Geschichte des deutschen Volkes von den ältesten Zeiten bis zur Gegenwart.
Mit einem Titelbild und acht historischen Karten.
-n
„Sitzt das kleine Menschenkind ; An dem O;ean der Zeiten.
Schöpft mit seiner kleinen Haud . Tropfen aus den Ewigkeiten.
^ ^ Sitzt das kleine Menschenkind,
S I ) v *7 Sammelt flüsternde ©erlichte,
I Trägt sie in ein kleines Buch,
Schreibt darüber: Weltgeschichte."
(v. Held.)
Werkin 1900.
Verlag von Bruer & Co.
„Ich glaube, daß gerade durch das Studium der Geschichte das Volk eingeführt werden kann in die Elemente, aus denen seine Entstehung und seine Kraft sich aufgebaut haben. Je mehr und eifriger und eingehender die Geschichte dem Volke eingeprägt wird, desto sicherer wird es Verständnis für seine Lage gewinnen und dadurch in einheitlicher Weise zu großartigem Handeln imd Denken erzogen werden."
Kaiser Wilhelm II.
Inhaltsverzeichnis.
Einleitendes Wort.
(Sr ff er Gert.
Von den ältesten Zeiten bis zur Reformation..................................
Das nltffte Deutschland: Germanien. Leine Kevölkerung.
Gründung germanischer Reiche auf den Trümmern römischer Herrschaft
1. Die Kämpfe der Cimbern und Teutonen mit den Römern. . .
2. Ariovist, König der Germanen . -........................• -
3. Eroberungsversuche der Römer m Germanien: dessen Befreiung von
römischer Herrschaft ...........................
4. Die Römer wieder in Germanien .... .................
5. Fehden der Deutschen unter einander unb mit den Römern; Claudius Civilis, ber edle Bataver................................................
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Die große Völkerwanderung.............................................
1. Die Hunnen, die Gothen und das römische Reich....................
2. Theodosius der Große und seine Söhne. Alarich, König der Westgothen 30—32
3. Das weströmische Reich. Strömungen der Völkerwanderung und der Untergang des Hunnenreiches......................................- - - 32—35
4. Untergang des weströmischen Reiches. Odoaker. Theodorich der
Große. Alboin............................................................35—43
43—48
Gründung des fränkischen Reiches..............................................43
1. Innere Zustände der germanischen Reiche währenb unb nach ber Völkerwanberung...........................................................
2. Die Ausbreitung bes Christentums in Deutschlanb........................48—54
3. Chlobwig, ber Grünber bes großen Frankenreiches.................. 54 59
4. Die fränkischen Könige aus bem Hause ber Merowinger unb ihre Hausmeier ................................................................59 63
5. Pipin, ber erste Frankenkönig aus bem Hause ber Karolinger . . 63—65
6. Karl ber Große.........................................................65 78
7. Lubwig der Fromme...............................................................85
II
Die Aufrichtung des deutschen Reiches unter den Karo- eeitt l'ngern..........................................................................
1. Ludwig der Deutsche........................................................85—88
2. Karl der Dicke und die letzten Karolinger.............................88___90
3. Konrad I. von Franken......................................................... 92
4. Kurzer Rückblick auf die geistige Entwicklung Deutschlands unter
den Karolingern.............................................................92—99
Deutschland unter den sächsischen Kaisern.....................................99
1. Heinrich I. der Finkler, der Städteerbauer..............................99__108
2. Otto I. der Große.........................................................108 — 115
3- Otto II...............................................................115—119
4. Otto III..............................................................119—122
5. Heinrich II. der Heilige..............................................122—129
6. Rückblick auf die christlich sittliche und politische Enlwicklung Deutschlands unter den sächsischen Kaisern...........................................129—135
Deutschland unter den fränkischen Kaisern................................135
1. Konrad II. der Salier......................................................135-143
2. Heinrich III. ............................................................143—150
3. Heinrich IV................................................................150-170
4. Heinrich V. und die inneren Zustände Deutschlands unter den letzten salisch-fränkischen Kaisern..............................................170—177
Deutschland zur Zeit der Kreuzzüge........................................177
1. Der erste Kreuzzug und die Ritterorden.....................................177—189
2. Lothar von Sachsen.........................................................189—192
3. Konrad III., der erste Hoheustaufe. Der zweite Kreuzzug . . . 192—197
4. Friedrich I., Barbarossa..............................................197—509
5. Heinrich VI........................................................... 209—215
6. Philipp von Schwaben und Otto IV. von Braunschweig . . . 215—218
7. Kaiser Friedrich II...................................................218—228
8. Die l tzten Hohenstaufen und das Interregnum.......................... 228—234
9. Deutschlands innere Entwicklung unter den Hohenstaufen . . . 234—249
Verfall des deutschen Reiches und Kaiser aus verschiedenen
Häusern...........................................................249
1. Rudolf von Habsburg, der Begründer der Habsburgischen Hausmacht......................................................................249—256
2. Adolf von Nassau.......................................................... 256—260
3. Albrecht von Oesterreich.................................................. 260—263
4. Albrecht I. und die Befreiung der Schweiz von seinen Land-
vög'en..................................................................... 263—268
5. Heinrich VII. von Luxemburg................................................ 268—274
6. Ludwig der Bayer und Friedrich der Schöne von Oesterreich . . 274—282
III
Die luxemburgischen Kaiser und deutsche Herrscher aus verschiedenen Häusern.................................................
1. Karl IV. von Mähren (Böhmen, Luxemburg)............................
2. Wenzel und Ruprecht von der Pfalz..................................
3. Sigismund von Luxemburg (Lützelburg)...............................
Die Habsburger bis zur Reformation.......................................306
1. Albrecht II. von Oesterreich ...................................... 306—307
2. Friedrich III. von Oesterreich................................307—316
3. Maximilian I.............................................. 316 326
Rückblick auf die innere Entwicklung Deutschlands seit
Rudolf von Habsburg bis zur Reformation .... 326
1. Kaiser, Fürsten und Volk..................................... 326—339
2. Die Erfindungen und Entdeckungen zu Eude des Mittelalters . 339—343
3. Die Entdeckungen der Portugiesen und der Spanier............. 343—353
4. Entwicklung des städtischen Lebens. Der Meistergesang .... 353—357
5. Die Veme..................................................... 357—361
<5. Kirchliche Zustände Deutschlands zu Ende des Mittelalters . . 361—367
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Iweiter Heit.
Die neue Zeit. Don der Reformation bis zur Gegenwart.
Die Reformation..................................................... 369
1. Martin Luther. Zwingli. Kalvin....................................... 369—377
2. Karl V., deutscher Kaiser........................................... 377—386
3. Religiöse und politische Unruhen: Bilderstürmer, Erhebung der Reichsritterschaft und die Bauernkriege.................................. 386—394
4. Ausbreitung der Reformation in Deutschland während der auswärtigen Kriege Karls V.................................................. 394—401
5. Die Augsburgische Konfession und der schmalkaldische Bund . . 401—406
6. Religionsunruhen in der Schweiz und weitere Kriege Karls V. bis
zum Jahre 1544 ................................................ 406—409
7. Die Wiedertäufer in Münster......................................... 409—414
S. Ausgleichversuche der religiösen Parteien. Luthers Tod . . . 414—421
9. Der schmalkaldische Krieg............................................ 421—427
10. Das Augsburgische Interim Stellung der deutschen Fürsten dazu.
Karl V. und Moritz von Sachsen........................................ 427—438
11. Weitere Strömungen der Reformationszeit vor den: dreißigjährigen
Kriege. Die Jesuiten.................................................. 438—443
12. Spaltung der religiösen Parteien in Deutschland unter Ferdinand I.,
Maximilian II. und Rudolf II.......................................... 443—451
IV
Der dreißigjährige Krieg...................................................
1. Innere Zustände des deutschen Reiches in ihrer Entwicklung von dev Reformation bis zum Ausbruch des Krieges..............................
2. Der Ausbruch des dreißigjährigen Krieges................................
3. Erste Periode des dreißigjährigen Krieges: Der böhmisch-pfälzische Krieg.....................................................................
4. Zweite Periode des dreißigjährigen Krieges: Niedcrsächsisch-dänischer Krieg.....................................................................
5. Dritte Periode des dreißigjährigen Krieges: Schwedisch-deutscher Krieg.....................................................................
6. Letzte Periode des dreißigjährigen Krieges: Der schwedisch-sranzö-sische Krieg..............................................................
7. Der westfälische Friede zu Münster und Osnabrück........................
Die brandeuburgisch-prcußische Machtentfaltung in Deutschland vom Großen Kurfürsten bis zu Friedrich dem Großen......................................................................
1. Friedrich Wilhelm, Kurfürst von Brandenburg.............................
2. Frankreichs Einfluß auf Deutschland. Der Große Kurfürst unb die Raubkriege Ludwigs XIV................................................
3. Vom Tode des Großen Kurfürsten bis zum Ende Ludwigs XIV. Aufrichtung des preußischen Königtums und der spanische Erbfolgekrieg ...............................................................
4. Kurzer Rückblick auf die innern Zustände Deutschlands im sogenannten Zeitalter Ludwigs XIV.............................................
5. Das Emporsteigen Preußens neben Oesterreich.............................
Das Zeitalter Friedrichs des Großen........................................
1. Friedrich II. König von Preußen. Der erste und zweite schlesische Krieg und der österreichische Erbfolgekrieg...............................
2. Der siebenjährige Krieg. (Dritte schlesische Krieg).....................
3. Friedrich der Große und Maria Theresia nach dem siebenjährigen Kriege....................................................................
4. Deutschland zur Zeit der französischen Revolution bis zum Untergauge des heiligen römischen Reiches deutscher Nation ....
Das neunzehnte Jahrhundert bis zum Jahre 1861 . . .
1. Deutschlands Knechtschaft unter Frankreich..............................
2. Deutschlands Erhebung gegen Frankreich. Die Freiheitskriege .
3. Von 1815 -1840: Der deutsche Bund. Die heilige Allianz. Revolutionäre Bewegungen auf religiösem wie politischen! Gebiete.
4. Von 1840—1857: Deutschland von der Thronbesteigung Friedrich Wilhelms IV. an bis zur Revolution 1848. Schleswig-Holstein „stammverwandt". Die „Reaktion" bis zur Uebernahme der Regentschaft durch den Prinzen von Preußen......................................
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Das Zeitalter Kaiser Wilhelms I. des Großen.......................................
1. Regentschaft des Prinzen von Preußen. Der österreichische Krieg in Italien.......................................................................
2. Wilhelm I., König von Preußen. Die Armeereorganisation und der Verfassungskonflikt..........................................................
3. Preußen und Oesterreich in Schleswig - Holstein. Der dänische Krieg im Jahre 1864 .............................................................
4. Der preußisch-österreichische Krieg..........................................
5. Gründung des Norddeutschen Bundes imd des deutschen Zollparlaments. Die Luxemburger Frage .........
6. Der deutsch - französische Krieg mit dem Kaiserreich.........................
7. Der deutsch > französische Krieg mit der Republik Frankreich . .
4. Deutschland im Frieden.......................................................
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Einleitendes lüort.
Einem ehrenvollen Aufträge der Verlagshandlung verdankt diese-Arbeit ihr Entstehen. Sie wollte unsere vaterländische Geschichte den weitesten Kreisen des deutschen Volkes zugänglich machen. Nicht im Schultou durfte sie deshalb von Erfahrungen, Pflichten, Kämpfen und Errungenschaften des deutschen Volkslebens reden, sie mußte vielmehr als das hervortreten, was sie im engsten und doch im höchsten Sinne sein will: eine liebe, traute Familiengeschichte des deutschen Volkes, die man wohl kennt, aber immer genauer kennen lernen möchte. Darum waren Ort und Zeit, Namen und Thaten der Geschichte zwar unantastbar; aber als das höchste und bei weitem schönste Ziel mußte es erscheinen, den Herzschlag eines großen, reichen Volkslebens wiederklingen zu lassen in treuem Bericht, wie in traulicher Erzählung.
Möchte dem tiefempfundenen Wollen, das dieser Arbeit helfend zur Seite stand, der Lohn beschieden sein, daß die Familiengeschichte unseres lieben, deutschen Volkes ein Gruß werde von Haus zu Haus, ein Band von Land zu Land!
(Erster Teil.
Leine Gevölkernng.
Gründung germanischer Reiche auf den Trümmern der römischen Herrschaft.
Als die Menschen in dein Verlangen nach einem verlorenen Paradiese wahnwitzig einen Turm bauen wollten, der bis in den Himmel reichte, damit sie sich einen Namen machten, da zerstreute Gott die Menschen und verwirrte ihre Sprachen.
Wer hätte sich darauf hin nicht einmal gefragt, wie unsere Vorfahren nach Deutschland kamen? Gehörten auch sie zu denen, die vor Jahrtausenden aus dem fernen Asien hinauszogen in alle Welt?
Lange blieb diese Frage ohne Antwort, bis eine verhältnismäßig neue Wissenschaft, die Sprachvergleichung, genau nachwies, daß die Germanen in ihren zahlreichen Volksstämmen nach Sprache, Sitten und Gebräuchen, selbst in ihren religiösen Anschauungen, mit Kelten, Slaven und Esthen, eine gemeinsame Abstammung, eine und dieselbe Heimat haben müßten.
Auf dem Hochland Mittelasiens, wo unsre Phantasie sich den Garten Eden, das Paradies der ersten Menschen denkt, wohnte das Volk der Arier, dem die Germanen, gleich andern Genossen des indogermanischen Stammes entsprossen sind.
Von dort aus wurde nicht nur das heutige Deutschland, zwischen Nordsee und Weichsel, zwischen Rhein und Donau, sondern auch Belgien, Holland, Dänemark, Norwegen,- Schweden, Finnland re. von den Germanen bevölkert.
Born hak, Unser Vaterland. i
Jahreszahlen lassen uns völlig im Stiche, und die Geschichte verliert sich in Sage und Ueberlieferung. Sicher ist nur das Eine: unser Vaterland, das erst viele Jahrhunderte später Deutschland genannt wurde, ist durch Einwanderer Asiens bevölkert worden, und unser Interesse folgt ihren Zügen in ein unwirtbares Land, wo der Kampf mit den wilden Tieren des Urwalds, Sümpfe und Ströme eben so wohl, wie ungewohnte Kälte, Hunger und Entbehrung mutvolle Wanderer sich eine neue Heimat nur Schritt um Schritt erobern ließen.
Schon waren die nächstgelegenen Landstriche von Asien aus bevölkert, als die Not, die Ueberfüllung, vielleicht auch die ewige Sehnsucht des Menschengeschlechts, das Bessere zu suchen, gewiß die Aermften des Volkes in ein Land führte, das sie zunächst enttäuschen mochte, wie Amerikas Wälder und Steppen den europäischen Einwanderer oft genug bereuen ließen, nicht daheim geblieben zu sein.
Geraume Zeit, wenigstens Jahrhunderte, waren darüber vergangen, in der die Einwanderer von Geschlecht zu Geschlecht sich anbauten und dem neuen Vaterlande das Beste abzugewinnen trachteten. Werkzeug und Waffe gingen Hand in Hand, eine sichere Zufluchtstätte zu schaffen gegen den wilden Ur, gegen Wolf und Bär des germanischen Urwalds, wie gegen alle Unbill des nordischen Klimas.
Die ältesten Nachrichten über all solche Vermutungen reichen zurück bis in das vierte Jahrhundert v. Christi (336—323), wo ein kühner Schiffer zur Zeit Alexander des Großen, namens Pytheas, von seinen Reiseerlebnissen in den nördlichen Gewässern berichtete. Verbürgter sind die Nachrichten römischer Schriftsteller aus einer Zeit, in der das Volk der Römer Jahrhunderte hindurch mit den Germanen in Krieg und Frieden in Berührung kam, und ist es hier besonders neben einem Livins, Julius Cäsar u. a. Tacitus (80 n. Chr.), der in seiner „Germania" oder dem Buche „über Lage, Sitte und Völkerschaften Deutschlands" in anziehender und geistreicher Darstellung unsern Vorfahren ein wahres Ehrendenkmal der Geschichte aufrichtet, das für alle Zeiten dem deutschen Volke unschätzbar bleibt, da Tacitus, „in seiner verirrten Zeit das nnbeirrte Gewissen", vor allen Dingen wahr sein will, zugleich aber in der Schilderung der Einfachheit, Sittenreinheit und Kraft der Germanen dem Volke der Römer ein nachahmenswertes Beispiel darzustellen trachtet. Dabei darf nicht vergessen werden, daß die in Luxus schwelgenden Römer die Germanen von ihrem
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Standpunkt aus beurteilen, und somit das „Barbarentum" der Germanen nicht ganz so niedrig anzuschlagen sein mag, als es römischer-seits natürlich ist.
Es mag zunächst scheinen, daß so ferne Zeiten unser Interesse weniger in Anspruch nehmen, als die vaterländische Geschichte der Neuzeit. Aber die alten Germanen tragen den deutschen Volkscharakter der Gegenwart mit seinen Vorzügen und Schäden so klar in ihren Zügen, daß sie uns vertraut, lieb und wert sind, sobald wir ihnen ins Angesicht schauen, und wir erkennen uns in Leid und Freude, in der Kämpfe Siegen und Unterliegen längst vergangener Zeiten als Glieder eines großen Vaterhauses. Zeit und Raum versinken in eines großen Wortes Herrlichkeit „Unser Vaterland".
Nur knrze Züge seien aus Tacitus' Germania entnommen, worin er äußere Erscheinung, Sitten und Gebräuche der „Ureinwohner" des Landes zwischen Rhein und Donau schildert, die ihre Abstammung von einem Gott, Tuisco, herleiteten, der in seinen drei Söhnen Stammvater seines Volkes wurde. Schon in ihrer äußern Erscheinung zeichneten sich die Germanen vor andern Völkern aus. Von ungewöhnlicher Größe, bis zu sieben Fuß, kraftvoll gebildet, entsprachen sie in ihrem langen blonden Haar, der zarten Haut und den treuen blauen Augen dem Schönheitsbegriff vergangener Zeiten, wie demjenigen von heute. In ihrer trotzigen Haltung war ihr unbändiger Mut ausgeprägt und unvertilgbare Freiheitsliebe, die sie an das Vaterland mit höchster Treue gefesselt hielt. Alles Aufzählen der herrlichsten menschlichen Eigenschaften schließt Tacitus mit dem Wort „so daß bei ihnen gute Sitten mehr vermochten, als anderswo gute Gesetze". Ein anderer römischer Schriftsteller, Agrippo, rühmt von den Germanen: „Groß sind ihre Körper, größer noch ihre Seelen", und der römische Dichter Lucanus: „Die Freiheit ist ein deutsches Gut."
Diesem Edelsinn entsprach nach Tacitus ihr Familienleben, ihre Treue in der Ehe, die sie für heilig hielten, ihre Achtung vor der Frau, die sich dieser Achtung voll und würdig zeigte und ihre Treue in der Gemeindeverbindung, der Markung und der sich daraus bildenden Gaugenossenschaft, wie gegen den Fürsten, der im Frieden ihr Richter, und gegen den Herzog oder Heerkönig im Gau, der im Krieg Führer seiner tapferen Mannen war.
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Die alten Germanen, die sich von Ackerbau, Viehzucht und Jagd ernährten, im Frieden aber gern sich träger Ruhe auf der Bärenhaut Hingaben, wohnten nicht in Städten und Dörfern zusammen. Wo es dem Einzelnen gefiel, baute er für sich und die Seinen eine leichte Hütte. Das Land, das diese umgab, wurde von den Frauen und Knechten des Hauses gepflegt, deren Helfer die Knaben waren, bis sie wehrfähig wurden und dem Vater zu Jagd und Krieg folgten. Das Bild der alten germanischen Ansiedlungen findet sich noch heute wieder in den westfälischen Bauernhöfen und Bauernschaften.
Die Gottesverehrung der Germanen, auf den Glauben an Unsterblichkeit gegründet, suchte über dem All Himmels und der Erden in dem Allvater Wnotan (altnordisch Odin) den allmächtigen, allwissenden, sich ewig gleichen Schöpfer. Ihn unterstützten in der Weltregierung zwölf andere Götter, Äsen genannt. Auch Wuotans Gattin, die Göttermutter Freia (altnordisch Frigga) mit ihren vornehmsten Söhnen, Zin (Tyr, Gott des Krieges) und Donner (Thor), wurden hoch und heilig gehalten neben andern guten Geistern, Elfen, Riesen und Zwergen. Vor allen andern aber wurde Hertha, die Erdenmutter, in den heiligen Hainen Rügens verehrt, wo das Bad ihres Bildes im Herthasee als hohes Frühlingsfest gefeiert wurde. Doch die Sklaven, welche mit den Priestern an dieser heiligen Handlung beteiligt waren, durften das Licht der Sonne nicht mehr schauen. Sie winden der Göttin geopfert, die nun wieder die irdischen Gefilde verließ, um im Lande der Himmlischen für ihre Erdenkinder zu sorgen. In diesen Wallfahrten zu den heiligen Hainen der Götter ruht schon die spätere Sitte christlicher Wallfahrten. Auch erinnern die Namen unsrer Wochentage an die Götter der Vorzeit, nach denen sie benannt wurden.
In dem schönen Götterhimmel, Asgard genannt, war die Himmelsburg Wallhalla, welche die im Kampfe Gefallenen zu ewiger Freude bei Göttermahl und Trinkgelage, zu neuen Kämpfen und Siegen aufnahm. Diesem Glauben an Unsterblichkeit entsprach wohl die Sitte, den Toten ihre Waffen, selbst Roß und Sklaven mit ins Grab zu geben. Auch Weiber und Kinder füllten die Himmelsräume -aber die Treulosen wurden in das Reich der bleichen Hela gewiesen. Doch einst wird die jetzige sichtbare Welt untergehen, wenn Loki, der böse Gott nach der Götterlehre, von den übrigen Göttern eingeschlossen
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sein roird in der Tiefe der Erde. Gott Allvater schafft dann einen neuen Himmel, eine neue Erde, in der kein Leid mehr ist.
Dieses in der Kürze gegebene Bild religiöser wie sittlicher Zustünde Germaniens führe zurück auf seine Geschichte.
1. Die Kämpfe der Cimbern und Teutonen mit den Römern.
Nach Jahrhunderten sicher und heimisch geworden in dem einst fremden Lande, machten sich einzelne Volksstämme der Germanen auf, ihre Nachbarlande zu besuchen, natürlich gerade nicht der Freundschaft wegen, vielmehr zu schauen, was sich Gutes und Brauchbares dort fände, das sie veranlassen könnte, sich weiter dahin auszubreiten, nachdem sie die im heutigen Westdeutschland sitzenden Kelten immer mehr verdrängt hatten.
Um das Jahr 113 v. Chr. zog durch das römische Reich eine bange Kunde von wilden, großen und streitbaren Männern, die von Worden her in das Land der Tauriöker, südlich von der mittlern Donau, eingebrochen waren. Cimbern nannte man die nordischen Krieger, denen sich hier und dort fremde Abenteurer anschlossen, so daß der Zug immer gewaltiger wurde. Ist es wahr, daß wilde Sturmfluten den germanischen Stamm der Cimbern aus der nordischen Heimat getrieben, war.es ein gewisser Uebermut, der die Krieger siegesgeroiß über die Grenze ihres Landes führte; eins ist sicher, Furcht und Schrecken ging vor ihnen her.
Bald fielen sie in das norische Gebiet ein, dessen Beroohner ■Freunde der Römer umreit, und als der römische Konsul des Jahres, C. Papirius Carbo, dem nordischen Heerführer begreiflich machte, daß die Römer in den Norikern beleidigt wären, entschuldigte sich dieser, bekämpfte aber selbst die Römer siegreich, nachdem römische Wegweiser ihn absichtlich irre geleitet hatten.
Noch roichen die Cimbern lieber dem mächtigen Römervolke aus. Sie verbanden sich nach Westen hin mit zwei Gauen der Helvetier und drangen in geroaltigen Heeresmassen über Rhein und Jura nach Gallien, roo sie nun mit den Römern feindlich zusammentrafen. Diese stellten ihnen nach einander vier Heere entgegen, welche sämtlich völlige Niederlage erlitten. Ja in der letzten Schlacht bei Arausio (Orange) an
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der Rhone wurden die zwei vereinigten Heere der Konsuln Cäpio und Manlins so weit vernichtet, daß von 80 000 römischen Kriegsleuten und 40 000 Troßknechten nur die beiden Konsuln mit zehn Mann entkommen sein sollen, „ihre Schmach in Rom zu künden." Von dieser Zeit an wurde „der cimbrische Schreck" sprichwörtlich in römischen Landen.
Aber die Siege über die Römer gaben den Cimbern fein sonderliches Selbstgefühl. Es bäuchte ihnen wohl nur in der Ordnung, daß derhöhe Germane ben kleinen Römer besiegte, ber ihnen schwach unb verächtlich erschien. Denn als sie Gesanbte nach Rom geschickt hatten, vor bem römischen Senat ihren Besitzstanb in Gallien festzustellen, zeigte man einem ber Senbboten bas Bilb eines Greises auf bem Formn Romanum mit ber Frage, wie hoch er bieses Kunstwerk schätze. Nicht umsonst wolle er einen solchen Mann besitzen, lautete bie verächtliche Antwort.
Zum Glück für Rom hatten sich bie Cimbern zunächst über bie Pyrenäen nach Spanien gewanbt unb kehrten (102 v. Chr.), von bort zurückgetrieben, nach Gallien zurück, wo sie sich mit einem andern germanischen Stamme, ben mit ben Ambronen uerbiinbeten Teutonen unter ihrem Anführer Teutobob, vereinigt hatten. Auch bie Helvetier schlossen sich ihnen an.
So brach ein Heer von mehr als 300,000 Mann nach Italien auf, siegesgewiß in ber Erinnerung an vergangene, Zeiten. Die Thörichten wußten nicht, baß sie, vermessen geworben, ihr Ziel nicht erreichen würben.
Jnbessen stand ein Mann in Rom an der Spitze des Staates, Marius, der Sohn eines Baueru aus Arginum, den bas Vertrauen bes Volkes wieberholt zum Konsul erwählte. In kluger Berechnung hatte er bas römische Heer barauf vorbereitet, ben langsam heranziehenben Teutonen gewachsen zn sein; ja selbst an ben Anblick bei* Germanen, bie in ihren hohen mit Feberbüschen geschmückten unb Tierköpfen nach-gebilbeten Helmen noch riesenhafter erschienen, gewöhnte er sie. Tagelang ließ er ben Feinb hereinstürmen, ehe er seinen Truppen gestattete, ben Kampf aufzunehmen.
Bei Aquä Sextiä (Air) an ber Rhone kam es enblich nach einem heißen Vorgefecht zu einer so blutigen Schlacht, wie sie bie Teutonen nie zuvor erlebten. Marius ließ bie gesamte Kraft eines wohl ge-
schulten, gewaltigen Römerheeres auf die Teutonen niedersausen. Dicht und dichter flogen die Massen der Eisenspitzen des römischen Pilums, vom römischen Fußvolk geschleudert, und noch ehe die Teutonen sich von dem vernichtenden .Hagel der totbringenden Waffe erholt hatten, wurden sie überwältigt von den nachdrängenden Truppen, die im kurzen Schwertkampf den Sieg vollenden halfen. Teutobod, der Anführer der Teutonen, war gefangen, sein Heer vernichtet, und nur das Jammergeheul der übrig Gebliebenen, die Wut der germanischen Weiber in der Wagenburg, die den Feind kampfbereit empfingen, aber auch unterliegen mußten, war das Ende eines Sieges, nach welchem die Römer den Marius zum fünften Mal als Konfnl erwählten.
Die mit den Teutonen anfangs vereinigten Volksmassen der Cimbern waren nach Osten über den Brenner hinab in das Etschthal gezogen, wo der römische Feldherr G. Lutatius Catulus den gefürchteten Barbaren auswich, die von dem Unglück ihrer Bundesgenossen keine Ahnung hatten, und es sich in Italiens Gefilden beim süßen Weine herzlich wohl sein ließen, der ihnen ein Göttertrank scheinen mochte gegen den herben Meth der fernen Heimat.
Mittlerweile wurde es für Marius möglich, sich mit Catulus zu verbinden; und als die Cimbern, für sich und die Teutonen, Land-strecken begehrten, sich friedlich neben den Römern anzubauen, gab Marius ihnen die spöttische Antwort, daß die Teutonen längst Land hätten, in dem sie gut ruhten. Dieser Hohn, durch den gefangenen Teutobod und feine Krieger in das richtige Licht gestellt, reizte die Cimbern zu höchster Wut, die nun durch ihren König Bojorich den Marius zum Kampfe herausfordern ließen.
Ueber drei Tage Entfernung, so lerntet der Bescheid des Marius (101 v. Chr.), wollten sich die Römer mit den Germanen in den „Raudischen Gefilden" (wahrscheinlich in der Gegend des heutigen Vercelli) treffen.
Gleich einem „uferlosen Meer" zogen die endlosen Heeresmassen unter ihrem reckenhaften König Bojorich heran, todesmutig und kriegsbereit, wie nie zuvor.
Die Cimbern standen mit 150,000 Mann Fußvolk, desseu vorderste Reihe sich mit ihren Gürteln aneinander gebunden hatte, als feste Mauer eines Vierecks, und 15,000 gepanzerten Reitern, die das Fußvolk überragten, gegen zwei römische Heere, nicht halb so viel an Zahl.
Schon neigte sich der Sieg auf der Cimbern Seite, als Marius seinen Göttern große Opfer gelobte, wenn sie ihm zum Siege verhelfen würden. Der Nebel, der bis dahin die Römer an Entwicklung ihrer Kriegskunst gehindert hatte, zerteilte sich; die hervorbrechende Sonne, Staub und Wind waren bett Cimbern entgegen, sie sanken im Kampfe dahin wie Halme des Kornfeldes unter der Sichel. Den wohl geschulten römischen Legionen mußten die wilden Haufen der Germanen trotz aller Tapferkeit unterliegen.
Bojorich fiel unter den Ersten, und 90,000 Cimbern bedeckten das Schlachtfeld. Noch einmal brachen auch hier die germanischen Frauen, in Trauergewänder gehüllt, aus der Wagenburg zum Kampf gegen die Römer hervor. In der Wut ihrer Verzweiflung, gleich den Männern erliegen zu müssen, schleuderten sie ihre Kinder unter die Räder der Wagen und gaben sich selbst den Tod. Mehr den 60,000 Germanen wurden Gefangene der Römer, denen die blondhaarigen Helden mit ihren Knaben nun Sklavendienst thun mußten. Andre wurden Gladiatoren in den grausamen Volksspielen Roms, und der Sklavenkrieg, der in den Jahren 73—71 v. Chr. in Italien tobte, fand in den gefangenen Germanen seine tapfersten Vertreter.
2. Ariovist, König der Germanen.
So nennt Julius Cäsar, der römische Konsul und Geschichtsschreiber, den heldenhaften Heerkönig aus dem Stamme der Sueven, der aufs neue wagte, mit streitbaren Mannen den Rhein zu überschreiten, zunächst von einem der gallischen Völker, den Sequanern, zu Hülse gerufen, die mit den Häduern kriegten. Es war ihm dieser Ruf willkommen gewesen; denn gleich einer Sage ging es durch Germanien, daß in dem Lande der Römer, das die südlichen Wasser umspülten, ein paradiesisches Leben sei.
Nun führte Ariovist, dem Lande zwischen Seine und Rhein immer mehr Germanen zu; in kurzer Zeit schätzte man die Einwanderer auf 120,000 Mann mit Weib und Kind. Und als die Gallier dem Eindringen der Germanen feindlich entgegentraten, besiegte sie Ariovist bei Magetobria (61 v. Chr.). Kaum drei Jahre später zogen neue germanische Völkermassen über den Rhein, und es entband ein solches Schieben und Drängen der Völkerschaften,
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daß die dadurch beeinträchtigten Helvetier nach Westen auszuwandern beschlossen.
In Rom war man seit den Siegen über Cimbern und Teutonen recht sicher geworden, bis die römische Republik, uon diei 9Jaitutct tt geleitet, Pompejus, Krassus und Julius Cäsar, in dem letzteren den Mann fand, der mit klugem Feldherrnblick die Gefahr erkannte, welche in dem Herandrängen der Germanen lag.
Zunächst mischte sich Cäsar in die Angelegenheiten der Gallier, deren Häupter ihn nach seinen Siegen über die Helvetier zu Hülfe riefen, und verlangte eine Unterredung von Ariovist, zu welcher dieser ihn aufsuchen sollte. Doch der Suevenfürst antwortete, wenn Cäsar-etwas begehre, möge er zu ihm kommen, und wenn er verlange, das; die Germanen Gallien verlassen sollten, so ginge das die Römer am allerwenigsten an. Uebrigens habe noch niemand anders als zun: eignen Verderben mit ihnen gekämpft; auch Cäsar werde erfahren, was das unüberwindliche Heer der Sueveu vermöge, das seit vierzehn Jahren unter kein Dach gekommen sei.
Da bemächtigte sich der Römer eine solche Furcht vor den Germanen, daß Cäsar sie nur mit großer Mühe kampfbereit machen konnte und durch seine Beredsamkeit das Ehrgefühl der Legioneil weckte. In der Nähe der reichen Hauptstadt der Sequaner, Vesontio, (Besancon) kam es zur entscheidenden Schlacht (58 v. Chr.), in welcher Ariovist, der bis dahin Unbesiegte, unterlag.
Die germanischen Völkermassen wurden über den Rhein zurück gedrängt; in wilder Flucht verließ Ariovist Gallieu, „das er mit demselben Rechte als „seine Provinz" betrachtet hatte, wie die Römer ihren Teil Galliens.
„Die Uebrigen alle," so schließt Cäsar in dem Bericht über die Niederlage Ariovists, „erreichten die Unsern mit der Reiterei und töteten sie." In den folgenden Jahren befestigte I. Cäsar die römischen Besitzungen in Gallien und am Rhein durch weitere Kämpfe mit germanischen Völkerstämmen, deren Darstellung er den Namen des „gallischen Krieges" giebt, die aber oft welsche Tücke gegen germanische Offenheit durch lügnerische Berichte zu decken sucht.
Obgleich es Cäsar gelungen war, viele Germanen in römische Dienste zu bringen, so wandelte sich doch bald der Zwiespalt ihrer Stämme zu dem
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Bewußtsein, daß nur in der Einigkeit Kraft sei. Sie wurden sich dem Römervolke gegenüber ihres edlen Volkstums bewußt und nannten sich selbst mit dem Namen, den ihnen einst ihre feindlichen, keltischen Nachbarn gaben, Germanen. Von nun au erscheint das ganze linke Rheinufer römisch (50 v. Chr.), mich ein Teil des südlichern rechten Rheinufers als oberes und unteres römisches Kleingermanien. Besonders nachdem Cäsar ermordet worden (44 v. Chr.) und Augustus als Herrscher an die Spitze der römischen Republik getreten war, unterschied römisches Recht und Gerichtswesen, römische Sitten und Gebräuche, selbst die Sprache der Römer diesen Teil Deutschlands wesentlich von dem übrigen freien Großgermanien, das sich nach Osten hin ausdehnte.
Auch von Süden her rückten die Römer die Nordgrenze ihres Reiches bis nach der Donau hin vor (15 v. Chr.), da die Alpenvölker beständig in Italien, Helvetien und Gallien einfielen. So wurde das rechte Donauufer noch römisches Gebiet.
Da aber Rom schließlich in dem eigenen Lande genug zu schaffen fand, auch seine Besitzungen nach Germanien hin nicht zu erweitern trachtete, belebten sich friedliche Bestrebungen, Handel und Gewerbe, so weit in jener Zeit davon die Rede bei den Germanen sein kann. Sie lernten von den Römern, mit denen sie verkehrten; germanische Fürstensöhne traten in römische Dienste und viele Germanen erlangten nicht nur das römische Bürgerrecht, sondern auch den Rang von Equites Romani, von römischen Rittern. Leider wurde auch mancher Germane Römer an Leib und Seele, und noch niemals blieb solcher Verrat am Volksgeiste ungerächt.
3. Erobernngsverjnche der Hörner in Germanien, dessen Befreiung von römischer Herrschaft.
Nicht umsonst hatten die Römer in einem Zeitraum von kaum zwei Menschenaltern alle wichtigen Punkte ihres Reiches, die an Germanien grenzten, alle ihre befestigten Garnisonen durch mächtige Heerstraßen verbunden, eine Riesenarbeit, deren Größe noch heute überwältigend erscheint, wenn man die geringen Hülfsmittel ins Auge faßt, durch welche große Hindernisse zu überwinden waren.
Vindonissa im Lande der Helvetier (Windisch an der Aar) war der Knotenpunkt, der die Straßen verband, nach Osten die Heerstraße
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der Donau zu bis Regensburg, die von da aus dem Laufe des Flusses bis Wien folgte, nach Westen dem Rhein zuführte, wo dann alle Militairkolonien berührt wurden, aus denen Städte erwuchsen, die heute noch an die Römer mahnen: Zabern, Worms, Mainz, Coblenz, !öotiti, Aachen u. s. f. Auch viele Städte im Süden Deutschlands, Salzburg, Passau, Linz, Wien n. a. sind Denkmäler längst vergangener Zeiten, in denen Rom dort Herrin war.
Als Cäsars Adoptivsohn und Erbe, Octavianus Augustus, zur
Herrschaft gelangt war, nachdem er seine verschiedenen Nebenbuhler besiegt, suchte er zunächst gleich seinem Vorgänger die Grenzen gegen die Germanen zu befestigen, war aber sehr entgegenkommend, wenn es sich darum handelte, ihnen nachbarlich gefällig zu sein, wie er dem
mit Rom befreundeten germanischen Stamme der Ubier selbst auf dem
linken Rheinufer Wohnplätze anwies. Es war die Gegend zwischen den heutigen Städten Neuß und Andernach, später wurde ihr Haupt-sitz Köln (Colonia Agrippinensis), nach der dort gebornen Gemahlin des Kaisers Claudius, Agrippina, so genannt.
War es Dankbarkeit, daß die germanischen Bewohner dieser Kolonien sich den Römern entgegenkommend bewiesen, noch mehr römischen Einflüssen sich hingaben? Gewiß i|t, daß gerade Colonia lange der Mittelpunkt römischer Macht am Rheine blieb.
Auch in Gallien befestigte Augustus die römische Herrschaft immer mehr und glaubte mit Recht Großes gewonnen zu haben, wenn es ihm gelingen könnte, zunächst die Grenzen Germaniens zu unterwerfen. Ein Anlaß wurde bald gefunden. Italische Kaufleute waren jenseits der Grenze von Germanen ermordet worden (25. v. Chr.), und die Römer hatten darauf hin einen Zug über den Rhein unternommen, der viel Erbitterung geschaffen hatte.
- Die Nachrichten über die Grenzstreitigkeiten scheinen eben so wohl in Germanien wie in Rom vergrößert worden zu sein. Die Römer nahmen Anlaß, mit großer Streitkraft nach Germanien zu ziehen. Augustus übertrug die Führung seinem Stiefsohn Drusus, der sich zuvor bei den Galliern dadurch beliebt gemacht hatte, daß er die Einweihung eines großen Denkmals bei Lugdunum (Lyon), das 60 gallische Völkerschaften der Stadt Rom und dem Augustus zu Ehren errichteten, vollzog, vornehme Gallier dazu als Priester bestellte und eine große Festlichkeit veranstaltete, die von da an lange als Jahressest gefeiert wurde.
Die folgenden Jahre umfassen heiße Kämpfe der Römer zur Unterjochung Deutschlands (12 bis 9 v. Chr.), wobei sie leider in germanischen Völkerschaften oft Bundesgenossen fanden.
Im ersten Feldzuge verwüstete Drusus die Gaue der Usipeter, Tencterer, Mattiaker, Sigambrer u. a., mußte aber zurückweichen, als sich Bructerer und Chauken mit jenen vereinigten. Doch bald war er zur See glücklicher, nachdem er durch einen Kanal Rhein und Zuydersee verbunden (Drnsuskanal), daun mit einer auf dem Rhein gebauten Flotte in der Nordsee zunächst bis zur Mündung der Ems vordrang, dort die Bructerer besiegte und mit den an der Küste wohnenden Chauken ein Bündnis schloß.
So kühn auch die Germauen im folgenden Jahre sich gegen die Römer rüsteten, wieder mußte an der unseligen Uneinigkeit der einzelnen Stämme ihr Unternehmen scheitern (11 v. Chr.), als Drusus
bei Castra Vetera (Xanten) über den Rhein ging und bis an die
Weser vordrang. Wohl brachte ein Ueberfall von sechs vereinigten germanischen Volksheeren die Römer in große Bedrängnis, aber gute Kriegszucht und Tapferkeit der römischen Legionen errangen trotzdem einen glänzenden Sieg über die schlecht geführten Germanen, die nun um so mehr uneins wurden.
Aviso, in der Nähe des heutigen Paderborn, wurde der erste feste <^itz der Römer in dieser Gegend, den bald eine gute Heerstraße mit
dem Kastell Vetera verband.
Auch in einem dritten Feldzuge war Drusus siegreich gegen die Chatten und Sigambrer (9 v. Chr.) und ließ, um das Eroberte zu behaupten, eine ganze Kette neuer Kastelle in Germanien anlegen, wovon allein die Rheingrenze durch fünfzig solcher Festungen gesichert werden sollte, deren Mittelpunkt Mainz war. Dann zog der kühne Römer siegreich auch nach Osten bis zur Elbe hin, verherrte das Gebiet der Chatten, Sueveu und Cherusker und mochte schon als letztes Ziel ein völlig unterworfenes Germanien schauen, als ihm, so meldet die ^age, eine germanische Wole oder Seherin entgegentrat und vom jenseitigen Ufer der Elbe mahnend zurief: „Wohin, Unersättlicher?
Nicht alles zu sehen ist Dir vorn Schicksal beschieden. Kehre um; denn schon bist Du am Ziel Deiner Thaten und Tage!"
Ein aufgerichtetes Siegeszeichen kündete nachfolgenden Zeiten den Crt, wo Drusus, der Weisung folgend, umkehrte. Kaum bis zur Saale gekommen, stürzte er mit seinem Rosse und brach den Schenkel.
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Der auf die Unglücksbotschaft aus Rom herbeigeeilte Tiber ms fand seinen Bruder noch lebend, aber als einen Sterbenden, dessen Leichnam er nach Rom führte, wo er auf dem Marsfelde verbrannt wurde; seine Asche später im Mausoleum beigesetzt.
Jetzt erhielt Tiberius den Oberbefehl über die Truppen, welche Germanien weiter unterwerfen sollten. Aber wo Drusus im ehrlichen Kampf gesiegt, unterwarf der grausame und finstere Tiberius die Sigambrer und andre germanische Völkerschaften, die ihre Gesandten zu Friedensverhandlungen an ihn absandten, durch Grausamkeit und List (8- v. Chr.). Auch war er wenig geneigt, Germanien durch weitere Kämpfe zu erringen. In Ungnade gefallen, zog er sich nach Rhodus zurück. Bald lag nun die militärische wie politische Verwaltung des Grenzgebietes gegen Germanien wohl organisiert in den Händen römischer Legaten.
Friedlicher Verkehr, Handel und Gewerbe ließen das Germanentum sich derart mit römischer Bildung verschmelzen, daß leider „selbjt die Laster der Barbarei sich mit der feinern Kultur der Römer deckten." Ein tief beklagenswerter Vorgang, der sich gerade Deutschlands weltlichen Nachbarn gegenüber noch manchmal wiederholen mußte. „Schon haben wir sie auch Geld anzunehmen gelehrt^, heißt es bei ^acitus. „Sie werden das Geldnehmen so leicht gelernt haben, als das Weintrinken."
Inmitten Germaniens erwuchs allmälig eine Macht gegen
solche Haltlosigkeit. Zunächst erkannten die Germanen das Übergewicht der Römer wie selbstverständlich an; statt sich gegen römische Uebergriffe zu wehren, wichen sie ihnen aus. Da stellte sich Marbod, ein Edeling ans dem Stamme der Markomannen, der gleich andern Germanen in und von Rom viel gelernt hatte, an die
Spitze der Sueoen, den Seinen eine neue Heimat zu suchen, um vor römischen Eroberungsgelüsten sicher zu sein. Er führte sie nach Böhmen und errichtete in dem ringsum durch Gebirge geschützten
Lande ein so starkes Reich (4 bis 6 v. Chr.), daß Rom mit Recht
für sich selbst besorgt wurde und sich bereit machte, auch hier die Germanen zu unterdrücken. Denn schon hatte Marbod seine Herrschaft über weitere germanische Stämme, Langobarden, Semnonen, Lygier und Vandalen ausgedehnt, und sein Königthum reichte bis zur Ostsee hin. Der rheinische Statthalter Sentius Saturuinus rückte von Westen,
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Tiberius von der Donau aus gegen Marbod; aber ein schwerer Aufstand der Pannonier und Dalmatier beunruhigte die Römer, welche nun gern in den von Marbod ihnen angebotenen Frieden willigten.
