Kap. 3 § 23. Sitten der alten Deutschen. (Religionsgebräuche.) 15 das Reich der Menschen, Mannaheim; dos Reich der Riesen, Jötunheim, und das Reich der Zwerge, Alsheim. Mannaheim und Asaheim sind durch die Regen¬ bogenbrücke verbunden, auf welcher die Götter zu den Menschen herabsteigen, die Seelen der Menschen aber in den Himmel gehen. — Zu diesen vier Reichen oder Heimen kam dann noch eine'Außenregion im Süden, Muspellheim; das Reich des Surtur, wo Licht und Feuer, und eine Außenregion im Norden, Nislheim, das Reich der Hela (Hölle), wo Kälte und Nebel herrscht. Ein heiliger Welt bäum, die heilige Esche Hgdrasil, ragt (nach der nordischen Lehre), mit drei weitreichenden Wurzeln, von' denen die eine über den unter ihr wohnenden Menschen hinweg nach Asaheim, eine zu den Riesen, eine nach Nebel- oder Niflheim reicht, über den Himmel empor und treibt ihre Aeste über das Weltall. Die alten Sachsen aber stellten sich statt eines Baumes eine (vielleicht aus dem Stamm einer Esche gemachte) Säule vor, die sie Jrminsul nannten, gleichsam die Weltstütze, die durch alle jene Heime läuft und das Weltall aufrecht erhält: beides, Baum wie Säule, ein Bild der das Weltall auch durch allen Zeitenwechsel hindurch aufrechthaltenden Lebenskraft der Natur. Von der Edda oder Sammlung altnordischer Sagenlieder, in welcher diese Götter¬ lehre sich findet, giebt es eine ältere und eine jüngere. Die ältere wurde um die Mitte des 12. Jahrhunderts auf Island von Sämund Sigfusson gesammelt und aus der Runenschrift in die lateinische Buchstabenschrift umgeschrieben: sie enthält 32 Götterlieder und 3 Lehrlieder. Die jüngere Edda ist größtentheils von dem Lagmann Snorre Sturleson, der 1291 starb, in ungebundener Rede verfaßt und enthält die Asalehre d. i. ein Lehrbuch der altnordischen Mythologie und eine An¬ weisung zur Dichtkunst, welche viele Belegstellen aus verloren gegangenen Götter- und Heldenliedern enthält. 23. Diesen ihren Göttern, von denen sich nur hie und da Bildnisse aus späterer Zeit fanden, dienten die alten Deutschen auf den heiligen Bergen oder in heiligen Hainen, besonders unter Eichen, zum Teil auch an Seen, Flüssen und Quellen. So wurde (nach Tacitus) besonders auf der Insel Rügen das Bild der Erdmutter Herta (Jördha, Nertus) jährlich auf einem mit Kühen bespannten Wagen an einen See gefahren und von Sklaven gewaschen, die nachher in die See geworfen wurden. Tempel kamen erst in späteren Zeiten und nur im hohen Norden vor. Der heiligen Festzeiten gab es drei große im Jahre, wobei Sühn¬ opfer gebracht und mit dem Tieropferblute die Opferstätte und Opfer¬ versammlung besprengt wurde. Diese Feste waren 1. das Jol- oder Julfest zu Weihnachten, wo nach ihrer Vorstellung während der zwölf längsten und dunkelsten Nächte des Wintersonnenstillstands die ganze Götter¬ und Geisterwelt auf der Erde ein reges Wesen treibt; 2. das Osterfest zur Zeit der Frühlingsnachtgleiche — bei den Völkern des Nordens; da¬ gegen bei den Völkern im Süden das Fest des Sommersonnenstillstands am Johannistag, wobei dort, wie hier, besonders auf Bergen, Feuer an¬ gezündet wurden, die nachmals sogenannten.Oster- oder Johannis¬ feuer, welche ein Sinnbild der Sonne waren; 3. das Herbstfest, das dem Gotte Tor geweiht gewesen zu sein scheint (das nachmalige Kirch¬ weihfest). — Sonstige heilige Gewohnheiten und Bräuche kamen noch bei unzähligen Gelegenheiten und Anlässen vor, und viele derselben haben sich bis in die christliche Zeit hinein erhalten. Ihre Todten begruben sie; nur die Leichname sehr vornehmer oder berühmter Personen wurden verbrannt. Um ihre Hingeschiedenen weinten sie nicht lange; desto länger behielten sie dieselben in lebendigem Andenken. Sie glaubten an ein Jenseits. In dem Götterhimmel, Asgard ge¬ nannt, befindet sich die schöne Himmelsburg Walhalla, in welcher die im Kampfe ehrlich Gefallenen aufgenommen wurden, um unter Wodan