den Kameraden holen. Wir haben uns sofort mit vier Unteroffizieren gemeldet zum Führer dieser Patrouille, einer ist dann vom Leutnant bestimmt worden. An Begleitern hat er fünf Kriegsfreiwillige, die sich sofort freiwillig zu diesem Dienst gemeldet hatten. Man will entweder einen Schwerverwundeten holen, um ihm womöglich noch Hilfe zu bringen, oder aber einen Gefallenen würdig bestatten. Auf keinen Fall lassen wir den Kameraden dort liegen, wie wir es bei den Franzosen jetzt oft beobachtet haben. Auch hier habe ich vor der Front der Nachbarkompagnie drei tote Franzosen liegen sehen. Es scheint auch dunkel genug zu werden, um die Aufgabe mit einiger Nuhe und Sicherheit ausführen zu können. Der gefallene Kamerad tut mir von Herzen leid, aber er ist selbst nicht schuldlos. Bei einiger Aufmerksamkeit hätten die beiden sich von dem Posten aus, wo sie standen, nicht verirren können, zumal sie dort schon mehr als einmal waren. Ich schreibe Dir und unseren anderen Lieben dies, um Euch wissen zu lassen, datz es hier verteufelt ernst hergeht^ aber datz man auch bei etwas Aufmerksamkeit und Borsicht in einer Stellung wie der unsrigen ziemlich sicher ist. Wie gesagt, die Franzosen, die 250—300 Meter von uns entfernt liegen, passen verflucht gut auf, und es sind gute Schützen dabei. Zwei unserer Leute haben auch schon einen Schutz durch die Mütze bekommen, beidemal ist der Kopf nur ganz leicht gestreift worden. Also Vorsicht und wach sein, dann hat es in solcher Stellung, wie es die unsere ist, keine Gefahr. Die feindliche Artillerie schießt nämlich bislang auch stets über
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uns hinweg. Der gute Geist unserer Truppe zeigte sich im ganzen Benehmen unserer Truppe gestern abend, als die beiden draußen umherirrten — jeder wollte ihnen gern helfen — und auch daran, datz heute sofort mehr als genug Kameraden sich bereit fanden, den draußen Liegenden zu holen. Ein feines Zeugnis stellen sich unsere jungen Freiwilligen damit aus, daß fünf von ihnen zuerst sich zu diesem Dienst anboten und auch dazu ausgewählt wurden.
Nun noch ein freundliches Zeichen der guten Kameradschaft bei uns. Heute hat M. Geburtstag. Er bekommt von zu Hause stets sehr reichlich geschickt, namentlich auch allerlei Etzwaren. Und da hat er nun heute morgen zur Frühstücks-zeit für jeden Kameraden der Gruppe eine Reihe belegter Brötchen zurechtgemacht (zweierlei Wurst, zweierlei Käse, Sardellenbutter) und auch zwei Stücke Kuchen dabeigelegt. Das war doch hübsch von ihm und hat uns trefflich gemundet. Zufällig kamen unser Leutnant und unserer Fourier vorbei. Die waren natürlich recht erstaunt über unsere leckeren Burschen, und als sie die Veranlassung erfuhren, schenkten sie dem Geburtstags-finde einen Becher guten Weines und eine Flasche Bier (gerade gestern hat die Kompagnie einmal Bier empfangen).
So wechseln hier ernste und heitere Erlebnisse; aber nur das treue Zusammenhalten und das Denken an die Sieben daheim und Eure lieben Grütze helfen uns über alles Schwere hinweg.
Wenn ich nun Euch ehrlich wie bisher weiter berichten will, dann mutz ich über die weitere Erledigung des Vorfalles mit dem verirrten Kameraden weitererzählen, obgleich das recht traurig ist. Die Patrouille gestern abend fand ihn nicht, es war in den ersten Abendstunden recht dunkel und regnete heftig.
Nach einiger Zeit stietz sie auf eine stärkere feindliche Patrouille, befchotz sie, mutzte sich dann aber zurückziehen, da der Gegner nach Rückgang seiner Patrouille auf unseren Grabenrand, der ihm ein bekanntes Ziel ist, auf das er feine Gewehre geradezu fest eingestellt zu haben scheint, wohl wieder schietzen würde. Und er tat's auch, und da der Regen immer heftiger wurde, so konnten wir nicht nochmals vorgehen. Heute nacht um 4 Uhr nun kommt plötzlich an unserem vorgeschobenen Posten eine Gestalt vorbei. In der Annahme, datz es eine französische Patrouille ist, schietzt der Posten, fehlt aber. Dann erkennt der zweite Posten in der Gestalt den Vermißten, ruft ihn an: „Hierher, hierher, hinlegen, hinlegen!“ Der antwortet:
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III. Im üBeftcn.
^Ihr schießt ja!" Wieder: „Hinlegen, hierher!" Da fallen auch schon Schüsse der wachsamen Franzosen — seit kurz vor 4 Uhr war heller Mondschein—, und mit einem Schmerzensschrei bricht der Mann zusammen. Meine Leute besetzten letzte Nacht jenen vorgeschobenen Posten. Ich habe einen leisen Schlaf und war beim ersten Schutz wach und gleich darauf, als die französischen Schüsse fielen und der Schrei ertönte, draußen. Ich fürchtete, daß einer meiner Leute verwundet sei, und nun lag der arme Kerl da vorne etwa 30 Meter vor uns, allem Anschein nach tot. Ich habe mit Leutnant H. sofort überlegt, was zu tun sein. Wir mutzten beide zu dem Beschluß kommen, daß wir nichts unternehmen konnten, solange der Mond so hell schien, und, ach, das war bis zum Morgen so. Ich habe gegen 6 Uhr nochmals mit einem mutigen Kriegsfreiwilligen überlegt, ob wir nicht vorgehen könnten. Wollten wir nicht leichtsinnig unser Leben aufs Spiel setzen, so mutzten wir in Deckung bleiben. Schon wenn wir nur mit dem Kopf über den Grabenrand hinauskamen, kamen feindliche Geschosse. (Für die vorgeschobenen Lauschposten haben wir einen Graben, in welchem zwei Mann bequem stehen können, ausgehoben und mit gut gesicherten Ausgucken versehen und außerdem einen Laufgraben vom Schützengraben dorthin, etwa 50 Meter lang, ausgehoben.) Mehr als einmal spritzte uns der vom einschlagenden Geschoß aufgewirbelte Sand übers Zeug, aber vor dem Geschoß selbst ist man dort gedeckt. (Ich habe die Arbeiten an diesem Lauschposten zur Hauptsache mit meinen Leuten ausgeführt und für genügende Deckung gesorgt.) Wir konnten vom Lauschposten aus den Gefallenen undeutlich liegen sehen, etwa 30 Meter davor. Heute nacht wollten wir ihn holen und bestatten. Da meldet heute morgen um 8 Uhr mein Posten, daß der Mann noch lebe; denn er bewege sich. Ich konnte auch bei sorgfältigem Hinschauen — es war mittlerweile heller Tag geworden — schwache Bewegungen erkennen. Da wir nicht vorgehen konnten, so versuchten wir auf den Vorschlag eines Kameraden hin. uns vorzugraben. Unsere Leute haben sehr tüchtig gearbeitet. Nur ein Mann konnte vorläufig arbeiten, da er ja vollkommen in Deckung bleiben mußte. Einen halben Meter tief ließ ich den Graben vom Lauschposten aus vorführen. Kniend arbeiteten die Leute und warfen die Erde immer halbrechts und halblinks vor sich hin zur weiteren Deckung. Einen Sandsack schoben sie vor sich her, um von vorn gedeckt zu sein. Eine Stunde lang ließ uns der Franzmann ruhig arbeiten, dann aber folgte Schutz
III. Im Westen. 173
auf Schutz. Nun liehen wir die Leute im Liegen weitergraben, so waren sie sicher vor den feindlichen Geschossen, die indessen sehr oft in die neu aufgeworfene Deckung einschlugen und den Arbeitenden und den aussichtführenden Unterossizier mit Erde bespritzten. Verletzt ist aber keiner von uns, obwohl wir vier Stunden lang unverdrossen gearbeitet haben. Von Viertelstunde zu Viertelstunde lösten sich die Kameraden ab, damit stets mit frischen fträften gearbeitet wurde, und es meldeten sich zu dieser Arbeit so viele Leute freiwillig, datz niemand zweimal drankam. Doch konnte die Arbeit im Liegen ja nicht viel bringen, und gegen 2 Uhr gaben wir es auf, so zu dem Verwundeten zu gelangen. Der Graben wäre vor abend nicht fertig geworden, und heute abend im Dunkeln, ehe der Mond aufgeht, können wir auch so hingelangen. Es ist alles vorbereitet, um das gleich nach Eintritt der Dunkelheit auszuführen. Der arme fterl! Er wird wohl nicht mehr zu retten sein. Aber unser Leutnant durfte um seinetwillen nicht das Leben weiterer Leute aufs Spiel setzen und mutzte auf jeden Fall den Schutz der Dunkelheit in Anspruch, nehmen. Das ist der unerbittlich harte Krieg. Es ist sehr niederdrückend, so etwas mitzuerleben.
7. 12., 51/2 Uhr morgens. Nun können wir aufatmen. Gestern abend ist es in der Dunkelheit zwischen 6 und 7 Uhr gelungen, den Mann in unseren Schützengraben hineinzuschaffen, ohne datz die Franzosen geschossen haben, denn sie konnten nichts sehen. Es war ein tüchtiges Stück Arbeit für die sechs Beteiligten. Der Stabsarzt hat in einer unserer Erdhöhlen hier den Verwundeten untersucht und verbunden, er hat vier Schüsse bekommen, ist schwer verwundet; doch ist es nach Aussage des Arztes immerhin ein verhältnismäßig einfacher Fall. Es ist möglich, datz er mit dem Leben davonkommt, zumal er eine zähe Natur hat. Er hat doch fast 48 Stunden drautzen ohne Nahrung gelegen oder ist umhergekrochen, wie er selbst aussagt. Seiner Meinung nach ist er überhaupt nicht besinnungslos gewesen. Doch hat er in der ersten und zweiten Nacht, wo er doch hätte zu uns herankriechen können, zeitweise geschlafen. Er ist, wie er sagt, ganz nahe an den französischen Schützengraben herangekrochen. Man hat dort aus ihn geschossen, und als er rief, datz er verwundet sei, ihn aufgefordert, dorthin zu kommen. Das hat er nicht wollen, er ist fortgekrochen und weiter beschossen worden. Ob sich das so verhält, läßt sich nicht nachweisen; es können ja Phantasien dabei ge-
174_______ _____________in. Im Westen.
wuWfJn%Äm "bend war er jedenfalls bei klarem Be-wugtfem. Nachdem er ein klein wenig gestärkt worden ist hat man ihn auf einer Krankenbahre fortgebracht- es war alück-SSTÄ?*? l° dunkel datz die Krankenttager fofSrt hinten aus dem Graben heraussteigen und über das freie Feld oeben
~ ^QS un^ere Compagnie tun konnte zur Nettuna
nnJTrk iaSJal fic 9e,an’ und Leutnant O und auch unser Zugsuhrer Leutnant H. durften von Herzen froh fein
? ™5port unseren Blicken entschwand. Hoffentlich
kommt der Mann noch einmal geheilt in die Heimat zurück? h ^etr *a aIs ob ein kräftiger Körper ihm eigen ist, der - K" ?9fPv3CL Wesentlich unterstützen wird. Wie wir uns freuen daß ine Rettung wenigstens soweit gelungen ist das konnt Ihr Euch wohl denken. 9 1'
Er war einer unserer Besten.
.. rpie *n ^^beck wohnende Frau eines Landwehrmannes erhielt von dem Kommandeur des Regiments, in dem ihr Mann tm Westen gekämpft hat, folgenden Brief:
R , den 28. Nov. 1914.
Liebe Frau ............!
x5^r lieber Mann, der uns Ende Oktober vom Ersatzbataillon zugeführt wurde, ist gestern zwischen 8 und 9 Uhr vormittags auf einem Patrouillengang beim Dorfe Kl N gefallen. Er erhielt einen Schutz durch die Stirn und sank lautlos nieder; der Tod hatte ihn fofort umfangen. Wir haben thn hierher gebracht und feinen Körper zusammen mit dem eines Wehrmannes D., der neben ihm die tödliche Kugel erhielt, unter Tannengrün in das offene Grab gelegt. Ein Ehrenposten steht davor, bis der Pastor, den wir in den nächsten Stunden erwarten, die Toten einsegnen und das letzte Gebet am Grabe sprechen wird. Der Grabhügel liegt hier im Park unter hohen Tannen, unter deren flüsterndem Rauschen er int ewigen Schlaf ruhen wird, bis Gott der Herr ihn auferwecken wirb zu ewigem und seligem Leben. Ein schlichtes Kreuz haben die Kameraden auf dem Grabhügel errichtet; auf demselben find die Worte geschrieben: „Hier ruhen in Gott die Wehrleute Gefr. B. und D., 8. Komp., Landwehr-Inf.-Regt. Nr. . gefallen auf einem Patrouillengang am 27. November 1914.“ Ihr lieber Mann war einer unserer besten und tapfersten Patrouillenführer, der sich hierzu stets freiwillig meldete. Ich
gab ihm den Auftrag zu seinem letzten Patrouillengang persönlich und habe oft meine Freude an seiner Unerschrockenheit, seinem frischen Mut und an seiner steten Bereitwilligkeit gehabt. Er war zur Verleihung des Eisernen Kreuzes vorgeschlagen. Nun steht das Kreuz, welches aufwärts zum Himmel weist, auf seinem Grabe! Im Tode und in Gedanken können wir nur noch den Lorbeerkranz, den er verdiente, auf seine bleiche Stirn drücken
Die Vorgesetzten und Kameraden sind tief ergriffen über den Tod Ihres lieben Mannes, denn er war ja einer unserer Besten, von dessen Tapferkeit wir noch viel erwarten durften. Wir gedenken Ihrer und der beiden verwaisten Kinder in herzlicher und aufrichtiger Teilnahme. Wir können Sie in Ihrem Jammer nur an das Kreuz auf dem Grabe, welches zur lichten Höhe weist, erinnern; möge Ihnen, liebe Frau, von dort Kraft und Trost gegeben werden. Möge Ihr Schmerz durch den Gedanken gemildert werden, daß Ihr Mann sein Leben für eine große, heilige Sache hingab, und daß aus diesem Liebesopfer ein Segen für Ihre Kinder, für unser Vaterland erwachsen mutz.
„Aber dies alles ist Saat. Und es ist nicht wahr, daß nur der rasende Tod über die Erde kam. — Alles ist Saat: Alles, das hinsinkt in Nacht, schickt seine Kraft ins All! Über die Kreuze wuchern die Rosen, über den Hügeln weichen die Nebel aus Menschentränen. Dann kommt ein großes Wissen: Wofür dies alles war, und ein weinend jauchzend Gebet wagt zu denken: denn dies war das Reich und die Kraft und die Herrlichkeit?"
So singt in diesen ernsten, großen Zeiten eine Dichterseele, dessen Wort mir gestern meine sorgende Frau sandte. Möge Gott aus diesen Worten auch Ihnen den rechten Trost erwachsen lassen. Das wünscht von Herzen
Ihr Ihnen in Teilnahme aufrichtig ergebener (gez.): v. I.,
Major und Kommandeur 2. Vatt. Landw.-Inf.-Regt. Nr. . .
Bitte, teilen Sie mir gelegentlich mit, wie es Ihnen und Ihren Kindern geht, ob für die letzteren ausreichend gesorgt ist, und wie alt dieselben sind. Sind es Knaben oder Mädchen? Haben Sie besondere Wünsche?
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III. Im Westen.
Zum Totenfest.
Nun pflücket euch Immortellen,
Und sammelt vergilbendes Grün,
Und geht zu den heimlichen Stellen, Dorthin, wo noch Rosen blühn.
Nehmet die weißen, die roten,
Und leget sie alle zu Haus,
Ihr wisset: der Tag der Toten Dämmert auf!
Vergaßet ihr sie im Lenze,
So war es des Lenzes Brauch,
Jetzt bringt ihnen Blumen und Gränze, Und Nachricht bringt ihnen auch:
Von der Schlacht an den Kanälen Und unserm stürmenden Heer,
Das müßt ihr ihnen erzählen —
Und noch mehr.
Was in den masurischen Seen Auf moderndem Grunde liegt,
Und alles, was Deutschland gesehen, Und daß es leidet und siegt, —
Daß gleichwie in Niblungentagen Die Seelen erstarrten zu Erz,
Und wie wir Hoffnung tragen Himmelwärts!
Das müsset ihr ihnen melden —
Und beuget in Demut das Knie,
Denn wurden wir Deutschen zu Helden, So wurden wir es durch sie.
Sie schmiedeten Schicksalswaffen Für Kind und für Kindeskind,
Sie haben ahnend geschaffen,
Was wir sind.
Noch einmal den grasigen Hügel Streichelt mit dankbarer Hand,
Dann spannt eurer Sehnsucht Flügel — Eilt — suchet in Feindesland!
Vielleicht, daß ein Denkstein geblieben
III. Im Westen.
Und daß ihr die Stätten träft,
Wo jedem einer der Lieben Heilig schläft.
Doch stört nicht mit klagen den Schlummer,
Der ihnen Erlösung war,
Und legt eures Herzens Kummer Schweigend auf den Altar.
Es bleibt kein Opfer vergebens,
Das deutscher Wille gebot,
Und bald schenkt Feste des Lebens Uns der Tod.
Herrn. Sudermann.
Der Lehrer als Teilnehmer an der Schlacht bei St. Quentin.
Nach einem großen siegreichen, aber auch verlustreichen Gefecht haben wir heute Ruhetag. Mein Brief steht auf französischem Papier, aus dem Tornister eines gefallenen oder verwundeten Franzmannes. An den Füßen trage ich Strümpfe eines französischen Korporals, in der Tasche habe ich einen französischen Tabakbeutel mit französischem Tabak und eine belgische Pfeife. Also gestern ein großes Gefecht. Es hat lange gedauert, bis wir die Franzosen aus St. vertrieben hatten. Sie haben sich wacker geschlagen. Aber unsere Artillerie räumte zu gewaltig in den feindlichen Schützengräben auf. Herrgott nochmal! Schlugen unsere Granaten und Schrapnells da ein! Dawar ein schöner Tag. Doch ich wollte von vorgestern erzählen, vom Sonnabend. Der Tag war heiß, sehr heiß. Aber dem Himmel sei Dank, endlich ging's doch vor.. Der Feind floh. Unsere Kompagnie war zur Deckung der leichten Artillerie zurückgeblieben. Die Wagen fuhren ab. Wir marschierten nebenher. Kaum war die Spitze in das Dorf eingefahren, so bekam unsere Kolonne Artilleriefeuer. Die Fahrzeuge schwenkten um und nahmen in einer Bodensenkung Deckung. Aber die Schrapnells kamen immer näher, daher ginge zurück nach unserem Biwakplatz. Hier hielt unser Kommandeur. Auf fein Geheih legten wir von der .. Kompagnie unsere Tornister ab und gingen quer über Stoppel- und Rübenfelder vor. Unsere Aufgabe war es offenbar, den Feind aufzuhalten, bis Verstärkung da war und die Bagage gerettet werden konnte. Ich gehörte zum linken Flügelzuge. Der Feldwebel gab mir eine Patrouille»
178 UL Im Westen.
Führung, ^zch nahm zwei Mann mit, die sich freiwillig meldeten. W., ein netter, lieber Seminarkollege von L., und D. ein Harburger, ein strammer Herl, der [ich stets meldet, wenn es heißt: „Freiwillige vor!" — Wir zogen los, halblinks vorwärts, und hielten uns immer auf der Höhe der Kompagnie. Von einer Anhöhe aus sahen wir aus einer Waldecke dichte feindliche Scharen kommen. D. ging mit seiner Meldung zur Kompagnie. Nach seiner Rückkehr ging es eine Anhöhe hinauf. Plötzlich sausten französische Infanteriegeschosse über uns hinweg. Wir duckten uns einen Augenblick und gingen dann weiter vor. Unterwegs schlossen sich uns zwei Mann unserer Kompagnie an, die von der Truppe abgekommen waren. Wir gingen immer noch weiter, um mehr vom Feinde zu sehen, durch ein Tal mit einer Pappelallee, die nächste Anhöhe hinauf, wo wir hinter Garten liegen blieben. Hier sahen wir eine ganze Kolonne Franzosen aus dem Wald herauskommen. Ihr Feuer zwang unsere Kompagnie zum Rückzug. Wir sahen deutlich, wie sich unsere Schützenlinie rückwärts bewegte. Plötzlich ging’s Hui, Hui! dicht über unsere Köpfe hinweg. Feindliche Schrapnells, die in die Pappelallee einschlugen. Anfangs waren mir bestürzt, dann aber lachten wir laut auf, daß es uns fünf Männefen, die wir den Feind beschossen hatten, gelungen war, die feindlicheArtillerie auf uns zu lenken. Dadurch wurden unsere Kameraden ein wenig entlastet. Dann aber wurde es ungemütlich, denn feindliche Maschinengewehre beschossen uns. Nun hieß es auch für uns, zurück. Die Kompagnie war schon weit hinter uns. Aber wie in dem dichten Kugelregen zurückkommen?! Gewehr Umgehängt und von Garbe zu Garbe gekrochen, mitunter auch gesprungen, wenn das Feuer schwächer wurde. Aber sobald wir uns aufrichteten, pfiffen die Kugeln von neuem dicht um uns Herum. Die Franzosen müssen schlecht geschossen Haben, daß noch keiner getroffen war. Jetzt ging’s in die Pappelallee. Das Artilleriefeuer Hatte glücklicherweise aufgehört. So kamen wir heil hindurch. Im Schutze der Bäume die nächste Anhöhe hinauf! Wieder freies Feld, wieder heftig beschossen. W. rief mir zu: „Links hinter dem Busch, da sind wir sicher!“ Ich rief zurück: „Geht nicht, ist ein zu gutes Ziel!" Nun, wir liefen doch dahin. Ich hatte recht gehabt. Kaum hatten die Franzosen uns dahineilen sehen, so bekamen wir ein wütendes Feuer. Mittlerweile war einer von uns abgekommen. Wo? wer weiß! Über uns schlug ein Geschoß ein und spritzte mir Sand in die Augen. Immer
III. Im Westen 179
weiter, denn die Franzosen rückten UNS immer näher auf den Leib, und wir wollten uns doch auf keinen Fall gefangen nehmen lassen. Wir waren aber bereits so erschöpft, daß wir im feindlichen Feuer aufrecht zurückgingen. Hinter einem zweiten Busch waren wir sicher, denn wir waren durch eine Böschung gedeckt. Wir verschnauften uns, und dann ging's weiter. Jetzt waren wir dicht an den Wald herangekommen. Da rief mir W. lachend zu: „Mensch, ich habe einen Schutz durch die Hose. Meine Portemonnaie ist getroffen, ich bin aber heil!" Weiler, dem Wald zu! Plötzlich zehn Schritte rechts neben mir: O, 0, 0! — W. stürzte nach vorn über und blieb liegen. Ein feindliches Eefchotz hatte ihn getroffen. Ich konnte nicht zu ihm. ^Endlich erreichten wir den Wald und glaubten uns geborgen. Jawohl, aber wie hineinkommen? — Dichtes, sehr dichtes Unterholz! Ich versuchte einzudringen, aber vergebens; überall dichtes Gestrüpp. Dabei andauernd im Feuer. Mit einem Male: Hui und Krach! Schrapnells schlugen ein. Half nichts, wir mutzten hindurch! Endlich gelang mir's, in den Wald hineinzukommen. Aber schwer war er zu durchdringen. Oft stürzte ich über Ranken, Zweige und Wurzeln, und oft stürzte ein Regen von Ästen, Zweigen und Blättern herab, immer dann, wenn ein Schrapnell krepiert war. Dann ging’s wieder auf einen anderen Wald zu. Jetzt waren wir zu zweien. D. war verschwunden. Kurz vor dem Waldrand schrie auch mein Kamerad auf: „Ich bin getroffen, mein Bein ist ab.“ Ein Irrtum, es konnte nur eine leichte Wunde fein; der eine Stiefelabsatz war abgerissen. Offenbar war der Hacken getroffen. Auf fein Flehen nahm ich ihn mit. Jetzt ging's doppelt langsam. Selbst ausgepumpt bis zur Erschöpfung, und dann noch einen Verwundeten schleppen, eine harte Aufgabe. Zum Glück traf ich im Wald noch einen Kameraden, der mir half. Hinter dem Gehölz trafen wir auf die eigene Schützenlinie. Herrgott, war das eine Freude, wieder eine grötzere Menge Kameraden zu sehen. Sie gingen zurück, ba der Feind zu stark war. Wir blieben mit dem Verwundeten wieder allein zurück, so schnell konnten wir nicht vorwärts kommen. Wir schleppten den Mann bis in die Schützenlinie mit, von wo wir dann sofort wieder vorgingen, ohne ausgeruht zu haben, und kamen bald in ein feindliches Artilleriefeuer. Dicht neben mir stürzten zwei Mann nieder. Aber das rührte mich nicht. Ich war so abgestumpft, datz es mir nur noch eine Anregung bedeutete, zu sehen, wie die eingeschlagenen Granaten die Erde aufwühlten. Wir gingen
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180 III. Im Westen.
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weiter vor und fanden einen abgeirrten Zug unserer Compagnie. Welche Freude! Aus einer mit Gebüsch bewachsenen Garbe guckte auch ein bekanntes Gesicht vor, Kamerad D.! „Sie hier?" »Jawohl!“ „Rommen Sie mit, wir gehen vor." „Rann nicht, bin verwundet." „Soll ich Sie verbinden?" „Nein, ist nicht schlimm, ich spüre keine Schmerzen." Es war eine Fleischwunde. Aber der Mann konnte nicht mit. Er gab mir seine Patronen, blieb liegen, und ich ging weiter. Nun ging's tatsächlich vor. Der Feind wich, denn unsere Artillerie war eingetroffen und schickte ihre Zuckerhüte in die Reihen der Franzosen. Eine Wonne war's, zu sehen, wie sie zurückgingen. Die Rothosen zogen sich hinter den Wald zurück, woher wir sie halten kommen sehen. Ganz links vor uns marschierten dichte Kolonnen dunkler Gestalten in weißen Hosen, wenn ich nicht irre, feindliche Artillerie. Endlich blieben wir liegen, weil wir sonst in bas Feuer unserer eigenen Artillerie gekommen wären.
Wir lagerten uns gemütlich. Kameraden aus anderen Regimentern gaben uns Kommißbrot. Das erste Stück seit mindestens zehn Tagen, sonst immer labbriges Weißbrot ohne Saft und Kraft; sie gaben uns auch zu trinken, denn wir hatten ungeheuren Durst, und unsere Feldflaschen waren leer. Ein Unteroffizier gab mir eine Mohrrübe, die ich mit großem Behagen verzehrte. Dann wurde zum Sammeln geblasen. Wir zogen zurück und trafen tvieber einen Teil unserer Kompagnie. Auf bem Rückmarsch zu den Tornistern sah ich auf ber Stelle, wo ich W. vermutete, tatsächlich einen Menschen liegen. Ich ging mit einem Feldwebel und einem Kameraden dahin. Es war W. — aber er war nur schwer kenntlich. Eine Kugel hatte ihm bie Brust aufgerissen. Armer Kerl! Helm ab zum Gebet ! Er ruht „auch in frember Erbe im Vaterlanb"; er ist eines schönen Solbatentobes gestorben. Wer weiß, wann es euch trifft.
An einer Straße melkten Kameraben Kühe. Sie waren so frtunblich, mir zwei Becher abzugeben, bas schmeckte herrlich. Dann fanben wir unsere Tornister, unb bann gab's Essen aus der Felbküche, unb bann gings zur Ruhe bei Mutter Grün in kühler Nacht. Das war für mich ber Anfang ber zweitägigen Schlacht bei St. Quentin am 29. unb 30. August.
Ueber Paris.
Gott sei Dank! Nach einer wahren Obyssee bin ich heute mittag enblich enbltch tvieber zu meiner Abteilung gestoßen.
III. Im Westen. 18 £
Freilich waren meine Irrfahrten nicht sehr verwunderlich, denn meine Truppe hatte sich während meiner Abwesenheit um etwa 65 Kilometer in südwestlicher Richtung vorgeschoben. — Um so freudiger jedoch wurde ich von allen Seiten her begrüßt, denn ich war nach über viertägigem Ausbleiben bereits aufgegeben
worden. ^ .. . OT s
Am 6. September vormittags war ich m D. mit der Ausgabe aufgestiegen, die feindlichen Stellungen bei S. und F. zu erkunden und Krokis von dem beobachteten Gegner zu machen. Oberleutnant R. flog als Fluggast, und mein braver Doppeldecker trug uns auch bald in etwa 800 Meter Flughöhe über die feindlichen Positionen, die zu wiederholten Malen aufgezeichnet und aus der Höhe photographiert wurden. Wie wir erwartet hatten, waren wir bald Gegenstand eines lebhaften Geknalls, und einige Male spürte ich ein mir bereits bekanntes Zittern im Apparat, ein Zeichen, daß ein Geschoß in eines der Tragdecks geschlagen war. — Nach dreistündigem Flug konnten wir unsere Erkundungen beim Generalslab der ... Armee in M. abgeben, ernteten dafür wärmstes Lob, ein halbes Brathuhn und je eine pikseine Havanna. Als ich am Nachmittag mit Hilfe einiger Kraftwagenführer der Generalstabsautos meine „Kiste" wieder flugfertig machte, das heißt, Benzin einfüllte. und die Schüttelten — ich zählte ihrer vier, eine im Rumpf und drei in den Tragflächen — mit Sorgfalt und Leinwand flickte, teilte mir ein bayerischer Generalstabsoffizier mit, daß er gern den Rückzug der Engländer auf der großen Heerstraße nach M. zu beobachtet hätte. Ich bereitete die Maschine daraufhin vor und stieg gegen 4 Uhr nachmittags mit Major G., jenem genannten Generalstäbler, auf. Der Straße folgend, ließ sich bald erkennen, daß der Rückzug der Engländer ein ganz planloser, ungeordneter war, daß es den Truppen anscheinend barausi ankam, möglichst rasch die befestigten Stellungen bei Paris zu erreichen, um dort Halt zu suchen.
Bei Paris! Mein Fluggast schrie mir etwas ins Gesicht. Obwohl es der Motor übertönte, glaubte ich boch zu verstehen, was er meinte. Ich blickte nach der Benzinuhr. Genügend Betriebsstoff besaß ich. Dann hielt ich genauen Kurs nach Süden, und nach einem Zeitraum von ungefähr einer halben Stunde erblickten wir vorn in der grauen Ferne — tief, tief unten, das graue, unermeßliche Steinmeer der französischen Hauptstadt. Mil hundert Stundenkilometern brausten wir barauf zu. Klarer unb deutlicher wirb es. Die Kette ber Forts, St. Denis, der
182 III. Im Westen.
Montmartre wachst hervor, aus dem Dunst löst sich das ftili*
grangenppe des Eiffelturms. Und jetzt jetzt schweben
tmr bereits über dem Weichbilde von Paris.
Paris! Der Herr Major weist mit dem Finger nach unten, dann wendet er sich langsam zu mir herum, erbebt sich von fernem Platz und hat — laut gejodelt. Ich hab's gesehen wenn auch der Motor, der unablässig sein Lied sang die Laute verschlang. Und ich? Ich bin vor Freude schier aus dem Häuschen gewesen und hab mit meinem getreuen Doppeldecker die tollsten Kapriolen in der Luft gemacht. Dort lag die weiße Sacrä-CoeuErche, dort der Gare du Nord, von dem aus die Franzosen über'n Rhein wollten, dort Notre-Dame da der alte „Voul' Mich'", der Boulevard St. Michel im'Quartier Latin, den ich als Studio so oft entlang gebummelt, und den ich, jetzt als Sieger überflog. Wehrlos lag das Herz des Feindes, das stolze, leuchtende Seinebabel, unter mir. Alles Häßliche, was der großen Stadt immer anhaftete, war geschwunden, ein Eindruck des Erhabenen, Gewaltigen war geblieben. Und doppelt glücklich fühlten wir uns. Doppelt als Sieger. In großen Kreisen schwebte ich über dem Häusermeer. In den Straßen ein aufgeregtes Menschengewimmel, das den frechen „deutschen Vogel" anstaunt; das nicht begreifen kann, wie die Deutschen sich der französischen Erfindung geschickter und vorteilhafter bedienen, als die Franzosen selbst.
Nahezu eine Stunde hatten wir unsere Schleifen geflogen und waren hin und wieder von unten erfoglos beschossen worden, da nahte von Iuvisy her in äußerst schnellem Fluge ein französischer Eindecker. Da er viel rascher war als mein Doppeldecker, so mußte ich wenden und zu entkommen suchen, indes der Major meinen Karabiner fertig machte und nach seiner Pistole griff. Der Eindecker kam immer näher und näher; ich versuchte auf 2000 Meter zu kommen, um die schützenden Wolken zu erreichen, aber mein Verfolger, den wir fortgesetzt im Auge behielten, stieg schneller als wir und kam immer näher und näher. Und plötzlich gewahre ich in nur 500 Meter Entfernung von uns einen zweiten Eindecker, der mir den Weg abschneiden will. Jetzt galt es zu handeln. Im Augenblick hatte mein Fluggast die Lage erfaßt. Ich schoß auf den Flieger vor uns; bann eine Wendung, der Major reißt den Karabiner an die Wange. Ein-, zwei-, dreimal feuert er. Da saust der feindliche Apparat, der jetzt neben uns und kaum 100 Meter entfernt ist, ein Stück nach oben, und dann stürzt er wie ein
III. Im Westen. 183-
Stein hinab. Unser anderer Verfolger war indessen fast über uns angelangt und beschoß uns mit Pistolen. Dicht neben dem Gashebel schlug eine Kugel in den Kumpf ein. Dann aber umfing uns schützend undurchdringlicher Nebel, und die Wolken entzogen uns dem Feinde, dessen Motorgeräusch immer entfernter klang.
Als wir aus dem Wolkenmeer hervorstießen, war es gegen 7 Uhr. Um uns zu orientieren, stiegen wir herab, aber plötzlich tauchten vor uns, hinter uns und neben uns grauweiße Nauchfetzen auf: platzende Schrapnells. Ich befand mich noch immer über feindlichen Stellungen und war gerade französischer Artillerie ausgesetzt. „Teufel noch mal!" Immer toller wurde das Feuer! Ich merkte, daß der Apparat Treffer auf Treffer bekam, aber hielt kaltblütig den Kurs weiter; dabei kam mir gar nicht in den Sinn, datz diese kleinen, spitzigen Stahlstücke Tod und Verderben bedeuteten. Etwas im Menschen bleibt unberührt von Wissen und Logik. Da — auf einmal vor mir eine weißgelbe Feuerlohe, die Maschine bäumt auf, gleichzeitig zuckt der Major zusammen, Blut rinnt aus der Schulter, die Bespannung der einen Tragfläche ist zerfetzt, der Motor braust und donnert zwar noch wie vordem, aber die Schraube fehlt. Eine platzende Granate hatte uns den Propeller zerschlagen, die eine Tragfläche zerfetzt und des Majors Schulter zerschmettert. Steil sinkt meine Maschine zur Erde. Mit Aufbietung aller Gewalt gelingt es mir, zum Gleitflug anzusetzen, und ich werfe den Doppeldecker dort unten in die Wipfel des Waldes. Krachend splittern die Äste und Baumkronen. Heftig schlage ich an die Karosserie und weiß nicht mehr, was um mich vorgeht.
Als ich wieder von meiner Bewußtlosigkeit erwache, finde ich mich neben Major E. auf dem Waldboden inmitten einer Gruppe deutscher Landwehrleute liegend. Deutsche Vorposten hatten mich als Freund erkannt und waren, nur in kleiner Zahl, in das Gehölz eingedrungen, um mich zu bergen. Major G. hatte eine schwere Verletzung der Schulter davongetragen, die seine Überführung ins nächste Lazarett nötig machte. Ich indes hatte mir nur eine Quetschung des Beines zugezogen und blieb nach Anlegung eines Notverbandes bei den Vorposten, um mich später mit allen möglichen und unmöglichen Transportmitteln zu meiner Truppe durchzufinden.
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III. Im Westen.
Bei den 76ern. a) I n der Schlacht.
Heute ist schon der 52. Gefechtstag, und noch ist keine Entscheidung gefallen. Der Feind hat sich zu einer Front von ca. 120 bis 150 Kilometern entwickelt. Es wird wohl eine von den letzten Schlachten werden, vorausgesetzt, daß wir siegen. Gestern abend platzte eine Granate gerade vor dem Eingang unseres Krankenplatzes; es wurde einer verletzt. Wir Militärkrankenträger arbeiten hauptsächlich nachts, wenn das Feuer nachläßt. Es bietet einen eigentümlichen Anblick des Nachts, die brennenden Dörfer um das Schlachtfeld herum und die rauchenden und glühenden
Strohdiemen. Nur Gewehrschüsse fallen, welche von den Patrouillen abgegeben werden. Artillerie schweigt meistens ganz in der Nacht.
Ich wollte Dir, liebe Mutter, mal einen Überblick von der Schlacht bei E. geben. Am 6. hatten wir einen ziemlichen
Marsch und wurde uns der Feind durch Kavallerie gemeldet. Unser Regiment marschierte allein. Wir marschierten vor, und
jedes Bataillon griff allein an. Über die Stärke unseres
Feindes waren wir nicht orientiert. Der Feind hatte sich eine feine Stellung ausgearbeitet und beschoß uns dauernd durch Artillerie. Wir mutzten vom Tal eine lange, flache Erhöhung hinauf, wo der Feind sich verschanzt hatte. Unsere Truppen gingen mit einer unbeschreiblichen Tapferkeit vor. Unsere Ärzte
nebst Verbandswagen hatten wir verloren. Ich habe an
Otto geschrieben, daß das Gefecht heute an Stärke nachließe, es hat sich jedoch unheimlich verstärkt. Die Uhr ist jetzt 6. Seil 2 Uhr platzt immer eine Granate und Schrapnell nach der anderen. Hunderte von Granaten sind bereits seitdem in Umkreis mit großer Gewalt geplatzt und verstreuen ihre Kugeln in weitem Umkreis. Es ist so etwas nur zu empfinden unb nicht zu beschreiben. Es fängt jetzt an zu dunkeln, meistens nimmt bann das Feuer geringere Formen an. Der Treffer sind nicht viele, doch bei denen, die getroffen werden, sind die Verletzungen durch die Granatsplitter scheußlich. Nun glaube aber nicht nach dieser Schilderung, daß wir bange sind und uns fürchten, das ist nicht der Fall. Eine Eigentümlichkeit bemerkt man hier deutlich, daß das Vertrauen auf Gott weit, weit stärker hervortritt, überhaupt bei Verwundeten. Vis abends hielt hier das Feuern an. Um 8 Uhr schwieg der Feind plötzlich. Die Nacht haben wir durchgearbeitet. Es war naß und
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fall. — Wir haben ca. 50 Verwundete die Nacht über geholt. Wir werden nachts durch die Sanitäts-Compagnie unterstützt.
Donnerstag, 17.9.14. Sofort bei Tagesgrauen setzte das Gefecht mit gestriger Stärke wieder ein. Das Gewehrfeuer wird häufiger, was auf ein versuchsweises Vorgehen der tfmnzoien schlichen läßt. Es wird ihnen wohl nicht gelingen. Bis Lhauny 17 Kilometer von hier) fahren schon deutsche Bahnen unb sönnen wir Munition und Verstärkung genug heranbekommen, --kekt sitze ich auf der Strafe bei den über Nacht eingelieferten Verwundeten. Essen und Schlaf lassen manchmal viel zu
wünschen übrig. _,
^ch will das Angefangene fortsetzen. Ich gmg mit meiner
ctompaqnie vor und war mitten im Feuer. Denn als die Compagnie ausschwärmte, blieb ich mit den Krankenträgern zurück und eröffnete auf eigene Faust meinen Verbandsplatz. Als bie $nte eintrafen, hatte ich bereits 17 Verwundete verbunden, teils leichterer, teils schwerer Art. Aber es war ihnen erst einmal geholfen. Das war das Gefecht bei M. am 6. September. Wir hatten durch unser Regiment eine auf zwei Stratzen marschierende feindliche Division zum Rückmarsch getrieben und eine Vereinigung der feindlichen Truppen verhindert.
Am 8. hielt unser Oberst v. d. Goltz eine ehrende Ansprache an uns. Das war der Sonnabend. Der morgige Sonn-taq sollte ein Ruhetag für uns fein. Abends um 11 Uhr tarnen wir in E. an. Es war überfüllt von Militär; dort lag eine Division einquartiert. Wir machten uns abends noch Essen, unb so würbe es 2 Uhr, ehe wir schlafen gingen. Morgens qeqen 6 Uhr hörten wir Kanonenbonner, bachten jeboch datz es unsere Truppen fein. Ein paar Augenblicke spater fegten aber auch schon Kugeln in bie uns gegenüberliegend Kirche, ^n einer Viertelstunbe war aber auch alles marschbereit. Die Regimenter tonnten sich unb marschierten auf einzelnen Strotzen. Aber auch biefe Herrlichkeit bauerte nicht lange. Eben auf der Chaussee angelangt, begrüßten uns auch bort schon Granaten, immer eine der anberen folgenb unb mitten auf ber (ühaunee plotzenb. Nun ging's im Tempo: Rechts um! Marsch, marsch . an ben Vahnbamm, benfelben entlang, an gebecfter Stehe Hinüber, unb vor ging’s, uns auf ben Fersen folgenb bie Granaten. immer vier Stück zu gleicher Zeit. Bei einem Haus in geschützter Stellung machten wir Halt. Die Kompagnien schwärmten aus, unb ber Dataillonsstab unb das Rote Kreuz blieben zurück. Unsere Artillerie versagte, ba ein alter Mann
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und ein Schlachter die Stellung unserer Artillerie verraten hatten und die Pferde erschossen waren. Es schwärmte die 5., 6. und 7. Kompagnie aus. Die 8. folgte in einer Stunde zur Sicherung des linken Flügels. Gegen 10 Uhr schon liefen fortgesetzt die Meldungen um Verstärkung ein. Das Bataillon forderte vom Regiment die Verstärkung, da sonst die Haltung der Stellung ausgeschlossen wäre. Doch woher nehmen, wenn nicht vorhanden. Die Franzosen hatten kolossale Übermacht, und die „Prussiens" wichen nicht. Unser Dach war schon von Gewehrschüssen perforiert. Dann folgte eine Granate, und futsch war es. Gegen 2 Uhr nachmittags kamen Dragoner abgesessen zuhilfe, dann folgten einige Compagnien der 75er. Wir blieben dem Feinde aber immer unterlegen an Anzahl und dann, weil unsere Artillerie fehlte. Um 1 Uhr nachmittags verließ uns der Major und der Fahnenträger nebst Fahne. Nun saßen wir mit 32 Verwundeten und den Ärzten in einem Keller, alle Augenblick den Feind erwartend. Hier saßen wir zusammengepfercht bis abends 8 Uhr. Jeder schwitzte von der heißen Luft. Ob der Feind annahm, daß wir Verstärkung hinter uns hätten, oder ob er selbst zu schwach war, weiß ich nicht, jedenfalls brach er nicht durch — zu unserm Glück. Dann nahm das Feuer ab, und wir suchten unsere Verwundeten zusammen und verschwanden in der Nacht. Am andern Morgen verließen wir auch E. nebst unseren Verwundeten (soweit wir sie nicht wegschaffen konnten) und verschwanden. Wir waren viel zu schwach, nur das 9. Korps war zugegen. E. ist jetzt wieder im Besitz der Franzosen, und so haben auch die ihre Gefangenen gemacht (Verwundete). Hätten die Franzosen ordentlich angegriffen, so wären wir unweigerlich verloren gewesen. Es war keine verlorene, aber eine verlustreiche Schlacht beiderseits. Unsere Kompagnie ist bis auf über die Hälfte zusammengeschmolzen. Ein solches Feuer wie in E. haben wir bis jetzt noch nicht wieder gehabt. Die Lust war nur Staub und Dreck. Von den einzelnen Gefechten ist weniger zu sagen, da es sich nun jeden Tag wiederholt.
Nun etwas anderes. Das Geld habe ich noch nicht abgeschickt, da wir keine Gelegenheit haben, sondern dauernd im Gefecht find. Meine 40 Mark Löhnung brauche ich nämlich nicht, da Eeld hier wertlos ist. Man kann gern für eine Scheibe Brot eine Mark bieten, man bekommt sie aber doch nicht. Wir nähren uns von den Früchten des Feldes. Seid so gut und schickt mir in mehreren Briefen ca. 200 Zigaretten und etwas
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Tabak, da das das einzige ist, was eine Abwechslung bietet. Heute nachmittag habe ich mir ein Huhn „gekauft", gerupft, gekocht und verzehrt.
Das Gefecht dauert fort.
d) Stilleben im Felde.
Heute will ich Euch wieder Näheres berichten, aber auch Heiteres sollt Ihr von mir nun in diesen ernsten Stunden Stunden hören. Zunächst siehst Du, datz ich die Schrift wechsle, denn ich liege auf der Erde und mutz erst die richtige Lage haben.......
Nun will ich Dir schreiben, was ich gestern durchgemacht habe. Wir lagen in N. in einem kleinen, ärmlichen Hause, bestehend aus zwei Zimmern, einquartiert. Zn dem einen Zimmer lag Hauptmann H., welcher vor Ermattung krank ist, in dem anderen C. und ich als freiwillige Wache, weil wir hier eine Matratze (eigentlich Strohsack) vorfanden. Vis abends ist nichts besonderes vorgefallen. Wir erzählten uns von zuhause, und dabei war es 10 Uhr geworden. Plötzlich kracht dicht bei uns eine Granate. Ich weckte den Hauptmann nebst Burschen, und dann gingen wir in den Keller. Es dröhnte mächtig in den Keller hier herein, und das Zittern der Erde verriet, datz es dicht bei uns war. Der Keller war im Augenblick voller Menschen. Wir hockten uns unter, und ich habe ca. 12 Schüsse gehört, dann bin ich eingeschlafen. Doch welches Bild bot sich am Morgen! Nachts um ]/2 3 Uhr wachte ich auf, weil mir meine Knochen wehtaten von der unbequemen Lage. Ich weckte C. Wir stiegen über die noch schlafenden Kameraden hinweg und legten uns auf unseren Strohsack. Morgens sahen wir, datz das Haus rechts von uns und das Haus hinter uns nichts als Schutthaufen waren, und wir waren unversehrt geblieben. Es war Gottes Fügung. Im ganzen sind nach Meldung der Artillerie ca. 80 feindliche Geschosse krepiert. Heute morgen sind wir (nur das Sanitätspersonal) nach unserer Ferme zurückgegangen. Bei dieser Ferme ist ein Steinbruch mit drei Ausgängen, worin wir liegen. Einer nach dem andern verlätzt den Bruch, um Wasser oder sonst etwas zu holen. Dann fällt wieder mal ein Schutz, und alles strömt wieder zurück. Es ist der reine Bienenkorb, aber die beste „Lebensversicherung". Wie oft hat man früher gesungen: „^>ch hatt' einen Kameraden" und „Morgenrot, Morgenrot0, uni) erst jetzt lernt man den Inhalt der Lieder kennen und ge-
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winnt sie lieb und lernt sie verstehen. Mancher Kamerad ist einem schon weggeschossen worden.
30. 9. 14. Heute mache ich die Fortsetzung. Wasser ist auf dieser Ferme nicht zu kriegen. Dayer geht es mit dem „Waschen" also sehr schnell. Als Kaffee habe ich mir einen Tops mit Erbsen von vorgestern warm gemacht. Es war ein Genutz. Dann haben wir uns Beefsteakhack gemacht, mit dem Taschenmesser geschnitten und mit dem Seitengewehr gehackt. Das Fleisch hatten wir auch vom 28. 9. Es hatte eine Rüche an dem Abend verloren, als wir beschossen wurden. Es lag morgens auf dem Marktplatz, und jeder „säbelte" mit seinem Messer sich soviel ab, als er erreichen konnte. So sorgen wir mit vier Mann für einander. Was der eine hat, hat auch der andere. Als mir in M. lagen und eine Zeitlang nicht beschossen wurden, sind mir ins Dorf gegangen. Einer hat dort ein Grammophon „gefunden" und mit zur Höhle genommen. Als nachher das Schießen mieder losging, haben mir den Apparat in Bemegung gesetzt und uns am Eingang hingesetzt. Es mar eine eigenartige Doppelmusik, ein Zeichen, daß die Hamburger den Humor nicht verlieren. — Einiges von den Franzosen: Zwei gesunde Franzosen brachten uns abends leichtverwundete Kameraden, fturz danach brachten neun Franzosen noch einen Verwundeten. Sie ließen ihn ordentlich schweben, denn jeder wollte mit anfassen. Zwei Compagnien liefen ohne Waffen mit erhobenen Händen über. Dieses hat sich nach Angaben der Kameraden in den Schützenlinien sehr interessant abgespielt. Erst liefen ein paar Gruppen über, als dann die anderen sahen, daß wir nicht schossen, kamen auch sie angelaufen. Aber dennoch wollen wir unsern Feind nicht unterschätzen, denn es liegen uns jetzt noch ca. 1% Millionen Soldaten gegenüber. Vor einigen Tagen kam durch N. ein Trupp freiwilliger Artilleristen „neu gebacken“ aus Hamburg zur Verstärkung. Sie wurden gleich um Zigarren, Zigaretten und Tabak angehalten, und siehe da — einer öffnete seinen Tabaksbeutel. Das Theater hattest Du sehen sollen. Wie die Bienen fielen sie drüber her, und im Handumdrehen war der Beutel leer. Auch meine Pfeife hat sich dabei gefüllt.
Hier in Frankreich findet man den Mittelstand sehr wenig, es gibt entweder Reiche oder Arme. Wo wir jetzt liegen, ist eine große Ferme. Die Häuser sind erbaut aus Sandstein, der aus diesem Steinbruch stammt. Der Bruch ist daher nicht mehr Hrotz. Es ist alles darin bemoost, und von oben sind Licht-
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Öffnungen angelegt. Durch diese wird Spreu und Sonstiges geschüttet. Die Höhle hat daher etwas Grottenhaftes. Bei M. z. B. sind die Steine für das ganze Dorf aus solchem Bruch herausgeschlagen worden, und man kann in diesen Höhlen Spaziergänge machen, nur batz es dauernd dunkel darin ist. In Frankreich findet man aber keine Misthaufen vor der Tür, wie solches in Belgien der Fall ist. — Über mir fliegt jetzt ein deutscher Flieger in der Richtung der französischen Stellungen, um sie zu erkunden. — Gestern haben wir uns gegenseitig die Haare geschnitten, aber frage bloß nicht wie. Mir tun noch die Finger weh. — Morgen geht es wieder nach M., aber immer mit frohem Mut, den kann uns keiner nehmen.
Die Hamburger Batterie bei Roye.
Am 3. Oktober morgens rückte unsere Batterie um 5 Uhr aus, dann Biwak in dem Dorfe A., südlich Noye in die vorgeschriebene Feuerstellung, hinter einem Hügel inmitten eines Nübenfeldes. Links vor uns standen die v und .. Batterie unserer Abteilung. Es wurde sich kräftig eingebuddelt. Nachdem sich die Erde vom Nebel befreit hatte, bewies uns der Franzose feine Höflichkeit; er -sagte uns zuerst „guten Morgen“. Die französischen Granaten sausten über unsere Stellung, um bann hinter uns mit ihrem eigentümlichen Knall zu zerspringen. Eigentümlicherweise und Gott sei Dank wurde niemand dadurch verwundet, sie schossen durchweg zu weit. Selbstverständlich wurde unsererseits das Feuer kräftig erwidert mit deutschem Eisen und mit gutem Erfolg.
Gegen 9 Uhr mutzte unsere Batterie, die sich eines besonderen Wohlwollens der höheren Vorgesetzten erfreute (was die Batterie ihrem tüchtigen Hauptmann verdankte), vorrücken unter dem stetigen Feuer der französischen Artillerie. Und wieder wie durch Wunder wurde niemand verletzt. Da sich unser Korps teilartig in die Stellungen der Franzosen geschoben hatte, erhielten wir jetzt von vorn, links und rechts feindliches Artilleriefeuer. Aus unserer jetzigen zweiten Stellung schossen wir den ganzen Tag stark auf Artillerie und nachdem auf ein Dorf, welches wiederum in westlicher Richtung von unserer Stellung lag.
Gegen Abend, es dunkelte bereits, kam Befehl, die Batterie solle im Galopp vorrücken auf das Dorf. Unsere Infanterie sollte stürmen. Die Protzen wurden herangeholt, und bann
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ging's in sausendem Galopp vor auf das Dorf, durch unsere Infanteriereserven hindurch. Schon sausten auch Infanteriegeschosse mit ihrem eigenartigen Pfeifen um unsere Ohren. Doch es ging alles gut. Etwa 1000 Meter vor dem Dorf wurde gehalten. Abprotzen und laden und feuern war das Werk eines Augenblicks. Doch kaum war die erste Gruppe unseren Rohren entwichen, als unser Herr Hauptmann, von einer Kugel in die Stirn getroffen wurde und hinten übersank. Scheinbar gleich tot. Er wurde aus dem Feuer getragen, doch da öffnete er noch einmal die Augen und seinen Mund, um zu röcheln: „Na, Iungens, dann haltet euch tapfer und schießt gut." Dann schlossen sich seine Augen zur ewigen Ruhe. Er starb als Held und als Stolz der Batterie. Ehre seinem Andenken.