Das in den Germanen schlummernde Freiheitsgefühl hätte noch lange eingeschläfert werden mögen durch die Berichte der vielen Jünglinge und Männer, die mit römischen Würden und Ehrenzeichen geschmückt, beutebeladen heimkehrten, wenn sie unter den römischen Adlern für römische Interessen gekämpft hatten. Als aber ein neuer, römischer Statthalter, Quintilius Varus, im römischen Germanien über freie deutsche Männer die Rechts- und Freiheitsstrafen verhängte, wie sie römische Sklaven erfuhren, da fühlten die Germanen ihre tiefe Schmach. Erbittert über die Herrschaft fremden Rechts und fremder Sitte grollte das Volk so trotzig verschlossen, daß kein Zeichen dieser Erbitterung den Römern eher sichtbar wurde und sie gewarnt hätte, als bis die edelsten Vertreter des germanischen Volkes bereit waren, ihre Sklavenketten zu brechen.
Zwei Familien im Lande der Cherusker thaten sich zu dieser Zeit hervor, so daß sie auch in römischen Landen angesehen waren: Segesies, ein eifriger Parteigänger Roms, der von Augustus das römische Bürger-recht empfangen hatte und dessen Sohn Segimnnd in der Colonie (Köln) der Ubier ein römisches Priestertum verwaltete; dann Segimer, dessen Söhne Flavus und Armin auch iu römischen Diensten standen.
Armin, der gleich Marbod römischer Bürger und römischer Ritter war, hatte in Rom die für den Germanen entwürdigende Gesinnung der Römer kennen gelernt, in der sie Germanien als unterjochtes Land ansahen. Er kehrte in die Heimat zurück und schloß dort mit andern cheruskischen Fürsten einen geheimen Bund gegen die Unterdrücker, welche in thront Selbstbewußtsein nichts ahnten von dem Vaterlandsgefühl, das, von einem Einzigen ausgesprochen, längst die ganze Volksseele Germaniens erfüllte.
Marbod, an den Armin ebenfalls Botschaft gesandt, blieb teilnahmslos in der Ferne, zufrieden, mit Roms Bewilligung und Zustimmung ein Königtum zu besitzen, das er auch ohnedies hätte haben können. Von nah und sern aber eilten andere Germanenfürsten herbei, selbst «Legimund ließ sein Priestertum im Stich, um an der Befreiung des Vaterlandes teilnehmen zn können.
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Wen aber Gott verderben will, den schlägt er mit Blindheit. Nur so läßt es sich begreifen, daß die in ganz Germanien wohnenden Römer nichts von einer Verschwörung merkten, die von allen Seiten hervor zu brechen drängte. Varus gab selbst dem Armin den Oberbefehl über eine Abteilung römisch-germanischer Truppen, nicht ahnend, daß er den Cheruskerfürsten die Todeswaffe gegen die Römer in die Hand drückte.
Zum Scheine erbaten sich die Fürsten der Verschworenen, anch ganze Ortschaften und Gemeinden römische Gerichte und Besatzungen, als seien sie für das Römertum sehr eingenommen. Sie wollten dadurch nur die römische Militärmacht zersplittern. Auf den im gleichen Sinne gegebenen Rat germanischer Heerführer verließ Varus seine feste Stellung am Rhein, um sich, nun von römischer Hülfe abgeschnitten, an der Weser auszubreiten.
Segest, schon persönlich feindlich gegen seinen Neffen Armin •gestimmt, der ihm seine Tochter Thusnelda entführt und sich mit ihr vermählt hatte, warnte den Varus vor den Anschlägen der Germanen, die er freilich nicht genau kannte. „Doch", sagt Tacitus, „eine höhere Macht schien ihm den Sinn verblendet zu haben, damit Germanien frei erstehe." Denn Varus glaubte in Segestes Worten nur den Haß gegen den unerwünschten Eidam zu erblicken. Dazu lockte ihn eine Nachricht von einem Aufstande entfernter Völkerschaften noch tiefer in eine von Sumpf und Wald bedeckte Gegend, wo ein lleberfall der Germanen durch einen furchtbaren Regensturm unterstützt wurde.
Unter unsäglichen Beschwerden und Kämpfen, so lautete die unsichere Kunde, suchte Varus das feste Aviso an der Lippe zu erreichen, nachdem er bei kurzer Nachtrast einen großen Teil des Gepäcks hatte verbrennen lassen. Aber noch trennte ihn und seine Legionen eine Bergkette und eine sumpfige Ebene vom sichern Zufluchtsort. Gleich ■einer festgeschlossenen Mauer versuchten die römischen Truppen vorzudringen, immer von Germanen umschwärmt und durch diese nur -tiefer in das Land gelockt. Aber kaum war in der Gegend von
Detmold der Teutoburger Wald erreicht, wo die hohe Teutoburg
■emporragte, so drängten die Germanen aufs neue heran und mit Mühe
gelang es den Römern, in der Ebene ein festes Lager aufzuschlagen,
aus kurzer Nachtruhe immer wieder durch das Kriegsgeheul der ^Germanen aufgescheucht. Als sie wiederum nach kurzer Rast am
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dritten Morgen den südwestlichen Abhang des Waldes erreichten, dehnte sich ein endloses Nebelmeer vor ihren Blicken aus; denn der Regen strömte in Bächen herab; er erweichte selbst die Bogensehnen der römischen Soldaten. Wohin das Auge schaute, wie sehr auch die Legionen mutig in dem Lande vordringen wollten, das die Senne heißt, überall standen die Germanen gleich Mauern, endlos schienen ihre Heere.
Der Himmel selbst war mit den Germanen im Bunde, die nun von allen Seiten heranstürmten. Sie waren Unbilden des vaterländischen Klimas eher gewachsen, als die Römer, die in dem Schlamm nicht vorwärts kamen. Hier an dem Passe, der am Tent- und Falkenberg vorbeiführt, dort von den waldigen Höhen herab in das Thal, von der Lippe herüber, immer dichter, immer enger umdrängten germanische Völkerschaften die römischen Legionen, die hier zurückwichen, dort vorwärts gedrängt wurden. Die einst sieggekrönten römischen Adler sanken dahin mit den Reihen der Tapfern im Römerheer, und Varns, schwer verwundet, wollte die Schmach seiner Niederlage nicht überleben. Er gab sich selbst den Toi).- Nur wenige erreichten in wilder Flucht das rettende Aviso. Das war die Freiheitsschlacht Herrmanns (Armin) des Cheruskers aus dem Winfelde im Teutoburger Walde (9., 10., 11. Sept. 9 n. Chr.), in der Rom drei seiner besten Legionen verlor, und die römische Statthalterschaft in Germanien ein Ende hatte.
Nun wurden römische Edle Knechte der Germanen, und viele ihrer Helden wurden germanischen Göttern geopfert. Das Haupt des Varus sandte Armin an Marbod, der sein Vaterland lieber verlassen hatte und unthätig im fernen Böhmerlande blieb, statt zu helfen, Germanien vom fremden Joche zu befreien.
Rom aber, das sich eben bereit machte, einen Triumph zu feiern, der die völlige Niederwerfung des Aufstandes in Pannonien und Dalmatien feiern sollte, mußte nun klagen über die schmachvolle Niederlage in Germanien. Kaiser Augustus zerriß in verzweiflungsvoller Trauer sein Gewand, lernt jammernd um den unwiederbringlichen Verlust: „Varus, Varus, gieb mir meine Legionen wieder!"
Er gelobte den Göttern reiche Opfer, wenn sie ihm gnädig helfen wollten, das römische Reich zu retten, das er schon verloren glaubte. Alle Deutschen wurden aus römischen Diensten entlassen, um wenigstens vor ihnen in Rom sicher zu sein, und die Germanen kehrten still an
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den häuslichen Herd zurück. Gewiß war es in Gottes Ratschluß begründet, daß die Germanen nicht römische Knechte sein sollten, wenn auch noch manche Kämpfe diesen Weg der Freiheit bahnen mußten.
4. Die Römer wieder in Germanien.
Im fünften Jahre nach der Schlacht im Teutoburger Walde starb Kaiser Augustus, dem sein Stiefsohn Tiberius in der Herrschaft folgte (14 n. Chr.). Dieser Regierungswechsel war für Deutschland in sofern von Bedeutung, als Germanicus, der Neffe des Tiberius, der Sohn des römischen Helden Drusus, einen unter den Legionen am Rhein ausgebrochenen Aufstand dadurch zu dämpfen suchte, daß er das Interesse der Soldaten nach anderer Richtung hin abzuleiten bestrebt war. Schon wollten sie ihn statt des ungeliebten Tiberius zum römischen Herrscher ausrufen, als er sie über den Rhein führte, die Niederlage im Teutoburger Walde zu rächen.
Er überfiel zuerst die Marsen, einen Stamm der Chatten (zwischen Ruhr und Lippe), da sie eben ihren Göttern festlich geopfert und sich darauf sorgloser Ruhe hingegeben hatten. Das Heiligtum wurde dem Erdboden gleich gemacht. Wohl griffen germanische Völkerschaften das römische Heer beim Rückmarsch an; aber, schlecht geführt, wurden sie zurückgedrängt, und die Römer konnten sich zu neuem Angriff bereit machen. Der Hauptfeind, den Germanicus ins Auge faßte, waren die Cherusker (15 n. Chr.), durch einen Streit entzweit, der in den Familienverhältnissen seinen Grund hatte, ©egest, der Römerfreund, haßte seinen Schwiegersohn, den heldenhaften Armin (Hermann), dessen Name in aller Munde war. Das würde für die Römer wenig in Betracht gekommen sein, wenn nicht dadurch der mächtige Stamm der Cherusker in unheilvolle Spaltung geraten wäre, durch welche die einzelnen Völkerschaften um so leichter zu besiegen waren. Das Jahr Neun hatte den Germanen noch nicht die Lehre gegeben, wenigstens dem äußeren Feinde gegenüber einig zu bleiben. Der Legat G. Cäcina rückte mit seinen Truppen von Köln und Xanten in das Lippegebiet, indes der Oberfeldherr Germanicus mit vier oberrheinischen Legionen von Mainz aus in das Chattenland vordrang, dort alles verheerte und sich mit vielen Gefangenen zurückzog, ohne daß irgend ein anderer Volksstamm den Chatten zu Hülfe gekommen wäre.
Born hak, Unser Vaterland.
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Mittlerweile hatte Segest fein Gefolge aufgeboten unb ben eigenen Neffen unb Schwiegersohn Armin gefangen genommen, wogegen Armins Mannen bem ©egest auflauerten unb ihn fesselten. Der gegenseitige Austausch ber Gefangenen war bantm kein Friebe unb als es gar ©egest gelang, feine Tochter ^husnelba wieber in feine Gewalt zu bekommen, belagerte Armin bie Burg seines Oheims unb Schwiegervaters, bem Germaniens auf Bitten Segimunbs, Segests Sohn, zu Hülfe kam. Germaniens entsetzte zwar bie Burg, nahm aber Thusnelba als Gefangene mit sich, eine Schmach für ben eignen Vater, ber sie bem Feinbe gleichsam als Siegesbeute überließ. Die germanische Fürstin mußte ben Triumphzug bes Germaniens verherrlichen. Im fernen Römerlanbe gebar sie ihrem Gatten einen Sohn, ben biefer niemals schauen sollte.
Arminius eilte von Gau zu Gau, Fürsten unb Völker gegen bie Römer aufzubieten, bie ihm sein Weib geraubt. Die Germanen, bie Stammesgenossen sollten wählen zwischen ihm unb Legest, zwischen bem freien Germanien unb „bem besiegten Ufer", zwischen altheimischem Brauch unb ben Tributen unb Zwingherrfchaften ber Römer.
Als nun Germaniens aufs neue feine Truppen über ben Rhein, nach ber Ems zu, führte unb fein Heer mit bem bes Legaten Cäcina vereinigt hatte, eine Waffenmacht, bie auf 80,000 Mann geschätzt wurde, ba mochte er glauben, unbesiegbar zu sein.
In ber Schlachtebene bes Teutoburger Walbes angekommen, fanb Germaniens bie traurigen Spuren ber Nieberlage bes Varus. Dort bleichten bie Gebeine ber Gefallenen aus jener Schlacht; bie halb zerstörte Linie bes Lagers war noch sichtbar, unb in bem Walbesbunkel staub ber Altar noch unzerstört, auf bem Römer germanischen Göttern geopfert worben waren. Von ben Bäumen herab grinsten bie angenagelten Römerköpfe als hohle Schäbel. Germaniens ließ bie Gebeine ber brei Legionen zusammentragen unb unter einem gemeinsamen Grabhügel bestatten, so baß ben Gefallenen unb Geschändeten sechs Jahre nach ihrem Tobe bie Totenehren würben.
Schon war man auf chemischem 33oben, wo Armin ben Feinb erwartete. Wohl behaupteten bie Römer trotz eines übereilten Reiter-angriffs bas Schlachtfelb; aber Germaniens zog bennoch, statt weiter zu bringen, ben Rückzug vor, ben er selbst zur See wählte; nur mit genauer Not entging er unter großen Verlusten ben wilben Sturmfluten. Cäcina sollte bie alte Heerstraße ber „langen Brücke",
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welche Drusus durch den Moorgrund des Lippegebiets geführt hatte, zu Lande ziehen. Doch fand er diese beim Weitermarsch von Armin besetzt, der den Römern auf Waldpfaden zuvorgeeilt war. Nur mit Mühe konnte Cäcina zu kurzer Ruhe für seine Truppen ein Lager aufschlagen, das die Germanen von den Waldhöhen aus durch herabgeleitete Bäche unter Sumpf zu setzen suchten, so daß Armin mit Recht den Seinen zurufen mochte: „Siehe den Varus und seine Legionen!" Vielleicht mochte auch hier der durch Regen aufgeschwemmte Boden Verderben bringen.
Aber den Germanen sollte wiederum ihre Uneinigkeit verhängnisvoll werden. Armins Rat, den Römern stets kurzen Vorsprung zu gewähren, um ihnen wiederholt entgegenzutreten, wurde nicht als
Befehl genommen. Lieber folgten die Germanen dem Wunsche Jnguiomars, Oheim Armins, der einen sofortigen Sturm auf das römische Lager begehrte, damit reichere Beute zu erlangen.
Die wilden Anläufe lösten vollends Ordnung und Einigkeit der Germanen, so daß dadurch der feindliche Rückzug möglich war. An den römischen Ufern des Rheins aber ging das Gerücht von schweren Niederlagen der Römer, und schon wollte man die Brücken bei Vetera an der Rheingrenze abbrechen, um die Verfolgung der Feinde zu hindern, zugleich aber die römischen Truppen preisgeben. Aber die
tapfere Gemahlin des Germaniens wich nicht von der Hauptbrücke, bis die Heimkehrenden sie überschritten hatten. Hier stand sie, teilte Nahrung und Kleidung an die sehr herabgekommenen Truppen aus und suchte den Verwundeten hilfreich zu sein.
Den Germanen war ihres Landes Eigenart, sein Klima ein treuerer Verbündeter gewesen, als viele Stammesgenossen. Die Römer hatten unverrichteter Sache wieder abziehen müssen.
Germanicus aber, über dessen Erfolge Tiberius eifersüchtig wachte, suchte durch einen Hauptfeldzug seinen Ruhm zu sichern. Er baute mit Hülfe der Bataver eine Flotte von 1000 Fahrzeugen, um von der Nordsee aus an den Mündungen der Ems und Weser zu landen, wo ihn Armin mit den Cheruskern erwartete. Auf dem
jenseitigen Ufer der Weser stand Flavns, der Bruder Armins, der
im römischen Heere diente. Er hatte in einem der letzten Kämpfe ein Auge verloren, und das gab zunächst Anlaß zu einem Gespräch der Brüder. Flavus berichtete auch von Armins Gemahlin Thusnelda und
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dessen Sohn, die beide von den Römern als Edle behandelt würden. Doch Armin sprach hinüber von dem heiligen Rechte des Vaterlandes, von der angestammten Freiheit, die Rom in Ketten geschlagen. Immer ernster, immer begeisterter wurden die Brüder von dem, was ihre Seele erfüllte, bis endlich Flavns zornig Roß und Rüstung begehrte und Arminius in gleicher Heftigkeit den Kampf entscheiden lassen wollte. Mit Mühe beschwichtigte man die feindlichen Brüder, nicht aber die Römer und Germanen, die sich am nächsten Tage in heißem Kampfe trafen.
Der germanische Heerführer redete auch hier von dem Uebermut, von der Grausamkeit der Feinde und daß den Germanen nichts bleibe, als statt der Knechtschaft den Tod zu wählen. Aber das Ungestüm der germanischen Kriegshaufen war den Plänen Armins entgegen. Sie erlitten eine schwere Niederlage aus dem Jdistavisofelde (Elfenwiese) bei. Münden (16 n. Chr.).
Der Tag konnte unter die großen Siege römischer Geschichte verzeichnet werden. Die Verlnste der Germanen waren so groß, daß allein aus den von ihnen erbeuteten Massen ein Siegesdenkmal errichtet wurde, daß die Namen der besiegten Völkerschaften trug, und über meilenweiten Strecken hin lagen die Leichen der Germanen ausgestreut, wie ein schlafendes Heerlager.
Armin war gleich seinem Oheim entkommen, wie es heißt, weil germanische Hülfstruppen der Römer ihn erkannt hatten und ehrfurchtsvoll den tapferen Cheruskerfürsten unangetastet ließen.
Todesmutig wollten die Germanen den Römern diesen Sieg wett machen und den heimatlichen Boden bis auf den letzten Mann
verteidigen. Am Steinhuder See trafen die feindlichen Heere aufeinander, und die Germanen kämpften noch einmal verzweifelt um ihre Freiheit, bis die Nacht dem Kampfe ein Ende machte. Armin selbst
war schwer verwundet und kampfunfähig. Die Römer aber
meldeten von einem Siege, ohne gesiegt zu haben. Germaniens
gab seinen beabsichtigten Zug nach der Elbe auf und ging nach dem Rhein zurück, auf dem seine mit Beute schwer beladene Flotte zum Teil unterging, teils an die Ufer verschlagen und zerstört wurde. Er verwüstete auf seinem Rückwege nach dem westlichen Germanien das Land der Chatten und Marsen und gedachte im folgenden Jahre die Cherusker endlich völlig zu unterwerfen, als Tiberius ihn zurück-
rief mit betn Bemerken, in Germanien sei genug gethan; „man solle die Deutschen lieber ihrer eigenen Zwietracht überlassen." Germaniens erhielt bett Oberbefehl römischer Legionen im Orient, wo er bald an den Folgen einer Vergiftung starb (19 n. Chr.).
Als äußere Feinde Germanien nicht mehr bedrängten, brach ein Bruderkrieg aus zwischen Marbod, dem „Trabanten des Kaisers", wie ihn Armin nannte und den von ihm bedrängten Langobarden und Semnonen, die Armin um Hülfe riefen, der nun an der Spitze der Verbündeten gegen Marbod, zog. Marbod hatte den treulosen Tiberins um Hülse ersucht; letzterer jedoch überredete einen gothischen Fürsten, namens Catnalda, in Marbods Hauptstadt einzubrechen, ihn selbst zu vertreiben und sich seiner Schätze zu bemächtigen. Marbod wußte über die italienische Grenze fliehen und nahm gern den ihm von Tiberins angewiesenen Zufluchtsort zu Ravenna an, wo er nach zwanzigjährigem Aufenthalt endete, „weil er," so sagt Tacitus, „zu viel Liebe zum Leben besaß."
Nun war Germanien — es sei der Name Deutschland schon jetzt nicht ausgeschlossen, der eigentlich erst ein Jahrtausend später auftritt — frei von äußeren und inneren Feinden, und Armin hätte sich des erreichten Ziels und seines Kriegsruhms noch lange erfreuen mögen, iüernt nicht feine hervorragende Stellung den Neid andrer Fürsten erregt hätte. Schon während der Feindseligkeiten gegen Marbod hatte ein Vornehmer der Chatten den Römern angeboten, den Cherusker Armin zu ermorden, aber ihm war die Antwort geworden, daß das römische Volk gewohnt sei, seine Feinde auf andere Weise zu strafen. Nun beschuldigten vornehme Germanen den Cheruskerfürsten, die Freiheit der Volksgenossen zu beeinträchtigen, indem er nach einer Königswürde trachte, die alle andern überrage.
Armin war allerdings bestrebt, die gemeinsame Kraft durch Bündnisse der Völkerschaften zu stärken; es würde eine natürliche Folge gewesen sein, daß er, der Sieghafteste unter allen, an der Spitze dieses Germanenbundes gestanden hätte; die Freiheit des Volkstums hätte unter einem zielbewußten Führer wohl gewahrt bleiben mögen. Nun aber mußte der Großeste unter den Großen Deutschlands ein Opfer des Neides werden (21 n. Chr.). Er starb, 37 Jahr alt, zwölf Jahre nach der Schlacht im Teutoburger Walde, an Gift, unbestimmte Nachrichten sagen, von den eigenen Verwandten ermordet. Aber er lebte weiter in den Heldenliedern seines Volkes, im Gedächtnis des
dankbaren Vaterlandes, das seinem großen Sohne fast zwei Jahrtausende später, auf der Grotenburg bei Detmold ein Denkmal errichtete. Doch — „Auch ein Klagelied zu sein im Munde der Geliebten ist herrlich. Denn das Gemeine geht klanglos zum Orkus hinab."
5. Fehden der Deutschen nntereinander und mit den Römern. Claudius Civilis, der edle Bataver.
Die von Armin angestrebte Einheit Deutschlands scheiterte nach seinem Tode immer mehr an den Interessen der einzelnen Völkerschaften und die Zersplitterung artete oft in kleinliche Erbärmlichkeit aus. Mancherlei Feindseligkeiten mit den Römern erhöhten die wenig friedliche Stimmung.
Ein römischer Centurio (niederer Heerführer) verlangte von den Friesen, die einen Tribut an Rindshäuten zu entrichten hatten, diese nach dem Normalmaße der Häute der größten Auerochsen. Das hatte im Volke solche Erregung hervorgerufen, daß es zu einem blutigen Treffen 28 n. Chr. im Badnhennawalde kam, in welchem 900 Römer gefallen sein sollen. Zwar wurden die Friesen als Bundesgenossen gewonnen; aber die Römer versuchten vergeblich, ihnen ihr zu hohes Selbstbewußtsein abzugewöhnen. Beispielsweise eigneten sich die Friesen ohne Weiteres ein Ackergebiet an, das für den Bedarf der Legionen bestimmt war, dann erst schickten sie Gesandte nach Rom, ihr Recht daran geltend zu machen. Dort wurden sie ehrenvoll empfangen, auch als Gäste in das Pompejustheater geführt. Als sie auf ihre Erkundigungen erfuhren, daß die vorderen Bänke für Ehrengäste bereit ständen, kletterten sie eiligst über die Hinteren Sitze hinweg, dorthin zu gelangen, mit dem Bemerken, daß niemand würdiger sei, als sie, diese Plätze einzunehmen.
Tiefere Unruhen beherrschten das Land der Cherusker, die 47 n. Chr. endlich sich so weit vergaßen, von Rom einen König zu erbitten, der ihnen in Jtalicus, dem Sohne Flavus', Armins Bruder, gegeben wurde. Er war ihnen als Abkömmling ihres Stammes willkommen; aber deutsch von Geschlecht, kam er, ein Römer geworden an Sinn und Gebräuchen, in das Land seiner Vorfahren. Er fand dort viele Feinde, deren er sich nur durch fortwährende Kämpfe erwehren konnte. Aehnlich sah es im übrigen Germanien aus, und tiefe Wehmut kann uns noch
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heute ergreifen über solche Fehden, in denen Deutschland die Kraft vergeudete, durch die es hätte unbezwingbar werden können. Es wird von einem Kampfe der Chatten und Hermunduren um heilige Salzquellen berichtet (fränkisches Saalgebiet), in^ welchem der unterliegende Stamm den Kriegsgöttern geopfert werden sollte, „jn dem Kampfe um Leben und Tod wurden die Chatten besiegt und erbarmungslos hingeschlachtet mit Mann und Roß.
An den Ufern der Ems entzweiten sich die Chauken und Angrivarier in gleich erbittertem Kampfe. Die letzten wurden vertrieben und erbaten, nun heimatlos umherirrend, von den Römern die Landstriche, welche den Friesen verweigert worden waren. In ergreifender Weise jpvach der Führer dieser Heimatlosen davon, wie der Himmel den Göttern gehöre, daß sie aber die Erde den Menschen gaben, das Feld zu bauen und von den Früchten ihrer Arbeit Zu leben. ~ien 5lief zur Sonne gerichtet rief er verzweifelt zu Gott Allvater, ob er den Gräuel mit ansehen könne, daß die Felder verwüstet und unbestellt Ingen und Germaniens Söhne heimatlos umherirrten. Alles vergeblich. Auch der Versuch, Bundesgenossen in den Bructerern und Teutonen zu gewinnen, scheiterte, und man hört von diesem unglückseligen Stamme der Angrivarier, wie er hier verjagt, dort besiegt und niedergemacht, der Rest als Kriegsbeute verkauft wurde.
War es zu verwundern, wenn sich jetzt mancher Stamm der Deutschen fragen mochte, ob „der Friede oder die Freiheit das wünschenswerteste Gut sei?" Das römische Germanien, die Stämme am Rhein, welche unter römischer Herrschaft standen, waren wohl eine zur Ruhe gezwungene Macht, doch ein Land, das sich anbauen und stärken konnte, von Rom lernte und deutschen Geist in sich trug.
Aber Roms Macht war nur ein übertünchtes Grab. Nachdem der grausame Kaiser Nero, um der Volkswut zu entgehen, sich von einem Sklaven hatte töten lassen, und in Rom ein Ringen verschiedener Statthalter um die Kaiserwürde entstand, erinnerten sich auch die germanischen Völker unter römischer Herrschaft ihrer Abkunft und versuchten sich gleich andern Völkern jenseits der Alpen frei zu machen. Sie meinten jetzt die Zeit gekommen, von der Orakelsprüche meldeten, daß die Weltherrschaft von Rom genommen und an die nördlichen Völker übergehen werde. So erhob sich am Rhein ein Aufstand unter Claudius Civilis aus dem königlichen Geschlechte der Bataver. Es wird von ihm berichtet, er habe nur ein Auge gehabt,
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doch damit mehr gesehen, als- unzählige andre Germanen, die sich Rom ergaben. Er war einst seiner Freiheitsbestrebungen wegen in Rom gefangen gehalten worden, nach Neros Tod frei gegeben und in die Heimat zurückgekehrt, während sein Bruder, ohne Beweis, nur auf die Anklage hin von den Römern hingerichtet worden war. Bald hatte er ein stattliches Heer aus verschiedenen Völkerstämmen um sich ge-sammelt, mit dem er einen glänzenden Sieg über die am Rhein stehenden römischen Legionen davon trug, nach welchem er den Gefangenen freistellte, in ihre Heimat zurückzukehren; sie wurden Sendboten, von der römischen Niederlage zu berichten. Darauf kehrten ganze Heeresabtheilungen der Germanen, die bis dahin willig Roms Kriege gegen ihre Stammesgenossen ausgefochten hatten, einfach um und verstärkten so die Macht der Germanen. Je mehr Siegesnachrichten von Civilis Heer in das Innere Germaniens drangen, desto größere Volksmassen wälzten sich zur Grenze hin, dort die Zwingburgen der Römer zu Fall zu bringen.
Im Lande der Bructerer lebte um jene Zeit eine Jungfrau, namens Veleda, vor der, so heißt es, die Zukunft entschleiert war. Ihrem Wort glaubten die Germanen, besonders Civilis, daß „die Götter den Kamps billigten, und die Römer im alten Lager (3santen) untergehen würden." Selbst vornehme Gallier verbündeten sich mit Civilis, „dem göttlichen Reiche" Treue zu schwören und die römischen Lager vereint zu zerstören. Bald waren alle Festungen bis auf Mainz und Vin-donissa (Windisch in der Schweiz) gefallen, und der Rhein wieder ein freier germanischer Strom.
Doch gelang es dem römischen Kaiser, die Germanen gegen ihren tapfern Anführer aufzuwiegeln, dem endlich nichts weiter übrig blieb, als einen Frieden anzunehmen, der den Batavern tributfreie Bundesgenossenschaft sicherte. Von Civilis erfährt man nur noch, daß er sich, in seinen Hoffnungen getäuscht, die er an den Aufstand geknüpft haben mochte, auf die batavische Insel (Niederlande) zurückzog, und daß sein Name im dankbaren Volke weiterlebte als „der gute, tapfere Claas".
Aber der Ruhm der Germanen war so gewachsen, daß es den Römern als höchste Ehre erschien, Siege über dieselben zu feiern. Da diese fehlten, mußten blond gefärbte Sklaven von stattlicher Größe in verächtlichem Truge gefangene deutsche Fürsten darstellen, die vor dem Triumphwagen herschritten. So erzählt Tacitus.
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Zu dieser Zeit vollendeten die Römer einen riesigen Grenzwall ihres Reiches aus Türmen, Burgen, Wallmauern und Gräben bestehend, der sich an jene Militärstraße anlehnte, welche sich seit Drusus Zeiten durch Deutschland hinzog. Diese Riesenbauten erschienen spätern Jahrhunderten wie von dämonischen Kräften aufgerichtet, und die Nachwelt nennt noch heute die Ruinen jener Wunderstraße Teufelsmauern.
Länger als ein halbes Jahrhundert hindurch hatten die Germanen in Frieden gelebt, als wieder einzelne Stämme in römisches Gebiet einfielen. Zunächst mochten diese Kriegszüge dort wenig Bedenken erregen, bis sie als eine große Vereinigung vieler Völker zu ernsten Befürchtungen Anlaß gaben. Bald überfluteten germanische Heeresmassen die römischen Lande 166-180 n. Chr., besonders Pannonien (Ungarn), und voll abergläubischer Furcht trieb man auf Rat eines egyptifchen Wahrsagers zwei Löwen über die Donau, um die Deutschen zu erschrecken. Diese hielten die Löwen für Hunde und schlugen sie mit Knütteln tot. Aber in der darauf folgenden Schlacht töteten sie 20,000 Römer.
Langsam aber sicher erstarkte in Deutschland das Bewußtsein eines sittlichen Uebergewichts über die Römer, und die in jugendlicher Kraft sich vermehrende Bevölkerung begann sich naturgemäß auszubreiten. Auch die Slavenwelt im Osten von Europa begann sich zu recken und gleich den Germanen zn fühlen, daß dem Mutigen die Welt gehöre. Dazu mochte die ewige Sehnsucht, welche die nordischen Bewohner dem Süden zudrängte, nicht ohne Anteil an einer Vereinigung sein, die sich jetzt in vier großen Völkerbündnissen darstellte und mit den Völkerströmungen von Ostasien her in eine große Bewegung eingriffen, welche die Geschichte mit dem Namen der großen Völkerwanderung bezeichnet. Es sind die Allemannen, Franken, Sachsen, Gothen, und es lohnt wohl der Mühe, sich diese Völkerstämme genauer anzusehen, da sie Jahrhunderte lang die Geschichte beeinflussen:
1. Die Allemannen (alle Männer) hatten ihre Wohnsitze zunächst diesseits, d. h. nordwestlich des von den Römern errichteten Grenzwalls, den sie später überschritten und sich bleibende Wohnsitze innerhalb römischer Grenzen eroberten. Sie fanden dort ihre zweite Heimat, so daß Allemannien zu Anfang des fünften Jahrhunderts nach Süden hin bis zu den Alpen, im Westen bis zu Jura und Vogesen reichte, nördlich bis zur Lahn, östlich bis zum Lech. Zu ihnen gesellten sich
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©neuen (Schwaben), unb würben so beibe Stämme ein Volk, bie Allemannen ober Schwaben.
2. Die Franken, ursprünglich Sigambrer, angesessen an Ruhr unb Rhein, bann bis zur Assel (Jfala, Sale) banach Salier genannt, gaben sich, vereint mit anberen Völkerschaften ben Namen Franken (Freie ober von ihrer Waffe Francia so genannt) unb breiteten sich an ben Ufern bes Nieberrheins bis zu beffen Münbung aus. Sie besetzten Batavia unb bie Rieberlnnbe unb würben mächtig zur See. Vielfach burch bie Sachsen gebrängt, saßen sie zu Enbe bes fünften Jahrhunberts von ben Arbennen bis zur Ruhr, westlich bis zur Maas.
3. Die Sachsen, nach ihrem kurzen Schwerte sahs genannt, setzten sich aus Cheruskern, Angrivariern unb CHauken zusammen, zu benen nachher bie Norbalbinger (überelbische Sachsen) hinzukamen. Sie bccften ben Harz unb bas Semb jenseits ber Elbe bis zur Eibergegenb. Auch sie würben mächtig zur See.
4. Die Gothen, zu Enbe bes zweiten Jahrhunberts an ber Weichselmünbung, breiteten sich allmählich bis zur Donau unb zum schwarzen Meere aus unb fielen von bort oft siegreich in römisches Gebiet, bas ihnen manchen Tribut zahlen mußte. Ermutigt burch ihre Siege machten sie mit anbern germanischen Stämmen verwüstenbe Züge nach Kleinasien, verheerten Griechenlanb unb verbreiteten Schrecken, wohin sie kamen. Sie gelten als bie Gebilbetsten unter ben Deutschen jener Zeit. Schon in ber zweiten Hälfte bes britten Jahrhunberts fanb bas Christentum bei ihnen Eingang, bas ein Jahrhunbert früher burch römische Legionen nach ben Rheinlanben kam, so baß bort zu Enbe bes britten Jahrhunberts schon christliche Gemeinben, selbst Bischofssitze gegrünbet würben.
das römische Reich.
Eine mächtige Bewegung ber 93ölfer schien alle Cibuutigen bei ganzen Welt aus beu Angeln zu heben: bie grosse Völkerwanbernng, deren Unsang unb Cnbe sich nicht butch Jahreszahlen begrenzen lassen, unb nur bie größte anregenbe 2Sotfsfi"Cift berselben läßt einen Zeitpunkt
für ihren Anfang annehmen.
Auf ben Hochebenen Ostasiens wohnte feit unbeitfüchen 3c^e11-wilbes Volk, bie Hunnen. Nach Abstammung mit Japanern unb Chinesen verwanbt, waren sie biesen nur gefürchtete Feinbe, vor benen sich China burch eine sich an ber ganzen Norbgrenze bes LanbeS hin-ziehenbe Riesenmauer zu schützen suchte.
Währeub einige Stämme ber Hunnen gleich ihren chinesischen Nachbarn mit ber Zeit zu friedlichen Beschäftigungen übergingen, folgten embere betn Wanbertriebe (375 n. Chr.\ sich jenseits ber Berge neue Wohnsitze zu suchen, weil bas einst so mächtige Hunnenreich an mancherlei Zerwürfnissen krankte. Sie setzten ihre Wanbernngen bis zur Wolga fort, wo sie auf bas Volk ber Alanen stießen, bie mit ihnen vereint nach Germanien bis zur Ostsee hinzogen. Hier schlossen sich germanische Stämme betn großen Völkerzuge an, ber bas römische Neich beunruhigte unb in Gallien unb Spanien neuen Länberbesitz eroberte.
Die Hunnen, ein völlig barbarisches Volk gegenüber ben Völkerschaften bes Westens, verbreiteten schon burch ihre äußere Erscheinung abergläubischen Schrecken. Häßlich, klein, ivitb aussehend mit struppigem
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Haar, jeder Ordnung und Reinlichkeit abhold, fabelte man von ihnen, daß sie mit ihren Pferden zusammengewachsen seien, auf denen sie selbst geschlafen haben sollen. Ein Zeitgenosse, der römische Schriftsteller Ammian, nennt sie zweibeinige Bestien.
Wohnung unter Dach und Fach war ihnen fremd. Ihre Nahrung bestand zumeist aus rohem Wurzelwerk und rohem Fleisch, das sie wie einen Zattel eins den Rücken des Pferdes legten und mürbe ritten. Roh war alles an und in ihnen, und sie glichen mehr wilden Tieren als den Völkern, die vor ihnen erzittern mußten.
Zunächst wälzte sich die Völkerwoge ans die im heutigen Südrußland wohnenden Ostgothen, einem Völkerbünde, an dessen Spitze der mehr als hundertjährige König Hermanarich stand, der „mit der Macht eines Eroberers und bisweilen mit der Grausamkeit eines
Tyrannen herrschte. Kurz zuvor hatte er das Weib eines flüchtigen Heerführers von Pferden zerreißen lassen. Die Brüder der Unglücklichen stellten ihm nun nach dem Leben, und an ihren Dolchstichen lag der 110jährige König krank in seinem Zelte, als die Hunnen sich ihm nahten. Um das Werk seines Lebens, den ungestörten Kriegsruhm
seiner Heldenlaufbahn, nicht zu verlieren, gab er sich selbst den Tod. Sein Volk mußte sich den Hunnen ergeben, die dann auf die Westgothen drängten, welche, in den Donauländern anfäßig, unter Athanarich aus dem Königsgeschlechte der Balten, ebenfalls weichen mußten. Sie suchten in dem Karpathenlande Sicherheit und erflehten durch eine Gesandtschaft, an deren Spitze der fromme Bischof Ulfilas*) stand, vom
Kaiser Valens den Schutz des römischen Reiches, das seit Konstantin
dem Großen das Christentum zur Staatsreligion erhoben hatte.
Die Schwäche des römischen Kaisertums läßt sich schon daraus erkennen, daß von sechsunddreißig Kaisern nur sechs eines natürlichen Todes starben, während siebenundzwanzig ermordet wurden, drei im Kriege fielen. Kaiser Valens hoffte in den Westgothen eine Hülfe gegen seine Vettern zu finden, die ihm den Thron streitig machten und gestattete ihnen darum den Uebergang über die Donau, sich dort niederzulassen. Aber ihre Waffen sollten sie an der Grenze abliefern, ihre Kinder den Römern als Geiseln übergeben, dem Kaiser, der gerade gegen Persien rüstete, Kriegsdienst versprechen und das Christentum nach manischem Bekenntnis annehmen.
*) Bibelübersetzer der Evangelien ins Ostgothische, starb 388 zu Konstantinopel, vom Volke gleich einem Heiligen, vom Kaiser „als ein zweiter Moses" verehrt.
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Die Ablieferung der Waffen wurde durch Bestechung umgangen, und bald hatten 200,000 Gothen mit Weib und Kind, auch mit ihren Sklaven, die Grenze überschritten. Aber die römischen Statthalter ließen ihnen gegen teure Bezahlung schlechte, oft ekelerregende Nahrung verkaufen, und selbst die schönen gothischen Frauen und ihre schlanken, blondharigen Knaben wurden unter einem Schein des Rechts
als Bezahlung beansprucht.
Um die nur zu natürliche Entrüstung der armen, betrogenen Gothen im Zaum zu halten, wies man ihnen sehr zerstreute Wohnsitze an, und um sie führerlos zu machen, versuchten die römischen Statthalter die Westgothenfürsten während eines Gastmahls in ihre Gewalt zu bringen. Aber das Volk, das man zurückhielt, drängte nach, und die Fürsten, jetzt die Gefahr erkennend, eilten zu den Ihrigen, ließen die Kriegsfahne entfalten und die Kriegshörner zum Angriff erschallen. Bald verstärkt durch eine Abteilung westgothischer Krieger, die in römischen Diensten standen, erwuchs die Kriegsmacht der Germanen zu einem Schrecken der Römer.
Zunächst wurden die Gothenkinder aus römischer Sklaverei befreit, und wenn irgend etwas, so steigerten ihre Erzählungen über die empörende Behandlung, die sie von den Römern erfahren, das Rachegefühl der Westgothen aufs höchste. Sie trafen mit ihren Feinden in einem furchtbaren Kampfe zusammen, welcher unentschieden blieb. Schon glaubten die Römer, durch Hunger das Heer der Westgothen aufreiben zu können, das sie immer enger umschlossen, als es diesen gelang, mit den am Ufer der Donau schweifenden Ostgothen und Alanen Verbindungen anzuknüpfen. Nun brachen die fast Verhungerten gleich wilden Tieren hervor, denen sich der Käsig öffnet. Jetzt zur Flucht gedrängt, dann auf den engsten Raum zusammengetrieben, wurden die Römer schließlich fast wehrlos niedergemetzelt. Kaiser Valens selbst wurde, schwer verwundet, in seinem Zelte verbrannt.
So war die Schmach der Westgothen gerächt, und die nun weiter stürmenden siegestrunkenen Massen zogen sengend und plündernd in das offene Land. Aus Rache dafür ließ der römische Statthalter Asiens alle Jünglinge der Gothen, die einst als Geiseln nach dem Osten geführt worden waren, an einem bestimmten Tage auf den Marktplätzen Der Städte durch Wurfgeschosse langsam und grausam morden.
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2. Theodosins der Große und seine Söhne.
Alarich, König der Westgothen.
Unaufhaltsam drängten die Westgothen weiter in das römische Land, das sich ihrer nicht erwehren konnte. In dieser Not berief der römische Kaiser Gratian den Sohn eines Mannes zum Mitregenten, den er einst grausam und ungerechter Weise hatte töten lassen. Es war der tapfre Spanier Theodosins. Ihm übertrug er die Regierung des Orients oder des Ostreichs, um den Westen selbst erfolgreich schützen zu können. Theodosins, edel und rein an Sitten, tapfer, mild und klug, von
ehrfurchtgebietender Gestalt, wurde ein Retter des römischen Reiches. Er wußte die Westgothen, besonders nach dem Tode ihres tapferen Führers Findigern als Verbündete zu gewinnen; doch sollten sie ohne eigenen König den römischen Kaiser als Herrscher anerkennen und gegen
Jahresgelder ein Kriegsheer von 40,000 Mann stellen. So gehörten
nun Gothenfürsten zu den Großen des römischen Reichs im Osten, sie wurden ein neues Lebenselement für den dahinsichenden Körper der Römerherrschaft, deren heillose Zustände durch Theodosins für kurze
Zeit gebessert wurden, da er mit Hülfe des Westgothenkönigs Alarich (394 n. Gh.) sich selbst zum Alleinherrscher des ganzen weiten Römerreichs machte. Das Volk aber meinte, „der Himmel selbst sei mit ihm in den Kamps gezogen, da er es als seine erste Aufgabe betrachtete, ein Kämpfer Christi zu sein."
In jahrelangen Kriegen unverwundet, erlag Kaiser Theodosins einer kurzen Krankheit, nachdem er das römische Reich unter seine beiden Söhne geteilt. Der achtzehnjährige Arcadius erhielt das oströmische Reich mit der Hauptstadt Konstantinopel, der elfjährige Honorius das weströmische Reich mit Rom. Jedem Sohne hatte der Vater einen Reichsverweser zugesellt, von denen aber das Feuer der Zwietracht geschürt wurde, während die Brüder in Eintracht leben wollten. Sie suchten gegenseitig germanische Völkerschaften als Bundesgenossen zu gewinnen, um desto erfolgreicher Krieg mit einander zu führen. Es ist ein Ringen der Völkermassen, wie es uns heute unfaßlich erscheint. Kein Heimatsgefühl kettet an die Scholle. Kein Band erschien so fest, daß es nicht gelöst werden konnte und keine Liebe so heilig, daß sie sich nicht inmitten christlicher Völker mit Verrat befleckt hätte.
Schon hatte Stilicho, der waffenkundige und kluge Reichsverweser des jungen Honorius, den Westgothenkönig Alarich für diesen als
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Bundesgenossen gewonnen, als er aus Befehl seines Herrn unter der Anklage ermordet wurde, für den eigenen Sohn den Thron erstrebt zu haben. Doch nicht daran genug, wurden Weiber und Kinder der Anhänger Stilichos an einem Tage gemordet; die so Getroffenen vereinigten sich nun alle mit Alarich gegen ihren Kaiser. Die Westgothen, stärker als je zuvor, drangen ungehindert bis nach Rom. Wohl hatten die römischen Abgesandten, die mit Alarich friedlich verhandeln sollten, mit der großen Zahl ihrer Krieger geprahlt, aber Alarich hatte nur lächelnd daraus geantwortet: „Ae dichter das Gras, desto leichter das Mähen , und auf die Frage, was er ihnen denn übrig lassen wolle, die Antwort
gegeben „das Leben!"
