190 Die Neuzeit. hielt Bismarck die Zeit zur Herstellung friedlicherer Verhältnisse für ge¬ kommen. Auch die Mehrheit der Volksvertretung wünschte ein Ende des Streites. Außerdem konnte Bismarck zur Durchführung seiner neuen Steuerpolitik die Hilfe des Zentrums nicht entbehren. So schied denn Falk aus dem Ministerium (1879), und Bismarck erhielt im Juli 1880 vom preußischen Landtage weitgehende Vollmacht zur Ordnung der kirch¬ lichen Angelegenheiten. Die Maigesetze wurden seitdem gemildert oder auf¬ gehoben. Bestehen blieben das Schulaussichts-, das Zivilehe- und das Jesuitengesetz. Die katholische Kirche ist durch den langen Kampf innerlich und äußerlich sehr erstarkt. Zur Bekämpfung ultramontaner Überhebung wurde 1886 der Evangelische Bund gestiftet. Das Zentrum ist all¬ mählich die zahlreichste, oft ausschlaggebende Partei im Landtag wie im Reichstag geworden, aber durch die Mitarbeit an der Gesetzgebung auch für den Reichsgedanken gewonnen. 7. Die soziale Entwicklung. Nach dem Stande der Bürger und Bauern, der als dritter Stand in Frankreich durch die Revolution, in Deutschland durch die Stein-Hardenbergsche Gesetzgebung wirtschaftliche Frei¬ heit und Teilnahme an Gesetzgebung und Verwaltung erhalten hatte, er¬ wuchs in den Arbeitern ein vierter Stand. Dieser nahm infolge des mächtigen Aufschwungs der Industrie und des Handels gewaltig zu. Da der Erwerb der Arbeiter unsicher — durch Handelskrisen wurden oft viele Tausende plötzlich brotlos —, ihre Wohnnngs- und Lebensverhältnisse viel¬ fach unbefriedigend waren und sie durchweg keine Hoffnung hatten, je selb¬ ständig und wirtschaftlich unabhängig zu werden, während der Ertrag ihrer Arbeit sich zu immer größeren Reichtümern weniger anhäufte, so erwuchs eine Partei, die ihnen durch den Umsturz aller bestehenden Verhältnisse Anteil an jedem Lebensgenuß zu verschaffen versprach. Die Monarchien sollten zertrümmert und Republiken mit solcher Verfassung eingerichtet werden, daß es keinerlei Eigentum, kein Erbe und kein Erbrecht gebe, daß aller Besitz gemeinsam sei und alle Arbeit und aller Genuß gleichmäßig verteilt werde. Um diesen Zustand völliger sozialer Gleichheit herbeizuführen, müßten die Massen sich durch die Wahlen zum Reichstage oder mit blutiger Gewalt in den Besitz der Macht setzen und die Herrschaft des Volkes (Demokratie) begründen. Diese Partei der „Sozialdemokraten" gewann bei den Arbeitern rasch Anhang. Ihre trügerische Lehre, verbunden mit ihren revolutionären Forderungen, hatte am entschiedensten Karl Marx in <*^=->£2 dem „Kommunistischen Manifest" (1847) verkündet (vgl. S. s44.).—In Deutsch-^^-^ land blendete zuerst Ferdinand Lassalle die Massen durch die Irrlehre \ vom „ehernen Lohngesetz^ Tr gründete den „Allgemeinen deutschen Arbeiterverein", der auch nach seinem Tode (1864) auf nationalem Boden blieb. Dem gegenüber entstand eine neue Richtung, die, auf Marxfche Lehren gestützt, die Proletarier aller Länder vereinigen wollte und sich mit wildem Haß gegen den^äteMMsge^änIeü wandte. An ihre Spitze trat 1866 Liebknechts ein aus Preußen ausgewiesener alter 48er Demokrat. Ihm schloß sich Bebel an. Ihre Anhänger taten ihr Äußerstes, um bei den Nichtbesitzenden den Haß gegen alle Besitzenden zu entflammen, alle Staatseinrichtungen und alle Ordnung, die Rechtspflege und Verwaltung,