Nach dem Fall des Hauptmanns übernahm der Leutnant die Batterie, und der Franzose erhielt seine Lage. Die feindliche Artillerie schwieg, doch um so mehr klappten Infanteriegeschosse gegen unsere Schilde. Doch der Herrgott beschirmte die Batterie, wir hatten nur noch zwei Leichtverwundete und kein Pferd verloren. Noch in der Nacht gelang es dann unserer Infanterie, in das Dorf zu stürmen. Dann war auf beiden Seiten Ruhe, wohltuende Ruhe. Nur ab und zu störte ein Gewehrschuß die Stille. Jetzt kam Befehl: Batterie zurück und Biwak.
Dunkle Nacht, ein wunderbarer Sternenhimmel, hier und dort ein brennendes Dorf, das sich sehr scharf vom Dunkel der Nacht abhob. Ein schauriger und doch wunderbarer Anblick.
Unsere Batterie besteht fast ausschließlich aus Hamborger Jungs, mir haben sogar ein Barmbecker und Eppendorfer Geschütz.
Am Telephondraht auf vorgeschobenem Posten.
Am 25. abends kam mein Batterie-Chef in die Feuerstellung und stellte die Frage: „Wer von den Unteroffizieren ist bereit, eine Leitung so weit wie möglich nach vorn zu legen und als vorgeschobener Beobachter die feindliche schwere Batterie, welche uns so schwere Verluste zugefügt hatte, zu erkunden und das Ergebnis durch den Apparat zu melden?"
Alle traten vor, aber keiner so schnell wie ich. Lange überlegte mein Chef, und endlich, zu meiner größten Freude und zugleich zum Arger meiner Kameraden, wählte er mich unter den vielen aus; war es doch eine ganz besonders wichtige
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Aufgabe, die mir zufiel, und die kein Flieger gelöst hatte, da die Batterie nach Angaben der Flieger so gut eingebaut und versteckt war, datz sie absolut nicht zu finden war.
Es war 10 Uhr abends, ziemlich dunkel, und ein ganz schwacher Regen setzte ein, als ich mich auf den Weg machte. Drei Mann nahm ich mit, jeder 2 Kilometer Draht auf dem Rücken, und ich mit dem Apparat ausgerüstet. 4 Kilometer Draht hatte ich abgerollt, als ich dicht hinter unserer modernen Schützenlinie ankam. Die zwei Mann schickte ich zurück, da sie mir doch mehr hinderlich als nützlich sein konnten. Den dritten Mann ließ ich vorläufig an der Endstation zurück, und ich selbst ging gebückt bis zu unserem Schützengraben, erkundigte mich nach Vorposten und erfuhr auch, daß der Schall einer schweren feindlichen Batterie ungefähr aus der Richtung von T. herkam. Nun ging ich zurück zu meinem Mann und fing mit ihm an, die letzte Rolle Draht abzurollen. So kam ich an unsere Vorposten. Jetzt begann das eigentlich Schwierige meines nächtlichen Spazierganges, denn es galt nicht allein durch die feindlichen Reihen zu kommen, sondern ich mutzte auch noch meinen Draht dem menschlichen Auge unsichtbar machen. Ich buddelte ihn ein und verwischte die Spur mit Laub und Reisern.
Von unseren Vorposten bog ich in einen Wald ab und ging quer durch, bis mir der Weg durch einen Vach erschwert wurde. . Nicht lange stand ich ratlos da, ich zog mein Seitengewehr, band den Draht daran und ließ es bedächtig untergehen, auch hier die Spur des Drahtes verbergend. Hinüberspringen konnten mir nicht, da der Vach wohl zwei Meter breit war und jedes Geräusch vermieden werden mutzte. Nun, der Draht lag bis zur Hälfte darin, folglich mutzte ich auch rin, und patsch, patsch, waren wir drüben. Schon zeigte mein Anzug deutliche Lücken, die er in dem Walde erhalten hatte, das Wasser quietschte schön in meinen Stiefeln, und weiter ging es durch den Wald. Ich mochte vielleicht 300 Meter gegangen fein, als ich eine grotze Lichtung vor mir hatte. Nun wieder mein Kanonier voraus, den Draht abrollend, ich hinterher und ihn vergrabend. So mochten wir wohl eine Stunde gekrochen sein. Das war die schwierigste Arbeit bis jetzt. Uns ausruhend, gewahrten wir weiter links von uns die Umrisse einiger Gebäude, da mittlerweile der Mond aufgegangen war. Jetzt freudig darauf zugekrochen. Angekommen, erkannte ich eine Fabrik, wie ich jetzt erfuhr, eine Zuckerfabrik, in der es von Franzosen
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wimmelte. Einer von den hohen Schornsteinen war mein Ziel. Leider ist es mir trotz wiederholter Versuche nicht gelungen, einen Weg dahin zu finden. Gott sei Dank aber auch, datz ich den Weg zu den Schornsteinen nicht gefunden habe, denn am Vormittage entdeckte ich dort oben drin einige Löcher und schloß daraus auch ganz richtig, datz da auf jeden Fall Beobachtungsstellen sein mutzten. Im Dunkeln kam ich nun an eine Tür, schlich vorsichtig die Treppe hinauf und befand mich auf einem grotzen Speicher. Hier lagen Säcke und Risten aufgestapelt. Es war schon 6 Uhr morgens geworden, und Eile war geboten. Schnell schaltete ich meinen Apparat an und meldete mit gedämpfter Stimme, dah ich wohlbehalten auf dem Boden einer Fabrik läge.
Jetzt peinigten mich die Gedanken: kannst du auch von hier etwas sehen? Grotze Säckeballen baute ich mühsam an einem Fenster auf, nur einen kleinen Ausguck lieh ich und dahinter einen hohlen Raum, in dem wir uns aufhalten konnten. Ringsherum und oben darauf wurden Säcke von innen hergezogen, so datz wir vollständig eingekerkert saften, nur den Ausguck ant Fenster hatte ich zu meiner Beobachtung zur Verfügung.
Manchmal lauschten wir den Tritten und Stimmen, die wir auf der Treppe und dem Boden vernahmen. Mit Bestimmtheit meldete ich mittags meiner Batterie, datz in den Schornsteinen meiner Fabrik Beobachtungsstellen wären. Bald schlugen die ersten Granaten ein, ich konnte die Lage der Schüsse melden, da mein Gebäude, wo ich oben lag, vielleicht nur 120 Meter seitlich lag. Nach einer halben Stunde krachten zwei dieser Riesen zu Boden. Minuten wurden zu Stunden. Das Brot ging auf die Neige.
Schon schwand die Hoffnung bei mir, die Batterie zu erkunden.
Es war 5 Uhr nachmittags, als ich plötzlich die ersten Schüsse gewahrte, die über uns hinweggingen. Mit einem Doppelglas sah ich sehr gut den Feuerschein aus den ersten Gehöften des Dorfes, welches vielleicht 2 Kilometer weiter liegen konnte, aufblitzen.
Sofort an den Apparat und der Batterie gemeldet; das war das Werk eines Augenblicks. Noch wutzte ich nicht, ist es die schwere Batterie, die ich suchen sollte; aber heute weitz ich es, datz ich mich nicht geirrt hatte. Bald sauste ein Granatregen in die ersten Häuser des Dorfes. Von meiner Beobachtung
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meldete ich zurück, ob die Schüsse überwiegend kurz oder weit lagen. Unsere Granaten verfehlten das Ziel nicht.
(Gestern trat mein Chef ins Zimmer und drückte mir die Hand und sagte, datz drei Geschütze vollständig kaputtgeschossen wären, so datz die Franzosen sie nicht einmal sortschasfen konnten. Das vierte aber haben die Unsern nach der Erstürmung nicht gefunden.)
Nun weiter. Die Nacht brach herein, die mich in die Reihen meiner Batterie bringen sollte. Ich wartete noch bis 11 Uhr, da alles Leben da drüben verstummt schien.
Eiskalt überlief es mich, als ich gewahrte, datz die Tür, zu der ich einzig hinausgelangen konnte, von innen nicht zu öffnen war. Aller Mut war jetzt von mir gewichen. Meine Gedanken schweiften noch einmal in die Ferne.
Lebendig hätten mich die Franzosen nicht bekommen, da wäre ich lieber des Hungers gestorben.
Es wurde schon wieder Tag, und noch immer satz ich im Nachdenken in meiner Sackburg. „Wie kannst du entkommen, bevor du des Hungers stirbst'/'
Der Schlaf übermannte mich, und bald schlief ich ein. Um 10 Uhr vormittags wachte ich schon wieder durch heftiges Gewehrfeuer auf, welches aber nicht lange anhielt.
Jetzt erst meldete ich meiner Batterie, datz ich nicht zurückkann," da mir der Weg abgeschnitten ist, und ich den Hungertod sterben mutz.
Bald war mein Chef am Apparat und sprach mir wieder Mut zu. Einer nach dem anderen von meinen Kameraden sprach durch den Apparat mit mir, und von jedem konnte ich einzeln Abschied nehmen. O, welche Gefühle und Gedanken mich in diesen Augenblicken beschlichen, kann ich nicht beschreiben. Den sicheren, aber langsamen Tod vor Augen zu sehen, ist mir das Schrecklichste, was ich mir denken kann.
Geweint Habe ich wie ein kleines Rind, nicht aus Verzweiflung, wohl aber vor Wut über das „verdammte Gelichter". Verzeihen Sie, bitte, die Ausdrücke, aber ich kann nicht anders. Ich kenne kein Erbarmen mehr.
Noch einmal erschien mein EHef am Apparat und sprach wohl eine halbe Stunde mit mir, lobte vor allen Dingen meine sichere Meldung und sagte, datz ich der eigentliche Vernichter der Batterie wäre.
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III. Im Westen.
Zch lebte noch einmal auf, und die Gedanken, daß ich meine Aufgabe glanzend gelöst hatte, liehen mich trotz der Müdigkeit nicht schlafen.
Die dritte Nad)t brach herein, und noch hatte ich nichts gegessen als eine Scheibe Brot, die ich mir mitgenommen hatte.
Vis um 2 Uhr nachts habe ich ungefähr so mach gelegen.
Da schrnand mir die Besinnung, und ich rveih nicht meyr. mas vorgefallen ist.
Als ich aufmachte, mutzte ich erst gar nicht, mas los mar. Neben meinem Bette stand ein Arzt und stützte mich. Nach und nach dämmerte es in mir auf, und ich rief mir alles Geschehene Zurück. Das mar am 29. 10., 1 Uhr mittags. Gegen Abend erschien mein Chef, und jetzt erfuhr ich, daß die feindliche Linie in der Nacht Zum 29. zurückgemorfen sei, und er selbst mit den Leuten an dem Draht entlang mich gesucht und so ohne Sinnen gefunden hätte. Auch erfuhr ich zu meiner größten Betrübnis, datz mein Kanonier bereits gestorben sei.
Wäre unsere Infanterie nicht vorgegangen, so mürbe ich wohl nie mieder aufgemacht fein und mürde heute noch zmifchen den Säcken neben meinem Kanonier schlafen.
Kräftige Suppe und guter Wein haben mich zusehends gestärkt, und bald fühle ich mich mieder mie vordem.
Am nächsten Tage, es mar der 30., erschien der Divisionsgeneral, begleitet von meinem Chef, und überreichte mir am Bett das Eiserne Kreuz. Das mar der schönste Taa in meinem Leben.
Bald merde ich in meine Feuerstellung zurückkehren, und sollte mein Chef heute kommen und sagen: „Freimütige vor!8 ich märe trotzdem mieder der erste, denn da habe ich mich nun einmal eingearbeitet mit den nächtlichen Spaziergängen in Feindesland.
Kampf in ber Luft.
(Erzählt von einem Wandsbeker Fliegerleutnant.)
Am 21. 11. 1914, morgens 8% Uhr ist unser L.-F.-G.--Doppeldeder startbereit. Ein klarer Wintertag ist angebrochen, das Thermometer zeigt 5 Grad Kälte. Wir (mein Führer Oberleutnant F. und ich als Beobachter) haben uns gut eingehüllt. Soeben fd out die Sonne über die Höhe hinmeg — mir missen, da hinter dem Höhenrüden ist ber Feind. Ob er sich auch mohl schon zum Fluge rüstet? Unsere Aufgabe lautet:
III. Im Westen.
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Artillerie feststellen und photographieren. Gut, das Wetter ist günstig — der Motor springt an — ein Kopfnicken zu meinem Führer — fertig — ab. Die Luft trägt gut, in 30 Minuten haben wir 1500 Meter Höhe erreicht durch schönes Hinaufschrauben hinter der Front. Der Vodenschleier (Nebel) geht immer mehr zurück, es scheint prächtig zu werden, nur die Kälte wird empfindlich; 15 Grad zeigt das Thermometer. Nun Richtung R., der Sonne entgegen. Nach kurzer Zeit einige Spreng-punkte vor uns, das kann nur von unseren eigenen Truppen sein. Ich gebe sofort das Zeichen, worauf das Feuer eingestellt wird. Nun haben wir den Höhenrücken überflogen, vor uns liegt das Gefechtsfeld; es blitzt in den Wäldern auf, schnell die Karte zur Hand und eingezeichnet: Feindliche Artillerie durch Mündungsfeuer erkannt — hier neue Schützengräben, die in der Nacht aufgeworfen fein müssen. Ich klettere auf die Motorhaube, ziele mit dem Photoapparat und drücke ab. Die erste Platte ist aufgenommen. Das ganze weite Gefechtsfeld ist durchzogen von Schützengräben. Ich mache noch weitere Aufnahmen; mein Führer lenkt den Flugapparat meisterhaft — ich dirigiere mit der Hand, damit ich das Stück, das ich photographieren will, genau im rechten Winken mit der Sonne vor mir habe, und jede Bewegung führt Oberleutnant F. sofort mit dem Apparat aus — genau wie im Auto wird jede Kurve unmittelbar ausgeführt. Jetzt suchen wir die Wälder ab. Deutlich kann ich Artillerie-Einschnitte erkennen, denn das Feuer hört bei den Franzosen auf, sowie wir näherkommen, um sich nicht durch Mündungsfeuer zu verraten. Aber es geht auch fo. Inzwischen haben wir eine Höhe von 2100 Metern erreicht. Das Thermometer fiel auf 25 Grad, aber die Kälte ist vergessen, erfordert doch das Beobachten unausgesetzte Aufmerksamkeit, nicht nur um die Stellungen genau zu erspähen, sondern auch auf feindliche Flugzeuge zu achten, ferner darauf, ob und woher wir beschossen werden, was während unseres zweieinhalbstündigen Fluges mehrere Male passierte. Bei dem Orte X. sehe ich starke Verschanzungen mit schwerer Artillerie, die ich aufnehme, davor viele Schützengräben, die mein nächstes Ziel sind. Ich gebe dem Oberleutnant F. ein Zeichen zur Linkskurve und lasse auf das Objekt losfliegen. Inzwischen wechsele ich die Platten und visiere auf das Ziel. Plötzlich erhalte ich einen Stotz — F. zeigt halblinks hinter uns nach oben — ein französisches Flugzeug, etwa 300 Meter höher als wir. Ich erfaffe sofort die Situation, vertausche im Nu die Kamera mit
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dem Karabiner und werfe mich herum, so daß ich den Feind vvr mir habe. Das Ungeheuer schient auf uns zu und eröffne! ein-heftiges Feuer mit seinem Maschinengewehr. Tack, tack, lack, tack... . schon sausen uns die Kugeln um die Ohren — es macht immer pusch, pitsch, pitsch . . . nun kann ich den Franzosen hinter dem Maschinengewehr sehen, ein schwarzer Teufel grinst mich an — es sind kaum 20 Meter Entfernung. Er scheint uns anrennen zu wollen — ich ziele — schieße dreimal, und plötzlich saust der französische Apparat rechts in die Tiefe, während F. eine verzweifelte Linkskurve gegen den Wind dreht und dem Anprall entgeht. Ich schieße noch hinterher, aber im Nu ist der französische Apparat verschwunden. Lachend schaue ich meinen lieben F. an, der zeigt besorgt auf den Tourenzähler, der stark schwankt. Ich sehe alles nach, aber nichts scheint entzweigeschossen zu sein. Die Schwankung rührt von einer plötzlichen, allzu hohen Belastung her, hatte F. doch dem Motor über 1500 Touren gegeben, um die rasende Fahrt zu erzielen, der letzte Versuch in der Not, gewöhnlich kostet es den Propeller, der bei dieser enormen Umdrehung abspringen kann. Plötzlich denke ich daran, daß ich ja noch typen wollte, und zeige auf das Objekt. Erst guckt mich F. ganz verdutzt an, dann nickt er, und wir setzen unsere unterbrochene Fahrt fort. Ich photographiere wieder, und wir haben auf dem Rückwege das Glück, eine schwere Artilleriestellung, die uns in letzter Zeit stark belästigt hat, zu entdecken und auch zu photographieren. Diese Platte ist ganz besonders scharf und hat großen Beifall gefunden. Dann kehrten wir um; nach einer halben Stunde setzten wir zum Gleitfluge an. Ant Boden, in 200—300 Meter Höhe, hatten wir noch starke Böen. F. ruft: „Es gibt Bruch, Beine hoch!“ — aber auch diese Gefahr geht vorüber. Ein Hurra beim Landen. Man hatte den Kampf von dem ganzen rechten Flügel der Division aus gesehen. F. und ich, wir drückten uns kräftig die Hand. Schnell wurde ich noch im Flugzeug mit dem Gewehr im Anschlag getypt, und fort geht es zum Generalkommando. Auch dort Glückwünsche.
Brückenbau in Feindesland.
Ich habe eine sehr anstrengende, aber interessante Woche hinter mir. Die Kompagnie hatte die Aufgabe, die während der Belagerung von Maubeuge von den Engländern gesprengte Eisenbahnbrücke über die Sarnbre wieder herzustellen. Das eine Uferende war zerstört und die ganze Brücke in den Fluß ge-
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stürzt. Vrückenlänge 50 Meter. Wir bauen also neben der alten Brücke. Ich habe das Glück gehabt, die Konstruktion und Berechnung der Brücke sowie auch die Bauausführung übertragen zu bekommen. Ich will nun einmal in Kürze erzählen, wie ich im Kriege eine Eisenbahnbrücke aus dem Ärmel schüttete.
Zuerst setzte ich mich in ein Auto und fuhr in der ganzen Gegend umher und erkundete nun in diesem Fall folgendes: In der Nähe ein Eisenröhrenwerk, wo ein Neubau für eine Fabrikhalle war. Hier lagen große eiserne Züge von 12 Meter Länge. An einem anderen Orte ein großes Eisenwalzwerk, wo alles Eisenzeug zu haben war. Von hier nahm ich mir die kleinen Sachen, da der Weg etwas weit war (20 Kilometer), auf einem Bahnhof einen stehenden Benzinmotor, der seinen Empfänger vor Ausbruch des Krieges suchte. Diesen nahm ich aus einem Lastauto in eine Maschinenfabrik und trieb damit alle Maschinen zur Eisenbearbeitung, die ich nötig hatte. (Die Fabrik hatte nämlich elektrische Maschinen, die sonst von einer Überlandzentrale getrieben wurden; jetzt gab's natürlich seinen elektrischen Strom.) Wir brauchten ferner Holzpfähle, auf dem die Brücke ruht, da wurden im Walde schöne Eichen von dreizehn Meter langen Stämmen gefällt und herangefahren. In der Nähe dampfte luftig eine Lokomobile, die ein Holzsägewerk trieb, auch von uns in Gang gebracht. In acht Tagen war die Brücke fertig. Gestern fuhr der erste Zug darüber. Mir klopfte das Herz doch etwas dabei. Jetzt find schon zwei Infanterie-Divisionen darüber befördert. Acht Tage habe ich von morgens früh bis abends spät dabei gestanden, zwischendurch gerechnet und konstruiert. Ich konnte nicht abgelöst werden, da nur ich allein Bescheid wußte. So habe ich 72 Stunden ohne Schlaf gearbeitet. Die Freude und der Stolz waren groß, wie alle Kameraden und der Kompagniechef mir gratulierten, als der erste Zug hinübergerollt war. In der nächsten Nackt freute ich mich aus mein Bett.
Eine Heldentat deutscher Pioniere.
Es war eine grausige Nacht. Auftrag für uns beide Offiziere, Leutnant L. und ich: Heute nacht 7 bis 3 Uhr, während Artillerie-Feuerpause, nachhaltige Zerstörung der Eisenbahnlinie zwischen Verdun und St. Mihiel, auf der fortwährend Munitionszüge und Armierungsgeräte passierten. Jenseits der Maas, wo die Eisenbahn läuft, noch keine Aufklärung; starke Postierung der Kunstbauten gemeldet. Drei Patrouillen wurden
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angesetzt von meinem Kompagniechef: Leutnant L. und ich, mit je freiwillig sich meldenden Unteroffizieren und 6 schneidigen, todesmutigen Leuten, ein Feldwebel dritte Patrouille. Erstere beide mit dem Auftrag, Eisenbahn an acht Stellen zu zerstören, letztere Zerstörung des unterirdischen Telegraphenkabels Verdun— St. Mihiel. Es war ein gewagter Streich, die Maas, etwa 50 Meter breit, stand uns zur Überwindung entgegen. Um 7 Uhr machten wir uns auf den Weg: stockschwarze Nacht, starker Negen, Wind. Ausgerüstet mit Spreng-Materialien, zogen wir los zu dem gewagten Streich mitten in Feindesland.
Auf großen Umwegen, um der Sichtweite des Forts zu entgehen und durch die Linie der Befestigungen durchzukommen, gelangten wir an den Kanal de l'Est. An der französischen Postierung durchzukommen, gelang; Messer dem Posten unter die Brust gesetzt, kamen wir über die Kanalbrücke; nun ging's vorwärts durch die Maasniederung. Mehrere sehr stark angeschwollene sumpfige Gräben wurden durchwatet und durchschwommen und, wo zu morastig, auf abgesägten Weidenstümpfen überwunden. An der Maas, 40 Meter breit, angelangt, machte sich meine Patrouille fertig zum Durchschwimmen. Ich sprang als erster voran in voller Montur, nur ohne Säbel. Es war ein ziemlich Harter Kampf gegen den Strom und die scheußlichen Schlinggewächse. Da ich merkte, daß starke Lebensgefahr mit dem Überschwimmen der Maas verbunden war, schwamm ich nochmals zurück und lief; die Leute die Stiefel ausziehen, was ich auch selbst tat. Ich sagte nochmals, wer es sich nicht zumute, sollte zurückbleiben. Alle waren fest entschlossen. Wir machten unsere Ladungen fertig. Die Spreng-munition banden sich die Leute auf den Nacken, die Zündungen steckten sie unter die Mütze. Ich sprang voran, fand drüben mit größter Lebensgefahr schließlich nach langem Bemühen an den sehr morastigen, mit Schilf bewachsenen Ufern eine Landungsstelle. Alle Leute sprangen nacheinander nach. Es waren bange Minuten, ich war stark im Zweifel, ob alle Leute den Kampf gegen Strömung und Wassergewächse aushalten und alle landen würden. Es gelang. Weiter ging’s vorwärts, noch einmal mußten wir zwei stark angeschwollene Gräben durch Schwimmen überwinden, bis mir schließlich an die beabsichtigte Zerstörungsstelle der Bahn gelangten. Die Ladungen wurden angebracht, auf meinen Pfiff angezündet, und mit Eile machten wir uns aus dem Staube, immer in der
Besorgnis, jeden Augenblick von der benachbarten Dorfwache oder einer Vrückenwache entdeckt und abgefangen zu werden.
Eine französische ftavalleriepatrouille schoh auf uns, konnte aber in der surchtbar morastigen Maasniederung uns nicht erreichen. Ohne Strümpfe und Schuhe, die Gewehre an dem diesseitigen Maasufer aufgenommen, gelang es uns nach Überwindung der gleichen Hindernisse, glücklich unversehrt auf unseren Infanterieschutz, der mitgegeben war, über die Brucke Über den'ftanal de l'Est zurückzukommen. _
Ich ging dann in das erste beste Gehöft im Dorfe und störte eine Frau aus dem Gehöft, die, mit der Pistole vor dem Kopf, ohne Lärm zu machen und das Dorf zu alarmieren, ihre zwei Pferde vor einen Wagen spannen mußte, und in wilder Fahrt, da wir wahnsinnig froren und nicht entdeckt werden wollten, ging's in einstündiger Fahrt zurück in unser Quartier zur Compagnie, wo wir 4 Uhr morgens alle unversehrt ankamen.
Für unsere Rückkehr war von meinem Hauptmann, der krank im Bett liegt, aufs beste gesorgt. Warme Decken. Glühwein brachten uns alle bald wieder auf den Posten. Ein wenig Schnupfen war alles, was wir davon bekommen hatten, ausgenommen die vom Schilf zerschnittenen Füste und die stark mitgenommenen Sachen, die noch heute ziemlich feucht sind und scheußlich nach Morast stinken. Wie ein Lauffeuer war am nächsten Tage die Tat beim ganzen Korps besannt. Mein Hauptmann beantragte sofort das Eiserne Kreuz für alleJ2eute der Patrouille. Schon nach 24 Stunden, am Abend des teiges gegen 8 Uhr, kam ein Jäger-Unteroffizier, der uns die Auszeichnungen brachte. Allerdings teuer ersauft war trotzdem unser Erfolg. Leutnant L. und ein Unteroffizier haben in den Fluten ber Maas an einer breiten Stelle beim Durchschwimmen den Helbentob gefunden. Die Kräfte müssen sie verlassen haben. Auf halbem Wege sinb beibe ertrunken.
Aus ber Schlacht an der Aisne.
Schon fünf Tage lagen wir im Tal von M., bas sich, großenteils mit bichten, sumpfigen Waldstücken bedeckt, südwest-wärts gegen die Aisne hinzieht. Rechts und links von uns auf den Höhen wogte der unentschiedene Kamps bei Tag und Nacht, und gern hätten wir eingegriffen, um den Kameraden zu helfen; aber wir sollten vorläufig in Reserve bleiben. So hausten wir denn wie Fuchs und Dachs in den feuchten, stroh-
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gepolsterten Höhlen, die wir uns zum Schutz gegen die Grütze der französischen Artillerie gegraben hatten. Täglich im Feuer, täglich Verluste, und doch nicht vorwärts dürfen: das gehört zu dem schlimmsten, was dem zum Angriff erzogenen deutschen Soldaten begegnen kann. Hinter uns standen unsere eigenen Batterien im Feuer. Da wir selbst zur Untätigkeit verurteilt waren, schalten wir in unserer schlechten Laune auf unsere Artilleristen, die ja doch nichts träfen. Zu Unrecht! Denn am Tage darauf sollte der Augenschein uns belehren, wie vernichtend die Wirkung unseres Artilleriefeuers in diesen Tagen gewesen war.
Mitternacht. Eine Ordonnanz holt mich aus dem Stroh: Der Brigade-Adjutant soll ans Telephon kommen! Nach zehn Sekunden halte ich den Hörer ans Ohr: „Divisionsbefehl zum Angriff." „Gott sei Dank!“ entfährt es mir gegen alle militärische Form. Der Generalstabsoffizier am andern Ende der Leitung fährt fort: „Das . . Armeekorps kommt morgen bis in die Höhe der . . Brigade und setzt den Angriff gegen die Aisne fort. Die Brigade geht links daneben vor und nimmt durch Nachtangriff das Dorf Eh. und die dortigen Berghänge." Nun wird der Brigadekommandeur geweckt, und schnell sind auch die Adjutanten und Befehlsempfänger der beiden Regimenter sowie der zugeteilten Artillerie, Meldereiter und Pioniere herangerufen. Beim Schein einer requirierten Stallaterne diktiert der General persönlich den Befehl zum Vorgehen. Zwei Stunden vor Tagesanbruch steht alles bereit: ein Regiment soll aus der Ta'.strahe antreten, um frontal und links umfassend Eh. anzugreifen. Die Entfaltung wird erst kurz vor dem Dorf geschehen können, weil in der Dunkelheit und bei dem ungangbaren Gelände ein Abbiegen vom Wege unmöglich ist. _ Die Pioniere werden zugeteilt, um die bereits erkundeten Hindernisse wegzuräumen. Ein Zug Artillerie folgt auf der Straße. Das andere Regiment wird an dem gegen das . . Armeekorps zu befindlichen Bergabhang angesetzt, um die Verbindung mit den nächsten Truppen rechts von uns herzustellen und durch Rechtsumfassung bei Eh. die Entscheidung zu bringen.
Auf die Minute wird von sämtlichen Kolonnen angetretea, geräuschlos, wohlgeordnet, mit aufgepflanztem Seitengewehr. Wir begleiten das Regiment im Tal. Die Spannung steigt auf das höchste, kein Schutz fällt; vorn Feind, dessen Posten gestern an der Straße und an den Waldrändern standen, ist nichts zu entdecken. Nach einer schwachen Stunde — es fängt
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leise zu dämmern an — nähert sich die Spitze den massiven, dunkel aufstrebenden Häusern am Eingang von Eh. Da, mit einem Schlage wird das Schweigen der Nacht zum Höllen-konzert; aus den Häusern, Scheunen und Gärten prasselt das Feuer der französischen Infanterie uns entgegen. Reiner der unheimlichen Schützen ist zu sehen, alle liegen hinter Mauern, Fenstern und Dachlucken wohlgedeckt. Was bleibt zutun gegen den unsichtbaren Feind, dessen Geschosse in unsere Schützen und Kolonnen einschlagen? Vorwärts zum Sturm! Im Laufschritt werden die 150 Meter bis zum Dorfrand zurückgelegt. Der Führer der vordersten Kompagnie eilt, das Gewehr in der Hand, voraus; von acht Geschossen durchbohrt, bricht er zusammen. Viele Brave hinter ihm fallen, auf und beiderseits der Stratze stürzen die Stürmenden. Doch der Regimentskommandeur, selbst bei den Vordersten, führt seine Leute bis ans Dorf heran, und nun beginnt der Häuserkampf. Der Nest des Regiments war links vorn Dorfe vorgegangen, um den Feind zu umgehen. Hier hatten sich die feindlichen Schützen im Wald bei unserem Herannahen davongeschlichen, und nun stießen unsere Abteilungen auf einen breiten, völlig unbetretbaren Sumpfgürtel, hinter dem französische Infanterie und Artillerie auf nahe Entfernung wirkungsvoll zu feuern begann. Es wird hell. Die Lage ist bedenklich. Links jedes Vorwärtskommen wegen des Geländes unmöglich, im Dorfe ein verzweifelter Kampf gegen starken Feind, rückwärts die Verbindung abgebrochen, weil abgekommene feindliche Abteilungen, vielleicht unter Führung der Einwohner von Eh., sich in den Waldstücken festgesetzt haben und die freien Strecken des Tales unter Feuer nehmen. Das andere, rechts eingesetzte Regiment mutz die Erlösung bringen! Schon nahen seine vordersten Linien heran, im Morgengrauen, bereits von feindlichen Schrapnells empfangen und bald auch mit Infanteriefeuer überschüttet. Sprung auf Sprung, nur mit kurzen Atempausen, geht es vorwärts; seit es hell wurde, macht das unwegsame und unübersichtliche Gelände weniger Schwierigkeiten. Noch weiter rechts hört man deutlich starkes, südwestwärts fortschreitendes Feuer aus der Richtung des . . Armeekorps.
Unterdessen ist unser Zug Artillerie unter Verlust von fast einem Drittel seiner Pferde aufgefahren und feuert über unsere Köpfe hinweg gegen die Stellen, wo die rückwärtigen feindlichen Kräfte vermutet werden. Ein anderes als dieses rückwärtige Streuverfahren ist leider nicht möglich, weil sonst unsere
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eigenen ins Dorf vorgedrungenen Truppen gefährdet würden. Hier im Dorf ist inzwischen ein Rückschlag eingetreten. Das vorderste Bataillon, stark zusammengeschossen und fast ohne Offiziere, mutz den Ort wieder räumen. Die Häuser sind zur Verteidigung eingerichtet und verbarrikadiert, der Feind ist überlegen, die Kraft reichte nicht aus.
Nun liegen die zurückgegangenen Teile in schlechten Deckungen an und rechts von der Sttatze, auf Unterstützung wartend und heftigem Feuer ausgesetzt. Das eigene Feuer gegen den geschützten Feind erscheint ziemlich wirkungslos. Der General, auf der Strafe zur Erkundung vorgehend, wird verwundet. Ein kurzer Händedruck, dann eile ich zu dem Kommandeur des am Dorfrand liegenden Regiments, von dem ich wieder Aufträge an die Artillerie und die letzte, durch einen Zug Pioniere verstärkte Reservekompagnie bekomme. Das Telephon surrt, Adjutanten und Meldereiter reiten und laufen zu ihren Vestimmungsstellen, die Reservekompagnie rückt dicht heran. Alles hat sich in kurzer Zeit abgespielt; der zweite Sturm, mit Einsatz aller Kräfte auszuführen, steht unmittelbar bevor. Jetzt ober nie! Das rechte Regiment ist herangekommen, Hai uns sogar schon, seitwärts vom Dorf, überholt. Also vorwärts! Neben dem neuen Brigadeführer, durch einen Toten von ihm getrennt, liegt ein Hornist. Er setzt das Horn an den Mund, doch kein Ton dringt hervor. Kommandos dringen nicht schnell genug durch. So laufe ich denn, zunächst im Straßengraben, an der vordersten Kompagnie entlang und rufe allen Gruppen von Leuten zu: „Achtung! Es wird gleich gestürmt!" Ich erreiche eine kleine Gartenmauer, hinter der unsere vordersten Leute stehen. Das Tor ist geschlossen; während ein Mann es aufstotzen will, wirft mich ein Schutz durchs linke Knie auf die Stratze. Doch hinter mir hat sich alles in Bewegung gesetzt. Mit Hurra geht es in die schon einmal erreichten Gehöfte, und gleichzeitig bricht das andere Regiment von der Flanke her ins Dorf ein. Zwei Geschütze unter einem Reserveleutnant fahren dicht heran, protzen im Infanteriefeuer ab und fchietzen einige der stärksten Gebäube in Trümmer.
Als man mich bann zu einem schnell improvisierten 23er-banbplatz zurücktrug, konnte ich mich beim General gehorsamst zur Stelle melben. Nach einer Stunbe, während der noch einige Schrapnell-Lagen über uns Hinroeggeflogen waren, kam ein Stabsoffizier und meldete dem verwundeten Brigade-fommanbeur: „Das Dorf ist enbgültig in unserem Besitz. Der
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Feind ist fluchtartig zurückgegangen. Wir haben 700 Gefangene gemacht. Auf einem Verbandplatz im Dorf liegen die toten Franzosen in vier Schichten übereinander, meist Opfer unseres Artilleriefeuers."
Ein Besuch bei Nachbarn.
Mein Hund Strom ist der zuerst Verwundete unserer Sanitäts-Kolonne. Er geriet in seiner Tölpelhaftigkeit unter rasend dahinfahrende Autos, Rücksicht wird nicht genommen; es ging noch leidlich für ihn ab, ich meinte, er sei zu Mus gefahren, doch hat er nur eine Quetschung des linken Hinterbeines davongetragen, die wohl in 8—14 Tagen geheilt sein wird. Am Dienstag Morgen gingen wir an die Aisne, banden eine Ria-bätsche los und ruderten und pekten mühsam stromaufwärts, um zuzusehen, wie die Pioniere mit Sprengkörpern Fische erbeuteten. Die Sprengkörper, aus Belgien stammend, sind vierkantige Päckchen und haben in der Mitte einen mit Gummi umwickelten Zünder. Dieser wird entzündet und das Paket schleunigst ins Wasser geworfen, da es schon nach 7 Sekunden explodiert. Der Erfolg ist überraschend, da die Fische oft zu 40 50 Stück betäubt an die Oberfläche kommen und gegriffen werden können, es find meistens Näsen von 30—40 Zentimeter Länge. Es wurden bei unserem Fischzug nur 6 Stück erbeutet. Nach eingeholtem Urlaub vom Rittmeister, der uns aber sagte, daß es auf unser eigenes Risiko geschehe, machten wir uns nachmittags umgeschnallt und mit übergehängter Lampe auf, um in die vorderen Schützengräben an der Äisne zu gehen. Wir wanderten nach Westen aus dem Orte über die Notbrücke an das linke Ufer der Aisne, dann auf der Chaussee am linken Ufer des Kanals entlang. Nach ca. einer Stunde kommt man an einen Steinbruch, der in einen hohen Berg direkt am Kanal hineingebrochen ist. Da die Chaussee noch vorn feindlichen Feuer bestrichen wird, müssen wir in einem langen Schützengraben von Mannestiefe, der alle 10 Meter eine Ausbuchtung zum Schutz gegen das feindliche Flankenfeuer hat, mühsam weiter. Kolossale Arbeit, diesen Gang in dem harten Kalkgestein herauszubrechen. Am Fuße des Berges wendet sich der Gang nach links aufwärts. Fortwährend begegnen uns Mannschaften mit mehreren Kochtöpfen in der Hand. Unten hält in Deckung die Feldküche, um den hungrigen Mannschaften warmes Essen zu verabfolgen. Der Weg mündet in den riesigen Steinbruch, in dem Kalkstein terrassenförmig abgebaut
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wird. Wir sind auf der obersten Terrasse, die einen weiten Bogen zirkusarlig bildet. Die Seiten sind nischenartig herausgehauen, wo die Soldaten ihre Lager haben und es sich anscheinend recht gemütlich gemacht haben. Die Überdachung, Brustwehr, ist noch erhöht durch Erdsäcke, Tornister, ja durch Brotbeutel voll Gestein. In den Lücken stehen Schutzschilde aus Stahl mit Schießlöchern. Der Steinbruch bildet eine gewaltige Rumtmng. Die Felswände fallen nach innen senkrecht ca. 60 Meter tief hinab, der Ressel ist nach dem Seiten-Kanal offen zur Abfuhr der gebrochenen Steine, links von der Öffnung liegen zerschossene Häuser, die noch im Besitz der Franzosen sind, oben von der Brüstung an dacht sich der Hügel allmählich, mit Rübenfeldern, Weiden usw. bedeckt, nach dem
Dorfe V ab. Durch die Schietzlöcher und über die
Brustwehr hinweg sieht man vor sich die Verhaue aus tragbaren „spanischen Reitern" mit Stacheldraht überzogen, ungefähr von Brusthöhe, links steigt das Gelände wieder an, unten das Dorf; alles zerschossen. Auf diesem Gebiet ist der Sturmangriff der Senegalneger gemacht worden. Allenthalben sieht man Hunderte von Leichen die Felder bedecken, einige liegen in Reihen, als bildeten sie noch eine Schützenlinie, ausgerichtet nebeneinander. Ein großes Rübenfeld ist schwarz von den Gefallenen, die bei dem nächtlichen Sturmangriff von unseren Maschinengewehren hingemäht sind. Nur mit einem Dolch zwischen den Zähnen und einem Hackmesser, ähnlich wie die Zuckerrohrmesser, in der Hand, sind sie auf unsere Stellungen ohne Führung losgelassen worden. Nur ein einziger ist lebend über die Brustwehr gekommen, im selben Augenblick von einem Offizier beim Rragen gepackt und einem Infanteristen zugeworfen worden, der ihn mit einem Stotz in den Abgrund des Steinbruches beförderte, wo er zerschellt und unten oberflächlich mit Geröll bedeckt wurde, so datz noch die Beine hervorsehen. Die nächsten Leichen kann man fast mit der Hand fassen. Einer von uns ist in der Dunkelheit über die Brustwehr gekrochen und hat sich von einem Schwarzen ein solches Hackmesser geholt. Am nächsten Abhang liegt eine zusammengeschossene Batterie mit der gesamten Bedienungsmannschaft. Daß auch von den Unseren eine Reihe gefallen sind, zeigen die frischen Gräber auf der höchsten Terrasse des Steinbruches. Vom ersten Maschinengewehr, das in einem Laufgraben steht, der von der oberen Terrasse in das Gelände zum Dorf hinab vorgeschoben ist, hat man eine freie Aussicht über
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das ganze Gebiet, das die stürmenden Neger überschreiten mutzten. Mit einem vorzüglichen Tritzder, den uns ein Unteroffizier zur Verfügung stellte, konnten wir jeden einzelnen Gefallenen genau betrachten. Ein zweiter Laufgraben führt nun auf das Plateau hinauf, hier ist ein ganzes Labyrinth von Schützengräben, vollgepropft von Mannschaften. Wir begaben uns an den äußersten Graben, der noch mit einem anderen am Sonntag abend von den Unseren genommen war. Durch die neuen Minenwerfer sind diese Schützengräben buchstäblich zugeschüttet worden, so dag die Beine der Insassen aus dem Gestein hervorragen. Die geworfenen Minen sind Geschosse von ungefähr 1 Meter Höhe, sehen aus wie Zuckerhüte und werden von kleinen Mörsern herausgeschleudert, mit Druckluft, wie uns gesagt wurde. Diese Zuckerhüte bewegen sich wie Zeppeline wellenförmig durch die Luft, fallen in die Schützengräben und verrichten dort ihre unheilvolle Wirkung. Unterstützt wurde der Angriff durch Handgranaten. Die eroberten Schützengräben waren schon wieder ausgeworfen, und die Unseren halten es sich darin gemütlich gemacht. Allerdings darf man sich nicht daran stoßen, daß aus dem aufgeworfenen Wall hier und da ein Arm oder ein Bein eines Gefallenen herausguckt. — Da diese Stellung in dem Steinbruch wohl einzig in ihrer Art ist, wurde sie auch viel von höheren Offizieren besucht, die nichts eiligeres zu tun hatten, als sich ein Gewehr von den Mannschaften geben zu lassen und auf die Patrouille der Franzosen zu schießen. Sowie sich nur ein Kopf zeigt oder etwas hinter dem Strauch bewegt, knallen sofort so und so viele Gewehre los, um den Feind niederzustrecken. Trotz der unmittelbaren Nähe der verwesenden Negermassen und der hervorragenden Gliedmaßen der Gefallenen herrscht in den Schützengräben ein urgemütliches Leben und ein Humor, der Euch da draußen wohl kaum verständlich ist. Wir saßen mit den Kameraden in den Gräben bei qualmender Zigarre und unterhielten uns aufs gemütlichste, unbekümmert darum, daß der nächste Schützengraben der Franzosen nur ca. 25 Meter entfernt war, und von dem jeden Augenblick ein Sturmangriff erfolgen konnte. Ja, mögt Ihr es glauben oder nicht, wir werfen mit Steinen nach den in dem Graben wühlenden Franzosen, von deren Arbeit die herausgeworfene Erde zeugt. Hinter uns auf den eroberten Gebieten, nur ca. 50 Meter breit, war alles übersät mit Waffen, Tornistern, ftäppis, Helmen usw. Nur die Toten waren notdürftig verscharrt oder lagen noch
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unter freiem Himmel. 14 Tage liegen die Opfer des nächtlichen Angriffs schon und find in Verwesung übergegangen; auch die Schwerverwundeten, die sich nicht selbst in Sicherheit bringen konnten, blieben liegen, und noch tagelang hörte man des Nachts ihr Stöhnen.'
Als es anfing zu dunkeln, begann es zu regnen, und wir nahmen Abschied von den Kameraden dort oben auf der äußer-ften Wacht; vielleicht ruht von diesen jetzt auch schon mancher auf dem Kalkgestein des schwer umkämpften Gebiets. Beim Heimgang nahmen wir schleunigst noch drei Handgranaten mit mit denen wir reiche Fischbeute in der Aisne erhofften. In völliger Dunkelheit gelangten wir hundemüde in unserem Quartier an.
Ein Patrouillengang.
(£ines Tages wurden Freiwillige gefordert für einen Patrouillengang. 16 Mann wurden gebraucht, mehr als 50 meldeten sich, als sie erfuhren, daß ich der Führer fein würde. Eine kleine Schilderung dieser Partie will ich hinzufügen. Mit Dunkelwerden, gegen 9 Uhr, ging ich los, nachdem ich mit meinen 16 Mann die nötigen Zeichen verabredet hatte. Schon nach 400—500 Metern vor unserer Stellung wurde der scheußliche Geruch der Leichen fast unerträglich, und da lag dann auch schon die Schützenlinie Toter, dicht an dicht, alles Franzosen; bei Tag konnten wir sie sehen, mehr als 300. Sie lagen schon vier Tage dort und waren zusammengemäht bei einem Nachtangriff unserer Maschinengewehre und Schützen. Aufgedunsen waren die Leiber, schwarz schon Gesicht und Hände, ein bestialischer Gestank Änd trotzdem: Ein jeder von uns macht sich über die Tornister der Franzosen her und nimmt Konserven, Kaffee, Biskuit, was sie haben. (Man kann's brauchen, die Verpflegung bei uns findet nur nachts statt für den ganzen Tag — Mittagessen, Kaffee, alles —, weil bei 'Tag alles vom feindlichen Feuer bestrichen ist und alles unter ber Erde liegt, im Schützengraben; nichts, kein Mensch ist zu sehen, nur leere, gähnende Obe über verwüsteten Feldern.) Dann geht's weiter; hier liegt einer, dort einer, alles tot, auf der Flucht noch erschossen. — Ja, und dort liegen noch zwei Lebende, Franzosen. Sie sind verwundet, zerschossene Knie, liegen nun schon vier Tage und fünf Nächte draußen zwischen fcen Toten; leben nur von dem, was sie zu essen bei sich hatten,
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niemand kümmert sich um sie, holt sie. (Warum wir nicht? Das werde ich Dir später mal sagen, die Franzosen haben Schuld, es ist fast unglaublich.) Weiter geht's. Jetzt mutz die Stellung bald kommen, man sieht sie bei Tage durchs Glas. Auf dem Bauche kriechen wir Schritt um Schritt vor (in meinem Leben hätte ich nicht geglaubt, datz man so weit und lange kriechen kann). Es ist unsere Aufgabe, festzustellen, ob der Gegner noch da ist oder sich verschoben hat. 20 Schritt noch,
der feindliche Graben ist genau zu sehen, nichts rührt sich. Was
machen? — Mit Gewalt mutz man sich anstrengen, kalten, klaren ftopf zu behalten. Was nun? Wir wissen, der Franzose ist hinterlistig. — Weiter vor? Hat er uns erkannt, so lätzt er uns heran und mäht uns mit der Übermacht des besetzten Grabens kaputt. Ach, feige sind die Hunde doch auch; wenn sie 15 Mann sehen, schießen sie wie wahnsinnig fünf Minuten, dann sind sie stolz auf ihr Tagewerk. Also vorwärts! Ich
springe auf — und vor — der Graben ist unbesetzt. Ein Stein
(die Spannung der Nerven) fällt mir vom Herzen. Hierauf fange ich an zu überlegen: Was nun? — als einer von uns einen Draht berührt hat in der Dunkelheit. Zwei Schüsse fallen.
— Nuhe. — Ich mache das Zeichen: hinlegen, und schon blitzt der Scheinwerfer auf, — Salven von Gewehrfeuer (sie schicken immer Salven), Maschinengewehrfeuer — die Hölle rast. Die kugeln pfeifen — ein furchtbarer Skandal. Doch wie immer — alles über uns weg — Ruhe — Dunkel. Wenn man nun glaubt, die Franzosen hätten den Schneid, nachzusehen, was da war, ob sie Erfolg hatten? Nein — nichts rührt sich, dazu sind sie zu feige. — Jetzt weitz ich, was ich herausbringen sollte. — „Einzeln zurückziehen, hinten am Hügel sammeln!" ist mein Befehl. Einer nach dem andern verschwindet im Dunkeln; ich bin allein noch vorn, dann gehe auch ich zurück. Am Hügel sind alle eingetroffen. Nun geht's aufrecht zurück, wieder über die Toten. Ein: „Halt, wer da!" von einem Posten
— dann ist die Sache erledigt.
Aus dem Gefecht bei Gerbeviller.
Wieder hat man Glück und wieder auch nicht; denn jeder weitz, die französische Infanterie schietzt sehr schlecht; unsere Verluste sind durch die Bank von der Artillerie. Und das ist gut. Man kann fast sagen, durch ihre Gewandtheit und Hinterlist, mit der sie den Krieg führen (nicht offen und ehrlich wie wir), sind sie uns überlegen, auf jeden Fall sind sie es in der Ver-
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letbigung. Ihre Geschoßwirkung ist viel schlechter als unsere. Ich habe es schon sieben bis acht Mal gehabt, baß eine Granate drei Schritte vor mir in ben Boben ging, mich unb bie Leute hinwarf, bie biden Erdklumpen uns fast bebecften — unb nie-manbem hat es etwas gemacht.
Wenn man Nerven hat, resp. nicht mehr hat, gewöhnt man sich an bieses furchtbare Krachen, Pfeifen unb Surren der Geschosse; es ist nicht so arg. — Unb mieber: wer mit menschlichen Nerven bas Furchtbare ber Verwüstungen, der brennen-ben Trümmerhaufen (Dörfer kann man so etwas nicht mehr nennen) schildern wollte, würde unmögliche Dinge Ohren
prebigen, bie sich es boch nicht vorstellen können, wie es ist,
wenn sie nicht mit babei waren. Genug bavon.------------------
Nur noch kurz, wie ich verwunbet würbe.
Seit 10 Tagen hatten mir schon im Schützengraben vor
Gerbeviller südlich Luneville gelegen. (Zuerst seit bem 6. Aug. hatten wir in ChLteau-Salins, westlich Dieuze, ben Grenzschutz gehabt; oft Geplänkel.) Am 22. August, morgens 6% Uhr, waren wir nach ber Schlacht bei Mörchingen, wo wir babei waren unb bie ersten Verluste hatten, mit Hurra über die Grenze gegangen über Arracourt in [üblicher Richtung. Bei Maire, dem Übergang über den Nhein-Marne-Kanal, gab's wieder blutige Kopfe, und mir sahen die ersten Verheerungen, die die Franzosen in ihrem eigenen Lande anrichten. Die eigenen Vemohner nennen sie Barbaren. Von Maire (nebenbei bemerkt: Alle Orte, die ich nenne, existieren nicht mehr, sie sind dem Erdboden vollständig gleich) an Luneville vorbei nach Moul, sübmestlich bavon. An Lamatt vorbei nach Fran-couville, mo es mieber blutige Kopfe gab burch einen Überfall ber Franzosen. Aber mit bem Bajonett sinb sie hinausge-morfen. Weiler Morivitter bis an ben füblichen Walbranb von Noselieures. Bei bem Sturm auf bieses Dorf hat unsere Division, bie nach vormärts burchgebrannt mar, furchtbare Verluste erlitten, benn mir roaren in ben Bereich ber Sperrforts gekommen unb gleichzeitig auf ben Artillerie-Schießplatz ber Franzosen; kein Wunber, baß mir burch furchtbares Feuer überrascht mürben. Iebenfalls haben mir uns bis abenbs gehalten unb finb bann bei Dunkelheit auf Befehl zurückgegangen. In ber Nacht sind n \i lann in unsere Stellung nörblicb Gerbeviller am Walbranb gezogen unb haben bort 10 Tage gelegen und bie Aufgabe gehabt, ben Durchbruch ber Franzosen zu ver-Hinbern. Täglich haben sie es versucht, balb hier, balb bort;
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nächtlich haben sie es versucht, nirgends ist es ihnen gelungen. Und wenn sie wüßten, wie schwache Truppen (an Zahl) ihnen gegenüberstanden, welche Übermacht sie hatten (4—5fach)! Aber der Schneid fehlt ihnen, und durch kommen sie bei uns nicht.
Nun am 5. September wurde dann bei uns ein Vorstos; gemacht. Meiner Überzeugung nach war es sinnlos, weil wir an Zahl zu gering waren. Vis mittag habe ich mich noch mitgeschleppt. Am Ostrand von Gerbeoiller machten wir Halt, und ich legte mich ziemlich erschöpft hin. Links und rechts krachte es; ich achtel kaum darauf, hatte ich doch mit mir selbst genug zu tun. Auf einmal ein Schlag auf den Arm, auf den Rücken. — Was ist das? Ich spüre nichts mehr. Ach, wohl wieder so ein Klumpen. Ich drehe mich herum und strecke den Arm aus, da läuft Blut aus dem Ärmel — also doch! Nun legte ich den Tornister ab (eine Kugel war drin stecken geblieben), zog den Rock aus — und da war die Bescherung. Von meinem Verbandpäckchen machte mir ein Kamerad einen Verband drum; dann lehnte ich alle Hilfe ab. Alles trieb ich nach vorwärts, bis keiner mehr da war. Mit der gefunden Rechten habe ich dann das Nötige aus dem Tornister geholt, meinen Mantel umgehängt und den Rückzug angetreten. Dauernd wurde noch auf uns geschossen. Eine Taktik der Franzosen: auf alles mit Granaten zu schießen, was zurückgeht oder als Unterstützung nachkommt; darum, so absurd es klingt, am sichersten ist man in der vordersten Linie, solange unsere eigene Artillerie uns nicht beschießt, was leider häufig vorkommt. So kam ich gegen 1/22 Uhr auf dem Verbandplatz an. Den Arzt kannte ich persönlich. Er machte noch einen Verband, gab mir Wasser und riet mir, wenn ich könnte, gleich noch sieben Kilometer weiter nach Morainviller zu gehen, dort führe abends ein Lazarettzug nach der Heimat ab. Ich zog fort und kam auch noch mit. Bald schlief ich in den Polstern 2. Klasse (es steht uns als Offizier-Stellvertreter die 2. Klasse zu). In Zabern wachten wir auf. Komisch wirkte es, Menschen in Zivil zu sehen, Häuser zu sehen, die keine Löcher hatten. Es gab dort Kaffee, und von nun an glich unsere Fahrt einem wahren Triumphzuge. Überall die größte Aufmerksamkeit, liebevollste, reichlichste Verpflegung; schade, daß ich nicht essen konnte. Endlich, nach 26 Stunden, kamen wir hier an, im golt-gefegneten, schonen Lande. Aufs Bett freuten wir uns zwar, doch hat keiner von uns geschlafen (wir waren fünf Kameraden
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beieinander). Auf der Erde hätten wir sicher alle geschlafen. Man hat sich aber schnell daran gewöhnt.