5000 Pfund Gold, 30,000 Pfund Silber, 4000 Seidenkleider, 3000 Saffianfelle, 3000 Stück feiner Purpur und 3000 Pfund Pfeffer war das zunächst unbezahlbare Lösegeld der Römer neben Freilassung aller germanischer Sklaven. Goldne und silberne Bildsäulen mußten zerstört werden, um von den germanischen Westgothen eine Freiheit zu erkaufen, welche die Römer hätten billiger haben mögen, wenn Stilicho, der beste Freund seines Kaisers, nicht treulos ermordet wurde.
Doch die Römer hielten ihre Versprechungen nicht, und Alarich erschien zweimal vor den Thoren Roms, das er zuletzt in nächtlichem Sturm eroberte (410 n. Chr.). Die Zerstörung und Plünderung der Stadt, welche Alarich seinen Soldaten tagelang gestattete, wandelte sich zu feierlicher Prozession, als die bei der Plünderung gefundenen Mirchen-gefäße in die Kirche des H. Petrus getragen wurden. Wenige Tage später zog Alarich nach Unteritalien und meinte durch Eroberung Sicilieus und Nordafrikas seine Herrschaft vergrößern zu können; aber der Tod machte seinem Streben ein Ende. Erst 34 Jahre alt raffte ihn unerwartet eine Krankheit hinweg, und feine Gothen bestatteten ihren König in großartigster aber seltener Weise im Strombette des Busento bei Cosenza. Sie leiteten den Fluß ab und betteten ihren toten Herrn mit der Rüstung auf dem Pferde, alle feine Schätze mit ihm, in ein gemauertes Grab zur letzten Ruhe, über das bald die Wogen des zurückgelegeten Stromes dahin brausten. Die Sklaven, welche die königliche Schlummerstätte bereitet hatten, wurden getötet, damit niemals der Römer Habsucht nach Alarichs Schätzen suchen und seine heilige Ruhe stören möchte.
Die Gothen aber erhoben den jungen, tapfern Athanlf, einen Verwandten Alarichs, auf den Schild und riefen ihn zu ihrem König
aus (415 it. Chr.). Er endete seinen kurzen Siegeslauf durch Mörderhand, nach dem er auf beiden Seiten der Pyrenäen ein mächtiges Westgothenreich gegründet hatte, das unter seinen Nachfolgern, besonders unter Theodorich II. sich zu höchster Blüte entfaltete, da die Völkerschaften der langen Wanderungen müde, stetiger wurden und durch Ackerbau, Kunst und Gewerbe einem hohen Bildungsgrade entgegen gingen (419 bis 488.)
3. Das weströmische Reich. Strömungen der Völkerwanderung und der Untergang des Hunnenreichs.
Das weströmische Reich wurde immer mehr ein Zankapfel kleinlicher Eifersucht und Habsucht unter den Großen des Landes; Mord und Verrat waren die gesuchtesten Waffen geworden. Die Germanen konnten sich ungehindert weiter ausbreiten; ja der Statthalter der römischen Provinz Nordafrika rief das mutige Volk der Vandalen (vor der Völkerwanderung in Mecklenburg ansässig), um sich mit ihrer Hülfe iu seiner Stellung zu befestigen. Diese kämm zwar eiligst unter ihrem König Geiserich herbei, aber nicht als Bundesgenossen. Zerstörung, Raub und Mord bezeichneten ihren Weg. Kirchen und Paläste fielen ihrer Roheit eben so zu Opfer, wie die Menschen, deren Verbündete sie sein sollten. Nachdem sie Karthago erobert (439), machten sie es zur Hauptstadt ihres nun dort gegründeten Vandalenreiches.
Fast zu derselben Zeit mußte die römische Herrschaft auch im Norden germanischen Elementen weichen. Seit Julius Cäsar (starb 44 v. Chr.) hatten die Römer sich in Britannien ausgebreitet, aber später es vor den Einfällen der Picten und Seoten nicht mehr schützen können. Von der deutschen Nordseeküste her, vom heutigen Schleswig-Holstein, suchten Angeln und Sachsen die britische Küste heim, welche endlich von den Briten selbst gegen die nördlichen Bedränger zu Hülfe gerufen wurden. Aber es galt auch hier: „Die ich rief, die Geister, werd' ich nun nicht los." Die Angeln, Sachsen und Juten waren der Sage nach unter ihren Führern Hengist und Horsa in drei langen Schiffen gelandet, 1600 an Zahl. Sie ließen sich in Britannien häuslich nieder und gründeten in einem Zeitraume von 130 Jahren sieben angelsächsische Königreiche, die im Jahre 827 durch König Egbert vereinigt, den Grund zu dem heutigen Großbritannien legten.
Den Siegeslauf der Germanen, die sich nun fast über ganz Europa ausgebreitet hatten, schien nichts mehr aufzuhalten, als ihnen noch einmal in dem mächtigen Hunnenvolke ein Feind erstand.
König Attila, in der Nibelungensage Etzel genannt, schien alle Eigenschaften der Hunnen in doppeltem Maße zu besitzen, durch welche er eine Zuchtrute Europas werden sollte. Gottes Geißel (Godegiesel) nannte er sich selbst. Nachdem die Hunnen zu Ende des vierten Jahrhunderts den Hauptanlaß zur großen Völkerwanderung gegeben, hatten sie sich im nordwestlichen Asien und im südlichen Rußland ausgebreitet, wo sie dem oströmischen Reiche gefährlicher waren als dem Westen. Als aber Attila die Horden seines Volkes durch List und Gewalt zu einem Königreiche vereinigt hatte, das sich von dem heutigen Ungarn bis zum Rhein erstreckte, da rüttelte diese vereinte Kraft an den morschen Säulen des römischen Reiches. Bald gehörten die germanischen Langobarden, Ostgothen und Gepiden, auch viele slavische Völkerschaften zum mächtigen Hunnenreiche.
Gleich einem Märchen klingen die Beschreibungen von dem Hoflager Attilas, das asiatische Roheit mit griechisch-römischer Pracht zu decken suchte. Ein Luxus, der den Höfen von Ravenna und Konstantinopel nichts nachgab, schmückte das nur aus Pfählen gebaute königliche Haus, in welchem Attilas Gäste von goldnen und silbernen Gefäßen speisten, während er selbst sich nur hölzerner Geräte bediente. Auch aß er nur Fleisch; selbst Brot schien ihm eine zu weichliche Nahrung. Schrecklich im Kriege gegen den Feind, war er mild und gnädig gegen Hilfesuchende und gerecht in Urteil und Schiedsspruch. Darum war er verehrt bis zur Vergötterung, gefürchtet gleich einem Teufel; denn schon äußerlich war er schreckenerregend. Der Blick seiner kleinen, in dem ungewöhnlich dicken Kopfe tief liegenden Augen soll den Fürsten und Gewaltigen, die gleich Dienern seine Befehle ausführten, eben solche Furcht eingeflößt haben, wie den Völkern, die vor ihm zitterten. Dabei wußte er mit kluger Berechnung alle kriegerischen Unternehmungen zu leiten, die sich zunächst gegen das nur durch einem Gebirgszug von den Hunnen geschiedene oströmische Reich richteten, das längst reichen Tribut an Attila zahlte. Das weströmische Reich war bis dahin mit den Hunnen gar nicht in Berührung gekommen. Nun verlockte der Vandalenkönig Geiserich den König Attila zu einem Kriegszuge nach Rom, um sein eigenes neues Reich vor Weströmern
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und Westgothen zu schützen. Attila, dem sich unzählige Völkerschaften anschlossen, war schon aus Rache gegen den römischen Kaiser, der ihm seine Schwester zur Gemahlin verweigerte, bereit zu diesem Zuge. Er brach mit einer halben Million Streiter nach Westen auf, zertrümmerte Städte, verwüstete das offne Land und war durch Oesterreich, Bayern und Allemannien über den Rhein nach Gallien gelaugt, als ihm der römische Feldherr Aetius mit einem mächtigen Heere entgegenzog, das mehr Germanen als Römer hatte.
Die feindlichen Heere trafen sich in den katalannischen Feldern, dem heutigen Ckalons sur Marne (451). Dort kam es zu einer Völkerschlacht, wie sie die Geschichte nur selten zu verzeichnen hatte; denn zwei Welten der damaligen Zeit standen sich gegenüber, eine heidnisch-asiatische wider eine christlich-römisch-germanische, beiderseits von den bedeutendsten Fürsten ihrer Länder geführt.
Attila war sich der Gefahr bewußt, welche ihm in den vereinigten Heeren seiner Feinde drohte. Selbst todesmutig, suchte er auch seine Heeresmassen für den Kampf auf Leben und Tod zu begeistern. „Müßt ihr sterben, so werdet ihr sterben", redete er seine Soldaten an, „auch wenn ihr flieht. Richtet eure Augen auf mich! Ich schreite voran, wer mir nicht folgt, ist des Todes."
Die Schlacht wurde ein Schlachten und Würgen. Die Fürsten sanken an der Spitze ihrer Truppen; 162,000 Hunnen, nach anderm Bericht 300,000, bedeckten das Schlachtfeld, als der Rest ihres Heeres weichen mußte, und der Sieg der Verbündeten entschieden war. Furchtbar klang die Totenklage der Hunnen durch die Nacht, und die Sage berichtet, daß noch die Geister der Gefallenen sich erhoben uud drei Tage lang mit einander gerungen hätten. Attila, der bis dahin nie besiegte Huuneufürst, zog sich nach Pannonien (Ungarn) zurück, doch blieb er stark genug, dem weströmischen Reiche in Italien großen Schaden zu thun. Auch hier bezeichnete er seine Heerstraße durch Mord und Brand. Nur Rom entging auf Bitten des greisen Bischofs Leo I. der Zerstörung. Dieser war dem Hunnenkönig an der Spitze einer Gesandtschaft entgegengezogen und hatte ihn im Namen Gottes und seines Kaisers beschworen, die ewige Roma zu schonen, die niemand ungestraft antasten dürfe, wie selbst das Beispiel des tapfern Alarich beweise, der solche Vermessenheit mit baldigem Sterben büßen mußte.
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War es das überzeugende Wort des Bischofs, waren es die durch Hunger und Durst geschwächten Truppen Attilas, die ihn zum Abzug bewogen, jedenfalls war Nom gerettet. Der Volksglaube aber wußte zu berichten, daß der h. Petrus selbst dem Bischof zur Seite gestanden habe und so Attilas letzte Heerfahrt abkürzte. Er starb schon im folgenden Jahre plötzlich in der Brautnacht, als er sich mit der schönen Burgunderin Jldico vermählt hatte (453). Vielleicht rächte diese selbst die Schmach ihres Volkes, dessen Königsgeschlecht Attila auf seinem Zuge nach dem Rheine grausam hingemordet hatte (451).
Die Hunnen trauerten tief um ihren großen König, dessen Leichnam in einem Prachtzelte ausgestellt war. Sie ritten mit abgeschnittnem Haar und zersetzten Gesichtern um das Zelt her und sangen die Toten-ilage um den Helden, „so ruhmreich im Leben, nnbezwinglich im Tode, den Vater seines Volkes, die Geißel seiner Feinde, den Schrecken des Erdballs."
Die Leiche wurde in einen goldnen Sarg gelegt, den zuerst ein silberner Sarg umschloß, dann ein eiserner. Alle seine Schätze und Waffen wurden mit ihm bestattet. Aber die Aermsten, welche ihrem Könige die letzte Ruhestätte bereitet, wurden getötet, und ein schwelgerisches Leichenmahl am Grabe schloß die Totenfeier. Attilas Heldenthaten lebten selbst in den Liedern der Deutschen fort, die sich nun wieder frei und selbständig machten, da Attila in seinen Söhnen keine Erben seines Heldentums fand.
4. Untergang des weströmischen Reiches.
Odoaker. — Theodorich der Große. — 3Uboin.
Zur Zeit der Völkerwanderung, ringt ein Volksdasein mit dem andern, um es auszulöschen. Daß das Germanentum sich trotz dieses Ringens um Leben und Tod lebensfähig erhielt, war die sicherste Verheißung für seine Zukunft. Die römische Herrschaft widerstand nicht länger der Macht der Germanen, als die Kaiserin Endoxia aus Rachsucht gegen die Mörder ihres Gemahls die Vandalen herbei rief, die in wildem Getümmel über Italien hin fluteten unb
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bald vor Rom stauben, bas nun schutzlos ber Zerstörungslust ber Vanbalen preisgegeben war, welche bas kaum iviebcrerftanbne Rom in vierzehntägiger Zerstörung in einen Trümmerhaufen verwanbelten. Viele Kostbarkeiten, auch Jerusalems heilige Tempelgefäße, bie einst Titus nach Rom führte (70 n. Chr.), goldene Dächer römischer Tempel unb anbete Schätze würben bie Beute ber Vanbalen; aber bie zu schwer belasteten Schiffe gingen unter. Geiserich schleppte Tausenbe ebler Römer unb Römerinnen als Gefangene unb Sklaven hinweg, unter ihnen, wuuberbare Fügung, bie Veranstalterin all bieses Elenbs, Kaiserin Euboxia mit ihren Töchtern.
Die Geschichte nennt biesen schmachvollen Untergang Roms ein Gericht ber Vergeltung, wie sie sechs Jahrhunberte früher Scipio aus ben Trümmern Karthagos prophetisch geschaut hatte, bas damals von Rom grausam vernichtet wurde
Die jammervollen Reste römischer Herrlichkeit waren dem entarteten Volke keine Mahnung. Es gefiel sich in der Rückkehr zum heidnischen Glauben unb gab sich allen Gräueln hethnischer Entsittlichung, bcm Vergnügen bes Zirkus Hin. Aber im fernen Karthago, im Laube ber Vanbalen, fanben bie römischen Gefangenen einen Engel bes Trostes unb ber Barmherzigkeit in bem Bischof Deogratias, ber ben Armen unb Verlas) neu bie Kirchen als Herberge einräumte, bie Kranken mit Hülfe seiner Gemeinbe verpflegte, selbst Kirchengefäße veräußerte, um Frauen unb Ktnber mit bem Erlös frei zu kaufen.
Balb bestaub bas römische Heer fast nur noch aus germanischen Völkerschaften, bie nichts weniger unb nichts mehr im weströmischen Reiche suchten als Solb. Einer ihrer Heerführer, ber eben so tapfere, als schlaue unb treulose Sueve Ricimer (456 bis 472), verschmähte für sich selbst ben kaiserlichen Purpur, ben er leicht hätte erlangen können; aber seine Kreaturen würben römische Kaiser unb blieben es solange, bis es bem germanischen ©neuen gefiel, sie zu beseitigen. Von seiner furchtbaren Herrschaft würben bie Römer burch bie Pest befreit.
Als nach ber Grünbung Roms, so erzählt bie Sage, Romulus zwölf Geier über seinem Haupte bahinschweben sah, würben biese als prophetisches Zeichen für Roms Zukunft genommen. Schon ber römische Dichter Clanbianus hatte zu Anfang bes fünften Jahr-hunberts n. Chr. gemahnt: „ber zwölfte Geier (bas 12. Jahrhunbert feit Roms Grünbung) hat ben Lauf vollenbet, o Rom, bebenfe bein
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Geschick." Wieder saß jetzt ein Romulus mit betn spöttischen Beinamen Augustulus (kleiner Angnstns) auf betn römischen Throne, als ein germanischer Heerführer, namens Oboaker, an ber Spitze ver-schiebener Germanenstämme Italien eroberte, sich zum Heerkönig Italiens machte (476) unb ben letzten Scheinkaiser bes weströmischen Reiches auf ein Lanbgnt verwies. Germanien über Rom, bas war der Sieg langer, wunderbarer Kämpfe einer Völkerwanberung, bie sich seit ber ersten Hunnenbewegung gewaltiger barstellte, thatsächlich aber seit Jahrtausenben bestauben hatte uub auch in beut nun völligen Untergänge bes weströmischen Reiches nicht enbete. Aber aus ber Asche des verfallenen Römertums baute sich auf ber Grunblage griechisch-römischer Bilbung ein germanisches Staatenwesen auf, bas gleich beutschen Eichen langsam, aber sicher emporwuchs. In betn Erstehen eines solchen Germanentums unter beut eblen.unb weisen germanischen Heerkönig hätte sich Italien Glück wünschen mögen, wenn Oboaker nicht wieder einem Mächtigeren hätte weichen müssen. Es war ber Ostgothenkönig Theoborich.
Unter ben germanischen Völkerschaften, bie sich nach Attilas Tobe neu gesammelt hatten, thaten sich besonbers bie Ostgothen hervor, bie, kriegslustig wie immer, bas oströmische Reich beunruhigten unb von biesem Tribut erzwangen, auch wohl Friebensverträge abschlössen, bie aber immer willkürlich gestört würben. ©üblich übergab ber tapfere Ostgothenfürst Theobemir seinen eignen Sohn Theoborich bem oströmischen Kaiser als Bürgen bes Friebens. Dieser würbe in Konstantinopel ehrenvoll als Fürstensohn behanbelt unb verweilte bort, wo griechische Bilbung unb Wissenschaft ihm reiche Be-friebigung boten, bis zu seinem achtzehnten Lebensjahre. Er lernte die Gegenwart an ber Geschichte vergangener Zeiten messen, unb, was die Hauptsache war, er kehrte unverborben, ein Helbenjüngliug an Leib unb Seele, zu seinem Volke zurück, bas ihn bei seines Vaters Tob einstimmig zum König erwählte. Er war ein Freunb bes oströmischen Kaisers geworben, ber sich als Oberhaupt Italiens ansah. Diesem war Oboaker in seinem selbstänbigen Auftreten unbequem, unb Theoborich war gern bereit, bie Herrschaft bes ihm burch kaiserliche Urkunbe geschenkten Italien anzunehmen.
Der Aufbruch bes gesamten Ostgothenvolks (487) aus seinen bisherigen Wohnsitzen in Pannonien (Ungarn, Dalmatien) glich einem Auszug ber Kinber Israel aus Aegypten. Männer, Weiber unb
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Kinder überstiegen mit ihren Heerden und allen Habseligkeiten die Alpen und brachen nach blutigen Kämpfen mit den Grenzvölkern in Italien ein, wo sie bald glänzende Siege über Odoaker erfochten. Nur in dem stark befestigten Ravenna verteidigte sich dieser drei Jahre lang; dann fiel auch dieses, und obgleich dem tapfern Heerkönig das Leben zugesichert war, wurde er bald bei einem Gastmahl ermordet.
Mehr noch als Odoaker verstand es Theodorich, in Italien eine neue Glanzzeit zu begründen. Während er Handel und Gewerbe den Römern überließ, lag die militärische Macht nur in den Händen der Gothen, die er mit anderen germanischen Stämmen zu einem großen Völker- und Friedensbunde zu vereinigen wußte. Ihre Heerführer ließen sich von Theodorich, den die Geschichte den Großen nennt, wie von einem Vater leiten. „Ihr alle habt Beweise meines Wohlwollens", heißt es in einem Briefe an diese. „Ihr seid junge Helden, mir gebührt, euch zu raten. Eure Unordnungen betrüben mich; es ist mir nicht gleichgültig, daß ihr euch von den Leidenschaften beherrschen laßt; denn Neid und Leidenschaften der Könige sind das Verderben der Völker; dagegen sind ihre Freundschaft und Einigkeit gleichsam die Adern, durch welche die Wünsche der Völker zu einander hinüber fließen."
Noch einmal strahlte Italien im Glanze längst vergangener Herrlichkeit. Theodorichs Residenz Ravenna wurde der Sitz aller Kirnst und Wissenschaft seiner Zeit. Noch heute reden Kirchen und Paläste, die der Verwüstung folgender Jahrhunderte trotzten, von den glanz-umwobenen Zeiten des Ostgothenreiches.
Aber Theodorich, dem Italien so viel zu verdanken hatte, blieb den Römern ein Fremder, da die römischen Katholiken ihn und
seine Gothen als arianische Ketzer haßten. Auch der oströmische
Kaiser Justin I. begann seine Anfeindungen gegen Theodorich, der sich ohne kaiserliche Erlaubnis den Gemahl seiner Tochter zum Nachfolger erwählt hatte, durch Verfolgung des arianischen Glaubensbekenntnisses. Vergeblich erbat der Ostgothenkönig die Aufhebung der Religions-
verfolgung, unb da die Gesandten, besonders der Bischof Johannes, am kaiserlichen Hofe sehr ehrenvoll aufgenommen worden waren, aber doch unverrichteter Sache heimkehrten, beschuldigte sie Theodorich des Einverständnisses mit dem byzantinischen Hofe, ließ sie ins Gefängnis werfen und auf das Grausamste hinrichten. Die plötzlich erwachte furchtbare
Reue warf ihn auf das Krankenlager, von dem er nicht wieber erstehen
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sollte (526). Aber so groß war der Haß der römisch-katholischen Rechtgläubigen, daß sie die Asche des „fluchwürdigen Ketzers" in alle Winde streuten, und noch heute zeigt ein Steinbild am Portal von S. Zeno Dietrich von Bern (Theodorich) zur Holle reitend, mit lateinischer Inschrift, die erklärt, daß ihm ein feindlicher Dämon das Roß gesandt, das ihn auf ewig zur Hölle trügt.
Das mächtige Ostgothenreich überlebte seinen Schöpfer nicht lange. Zwar gelang es seiner Tochter Amalasuntha, noch auf kurze Zeit das Ansehen ihres Hauses zu bewahren, als sie sich in zweiter Ehe mit dem ihr verwandten Fürsten Theodat vermählte und ihn zum Mitregenten erhob. Aber dieser, ein unedler Zweig des Ostgothenstammes, suchte seine Gemahlin zu verdrängen und ließ sie endlich sogar im Bade erdrosseln, eine Unthat, welche der oströmische Kaiser Jujtinian zu rächen beschloß. Er sandte seinen Feldherrn Belisar gegen die Ostgothen, der kurz zuvor auch das Vandalenreich nach 95jährigem Bestehen unterworfen und zur oströmischen Provinz gemacht hatte. Es ging Belisar der Ruf seines Ruhmes voraus, und die Ostgothen machten sich bereit, ihn als würdigen Gegner in Italien zu empfangen. Statt des elenden Gattenmörders Theodat hoben sie einen tapfern Mann ans dem Volke, namens Vitiges, auf den Königsschild; aber ihre Kraft war gebrochen, als Belisar in den italischen Römern Bundesgenossen fand und mit ihrer Hülfe Rom eroberte.
Das feste Ravenna hätte noch lange widerstehen mögen, aber sicher war byzantinische Bestechung nicht ohne Einfluß anf die leichtfertige Nebergabe einer Festung, die selbst dem Feinde wie ein Wunder erschien. Belisars Geheimschreiber Procopius berichtet darüber: „Als ich das römische Heer in die Stadt einziehen sah, dachte ich lebhaft bei mir, daß nicht Kraft, nicht Menschenmenge über die Begebenheiten entscheide, sondern ein höherer Lenker die Ausgänge herbeiführe; denn die Gothen waren an Zahl, Kraft und Leibesgröße ihren Ueberwindern weit überlegen: darum spieen ihnen ihre eigenen Weiber ins Gesicht, um anzuzeigen, welchen unkräftigen Siegern sie sich ergeben hätten."
So war das herrliche Volk der Gothen herabgesunken, und schon jetzt würde ihr Reich in Italien ein Ende gehabt haben, wenn der auf Belisars Ruhm eifersüchtige Kaiser ihn nicht mitten aus seiner Siegeslauf-bahn abberufen und byzantinische Staathalter in Italien eingesetzt hätte. Die Gothen fühlten noch Lebenskraft in sich und erhoben sich unter dem Helden Totilas, der noch einmal fast ganz Italien eroberte. Doch bald
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wieder, zuerst durch Belisar, dann durch den römischen Feldherrn Narses bekriegt, unterlagen die Gothen in der entscheidenden Schlacht bei Tagini völlig (546). Totilas selbst war zum Tode verwundet in den Armen seiner Getreuen verschieden. Aber noch war das Gothenvolk nicht vernichtet. Mit dem Mute der Verzweiflung richteten sie sich nochmals auf und kämpften unter ihrem neuerwählten König Tejas um ihr Dasein. Er war der Erste in ihren eisernen Reihen, als sie sich zum letzten Entscheidungskampse am Fuße des Vesuvs gesammelt hatten. Die Todespfeile umsausten ihn wie Sturmeswetter. Schon war sein eigner Schild von zwölf Wurfspeeren getroffen, die darin hafteten, als ein feindliches Geschoß seine Brust in dem Augenblicke durchbohrte, da er den Schild wechseln wollte. Weiter und weiter ging der Kampf bis die Nacht anbrach und der neue Tag begann. Ohne Aufhören, ohne Ruhe, Sieg oder Tod — so brach der dritte Schlachttag an, und die Gothen waren nun der Blutarbeit nicht mehr gewachsen. Das Häuflein der Tapfern drängte sich immer enger zusammen, der Sieg war für sie unmöglich. Da sandten die Letzten der Übriggebliebenen aus dem Gothenstamme Botschaft an Narses: „Gott streitet wider das Volk der Gothen; doch wollen wir eher sterben als uns gefangen geben. Will man uns aber freien Abzug gewähren, dann wollen wir uns außerhalb Italiens Wohnsitze suchen und unter oströmischer Hoheit nur den eignen Gesetzen leben dürfen."
Voller Achtung vor der Tapferkeit der Gothen willigte Narses in ihr Begehren; aber das tapfere Gothenvolk als solches ging dennoch nach lang und heiß geführten Kämpfen völlig unter (535 bis 554). Italien wurde unter dem Namen eines italischen Exarchats römische Provinz, als deren erster Statthalter Narses genannt ist; aber die Blüte eines Staatenlebens in Italien war auf lange Zeit vernichtet. Millionen von Menschen waren durch das Schwert, durch Pest und Huuger hingerafft; Städte und Dörfer lagen verwüstet, und niemand hatte Interesse daran, dem verarmten Lande aufzuhelfen, in dem zahllose Germanen ihren Untergang gefunden hatten.
Auch Narses, der vierzehn Jahre hindurch die Provinz Italien verwaltete, mußte gleich Belisar weichen, als die allmächtige Kaiserin Sophie, die Gemahlin Justinians II., ihm in Folge eines Zwistes voller Hohn eine Spindel mit der Botschaft sandte, er möge zurückkehren, mit den Mägden Wolle zu spinnen und das Kriegshandwerk Männern überlassen. Aus Rache rief Narses bie Langobarden herbei.
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Italien in Besitz zu nehmen, das sie einst als Verbündete der Gothen mit lüsternen Blicken angeschaut hatten. Es sollte nach Narses Wort ein Gespinnst werden, dessen Fäden Kaiserin Sophie nicht entwirren könne.
Die zum großen Sachsenbunde gehörigen Langobarden hatten während der Völkerwanderung ihre Sitze am linken Elbuser verlassen und sich im heutigen Ungarn neue Wohnsitze erobert, wo Ue Gepiden saßen. Nun kamen sie unter ihrem König Alboin in großem Kriegszuge nach Italien. Ihnen schlossen sich sächsische und slavische Volks-Hansen an; denn von Alboins Ruhm kündete man weit und breit, daß mit ihm Sieg und Beute zu erringen sei. Fast ohne Schwertstreich fielen ihm die Städte Norditaliens zn; nur Mailand mußte erstürmt werden, und die Stadt Pavia ergab sich erst nach dreijähriger Belagerung, als die Hungersnot sie zu vernichten drohte.
Alboin teilte das von ihm unterworfene Oberitalien, nun Longo-bardenreich (Lombardei) in Herzogtümer, die er verwalten ließ, um selbst ungehindert seinen Siegeszug weiter fortsetzen zu können, als der Tod ihm Halt gebot. In mehr als tierischer Grausamkeit hatte er seine Gemahlin Rosimnnde, Tochter des von ihm erschlagenen Gepiden-königs Knnimund, gezwungen, bei einem schwelgerischen Siegesmahl zu Verona aus dem Schädel ihres eigenen Vaters zu trinken, den Alboin selbst als Trinkgefäß zu benutzen pflegte. Er fiel der Blutrache seiner Gemahlin zum Opfer, die ihn durch seinen Schildträger Helmichis ermorden ließ.
Vergeblich versuchte sie, mit diesem vereint ihre Herrschaft zu behaupten. Beide flohen mit den Schätzen Alboins nach Ravenna, wo Rosimnnde sich des ungeliebten Gefährten durch Gift zu entledigen suchte. Als dieser aber die Wirkung desselben spürte, zwang er Rosi-mnnde mit gezücktem Schwerte, den Rest des Giftbechers zu trinken. „Und also starben durch Gericht des allmächtigen Gottes die ruchlosen Mörder in einer Stunde."
Als auch Alboins Nachfolger, der Herzog Kleph, ermordet war, bestand das Longobardenreich zehn Jahre lang ohne König unter 35 Herzögen, die endlich zu der Einsicht kamen, daß ein so zersplittertes Reich feindlichen Angriffen keinen Widerstand bieten konnte, die aufs neue von dem germanischen Stamme der Franken drohte. Die Longobarden wählten Klephs Sohn, Antharis, zu ihrem König. Er vermählte sich mit der edlen Theodelinde aus dem Volke der Bajuvaren (Bayern), einem echt germanischen Stamme der Markomannen.
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Die Sage berichtet von der Werbung des Heldenjünglings, daß er, ungeduldig ob der langsamen Verhandlungen, verkleidet mit der Gesandtschaft in das herzogliche Hoflager der Bayern zog, wo ihm die schöne Theodelinde selbst den Willkommentrunk bot. Er gab ihr den Becher mit herzlichem Händedruck zurück, und als die Bayern ihm das Ehrengeleit bis zur Landesgrenze gaben, warf er jubelnd seine Streitaxt nach einem fernen Baum, daß sie darin haftete, und man rief: „Solche Hiebe thut nur Antharis, der Lombardenkönig!"
Der jugendliche Held drängte die Franken über die Alpen, führte den Besitz des oströmischen Erarchats auf seine alten Grenzen zurück, und es wurden „die Marken des Königsreichs durch den tapfern Autharis mit der Lanze festgestellt".
Schon im Jahr nach seiner Vermählung starb „der blondhaarige Longobardenkönig". Die fromme Königswitwe stand in so hohem Ansehn, daß die Langobarden den zu ihrem König erklären wollten, den sie selbst sich zum Gatten erwählen würde. Sie vermählte sich mit dem edeln Agilulf, einem Verwandten ihres verstorbenen Gemahls. Als bayrische Fürstentochter gehörte sie dem katholischen Bekenntnisse an und wußte durch ihren frommen Wandel zuerst ihren Gemahl, dann immer weiter das Volk der Langobarden vom arianischen Glauben, der die Gottheit Christi leugnete, zur katholischen Kirche hinüber zu führen. Nach ihrer Vermählung hatte sie zu Monza eine reich ausgestattete Kirche erbauen lassen, in der sie eine goldne Krone niederlegte mit der Umschrift: „Agilulf, von Gottes Gnaden König von ganz Italien." Es ist die berühmte eiserne lombardische Königskrone, eisern genannt wegen des Ringes, der innen die Krone zusammen schloß, angeblich aus einem Nagel des Kreuzes Christi gefertigt, und tritt hier zuerst die Formel auf: „Von Gottes Gnaden".
Die Longobarden, einst ein wildes Kriegsvolk, wurden fleißige Ackerbauer, und wenn ihr Land später durch Königswahl wie durch räuberische Einfälle des nicht germanischen Volkes der Avaren zu leiden hatte, so sind doch die Longobarden eins der wenigen Völker, die in den Ausläufen der Völkerwanderung länger als zwei Jahrhunderte hindurch sich unvermischt erhielten, bis auch sie in dem weiten Frankenreiche Karls des Großen untergehen mußten. (774.)
Mliß de- MM/chm Mches
M 1. Jnnere Zustände der pl germanischen iletche ^ während nnd nach der \ Völkerwanderung.
Die Geschichte schließt mit der Herrschaft der Langobarden in Italien einen Zeitabschnitt für die Entwicklung Deutschlands ab; denn nun bleiben die bis dahin eroberten oder zugewiesenen Wohnsitze der einzelnen Völkerschaften stetiger, wenn auch nicht so fest, daß nicht Wandlungen in Besitz und Staatenleben noch unendlich mannigfaltig wären. Ein Blick auf die alte Karte, die den Wohnsitz von Völkern nennt, von denen nichts als der Name übrig blieb, von andern, in denen wir unsre eignen Väter zu finden wissen, giebt das interessereiche Bild ewigen Werdens aus dem Vergehen ganzer Völker, und kurz sei zusammengefaßt, wo die Hauptvölkerschaften Deutschlands zu Ende des sechsten Jahrhunderts saßen; denn viele von ihnen finden sich heute noch in ihren Nachkommen inmitten alter Landesgrcnzen.
Es find: die Ostfranken an den Ufern des Main.
Die Allemannen im Norden bis zur ostfränkischen Grenze, im Osten bis zum Lech, im Süden bis zu den Schweizer Alpen, im Westen bis zu den Vogesen.
Die Sachsen (Westfalen, Engern, Ostfalen, Nordelbinger) von dem Sitze der Franken und Friesen bis zur Nordsee und Elbe.
Die Friesen (West- und Ostfriesen, CHauken) an der Nordwestgrenze des Reichs, an Ems- und Rheinmündungen, die Nordseeküste entlang.
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Die mächtige Völkervereinigung der Thüringer, von der Werra bis zur Elbe, südöstlich bis zur Donau hin, wo früher Norisker und Markomannen hausten.
Die Bajnvaren (Bayern) zwischen Lech und Ens, zwischen Donau und Alpen.
Andre ausgewanderte deutsche Volksstämme vermischten sich mit den besiegten Völkern römischer Herrschaft, besonders im südlichen Europa und sind aus diesen die „romanischen" Völker entstanden, welche nach Sprache, Bildung und Charakter mit germanischen Elementen durchsetzt, doch ihre Grundeigenthümlichkeit nicht eingebüßt haben. Zu ihnen gehörten die Angelsachsen in Britannien, die Franken und Burgunder in Gallien, die Westgothen und Sueven in Spanien, die Vandalen in Nordafrika, Ostgothen, später Langobarden in Italien, während die östlichen Länder, welche einst von Germanen bewohnt und aufgegeben waren, durch Slaven bevölkert wurden, die den Germanen noch manchmal unbequem werden sollten.
Gleichwie die Gebräuche und Sitten der Völker sich vermischen, sobald sie dauernd mit einander in Beziehung kommen, so wandelte sich die Sprache der Germanen, die auf den Trümmern römischer Herrschaft neue Reiche gründeten. Das sind die romanischen Sprachen, die spanische, portugiesische, französische, italienische u. I f.
Während der Völkerwanderung und durch dieselbe hatten sich die germanischen Völker mit ihren Fürsten an der Kraft andrer Völker messen dürfen. Die Verfassung, das politische System der Vorzeiten, hatte sich gewandelt und dennoch manches treu bewahrt. Hatten die Germanen im Osten an Besitz verloren, so gewannen sie desto mehr int Westen. Bis zum Atlantischen Ozean, bis zum Mittelmeere, von Britannien bis Afrika hatten Deutsche ihre Herrschaft begründet. Das einst ungekannte, kaum genannte Barbarenvolk der Germanen hatte sich Achtung erzwungen, und ihre klangvolle Sprache hatte die Thaten ihrer Helden in Sage und Lied verewigt. Man sang von Armin, dem Sieger im Teutoburger Walde, von den Kämpfen der Burgunder, von Dietrich von Bern (Theodorich d. Große) und seinem getreuen Hildebrandt, ja von Etzel und seinen wilden Hunnen, mit denen die Germanen auszogen zu Kampf und Sieg. Siegfried, der jugendliche Held, ursprünglich ein nordischer Frühlingsgott, wurde verkörpert durch das edle tapfre Germanentum, und die edlen Frauen, die treuen und reinen, wurden verherrlicht im Gesänge.
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Neben solcher idealen Auffassung des germanischen Volkstums tritt dieses selbst immer mehr als eine gesamte Macht hervor, und kurz sei hier der Entwicklung innrer Zustände Deutschlands gedacht, wie sie sich darstellen mit und nach der Gründung des mächtigen Frankenreichs, der hervorragendsten germanischen Herrschaft während des sechsten und siebenten Jahrhunderts und noch weiter hin bis zur Herrschaft der Karolinger.
Die Hauptmasse der Germanen bestand aus freien Bauern, die später oft freiwillig ihre Freiheit aufgaben, um, unabhängig von Verdienst uud andern Verpflichtungen, lieber einem Herrn anzugehören und diesen für sich eintreten zu lassen. Sie waren der Kern des Heerbanns, der das römische Reich überflutete. Unter ihnen erhob sich in den meisten Stämmen eine Anzahl edler Geschlechter, von denen das königliche als das edelste galt, oder dieses hatte sich umgekehrt aus der edelsten Familie, vielleicht aus dem Priestergeschlechte herausgebildet. Das Königtum, bei einigen germanischen Völkerschaften schon zu Tacitus Zeiten im Heerkönig vorhanden, war bei den meisten Stämmen während der Völkerwanderung den römischen Cäsaren entsprechend entstanden, und so erschienen die germanischen Könige den römischen Unterthanen ihrer eroberten Besitzungen als „Augustus."
Die Hauptwürde der Könige bestand darin, Heerführer und höchster Richter des Volkes zu fein; aber ihre Macht war durch die freie Mitwirkung der Volksgemeinde beschränkt. Das Volk selbst erwählte sich seinen König; doch blieb die Art der Königswahl bei den verschiedenen Volksstämmen mit der Zeit nicht dieselbe. Bei einigen, z. B. bei den Franken, herrschte streng durchgeführte Erblichkeit im Königsgeschlecht. In Folge dessen wurde ihr Reich oft geteilt und dessen Macht geschwächt. Bei andern, wie bei den Ost- und Westgothen war nach dem Aussterben eines Königsgeschlechts freie Wahl ohne Rücksicht auf ein bestimmtes Geschlecht, und es entschied nur die Tüchtigkeit des Gewählten.
Die Einkünfte des Königs beruhten in dem Ertrage der eigenen Güter, in den Steuern und Tributen zinspflichtiger Völker, in Zöllen, Wegegeldern und Gütereinziehungen als Buße. Der Königsschatz bestand in Gold und Kostbarkeiten und erbte von Geschlecht zu Geschlecht. Untreue oder Verletzung der als heilig gehaltenen königlichen Persönlichkeit konnte nur mit dem Tode gebüßt werden.
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Die edlen Geschlechter waren an Zahl gering; auch wurden sie durch die während der Völkerwanderung gesteigerte königliche Macht eben so zurückgedrängt, wie durch die aus allen Schichten des Volkes, besonders aus dem königlichen Gefolge erwählten königlichen Beamten. Aus diesen entwickelte sich später ein besonderer Amtsadel, der gewissermaßen einen Abglanz der königlichen Macht bildete, von welcher er abhängig war, auch Ehren und reiche Schenkungen empfing. Doch war dieser Adel noch nicht erblich und an die Huld des Königs gebunden, darum völlig anders angesehen als die alten, edlen Geschlechter Germaniens. Diese Abhängigkeit verhinderte nicht, daß sich daraus eine zahlreiche Aristokratie geistlicher und weltlicher „Leudes" bildete, welche nicht selten den Königen feindlich entgegen traten.
Besonders und zunächst bildete sich unter den fränkischen Königen ein Lehnswesen aus, das im Laufe der Jahrhunderte mancherlei Wandlungen erfuhr. Durch Eroberung in den Besitz reicher Güter gelangt, mnßte den Königen als Kriegsherren daran gelegen sein, sich ihrer Dienstmannen zu versichern und sich dieselben zu verbinden. Jeder der Edeln unter ihnen erhielt ein LooS (Allodium), d. h. Herrengut als erblichen Grundbesitz und Eigentum, auch zu beliebiger Verteilung unter die eignen Leute. Dem König selbst fielen alle eroberten kaiserlichen Krongüter zu. Dazu verlieh der König denen, die ihm besonders treu gedient, Grundbesitz zu lebenslänglicher Benutzung als Belohnung (beneficium oder feudum). Die Inhaber solcher Güter waren Lehnsmannen, Vasallen, Getreue, die sich dadurch dem König besonders verpflichtet fühlen mußten und ihrerseits sich selbst Vasallen in gleicher Weise durch Güterverleihung gewinnen konnten, Aftervasallen. Auch konnte man später bei der Kirche zu Lehen gehn, d. h. Güter von Bischöfen und hohen Geistlichen oder Klöstern verwalten.
Außer den Freien und Edlen gab es unfreie Hörige, zumeist aus Kriegsgefangenen entstanden. Sie waren nicht in ungünstiger, wirtschaftlicher Lage, da die Germanen, wo sie eroberten, den Bewohnern einen Teil ihres alten Eigentums zu eigner Bebauung überließen. Aber sie waren ohne politische Rechte, ausgenommen bei den Sachsen, wo sie als Halbfreie, hier Liten genannt, solche besaßen. Sie wurden somit Schützlinge und Hörige eines Herrn.
Auch die vorgefundenen römischen Sklaven wurden Hörige. Dazu kam in den germanischen Reichen auf römischen Boden die römische
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Bevölkerung, deren oberste Klassen sich durch ihre höhere Bildung dem germanischen Staatswesen nützlich erwieseu und in den neuen Amtsadel übergingen. Sie lebten nach römischem Recht weiter, waren aber geringer angesehen, als die Germanen, so daß beispielsweise für den Mord an einem Franken im Gefolge des Königs, den „Antrustionen", 600 Goldgulden als Wehrgeld (auch der Preis für eine getötete Frau) an dessen Verwandte gezahlt wurden, falls diese auf Blutrache und Fehde verzichteten, ein Römer im Kriegsgefolge aber nur 300 Gulden wert war, der gemeinfreie Franke 200, ein freier Romane 100 und ein Unfreier gar nur 63 Goldgulden galt. Ein Bischof aber kostete 900 Goldgulden Wehrgeld. Wer das Geld nicht zahlen konnte, mußte dem Geschädigten als Knecht dienen. In betreff dieses Wehrgeldes ist einer der eigentümlichsten Gebräuche die Chrenecruda (von der reinen Erde), welche neben allem Ernst in die poesievolle Symbolik der alten Germanen hineinführt und an kindliche Auffassung mahnt. Oesfentliches Nehmen war kein Diebstahl und öffentliches Töten kein verbrecherischer Mord. Aber der Tod verlangte Sühne, an deren Gesamtbürgschaft nicht nur die Familie, sondern das ganze Geschlecht teilnimmt. In dieser großartigen Auffassung einer Allgemeinheit in der Familie, für die sich jeder Einzelne haftbar weiß, trat die ganze Sippe für die Pflicht des Wehrgeldes ein. Konnte es der Einzelne nicht leisten, hatte er sein ganzes Vermögen geopfert, ohne die Schuld voll gesühnt zu haben, so mußte er zunächst 12 Eideshelfer bestellen die sein Unvermögen bezeugten. Dann ging er in seine Hütte, während die Sippe auf dem Hofe stand. Er nahm aus den vier Ecken seines Hauses, das ja weder Pflaster noch Dielen hatte, je eine Hand voll Erde, stellte sich dann, mit dem Antlitz nach dem Jnnenraum seines Heims gekehrt, auf die Schwelle der Thür und warf über seinen Rücken hinweg die Erde hinüber zu seinen Verwandten. Sie hatten nun seine Erde, seine Schuld. „Dann soll er im Hemde, unbeschuht und ungegürtet, nur einen Stab in der Hand, über den Zaun seines Gehöfts springen." Er ist frei wie der Vogel in den Lüften, seine Schuld ist von ihm genommen, und die Familie ist statt seiner verpflichtet. Der nächste Anverwandte übernimmt die Hütte und mit ihr alle Schulden, die daran haften; erst die weitere Entwickelung der Gesetze giebt dem Einzelnen den Schutz des Staates.
Die oberste Reichsverwaltung lag in den Händen der Hofbeamteu; die Verwaltung der Provinzen geschah durch Grafen und Herzöge.
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Tiefe wurden nicht mehr wie einst von der Gemeinde, sondern vom Könige ernannt. Sie hatten für Recht und Gerechtigkeit zu sorgen, die Schwachen zu schützen, Abgaben zu erheben und den Heerbann zu leiten.
