— 69 — Herzen lieb gewann, versteht sich wohl von selbst. Zwei Jahre blieb Kai se r in Wittenberg, dann trieb ihn das Verlangen, seinen sterbenden Vater noch einmal zu sehen, in Die Heimarh zurück, wo er alsobald aufs Neue gefangen genommen wurde. Er sah es voraus, daß ihn nur der Tod von den langen und schweren Kerkerleiden erlösen werde und flehete täglich den Herrn an um Kraft aus der Höhe, ersuchte auch seine Freunde in den Briefen voll innigen Glaubens, die er an sie richtete, für ihn zu beten. Alle Bemühungen seiner Gönner, Hoher und Niedriger, ihm das Leben zu retten, waren vergebens. Der Bischof vernrtheilte ihn alS einen ruchlosen Ketzer zum Feuertode. Der 16. August 1527 war der Tag, an dem der glaubensstarke Le o n h a r d mit seinem Tode den Herrn Christum bekennen sollte. Mit unglaublicher Geduld und Sanstmuth ertrug er die schreckliche« Martern. Als er von seinem Scheiterhaufen aus die Menge des versammelten Volks erblickte, sprach er: „Da wäre eine große Ernte, da sollte man Schnitter haben." Unter fortwährendem heißen Flehen zu dem Herrn gab er seinen Geist auf. Als schon die Flammen hoch aufloderten, rief er noch einmal laut: „Jesus ich bin Dein, mach' mich selig!" — Es war sein letztes Wort. 2. Daß solche Vorgänge dem Fortschreiten der Reformation keinen Einhalt zu thun vermochten, dieselbe vielmehr auf dem mit der Asche der Märtyrer befruchteten Boden nur um so besser gedieh, ist schon angedeutet. In der That zählte sie im Jahre 1527 schon durch ganz Deutschland viele Freunde und Anhänger und hin und wieder überwog die Zahl derselben bei Weitem die der katholisch Gesinnten; so im Kurfurstenthum Sachsen, in H e sse n, im A n h a l t i schen und Braunschwei g-Lüneburgischen, im Fürstenthum Ansbach-Baireuth, in den Reichsstädten Nürnberg, Reutlingen re. In allen diesen Gebieten hatte die evangelische Sache die Oberhand gewonnen, waren die Mißbrauche der katholischen Kirche mehr oder weniger abgeschafft. Dennoch ging es keineswegs überall so geregelt und geordnet zu wie in Wittenberg. In manchen Gemeinden gab es noch Prediger, die dem Papstthum anhingen und demgemäß ver¬ fuhren, in andern wieder solche, die sich gern von den Irrthümern der römischen Kirche frei gemacht hätten, aber zu unwissend dazu waren. Mit einem Worte: die Verwirruug war noch sehr groß und es fehlte noch fast überall, nicht bloß an der Reinheit der Lehre, sondern auch an der rechten Einrichtung des Gottesdienstes. Sollte hier Wandel geschafft werden, so war es durchaus nöthig, daß Luther selbst und sonstige zuverlässige Männer überall an Ort und Stelle Nachschau hielten. Dieß erkennend, ordnete der Kurfürst JohannderBe ständige von Sachsen, der seinem 1525 verstorbenen Bruder Friedrich dem Weisen auf dem Throne gefolgt war, im Jahre 1527 für seine sämmtlichen Lande eine allgemeine Kirchenvisitation an, welche in diesem und dem fol¬ genden Jahre abgehalten wurde. Und was war das Resultat derselben? Es fand sich fast überall eine grenzenlose Unwissenheit, nicht bloß bei