Ein deutscher Arzt in belgischer und französischer Gefangenschaft.
- , ein aus Rostock stammender Oberarzt, der im August in Gefangenschaft geriet, gab den folgenden Bericht seiner in Legesack wohnenden Schwester.
Am. . August mittags gegen 2 Uhr bezogen unsere Schwadronen eine ftleefoppel. Unsere Patrouillen, die uns schon am Vormittag erreichen sollten, kamen erst spät unter großen Verlusten und Gefahren mit der Meldung zurück, daß wir rings von belgischer Infanterie eingeschlossen seien. Sofort wurde gesattelt, wir suchten baldmöglichst auf offenes Gelände zu kommen. Die zwei Schwadronen stellten sich zur Attacke auf. Wir stürmten geradeaus vor und wurden von furchtbarem Infanteriefeuer zurückgeschlagen. Dasselbe Feuer empfing uns bei zwei weiteren Versuchen, nach rechts und links durchzubrechen, unter den schwersten Verlusten für uns. Das Nesthäuflein sammelte sich und wurde von Leutnant X. in seitlicher Dichtung nach V. durchgeführt. Ich folgte mit meinen beiden Sanrtatsunteroffizieren; wir kamen scheinbar durch die feindlichen Reihen hindurch. Nun hielt ich es für meine Pflicht, zu helfen. Wir stiegen ab, um die nächsten Verwundeten zu versorgen. Doch das war unmöglich, denn aus einem ungefähr 100 Meter entfernten Walde schoß man mit Schnellfeuer auf uns drei durch die Binde mit dem roten Kreuz gekennzeichnete Sanitäter. Wir mußten fort und suchten in einem nahegelegenen Schloß Hilfe für die Verwundeten. Man öffnete uns, der Baron richtete auf meinen Befehl die Säle als Notlazarett ein. Wir erhielten einen Krankenwagen und fuhren gegen 9 Uhr abends auf das Schlachtfeld. In der Nacht zwischen 12 und 1 Uhr kam ich mit einigen Verwundeten zurück. Beim Betreten des Schloßhofes hielten mehrere Belgier mir ihre Jßistolen entgegen. Erft auf Zureden des Barons, der mir die Freiheit für den nächsten Tag zusicherte, was ich auch ohne weiteres nach der Genfer Konvention glauben mußte, gab ich mich, zumal jeder Widerstand nutzlos war, gefangen. Ich gab meinen Säbel ab, darauf fesselte man uns, — die Augen wurden verbunden; wir sollten sogar unsere Stiesel ausziehen. Alles Eigentum (auch die drei Pferde, Sattel, Helme usw.) wurde fortgenommen. In diesem Zustande mußten wir die
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wenigen Kilometer bis V. zurücklegen unter Schmähungen seitens der dort in der Stacht marschbereit stehenden Gegner. Man brachte uns während der Stacht noch zum Roten Kreuz, zum Wachllokal, zur Kaserne — immer achselzuckend empfangen und weitergeschoben, dann zum Transport und Verhör nach Brüssel. Aus dem Bahnhöfe in V. versuchte ein belgischer Stabsarzt sich unser anzunehmen, leider ohne Erfolg. In B. brachte uns ein Gefangenenwagen zum Wachllokal einer Kaserne. Dort wurde ich von den Soldaten durch Schmähreden und Rippenstöße belästigt. Nach halbstündigem Warten wurde ich verschiedenen Offizieren zum Verhör vorgestellt. Auf mein Betonen, ich sei Arzt — ein belgischer Arzt hatte mich ca. eine halbe Stunde geprüft und mich mit „tres bien“ zu entlassen geruht — meine Papiere, meine Uniform bewiesen es, man könne mich nicht gefangen fetzen, wurde mir entgegnet: eigentlich müsse man uns Arzte erschießen, weil wir feindlichen Verwundeten durch Morphium „hinüberhülfen". Eine solche Unverschämtheit ließ mich anfangs schweigen. Nur mit Mühe konnte ich auf die Genfer Konvention hinweisen. „Ja, wir achten diese," entgegnete man kühl, „indem wir Sie nicht erschießen, sondern gefangen halten werden." In ohnmächtiger 2But schleuderte ich ihnen eine Beleidigung entgegen — eine sofortige Fesselung war die Folge dieses Zornesausbruches. Dann wurden wir nach Be. befördert, nachmittags um 5 Uhr kamen wir dort an; tobender Pöbel, den die Zivilgarde nur mit Mühe zurückhielt, empfing uns. Überall Schreien, Spucken, Werfen und die sich immer wiederholende drohende Bewegung des Halsabschneidens. Endlich erreichten wir trotz dieser wilden Begleitung den Kasernenhof. Das Tor schloß sich, wir waren geborgen. Die Leute kamen in Baracken, ich in das Hauptgebäude. Die Tür öffnete sich, und in der Stube stand Leutnant X. vor mir. Ich war nach vier schlaflosen Nächten und all der Aufregung so erschöpft, daß ich meiner Freude über das Wiedersehen kaum noch Ausdruck geben konnte; vollkommen ermattet fiel ich auf einen Strohsack hin. X. klopfte mir auf die Schulter: „Mein lieber Doktor, nun raffen Sie sich noch einmal auf und schreiben Sie einige Zeilen an Ihre Frau." Ich meinte, es hätte wohl nicht solche Eile, doch er entgegnete: „Leider doch, denn in einer Viertelstunde werden wir erschossen." Ich fuhr empor, sprach vom Völkerrecht usw. Er wies nur auf das Fenster mit den Worten: „Überzeugen Sie sich selbst." Ich sah hinaus, die Mannschaften luden ihre Gewehre unter dem
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Befehl eines Offiziers, der Pöbel heulte vor dem Tor, die Glocken der ganzen Stadt läuteten. Da setzte ich mich hin, schrieb und legte Ring und Bildchen zu meinem Schreiben — ein Beweis, wie sehr ich an das Furchtbare glaubte, glauben mußte, als X. mir das folgende erzählte: „Um 12 Uhr bin ich hier in V. angekommen, wurde sogleich 1%, Stunden unter dem Jubel und Gespött der Bevölkerung durch die Stadt geführt. Dann kam ich in die Kaserne, aus der man mich sogleich herausholte und an die Mauer des Kasernenhofes stellte. Man ließ vor meinen Augen laden, legte auf mich und einige meiner Leute an, um dann wieder abzusetzen und mich in die Kaserne zurückzuführen. Dieser Grausamkeit wurde ich dreimal unterzogen."
Doch diesmal wurden wir verschont, nicht hinabgeführt, und nur mit einigen Beleidigungen seitens eines belgischen Hauptmanns bedacht.
Später kamen wir in das Kasernement des Sanders, das uns 14 schwere Tage beherbergte. Wir kamen hier die ganze Zeit in Einzelhaft, die durch ihre Öde geradezu furchtbar auf uns wirkte. Ich hatte ein kleines Zimmer, dessen niedriges Fenster vernagelt (keine Luftzufuhr!) und mit weitzer Farbe vertüncht war; eine Matratze mit Decke, ein Tisch und ein Holzstuhl bildeten das ganze Inventar. Unsere Stiefel waren uns abgenommen, so daß wir auf dem kalten Steinfutzboden nur auf Strümpfen gehen konnten. Man erlaubte uns vormittags und nachmittags je % Stunde auf einen kleinen Kasernenhof hinauszugehen. Leider wurde uns diese knappe Zeit von den Wachen verkürzt, da unser gemeinsamer Gang zum „Labinet" während dieser Zeit stattfinden mutzte. Hier mutzten wir Offiziere uns vor den grinsenden Wachtposten entblößen. Viele von uns waren gezwungen, die Notdurft später in ihrem Zimmer zu verrichten. Obgleich Wachen genug vorhanden waren, wurden wir auf unsere Bitte doch niemals nach Bedarf zum „Cabinet" geführt. Wir beschlossen während unseres Aufenthaltes auf dem Hofe, ein Telegramm an den König der Belgier zu richten, nachdem unser Wachtposten gesagt hatte, datz es befördert würde, — und tatsächlich soll es angekommen sein. Ein General erschien, der jedoch kaum Änderungen zu unserem Vorteil unternahm. Eines Tages kam der Staatsminister. . . und Frau, die sehr liebenswürdig waren und uns Bücher, um die wir bisher vergebens gebeten hatten, versprachen und tatsächlich übersandten.
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Nach 14 Tagen hieß es: Stiefelempfang! Wir, m vollkommener Unkenntnis der großen Ereignisse, die sich inzwischen da draußen abspielten, hofften auf einen Separatfrieden mit Belgien und auf Freilassung. Es kam anders: Ein ganz gemeiner Verbrecherwagen mit Zellen darin und von furchtbarem Gestank nahm uns einzeln auf. Wir kamen zur Bahn und nach Dünkirchen, somit waren wir französische Gefangene. Hier hieß es, zwischen der tobenden Menge, die uns stark belästigte, an einen großen Dampfer gelangen. Wir kamen zu sechsen in eine kleine Sabine, dort war eine entsetzliche Hitze, unsere Bitten, nur für einen Augenblick frische Luft schöpfen zu dürfen, wurden abgeschlagen. Seit 12 Stunden hatten wir nichts gegessen, nun erhielten wir Wasser aus Feuereimern, Brot und Büchsenfleisch.
Nach zweitägiger Fahrt durch den Kanal erreichten wir Eh.. wo uns der Pöbel mit folgenden liebevollen Worten begrüßte: des cochons! a bas! a mort! Von Eh. kamen wir in achtzehnstündiger Fahrt, während der wir den gemeinsten Schmähungen ausgesetzt waren, nach V. in der Bretagne. Der Empfang dort war mit das Furchtbarste von allem. Auf dem Bahnhofsplatz war die Menge auf Tribünen versammelt, die Fenster überfüllt, die Häuser bengalisch beleuchtet. Als wir das Bahnhofsgebäude verließen, setzte ein Lärmen, Johlen und Schreien von so ohrenbetäubender Art ein, daß wir tatsächlich im ersten Augenblick zurückschreckten. Eine starke Begleitmannschaft war der Wut des Pöbels gegenüber machtlos. Lampengläser, Flaschen, Stiefel, Drahtgeflechte hagelten auf uns herab, und als gar der Pöbel die Reihen der begleitenden Soldaten zu durchbrechen versuchte, ging es im Laufschritt Hinter die schützende Mauer des schloßartigen Gebäudes aus dem 15. Jahrhundert. Das Tor schloß sich — die brüllende Menge davor tobte weiter.
In der äußersten Ecke des Hofes stand ein großer, runder Turm, darin eine Wendeltreppe, die sich nach unten ins Endlose zu verlieren schien. Gottlob ging es jedoch nicht in die Tiefe, sondern etwa 60 Stufen aufwärts in ganz helle Räume. Hier wieder Einzelverhör, genaueste Untersuchung, dann wurden wir in drei ineinandergehenden Zimmern untergebracht. Strohsäcke waren das einzige Inventar. Wenigstens Hatten wir Hier in den Zimmern etwas Bewegungsfreiheit, mit frischer Luft war es schlecht bestellt. Nach einigen Tagen kamen wir zweimal am Tage eine halbe Stunde in den Hof, der leider der
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III. Im Westen.
Menge draußen vollständig sichtbar war, die UNS durch ihr furchtbares Geheul das Hinauskommen verekelte.
Auch hier betonte ich jedem französischen Offizier gegenüber, ich sei Arzt, ich verlange nochmalige Prüfung und Auslieferung, eventl. sei ich auch bereit, im französischen Lazarett deutsche Verwundete zu pflegen. Vergebens! Am 8. September endlich wurde ich allein hinuntergerufen, bekam ohne weiteres viele Aktenbogen in die Hand gedrückt und von einem französischen Arzt mehrere Themen gestellt, die ich bearbeiten mutzte. Das Ergebnis, nach dem ich nach einigen Tagen ganz bescheiden zu fragen mir erlaubte, war wieder: tres bien, monsieur. Sonst jedoch ohne Erfolg — ich blieb, wo ich war. Dann endlich in einer Nacht wurden wir weitertransportiert. Da das größte Schweigen darüber bewahrt war — aus Furcht vor der „Population", kamen wir zum erstenmal ohne Belästigungen zur Bahn. Wieder ging die Fahrt einem unsicheren Ziel entgegen, wir ahnten nicht, wie lange wir die harten Bänke in dem Viehwagen drücken würden. Um 3% Uhr in der Frühe des 8. September kamen wir in F. an. Bereitstehende Gefängniswagen brachten uns in den Torhof eines alten, festungsartigen Schlosses aus dem 12. Jahrhundert. Wieder wie früher die bekannte genaue Untersuchung. Jetzt im Morgengrauen ging es zwischen felsigen, mit verwittertem Vrombeergesträuch berankten Festungsmauern auf einen großen, freien Platz. Wir wurden in ein von außen ganz manierlich aussehendes Gebäude gebracht. Voran ging ein Wächter mit dem tranigen Licht einer Stallaterne, hinter uns die bekannten Schritte der Bewachung. Eine große eijerrte Tür öffnete sich, entsetzliche Lust kam uns entgegen, ein kalter, unheimlicher Raum mit Schießscharten und seitlichen Irrgängen nahm uns auf. Der Schmutz lag fußhoch. Dazu Säcke dicht nebeneinander mit feuchtem, altem Stroh, das unser Lager darstellen sollte. Sogar auf jedem Sack eine alte Decke, deren Aufheben jedesmal eine Staubwolke auslöste. In der Mitte des Raumes ein alter, furchtbar riechender Bottich. Weitere Umschau konnten wir einstweilen wegen der Dunkelheit nicht halten. Wie wir gingen, warfen wir uns auf die sogenannten Strohsäcke nieder. Das Brot wurde uns morgens in die Hand gedrückt. Der Wächter, der den Kaffee hatte, wand sich mit großer Geschicklichkeit zwischen uns durch, denn viel Raum hatten wir nicht. Ein Zimmer oder vielmehr stallartiger Unterschlupf von zehn Meter Länge und sieben Meter Breite für 30 Offiziere. Das
kleine Fenster war so dicht mit Spinnweben überzogen, daß ein Hindurchsehen unmöglich war. Erst am nächsten Tage bekamen wir für Geld Eimer, Schaufel und Besen. Der Schmutz wurde nun von uns eimerweise hinausbefördert. Wir hatten durch die lange Gefangenschaft schon ziemliche Geschicklichkeit im Reinigen, denn Leute, die uns bei dieser schmierigen Arbeit auch nur unterstützten, gab es nicht.
Allmählich war die Zahl der in F. gefangen gehaltenen Offiziere auf etwa 100 angewachsen — leider oder gottlob, was soll ich sagen, denn diese Unglücksgefährten waren ja die einzigen, die uns wenigstens ein ganz klein wenig über die Lage da draußen unterrichteten. Die schreckliche Ungewißheit über das Schicksal des Vaterlandes war mit das quälendste von allem. Wie schwer war es, so untätig dazusitzen und nicht helfen zu können. Unter den 100 Offizieren waren mit der Zeit 28 Sanitätsoffiziere und Ärzte, ein Zeichen, wie man in Belgien und Frankreich das Rote Kreuz achtet. Nun wagte ich doch leise auf Freilassung zu hoffen, denn man konnte doch alle diese Ärzte nicht untätig dort lassen. So kam auch wirklich endlich der Befehl, uns zu prüfen. Diese Prüfung wurde im Lazarett durch einen Professor aus Paris aufs schärfste ge-handhabt, hatte man uns doch vorher gesagt, es feinen unter uns 28 aktive Offiziere als Ärzte verkleidet, und gedroht, wer die Prüfung nicht bestände, sollte sofort erschossen werden. Nun, wir bestanden sie selbstverständlich alle und sollten am nächsten Tage entlassen werden. Diese Entlassung verzögerte sich noch um drei Tage. Erst am 3. Oktober, morgens 7 Uhr, zogen wir ab. Sehr, sehr schmerzlich war der Abschied von den zurückbleibenden Kameraden, die am Gitter standen und leise fangen: „In der Heimat, in der Heimat..
Nun mutz ich noch einiges Vergessene über unsere Unterbringung hinzufügen. In dem kleinen, von Schmutz starrenden Raume waren 30, im ganzen in dem Gebäude 120 Offiziere untergebracht. Vom Kellerraum bis zu dem obersten Stockwerk war kein richtiger Futzboden da, sondern nur auf Balken gelegte Bretter, so datz uns in dem unten gelegenen Stockwerk Schmutz und noch weit schlimmere Dinge auf Kops und Stroh-sack fielen. Unter dem Erdgeschoß ein 10 Meter tiefes Verließ, aus dem eine Moderluft nach oben stieg. Zugluft aus allen Ecken; Schießscharten, Tür, Fenster hatten mir mühsam mit wenigem Stroh verstopft. Die Decken wurden uns gleich zu Anfang für die Truppen weggenommen, nur für teures Geld
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111. Im Westen.
und mit vieler Mühe konnten roir aus der Stadt etwas bekommen.
Außer den von mir selbst erlebten Tatsachen mögen noch einige Erlebnisse gefangener Offiziere folgen, die ich von ihnen erfahren Hobe, und die zu veröffentlichen sie mich berechtigt haben.
In V. kam Fähnrich X. zu uns. Er war in S. zweieinhalb Tage in einer vollkommen dunklen Gefängniszelle interniert, beide Hände übers Kreuz die ganze Zeit gefesselt. Das einzige Luftloch in Größe einer Zigarrenkiste war in einer Ecke des Bodens und stand mit einer Latrine in Verbindung, deren ekelhafter Geruch statt frischer Luft dieser Zelle zugeführt wurde. Ein Strohsack nahm nachts den Gefangenen auf; ein Liegen am Tage war nicht möglich, da ununterbrochen Gruppen Neugieriger hereindrängten und den Gefangenen mit Blendlaternen wie ein wildes Tier betrachteten. Ein Unteroffizier ging in seiner Roheit sogar so weit, daß er dem Wehrlosen einen Faust-schlag ins Gesicht versetzte. Durch diese unmenschliche Tat wurde der Zorn eines gerade anwesenden Turkos derartig gereizt, daß dieser unzivilisierte Mann den Unteroffizier durch einen Schlag niederstreckte.
Ein Bild des Elends bot sich uns, als mir einmal durch das Geschrei des Pöbels an die Fenster gerufen wurden. Von Wachen umgeben, standen im Hofe vier Offiziere, d. h. an der Kleidung nicht als solche erkenntlich; denn ohne Stiefel, die Kleidung vollständig zerrissen, ohne Kopfbedeckung, elend, bleich und ausgehungert standen sie unten. Was sie durchgemacht haben, dafür möge ihr eben geschifteter Zustand sprechen. Erwähnt muß noch werden, daß nicht französische Soldaten, sondern Offiziere selbst sie so zugerichtet hatten, daß ein französischer Offizier einen Hauptmann, der einen Lungenfchuß erhalten hatte, nach dem Sitz seiner Wunde fragte und dann mit der Faust daraufschlug.
In diesem Zustande leben in Frankreich deutsche gefangene Offiziere, darunter Herren von 62 Jahren. So haben wir sie ihrem traurigen Schicksal überlassen müssen, als wir unsere 56ftündige Heimfahrt im Viehwagen, ohne Stroh, zur Schweizer Grenze antraten.
III. Im Westen.
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Vor Vailly.
Am 30. 10. stürmten wir Vailly, entrissen es den Franzosen und nahmen ca. 1200 Mann gefangen. Von vorn unser Granatfeuer, von links Infanterieschnellfeuer und von rechte Maschinengewehrfeuer schräg. Von der ganzen Brigade i|t fern Mensch entkommen. Unsere lieben Toten ruhen in kalter, fremder Erde 800 Mann, teils tot, teils verwundet. Einem schrieben wir aufs frische Grab ins schlichte Holzkreuz die Worte:
„Wenn Liebe könnte Wunder tun Und Tränen Tote wecken,
Dann würde dich gewitz nicht hier Die fremde Erde decken."
Die Kameraden seiner Batterie, die zufällig vorbeikommenden Mannschaften ohne Unterschied des Nandes oder Truppenteils, treten heran und nehmen den Helm ab zum Gebet. Ein stilles Vaterunser, eine krachende Ehrensalve über dem jungen Helden. 1 11 i
Bei den Massengräbern nach dem Sturm dasselbe Bild. Die Stimmbegabten schicken das herrliche: „Die Himmel rühmen des Ewigen Ehre" zum Herrscher der Menschheit empor, -vte Gefangenen und Verwundeten der Feinde sperren Mund und Nase auf. Dem urwüchsigen Senegalneger, dem schlangenfalschen Turko geht so viel Pietät über den Horizont, ^ei Franzose steht ernst dabei und verwundert sich über das Motto auf unseren Koppelschlössern: „Gott mit uns". Und wundert sich weiter darüber, dasz die „Barbares" auch beten und „tränen hervorbringen" können.
Das ist so ein Momentbild, wie man es täglich erlebt. Oder, wie es mir seinerzeit in Du. erging, als ich einen Verwundeten fand, den man übersehen, vergessen ober verloren hatte. Es war ein junger Belgier und der Mann einer jungen Frau aus Qu. Es geht mir gegen die Natur, das niederzuschreiben, die Ovationen, den Dank zu schildern, die mir von der ganzen Stadt dargebracht wurden. Warum? Weil sie erwartet hatten, ich würde ihn vollends töten, und als ich sechs Mann kommandierte, ihnen Anweisung über Beschaffung einer Bahre gab und den Schwerverwundeten eigenhändig mit betten half, den Weg durch die Stadt freimachen lietz und was der nebensächlichen Dinge mehr waren, die die einfachste Christenpflicht gebietet, da kannte ihre Hochachtung vor den „Deutschen" keine Grenzen. Ich biifzte 3% Stunden an Zeit ein, und als
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ich von meinem Streifzug zurückkam, da war meine Batterie fort. Zwei Tage zog ich in beständiger Gefahr, unter Franktireurs zu geraten, in der Weltgeschichte herum, überschritt in der Nacht die belgisch-französische Grenze und fand meine Batterie in der folgenden Nacht um 2 Uhr in der Nähe von L. C., ca. 30 Kilometer von der Grenze. Daß ich dabei in der ersten Nacht um ein Haar in Gefangenschaft geraten wäre, mögen Sie sich vielleicht schon von meiner Braut haben erzählen lassen. Und warum? Weil ich einem Feinde, wehrlos in meine Hand gegeben, Gerechtigkeit und Nächstenliebe angedeihen liefe. Ich handle stets eingedenk des Wortes, welches das Abkommen der Genfer Konvention schmückt: Hostes dum vulnerati fratres — Die Feinde als Verwundete sind unsere Brüder.
Die Franzosen, die Belgier und der Engländer (von dem Nüssen gar nicht zu reden) — sie alle kennen den schönen, herrlichen Satz. Sie würden ihn auch gegebenenfalls anzuwenden verstehn — aber sie wollen teils, teils dürfen sie ihn nicht anwenden. Nun frage man einen Unparteiischen, wessen Kriegführung einwandfreier ist: die der Deutschen oder die der Verbündeten. Und wenn man einen Holländer, Schweden oder Amerikaner fragt, er wird dann fraglos, sofern er vorurteilsfrei ist, dem Deutschen das Zeugnis ausstellen müssen: „verfahren gemäß ß ... der Genfer Konvention". Und das ist es, was dem Deutschen Reiche heutiger Zusammensetzung Wert und inneren Halt gibt, was es befähigt, als Kulturstaat der kommenden Generation internationaler Abstammung Humanitätsgesetze vorzuschreiben. Ich denke, das wird um so mehr notwendig sein, als beispielsweise in oben besagtem Ort die betreffende Dame mir für die Hilfe und Rettung ihres Gatten ihre volle Börse zur Verfügung stellen wollte und es nicht begriff, dafe ich weder essen noch trinken wollte, noch mir meine „Arbeit“ bezahlen liefe. Nun rechnen Sie sich aus, wie derjenige behandelt wird, der das Pech hat, verwundet in die Hände dieser Menschen zu fallen.
Ich könnte Ihnen noch mehr dergleichen berichten, was an Fabeln erinnert, mufe aber wegen Mangels an Zeit mich beeilen. Ich will nur bemerken, dafe ich einem nach der Schlacht bei St. Quentin gefangenen englischen Major, Pate (der, wie wir aus den Zeitungen ersehen haben, inzwischen aus dem Gefängnis Halle entwichen und, auf der Flucht erkannt, Selbst* mord verübte), und dreien seiner Leute von den schottischen
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Hochländern mein letztes Brot und meinen gesamten Vorrat an Zigaretten überliefe, wofür sie nicht genug Worte des Dankes fanden. Sie waren alle meist schwer verwundet. Der eine von ihnen, ein hübscher junger Student aus Cambridge, bat mich zuletzt um meine Adresse, die ich ihm willig überließ. Tage im Regen gelegen, ohne Nahrung, ohne Verband, Brust-, Bauch-und Nückenschüsse, Schüsse durch beide Oberschenkel oder Waden, hilflos wie ein Neugeborenes, taten mir die Ärmsten in der Seele leid. Es ist nicht immer angebracht, so viel Güte und Milde gegen die Feinde walten zu lassen, aber ich lasse kein anderes Gefühl in mir aufkommen und stehe mich gut dabei.
Menschlichkeit.
(Aus dem Feldpostbrief eines Offiziers.)
Gerade jetzt find in unserem Zuge, der unser Regiment zur Westgrenze bringt, die Scheußlichkeiten bekannt geworden, mit denen sich das belgische Volk an seinen friedlichen Mitbürgern deutscher Nationalität und belgische Franktireurs an unseren Truppen vergangen haben, und der Grimm, den diese Unmenschlichkeiten bei meinen Leuten auslösen, ist jedem einzelnen aus dem Gesicht zu lesen.
Da fahren wir über die Weserbrücke, und da kommt uns ein Zug mit den ersten belgischen Gefangenen entgegen. Das Zusammentreffen dieser Begegnung mit dem Bekanntwerden der belgischen Grausamkeiten ist zu jäh, als dafe bei diesem unerwarteten Anblick jeder seine plötzliche Wut hätte zügeln sönnen. So gibt denn auch einer der Braven seinem Zorn mit dem an die Feinde gerichteten Rufe Ausdruck: „Na, wartet man, euch werden wir's ebenso heimzahlen!"
Aber da liefe sich ein anderer — und ich bemerke, dafe es ein ganz einfacher Mann war — zwar noch ebenso grimmig und verächtlich, aber doch zurechtweisend, vernehmen: „Pfui, Deibel, fo tief werden wir doch nicht finken!"
Und das Schöne war, dafe diese Aufeerung des Trefflichen lauten Beifall bei allen meinen Leuten fand!
Krankenträger im Felde.
Seitdem wir uns bei unserem Truppenteil befinden, ist unsere Tätigkeit eine bestimmtere geworden. Jedenfalls könnt Ihr Euch gar kein Bild von unserer Arbeit machen. Wir werden "Oie reinen Nachtgeschöpfe. Da unsere Gruppen in festen Stel-
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hingen liegen und aus den Schützengräben Vorstöße machen, die von unserer Artillerie unterstützt werden, können wir nnr bei Nacht vorgehen, um die Verwundeten zu suchen. Das erste Mal nahmen wir die Hunde mit, doch konnten wir sie nicht freilassen, die Klingel wurde ihnen abgenommen. Es bürste kein Licht gemacht werden. Mit acht Krankenwagen, die mit Tragbahren versehen sind, ging’s in die Dunkelheit hinaus. Das rote Licht an den Wagen ließ sie als Sanitätswagen erkennen, wird aber von den Franzosen nicht respektiert, sondern auch bei Gelegenheit mit Granaten beworfen, wie wir erst gestern erfuhren. Auf einer Chaussee wird Halt gemacht, die Tragbahren werden herausgeholt und von zwei Mann getragen, zwei andere begleiten zum Abwechseln, während einer Patrouillenführer ist. Ca. 100 Mann ziehen hinaus, weit auseinandergezogen, so datz die Fühlung in der Dunkelheit und im Nebel oft verloren geht, leise Zurufe haben keinen Erfolg, und ich gehe mit einer Patrouille vor, immer die Werrich tun g, einen in weiter Ferne leuchtenden Feuerschein, innehaltend. Es geht über Stoppelfelder, das Korn ist in Hocken stehengeblieben; bann durch leichtes Gebüsch und Gehölz, vorsichtig geht man vor, alle Augenblicke stolpert man in eine Grube, die von der Granate ausgewühlt war, oder man stößt auf ein Soldatengrab, mehrere Soldaten zusammen, die Gewehre darauf zur Pyramide zusammengestellt, mit einem Helm gekrönt. Hier liegt ein Toter, es ist ein Deutscher, in der Hand noch ein Bild seiner Frau oder Braut; im Anschauen seiner Lieben ist er eingeschlafen. . . Weiter ins rätselhafte Dunkel — halt, hier liegt eine ganze Gruppe Toter, es find Franzosen, bei ihrem zerstörten Geschütz vom Tode weggemäht. Plötzlich tauchen Schützengräben aus, tiefe Gräben, in denen es sich die Soldaten auf jede Weise bequem machen, da sie oft mehrere Tage darin ausharren müssen. Über die Schützengräben hinweg gelangen wir an eine Chaussee, die das Ziel unserer nächtlichen Wanderung ist. Von dort geht es die ungefähr 4 Kilometer lange Strecke, die abgesucht ist, wieder zurück. Die aufgefundenen Verwundeten werden, wenn sie nicht gehen können, auf die Bahre gelegt und nach den Krankenwagen geschafft, Franzosen und Deutsche. Nach längerer Fahrt kommt man totmüde im Quartier an und schläft auf feinem harten Lager so schön wie im häuslichen Bette. Vor einigen Tagen zogen wir aus und holten aus dem Schlosse V. 65 verwundete Franzosen, die dort in den Kellerräumen sieben Tage ohne Verband zu-
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sammen ge pfercht sich aufgehalten hatten. Und kaum jinb mir heraus, so geht das Ungewitter los. Das Dorf V. liegt auf einer Anhöhe und ist ein heiß umstrittener Punkt vor Reims; ein Fort, das jetzt allerdings den modernen Geschützen ohnmächtig preisgegeben ist, stützt die strategische Lage. Neben dem Fort ist unsere schwere Artillerie mit Zweigen maskiert unb senbet von bort aus 21-ein-Haubitzen Schüsse in bie feinblichen Stellungen, bie ungemein schwierig zu erobern sinb unb ungeheuer viel Blut kosten. Wie schlimm es zugeht, haben mir gestern nacht erfahren. Am Tage hielten unsere Fahrzeuge, nachdem ich mit bem Kamerabett F. morgens in Begleitung ber Hunde einen Wald an ber Chaussee nach Reims abgesucht hatte, hinter bem Dorfe V. auf freiem Felbe. Einige gut gezielte Granaien platzten in unserer Nähe unb zmangen uns, in einen Hohl-meg zu flüchten; auch bort mürbe es ungemütlich, unb mir zogen uns noch meiter zurück unb markten hier meüere Befehle ab. Nachbem mir aus ber Felbküche mit gutem Essen, bas burch unseren unbänbigen Hunger gemürzt mar unb vervoll-stänbigt mürbe burch ein Stück Kommißbrot, versorgt maren, legte ich mich mit Dr. C. in einen (öetreibebiemen zum Mittagsschlaf nieder. Der mar aber nicht von langer Dauer, benn plötzlich mürben mir burch Krachen gemeckt; in nächster Nähe stiegen schmarze Rauchmolken auf, unb nun ging's Schlag auf Schlag; eine Munitionskolonne auf ber Chaussee mar bas Ziel ber französischen Artillerie, bie vorzüglich schießt. Drei Munitionsmagen gingen zum Teufel, unb nun hättest Du ben Rückzug ber verschobenen Kolonnen, Fourage, Husaren usm. sehen sollen. Merkmürbigermeife mürbe kein Mann verletzt. Der Borberreiter satz ab unb hielt sein Pferb beim Kopfe unb blieb ruhig am Platze; in bemjelben Augenblick sauste bie zmeite Granate neben ihm nieder, unb ich bachte, Rotz unb Reiter mären zu Atome zerrissen. Als aber ber Rauch verzogen mar, stand ber Mann ruhig vor seinem Pferbe, spannte es aus, schmang sich in den Sattel und sprengte querfeldein. Den Mann habe ich bemunbert; er hätte ja auch alles im Stich lassen unb Hasenpanier nehmen können. Wir zogen uns mit ben Sanitätsmagen bis in bie Nähe von B. zurück unb lagen ben ganzen Sonntag nachmittag bis 7% Uhr abenbs am Chausseegraben. Es kam Befehl, ins Fort zurückzukehren. Hier angekommen, mutzte bie Sanitätskompagnie unter Führung von Leutnant V. sofort antreten, unb mit sämtlichen Krankenmagen ging's in tiefer Dunkelheit nach C., bas in ber Ebene von
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Neims liegt. Dr. C. und ich stiegen in das bereitstehende Militär-Auto, und fort zog die ganze Expedition in möglichster Stille. Von dem Dorfe V. führt der Weg durch eine Schlucht die Anhöhe hinab; diese Schlucht war der Zielpunkt für die französischen Granaten. Links und rechts liegen die Kadaver der Pferde und Leichen der gefallenen Artilleristen. Plötzlich stockt unser Auto, der Weg ist versperrt durch einen Haufen von gefallenen Pferden. Heraus aus dem Auto. Die Mannschaften müssen die Pferde mühsam beiseite schaffen. Auf dem einen Pferde lag noch festgeklammert der tote Reiter. Erst nachdem der Sattelgurt durchschnitten war, konnten wir den Mann von seinem Pferde lösen. Lautlos mutzte alles bei dem geringen Mondlicht verrichtet werden. Der Weg war frei, aber langsam ging's nur weiter wegen der vielen Schlaglöcher, die die Haubitzen herausgewühlt hatten. Die Mauern eines zerschossenen Dorfes tauchen aus dem leicht durchleuchteten Nebel hervor, Truppen ziehen lautlos vorbei; es geht nun Über eine Brücke des Marne-fanals, schließlich an der Parkmauer eines Schlosses entlang. Jetzt biegen wir in das Dorf C. ein; aus einigen Häusern glühen noch die zusammengestürzten Tragbalken. Der Truppenverbandsplatz ist in einem Hause untergebracht, die Sanitätskolonne tritt in Tätigkeit. Mit Tragbahren ziehen sie hinaus in die Dunkelheit und kommen mit Verwundeten zurück. Da läuft die Meldung ein, daß in einem Gehöft 3 Kilometer vom Dorf seit drei Tagen Verwundete in einem Keller einer Mühle liegen. Ich erhalte von Leutnant B. den Auftrag, mit sieben Patrouillen (sieben Tragbahren) das auf einem Hügel liegende einsame Gehöft aufzusuchen. Alles hat sich meinem Befehle zu fügen. Erst geht's durch das stille Dorf, nur aus der Ferne Krachen der Haubitzen, und vereinzeltes Schützenfeuer knackt. Dann führt die Chaussee ins freie Feld. Eine wunderbare Septembernacht! Der Mond erhellt unangenehm das Gelände, ringsum glühen große Eetreidediemen, der Rauch steigt kerzengerade auf. Wir passieren die ersten Schützengräben. Jetzt pfeifen die ersten feindlichen Kugeln an uns vorbei mit dem bekannten Gesang: „schie, schie, klack, klack!" Die Mannschaft duckt sich unwillkürlich, und es bedarf meines Zuspruchs, dag es flott weitergeht. Aus dem leichten Nebel tauchen die Ruinen eines Häuferkompleres. Wir haben Glück gehabt, es ist die gesuchte Mühle, allerdings ein Trümmerhaufen. Die Verwundeten haben sich, falls sie noch leben, in die Kellerräume geschleppt. Wir entdecken einen fast ganz verschütteten Eingang
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3U ßirtcm unterirdischen Gelaß; ein schräger Gang wird durch Wegräumen _ der herabgefallenen Kalksteine, aus denen die meisten Häuser hier gebaut sind, etwas erweitert, so dah wir in den Keller kriechen können. Wir sind in einem 6 Meter langen und 3 Meter breiten Gewölbe. Aus der Dunkelheit erhellt durch meine elektrische Brustlaterne, starren uns verglaste Augen der Verwundeten an. Einige liegen im Fieber völlig apathisch da. Drei Mage hossten sie aus Hilfe und Befreiung' über ihnenJrachten die Granaten ins Gebäude, die herabstürzenden krümmer der brennenden Mühle versperrten den Ausgang aus ihrem Grabgewölbe. Sie hatten sich schon mit ihrem Schicksal abgefunden, hier unten elediglich zu verkommen. Und welche Luft herrschte dort unten! Von den leichter Verwundeten wollte jeder zuerst hinausgeschafft werden, der Selbsterhaltungstrieb zeigte sich in der brutalsten Weise. Nach Weg-raumung der größeren Steinblöcke in dem Gang zur Freiheit wurden die -tragen in den Keller geschoben, unö die Schwer-verwundeten wurden zuerst hinausgeschafft. Nach mühseliger ilrbeit waren alle wieder unter dem klaren Sternenhimmel und fort ging’s wieder, dem Dorfe zu, begleitet von den leise pfeifenden Gewehrgeschossen. Glücklich gelangten wir alle unverletzt ins Dorf, wo die Wunden der Geretteten frisch verbunden wurden. Mit dem Krankenwagen werden sie in die <rr>DOn schafft. Welche Qualen sie aber noch auf diesem Ltege erdulden müssen, kann nur der ermessen, der diese Straßen selbst gesehen hat. Für manchen ist dieser Weg der letzte geworden, auf dem er die Erdenlast von |ich geworfen-als stillen, schmerzbefreiten Mann haben sie ihn aus dem Wagen gehoben. Ein stilles Grab auf dem weltverlassenen Kirchhof von B. mehr. f
Der sterbende Grenadier.
In Maastricht — abends — im Spital Auf sauberen Betten, weiß und schmal. '
Der scheidenden Sonne verflackerndes Licht. Hier glüht im Fieber ein junges Gesicht;
Dort rinnt auf Züge, marmorweitz,
Aus verklebten Haaren der letzte Schweift. Schlachtwunde. Sind aus Belgien gekommen. Deutsche, die der Sieg vergaß,
Als die Kameraden die Hügel erklommen;
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III. Im Westen.
Holland hat gastlich sie aufgenommen.
Unter Den Fenstern rauscht die Maas.
Holländ'sche Schwestern mit weißen Hauben Huschen zwischen den Reihen umher;
Stärken leise den Hoffnungsglauben,
Neden tröstend von Wiederkehr
In die Heimat. . . „Nein, in die Front!"
Seufzer und Röcheln. . . Dort im Bette Ein Grenadier, blauäugig, blond.
„Wenn er's nur überstanden hätte!“
Leise flüstert's die Schwester der andern.
Seine Augen stieren, die Träume wandern.
Die Finger fahren auf und ab Der Decke roten Streifen,
Als wollten sie fangen, fassen, greifen,
Als wollten sie schaufeln ein Grab.
Was spricht er? .. . Er zieht die Lippe kraus. Sucht er die Heimat, das Elternhaus?
Die Schwester hebt ihn. Sein Atem fliegt;
Sein Auge bohrt sich in ihren Blick,
Aus seinen Zügen lächelt ein Glück:
„Weißt du's schon, Mutter, wir haben gesiegt!“
„Ich weife.“ Sie netzt seine Lippen mit Wein.
„Ihr habt eure Sache brav gemacht."
„Ich trug meinen Leutnant aus der Schlacht —
Ich allein.
Er war verwundet. Der Donner, der Rauch — Mutter, das kann die Kühnsten verwirr'n!
Er hatte den Splitter hier vorn in der Stirn. Verwundet war er . . . Mutter, ich auch.“
„Ihr werdet gesund. Kommt, gebt mir die Hand!" Die Schwester faßt den Fiebernden fest,
An die junge Brust seinen Kopf gepreßt.
„Mutter, wo ist mein Leutenant ?*
Die Schwester weiß es: sie darf es nicht sagen.
An feuerspeienden Höhen vorbei
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Hat er einen — Toten geschleppt und getragen Über Stoppeln und Äcker. Da traf ihn das Blei.
„Mutter, mein Leutnant.. .?“
„Er ist geborgen.“
„Werd' ich ihn wiedersehn?“
„Sicherlich, morgen.“
Tiefe Stille im dunkelnden Saal.
Nur der Schwestern weifte Hauben Flattern vorüber, wie schwebende Tauben.
Da — da schreit er mit einem Mal.
Während die knochige, zitternde Hand Grüßend fährt an den blut’gen Verband,
Da schon der Tod übers Herz ihm strich:
„Herr Leutnant... Herr Leutnant — ich melde mich!“.. .
Rudolf Presber.
Eine Nacht im Generalkommando.
Der heifte Kampftag neigte sich dem Ende zu. Die Nacht bricht herein. Die Schluftmeldungen der Division lassen erkennen. daft der Feind in vollem Abzüge ist; das in der Ferne verklingende Arlilleriefeuer, dem Auge durch das Feuerwerk der platzenden Schrapnells erkennbar, beweist, daft die zur Verfolgung angesetzten Abteilungen ihre Pflicht tun. Die Masse des Korps geht zur Nuhe über. Für das Generalkommando, das tagsüber in seiner Gefechtsstellung an der Strafte von 3E. nach P. an einem übersichtlichen Punkt gestanden hatte, ist es Zeit, sich ein geeignetes Unterkommen für die Ruhe, aber auch vor allem für die Arbeit der Nacht zu suchen. Ein rückwärts liegendes Dorf ist dafür in Aussicht genommen, die quartier-machenden Offiziere sind bereits dorthin entsandt. „Die Pferde-[laffcl kann nach St. S. abrücken,“ ruft der den inneren Dienst des Stabes leitende 1. Adjutant. „Aufsitzen!“ befiehlt der Kommandeur der Stabswache, und unsere Slreitrosse verschwinden im hereinbrechenden Dunkel. Kurz darauf verkündet der mächtige Lichtschein der Scheinwerfer (den meist nur der vorderste Wagen führen darf) das Nahen der Kraftwagenftaffel. Schmutzig,
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III. Im Westen.
verstaubt sind sie wohl, unsere braoen Wagen mit dem kriegerischen Drahtschutz und Karabinern, aber stets jahrbereit unö stets Dort, wo man sie braucht. Ihr Führer, Milglied des Freiwilligen Automobilkorps, hält vorttefsUche Disziplin unter dem leichten Völkchen der Chauffeure, die zum Teil mit der Mobilmachung erst des Kaisers Nock angezogen haben. (Er hat eine seine Spurnase für alle Benzinquellen, mag sie der Feind noch so gut versteckt haben, er hält mit eiserner Faust die Tankwagen sest, bie uns das Benzin nachführen, und die uns oft andere betriebsstoffhungrige Verbände zu entreißen suchen.
Nasch ist alles in den Wagen verstaut, fauchend fetzt sich ber graue „Generalstabswagen" an bie Spitze, ihm folgt bie Limousine bes Kommandierenden Generals, dann der „Abju-tantenwagen“, dahinter die übrigen. Bald beleuchten die Scheinwerfer das — wie leider fest steht — von den Einwohnern verlassene Dorf. Das Hupensignal des
kommandierenden Generals
(das „Teufelsmotiv" aus „Carmen" in Moll) ertönt unb ruft bie Quartiermacher auf bie Strafte. „Das Generalkommando liegt hier in biefen Gehöften, links ber Generalftab, rechts die Adjutanten, die übrigen Formationen in jener Ferme. Für Erzellenz und den Herrn Chef find Betten vorhanden, die übrigen Herren fchlafen auf Stroh in dem großen Zimmer in der Ferme, wo in einer halben Stunde gegessen werden soll. Ich bitte, die Konserven dorthin abzugeben, Stroh für tue Nacht finden bie Burschen bort und dort. Autostaffel bleibt hier im Hof." Nach dieser kurzen, aber inhaltsreichen Instruktion des 1. Quartiermachers verschwindet alles im Dunkel unö jucht sich mit Hilfe der Taschenlaternen sein Unterkommen. Die erste Sorge gift den Geschäftszimmern. Die zwei Haupterfordernisse für deren Inbetriebnahme machen in der Regel die grÖRte Sorge: ein großer Tisch zum Schreiben und Kartenausbreiten und dessen „Erleuchtung“. Aber wir haben diesmal Glück, ber geflohene Fermier besitzt einen großen Eichentisch, unb aus bet guten Stube werben zwei hohe Lampen mit Qnyrfuh herbei-geschafft, entschleiert (b. h. ihnen ihre rosa Schirme abgenommen) unb bcimit aus Zeugen trauter Ftiedensstunden zu „Kriegs-Instrumenten“ umgewanbett. Der Generalstab sofsizier. j)et ben Nachrichtendienst bearbeitet, entnimmt bie „Lagenfartcn“ ihren Schutzhüllen, ber jüngste Generalftabsoffizier notiert bie letzten eingegangenen Melbungen unb registriert sie im Kriegstage*
III. Im Westen.
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buch, ein dritter bereitet sich nach kurzer Orientierung bereits wieder zur Fahrt nach dem Armee-Oberkommando vor, um dort neue Befehle zu holen, und verschwendet mit dem Nuf: a,5\inders, hebt mir aber was zu essen aus!" im Dunkel der Nacht. Dann ersterben alle bis dahin durcheinanderwogenden Stimmen zu einem leisen Flüsterton, denn am Tisch haben die beiden Herren Platz genommen, die die eigentliche Triebfeder des kunstreichen Uhrwerks darstellen, das unser Armeekorps in Bewegung setzt: der Chef des Stabes und der 1. General-stabsossizier. Sie beraten, was aus Grund der durch den Ausgang des Tages geschossenen Lage für den nächsten wohl anzuordnen sein wird, je nachdem, welche neuen Aufgaben dem Korps noch von oben her zugewiesen werden können. „93 or-ausdenken," das ist ja die größte Kunst unseres Handwerks, die natürlich niemals in „Vorausdisponieren" in noch ungeklärte Verhältnisse hinein ausarten darf. Die Stille wird unterbrochen durch schwere Schritte: in der Tür erscheint der treue, unzertrennliche Gefährte des Generalkommandos, die
Fernfprechabteilung.
Sie ist — zusammen mit unseren braven Fliegern — diejenige der bisher noch nicht kriegserprobten Errungenschaften unserer modernen Technik, die unsere Erwartungen wohl am meisten übertroffen hat. Sie ist überall zur Stelle, ob im feindlichen Feuer, ob auf den gewaltigen Auguftmärfchen, immer gelang es ihr, rechtzeitig ihre Verbindungen herzustellen. So erscheinen unter Führung eines erprobten Hauptmanns der Reserve auch jetzt wieder in der Tür die uns wohlbekannten gelben Schaltkästen; flink sind die Drähte durch das Fenster gezogen, und fünf Minuten später können wir nach allen notwendigen Stellen von unserem Arbeistifche aus telephonieren, so sicher, so verständlich und bequem wie in L von unserem Geschäftszimmer aus.
„Das Essen ist fertig.“ Diese Meldung erinnert uns daran, daß wir aujzer einem Stück Schokolade, Kommißbrot und etwas Landfchinken heute noch nichts im Magen gehabt haben. Auf dem Gefindetifch der Ferme flehen die Zinnteller, die das Generalkommando mit ins Feld genommen hat, einige Flaschen roten Landweins, einige vorgefundene fragwürdige Bestecke, die die meisten lieber durch die von Muttern mitgegebenen zusammenlegbare Eßbestecke ersetzen, und schon trägt der Koch einen großen Kessel herein, in dem Kartoffeln und Gulasch
15*
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III. Im Westen.
friedlich beieinanderwohnen. Es schmeckt vorzüglich, Hunger ist der beste Hoch. Unser trefflicher Intendant, der eben von seiner täglichen Fahrt zu Den rückwärtigen Berpslegungstolonnen zu. rücffehrt, bringt uns als besondere Delikatere noch fri|che» Brot mit, eben von einer Feldbäckereikolonne ausgegeben. Dann eine Zigarre als Magenschlutz, belgisches Fabrikat leider, da die deutschen schon lange in Rauch aufgegangen sind, aber was will man schließlich mehr! Ls i|i etwas schönes um die Kameradschaft im Felde. Jeder wacht mit Argusaugen darüber, daß — der andere genug zu eisen bekommt, und besonders Seine Exzellenz ist unermüdlich darin, jeden oeispätct Ankommenden selbst zu versorgen, damit er auch ja noch satt wird. Der „Roch“ (sonst Hotelier in Plauen i. V., jetzt Reservemann) eilt geschäftig hin und her in einem tadellosen weihen — Damennachthemd mit Spitzen, das er anstelle des stark verbrauchten eigenen auf der letzten Ferme mitgehen hiesz. Die fteisgeplätteie Spitzenhalsfrauje gibt einen eindrucksvollen Kontrast zu dem seit Wochen nicht rasierten Kriegerkinn. Wer nichts mehr zu tun und fertig gegessen hat, wühlt sich schleunigst in sein Stroh ein, wer weih, wie lange man schlafen kann. Es ist erstaunlich, in welcher Lage und bei welchem Lärm man schlafen lernt. Selbst das Schnarchen eines unserer Herren, das. in lebendige Kraft umgesetzt, nachweislich die brisante Wirkung unserer schweren Artillerie übertreffen würbe, stört niemanden mehr. Auch nicht das fortgesetzte Kommen und (Sehen; schon melden sich die Vefehlsempfänger der unterstellten Truppen und Behörden; abgekommene Abteilungen oder Wagenkolonnen fragen nach ihrem Truppenteil, Meldungen al er Art gehen ein, bie Pflege ber Verwundeten erforbert besonbere Maßnahmen, kurzum, Ruhe tritt in bem sonst so stillen Gehöft in biefer Nacht nicht ein. Der befehlholende Generalstabsoffizier, ber gerabe. als Gott Morpheus ganz Gewalt über uns gewonnen hat, eintrifft, bringt faft alles wieder auf bie Beine, benn er bringt ja ben „Befehl“, unb meist nicht nur bieferx, fonbern noch eine ganze Masse anberer Shreiben mit, bie, ba ber Tag feine Zeit bazu läfot, in bcr Nackt erlebigt werben müssen, ^m (Ecneralftabszimmer sitzt tvieber bcr Chef mit feinem getreuen Gehilfen. Gott fei Dank, bie Weisungen von oben beden sich mit bem, was vorbereitet war, faft wörtlich. Nun wirb ber Entwurf bes Befehls Seiner Erzellenz vorgetragen, ber bie tägliche Störung feiner Nahtruhe mit stets gleichbleibenber Ruhe, Liebenswürbigkeit unb Elastizität er*
III. Im Westen.
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trägt. Die Herren kommen aus dem Zimmer Seiner Erzellenz zurück. Durchschreibebücher liegen bereit, die Befehlshaber haben ihre gespitzten Bleistifte gezückt, und eine Viertelstunde später geht der Wille des Storps hinaus zu den Truppen, die schon vorher durch unsere treue Drahtstrippe ihre sogenannten „Vor-befehle“ erhalten haben.
Die Tür zum Nebenzimmer öffnet sich, in einem kleinen Nebenraum, sonst wohl Speisekammer, haben beim Schein einer trüben Kerze die Herren eine kurze, aber inhaltsschwere Beratung abgehalten, denen die wichtige Sorge für den Nachschub unserer Truppen
obliegt, die wie mit Geisterhand weit über das Land die zahllosen Kolonnen leitet, die täglich das Drittel hunderttausend Menschen mit Lebensmitteln, Munition und allen sonstigen notwendigen Lebensbedürfnissen versorgen, die Verwundeten und Gefangenen abtransportieren, die ankommenden Ergänzungen nachführen. Der Offizier des Generalftabes, der das Zusammenwirken dieses weitverzweigten Organismus leitet, tritt zum Chef und erstattet feinen Vortrag: „Herr Oberstleutnant, mit der Munition stehen wir gut usw.", und bann eilen auf demselben Wege wie ber Befehl, bie von ihm vorgetragenen „Besonderen Anorbnungen für ben Munitionserfatz usw." an alle Dienststellen, tvährenb bie Kommandeure ber Munitions-folonncn und Trains, die mit an der Beratung in der Speisekammer teilgenommen hatten, sich auf ihr Stroh legen, für furze Stunden, ehe sie mit Pferd und Kraftwagen wieder zu ihren Kolonnen eilen. Der ©eneralftabsoffizier für die rückwärtigen Verbindungen will eben auch auf fein (Strohlager sinken, aber ach. schon erscheint der Telephonist in der Tür: „Herr Hauptmann werden am Apparat gewünscht von der 8. Munitionskolonne." Er ist wohl der einzige, ber unsere treue Strippe ab unb zu mit gemischten Gefühlen betrachtet, denn sie fesselt ihn unbarmherzig Tag unb Nacht. Viele wollen von ihm etwas haben, Munition, Liebesgaben, Glyzerin, Stachelbraht usw. in buntem Wechsel, alle wollen sie von ihm Auskunft erhalten, bie Kolonnen, bie in bunfler Nacht noch kein Befehl ereilt hat, unb bie nun in höchster Not ihren höchsten Helfer anrufen. Mit stets gleicher Nuhe gibt er ihnen Auskunft, unb kein Fragesteller geht ungetröftet von bannen.
Unterbessen, bie Uhr zeigt nunmehr stark nach Mitternacht, ber Chef hat eben feinen Klemmer ins Etui versenkt unb will
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III. Im Westen.
sein Vauernbett besteigen, erscheinen in der Tür die beiden Adjutanten und bitten um Vortrag. Beide haben seit unserem „Diner" fleißig gearbeitet, Ersatz von Offizieren und Mannschaften, an Pferden, Material, Listensührung über Gefallene, Verwundete, polizeiliche Maßnahmen und viele andere wollte erledigt sein, zum großen Teil Arbeit wie in Friedenszeiten, nur hier im Krieg doppelt wichtig und doppelt folgenschwer. Die Uhr zeigt auf 1 Uhr, als auch dieses erledigt ist. Da brummt draußen das
5 1 i e g e r a u t o.