Staatsverfassung und Rechtspflege Deutschlands hatten sich in verhältnismäßig schneller Reife an römischen Einrichtungen entwickelt. Wo früher nur Sitte und Herkommen entschied, entstanden allmälig geschriebene Gesetze; doch blieb im Allgemeinen die Gemeindeverfassung erhalten und auch dadurch deutsche Sitte und deutsche Sprache gewahrt. Aber die Gemeindegenossen berieten unter der Aufsicht
königlicher Beamten, an deren Spitze bei allen größern Versammlungen der König erschien. Da sich jedoch die freie Gemeinde immer weniger an der Rechtsprechung beteiligte, wurden dazu besondere Schössen, „die das Recht schöpfen halfen" (Rachinburgen, später Skabinen), erwählt, und das Volk, das gegen den Richterspruch Einwand erheben konnte, nannte man „Umstand." Das Urteil wurde nach Eideshelfern und Urkunden, auch nach Eid schwur, besonders aber nach Gottesurteilen gesprochen, und hat diese letzte Art des Gerichts zahllose unschuldige
Opfer gefordert. Doch ist gesagt, daß nur solche zum Gottesurteil zugelassen wurden, die vorher dem Priester ihre Schuld gebeichtet hatten. Die Gottesurteile*) bestanden bei den Unfreien in der Wasser- und Feuerprobe, auch in der Kreuzprobe, bei der das unglückliche Opfer mit ausgestreckten Armen unbeweglich stehen mußte, im Feuer beim Anfassen von glühendem Eisen oder beim Stehen darauf mit bloßen
Füßen unverletzt bleiben sollte. Die Wasserprobe wurde mit heißem
oder kaltem Wasser vorgenommen. Sank der Betreffende im Wasser unter, bann war er schuldig u. s. f. Die Freien fanden das Gottesurteil im Zweikampf.
2. Die Ausbreitung des Christentums in Deutschland.
Der größte Einfluß auf das ganze Staaten- und Volksleben Deutschlands blieb der Ausbreitung des Christentums vorbehalten, das freilich nur sehr allmälig die Roheit der Sitten, die wilde Lust am
*) Aehnliche Handhabung von Gottesurteilen findet sich schon im 7. Jahrh, vor Christi Geburt bei den Indern, demselben Stamme entsprossen, wie die Germanen; wie auch die altindische Poesie, die Gottesverehrung und Mythologie der Inder an eine gemeinsame Abstammung mit den Germanen erinnert.
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Kriegshandwerk, Verrat und Mord zu wandeln vermochte. Das kräftige und gesunde Germanentum wurde vorzugsweise ein Träger christlicher Bildung.
Während die rheinischen Germanen schon früher für das Christentum gewonnen waren, das sie durch römische Kriegsgefangene, auch
durch die aus römischen Kriegsdiensten heimkehrenden Landsleute
kennen lernten, blieben die Bewohner im Innern Deutschlands noch bis zum sechsten und siebenten Jahrhundert Heiden. Die Gothen waren schon zu Ende des vierten Jahrhunderts Christen, wenn auch nach arianischem Bekenntnisse gleich den Vandalen, Sneven, Burgundern und Longobarden. Im fünften Jahrhundert verkündete der hl. Serverinus (451), der als armer Pilger von Osten her kam, in den Donauländern das Evangelium, und die Schüler, welche er um sich sammelte, wurden die Lehrer des Volks, die Begründer von Klöstern, welche Jahrhunderte lang die Pflegestätten deutscher Bildung werden sollten.
Als Begründer der Klöster überhaupt wird der Aegypter
Antonius angesehen (285), der sein Vermögen den Armen gab und
unter größten Entbehrungen in der Wüste lebte, so daß er bald in den
Ruf der Heiligkeit gelangte. Seine Anhänger, die mit ihm ein
Einsiedlerleben führten, wurden Mönche, die Alleinlebenden, genannt. Als sein Schüler Pannonius die Mönche dazu veranlaßte, gemeinsam eine abgeschlossene Wohnung (clanstra) zu beziehen, wurde damit der Grund zu den Klöstern gelegt, deren Vorsteher Vater (abbas, Abt) genannt wurde.
In Britannien hatten die heidnischen Angelsachsen, das Christentum, das sie dort vorfanden, wieder ausgerottet, und Papst Gregor I. (590—604), der Große, sandte Lehrer dorthin, welche zunächst Irland und Schottland für das Evangelium gewinnen sollten. Noch ehe er Papst war, sah er auf dem Marktplatze zu Rom Jünglinge, deren Schönheit und edle Haltung ihm auffiel. Sie sollten als Sklaven verkauft werden. Als Gregor erfuhr, daß es gefangene Angelsachsen seien, sagte er: „Wohl, sie sollen Genossen der Engel (angeli) im Himmelreiche sein; denn ein englisches Ansehen tragen sie." Und als man ihm den Namen ihres Landes „Deira" nannte, machte er auch
hier eine Wendung der Worte „De ira ernti“, dem Zorne entrissen,
zur Barmherzigkeit Christi berufen. Ihren König nannten sie ihm „Aella", und wieder antwortete er: „Allelujah, das Lob Gottes, der die Welt erschaffen, soll in jenen Reichen gesuugen werden." Als Gregor Papst
B o r n b a k. Unser Vaterland. 4
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geworden war, sandte er den römischen Abt Augustin mit 40 Gehilfen nach Britannien, und nachdem die Bekehrung der Angelsachsen beendet war, gingen von dort Sendboten aus, auch in Deutschland das Evangelium zu verkündigen.
Zunächst wandten sie sich zu den Friesen, die an der Westküste Deutschlands ihre Nachbarn waren. Aber • diese sahen in dem Ge-
horsam gegen die neue Botschaft nur Unterdrückung und Knechtschaft. Als sich endlich der Friesenfürst Nadbod bereitwilligst taufen lassen wollte, fiel ihm ein, sich vorher zu erkundigen, ob er in dem verheißenen Himmel der Christen auch seine Vorfahren antreffen werde, und als ihm entgegnet wurde, daß diese als Heiden nicht dort sein könnten, zog er den Fuß zurück, deu er schon in das Taufwasser gesetzt, mit dem Bemerken, dann lieber mit den tapfern Vätern zusammen in der Hölle, statt mit den Christen in deren Himmel sein zu wollen.
Erst nachdem der fromme Bifchof Wilibrod feinen beständigen Aufenthalt unter den Friesen genommen hatte, vermochte er all-meilig wenigstens die südlichen Friesen für das Christentum zu gewinnen. Neben vielen edlen Sendboten, selbst aus königlichem Geschlecht, gelang es endlich dem frommen Mönch Winfried — mit feinem geistlichen Namen Bonifacius, Wohlthäter, genannt — wie in einem königlichen Kriegszuge die Germanen für die Botschaft vom Kreuze Christi zu gewinnen. Obgleich diese Bekehrung der Deutschen zum Christentum über die Zeit der Blüte des Frankenreichs unter den Merovingern weit hinüberragt zn dem nachfolgenden Königsgeschlechte der Karolinger in Deutschland, so sei doch hier kurz derselben gedacht, um den Zusammenhang der Erfolge in der Ausbreitung des Christentums in Deutschland wenigstens etwas festzuhalten.
Winfried, ebenfalls einem edeln Geschlechte der Angelsachsen entsprossen (715), hatte sich in heiliger Begeisterung aufgemacht, um Wilibrod hülfreich zur Seite zu stehen, als der Friesenfürst Radbod eine heftige Christenverfolgung erregt hatte. Da Winfried aber zwei Jahre lang völlig erfolglos gearbeitet hatte, kehrte er entmutigt in sein Kloster zurück. Er hatte die Ueberzeugung gewonnen, daß nur mit Hülse des Papstes, den die Angelsachsen als Haupt der christlichen Kirche verehrten, Deutschland für das Evangelium gewonnen werden könne und zog mit einem Empfehlungsschreiben des englischen Bischofs nach Rom, wo ihn der Papst feierlich zum Sendboten Christi weihte. Ein neuer Missionszug durch Friesland, Ostfranken, Thüringen und
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Hessen brachte ihm die Genugthuung, Tausende von Heiden taufen zu können.
An der sächsischen Grenze, beim Dorfe Geismar in Hessen stand eine heilige, dem Donar geweihte Eiche. Sie sollte, ein heidnischer Anstoß für das Christentum, unter der wuchtigen Art Winfrieds fallen, und erwartungsvoll stand das Volk umher, zu sehen, wie der göttliche
Zorn den Frevler strafen würde. Als aber weder Feuer noch Blitz ihn
traf und kein Wetter ihn zermalmte, mußte es wohl mit der Macht der Götter schlecht bestellt sein, und dem Gotte der Christen durften die Heiden vertrauen, die sich nun taufen ließen. Aus dem Holze des gefällten Baumes baute Winfried eine kleine Kirche, die er dem heiligen Petrus weihte. Ein von der Kirche damaliger Zeit aufgestelltes Glaubensbekenntnis, das zugleich eine Teufelsentsagung sein sollte, ist eins der ältesten Denkmale unserer deutschen Sprache, unverkennbar mit römischen, d. h. lateinischen Anklängen vermischt. Das Bekenntnis lautet:
„Frage: Forsachistu Diabolä? —
Antwort: Ec forsacho Diabolä. —
F.: En allum Diabolgelde?
A.: En ec forsacho allum Diabolgelde.
F.: En allum Diaboles Werkum?
A.: En ec forsacho allum Diaboles Werkum ende Wordum, Thunaer ende Wodan ende Sachse Ote ende allem them Unholdnm the hiru genotas sint.
F.: Gelobistn in God, almechtigun Fadaer?
A.: Ec gelobo in God, allmechüguu Fadaer.
F.: Gelobistu in Christ, Godes Snno?
A.: Ec gelobo in Christ, Godes Suno.
F.: Gelobistu in halogan Gast?
A.: Ec gelobo in halogan Gast.
Uebersetzung.
„Frage: Versagst Du dem Teufel?
Antwort: Ich versage dem Teufel.
F.: Und aller Teufelsgilde?
A.: Und ich versage aller Teufelsgilde.
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F.: Unb allen Teufelswerken?
A.: Unb ich versage allen Teufels Werken unb Worten, Thor unb Wotan unb Sachsen — Obin unb allen ben Unholben, bie hier genannt finb.
F.: Glaubst Du an Gott, ben allmächtigen Vater?
A.: Ich glaube an Gott, ben allmächtigen Vater.
F.: Glaubst Du an Christus, Gottes Sohn?
21.: Ich glaube an Christus, Gottes Sohn.
F.: Glaubst Du an ben heiligen Geist?
A.: Ich glaube an ben heiligen Geist.
Durch eine zweite Reise nach Nom würbe Bonifacius noch fester mit betn Papst unb ber römischen Kirche verbunben; benn ant Grabe bes heiligen Petrus gelobte er feierlichst betn römisch-katholischen Glaubensbekenntnis Treue bis in ben Tob. Als geweihter Bischof kehrte er nach Deutschland) zurück unb grünbete bort viele Klöster unb Kirchen, zog nochmals nach Rom, unerntüblich für Deutschland Bekehrung auch bort zu wirken. Unter seinem heiligen Feuereifer fiel ein heibnischer Gebrauch nach betn anbern, nachbetn er zuerst an betn Flüßchen Fulba ein Kloster erbaut hatte, bas immer aufs neue Senb-boten unter bie heibnischen Germanen aussanbte unb so als bie erste Missionsanstalt Deutschlanbs gelten muß. In Bayern grünbete ber eifrige Bonifacius viele Bischofssitze, um in ihnen eben so viele Burgen bes Christentums zu erbauen. Unzählige Frauen unb Männer wußte er für ben Fneben Christi zu begeistern, unb er hätte mit bankbarer Befriebigung auf bie Erfolge feiner Prebigt vom Kreuze schauen mögen, wenn er sich als Streiter Christi hätte Ruhe gönnen wollen. Treu hatte er ber vielen in feiner Hanb vereinten Bischofsämter gewaltet, als ihm zuletzt bas Erzbistum von Mainz übertragen würbe, bas wegen feiner reichen Kirchen unb Stiftungen „bas golbene" genannt ist. Aber ber Glanz blenbete ihn nicht, unb bas Golb konnte ihn nicht halten. Trotz zisnehmenber Kränklichkeit zog ber 74jährige Greis noch einmal aus, bas Werk feiner Jugenb, bie Mission, zu treiben. Doch voller Tobesahnung führte er bas Leichentuch mit sich, in bas er gehüllt fein wollte. Am Zuyberfee im Laube ber Friesen hatte er sein Zelt aufgeschlagen unb erwartete eine Anzahl Getaufter zur Firmelung, als eine bewaffnete Rotte heibnischer Friesen herbei-
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stürmte und den altehrwürdigen Bischof mit seinen Begleitern, 52 an der Zahl, niedermetzelte (5. Jnni 755). Er hatte diesen^ gewehrt, sich nutzlos zu verteidigen und war selbst opferwillig gefallen, das Evangelienbuch hoch über seinem Haupte erhoben.
Einer unsrer größten Geschichtsschreiber (H. Leo) sagt von Boni-facius, daß er uns und unsern Enkeln mehr gebracht, als uns irgend einer unsrer großen Kaiser und Könige nachher zu bringen vermocht hat. Er hat das, was die Kirche, was das Evangelium forderte, mit größter Treue an und durch sich zu erfüllen gestrebt. „Seinem kirchlichen Eifer war Größtes wie Kleinstes gleich wichtig zur Beruhigung seines eignen Gewissens und zur Wohlfahrt der ihm anvertrauten Seelen?' Und wenn ihm oft der Vorwurf gemacht ist, die Macht der äußeren Kirche auf Kosten des Staatenlebens gefördert zu haben, so war doch die Hülle notwendig, um den Kern des Christentums in seinem Wachsen erstarken zu lassen.
Schon in den ersten Jahrhunderten nach Christus hatte sich die Kirche in verschiedene Bekenntnisse gespalten. Der Arianismus, so nach Arian genannt, der ihn lehrte, leugnete die Gottheit Christi. Er war besonders unter den germanischen Völkern verbreitet. Das nicätsche Glaubensbekenntnis, gegen die Arianer gerichtet und nach der von Kaiser Konstantin berufenen Kirchenversammlung von Nicäa genannt, war im oströmischen Reiche vorherrschend. Die römisch-katholische Kirche sammelte sich um den Bischof von Rom; ihr gehörten die romanischen Völker an.
Unter den Bischöfen christlicher Gemeinden, welche einst von den Aposteln gegründet wurden, hatte der Bischof von Rom schon darum großes Ansehen, weil er von der Hauptstadt des Reiches aus bald nicht mehr „als ein Gleicher unter Gleichen" Gutachten abgab, sondern als „Bischof der Bischöfe" Befehle aussprach. Gregor I. legte sich den ausschließlichen Titel Papst bei, den früher jeder Bischof führte. Da auch das mächtige Frankenreich der römischen Kirche angehörte, wurde ihre Macht überwiegend und das nicäische Glaubensbekenntnis wie der Arianismus mußten dem Ansehen Roms weichen, das schon früh ein geistiger Anziehungspunkt für die Christen des Abendlandes wurde. Es entwickelte sich immer mehr der festgegliederte Bau der römisch-katholischen Kirche, die das prophetische Wort Christi für sich allein beansprucht „Und die Pforten der Hölle sollen sie nicht überwältigen."
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3. Chlodwig, der Gründer des großen Frankenreichs.
Gallien (58 v. Chr.), einst durch die glänzenden Siege Julius Cäsars römische Provinz, hatte sich nach dem Untergange des weströmischen Reiches unter dem edlen römischen Statthalter Aegidius, vorher schon durch Aetius, selbständig gemacht. Aber germanische Völker, Westgothen, Burgunden, Allemannen und Franken tummelten sich dort in fortgesetzter Fehde und hatten sich so weit ausgebreitet, daß Aegidius' Sohn, Syagrius, zuletzt fast nur noch die Umgebung von Soissons besaß, als die salischen Franken unter ihrem thatendurstigen König Chlodwig (Ludwig) den letzten Rest gallisch-römischer Herrschaft vernichteten (481 — 511). Sie hatten zuerst an den Rheinmündungen gesessen, sich dann nach Süden in den wenig bevölkerten, aber fruchtbaren Niederlanden zwischen Schelde und Maas ausgebreitet. Zu festen Wohnsitzen gelangt, stellten die salischen Franken in dem „salischen Recht" die schwankenden Rechtsgrundsätze fest, wonach ihr Verhältnis zu den Römern gebührend berücksichtigt wurde, aber auch eine große Stärkung des Königtums entstand, da die alten Rechte der Gauversammlung nun zumeist auf die Könige übergingen. Es mag nicht ohne Interesse sein an dieser Stelle wenigstens die Einleitung dieser Gesetzsammlung in der Übersetzung wiederzugeben, da gerade in der Ausdrucksweise derselben das ganze Kraftbewußtsein des fränkischen Germanentums hervortritt, gepaart mit einer poesievollen Rhetorik, die uns heute noch bekannt erscheinen will.
Das salische Gesetz, gewiß schon längst vor dem Königtum vorhanden, ist zur Zeit Chlodwigs in schlechtem Latein geschrieben, wie es der ungelenke Franke sprechen mochte, aber in der Vermischung des mit höchster Ehrfurcht betrachteten Römertmns mit germanischen und christlichen Anschauungen durchgeführt.
„Das Volk der Franken, berühmt und mit Gottes Hilfe begründet, war tapfer in den Waffen, fest im geschlossenen Vertrage, tief im Rat, edel an Körper, von unbeflecktem Glanz, edler Form, mutig, behende und hochstrebend, zum katholischen Glauben bekehrt und frei von Ketzerei, während es bisher umfangen wurde vom Heidentum; es forschte unter göttlicher Eingebung nach dem Schlüssel des Wissens, seinem Wesen nach pflegte es die Gerechtigkeit und wahrte die Frömmigkeit. Da verfaßten das salische Gesetz die Ersten dieses Volkes, welche damals seine Führer waren, und zwar von Mehreren vier
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Erwählte mit diesen Namen, Visogast, Bodogast, Saligast und Vidogast aus Crten, welche hießen Salheirn, Bodoheim und Vidoheim, die bei drei Gerichtsdingen zusammenkommend, die Ursachen aller Rechtsfragen erforschten, über die einzelnen Streitigkeiten Beratungen pflegten und in folgender Weise beschlossen. Aber nachdem durch Gottes Gnade der König der Franken, Chlodwig, der Herrliche, einem Waldstrom gleich, zuerst die katholische Taufe empfing, da ist das, was in das Gesetz nicht mehr hineinpaßte (vielleicht das Heidentum betreffend), deutlicher ausgesprochen worden durch die Prokonsuln König Chlodwig, Childebert und Chlotar.
Es lebe Christus, der die Franken liebt, ihr Reich möge er
bewahren, ihre Fürsten erfüllen mit dem Licht seiner Gnade, die Monumente des Glaubens beschützen, und der Herr Jesus Christus wolle das Leben der Herrscher mit Freude und Glück ausstatten; deun dies ist das Volk, welches, weil es stark und mächtig war, das harte Joch der Römer im Kampfe von seinem Nacken abschüttelte und nach der Erkenntnis der hl. Taufe über den Körpern der Märtyrer, welche die Römer mit Feuer verbrannt oder durch das Eisen verstümmelt oder den wilden Tieren zum Zerfleischen vorgeworfen hatten, Gold und kostbare Steine zum Schmuck aufrichteten . . .
Chlodwig, ans dem Geschlechte der Merovinger (sein Großvater
hieß angeblich Merooaens) war kaum 15 Jahre alt, als er seinem
Vater, Childerich I., in der Regierung folgte. Es wird von ihm
berichtet, daß er ebenso schlau als tapfer, ebenso hinterlistig als mächtig gewesen sei. Einzig auf die Erweiterung seines Reiches bedacht, hatte er, zwanzig Jahre alt, den römischen Statthalter Syagrins bei Soissons besiegt und diesen, da er ihm ausgeliefert wurde, mit eigner Hand enthauptet. Bald hatte er das ganze Land von der Seine bis zur Loire eingenommen und durch Vereinigung vieler Völkerschaften has mächtige Frankenreich gegründet, das freilich von allen Seiten gefährliche Nachbarn hatte, deren sich Chlodwig nacheinander zu entledigen strebte.
Doch war zu dieser Zeit Königsmacht und Königswürde bei Weitem nicht nach den Begriffen unserer Zeit vorhanden, vielmehr das Wort des Einzelnen aus dem Volke von großem Einfluß. In dem gallischen Kriege waren Kirchen zerstört und die heiligen Gefäße als Beutestücke von den Franken genommen worden. Auf Bitten des römischen Bischofs Remigius war Chlodwig bereit, einen besonders
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genannten Krug zurückzugeben, falls er auf seinen Anteil der Beute fallen sollte. Als er ihn von seinen Kriegern erbat, waren alle bereit, ihn ihrem Könige zu überlassen. Nur einer rief trotzig: „Nichts sollst Du haben, als was Dir das Loos zuteilt!" Dabei schlug er mit der Art auf den Krug, den nun der König mit aller Sanftmut aufhob unb den Boten der Kirche übergab. Doch bei dem nächsten Märzfelde fiel Chlodwigs Blick auf diesen Soldaten, dessen Waffen er tadelte und feine Axt zu Boden schlug. Als sich der Mann bückte, die Axt aufzuheben, schlug ihn Chlodwig nieder mit den Worten: „So hast Du es mit dem Kruge zu Soissons gemacht." Alle, die das sahen und hörten, gingen still von dannen, voller Furcht vor dem Gewaltigen.
Zunächst vermählte sich Chlodwig mit Klotilde (Chrodichildis), der Nichte des zu Lyon herrschenden Burgundenkönigs Gundobad, um an den Burgunden Bundesgenossen zu gewinnen. Diese war den Brautwerbern gern gefolgt, um dadurch aus den Händen des grausamen Oheims befreit zu werden, der ihren Vater Chilperich ermordet hatte. Auch hoffte sie in Chlodwig für die altgermanische Pflicht der Blutrache einen Helfer zu finden, und ihn selbst zum christlichen Glauben zu führen.
Wie es aber um Klotildens eignes Christentum bestellt war, läßt sich daraus erkennen, daß sie ihre Reisebegleiter auf der Brautfahrt bat, die burgundischen Orte, durch welche sie kamen, niederzubrennen, und für diesen Racheakt „Gott dankte", als sie in die brennende Landschaft hinaussah.
Wohl ließ Chlodwig seine Söhne taufen, nahm auch selbst christlichen Unterricht bei einem durch den Metropolitan Remigius zum Bischof geweihten Geistlichen, aber Jahre vergingen, und Chlodwig blieb Heide.
Von seiner Gemahlin beständig zu einem Rachekrieg gegen ihr eigenes Vaterland Burgund getrieben, mußte Chlodwig zunächst mit den ihm verbündeten Rheinfranken gegen die Allemannen ziehen, welche auch ihre gefährliche und gefürchtete Nachbarn waren. Ihr Name galt den Bewohnern Frankreichs auch in späterer Zeit als der Inbegriff des gefürchteten Germanentums, der „Allemands“. Es kam in der Gegend von Zülpich zur Schlacht, in der Chlodwig einen glänzenden Sieg davontrug, nachdem er im Gedränge des Kampfes gelobt hatte, Christ zu werden. Schon neigte sich der Sieg auf der Allemannen
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Seite, da flehte Chlodwig: „Hilf mir, Jesus Christus, den sie Gottes Sohn nennen; denn meine Götter verlassen mich! Wenn Du mir in dieser Not beistehst, will ich an Dich glauben!" Der Kampf wurde erneuert, die schon zerstreuten Reihen der Franken ordneten sich durch ein Wunder, und die Allemannen mußten fliehen. Chlodwig aber zog als Sieger durch die schönen allemannischen Gauen am Rhein und Main, die er nun mit seinem Reiche vereinigte.
Königin Klotilde eilte ihrem siegreichen Gemahl im Geleit des hl. Remigius entgegen, um ihn jetzt an die Erfüllung seines Gelübdes zu mahnen, und erfreut begrüßte sie der König: „Chlodwig hat die Allemannen und Du hast Chlodwig überwunden!" Klotilde aber antwortete: „Dem Herrn der Heerschaaren gebührt die Ehre des ewigen Sieges!"
Ehe Chlodwig zum Christentum übertrat, erforschte er vorsichtig seiner Franken Gesinnung, und erst als diese feierlich erklärten, ihre sterblichen Götter verlassen zu wollen und dem unsterblichen Gotte zu folgen, der ihnen den Sieg verliehen habe, zog er mit drei Tausend seiner Edeln zum Weihnachtsseste nach Rheims (496), dort die Taufe zu empfangen. Im weißen Feierkleide durchschritten die Franken die festlich geschmückten Straßen bis zur Kathedrale hin, an deren Pforten Remigius sie empfing.
Fast geblendet von der in überirdischem Glanze strahlenden Kirche, deren Weihrauch ihn umschwebte, fragte Chlodwig in kindlicher Auffassung den Bischof: „Mein Vater, ist dies das Reich, welches Ihr mir versprochen habt?" „Nein," war die Antwort; nur der Weg, der hineinführt." Und bei der Darstellung der Leidensgeschichte
Christi rief der Frankenkönig voll Kriegseifer: „Wäre ich doch mit
meinen Franken dabei gewesen, so wäre solche Schmach nicht ungerächt
geblieben!"
Das Taufbecken war gefüllt, und ambrosische Düfte erfüllten die weiten Kirchenhallen, so daß die Franken „Lust des Paradieses" zu atmen meinten. Da sprach der Bischof Remigius zu Chlodwig:
„Beuge nun stolzer Sigambrer/) demütig Deinen Nacken. Bete an, was Du sonst verbrannt und verbrenne, was Du sonst angebetet hast!"
*) Tie ©igambrer, zuerst an der Sieg gesessen und einst gefürchtete Feinde der Römer, scheinen sich später mit den Franken vermischt zu haben, und die merovingischen Könige rühmten sich dieser edlen Abkunft.
Darauf sprach Chlodwig das christliche Glaubensbekenntnis, wurde getauft und mit dem heiligen Oele gesalbt, das, wie die Sage berichtet, eine weiße Taube vom Himmel herabbrachte. Er erhielt den Beinamen „der allerchristlichste" König, „der erstgeborue Sohn der Kirche," da er damals als der einzige „rechtgläubige," weil römisch-katholische, S'ürst galt, gegenüber dem Arianismus, dem zu dieser Zeit selbst der griechische (oströmische) Kaiser Anastasius angehörte.
Chlodwigs Uebertritt zur römisch-katholischen Kirche folgten viele Franken, obgleich ihres Königs Grausamkeit und rohe Sitten wenig dadurch gemildert erschienen. Ihm selber wurde aber das Christentum eine helfende Macht, besonders in Gallien, dessen Bischöfe ihm jetzt vertrauungsvoll dienten.
„Chlodwig aber und seine Franken, hielten es für ihre heilige Pflicht, dem Gottessohn die volle Ehre zu geben und den dreieinigen Gott zum Panier der fränkischen Nation zu erheben."
Endlich hatte Königin Klotilde die Genugthuung, ihre Verwandten, besonders ihren Oheim, durch Chlodwig besiegt zu sehen. Doch machte sich Gundobad bald wieder unabhängig und wurde Alleinherrscher des ganzen Burgundenreiches, dem er ein eigenes Gesetzbuch gab, und das er wohl zu regieren verstand.
Chlodwig aber versuchte weiter, sich unbequemer Nachbarn mit List und Gewalt unter dem Vorwande zu erledigen, die Katholiken dort zu schützen. Zunächst griff er die Westgothen an, die den Bur-gunden geholfen hatten; er hätte sie wohl ganz über die Pyrenäen zurückgedrängt, wenn ihnen die Ostgothen nicht zu Hilfe gekommen wären, die gleich Chlodwig nur zu nehmen verstanden, so daß das Westgothenreich dadurch, recht klein wurde.
Um in Gallien noch mehr Ansehen zu erlangen, ließ sich Chlodwig vom oströmischen Kaiser das Patriziat über das Land feierlichst verleihen. ^n der Basilika von Tours umkleidete sich „der langhaarige König der Franken" (nur die fränkischen Könige durften langes Haar-tragen) mit der ihm vom Kaiser übersandten purpurnen Toga und setzte sich selbst die Krone aufs Haupt. So geschmückt verließ er die Kirche, bestieg sein prächtiges Pferd und streute unter dem Jauchzen der Menge Goldmünzen unter das Volk. Die gallisch-römischen Unterthanen aber sahen nun Chlodwig als ihren rechtmäßigen, weil gekrönten König an, und seine Herrschaft reichte vom atlantischen Ozean bis zum
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mittelländischen Meere. Seine Residenz war Paris, und Gallien hieß nun Frankenreich (Frankreich).
Aber das mächtige Reich war seinem Begehren zu klein. Er wollte auch die Besitzungen der anderen Frankenstämme in seine Gewalt bringen. Seine Mittel dazu waren eines „allerchristlichsten" Königs recht unwürdig. Die ihm verwandten fränkischen Fürsten fielen durch Verrat und Mord, der seinen eigenen Händen nicht zu niedrig war. Nachdem er feine ganze Sippschaft schändlich ausgerottet hatte, stellte er sich recht traurig und klagte, daß er nun keinen Verwandten mehr habe, um auf diese Weise zu erfahren, wen er noch auf die Seite schaffen müsse, um keinen Nebenbuhler mehr fürchten zu dürfen. Trotz aller Greuel, welche die Siegesstraße Chodwigs befleckten, hielt er sich selbst für ein göttliches Werkzeug, den römisch-katholischen Glauben auszubreiten, und so mochten ihn die Geschichtsschreiber jener Zeit ansehen. Selbst der Bischof Gregor von Tours, der voller Wahrheitsliebe alle Thaten des Frankenkönigs berichtet, ist fähig, dazu das Endurteil zu schreiben: „Gott aber warf Tag für Tag seine Feinde vor ihm zu Boden und vermehrte sein Reich, darum daß er rechten Herzens vor ihm wandelte und that, was seinen Augen wohlgefällig war."
Endlich mochte sich Chlodwig auf seinem durch Blut und Sünde aufgebauten Thron sicher fühlen; da machte der Tod seiner Macht ein Ende. Er starb, nachdem er sein großes Reich unter seine vier Söhne geteilt hatte, die aber wenig von dem Segen eines Vaters spüren sollten, der den Kindern Häuser baut.
4. Die fränkischen Könige ans dem Hanfe der Merovinger und ihre Hausmeier.
Wie die römisch-katholische Kirche durch das Frankenreich gestärkt wurde, so gewann auch dieses seinen vorzüglichsten Halt an der Kirche gegenüber den arianischen und heidnischen Grenznachbarn, denen es überdies an Macht, Gewandtheit und Mut zumeist überlegen war. So hätten Chlodwigs Nachkommen ein gutes Erbteil zu verwalten gehabt, das sie ganz ausgezeichnet zu vergrößern wußten und dennoch — es ruhte auf dem Hause Chlodwigs ein Fluch, an dem es zu Grunde ging. Chlodwigs ältester Sohn Dietrich (Theodorich) erhielt das rheinlän-
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bifdje Ostfranken (spätere Austrasien) mit der Hauptstadt Metz. Die drei jüngeren Brüder teilten sich in Westfranken (Neustrien) mit den Hauptstädten Orleans, Paris und Soissons. Doch blieben diese vier Teile des Frankenreichs durch gemeinsame Gesetze und gemeinsame Volksversammlung verbunden.
Nach ilnes Gatten od hetzte Königin Klotilde ihre Söhne unablässig^ zum Kriege gegen ihre bnrgundischen Verwandten, von denen der Sohn ihres Oheims Gnndobald die Tochter des Ostgothenkönigs Theodorich geheiratet und sich nach deren Tod mit einer ihrer Hof-frauen vermählt hatte. Als diese aber stolz im Schmuck ihrer einstigen Herrin einherging, verdroß es den Sohn Siegerich, die ungeliebte Stiefmutter mit den Kleinodien geschmückt zu sehen, und er verspottete sie. Darüber grollte ihm die geschmähte Königin und überredete ihren Gemahl, den eignen Sohn zu erdrosseln. Die Ostgothen, deren Königskind Siegerich war, blieben darum nicht Bundesgenossen des Bnr-gundenkönigs. Dieser wurde nun von den Aranken besiegt und, mit seiner Gemahlin gefangen genommen, in einen Brunnen gestürzt.
Indessen hatten die Ostfranken unter Chlodwigs ältestem Sohn, der sich mit dem jüngsten Bruder Chlotar verbündet hatte, das Reich der Thüringer übersatten, deren König Jrmensried sich einst mit Hülfe kr Franken zum Alleinherrscher gemacht hatte, nachdem er seine Brüder gemordet. Bald fiel die letzte Veste der Thüringer, Burgscheidungen an der Unstrut, und Jrmensried ergab sich dem Franken-föntg Theodorich, der ihn nach Zülpich lockte, ihn aber während eines
Gesprächs meuchlings von einer Mauer hinabstürzen ließ. Der südliche
Teil des Thüringer Reichs wurde nun mit Austrasien vereinigt, während der nördliche ^eil zwischen Elbe, Saale und Bode von den Sachsen in Besitz genommen wurde.
Um die Hülse der Franken gegen das oströmische Reich zu gewinnen, überließen ihnen die Ostgothen die heutige Provence. Alle-mannien und Bayern ergaben sich ihrer Herrschaft freiwillig, um unter starkem Schutze alte Rechte zu bewahren, und so erstreckte sich das fränkische Reich weit über die Grenzen des heutigen Frankreich hinaus.
Aber der Fluch wich nicht von ihm; Mord häufte sich auf Mord,
Frevel und Verbrechen zerstörten die heiligsten Familienbande. Grausamer noch, als sich die Männer aus dem Königsgeschlechte der Mero-vinger befeindeten, verfolgten sich die Königinnen des Ost- und West-
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reichs, Brunhilde und Fredegunde, auf deren Thun der Blick nur mit Schaudern ruhen kann. Eine Kette jahrelanger furchtbarer Gräuels welche die beiden Königsweiber unter den gegenseitigen Verwandten anstiften, die Gift und Dolch als gewohnte Waffe handhaben, findet zuletzt ein Ende in dem entsetzlichen Tode der achtzigjährigen Königin Brunhild, die nach dem Urteil Chlotars II., des Sohnes der Königin Fredegunde, und seiner Franken drei Tage lang gefoltert, mit einem Arm und einem Bein an den Schweif eines Pferdes gebunden, zu Tode geschleift wurde. Wohl hatte sie selbst zehn Könige und Königssprossen ihrem Hasse geopfert, aber doch soll Fredegunde ihre schändliche Nebenbuhlerin in verbrecherischem Thun noch übertroffen haben. Chlotar II., der Urenkel Chlodwigs, vereinigte die unter Chlodwigs jüngstem Sohne noch einmal geteilten fränkischen Lande (613); doch war die jetzt folgende fünfzehnjährige Friedensruhe mehr eine Erschlaffung aller Verhältnisse, als daß sie der Wohlfahrt des Frankenreichs gedient hätte. Die auswärtigen Kriege und Eroberungen hatten naturgemäß aufgehört, feit Bruderkriege des Landes Kraft verzehrten, und noch bestimmter, als bei der ersten Teilung, machten sich jetzt zwei Hauptmächte des Frankenreichs geltend: das westfränkische Reich mit romanischem, das ostfränkifche mit echt deutschem Charakter.
Die Nachkommen Chlotars waren träge, entsittlichte Schwächlinge, die nichts mehr von den Pflichten eines Königtums mußten, dessen Ehre und Arbeit sie leichtsinnig von sich warfen und sie den Großen des Reichs überließen. Diese hatten sich längst eine Herrschaft angemaßt, neben welcher die Königswürde zu einem Schatten herabgesunken war. Der neu entftandne Amtsadel hatte die kläglichen Zerwürfnisse in der Königsfamilie der Merovinger ausgenutzt. Besonders hatte der Hausmeier (major domus), welcher ursprünglich nur Aufseher und Verwalter des königlichen Haus- und Hofwesens, später Vorsteher der Lehnsleute (leudes) war, nach und nach die Regierungsgewalt an sich gerissen. Dadurch waren viele Kämpfe unter den Großen des Reichs, besonders unter den Hausmeiern von Neustrien und Ausstrasien, entstanden, bis der Austrasier Pipiu, nach seinem Schlosse bei Lüttich „von Heristal" genannt, die gesamte Macht der beiden Reiche durch einen Sieg bei Testri an sich gebracht hatte (687). Er nannte sich Herzog und Fürst der Franken und machte seine Würde in seinem Geschlechte erblich. Er stellte mit großer Kraft und Strenge Ordnung und Gesetze wieder her und richtete die alte
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Sitte der Märzfelder, eine Heerschau im Frühling jeden Jahres, aufs neue ein. (Später Maifelder.)
Wohl saßen noch Merovinger auf dem Throne des fränkischen Reiches, zufrieden mit dem Königsnamen und wenn sie mit ihrem langen Haar uud ungeschornem Barte bei feierlichen Gelegenheiten nur eine Herrscherfigur spielen, und wie bei den alten Götterfesten in einem mit weißen Ochsen bespannten Wagen vor ihrem Volke auffahren konnten, während das Geschlecht Pipins an der Spitze des fränkischen Adels regierte. Doch ausgeprägter, als unter Pipm, sollte sich die Herrscherstellung seiner Nachkommen entwickeln.
Sein Sohn Karl, mit dem Beinamen Martel (Hammer), setzte mit Energie alles Gute fort, das sein Vater begonnen hatte. Wie er die Friedensboten des Evangeliums, die aus England herüberkamen, unterstützte, so wußte er sich mit gleicher Ausdauer seiner Feinde zu erwehren, besonders der Friesen und Sachsen, die beständig die fränkische Grenze beunruhigten.
Bald wurde Europa durch einen Feind bedroht, der unaufhaltsam siegreich vordrang. Es waren die Araber oder Mauren, die wenige Jahre zuvor Spanien erobert und auf den Trümmern des Westgothenreichs ihre Herrschaft begründet hatten (622). Sie breiteten die Lehre Muhameds mit Feuer und Schwert in schrankenlosem Fanatismus aus, und der Siegeszug der Araber ließ sich durch die Pyrenäen nicht aufhalten. Schon standen sie inmitten des Frankenreichs, als sich ihnen Karl Martel mit seinen Franken, denen die Thüringer, Allemannen und Bayern Bundesgenossen waren, entgegenstellte. In einer siebentägigen Schlacht wurden die Muhamedaner bei Tours und Poitiers besiegt (732) und Europa dadurch vor ihnen bewahrt, wenn sie auch auf der pyrenäischen Halbinsel in dem maurischen Emirat Lordova in Spanien sich länger als ein halbes Jahrtausend hindurch den christlichen Nachbarvölkern gegenüber zu halten wußten.
Noch führten Merovinger den Scheinnamen eines Königs; als aber Theodorich IV. gestorben war, ließ Karl vier Jahre lang den Thron unbesetzt und teilte dann gleich einem rechtmäßigen König das Frankenreich unter seine beiden Söhne Karlmann und Pipin. Da jetzt ihr Stiefbruder Grippo auch Ansprüche aus einen Teil des väterlichen Erbes machte, erhoben die älteren Brüder wieder einen Merovinger, Childerich III., auf den Thron. Karlmann, endlich der
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Kriege müde, die immer aufs neue gegen die sich empörenden Völker auszufechten waren, ging in ein Kloster, und Pipin, mit dem Beinamen der Kleine, wurde der Begründer des Königshauses der Karolinger.
5. Pipin, der erste Frankenkönig ans dem Hanfe der Karolinger.
Trotz aller Gräuel, die sich im Frankenreiche gehäuft hatten, war dort das Christentum eine beherrschende Macht geworden. Wenn auch das Königsgeschlecht der salischen Franken, die Merovinger, an dem Krebsschaden der eignen Thaten zu Grunde gehen mußte, so erhoben sich daneben in Pipin und seinem Geschlecht die ripnarischen oder Rheinfranken als edle Ritter der Botschaft vom Kreuze, au dessen Palladium sie selbst groß werden sollten. Ihr Bestreben war darauf gerichtet, die Völker des Abendlands zu einer großen christlichen Einheit, also die Interessen der Kirche mit denen des Staates zu verbinden.
Pipin, so klein an Gestalt und doch so stark und groß an Kraft, daß er einst bei einer Tierhetze einem Löwen, der einem Büffel auf den Nacken gesprungen war, mit einem einzigen Hiebe den Kopf abschlug: er fühlte tief, wie sehr ihm bet aller eignen Klugheit und
Kraft anderweite Hülfe nötig war. In dem Bewußtsein, daß Kirche und Staat sich gegenseitig stützen und einander bedürfen, sandte Pipin den Abt Fullrad von St. Denys nach Rom und ließ beim Papst Zacharias feierlichst anfragen, ob der würdig sei, König zu sein, welcher sorglos daheim sitze, oder derjenige, der alle Last und Sorge des
Reiches ans sich nehme, also thatsächlich regiere. Der Papst, gerade in
großer Bedrängnis und Furcht vor den Langobarden, deren König Aistulf die Eroberung ganz Italiens erstrebte, auch in dem Wunsche, möglichst von oströmischer Herrschaft frei zu werden, gab die für Pipin günstige Antwort, daß nur der die Königswürde verdiene, der sie thatsächlich verwalte.
Tie fränkischen Großen wie die Geistlichen des Frankenreichs, die jetzt schon einen besondern Stand uud darum eine Macht bildeten (752), waren bereit, der Meiuuug des Papstes allen Nachdruck zu verschaffen. So machte die Weihe des Papstes die Königswürde Pipins in aller
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Augen rechtskräftig, und sein Ruhm verbreitete sich weit über die
Grenzen des Reichs. Auswärtige Fürsten schickten, ihm huldigend, Geschenke, wie denn der griechische Kaiser Konstantinns Krynonimos eine kunstvolle Orgel sandte, deren Bau die Franken anstaunten und von der berichtet wird, daß sie das Rollen des Donners und das süße Getön der Flöte nachgeahmt habe; doch sei eine Frau in Ohnmacht gefallen und in Folge des Schrecks gestorben.
Papst Zacharias starb, und sein Nachfolger auf dem Stuhle Petri, Stephan II., ebenfalls von den Langobarden bedrängt, eilte in größter Besorgnis nach Paris, von Pipin Hülse zu erbitten. Dieser, ein gehorsamer und demütiger Sohn der Kirche, soll, so heißt es nach unverbürgtem Gerüchte (fränkische Annalen sagen nichts davon), dem Papst entgegengeeilt, vor ihm niedergefallen sein und ihm die Steigbügel
gehalten haben.
Mit einem mächtigen Heere zog Pipin über die Alpen (754), nachdem der Papst ihn und seine Söhne nochmals feierlichst zu St. Denys gesalbt und der fränkischen Königswürde den Titel eines römischen Pa-
triziats hinzugefügt hatte. Voller Dankbarkeit schenkte Pipin der Kirche das den Langobarden entrissene Land, dessen Verleihung er durch eine schriftliche Urkunde bestätigte. Dadurch wurde der Papst Patricius, d. h. Statthalter der eroberten Landstriche und war nun aus einem römischen Bischof zugleich ein weltlicher Fürst geworden. Darin war der Grund zu dem Kirchenstaate gelegt, der elf Jahrhunderte lang bestehen sollte (bis zum 20. Sept. 1870). Doch die Stadt Rom war nicht in der Schenkung einbegriffen; Pipin behielt sich den Titel eines Patricius von Rom vor und bahnte schon darin eine Vermischung der germanisch - fränkischen Interessen mit den römisch - italischen an, die später zum Unsegen für Deutschland wurde.
Nachdem Pipin durch Besiegung vieler Feinde die fürstliche Macht vergrößert, die westfälischen Sachsen tributpflichtig gemacht, in Süd-gallien die Araber zurückgedrängt (758) und das Herzogtum Aquitanien sich lehnspflichtig gemacht, teilte er das Frankenreich unter seine Söhne Karlmann und Karl und starb nach ruhmvoller Regierung im vierundfünfzigsten Lebensjahre.
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6. Karl der Große.
(768 bis 814.)
Der fränkische Königsbrauch, das Reich allen Königssöhnen als Erbe zu hinterlassen, trug in der Zersplitterung die Gefahr der Entkräftung in sich. Bald nach ihrem Regierungsantritt folgten auch die Söhne Pipins verschiedenen Richtungen der Politik. Ihres Vaters Willen gemäß sollte jeder einen Teil der beiden Hauptländer Neustrien und Austmsien erhalten, Karl den nördlichen, Karlmann den südlichen Teil, und mochte Pipin gedacht haben, in solcher Teilung nach Nord und Süd den unseligen Haß zwischen Neustrien und Auftrasien auszulöschen. Aber bei den neu erwachenden Feindseligkeiten des Longobarden-königs Desiderius gegen den Papst hielt es Karlmann mit diesem, Karl zunächst mit Desiderius. So waren gleich anfangs die Interessen der beiden Herrschaften im Frankenreiche geschieden. Blieb der Gegensatz in den politischen Anschauungen der königlichen Brüder bestehen, so lag die Gefahr sehr nahe, daß das Frankenreich, wie unter der Herrschaft der Merovinger, im Bruderkriege sich selbst zerreiße.
