86 I. Die Renaissance. treten. Damit waren die Grundlagen und Ansätze zu einer Re¬ naissancephilosophie gegeben. Schon Nicolaus nennt den Zweifel den Erkenntnis ansang, wenn auch zunächst nur im Sinne des nicht unbedingten Vertrauens auf die Autoritäten in Kirche und Antike. Dagegen will der radikalere Nenaissancedenker mit jeglicher •Über¬ lieferung brechen und nur die exakten Ergebnisse der empirischen Induktion gelten lassen, so daß Männer wie der Arzt Cardanus das All rein mechanistisch zu erklären suchen und den Menschen zum Maße der Dinge machen. Solche Denker blieben allerdings vereinzelt, zumal in Deutsch¬ land, wo die Losreißung von dem Überkommenen vielmehr zur Zuspitzung der religiösen Frage trieb. In den romanischen Ländern führten solche Strömungen zu religiöser Gleichgültigkeit. Darum zeitigte die Renaissance hier vornehmlich eine künstlerische Blüte, während sie bei uns eine religiöse Wendung nahm, zumal gerade in den kleinbürger¬ lichen und bäuerlichen Kreisen unserer Vorfahren eine altväterlich¬ schlichte Frömmigkeit erhalten blieb. 5. Der philosophische Charakter der Übergangszeit; Individualismus, Kunst und Lebensführung. Auch in philosophischen Fragen vollzieht sich der Übergang von der gebundenen zur freieren Denkweise allmählich. Bleibt Aristoteles auch noch längere Zeit der joelb, dessen aus gesichteten und neu er¬ klärten Texten gewonnene Anschauungen man immer wieder mit der Kirchenlehre in Einklang zu bringen sucht, so verliert diese doch mehr und mehr ihre frühere Stellung. Die humanistische Zunft stellt, wie Raffaels „Schule von Athen" zeigt, neben Aristoteles bald auch Plato. Bereits die älteren Kirchenväter hatten seine Lehre nicht für widerkirchlich gehalten. Die Renaissance vollends begrünbete eigens zum Stubium Platos bie Florentiner Akabemie, bie höchste philo¬ sophische Leistung ber Zeit, stellte ihn gerabezu neben bie Heiligen unb erhob seine mit christlich anmufenben Gebanken burchsetzte Lehre zu ihrem Bekenntnis, so wenig sich auch bas im Grunbe auf Natur- entseelung abzielenbe Inbuktionsstreben ber Renaissance mit bem Idealismus Platos vertrug. Der humanistische Denker scheut aber selbst vor der Pflege und Verbreitung widerchristlicher, z. B. pan- th eistisch er und materialistischer Anschauungen nicht zurück, wie sie die Moralphilosophie der Pythagoräer und Epikuräer enthielt. So wurde der Boden des Dogmas immer tiefer unterwühlt; selbst der Weisheit der Konzilienväter mag man nicht mehr trauen. Aber auch in der Wiederholung der Antike findet das forschende Subjekt, des Bücherwissens und ber theologischen Grübeleien mübe, keine