Noch mit Rappe und Joppe kommen sie, die beiden jungen Fliegerleutnants, um die wir schon in Sorge schwebten, weil sie abends nicht zurückgekehrt waren. In straffer, militärischer Haltung, aber mit leuchtenden Augen statten sie ihre Meldung ab. Sie sind weit hinter die feindlichen Stellungen geflogen, bringen — wie immer — vorzügliche Meldungen, haben Bomben geworfen, find dabei in starkes feindliches Artilleriefeuer gekommen, haben sieben Treffer im Apparat, von denen einer sie dann auf dem Rückweg zu einer Notlandung außerhalb ihres Flughafens gezwungen hat. Daher die Verspätung. „Bis morgen ist der Apparat aber wieder flugbereit,“ ergänzt der eifrige Führer der Abteilung, der feine Iungens immer begleitet, die Meldung. Die wichtige Fliegermeldung macht noch einige Zusätze zu den Anordnungen für den kommenden Tag notwendig, auch das Armee-Oberkommando muß benachrich-richtigt werden, eifrig arbeitet das Telephon. Endlich ist auch das erledigt, mit einem befriedigten: „Na, das war ja ein ganz runder Tag" entläßt der Chef feine Herren.
Ich habe heute Nachtdienst und trete noch einmal unter die Tür unseres nun ziemlich stillen Hauses. Zwei Hackenpaare schlagen militärisch aneinander: die Posten von unserer getreuen Leibwache, der Radfahrerkompagnie Jäger-Bataillon Nr. .., die uns feit einigen Tagen begleitet und behütet und sich dabei von den Strapazen der heißen Woche, während deren sie der Kavallerie-Division zugeteilt war, erholt. Über mir sternenklare Nacht, tiefe Stille um mich her, nur auf der Dorfstraße erinnert dumpfes Wagengerassel der zwischen Etappe und Truppe „pendelnden" Kolonnen, daß auch diese stille Nacht dem Krieg dienstbar ist. Aber der Sternenhimmel ist zu schön, er verdrängt auf Minuten alles, was Krieg und Kriegsgetümmel heißt, aus den Gedanken und läßt sie heimwärts
III. Im Westen.
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eilen, wo das strahlende Firmament in gleicher Schönheit sich über dem friedlichen Dach wölbt, das Weib und ftind, Eltern und Geschwister umhegt. „Lieb Vaterland, magst ruhig sein !# Gott sei Dank, dah viele hundert Kilometer mich von ihnen trennen, daft mir den furchtbaren Krieg in Feindesland hineinführen durften. Ich trete zurück und suche die Strohschütte im ©encralftabszimmcr auf. Unter dem monotonen: „n wie Na-than, i wie Isidor, 3 wie Zacharias" der nimmermüden Telephonisten. die während der ruhigen Nachtstunden die nicht auf die Operationen bezüglichen Telephongespräche (3. B. Anfragen der Angehörigen nach Verwundeten) durchgehen, senkt sich rasch der Schlaf auf meine Augenlider, bis der erwachende Tag neue Arbeit, neue Pflichten und — will's Gott — neue Siege bringt.
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IV. Wir in Hamburg während der KriegSzeit.
IV. N)ir in Hamburg während der Ariegszeit.
Aus einer Kriegspredigt (gehalten am 5. August 1914, Kriegs-Bettag) von D. Hunzinger, Hauptpastor zu St. Michaelis.
Mitten in diesen Schicksalsstunden und ihrer Erreaung wächst vor unseren Augen eine Gestalt unter uns zur Niesen-grötze empor, zur Reckengestalt hoch und hehr wie der Bismarck dort draußen über dem Hafen, heldenhaft wie Barbarossa: der Kaiser. Wieviel wir alle gelitten haben, niemand von uns kann die seelischen ftcimpfe und Leiden ermessen, die das kaiserliche Herz in diesen Tagen ertrug. Und wie ertrug — wie ist^cr grofo und grösser geworden als das drohende und dann hereinbrechende Schicksal! Wie ist er über uns alle, über sich selbst hinausgewachsen. Wie steht er jetzt unter uns da als der Gröhte von allen, als der beste Deutsche, der stärkste Mann der SJlation, der gottbegnadete Führer und Herzog der Deutschen. Reinen Augenblick hat ihn seine Mannhaftigkeit. Festigkeit, Nuhe, Entschlossenheit, seine Vornehmheit, Offenheit, Schlichihcit, seine Würde, sein Adel, seine Majestät verlassen. Wenn wir längst unsern Kaiser zu kennen vermeinten, jetzt haben wir ihn ganz kennen gelernt, seine (Seelengröße und seinen edlen Sinn. Unb was für Worte hat er zu seinem Volk geredet, zum Herzen seines Volkes. Wie jauchzen sie ihm alle zu! Aber laizt uns ja nicht heute vergessen, zu fragen, was es ist, das ihm in übermenschlich schweren Stunden solche weltgeschichtliche Straft und Grosze verlieh! Seine eigenen Worte im Viiszlagsausrus an sein Volk mögen die Antwort geben: „Wie ich von Jugend auf gelernt habe, auf Gott den Herrn meine Zuversicht zu setzen, so empfinde ich in diesen ernsten Tagen das 'Bedürfnis, vor ihm mich zu beugen und feine Barmherzigkeit anzuru;en. Das grofoe Bismarckwort: „Wir Deutsche fürchten Gott, fon,t nichts in der Welt,- das mir so oft und gern im Munde fuhr-
IV. Wir in Hamburg während der Kriegszeit.
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len, der Kaiser hat es in seiner Person zur Tat und Wahrheit werden lassen. Was ihn jetzt stark und groß macht, das ist fürwahr sein evangelischer Glaube. Er hat das festgehalten, fest mit seinen Händen umklammert, was so vielen Gliedern seines Volkes aus den Händen zu entgleiten drohte, ja schon entglitten war: bcn Glauben, (rein Glaube macht ihn jetzt in ber Stunde der Gefahr zum Helden.
Der Kaiser hat auch von vornherein die Lage in ihrer ganzen Tiefe erfaßt. Er ist durchdrungen davon, dah es sich in diesem Kampfe nicht nur um eine physische Kraftprobe, um politische Vorteile ober wirtschaftliche Werte handelt, sondern daß Deutschlands heiligste Güter unb innerlichsten Werlc bc-broht sind. Der Kaiser durchschaut mit seinem durch sittlichen Ernst und religiöse Energie gestärkten Auge den geistigen, idealen, religiös-sittlichen Grundcharakter des Krieges. Sein ganzes Auftreten, alle seine Worte atmen die Sehnsucht seines großen Herzens, dah der Kampf die rechte Weihe empfange, die Glaubensweihe, die Eottcsweihe, die Gebetsweihe; dah der rechte Geist aus der Höhe über die Kämpfer komme, dah ja ber glänzenden äuheren Mobilmachung das innerliche, innerlichste Gerüstetsein nicht fehle. Der Kaiser lebt jetzt ganz und gar in der Wirklichkeit des Wortes: So jemand auch kämpfet, wirb er boch nicht gekrönt, er kämpfe benn recht. Geweihte Kraft, geheiligte Macht muh es fein, bie ben frevelhaften Angriff unserer Feinde zurückweist. Alles kommt aus den Geist an, in dem wir kämpfen.
D, bah nur alle biefe heilige Überzeugung burchbringen möchte.
Alle Fasern unserer Nerven unb alle Regungen unserer Seele brängen jetzt zum Siege. Ein Gebaute, ein Wille hat jetzt im ganzen deutschen Volke alle anberen Gebanken unb Willen impulsiv auf Wochen unb Monate verbrängt: Sieg, Sieg! Wir wollen, wir müssen siegen. Unb boch bürfen wir in biefer heihen Begierbe bes Sieges nicht vergessen, bah ber Sieg, ber uns winkt, mehr sein muh als ein äuherer Triumph ber Waffengewalt — unb wäre es auch ein noch nie da-gewesener. Wie unser mit allen Kräften physischer Vernichtung geführter Kampf zugleich ein Geifteskampf sein muh, so muh der Sieg, bem mir zubrängen, ein Geistessieg im höchsten Sinne des Wortes sein — nicht bloh ein Zerschmettern bes Feinbes. Auch von Siegen heiht es: an ihren Früchten sollt ihr sie erkennen. Am meisten aber von beutschen Siegen.
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IV. Wir in Hamburg während der Kriegszeit.
Gegen die
Verleumdungen von Feindesseite
wendet sich die folgende öffentliche Kundgebung. Sie ist unterzeichnet von mehr als 90 bekannten deutschen Dichtern, Künstlern und Gelehrten. Unter diesen finden wir auch folgende Namen: Prof. Justus Brinkmann, Museumsdirektor (Hamburg), Richard Dehmel (Hamburg), MarimUian Lenz, Professor der Geschichte (Hamburg).
Es ist nicht wahr I A n d i e Kulturwelt!
Wir als Vertreter deutscher Wissenschaft und Kunst erheben vor der gesamten Kulturwelt Protest gegen die Lügen und Verleumdungen, mit denen unsere Feinde Deutschlands reine Sache in dem ihm ausgezwungenen schweren Daseinskämpfe zu beschmutzen trachten. Der eherne Mund der Ereignisse hat die Ausstreuung erdichteter deutscher Niederlagen widerlegt. Um so eifriger arbeitet man jetzt mit Entstellungen und Verdächtigungen. Gegen sie erheben wir laut unsere Stimme. Sie soll die Verkünderin der Wahrheit sein.
Es ist nicht wahr, daß Deutschland diesen Krieg verschuldet hat. Weder das Volk hat ihn gewollt, noch die Negierung, noch der Kaiser. Von deutscher Seite ist das äußerste geschehen, ihn abzuwenden. Dafür liegen der Welt die urkundlichen Beweise vor. Oft genug hat Wilhelm II. in den sechsundzwanzig Jahren seiner Negierung sich als Schirmherr des Weltfriedens erwiesen; oft genug haben selbst unsere Gegner dies anerkannt. Ja, dieser nämliche Kaiser, den sie jetzt einen Attila zu nennen wagen, ist jahrzehntelang wegen seiner unerschütterlichen Friedensliebe von ihnen verspottet worden. Erst als eine schon lange an den Grenzen lauernde Übermacht von drei Seiten über unser Volk herfiel, hat es sich erhoben wie ein Mann.
Es ist nicht wahr, datz wir freventlich die Neutralität Belgiens verletzt haben. Nachweislich waren Frankreich und England zu ihrer Verletzung entschlossen. Nachweislich war Belgien damit einverstanden. Selbstvernichtung märe es gewesen, ihnen nicht zuvorzukommen.
Es ist nicht wahr, datz eines einzigen belgischen Bürgers Leben und Eigentum von unseren Soldaten angetastet worden ist, ohne daß die bitterste Notwehr es gebot. Denn wieder
IV. Wir in Hamburg während der Kriegszelt. 235
und immer wieder, allen Mahnungen zum Trotz, hat die Bevölkerung sie aus dem Hinterhalt beschossen, Verwundete verstümmelt, Ärzte bei der Ausübung ihres Sammlerwertes ermordet. Man kann nicht niederträchtiger fälschen, als wenn man die Verbrechen dieser Meuchelmörder verschweigt, um die gerechte Strafe, die sie erlitten haben, den Deutschen zum Verbrechen zu machen.
Es ist nicht wahr, daß unsere Truppen brutal gegen Löwen gewütet haben. An einer rasenden Einwohnersaiaft, die sie im Quartier heimtückisch überfiel, haben sie durch Beschießung eines Teiles der Stadt schweren Herzens Vergeltung üben müssen. Der größte Teil von Löwen ist erhalten geblieben. Das berühmte Rathaus steht gänzlich unversehrt. Mit Selbstaufopferung haben unsere Soldaten es vor den Flammen bewahrt. — Sollten in diesem furchtbaren Kriege Kunstwerke zerstört worden sein oder noch zerstört werden, so würde jeder Deutsche es beklagen. Aber so wenig wir uns in der Liebe zur Kunst von irgend jemand übertreffen lassen, so entschieden lehnen wir es ab, die Erhaltung eines Kunstwerkes mit einer deutschen Niederlage zu erkaufen.
Es ist nicht wahr, daß unsere Kriegführung die Gesetze des Völkerrechts mißachtet. Sie kennt keine zuchtlose Grausamkeit. 2m Osten aber tränkt das Blut der von russischen Horden hingeschlachteten Frauen und Kinder die Erde, und im Westen zerreißen Dumdum-Geschosse unseren Kriegern die Brust. Sich als Verteidiger europäischer Zivilisation zu gebärden, haben die am wenigsten Recht, die sich mit Russen und Serben verbünden und der Welt das schmachvolle Schauspiel bieten, Mongolen und Neger auf die weiße Nasse zu Hetzen.
Es ist nicht wahr, daß der Kampf gegen unseren sogenannten Militarismus fein Kampf gegen unsere Kultur ist, wie unsere Feinde heuchlerisch vorgeben. Ohne den deutschen Militarismus wäre die deutsche Kultur längst vom Erdboden getilgt. Zu ihrem Schutze ist er aus ihr hervorgegangen in einem Lande, das jahrhundertelang von Raubzügen heimgesucht wurde, wie kein zweites. Deutsches Heer und deutsches Volk sind eins. Dieses Bewußtsein verbrüdert heute 70 Millionen Deutsche ohne Unterschied der Bildung, des Standes und der Partei.
Wir können die vergifteten Waffen der Lüge unseren Feinden nicht entwinden. Wir können nur in alle Welt hin-ausrufen, daß sie falsches Zeugnis ablegen wider uns. Euch,
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IV. Wir in Hamburg während der KriegSzeit.
die Ihr uns kennt, die Ihr bisher gemeinsam mit uns den
höchsten Besitz der Menschheit gehütet habt, Euch rufen wir zu:
Glaubt uns! Glaubt, dah wir diesen Kampf zu Ende führen werden als ein Kulturvolk, dem das Vermächtnis eines Goethe, eines Beethoven, eines Kant ebenso heilig ist wie sein Herd und seine Scholle.
Dafür stehen wir Euch ein mit unserem Namen und mit unserer Ehre!
Führer.
An den Grenzen in Westen und Osten,
An beiden Meeren, entlang den Strand,
Erdharte Wolken lagern, Land überm Land,
Himmlische Mannschaft steht in Lüften auf Posten.
Luther, der Landsknecht Gottes, mit reisiger Bibel bewehrt, Vach, vorbetend preisende Orgelgesänge,
Kant, gewappnet mit Pslicht, gewafsnet mit Strenge, Schiller, die mächtige Rede schwingend als malmendes Schwert.
Beethoven, von kämpfenden Erzmufiken umdröhnt,
Goethe, kaiserlich ragend, von Tagewerksonne gekrönt, Bismarck, grotzhäuptig, geharnischt, pallaschbereit,
Des ewigen Bundes Kanzler in Ewigkeit, —
Seht sie gedrängt verdämmern in Ferneschein,
Dürer und Arndt und Hebbel, Peter Bischer und Kleist
und Stein.
Rings über Deutschland flehn sie auf hoher Macht, Generalstab der Geister, mitwaltend über der Schlacht.
Ernst Lissauer.
Das Gefangenenlager Belle Jsle en Mer.
Die dritte Versammlung Angehöriger von Kriegsgefangenen, welche ber Ausschuß für beutsche Kriegsgefangene bes Hamburgischen Lanbesvereins vom Noten Kreuz veranstaltet hat, behanbelte bas Lager Belle Jsle en Mer.
Auf Grunb bes Materials eines aus biefem Lager zurückgekehrten Hamburger Arztes können über biefes Lager genaue Angaben gemacht werben. Belle Jsle en Mer ist eine ber Bretagne vorgelagerte Insel mit verhältnismäßig milbem Klima. Auf ber Insel sinb nur Militärgefangene untergebracht,
IV. Wir in Hamburg während der Kriegszeit.
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von denen ein großer Teil Verwundete sind. Für deren Ausnahme bestehen drei Hospitäler: das französische Militärhospita! dar ftasernement Villaumez und das Hospital Rouzie. Als die ersten Verwundeten (ca. 200) am 13. September eintrafen, wurden sie in dem schnell hergerichteten alten Kasernement Villaumez untergebracht. Die Unterkunft und Verpflegung ließen anfangs sehr zu wünschen übrig. Zum Beispiel besamen nur die Schwerverwnndeten Betten, während die anderen auf Stroh liegen mutzten. Erfreulicherweise Hetzen die französischen Ärzte ihre deutschen Kollegen ganz selbständig arbeiten. Verwundete, bei denen grötzere Operationen erforderlich waren, kamen ins Militärhospital, wo sie sich allerdings sehr über die Nachlässigkeit der französischen Ärzte und die Unliebenswürdigkeit der französischen Schwestern zu beklagen hatten. Außerdem wur.de das Hospital Nouzic in einem grotzen Lagerhause eingerichtet und ausschließlich mit deutschen Verwundeten belegt. Die Einrichtung dort war leidlich; jeder Kranke hatte sein Bett mit Strohsack. Matratze und zwei Decken mit Leinenbezug. Auch das Essen war gut. Ein zum Hospital gehöriger großer Garten bedeutete für die Rekonvaleszenten eine große Annehmlichkeit.
Die unverwundeten und geheilten Gefangenen sind auf der Festung der Insel interniert: zum Teil in den Kasernements der Zitadelle, zum Teil in einer Sardinenfabrik, und ca. 1000 in einem Feldlager. Letztere sind naturgemäß sehr den Unbilden der Witterung ausgesetzt; auch müssen sich 4—5 Mann mit einer Decke begnügen. Zum Teil werden die Gefangenen mit Wegebau beschäftigt und müssen zu dem Zweck Steine auf den Feldern sammeln. Bis Anfang Dezember find von Belle Isle en Mer drei Transporte von je 300 Mann nach Marokko befördert; hierfür wurden nur gesunde Mannschaften ausgewählt.
Die Langeweile vertreiben sich die Gefangenen durch Handarbeiten. Aus den Taillenhacken der Waffenröcke hämmern sie in sehr geschickter Weise hübsche Messerklingen, die mit mannigfach geschnitzten Holz- und Knochengrissen versehen sind und gern von den französischen Offizieren und der Bevölkerung gekauft werden. Die hierdurch erzielte, wenn auch minimale Einnahme ist um so erwünschter, weil die in Frankreich übliche Ee-jangenenlöhnung von 5 Centimes pro Tag gänzlich unzu-reickend ist. Es werden auch Pfeifenköpfe aus Naturholz geschnitzt oder aus Lehm geformt und am Küchenfeuer gebrannt.
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IV. Wir in Hamburg während der Kriegszeit.
Eine beliebte Zerstreuung bildet das Schachspiel; auch bilden sich Theatervereine, z. B. im Hospital Villaurnez einer unter dem Namen „Metropol", der zweimal wöchentlich Vorstellungen gibt. Unter den Mitgliedern zeichneten sich die Hamburger durch ihre Lieder und plattdeutschen Vorträge aus.
Der Postverkehr mit der Insel ist jetzt im großen und ganzen leidlich. Wenn einige Gefangene noch am 3. Dezember ohne Nachricht aus der Heimat waren, erklärt sich dies zweifellos zum Teil aus nicht richtiger Adressierung der Briefe oder aus dem schon so häufig gerügten Fehler — zu lange oder gar undeutliche Briefe mit deutschen Buchstaben zu schreiben. — Postkarten sind und bleiben am ratsamsten.
Es besteht keine besondere Vorschrift über zugelassene Quanten von Tabak, Zigarren usw. Trotzdem ist es empfehlenswert, sich auf kleinere Quanten zu beschränken, da der Kommandant schon mehrfach gedroht hat, Beschränkungen einzuführen.
Eine Fahrt mit dem Hamburger Lazarettzug C. 1.
Der Hamburger Lazarettzug E. 1 fährt auf seiner ersten Reise in einen grauen Oftobermorgen hinaus. Ich stehe, aus eine der oberen Tragen gelehnt, im Wagen Nr. 15 und sehe durch die Negenstreifen an den Scheiben auf die Felder und Heideflächen an der Bremer Bahnstrecke hinaus. Die acht Tragen janken in den Federhaken hin und her. Noch sind sie leer, das Bettzeug schimmert weiß, und die Wolldecken liegen sorgsam gefaltet. Die Trinkbecher klappern auf dem Bort, die Zinkeimer klirren in der Wagenecke, das Wasfer gluckst in Trink-fatz und Waschvorrichtung, der Wagen rummelt und schwankt von der raschen Fahrt. Er hat es sich wohl nicht träumen lassen, daß er noch in seinen alten Tagen zu einem Lazarettwagen umgebaut werden würde. Ein grüner Linoleumläufer, ein kleiner Tifch und zwei Klappstühle geben ihm einen wohnlichen Anstrich. Einige Bilder aus der „Kunstwartmappe" und „Jugend" schauen von den dunkelgelben Wagenwänden. Bald brennt in dem eisernen Ofen ein Feuer, und der Aufenthalt wird angenehm. An den Bahnübergängen sehen Landleute mit ernsten Augen aus den vorüberfahrenden Zug, den grotze rote Kreuze in weißen Feldern weithin sichtbar machen. Hinter einer Schranke zählen flachsköpfige Dorfkinder die lange Reib? der 34 Wagen.
IV. Wir in Hamburg während der Kriegszeit.
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Der Zug rummelt mit kurzer Unterbrechung weiter. Tag und Nacht. Am andern Morgen fahren wir im Herbstsonnen-fchcin über die belgische Grenze. Durch eine große Zahl von Tunneln folgt die Bahn einem Nebenflüsse der Maas. Graue Raiffeisen steigen links und rechts in fchrosfen Wänden au Sie sind überschüttet mit leuchtendem Herbstlaub. Unten rollt über Steintrümmer breit und flach das Wasser. Die Fabriken. Hochöfen und Häuser von Verviers tauchen auf; aber auch Hier vermögen die ragenden Schlote, die Schlackenberge der Hüttenwerke die Reize der Landschaft nicht zu verdrängen. ,
In das schöne Herbstbild Hat der Krieg seine Limen Hart und fest Hineingezeichnet: Zerschossene Häuser hier und dort, verbogene Eisenbahnschienen am Bahndamm, zertrümmerte Personenwagen an der Böschung, Sprenglöcher in den dunklen Tunneln. Überall grüßen und winken deutsche Landsturmleute, die den Bahndamm, die Brücken und Tunneln bewachen: aus belgischen Lokomotiven stehen deutsche Führer, und in den Stellwerken und Bahnhöfen verrichten deutsche Eisenbahner den Dienst. Wagen mit Kanonen, Geschossen, Autos, Flugzeugen halten im Gleisengewirre; Züge mit Verwundeten und Gefangenen fahren zurück. Auf den Wegen und Plätzen der volkreichen Ortschaften stehen und lagern Scharen von arbeitslosen Männern und Frauen. Mit verschlossenen Gesichtern schauen sie herüber. Mit welchen Gedanken mögen sie unseren Zug
verfolgen? ,
Bald öffnet sich das Tal, und unten breitet sich das mächtige Lüttich vor uns aus, durchschnitten von der raschfließenden Maas, von Bergen umrahmt, an deren Abhängen die Häuser hinaufsteigen. In den Strahenzügen wogen Menschen, einige Hochofen glühen, und von der gegenüberliegenden Höhe winkt die Zitadelle der Stajpt. Hinter Lüttich ebnet sich das belgische Land. Löwen zeigt im Äbenddunkel vom Bahnhöfe aus das grausige Bild der Zerstörung: Ausgebrannte Häuserreihen, schwarze Giebel und Fensterhöhlen. Große Grabhügel an den Bahngleisen bergen die im Franktireurkampfe Gefallenen. Vor dem nächtlichen Brüssel begrüßen wir während eines kurzen Aufenthaltes Hamburger Landsturmleute. Wir sind ihnen ein Stück Heimat, bringen gute Runde von der Vaterstadt, teilen Zeitungen und einige Liebesgaben aus und bekommen herzliche Grütze und Wünsche mit auf den Weg. Im Morgennebel verschwinden die Türme ber alten Stabt Gent. Weiter geht bie Fahrt burd) das gesegnete Flandern. Bäume im Herbstlaub.
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IV. Wir in Hamburg während der KrieqSzeit.
wohlgepflegte Landstraßen, ausgedehnte Nübenfelder, Acker mit junger Saat, verlassene Schützengräben, Einzelgehöfte und Dörfer ziehen vorüber.
Am Nachmittag hält unser Zug in der großen Halle des Bahnhofes in Kortryk. Auf dem schmutzigen Bahnsteige stehen und sitzen verwundete Krieger dicht an dicht. Ihre Augen blicken hohl und matt aus bartumrandeten Gesichtern, ihre selograue Uniform ist abgetragen und erdig. Waffen und Tornister fehlen ihnen. Alle sind irgendwo verbunden. Einige sitzen auf Stroh und kauen an einer trockenen Schnitte Schwarzbrot, andere humpeln am Stock mühsam über die glitschigen Pflastersteine. Auf allen Gesichtern liegt die Qual des endlosen Wartens, in jeder Miene steht die stumme Frage: Werdet ihr uns nach ber Heimat in georbnete Pflege bringen?
Antreten! schallt laut unb hart bie Stimme unseres Führers burch bie Halle. Wir springen von ber Plattform und stellen uns in Neih und Glied. Die Gruppen werden eingeteilt. Eine Abteilung nimmt die Tragen heraus; eine andere beginnt mit dem Einladen des gefährdeten Menschengutes. Es sind nicht die Wartenden auf dem Bahnhof unsere Pfleglinge. Ein Verwundeten-Zug wird sie, die leichter verletzt find, in die Heimat befördern. Drinnen aber in den verwahrlosten Warte-räumen liegen am Fußboden auf Strohsäcken und Decken die Schwerverwundeten gedrängt nebeneinander. Sie müssen zuerst fortgebracht werden. — Wieviel standhaftes Heldentum im Ertragen von Schmerzen und Entbehrungen birgf dieser Bahnhof von Kortryk. Das Herz krampst sich zusammen, wenn man in soviel fiebrige, wartende Augen, auf soviel blutige Verbände und geschiente ©liebmaßen sieht. Aber es ist nicht Zeit für die wehmütigen Gefühle vorhanden, jetzt gebraucht ber Sanitäter feine ganze Nuhe unb straft.
Ein plötzlich ausbrechenbes Gewehrgeknatter verzögert einige Minuten ben Beginn unserer Arbeit. In Halle und Wartesaal fangt sich bas Krachen ber Schüsse. Was ist bte Ursache ? Überfallen uns Franktireurs? Nein, ein feinblicher Flieger schwebt über dem Bahnhof. Vielleicht will er uns seinen Bombengrutz fenben; aber bte Bahnhofswache vertreibt ihn. Gestern erst hat man einen Engländer zu Tode getroffen heruntergeholt. Ja, wir find in der Nähe des Schlachtfeldes, zwei bis drei Stunden von Ppern entfernt, und die Kanonen dröhnen in dumpfen Donnerfchlägen herüber.
IV. Wir in Hamburg während der Kriegszeit.
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Schon steht eine leere Trage neben mir. Der Verwunbete zu meinen Füßen trägt auf einer Harte bie Bezeichnung seiner Verletzung: Schuh burch bie rechte Huste, Bruch bes Unsen Oberschenkels. Sein Blick belebt sich, als wir uns zu chm nieberbeugen. Er gibt uns nähere Auskunst über bie Art |emer Bermunbung, unb wir betten ihn mit aller Sorgfalt aus bie Trage. Ganz ohne Schmerzen geht es wohl nicht; aber schon liegt er unter warmen Wotlbecken aus weicher Matratze. Zwei Sanitäter tragen mit festen Gurten im langsamen Schritt bie Trage nach bem Wagen; bort heben anbere bie Bahre mit sicherem Griff auf bie Plattform, unb toieber anbere hängen sie im Wagen in bie Feberhaken.
So wirb einer nach bem anbern in ben Zug gebracht. Ohne Unterbrechung arbeiten bie Krankenträger. Nach mehreren Stunben sinb bie großen Wartesäle leer. Aber schon halten auf bem Bahnhofsplatz Möbelwagen, bie aus nahegelegenen Lazaretten neue Verwunbete hercmsahren. Verletzungen ganz ver-schiebener Art bringen sie mit, oerschieben nach bem Geschoß, ob Gewehrkugel, Granatsplitter ober Schrapnell, bas sie verursacht hat, verschieben auch nach bem Körperteil, ber getrosten worben ist. Ein langer Verwunbeten-Zug führt weitere Labung herbei. Beim grellen Schein einer elektrischen Taschenlampe nehmen wir in ben bunklen Wagen bie Schwerverletzten vom feuchtkalten Strohlager unb bringen sie zur schnelleren Heimfahrt in ben Lazarettzug. Inzwischen haben unsere beiben Köche warme Suppen, heihen Kakao unb belegte Butterbrote bereitgestellt, unb bie Venvunbeten genießen mit Behagen bie langentbehrte gute Kost. .
Die Bahnhofsuhr zeigt weit über Mitternacht, als wir bie letzte Trage in ben Wagen bringen. Mübe unb zerschlagen suchen wir unseren Wagen auf unb versorgen unsere Pfleglinge. Es wirb still in ber weiten Halle, in ber tagsüber Kriegszüge aller Art verkehrt haben. Nur von fernher bröhnen noch kurze Zeit bie Kanonen ber feinblichen Artillerie.
Am anberen Morgen um 10 Uhr beginnt bie Rückreise nach Hamburg. Auf ber Hinfahrt hat ber Sanitäter, ber einen Lazarettwagen zu versorgen hat, wenig Arbeit. Besitzt er einige Übung in hauswirlschaftlicher Tätigkeit, im Fegen, Feulen, Aufwaschen unb Kartoffelschälen, so ist sein Tagewerk balb voll-enbet. Auf bet Rückreise, wo er seine Verwunbeten verpflegt, hat er Tag unb Nacht alle Hänbe voll zu tun. Denn mannigfacher Art sinb bie Bebürfnisse ber Kranken. Der Sanitäter
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IV. Wir in Hamburg während der Kriegszeit.
zieht und schneidet ihnen Stiefel und Kleider herunter und bringt aus dem reichhaltigen Magazin überall, wo es not tut, neue Unterkleidung, Strümpfe und Taschentücher. Er reicht seinen Pfleglingen Waschwasser, Seife, Handtuch. Zahnbürste und Mundwasser, Dinge, die jeder Krieger lange entbehrt hat. Er holt ihnen aus der Küche Speisen und Getränke und führt dem Hilflosen im rüttelnden Wagen den Becher an den Mund. Mancher Verwundete mutz Tag und Nacht in gleicher Lage, je nach Art der Verwundung, liegen bleiben. Der Pfleger versucht durch Kissen, Sandsäcke und Decken, durch vorsichtiges Nücken des gebrochenen Beines Erleichterung zu verschaffen. Der Arzt kommt und sieht die Wunde nach. Der Sanitäter leistet hilfreiche Hand beim Anlegen des neuen Verbandes. Er mitzt die Temperatur des Kranken und verabreicht die Medizin. In liebenswürdiger Weise verordnete der Arzt Vier und Wein, Mineralwasser und Fruchtsäfte. Schokolade, Zigarren und Zigaretten werden gebracht. Ein blauer Nauch erfüllt den Wagen, ein wohliges Behagen stellt sich ein, und hier und dort entspinnt sich eine Unterhaltung über die Erlebnisse im Felde.
Immer weiter fährt der Zug, und die Frage: Wann sind wir in Hamburg? wird öfter wiederholt. Wenn auch die Betten in elastischen Nahmen und Haken federn, so wird doch auf die Dauer für manchen die Fahrt zur Qual. Die langen Nächte bringen wenig Schlaf. Die Wunge schmerzt, das Fieber steigt, und der Durst will nicht aufhören. Die Lichter sind abgeblendet, die Tragen hängen im Dunkeln, der Sanitäter hüllt sich in seinen Mantel und hält Wache. Der Arzt eilt durch den Zug zu einem Schwerkranken. Hin und wieder ringt sich von einer Lagerstatt ein ungeduldiges Seufzen und schmerzvolles Stöhnen empor. Dort fällt einer in einen kurzen traumhaften Schlummer. Die schrecklichen Bilder der Schlacht steigen in ihm auf. Er wähnt sich noch im Schützengraben, spricht von feindlichen Fliegern, die Bomben werfen, und ruft laut nach Brot und Wasser. Ich lege beruhigend meine Hand auf feine heiße, phantafiefranfe Stirn, rücke die vorgeschobenen Wolldecken zurecht und bringe ihm einen kühlen Trunk. Drüben kann ein junger Kriegsfreiwilliger den ersehnten Schlaf nicht finden. Die Gedanken wollen nicht zur Ruhe kommen. Sie irren nach Heimat und Elternhaus, nach den Kameraden an der Front. Wird mein zerschossener Futz wieder gut? Kann ich wohl noch wandern? so fragt er immer wieder mit Wort und Blick. Der
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schöne Schwarzwald, den er als Wandervogel oft durch,Irer hat, ist seine Heimat. Ich setze mich an fein Bett; er erzählt mir von seiner Mutter, und wir wandern zusammen durch die Berge und Tannen nach dem Hohentwiel und Bodensee Frohe Erinnerungen und neue Hoffnungen werden in ihm lebendig. Der Sanitäter mutz auch Seelsorger sein können.
Endlich graut der Morgen. Die Gespenster der ss^acht verschwinden. Wir erreichen die deutsche Grenze und halten bald in Aachen. Junge Mädchen treten in den Wagen und dringen Liebesgaben: Äpfel. Zigarren. Zigaretten und Schokolade Das ist ein Fest. Obwohl der Lazarettzug mancherlei Schatze für Magen und Gaumen bereithält, kann doch das tooltmtenherz nicht widerstehen, wenn eine Dienerin des Roten Kreuzes m schöner Menschlichkeit ihre Gabe darbietet.
Am andern Morgen treffen wir in Hamburg ein. Äu-, dem Hannoverschen Bahnhof laden Krankenträger die Verwundeten in die bereitstehenden Wagen und Autos und bringen sie nach den Lazaretten in geordnete Wege. Der Sanitäter nimmt Abschied von seinen Pfleglingen, die ihm schnell zu Freunden wurden, ordnet seinen Wagen und sucht in langem Schlaf Erholung von seinem anstrengenden Dienst.
Verwundete kommen!
Das war der Alarmruf, der zuerst am 7. September ertönt ist, dann leider noch-häufig uns zusammenrief. Da kamen wir alle, die wir uns seit Monatsfrist in den Dienst der Ko'onne des Roten Kreuzes gestellt hatten, die Armbinde und Mütze mit dem Zeichen der Krankenpflege geschmückt, aus allen Berufskreisen, Schüler. Lehrer, Handwerker, Schauspieler, Kaufleute. Das Vaterland hat uns für den Waffendienst nicht haben wollen, nun wollen wir uns in anderer Weise dienend betätigen.
Im alten Hannoverschen Bahnhof marschieren wir aus und gruppieren uns zu zwei langen Reihen. Es ist still auf dem Bahüsteige, hier herrscht nicht der gewöhnliche Reiseverkehr. Neugierige sind von dem Posten vor dem Bahnhof fern gehalten. Hinter den Reihen fahren einzelne Autos auf, die sollen die Schwerverwundeten holen. Noch weiter zurück stehen Möbelwagen, jetzt mit Tragen, die im Gestell hängen, für den Verwundetentransport bestimmt. Den Hintergrund bilden die kahlen Wände des alten Güterschuppens. Der Hat jetzt eine
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neue Bedeutung erhalten. Er ist in die V.- und E.-Station (Verpflegungs- und Erfrifchungsstation) umgewandelt. Hier walten Schwestern und Krankenpfleger ihres Amtes. Wir warten; wir sehen nach der Einfahrt des Bahnhofs. Noch nichts. Da, ungefähr 20 Minuten nach 6 Uhr, kommt es — ganz ruhig, ganz leise. Vorn an der Lokomotive die weiße Fahne mit dem roten Kreuz, dann eine lange Reihe von Wagen, wohl 30—40. Der Zug fährt langsam, ganz langsam. Er hält an vor unseren Reihen, ohne Ruck, ohne Zucken. Wir sehen zu den Wagcnfenstern hinauf — ab und zu eine Hand, ein gelbgraues Gesicht, das Erschöpfung verrät. Nun öffnen sich die Türen der Wagen. Zuerst zeigen sich die Sani-tätsmannschasten, die den Zug von Nordfrankreich bis hierher zu uns begleitet haben. Und dann springen wir hinein und holen sie heraus, unsere verwundeten Helden. Müde und steif sind sie alle von der viertägigen Eisenbahnfahrt. Wir stützen diejenigen, die gehen können, unter den Armen und führen sie die Holztreppen hinauf in die Verpflegungshalle. Dann geht es wieder zurück, und mir holen die Tragen. Und nun holen wir die Verwundeten, die Bein- oder Brustschüsse haben. Dicht an die Eisenbahnwagen stellen wir unsere Tragen, vorsichtig legen wir die Verwundeten darauf, daß nicht eine hastige Bewegung die Schmerzen vergrößere. Und nun sollen auch sie in den Verpflegungsraum. Zwei Träger heben auf, und in ruhigem „Eedirgsschritt" werden die Verwundeten in die Halle getragen. Hier haben sie alle jetzt Platz gefunden, wenn es geht, auf Stühlen an den Tischen sitzend, sonst bleiben sie auf der Trage liegen. Und nun zeigen unsere Krankenschwestern vorn Noten Kreuz sich in ihrer fürsorgenden Tätigkeit, hier einen Verwundeten beim Essen und Trinken unterstützend, dort für ihn Postkarten an seine Angehörigen schreibend.
Wir Krankenträger warten solange draußen. Nach einer Stunde ungefähr beginnt die Abfahrt nach den Krankenhäusern unserer Stadt.
Wir holen die Verwundeten heraus aus der Halle an die Transportwagen und hängen die Tragen sorgsam hinein. Einige von uns fahren im Wagen mit, acht andere folgen. Es ist warm und windstill, der Leinenvvrhang, der den Wagen hinten abschließt, wird bald zurückgeschoben. Unsere Verwundeten können während der Fahrt Hinausschauen aus Straßen und Plätze, die nicht die grauenvollen Spuren des Krieges tragen. Wir sollen nach einem Hilfslazarett in St. Georg.
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Aber es ist noch hell in den Stratzen, und von allen Seiten strömt es heran, alt und jung, um die Verwundeten zu be-arüken. Wir halten die Neugierigen nnt Muhe vor allzu störendem Hineinschauen zurück. Aber sie reichen auch mancherlei hinein in die Wagen, besonders Zigarren und die neuen Abendzeitungen. Im Wagendunkel glimmen helle Punkte auf und nun wird der Humor drinnen rege. Einer — es sind lauter Brandenburger Jungen in einem Wagen -- einer ruft hinaus: „Wir sind lauter jefangene EngländerUnd wie mir in St. Georg vor dem Lazarett halten und oben an der Tur die Schwestern grüfzend stehen, sagt einer der Aussagenden. Wetter, da stehen ja Damen, da muh ich mich ja lammen — zieht stamm und Spiegel aus der Tasche, putzt sich, und eilt in schnellen Sprüngen die Treppe hinan.
Es ist im Oktober. Wir sind unserer acht zum Empfang der Verwundeten nach Barmbeck bestellt, in ein Hilfslazarett. Es ist ein Gebäude, das auch in Friedenszeiten den Werten der Barmherzigkeit dient für die Armen und Hilflosen. Diese sind fast alle fortaebracht worden, und für 80 verwundete Krieger ist Platz geschaffen. Nun sollen sie kommen. Die Arzte, die Pfleger viele Beamte der Anstalt sind dageblieben. Alles ist bereit für die Ausnahme. Man erzählt uns mit freudigem (Stolze: „Bon unserer groszen Obsternte haben wir das -Beste ausgesondert für die Verwundeten." Um 1/ilO Uhr abends waren wir bestellt. Doch der Zug hat Verspätung. Alle warten auch die vielen Dienstmädchen der Anstalt, sie alle wollen'den Verwundeten ein Willkommen zurufen. Es wird Val Uhr. Da rollen die ersten Autos und dann die städtischen Krankenwagen heran. Sie halten im dunklen Hos. Vorsichtig öffnet sich der Schlag an der Rückseite des Wagens und legt sich wcigerecht. Leise rollt die Trage mit dem Verwundeten heraus. Wir greisen zu und lassen sie auf die Erde nieder. Dann nimmt einer die Sachen der Verwundeten an sich, den Mantel, die Mütze, die Stiesel, ihre kleinen Päckchen, auch wohl Blumen, die sie als Liebesgabe an irgend einem deutschen Bahnhof erhalten und sorgsam aufbewahrt haben. Zwei von uns fassen mit geübtem Griff die Trage, und vorsichtig wird sie hinaufgebracht über bie steilen Treppen, hinein in ben Kranken-jaal. Hier warten Ärzte unb Pflegerinnen. Wir legen bie 33 er-tvunbeten in bie schneeweihen Betten. Unb sie alle sind so
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ruhig, so geduldig und für jede kleine Freundlichkeit so dankbar ! Wie leuchten die Augen des 19jährigen Freiwilligen, als ich ihm mit einem leisen Trostwort meine Hand auf seine lege. Noch trägt er ein in Frankreich erbeutetes Damenjäckchen. Ein anderer bittet, daß zwei Kameraden ihm als Nachbarn zur Seite gegeben würden, ein Musketier und der Feldwebel von der gleichen Compagnie. Das verspreche ich ihm, und es wird ausgeführt. Drei Betten stehen in einem besonderen Winkel nebeneinander. Die beiden Musketiere kommen in die außenstehenden, und nun holen wir auch den Feldwebel herauf und betten ihn dazwischen. Und fröhlich begrüßt er die beiden mit dem Nufe: „Ah, da sind ja auch die Kameraden!"
Wenn es die Art der Verwundung gestattet, kommen die Ankömmlinge gleich ins warme Bad. Und da kommt mir schon einer von diesen wieder entgegen, in warme Decken gehüllt. Sein Gesicht strahlt vor Freude, und er ruft: „O, wie ist das wunderschön!" Ein anderer zeigt mir seinen Mantel und sagt: „Sehen Eie, der war neu, ganz neu, als wir ihn empfingen, und wie sieht er nun aus!“ Auch die Gesichter sehen anders aus als vor drei Monaten, da unsere Soldaten frisch ins Feld zogen. Manchem ist ein langer Bart wild um Wangen und Kinn gewachsen. Eine kleine Helferin deutet auf einen Verwundeten und meint: „Das ist gewiß ein Nüsse?" Ich gebe ihr die Versicherung, daß dieser Breitbärtige ein guter deutscher Krieger sei. „Gut sollen fie's bei uns haben," verspricht die kleine Pflegerin. Und daß es so sein wird, daran zweifle ich nicht. Wen wird man wohl lieber pflegen unb warten, als diejenigen, die ihr Leben für uns wagten.
So ist es ungefähr 4 Uhr morgens geworden. Die letzten Wagen find fortgerollt. Nun ist auch unsere Arbeit beendet. Die Lichter erlöschen bis auf wenige in den Kranfenfälen. Die Verwundeten haben jetzt Ruhe gefunden nach Schlachtenlärm, nach der Aufregung in den Feldlazaretten, nach der langen, langen Fahrt. Mögen sie hier auch Genesung finden von ihren Wunden und Schmerzen.
Ernste Gedanken aus dem Krankenlager.
Liebe Mutter, meine kurze Kartennachricht hat Dir ja schon gesagt, daß ich leicht verwundet sei. Ich habe nur eine Fleisch-wunde am Schenkel, ohne Knochenverletzung, und die Kugel ist glatt hindurchgegangen. In etwa vierzehn Tagen gedenke ich
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aus Dr. F.'s Neparaturrverlstelle wieder heraus- und an die Front zurückkommen zu können. Jetzt aber in dieser Ruhezeit will ich die Gelegenheit benutzen, um mir, und vielleicht auch Dir allerlei von der Seele zu schreiben. Ja, Mutter, ein Krieg ist, 'wie Du in Deinem letzten Briefe schreibst, grauenvoll, furchtbar, noch entsetzlicher, als 3hr ihn Euch zuhause in der Phantasie ausmalen könnt. Deshalb erzähle ich Dir auch jetzt nichts von meinen einzelnen Erlebnissen. Ob später? Wer weife? Wollte ich es versuchen, so würde mich immer wieder der Zweifel quälen, ob ich dann auch wirklich Erlebtes schilderte ober nur wilde Einbildung arbeiten liehe. Aber was wir, Ihr zu Hause und wir im Felde, jetzt als gewaltiges Ereignis plötzlich vor uns sehen, ist nicht ein Krieg wie viele frühere Kriege, sondern etwas ganz anderes. Und darüber will ich jetzt sagen, was ich weih und glaube. Das soll helfen, Dich von Deiner schweren, rührenden Sorge um mich zu entlasten.
Ich bin ja Dein einziger Sohn, und ich ahne, welche Hoffnungen Du auf mich gesetzt hast. Und so kann ich auch nachfühlen, ich glaube wenigstens, ich kann es, wie Du jetzt leidest und bangst. Du schriebst neulich, Deine Sorge sei nicht nur eine Einzelsorge, Du trügest in ihr zugleich das Leid aller Mütter mit, wie die anderen Mütter auch an Deinen Sorgen mittrügen. Ja, dieser Gedanke gibt Euren Leiden etwas Erhebendes und Feierliches. Und doch, Mutter, wenn Ihr Mütter Eure Söhne lieb habt, dann dürft Ihr Euch nicht in Sorge um uns verzehren; ich wiederhole, Ihr dürft es nicht. Ahnt Ihr denn nicht, wie schwer Ihr uns dadurch unsere Aufgabe jetzt macht, die doch wahrlich schon schwer genug ist? Muh uns das Gefühl bedrücken, bah unsere Lieben zu Haufe nur in Angst unb Kummer um uns einzelne Menschenkinder beben, wie sollen wir dann die volle, frische Kraft finden, uns einsetzen zu können, die wir doch um unseres Volkes und Vaterlandes willen sie nötig haben? Also uns zuliebe tragt still und gefaxt, was Ihr tragen müht.
Ach, Mutter, das einzelne Menschenleben, wie armselig nimmt es sich in diesem Zeitensturm aus, der unter dem Donnern und Blitzen Tausender von Kanonen aufsteigt unb über uns, nein burch uns bahinbrauft. Wer nur bas erlebt hat, wie unser beutfches Volk mit feinen fast 70 Millionen einzelner Menschenleben in ber Glut entschlossener Begeisterung unb wuchtigen, sittlichen Zorns zur Einheit bes Willens unb ber Kraft zusammenschmolz, bem hat biefes Leben genug an
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IV. Wir in Hamburg während der Kriegszeit.
Glück beschert. Etwas so wunderbar Großes wird er nicht wieder erleben. Er hat erlebt, wie das Einzelleben, der Einzel-wille von dem Feuerwillen der Volksgemeinschaft verzehrt wurde, wie unser deutsches Volk plötzlich und mächtig über sich selbst hinausgehoben wurde. Und dieser Feuerwille der Volksgemeinschaft ist in den ftrieg hinausgezogen, zum Sieg. Es sind nicht mehr nur die Söhne von hunderttausend einzelnen Müttern gewesen und auch nicht nur die Männer von hunderttausend einzelnen Frauen. Mir ist wiederholt in dieser Zeit das schöne Gedicht von — ich glaube — Bodenstedt durch den Sinn gezogen:
„Wenn wir im urgewalt'gen Streit Die großen Männer sehen Mit innerster Notwendigkeit Dem Tod entgegengehen,
Dann möchten wir dem Heldenschwung In des Geschickes Zwang Zujauchzen mit Begeisterung:
Glückauf zum Untergang!"
Das ist die Grundstimmung, in der jeder einzelne des deutschen Volkes in Waffen den aufgezwungenen Kampf aufgenommen hat: seinem eigenen Untergang, wenn es sein mutz, entgegen, um sein Volk vor dem Untergang zu retten. Und weil wir jeden Tag von neuem dem Tode ins Gesicht sehen müssen, verliert er für uns seinen Schrecken. Allem Kommenden sehen wir ruhig und gefaßt entgegen. Es ist doch wunderbar, wie die religiösen Kräfte, die in unserem Volke lange schliefen, oder sich in elenden Lehrstreitigkeiten verzehrten, wach werden, wie Religion Leben und Leben wieder Religion wird. Du hörst hier nicht laut und breit darüber reden, sonst wäre es ja auch nicht Leben, aber aus kurzen Zwiegesprächen, aus dem Schweigen, dem Hänbedruck fühlst Du es heraus. Ach, wie weit liegt hinter uns bas kleinliche Alltagsorgen. Von bem großen Sterben, dem stillen Tobe rings um uns steigen bic Eebanken bewußt ober unbewußt hinauf zu bem Geheimnis, bas hinter, über bem zeitlichen Leben, bem leiblichen Tobe verborgen ist. llnb wunberbar ist es auch, wie bic vaterlänbischen Verse unserer Dichter plötzlich ein besonberes Leben gewinnen, wie bic Dichtung Leben wirb. Wir leben jetzt die so oft mit ber üblichen Festbegeisterung gesungenen Verse unseres „Deutsch-lanb, Deutschland) über alles", „Lieb Vaterlanb, magst ruhig sein", „Drum, bic ihr uns liebt, nicht geweint unb geklagt"
IV. Wir in Hamburg während der Kriegszeit.
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usw Und das Leben wird zu Dichtungen, selbst die Zeitungen zeigen es. Wir sind trotz Krupp und Generalstab immer nog ein Volk der Dichter und Denker. Oder können mir vielleicht die Männer die bei Krupp und im Generalstab die Arbeiten leiten, auch zu den „Dichtern und Denkern" rechnen?
Aber wenn wir nun mit unseren Waffen den Sieg erfochten und unserer friedlichen Arbeit dauernden Schutz geschaffen haben - was wird aus all den guten Kräften werden, die diese ernste Zeit aus uns herausgearbeitet hat? Wird das deutsche Volk diese Kräfte im Frieden erhalten und weiter entfalten können? Sieh. Mutter, das ist für mich dre Kernfrage des ganzen Krieges. Können wir sie mit Zuversicht bejahen, dann müssen und werden wir alle Opfer des Krieges^.verschmerzen können. Haben wir auch im Frieden Führer, die ihr Qtel die Größe und Verantwortlichkeit ihrer Aufgaben kennen, Opfer von uns zu fordern den Mut Haben, Haben wir Männer und Frauen, die für ihre Überzeugung eintreten, denen die innere Stimme ihres Gewissens mehr sagt als äußere Anerkennung? Oder wird es wieder so werden, wie es — Gott sei's geklagt — an fo vielen Stellen oben und unten im Vater-lande vor dem Kriege war? Ängstliche Scheu vor Rang und Geld brutaler Kampf der materiellen und Parteiinternen, Schelten noch oben und unten, kleinliche Sorgen des grauen Werktags und des engen Ich. leichtfertiger Tanz Über den Sonntagsfrieden hinweg. Soll unser gutes, tüchtiges deutsches Volk dasselbe wieder erleben, was es nach den Freiheitskämpfen vor hundert Jahren, nach dem großen Kriege von 1870 hat erleben müssen9 Will man wieder wie damals die Familienvater dieses deutschen Volkes für Heimat, Vaterland kämpfen lassen, ohne in rechter Weise dafür zu sorgen, daß diese Familienväter an dem Heimatboden, der Väter Land, den ihnen nach blutigen Kämpfen zukommenden Anteil erhalten? Oder werden alle 'Männer und Frauen in verantwortungsvollen Stel len tapfer und in klarem Bewußtsein ihrer Pflichten und Ziele jur die Rechte und Aufgaben des deutschen Hauses, der deutschen Familie eintreten? Das ist des Deutschen Reiches Schicksalsfrage nach dem Kriege. . . .
O Mutter, diese Frage lastet schwerer auf mir und vielen Kameraden als die, ob ich oder links oder rechts der Kamerad lebend und gesund aus dem Kriege zurückkommt. Glaube mir. hier in der Front zu kämpfen, dazu gehört weniger persönlicher Mut als zu den Kämpsen um die wahre, rechtliche und sul-
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IV. Wir in Hamburg während der Kriegszeit.
liche Freiheit und Einheit im Innern nach dem Friedensschluß. Und Ihr Frauen müßt Euren Anteil daran tragen, so oder so, denn es ist Friedensarbeit. Ihr miifot Euch selbst und uns Männer schon jetzt für diesen Stampf stark machen. Dann aber dürft Ihr jetzt nicht schwach sein und um Sohne und Männer lange klagen!
Deutscher Trost.
Und wird es euren Herzen auch schwer,
Den Sohn zu missen,
Mit euch tragen tausend und mehr.
Das sollt ihr wissen.
Und käm' auch die Nachricht, es legte der Tod Ihm hart das Rissen:
Eure Not ist deutsche Not!
Das sollt ihr wissen.
Herrn. Claudius.
Der Sieger.
Seele, o sieh nicht dich selbst mit Verzücken.
Eil über umgeschlagene Brücken,
Eil über Fernen Hin zu den Sternen,
Denen du angehörst!
Eitelkeit kommt Und streckt ihre langen Glatten Finger,
Um dich zu fangen.
Narrheit hält dir den Spiegel, den blinken.
Willst du darin versinken?
Ertrinken
In den weichen Wassern des Ruhms?
Nimmermehr!
Deines Heiligtums Lautere Sterne,
Schau sie in fliegender, flimmernder Ferne Tief zuunterst vom Himmclsrand Aufwärtssteigen wie winkende Hand:
Seele, wo bliebst du? —
Herrn. Claudius.