Karl war der Ueberzeugung, daß die Politik Pipins fortgesetzt
werden müsse; Gegenströmungen glaubte er nicht dulden zu dürfen.
Schon drohte offene Feindschaft zwischen den Brüdern auszubrechen, da starb Karlmann im dritten Jahre seiner Regierung, und weil die Neustrier nicht dessen Söhnen gehorchen mochten, die noch Kinder waren, also nicht als wehrfähig galten, erwählten die Reichs stände auf Betrieb des Abts Fullrad Karl zum Alleinherrscher des ganzen Frankenreichs. Er sollte als Karl der Große sich einen unvergänglichen Namen in der Geschichte des Vaterlandes erwerben, und mit höchstem Interesse folgen wir seinem Lebenswege.
Geschichte und Sage berichten, wie er, wahrscheinlich zu Aachen
am 2. April 742 geboren, von seiner Mutter Bertradis (Bertha), die er bis zur Begeisterung verehrte, in allen Tugenden erzogen, von seinem Vater Pipin in der Kunst des Waffenhandwerks und in den Regierungsgeschäften geübt wurde. Die Sage läßt ihn in einer Mühle Bayerns das Licht der Welt erblicken; hier soll er, angeblich des Müllers Sohn, in der Umgebung wilder Genossen unter vielen Kämpfen erwachsen sein. Eine königliche Haltung der reckenhaften Gestalt, die sieben Fuß Länge (d. h. nach seinen eigenen Füßen gemessen) betragen haben soll, zeichnete ihn vor allen Waffengenossen ans. Blondes Haar, kluge, blaue Augen,
B o r „ tj n f, Unser Vaterland. 5
freundliche Gesichtszüge und eine helle, angenehme Stimme vollendeten das Aeußere des Frankenkönigs, der sich durch Baden und Leibesübungen, durch Mäßigkeit in allen Genüssen, durch Einfachheit in
Nahrung und Kleidung gesund an Leib und Seele zu erhalten strebte.
Daneben befleißigte er sich in allem, was Pflicht und Bildung des eignen Geistes forderten. Weil er selbst nach Sitte der Zeit weder schreiben noch lesen gelernt und, als er König wurde, außer in Latein und Griechisch, in keiner Schulwissenschaft bewandert war, die man Mönchen überließ, so suchte er diese Versäumnis nachzuholen. Da der Tag zumeist dem Kriege wie der Verwaltung des Reiches gehörte, so nahm der König oft die Nacht zu Hülfe. In den schlaflosen Stunden zog der große Schüler die Schreibtafel unter den Kissen seines Lagers hervor und übte die heute jedem Schulkinde geläufige Kunst der Buchstaben. Dazu nutzte er jede noch so kurze Zeit der Muße aus, sich weiter zu bilden. Selbst bei Tisch ließ er sich oft vorlesen, um sich ohne Zeitverlust zu belehren.
Was Karl einst selbst meinte versäumt zu haben, sollte sein Volk bei Zeiten lernen. Er richtete an vielen Orten Schulen ein, die er persönlich überwachte und mit Kirchen und Klöstern verband. Was
und wie viel die Heiden- und Christenkinder seines Reiches lernen sollten und lernten, schreiben, lesen, christliche Lehre, wer will es feststellen? Jedenfalls waren die Schulstunden recht einfacher Art, und doch ist der Heldenkönig Karl gerade als Schüler und Lehrer verehrungsinürdig.
In einer besonderen Hofschule wurden die Söhne der höhern und niederen Beamten des Königs unterrichtet, und als er einst bei einer Prüfung fand, daß die ärmeren Schüler fleißiger gewesen waren, als die reichen, bedrohte er diese, daß sie keine Aemter an seinem Hofe
erhalten würden, wenn sie sich nicht besserten.
Durch die Hebung des geistlichen Standes, dem er sehr viel Macht einräumte, ja dem er sich selbst streng verpflichtet hielt, den Zehnten zu zahlen, suchte der große König christliche Bildung im Volke zu verbreitert. Auch fand er unter den Gelehrten, die er um sich
sammelte, treue Helfer in diesem Bestreben. Besonders war der kluge und edle Abt Alcuin von Tours auf allen Gebieten damaliger Kirnst und Wissenschaft bestrebt, seinem königlichen Herrn und Freunde hülsreich zu sein. Und gleichwie König Karls tapfre Helden sich in der von Sage .und Heldenliedern verherrlichten Tafelrunde vereinigten, so sammelte er die Gelehrten als eine Gesellschaft (Akademie) um sich.
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in der er selbst, die Königswürde verleugnend, nichts mehr und nichts weniger zu sein strebte, als alle andern, ein fleißiger Forscher und Gelehrter.
Um den weitesten Schichten des Volkes zu dienen und dessen
Wohlstand zu heben, legte König Karl auf seinen Meierhöfen Muster-
wirtschaften an, in denen er selbst thätig mar und die er gleich einem kundigen Sandmanne selbst beaufsichtigte. Wälder wurden ausgerodet.
Sümpfe ausgetrocknet und gute Verkehrsstraßen angelegt, so daß wüste Einöden sich in lachende Gefilde verwandelten.
Es ist noch eine von Karl dem Großen selbst mit großer Sachkenntnis verfaßte Anweisung vorhanden, die in 70 Kapiteln über Zucht der Haustiere, Bereitung von Wein und Bier, Pflege des Obstbaues und der Gärtnerei, ja selbst über Fischerei und Bienenzucht genaue Vorschriften giebt. Auch wird gerühmt, daß der König auf seinen Gütern 74 Arten von Kräutern und Gesträuchen gezogen habe und fein Viehstand so mustergültig gewesen sei, daß er als der beste seines Reiches gelten mochte.
Doch weit mehr als in diesem allen gab König Karl seinem Volke in der Pflege der deutschen Sprache, für die er selbst eine
Sprachlehre entwarf. Deutsch mußte gepredigt werden und deutsch sollte der Kirchengesang sein, den italienische Gesanglehrer den ungefügen Franken beibringen sollten. Die Geistlichen hatten mit aller Strenge dafür zu sorgen, daß jeder im Volke wenigstens das Vaterunser und das christliche Glaubensbekenntnis in seiner Muttersprache lernte. Dazu ließ Karl einzelne Teile der h. Schrift ins Deutsche übersetzen, auch vielfach kunstvoll abschreiben, um sie als Geschenke zu benutzen. Das altdeutsche Heldenlied wurde gepflegt, in feinen zerstreuten Resten gesammelt und ausgeschrieben, doch kam davon nichts auf unsre Zeit. Es ist leider wie so vieles in den Wogen der Jahrhunderte untergegangen.
Unter solchen Bestrebungen hatte Pipin des Kleinen gro'ßer Sohn im 26. Lebensjahre den fränkischen Thron bestiegen, den er, im neunundzwanzigsten Jahre Alleinherrscher, sechsundvierzig Jahre hindurch schmücken sollte „seinen Zeitgenossen ein Licht der Weisheit, der Stärke und Tugend, dem christlichen Abendlande ein machtvoller Fürst wie kein Germane vor ihm." Aber feine ganze Regierungszeit ist nur anzusehen als ein heißes Ringen, als ein fortgesetztes Kriegen und Siegen; um so größer müssen uns die Arbeiten innerer Festigung des Reiches erscheinen unter Karl dem Großen, der das große Heim der
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Germanen nur bauen konnte in der einen Hand das Schwert, gleich den Kindern Israels beim Tempelbau. „Mit einer Hand thaten sie die Arbeit und mit der andern hielten sie die Waffen." (Nehemia 4, 17.)
Zunächst befestigte er die Grenzen seines Reiches, das sich später weit über das heutige Deutschland, Frankreich und Italien hinaus erstreckte, im Süden und Westen durch die Siege über Aquitanier
und Bretonen, deren alte Selbständigkeit als Völkerschaften nun gebrochen war. Um jetzt auch die Ostgrenze gegen die wiederholten Raubanfälle der heidnischen Sachsen zu schützen, von denen schon Pipin einen jährlichen Tribut von 300 Pferden erzwungen hatte und das Versprechen, das christliche Bekehrungswerk nicht zu hindern, beschloß Karl feierlich einen Zug gegen dieselben, den er als göttlichen
Auftrag gegen das starre Heidentum betrachten mochte. Denn die
Sachsen hatten das gegebene Wort gebrochen. Sie hatten die christ-
lichen Sendboten erschlagen, die Kirchen zerstört und waren jauchzend in den Wäldern zu den Altären der heidnischen Götter zurückgekehrt. Nachdem Karl die sächsische Veste Eresburg ' b. d. heut. Stadtberge in Westfalen) gestürmt hatte, die Hauptsitz der Zusammenkünfte und Beratungen, selbst der Götterverehrung war, zerstörte er in heiligem Eifer die Jrmensul (772), einen den Göttern geweihten Baum, nach andern ein Denkmal Armins, aber doch wohl ein Denkmal heidnischer Gottesverehrung. Die besiegten Sachsen gelobten Unterwerfung und versprachen wiederum, das Werk der Sendboten des Evangeliums nicht stören zu wollen. Aber der Kamps, der jetzt beendigt schien, sollte noch länger als dreißig Jahre hindurch auf beiden Seiten mit gleicher Heftigkeit fortgesetzt werden. Rangen die Sachsen um ihre uralte Freiheit, um Sitte und Glauben der Väter, so hielten sich die Franken für berufen, in ihrer Weltherrschaft und durch dieselbe den Sieg der christlichen Kirche zu erkämpfen. Aber jeder Sieg über die Sachsen glich zunächst einem Waffenstillstand, der von diesen immerfort gebrochen wurde; denn in den ersten neun Jahren feiner Regierung mußte Karl fünf mal gegen die Sachsen ziehen, die er sich zunächst bis zur Weser, später bis zur Elbe unterwarf.
Während des ersten Kriegszugs in das Land der Sachsen hatte der Longobardenkönig Desiderius, ausgebracht, daß ihm Karl seine verstoßene Gemahlin wieder zugesandt, die Söhne Karlmanns unterstützt, das Erbe ihres Vaters zu erlangen. Er bedrohte Rom, weil der Papst sich weigerte, die unmündigen Königskinder zu salben. Nun zog König
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Karl über die Alpen der Stadt Pavia entgegen, in der sich Desiderius verschanzt hatte. Voller Entsetzen soll dieser beim Anblick des Heeres und seines königlichen Anführers gerufen haben: „Kommt, laßt uns hinabsteigen und uns in die Erde verbergen!" Doch verteidigte sich die Stadt noch ein halbes Jahr lang, und erst der Hunger überwand die Longobarden.
Indessen war Karl nach Rom gezogen, dort Ostern zu feiern. Es war sein erster Besuch in der ewigen Stadt, die ihn mit allen weltlichen Ehren und dem ganzen Pomp der katholischen Kirche empfing. Kinder zogen ihm mit Palmen und Oelzweigen entgegen und sangen: „Gelobt sei, der da kommt im Namen des Herrn!" Die römischen Jünglinge standen im Schmuck der Waffen vor dem großen Könige, der zu Fuß nach der Peterskirche ging und jede Stufe küßte, die er empor stieg. An dem Fuße der Treppe hatte ihn der Papst mit Kuß und Umarmung als „den geliebten Sohn der Kirche Gottes" empfangen. Er führte ihn in das Heiligtum, wo der Chor der Priester das Beuedictus sang. Tann stiegen König und Papst hinunter in die Gruft St. Peters und gelobten sich Treue für Kirche und Thron. Karl bestätigte dem Papste die Schenkung Pipins und vermehrte sie noch. Dafür erteilte der Papst dem König die Würde eines römischen Patricius, wodurch er in Bezug aus Rom das Recht eines Oberbefehlshabers im Kriege und der bürgerlichen Gerichtsbarkeit erhielt, dabei aber verpflichtet sein sollte, die römisch-katholische Kirche zu schirmen.
Eigentümlich ist, daß sich hier Karl der Große vom Papste etwas verleihen ließ, das dieser garnicht zu verschenken hatte, da das Recht dazu höchstens dem oströmischen Kaiser zustand. Zudem hatte König Karl den Papst stets in weltlichen Dingen nur als feinen Statthalter in Rom angesehn, wo er selbst Geld schlagen, in seinem Rauten Gerechtigkeit sprechen ließ und die Wahl der Päpste bestätigte.
Das Longo bardenreich hatte nach langer glorreicher Herrschaft sein Ende in Italien erreicht, und die Sage berichtet noch von einem letzten dreitägigem Heldenkampfe der klein gewordenen Longobarden-schar auf der Wahlstatt, die seitdem das Totenfeld, „mortaria“, genannt wurde. Der letzte Longobardenkönig, Desiderius, starb in einem Kloster, und Karl der Große krönte sich selbst mit der eisernen lombardischen Königskrone, die der Sage nach die fromme Königin Theodelinde einst gestiftet. Er nannte sich von nun an König der Franken und Longobarden. Unterdessen hatten sich die Sachsen König
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Karls Abwesenheit zu Nutze gemacht (775) und sich unter ihrem Herzog Widukind (Wittekind und dessen Kampfgenossen Herzog Albion gegen die fränkische Herrschaft empört. Sie waren in Hessen eingefallen, hatten zwar die Eresbnrg wiedergenommen, doch bald war Karl ihr Herr und hätte sie nun sich willig halten mögen, wenn er nicht gleich wieder einen Aufstand in Italien hätte dämpfen müssen 776 . Der unlöschbare Freiheitsdurst der Sachsen ließ sie nicht zur Ruhe kommen; doch zum dritten Male mußten sie sich den Franken unterwerfen, die nun Zwingburgen im Sachsenlande erbauten, welche auch keine Bürgschaft dauernder Unterwerfung boten.
Wohl mochten die Sachsen sich selbst als bezwungen darstellen wollen, als sie in großer Zahl huldigend auf dem Reichstage zu Paderborn erschienen und die Taufe begehrten. Aber kaum war Karl der Große dem Statthalter Soliman von Saragossa zu Hülfe geeilt, der durch den Kalifen Abd-er-Rahman von Cordova bedrängt wurde, und hatte das in verschiedenen Siegen eroberte Land bis an den Ebro seinem Reiche als spanische Mark einverleibt, als ihn ein mächtiger Sachsenaufstand zurückrief. Schon waren die vereinigten Stämme in Thüringen und Hessen bis Köln vorgedrungen, als Karl sie wiederum zur Ruhe zwang und nach zweijährigem Frieden als Bundesgenossen seines Heerbannes gegen die Sorben (ct. d. Saale) aufnahm. Er selbst zog nach Rom, dort seine Söhne vom Papste krönen zu lassen, Pipin zum König von Italien, Ludwig zum König von Aquitanien.
Statt den Franken treue Verbündete zu sein, wandten die Sachsen sich gegen diese und blieben mit wenig Ehre Sieger über die Verratenen.
Nun endlich ließ Karl ein Strafgericht über die Treulosen ergehen, das man kaum mit seinem großen Beinamen vereinigen möchte. Nachdem er die Sachsen mit großer Heeresmacht besiegt, zwang er sie, ihm alle die auszuliefern, welche unter ihrem Anführer Wittekind gegen ihre Bundesgenossen Verrat geübt hatten. Zu Verden an der Aller wurden sie, 4500 Gefangene, an einem Tage enthauptet. Die Ausübung heidnischer Gebräuche und die Umgehung der Taufe sollte von nun an mit dem Tode bestraft werden. Wittekind war entkommen. Wohl machten die Gedemütigten drei Jahre lang verzweifelte Versuche, ihre alte Freiheit zu erkämpfen; aber in der Nähe der Städte, wo einst Varns von Hermann, dem Cherusker, besiegt wurde, erlagen auch die tapfern Sachsen. Zum Tode erschöpft baten sie um Frieden,
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nachdem in den letzten beiden Schlachten bei Detmold und an der Hase 80,000 Sachsen gefallen waren. Der Sachsenherzog Wittekind mit seiner (Gemahlin Gevct und viele ©dle liefen sich cmf des königs Hofgut Attigny in Frankreich taufen, und Karl der Große selbst vertrat bei der heiligen Handlung Patenstelle (785). ?uin huldigten auch die übrigen Sachsenfürsten dem Frankenkönige und geigten sich der Predigt des Evangeliums geneigt, besonders Wittekind wurde ein so treuer Kämpfer Christi, wie er früher für die heidnischen Götter gekämpft hatte. Aber im Volke grollte der alte Haß gegen den Druck fränkischer Herrschaft, der besonders dadurch genährt wurde, daß sächsische und friesische Männer dem fränkischen Banner in fremde Länder folgen mußten. Jenseits der Elbe, wo Karl der Große Freundschaft mit den Obotriten (Mecklenburg) schloß und ihnen gegen die Milzen half (789), in den fernen Gebirgsgegenden der Pyrenäen und in Istrien und Pannonien kämpften Sachsen für des großen Frankenkönigs Ruhm und Ehre.
Schon waren fränkische Gerichtstage unter Leitung von Grafen an Stelle der alten Volksgerichte getreten, und die Altäre heidnischer Götterverehrung in den heiligen Hainen hatten Kirchen und Klöstern weichen müssen, denen die Sachsen Zehnten zu zahlen halten, cüu im ganzen nördlichen Sachsen die Empörung aufflammte, weil ein fränkischer Graf mit großer Strenge sächsische Männer für einen Krieg gegen die
Avaren ausheben ließ.
Bischöfe und Priester wurden vertrieben, Kirchen und Klöster zerstört; altheidnische Gottesdienste, altheidnische Sitte und Verwaltung standen wieder auf, und voller Begeisterung rangen die Yachsen um ihres Landes alte Rechte. Da sandte ihnen Karl der Große zwei mächtige Heere entgegen, die zwischen Paderborn und Eresburg ihre Lager ausschlugen, und die Sachsen, von solcher Heeresmacht erschreckt, gelobten Unterwerfung und stellten Geiseln. Aber Karl konnte nicht mehr durch Versprechungen getäuscht werden. Jahrelang ließ er fränkische Heere das Land durchstreifen, ganze Scharen wehrhafter Männer wurden mit ihren Familien aus den alten Wohnsitzen gedrängt und mußten sich im Frankenlande zerstreut ansiedeln. Die entvölkerten Landstriche in Sachsen wurden durch fränkische Ansiedler besetzt, unb die fortdauernde Strenge brach endlich den Widerstand der Sachsen (803).
Doch Jahre vergingen, bis sie im Frieden von Lelz an der Saale Karl als ihren Herrscher anerkannten und das Christentum an-
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nahmen. Obgleich sie im Besitze persönlicher Freiheit und volkstümlicher Rechte blieben, auch die Stände ihrer Edelinge, Freien und Liten fortbestanden, so war des alten Sachsenlandes Kraft dahin. Es war zur Einöde geworden, als der Frankenkönig Karl Herr desselben wurde. Er stiftete zur Befestigung der christlichen Lehre in Sachsen acht Bistümer, für den nördlichen Teil Münster und Osnabrück, Paderborn und Minden für die Engern, Bremen, Verden und Hildesheini für die Ostpfahleu und Halberstadt für die thüringischen Sachsen. Er begünstigte den sächsischen Adel, um ihn an sein Interesse zu fesseln; doch um die monarchische Macht zu stärken, traten an die Stelle der vom Volke sonst erwählten Richter königliche Grafen, die in den Gauen cm Königs Statt Recht und Ordnung zu verwalten hatten, aber nach altsächsischem Brauch Recht sprachen. Ihre Thätigkeit wurde von Zeit zu Zeit ebenso wie die Arbeit der Bischöfe durch königliche Sendboten geprüft. Königliche Kammerboten hatten die Aufsicht über die Einkünfte und Kammergüter. Alle Beamten waren an die Person des Königs gebunden; doch vereinigten Reichstage, meist mit den Maifeldern verbunden, die Vasallen geistlichen und weltlichen Standes zu Beratungen und Berichten. Die gemeinschaftlich gefaßten Beschlüsse bedurften der königlichen Bestätigung und bildete sich hierdurch schon das Zusammenwirken der Krone mit den Ständen aus, wobei das Volk als Ganzes nicht vertreten war.
Die allen Rechtsgewohnheiten der Sachsen und Friesen ließ Karl der Große später aufzeichnen in der „lex Saxonum" und „lex Fri-sionum“.
Indes die Sachsen zur Ruhe gezwungen erschienen, erhoben sich die Bayern unter ihrem Herzog Thassilo II., der sich von den Franken unabhängig machen wollte, auch den Longobardenköuig Desiderius, dessen Tochter mit ihm vermählt war, gern in sein Reich zurückgeführt hätte. Er hatte sich sogar mit dem nicht germanischen Volke der Avaren zu diesem Zwecke verbündet (787). Karl war von drei Seiten in Bayern eingedrungen und Thassilo, also bedrängt, hatte in einer Reichsversammlung aufs neue den Huldigungseid als fränkischer Vasall geleistet. Aber die erlittene Demütigung reizte ihn zu neuer Empörung; er wurde besiegt, zum Tode verurteilt, aber von Karl dem Großen begnadigt (788) und mit seiner Familie in das Kloster zu St. Goar verwiesen. In einer spätern Reichsversammlung legte der herzogliche
Mönch, der unerwartet eintrat, für sich und seine Kinder alle Rechte der bayrischen Herrschaft feierlich in König Karls Hand.
Jetzt zog dieser gegen die slavischen Avaren, die zwei Jahrhunderte lang an Theiß und Donau gesessen und der Schrecken ihrer Nachbarn nach Osten und Westen gewesen waren. Der Krieg endete mit gänzlicher Vernichtung der Herrschaft des wilden Volkes, dessen verheertes Land mit deutschen Kolonisten bevölkert und durch Errichtung einer „Ostmark" geschützt wurde. Hierin war der Grund zu dem Ostreich
(Oesterreich) gelegt. (793.)
Zur Sicherung der nördlichen und östlichen Grenze des Reichs mußte Karl der Große mit vielen normannischen und slavischen Völkerschaften kriegen. Während sich die normannischen Völker an der Nordgrenze des fränkischen Reiches, welche durch die Eider bestimmt wurde, festsetzten, kamen viele slavische Völkerschaften an der Ostgrenze des Reiches von der Halbinsel Jütland bis herab zum adriatischen Meere unter fränkische Herrschaft. Auch hier wurde die Grenze durch Marken befestigt, welche durch Markgrafen verwaltet wurden, und die in jener Zeit angelegten Burgen entwickelten sich allmälig zu blühenden Städten wie Hamburg, Magdeburg, Merseburg, Halle it. s. f.
Der höchste Glanz sollte der königlichen Stellung Karls des Großen in und durch Rom kommen. Der mächtige Frankenkönig, dessen Reich im Norbert von der Eider bis nach Benevent in Italien, vom Ebro im Westen bis zur Raab im Osten reichte, sandte huldigend Geschenke aus der avarischen Beute nach Rom, als seinen Boten
päpstliche Gesandte entgegen kamen, den Tod Papst Hadrians und die Wahl Leo III. zu melden. Sie brachten dem König Karl „das
Banner der heiligen Stadt und die Schlüsiel zum Grabe des Apostel-fürsten" mit der Bitte, einen Bevollmächtigten zu senden, vom römischen Volke den Eid der Treue und Untertänigkeit zu empfangen.
Der König nahm die Symbole der ihm als Patricias von Rom zustehenden Rechte an und schickte den Abt Angilbert als Gesandten an den Papst, der jetzt Karls Herrschaft in der Weise anerkannte,
daß Rom ihm als den weltlichen Oberherrn zu gehorchen habe, dem die oberste Gerichtsbarkeit damit gehöre.
Verwandte des verstorbenen Papstes suchten den Papst Leo zu
stürzen, den sie als einen Emporkömmling aus fremder Familie haßten. Sie beleidigten ihn in offener Prozession, schlugen ihn zu Boden, daß er halbtot in ein Kloster getragen wurde, und mit genauer Not entfloh
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er in das Hoflager Karls nach Paderborn (799), ihn zn bitten, selbst nach Rom kommen zn wollen. Beim Erscheinen des Papstes war das ganze Heer niedergekniet, und dieser hatte der gläubigen Menge seinen Segen erteilt, Karl der Große aber hatte den h. Vater in die Arme geschlossen, allem Volke zu zeigen, daß er seinen Freund empfangen habe, den er mit aller Macht zn schützen gesonnen sei. Und als die Heere der Krieger, die Schaaren königlicher Beamten und Paladine das sahen, dnrchbebte ihr begeisterter Zuruf die Luft, die beiden Häupter der Christenheit zu grüßen. „Das grüne Feld von Paderbrunnin schallte von dem dumpfen Hall der erzbeschlagenen Schilde und der kriegerischen Tuben, und die rauhen Heldensöhne Germaniens schworen mit erhabnen Schwertern, den Vertriebnen Papst in jene ferne Roma zurückzuführen, welche sie schon längst in ihre Cbhut genommen hatten. In den Wafsenlärm mischten sich die Hymnen und das Gloria deo in excelsis der Priester." Dann schlossen frohe Feste dieses erneute Bündnis zwischen Staat und Kirche.
Durch königliche Gesandte geleitet, kehrte Papst Leo nach Rom zurück, wohin ihm Karl der Große bald mit einem Heere folgte, um Gericht über die Feinde desselben zu halten. Zum Tode verurteilt, wurden sie durch Karl begnadigt und in die Verbannung geschickt. Voll hoher Befriedigung, die Macht der Kirche geschützt zu haben, verweilte dieser noch längere Zeit in Rom (800). So kam das Weih-nachtssest heran, an dem er im Festgewande eines römischen Patricias dem Gottesdienste in der Peterskirche beiwohnte.
Als er während der Messe am Altar kniete und das letzte Anten verklungen war, trat plötzlich der Papst, scheinbar unerwartet, vor den König und setzte ihm eine goldene Kaiserkrone aus, und das Volk rief: „Carola Augusto, dem von Gott gekrönten, großen und Frieden bringenden Kaiser der Römer, Leben und Sieg!" Gleich einem goldnen Paradiesestraum lebte im Volke das Gedenken ein des alten Römerreiches Herrlichkeit, das nun nach dreihundertvierundzwanzig Jahren in dem hehren, großen und mächtigen Frankenkaiser Carolus Maguus seine Auferstehung feierte. Herrlicher als des alten Reiches Glanz strahlte die neue römische Kaiserkrone, die das christliche Germanentum erhöhen sollte, die alte Kaiserwürde in dem fränkischen Germanenkönig erneuern und die Christenheit des Abendlandes mit dem römisch-katholischen Italien in eine Macht verschmelzen sollte, auch den Gedaukeu einer durch die Kirche von Gott verliehenen Weltherrschaft darstellte.
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Sah das Volk nun zu seinem gleichsam von Gott bestätigten
Kaiser empor, so war Karl der Große selbst fast noch mehr von diesem
Gedanken beherrscht. Bei seiner Rückkehr in die Heimat ließ er sich
von geistlichen und weltlichen Großen aufs neue den Eid der Treue schwören, nach welchem alle königlichen Befehle als göttliche Ordnung angesehen wurden, und in solchem Sinne wurde Recht und Gesetz mit noch größerer Strenge gehandhabt, als bisher.
Selbst die eigne Person schien dem Kaiser von göttlicher Weihe getragen. Unnahbarer als bisher wurde er seinem Volke. Schmückte ihn das kaiserliche Gewand, Krone und Zepter, dann durfte sich ihm niemand anders als knieend nahen, um darauf mit den Lippen des
Kaisers Füße zu berühren.
Dieser Idee, ein christliches Gottesreich auf Erden zu verwirklichen, entsprach Karls des Großen Herrschaft, die sich der Mit- und Nachwelt in solcher Majestät und Glorie darstellte, daß der Kaiser nur noch als das gottgeheiligte Werkzeug seiner hehren Würde erscheint, der er sich völlig hingiebt. Und gleichwie er die edlen Reste und Ruinen antiker Baukunst klug und großartig zu Palästen und Kirchen erstehen ließ, so erstand das fast Erstorbene der verschieden zu einem großen Reiche vereinten Stämme zu neuem Leben in der Verwaltung, im Ausbau des heiligen römischen Reiches unter Kaiser Karl dem Großen, dem Kriegshelden und Friedensfürsten.
Es wird das tiefere Eingehen auf Karls des Großen Zeit mehr, als es hier möglich ist, für immer unschätzbare Blicke tu die Entwicklung der vaterländischen Geschichte darbieten. Seine Kriege sind nicht Kämpfe eines Eroberers jener Zeit; sie sind getragen von dem hohen sittlichen Gedanken, der Völker Wohlfahrt zu begründen und sie dem Christentum zu gewinnen. Ja es umfaßten diese königlichen Gedanken nicht nur Völkerschaften des eignen Reiches; Karl unterhielt Verbindungen mit den Herrschern ferner Erdteile, mit Asien und Afrika, nach Jerusalem, Syrien, Alexandrien, Karthago und weiter, um dort zerstreute Christen zu unterstützen und die Botschaft vom Kreuz da erstehen zu lassen, wo er selbst machtlos war. Seines Namens Ruhm war so weit verbreitet, daß Gesandtschaften aus weiten Fernen sich ihm huldigend mit reichen Geschenken nahten. Es sei hier nur der berühmte Kalif Harun al Raschid gennant, den die deutsche Kinderwelt bis auf diesen Tag aus Sage und Märchen kennt, womit die Zeit sein königliches Thun umwoben hat. Die Gaben des Kalifen, kost-
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bare morgenländische Stoffe und Kunstarbeiten, besonders eine sehr künstliche Uhr, auch ein Elephant, wurden von Karl dem Großen erwidert in Pferden, Jagdhunden, feiner Leinwand und andern Webearbeiten, die ein Jude, namens Isaak, nach Bagdad bringen mußte.
Erschien Karl dem Großen das Reich, dessen zahlreiche Völkerschaften er mit mächtiger Hand zu regiereu wußte, ohne ihnen angestammte Rechte und Freiheiten zu nehmen, zu groß, um es einem einzigen Nachfolger zu hinterlassen, wollte er die alte Frankensitte der Teilung unter den Königssöhnen festhalten, jedenfalls sollten seine drei Söhne je einen Teil des Frankenreichs erhalten. Aber die beiden ältesten und tüchtigsten, Pipin und Karl, starben noch vor ihm (810 imb 811), und der jüngste Sohn, Ludwig, sollte seinem großen Vater in der Regierung der fränkischen Länder folgen, ausgenommen Italien, das für Pipius Sohn Bernhard bestimmt war.
Gebrochen an Leib und Seele, durch Krankheit und schwere Schicksalsschläge, besonders durch den Tod seiner Kinder geschwächt, blieb doch der Geist des Heldenkaisers lebendig (813), als er sein Haus beschickte und sein Testament machte, in welchem zumeist die Armeu bedacht wurden, für welche selbst die mühsam gesammelte Bibliothek verkauft werden sollte. Drei prächtige silberne Tische, die er besaß, kostbar schon durch die kunstvolle Arbeit, erhielten die Peterskirche irt Rom, der Dom zu Ravenna und sein Sohn Ludwig zum Andenken. Die Geistlichen in den Bischofssitzen bekamen zwei Drittel des ganzen königlichen Vermögens. Auch die königlichen Töchter aus verschiedenen Ehen, von denen nicht viel Gutes berichtet wird, wurden reichlich bedacht.
Noch einmal hielt der große König eine Herrschau über die Werke seines Lebens, Synoden wurden versammelt, zu prüfen und zu ordnen, eine Reichsversammlung nach Aachen berufen und den Würdenträgern des Reiches mitgeteilt, daß der müde Kaiser seinen Sohn zum Mitregenten und Nachfolger bestimmt habe.
Auf den Sohn gestützt, schritt Karl im vollen Schmuck seiner Herrscherwürde in die Marienkirche. Vor dem Hauptaltar, auf dem eine goldne Krone lag, knieten beide in langem innigen Gebete. Dann legte der Kaiser dem Sohne in dringenden Ermahnungen die Pflichten seines königlichen Berufes ans Herz und fragte ihn: „Willst du, mein Sohn, alle diese Pflichten gewissenhaft erfüllen?" und
Ludwig antwortete: „Ja, mit Gottes Hülfe!" Darauf mußte er die Krone vom Altar nehmen und sich selbst aufsetzen.
Das Tagewerk des großen Königs war vollendet. Wohl versuchte er in gewohnter Weise seine Regierungsgeschäfte zu verwalten; aber kaum ein halbes Jahr später raffte ihn ein Fieberanfall hinweg, wie er ihn oft in den letzten Jahren durch Fasten überwunden hatte. Nachdem er sich das heilige Abendmahl hatte reichen lassen (28. Januar 814), sang er bis zum letzten Hauche mit leiser und immer leiserer Stimme: „Vater, in deine Hände befehle ich meinen Geist." .Der kaiserliche Leichnam wurde in der Liebfrauenkirche zu Aachen unter den Wehklagen des Volkes in einer Gruft beigesetzt, sitzend auf goldnem Stuhle. Zu seinen Füßen ruhte Zepter und Schild, die einst Papst Leo geweiht hatte, und die goldne Krone schmückte sein Haupt, auf das ein Splitter des „Kreuzes Christi" gelegt wurde. Eine goldne Pilgertasche umgürtete den königlichen Pilger, und das Evangelienbuch ruhte auf seinen Knien. Dann wurde die Gruft mit Spezereien gefüllt und zugemauert, und von dem Bogen, der sich darüber wölbt, blickte das Bild des großen Königs herab; es trägt die Unterschrift: „In dieser Gruft ruhet der Leib Karls, des großen, rechtgläubigen Kaisers, der das Frankenreich ruhmvoll erweitert und 47 Jahre lang regiert hat."
„Niemand kann sagen", so berichtet ein Chronist jener Zeit, „wie groß das Klagen und Trauern um ihn war auf der ganzen Erde;
auch bei den Heiden wurde er betrauert als der Vater des Erd-
kreises."
Jahrhunderte lang ruhte der königliche Leichnam unberührt, bis sich König Otto III. (1001) die Gruft seines großen Vorgängers auf dem deutschen Thron öffnen ließ, um, so sagt die Geschichte, sich an den Zügen des großen Toten zu begeistern, ein Verlangen, das wenig befriedigt werden mochte. Nun fielen die Gebeine nur um so schneller der Verwesung anheim, bis Kaiser Friedrich Barbarossa sie zur letzten Ruhe in königlicher Grabesstätte betten ließ (1165), die jetzt eine einfache Marmorplatte bezeichnet mit der Inschrift: „Carolus Magnus." Papst Paschalis III. versetzte den großen Erdenkönig zn dieser Zeit unter die Heiligen. König Karl der Große lebte fort in Heldenlied
und Sage, und nicht schöner und klarer mag seine ganze Lebensgeschichte
zusammengefaßt werden, als es das Rolandslied thut: „Seine Augen leuchteten wie der Morgenstern, der Glanz seines Angesichts blendete.
wie die Sonne im Mittag; den Feinden war er schrecklich, den Armen
traulich, im Kriege sieghaft, dem Verbrecher gnädig, Gott ergeben, ein
gerechter Richter, der die Rechte alle kannte und sie allem Volke lehrte, wie er sie von den Engeln gelernt hatte und mit dem Schwerte endlich
war er Gottes Knecht."
7. Ludwig der Fromme.
(814 bis 840.)
Die Geschichte der Könige trägt naturgemäß ein menschliches Gepräge, und so selten es vorkommt, daß Helden im Reiche der Geister, Gelehrte und Künstler ebenbürtige Söhne hinterlassen, die fähig sind des Vaters Werk zu fördern, eben so oft standen große Könige auf, deren Nachfolger nicht vermochten, den Glanz der ererbten Krone zu wahren. So Ludwig, mit dem Beinamen der Fromme.
In allen Kenntnissen seiner Zeit gelehrt, in ritterlichen Künsten geübt und mit den Geschäften der Regierung wohl vertraut, ein frommer, Gott fürchtender König, so hatte Ludwig nach dem Tode Karls des Großen die Herrschaft des Frankenreiches angetreten. Aber wenn Wissen den Geist veredelt, wenn Frömmigkeit Milde und Güte schafft, die menschliche Charakteranlage ändert das alles nicht. Sie kann höchstens ihrer Ursprünglichkeit nach durch Willenskraft gebildet werden. Ludwigs Leben für sich, für das Reich sollte an einer unseligen Willensschwäche Schiffbruch leiden.
Obgleich Rom zunächst recht scheel dazu sah, daß Ludwig sich selbst die Krone aufs Haupt gefetzt hatte, so ließen sich die Geistlichen die religiöse Hingabe Ludwigs an die Kirche wohl gefallen, welche er in verschwenderischer Freigebigkeit beschenkte. Er beschäftigte sich mit Lesen der Legenden und heiligen Schriften, sang Psalmen und wäre wohl selbst, gleich seines Vaters Oheim Karlmann, lieber Mönch geworden, als daß er die Reichsgeschäfte verwaltet hätte, die ihm der Adel des Landes recht erschwerte. Er war nicht einmal im stände, das Volk vor den Bedrückungen derselben zu schützen. Die Getreuen wurden durch reiche Schenkungen belohnt: sie wurden von Steuern und von der Pflicht des Heerbannes befreit, auch die Lehngüter ihnen vielfach erblich verliehen, sodaß die Macht der Großen des Reiches
Zunahm, die königliche Macht in eben dem Maße geringer wurde. Dazu kam die Willkür, mit welcher Ludwig oft persönliche Wünsche zum Schaden des Ganzen durchzusetzen suchte und mehr seinen Gefühlen nachhing, als daß er sich zu Thaten aufzuraffen gewußt hätte. Die Befestigung der Neichsgrenzen wurde vernachlässigt, und so wurde die allmälige Schwächung des Reichs nach innen wie nach außen bald fühlbar.
Um den Einfluß der Kirche zu vergrößern, überredete Papst
Stephan IV. (Nachfolger Leo III.) den König leicht, daß seine Selbst-
krönung nicht vollgültig sei und Ludwig meinte nichts Größeres thun zu können, als die Kaiserkrone gleich seinem Vater aus den Händen des Papstes zn empfangen. Er enmiriete den Papst in Rheims zu einer erbetenen Begegnung und zog ihm, als er sich der Stadt näherte, mit seinem ganzen Hofstaat und dcr Geistlichkeit entgegen. Dreimal warf er sich vor dem Kirchenfürsten nieder und führte ihn selbst in die für ihn bestimmte Wohnung in der Abtei zu St. Remy. Am folgenden Conntag klönte der Papst den König und die Königin während des Gottesdienstes mit einer aus Rom mitgebrachten goldnen Krone.
Ludwig mochte sich durch diese weihevolle Krönung in seiner Königswürde gestärkt fühlen; aber er schien es nicht zu beachten, daß Rom uud die Kirche sich dadurch über das Reich erhob. Es war ein fast unscheinbarer Präzedenzfall, der lange und schwere Folgen in sich trug.
Abhängig von jedem Einflüsse, wurde Ludwig durch die Großen
des Reichs, welche mit Recht die steigende Einwirkung der Kirche
fürchteten, dazu gedrängt, schon im vierten Jahre seiner Regierung das Reich unter seine drei Söhne, Lothar, Pipin und Ludwig, zu teilen. Das war eine That, die für Fürst und Volk recht viel Elend in sich bergen sollte. Gab er doch gewissermaßen sein Bett weg, in dem er noch zu schlafen hatte.
Lothar, der älteste Sohn, sollte einen Teil Frankreichs, auch die Kaiserwürde und Mitregentschaft erhalten, Pipin Allemannien, Aquitanien und die Länder im Süden der Loire, wie im Westen der Rhone. Ludwig, der jüngste Sohn, sollte Bayern wie die südlich und östlich daran grenzenden Länder Deutschlands haben. Auch wurde Lothar die Oberherrlichkeit über seine Brüder und über seinen Vetter Bernhard in Italien verliehen. Da sich dieser der Anordnung widersetzte, die
ihn unter seinen jüngeren Vetter stellte, wurde er von ben Großen des
Frankenreichs als Empörer zum Tode verurteilt, von seinem Oheim,
König Ludwig, „zur Blendung begnadigt", die der Unglückliche nur wenige Tage überlebte.
Voller Rene wollte jetzt der König entsagen und in ein Kloster
gehen; überdies war seine Gemahlin Irmengard gestorben. Doch
ließ er sich bereden, sich aufs neue mit einer bayrischen Grafentochter, Jutta (Judith) zu vermählen, die ihn nun völlig beherrschte und ihn
vermochte, zu Gunsten ihres nachgebornen Sohnes Karl (der Kahle)
nochmals zu teilen.
Da empörten sich die Söhne erster Ehe gegen den Vater. Als Pipin mit großer Heeresmacht heranzog, flüchtete die Stiefmutter in ein Kloster zu Poitiers, und Lothar suchte den königlichen Vater zur
Abdankung zu bewegen und gleichzeitig in ein Kloster zu gehen. Als
sich aber der Adel des Landes und sein dritter Sohn, Ludwig, der das Vorgehen seiner Brüder durchaus mißbilligte, mit dem bedrängten König vereinigten, kam eine kurze Versöhnung zu Stande, wonach Lothar von der Mitregentschaft ausgeschlossen und auf Italien beschränkt wurde.
Doch der Lieblingssohn Karl sollte aufs neue bedacht werden; dafür sorgte die königliche Mutter. Die geistlichen Großen, welche vorgaben, auch wohl fürchteten, daß die Einheit der Kirche durch die zersplitternde Teilung gefährdet sei, schürten nun selbst den unseligen Streit zwischen Kaiser Ludwig und seinen Söhnen. Sie riefen den Papst herbei, da nur dieser den Streit schlichten könne. Er kam und zog zuerst in das Lager der Brüder, dann zu deren vor der Zeit gealterten Vater, welcher zum Frieden geneigt war. Aber durch alle Verhandlungen hin und her wurde nichts andres erreicht, als daß der alte, schwache Herrscher in einer einzigen Nacht von allen Freunden verlassen wurde, die in das Lager seiner Söhne übergingen (833). Das war bei Colmar im Oberelsaß, wo sich die feindlichen Heere gegenüberstanden, und Kaiser Ludwig, von den eignen Söhnen verraten, von seinen Mannen verlassen, am andern Morgen die wenigen Getreuen, welche ihm geblieben waren, bat, auch zu seinen Söhnen zu gehen, damit niemand seinetwegen Leib und Leben verlieren möge. Und die Stätte, wo dies geschah, heißt bis auf den heutigen Tag das Lügenfeld. Der arme, betrogene Mann bat die lieblosen Söhne
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unter Verzichtleistung auf die Krone des Frankenreichs um eine Zufluchtsstätte für sich, feine Gemahlin und feinen Sohn Karl.
Voller Ehrenbezeugungen wurde er darauf in dem Lager der
Söhne empfangen; aber Lothar war so vorsichtig, dem Heere des
Vaters gleich den Huldigungseid abzunehmen. Da Ludwig nicht Mönch werden wollte, wie es Lothar verlangte, so berief dieser eine
Reichsverfammlung nach Compiegne (Pipin und Ludwig kamen nicht dorthin), auf welcher der Kaiser die alte Reichsteilung bestätigen sollte, wonach der jüngste Sohn von der Herrschaft ausgeschlossen blieb. Dann wurde er von dem eignen Sohne im Kloster St. Medardus bei Soissons gefangen gehalten, feine Gemahlin in ein italienisches
Kloster, ihr Sohn in das Kloster Prüm in den Ardennen gebracht.
Die Einheit des Reiches und der Kirche, welche die Königssöhne veranlaßt hatte, so schmählich gegen den Vater zu handeln, war durch den unnatürlichen Kampf nicht erreicht. Auch hatte der Papst den Verrat nicht heiligen können. Lothar, der eigentliche Urheber der Empörung, führte zwar den Kaifertitel weiter; aber die Brüder ließen sich feine DberHerrlichkeit nicht gefallen, wonach sie zu dessen Vasallen herabgedrückt worden wären. Er mußte sich auf einen Teil Ost-frankens mit Aachen und auf Italien beschränken. Pipin erhielt Aquitanien und Westfranken, Ludwig dagegen vereinigte unter feiner Herrschaft die hauptsächlichsten deutschen Stämme, Bayern, Schwaben, den Elsaß, Ostfranken mit Worms und Speyer, Thüringen und Sachsen.
Doch vermochte auch jetzt Lothar nicht, den müden Kaiser zu überreden, die Klostergelübde abzulegen. Dafür zwang er ihn, öffentlich vor Volk und Klerus Kirchenbuße zu thun, da nach einer päpstlichen Verordnung, die aber das fränkische Volk nicht kannte, derjenige unwürdig fein sollte, Waffen zu tragen, der mit dem Büßer -gewand bekleidet worden war.