IV. Wir in Hamburg während der Kriegszeit. 251
Am Weihnachtsabend in Ohlsdorf.
Es strömt hinein, es strömt heraus aus den Einfahrten unseres Friedhofes. An Tagen der tiefsten Trauer, am Karfreitag und Totensonntag, und cm Tage der reinsten Freude, dem Weihnachtsseste, besuchen sie die Gräber ihrer Lieben. Sie kommen zurück, die Trauernden, von den Stätten ihres Familiengrabes, von den grotzen gemeinsamen Grabstätten.
Ernst und schweigend marschiert eine Gruppe Soldaten mit geschultertem Gewehr heraus aus dem Friedhosstor. Es sind wohl 20 Mann. Sie sind hergeführt worden von einem Offizier mit den Spielleuten des Regiments. Sie haben dreimal eine Salve abgegeben zu Ehren eines Kameraden, der in einem Hamburger Lazarett den Wunden erlegen ist. Droben liegt er jetzt, bei der 5. Kapelle; wieder mit den Kameraden in Reih und Glied, wie er einst neben ihnen lag im Schützengraben und neben ihnen stand bei der Parade, jn zwei grotzen Totenbeeten liegen sie, zu zwei Gliedern jedes geordnet. .Kränze von lieber Hand schmücken jedes Grab. Auch Tannenbäumchen steht man hier und da. Und dann siehst du noch einen Grabschmuck, den man bis jetzt nicht als solchen benutzt hat: kleine Fähnlein, schwarz-weitz-rot, die im Winde flattern. Könnte irgend eine Grabschrift deutlicher zu uns sprechen?
Noch stecken überall nur kleine Hölzchen mit Nummern und Zeichen. Bald werden bronzene Ehrentafeln die Gräber schmücken. Hier haben wir einen zweiten Ehrenfriedhof auf dem grotzen Totenacker in Ohlsdorf. Der erste predigt in vielerlei Stimmen das so verschieden gestaltete Leben und Streben grotzer Söhne unserer Vaterstadt. Aus diesem zweiten Ehrenfriedhof steigt nur e i n gewaltiger Ruf zum Himmel auf, ein Ruf und eine Mahnung:
Alles für das Eine, das Vaterland!
Das Fenster.
Ein enges Fenster, dahinter ein Licht Und einer Mutter Tränengesicht.
Und immer,
Wohin ich auch ging, unb was ich auch sah,
Das kleine Fenster blieb immer nah.
Immer
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IV. Wir in Hamburg während der Kriegszeit.
Das kleine Fenster, dahinter das Licht,
Das rotgeweinte Tränengesicht Der Mutter.
Herrn. Claudius.
Hamburgs Söhne im Felde.
(Briefe und Telegramme an den Senat.)
Hamburg, den 7. September 1914.
Der Generalmajor und Kommandeur der 33. gemischten Landwehr-Brigade von Tertzen hat dem Präsidenten des Senats mitgeteilt, dah die seiner Brigade zugeteilten in Hamburg aufgestellten Landwehrbataillone II und III des Infanterie-Regiments Nr. 75 sich in den Schlachten am 28. und 29. August trotz schwerer Verluste ganz hervorragend geschlagen und wesentlich zum Erfolge des Sturmes der Brigade auf die Höhen bei Hohenstein und damit zum Erfolge der ganzen Armee beigetragen haben.
Hamburg, den 7. September 1914.
Dem Präsidenten des Senats ging heute morgen das folgende Telegramm aus Nebais zu:
Bürgermeister Predöhl, Hamburg.
Regiment Hamburg hat heute bei Leuze im Rahmen der Division ruhmreich gegen Zuaven gekämpft und gesiegt. Dies Eurer Magnifizenz mitteilen zu können, gereicht mir zur besonderen Freude.
v. Quast, General der Infanterie und kommandierender General.
Hamburg, den 12. September 1914.
Dem Senat ist von mehreren im Feld verwundeten Land-wehrleuten folgender Feldpostbrief zugegangen:
Heute lasen wir die Nachricht von der Erhöhung der Unterstützung für unsere Familien. Mit inniger Freude erfüllt es uns, datz für unsere Frauen und Kinder daheim so gut gesorgt wird. Deshalb sagen wir Einem Hohen Senat und allen denen, die dabei halfen, tausend Dank. ~(£s ist uns eine schwere Sorge damit vom Herzen genommen, und wenn wir wiederhergestellt sind und nochmals hinausziehen können gegen die Feinde unseres Vaterlandes, so werden wir es mit um so froherem Mute tun.
IV. Wir in Hamburg während der Kriegszeit.
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In den verschiedenen Lazaretten Greifswalds liegen viele verwundete Hamburger Landwehrleute, die an der Schlacht bei Tannenberg-Hohenstein teilnahmen. In dieser aller Namen nochmals tausend Dank und ein kräftiges Hurra der Stadt Hamburg.
Hamburg, den 15. September 1914. Über das Regiment Hamburg im Felde äußert sich der Oberst und der Regimentskommandeur Graf von der Goltz in einem an Herrn Bürgermeister Dr. Schröder als Vorstand der Militärkommission des Senats gerichteten Brief, aus dem uns folgender Auszug zur Verfügung gestellt
wird: v v ,
„Ich liege hier leicht am Knie verwundet und darf wohl vom'Bett aus Ihnen vom Regiment berichten. Das Regiment 76 hat Übermenschliches geleistet an freudigem Durchhallen bei gewaltigen Märschen, besonders bei Nacht und großer Hitze, Schanzarbeiten vor Maubeuge (drei Tage) und in den Gefechten. Auster kleineren Gefechten schlugen wir am 23. August bei Morts die Engländer, am 5. September als Vorhut der Division bei Leuze südlich Montmirail eine französische Kolonne, aus die wir überraschend stießen, und am 6. September hatlen wir, zuerst wieder allein, dann mit dem ganzen 9 Armeekorps, ein sehr schweres Gefecht gegen plötzlich auftretende Verstärkungen auch von schwerer Artillerie. Mannschaften in bester Stimmung. Offiziere und Reserveoffiziere Träger des guten Geistes und getragen vom Vertrauen der Leute, wovon ich viel erzählen könnte. Truppenärzte von seltener Pflichttreue."
Hamburg, den 20. September 1914.
(Telegramm.)
Senat der Hanfaftadt Hamburg.
Telegramm aus Chauny.
Dem Hohen Senat kann ich zu meiner großen Freude mitteilen, daß das Regiment Hamburg sich in allen Gefechten glänzend bewährt hat. Mons, Leuze, Esternay, wo der tapfere Kommandeur verwundet wurde, und Hampcel sind Ehrentage des Regiments.
v. Bauer, Generalleutnant.
Hamburg, den 23. September 1914. Dem Senat ist von einem Obermatrosen der 8. Seewehr folgendes Schreiben zugegangen:
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IV. Wir in Hamburg während der Kriegszeit.
„Heute auf Feldwache erhalte ich dis Nachricht von meiner Frau, daß die Unterstützungen unserer Familien sehr wesentlich erhöht worden sind. Uns Hamburger Seewehrleute hat es mit besonderer Freude erfüllt, daß für unsere Familien so gesorgt wird. Bisher haben wir leider noch nicht die Gelegenheit gehabt, uns mit den Feinden zu messen. Wir sehen nun aber den kommenden schweren Tagen mit frohem Herzen entgegen, da wir solche freudige Mitteilung erhalten haben. Im Namen vieler Seewehrleute spreche ich unseren ausrichtigsten und herzlicl slen Tank aus, und sind wir überzeugt, nur als Sieger in unsere liebe und schöne Stadt Hamburg zurückzukehren."
Hamburg, den 28. September 1914.
Dem Senat ist folgendes Schreiben zugegangen:
Not)on, den 20. September 1914.
Es gereicht mir zur ganz besonderen Freude, einem Hohen Senat mitteilen zu sönnen, daß in den Kämpfen vom 15.—18. September, in denen mein Armeekorps südlich Noyon einen doppelt überlegenen Feind angegriffen und geschlagen hat, die Hanseaten sich ihrer Väter würdig bewiesen haben, deren ausgezeichnete Tapferkeit ich von den Tagen von Loigny-Poupry her aus eigener Erfahrung kenne, da ich damals in ihren Reihen mitgekämpft habe.
gez.: v. Boehn,
General der Infanterie und kommandierender General.
Hamburg, den 13. Oktober 1914.
Dem Senat gehen noch fortgesetzt Schreiben von im Felde stehenden Hamburgern zu, die für die ihren Familien gewährten reichen Unterstützungen danken. So haben jetzt 46 bei der 8. Eisenbahn-Magazin-Arbeiter-Kompagnie des 9. Pionier-Bataillons im Felde stehende Hamburgische Landwehrleute mit herzlichen patriotischen Worten dem Senat ihren Dank für die ihren Familien während des Krieges bewilligten Unterstützungen abgestattet.
Hamburg, den 11. Dezember 1914.
Dem Senat ist von mehr als 100 Hamburger Landwehrleuten des 2. Bataillons des Landwehr-Infanterie-Regiments Nr. 34 der folgende „Dank aus dem Felde" zugegangen:
IV. Wir in Hamburg während der Kriegszeit. 255
Liebesgaben, hergesendet»
Sie ersreu'n des Kriegers Herz.
Dankbar nimmt er sie und sendet Seine Blicke heimatwärts.
Dorthin, wo das Weib in Tränen Sich um ihren Gatten bangt,
Wo der Rinder heißes Sehnen Nach dem Vater hmoerlangt.
Liebesgaben, Heimatgaben,
Wie's den tapfern Kriegern frommt,
Daß sie Schutz und Schirmung haben, Wenn das Eis des Winters kommt.
Segn' euch Gott am Elbestrande Für die Treue, die ihr hegt.
Die bis an des Reiches Rande Früchte tät'ger Liebe trägt.
Darum halten wir im Osten Treue Wacht für Heim und Herd.
Mag's auch Vlut und Leben kosten,
Vis der Friede wiederkehrt.
Einmal kehren eure Söhne Siegbekränzt zu euch zurück.
Wenn des Domes Elockentöne Strandwärts tragen Friedensglück.
Drum, was ihr ins Feld gesenbet, Hamburgs Söhnen zum Empfang,
Heißer Dank sei euch gespendet,
Tiefer, heißer Liebesdank!
Im Wetter.
Nun brausen die Stürme durchs friedliche Haus llnb rütteln an ben Grunbpfeilern bes Baus.
O, laßt es stürmen aus Ost unb West,
Der Vau hält es aus, bas Haus steht fest.
Doch wo etwas stickig ist unb oerbumpft,
Wo etwas vermodert unb versumpft,
u
256 IV. Wir in Hamburg während der KriegSzeit.
Hei, wie es da fegt unb zornig ruft
Unb wirbelt ben Staub unb reinigt bie Luft.
Schon lange hat es geschmält unb gebroht,
Nun stehn wir im Wetter von Blitzen urnloht,
Nun heitzl es, nicht zogen unb Gott vertraun:
Wir werben ben Regenbogen schaun.
O, Bogen bes Friebcns, spanne bich aus Über ein wettergereinigtes Haus,
Drin beutfcbe ftinbcr, stark unb rein,
Wachsen in herrlichste Zukunft hinein.
Gustav Falke.
Drei Sicgeszeugen.
Auf unserm Rathausrnarkt stehen sie. vor bem Kaiserdenk-mal. Sie sperren bie Mäuler weit aus, bie eroberten Geschütze. Aber sie reben nicht mehr ihren todbringenden Donnerspruch. Die einst sie sprechen ließen, liegen tot hinter ben Wällen von Maubeuge.
Nun stehen sie unb träumen. Doch an einem Tage haben ihre schweren Leiber gestöhnt unb gezittert. Das war am 5. November, als sie, von trabenben Pferden gezogen, von Bahrenfelb nach Hamburg gebracht wurden. Von rauschender Regimentsmusif geführt, bringt man sie burch bie bicht-gebrängten Bolkswassen. Ein weiter Platz ist vor bem Denkmal freigehalten burch Reihen von Soldaten, so daß sie vielen zur Schau stehen. Aber die vielen in den letzten Reihen, sie sehen nichts von der feierlichen Übergabe durch den kommandierenden General an den Ersten Bürgermeister unserer Stadt. Sie hören auch nicht die Worte, in denen er die Tapferkeit hamburgischcr Soldaten rühmt, die auch geholfen haben, diese Geschütze zu erobern. Aber sie alle sehen den Fahnenschmuck am Rathause und an den Häusern umher, und sie sehen hoch über ihren Häuptern bcn Zeppelin grüfeenb seine ruhigen Linien ziehen, llnb sie hören ben gewaltigen Ton ber ftirchenglocken. Nusen diese Triumph über ben Feinb? — Englische Kanonen finb es. Am gleichen Tage, an biefem 5. November, fliegen bie ersten Kugeln aus beutschen Schiffsgeschützen auf ben Doben bes meergesicherten Gcnglanb. Es ist ber Tag bes Gefechts von Mrmoulh.
IV. Wir in Hamburg während der Kriegszeit.
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Die Glocken.
Es geht ein Zittern durch die Luft,
Ein Schweigen wie vorm Sturme.
Man fühlt, wie jeder bangend lauscht,
Fernher wie Adlerflug es rauscht,
Da, horch, es läutet vom Turme.
Was mag es sein? Ruft's zum Gebet?
Oder —? Die Pulse stocken.
Da fällt's von allen Türmen ein,
Das schallt so wuchtig, voll und rein,
Sieg! Sieg! jauchzen die Glocken.
Da leuchten die Augen, da dehnt sich die Brust,
Als wollt' sie vor Freude zerspringen.
Da bricht es heraus in Iubelgebraus,
Da flattern die Fahnen von Haus zu Haus,
Und die alten Lieder erklingen.
Und ganz zuletzt hebt ein Glöcklern noch an,
Das hat seit Siebzig geschwiegen.
Es zitiert ein tiefes Weh in dem Klang,
Ein verhaltener Schrei, ein Schluchzen bang.
— — Und wir träumen von neuen Siegen.
Jakob Loewenberg.
ff
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V. 3m Osten.
Neidenburg.
Selbsterlebtes von Th. Boettner, Kreisschulinspektor in Neidenburg.
Um 7 Uhr kam am 22. August eine Kosakenpatrouille von etwa 15 Mann in die Stadt. Die ganze Besatzung waren noch zwei Jäger und ein Kürassier, die wahrscheinlich ihre Truppe verloren hatten und deshalb in der Stadt zurückgeblieben waren. Binnen 10 Minuten hatten diese drei Mann die 15 Kosaken vertrieben. Etwa zwei Stunden später kamen 80 Kosaken mit Gebrüll und geschwungenen Lanzen von Norden her in die Stadt gesprengt und machten auf dem Marktplatz halt. Im Nu waren sämtliche gröHeren Schaufenster mit den Lanzen und Flintenkolben eingeschlagen oder durch Schüsse zertrümmert und mancherlei Wertsachen und Eßwaren geraubt. Daraus machten sich die Kosaken daran, die Schienen in der Nähe des Bahnhofs aufzureißen. Eben waren sie damit beschäftigt. als etwa 20 deutsche Radfahrer einrückten und die Kosaken in die Flucht schlugen.
Wir glaubten, dah die Gefahr vorüber sei, da erdröhnte plötzlich Kanonendonner. Es war genau 2 Uhr nachmittags. Da kommt auch schon der Hauptmann der Feuerwehr in das Gasthaus gestürzt: „Das Gebäude des Vorschuhvereins steht in hellen Flammen!" Die ersten Granaten waren eingeschlagen und hatten gezündet. Die meisten Einwohner flohen in wildem Entsetzen, die übrigen verbargen sich in den Kellern. Ich zog mich auch in den Keller zurück, um den weiteren Verlauf der Dinge abzuwarten. Das Haus des Vorschuhvereins liegt meiner Wohnung gerade gegenüber. Prasselnd züngelten die Flammen empor. Ich wunderte mich, dah sie trotz des Windes weder auf mein Haus noch auf das danebenliegende leerdach überschlugen.
V. Im Osten.
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Granate auf Granate flog heulend heran und platzte über den Häusern. Wohl dreihundert mögen uns die russischen Geschütze zugesandt haben. Bald brannten die Gebäude des Marktes ringsumher. Um V»5 Uhr fiel der letzte Schutz.
Ich begab mich jetzt in meine Wohnung, um die Fenster zu schließen und einige wichtige Papiere zu mir zu stecken. Da sehe ich auch schon, wie ein heulender Schwarm von russischen Soldaten, mit Arten und Veilen bewaffnet, über das Post-gebäude herfällt und Fenster und Türen einschlägt.
»Jetzt ist es die höchste Zeit!" denke ich, laufe in den Garten und setze über den Zaun. Im nahen Wald will ich mich verstecken. Im Nachbargarten treffe ich einige Männer. Was ist zu tun?! „Wir verstecken uns dort im Gewächshause/ Ich springe über den nächsten Zaun und gelange auf eine Wiese. Da noch hinüber und du kannst den Wald erreichen! Plötzlich sehe ich, daß die ganze Wiese von Kosaken und Infanteristen umstellt ist. Denen wäre ich direkt in die Arme gelaufen, Kurz entschlossen wende ich mich nach links, springe über einen Graben und ducke mich in das fußhohe Gras. Vielleicht haben sie dich nicht gesehen. Entdecken sie dich, so bist du ein Kind des Todes. Denn was hast du dort an der Wiese zu liegen? Unzweifelhaft bist du ein Spion.
Raum habe ich mich hingeworfen, da kommt auch schon der ganze Schwarm über die Wiese, dicht an mir vorüber. Sie rücken in die Stadt ein, und jetzt beginnen sie die Plünderung. Ich höre ihr Siegesgebrüll, höre das Geschrei der Männer, das Kreischen der Mädchen und Frauen. Unheimlich leuchtet der Feuerschein von meiner Straße vom Markt her. Dichter Qualm wälzt sich heran, Garben und Funken regnen hernieder. Nach etwa einer Stunde lehren die ersten Räuber zurück, in langen Reihen folgt Mann auf Mann. Sie tragen ihre Beute zusammen. Große Säcke schleppen sie auf dem Rücken daher. Der bringt Blechbüchsen, der Betten, Tücher und Stoffe, der trägt ein Fäßchen, jener Flaschen, zwei treiben ein widerwilliges Schwänchen vor sich her, und untereinander prahlen sie von ihren Heldentaten. Oben am Rande der Wiese schlagen sie ihre Lager auf. Da feiern sie jetzt ihren Sieg. Sie schlachten und prassen und trinken. Immer lauter wird ihr Gebrüll. Sie streiten sich um die Beute. Ich liege auf der Seite im Grase und sehe mir das Getriebe an. Ich verstehe nicht, was sie einander zurufen. Aber ein anderer, dem es nicht besser ging als mir, hat es verstanden: „Jetzt brechen wir in dieses Kaufhaus
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V. Im Osten.
ein, jetzt in jenes? Und war die Arbeit dort vollbracht, so ging das Gebäude auch sicher bald darauf in Flammen auf.
Bei weitem nicht alle Häuser, die herunterbrannten, sind von Granaten in Brand geschossen worden. Auch war es nicht möglich, datz die Flammen überschlugen. Ich habe es ganz deutlich beobachtet, wie plötzlich Gebäude aufflammten, die weitab vom Brandherd standen. Die Leute müssen Handgranaten gehabt oder mit Petroleum und Streichhölzern gearbeitet haben. In der evangelischen Kirche hatte eine Schar von Einwohnern Schutz gesucht. Die Russen nehmen die silbernen Geräte heraus. Kurze Zeit darauf steht die Kirche in Flammen. Ich habe es deutlich gesehen, dah erst Rauch und dann das Feuer zum Dache herausschlug. Also muß sie von innen angezündet worden sein. Zum Bürgermeister kommen ein paar Schurken und verlangen Lebensmittel und Petroleum. Sie plündern seine Wohnung in seiner Gegenwart. Dann räumen sie die Wohnung aus, die darüber liegt, und stecken das Haus den Bewohnern über dem Kopfe an. An den beiden Ecktürmen kam das Feuer zuerst aus.
Allmählich wird mir's kühl in meinem Versteck. Soll ich hier die Nacht zubringen? Da höre ich Räderrasseln. Das find sicher Geschütze, und eine lange Reihe mutz es sein. Lautes Geschrei dringt an mein Ohr. Die Deutschen kommen! Gewitz haben sie vernommen, datz der Feind unsere Stadt besetzt hat. Jetzt werden sie uns befreien. Die Zwanzigtausend, die gestern abend durchzogen, können ja noch nicht so weit sein. Das Fest mutz man feiern. Ich setze mich also aufrecht hin und stecke mir eine Zigarre an. Kaum brennt sie, da höre ich zwei Russen neben mir, drei Meter ab. Sie beraten offenbar, wie sie über den Graben kommen können. Ich klappe wieder ins Gras und liege 10 Minuten wie ein Baumstamm. Dabei ist mir heitz geworden, ich kann es nicht leugnen. Die Deckung auf der rechten Seite war auch nicht besonders gut. Die beiden schreiten noch einige Male auf und ab, aber verziehen sich dann, weil ihnen der Graben zu breit ist. Ich habe mich aber zu früh gefreut, denn was da hineinrasselte, sind russische Kanonen und Beutewagen. Ich warte noch eine Stunde. Es war unterdessen 10 Uhr geworden. Was soll ich tun? Morgen, tvenn’s hell wird, werden sie dich doch hier finden. Drüben steht ein Blockhaus. Das hatten unsere Soldaten aufgestellt, als sie die Stadt in Verteidigungszustand setzten. Dort kann man die Nacht verbringen. Ich krieche also behutsam auf Händen und
Fühen heran, gerate dabei aber ms Wasser, das mich bis auf die Hanl durchnäht. Meine Lage wird dadurch nicht angenehmer und meine natürliche Wärme nicht gröher. Ich mutz also schauen, ob mein Haus noch steht, und ob ich mich hineinschleichen kann. Ich erreiche die ersten Häuser der Stadt. Keine Menschenseele ist zu sehen. Aber, Herrgott, wie sieht es hier aus! Kein Fenster ist ganz, keine Tür heil. Und vor den Häusern und drinnen ein unbeschreibliches Durcheinander.
An den Straßenecken und an einzelnen Häusern stehen Gruppen von Kosaken und Infanteristen. Ob man lebendig an ihnen vorüberkommt? Haben sie die unglücklichen Einwohner der Stadt geschont oder haben sie sie niedergemacht? Sind die Bürger geflohen oder sind solche noch in der Stadt? Ich weitz von alledem nichts. Aber ich weitz, datz ich an den Halunken -vorüber mutz. Und es glückt. Sie sehen mich mitztrauisch an, aber sie lassen mich laufen. In der Poststratze steht eine lange Reihe von Kosaken zu Pferde. Sie regen sich nicht, sie schlafen. Wie aus Erz gegossen erscheinen Mann und Pferd; dann und wann werden sie von einer aufschießenden Flamme gespenstisch beleuchtet. Ich komme ins Haus. Sämtliche Türen stehen weit offen. Ich hatte sie nicht verschlossen, um den Herren das Einbrechen zu ersparen. Das war recht getan, denn jeden Widerstand beseitigten Art und Kolben. Sämtliche Schränke, Schubladen, Behälter sind geöffnet. Alles, was darin war, ist herausgerissen und durchwühlt. Stühle, Kasten, Kleider, Wäsche, Wanduhren, Bilder, kurz alles, was sich in einer Wohnung befindet, liegt kunterbunt durcheinander. Man kann keinen Schritt frei schreiten. Was mögen die Spitzbuben gesucht, was mag ihr Interesse erregt haben? Zigarrenkisten liegen leer am Boden, die wenigen Lebensmittel, die ich noch besah, sind weg. Die Schmucksachen meiner Frau, silberne Bestecke und Löffel sind verschwunden. Zwei Brecheisen finde ich an verschiedenen Stellen. Sie tragen beide dieselbe deutsche Fabrikmarke. Es scheint fast, als gehörten sie zur Ausrüstung eines russischen Soldaten. Und Deutschland hat ihnen das Kriegsmaterial geliefert. In erster Linie haben sie's natürlich aufs Geld abgesehen. Auch hier zeigt sich ihre Stärke und ihre Übung. Die gut versteckten Sparkassen der Kinder haben sie richtig gefunden. Von meiner Standuhr, von meinem Wecker haben sie die hinteren Verdeckplatten abgeschraubt, von den stehenden Vilder-rahmen die Pappe gelöst: Es konnte ja Papiergeld darin versteckt sein. Doch, was sollte ich klagen. Sie sind glimpflich mit
mir umgegangen. Sie haben mir keine Betten und Sofas aufgeschlitzt, keine Türfüllungen und Spiegel eingeschlagen, kein Geschirr und keine Fenster zertrümmert, auch das Haus nicht angezündet. Nachher habe ich in anderen Straßen und Häusern gesehen, daß das alles zu ihrem Handwerk gehört. Die Kosakenwachen stehen träumerisch auf den Straßen. Sie sind aufgezogen, um die Stadt vor der Plünderung der eigenen Karne* rädert zu schützen, aber erst, als die Plünderung bereits beendet war.
Man mutz anerkennen, datz auch unter russischer Oberhoheit eine gewisse Ordnung herrscht. Der Hauptmann der Feuerwehr hatte sich erboten, die Rettungsarbeiten zu leiten, damit nicht die ganze Stadt in Flammen aufgehe. Er hatte aber um eine Wache für sein Haus gebeten; das bisher unverletzt war. Er bekam sie, doch als er zurückkehrte, war sein Haus schändlicher ausgeplündert als alle anderen, und Spirituosen und Zigarren im Werte von Tausenden von Mark hatte man fortgeschleppt. Einem anderen Herrn ging es nicht viel besser. Solange sein Haus unbewacht war, ging alles gut. In der Nacht, da er einen Sicherheitsposten erhielt, wurde er bestohlen. Am Tage nach der Beschießung kamen Dutzende von Beutewagen, die von Soldaten oder Bauern aus Polen geführt wurden. Sie wurden in Kaufläden und Privathäusern gefüllt mit allem, was man brauchen und nicht brauchen kann. Den Geschäftsgang leiteten die Sicherheitswachen.
Man sieht, siegreiche Russen haben auch ihre starken Seiten.
Hindenburg im Krieg.
Generaloberst von Hindenburg ist eine imposante Erscheinung, ganz so hochragend, so reckenhaft, wie man sich den Sieger von Tannenberg vorstellt. Die Abbildungen aber, die jetzt zu vielen Tausenden in Deutschland verbreitet sind, sind nicht sehr ähnlich, weil der Generaloberst trotz seiner 67 Jahre erheblich jünger aussieht als auf allen feinen Bildern. Hindenburg trägt sein graues Haar nach militärischer Sitte kurz geschnitten. Der Schnurrbart, mit Sorgfalt gekräuselt und gewunden, ist zum Teil noch blond. Tief unter der schmalen Stirn liegen kleine blaue Augen, die im Gespräch sich manchmal schließen. Der Kopf scheint klein im Verhältnis zu der außergewöhnlich hohen Gestalt. Für sich betrachtet, ist es ein mächtiges Haupt — der echte Kopf eines Tatmenschen, eines
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Kriegsmannes, stark und fest, zugleich ein echt deutscher Lharakterkopf mit den markigen Zügen der Bildnisse von Holdem und Dürer.
Hindenburg erzählt von der gewaltigen Schlacht bei Tannenberg, die sich aus einem Terrain abgespielt hat, das dasjenige der Schlacht bei Sedan an Ausdehnung um mehr als das Vierfache übertraf. Auf diesem Schlachtfelde wurden die Russen nach allen Regeln der Kunst „eingekreist". In der Mitte hatten sich die Russen eine wunderschöne Stellung aufgebaut. Es half ihnen aber nichts. Hindenburg hielt sich mit seinem Stabe bei einer der Armeen auf, welche die Russen umzingelten. Dort wartete er auf Nachricht. Gegen Mittag erschien plötzlich hoch in den Wolken ein Flieger. Er kommt näher und näher, schwebt über die russischen Stellungen hinweg und geht beim Hindenburgschen Hauptquartier nieder. Der Oberbefehlshaber erhält auf diese Weise die Meldung, daß seine Ostarmee in den ihr zugewiesenen Raum eingerückt ist, daß der Kreis geschlossen ist, und daß die Russen in der Falle sitzen. Und Hindenburg befiehlt den Angriff. Der Bote aber, der vom Himmel herunter die gute Kunde brachte, fand nicht etwa eine freundliche Aufnahme. „Es war mir etwas nicht recht," berichtet der Generaloberst, „und ich habe ihn gehörig angepfiffen."
Unter den russischen Fahnen, deren sich die Deutschen bei Tannenberg bemächtigen konnten, befand sich eine mit der deutschen Aufschrift: „In treuer Kameradschaft". Sie war vor mehr als hundert Jahren vom preußischen General Dord v. Wartenberg dem Regiment des russischen Generals Diebitsch geschenkt worben, mit bem ?)orck in ber Mühle von Tauroggen die berühmte Konvention schloß. Unb bas merkwürbigste ist, daß biese Fahne jetzt bei Tannenberg von bem preußischen Iägerbataillon erobert würbe, bas ben Namen bes Generals Horck führt.
Ein Hatz gegen bie Russen besteht im Hinbenburgschen Hauptquartier nicht. Es wirb sogar anerkannt, baß bie Russen den Krieg jetzt im wesentlichen „anstänbig" führen. Auch bie Leistungen ber Franzosen in ber Verteidigung ihres Lanbes werben gewürbigt.
Nur gegen bie Englänber besteht auch hier berselbe Haß wie in ganz Deutschland Herr v. Hindenburg sagt, ber Kronprinz von Bayern mit seinen markigen Tagesbefehlen, welche den Engländer als den verhaßtesten Feind bezeichnen, habe ihm ganz aus der Seele gesprochen. Dabei unterschätzt man
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V. Im Osten.
aber durchaus nicht die Kriegstüchtigkeit der englischen Soldaten. Diese sei keine Überraschung für den deutschen Generalstab. Das deutsche Publikum habe die Engländer als eine Art Schützengilde betrachtet, allein der Generalstab sei sich auch vor dem Kriege schon klar darüber gewesen, datz sie auch zu Lande ernst zu nehmende Gegner seien.
Mit Herzlichkeit wird der Türken gedacht. Man erwartet viel von der tapferen türkischen Armee.
Die Stunden vergehen. Herr von Hindenburg wird nicht-müde, zu erzählen. Man freut sich der Frische, der Heiterkeit dieses prächtigen alten Herrn und denkt dabei belustigt an die Berichte über Hindenburgs Gebrechlichkeit und schwere Leiden.
„Nein, wirklich," sagte er, „ein kranker Mann bin ich nicht. Ich bin auch nicht vom Krankenbett geholt worden, um den Oberbefehl zu übernehmen. Die „historische" Wahrheit ist: ich lag nicht im Bett, sondern satz am Äaffeetifch, als die entscheidende Depesche eintraf. Bald daraus kam mein Generalstabschef mit (Eitrazug aus Belgien, teilte mir Näheres mit, und dann fuhren wir zusammen weiter, nach Tannenberg. Und auch das ist nicht wahr, datz ich seit Jahren jeden Sommer nach den masurischen Seen gegangen bin und eine alte Kanone durch sie durchgezogen habe, um auszuprobieren, wie tief man darin einsinkt. Bon meinen eingebildeten Krankheiten — von den Krankheiten, die man mir einbildet — machen mir am meisten die Gallensteine zu schaffen. Nie im Leben habe ich Gallensteine gehabt. Das hilft mir nichts. Andere Leute wissen es besser, und es vergeht kaum ein Tag, an dem ich nicht Rezepte gegen Gallensteine erhalte. Manche schicken gleich das Pulver mit, das mich heilen soll. Ich bin all den braven Menschen ja sehr dankbar, daß sie um meine Gesundheit so besorgt sind. Aber es geht mir ausgezeichnet, und ich kann doch all das Zeug nicht schlucken, beim besten Willen nicht.
Und bann: strategische Ratschläge brauche ich auch nicht. Es kommen unaufhörlich Briefe, die mir sichere Mittel angeben, den Krieg zu gewinnen. Da schreibt mir neulich jemand, ich solle immer am Ufer eines gewissen Flusses entlang ziehen, immer geradeaus, bis Petersburg. Die Idee ist nicht schlecht; und wenn mir die Russen vorher versprechen würden, immer am anderen Ufer zu bleiben, so täte ich's vielleicht. Nein, nein, ich habe nun einmal meine eigenen Ansichten über die Strategie. Die guten Ratschläge sind nicht nötig. Meine Herren vom Generalstab und ich, wir helfen uns schon allein durch."
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Auf dem Schlachtfelde von Hohenstein.
Mein liebenswürdiger Führer erzählt, wie sich die Schlacht entwickelt hat. „Hier lagen zuerst die Nüssen" — richtig, da ist der erste Schützengraben, vom Regen schon etwas verwaschen, dahinter die einzelnen Löcher der Offiziere, denn der russische Offizier liegt nicht mit den Gemeinen zusammen — „auf jenem Berge fuhr blitzschnell unsere Artillerie auf, unterstützt von der Infanterie aus dem Stadtwalde", und fo geht es weiter, bis sich vor mir das ganze Schlachtfeld aufbaut. Reine noch so genaue Generalstabskarte kann es so deulich machen wie ein Blick in die offene Natur. Das Gelände ist zum Anschleichen, zum Deckungsuchen und zum Stürmen ganz herrlich geeignet. So weit das Auge ringsherum schweifen kann, nur kräftig gewellte Berge mit Schluchten — und weit hinten das Wasser der blanken Seen. Ganz abgesehen von dem Schlachtfelde war die Landschaft selber so lieblich, wie sie nur sein konnte. Ich hätte nie gedacht, daß ostpreutzische Hügel so schön sein können.
Wir stehen am ersten deutschen Soldatengrab auf einsamer Höhe. Ein etwas breiter Grabhügel, darauf in zwei Nethen |e fünf Helme, zum Teil noch mit dem grünen Überzug. Aus Zwei verwitterten Zaunlatten ein kleines Kreuz, daran ein Zettel aus dem Notizbuch:
Hier liegen zehn brave Landwehrmänner, gestorben fürs Vaterland.
Der Zettel ist vom Negen schon ganz verschrumpelt, der nächste Wind jagt ihn über die Stoppeln, und wer weitz dann, wer hier unten schlummert? Gewiß mag's sich unter schattigen Ulmen schöner ruhen, aber mancher Mutter wäre es sicherlich ein lieber Trost, wenn sie wüßte, wie schön auch ihr Junge hier ruht. — Merkwürdig, beim nächsten Grabe will mir diese Stimmung nicht kommen, vielleicht liegt es an der Inschrift auf der abgebrochenen Latte: „Zwei Nüssen" — weiter nichts. Wieder auf einem anderen Grabe stand aus einem nahen Bauerngarten ein Nofenbäumchen, allerdings war es vertrocknet, aber vielleicht erbarmt sich der nächste Frühling und macht es wieder grün. Wo gar nichts zu finden war, haben liebe Hände wenigstens in einer Neihe wilde Stiefmütterchen aufs Grab gesetzt. —
Die Schützengräben werden zahlreicher, immer in Bogen nach den Schwellungen des Hügels, manchmal ganz kurz,
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manchmal 15 Meter lang und mehr; hier und da ein Loch im gelben Boden, von der Tiefe eines halben Meters, auch schon vom Regen verwaschen, wo eine Granate eingeschlagen hatte. Splitter davon liegen genug herum, die blauen sind unsere, die blanken die russischen. Alle Augenblicke ein ganz kleiner gelber Sandhügel, kaum größer wie ein Maulwurfshaufen, den sich ein einzelner aufwarf, um Deckung zu suchen. Es muh ungeheuer schwer sein, auf einige hundert Meter den Feind zu sehen, der am Boden liegt, zumal im Kartoffel- oder Stoppelfelde.
In einer Schlucht mit Feldsteinen zwischen Wacholdergebüschen müssen die Russen in aller Gemütlichkeit gelagert haben. Die in voller Ruhe abgenagten großen Wirbelknochen und die Menge ausgerupfter Hühnerfedern sprechen dafür. Aber bald sieht es immer bunter aus. Vor jener Waldecke müssen sie in aller Eile aufgesprungen sein. Da liegen Hemden, z. T. noch mit braunen Blutflecken, Kleiderfetzen, verregnete Mützen, Mäntel, ein zerbrochener Koffer, zerrissene Generalstabskarten, deutsche und russische, Patronentaschen und dergleichen. Und diese Lager nehmen immer mehr zu, je näher es an den Kleinen Plautziger See geht. In Unmengen liegen noch heute, nach sechs Wochen, die Ausrüstungsstücke da durcheinander. Hier müssen sie schon von unserer Artillerie überrascht oder von der Kavallerie verfolgt worden sein. Alles, was auf der Flucht irgendwie hinderlich sein konnte, wurde fortgeworfen. So schreitet man denn über Hunderte und aber Hunderte von grauen Segeltuchtornistern, Feldslaschen (z. T. aus Holz!), schwarzen Kochgeschirren, Mappen aus Glanzleinwand, ledernen Patronentaschen mit zerschnittenen Gurten, grünlichen Brotbeuteln, wieder andere Patronentaschen aus Leinwand oder Segeltuch (die Ausrüstung der russischen Armee hat drei verschiedene Patronentaschen), zerbrochenen hölzernen Eßlöffeln» kleinen blauen Büchern, die wie Militärpässe aussehen, Postkarten, Briefen, Büchern, ganzen Packen von Telegrammformularen und ähnlichem. Hier wieder hat der Regen einen Roman aufgeblättert wie einen Fächer, dort liegt ein russisches Drama, ein Stereoskopbild aus Hamburg, ein demoliertes Fahrrad, da liegen grüne Kohlköpfe und Haufen von halbgekochten Kartoffeln, vom Schimmel grün überzogen. Ein paar Meter weiter wieder blutige Handtücher, aufgeweichte Verbandpäckchen (einige mit deutscher Aufschrift), eine Sanitätstasche mit vielen Fächern, gefüllte Patronentaschen, Maschinenschlüssel, Klkännchen, verbogene kupferne Kochkessel, ein Stiefel, an dem
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man sieht, wie der Granalsplitter den Knochen herausgerissen Hai. eine Puppe ohne Kopf, kleine Feldspaten, ein Amulett, um den Hals zu tragen, Hemden, Hosen — alles durch den vielen Negen schon verschimmelt oder unbrauchbar gemacht.
Auf einer Waldwiese mutz es ganz toll zugegangen sein. „Bewegt sich da jemand?" — „Ich kann nicht genau sehen, ich glaube, es sind nur die Lappen auf den Wacholderbüschen im Winde." — Und so war's auch; auch jetzt kann man hier in den Überbleibseln der Flucht geradezu waten, und die Bauern versichern, daß die weggeworfenen Sachen kniehoch lagen. Aufgebrochene Konservenbüchsen. Marmeladendosen, Tuben mit Fußpomade, Tee-Ertrakt in Päckchen, Beutelchen mit Knöpfen, Zwirn und verrostete Nähnadeln, verbeulte Blechkasten, etwa 4—5 Meter lange leere Ladestreifen der Maschinengewehre, Krokihefte, ein abgebrochener Tritt vom Geschütz, Stangen mit eisernen Ringen (vielleicht von Tragbahren), rote verblaßte Blusenhemden, verschmutzte Stickereien, ein ausgeschnittenes Lederfutteral zum Offiziersrevolver, durch die Nässe hart und schrumplig gewordene Lederriemen, zerschlagene Sättel, aus denen die Wergpolsterung herausquillt, Baschlickmützen aus weißem Flanell, umgefahrene Wacholderbüsche, die noch ganz schief dastehen. Alles Wertvolle ist natürlich längst fortgeholt worden, sei es von unseren Landsturmmännern bei der Aufräumung des Schlachtfeldes, sei es von den in der Nähe wohnenden Bauern. Die Gendarmen durchsuchen zwar jedes Haus, aber mancher Pelz, manch gesticktes Hemd wird wohl erst später in etwas veränderter Form auftauchen. Und wer wollte das den Bewohnern auch übelnehmen? Haben sie doch Angst und Verluste genug gehabt. Drüben aus dem Busch fliegen vier Krähen auf, richtig, da liegt noch in Fetzen die Hälfte eines Pferdetopfes. Schnell weiter, denn jetzt riecht man auch das grün-graue Fleisch. — Und da wir einmal beim Gruseligen sind: ein Bauer pflügte fein Feld, auf einmal reckte sich ihm — ein Arm entgegen, so daß er entsetzt zurückprallte — er hatte in einen flach verscharrten Russen hineingepflügt. Wenige hundert Meter weiter liegt ein Bergabhang mit vielen metertiefen, viereckigen Löchern. Vermutlich sind es Schlaf-locker, in die sich immer mehrere Russen hineingekauert haben, denn Schützengräben können es nicht sein, weil in dem Gelände ein Schießen auf den Feind unmöglich ist. Drei Russen sind da mit der Hacke notdürftig verkratzt worden, man sieht nock. wie sie nebeneinander krumm liegen müssen.
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Kurz vor dem ziemlich großen See ist eine Wiese und hinter der Wiese ein munter plätschernder Bach mit Erlengebüsch. Hier ging es nicht weiter. Entweder müssen die Russen sich zu Hunderten, vielleicht zu Tausenden hier ergeben habenr oder sie wurden in den See getrieben. Die Wiese lätzt sich ganz, leidlich überschreiten, aber stark auftreten darf man nicht, sonst hat man die Schuhe voll Wasser. Was müssen hier für Wagen und Geschütze sieden geblieben sein. Zwischen den Erlen liegt noch eine Feldküche, umgestürzt, die Räder zerschlagen, dem Geruch nach mutz im Kessel noch Fleisch sein. Man sieht ordentlich, wie sinnlos sie aus die Pferde losgepeitscht haben müssen,, denn die Küche steckt mitten zwischen den Erlenbüschen fest, wo sie niemals hindurchgekommen wäre.
Wenige Minuten weiter liegt eine ganz entzückend im Grünen versteckte Wassermühle, unversehrt. Das uralte Wasserrad dreht sich genau so langsam wie vorher. Aus den kleinen Löchern der Verschalung zischt das Wasser in dünnen Strahlen auf die grünen, moosbewachsenen Planken — ein Bild zum Malen, im Schwarzwald kann's nicht schöner sein. Auch da muh die rasende Flucht über das Gehöft gegangen sein. Der Müller erzählt, datz noch vor wenigen Tagen ein Kosak auf feinem Pserde über den See gekommen sei — allerdings tot. Er hatte sich im Todeskrampfe in die Mähne des Pferdes festgestellt, beide waren ertrunken, und als sie jetzt hochkamen, trieb sie der Wind langsam ans Ufer zurück.
Wir gehen an dem munteren Bache aufwärts. Noch eine Feldküche, diesmal steht sie ausrecht, allerdings auch nur auf Speichen. Ich hebe den Deckel hoch, drinnen liegen noch gekochte Kartoffeln, mit Schalen, sauber sieht es gerade nicht aus» Ein Strang von den Geschirren ist noch an der Deichsel geblieben, nur durchschnitten, zum Abschirren war feine Zeit mehr.
Es geht langsam bergan, zum ersten Male durch einen zerschossenen Wald. Wild genug sieht es darin noch aus. Stämme von der Dicke eines Kopfes find entweder glatt durchgeschlagen und dann umgebrochen oder so angeschossen, daß lange weihe Splitter stehen blieben. Manchmal hat es den Anschein als ob eine riesige Hand die Kronen abgedreht hat, wie man eine Mohrrübe abdreht. Der Wald hat zweimal Feuer bekommen, einmal von uns und dann von den Russen. Aus der Lage der abgebrochenen Stämme läßt sich ganz deutlich die verschiedene Schutzrichtung feststellen.
In der nächsten Talsenkung hackt ein derber masurischer
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Bauer sein Holz. Neben seinem Hause liegen viele Hunderte von russischen Gewehren, alle mit abgeschlagenem Kolben, vom Regen bereits verrostet. Einen Teil haben die Russen selber zerschlagen, einen Teil unsere braven Soldaten, als sie die Schützengräben gestürmt hatten. Die Gewehre sind vielleicht hier gesammelt worden, dann aber hat man sie als wertlos liegen lassen. Als nach der Schlacht die brauchbaren Gewehre in Hohenstein gesammelt wurden, da lagen sie an den kleinen Häusern bis an die Dachkante aufgestapelt. Als dann die Behörden für jedes Stück eine Mark boten, brachten die Bauern ganze Leiterwagen voll Gewehre an. Die Patronen waren zu wahren Bergen aufgehäuft, ebenso die Artilleriegeschosse. So und so viele Mäntel mutzten liegen bleiben, weil man für sie keine Verwendung hatte. Unsere Soldaten verkauften Kosakenpferde für 3 Mark an die Bauern, wenn sie sich auf ihnen müde geritten halten. Auf einem mehrere hundert Meter langen Felde würben alle erbeuteten Kanonen, Munitionswagen, Maschinengewehre, Gepäckwagen, Bauernkarren zusammengebracht, es soll eine schier unübersehbare Menge gewesen sein. Was für unenbliche Summen an Kriegsmaterial müssen ba erbeutet unb vernichtet worben sein! Man fatzt sich an bie Stirn unb will es immer noch nicht glauben, was bie Russen hier verloren haben — unb babei bilbet Hohenstein boch nur einen Abschnitt aus bem ersten grotzen Kampfe!*)
*) In ber Deutschen Zeitung (23. Oktober 1914) berichtet ber Kriegsberichterstatter bes Nieuwe Rotterbamsche Courant, daß bie Beute von Tannenberg so grotz gewesen sei, batz bie Deutschen 1620 Güterwagen brauchten, um sie fortzuschaffen!
Das Abtransportieren ber gefangenen Russen bauerte acht (ober gar vierzehn) Tage, obgleich immer Züge mit 80—90 Achsen ab gingen (b. h. 40—50 Güterwagen voll). Unb wie viele wiederum ertranken im Wasser, und wie viele liegen in, ber Erde? Was mutz da ein Menschenleben wert sein? Und man erzählt, batz es in Rutzlanb nur Verlustlisten ber Offiziere gibt. Die verlorenen Mannschaften werben gar nicht erst gezählt, geschweige gar bem Namen nach aufgenommen. Jetzt erst wirb mir ber ganze Sinn bes Gustav Falkeschen Verses Har:
Wat brüllt be Storm?
De Minsch is'n Worm.
Wat brüllt be See?
’n Dreck is he!
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Längst ist die Mittagszeit vorüber, als mir an den Rück-weg denken. Noch einmal geht es über einen Teil des Feldes mit seinen vielen Schützengräben. Oft ist vom Kampfe nichts mehr zu merken. Der Spaten hat die Gräben zugeworfen, der Pflug die Erde zur Wintersaat neu aufgelockert. Abseits von einem in der Talsenkung liegenden einzelnen Gehöft stehen Reihen von gebückten Frauen beim Kartoffelausmachen. Das Gehöft selber, obwohl es mitten im Schutzfelde lag, ist nicht im geringsten beschädigt, während ein anderes in Flammen aufgegangen ist, obgleich es ganz abseits liegt. Das sind eben Spätzchen, die der Krieg sich manchmal erlaubt.
Das Gespräch kommt auf Spionage und ich erwähne die Geschichte aus der Zeitung, nach der ein Müller seine Mühle immer nach der Richtung unserer anrückenden Truppen gedreht hat. Sie wird mir als wahr bestätigt, sogar mit dem Namen des Müllers. Die russischen Offiziere bekamen vor der Schlacht hektographifche Karten, in denen unsere Stellungen angegeben waren! — Wie oft hatten sich unsere müden Soldaten eingegraben, als es am nächsten Morgen schon hietz: „Stellung wechseln, sie ist bereits wieder verraten.“ Und fragt man gar die Soldaten selber, so erzählen sie ganz haarsträubende Einzelheiten von Überfällen im Quartier, schlechter Behandlung und Verräterei durch die Grenzbewohner, — die wir indes in Bausch und Bogen so doch nicht als wahr hinnehmen wollen. Soviel aber steht fest: hier war viel Verrat im Spiele. Wer ihn verübt hat? Die alteingesessenen Ostpreußen sicher nicht. Die Masuren wehren sich ebenso gegen jeden Verdacht und schieben alle Schuld auf die aus Nutzland stammenden kleinen Ansiedler, die sich in den letzten Jahren dort zahlreich niedergelassen haben. Wer will hier ohne Tatsachenmaterial entscheiden ? Sicher scheint mir, datz unter den jährlich herübergekommenen Saisonarbeitern, die man recht freimütig ohne ernstliche Kontrolle über die Grenze liefe, sich recht oft Spione befunden haben. Ist doch mehr als einmal einer bei dem Hüten des Viehes beim Lesen oder Zeichnen betroffen worden — ohne datz weder Privatleute oder Regierung Verdacht schöpften.
Unter solchen Gesprächen sind wir pünktlich 3% Uhr zu Hause und erwarten eine wohlverdiente Strafpredigt. Um 1 Uhr wollten wir da fein! Aber Frauen sind eben nicht zu berechnen, auch nicht nach der guten Seite! „Ich wutzte ja, datz Sie von diesem Marsche nicht so bald zurück sein konnten; bas schadet auch nichts, ich habe alles so lange warmgestellt."
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Als wir uns zu Tisch setzen, traue ich meinen Augen nicht, denn ich hatte in dem ausgeraubten Hohenstein höchstens eine magere Kohlsuppe und ein Stück Schwarzbrot erwartet — und vor uns steht ein knusperig gebratenes Hühnchen und sonst noch allerlei Leckeres. Manche Frauen können wirklich zaubern! Unter heimischem Geplauder vergeht schnell die Zeit. Nichts von Aufregung, nichts von einer künstlichen Ruhe, hinter Der doch nur die Furcht schlummert, keine Sorge um die Zukunft. „Haben Sie denn gar keine Angst, datz die Russen wiederkommen könnten?" — „Aber nein, warum sollen wir denn Angst haben? Ehe sie nicht 10 Kilometer vor der Stadt sind, rücken wir nicht wieder aus. Der kleine Koffer mit dem Notwendigsten steht noch unausgepackt da in der Ecke." Und so denken wohl die meisten in Hohenstein. Einer Dame, die sich zu längerem Besuche auf einem Gute eingefunden hatte, ist in dem zerschossenen Herrenhause ein ganzer Reisekorb mit guter Wäsche und neuen Kleidern mitverbrannt. „Warum melden Sie den Schaden nicht an, auf die paar hundert Mark kann es der Regierung doch nicht ankommen?" — „Wozu? Der Staat hat mehr zu zahlen, ich kann's noch verschmerzen." Und so denken — nicht alle, aber viele. Eins nur wollen wir diesen Braven wünschen, daß sie nicht zum zweiten Male zu zeigen brauchen, wie man mit Würde selbst den Krieg erträgt.
Gefangene und Beute.
Es ging über K. nach S. zu. Auf dem Marsch dahin meldete uns unsere Radfahrerabteilung, das; sie russische Artillerie beschossen hätten, wir möchten ihnen helfen. Wir erbeuteten ein Geschütz und viele Pferde. Der Feind entfernte sich fluchtartig nach der Grenze. In M. sollen wir eben Quartier beziehen. Ich bin mit meinem Zuge beschäftigt. Plötzlich starkes Infanteriefeuer. Hui! Eine lange Wagenreihe ist am Waldesrande sichtbar geworden. Die vordersten Wagenpferde sind bereits zusammengebrochen. Russen fliehen in wilder Hast in die Berge. Drauf! Ohne weiteren Munitionseinsatz fällt uns die ganze Bagage in die Hände. Die Bemannung kommt geschlossen mit erhobenen Händen heraus. 900 Gefangene, 200 bis 300 Pferde, Brot, Mehl, Geld (? 50000 ?), Hafer, Graupen usw. Dort wird eine Rast von drei Stunden eingelegt. Schnell Füsze gebadet. Sie tun fürchterlich weh. Kaum haben wir uns etwas hingelegt und Butterbrot gegessen (denke, Butter! Aus der Meierei! Das ist bei uns ein rarer Artikel), so heitzt es: 1. und
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3. Kompagnie an die Gewehre! Wieder ist Kunde von einer anderen Bagage gekommen. Drei Stunden dauerte der Spaziergang. Nachher erfuhren mir, daß die Dragoner und Ulanen eine Bagage von 8 Kilometer Länge genommen hätten. Denkt Euch, welch ein Wert! Nachmittags ging's endlich nach Willenburg. Abends 10% Uhr kamen wir ins Quartier! Willenburg ist natürlich ganz verlassen. Acht Tage haben die Russen hier gehaust. Wirtsleute haben wir also nicht gesehen. Die Betten liegen aus der Russenzeit noch aus der Erde. Betten! Und heute sollten wir Ruhetag haben. Sonntag. Sollten! Ach, um 6 Uhr erwache ich und höre furchtbares Gerassel und Gelaufe auf der Strafte. Gleich darauf Maschinengewehrfeuer, Kanonendonner, Alarm: Raus! Wir sind am linken Flügel eingesetzt. Eine Stunde mag gefeuert worden sein. Plötzlich lautlose Stille. Die Russen haben die weiße Fahne gehißt. Ich schätze, wir haben 5000 Gefangene gemacht, 16 Geschütze, 30 Maschinengewehre, 500 Pferde gewonnen. Herrlich, was? Ach, dieses feige Volk müßtet Ihr mal sehen. Und denkt, unser Detachement ist, glaube ich, nicht so groß. In der ganzen Umgegend haben sie geprahlt, sie wollten in einigen Tagen in Berlin sein, die Franzosen feien schon da. — Jetzt werden sie am Ende auch nach Berlin kommen, aber unter anderen Umständen. Neben mir liegt noch ein Packen russischer Staatspapiere. Papiergeld im Werte von 20 000 Mark. Das muß ich nachher noch dem Bataillon abgeben. Bei einem russischen Offizier wurde sehr viel Geld gefunden. Unter Eid erklärte er, daß alles, bis auf 300 Rubel, fein Eigentum sei. Mit Recht wurde geltend gemacht, welcher Offizier wohl mit einem Vermögen von 30 000 Mark in den Krieg zöge. Was für Gestalten man bei ihnen sieht, glaubt Ihr gar nicht. Der Feldprediger hat bis auf die Schultern herabfallendes Lockenhaar, grauen Vollbart, langen, schmutzigen, schwarzen Mantel. Ein Offizier kommt mit einer Dame im feinen Landauer angefahren. Dort steht ein junges Mädchen, ganz wie ein russischer Soldat gekleidet, im Gespräch mit einem deutschen Soldaten. Alte Leute, fast Greise, gehen neben kaum der Schule entwachsenen Jungen. Es ist eine bunt zusammengewürfelte Horde.
Im Kampf mit einem russischen Flieger.
Nach der Vertreibung der Russen aus dem nördlichen Ostpreußen und unserem Einrücken in das Gouvernement Su-
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walki habe ich heute zum erstenmal Zeit, Dir in Ruhe meine Erlebnisse zu schildern. Unsere Arbeit ist von der. die unsere Kameraden im Westen zu leiden haben, vollkommen verschieden. Während es sich dort meist um kürzere Ausstiege hanoelt, müssen wir meist Erkundungsflüge von 200—300 Kilometer Länge machen. Die russischen Flieger sind alle mit französischen Apparaten ausgerüstet, mit Nieuport-Emdeckern und Farman-Doppeldeckern, von den Sikorskischen Riesenapparaten keine Spur. Wir haben denn auch bei der Wiedereinnähme von Eydlkuhnen, oder besser gesagt, in der russischen Schwesterstadt Ribartt) einen ganzen Park französischer Flugzeuge und französischer Gnomemotoren gefunden, die die Russen dort bet ihrer eiligen Flucht zurückgelassen hatten. Bisher hatte ich nur einmal einen Kampf mit einem russischen Flieger zu bestehen. Es war am Morgen nach der Schlacht bei Gumbinnen, als sich unsere Truppen mit 8000 Gefangenen in der Richtung auf K. zurückzogen. Ich erhielt den Auftrag, zu beobachten, ob und mit welchen Truppenmassen die Russen nachdrängten. Ich war kaum eine Stunde ostwärts geflogen, als ich einen russischen Flieger aus einem Nieuport-Eindecker entdeckte, der scharf nach Westen hielt und — allerdings 100 Meter tiefer als ich — auf mich zukam. Ich lieg mich durch ihn aber keineswegs stören, ging auf meinem mühelos und schnell steigenden Rump-!er-Eindecker ein paar hundert Meter höher. liefe den Russen unter mir passieren und flog weiter, um den Anmarsch der Russen genau zu beobachten. Kaum hatte ich einige Kilometer zurückgelegt, als mein Beobachter bemerkte, dafe der russische Flieger gewendet hatte und nun in meiner Richtung flog. Sofort drehte ich ebenfalls, und wir steuerten nun aufeinander zu, nur dafe ich wieder einige hundert Meter höher war als er. Ich flog nun in der Richtung auf unsere Station zu, als wir sahen, dafe der russische Flieger wieder gedreht hatte und, allmählich steigend, uns nachflog. Sofort kehrten wir ebenfalls um und hielten nun direkt auf den russischen Flieger zu. Als wir 100 Meter über ihm kaum noch 200 Meter von ihm entfernt waren, machte ich meinem Begleiter, dem Leutnant . . das verabredete Zeichen, zu schiefeen, und sogleich ergriff er zu meiner Freude den Kugelkarabiner (der Revolver hätte nicht weit genug getragen). Kaum hatte R. geschossen, als der Russe, von Entsetzen gepackt — er glaubte wahrscheinlich, wir hätten Maschinengewehre an Bord — seinen Apparat, so schnell er konnte, herumwarf und mit höchster Geschwindigkeit seinen
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Stellungen zuflog. Wir immer hinterdrein, bis wir über den russischen Truppen waren und, ungestört von den viel tiefer platzenden Gewehr und Schrapnellkugeln, genau die Stärke und die Anmarschrichtung der russischen Armee festgestellt hatten. Anderthalb Stunden darauf erstatteten wir in T. dem Oberkommando genaue Meldungen über unsere Wahrnehmungen.
Haben die russischen Flieger bisher wenig über die Auf? klärung unserer Truppenbewegungen getan, so versuchten die russischen Truppen uns deutschen Fliegern nach Möglichkeit zu schaffen zu machen. Sind wir über marschierende Russen gekommen, so machten sie sofort Halt, traten zusammen und eröffneten ein mörderisches Feuer, das indes bisher noch kein Menschenleben gefordert hat. Nur zwei Apparate eines Typs, der nicht so schnell steigen kann, wurden heruntergeholt, die Flieger und ihre Beobachtungsoffiziere konnten aber durch in der Nähe liegende Wälder flüchten und schlugen sich in zwei Nächten und zwei Tagen wieder zu ihrer Station durch, wo sie mit um so größerer Freude aufgenommen wurden, als man sie schon in russischer Gefangenschaft geglaubt hatte. Aber nicht nur durch Beschießung suchten die Nüssen unsere Aufklärung zu erschweren oder unmöglich zu machen. Als sie gemerkt hatten, daß wir in der Regel nur morgens und abends Erkundungsflüge machten, verlegten sie ihre Märsche in die Zeilen von 9—12 Uhr und 2—4 Uhr. Aber bald hatten wir das heraus und flogen natürlich immer in diesen Stunden. Als die Russen ihre Absicht erraten sahen, warfen sie ihre ganze Marsch-Ordnung um. Die Bagage wurde nun in der Nacht nach vorn geschoben, und die Truppen marschierten tagsüber querfeldein und ließen die Chausseen frei. Aber auch das Hatten wir bald herausbekommen. Von meiner Fliegerstation wurde morgens ein Offizier zur Erkundung der im südlichen Ostpreußen heranmarschierenden Russen ausgesandt, der weit ins Land hineinflog und die Meldung von einer heranrückenden Division brachte. Um nähere Einzelheiten festzustellen, bekam ich den Auftrag, auf einem mehr als 300 Kilometer betragenden Fluge auszukundschaften, ob die in Anmarsch gewesene Division sich etwa wieder zurückgezogen habe. Als ich mich etwa 10 Kilometer von der Chaussee entfernt befand und zufällig durch die Flügelöffnung nach unten sah, erblickte ich ein völlig grau gewordenes Dorf, und als wir trotz des uns entgegenprasselnden Kugelregens einige hundert Meter hinuntergingen, fanden wir das ganze Dorf voller Soldaten, und auch auf den Feldwegen
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wälzten sich dichte Schlangen grau gekleideter russischer Soldaten nach vorwärts, der deutschen Grenze zu. Das war die Division, die mein Kamerad wenige Stunden vorder aus der Chaussee von W. her im Anmarsch gesehen hatte. Und so trafen Wir auch später die russischen Truppen fast immer auf Feldwegen. Aber alles das half ihnen nichts; sie wurden stets recht-zeitig entdeckt, und so konnten wir an den beiden grohen Siegen in Ostpreußen unseren bescheidenen Anteil nehmen.
Vorstoß Hindenburgs nach der russischen Festungslinie.
Nach einem siegreichen Gefecht mit den Russen an der Weichsel rückten wir auf anstrengenden Märschen bei fürchterlichem Wetter und noch miseren Wegen, auf denen wir oft bis an die 5\nie etn* sanken, gegen die Festung .. zu. die sehr stark künstlich wie natürlich durch ungeheure Sümpfe befestigt ist. Nachdem wir schon zwei Tage und Nächte in der Reserve in einem Wald gelegen hatten (au* bei unaufhörlichem Regen und stets alarmbereit, also umgeschnallt, ab und zu eine Wache zur Abwechslung) wurden mir am nächsten Morgen in aller Frühe alarmiert und kamen nach einem kleinen Marsch vor die Festung 3-, diesseits der Weichsel, ins Gefecht. Unsere X-Kvmpagnie wurde gegen ein Dorf, das noch vom Feinde besetzt war, vorgeschickt; unsere Y-Kompagnie hatte vor einem grohen Walde zum Schutze unserer schweren Artillerie Stellung genommen.
Noch waren über den Sümpfen die dicken Nebelschwaden nicht gestiegen, als wir in der Ferne heftiges Infanteriefeuer unserer X-Kompagnie, untermischt mit dem Geknatter der Maschinengewehre, hörten, das wir bald, da jetzt näher zu uns dumpferes Geknatter ertönte, als feindliches erkannten. Als wenn ein scharfer £>agel auf die Schieferdächer prasselte, ab-und anschwellend. Eine halbe Stunde lagen wir so in fieberhafter Spannung, als wir unser Feuer langsam abflauen hörten, während das feindliche immer stärker anschwoll und näherkam. Wie im Fieber gingen unsere Pulse, als wir vor uns aus dem Walde und Sumpf heraus den Hauptmann der 3Eer in atemlosen Lauf ankommen sahen, ohne Pferd und bis an den Hals voll Schlamm und Dreck, der nach Atem schnappend unseren Offizieren zurief: „Zurück? Wir werden mit starken Kräften umgangen!“ Im Nu kommandierte unser Bataillonskommandeur: Nach rechts Heraus zur Deckung der
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Flanke! — da wir es mit einer ungeheuren Übermacht zu tun hatten. Jetzt kamen auch noch die zersprengten Truppen unserer A-Kompagnie zurück, die die Russen bis auf 50 Meter hatten herankommen lassen und dann mit einem Hagel von Geschossen und mit Maschinengewehren überrumpelten. Der Augenblick war für uns nicht mehr sehr ermutigend, aber jeder machte sich nun klar, daß wir unsere ganze Kraft einsetzen mutzten, um dem Ansturm der Russen standzuhalten.
Näher und näher kam jetzt das feindliche Feuer, und die ersten Kugeln schlugen mit scharfem Knall über uns in ben Daumen ein. Und nun kamen sie an, wie die Heuschrecken aus uns los, wurden jeboch nun unsererseits von einem heftigen Schnellfeuer empfangen, da, je näher die Horden anrückten, für uns wirkungsvoller wurde, so daß die Russen, bis auf ca. 400—600 Meter herangekommen, Deckung suchten, wo sie solche fanden, und schließlich auch in eiliger Flucht abtrabten. Der erste Angriff war abgeschlagen, wiederholte sich aber im Laufe des Tages noch verschiedene Male, ohne den Russen aber einen Vorteil zu bringen, da wir uns in den Pausen, wo uns die Russen in Ruhe ließen, unsere Schützengräben ausbauten und uns stark verschanzten, so daß die Feinde immer mit starken Verlusten und blutigen Köpfen zurückgeschickt würben. So brach die erste Nacht herein, die wir immer noch im Regen in den Schützengräben mit der Flinte im Arm verbrachten. Zu unserer großen Freude rückten abends die Regimenter unserer Brigade heran, so daß unser Bataillon die Hauptfront jetzt ganz einnehmen konnte.
An Schlaf war natürlich nicht zu denken; wenn über den einen ober ben anbern auch für einen Augenblick ein Schlummergefühl gekommen war, so zwang uns um 3 Uhr morgens eine feinbliche Feuersalve bie Waffen fester in die Hand. Bald hatten wir durch Patrouillen festgestellt, daß die Russen sich während der Nacht 400—500 Meter uns gegenüber auch eingegraben hatten. Als es Heller wurde, konnten wir deutlich den hellen Graben sehen, und ein lebhaftes Schützenfeuer hüben und drüben fetzte ein. Die Russen schossen sehr hoch, so daß unsere Bagage, die ein paar Kilometer hinter uns im Walde stand, noch weiter zurück mutzte. Immer mehr Truppen sahen wir in die feindlichen Schützenlinien einschwärmen. Mittags kam's zum Sturm. Unter andauerndem Feuern während des Vorgehens schob sich eine dunkle Wolke gegen uns heran, und nun hieß es auch bei uns: „Zum Gegensturm! Hirschfänger pflanzt
auf! Fällt das Bajonett, Hurra!" Das war ein Sturm, den ich mein Leben lang nicht vergessen werde. Wohl die dreifache Zahl unserer Feinde blieb auf der Walstatt. Die Russen wichen zurück, aber auch wir mutzten in unsere Deckung zurück, da wir sonst ganz den feindlichen Äugeln preisgegeben waren. Wieder begann das Spiel von neuem, und noch einen zweiten Angriff mutzten wir gegen Abend mit Einsetzung aller Kraft zurückweisen, um dann die zweite Nacht wie die erste in den Gräben zu oerbrirtgen. Der dritte Tag brachte uns endlich den erhofften Vorteil; unsere Feldartillerie war hinter uns aufgefahren und pfefferte Schrapnells und Granaten wie abgezirkelt in die feind-liehe Stellung, datz die Nüssen wie die Hasen aufsprangen und nun im Fliehen von uns abgeknallt wurden. Endlich, endlich wurden wir am Abend dieses Tages von Truppen des . . Armeekorps abgelöst. Todmüde machten wir uns auf den Weg, um dann nach einwöchentlicher Schlaflosigkeit das erstemal die müden Glieder ausruhen zu können.
Sturmlied.
Nun steht die ganze Welt in Brand,
Die Trommeln, sie gehen,
Doch sei getrost, mein Vaterland,
Dir soll nichts geschehen!
Der Himmel flammt in Glut und Glanz,
Wir schreiten, wir schreiten,
Bis wo die Feinde uns den Tanz,
Den bitteren, bereiten.
Die Trommeln wirbeln wild und weit,
Kein Zögern, kein Zagen,
Der Tod will halten Erntezeit,
Wir werden es tragen.
Hei, wie der Wind die Fahnen fand!
Latzt fliegen, latzt fliegen!
Dich grütz ich noch, mein Vaterland,
Sterben oder siegen!
Ernst Zahn,
Sin Liebesgabentransport nach Ostpreußen.
Von Prof. Dr. Brauer.
(Direktor des Eppendorfer Krankenhauses.)
Aus dem Osten waren Mitte September mehrfach Nachrichten über einsetzende Kälte und mancherlei sonstige Beschwerden gekommen. So entstand denn vielseitig der Wunsch Liebesgaben gerade auch in diesen so glänzend verteidigten Teil oes Vteiches zu senden.
~ N lewer, der ich im Kreise Thorn auf dem Lande einen Teil meiner ^ugendjahre verlebt hatte, stand mit meinem Unteres,e diesem Kriegsschauplatz besonders nahe. Hinzu kam. dak ;etzt ein naher Verwandter, ein 65jährtger, kränklicher Herr ohne jeden vernünftigen Grund von einem der ru fischen Grenze naheliegenden Gute verschleppt worden war, ohne daß es bis-her gelungen wäre, irgendwelche weiteren Nachrichten m er-halten. Wir wissen auch heute nicht, ob der alte Herr nutzlos hingemordet ist, ob er den Anstrengungen der Verschleppung erlag oder in irgend einem der Gefangenenlager qualvolle Stunden verbringt.
Schwierig und unklar blieb es nur, wie der Wunsch Liebesgaben nach Ostpreußen zu bringen, erfüllt werden konnte. jOenn zunächst erschien es wegen der damals noch immer laufenden Truppentransporte unmöglich, den dazu benötigten ^ahnwaggon zu bekommen; auch mutzte mit so starker Ver-zogerung gerechnet werden, daß man auf diesen Wea verzichtete.
Zufällig bot sich eine andere Gelegenheit. Es war uns zur Kenntnis gekommen, datz ein Dampfer von Lübeck nach Königsberg abgehen werde. Ein kleinerer Kreis von Bekannten beschloß daher, zunächst einmal persönlich die Mittel auszubringen um Liebesgaben persönlicher oder unpersönlicher Art auf diesem Wege nach Königsberg zu expedieren. Von dort Mten sie dann mit einem Automobil, das Herr v. Raffey in freundlicher Weife zur Verfügung gestellt hatte, zu den Truppen gebracht werden.
Dieser Neiseplan wurde von der Roten-Kreuz-Organisation auf das lebhafteste gefördert und durch Beigabe einer sehr großen Anzahl oon Ballen und Kisten, die warme Sachen, Nahrungsmittel, Tabak, Zigarren und Zigaretten und viele andere für unsere Soldaten wichtige Dinge enthielten, sehr weitgehend unterstützt. Mit Lastautomobilen, die größtenteils wiederum
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frei zur Verfügung gestellt waren, wurde alles nach Lübeck geschafft. Ich selbst traf am Montag, 21. September, in der Frühe dort ein. Der Verkehr war wie üblich.
Gegen 8 Uhr abends fuhr ich nach Travemünde, um dort am Morgen an Bord des Dampfers gehen zu können.
Am Dienstag, den 22. September, weckte mich in frühen Stunden das Knattern zweier Flugapparate. Es war ein herrlicher Morgen. Um V28 Uhr kam der Dampfer von Lübeck an. Es lag ein prächtiger, sonniger Herbsttag vor uns. In See gab es bald viel zu sehen. Sie war von Schiffen belebt. Man hatte den Eindruck, als ob sie überall genau unter Kontrolle gehalten werde.
Der Tag wurde dazu verwandt, die mir übergebenen Briefe und Pakete nach Gruppen zu ordnen. Am Abend stand ein klarer Sternenhimmel über uns, an dem sich gut_ sichtbar nach dem großen Bären zu der große Komet, das Gestirn des Kriegsjahres, abhob.
Die Fahrt ging weiter. Die See war glatt, Schiffe traf man nicht. Mittwoch, den 23. September, abends, kamen wir gegen 7 Uhr in Pillau an. Wir lagen lange draußen still auf der See. Endlich — eine gewisse Sorge vor Minen hatte man natürlich — kam aus dem zunehmenden Dunkel ein Schleppdampfer an uns heran. Es war das Vorpostenboot. Man stellte unsere Namen fest und rief dann durch Funkenspruch den Lotsendampfer heran. Voller Freude hörten wir von der Vernichtung der drei großen englischen Kreuzer.
Am Donnerstag, den 23. September, früh, ging es nach Pillau hinein. Nach mehrfachen sorgfältigen Visitationen durften wir endlich um 8% Uhr nach Königsberg weiterdampfen durch den sogenannten Seekanal, der mit sechs Meilen Fahrt nur langsam durchfahren wird. Erst um 1 Uhr mittags waren wir an der Stadt.
Schon auf dieser Fahrt hörten wir von dem Lotsen und später dann in Königsberg mancherlei Berichte über die Ereignisse in Ostpreußen. Man sah, wie tief — gemütlich wie materiell — die Bevölkerung von den Kriegsereignissen ergriffen war. Man hört von den Leuten — zum Teil aus eigener Anschauung — solle Sachen erzählen. So hat ein Landwehrmann, wie ich aus erster Hand erfuhr —, als er sein Häuschen, weil er Urlaub hatte, wieder betreten konnte, dort seine verstümmelte Frau und die Glieder seiner Kinder ge-
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Anden. Die nächsten Tage sollten mir selbst mancherlei Ein-bück m die ostpreußischen Verhältnisse bringen.
Erst am Freitag, den 25. September, früh um 7 Uhr, konnte nach mancherlei Bemühungen die Ladung unserer Sendung bewerkstelligt werden, so daß die erste Abfahrt auf die Truppenkörper erst etwa um 11 Uhr beginnen konnte. Auf Grund der Erkundigungen bei dem ftönigsberger Generalkommando wurde beschlossen, die erste Fahrt in die Richtung auf Eumbinnen-Wirballen zu lenken.
Das Auto war mit etwa zehn persönlich adressierten Sendungen und mehreren Säcken warmer Kleidungsstücke sowie Zigarren und Nahrungsmitteln beladen worden, unter sachgemäßer Berücksichtigung der zulässigen Tragkraft. Als Begleitung hatte ich mir einen Offizier erbeten, hoffend, auf diese Weise mancherlei Schwierigkeiten überwinden zu können. Es hat sich für die erste Fahrt diese Begleitung auch als außerordentlich nützlich erwiesen. Bald passierten wir das zerschossene Tapiau und hinter diesem Ort eine der von den Pionieren geschlagenen Notbrücken. Die ganze Chaussee war lebhaft von Fuhrwerken besetzt. Einzeln und in langen Reihen fuhren auf ihren Leiterwagen in zigeunerhafter Aufmachung die vertriebenen deutschen Familien ihren Heimatsorten und Landsitzen zu. Sie haben meist nur wenig Hab und Gut retten können und zum Teil ihr ganzes Vieh und den Ernteertrag verloren. Dabei war bislang im wesentlichen gutes Wetter gewesen, so daß wenigstens mancherlei Beschwerden in dieser Beziehung der Bevölkerung erspart waren. Wochenlang hatten die Flüchtlinge bereits in Flüchtlingsquartieren gehaust. Sie hatten sich zum Teil schon abgefunden mit all der Misere und waren an denjenigen Stellen, wo sie Mittagsrast machten, nicht selten ganz fröhlich, ging es doch wieder dem heimatlichen Boden zu, und konnte man doch hoffen, die Russen und die gefürchteten Kosaken nun endgültig aus dem Lande vertrieben zu haben. Zahlreiche dieser Leute trugen ebenso wie die Einwohner Königsbergs Hindenburg-Nadeln als Ausdruck ihrer Dankbarkeit und Liebe für den Befreier Ostpreußens.
. Ich sah an diesem Tage die Flucht der Bevölkerung noch in ihrer günstigen Erscheinungsform. Schon ernster war der Eindruck, den man an den Stätten bekam, wo man die Flüchtlinge in improvisierten Räumen dicht beieinander hatte unterbringen müssen, und tief betrübend wurden die späteren Eindrücke, die man erhielt, als die Bevölkerung nahe den Grenzen,
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wenn auch vorübergehend, so doch von neuem schwer geängstigt war und sich zu abermaliger Flucht anschickte.
Etwa um 1 Uhr passierten wir Insterburg. Dort hörte ich von den Verwundeten Näheres über die harte Russenzeit und ihre Schrecken. Dabei war diese Stadt noch verhältnismäßig gut weggekommen. Die Nüssen hatten vermeint, die Stadt dauernd in Besitz zu halten, und wollten sich die eigene Behaglichkeit nicht stören. In dem ersten Gasthaus hatte der General Rennenkamps residiert und zeitweise auch der Oberst-kommandierende Nikolajewilsch. In erster Linie war die Ordnung wohl auch der umsichtigen Handlung eines in Insterburg ansässigen Arztes zu danken, dem die Russen, da der Bürgermeister geflüchtet war, die Verwaltung der Stadt übertragen hatten. Begeistert wurde uns der Jubel geschildert, mit dem dann später die einziehenden deutschen Truppen empfangen wurden. Ein Kavallerie-Offizier, der selbst bei diesem Einzuge mit beteiligt war, vervollständigte einige Tage später die Beschreibung. Während an dem einen Ende der Stadt noch die letzten russischen Truppen hinauszogen, rückte an dem anderen Ende schon die Vorhut der deutschen Truppen ein, empfangen von dem Geläute aller Glocken, einem nicht endenwollenden Jubel der Bevölkerung und überschüttet mit Grün und Blumen von den Einwohnern, die neben der Truppe einhermarschierten.
Um 2 Uhr mittags wurde in Gumbinnen kurz gerastet. Hier erzählte der Wirt, der mit einem kleinen Kellner die ganze Russenzeit durchgemacht hatte, von der Flucht der russischen Generale, die in stolzer Uniform nach Ostpreußen eingeritten waren, und sich, nun in Zivil gekleidet, schleunigst hatten retten müssen.
Bald erreichten wir das zerschossene und niedergebrannte Stallupönen, nahe der russischen Grenze. Zu den Seilen der Chaussee sah man Schützengräben und flache Gräber mit einfachen Holzkreuzen. Hier und da lagen noch scharfe Patronen umher und daneben leere Hülsen. Zu beiden Seiten der Chaussee waren die Äcker zertreten, denn auf dem Rückzüge waren die Russen auf der Chaussee nicht schnell genug weitergekommen. Sie hatten, wie noch deutlich erkennbar war, in geschlossenen Kolonnen und mit Fuhrwerk auch neben der Chaussee wandern müssen.
Leider unterbrach unsere Fahrt eine schwere Panne. Bis zu der Brücke, die über ein kleines Flüßchen führte, war die Chaussee gut. Auf der anderen Seite der Brücke begann aber
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eine Straße mit einer tiefen Furche, und obwohl der Wagen über diese ganz langsam hinübergeführt wurde, brach doch an der Hinterachse die Kuppelung, und nun stand unser braves Auto unverrückbar fest. Es blieb nichts anderes übrig als schwere Pferde der Artillerie, die zufällig des Weges kamen vor das Auto zu spannen und es an ben Bahnhof Wirballen heraufzuziehen. Hierzu würbe die eiserne Rette verwandt, die als Symbol der russischen Abgeschlossenheit in Friedenszeiten die russische Straße versperrt.
Alsbald war das Auto umlagert von etwa hundert Infanteristen und Artilleristen. Sie verteilten unter sich froh die mitgeführten Zeitungen, nahmen gern Zigarren, Schokolade und sonstige Liebesgaben in Empfang. Von dem Stabe eines Fu ßartillerie-Negiments wurde uns dann weitere Hilfe. In einem der beiden Häuser, das zwischen Trümmern und Brandt statten erhalten geblieben war, wurden wir untergebracht, denn der „Weihnachtsonkel", der mit Liebesgaben kommt, ist ein gern gesehener Mann, unb über die anfängliche eigene Verstimmung ob des Zusammenbruchs des Autos brachte uns bald die höchst fröhliche Stimmung der anderen hinweg. Einer der Offiziere meinte, sie hätten hier einen guten Strand, der Himmel möge ihm noch öfter so beladene Hamburger Automobile bescheren. Trotzdem aber konnte man sich doch nicht entschließen, den ganzen Inhalt unseres Wagens zurückzubehalten. Ich wurde mit dem größten Teil der Liebesgaben auf einen schweren ungefederten Munitivnswagen verladen, und mit vier Pferden ging es im Trabe über eine geradezu fürchterliche Kopfstein-chaufsee nach Nußland hinein. Der Divisivnsstab habe — so hieß es — das Recht, über die Liebesgaben zu verfügen, und gern unterwarf ich mich dieser Anordnung. Bei dem Divisivns-stabe sollte ich auch Auskunft erhalten über ben Aufenthalt einzelner Persönlichkeiten, für die private Pakete vorhanden waren — und endlich mit Überredungskunst, unter Zusicherung neuer ©aben — mir ein Auto der Division zur Rückfahrt nach Königsberg verschaffen.
Es war schon dunkel, als wir die holperige Fahrt antraten, und in tiefer Dunkelheit erreichten wir abends um 8 Uhr den Platz der Bestimmung. Dort gelang es zunächst, einige private Pakete abzuliefern. Dann wurde alles, was wir bet uns hatten, sortiert; bie Hälfte verblieb bei der Division, die Hälfte gab man uns aber für die Truppen in Rtbarti) wieder mit zurück. Wie unendlich schwierig es ist, einzelnen Perfön»
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lichkeüen Liebesgaben zu übermitteln, erkannten wir hier. Denn selbstverstänblich ist boch bie Front über viele Dutzenbe von Kilometern seitlich nach rechts unb links von einer bem Automobile unb ben Zivilisten zugänglichen Chaussee ausgestreut. Auf ber Rückfahrt sorgten bie Fahrer unb bie Begleitmannschaft bes Munitionswagens bafür, batz auch sie unb ihre ftameraben einige ber warmen Sachen erhaschten.
Als wir abenbs mit ben Artilleristen bas Abenbbrot atzen, sahen mir, wie fröhlich unb zufrieben man auch im Felbzuge an Tagen ber Ruhe ist. Der Truppenteil, ben mir bort antrafen, hatte alle bie mühseligen Märsche unb ernsten Gefechte seit Beginn bes Krieges in Ostpreußen mitgemacht. Hier stauben sie jetzt auf ber Grenzmacht. Von einem Feinbe mar zunächst nicht mehr viel zu spüren, unb es galt baher, aller-hanb Tätigkeit burchzuführen, bie für bie innere Festigkeit ber Truppe unb für ihren Schutz in solchen Zeiten geboten ist. Die Erholungspause nach allem Vorausgegangenen mar ben Leuten mirklich zu gönnen. Man mar überrascht, roie mohl unb ge-sunb sie aussahen unb mie fröhlich sie maren. Von irgenb melchen Rrankheitszustänben mar nichts zu hören. Die Märsche unb Gefechte maren gut überstanben; man hatte bas Gefühl, burchaus kernigen unb ungemöhnlich leistungsfähigen Menschen gegenüber zu stehen.
^ Einer unserer mitgebrachten Schinken mürbe mit großer Freube zu Bratkartoffeln unb Tee unb zu einem märmenben Grog verzehrt. Der Rest einer Hammelkeule vervollständigte bas Abenbessen. Balb ging es zu Bett, benn früh gab es mieber zu tun. Wir schliefen auf Strohsäcken unter unseren Mänteln in einer völlig Ieerstehenben Stube vorzüglich.
Sonnabenb, 26. September, maren mir schon früh auf ben Beinen. Ein Teil ber Solbaten mar ausgerückt; anbete hatten am Platze zu tun; unb mit bicfen besichtigten mir ben zerschossenen Ort unb vor allen Dingen ben Bahnhof. Eine ungeheure Menge mertvollen russischen Militärgutes mar in bie Hänbe ber Deutschen gefallen. Bei meitem bas meiste mar, mie man uns sagte, schon seit längerem meggeführt. Aber selbst jetzt noch waren uns mehrere Eisenbahnzüge mit russischen Kanonen begegnet. Trotz allebem gab es noch genug zu sehen. Vor allem stauben noch etma 40 Eisenbahnmaggons ba, bie ein meit sichtbares rotes Kreuz trugen somie bie russische Bezeichnung für Rotes Kreuz. Aber ber liebevolle Inhalt biefer Wagen bestaub nur aus massenhafter scharfer Munition. Die Wagen maren
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für diese Munilionstransporte vorzüglich eingerichtet und, wie wir selbst feststellen konnten, noch voll gefüllt mit Patronen. Von Krankenpflege und Roter-Kreuz-Arbeit trugen die Wagen nur das führende Zeichen. Der Mißbrauch, der mit dem Roten Kreuz getrieben wird, und vor allem die Tatsache, daß die feindlichen Truppen mit Vorliebe gerade auf diejenigen Stätten und Persönlichkeiten gefeuert hatten, die das Rote Kreuz trugen, hat dazu geführt, daß vor der Front dieses Abzeichen nicht allzu viel Beachtung mehr findet.
Inzwischen konnten wir uns auch überzeugen, wie willkommen schon diese kleine Menge von Liebesgaben gewesen
war, die wir auf dem einen Auto hatten mitbringen können. Und dabei war doch dieser Tag von gutem Wetter begünstigt und nicht erfüllt von dem eisigen Regen und der schneidenden Kälte, die uns die nächsten Tage bringen sollten. Die ganze Situation hätte hier auch mehr an ein Manöver erinnert, wenn nicht der Brandgeruch und die Trümmerhaufen, die Menge der umherliegenden Patronen und Hülfen und endlich die Gräber uns immer wieder daran erinnert hätten, daß hier doch nur
eine Ruhepause herrschte, aber kein Frieden bestand.
Die Morgenstunden wurden noch dazu benutzt, den Eifen-bahn-Rücktransport unseres beschädigten Wagens zu bemerk-ftelligen; dann fuhren wir mit dem um 11 Uhr ankommenden Militärauto wieder nach Königsberg zurück.
Auf der Fahrt nach Königsberg war in unserer Begleitung ein Offizier, dessen väterliches Gut östlich von der ostpreußischen Metropole lag. Er wußte, daß dort die Russen gehaust und viel verbrannt hatten. Seit sechs Wochen fehlte ihm jede Nachricht von dem Vater, der bis zum letzten Augenblicke auf feinem Grund und Boden verblieben war. Der ältere Sohn, der nunmehr der Besitzer des Gutes war, stand als Reserveoffizier gleichfalls im Felde, und so hatte unsere Fahrt denn auch die Aufgabe, festzustellen, wie es auf dem 15 Kilometer seitlich der Chaussee liegenden Gute wohl aussehen mochte, und ob Nachrichten von dem Vater zu erhalten waren. Die Stimmung unseres Begleiters war, als wir uns dem Hofe näherten, recht ernst geworden. War doch bekannt, daß eine Anzahl durchaus unschuldiger Zivilisten in sinnlosester und zum Teil brutalster Form gemordet waren. Als wir von der Chaussee abzweigten, passierten wir mehrere niedergebrannte Ortschaften und einzelne
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Häuser. An manchen Dächern und gekalkten Wänden konnte man die Wirkung eines Schrapnellschusses erkennen. Die Dächer waren wie vom Hagel zerschlagen und die Wände wie von hundert Gewehrschüssen gefleckt. Dicht vor dem Gutshofe brachte dann ein vorübergehender alter Briefträger unserem Leutnant die freudige Nachricht, daß der Vater lebe und vor einigen Tagen auf das Gut zurückgekehrt fei. Er fügte allerdings hinzu, datz die Ernte und der Hof auf das schwerste geschädigt seien. Datz dem so sein mutzte, davon hatte uns schon lange der Anblick der Felder überzeugt. Denn vielfach sahen wir die vermoderten Garben auf dem Felde stehen. Nur an die Rüben und an die Kartoffeln hatten die Ruffen nicht heran können, so datz also dieser Teil der Ernte kaum geschädigt war.
Der Eutshof, den wir nun bald erreichten, bot ein trauriges Bild der Verwahrlosung. Zwei Scheunen waren verbrannt, Stroh war überall verstreut, um den Hof herum waren die Felder von den Biwaks zertreten. Das Vieh war guten-teils fort, ein Teil der Kühe aber erhalten geblieben, denn die Russen hatten nur langsam dasjenige weggeschlachtet, was sie brauchten, und zum Forttreiben der Nestbestände hatte ihnen Hinfeenburg, ber Abgott Ostpreußens, dann später nicht die nötige Zeit gelassen. Das Wohnhaus selber war in ber brutalsten Weise zerstört: bie meisten Fenster zerschlagen, alle Möbelstoffe zerschnitten. In einem Zimmer, in bem man noch nicht hatte aufräumen können, lagen hctnbhoch bie Scherben unb Trümmer. Die Geweihe unb ausgestopften Iagbtrophäen waren von ben Wänben gerissen unb zerstochen. Leere Flaschen in großer Zahl unb auch sonstige unerfreuliche Folgeerscheinungen wilber Trinkgelage hatten bavvn gezeugt, wie unsere eblen östlichen Nachbarn hier gehaust haben mögen. In ben um-Itegenben Walbungen aber sahen wir einen Teil ber kilometerlangen Schützengräben unb vor allem ber tief in ben Boben eingebauten unb gebeckten Schlafstätten. An einzelnen Stellen waren es mehrere Reihen biefer Untergrunbstabt. Es scheint, als habe man sich hier auf ein Winterquartier einrichten wollen. Nach kurzem Aufenthalte fuhren wir weiter, vorbei an so manchen schützenben Einrichtungen, bie einer mobilen Festung zu Kriegszeiten vorgelagert sinb.
Um 4 Uhr etwa kamen wir in Königsberg an unb hatten nun balb bie grotze Freube, auf ber Lagerstätte unserer Liebesgaben bas Auto, bas uns gastlich heimgebracht hatte, recht hoch mit warmen Wollsachen unb allerhanb sonstigen Liebesgaben
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auffüllen zu können. So sahen wir denn die zweite große Sendung den vordersten Reihen unserer Truppen zuwandern. Auch einzelne Privatpakete konnten wir mitgeben, hoffend, sie mochten die richtige Adresse erreichen.
Der Abend dieses Sonnabends brachte noch eine dritte glückliche Gelegenheit zur Verteilung unserer Schätze. Ich traf die Ärzte eines Feldlazaretts, die auf dem Transport nach .. . waren und ihre Bestände stark gelichtet hatten. Um so lieber gaben wir hier eine große Menge unserer Waren ab, als der Führer des Lazaretts ein alter Eppendorfer war, Herr Prof. Rehn, der Schwiegersohn unseres Geheimen Rates ftümmell. Schokolade, kondensierte Milch, warme Wollsachen und vieles andere wanderte in den Bestand dieses Lazaretts, das jetzt südöstlich von . . . den vordersten Reihen der Rümpfenden zugeteilt ist und hier gleichzeitig mit der ersten chirurgischen Hilfeleistung in besonders ersprießlicher Weise die Gaben verwenden kann.
Nach den Mühen der Vorbereitung begann am Sonnabend, 3. Oktober, nachmittags */,3 Uhr, die dritte Erkursion. Sie sollte sich ganz besonders nützlich gestalten und es vor allem ermöglichen, auch tatsächlich bis an die kämpfenden Linien heran unsere Hamburger Liebesgaben zu tragen. Herr Lzygan aus Königsberg, ein trefflicher Herrenfahrer, hatte sich zur Verfügung gestellt. Uns gesellte sich Herr von Oesterreich aus Hamburg hinzu, der nach Königsberg gekommen war, um Not und Elend der verjagten Bevölkerung kennen zu lernen und tunlichst jenen zu helfen, die auf der Scholle ausgeharrt hatten während der schweren Russenzeit, und denen nun, da das Vieh vertrieben war und die Ernte auf dem Felde verkam, bittere Not drohte.
Unser Auto war gefüllt worden mit neu eingekauften Zigarren, Etzwaren und zudem mit einigen Liebesgaben, die auf dem Güterdepot noch lagerten. In sehr lebhafter Fahrt, bei aufklärender Witterung, ging es nach R.... Dort sollte nach der Information der ßinien-ftommandantur unser Wagen mit Liebesgaben, den wir hatten zurückziehen können, lagern. Etwa um 5 Uhr trafen wir ein und fanden im Hotel bald einige Bekannte. Zunächst galt es, auf dem Bahnhof unsern Waggon zu suchen, und da stellte sich dann leider heraus, dah der sogenannte Bergungszug nach einer kleinen Station geleitet war. Telephonisch und auf anderem Wege suchten mir den Wagen
eiligst zurückzuziehen; die Aussichten hierzu waren aber recht gering.
Die Not, die uns hier vor Augen trat, zwang uns, wie weiter ersichtlich, zu aktiveren Schritten. Auf der Bahnstation war uns die dortige provisorische und mit geringen Mitteln eingerichtete Erfrischungsstation zu Gesicht gekommen, als gerade einer der Militärzüge eintraf, der einzelne Verwundete mitführte. In einem zugigen, mittelgroßen Laderaum fanden sich an den Wänden und um die Säulen Strohsäcke und auf diesen Wolldecken. Das Ganze war, soweit menschliche Kräfte in schweren Zeiten wirken können, nach Möglichkeit auf gute Höhe gebracht, und doch mangelte es an vielem. Besonders fehlten die nötigen warmen Decken. Wir aber hatten 20 Kilometer entfernt in unserem Waggon diese Decken, und so entschloß sich dann zu meiner großen Freude Herr Czygan dazu, noch abends um 9 Uhr, im erneut strömenden Regen und heftigen Winde, in dem offenen Wagen eine eilige Fahrt nach der kleinen Haltestelle anzutreten. Der Weg war schwierig, auf den Kurven mußte langsam gefahren werden, da der Wagen schleuderte, auch mußte man einige Male mit der Taschenlaterne an die Wegweiser herantreten, um falsche Wege zu vermeiden. Gegen V2II Uhr trafen wir ein. Wir standen vor einem völlig zerschossenen Bahnhof. Einige Eisenbahnzüge hielten auf den Nebengeleisen, und die Aussicht, hier Auskunft zu erhalten, schien zunächst außerordentlich gering. Da wurden wir an Trümmern vorbei in ein kleines Nebengebäude verwiesen, das zu regulären Zeiten wohl die Ruhestätte von Bahn-arbeitern gewesen sein mag. Hier fanden wir in engsten Räumen den Bahnhofsvorsteher und einen Gehilsen. In einem zweiten Raume saßen zwei brave, fröhliche deutsche Landmädchen. Auf einem kleinen Spirituskocher hielten sie Milch und Kaffee warm, Brot und Wurst lag vor ihnen, denn man erwartete für die Nacht noch durchkommende Verwundete, und denen wollten sie helfen. Es war erbaulich, zu sehen, wie auch in diesen kümmerlichen Verhältnissen und auf engem Raume sich der eiserne Wille unserer Deutschen zeigte, für unsere Truppen zu sorgen und unseren Kranken zu nützen.
Während der Gehilfe nach unserem Wagen suchte, hörten wir von den beiden Mädchen Mitteilungen über die Russenzeit, hörten die Schilderungen eines Kosaken-Einbruchs, von dem nutzlosen Sengen und Brennen. Doppelt achtungswert erschien uns da die Ruhe und der fröhliche Opfermut dieser
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Töchter Ostpreußens, die trotz der Schwierigkeiten im eigenen Hause hier die Nacht in dem dumpfigen kleinen Naum verbrachten, um unsere Soldaten, die ihr Land befreit hatten, m erfrischen.
Bald wurde das Gespräch durch die Meldung unter-
brochen, unser Waggon sei gefunden. Rurz nach 11 Uhr leiteten wir vorsichtig das Auto an ihn heran und holten uns nun drei große Säcke heraus mit warmen, wattierten, sogenannten Flickendecken; des weiteren auch Würste, Schokolade und
Zigarren, sowie zwei Säcke mit Strümpfen und Pulswärmern; und wäre unsere ganze ostpreußische Tour nur dazu da gewesen, diese wenigen Dinge rechtzeitig an die Stätte des Gebrauchs zu bringen, so hätte sich schon die ganze Mühe gelohnt. Kurz nach 12 Uhr waren wir wieder auf dem Bahnhöfe. Auf der Verbandstation wurden unsere Sachen abgenommen und der eine Sack mit Wollsachen sofort feiner Verwendung zugeführt. Das weitere sollte am anderen Tage in Gebrauch kommen.
Doch ehe ich von diesem andern Tage spreche, mutz ich
noch eines weiteren tiefen Eindrucks gedenken, den wir an die-
sem Abend erhielten. Mit jenem Militärzug, von dem ich spreche, waren zwei verwundete Offiziere angekommen. Beide hatten Oberschenkelbrüche und lagen im Gipsverband. Der eine war nur mit seinem Hemd bekleidet und darüber war ein warmer Nussenmantel und dann ein Militärrock geschlagen. Seine Frau war unter großen Mühen nach dem kleinen ostpreußischen Dorf gekommen, wo er seit zwei Wochen in einem der Not-Lazarette gelegen hatte, einem Not-Lazarett im wahrsten Sinne des Wortes. Denn es hatte an manchem gefehlt, und doch kam nur Dankbarkeit und Anerkennung über das dort Geleistete zu unseren Ohren. Die Militärärzte und einige Schwestern hatten rührend gesorgt. Die Bevölkerung, soweit sie nicht geflohen war. hatte geholfen, und das Notwendigste hatte man sich nach Möglichkeit in den leeren Wohnungen zusammengesucht; an Verpflegung hatte es nicht gemangelt. Man wird bescheiden in solchen Zeiten, man wird aber auch — das habe ich häufig gesehen — außerordentlich dankbar, und man wird, ganz besonders in jenen Bezirken, wo der Feind einmal gestanden hat, von einer Opferfreudigkeit und einer Reichstreue, die mustergültig ist.
Unsere beiden Offiziere nahm der Landes-Delegierte vom Roten Areuz, Herr Rittmeister Heitreeiler, in sein Quartier.
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Wir wanderten über den Bahnhof und durch die eng mit Frauen, Kindern und Greisen überfüllten Warteräume und Gänge. Denn schon wieder fürchtete man das Anrücken der Russen, und wieder war die Bevölkerung geflüchtet, teils in den -spärlich verkehrenden Bahnzügen, vor allem aber zu Fuß und auf Leiterwagen. Nun wollte man hier weiter. Alle waren sich darüber klar, daß, sollte der Russe unser Land noch einmal betreten, auf nennenswerte Gnade nicht zu rechnen sei. Schon nach dem ersten siegreichen Anmarsch waren manche der siegreichen Horden, ganz besonders die Kosaken, zu brutal gewesen, und ein jeder, der diese Zeit durchgemacht hatte, endete die Darstellung mit den Worten: „Noch einmal möchte ich dies nicht erleben, man würde es nicht aushalten, man müsse sich aus jede Roheit gefaßt machen."
Wenn man durch diese geängstigten, flüchtenden Volks-Massen geht, dann erst weiß man, was für ein Glück es für uns bedeutet, daß dieser große Krieg im wesentlichen nicht auf unserem Boden gefochten wird, und daß unsere Truppen ihn hinaustragen konnten in Feindesland, unsere Frauen und Kinder, unseren heimatlichen Boden schützend. Immer wieder wird der Leser den Eindruck gewinnen aus alle dem, was ich zu schildern habe, und tiefen Herzens unseren deutschen Truppen dafür dankbar sein, daß sie mit Erduldung so vieler Gefahren und so außerordentlicher Anstrengungen uns neben vielen anderen Vorteilen schon allein diesen einen erkämpften. Wenn man jetzt durch Ostpreußen wandert, so sieht man an den äußersten, uns Zivilisten zugänglichen Stellen den Kampf mit seiner Freude und Not. Man sieht daneben die noch frischen oder längst erkalteten Stätten, wo er tobte, die verbrannten Dörfer und Güter; man sieht aber auch die Last, die auf die Bevölkerung des Kampfgebietes gelegt wird, sieht sie hin- und herfluten. Hier in R. sahen wir an diesem Abend das Zurückströmen besonders ärmlicher Leute, hörten, als wir durch ihre Reihen wanderten, die völlig falschen und oft übertriebenen Gerüchte von der Masse der andringenden Feinde und von der Zerstörung von Städten und Ortschaften, die, wie wir ganz sicher und aus eigenem Augenschein mußten, noch unbetroffen dastanden. Auch diesen Leuten haben wir aus unseren Vorräten, soweit es notwendig war, gegeben.
Am Sonntag, 4. Oktober, erhielten wir mit dem ersten Militärzüge unseren Waggon. Bis zu seinem Eintreffen konnten wir an einem Lazarettzuge, der gerade zusammengestellt
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war und westwärts geleitet werden sollte, noch mithelfen. Die Lazarette der Umgebung sollten freigemacht werden. Langsam kam von den verschiedenen Seiten der Antransport der einzelnen Kranken. Denn es dauert Stunden, ehe ein solcher Zug, der etwa 300—400 Kranke mit sich führt, richtig besetzt ist. Unsere Soldaten lagen auf Strohsäcken oder auf reichlich angehäuftem Stroh, in großen gedeckten Güterwagen, oder sie saßen, soweit es ihr Zustand zulieh, in den Personenwagen. Es regnete weniger, aber der Wind war noch kalt. Trotzdem Zeigten die Leute bewunderungswürdigen Humor und Zufriedenheit. Unsere Decken und Wollsachen wurden an die Liegenden, die ihrer besonders bedurften, verteilt. Mit den in Königsberg frischgekauften Zigarren und Zigaretten wanderten wir von Wagen zu Wagen; das Geld war für das dafür Erstandene gut angebracht. Eine kleine russische Feldküche stand auf der Laderampe und lieferte warme Suppe. Die Eehfähigen halfen Essen verteilen, und Leute von der Kolonne des Roten Kreuzes erfüllten mustergültig ihre Pflicht. Vorsichtig und mit Erfahrung trug man die Kranken, und man führte uns zu jenen, die unserer kleinen Hilfsmittel besonders bedürftig waren. Man bettete die Kranken auf Stroh, suchte sie vor Kälte und Nässe zu schützen, hielt dabei Disziplin und Frohsinn hoch. Der Mensch gewöhnt sich an alles, und auch die schwierigste Lage wird leichter ertragen, wenn gesunder Sinn und gesunder Mut belebend mit einwirken, als wenn Sentimentalität und Kleinmut die Oberhand gewinnen.
Am Montag, 5. Oktober, hatte Herr Czygan schon in den frühen Morgenstunden mit dem Neumontieren der Pneumatiks zu tun. Ich selbst sprach bei dieser Gelegenheit einige Militärchauffeure, die damit beschäftigt waren, besonders elegante Automobile, die der Heeresverwaltung zur Verfügung gestellt waren, herzurichten. Die Unterhaltung ergab die Tatsache, daß in der Nacht von Mittwoch auf Donnerstag, zwei Tage nachdem ich seinerzeit in .... war, ebendort, während unseres Rückzuges von .... in einem nächtlichen Überfall etwa fünf Automobile, die von Hamburger Besitzern stammten und noch die Hamburger Marken trugen, von den Russen vernichtet worden waren. Einzelne Namen wurden mir genannt, und so liegen denn auf russischem Boden herrschaftliche Wagen, die sonst durch unsere schönen Straßen fuhren. Die Insassen bet
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Automobile, Offiziere vom Stabe, waren zufälligerweise eine halbe Stunde zuvor ausgestiegen und mit den Truppen gewandert. Sie wären sonst zweifellos von dem Feuer vernichtet worden; denn die Russen haben in der Erkenntnis, daß in diesen Autos sich gewöhnlich höhere Offiziere befinden, nicht so sehr auf die Chauffeure gehalten als gerade auf die Wagensitze.
In .... gelang es leicht, auf der Bahnstation telephonischen Anschluß zu erhalten. Ich erhielt um 11 Uhr früh die telephonische Mitteilung, ich solle die verfügbaren Liebesgaben nur senden, sie würden sogleich an die Truppen verteilt, die wahrscheinlich in der kommenden Nacht oder jedenfalls in den nächsten Tagen vor erneute Kämpfe gestellt würden. Diese Voraussicht hat sich denn auch erfüllt. Und so erscheint es mir denn als ein ganz besonders glückliches Zusammentreffen, daß es möglich war, um 2 Uhr dieses Tages den Waggon zu befördern, daß er alsbald seinen Inhalt über unsere braven Truppen ausschütten konnte. Ehe wir den Wagen abfahren ließen, bemächtigten wir uns noch einer vollen Autoladung allerhand nützlicher Sachen. Ganz besonders warme Strümpfe und Eß-waren wurden mitgenommen. Denn für die Truppen in blieb noch in dem Waggon zur Genüge übrig. Leider waren Zigarren und Zigaretten nicht mehr vorhanden, so daß mir noch ein größeres Quantum anschaffen mußten. Die Zigarren* laben hatten sich in den kleinen Städten sehr bald natürlich wieder ein größeres Lager hingelegt.
Unsere Absicht war es, zunächst wieder nach..................zu
fahren, da dort gestern ein Gefecht stattgefunden hatte. Man kann uns aber nicht genügend Aufschluß geben, riet vielmehr, lieber zunächst nach . ... zu fahren. So waren wir denn bald in flotter Fahrt auf der Landstraße. Nach etwa 2% Stunden langten wir an. In dem Ort trafen wir einen Rittmeister, der Herrn Ezygan bekannt war. Er gab uns Auskunft, lud uns zugleich aber zu einem Gläschen Portwein ein, während wir mit einigen Zigaretten uns zu revanchieren suchten. Vor allen Dingen aber gaben mir unsere eingekauften Zigarren und einen Teil unserer marmen Sachen für die Mannschaften der Munitionskolonne, die dem Rittmeister unterstand.
Bei der fröhlichen Unterhaltung, die sich in der marmen Wirtsstube an diesem immer noch regnerischen und kalten Tage anknüpfte, erregten unsere marmen Ledermesten den Neid der durch Regen und Wind geplagten Herren. Was mar natürlicher, als daß mir uns der Jacken entledigten und aller Wider-
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rede zum Trotz sie unseren beiden Gastgebern, die zu ihrem Teil an der Verteidigung Ostpreußens gewirkt hatten, übergaben. Wir konnten uns schon helfen durch unsere warmen Decken und Gummimäntel. Und so schieden wir denn bald wieder in größter Freundschaft, und die Nufe: „Das Hamburger Note Kreuz möge leben!“ folgten uns.
Wie wir weiter dahinfuhren, zeigte sich uns am Wege bald ein geradezu rührendes Bild. An einer Stelle neben der Chaussee hielt noch ein Teil einer Proviantkolonne. Ein Ulan kam an ein einfaches Soldatengrab herangeritten, das neben der Straße lag. Ein flacher Erdhügel, schon etwas begrünt, war geschmückt von einer aus der Erde hervorragenden Lanze, an der aus schwarzen, weißen und roten Lappen ein deutsches Fähnchen improvisiert war. Ein einfaches, rohes Holzkreuz stand daneben. Der Ulan war abgesessen; er hielt in der linken Hand die Zügel des Pferdes, fniete an dem Grabe nieder und las die Inschrift auf dem Holzkreuz. Er mochte wohl einen Kameraden suchen, dem zur Seite er in dieser Gegend vor Wochen gekämpft hatte. Ob er ihn fand, wir wissen es nicht», aber noch lange sahen wir ihn bemüht, die Inschrift an dem? Kreuze zu entziffern.
Husarenlied.
Heiß ist die Liebe,
Kalt ist der Schnee, der Schnee; Scheiden und Meiden Und das tut weh.
Note Husaren,
Die reiten niemals, niemals Schritt; Herzliches Mädchen,
Du kannst nicht mit.
Weiß ist die Feder An meinem roten, roten Hut;
Schwarz ist das Pulver,
Not ist das Blut.
Das grüne Gläslein Zersprang mir in der, in der Hand, Brüder, ich sterbe Fürs Vaterland.
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Auf meinem Grabe
Soll'n rote Rosen, Rosen stehn;
Die roten Rosen,
Und die sind schön.
Hermann Sons.
Verwundet zurück an die Grenze.