Kaiser Ludwig mußte auf einem Sacke vor dem Altar knieend, dem eignen Sohn ein Sündenbekenntnis ablegen, worin er sich des Meineids, des Kirchenraubs, der Gotteslästerung und wer weiß welcher Sünden zu beschuldigen hatte, von denen fein Herz sicherlich nichts wußte. Daraus wurde er gezwungen, die fürstlichen Gewänder mit dem härenen Büßerkleide zu vertauschen, um dann, nach der Kaiser-Itadt Aachen geführt, dort in strenger Hast gehalten zu werden.
B o r n h a k, Unser Vaterland. 6
Aber den Deutschen war eS eine Schmach, daß die Majestät ihres Kaisers und Königs so schändlich mißachtet wurde, und als Ludwig des Frommen jüngster Sohn, Ludwig (der Bayer, der Deutsche), sein Volk aufforderte, für die Rechte des königlichen Herrn einzutreten, fand er begeisterte Zustimmung. Mit Hülfe Pipius setzte er den Vater wieder in seine Königswürden ein, trotzdem ihn Lothar eiligst nach Paris entführt hatte (834).
Bischöfe, zum Teil dieselben, welche seine Kirchenbuße zu Com-piegne entgegengenommen, sprachen den gebeugten Kaiser los von Schuld und Buße. Königsornat und Wehrgehauk wurden ihm zurückgegeben, und ein Versöhnungsfest hätte wohl alle Schuld der Söhne vergessen lassen, wenn Lothar nicht voller Eigennutz und Trotz ferngeblieben wäre. Er zog aufs neue gegen den Vater und gegen seine Brüder, von deren vereinten Heeren er endlich besiegt wurde.
Es ist begreiflich, daß die Wohlfahrt der fränkischen Reiche unter solchen unseligen Zwistigkeiten Schaden litt. Die Grenzvölker machten sich die Zerrissenheit derselben zu Nutzen; von Norden kamen die Normannen, von Süden die Araber und machten die Küsten unsicher. An Elbe und Donau gewann das Slaventum an Macht und Besitz, und das Christentum, scheinbar so fest gewurzelt, litt unter Islam und Heidentum.
Inmitten des Reiches aber waren alle Bande der Treue und des Glaubens gelockert gleich den Lehnsverhältnissen geistlicher und weltlicher Macht, und darüber oder vielmehr darunter stand Kaiser Ludwig, ein alter, gebrochner Mann, der durch allen Jammer seiner Erfahrungen so wenig klng geworden war, daß er nochmals der Überredungskunst seiner Gemahlin folgte und bei dem plötzlichen Tode seines Sohnes Pipin dessen Land zwischen Lothar und Karl (dem Kahlen) teilte. Dazu beschränkte er den Länderbesitz seines treusten Sohnes Ludwig in sofern, als er ihm nur Bayern ließ.
Von seinen Deutschen, besonders den Sachsen und Thüringern unterstützt, wollte dieser seine Rechte geltend machen und zugleich, vou deu aqnitanischen Großen angeregt, für die unmündigen Söhne ihres Königs Pipin eintreten. Aber in ehrfurchtsvoller Scheu wich er zurück, als Kaiser Ludwig ihm mit Heeresmacht entgegen zog; gegen seinen Vater wollte er nicht "kämpfen (20. Juni 840). Da erkrankte
DAS REICH KARLS D.GR.
UND DESSEN TEILUNG
nach demVertrage v.Terdun. 843. Maßstab 1:9,000000.
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der schwer geprüfte Kaiser plötzlich unb starb, 64 Jahre alt, in einem Zelte, bas man hastig ans einer Rheininsel bei Ingelheim aufgeschlagen hatte. .
Die letzte, burch Kaiserin Jutta veranlaßte Teilung bes Reiches (zu Worms) führte zu einem breijährigen Bruberkriege. Lothar verlangte als ältester Sohn bie Herrschaft bes ganzen Frankenreichs, unb bie fränkische Geistlichkeit unterstützte bies Begehren. Das gemeinsame Interesse machte bic feinblichen Brüber Lubwig unb Karl zu Bundesgenossen. Sie besiegten Lothar in ber mörberischen Schlacht von Fontenailles bei Auxerre (841). Aber bieser gab seine Sache noch nicht verloren. Er versprach ben sächsischen Bauern Wiebcr-herstellung alter Rechte unb Freiheiten unb rief die heibnischen Dänen herbei, sich baburch mehr Verbünbete zu gewinnen. Bei einer Zusammenkunft in Straßburg schlossen Lubwig unb Karl burch gegenseitigen Eibschwur einen Bunb (bie Straßburger Eibschwüre 842), bessen uns erhaltenen Eidesformel in ihrer Eigenart, noch vielmehr in ihrer Sprache, West- unb Ostfranken, Welsche unb Deutsche schon von einanber geschieben zeigt. Karl ber Kahle leistete seinem 93ruber ben Eib treuer Bunbcsgcnosscnschaft in altbeutscher Sprache, bie sich im Gegensatz zu ber lateinischen Sprache der Gelehrten als Sprache des Volks (thiudis, clratis), als „beutsche" Sprache, entwickelt hatte; denn bie Ostfranken verstauben bas Altfranzösische, Romanische nicht. Lubwig bebiente sich ber französischen Sprache, bie sich aus betn alten Römischen, Lateinischen, herausgebilbet hatte, um ben Westfranken verstänblich zu werben. Der Eibschwur Lubwigs, bas älteste Denkmal französischer Sprache, stellt zugleich bie Scheibung bes Deutschen von ben romanischen Elementen bar.
Lothar, allmälig von seinen Anhängern verlassen, mußte sich zum Frieben bequemen, unb es kam in Vcrbun (843) ein Teilungsvertrag zu staube, nach welchem sich brei große Reiche zuerst völlig unb für alle Zeiten trennten, wenn sie auch noch einmal für kurze Zeit vereinigt würben. Lothar erhielt bie Kaiserwürbe bes fränkischen Reichs unb bas fränkische Italien (Longobarbenreich), einen schmalen Laub strich, ber von ber Nordsee bis zum Mittelmeer reichte unb ben größten Teil von Burgunb umschloß, bazu Frreslanb an ber Nordwestküste Dentsch-lanbs. Der sübliche Teil seines Reiches war von Romanen, ber nörb-liche von Deutschen bewohnt.
Karl der Kahle bekam den größten Teil des heutigen Frankreich und die spanische Mark, auch den nördlichen Teil dou Burgund.
Ludwig wurde der erste deutsche König, der die Herrschaft von Speyer, Worms und Mainz am linken Rheinufer, den größten Teil der Länder des rechten Rheinufers erhielt, die bald der gemeinsame Name, „das deutsche Reich" umfaßte. Es gehörten dazu: Sachsen, Thüringen, Bayern, Allemannien und ein Teil Frankens.
So ist das Jahr 843 als das Geburtsjahr Deutschlands in seiner abgeschlossnen Nationalität anzusehen.
Mehr, als auf Ludwig den Frommen, schienen die Eigenschaften Karls des Großen auf seinen Enkel Ludwig übergegangen zu sein, der ihm schon dem Aeußern nach glich. Die hoch gewachsene Gestalt mit den milden, klugen Gesichtszügen und den blitzenden Augen, aus denen die Lebhaftigkeit seines Geistes sprach, der edle Sinn, mit dem er zu seinem Vater gehalten, als seine Brüder zur Empörung drängten, lauter Eigenschaften, die schon von vorn herein Interesse für ihn gewinnen lassen, konnten doch erst lebenskräftig werden, in fofern sie seiner Herrschaft des neuen deutschen Reiches das Gepräge gaben. Aber welche Verhältnisse hatten sich hier unter den schmachvollen Empörungskriegen herausgebildet! Das war nicht ein Reich, wie es Pipin, wie es Karl Ler Große vorfaud, in welchem, obgleich von den Merovingern so sehr vernachlässigt und einem Verfall entgegen gedrängt, doch noch ein Wachstum hervorbrach, das auf Kraft beruhte. Nun sollte Ludwigs Herrschaft retten, was schon verloren war. Zunächst mußten die vielen Stämme seines Reiches zu eiuem Ganzen geformt werden, um die unter Ludwig dem Frommen immer mehr gefährdeten und von den feindlichen Grenznachbarn oft überschrittenen Grenzen zu sichern. Und
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umgekehrt, die gesicherten Grenzen sollten die arg zerrütteten Verhältnisse des neugebildeten deutschen Reiches zu alter Kraft erstehen lassen,
Seit Jahrhunderten waren die nordischen Völker, besonders die Normannen, in ihrer Heimat Wikinger genannt, Bewohner von Norwegen, Schiveden und Dänemark, der Schrecken friedlicher Küstenländer der germanischen Reiche, vom Lande der Friesen an der Nordseeküste bis nach Aquitanien, nach Spanien herab. „Auf den Wegen der Schwäne" zogen sie mit ihren „Seerappen" (leichten, schlank gebauten Fahrzeugen) durch die Meere in die Mündungen der Ströme. bis zu den großen Städten, die sie plündernd zerstörten, und schon Karl der Große hatte voller Sorge für die Zukunft dahin gestrebt, eine Seemacht zu gründen, um auch diesem Feinde siegreich entgegen zu treten. Fast wehrlos hatten die westlichen und nördlichen Länder Deutschlands unter Ludwig dem Frommen sich diesen Räubereien der Normannen beugen müssen, die, von kühnen Führern (Seekönigen) geleitet, neue Reiche auf den Trümmern alter Herrschaften gründeten, so daß die bedrängten Germanen in ihre Kirchengebete die Bitte einschlössen: „a furore Nörmannorum libera nos domine!“ Von der Wut der Normannen befreie uns, o Herr!
Unter Ludwig dem Deutschen (845) setzten sie ihre gewohnten Raubzüge fort, und indem sie ihre leichten Schiffe auch zu Lande als Gepäck mit sich führten, war das Reich im Innern ebenso wenig vor ihnen gesichert wie die Küstenländer. Hamburg, das sich kaum aus einer der Grenzburgen Karls des Großen zu einer blühenden Stadt entwickelt hatte, wurde gleich vielen andern Städten völlig zerstört. Schenkungen und reiches Lösegeld konnten solche Verheerungszüge wohl hier und dort mildern, aber auf die Dauer nicht verhindern. Erst spätere Zeiten ließen die Normannen seßhafter werden, nachdem sie Völkerschaften alter Herrschaft aus ihrem Besitz verdrängten, den sie dann dauernd einnahmen, so in Frankreich (Normandie), England, Rußland (der Waräger Rnrik legte den Grund zum russischen Reiche (862). Auch wurde später (1021) in Unteritalien ein Normannenreich gegründet, das als Stütze der Päpste gegen die deutsche Königsgemalt oft ins Gewicht fallen sollte.
Dazu beunruhigten die slavischen Völker, die Mähren, Böhmen und Sorben, Deutschland von Osten her, und Ludwig, immer weniger der auf ihn einstürmenden Uebermacht gewachsen, mußte es zulassen,
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daß sich in den Pfalz-, Grenz- und Markgrafen die Herzogswürde aufs neue erhob und dadurch die Königsmacht beeinträchtigte.
Ludwig, der sich bei seines Vaters Lebzeiten König von Bayern, später von Ostfranken, nannte, residierte meist in Regensburg und wurde von seinem Volke, dessen Wohlfahrt er ernstlich zu fördern bemüht war, hoch verehrt. Er hätte sich als Regent glücklich fühlen mögen, besonders, da er es verstand, die verschiedenen Volksstämme seiner Herrschaft, Sachsen, Bayern, Allemannen, Franken, mit großem Geschick zu einer Reichseinheit' zu verbinden. Aber es war ihm nicht vergönnt, mit den eigenen Brüdern in Frieden zu leben, ja er mußte durch die eignen Söhne das Geschick seines Vaters erfahren. Sein ältester Sohn Karlmann nahm sich ohne weiteres Landesteile, die ihm Ludwig nach feierlicher Versöhnung zu behalten gestattete, wenn anch unter väterlicher Oberherrlichkeit. Das erregte die Eifersucht der jüngern Söhne, Ludwig und Karl, die auch nur durch eine Länderteilung befriedigt werden konnten.
Indessen hatte der älteste Bruder Ludwig des Deutschen, Kaiser Lothar I., die Herrschaft seines Reiches, um welche er einst den Vater so bitter bekämpft hatte, niedergelegt und war voller Reue in dasselbe Kloster zu Prüm gegangen, wohin er früher seinen Bruder, Karl den Kahlen, geschickt hatte. Er starb bald, und seine drei Söhne hatten sich das Erbe des Vaters geteilt, das sie nicht lange besitzen sollten. Auch sie starben im Verlauf weniger Jahre, und die beiden Oheime, Ludwig der Deutsche und Karl der Kahle, waren ihre Erben. König Ludwig erhielt einen Teil Lothringens mit Basel, Metz, Straßburg, Trier, Aachen und Köln, so daß der Rhein nun ein völlig deutscher Strom war. Ludwig hätte auch als der nun älteste Karolinger Erbe der Kaiserkrone sein müssen, wenn ihm nicht sein Bruder, Karl der Kahle, zuvor gekommen wäre und sich von Papst Johann VIII. in Rom hätte krönen lassen (875).
Voller Entrüstung über solchen Raub, wollte Ludwig feine Rechte geltend machen, starb aber während der Vorbereitungen zum Kriegszuge in Frankfurt am Main (876) und wurde zu Lorch begraben. Eiligst versuchte jetzt Karl der Kahle das linksrheinische Land für Frankreich zu erobern, wurde aber von den Deutschen bei Andernach besiegt und mußte unverrichteter Sache abziehn.
Ludwig hatte seinen drei Söhnen das deutsche Reich hinterlassen, die es sich derart teilten, daß Karlmann: Bayern, Kärnthen, Mähren,
Böhmen, Ludwig (ber Jüngere): Franken, Sachsen, Thüringen, KnrI (ber Dicke): Allemannien unb Rätien erhielt.
Wie wenig treuer Wille, ja persönliche Tüchtigkeit bes Einzelnen gegen den Strom ber Zeit, gegen bie Uebermacht ber Verhältnisse vermag, bas zeigt Lubwigs bes Deutschen Regierung. Er liebte, so sagt ein Chronist, bes Eisens Härte mehr als bes Golbes Glanz, lag ben Kriegsrüstungen mehr ob, als ben Festlichkeiten unb trug stets bie altfränkische Tracht seiner Väter. Auch wirb sein Streben für bie Wissenschaft, seine Hingabe an bie Kirche gerühmt, ber er nicht in schwächlicher Unterwürfigkeit biente, bie er vielmehr zu kräftigen wußte, inbem er ben Unsrieben baraus zu verbannen trachtete, sich selbst aber bie Besetzung ber hohem Kirchenstellen vorbehielt. Die königliche Macht sollte über ber Kirche stehen.
Alles in allem genommen gebührt Lubwig, bcm Enkel Karl bes Großen, auch seinem Charakter nach, ber Ehrenname „Lubwig ber Deutsche." Denn gegenüber ben Empörungsgelüsten seines Bruders Lothar unb ber welschen Hinterlist Karls bes Kahlen war unb blieb Lubwig ein ebler, beutscher Mann.
2. Karl der Dicke und die letzten Karolinger.
Die letzten Karolinger gleichen ben letzten Sprossen eines absterbenben Baumes; sie waren nicht fähig, ben Stamm ihres Geschlechts lebensfähig zu erhalten. Zunächst nahmen Lubwigs Söhne bas Erbe bes Reichs auch barin auf, baß sie bie Rechte Deutschlanbs, als ber ältesten Linie ber Karolinger, auf bie Kaiserkrone, auf bie Krone von Italien, geltenb machten, bie sich Karl ber Kahle wiberrechtlich burch ben Papst hatte verleihen lassen. Doch noch ehe sich bie feinblichen Heere ber Karolinger Deutschlanbs unb ber Karolinger Frankreichs trafen, starb Karl ber Kahle in einer einsamen Bauernhütte zu Brian<?on in Savoyen (880), und ber beutsche König Karlmann erkrankte fast zu gleicher Zeit auf seinem Zuge nach Rom. Er starb, nachdem er seinem Bruder Ludwig (der jüngere oder der Sachse) das Herr übergeben hatte.
In erschreckender Hast füllte sich die Gruft der Karolinger; denn zwei Jahre später (882) starb auch Ludwig, und die vereinigten Reiche fanden sich noch einmal unter Lubwigs bes Deutschen jüngsten Sohn,
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Karl dem Dicken, zu einer Herrschaft zusammen, als außer ihm nur der fünfjährige Enkel Karls des Kahlen übrig geblieben war.
Aber der Nachkomme Karls des Großen trug nur den Namen seines Ahnherrn ohne dessen Größe. Er war den Verwirrungen und Angriffen nicht gewachsen , die von allen Seiten auf ihn einstürmten. In Italien bedrängten ihn die Anmaßungen und Ansprüche der Großen des Landes, wie die Angriffe der Araber auf Rom, in Deutschland die kecken Räubereien der Normannen. Als er sich endlich ermannt hatte, seinen Heerbann gegen diesen alten Erbfeind zu senden und es ihm schon gelungen war, dessen Heer zu umzingeln, sing er an, kläglich mit den Normannen zu unterhandeln und versprach ihnen für den friedlichen Abzug 2000 Pfund Gold und einen Teil Westfrieslands. Das hinderte aber nicht, daß die Normannen im nächsten Jahre bis Paris vordrangen, wo Karl den Seeräubern wieder 7000 Pfuud Silber versprach, ihnen einstweilen aber als Pfand ganze Strecken Burgunderland und das Land an der oberen Seine überließ, wo bald rauchende Burgen und zerstörte Ortschaften von der Schreckenswirtschaft der Normannen Kunde gaben.
Das war den Deutschen eine Schmach, und ihre Fürsten und Herzöge beschlossen die Absetzung eines Königs, der die Königswürde so unköniglich verwaltete und damit seines Volkes Ehre in den Staub trat. Mit seinem Tode (887), er starb zwei Monate nach der Absetzung, erlosch der eigentliche Stamm der Karolinger, der sich noch auf kurze Zeit in verwandten Nebenlinien erhielt.
Arnulf, Herzog von Körnthen, ein nicht legitimer Sohn Karlmanns von Bayern, also damit ein Enkel Ludwig des Deutschen, hatte sich durch wiederholte Siege über die Slaven hervorgethan. Ihn erwählten die deutschen Fürsten zu ihrem König und auch die deutsche Geistlichkeit sah in ihm den Mann, der Reich und Kirche mit starker Hand zu schützen vermöchte. Freilich mußte Arnulf auf beiden Seiten große Zugeständnisse machen; die Herzogswürde gelangte zu größerem Ansehen als bisher, auch die Kirche erstrebte größere Rechte.
Trotzdem wußte Arnulf die Ehre der deutschen Königskrone wieder herzustellen und sie zu wahren. Er war siegreich gegen die in Deutschland bis dahin unbesiegten Normannen, die er in furchtbarer Niederlage bei Löwen (Belgien 891) so demütigte, daß sie während seiner Regierung nicht wieder festen Fuß in Deutschland zu fassen vermochten. Auch die Mähren wurden endgültig mit Hülfe der Magyaren
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zurückgedrängt, und da sich Herzog Guido von Spoleto zum König von Italien machen wollte, zog Arnulf über die Alpen, um sich in Rom vom Papst krönen zu lassen (896). Freilich war inzwischen der Herzog gestorben.
Krank kehrte der deutsche König in die Heimat zurück und starb nach dreijährigem Siechtum zu Regensburg, wie es hieß, an den Folgen von Gift, das ihm Guido's Witwe beigebracht (899). Nun erhoben die Deutschen Arnulfs sechsjährigen Sohn Ludwig auf heit Thron-Aber wehe dem Lande, des König ein Kind ist! Das salomonische Wort wurde sprichwörtlich im Lande, und die Deutschen gaben ihrem Könige den Spottnamen „Ludwig das Kind."
Erzbischof Hatto von Mainz verwaltete die vormundschaftliche Regierung des Landes. Statt für Wohlfahrt und Frieden desselben ztl sorgen, zerstörte er gleich den Großen des Reichs voller Zanksucht das kaum noch Bestehende. Neben einem Faustrecht wüteten Fehden aller Art im Lande, und niemand steuerte diesen Zuständen, die sich ein wildes Nachbarvolk zu Nutzen machte, das von den Höhen des Ural zu den Steppen zwischen Don und Wolga, dann bis zur Donau herabzog (909). Es waren die Magyaren (Ungarn oder Fremde), die nun bis zum Rhein hinstürmten, und ein allgemeiner Jammer erfüllte das Land. Da starb Ludwig das Kind im achtzehnten Lebensjahre (911).
In ihm tvar das Band zerrissen, das die deutschen Stämme um eine Krone gesammelt hatte, die kaum ein Jahrhundert zuvor die ganze Welt mit ihrem Glanze erfüllte. Deutschland als einiges mächtiges Reich schien für alle Zeit dahin; denn die Herzöge waren ebenso viele kleine Könige ihrer Besitzungen geworden, deren Herrschaft ]ie längst besaßen.
3. Konrad l von Franken.
(911—919.)
Noch wurzelte tief im Volksbewußtsein die Ehrfurcht vor der Erblichkeit einer Königswürde, deren Träger in demselben Geschlechte gesucht wurde, so lange nach des Königs Tod noch ein edler Sproß den Namen desselben fortpflanzte. Und in ernster Erwägung traten auch jetzt die Großen des Reiches zusammen, einen König zu wählen, der den jähen Verfall desselben aufzuhalten vermöchte.
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Gleichwie in alter Zeit lag die Volkswahl zu Grunde; aber die Masse der Volksgemeinde, ihr Wille war längst zurückgetreten vor der Macht des Adels. Mochte auch in dem Jubel des Volkes eine Zustimmung gefunden werden, ein Wahlrecht hatte es in der xihat nicht mehr. An die Stelle der feierlichen Schilderhebung des Königs durch das Volk war die Weihe der Kirche getreten.
Darum hielt der Adel des Landes prüfende Umschau unter den Geschlechtern, welche den Karolingern verwandt waren. Da standen drei (Stämme in gleichem Recht zur Krone: die Welfen in Bayern und Schwaben, die Sachsenherzöge wie die Franken mit ihrem Hauptvertreter Kourad. Die Wahl fiel aus den mächtigen Herzog von Sachsen, Otto den Erlauchten, durch feine Gemahlin Hedwig, Enkelin Ludwig des Frommen, mit den Karolingern verwandt. Aber er war ein Greis, und Deutschland bedurfte eines starken Armes, der es aufrichten sollte. Herzog Otto nahm in dieser Erkenntnis die Wahl nicht an, sondern lenkte sie auf einen anderen Karolingersproß aus weiblicher Linie, auf Konrad (I.) von Franken.
Mit kräftiger Hand ergriff Konrad eine Krone, welche dem grauen Haupte des Sachfenherzogs Otto zu schwer dünkte. Er meinte in der Strenge die Kraft zu finden, welche er als treuer und edler Fürst für das ihm anvertraute Reich erstrebte.
Zunächst empörten sich die Lothringer, die mit seiner Wahl nicht zufrieden waren. Sie sagten sich von Deutschland los und verbanden sich mit Frankreich. Es wurden dadurch lange Kriege zwischen Deutschland und Frankreich erregt. Auch die mächtig gewordnen Herzöge hatten es verlernt, sich unter eine Königsgewalt zu beugen, und Konrad hätte sie durch Milde leichter gewinnen mögen, als durch eine so maßlose Strenge, in der er die eignen Schwäger enthaupten ließ, als sie sich (sie waren nur Kammerboten in Schwaben, das bis dahin keine Herzöge hatte) weigerten, einen Teil der Kammergüter an den Erzbischof von Mainz und den Bischof von Konstanz abzugeben. Einer der Mächtigsten unter den Herzögen, die eben so viele Feinde des Königs inmitten des Landes blieben, war Heinrich, der Sohn Herzog Otto des Erlauchten von Sachsen. Ihm zog endlich Konrad mit Heeresmacht entgegen, wurde aber von Heinrich in so furchtbarer Niederlage besiegt, daß sächsische Dichter in ihren Siegesliedern fragen mochten, „wo der Schlund fei, groß genug, alle gefallenen Franken zu fassen." Doch bald erstarkte des Königs Macht wieder.
Als einst, so berichtet die Sage, König Konrad den Herzog Heinrich in feiner Bnrg Grona belagerte, stieg dessen Not zu solcher Höhe, daß er sich dem Könige ergeben wollte. Während die feindlichen Parteien mit einander verhandelten, trat ein sächsischer Ritter ein und fragte den Herzog Heinrich, wo die 30 Haufen Hülfstruppen lagern sollten, mit denen er so eben eingetroffen fei Voller Schrecken brachen die Gesandten Konrads die Verhandlungen ab und zogen unverrichteter Sache zu ihrem König zurück. Zn ihrer Beschämung erfuhren sie nachträglich, wie doch dem Mutigen allerwegen die Welt gehört; denn der sächsische Graf Ditmar hatte nicht 30 Haufen, sondern nur fünf ganze sächsische Männer hinter sich. Herzog Heinrich blieb im Besitze seiner Länder und seines Lebens, das selbst durch Mord bedroht war, und Konrad mühte
sich vergeblich, auch der übrigen widerspenstigen Herzöge Herr zu werden.
Mit größter Treue hat er gestrebt, das zersplitterte deutsche Reich zu einem Einheitsstaate zu verbinden. Einst als Frankenherzog mächtig und groß, mußte der König an der Macht der Ver-
hältnisse scheitern und schmerzlich erfahren, daß auch die Hand eines Königs nicht allmächtig ist. Dazu erneuerten die Ungarn ihre Einfälle in Deutschland, und Konrad kehrte verwundet und entmutigt über so viel vergebliches Ringen aus dem Kriege heim. Aber im Angesichte des Todes vollbrachte er die größte That für des Reiches Wohl. Als die Seinen trauernd fein Sterbelager umstanden, bat er seinen Bruder Eberhard, zu Gunsten Herzog Heinrichs von Sachsen aus die deutsche Krone zu verzichten. In ihm sah er den einzigen Fürsten, der, getragen von der ererbten Hausmacht, das leck geiuordne Reichs-schiss zu steuern vermöchte. Der Bruder Konrads und alle Großen des
Reiches versprachen, die letzte Bitte des Sterbenden getreulich zu erfüllen.
König Konrad 1. von Franken starb nach achtjähriger Regierung über Deutschland, für das er mit größter Treue und in persönlicher Tüchtigkeit Großes erstrebt, doch verschwindend wenig erreicht hatte.
4. Kurzer Rückblick aus die geistige Entwicklung Deutschlands nnter den Karolingern.
Mit dem Tode Konrads I. von Franken schließt ein Zeitabschnitt staatlicher Entwicklung ab, welche in Karls des Großen Herrschaft zur höchsten Blüte gelangte und wiederum abwärts gehend in einer Ueber-
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lebung der Verhältnisse, in Machtlosigkeit zum Sterben reif, doch in ihrem geistigen Wachstum von so großartiger Bedeutung für die vcttci -ländische Geschichte bleibt, daß es wohl eines Versuches wert ist, ihren Charakter nach dieser Seite hin in den Rahmen kurzer Schilderung zu fassen.
Als mit dem letzten Könige aus dem Hause der Merovinger die Glorie altfränkischer Königsherrlichkeit völlig dahingesunken war, und ihre Schattengestalten unter den Gräueltaten ihres Geschlechts nur um ein erbärmliches Ende zu ringen schienen, da beruhte wohl das kraftvolle Erstehen des neuen Königsgeschlechts der Karolinger auf der gesunden, sittlichen Manneskraft des Germanentums, in welchem Liebe und Treue gegen das Vaterland, gegen Weib und Kind fajt überwiegend war neben der religiösen Hingabe an das Christentum. Und doch war dieses unter den Karolingern das eigentliche Lebensprinzip aller Verhältnisse ihres Staatenlebens. Hatten die germanischen Völkerstämme das morsche Römertum in den Staub getreten, so erhoben sie sich unter den Karolingern als Streiter Christi, unter dessen Banner ihre Könige einen christlichen Einheitsstaat des Abendlandes zu gründen strebten. An diesem hehren Gedanken haben alle Karolinger Teil, ihm dienen sie alle vom ersten kraftvollen Auftreten Pipins an, der die Sendboten des Evangeliums herbeirief, bis zu der hehren Königsgestalt Karls des Großen hinauf, bis zu dein Kinde Ludwig, der seine letzte Ruhestätte neben seinem Vater Arnulf in dem Kloster St. Emmeran zu Regensburg begehrte, um in der Kirche heiligen Grenzen von seinem kurzen, aber mühevollen Erdenwege auszuruhen.
Von diesem Gesichtspunkte aus betrachtet ist die Zeit der Karolinger in höchstem Maße groß zu nennen, so viel oder so wenig der einzelne unter ihnen erreicht hat. Es ruht darin eine persönliche königliche Selbstlosigkeit und Hingabe, ein heiliger Diensteifer, Tugenden, die vereint, stets begeisternd auf die Masse des Volkes wirken müssen.
Zunächst wurde den angelsächsischen Missionaren in den vielen Klöstern eine Heimstätte bereitet, von wo aus sie immer aufs neue hinauszogen, den heidnischen Germanen das Evangelium zu verkündigen. In den Ruhestunden aber sammelten die Männer des beschaulichen Lebens fern von dem Treiben der Welt in den Klöstern des Frankenreichs, SoissonS, Tours, Orleans, Metz, Rheims, schon zu-Pipins Zeiten die spärlichen Reste des Altertums, die Werke griechischer, vorzüglich
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-römischer Schriftsteller, wie sie sich in dem Zusammentreffen zwischen Römern und Deutschen angefunden hatten. Auch war Rom noch immer ein Markt für derartige Schätze, nach denen die- Klöster eifrig suchten. Es wurde so ein fast unsichtbarer, aber doch fester Zusammenhang des Volkes der Denker mit dem Altertum gewahrt. Was heute davon Wertvolles in unseren Bibliotheken ruht, das haben einst die Brüder des Hl. Benedictus, denen die Pflege der Wissenschaft, der Unterricht der Jugend und fleißige Handarbeit zur Pflicht gemacht war, in ihren Klostermauern treu gehegt. So wurde beispielsweise zur Zeit der Reformation (1515) die Handschrift der verloren geglaubten und dem Mittelalter unbekannt gebliebenen fünf ersten Bücher von Tacitns Annalen in dem Kloster zu Corvey aufgefunden, wo Widnkind einst lebte. Sie hatten gewiß dort seit der Gründung des Klosters gelegen.
An die Klöster waren die Schulen gebunden, in denen eben so wohl die einfachste Bildung des Volkes, wie höheres Wissen erstrebt wurde. Von der Gelehrtenschule zu Tours, durch den gelehrten Freund Karls des Großen, Alcum, gegründet, gingen die Schulen zu St. Gallen, Reichenau, Fulda, Osnabrück, Paderborn u. s. f. aus. Sie waren schon zu Karls des Großeu Zeit berühmt. In ihnen lernten deutsche Knaben lesen und schreiben; hier führte sie der seinen aufmerksamen Schülern dankbare Mönch in die Tiefen der Wissenschaften ein, in das Studium der Alten, Arithmetik, Geometrie, Sternkunde; vor allem andern aber wurde Grammatik und die Kunst der Rede gepflegt.
Der deutsche Banernknabe wurde in den Klostergärten in der Obstzucht unterrichtet und lernte von der Hand des kundigen Mönchs, dem Holzbirnbaum den edlen Zweig einzuimpfen. Er lernte aber auch Zucht und Sitte des eignen Charakters an der Lehre von der Nachfolge Christi.
Als Karl der Große seinen Franken durch italienische Sänger Unterricht im Singen geben ließ, wurde zuerst und vornehmlich der Kirchengesang gepflegt, und in den Abteien errichtete man Sängerschulen, deren älteste wohl in Deutschland Fulda, die berühmtere später zu St. Gallen war.
Wie viel diese Schulung im Gesänge gewirkt haben mag, wie notwendig sie erscheinen mußte, geht aus dem Urteil eines Zeitgenossen hervor, der von den Franken sagt: „Groß an Leib, wie Berge, donnert
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«auch ihre Stimme hochbrausend daher; und wenn die barbarische Roheit ihre durstige Kehle durch Uebergang und Nachhall zu ver-schleifen bemüht ist, so stoßt sie die harten Töne mit ganz eigenem Geprassel heraus, fast wie ein Lastwagen, der über einen Knütteldamm daherrollt, so daß Ohr und Gefühl, statt sanft bewegt, erschreckt und erschüttert werden."
Fromme Mönche verfaßten die lateinischen Strophen der Hymnen, die heute, vielfach übersetzt, noch zu den Kernliedern der Kirche gehören. Zu St. Gallen dichtete der Mönch Notker (der Stammler, 7 912) seine herrlichen Responsorien und setzte sie in Musik. Von ihm stammt das tief empfundene „media in vita in morte sumus“, das Luther übertragen hat „Mitten wir im Leben sind von dem Tod umfangen." Auch das Orgelspiel fanb immer mehr fleißige Hände, die brausenden Kraftmelodien zu üben, nachdem Pipin das erste herrliche Orgelwerk besaß. Es ist eine dankenswerte Aufgabe selbst unseres Jahrhunderts gewesen, diese musikalischen Kirchenschütze zu heben und zu verwerten.
Jedes angesehene Kloster hatte seine Schreibstube, in welcher die Mönche die Kunst des Malens und Schreibens pflegten oder vielmehr des malenden Schreibens. So entstanden in den immer kunstvoller gestalteten Schriftzügen der dicken Pergamentbände Vervielfältigungen von Werken, die hier verloren, an andrer Stelle durch Abschriften für die Nachwelt erhalten wurden. Man schrieb mit Gold und Silber auf purpurfarbnem Pergament, und die Verzierungen besonders der großen Buchstaben sind unübertroffene Kunstwerke, der Antike ähnlich. Sie dienen als Vorschriften, die zu erreichen auf Kunstschulen noch heute ei strebt wird. Herrliche Denkmäler dieser Kunst sind das Evangeliarinm Karls des Großen zu Wien, der Psalter Ludwig des Deutschen zu Berlin, Bibel und Psalter Karl des Kahlen in Paris, die verschieden Alcuinsbibeln in Bamberg, im Britischen Museum, in Zürich u. s. f. Berühmter noch sind die glänzenden Handschriften des „Evangelium longum", des „Psalterium aureum" und das „Psal-terium Folchards" zu St. Gallen.
Die kostbarsten Handschristen, also Malereien, band man zwischen Elfenbein- und Metalldeckel, die, geschnitzt und mit Edelsteinen verziert, wahre Prachtstücke altdeutscher Kunst sind. Auch die Geräte des -Gottesdienstes und die Reliquien wurden in künstlich geschnitzten
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Schreinen aufbewahrt, welche fleißige Mönchshände wetteifernd verfertigten. Wie man innen die Gotteshäuser schmückte, so wurden Kirchen, Klöster und königliche Pfalzen mit Hülfe und nach dem Vorbilde antiker Baureste aufgerichtet.
Welche Stürme auch in der Karolingerzeit das Reich durchtobten, die Klöster waren die geborgenen Heimstätten der Kunst und Wissen' schast. Die Mönche suchten kluger Weise sich mit und durch jeden Herrscher des Königshauses gut zu stellen, indem sie sich von den Klippen zweifelhafter Fürstengunst fern zu halten verstanden.
Das karolingische Haus hatte von Anfang an Wert darauf gelegt, die Geschichte seiner Familie und seines Reichs zu besitzen, die schon unter Karl Märtel (687) in „Fredegars Chronik" an die Geschichte der Merovinger anlehnte und unter Pipin in den „Annalen von St. Armand" fortgesetzt wurde. Unter Karl dem Großen beginnen die von ihm angeordneten „Reichsannalen", welche von hervorragenden Geistlichen in dem Mittelpunkte aller Staatsereignisse, in der königlichen Pfalz selbst geschrieben und unter Ludwig dem Frommen fortgesetzt wurden. Unter Ludwig dem Deutschen beginnen die eigentlich deutschen Reichsannalen, welche im Kloster Fulda geschrieben wurden (838).
Als aber die Herrscher immer machtloser werden, sinkt ihr Einfluß, auch ihr Strebeil auf diesem Gebiete, und die Mönche von Fulda setzen die Annalen auf eigne Hand in aller Treue fort. Sie tadeln offen Karls des Dicken unfähige Regierung, künden voller Begeisterung von Arnulfs Heldentum (901), schließen aber unter Ludwig dem Kinde. Es giebt nichts Bemerkenswertes mehr vom Hanfe der Karolinger zu berichten.
Außer diesen Reichsannalen schrieb man fast in allen Klöstern Geschichte, zunächst die der Brüderschaft, der engern Heimat. So giebt es Annalen von Corvey, von Hersfeld, Hildesheim, Quedlinburg, Xanten, St. Gallen u. s. f. Dazu finden sich geschichtliche Einzelschriften von hervorragender Bedeutung (820), wie „Einhards Leben Karls." Kaum sechzig Jahre später wurde in St. Gallen eine Lebensgeschichte König Karls, seines Sohnes und seines Enkels geschrieben, worin schon die herrliche Königsgestalt Karls von Ueberlieferung und Sage umkleidet ist.
In solchem wissenschaftlichen Streben entstanden neben der lateinischen Geschichtschreibung auch altehrwürdige Denkmale deutscher Sprache,
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welche ohne die fleißigen Klosterschreiber niemals auf die Nachwelt gekommen wären. So schrieb zu Karls des Großen Zeit ein Mönch des Klosters Wessobrunn in stiller Arbeitsstunde das „Wessobrunner Gebet" in die Textlücke eines lateinischen Schriftstellers. Uns ist, als lauschten wir seinem Gedankengange: Die Arbeit will nicht von der Stelle. Es fehlt ein Täfelchen des lateinischen Schriftstellers, dessen Werk er abschreibt. Die Feder stockt, und das Denken wird zum Versenken in den Urgrund alles Seins. Da schreibt der Mönch auf die leere Stelle seiner Abschrift die eignen Gedanken der Anbetung über die Schöpfung, 21 Zeilen, in denen sich heidnische Anklänge mit christlicher Anschauung mischen. Noch kannte man den Reim nicht; nur die Wiederkehr von gleichen Konsonanten aut Anfange der Worte brachte ein gewisses Klingen hervor, dem harten Klange der Waffen gleich. Das nannte tnctn Alliteration d. H. Stabreim.
Etwa dreißig Jahre später entstand ein herrliches Heldenlied in alliterierenden Strophen über Christi Leben nach den vier Evangelien „der Heliand". Ein niedersächsischer Bauer, ein Westfale, der wahrscheinlich in der Klosterschule zu Corvey gelehrt wurde, soll es im Auftrage Ludwigs des Frommen geschrieben haben. Christus tritt darin in der höchsten Glorie auf, die der Verfasser kannte, als sächsischer Heerführer, aber als der milde Herr und König, umgeben von seinen unzähligen Getreuen, um den Völkern den Frieden zu bringen. Es ist der Herr der Wahrheit, der ihnen viele wahre Worte sagte „endi im sagda filu Waroro Wordo“.
Daneben steht die Evangelienharmonie des Mönches Ofried im Benediktinerkloster zu Weißenburg „der Christ", worin das Leben Christi
beschrieben wird, aber schon in die eben entstcmdne Form des Reimes gefaßt.
Doch wollen nns die Reime der althochdeutschen Mundart noch wenig mit unserer Sprache verwandt klingen, wie einige Zeilen beweisen mögen:
„Giang tho druhtin thanana,
Mit imo sine thegana,
Ongtun sih imo innanthes G-izimbri tlies huses.“
„Es ging hinaus (der) Herr von dannen Mit ihm auch seine Diener (Jünger)
Zeigten sie ihm indessen
(den) Ban (das Gezimmer) des Hauses . ." —
Born hak, Unsre Vaterland. 7
k
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Das Gedicht ist Ludwig dem Deutschen gewidmet, und fühlen wir aus dieser Widmuug heraus, wie der einfache Mönch das Bewußtsein in sich trägt, auf dem Königsthrone Verständnis, Anerkennung zu finden, ja wie das Ideal alles edeln und wissenschaftlichen Strebens im Königshause selbst gesucht wird.
Hat sich hier das eug gedrängte Bild geistigen Strebens unter den Karolingern zumeist auf die Klöster beschränkt, so ist es nicht anders möglich, da gerade sie die Pflanzstätte christlicher Bildung jener Zeit sind, welche die Karolinger gründeten und pflegten, sie reich beschenkten, um endlich in Kirchen und Klöstern ihre letzte Ruhestätte zu finden. Aber diese königliche Hingabe an die Kirche hat Achtund Schattenseiten, wie die Geschichte bewiesen hat. Die Schattenseiten klug zu umgehen, sollte dem folgenden Herrscherhause der Sachsen Geschieden sein.
Zu den verhältnismäßig wenigen Personen, die ihre Zeit be-Itimmenö umgestalteten, und deren hervorragender Name wunderbarer Weise mehr bekannt ist, als ihre Lebensgeschichte, gehört unstreitig Heinrich L, der Finkler, der Vogelsteller, der Städteerbauer. Die Volkstümlichkeit, welche, an die Namen Alexanders des Großen, Karls des Großen, des großen Kurfürsten, des großen Friedrich Preußens u. s. f. gebunden, auch Heinrich I. eigen ist, bietet von vornherein eine Bürgschaft sür den nnveilöschbaren Cnndruck, den die Fußtapsen desselben seinem Lebenswege und damit der Nachwelt hinterlassen haben, und wir folgen mit besonderem Interesse diesen Spuren. Chronisten seiner Zeit berichten von König Heinrich: „Schon in früher Jugend schmückte er sein Leden mit jeglicher Tugend und nahm von Tag Zu Tag zu an Weisheit und Ruhm aller guten Werke". . . . „Obgleich in der ersten Jugendblüte freier gestellt in den Verhältnissen des Lebens, bildete er sich Dennoch weislich in allem, wodurch der Geist gehoben werden kann, in Hingebung und Liebe alle umfassend, mit denen er verkehrte. Niemandem feind, über keinen sich erhebend, die Betrübten tröstend und den Leidvollen helfend, erwarb er sich Lob und gewann Freunde, die sich ihm als Gleiche anschlossen. Und mochte die gezollte Achtung auch seiner Stellung gebühren, die Anmut und Herablassung seines Wesens bewirkte, daß er allen insbesondere teuer war und um so sorgsamer verehrt ward.
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Ihm zur Seite stand seine edle und fromme Gemahlin Mathilde, aus dem Geschlecht Wittekinds stammend. Sie war erst für das Klosterleben bestimmt; Heinrich führte sie aus dem Kloster in Wallhausen zum Traualtar, nachdem er eine nicht kirchlich geweihte Verbindung gelöst hatte.
Ein frommer Christ in der Anschauung seiner Zeit pilgerte er bußfertig nach Palästina, und damit sein Weg um so verdienstvoller würde, machte er ihn meist zu Fuß, nur in höchster Ermüdung bestieg er ein Pferd.
Sein Vater, Herzog Otto, hatte Sachsen und Thüringen in solcher Weisheit regiert, daß man ihm den Beinamen „der Erlauchte" gegeben hatte, und Ottos Vater, Ludolf, der fein Geschlecht auf Wittekind zurückführte, war von Ludwig dem Deutschen selbst zum Herzog erhoben worden. Gleich seinen Vorfahren hatte Heinrich ruhmreich gegen die Slaven gekämpft, und es wird von ihm gesagt, daß er die Lanze nicht eher niederlegte, als bis kein Feind mehr zu besiegen war.
Dem gegebenen Worte getreu war Eberhard von Franken mit vielen Edlen ausgezogen, in das Land der Sachsen Krone und Zepter des Reichs zu tragen, auf welche kaum ein Jahrzehnt zuvor Otto der Erlauchte von Sachsen zu Gunsten des Frankenherzogs Konrad verzichtet hatte. Ob es wahr ist, wie die Sage berichtet, daß Herzog Heinrich gerade Netze für die Vogel ausspannte, als die fränkischen Ritter ihm die Bürde des Reichs mit der deutschen Krone in das Stillleben zu Quedlinburg trugen, mag dahingestellt sein; aber jedenfalls kam ihm die Ehre, welche sein Vater einst zurückgewiesen, völlig unerwartet als Erbteil Konrads, der ihn stets als einen zu mächtigen Herzog befeindet hatte.
Franken und Sachsen, die jetzt hervorragendsten Volksstämme Deutschlands, hatten jubelnd der Königswahl Herzog Heinrichs zugestimmt, als ihn Eberhard von Franken bei Fritzlar, an der Grenzscheide Sachsens und Frankens, feierlichst zum König der Deutschen ausgerufen hatte. So wurde Heinrich der erste wirklich deutsche König, indem hier die älteste Form des Königtums, die Wahl statt der Erblichkeit, wieder zu ihrem Recht kam.