Also es geht mir gut. Gestern wurde ich noch einmal verbunden, und ich habe dann genau zugesehen. Die Kugel ist von rechts in den Oberarm eingedrungen, auf dem Knochen abgeprallt, drumrum gegangen und dann eine Handbreit darüber wieder hinausgegangen. Ja, es ist wirklich ein Wunder, dah ich nicht mehr abgekriegt habe. Schade, daß es so früh gekommen, die Kugel hätte doch gerne noch warten können. — Eine Beschreibung des Gefechts ist kaum möglich. Es ist aber, als ob ich eine Ahnung hatte, denn des Morgens oor Tagwerden benutzte ich noch einen Augenblick Zeit, um aus meinem Tornister die Schokolade, den Tabak und die letzten Zigaretten herauszunehmen, steckte es in die Tasche und sagte zu meinem Kameraden: „Wer weih, vielleicht hab' ich nachher nichts mehr daoon.“ — Dann bekamen wir mit 35 Mann und einem Feldwebel den Auftrag, einen Waldrand zu besetzen, um Flankenfeuer zu geben. Wir waren total erschöpft, die Nacht oordem nicht geschlafen, den Tag marschiert und nichts zu essen bekommen, die Feldküche konnte nicht folgen; um 3% Uhr kamen wir ins Feuer, die ganze Nacht im Gefecht gelegen; es schneite. Während mir zum Flankenangriff oorgingen, gingen die übrigen zum Vajonettkampf über. Wir paar Mann schwärmten dann vorwärts, und die Halunken ließen uns ganz nahe an den Waldrand herankommen, und kurz vor diesem nahmen sie uns ins Feuer, aber da von drei Seiten, ^eder suchte so gut wie möglich Deckung und feuerte, alles tvai das Zeug hielt, da war ein Decken ausgeschlossen; dann sagte der Feldwebel: „Jeder zurück, so gut es geht." Einzeln gingen wir zurück, immer kriechend und dabei feuernd. Da lag ein Käme-rat) oor mir mit einem Schuß im Bauche. Ich schleppte ihn ein Stück mit, bis mir ein anderer half. Das Feuer wurde immer mörderischer, feindliche Schrapnells platzten zu allen Seiten, und jedesmal bebte die Erde. Endlich hatten wir eine abgebrannte Scheune, hinter der wir uns versteckten. Nach und nach sammelten sich ein paar Kameraden, auch der Feldwebel;
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ich erhielt den Auftrag, durch Schwenken meines Helmes unserer weitabgelegenen Compagnie uns zu erkennen zu geben. Ich laufe ein Stückchen — klatsch! — ich laufe weiter und werfe mich wieder hin und fasse so an die Schulter und da — ver-flirt, da ist ja Blut! Dann merkte ich auch schon einen leichten brennenden Schmerz; die Kugel hatte meinen Tornisterriemen dreiviertel zerschossen. Im ersten Augenblick machte es mir Spatz, und meine größte Sorge mar, die Pfeife in Brand zu halten, ich hab' nämlich während der ganzen Zeit geraucht, ununterbrochen. Nun hietz es noch ein langes, langes Feld ohne Deckung zu durchlaufen, um in unsere Stellung zurückzukommen; dann wurde bald der Arm steif und brannte sehr. Den Tornister mutzte ich leider aufgeben, war gerade im Begriff, ihn zu öffnen, da, ein mörderisches Schrapnellfeuer, es pfiff nur so um die Ohren; da liegt wieder ein Kamerad vor mir, es sieht aus, als ob er schliefe — so komme ich endlich durch unsere Linie, Galt sei Dank! Nun noch ein Stückchen, und ich bin in einer Scheune beim Arzt. Eine Kugel war durch die Lehmwand gedrungen, zwischen uns hindurch, aus der anderen Seite in die Feldapotheke, die an der Wand hing, gegangen; dann kam schon ein neuer Verwundeter angekrochen. Das Feuer wurde immer heitzer, die Russen kamen immer näher. Die Gefangenen werden nach hinten befördert, die Verwundeten in eine Hütte gebracht. Die Kugeln flogen wieder durch die Mauer, wir legten uns zum Schutz flach auf die Erde. Das Getöse unb Geknatter wurde immer ärger und stärker, da jetzt unsere Artillerie dazwischenfuhr; es hörte sich an, als ob eine grotze schwere Tür in einem langen Raume zugeschlagen wird, ss dröhnt es. Unser Häuschen wird von russischen Granaten beschossen, wir liegen ganz gleichgültig. Jedesmal, wenn die Granaten platzen, bebt die Erde, und wir fliegen ein Stückchen hoch vom Boden. Da kommt ein Verwundeter, frisch verbunden, er will zu uns. „Lauf, lauf!“ rufen mir; er ist ruhig
und sagt nur: „Nicht so ängst “, roeiter kommt er nicht,
fällt vornüber und schlägt ein paarmal mit den Beinen. Fünf Schritte von uns liegt er. Ein Sanitätssoldat kriecht hin und zieht ihn an den Beinen zu uns — er ist tot. Kopfschutz. Da kommt noch einer, er springt, bleibt auch liegen. Ich drehe mich um und rauche und kaue Schokolade. Wir gehen zurück, die Verwundeten zuerst, die Schwerverwundeten auf einer Zeltbahn getragen, und wir laufen los. Die Schießerei wird immer toller, sie kriegen Verstärkung. Wir laufen los, immer weiter.
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Sie schießen viel zu hoch, denn sonst wäre keiner von uns durchgekommen. Ich bin total durchnäßt, Schweiß, Blut, Schnee — einen Augenblick anhalten, die Pfeife wieder anzünden — weiter, diese verfluchten Granaten, die Luft ist voller Pulverdampf, das Atmen fällt schwer, und noch immer dieses Ssss— und pitsch, pitsch, das Sausen und Einschlagen der kugeln. Endlich nach einer halben Stunde eine Talmulde, ich atme auf — Deckung, nun noch dreiviertel Stunde bis zum nächsten Dorf zur Verwundetensammelstelle. Es werden schon welche in Wagen geladen. Meine Personalien aufgenommen und los, die Leichtverwundeten zu Fuß. Aus einer Feldküche schnell ein Becher warme Suppe, Stück Brot und dann wieder 28 Kilometer ohne Nast zur deutschen Grenze zu Fuß. Abends 8 Uhr waren wir glücklich da. Ich fiel um und konnte nicht mehr, d. H. etliche blieben schon unterwegs liegen; es war ein interessanter Zug, erst die Wagen, dann die Gefangenen und zum Schluß wir, einige den Arm in der Binde, Kopf verbunden, so alles durcheinander. Endlich konnten wir mit der Bahn weiterfahren. Ach ja, die Entbehrungen und Strapazen hatten erst einmal ein Ende. Dann bekam ich etwas Wundfieber, aber jetzt geht mir's gut. Wir sahen bös aus, tagelang nicht gewaschen, das Zeug voller Lehm, ich kann das alles gar nicht so schreiben. Es war herrlich, mal wieder frei von Ungeziefer im sauberen Bett zu liegen. Nun, lange wird's nicht dauern, so ziehe ich das zweitemal ins Feld...............
Er schleppte sich . . .
Er schleppte sich an ein Gehölz.
Nacht war's, und ferne Stimmen schrien.
Zwöls Stunden streuten die Schrapnells.
Erst nach zwei Tagen fand man ihn.
Er ißt und trinkt im Lazarett,
Gesund ist das durchschossene Bein.
Nur sitzt er nachts auf seinem Bett Und glaubt in einer Schlacht zu sein.
Die Wärter kommen leis' daher.. .
Dann schläft er bis zum Tageslicht,
Erwacht in Frieden still und schwer —
Und weiß es nicht. . . Und weiß es nicht.
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Im frischgerollten Linnenhemd Liegt er, das Aug' ins Licht gewandt.
Der Blick ist froh, nur etwas fremd,
Die Mutter hält des Jungen Hand.
Oft schläft er ein. Er schläft sich satt.
Sie hört ein Lallen schlummerfern ...
Und was er je gelitten hat,
Erscheint in ihrem Augenstern.
Alfred R e r r.
Bei den Pionieren von Hindenburgs Armee.
Raum irgendwo haben unsere Pioniere so Großartiges geleistet wie auf dem östlichen Kriegsschauplatz. Denken wir, wenn man es so nennen darf, an Hindenburgs Rückzug von Lodz nach Deutschlands Grenzen — strategisch ohne allen Zweifel ein Meisterwerk. Ein Rückzug, und doch hätte ein Vor» marsch nicht geordneter vor sich gehen können. Wem haben wir dies in erster Linie zu verdanken? Unseren wackeren, listigen, tapferen Pionieren. Von ihrer Tätigkeit eine kleine Blütenless: Düstere, trübe, feuchte Nacht. Rasselnd fahren unsere Geschütze und Munitionswagen durch das nur hier und da erhellte L ... mit seinen schmutzigen, an Löchern reichen Straßen. Spärliches Licht gewähren die zahlreichen Brände — Wirkungen unserer schweren Geschütze. Nun kommt die Infanterie daher, zuletzt die Kavallerie. Die Truppen ziehen beim Ausgang von L... unter einer gewaltigen Eisenbahnunterführung hin. Dort stehen einige listensinnende Pioniere und warten, bis die letzten Truppen vorbei sind. Aus ihren herben Gesichtern spricht: Unheil den Russen! Raum ist unsere Ravallerie-Nachspitze 500 Meter von der Überführung entfernt, da erdröhnt die Erde, man hört allenthalben die Fensterscheiben klirren, ein Schlag, gleich dem eines gewaltigen Donners. Einen Augenblick ist alles verdutzt; was ist geschehen? Eben haben Pioniere einem großen Straßenbahnwagen, den sie schnell mit List und Tücke unter die Überführung gefahren hatten, die Räder abgesprengt. Damit nicht genug. Nach kaum zwei Minuten fällt ein vielfach stärkerer Schuß: elektrisch hat ein Pionier die Bahnüberführung selbst, bestehend aus schwerer Eisenkonstruktion, dem Väterchen Zar zum Dankesopfer gebracht. Harmonisch schön — echt polnische Wirtschaft — haben sich Eisenträger und Straßenbahn-
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wagen ineinander verwirkt; wie eine Streichholzschachtel ist ber Wagen zusammengedrückt; ebenso hat ein stolzer Möbelwagen, den schnell einige stramme Pioniere mobil gemacht und darunter gerollt hatten, unter dieser Last sein Haupt beugen müssen. Ein Rittmeister von den Kürassieren, der sich für derartige Pionierarbeit besonders interessierte, meinte: „Selbst für eine russische Maus, die gewiß doch an polnische Verhältnisse gewöhnt ist, ist dort kein Durchschlupf mehr." Nun ist es aber Zeit, daß auch der Pionier, der sich nur schwer von seinem Werk trennen kann, den Rückzug antritt, um das nächste russische Kunstwerk zu opfern; denn schon sieht man auf einige hundert Meter eine Kosakensotnie langsam durch das Gelände zackeln. Ein Schwarzkragen hat indes, sämtlichen Komfort der Neuzeit ausnutzend, seinen Kameraden aus dem nächsten Depot einen Zweiten Straßenbahnwagen zur schnellen Weiterbeförderung herbeikutschiert. Ear schnell nehmen die listigen Spatenträger unter Pfeifen und Singen: „So leb denn wohl, du schönes Städtchen" auf den Polstersitzen, einige Berliner Jungen sogar auf der Wagendecke Platz. Nun geht es in Sturmeseile zum nächsten Dorf in der Richtung P. . . Die Weichen ächzen laut unter dem Überlandfluge der Listigen. Schon sind die letzten Teile der Infanterie wieder eingeholt. Unter Hurrarufen der Infanterie: „Hoch die Pioniere!" geht es rasch an ihnen vorbei. Das Ziel ist erreicht. Ein Pionier meint: „Kurz und schön war, stolzer Wagen, deine Laufbahn in preußischen Diensten; bald bricht auch dieser stolze russische Bundesgenosse unter unsrer starken Hand." Ein kleiner Trupp der Zerstörer hat bereits einer Scheune eine Menge Stroh entnommen; zwei Berliner Jungen wälzen unter fortwährendem Rufen: „Platz, Kameraden!" zwei mit Tücke erbeutete, dickbäuchige Fässer Petroleum einer bereits unter deutschem Druck stehenden Holzbrücke zu. Fünf Minuten vergehen. Schon hat der Nest der Infanterie die Brücke passiert. Stroh und Petroleum werden in Menge unter die Brücke gebracht; Brandfackeln harren des Streich-Holzes. Einige Pioniere sind daran, die Bahnschienen auf die Seite zu wuchten. Jetzt hat auch der Rest der Kavallerie die Brücke überschritten. Eine Sprengpatrone zerbricht die Schienen; ein besonders tückischer Schwarzkragen lenkt den Wagen über die wunde Stelle in die prasselnde Brücke hinein, während er selbst, den richtigen Augenblick abwartend, dem Straßenbahnwagen Lebewohl sagt. Das Wasser plätschert und strudelt, die Näder knarren —, und nun allenthalben Stille. Nur hört man
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die Worte eines Pioniers durch das Dunkel der Nacht schallen: „He, macht die Fenster auf, sonst gehen sie in die Binsen." Dann ein Knall gleich dem eines 42-Zentimeter-Geschützes: die die Schienenstränge tragende Eisenbahnbrücke sendet ihre Trümmer zum fernhin geröteten Nachthimmel. Auch einige Häuser haben eine gelinde Backpfeife mitbekommen; große Löcher gestatten den Einblick ins Innere. Einer schwingt seine flackernde Pechfackel hoch im Bogen unter die bereits in ihrem Elend zusammengebrochene Brücke; zischend prasseln die Balken und Bretter; knisternd springt der Lack des Wagens. Ein Faß Petroleum — bisher nach pioniertaktischer Erwägung in Reserve — nährt die Flammen und gibt ihnen eine düstere Farbe. Schnell requirierte Wagen bringen die Zerstörer zur nächsten Arbeitsstätte. Der Bahnhof, ebenso das Depot der elektrischen Bahn haben bereits ihre Rechnung mit dem Himmel gemacht. Ein Feldwebel gibt das kurze Kommando: „Kinder, Ärte raus !* Schon spritzen die Splitter der Isolatoren und Stöpsel in der Telegraphenstation unter der wuchtigen Pionierart; schon fallen die Telegraphenstangen ihrer Länge nach hin — für den Zuschauer lebensgefährlich. Das Läutewerk hat zum letzten Male russisch getönt. Die Weichenanlagen schlagen klappernd ihre müden Gebeine zusammen. Indes machen einige andere Pioniere zwei Lokomotiven, die friedlich in einem echt russischen Schuppen ihren Winterschlaf begonnen haben, mobil. Bald aus dieser, bald aus jener Ecke der Bahnhofsanlagen hört man das Wort „Achtung!", im Gefolge einen kurzen Knall. Einige Weichenanlagen, wie Weichenzungen und Herzstücke, haben deutscher Sprengkraft Platz machen müssen. Bier andere Pioniere wälzen eben unter Aufwendung aller ihrer Kräfte ein schweres, ganz neues Herzstück (wahrscheinlich zur Reserve zurückbehalten) in einen nahe fließenden, tiefen Bach. Nun einige Minuten Stille — dann prasseln zwei Lokomotiven, aus weiter Entfernung aufeinander losgehetzt, gegeneinander. Nur kurz war ihr Kampf; beide liegen am Boden; die eine scheint den Kopf; die andere ihre vier Beine eingebüßt zu haben. Ein Unteroffizier hat indes einem großen Wasserbehälter deutsche Sprengmunition ins Maul geworfen. Die Detonation ist so stark, daß sämtliche Fensterscheiben des Ortes zersplittern. Einige Sprengstücke des Eisenbehälters dringen sogar in die Wartesäle selbst ein und reißen den Fußboden auf. Zuguterletzt heißt es: „Alle Mann in das Bahnhofsgebäude selbst.“ Bald ist es von Grund auf in das Nichts zurückversetzt. — So, nun ver*
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lassen die Pioniere ihre Arbeitsstätte, stolz auf ihr Zerstörungswerk. Alles liegt am Boden, überwältigt von deutscher Hand. Nur einige hohe Wände des Gebäudes stehen nackt da; und „diese, schon geborsten", versinnbildlichen die Ohnmacht des russischen Reiches.
Neuer Vorstoß gegen die Russen.
Die Zukunft liegt noch ziemlich in Dunkel gehüllt. Das eine nur wissen wir, daß es harte Arbeit gibt, die russische Hauptmacht, man sagt 22 Armeekorps, zu werfen. Gelingt es, dann werden wir damit hoffentlich dem Frieden auf ein gutes Stück näherkommen. Unsere Soldaten gehen drauf wie Blücher, während die Nüssen wohl schwer aus den Schützengräben herauszukriegen sind. Noch nie haben wir Russen frei vorgehen sehen. Unsere Soldaten machten selbst im gräflichsten Feuer am 9. September ihre Witze: „Jung, Hein, ick glöw, de Hunn wüllt uns hüt wat!“ Das ist kriegerischer Geist, und das ist immer ausschlaggebend. Die russischen Offiziere haben ihre Stellung immer etwa zehn Schritte hinter der Schützenlinie. Sobald nun die Sache etwas brenzlich wird, geben sie entweder an, sie müßten zu einer Offiziersberatung nach rückwärts, oder sie kneifen heimlich aus. Darum find unter den Gefangenen immer nur wenige Offiziere. — Nun einiges aus Ostpreußen. Ortschaften, die wir nach den Russen zum erstenmal betraten, schienen wie verlassen. Allmählich kamen erst einige, dann immer mehr ganz schüchtern und verängstigt zum Vorschein. Immer schien es, als wollten sie ihren Augen nicht recht trauen. Deutsche Soldaten! Tränenströme nur konnten das bange Herz befreien. Und um in der Stille weinen zu können, vielleicht auch, um ein Gebet sprechen zu können, nahmen Frauen ihre Schürzen vors Gesicht. Greisinnen erhoben ihre welken Hände faltend zum Himmel — und schluchzten, wie man es nur kann in oder nach furchtbarer Not. Die Männer liefen, um das, was ihnen noch geblieben war, ihren Errettern darzubieten. Und was war ihnen noch geblieben? Eßbares schon gar nicht, außer Kartoffeln und einigem Federvieh. Das ftorn konnte nicht gemahlen werden, der Müller war entweder eingezogen oder geflohen. Sah es so bei den Zurückgebliebenen aus, so war es immerhin noch glänzend gegen das Los der Geflohenen. Die Türen waren erbrochen, die Fenster eingeschlagen. Was irgendwie gebraucht werden konnte:
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Kissenbezüge, Zivilröcke, Nachtjacken, Damenstiefel, Nähkaslen, Vasen — kurz, eigentlich alles, was zu tragen war, war ihnen genommen, um es zum Teil auf dem nächtlichen Viwakplatz liegen zu lassen oder auf dem nächsten Marsch wegzuwerfen. Darum war auch die Marschstraße der Nüssen ohne irgend welche Schwierigkeit zu verfolgen. Was nicht transportiert werden konnte, wurde ruiniert. Spiegel, Schränke, Stühle, Tische, Bücher usw. Harmlose Männer haben die Russen mitgeschleppt und als Spione erschossen. Haben sie doch z. B. einen Pastor bei einer Beerdigung erschossen, weil sie glaubten, er habe die Glocken läuten lassen zum Zeichen, daß Russen im Dorfe wären. Eine Frau erzählte, man habe ihr dreijähriges Kind mitgenommen. Ach, dieses Elend! Darum freue ich mich so riesig, daß Ihr beide so wunderbar sicher und gut aufgehoben seid. Ihr merkt ja eigentlich nichts vom Kriege.
Sonnabend, 26. 9., morgens 7.40 Uhr, überschritten wir bei Woischnik in Oberschlesien die Grenze. Gleich diesseits trafen wir im russischen Grenzhaus unsern Landsturm einquartiert, der über der Tür ein Schild angebracht hatte: „Wache Neu-Deutschland". Mit ganz eigenartigen Gefühlen bin ich über die Grenze gegangen, da man immer nur von Rußland als dem Land des Schreckens, der Willkür, des Hungers, der Not gehört hatte, hatte ich (ich will's nicht leugnen) eine gewisse Angst, eine Scheu vor dem Lande. Und bald wurde diese Scheu genährt durch den Eindruck, den die Landschaft auf mich machte: weite Sandflächen, aus denen ganz unerwartet steile, hohe Kreidefelsen hervorragen. Viel Steine gab’s und — scheinbar — wenig Brot; denn stundenweit kein Dorf, kein Gehöft. Der Boden furchtbar mager, so daß ich am Abend des ersten Tages sagte: „Auf dies Neu-Deutfchland wollen wir gern verzichten." Allmählich habe ich mir eine andere Meinung gebildet.. Das Land ist zum Teil recht, wenn nicht sehr gut. Nur ist es nicht sehr gut bearbeitet. Die Bauern haben unter furchtbaren Lasten zu leben. Wiederholt haben sie unseren Leuten gegenüber geäußert: Ja, unter Deutschland möchten sie schon sein, da könne man doch für sich arbeiten; aber hier!!! Am dritten Tage kamen wir zum erstenmal in eine Stadt. Keine Stadt nach unserem Begriff. Keine einzige gutgepflasterte Straße, nur einstöckige Häuser mit Strohdächern. Die Leute schmutzig und barfüßig. Nur einige sehen etwas kultivierter aus, haben kohlrabenschwarzes Bart- und Haupthaar, tragen als Rock einen langen schwarzen Mantel und auf dem Kopse
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eine schwarze Schirmmütze, in Form und Größe einem Studentendeckel ähnelnd. Das sind Juden. Das Land sieht aus wie gänzlich unberührt vom Kriege. Das Vieh grast auf der Weide, die Bauern bestellen das Feld, Frauen und Kinder nehmen Kartoffeln auf. Fast jeder Besitzer hat eine größere Gänseherde. Die Bewohner sind uns gegenüber sehr friedlich, ja sie wissen in vielen Gegenden nichts vom Kriege. Der Mann (oder ein Verwandter) ist zwar eingezogen und die Hinterbliebenen haben seitdem nichts mehr von ihm gehört. Aber im Kriege?? In anderen Gegenden staunen sie, wenn sie plötzlich uns sehen. Sie haben nur von großen Waffenerfolgen Rußlands gehört. — Eben bringt mir einer unserer Leute ein großes Stück Kalbsleber. Es ist manchmal rührend, wie die Leute für einen sorgen. Haben sie Äpfel, so kommen sie an: „Möchten Herr Leutnant einen Apfel essen?" Ich erinnere mich, als wir einmal nach einem Gefecht bei einem Gehöft Einkehr hielten und ich mich mit meinen Leuten auf dem Hof unterhielt (übrigens V.-Alsterdorf war auch dabei), nötigte mich plötzlich ein Mann meines Zuges zum Sitzen in einen bequemen Lehnstuhl, den hatte er bereits „besorgt" aus dem Zimmer. Haben sie Honig und sehen, daß ich mein Brot trocken esse, so bieten sie mir Honig oder Schmalz oder Butter -an. Ist das nicht fein? Ich halte es aber auch so. Höre ich, daß ein Mann Hunger hat, so gebe ich ihm, wenn ich noch habe. Gestern erzählte mir ein Feldwebel, daß die Leute sich ängstigten, daß ich in der nächsten Schlacht falle. Sie fürchten, jetzt könnte die Reihe an mich kommen. Für mich war diese Mitteilung eine große Freude. Ich ersehe daraus, daß ich mit den Leuten auf kameradschaftlichem Fuße stehe, daß ich ziemlich den richtigen Ton treffe. Daß die Disziplin darunter leide, ist nicht zu befürchten. Ich betrachte es zum Beispiel auch als selbstverständlich, daß ich beim Beziehen des Quartiers zuerst sin gutes Lager für meine Leute suche und mich nicht sofort in mein Quartier begebe. Übrigens, in den Quartieren erlebt man hier wunderbare Dinge. Die Einwohner haben im ganzen Hause nur einen Raum für sich. Den benutzen sie als Schlaf* And Wohnzimmer und Küche.
Wieder im Kampf.
Nun will ich genau berichten über vergangene schwere Tage, unsagbar schwere Tage. Man merkt allen an, daß sie Schweres durchgemacht haben. Es liegt ein größerer Ernst
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über dem Ganzen, wohl auch deshalb, weil mancher den Verlust eines lieben Kameraden nicht gleich verschmerzen kann. Ss ist es auch mir. Kamerad M., Leutnant meiner Compagnie, mit dem ich mich sehr gut verstand, ist schwer verwundet in der folgenden Nacht dann gestorben. Er hatte Kopfschutz, ist anfangs bewußtlos gewesen, hat dann auf kurze Augenblick das Bewußtsein wieder erlangt. Kurz vor seinem Tode hat er dann verständlich gesagt: „Leutnant F ... grüßen". Ein Zeichen, daß ich ihm auch nicht gleichgültig gewesen bin. Wir teilten alles brüderlich miteinander; darum kannst Du Dir wohl denken, daß ich für einige Tage verstimmt war. Es tut mir sehr leid. So sind von den fünf Offizieren der Kompagnie die drei Aktiven gefallen. Die beiden Neserve-Offiziere wirken jetzt allein. Vor zwei Tagen fagte mir ein Kamerad, der nach iy2 Wochen aus dem Lazarett zurückkam, ich hätte ein ganz anderes Gesicht bekommen, er hätte mich kaum wiedererkannt.
Am nächsten Morgen gingen wir in aller Frühe vor bis an den Nordrand des Waldes, südlich Pristahim am Mauer-see. Das war der fürchterlichste Tag während des ganzen Krieges. Der Feind hatte von einer befestigten Stellung aus alle Entfernungen genau abgemessen und wahrscheinlich eine ausgezeichnete Beobachtung. Am frühen Morgen begann ein heißes Artillerieduell. Während dieser Zeit lagen wir hinter einem Berge nur in Bereitschaft. Plötzlich schwieg die feindliche Artillerie. Ist sie zum Schweigen gebracht oder ist sie abgerückt? Unsere Führung nahm wohl das erstere an. Unser Bataillon trat mit lichten Schützenlinien den Vormarsch an, dahinter die Unterstützung geschlossen. Um unsere Schützenlinien kümmerte man sich gar nicht. Erst als alle geschlossenen Abteilungen aus dem Walde heraus waren, begann ein mörderisches Feuer, sowohl auf Schützenlinie, als auch auf Unterstützung. Ich führte den ersten Zug der Unterstützung. So lag ich von Anfang an im schlimmsten Artilleriefeuer. Man versuchte, durch Sprünge heranzukommen, vergebens. Nach jedem Sprunge änderte die feindliche Artillerie ihr Visier auch um 20 bis 50 Meter wieder vorwärts. Es nützte nichts. Die Erde flog einem ins Gesicht, daß ich zweimal meinen Kopf ganz in die Schultern zog und die Augen fest zukniff. Immer sahen die geöffneten Augen neue Schreckensbilder. Bei jedem Sprunge blieben neue liegen. Dort bietet eine kleine Welle vielleicht etwas Deckung, und kaum liege ich dort, so kommt schon wieder ein Mann mit vollständig roter Hand zu mir. Er sagt
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keinen Ton. Mit der gesunden hat er die kranke gefaßt. Er sieht mich hilfeflehend an, bis ich ihm sage: „Laufen Sie, so schnell Sie können, zurück, sonst verbluten Sie." Ich sehe ihm einen Augenblick nach. Was aus ihm geworden ist, weiß ich nicht. Ein Nebenmann ruft mir zu: „Herr Leutnant, eben traf eine Kugel auf den Tragriemen.“ Er sieht mich noch ganz vergnügt an. Doch nun die Gesichtsveränderung. Immer ängstlicher tvird der Blick, bis zuletzt der Schmerz sich äußert in Stöhnen und Jammern. Er hat anfangs die Verwundung gar nicht so gemerkt. Mein anderer Nebenmann reicht mir eine breitgeschlagene Schrapnellkugel und sagt: „Diese schlug eben gegen meinen Tornister." Erst die Dunkelheit setzte diesem grausigen Ringen ein Ende. Das Schlachtfeld war von Toten und Verwundeten übersät. Meine Kompagnie, kaum 200 Mann stark, hatte 3 Tote, 41 Verwundete, 10 Vermißte. Unter dem Schutze der Nacht wurden Schützengräben ausgehoben. Ich mußte in der Nacht mit meinem Zuge den Bataillons^ Stab sichern, also auf Wache ziehen. Bei Tagesgrauen gingen wir auf unsere Stellungen vom vorigen Tage zurück, um im Laufe des Tages denselben Streifen Land aufs neue zu erobern. Die Hauptstreitfräste des Feindes waren gewichen. Der Feind ist auf ber ganzen Linie geschlagen. Vier Korps sind zur weiteren Verfolgung eingesetzt. Das genaue Resultat bes Sieges ist noch nicht bekannt. Man spricht von 10 000 Gefangenen. Der Dank des Kaisers ist schon heute den Truppen ausgesprochen. Jedenfalls ist ein herrlicher Sieg erfochten.
Ruhetage.
Frieden im Kriege, so muß man meine jetzige Lage bezeichnen. Von S. schon teilte ich Dir mit, daß die Schlacht mit der von Warschau kommenden Armee unmittelbar bevorstände. Sie ist bereits im Gange, und fast scheint es so. als könne man diesmal unsere Hilfe entbehren. Schon in (Bucha stand unser Bataillon (in 2. Reserve gleichsam) zur Verfügung des Divisionskommandeurs — zwar nur einen Tag, denn am folgenden, also gestern, wurden die 1. und 3. Kompagnie nach diesem Dorfe beordert, um die Pilica-Linie zu halten. Hier haben mir uns eingegraben. Vor unseren Gräben dehnte sich eine weite, sumpfige Ebene aus, durchzogen von zahlreichen breiten und tiefen Gräben und der Pilica. Diesseits des Flusses steigt das Gelände steil an, die Ortschaften sind vom Feinde besetzt. Über dieses Gelände mußte ich gestern eine 20 Mann
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starke Patrouille bis an die Pilica führen, um festzustellen, rvas an dem Flusse vor sich gehe. An dem Flusse war nichts losr aber wir bekamen natürlich Feuer. Drei Salven aus dem einen, Einzelfeuer aus dem anderen Dorfe, Gott sei Dank, ohne Schaden anzurichten. Aber unsere Füße! Quietschnaß waren sie. Es war fein, daß man gleich nach Rückkehr trockene Strümpfe anziehen und seine Stiefel trocknen konnte. Nun ist unser Dienst folgendermaßen: Tagsüber sitzen ständig Beobachter aus einigen Dächern; wir und die übrigen Mannschaften sitzen gemütlich in den Häusern und rauchen und Höhnen; am Herd stehen die Burschen und schmoren und kochen wie toll. Gestern abend: 1. Bouillon mit Zunge und Karotten, 2. Gänseleber, 3. Gänsebraten, 4. Obst. Na, was sagst Du nur ? — Die Bewohner unserer Stube sind umquartiert. Gestern zum Kaffee gab's Kartoffelpfannkuchen. Den Kaffee lassen wir uns von der Feldküche geben. Auch Tee kochen wir uns. Augenblicklich brät Annuscheck (mein Bursche) Gehacktes. Was ich am meisten entbehre, ist unser Brot und Sachen zum Bestreichen. Schmalz mag ich schon nicht mehr sehen, und bie Butter, bie man hier an wenigen Stellen bekommt, ist nicht zu essen. Vor einigen Tagen hatten wir uns in Butter Bratkartoffeln mit Rührei gebraten — wir mußten alles wegschütten, es war nicht zu essen. Schabe um bie zehn neuen Eier. Zehn! Ja.. . Der Hunger bes Kriegers ist nicht klein. Na, unb bie« ses Schlaraffenleben kann unter Umstänbert noch mehrere Tage bauern. Da wirb ber Nock wohl roieber eng werben. Lachst Du? . .. Ach, man freut sich so über einen guten Tag! Unb biese Ruhe um uns! Zwar hört man aus weiter Ferne ben Kanonenbonner, aber sonst Ruhe wie im Frieben. — Heute morgen machten wir bie angenehme Entbeckung, baß bie ganze Kompagnie schon verlaust ist, auch Leutnant V., mein Kompagnie-Führer. Bei mir habe ich noch keine Laus gefunben, aber ich möchte mich auch nicht freisprechen. Flöhe hatten wir schon lange, lange; haben boch Offiziere zuweilen Dutzende gefangen, ich habe meistens 2—4 besessen. Dies verlauste, schmutzige Nufsenpack!!! Du glaubst ja auch nicht, wie die hausen. Nein, ich sehne mich zurück in bessere Verhältnisse, in mein Heim, in meine Familie. Wäre die Zeit der Rückkehr nur erst da! Und wie fern mag sie noch sein?! . . . Schon so oft habe ich mir das Wiedersehen ausgemalt, und immer fährt die rauhe Wirklichkeit dazwischen. .. Hast Du Dich eigentlich gefreut, daß ich das Eiserne Kreuz erhalten habe? Meine Felb-
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webel und Unteroffiziere meinten, daß das auch höchste Zeit geworden sei, ich hätte es längst verdient. Auch meine Leute waren sichtlich erfreut. Ich glaube, nur meine Pflicht getan zu haben.
Im Luftschiff.
„Ein tüchtiger Rahn,“ sagte der Erzähler in das Stimmengewirr der Offiziersmesse hinein und griff zu seinem Weinglas, als wolle er dem Luftschiff zutrinken, das da draußen im Rayon des Hauptquartiers verankert lag und sich im abendlichen Frieden wiegte. Er liebte es in der Vollkommenheit seiner Form, deren Zweckmäßigkeit ihre Schönheit ist, und nun sie beide — das Luftschiff und er — gemeinsam die Feuertaufe bestanden hatten, war es ihm mehr als ein Werkzeug militärischer Absichten: es war ihm Kamerad und Freund geworden, wie das Roß dem Reiter vor dem Feind. Wieder hörte er das zornige Brummen der Motoren, als die Flintenkugeln klatschend an die Eondelwände schlugen, spürte er das leise Schwanken des gewaltigen Körpers wie das Zittern eines edlen Pferdes vor dem ersten Feuerblitz. Dann aber verstärkte sich das Heulen der Motoren und wurde Orgelbraus und Siegessang, während das aufgestörte Ameisengewimmel des Feindes heckwärts unter ihnen entschwand.
„Wir waren dreizehn Stunden unterwegs," rechnete er nach, „700 Kilometer haben wir hinter uns gebracht, 500 über dem Feind. Es war noch dunkel, als mein Bursche mich aus dem Bett trommelte. Wir hatten tagsüber alles vorbereitet, hatten Benzin unb Ol für mehr als zwanzig Stunben, Proviant, Munition unb guten Mut. Die Wasserstoffzellen waren nicht ganz prall gefüllt, ba wir in bie Sonne fuhren — gerabe in bie Morgensonne, bie leichte Böen von sich stieß. Nach einer Stunbe sichteten wir Breslau, nach weiteren zwei Stunben überfuhren wir mit Hurraruf bie Grenze.
Wir gingen auf 2000 Meter, Ezenstochau lag säuberlich in seinem Erunbritz, bie Warthe schlängelte sich unwahrscheinlich bünn burch versumpftes Hügellanb, bas platt unb abgemalzt erschien. Hunbert Kilometer lang folgten wir ber Bahn nach ftielce unb sichteten auf halber Strecke Militär: nicht Russen — nein, Österreich marschierte unter uns, Österreich kam nach!
Wir warfen Botschaft ab, bie Bänber ber Hülfen flatterten luftig in bie Tiefe: Freunbesgrujz. Wir schwenkten nach Norb-osten ein. Die Forts von Iwangorob lagen wie kleine viel-
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eckige Würfel um die Festung, mir wichen ihnen aus. Die Höhen von Nadom staken voller Militär: es war ersichtlich, daß die Russen hier festen Fuß zu fassen und den Gegner zu erwarten dachten. Unser Erscheinen erregte die großen grauen Flecken, die Regimenter waren; tausend weiße Pulverwölkchen pufften, nur im Fernglas sichtbar, in der Tiefe auf. Über der Weichsel bei Lublin erneutes Feuer starker Truppenmassen, die die ganze flache Erdenschale bis zum Horizont bedeckten.
Und dann geschah es. Südöstlich von Lublin. Infanterie formierte sich, putzig anzusehen in ihrer Winzigkeit, Artillerie fuhr auf. Der Rauch der Geschütze ballte sich, danach erst vernahm ich durch den Motorlärm hindurch den Knall — unwirklich leise und unwirklich fern. Sie schossen schlecht — die Granaten waren ohne Brandsatz und krepierten weit von uns. Die Infanterie machte ihre Sache besser. Ich war einer der beiden Maschinengondeln zugeteilt — da war es wie ein leichtes Fingerklopsen an die Wand. Dann noch einmal, dicht unter meinen Füßen: die Kugeln trafen, prallten aber kraftlos an dem Vlechbeschlag des Gondelbodens ab. Nun pfiff es mir am Ohr vorbei, eine Kugel fuhr in die Außenhülle des Ballons, die wie ein ungeheures Silberdach zu unseren Häuptern war, bohrte ein kleines Loch in sie, streifte eine Rippe des hölzernen Innengerüstes und verlor sich in einer der Wasserstoffzellen.
„Sie blasen uns das Gas ab," lachte mein Monteur und spuckte verächtlich über Bord; wir haben sowieso schon zu viel Auftrieb, weil wir jetzt um ein paar laufend Kilo Benzin erleichtert sind — so ersparen sie uns das Ventilziehen."
Kugel folgte nun auf Kugel; mir zählten 25 Treffer — 25 Löcher, durch die Gas entmich. Auch die Granaten kamen näher, ein Sprengftück fiel in unsere Gondel mie ein Stein.
Durch den Maschinentelegraphen kam aus der vorderen Gondel der Befehl: Volle Kraft! Alle vier Motoren brüllten auf. Dann der Befehl: Flicken, roas zu flicken geht! Zmischen Himmel und Erde schmebend, suchten mir den Kahn nach Schäden ab und reparierten, mo es ging.
Unter uns aber drehte sich die Welt: der Führer ließ direkt nach Süden menden. Wir fuhren nicht zurück nach Deutschland — mir suchten unseren Bundesbruder auf: unser Ziel hieß Österreich. Hinter einer kampfbereiten feindlichen Armee, die um Krasnik kulminierte, stießen mir bei sinkender Sonne auf den Vortrab unserer Freunde, marfen Nachricht ab, fuhren
weiter und landeten in ihrem Hauptquartier. Deutschland und Österreich reichten sich durch uns über den Feind hinweg die Hände.
Und nun lebt wohl, Kameraden! Auf Wiedersehen in Rußland. Wir kehren diese Nacht aus unsere schlesische Station zurück."
Begrüßung der Oesterreicher.
Den 10. und 11. tobte hier vor Warschau ein mächtiges Gefecht mit sibirischen Truppen — kleinen, dünnbärtigen Kerlen mit spitzen Backenknochen und fast Schlitzaugen! Als Kavallerie sandten uns die Russen Kalmüken oder Tscherkessen — ein elendes, verhungertes Getier — entgegen! Donnerwetter, haben wir die aber ausgebildet! Und heute — ich stehe mit meinem Freunde in der Weinlaube unseres herrlichen Alarmquartiers — kam's auf einmal vom gegenüberliegenden Walde heraus* geritten: Rote Büchsen, kleine, geschmeidige Pserde, himmelblaue Jacketts mit Goldschnüren und Ulanentschakos mit Pserde-haarbüschel. Erst stutzten wir, wir wußten gar nicht, was los war, und dann raus von allen Seiten: „Hurra! Hurra! Die lieben Österreicher!" O, wenn Ihr diese erste Begrüßung miterlebt hättet! Die beiden Vorreiter waren Galizier: „Deutschlands gut Freund!" war ihr Losungswort. Aber sie mußten bald weiter, doch bis zur Dorfstraße, wo wir abbogen, war's ein „Grüß Gott!", Winken und Zurusen. Morgen kommt eine ganze Division Österreicher zu uns. —
Leider haben wir in den Gesechtstagen wieder viel teure Verluste gehabt, und die Kompagnie ist wieder beträchtlich zusammengeschmolzen. Die Russen versuchten dreimal, einen Durchbruch zu machen und wurden immer trotz der Übermacht zurückgeworfen, bis sie mit allem nach Warschau flohen. Nun sind sie durch die Marschleistungen unserer anderer Korps umzingelt (der ganzen 9. Armee, wozu wir jetzt und auch ein österreichisches Korps gehören) und werden wohl bald einen letzten entscheidenden Versuch machen. Doch die Hauptsache, die neunte Armee führt, wie früher die achte, — Generaloberst von Hindenburg!
In Eilmärschen durch Polen bis Lodz und Lowicz.
Die polnischen Dörfer und Straßen sehen eigenartig aus. Überall die Kruzifixe und Marienbilder. Einmal kamen wir an einer alten Ruine vorbei, gotischer Stil. Was es war, konnte
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ich nicht feststellen; es geht zu schnell weiter. Könnte ich hier doch etwas zeichnen und photographieren.
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Heute nach 30 Kilometer Marsch in der Nähe oon Kreuzburg gelandet. Ter Weg war ja etwas beschwerlich, führte uns aber durch schöne Gegend. Auf dem Marsch geht es sehr still her, gesungen wird gar nicht. Die Regimentsmusik ist ganz oorn; da hört man denn auch nichts daoon. In der Mitte des Weges haben wir in einem Ort Feldgottesdienst gehabt. Der Feldprediger sprach sehr schön. Vielen alten Leuten wurden die Augen naß.
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Wir liegen seit zwei Tagen auf einem Gute in der Nähe von Strzalkowo. Man lebt hier sehr gut. Als wir hier vor-gestern abend ankamen, setzte die Feldküche sofort Dampf aus, um das versäumte Mittagessen nachzuholen. Es sah großartig aus, als es im Kessel brodelte und zischte und der Feuerschein steh im Ententeichlein mitten im Gute widerspiegelte. Der Wind sauste durch die hohen Bäume und führte mit seinem Heulen auch das Todesquieken eines Schweines mit, das für die Soldaten das Leben lassen mußte. — Sauber gegessen wird nun einmal, wenn man es haben kann. Sogar Speck und Schmalz haben wir empfangen. Gestern nachmittag ging ich mit einem Kameraden auf die Suche nach etwas Besonderem. Da kamen wir dann an ein polnisches Bauernhaus. Als der Pole uns kommen sah, verriegelte er die Tür. Wir gingen weiter. Er mochte aus Neugierde die Tür auf, wir rein. Zu essen hatte er natürlich nichts. Erst als wir ihm Papiergeld unter die Nase rieben, kam er mit Eiern (30 Stück) und einem Pfund Honig Zum Vorschein. Schließlich kam seine Ehehälfte sogar mit zwei Tellern Suppe an, Marke: „Iß du sie." Daß uns die Sachen gut geschmeckt haben, brauche ich wohl nicht zu sagen. Mit Kommißbrot will man uns hier umbringen, jeden Tag ein halbes oder ein ganzes Brot. Als Soldat kann man aber nicht zuviel essen.
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Heute scheint wieder Ruhetag zu sein; denn ich sitze hier ganz gemütlich in der Scheune und habe in den Zeitungen herumstudiert. Jetzt werde ich mal versuchen, meinen zweiten Eefechtstag zu schildern. Also:
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Morgens früh hinaus in den Schützengraben: Fertigmachen, in Gruppenkolonne nach rechts sammeln! Zunächst sammelt man einmal die eigenen Knochen und dann los. Ein Zug schwärmt aus, die anderen folgen in Zugkolonne. Die Luft ist aber sehr rein und das Gelände aufgeklärt; es kann also in Gruppenkolonne marschiert werden. Da ging's denn Über Wiesen, die von tiefen Gräben durchschnitten waren und von den Russen zu Schützengräben ausgebeutet waren. 3™ Anlegen von Schützengräben ist der Russe überhaupt Meister. Es scheint, als ob eine zweite Linie von Russen stets gräbt; die erste Linie zieht sich dann gleich in befestigte Stellung zurück, wenn sie aus der ersten vertrieben ist. Wir sahen enorme Erdlöcher mit Stroh, Schützengräben mit Unterständen, die doch immerhin eine Zeitlang Arbeit kosten. Aus einigen Gräben schienen die Russen ziemlich kopflos fortgelaufen zu [ein; denn dort lagen noch Patronen, Mäntel, Koppel, Kochtöpfe usw. Das war wohl die Wirkung unserer Artillerie. Da waren auch die tiefen Locher unserer Granaten; da kann Vater seine Obstbäume mühelos einpflanzen. Dicht an dicht befinden sie sich, immer in und bei den Schützengräben. Die Luft mutz den Russen recht heitz gewesen sein. Hier gleich hinter den ersten Bäumen mutzten Geschütze gestanden haben, tadellos eingegraben, und rechts daneben, etwas vorgeschoben, die Be-obachümgsposten. Na, die Bäume rundherum waren aber von unseren Granaten abgesäbelt. Von diesem Wald kamen wir an den Sammelplatz des Bataillons. Hier wartete auch schon eine neue Schar Kriegsfreiwilliger zur Verstärkung. Wir hätten indes lieber die Feldküche gesehen; denn unser „Kohldampf" war nicht schlecht, da auch das Brot äußerst knapp war. — Bald kam nun das Kommando: „Das Gewehr Über, ohne Tritt marsch!“ Schweigend wie immer geht's dann in flottem Schritt vorwärts. Sturzäcker und Gräben dürfen die Schnelligkeit nicht aufhalten. Oft müssen daher die Letzten Laufschritt machen. Das Fluchen ist dann nicht schlecht, überhaupt von den älteren Reservisten. Jetzt geht's an einem Mohrrübenfeld vorüber, Taschen voll, das ist wohl klar; aber Achtung! Nicht zu viel! Bald geht's nun in ein Birkenwäldchen, vor uns unsere Artillerie. Ssss... knack! Ein Schrapnell, der Grutz der Russen. Wir den Befehl: „Hinlegen!" Unsere Artillerie antwortet. Schnelle Befehle der Artillerieoffiziere, dann bumm, bumm, bumm — die erste Salve der Deutschen. Wir indessen: „Auf, ohne Tritt marsch!" Raus aus dem Wald in ein Gehöft. Die
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Scheune dort abgebrannt, die Häuser durchwühlt von den Nüssen. Da stehen Betten, Stühle, Truhen auf dem Hof, im Stall die Artilleriepferde, der Ziehbrunnen eifrig in Tätigkeit. Wir im Hof hinlegen. Einige machen Abstecher auf der Suche nach Brot. Nichts zu machen, nur ein paar Mohrrüben. — Neben der abgebrannten Scheune treten drei Nüssen in ihren erdgrauen Mänteln handanlegend an einen Artillerieoffizier heran. Ah, die Kerle verraten wohl die Stellung der Russen. Nichtig, im Galopp reitet der Offizier zurück, und dann kommt mit vielem Lärm die Artillerie an. Abgeprotzt! Schnelle Be-fehle. Vumm, bumm, bumm. Wie das knautst! Der Nüsse antwortet nur noch schwach; jetzt geht's gar nicht mehr. Wir also auf, ohne Tritt marsch! In der Nähe heftiges Gewehr-feuer: Knack, knack, knack, fast zu einem langen Ton ver° schwebend. Ssss. .., eine verirrte Kugel über unseren Köpfen. Der Russe scheint aber recht weit gegangen zu sein; denn ruhig marschieren wir jetzt auf der Chaussee. Hier scheint ein ©efecfjt gewesen zu sein. Patronentaschen, Töpfe, viele russische Patronen liegen da umher. Dort an dem Gitter von einem Gehöft Spuren von Streifschüssen. Unsere Sanitäter gehen an den Seiten, nach Verwundeten ausspähend. Hinter einem Hause begraben sie einen Kameraden. Ein Erdhügel, ein Holzkreuz, ein Helm — Soldatengrab. — „Kompagnie halt!" Die Artillerie mutz vorüber. Im Chausseegraben wegtreten. Neben uns blockt ein Kalb, durch einen Schutz verwundet. Blut tröpfelt an der Bauchseite; das Tier kann kaum stehen. Ein Artillerist zieht einen grotzen Revolver. Abgedrückt, ins Gehirn, ein letzter Sprung, tot. Unsere Kompagnie marschiert weiter. Jetzt geht’s über die Thaussee, an einem brennenden Hause vorüber. Die Bewohner davor. Die Schweine laufen grunzend umher; ein Mädchen hält die Kühe zusammen; die Frau weinend auf einem Haufen Bretter, neben sich ein Kind in der Wiege. Der Vater und der Sohn suchen noch etwas zu retten. — Wir weiter, an einem Wald vorbei. Dort drei erbeutete russische Geschütze. Vorn am Wege ein totes Pferd, steif, Blut und Schaum am Maul. — Weiter. Die Gräben gefüllt mit Ausrüstungsstücken, viel russische Patronen, unsere fast nie. Es dunkelt schon. Fern noch Gebrumm der Artillerie. Brennende Häuser beleuchten den Horizont. — Kompagnie halt, Gewehr ab, Gepäck ablegen, Kochgeschirre ab. Hurra, die Feldküche! Der Magen leer genug, die Beine müde. Die Feldküche natürlich die Verstärkung vergessen, also jeder nur einen
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halben Löffel voll Essen. Schnell Essen reingestopst — marsch! Im Dunkeln weitergetappst. Holprige Wege, man flucht, man stützt sich und stolpert, und dann die alte knarre. — Tempo, immer dasselbe. Jetzt an einem brennenden Hause vorüber: Compagnie halt. Die Offiziere reiten vorbei. Schattenbilder des Bataillons kommen an, einer befiehlt, die Mannschaften müde und ungeduldig auf Quartier wartend. Die 12. natürlich den weitesten Weg. Endlich das ersehnte: „Kompagnie halt!" Eingepfercht in einer Scheune. Ich zwischen zwei Balken und etwas Stroh; aber wo schläft man nicht, wenn man müde ist. Ganz traumlos.
Das war der zweite Eefechtstag, einer der weniger schlimmen. Heute nacht muhte ich übrigens Patrouille gehen. Sternen- und mondklar. Schönes Wetter, nicht allzu kalt, zu hell für Patrouillegehen. Es find aber immer zwischen den eigenen Stellungen Patrouillen und Posten in der Nacht eingeteilt. Es schliefen schon alle; da hietz es plötzlich: Antreten! Der Russe soll mit etwas Erfolg versucht haben, durchzudringen. Zwei Mann und ich Patrouille Nr. 1, diejenige in den eigenen Stellungen, zweistündliche Ablösung. Schlimm war's nicht. Erst ein kleiner Weg, dann über Sturzäcker, an verlassenen Schützenlöchern vorbei zu einem Gehöft und zweimal zurück. Verirrte Kugeln sausen ja immer vorbei, das ist schon zur Gewohnheit geworden; darum kümmert man sich gar nicht. Von der zweiten Patrouille ist einer verwundet worden; also ich habe bis jetzt Glück. Gegen Morgen mutzte die 1. Patrouille nochmals los, und dann habe ich noch Kaffee geholt von der Feldküche, auf einem Gehöft im Hintergrund, wo es nicht so gefährlich ist; aber auch da nur bei Dunkelheit, sonst ist sie auch da nicht zu finden, sie kam dann heute noch eine halbe Stunde zu spät. Der heitze Kaffee schmeckte, überhaupt mit etwas kondensierter Milch, tadellos.
Heute etwas über den 3. Gefechtstag. Im Morgengrauen antreten. Da gibt's kein nochmal Umdrehen, sofort heraus. Schnell wird der Morgenkaffee runtergestürzt, bann geht's los. Lautlos den echt russischen Weg entlang. Die Neihen hintereinander, ich den besten Platz aussuchend. Jetzt wird durch den Morgennebel ein Städtchen sichtbar. Die Kirchturmspitze erfreut sich schon an der goldigen Morgensonne. Noch einige Kilometer; bann betreten wir die erste Stratze. Zunächst ist es
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noch Erde, dann über Pflaster; solch Pflaster gibt es überhaupt nicht, holprig, unterbrochen von tiefen Löchern. Einige Bauern stellen Wassereimer raus; da werden dann im Vorübergehen die Feldflaschen gefüllt. Im Innern der Stadt sind die Häuser meist verlassen; andere schwelen noch, angesteckt durch unsere Granaten, viele sind zusammengeschossen, ein trauriger Anblick. In einer Straße wird halt gemacht; die Husaren tränken in einem Hofe ihre Pferde. Drüben auf einem kleinen Markt steht die Artillerie, im Hintergründe eroberte russische Geschütze. Oben das Nattern eines Fliegers; jetzt wirft er zweimal Leuchtkugeln ab, aha, eine Meldung kommt. Ein Fähnchen schwebt in kleinen Kreisen herunter. In der Ferne grunzt schon Artillerie; jetzt saust wieder Artillerie vorüber, Meldereiter galoppieren heran. Unsere Offiziere beraten mit dem Bataillonskommandeur, eine richtige Germanengestalt mit rotem Spitzbart. Befehl: „Das Gewehr über! Rechts schwenkt, marsch!" durch einen Garten. Das Gewehr scheuert sich an den Obstbäumen; ftohl und Rüben werden zertreten. Da — ein Hindernis — ein Graben. Hopp, die ersten sind rüber — plumps, einer liegt drin. Ein Offizier befiehlt: „Die Bagage mutz folgen, einerlei wie!" Sie mutz. Die Artillerie ist auch hinübergekommen. Wir sind endlich alle rüber; drüben: „Halt! Gewehr ab! Hinlegen!" Die ersten hauen einen Zaun nieder, wir dann hindurch. Links eine Fabrik! Ssss. . ., knack, der Morgengrutz der Russen; es hört sich an wie Feuerwerk. Das Schrapnell platzt zu hoch. Ganz oben das weitze Rauchwölkchen. Neben uns versteckt, antwortet auch unsere Artillerie. — Summ — brumm —, eine schwere Granate dicht vor uns. Der Russe hat uns aufs Rom genommen. Alles volle Deckung im Hof — da, schon wieder eine schwere; hinter uns im Garten die schwarze Rauchwolke und die aufspritzende Erde. Na, bald wird's doch zu bunt. Wir ausgeschwärmt vor. „Hinlegen!" Vor uns das Artilleriefeuer, Donnerwetter! Das war unangenehm. Rund um uns platzten die Dinger.