Die Kirche wäre gern durch bie Krönung dabei beteiligt gewesen, und der Erzbischof Heriger von Mainz forderte den König aus, sich
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nach Gewohnheit der fränkischen Könige salben und krönen zu lassen. Aber Heinrich antwortete ebenso bescheiden als wohlbedacht und entschieden: „Mir genügt es, daß ich zum König erwählt worden bin und diesen Namen führe; das hat kein Sachse vor mir erreicht. Gottes Gnade und eurer Liebe danke ich es; aber nun sei es genug. Salbung und Krönung sei einem Bessern vorbehalten, ich bin so großer Ehre nicht würdig." Da rief alles Volk zustimmend: „Heil und Segen dem König Heinrich!"
Aber der Kirche gefiel es nicht, daß der König sich ohne ihre Weihe König von Gottes Gnaden nannte. Doch war drum sein Thun nicht weniger gesegnet, und der sterbende Konrad hätte sich keinen würdigeren Nachfolger erwählen mögen. Viele Feinde warteten des neuen Königs im Reiche selbst, dessen Stämme Konrad vergeblich Zu vereinigen gestrebt hatte. Daß unter vielen nur ein leitendes Oberhaupt sein durfte, stellte auch Heinrich sich als Ziel; aber er vermied die Fehler Konrads auf diesem Wege, indem er die verschiedensten Elemente nicht unter gleichen Regeln zu leiten versuchte, sondern zu verbinden wußte, ohne alles gleich machen zu wollen.
Die königliche Anschauung über die Regierungsform, in der Heinrich I. das so vielseitig gestaltete Reich zu lenken gedachte, war in so knappe, bestimmende Gedanken gefaßt, die, wenn sie ihr Ziel erreichten, Macht und Ehre für König und Reich in sich tragen mußten. „Jeder Stamm stehe in seinen eignen Angelegenheiten für sich und ordne sie selbst nach altem Recht und Herkommen; ihn leite und führe in Zeiten des Krieges und Friedens ein Herzog, dem die Grafen und Herren int Lande zn Kriegsfolge und Gehorsam verpflichtet sind; er schlichte auf seinen Landtagen alle Streitigkeiten und Fehden im Laude; bei ihm finde der Arme und Bedrängte Schutz und Beistand; er schirme die Kirchen, erhalte den Landfrieden und schütze die Grenzen gegen den einbrechenden Feind. Wie aber die Herzöge über die einzelnen Stämme im Reiche gebieten, so stehe hoch über allem Volk und allen Landen des Reiches der König, der höchste Richter und Heerführer des ganzen Volkes, die letzte Zuflucht der Bedrängten und Gewalt Leidenden, der oberste Schirmherr der Kirche. Wie das strahlende Juwel den Reif der Krone einigt und zum herrlichsten Sinnbild irdischer Macht gestaltet, so soll die königliche Gewalt die deutschen Länder zusammenfassen und ihnen geeint erst ihre volle Kraft und Bedeutung geben."
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Trotz dieser wahrhaft königlichen Selbstlosigkeit, in der Heinrich die Wohlfahrt des Reiches durch jedes Einzelnen Mitwirkung erstrebte, fand er wenig Entgegenkommen. Dem fränkischen Eberhard, der so hochherzig auf die deutsche Krone verzichtet hatte, ließ der König die volle Herzogsgewalt in Franken, weil dieser zunächst keinen Sonderinteressen nachging. Aber Herzog Burkhardt von Schwaben waltete io selbständig wie ein König und hatte sich durch große Willkür mit den Geistlichen des Landes verfeindet. Als Heinrich nach Schwaben kam, sich auf jede Weise mit dem Herzog zu verständigen, zog dieser
wider Erwarten vor, sich dem König huldigend mit seinem ganzen Lande zu unterwerfen. Dafür durfte er sich Herzog der Allemannen nennen, und der König behielt sich nur die Besetzung der Bis-
tümer vor.
Der bayrische Herzog Arnulf, im eignen Lande „der Böse" genannt, hätte sich gern zum König der Bayern gemacht. Er trat, zum Zweikampf gerüstet, dem Könige entgegen, als dieser nach RegenS-burg kam. Aber Heinrich suchte mit den deutscheu Fürsten keine Fehde, sondern den Frieden und wußte den starren Bayernherzog durch versöhnliche Rede zu besiegen. Auch Lothringens Herzog Giselbert wurde zunächst durch gütliches Uebereinkommen gewonnen, später sogar durch Vermählung mit Heinrichs Tochter, Gerberga, an das deutsche Königshaus und Land gefesselt. Lothringen blieb von da an über 800 Jahre mit Deutschland vereinigt. Die für Konrad I. unmögliche Einigung aller deutschen Stämme hatte Heinrich in dem kurzen Zeitraum von sechs Jahren als ein Friedenswerk vollbracht, und Deutschland war innerlich erstarkt, um einem mächtigen Feinde entgegenzutreten, der die
Grenzen überschritt, und zu erproben, was es an der früheren Zer-
splitterung des Vaterlandes gelernt hatte.
Die Ungarn, welche in den letzten Jahren ihre Raubzüge nach Italien und Frankreich gerichtet hatten, brachen mit erneuter Gewalt in das Sachsenland ein (924). Ein wildes Reitervolk gleich den alten Hunnen waren sie überall und nirgends, überwogten das flache Land, plünderten, raubten und sengten, um darauf wie der Wind von dannen zu eilen. Die Sachsen kannten bis dahin keinen andern Kampf, als den des Fußvolkes, Mann gegen Mann, und wo es galt, eine Bresche zu füllen, da waren die Germanen noch allemal zur Stelle. Trotz aller persönlichen Tapferkeit waren sie der Reiterei der Ungarn gegenüber
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machtlos. Da verschanzte sich König Heinrich mit seinen Mannen in der Veste Verla bei Goßlar und machte von da Ausfälle auf den Feind. Bei einem solchen hatte er das Glück, einen feindlichen Heerführer in seine Gewalt zu bekommen. Um diesen loszukaufen, gingen die Ungarn endlich auf einen neunjährigen Waffenstillstand ein, da Heinrich ein hohes Lösegeld an Gold und Silber verschmähte. Freilich mußte er sich daneben zu einem jährlichen Tribut verstehen; aber Zeit gewonnen war auch hier alles gewonnen. Leider galt der Waffenstillstand nicht für das südliche Deutschland, wo sich die Ungarn durch wilde Raubfahrten gütlich thaten.
Die Germanen, besonders die Sachsen, hatten allezeit einen Widerwillen gegen feste Städtemauern gehabt. Sie waren hingerissen von den Prachtbauten römischer Städte; aber es mochte ihnen sein, wie dem Landbewohner heutiger Zeit, der auch gern die Großstadt sieht, ihr aber bald mit noch größerer Befriedigung wieder entflieht.
Die Burgen, die Königspfalzen und Bischofssitze waren durch Mauern umfriedigt; der freie deutsche Bauer aber, der Kern des deutschen Volkes, liebte sein freies Heim und seinen Hof, von dem er in weite Ferne hinaus schauen konnte, über die wogenden Felder hin, die durch seiner Hände Arbeit grünten und Frucht trugen. Darum her hatte er Wallhecken gezogen; das galt nun als Grenzmarke für des Nachbars Gehöft, und das Vieh der Weide konnte nicht darüber hinweg. Der dunkle Wald in der Ferne war sein und seiner Stammesgenossen Jagdrevier. Nun wurden Wall und Mauern nothwendig gegen die Ungarn, und Heinrich ließ Tag und Nacht bauen, Burgen, Vesten und Städte zu errichten. Aus der jederzeit zum Kampfe verpflichteten Bevölkerung mußte jeder neunte Mann zum Heerdienst in die fette Stadt ziehen; die acht übrigen bebauten das Land und mußten den dritten Teil des Ertrages in die Stadt liefern, die ihnen zur Zeit der Noi eine Zufluchtsstätte bot.
Gerichtstage, Märkte, Festlichkeiten sollten in den Städten abgehalten werden. Der älteste Sohn des Hauses war verpflichtet, mit dem Heere auszuziehen; die Heergeräte und Waffen mußte er mitbringen. Ein altes Schriftstück der Gothaer Bibliothek, das etwa, der Sprache nach zu urtheilen, ein Jahrhundert später geschrieben wurde, meldet darüber: „De uegeu jar redete sie de Koning Heinrich un bot, (gebot) dat de negebe (neunte) man van bem Lanbe in be stabe vore
(führe) unn beveden (bewachten) de vaste (Veste) mibe bat nett taverne (Wirtshaus) ne wäre unn nen begebmg (Gericht) unn nett market unn nen hochtit wante in ben sieben bat bebe He uppe bat se sie beße bat quedeu an bat orloge (Krieg), be Koning gebot a bat be eibeste Broder in bat Here oore bat se bat Heerewebe (Heergerät) nemen, bat war to recht/'
Quedlinburg, Merseburg, Meißen, Suberftabt, Magdeburg, besonders Nord Hausen u. a. werden als bedeutende Städte auf Heinrich zurückgeführt, obgleich sie schon längst als Pfalzen bestanden; Nordhausen, es ist freilich sagenhaft, soll schon zu Konstantin des Großen Zeit (333 n. Chr.) in seinen ersten Anfängen vorhanden gewesen, dann vom Frankenkönig Merovius (414) als Schutz gegen die Hunnen befestigt worden sein. Aber doch bleibt König Heinrich der eigentliche Begründer wirklich deutscher Städte mit einem deutschen Bürgerstande, in dem
später der Gewerbefleiß erblühen konnte.
Daraus entstand unter Heinrich die erste deutsche „Heeresreorganisation", um ein Fremdwort unsrer Zeit für die Neuschöpfung der Heeresverfassung zu gebrauchen, wie sie der König in seiner Reiterei schuf, „die Merseburger Legion". Diese wurde geübt, in geschlossnen Reihen anzugreifen, den Feind zu verfolgen und im Turnier den Kampf gegen den Einzelnen zu üben.
Drei Jahre waren Über solchen Uebungen vergangen, da erprobte Heinrich Kraft und Geschick seiner Mannen an den feindlichen Slaven, die oft genug mit den Ungarn in Deutschland eingefallen waren. Er drang zuerst in bas Laub ber Heveller, bereu Hauptveste Brennabor
(Brandenburg) durch die sie umgebenden Seen unb Sümpfe der
Havel geschützt war. Doch im Winter wurde die zugefrorene Hauet ein Bundesgenosse der Deutschen; Brennabor wurde erobert, die
wendischen Knaben und Mädchen in die Sklaverei geführt, die wehrfähigen Mannen aber getötet. Denn die Sachsen meinten ein christliches Werk zu thun, wenn sie die Heiden vernichteten. So wurden die nördlichen Wenden, die Redarier, Milzen, Obotriten und überhaupt alles Land zwischen Elbe und Oder unterworfen.
Dafür überfielen die Wenden die Einwohner der sächsischen Städte, bis das große Slavenheer bei Lenzen am rechten Elbufer völlig vernichtet wurde (929).
Der Ruhm dieser Kämpfe war so groß unter den Völkern, daß Heinrich jetzt als der mächtigste Herrscher des Abendlands galt, dem
man überall huldigte, wohin er kam. Als er für seinen Sohn Otto um die Schwester des angelsächsischen Königs Adalstan warb, schickte dieser ihm eilends zwei Schwestern zur Auswahl, von denen Otto (I.) Editha, durch Schönheit und Herzensgute gleich ausgezeichnet, zur Gemahlin erkor.
Die nenn Jahre des Waffenstillstands mit den Ungarn gingen zu Ende; der letzte Tribut der Sachsen sollte gezahlt werden. Da berief Heinrich die Seinen zu einer großen Versammlung und stellte ihnen vor, wie lange sie unter den wilden Stämmen der Grenzländer gelitten, und wie Gott sie alle in ihre Hand gegeben hätte bis auf die wilden Barbaren, denen sie neun Jahre lang tributpflichtig sein mußten.
„Bis hierher", so sprach er, „habe ich euch, eure Söhne und Töchter beraubt, um ihre Schatzkammer zu füllen; nunmehr werde ich gezwungen, die Kirchen und Kirchendiener zu plündern, da uns weiter kein Geld, sondern nur das nackte Leben noch übrig bleibt. Geht daher mit euch zu Rate unb erwägt, was wir in dieser Angelegenheit thun müssen. Soll ich ben Schatz, welcher bem himmlischen Dienste geweiht ist, wegnehmen unb als Lösegelb für uns ben Feinden Gottes geben? Ober soll ich nicht lieber ber Verehrung Gottes bes irbischen Reichtums Ehre zuwenben, bamit wir uns vielmehr von bem erlösen lassen, ber wahrhaft sowohl unser Schöpfer als Erlöser ist?" Da rief alles Volk: „Der wahre lebenbige Gott, ber treu unb gerecht ist in allen seinen Wegen unb heilig in allen seinen Werken, er mache uns frei von unfern Banben." Alle schwuren bem König nochmals Treue im Kampfe gegen bie Ungarn, beren Gesanbten jetzt ber übliche Tribut verweigert würbe. Die Sage berichtet, baß Heinrich ben Ungarn einen verstümmelten, räudigen Hund gesandt habe, wohl wissend, bamit ihre Wut aufs höchste zu reizen. In ungeheuren Massen überschwemmten sie jetzt bas Thüringer Lanb; ein Theil derselben zog sübwärts, von ber Seite in ber Sachsen Lanb zu fallen, würbe aber bort von Sachsen unb Thüringern völlig vernichtet. Der anbre Haufe zog Merseburg entgegen, da ihnen gesagt war, daß dort viel Gold und Silber verborgen sei, als ihnen die Kunbe von ber Nieberlage ihrer Stammesgenossen wurde. Da kam Furcht unb Schrecken in ihre Reihen, unb der Angriff bes Sachsenheeres in ber Ebene ber Unstrut, ber „golbnen Aue", war einem Siegeszuge gleich. Durch bie begeisternben Worte ihres Königs gehoben, stürmten bie Deutschen vorwärts, ihrem Könige nach, ber balb unter bem slatternben Banner des Erzengels Michael
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voran, bald inmitten der Schlachtreihen ritt, immer bereit, durch die eigne Persönlichkeit feine Scharen zn begeistern. (15. März 933.)
So zogen die Deutschen vorwärts in dicht geschlossenen Reihen, wie ihr König sie geübt, und vor ihnen her flohen die Ungarn, ohne eigentlich Stand gehalten zu haben. In dem erbeuteten Lager fanden die Sieger reiche Schätze, dazu eine große Anzahl gefangener Deutschen, die sich ihren Befreiern jubelnd anschlossen. Und weiter ging der Zug, bis die feindlichen ©chaaren zerstreut, vernichtet waren. Heinrichs Ruhm erscholl in allen Landen, er aber gab Gott die Ehre des Sieges und Mete auf offnem Schlachtfelde mit feinem ganzen Heere nieder, dem Herrn der Heerschaaren zn danken, daß dieser furchtbare Feind der Christenheit gefallen war. Zum Andenken an diesen Sieg ließ Heinrich ein Gemälde der Schlacht anfertigen, das er im Speifesaal der Königspfalz zu Merseburg anbringen ließ, und noch heute wird das Andenken an diese Vertreibung der Ungarn im Dorfe Keufchberg bei Merseburg durch Festpredigt und Vorlesung des Herganges jener Schlacht gefeiert.
Der frühere Tribut wurde für die Armen verwandt, Kirchen und Klöster gebaut, deren es unter Heinrichs Herrschaft zwar viel mehr gab, als unter den Karolingern, aber schon blieben die Klöster nicht mehr das, was sie dem deutschen Vaterlande in den ersten Zeiten ihres Entstehens gewesen waren.
Den deutschen Ansiedlern war wieder das Land jenseits der Elbe eröffnet, das, einst von Germanen bewohnt, feit der großen Völkerwanderung durch drängende Slavenstämme in Besitz genommen worden war, und endlich wurde auch die alte Reichsgrenze nach Norden durch Besiegung der Dänen wieder aufgerichtet (934). Der fromme Bischof Itnni zog in das Land der Dänen und Norweger, ihnen das Evangelium zu verkündigen; so war das Reich groß und mächtig, wie zu Karls des Großen Zeit.
Das Tagewerk König Heinrichs war vollendet. Da mahnte ihn ein Schlaganfall während eines Jagdaufenthalts im Harz, fein Haus zu bestellen. Er berief eine Reichsversammlung nach Erfurt, der er feinen Sohn Otto (I.) als Nachfolger empfahl, da er in ihm die Kraft erkannte, welche dem neu erstemdnen Reiche so not that. Darauf teilte Heinrich feine Erbgüter unter seine beiden anderen Söhne, Thankmar und Heinrich, und sicherte das Wittum seiner treuen Gemahlin Mathilde, der er schon längst gute Ortschaften als Einkünfte
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bestimmt hatte (16. September 929). „Und daß es alle wissen, wenn sie uns überleben wird", so lautet der Schluß einer lateinischen Urkunde, „und in der Ehrbarkeit des Hl. Witwenstandes beharren, geben wir alsdann ihr zu belassen die genannten Orte, damit sie int freien, ungestörten Besitz aller Einkünfte, die sie in jenen Orten findet, ihre ganze Lebenszeit ruhig genieße. Auch das innere Gesinde, das im Hause dient, mit allem Hausrat und dem daselbst sich findenden Vieh bestimmen wir für immer ihr zum freien Besitz. Und damit unsre Schenkung fest und unwandelbar bleibe, haben wir sie durch unsre Handschrift befestigt und durch unsren Siegelring sie bekräftigen lassen. ..."
Nach der Reichsversammlung ging Heinrich auf sein Gut Mem-leben an der Unstrut. Er hatte einen Zug nach Nom geplant;, der Tod hinderte ihn daran. Als er sein Ende nahen fühlte, rief er seine Gemahlin zu sich, sprach lange leise mit ihr, dann aber so la»t, daß es alle Anwesenden hörten: „Mein treues, geliebtes Weib, ich vanke dem Herrn Christus, daß ich vor Dir aus dieser Welt scheide. Keiner gewann je ein so frommes, in jeder Tugend erprobtes Weib wie ich. Tu hast mich oft im Zorne besänftigt, mir zu allen Zeiten nützlichen Rat gegeben, mich oft von der Härte zur Gerechtigkeit zurückgeführt und mich fleißig ermahnt, mich derer anzunehmen, die Gewalt erlitten; habe Dank für dieses alles! Ich empfehle Gott und der Fürbitte seiner Auserwählteu Dich und unsre Kinder, wie auch meine Seele, die nun diesen Leib verlassen muß."
Da dankte Königin Mathilde ihrem Gemahl tief gerührt für alle Liebe und Treue und eilte darauf in die Burgkapelle, dort zu beten, als laute Klagen ihr verkündeten, daß der große König verschieden war (2. Juli 936). Er wurde in der Klosterkirche (heutige Schloßkirche) zu Quedlinburg beigesetzt, wo auch Mathilde ihre letzte Ruhestätte finden wollte.
Als man im Jahre 1867 die Gruft aufdeckte, war der Sarg des Königs zerfallen, und man legte die Reste seiner Gebeine zu denen seiner Gemahlin.
Der sächsische Chronist Widuk'ind*) schließt die Lebensgeschichte des Königs Heinrich mit den Worten: „Er war ein großer, mächtiger Herr, der größte der Könige Europas, an jeglicher Tugend Leibes und
*) Widukind von Corvey „Sächsische Geschichten", vollendet um 967.
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der Seele keinem nachstehend. Er hinterließ einen Sohn, noch größer als er selbst, und diesem Sohne ein großes, weites Reich, das er nicht von seinen Vätern geerbt, sondern durch eigene Krnst errungen und Gott allein zu danken hatte."
2. Otto I., der Große.
(936—973.)
Dem gegebenen Versprechen getreu, erwählten die Deutschen Otto zu ihrem König; aber kaum hatte der Heimgegangene König die Augen geschlossen, als seinem Sohne das Recht, die deutsche Krone zu tragen, von verschiednen Seiten streitig gemacht wurde, noch ehe er sie aufs Haupt gesetzt hatte.
Warum, so meinten die übrigen Volksstämme, sollte wieder ein Sachse König sein, da auch sie sich für würdig hielten, dem Reiche einen solchen aus ihrer Mitte zu geben. Der älteste Halbbruder Ottos, aus einer nicht von der Kirche eingesegneten Ehe stammend, namens Thankmar, grollte, daß er dadurch von vornherein ausgeschlossen bleiben sollte. Er verband sich mit dem jüngeren Bruder Heinrich, der darum das größte Anrecht aus den Thron zu haben meinte, weil er geboren wurde, als sein Vater schon König war. Vorsichtig und doch kühn, tapfer und besonnen glich dieser seinem Vater ebenso an Schönheit und Gestalt, wie er dessen Ernst und königliche Haltung geerbt hatte. Und gleichwie er der Liebling seiner Mutter Mathilde war, so liebte ihn alles Volk, wogegen Otto, bei dem Tode Heinrichs I. 24 Jahre alt, durch überwiegenden Ernst und majestätisches Wesen zunächst mehr Furcht als Vertrauen erweckte, auch durch große Strenge sich viele Feinde erworben hatte.
So viel auch das Reich unter Heinrich I. an Macht und Ansehen gewachsen war, er selbst war in seiner Bescheidenheit, auch wohl den Verhältnissen entsprechend, nicht viel mehr als der erste Herzog Deutschlands gewesen. Otto wollte, Karl dem Großen gleich, ein König des Reichs und ein König der Herzöge sein. Er wollte die deutsche Königswürde mit einem Glanze umkleiden, wie ihn das römische Cäsarentum in der sagenhaften Erinnerung germanischer und romanischer Völker hatte. König Otto berief alle Herzöge, Grasen und Vasallen dcö Reiches zu seiner feierlichen Krönung nach Aachen. In der Säulen-
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Halle, welche bie Kaiserpfalz mit bem -Tom verbanb, hoben sie ifjren König auf ben hier errichteten Thron, unb alle leisteten ihm bett Eib ber Treue, wnuberbarer Ssßcifc immer noch als „bem König ber Franken."
In enganschließenber, fränkischer Tracht ging bieser nun in bie Marienkirche, wo ihn bie (Geistlichkeit unb bas iso(f crmaititc. ~ ^r Erzbischof von Mainz kam ihm entgegen unb sprach zum Volke: „Sehet hier, ich stelle euch vor ben von Gott ei körnen, einst uon unserm Herrn Heinrich vorgeschlagnen, jetzt von allen Fürsten erwählten König Otto. Gefällt euch biese Wahl, so erhebt zum Wahrzeichen bie Hslnb zum Himmel!" Jubelnb antwortete bas Volk: „Heil unb Segen bem Könige!"
Auf bem Altar lagen bas Schwert mit bem Wehrgehänge, ber Mantel unb bie Armspangen, Krone, Zepter unb ein Hirtenstab als Zeichen bes königlichen Anteils am Kirchenregiment. Die Erzbischöfe von Köln unb Trier hatten sich barum gestritten, wer ben König salben unb krönen sollte, unb, wie bas gewöhnlich geht, hatte ber britte ben Vorteil bavou, bem Erzbischof von Mainz blieb bie Ehre. Nach-bem er bem König alle Zeichen ber Königswürbe einzeln mit Worten überreicht hatte, bie es nicht unbeutlich bnrchblicken ließen, baß bie Kirche bie eigentliche Spenberin bieser ganzen Erbenherrlichkeit sei, setzte ber Mainzer Erzbischof mit Hülfe bes Erzbischofs von Köln bem König nach erfolgter feierlicher Salbung bie Krone aufs Haupt, unb alle brei Erzbischöfe führten ihn zu einem erhöhten Thron, bamit ihn alles Volk sehen konnte.
So erschien bie Kirche nrieber über bem Staate, unb bieser sollte noch manchmal barum kämpfen, baß bas Königszepter nicht unter ber Gewalt bes kirchlichen Hirtenstabes zerbrechen möchte. Doch war biese Krönung, in ber alle beutschen Stämme sich vereinigten, ihrem Könige zu hulbigen, von größter Bebeutung. Otto war jetzt nicht mehr ber Erste unter ben Herzogen Deutschlanbs, er war ihr königlicher Herr, ber Herrscher ber Christenheit, von Gott selbst burch bie Kirche bazu geweiht. So faßte er sein Königsamt auf, unb in heiliger Scheu setzte er fortan niemals bie Krone mehr auf fein Haupt, ohne vorher gefastet zu haben.
Bei bem prächtig zugerichteten Krönungsmahle in ber Kaiserpfalz speiste ber König mit ben Seinen vor allem Volk an glänzenber Marmortafel, unb bie ersten Herzoge bes Reiches bienten ihm babei
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als Erzkämmerer, Erztruchseß, Erzmundschenk und Erzmarschall, Würden, die bei späteren Krönungen in Geltung blieben, während die Erzbischöfe das Recht der Krönung weiter beanspruchten.
Indeß Otto in der Glorie dieser Feste Liebe und Verehrung schauen mochte, wurden finstre Pläne geschmiedet, ihn zu verderben. Er hatte den fehdelustigen Herzog Eberhard von Franken wegen eines Fehdevergehens hart gestraft; doch stand diesem das Recht zur Seite. Tie Sachsen waren so stolz geworden, daß sie keinem aus andrem Stamme, von dem sie Lehen trugen, gehorchen wollten, und so hatte sich Eberhard, der einst hochherzig auf die deutsche Krone verzichtete, nur sein Recht als Lehnsherr verschaffen wollen. Er mußte harte Strafe in edeln Rossen zahlen und die übrigen Großen, welche ihm geholfen hatten, wurden zu der entehrenden Buße des Hundetragens nach Magdeburg verurteilt. Da verband sich Eberhard mit Ottos Brüdern, Thankmar und Heinrich, auch Giselbert von Lothringen, dem Gemahl der Schwester Ottos. Selbst der Bischof von Mainz war in diese Empörung verwickelt, als Eberha d bei einem Ueberfall erschlagen wurde, Giselbert auf der Flucht im Rheine ertrank. Thankmar war schon vorher in der Eresburg, die von Ottos Mannen erstürmt war, am Altar der Schloßkirche getötet worden. So standen Otto und Heinrich allein, zwei feindliche Brüder und doch gemeinsam gebeugt unter solchen Verlusten der Ihrigen. Sie mochten sich fragen, für welche Schuld beide so große Strafe traf. War es darum, daß sie ihre Mutter, die fromme Königin Mathilde, gezwungen hatten, in der Heimat ihres großen Vorfahren Wittekind, in ein westfälisches Kloster zu gehen, weil sie ihr Hab und Gut verschwenderisch an Arme und Kranke verteilte? Im wahren Triumphzuge wurde sie jetzt aus der Klosterzelle zu ihren reichen Witwenbesitzungen zurückgeführt und hatte die Freude, endlich beide Söhne völlig mit einander auszusöhnen (941).
Otto feierte das Weihnachtsfest in der Schloßkirche zu Quedlinburg, als sein Brnder Heinrich unerwartet eingetreten war. Im Büßerhemde kniete er vor dem strengen Bruder und flehte vergeblich um Erbarmen. Da ergriff der Abt die hl. Schrift und las, wie Jesus dem Petrus gebot, nicht siebenmal, sondern siebenzig mal sieben mal zu verzeihen. Demütig beugte sich der mächtige Herrscher dem Gotteswort und verzieh dem reuigen Bruder.
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Die von Heinrich I. unterworfnen Völkerschaften glaubten bei seinem Tode sich wieder frei und selbständig machen zu können, die Wenden in der Lausitz und Mark, auch. die Dänen, welche die königliche Besatzung in der Markgrafschaft Schleswig ermordet hatten. Wie im Fluge wurden die Empörer zur Ruhe gebracht und Otto errichtete zunächst in der Lausitz und in der späteren Mark Brandenburg Bistümer: Meißen, Merseburg, Havelberg, Brandenburg u. s. f.
Dann bat auch der bedrängte Dänenkönig Harald (947), den Markgraf Gero mit grausamer Härte bekämpfte, um Frieden und trat mit den Seinen später zum Christentum über (962). Auch hier stiftete Otto I. viele neue Bistümer, Schleswig, Ripen, Aarhus u. s. f. Die Stelle aber, wo der siegreiche König jubelnd seine Lanze ins Meer schleuderte, heißt Otteusuud bis auf diesen Tag.
Otto herrschte nun mit starker Hand von den Alpen bis zum Belt, vom Mittelmeer bis zur Ostsee, als thu der Hülferuf einer
Königswitwe, der schönen mit) tugendhaften Adelheid nach Italien rief. Berengar II., Markgraf von Jvrea (Piemonts hatte ihren Gemahl vergiftet (950), sich des italienischen Thrones bemächtigt und begehrte für seinen schon im Aeußern widerwärtigen Sohn und Mitregenten die Hand der Königin. Er hielt sie in grausamer Haft in einem Schlosse am Gardasee. Ein Freund und Vertrauter des alten Königshauses, der fromme Mönch Martin, wußte mit unsäglicher Mühe ihre Kerkermauern zu untergraben und führte die Herrin bei Nacht auf einem Kahne über den See zu einem sichern Zufluchtsorte in der Veite Kanossa. Während Berengar diese mit großer Heeresmacht belagerte, wußte Martin ein Schreiben seiner Königin über die Alpen zum König Otto zu bringen, in welchem sie ihm ihre Hand mit der
Krone Italiens bot. Seit vier Jahren Witwer, war König Otto
sofort bereit, sich mit der Hand der schönen Königin Italiens Besitz zu sichern. Doch eilte ihm sein Sohn Liudolf, Herzog von Schwaben, voraus, sich selbst durch die Unterwerfung Berengars vor dem königlichen Vater Lorbeeren zu erringen. Auch strebte er danach, die zweite Heirat Ottos zu verhindern, in der er seine einstige Nachfolge bedroht sah. ^.ief gedemütigt mußte er mit seinem zusammengeschmolzenen Heere zu den wohl gerüsteten Mannen des Vaters stoßen (951), nachdem er, selbst besiegt, nicht einmal Lebensrnittel für feine wenigen Leute hatte. Otto zog siegreich durch Italien, hielt feinen königlichen Einzug in Pavia und vermählte sich bald, mit der Königin Adelheid.
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Da verband sich Liudolf mit seinem Schwager Konrad von Lothringen zu offner Empörung gegen den Vater; auch Erzbischof Friedrich vou Mainz war mit im Bunde. Schon standen ihre Heere den Truppen des Königs gegenüber, als Liudolf, aus Zureden der Bischöfe von Augsburg und Chur Verzeihung erbittend, sich mit seinem Vater aussöhnte (954). Aber Otto nahm den Empörern ihre Herzogtümer und Lehen. Lothringen gab er seinem Bruder, dem trefflichen Erzbischof Brun von Köln, Schwaben dem Schwiegersohn seines Bruders Heinrich.
Da riefen die tief Gekränkten die Ungarn nach Deutschland. Diese überschwemmten in großen Heeresmassen Bayern, belagerten Augsburg und trafen dort am Lech mit König Otto zusammen (10. Aug. 955), der sie an der Spitze der Bayern, Franken, Schwaben und Böhmen erwartete. Schon hatten die Ungarn gemeint, wenn nicht der Himmel herabstürze, oder die Erde sie verschlinge, könne niemand sie besiegen. Aber die vordersten Reihen ihrer Truppen mußten mit Geißelhieben in den Kampf geführt werden, indeß die Deutschen sich durch Gebet und Abendmahl zum Kampf vorbereiteten. Und wer mit einander feindlich gewesen war im deutschen Heere, der versöhnte sich; auch gelobte jeder dem andern Treue bis in den Tod.
In acht Heereshaufen rückten die Deutschen dem Feinde entgegen, und selbst Konrad von Lothringen brannte vor Begier, sein Unrecht zu sühnen. „Besser ist es, ruhmvoll im Kampfe zu falleu, als unter dem Joche der Feinde ein Sklavenleben zu führen!" Mit den Worten stürmte Otto seinen todesmutigen Scharen voran, in der Rechten das Schwert, in der Linken die heilige Lanze. (Angeblich mit Nägeln aus dem Kreuze Christi geschmückt.) Ihm zur Seite wehte das Banner St. Michaels, wie in der Schlacht bei Merseburg, und vorwärts ging es wie Meeresfluten in die dichten Haufen der Feinde, bis diese durchbrochen, der größte Teil ihres Heeres niedergemacht und gefangen war. Zwei Tage lang dauerte das Jagen, und nur sieben Ungarn sollen mit abgeschnittenen Nasen und Ohren in die Heimat entkommen sein, dort zu melden von ihres Volkes Schmach und von den deutschen Hieben.
Seit zwei Jahrhunderten hatte sich kein deutscher Fürst eines solchen Sieges rühmen können; aber mancher Deutsche bezahlte die Ehre des Vaterlands mit seinem Leben. Auch Herzog Konrad von Lothringen war uuter den Gesallnen. Den Ungarn aber verging für
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alle Zeiten die Lust, ihre Kraft an den Deutschen 'zu messen. Auch schuf das Evangelium, das ihnen der Bischof Pilgrim von Passau verkündete, bald mildere Sitten, so daß in ihrem Lande Städte, Kirchen und Schulen erblühten. Ihr König Stephan, dem der Papst eine goldne Königskrone sandte, wird von der katholischen Kirche als Heiliger verehrt (1001).
Indessen hatte sich Berengar aufs neue empört und bedrängte den wenig sittenreinen Papst Johann XII., der nach Erweiterung seiner Macht strebte, dazu aber den König Otto unter der verlockenden Aussicht zu Hülfe rief, sich gleich Karl dem Großen in Rom krönen zu lassen. Er kam damit einem lang gehegten Wunsche Ottos entgegen, der in heiliger Rache über die Alpen zog, als sein Sohn Liudolf, den er nach Italien vorausgesandt hatte, von der Gemahlin Berengars durch Gift ermordet worden war. Berengar wurde besiegt (961) und Otto setzte sich selbst die alte Lombardenkrone aufs Haupt; der Erzbischof von Mailand weihte ihn zum König von Italien.
In Rom erwartete der dankbare Papst den siegreichen König und krönte ihn nebst seiner Gemahlin mit der römischen Kaiserkrone (962), nachdem Otto feierlich vor allem Volke gelobt hatte, die Kirche zu ehren und deren Oberhaupt zu schützen. Das römische Volk schwur dem Kaiser „des heiligen römischen Reichs deutscher Nation" Treue bis in den Tod. Es blieb die dreifache Krönung der deutschen Kaiser von jetzt an mehrere Jahrhunderte lang im Gebrauch, und nahmen diese nicht eher den Kaisertitel an, als bis der Papst die deutschen Könige zum „römischen Kaiser" gekrönt hatte. Die deutschen Stände mußten später zu diesen Römerzügen reiche Beiträge gewähren, die durch bestimmte Gesetze geregelt wurden.
Ob Deutschlands Krone und Zepter durch päpstlichen Segen geweiht waren, dem deutschen Volke brachte die Verbindung mit Italien keinen Segen, und mit der beschwornen Treue des römischen Volkes sah es auch übel genug aus; denn es haßte in den Deutschen die Fremdlinge. Auch die Päpste fürchteten in Otto den mächtigen Kaiser, und kaum hatte dieser sich wieder nach Deutschland begeben, als Papst und Italiener schnell vergessen hatten, daß sie Otto jubelnd als ihren Herrn begrüßt. Sie wurden mit der Zeit die erfntterften Feinde der deutscheu Könige, und mit Recht könnte Italien das weite Grab Deutschlands genannt werden, da die vielen Kriege um seinen Besitz die Kraft des deutschen Volkes verzehrten, welche dem Vaterlande so notwendig war.
B o r n h a k, Unser Vaterland. g
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Aber eine unbestimmte Vorstellung von einer ewigen Fortdauer des altrömischen Kaisertums, dessen glänzende Machtentfaltung einst Schrecken und Bewunderung der Germanen hervorrief, lebte weiter im deutschen Volksbewußtsein gleich einer schönen Sage, und der Kaiser Otto mochte darum nur klug handeln, wenn er Ansehn und Kraft seines Reiches durch den Gedanken zu erheben trachtete, baß das heilige römische Reich deutscher Nation eine göttliche Weihe in sich trage und des SchiedsrichteranUs im christlichen Europa zu walten habe. Rom sollte den deutschen Namen mit weithin leuchtenden Schein umkleiden; wie sich diese Hoffnung erfüllte, mußte die Zeit lehren.
Gewiß war die Verbindung mit Italien, dessen Bildung und Gesittung, für Deutschland von großem Einfluß. Staatseinrichtungen, Handel unb Gewerbe, Kunst und Wissenschaften lehnten sich an Italiens weit voran schreitenben Einfluß an; aber selbst Otto konnte als römischer Kaiser nur seine Herrschaft in Italien behaupten, wenn er mit Heeresmacht ben guten Willen besselben erkämpfte.
Balb rief eine Empörung ben kaum heimgekehrten Kaiser nach Italien (966); es sollte bas letzte Mal sein. Mit schwerem Herzen hatte ihn seine Mutter ziehen lassen, nachdem sie noch einmal mit ihm in Nordhausen die Klöster besucht, deren Erhaltung sie ihm dringend ans Herz legte. Sie ahnte, daß sie ihren Sohn nicht mehr wiedersehen würde. Mit viel Weinen und Seufzen hatte sie nach der Verabschiedung Ottos bie Stelle geküßt, auf ber er ivcihrenb ber heiligen Messe in ber Kirche zu St. Crucis gestanben hatte.
Das meldete Graf Witigo, bes Kaisers Begleiter, seinem Herrn,
unb bieser stieg eilenbs vom Pferbe, siel roeinenb vor seiner Mutter
mit ben Worten nieber: „O ehrwürbige Herrin, bitrch welchen Dienst kann ich Dir biese Thränen vergelten?" Enblich raffte sich bie Königin auf unb sprach: „Was hilft ein längeres Weilen. Wir müssen uns trennen. Dein Anblick milbert ben Schmerz nicht, er wirb ihn vergrößern. Gehe hin im Friebeu Christi. Mein Gesicht wirst Du nicht nneberfehen im sterblichen Fleisch. Es ist vollbracht, unb Deiner Liebe habe ich alles vertraut, was ich im Herzen trug." Sie entschlief zu Queblinburg am Harz am 14. März 968.
Der Kaiser zog inbeß nach Rom, wo er strenges Richteramt führte,
bie Anführer bes Aufstaubes hängen, blenben unb köpfen ließ, aber auch seinen Sohn Otto (II.) zum Mitregenten erwählte, ber nebst feiner
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Gemahlin, der gelehrten griechischen Prinzessin Theophano, schon jetzt durch den Papst gekrönt wurde.
Nach seiner Rückkehr in die Heimat besuchte Otto I. zuerst die Gräber seiner Eltern, um dann in Quedlinburg alle Großen seines Reiches zu glänzenden Festen um sich zu versammeln. Gesandtschaften kamen aus aller Herren Länder, selbst die Sarazenen aus Afrika brachten ihm huldigende Geschenke. Aber mitten durch die Festfreude hallte ein trüber Klang, des Kaisers treuer Jugendfreund und Waffengefährte, der Sachsenherzog Hermann Billung, war gestorben. Das mahnte den Kaiser an den eignen Tod. Er reiste nach Memleben, wo auch sein
Vater Heinrich I. gestorben mar, und entschlief am Tage nach seiner
Ankunft im 62. Lebensjahre, im 38. Jahre seiner ruhmvollen Regierung (7. Mai 973). Seine Leiche wurde einbalsamiert und im Dome zu Magdeburg beigesetzt, wo noch heute ein Marmorsarkophag mit des großen Kaisers Bild in Stein seine letzte Ruhestätte bezeichnet. Eine lateinische Inschrift lautet in der Uebersetzung:
„König und Christ war er und der Heimat herrlichste Zierde,
Ten hier der Marmor bedeckt; dreifach beklagt ihn die Welt."
3. Otto II
(973 bis 983.)
Das viel gebrauchte Wort, daß die Geschichte der Könige die Geschichte des Vaterlands ist, sollte in den nächsten Nachfolgern Ottos des Großen eine traurige Bestätigung finden. Das deutsche Kaisertum, unter den ersten sächsischen Herrschern zu höchstem Glanze entfaltet, war eine Ehrfurcht gebietende Macht für ihre Mitwelt geworden. In Kaiser Otto I. war der großmütige Schirmherr des Rechts, der eifrige Förderer des Christentums und der weise Lenker eines großen, blühenden Reiches geschieden, dessen Zepter einer starken Hand bedurfte, und die Deutschen mochten mit Recht fragen, ob ihr junger König auch' ein mächtiger Kaiser wäre.
Mit seilt zu kühner Hand ergriff der kaum achtzehnjährige Otto II. das Steuerruder eines Staatsschiffes, das in den wilden Bewegungen damaligen Völkerlebens einer weisen und besonnenen Leitung bedurft hätte. In dem Bewußtsein, die meisten seiner Zeitgenossen ein ge-
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seljt’ter Bildung zu überragen, fühlte sich der hochstrebende Jüngling über den Rat erfahrener Männer erhaben. Auch seine Mutter Adelheid, durch das kecke Vorgehen ihres Sohnes tief gekränkt, verließ Deutschland und zog in ihre Heimat Burgund.
Mit dem besten Willen begabt, meinte Otto aller Bewegungen bald Herr zu werden, die feindlich auf ihn einstürmten. Er hatte nach dem Tode des Schwabenherzogs Burkhardt II. dessen Herzogtum dem Sohne des in Italien gemordeten Halbbruders Liudolf verliehen. Dadurch fühlte sich sein Vetter, Heinrich (der Zänker) von Bayern, der größere Rechte darauf zu haben meinte, tief gekränkt, und Grenzstreitigkeiten machten noch mehr böses Blut, da der Kaiser in diesen Fehden, zu Gunsten seines Neffen Otto gegen Heinrich entschied. Dieser verband sich mit Böhmen und Polen und zog gegen den jungen König, wurde aber besiegt, gefangen genommen, nun auch noch seines Herzogtums beraubt, das Otto von Schwaben ebenfalls erhielt (976). Das war eine schmerzliche Demütigung des bayrischen Hauses, zumal, da andre Geschlechter reich beschenkt wurden, z. B. der Sohn des auf dem Lechfelde gefallenen Konrad von Lothringen mit Kärnthen, Leopold von Babenberg mit der bayrischen Ostmark (Oesterreich) n. s. f.
Im Norden hatten indeß die Dänen siegreich die Grenze des Reichs überschritten, waren aber bald wieder zurückgedrängt worden, als für Deutschland ein neuer Feind in Frankreich aufstand, dessen König Ludwig IV., der Gemahl von Ottos I. Schwester, einst dem deutschen Kaiser die Herstellung seiner Königswürde zu verdanken hatte. Nun regierte sein Sohn Lothar in Frankreich, dessen Bruder Karl das erledigte Herzogtum Lothringen von Otto als Lehen empfangen hatte. Aber Lothar wollte ganz Lothringen mit Frankreich vereinigen, machte einen unerwarteten Ueberfall in Aachen und war so keck, den Adler ans der Kaiserpfalz, der nach den deutschen Landen zuschaute, herumzudrehen, daß er nach' Frankreich hinüber sehen mußte. Es war das alles nur ein kühnes Reiterstückchen, und fast wäre Otto II. mit seiner Gemahlin, die eben in der Kaiserpfalz bei Tische saßen, gefangen nach Frankreich geführt worden, wenn sie nicht eiligst ihr Mittagsmahl im Stiche gelassen hätten, das nun die Franzosen verzehrten. Lothar ließ die Stadt plündern und kehrte nach drei Tagen in größter Gemütlichkeit nach Frankreich zurück.
Otto wollte diesen verwegenen Angriff mit einem wohl gerüsteten Heere von 60 000 Mann beantworten. Er zog vor Paris, ohne die
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gut befestigte Stadt nehmen zu können (978), und das Unwetter des hereinbrechenden Winters brachte Elend und Krankheit für das deutsche Heer, das ohne Schwertstreich immer kleiner wurde. Da begnügte sich Otto mit einem wunderlichen Bangemachen der Pariser; er erschreckte sie durch ein weithin schallendes Tedeum vieler Priester und zog darauf mit seinem Heere zurück.
Als Lothar einsah, daß er trotzdem der Macht des deutschen Kaisers nicht gewachsen war (980), verzichtete er aus den Besitz Lothringens; doch Karl behielt Niederlothringen als Lehen. Das verdroß die Franzosen sehr, und Karl kam ihnen als Lehensträger des deutschen Kaisers so verächtlich vor, daß sie nach Lothars Tod, statt seines Bruders Karl, einen König aus anderem Geschlecht, Hugo dopet, erwählten, und damit die Herrschaft der Capetinger in Frankreich begründeten.