Es wird immer schlimmer. „Nach rechts hinter den Häusern sammeln!" Dann wieder in dünnen Schützenlinien vor. Plötzlich erhalten wir wütendes Gewehrfeuer. Alles legi sich ahne Befehl hin und wartet ab. „Eingraben!" Da lag man denn im Augenblick in einem Loch. Über den Köpfen das Summen der Artilleriegeschosse; dicht über der Erde und auch ganz in der Nähe einschlagend das russische Infanteriefeuer. Da steckt man sich dann erst mal ein Pfeifchen an und schaut
V. Im Osten.
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sich die Lage an. Zur Verstärkung eilen neue Schützenlinien im „Marschmarsch" herbei; von denen fallen einige. Links Befehl: „Schützenfeuer auf das russische Maschinengewehr auf der Anhöhe!" Wir anderen erhalten jetzt auch Feuerbefehl: „Wald-rand aufsitzen lassen!" Das Infanteriefeuer ist aber ziemlich zwecklos; die Hauptsache ist die Artillerie. Die hatte indessen die russische zum Schweigen gebracht. Das russische Gewehrfeuer hört jetzt auch auf. Die Herren ziehen sich mal wieder, wie üblich, gegen Abend zurück. Rundherum brennen Häuser; auch die Fabrik brennt lichterloh. Wir zurück nach hinten, müssen deshalb durch einen häßlichen Sumpf. Links ein Drahtzaun. Die Ziehbrunnen wurden in Bewegung gesetzt, die trockenen kehlen befeuchtet. Von einem Angstgefühl habe ich nichts gemerkt; kommt eine Granate an, so ducken sich alle, wenn's in der Nähe ist, obgleich es nichts nützt. Der Mond erscheint nun am Himmel, doch sein Licht wird verdrängt durch die Kriegs-Häuserfackeln. Noch pfeffert unsere Artillerie auf die abziehenden Russen. Über dem Walde der zuckende Feuerschein und dann der dumpfe Ton des Einschlagens der Granaten. Wir stehen vor einer Brücke in Gruppenkolonnen und warten auf Befehl. Es ist schon alles bereit zum Weitermarsch; ich bin bei der Vorhut mit aufgepflanztem Seitengewehr. Das blitzt mordsüchtig im Mondschein und im Feuer der Brände. Vor der Brücke ein Strohhäufchen; ich lege mich drauf. Oben am Geländer sprechen Offiziere. Sie sprechen von 18 000 Gefangenen und 50 erbeuteten Maschinengewehren. Jetzt bringen einige einen Russen an; aus einem Loch haben sie ihn geholt. „Will sich Huhn kochen und dann Frau suchen, hat er mitgebracht und verloren." Er soll die Patronen wegwerfen. „O gern!", und sie fliegen ins Wasser. Das Gewehr wird zerbrochen. Ein Meldereiter — bald marschieren wir ab. Vorsicht! Aufs Seitengewehr aufpassen. Verflucht, die russischen Wege. Hurra, die Häuser, unser Quartier. Erst Essen runterwürgen, dann ins Stroh, höchste Alarmbereitschaft, Tornister unterm Kopf, umgeschnallt, Gewehr im Arm.
So, jetzt wollen wir erst mal unsere Pellkartoffeln machen und im Kochgeschirr von Onkel Fritzens Bouillonwürfeln Suppe kochen.
*
Auf der Straße wartet unser Regiment, die Fahnen immer verhüllt; ich habe sie noch nie wehend gesehen, auch im Gefecht
314 V. Im Osten.
nicht. Nun marschieren wir weiter. In der Ferne taucht eine Stadt auf. Hoffentlich kommen wir durch und können etwas kaufen. Und wir kamen hinein. Wieder erst der schmierige Weg mit Bauernhäusern, dann das holprige Pflaster, dann über einen Platz und ein wahres Gebirge von Schmutz und Erdhügeln. In einer Straße wird halt gemacht. Es darf gekauft werden, aber niemand darf von seinem Platze weg. Also müssen die Bewohner herbeischaffen. Ich ergattere ein Pfund Zucker und Streichhölzer, dann ist mein Kleingeld zu Ende. Viele wurden von den Juden um ihr Geld betrogen. Mein Kamerad legt sein Geld in Kuchen an, andere fressen ihn auf. Eine Frau mit schwarzem Haar und brauner Perücke eilt geschäftig umher. Durch unsere Straße soll Artillerie, also alles zur Seite treten. Mit furchtbarern Geknatter galoppiert die Artillerie durch. Das dröhnt und klappert; einige Fensterscheiben springen. Bald marschieren wir weiter über den Marktplatz. Dort ist viel Leben. Aller Art Truppen laufen dort vorüber. Die Bewohner schauen aus den Fenstern. Die Häuser sehen teilweise ganz gut aus. Einige Bewohner waren gut gekleidet, andere wieder halb nackend. Ein Jude bringt Wasser für die Feldküche und will Geld dafür. Diese Juden. Jetzt sind wir am Ausgang der Stadt, noch einige Landhäuser, dann freies Feld. Neben dem Wege im Graben ein toter Russe, wachsbleich. Da steht sogar eine ganze russische Kompagnie Gefangener; die meisten dumm und stumpfsinnig, die wahren Mongolengesichter, auch einige hohe Gestalten dabei mit gewaltigen Bärten; viele lachen; am Ende des Trupps die Verwundeten mit blutenden Füßen und Köpfen — lautes Stöhnen. Wir marschieren immer weiter, Kilometer nach Kilometer. Nun durch Tannenwald. Dort einen Augenblick Rast. Schnell etwas Zuckerbrot heruntergeschlungen. Schon geht's weiter. Der Kommandeur des Bataillons sagt: „Donnerwetter, Kerls, die Russen haben wir aber ein schönes Stückchen zum Laufen gebracht.“ Schließlich kommen wir in ein Dorf und schwärmen aus. Die Granaten wandern bereits hinüber und herüber. Einige Musketiere holen sich aus einem Backofen frische Brote. Der Bataillonskommandeur flucht. Wir schwärmen in einen Graben aus und warten ab. Dann müssen wir wieder zurück, legen uns hinter einem Haus nieder. Granaten um uns. Hinter uns Artillerie. Furchtbares Getöse. Wir gehen in einer langen Reihe in einem Ehausseegraben entlang, kommen auf ein hügeliges Gelände, legen uns hinter einer kleinen Schonung
V. Im Osten. 315
nieder. Es liegen dort schon mehrere Abteilungen. Zugweise geht's dann vor. Alle Augenblicke wieder hinlegen, kugeln summen um uns herum, manche schlagen zischend ein. Es dunkelt schon. Vor uns gehen die Unseren schon mit „gurret!“ vor. Wütendes Gewehr- und Maschinengewehrfeuer. Dann wird es stiller, nur noch vereinzelte Schüsse. Der Russe ist gewichen. Wir tappen durchs Dunkel, kommen an ein Gehöft und warten. Es ist schon 10 Uhr. Der Magen windet sich. Endlich weiter. Feldküchen fahren dampfend vorbei. Am Ende eines Dorfes warten wir eine — zwei Stunden. Wo steckt die Küche der 12. ? Wir wandern wieder zurück, warten wieder; manche schlafen im Stehen ein, ich auch. Endlich gibt's Essen. Schnell hinunterwürgen. Dann im Stocksinstern weiter. (Endlich im Quartier. Hineingepackt, kaum eingerichtet schlafen alle r>or Müdigkeit ein.
Reservistenlied 1914.*)
Nun geht's voran in Reih' und Glied.
Wir singen uns ein Wanderlied.
Im Takte fest, im Herzen fest,
Heraus aus eurem warmen Nest,
Einer wie der and're.
Der gleiche Rock, das gleiche Recht,
Und Rottennachbarn Herr und Knecht,
Derselbe Lohn, dasselbe Brot,
Dasselbe Bett in Schlaf und Not,
Einer wie der and're.
Die Ernte steht auf hohem Halm,
Wir knien bald im Pulverqualm.
Reserve jung, frisch aus zum Sprung,
Hurra, marsch marsch, zur Wanderung!
Einer wie der and're.
Es klingt die Sense durch das Korn,
Wo mäht sie, hinten oder vorn?
Kehr' dich nicht dran, Reservemann,
Wie's Gott gefällt, so kommt man dran,
Einer wie der and're.
*) Komp. vom Dichter.
316 V. Im Osten.
So geht's voran in Neih' und Glied,
So singen wir das Wanderlied.
Nun tut das Best' und packt sie fest,
Wer weiß, bald kehr'n mir heim zum Nest,
Einer wie der and're.
Otto Crusius.
Siegesfreude.
Ich bin heute überglücklich, denn eben lese ich Eure lieben Briefe, worin Ihr mir mitteilt, den Tagesbefehl unseres lieben Generals von Mackensen gelesen zu haben. Ich selbst habe ihn und drei andere Armeebefehle für die 8. Armee vom Kaiser und von Hindenburg bei mir, worin sie uns im Namen des ganzen Vaterlandes Dank sagen. Gewiß ist das schön und ergreifend, aber eins gibt es noch — eins, das viel gewaltiger, viel größer ist und im Innern ein unnennbares Gefühl erweckt, und dies eine ist: Sieg. Wenn nach heißen Stunden und Tagen auf einmal: „Das Ganze halt!“ kommt, und der völlige Sieg über den verhaßten Gegner verkündet wird, dann erst fühlt man Gottes Nähe ganz, und der Blick, den man zum Himmel sendet, ist mehr, viel mehr als ein Gebet. —
Viele teure Kameraden sind uns schon entrissen, und am 11. 9. bei. . . unser lieber Leutnant von K. Er kam von einem Patrouillenritl. Ich seh' ihn noch, wie er in rasender Karriere zur 11. Artillerie ritt und genaue Auskunft über die Stellung der feindlichen Artillerie gab. Als er dann zur Kompagnie zurückritt, traf ihn der Splitter einer Granate, die dicht neben ihm platzte. 1% Stunden lebte er noch, er fragte, nachdem er Besinnung erhalten hatte, ob er verwundet sei, und wo sein Pferd, ein kleiner Kosakenhengst, wäre. Daß auch dieses tödlich verwundet war, behielten wir für uns. Jetzt ruht er draußen auf dem kleinen Kirchhof in .... Ein Kranz Feldblumen, Helm und Degen liegen auf dem Grabe, und daneben spricht stumm das kleine schwarze eiserne Kreuz, vor dem sich jeder beugt, von einem ganzen Mann.
Vorläufig leben wir hier Tage herrlicher Nuhe. Und während Du, liebe Mutter, Dich unnötig um mich bangst, sitze ich im warmen Zimmer neben Feldwebel .... und lese Goethes „Faust" oder, wenn's zuviel wird, Wildenbruchs „Semiramis". Immer ein bis zwei Tage Nuhe und dann ein Marsch ins neue Quartier.
VI. Am Jahresende.
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VI. Am Jahresende.
Aus der zweiten Kriegssitzung des Reichstags am 2. Dezember 1914.
Reichskanzler von B e t h m a n n H v l l w e g :
Meine Herren! Seine Majestät der Kaiser hat mir aufgetragen, der deutschen Volksvertretung, mit der er sich in Sturm und Gefahr und der gemeinsamen Arbeit um das Wohl des Vaterlandes bis zum Tode eins weiß, seine besten Wünsche und herzlichsten Grüße zu überbringen und zugleich von dieser Stelle aus in seinem Namen der ganzen Nation Dank zu sagen für die beispiellose Aufopferung und Hingabe, für die gewaltige Arbeit, die draußen und daheim in allen Schichten des Volkes ohne Unterschied geleistet worden ist und weiter geleistet wird. (Lebhafter Beifall.) Auch unser erster Gedanke gilt dem Kaiser, der Armee und Marine, unseren Soldaten, die im Felde und auf hoher See für die Ehre und Größe des Reiches kämpfen. Voller Stolz und mit felsenfestem Vertrauen blicken wir auf sie, blicken wir zugleich auf unsere österreichisch-ungarischen Waffenbrüder, die treu mit uns vereint in glänzend bewährter Tapferkeit den großen Kampf kämpfen. Noch jüngst hat sich uns in dem uns aufgezwungenen Kampfe ein Bundesgenosse zu-gesellt, der genau weiß, daß mit der Vernichtung des Deutschen Reiches es auch mit seiner staatlichen Selbstbestimmung zu Ende tväre, das Osmanische Reich. Wenn unsere Gegner auch eine gewaltige Koalition gegen uns aufgeboten haben, fo werden sie hoffentlich die Erfahrung machen, daß auch der Arm unserer mutigen Verbündeten bis an die schwachen Stellen ihrer Weltstellung reicht.
Am 4. August hat der Reichstag den unbeugsamen Willen des gesamten Volkes bekannt, den ihm aufgezwungenen Kampf aufzunehmen und seine Unabhängigkeit bis zum äußersten zu verteidigen. Seither ist Großes geschehen. Die unvergleichliche Tapferkeit unserer Truppen hat den Krieg in Feindesland ge-
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VI. Am Jahresende.
tragen. Dort stehen wir fest und stark da und können mit aller Zuversicht der Zukunft entgegensehen. Aber die Widerstandskraft der Feinde ist nicht gebrochen, wir sind nicht am Ende der Opfer. Die Nation wird diese Opfer weiter tragen mit demselben Heroismus, mit dem sie es bisher getan hat, denn wir müssen und wollen den Verteidigungskrieg, den wir, von allen bedrängt, für Necht und Freiheit führen, bis zum guten Ende durchkämpfen. Dann wollen wir auch der Unbill gedenken, mit der man sich an unseren in Feindesland lebenden wehrlosen Landsleuten, zum Teil in einer jeder Zivilisation hohnsprechenden Weise, vergriffen hat. Die Welt mutz es erfahren, baß niemand einem Deutschen ungesühnt ein Haar krümme* kann. (Stürmischer Beifall.)
Meine Herren! Wenige Augenblicke, nachdem jene Sitzung vom 4. August zu Ende gegangen war, erschien der groß-britannische Botschafter, um uns ein Ultimatum Englands unb nach sofortiger Ablehnung die Kriegserklärung zu überbringen. Da ich mich damals zu dieser endgültigen Stellungnahme der britischen Regierung noch nicht äußern konnte, will ich jetzt einige Aufklärungen dazu machen: Die äußere Verantwortung an diesem größten aller Kriege tragen diejenigen Männer in Rußland, die die allgemeine Mobilisierung der russischen Armee betrieben und burchgefetzt haben; bie innere Verantwortung aber trägt bie britische Regierung. Das Lonboner Kabinett konnte den Krieg unmöglich machen, wenn es in Petersburg unzweideutig erklärte, England sei nicht gewillt, aus dem österreichisch-serbischen Konflikte einen kontinentalen Krieg der Mächte herauswachsen zu lassen.
Eine solche Stellungnahme hätte auch Frankreich gezwungen, Rußland von allen kriegerischen Maßnahmen zurückzuhalten. Dann aber gelangen unsere Vermittlungsaktionen zwischen Wien und Petersburg, und es gäbe keinen Krieg. England hat dies nicht getan. Trotz aller Beteuerung gab London in Petersburg zu verstehen, England stehe auf seiten Frankreichs und damit auf der von Rußland. Dies zeigen klar und unwiderstehlich die inzwischen erfolgten Publikationen der verschiedenen Kabinette. England trägt mit Rußland zusammen vor Gott und der Menschheit die Verantwortung für die Katastrophe, die über Europa unb bie Menschheit hereingebrochen ist.
VI. Am Jahresende.
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Die belgische Neutralität,
die England zu schützen vorgab, roar eine Maske. Am 2. August, abends um 7 Uhr, teilten mir in Brüssel mit, daß wir durch die uns bekannten Rriegsrüftungen Frankreichs um unserer Selbsterha'tung willen gezwungen seien, durch Belgien zu marschieren. Aber schon am Nachmittage desselben Tages, am 2. August, also bevor in London das Geringste von diesem Vorhaben bekannt war und bekannt sein konnte, hatte die eng» lische Regierung Frankreich Unterstützung zugesagt, und zwar bedingungslos für den Fall eines Angriffs der deutschen Flotte auf die französische Rüste, von der belgischen Neutralität war dabei mit feinem Wort die Rede. Nicht der belgischen Neutralität wegen, die es selbst mit untergraben bat, hat tirts England den Rrieg erklärt, sondern weil es glaubte, zusammen mit zwei großen Militärmächten des Festlandes unser Herr werden zu können, Jetzt, wo der bis in alle Einzelheiten ausgearbeitete englisch-belgische Rriegsplctn enthüllt ist, ist die Politik der englischen Staatsmänner für alle Zeiten vor der Weltgeschichte gekennzeichnet. Die englische Diplomatie hat ja auch ein übriges dazu getan. Auf ihren Ruf entriß uns Japan
das heldenmütige 5U a u t f ch o u
und verletzte dabei die chinesische Neutralität. In der Weise, wie England gegen diese Neutralität eingeschritten ist, hat es seine peinliche Fürsorge für die neutralen Staaten gezeigt!
Meine Herren! Als ich vor fünf Jahren auf diesen Platz gerufen wurde, da stand dem Dreibund festgefügt die Triple-entente gegenüber. Der seit Jahrhunderten gezeigte Grundsatz englischer Politik, sich gegen die stärkste Macht auf dem Kontinent zu wenden, sollte in der Tripelentente sein stärkstes Werkzeug finden. Darin lag von vornherein
der aggressive Charakter der Triple-e n t e n t e.
gegenüber den rein defensiven Tendenzen des Dreibundes, darin lag der Reim zu gewaltiger Erplosion. Angesichts dieser Kombination war der deutschen Politik der Weg vorgezeichnet; sie mußte versuchen, durch Verständigung mit den einzelnen Mächten der Tripleentente die Kriegsgefahr zu bannen. Sie mußte gleichzeitig unsere Wehrkraft fo stärken, daß sie einem Krieg, wenn er doch kam, gewachsen war. Sie wissen, meine Herren, wir haben beides getan. (Lebhafter Beifall.) In
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VI. Am Jahresende.
Frankreich begegneten wir immer wieder dem Revanche-gedanken. Mit Rußland kam es zwar zu einzelnen Vereinbarungen, aber seine feste Allianz mit Frankreich, sein Gegensatz zu dem uns verbündeten Österreich-Ungarn und ein von pan-slawistischen Machtgelüsten gezüchteter Deutschenhatz machten Vereinbarungen unmöglich, die im Falle von politischen Krisen die Höchstgefahr ausgeschlossen hätten. Verhältnismäßig am freiesten stand England da. Die insularische englische Deckungsart hat aber im Laufe dev-Jahrhunderte einen politischen Grundsatz mit der straft eines selbstverständlichen Dogmas ausgestaltet, den Grundsatz nämlich, baß England eine Schiedsrichtergewalt über die Welt führe, die es nur aufrecht erhalten könne durch die unbestrittene Seeherrschaft einerseits und durch das Gleichgewicht der Kräfte auf dem Kontinent andererseits. Ich habe niemals versucht, diesen alten englischen Grundsatz durch Zureden zu brechen. Was ich für möglich hielt, war, daß die wachsende Macht Deutschlands und das wachsende Risiko eines Krieges England zur Einsicht nötigen könnten, dah dieser alte Grundsatz unhaltbar und unpraktisch geworden und ein friedlicher Ausgleich mit Deutschland vorzuziehen sei. Jenes Dogma aber lähmte immer wieder die Möglichkeit der Verständigung.
Einen neuen Anstoß erhielten die Verhandlungen durch
die Krisis von 1911.
Auch England war zwar bereit, sich über einzelne Fragen mit uns zu verständigen. Oberster und erster Grundsatz seiner Politik aber blieb: Deutschland muß in der freien Entfaltung seiner Kräfte im Schach gehalten werden durch die balance of power. Dies ist die Grenzlinie für die freundschaftlichen Beziehungen für Deutschland. Zu dem Zwecke Stärkung der Tripleentente bis zum äußersten!
Wir haben es an Warnungen bei der englischen Regierung nicht fehlen lassen. Noch zu Anfang Juli dieses Jahres habe ich der englischen Regierung andeuten lassen, daß mir ihre geheimen Verhandlungen mit Rußland über
eine Marinekonvention
bekannt seien. Vierzehn Tage später trat bann ein, was ich vorausgesagt hatte. Wir haben aus dieser Lage der Dinge die Konsequenzen gezogen. Schnell hintereinander habe ich Ihnen die größten Rüstungsvorlagen gebracht, bie die deutsche beschichte kennt, und Sie haben in voller Kenntnis der Gefahr
VI. Am Jahresende. 321
einmütig opferbereit bewilligt, was für unsere Selbstverteidigung notwendig war. (Beifall.)
Wo nun der Krieg ausgebrochen ist, läßt England den Schein fallen. Frei und offen verkündet es,
England will kämpfen, bis Deutschland niedergezwungen ist, wirtschaftlich und militärisch. Der panslawistische Deutschenhaß nimmt zu. Frankreich hofft, mit d& ganzen Kraft einer Sol-daten-Nation die Scharte von 1870 auszuwetzen. Darauf haben wir an unsere Feinde nur die eine Antwort:
Deutschland läßt sich nicht vernichten! Wie unsere militärische, so hat sich auch die finanzielle Kraft Deutschlands glänzend bewährt. Das wirtschaftliche Leben wird aufrecht erhalten. Die Zahl der Arbeitslosen ist verhältnismäßig gering. Die organisatorische Kraft und die organisatorische Kunst Deutschlands weiß in immer neuen Formen dem Übel vorzubeugen, Schäden abzustellen und alles zu einem einzigen und großen Zweck, für die Hoffnung der Kinder und Enkel alles hinzugeben an Gut und Blut. Dieser wunderbare Geist, der die Herzen des deutschen Volkes durchglüht in nie gesehener Einigkeit, in der unbedingtesten Hingabe des einen an den anderen, der mutz und der wird siegreich bleiben! (Brausender Beifall.) Und wenn ein ruhmvoller, wenn ein glücklicher Frieden erkämpft sein wird, dann wollen wir diesen Geist hochhalten als das heiligste Vermächtnis dieser furchtbarsten ernsten und großen Zeit. Wie vor einer Zaubergewalt sind die Schranken gefallen, die öde und dumpf eine Zeitlang die Glieder des Volkes trennten, die mir gegeneinander aufgerichtet hatten in Mißverstand, Mißtrauen und Mißgunst. Ich wiederhole noch einmal das Wort, das der Kaiser sprach, als der Krieg ausbrach:
„Ich kenne keine Parteien mehr, ich kenne nur noch Deutsche! !"
Wenn der Krieg beendet sein wird, werden die Parteien wiederkehren. Ohne Partei, ohne politische Kämpfe, kein politisches Leben, auch für das freieste und einigste Volk. Aber kämpfen wollen wir dafür, ich für meinen Teil verspreche es Ihnen, daß es nach diesem Kampfe nur mehr Deutsche geben darf.
Meine Herren! In Treue und mit heißem Dank gedenken wir der Söhne Deutschlands, die für die Ehre des
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VI. Am Jahresende.
Vaterlandes ihr Leben gelassen haben. Für ihren jetzt verstummten Heldenmut einigen wir uns in dem Gelöbnis, auszuharren bis zum letzten Hauch, damit Kinder und Enkel in einem stärkeren Deutschland frei und gesichert gegen fremde Drohungen und Gewalt an der Größe des Reiches weilerbauen können. Wir halten durch, bis wir die Sicherheit haben, daß keiner mehr wagen wird, unseren Frieden zu stören, einen Frieden, in dem wir deutsches Wesen und deutsche Kraft entwickeln wollen als freies Volk. (Lebhafter, stürmischer Beifall und Händeklatschen.)
Altnrederländisches Dantgebet.
Wir treten zum Beten vor Gott, den Gerechten, ,
Er waltet und haltet ein strenges Gericht;
Er läßt von den Schlechten die Guten nicht knechten,
Sein Narn' sei gelobt, er vergißt unser nicht.
Im Streite zur Seite ist Gott uns gestanden,
Er wollte, es sollte das Recht siegreich sein;
Da ward, kaum begonnen, die Schlacht schon gewonnen, Du, Gott, warst ja mit uns, der Sieg, er war dein.
Wir loben dich oben, du Lenker der Schlachten,
Und flehen, mögst stehen uns fernerhin bei,
Daß deine Gemeinde nicht Opfer der Feinde.
Dein Name sei gelobt, — o Herr, mach uns frei!
Weihnachtsstimmung.
Noch 10 Tage vor Weihnachten, aber in unseren Herzen klingen schon lange die Weihnachtsglocken. Und nun erst, wo die Weihnachtsgaben in unsere Hände gelegt sind, so reichlich und schön, daß wir wieder wie Kinder werden und uns freuen. Und wie die Kinder können wir nichts anderes tun, als zu danken mit frohen Augen und lachenden Herzen.
Hier liegen die Gaben vor mir: ich staune wie ein Kind und lange sachte nach dem Kuchen. Kuchen! lang entbehrte süße Götterspeise! Kameraden gucken in meine Erdhöhle: braune Pfeffernüsse?! Meine Löhnung für eine Nuß!
Lieber Hermann, der Krieg ist etwas Furchtbares; wir sehen es an dem, was er verwüstet und vernichtet, wir sehen es an den Ruinen des Dorfes, in dem wir alle zwölf Tage Ruhe haben; wir sehen es an den Gräbern, an den Feldern, auf
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denen die Weizenhocken ungeerntet verderben, — aber er trägt seine Früchte. An uns allen, am meisten an uns, die wir hier im Felde dabei sind. Man sagt, der ftrieg ändere die Menschen. Viele nur für den Augenblick, nach dem ersten Nausch steigen die alten Gedanken wieder an die Oberfläche, aber diese Gedanken werden starrer, sie finden den Menschen für sein Leben. Was diese Tage nicht ändern, das ändert keine Zeit. Mir ist, als wären alle Menschen durchsichtig geworden in diesen Tagen. Größe und Erbärmlichkeit schauen wir, als läge die Seele vor uns wie Glas.
Ein jeder sieht in diesen Tagen auch in sein Herz, was ihm unklar war, wird deutlich, und was dunkel in ihm wühlte, wird offenbar. Und was er nicht wußte, weih er. Er lernt sich kennen. Er lernt auch seine Erbärmlichkeit und seine Größe. Was Friedensjahre ihm nicht geben konnten, gibt ihm eine Stunde der Gefahr: den wunderbaren Gedanken des Geborgenseins in dem, was wir das Göttliche nennen. Es ist um mich ein Friede und eine Nuhe, eine Fröhlichkeit und eine Gewißheit, daß ich diese Tage segne. Ich habe auf einer freiwilligen Patrouille vor dem Feind gelegen, während das Höllenfeuer eines Angriffs um mich heulte, aber ich war so ruhig, als betrachte ich ein gemaltes Bild, und es war doch packende Wirklichkeit; ich bin mit einem Unteroffizier an den französischen Schützengraben herangekrochen und habe über den Damm in feine Tiefe gesehen, um die Stärke feiner Besatzung zu erfahren, aber es war keine Aufregung und Unruhe in mir. Diese Ruhe kannte ich nicht in den Friedenstagen, aber ich werde sie mit heimtragen, wenn ich heimkehren sollte. Und das ist das große Ergebnis für alle: ein jeder weiß, was er fein genannt hat; er sieht jetzt den blühenden Garten, der um ihn war, und fühlt die warme Sonne, die ihn durchwärmte und durchleuchtete; jetzt sieht und fühlt er, was er gehabt hat, wofür aber feine Seele stumpf war. Und die da wußten, welche schönen Wege sie gegangen find, die werden, heimgekehrt, mit gefalteten Händen diese Wege gehen. Es wird eine Last der Undankbarkeit und des Unfriedens von dieser Erde fallen und viele fröhliche Augen werden im Haufe fein, das oft voll Tränen war.
Die Weihnachtsfeier im Großen Hauptquartier.
Die Weihnachtsfeier im Großen Hauptquartier war ebenso einfach und schlicht wie eindrucksvoll. Der ftaifer wollte das
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Fest inmitten feiner Soldaten begehen, bie zum Hauptquartier gehören. Dazu beburfte es eines sehr großen Raumes, ba Gabentische für etwa 960 Personen aufgestellt werben mußten. Die weite Halle war über unb über mit Tannengrün geschmückt, so baß nirgenbs von ber Decke unb Wanb etwas zu sehen war. Ieber Mann, vom Kaiser bis zum schlichten fianb* wehrmann fanb Platz an ben in Längsrichtung aufgestellten Tischen, bie in gleichen Abständen mit Lichtern geschmückte Bäume trugen. Ieber Offizier unb jeber Mann erhielt bie gleichen Pfefferkuchen, Äpfel unb Nüsse sowie ein Vilb bes Kaisers. Die Mannschaften erhielten außerbem einen Tabaksbeutel und Zigarren. An ber Stirnseite des Raumes war ein Altar errichtet unb vor biesem eine große Krippe. An ben Seiten stauben hohe Christtannen. Der alte Weihnachtsgesang: „O bu selige, o bu fröhliche Weihnachtszeit" leitete bie Feier ein. Sobalb ber Kaiser bie Anwefenben mit bem Gruße: „Guten Abenb, Kameraben!“ begrüßte, folgte eine kurze Ansprache bes Pfarrers, bann bas Lieb: „Stille Nacht, heilige Nacht“. Nach bem Generaloberst von Plessen bem Kaiser für bie Bereitung bes Festes gebankt hatte, hielt ber Kaiser folgenbe Ansprache:
„Kameraben! In Wehr unb Waffen stehen wir hier versammelt, um bieses heilige Fest zu feiern, bas mir sonst in Frieben zu Haufe feiern. Unsere Gebanken schweifen zurück zu ben Unsrigen baheim, benen wir biese Gaben banken, bie wir heute so reichlich auf unseren Tischen sehen. Gott ließ zu, baß ber Feinb uns zwang, bieses Fest hier zu feiern; wir finb überfallen unb wir wehren uns. Gott gebe, baß nach biesem Friebensfest für uns unb für unser Laub aus schwerem Kampf ein reicher Sieg entstehe. Wir stehen auf feinblichem Boben, bem Feinbe bie Spitze unseres Schwertes unb bas Herz unserem Gott zugewanbt. Wir sprechen es aus, wie es einst ber Große Kurfürst getan hat: „In Staub mit allen Feinben Deutsch-lanbs!“ Amen.“
Weihnachtsfeier unserer Landstürmer im Westen.
Ich habe eine schöne Weihnacht gehabt! Unb bie bank' ich Dir, meiner lieben, lieben Frau unb meinen Jungs! Meine Kompagnie hatte eine große gemeinsame Feier veranstaltet. Große Tannenbäume spenbeten ihr Kerzenlicht. Auf ber Galerie brannte Kerze neben Kerze rings um ben Saal herum. Die Sänger fangen, bie Musiker spielten, ber Rebner sprach. Die
VI. Am Jahresende. 325
Leute tranken wirkliches Elbschlogbier. Alle Offiziere und auch die Roten-Kreuz-Schwestern waren unter dem Tannenbaum versammelt. Die Veranda der Galerie zeigte in regelmäßigen Abständen große Büschel Tannengrün. Leicht und gefällig griffen Efeuranken von einem Strauß zum andern. Auch der Kandelaber wurde von Tannen und Efeu mit großem Geschmack umwunden. Schön war es — aber weihnachtlich ist noch viel mehr als schön. Um 6 Uhr entfernte ich mich, um Vataillonsbefehle zu holen, denn mein Dienst geht ununterbrochen weiter. 'Dann ging ich auf unsere einsame Korporal-schaftsstube und feierte im kalten Zimmer meine Weihnacht, ich wurde warm dabei. Mein Tisch und mein Vett schließen eine kleine Ecke ab, die mir gehört. Die Wandstelle zeigt einen verschlossenen Kamin, der von einer Holzarbeit umgeben war. Dies Kamingesimse wurde mein Weihnachtstisch. Aus den vier Paketen nahm ich wunderbares Kriegsmaterial heraus. Die Tannenzweige und Buchenzweige stellte ich an die Wand, die Schneebälle hing ich in sie hinein; in die Mitte kam Dein Bild; es ist so, als ob Du zum Fenster hinaussiehst und in die Ferne blickst und hörst. In einem Abstand standen die Bilder der Jungs, und wo der Kamin eine Ecke hatte, das Horstsche Haus, Zweige aus den Nachbargärten. Am Rande des Gesimses standen wohl zehn Lichter. Und die brannten, und ich las Eure Briefe, und es war Weihnachten. Es war nicht mehr kalt, ich war bei Euch. Ein Kuchen, noch ein Kuchen, Nüsse. Schokoladenpfeffemüsse, ein Apfel, eine Zigarette; es war Weihnachtsabend.
Ein Kamerad, Vater von sieben Kindern, feierte in der Nackbarstube seine einsame Weihnacht. Er kam herein und sagte: „Sieh, das hast du schön gemacht! Du hast zwei stolze Jungs. Das ist deine älteste Tockter?“ „Nein, das ist meine Frau!“ „Nein, ich habe sie für 18 Jahre gehalten, höchstens für 21!“ Als die Feier zu Ende war, kamen die übrigen Kameraden, und wir sangen, und Petersen spielte Mundharmonika und sah vor sich die Bilder seiner Frau und seiner Iungens an. Und er winkte und zeigte mir die Bilder. Und ich steckte im Nebenzimmer die Lichter an und winkte ihm zu, und er und noch drei andere Kameraden kamen und sahen meinen Weihnachtstisch an der Wand. Und sie meinten auch, Du wärest meine Tochter, und sie lobten die Jungs. Und dann kam es einem Kameraden von selbst auf die Zunge, das Lied, und wir sangen alle fünf:
326 VI. Am Jahresende.
Nach der Heimat möcht' ich wieder,
Nach dem schönen Vaterort,
Wo man singt die frohen Lieder,
Wo man hört ein trautes Wort.
Teure Heimat, sei gegrüßt,
In der Ferne sei gegrüßt!
Sei gegrüßt in weiter Ferne,
Teure Heimat, sei gegrüßt?
Deine Täler, deine Höhen,
Deiner heil'gen Wälder Grün,
O, die möcht' ich wiedersehen,
Dorthin, dorthin möcht' ich zieh'n!
Teure Heimat, sei gegrüßt,
In der Ferne sei gegrüßt!
Sei gegrüßt in weiter Ferne,
Teure Heimat, sei gegrüßt!
Doch mein Schicksal will es nimmer,
Durch die Welt ich wandern muß.
Trautes Heim, dein denk ich immer,
Trautes Heim, dir gilt mein Gruß.
Mir war so froh, so rein zu Herzen, ich lehnte mich gegen mein Bett und sang, und wir alle sanaen das Lied Dir zu Ehren, der deutschen Frau zur Ehre, die für uns alle die Heimat so wohnlich, so heimatlich gemacht hat.
Kurz vor 8 Uhr ging ich zur Stadt hinaus, beim letzten Wachtposten vorbei, die Ulmenallee nach Enghien zu. Hoch wölbten die Kronen der Bäume sich zu einem Dom, aber noch höher stand der Himmel mit seinen vielen tausend Sternen und dem Mond, und über den Fußboden der Kirche fielen die Schatten der hundertjährigen Bäume, und aus dem fernen Weiler blinkten einige Lichter, und das Wehr rauschte aus der Tiefe herauf nach der einsamen Landstraße. Und in derselben Richtung wohntest Du, da saßet Ihr am Tisch und dachtet meiner, und draußen bei Euch rauschte von Hummelsbütte! das Wasser der Alster herüber. Im fernen Nordosten lag meine Heimat.
Weihnacht.
Ja, — das ist ein Weihnacht-Deutschland:
Lauter Arme, die sich recken,
Lauter Hände, die sich strecken,
VI. Am Jahresende. 327
Voll der Gaben allerbesten,
Hin gen Osten, hin gen Westen,
Sonder Klagen, sonder Zagen.
Manchmal nur ein Flügelschlagen Durch die Nacht hin wie ein Sehnen;
Eine Spur als wie von Tränen.
Aber hoch der Sternenraum,
Wie ein trostreich großer Baum,
Kronenbreit und lichterschwer Von der Heimat hin zum Heer.
Selbst der Tod cm Tisches Ende Faltet seine harten Hände.
Ja, — das ist ein Weihnacht-Deutschland.
Herrn. Claudius.
Am letzten Tage des Jahres 1914.
Wie weit haben wir es gebracht in den fünf ersten Monaten
des gewaltigen Ningens? .
Was wir in Hamburg glauben und hoffen, zeigt tue Kundgebung unserer Handelskammer:
„Die durch die Handelskammer und die Versammlung Eines Ehrbaren Kaufmanns vertretene Kaufmannschaft Hamburgs ist erfüllt von Dank für die großen Erfolge, die unser heldenmütiges Heer und die jeder Aufopferung fähige flotte erzielt haben, und obschon Hamburg infolge seiner vorwiegend überseeischen Beziehungen besonders schwer betroffen wird, ist seine Kaufmannschaft doch freudig bereit, auch jedes weitere Opfer zu tragen, das eine Fortdauer des Krieges ihr auferlegen wird. Sie achtet nicht die Verluste an Geld und Gut zu einer Zeit, da unsere Söhne und Brüder voller Begeisterung ihr Leben hingeben in einem Kampf, der für die Erhaltung des Vaterlandes geführt wird, und der nach so schweren Opjern nicht eher beendet werden darf, als bis die Zerstörer des Weltfriedens, vor allem das in feiner Kriegsführung nicht nur dem Völkerrecht, sondern jeder Gesittung und Ritterlichkeit hohnsprechende England, gezwungen werden, dem obsiegenden Deutschland volle Freiheit in der friedlichen Weiterentwicklung seiner nationalen und wirtschaftlichen Kräfte zu gewährleisten.
32h VI. Am Jahresende.
Hamburg.
Sturmmöwen stürmen oon Meer zu Meer Mit mächtigen Schwingen hin und her:
Hamburg, wo bist du?
Wir spähten umsonst nach Luv und Lee.
Wir bringen dir Gruß von der salzenen See.
Wo bist du?
„Ich gab das Steuer aus meiner Hand.
Ich bin gestiegen ans feste Land,
Griff des Schildes, des Schwertes Band, Mitzuschirmen mein Vaterland.
Deutschland!“
Sturmmöwen stürmen von Meer zu Meer Mit mächtigen Schwingen hin und her:
Hamburg, wie lange?
Kurs um Rurs, den kühn du gelegt,
Wird dir von britischen Kreuzern zersägt!
Wie lange?
„So lange, bis die deutsche Brust Abgeworfen den feindlichen Wust.
So lange, bis die deutsche Hand Herrin ist über Meer und Land.
So lange, bis Lug und Hinterlist Von Kraft und Wahrheit verschlungen ist.
Dann sollen — eichengeschmückt den Bug —
Meine Schiffe ziehen den alten Zug,
Königlich in die Welt sich wagen,
Königlich deinen Namen tragen.
Deutschland!“
Herm. Claudius.
E i n Erlaß des Kaisers.
WTB. Großes Hauptquartier, 31. Dezember. An das deutsche Heer und die deutsche Marine?
Nach fünfmonatelangem schweren und heißen Ringen treten wir ins neue Jahr.
Glänzende Siege sind erfochten, große Erfolge errungen. Die deutschen Armeen stehen fast überall in Feindesland. Wiederholte Versuche der Gegner, mit ihren Heeresmassen deutschen Boden zu überschwemmen, sind gescheitert.
VI. Am IahreSenüe. 329
In allen Meeren haben sich meine Schiffe mit Nu hm bedeckt. Ihre Besatzungen haben bewiesen, daß sie nicht nur siegreich zu fechten, sondern, von Übermacht erdrückt, auch heldenhaft zu sterben vermögen.
Hinter den Heeren und der Flotte steht das deutsche Volk in beispielloser Eintracht, bereit, sein Bestes herzugeben für den heiligen heimischen Herd, den mir gegen frevelhafte Überfälle verteidigen.
Viel ist im alten Jahr geschehen. Noch aber sind die Feinde nicht niedergerungen. Immer neue Scharen mälzen sich gegen unsere und unserer treuen Verbündeten Heere heran.
Doch ihre Zahl schreckt uns nicht. Ob auch die Zeit ernst, die vor uns liegende Aufgabe fchmer ist, voll fester Zuversicht dürfen mir in die Zukunft blicken.
Nächst Gottes meiser Führung vertraue ich aus die unvergleichliche Tapferkeit der Armee und Marine, und ich roeift mich eins mit dem ganzen deutschen Volke.
Darum unverzagt dem neuen Jahr entgegen, zu neuen Taten, zu neuen Siegen für das geliebte Vaterland.
Großes Hauptquartier, den 31. Dezember 1914.
(gez.) Wilhelm I. R.
Und diese Siegeszuversicht mird begründet und bestärkt durch die Kriegstelegramme vom 31. Dezember 1914:
WTB. Berlin, 31. Dezember 1914.
Die Gesamtzahl der beim Jahresschluß in Deutschland befindlichen und internierten Kriegsgefangenen (seine Zivilgefangenen) beträgt 8138 Offiziere und 577 875 Mann. In dieser Zahl ist ein Teil der bei der Verfolgung in Russisch-Polen gemachten sorvie alle in Abtransport noch befindlichen Gefangener noch nicht enthalten.
Die Gesamtzahl setzt sich folgendermaßen zusammen:
Franzosen: 3459 Offiziere, 215 905 Mann, darunter 7 Generale,
Russen: 3575 Offiziere, 306 294 Mann darunter
18 Generale,
Belgier: 612 Offiziere, 36 852 Mann, darunter
3 Generale,
Engländer: 492 Offiziere, 18 824 Mann.
Die in Kopenhagen verbreiteten, angeblich vom russischen Kriegsminislerium stammenden Nachrichten, datz in Rußland
330 VI. Am Jahresende.
1140 Offiziere und 134 700 deutsche Kriegsgefangene sich befinden, ist irreführend. Die Russen zählen in die Gesamtzahl alle Zivilgefangene ein, die zu Kriegsbeginn zurückgehalten und interniert sind.
Die Kriegsgefangenen sind auf allerhöchstens 15 Prozent der angegebenen Summe zu veranschlagen. Hierbei ist zu beachten, daß ein großer Teil auch dieser Gefangenen verwundet in die Hände der Russen gefallen ist.
Westlicher Kriegsschauplatz.
WTB. Großes Hauptquartier, 31. Dezember, vormittags. (Amtlich.) An der Küste war im allgemeinen Ruhe. Der Feind legte sein Artilleriefeuer auf Westende-Bad, zerstörte einen Teil der Häuser, ohne militärischen Schaden anzurichten. In der von uns gesprengten Alger Auberge Ferme, südöstlich Reims, wurde eine ganze französische Kompagnie vernichtet. Starke französische Angriffe nördlich des Lagers von Chalons wurden überall abgewiesen.
Im westlichen Teil der Argonnen gewannen unsere Truppen unter Fortnähme mehrerer hintereinander liegender Gräben und Gefangennahme von über 250 Franzosen erheblich Boden. In der Gegend Flirey, nördlich Toul, scheiterten französische Angriffsversuche.
Im Oberelsaß, in der Gegend westlich Sennheim, brachen sämtliche Angriffe der Franzosen in unserem Feuer zusammen. Systematisch schossen sie Haus für Haus des von uns besetzten Dorfes Steinbach in Trümmer, unsere Verluste sind aber gering.
Östlicher Kriegsschauplatz.
Die Lage in Ostpreußen und Polen, nördlich der Weichsel unverändert. Am und östlich des Bzura dauern die Kämpfe fort. In der Gegend Rawa machte unsere Offensive Fortschritte. Auf dem Ostufer der Pilica ist die Lage unverändert.
Oberste Heeresleitung.
WTB. Berlin, 31. Dezember. (Nichtamtlich.) Aus dem Großen Hauptquartier erfahren wir: Unsere in Polen
kämpfenden Truppen haben bei der an die Kämpfe bei Lodz und Lowicz anschließenden Verfolgung über 56 000 Gefangene gemacht und viele Geschütze und Maschinengewehre erbeutet. Die Gesamtbeute unserer am 11. November in Polen einsetzenden Offensive ist somit auf 136 600 Gefangene, über 100 Geschütze und über 300 Maschinengewehre gestiegen.
VI. Am Jahresende.
Ein Gesicht.
Und als am Rhein der Sommer im Land, Riefen Trompeten ins Feld,
Fiel's auf die betenden Hände der Schnitter Lastend wie Schatten ferner Gewitter — Dunkel wurde die Welt.
Und als der Herbst in den Dünen stand, Sturmböen brausten vom Meer,
Hallten vom berstenden Lärm der Geschosse, Braun trieb der Nebel um Hulk und Trosse, Als wär' er von Vlut so schwer.
Und als der Winter die gläserne Hand Über Rußland gereckt,
Schnee brennt purpurn im Widerschein Flammender Städte, ist rot von Reih'n Stürmender Völker befleckt.
Doch als der Lenz in die Täler stieg,
Der trug eine frohe Ruh'.
Frei war das Meer, geläutert das Land, Adlig ein Volk an der Pflugschar stand.
Mein herrliches Deutschland, du?
Hans Fr. Vlunck, Hamburg.
Georg-Eckert-lnstitut
für internationale
Brau. «schweig Schulbuchbibliothek
Die wichtigsten kriegerischen Ereignisse bis zum Schluß des Jahres (9(4.
28. Juui. 28. Juli. 28. Juli. 31. Juli.
1. Aug.
3. Aug.
4. Aug.
5. Aug. 19. Aug.
Erzherzog Franz Ferdinand und seine Genicihlin werden in Serajewo ermordet. Österreichs Ultimatum an Serbien.
Österreichs Kriegserklärung an Serbien.
Mobilmachung in Rußland. Im deutschen Reiche Kriegszustand verkündet.
Ultimatum an Rußland gesandt.
Mobilmachung in Frankreich und in Deutschland. Kriegserklärung an Rußland Kriegserklärung an Frankreich.
England erklärt an Deutschland den Krieg.
Belgien erklärt an Deutschland den Krieg.
Japan fordert in einem Ultimatum die Abtretung von Kiautschou.
Auf hoher See und an den Küsten.
2. Aug. Kreuzer „Augsburg" bombardiert den Kriegshafen von Libau.
4. Aug. „Goeben" und „Breslau" bombardieren Bona und Philippeville,
6. Aug. durchbrechen, aus dem Hafen von Messina kommend, ein englisches Geschwader und gewinnen die hohe See.
8. Aug. Der frühere Bäderdampfer „Königin Louise" legt Minen vor der Themse, wird Jmrch den engl. Kreuzer „Amphion" zum Sinken gebracht. „Amphion" gerät auf eine Mine und sinkt ebenfalls.
Im Westen.
2. Aug. Französische Truppen überschreiten die Grenze im Elsaß.
2. Aug. Luxemburg von deutschen Truppen besetzt.
4. Aug. Die Deutschen rücken über die belgische Grenze.
7. Aug. Lüttich vom General Emmich im Sturm genommen.
8. Aug. Mülhausen wird von den Franzosen besetzt.
Im Osten.
2. Aug. Russen in Johannisburg und Evdtkuhnen.
Kalisch und Czenstochau von Deutschen besetzt.
9. Aug. Die Engländer besetzen Some in Togo
24. Aug. Japaner und Engländer beginnen mit der Beschießung von Kiautschou.
26. Aug. Der kleine Kreuzer „Magdeburg" gerät bei einem Vorstoß gegen russische Schiffe bei Odensholm im Nebel aus den Grund.
29. Aug. Unglückliches Seegefecht bei Helgoland. Torpedoboot V 187, die Kreuzer „Ariadne", „.Köln" und „Mainz" sinken.
10. Aug. Mülhausen wird von den Deutschen befreit.
11. Aug. Schlacht bei Lagarde in Lothringen. Die Franzosen werden gegen Luneville zurückgeworfen.
21. Aug. Zwischen Metz unb den Vogesen (bei Dieuze) Sieg bes Kronprinzen Rupprecht von Bayern über 8 französische Armeekorps.
22. Aug. Der beutsche Kronprinz bröngt bie Franzosen über Longwy zurück.
23. Aug. Der Herzog Albrecht von Württemberg schlägt bie Franzosen bei Neus-chateau (am Semois).
Generaloberst von Kluck überschreitet bie Maas unb zieht gegen Maubeuge.
24. Aug. Namur wirb erobert.
26. Aug. Longwy wirb erobert.
Straßenkampf gegen Franktireurs in
Löwen.
27. Aug. Englische ©eesolbaten besetzen Ostenbe.
28. Aug. Mauonvillers, bas stärkste französische Sperrsvrt zwischen Luneville unb der Grenze, wirb erobert.
30. Aug. Der erste beutsche Flieger über Paris.
Generaloberst von Kluck brängt zwi-I schen Cambrai und AmienS bi? Franzose» zurück.
17. Aug. Bei Stallupönen siegen j Truppenteile bes I. Armeekorps über bie Russen.
22. Aug. Die Russen werben über bie Linie Gumbinnen - Angerburg zurückgebrängt.
23. Aug. Die Österreicher bröngen bie Russen bei Krasnik zurück.
26.-29. Aug. Die Riesenschlacht Gilgenburg - Tannenberg - Hohenstein - Ottelsburg; General von Hinbenburg vernichtet bie russische Narew-Armee in ben masurischen Sümpfen.
30. Aug. Die Russen drängen die
Österreicher gegen Lemberg zurück
'8k k
Auf hoher See und an den Küsten.
10. Sept. „Emden" vernichtet im bengalischen Golf 6 englische Schiffe.
14. Sept. „Trafalgar" wird vom englischen Hilfskreuzer „Carmania" vernichtet.
22. Sept. Das deutsche Unterseeboot U 9 vernichtet bei Hoek van Holland die 3 großen englischen Kreuzer „Abukir", „Hogue" und „Cressy".
1. Okt. Kreuzer „Karlsruhe" hat im atlantischen Ozean 7 englische Dampfer vernichtet.
Im Westen.
Generaloberst v. Bülow schlägt in der 3 tägigen Schlacht bei St. Quentin 4 französische Armeekorps und 3 Reservediv.
Givet fällt.
Generaloberst von Hausen drängt die Franzosen zwischen Sedan und MLziöres auf die Aisne zurück.
Herzog Albrecht von Württemberg rückt gegen die Aisne vor.
Montmödy, belagert vom deutschen Kronprinzen, wird bei einem Ausfall gewonnen. Die Armee des Kronprinzen zieht gegen Verdun.
Die Armeen des Kronprinzen von Bayern und des Generalobersten von Heeringen kämpfen in Französisch-Lothrin-gen und in der Südwestecke des Elsaß.
1. Sept. Die Armee des deutschen Kronprinzen stößt auf große sranzös. Truppen- | mengen (10 Armeekorps) nordwestlich von Verdun. Heftigster Kampf bei Epinonville. Die Franzosen gehen zwischen St. MenL-hould und Verdun in südlicher Richtung zurück. Der Kaiser auf dem Schlachtfelde.
4. Sept. Amiens von den Deutschen besetzt.
7. Sept. Maubeuge muß kapitulieren.
Die 76 er bei Leuze.
18. Sept. Die Franzosen werden bei Noyon geschlagen.
20. Sept. Die Kämpfe um Reims beginnen.
Im Osten
10.—12. Sept. SieH Hindenburg-über die Russen m Ostpreußen (2t)cf). Die Russen gegen den
Njemen gedrängt.
14. Sept. Das russische Gouvernement Suwalki kommt unter deutsche Verwaltung.
6. Okt. Erster Sturm auf Tsingtau durch Japaner unb Engländer.
17. Okt. Die beutschen Torpedoboote 8 115, 117, 118 unb 119 werben an ber hol-länbischen Küste von einer englischen Flotte vernichtet.
22. Okt. „Emden" vernichtet 6 englische Schiffe.
23. Okt. „Karlsruhe" vernichtet 13 englische Schiffe.
30. Okt. „Emden" vernichtet vor Pulo Pinang einen russischen Kreuzer unb einen französischen Torpedojäger.
5. Nov. Aarmouth von deutschen Schiffen beschossen.
6. Nov. Seeschlacht bei Santa Maria (Coronet) an der Küste von Chile. Admiral von Spee vernichtet die englischen Panzerkreuzer „Monmouth" unb „Good Hope".
7. Nov. Tsingtau von den Japanern erobert.
11. Nov. „Emden" bei der Keelingsinsel vernichtet.
8. Dez. Seeschlacht bei den Falklandsinseln: Eine englische Flotte unter Admiral Sturdee vernichtet den größten Teil der Flotte des Admirals Spee. („Gneisenau", „Scharnhorst", „Leipzig", „Nürnberg".)
16. Dez. Deutsche Kriegsschiffe beschießen Hartlepool und Scarborough an der englischen Ostküste.
9. Okt. General von Beseler erobert Antwerpen.
15. Okt. Ostende von den Deutschen besetzt.
20. Okt. Die Kämpfe am Merkanal beginnen.
25. Okt. Die Kämpfe bei Dixmuiden und Nieuport beginnen.
26. Okt. Der Hamburger Flieger Caspar über Dover.
11. Nov. Dixmuiden erstürmt.
11. Okt. Przemysl wird entsetzt durch neue österreichische u. deutsche Truppen. Die Russen werden zurückgedrängt.
15. Okt. Österreicher und Deutsche vor Warschau.
Ende Okt. Die deutsch-österreichi-schen Truppen ziehen sich auS Polen an die Grenze zurück.
11. Nov. Die Russen wieder vor Przemysl.
15. Nov. Die Russen bei Kutno zurückgeworfen.
24. Nov. Sprengung deS russischen Umzingelungsringes bei Lodz.
5. Dez. Lodz erobert.
Mitte Dez. Rustcn zurückgedrängt nach Osten unt> Süden.
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