Weit schlimmer sah es in Italien aus, wo das Haupt einer Adelsfamilie, Herzog Crescentius, den päpstlichen Stuhl bedrängte, der unwürdig genug besetzt war. Er hatte Benedikt VI. in der eignen Burg gefangen nehmen und erdrosseln lassen, und einen andern Papst, Bonisacius YII., eingesetzt, dem die kaiserliche Partei einen Gegenpapst in Benedikt VII. gab. Dazu bekämpften die Adelsgeschlechter die Städte, und diese lagen mit ihren Bischöfen in Streit.
Von verschiedenen Seiten zu Hülfe gerufen, zog Otto mit seiner Gemahlin Theophano, seinem vertrauten Freund und Neffen, Otto von Schwaben, und der Blüte deutscher Ritterschaft über die Alpen. Es gelang ihm, die streitenden Parteien zur Ruhe zu bringen, den Adel zu demütigen und die Ehre des päpstlichen Stuhles herzustellen. Crescentius wurde begnadigt und beschloß sein Leben in einem Kloster (981). Doch Unteritalien war beständig den Angriffen der auf Sicilieu hausenden Saragonen ausgesetzt, und weil Otto die griechischen Besitzungen Italiens als Erbteil seiner Gemahlin ansah, dachte er seinen Römerzug mit der Eroberung Apuliens und Calabriens zu beschließen, unbekümmert, wie viel Helden deutscher Nation für dieses Gelüst, denn ein wirklicher Besitz konnte es für Deutschland niemals sein, ihr Leben lassen mußten. Ansangs siegreich, scheiterte das kaiserliche Unternehmen an der Treulosigkeit der Italiener. Als es nach dem glänzenden Siege der Deutschen über die Sarazenen bei Cotrone in Calabrien zur Schlacht bei Basantello (982) kam, drängten die Sarazenen unerwartet aus allen Schluchten hervor und überfielen die Deutschen, welche
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in den entscheidenden Augenblicken von den Italienern ihres Heeres treulos verlassen wurden, die zu den Ungläubigen übergingen. Da fielen die herrlichen Jünglingsgestalten wie hingemäht; es war für Deutschlands Söhne ein großes weites Grab in fremder Erde. Mit genauer Not rettete Otto IT. sein eigenes Leben durch die Flucht. Ein feindliches schiff nahm den Kaiser ohne ihn zu kennen auf, und segelte aus dessen Vorgeben, daß er den Schiffern von seinen reichen Schätzen ln Calabrien mitteilen wolle, dorthin. Kaum war Otto der Küste nahe, als er sich ins Meer stürzte und glücklich das Land erreichte, wo ihn seine Gemahlin spottend empfing: „Wie haben euch doch meine Landsleute erschreckt!"
Glücklich nach Oberitalien entkommen, sicherte er zuerst auf einem Reichstage zu Verona die Nachfolge seines dreijährigen Sohnes ^.tto (Hl.), und rüstete )ich dann zu einem Rachezuge gegen die Griechen, die lieber den ungläubigen Sarazenen, denen gegenüber sie sich nicht zu halten vermochten, angehören wollten, als den verhaßten Deutschen.
^a kam die Kunde von einem neuen Äufstande der Dänen nach Italien. Sie hatten siegreich den nördlichen Grenzwall des deutschen Reiches überschritten, und inmitten Deutschlands hatten die Wenden christliche Priester und Mönche ermordet. Kirchen und Städte flammten ringsum auf als Zeichen lichter Empörung; auf den Stätten altheid-nischer Götterverehrung, in Havelberg, Brennabor u. a. feierte das Heidentum -^iege zur Schmach der Christenheit, auch zur Schmach eines Kaisers, der in fremden Landen scheinbar vergaß, daß er ein deutscher König war. Und doch — der Schmerz über das Elend des Vaterlands übermannte den jugendlichen Kaiser. Er fiel in ein hitziges Lieber und starb zu Rom (7. Dezember 983), nachdem er kaum zehn ^ahre lang versucht hatte, des Reiches Herrlichkeit zu erhalten. Er ruht, ein deutscher König, im Vatikan zn Rom in der Gruft der Päpste, und wieder sollte die Klage ein Recht in deutscheu Lauden haben: „Wehe dem Reiche, des König ein Kind ist!"
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4. Otto III.
(983 bis 1002.)
Eben hatten die deutschen Fürsten zu Aachen das Kind Otto nach
seines Vaters Willen gefrönt, als die Nachricht von dessen Tod nach
Deutschland kam, und sofort begehrten geistliche und weltliche Große
des Reichs wie Anverwandte des jungen Königs die Vormundschaft
über denselben und damit die Herrschaft. Die lautesten Ansprüche erhob Heinrich der Zänker, ein Neffe Ottos I. Er wußte sich des königlichen
Knaben zu bemächtigen und hatte viele Große des Reichs so für sich
eingenommen, daß er es wagen konnte, die Krone offen für sich selbst
zu begehren. Er trat in Quedlinburg als König auf, ließ sich dort,
im Vertrauen auf die Hülfe Frankreichs, von den Fürsten der Böhmen, Polen, Obotriten u. a. den Vasalleneid leisten, fand aber keine Anerkennung bei den Sachsen und Thüringern, bei den Franken und
Schwaben. Sie hatten dem Königskinde Treue geschworen und waren
gesonnen, seine Rechte mit aller Macht zu schützen. Dazu wahrten
besonders zwei Kirchenfürsten die Krone des Fürstenkindes mit großer
Treue und Klugheit, Erzbischof Willigis von Mainz und Gerbert von Lothringen.
Von Willigis erzählt die Sage, daß er, eines Radmachers Sohn, durch Kaiser Otto I. zu Amt und Würden gekommen, und als er einst feiner Herkunft wegen verspottet wurde, sich ein Wappen machen ließ mit einem Rade, dessen Inschrift ihn selbst an feine Abkunft mahnen sollte:
„Willigis, Willigis, nie vergiß.
Daß Dein Vater ein Radmacher wesen is!"
Daher noch heute das Rad im Mainzer Wappen.
Gerbert, ebenfalls durch Otto I. zu hohen Ehren gekommen, einer der gelehrtesten, geistlichen Würdenträger seiner Zeit, wurde neben Willigis und dem Erzbischof Bernward von Hildesheim Lehrer des jungen Königs, nachdem Heinrich durch alle Großen des Reichs veranlaßt worden war, von feinen Ansprüchen zurück zu treten und sich mit dem ihm zurückgegebenen Herzogtum Bayern zu begnügen. Er lieferte das fürstliche Kind feiner Mutter Theophauo und der Großmutter Adelheid aus, die jetzt die vormundfchaftliche Regierung des Reiches mit bestem Willen führten, aber sehr von dem Einflüsse der Fürsten abhängig waren, deren Macht bedenklich an Ausdehnung ge-
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wann. Besonders wurden die Herzoge sehr selbständig, ihre Würde vielfach erblich.
Der reichbegabte Kaisersohn erhielt eine so hervorragend gelehrte Erziehung und Bildung, daß er „ein Wunder der Welt" genannt wurde. Aber in der griechisch - römischen Bildung, die den fürstlichen Frauen als höchstes Ideal erscheinen mochte, begann der junge König seine Sachsen, sein deutsches Volk als Barbaren zu verachten. Er hielt sich von ihnen möglichst fern, speiste sogar gleich den byzantinischen Kaisern, an abgesonderter und erhöhter Tafel. Bald kamen ihm die ganzen Verhältnisse des Vaterlands unwert vor gegen den schönen Süden, wohin ihn Kunst und Wissenschaft, angeborene Neigung und wohl gepflegte Erziehung mit Allgewalt lockten.
Nachdem er an einigen Kämpfen gegen die Grenzvölker Deutschlands Teil genommen hatte, zog der sechzehnjährige König über die Alpen, von dem glühendsten Wunsche beherrscht, in Rom die Residenz seines Reiches zu gründen. Aber dort sah es sehr übel aus. Ein zweiter Cresceutius war wieder Rädelsführer in Kämpfen und Intriguen grgen den Papst.
Mit einem glänzenden Heere hatte Otto III. diese Römerfahrt voll schwärmerischer Begeisterung unter Psalmen und Lobgesängen angetreten (996), und die heilige Lanze ließ er voran tragen. Da kam ihm auf dem Wege die Kunde vom Tode des Papstes Johannes XV. entgegen, und Otto erhob einen edlen Anverwandten auf den päpstlichen Stuhl, Bruno, den dreiundzwanzigjährigen Sohn des Herzogs Otto von Kärnthen. Es war der erste Deutsche, der als Gregor V. die päpstliche Tiara trug, und aus seinen Händen empfing Otto in der Peterskirche zu Rom die Kaiserkrone (996).
So waren zwei Nachkommen Otto I. des Großen die höchsten Würdenträger der christlichen Welt, die beide voll edler Begeisterung wetteiferten, ihren hehren Pflichten nachzukommen. Sie meinten diese zunächst in dem Recht zu finden, Gnade gegen die Anstifter der Unruhen zu üben. Aber kaum hatte Kaiser und Papst die Stadt Rom verlassen, als dort alles beim Alten war. Crescenüus nannte sich Patricius von Rom und setzte einen andern Papst ein (998). Otto zog aufs neue in die aufrührerische Stadt, jetzt mit Strenge zu versuchen, was Milde nicht vermocht hatte. Die deutschen Reiter erstürmten die Engelsburg, verstümmelten den von Crescenüus erwählten Papst in entsetzlicher Weise, führten ihn rücklings auf einen Esel ge-
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bunden durch die Stadt und warfen dann den Aermsten sterbend in den Kerker. Der Empörer Crescentius wurde enthauptet, zwölf der Rädelsführer wurden gekreuzigt.
So lange solche Strenge waltete, erschien Rom und Italien unterworfen, und Otto konnte den träumerischen Gedanken fassen, jetzt in Rom eine glänzende Residenz zu grüudeu. Da starb plötzlich der jugendliche Papst, wahrscheinlich an Gift, und Otto erhob seinen Freund und Lehrer Gerbert als Sylvester II. auf den päpstlichen Stuhl.
In der fernen Heimat waren Ottos Mutter und Großmutter gestorben, auch Äbtissin Mathilde von Quedlinburg, die Schwester seines Vaters, die während Ottos Römerfahrt die Geschäfte des Reiches geleitet hatte, und durch das christliche Abendland zog das Ahnen von einem Untergange der Welt (1000).
Das tausendjährige Reich der heiligen Schrift, so meinte man, nahe seinem Ende, und voller Angst vor dem letzten Gericht, zogen die Scharen der Gläubigen zu den Wallfahrtsorten, selbst nach Jerusalem, dort die entsetzliche Katastrophe abzuwarten.
Der schwärmerische Kaiser, den die Bischöfe mehr zu einem Geistlichen, als zu einem Herrscher erzogen hatten, und in dem sich die Demut eines Mönches mit dem Selbstbewußtsein eines von Schmeicheleien getragenen Fürsten mischte, widerstand dem Zuge seiner Zeit nicht. Er wollte sogar religiöse Erscheinungen gehabt haben.
Der „Knecht Jesu Christi" pilgerte unter Bußübungen von einem Kloster zum andern, und von einer Kirchenbuße des deutschen Königs berichtet noch heute eine lateinische Inschrift im Kloster S. Apollinaire in Classe bei Ravenna, deren Uebersetzung lautet:
„Otto III., Römischer Kaiser der Deutschen, hat -wegen begangener Verbrechen der strengeren Regel des heiligen Romualdus gehorsam mit nackten Füßen von der Stadt Rom bis zum Berge Gargauus den Weg zurückgelegt, diese Basilika und Kloster zu Classe 40 Tage büßend bewohnt und hier durch ein Weihgeschenk und freiwillige Kasteiungen seine Sünden sühnend ein hehres Beispiel der Demut gegeben, und als ein Kaiser sich, diesen Tempel und seine Buße berühmt gemacht. Im Jahre 1000 nach Christi."
In solcher Geistesstimmung kehrte Otto nach Deutschland zurück und ließ sich dort in Aachen die Gruft Karls des Großen öffnen, nahm das Kreuz von der Brust des toten Kaisers und hing es sich um den Hals, wohl meinend, es möchte damit etwas von der Heldengröße
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Karls auf ihn übergehen. Dann kehrte er nochmals nach Italien zurück, um nun endlich das so lange geplante christliche Weltreich mit der Hauptstadt Rom zu gründen. Aber schmerzliche Ironie des Geschickes, die Römer verschlossen ihm ihre Thore und umlagerten ihn in der eigenen Burg. Zwar gelobten sie ihm später Treue und Gehorsam, aber nur, um sie leicht und oft genug zu brechen.
Das kaiserliche Ansehen sank immer tiefer, und Otto litt unter dem nutzlosen Ringen, das römische Volk zu beglücken, welches doch
dieses Glück gar nicht begehrte. Der Königsjüngling starb, 21 Jahre
alt, auf der Burg Paterno, wie man sagte, an Gift, das ihm des Crescentius Witwe beigebracht, angesichts der ewigen Stadt, die seine Seele füllte, ihn aber undankbar von sich stieß. Ja selbst der Zug, welcher den königlichen Leichnam in die Heimat führen sollte, mußte sieben Tage lang hartnäckige Angriffe in Italien aushalten, ehe ihn Herzog Heinrich (der Jüngere von Bayern) bei Verona in Empfang
nehmen konnte, um ihn der Gruft im Dom zu Aachen zuzuführen.
Ein königliches Traumleben war vollendet, das dem deutschen Vaterlande statt königlicher Thaten nur verwirrende Träume gebracht hatte. Diese wurden festgehalten in wunderbaren Sagen über den in seinem kurzen, leidensvollen Leben geliebten König. Der Zauber, der Verrat der Liebe sollte ihn getötet haben, und eine tiefe Wahrheit mag darin ruhen. Ein Geschichtsschreiber unserer Tage sagt darüber: „Nicht eine Tochters Roms, sondern Roma selbst mit ihren unvergänglichen Reizen fesselte, verriet, tötete den mit der Kaiserkrone geschmückten Jüngling."
5. Heinrich IL, der Heilige.
(1002 bis 1021.)
Kaiser Otto III. war unvermählt gestorben und somit die gerade Nachfolge des sächsischen Kaiserhauses in Deutschland erloschen. Nur ein Urenkel Heinrichs I., Sohn des Bayernherzogs Heinrich des Zänkers war der letzte Sproß des hehren Geschlechts der Sachsen. Er hatte sich als Herzog der Bayern großen Ruhm erworben und besaß das Vertrauen des deutschen Volkes, nicht zum wenigsten das der deutschen Geistlichkeit, gegen die er allezeit sehr freigebig gewesen war.
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Schon hatte man ihm die Reichsinsignien überlassen, als zwei gefährliche Nebenbuhler Ansprüche auf die deutsche Krone erhoben, Markgraf Eckard von Meißen und Herzog Hermann von Schwaben. Galt das Erbrecht, so hatte einzig Heinrich Ansprüche auf den deutschen Kaiserthron, kam das alte Wahlrecht zur Geltung, so mochte es für einen anderen Bewerber entscheiden. Denn Eckard von Meißen hatte sich hervorgethan in der Bekämpfung vou Wenden und Slaven, in Rom hatte er die Engelsburg gestürmt und den Empörer Crescentins gestürzt, auch Otto III. gegen seinen Vetter, Heinrich den Zänker, geschützt, und er wird genannt „eine Zierde des Reichs, ein Schrecken der Feinde, eine Säule des Vaterlands."
Da Heinrich als Anverwandter des sächsischen Hauses die größte Aussicht auf die Thronfolge hatte, Eckard aber nicht gutwillig verzichten mochte, suchte dieser sich mit Hermann von Schwaben zu verbinden. Er starb aber unerwartet, wie das Gerücht sagte, unter Heinrichs Einfluß ermordet. Dieser wurde nun von vielen weltlichen und geistlichen Großen des Reichs zum Köuig erwählt, durch den Bischof Willigis gesalbt und gekrönt (1002). Als auch die Sachsen und Thüringer, Polen und Lothringer ihm huldigten, setzte er sich in Aachen auf den Stuhl Karls des Großen. Es lag ein Zauber in dem Gedanken, dem großen Vorgänger wenigstens in äußeren Dingen nachzufolgen.
Aber Heinrich mußte bald empfinden, daß er ein König von Volkes Gnaden war. Die Großen des Reichs, die ihm die deutsche Krone verschafft hatten, meinten ein Recht zu haben, sich auch an der Regierung des Landes zu beteiligen, wenigstens recht viele Vorteile für sich zu gewinnen, ohne an des Reiches Kraft und Einheit Interesse zu haben.
Da war zuerst der Polenherzog Boleslav Chrobry (der Ruhmreiche), der seinen Besitz bis zur Elster erweitert hatte. Er hätte gern verschiedene Marken zu Lehen gehabt, erlangte sie aber nicht und verband sich darum mit dem tapfern Babenberger Markgrafen Heinrich von Schweinfurt, der das erbetene Herzogtum Bayern auch nicht erhalten hatte. Als beide sehr enttäuscht die gastliche Burg von Meißen verlassen wollten, war. das Thor der Hofburg durch Bewaffnete versperrt, und es gelang den Fürsten nur mit äußerster Lebensgefahr, sich inmitten ihrer Mannen den Ausweg zu erzwingen. Mochte es wahr sein oder nicht, daß Heinrich II. auch hier seine Feinde aus dem Wege
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räumen wollte, jedenfalls hatte er sich in Boleslav einen erbitterten Feind geschaffen, der seinen Weg nach Polen durch brennende Dörfer bezeichnete und deren Einwohner er als Gefangene hinwegführte.
Ihm kamen die Wirren in Böhmen sehr gelegen, die er zu vermehren trachtete. Dabei brachte er es fertig, daß man ihm dort als Herzog huldigte. Er gedachte im Osten ein mächtiges Slavenreich zu gründen; Lehnsmann des deutschen Königs wollte er nicht mehr sein. Auch war der Papst nicht abgeneigt, ihm gleich dem König der Ungarn eine Krone zu schenken, um selbst dadurch an Macht und Ansehen zu gewinnen. Schon gestanden ihm ja die Fürsten das Recht zu, Kronen zu verleihen.
Italien erhob sich im offenen Ausstand, die verhaßte Herrschaft der Deutschen abzuschütteln, und Markgraf Arduin von Jvrea machte sich zum König von Italien. Zugleich loderten an allen Enden des Reichs Aufruhr und Empörung, besonders durch den Polenherzog Boleslav und den Babenberger Heinrich von Schweinfurt geschürt. Die Krone wankte bedenklich auf dem Haupte des kaum erwählten Königs, der wie im Fluge die feindlichen Herzöge siegreich überrumpelte, freilich mit Hülfe der damals streitbaren Herren der Kirche, des Bischofs von Würzburg, des Abts. von Fulda u. A.
Auch Gungelin, ein Stiefbruder Boleslavs, hielt treu zu Heinrich II., der ihn mit Burg und Mark Meißen belehnt hatte. Er verbündete sich mit den heidnischen Liutitzen an der Elbe, die in dem Christentum, das ihnen Boleslav verkündigen ließ, nur große Abgaben, aber kein Heil gefunden hatten. Sie schickten eine Botschaft an Heinrich II. nach Quedlinburg, daß sie ihm Heeresfolge leisten wollten, wenn sie ungehindert ihren alten Göttern dienen durften (1004). Die Geistlichen sahen sehr bitter dazu, daß Heinrich dieses Zugeständnis machte; er aber suchte die Kirche durch Stiftung des Bistums Merseburg zu versöhnen und war bald so glücklich, die Ostgrenzen des Reichs gegen Boleslav und die ileberfälle der Slaven gesichert zu haben.
In Italien wurde ebenfalls das Ansehen deutscher Herrschaft wieder hergestellt. Heinrichs Heerfahrt glich einem Triumphzuge; der neue König von Italien floh vor ihm her, und das italienische Volk kam dem deutschen Herrscher jubelnd entgegen, der sich in Pavia die Lombardenkrone aufs Haupt setzte (1004). Aber den Wekt der Volks-gnnst sollte Heinrich noch am Abend des Krönungstages erfahren. Es brach ein Aufstand aus, bei dem der König mit Steinwürfen und
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Pfeilen in der eigenen Burg angegriffen wurde. Sein Gefolge steckte die nächststehenden Häuser in Brand, um bei einbrechender Nacht den Feind sehen zu können, auch dadurch die weit umherlagernden Deutschen herbeizurufen, die nun nach der Stadt eilten, die Thore aber verschlossen fanden.
Sturm von außen und innen; der Kampf entbrannte immer heftiger, und Pavia war bald in den Händen der Deutschen, die in den Straßen von einem Steinhagel überflutet wurden. Voller Rache zündeten sie die hölzernen Häuser an, und weithin leuchtete unheimlich die brennende Stadt, deren Bewohner unter Feuer und Schwert umkamen.
Endlich gebot Heinrich der furchtbaren Vernichtung Einhalt. Das erstrebte Ziel war erreicht; über ganz Italien verbreitete sich Furcht und Schrecken vor den Deutschen. Das Land war so gedemütigt, daß Heinrich es ohne Gefahr für seine Herrschaft auf eine Zeit verlassen konnte, um den Polenfürsten Boleslav zu unterwerfen, wie es heißt, „sein Herz von dem lang verhaltnen Groll zu erleichtern."
Der Erfolg war glänzend. Bald standen die wendischen Marken wieder unter deutscher Herrschaft. Böhmen und Bayern waren dem König Heinrich zu Hilfe gekommen, auch die Lausitzer zogen herbei, ihrem Heere voran trugen sie ihre Götzenbilder.
Sieben Tage lang hatte Heinrich bei Crossen, wo Boleslav am jenseitigen Ufer lag, vergeblich versucht, einen Uebergang über die Oder zu gewinnen. Da entdeckten die Deutschen eine seichte Stelle im Flusse, und 6000 Mann zogen dem Feinde entgegen, der so eilends die Flucht ergriff, daß das Gepäck den Deutschen zur Beute fiel (1005). Als Heinrich darauf weiter in das polnische Land vordrang, gab Boleslav jeden Widerstand auf und trat in das alte Verhältnis der Abhängigkeit zur deutschen Krone zurück. Das deutsche Reich aber hatte seine Grenzen nach Osten hin weiter ausgebreitet, als je zuvor. Zwar lehnte sich Boleslav noch wiederholt gegen Heinrich auf, aber endlich schloß er Frieden und bekannte sich als des deutschen Königs Vasall, indem er ihm das Schwert voran trug. Er erhielt die Belehnung des Lausitzer und Milzener Landes (a. d. Elbe), und Heinrich konnte wieder nach Italien ziehen, wo die zur Ruhe gezwungenen Gegner der Deutschen aufs neue ihr Haupt erhoben. Zum dritten Male stand Crescentins, der Sohn des unter Otto II. enthaupteten Herzogs, an der Spitze der Empörung gegen Heinrich. Er beherrschte
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als „Patricias" von Rom den päpstlichen Stuhl, und der deutsche König erschien ihm kaum mehr, als der Träger eines Namens, vor dem er sich nicht zu fürchten hatte.
Heinrich war mit seiner Gemahlin Kunigunde unter dem Schutze eines kleinen, auserlesenen Heeres über die Alpen gezogen, er gedachte sich jetzt zum römischen Kaiser krönen zu lassen. Die römische Geistlichkeit, welche einen fernen, deutschen Herrscher lieber hatte, als einen König in Italien, war ihm wohl gesinnt. Auch Papst Benedikt VIII., der als Gegenpapst des durch Cresceutius eingesetzten Gregor erwählt war, empfing die Deutschen gern in Italien.
Nachdem Heinrich in Ravenna eine Synode abgehalten hatte, welche viele Uebelstände der christlichen Kirche beraten sollte, einige derselben vielleicht auch abstellte, hielt er seinen Einzug in Rom, um sich mit seiner Gemahlin im Dom St. Peter krönen zu lassen. Der sächsische Geschichtschreiber Thietmar von Merseburg (f 1018), welcher dem König sehr nahe stand, ihn auch nach Rom begleitete, berichtet genau über diese festliche Zeit. Es sei einiges in der Uebersetzung des lateinischen Urtextes wiedergegeben, das gerade von dem Krönungstage spricht (14. Febr. 1014), um daraus die klare und bestimmte Geschichtschreibung dieser Zeit zu erkennen.
„Als seit der Fleischwerdung des Herrn nach des Jahrtausends Erfüllung noch dreizehn Jahre verflossen waren, und dann in des folgenden Jahres zweiten Monat und der dritten Woche im dreizehnten Jahre seiner Regierung, am Sonntage, den 14. Februar, ging Heinrich, von Gottes Gnaden ruhmwürdiger König, von zwölf Senatoren umgeben, deren sechs mit geschorenen Bärten, die anderen mit herabhängenden nach geheimnisvollem Brauche einherschritten, mit Stäben, mit seiner geliebten Gemahlin Kunigunde zur Kirche von St. Peter, während der Papst ihn erwartete, und bevor er hineingeführt wurde, fragte ihn derselbe, ob er ein treuer Beschützer und Verteidiger der römischen Kirche sein wolle und ihm und seinen Nachfolgern in jeder Beziehung treu, uud er bejahte es mit demütigem Bekenntnis, worauf er von jenem Salbung und Krönung mit seiner Gemahlin empfing. Seine frühere Krone aber ließ er über dem Altar des Apostelfürsten aushängen. Am selben Tage gab ihm der Papst im Lateran ein glänzendes Mahl. Am achten Tage aber entstand zwischen den Römern und den Unsrigen ein großes Handgemenge auf der Tiberbrücke, und auf beiden Seiten blieben viele, bis die Nacht sie endlich trennte.
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Dieses Streites Urheber waren die Brüder Hug, Hecil und Ecelin, die nachher verhaftet und in Gewahrsam gehalten wurden. Von ihnen entkam einer bei diesen Parteiungen, der zweite aber ward nach Fulda abgeführt, in der Burg Jvicansten (Giebichenstein) aber wird der dritte seitdem bewahrt. Arnulf, seinen Bruder, den er vorher der Kirche von Ravenna vorgesetzt hatte, ließ der Kaiser von neuem einsetzen und vom Papst eben daselbst einsegnen . .
So hatte Heinrich II. das ideale Endziel der meisten deutschen Könige erreicht, in Rom vom Papste zum römischen Kaiser deutscher Nation gekrönt zu werden, und nachdem er die aufrührerischen Großen Italiens unterworfen, kehrte er reich mit den Schätzen beladen, die er jenen abgenommen, nach Deutschland heim. Er begünstigte von jetzt an noch mehr die Bischöfe, um mit ihrer Hülfe die weltlichen Großen im Zaume zu halten, und königliche Sendboten führten wie einst unter Karl dem Großen die Befehle ihres Herrn im weiten Reiche, auch in Italien aus. Doch zogen auch oft die italienischen Herren nach Norden, um am Hofe Kaiser Heinrichs ihr Recht zu suchen, auch dort belehrt zu werden. Deutschland war wieder der Mittelpunkt deutscher Königsherrschaft geworden.
Indessen war Boleslav siegreich in Rußland gewesen, und es schwoll ihm der Mut, so daß er wieder an das große Slavenreich dachte, das er gründen wollte, dem deutschen Reiche zunächst ebenbürtig, um dieses dann, ein schöner Traum, unter seine Botmäßigkeit zu bringen. Sv entstand ein neuer, blutiger Polenkrieg (1017;, in welchem viele edle Ritter ihr Leben lassen mußten.
Die polnischen Reiterschwärme rückten über die Elbe und schon war die Grenzveste Meißen arg bedrängt, die hölzernen Häuser der Vorstädte brannten nieder, und in der Burg flammte Feuer auf. Da löschten die tapferen Frauen das Feuer der Burg mit Meth, weil es cm Wasser gebrach und trugen ihren ebenso tapferen Männern Steine und Wurfgeschosse zu. Meißen wurde gerettet; aber die Deutschen waren nicht im stände, das ihnen von den Polen geraubte Land zurück zu erobern. Obgleich Boleslav seine hochfliegenden Pläne nicht zu verwirklichen vermochte, blieb doch das Slaventum ein gefährlicher Nachbar für Deutschland.
Dieses hätte durch eine dem deutschen Kaiser zugesagte Erbschaft des Königs Rudolf III. von Burgund an Macht und Ausdehnung gewinnen mögen, wenn sich der burgundifche Adel dieser Erbverbrüderung
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nicht widersetzt hätte. Auch der Versuch Rudolf III., seinem Neffen, dem deutschen Kaiser, sein Reich schon bei Lebzeiten zu übergeben, scheiterte, obgleich Kaiser Heinrich durch wiederholte Feldzüge Burgund zu erlangen trachtete.
So thatkräftig und klug Heinrich II. als Herrscher und Heerführer waltete, er konnte mit so vielfach zersplitterter Kraft nicht viel Großes erreichen. Ein königlicher Wanderer zog er unausgesetzt von einem Ende des Reichs zum andern, um überall Gutes zu schaffen. Die Verschiedenheit der Völker und Länder seines Reichs, die Selbstsucht der Großen darin, die Empörung im Lande und an den Grenzen traten seinen guten Absichten hindernd in den Weg.
Endlich empörten sich sogar die heidnischen Völker des Reichs (1019 und 1020). Die Liutitzen bekämpften zunächst die christlichen Cbotriten und fanden die besten Bundesgenossen in den noch vielfach heidnischen Volkselementen Deutschlands. Allein im Bistum Oldenburg starben 60 christliche Priester eines grausamen Märtyrertodes.
Mitten in diese Wirren hinein drang der Klageruf des Papstes aus Rom. Benedikt VIII., sonst eine treue Stütze Heinrichs, vermochte die römischen Herren nicht mehr zu ihrer Lehnspflicht zu bringen. Er kam Hülfe begehrend nach Bamberg, wo Heinrich residierte und überredete ihn zu einem nochmaligen Römerzuge (1022). In der Kürze wurden die longobardifchen Fürstentümer von Capua, Salerno und Benevent unterworfen, aber was Heinrich erkämpfte, kam vornehmlich dem Papste zu Gute. Denn der Kaiser zog wieder in die deutsche Heimat und mußte zu seinem Schmerze erfahren, wie Benedikt die alleinige Herrschaft der abendländischen Kirche ohne kaiserliche Einmischung zu erreichen wußte, doch starb er inmitten seiner Bestrebungen (102-1). Wenige Wochen später folgte ihm Kaiser Heinrich im Tode nach, der letzte Herrscher des sächsischen Geschlechts. Er starb, 52 Jahre alt, auf feiner Burg Groua bei Göttingen und wurde im Dome zu Bamberg beigesetzt. Auch seine fromme Gemahlin Kunigunde fand hier nenn Jahre später ihre letzte Ruhestätte.
Die fürstlichen Gatten hinterließen keine Kinder; sie hatten „den Herrn Christus zu ihrem Erben" eingesetzt. Die Kirche erhob beide unter die Heiligen; doch ist Heinrich II. niemals ein Vasall der Kirche gewesen, wie man ihn oft dargestellt hat, aber wohl ein treuer, gewissenhafter Christ, der sich seiner kaiserlichen Pflichten für und gegen die Kirche stets bewußt war und sie in ihren guten Bestrebungen wo
nur immer möglich unterstützte. Er hatte aus den Mißerfolgen seiner Vorfahren gelernt, allen Verhältnissen klar ins Auge zu schauen und seine ganze Willenskraft für die Erfüllung seiner Pflichten einzusetzen. So mag es zweifelhaft sein, daß Heinrich, wie die Sage berichtet, den Königsmantel mit dem Mönchsgewand vertauschen wollte und nur im Gehorsam gegen die Kirche die Kaiserkrone und ihre Lasten weiter trug. Das Ringen der Völkerschaften während Heinrichs Regierung, ihr Ausgleich an Kraft und Bildung darf nicht als eine Niederlage germanischer Entwicklung angesehen werden. Auch in Sturm und Wetter erstarkt die deutsche Eiche.
6. Rückblick auf die christtich-Miche und staatliche (Entwicklung Deutschlands unter den sächsischen Kaisern.
In aufsteigender und absteigender Linie verläuft jede Entwicklung, und es lohnt wohl der Mühe, auch geschichtliche Zeitabschnitte darauf hin zu überblicken.
Die glanzvolle Zeit Deutschlands unter den sächsischen Kaisern gipfelt in Ottos I. Regierung. Seines Vaters Streben erfüllt sich erst ganz in ihm, aber seine Erfolge reichen auch über seine Nachkommen hinweg, und so birgt das Leben Ottos des Großen zum guten Teil die Geschichte seines Hauses.
Das Christentum, unter den Karolingern mit größter Strenge ausgebreitet, war vielfach nur in klugem und notwendigem Nachgeben von den Deutschen angenommen worden, und das Heidentum lugte noch aus manchem verborgenen Winkel hervor, in dem es sich ängstlich aber hartnäckig verborgen hatte. Auch noch unter Otto I. und weiterhin hatte es seine Zufluchtstätten selbst in den „Haiden" der sächsischen und thüringer Lande. Altheidnische Gottesdienste mit Osterfeuern und Wodanstänzen legten den Grund zu den Teufels- und Hexensagen (Herentanzplatz u. s. f.), und das Festhalten altgewohnter religiöser Gebräuche, heidnischer Feste, die sich mit der Erinnerung an die tapfern Vorfahren verbanden, wandelten sich nur langsam zur christlichen Auffassung. Ja, ihre Klänge hallen herüber bis in unsere Tage, wo beispielsweise die Bewohner Blankenburgs in der Frühe des ersten Psingst-tages an der „Teufelsmauer" zusammen kamen, um voller Festfreude
Loruhak, Unser Vaterland.
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die Sonne mit Gesang zu begrüßen. Es sind die Spuren des uralten heidnischen Frühlingsfestes, zu dem nach alter Vorstellung sich auch die Götter einstellten, und ein Lied aus Ottos des Großen Tagen berichtet:
„Thor endet Wodan vuoran zi holze Thor und Wodan fuhren zu Holze „Do wart dem Balderers volon sin vuoz birenfit;
Da ward des Balders Fohlen sein Fuß verrenkt „Do biguolen Siethgunt, Sunna era [uister Da besprach ihn Siethgunt, der Sonne ihre Schwester
„Do biguolen Frua (Frigga, Freia) Fulla (Mond) era suister
Da besprach ihn Frua, der Fulla ihre Schwester
„Do biguolen Wodan, so he wola conde:
Da besprach ihn Wodan, so er wohl konnte:
„Sose benrenki, sose bluotrenki, sose lidirenki So die Beinrenkung, so die Blutreukuug, so die Gliederrenkung „Ben zi bena, bluot zi bluoda, lid zi gilideu Bein zum Beine, Blut zum Blute, Glied zu Gliedern „Sose gelimidi sin."
Sollen geleimet sein.
Es ruht darin eine tief poetische Auffassung. Das erlahmte Pferd Balders, des Frühlings- und Lichtgottes, kann nicht vorwärts. Von der Sonne kommt alle Heilkraft, und ihre Schwestern besprechen und heilen die Wunde. Wodan, der Schöpfer, belebt aufs neue alle Kranken, und so kann der Frühling in das Land reiten.
Lange Jahrhunderte hindurch blieben auch die deutschen Wälder gebannte, Stätten alter Götterverehrung, „geheiligt durch der Väter Weihe und altherkömmliche Schau." In den Forsten und auf den Bergen ruhte die gottgeweihte Stille, als „die guten Geister im lauschigen Dunkel ihre Silberadern blinken ließen", und die Menschenkinder gingen feierlich daran, die Silberschätze des Harzes zu heben. Aber über alle diese Spuren des Heidentums hin ragten die Türme christlicher Kirchen, in denen Orgelton und Glockenklang zum Dienst des Allerhöchsten luden, dem die deutschen Kaiser za Lehn gehen wollten.
Auch Kaiser Otto I. und seine Nachkommen vergaßen niemals diese Würde als Lehnsträger Christi. War Otto streng, weil es ihm gerecht erschien, so war er gnädig gegen die Frevler, da er als demütiger Christ auf die göttliche Gnade hoffte; doch ein Selbstbewußtsein ver-
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leugnete er niemals, den Stolz, ein Deutscher zu sein. Er sprach darum nur deutsch, obgleich er mehrere Sprachen verstand und trug die eng anliegende altfränkische Kleidung gleich Karl dem Großen. Dieser patriotische Zug, der auf bett ersten Blick klein erscheint und hoch von so großer Tragweite ist, fehlte seinem Sohn, Otto II., uitb ging bei seinem Enkel, Otto III., nicht nur verloren, sonbern tuenbete sich in bie Herbste Abneigung gegen beut) che Sitten uitb gegen bie Deutschen überhaupt, beren König er war. Uttb boch hatte sich ber beut)che Name gerabe unter betn sächsischen Kaiserhause einen weiteren, ehrenvollen Klang erworben, uttb bie Kraft ber beutschen Könige ruhte nicht zum geringsten Teile in ber unwanbelbaren Treue eines tapfern Volkes, bas mehr als bie Großen bes Reiches zu seinem König Hielt.
Den beutschen Kriegern folgte ber Priester, uttb mit betn Heere zog ber Kaufmann. So grünbete selbst ber Krieg neue Ansiebluttgen, christliche Stabte. Ohne feste Resibenz zog Otto I. gleich seinem Vater von Pfalz zu Pfalz, bie er unter allen beutschen Stämmen, in allen größeren Stäbten besaß. Hier war er jebem seines Volkes erreichbar.
Neben betn altehrnuirbigen Gewohnheitsrecht bestauben bie meist zur Karolingerzeit in Kapitel gefaßten Gesetze (Kapitularien). Aus betn Volke heruorgehertbe Schöffen mußten, unter Vorsitz bes Richters, Recht sprechen. In schwer zu entscheibenben Fällen trat auch jetzt noch bas Gottesgericht ein als Zweikampf, Feuer-, Kreuz- unb Wasserprobe.
Das Vasallentum war selbstänbiger geworben, uitb statt bes frühern, meist aus betn freien Bauernstanbe gebilbeten Heerbanns beruhte bie Wehrkraft des Reichs nun auf einem Vasallenheer. Obgleich bie herzogliche Macht burchatts von ber Königswürbe überragt wurde, so war doch die Stellung der Herzöge von immer größerer Bedeutung geworden. Sie standen in ihrem Herzogtum an der Spitze des Kriegswesens, hatten für den Landfrieden zu sorgen, Hof-, Land- und Gerichtstage abzuhalten, zu denen Bischöfe, Aebte, Markgrafen, Grafen unb anbre Reichsvasallen erscheinen mußten. Die Herzogswürbe hatte sich also trotz aller Unterdrückung mit Pflichten uttb Ehren eines Herrschers umkleibet, ttttb es galt als bespotisch, wenn sie ber König nicht als erblich ansah.
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Von der Zustimmung der Herzöge hing die Wahl der Könige
ab, und wenn schon darunter die königliche Machtvollkommenheit litt, so
waren andrerseits königliche Tugenden nicht wie etwa unter den Merowingern ausgeschlossen. Der Wille des Reichsoberhaupts wurde durch den Widerstand der Herzöge fast erzwungen. Denn obgleich die sächsischen Könige sich durch Verleihung der Herzogswurde an Glieder
ihres Hauses treue Vasallen zu schaffen suchten, so hielt das auf die
Dauer nicht aus, da verwandtschaftliche Bande die Selbstsucht des Einzelnen nicht zu hemmen vermögen.
Durch das königliche Wanderleben der sächsischen Kaiser, besonders £ttos I., bei dem der Glanz des Hofes bald hier, bald dort entfaltet wurde, trat der Herzog im eignen Laude vor dem König zurück, und seit Karls des Großen Zeit war in Deutschland solche Pracht am Königshofe nicht mehr gesehen worden, die sich an hohen Festtagen durch Besuche und Ehrenbezeugungen geistlicher und weltlicher Großen vermehrte. Otto I. und seine Nachfolger nahmen bald die Ehrengeschenke gleich Tributen entgegen. Es bildeten sich dadurch Gewohnheiten heraus, die bald dem Reiche notwendig wurden, um den äußeren Glanz des Königtums darstellen zu können. Dieser mochte der Volksmenge überwältigend erscheinen, aber den Gebern wurden die zur Gewohnheit gemachten Geschenke drückende Steuern. Auch die Beherbergung des Hofes und seiner Beamten auf Reisen, die Leistungen für den königlichen Haushalt, wie die Ausrüstung und Unterhaltung der Kriegsheere, welche den einzelnen Landschaften zufielen, waren Lasten, die durch Einkünfte ans den königlichen Forsten und Gütern nur etwas erleichtert wurden, bis die reichen Bergwerke neue Erwerbsquellen darboten. Zölle und Wegegelder,-- Münz- und Marktrechte, Kopfsteuer der Juden, Tribute der unterworfenen Völker füllten die königliche Schatzkammer. Eine besondere Macht erstand dem Königtum durch die von den sächsischen Kaisern ausgedehnten Immunitäten, d. h. Belehnung der Bischöfe, auch der Klöster mit Grafschaftsrechten. In diesen ruhten auf Grund königlicher Verleihung alle königlichen Rechte: Gerichtsbarkeit über freie Personen, Friedensbewahrung, königliche Finanzrechte und Regalien. Dafür behielten sich natürlich die Könige das Recht vor, die geistlichen Würdenträger zu ernennen und zu bestätigen. Diese waren ihnen dasür viel getreuere Vasallen und Schildträger, als etwa die Herzöge, die sich oft keck gegen die Königsgewalt auflehnten, wie die Kriege der sächsischen Könige zeigen. Aber die Klöster, einst nur die
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Zufluchtsstätten des Christentums und der Wissenschaft, wurden dadurch so reich, daß sie später eine Macht im Reiche bildeten. So erhielt das Nonnenkloster zu Nordhausen außer den vielen Schenkungen der Ottonen von Heinrich II. reiche Besitzungen in Westfalen, wie den Schultenhof Gamen, auf dessen Grund und Boden die Stadt Lünen steht, mit allen dazu gehörigen Mühlen, Fischereien, Nutzungen, Gefundenem und zu Findendem, und das Kloster Gandersheim hatte allein sieben Grafschaften. Kein Wunder, daß die dankbaren Geistlichen selbst zu ihrem König hielten, wenn er gegen das Papsttum auftrat, das auf Grund angeblich alter Rechte (pseudo-isidorischen Dekretalien) um Selbständigkeit und Machtvergrößerung rang.
Trotz aller äußern und innern Kämpfe Deutschlands unter den sächsischen Kaisern war das Reich nach innen weiter gebaut, nach außen geschützt. Da lagen an den Grenzen die festen Bollwerke der sächsischen Nordmark (Altmark am linken Elbufer), die sächsische Ostmark zwischen Saale, Elbe und Mulde, die südthüringische Mark (Ostermark) an der obern Saale bis zum Fichtelgebirge und dem sächsischen Erzgebirge. Daran schloß sich im Osten die Mark Meißen, im Süden gab es eine bayrische Ostmark (Oesterreich), eine steirische und eine kärnthische Mark.
Sage und Volksdichtung feierten die herrlichen Siegesthaten der Könige und ihrer Helden, und alles Volk hatte Teil daran. Im friedlichen Heim, bei Handwerk und ländlicher Handtierung, sang man die Heldenlieder, welche im Feldlager bei Schwerterklang entstanden waren. Kunst und Wissenschaft, unter den Karolingern in den Klöstern gepflegt, wurden von den gelehrten Ottonen als verpflichtende Arbeit aufgenommen und waren in den Dom- und Stiftsschulen neu belebt worden. Besonders war die sächsische Geistlichkeit Trägerin altklassischer Bildung, wie neuer Wissenschaften. Astrologie, die berüchtigte Sterndeuterkunst und die nicht weniger verhängnisvolle Alchymie fanden ihre Vertreter, und die Baukunst erstand nach dem Vorbilde italienischlombardischen Stils als „romanisch" in den Domen zu Speyer, Mainz, Bamberg u. s. f.
Die unter den Karolingern begründete vaterländische Geschichte wurde auch unter den Ottonen gepflegt, und eine Benediktinernonne, Roswitha von Gandersheim, „die germanische Muse", machte ihren "Namen unsterblich durch lateinische Elegien und Heldengedichte, auch sechs lateinisch geschriebene Schauspiele biblischen Inhalts, selbst eine
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epische Lobschrift auf Otto den Großen, die sie ihm im Beisein des Erzbischofs von Mainz, Ottos Sohn, überreichte. Die Aebtissin Gerberga, eine Nichte Ottos I., unterrichtete ihre Nonnen fleißig im Lateinischen, und das Studium eiues Horaz, Virgil, Sallust, Cicero, Terenz u. a. wurde von den Nonnen mit gleichem Eifer betrieben, wie von den Zöglingen der Dom- und Stiftsschulen.
Wirkte die wissenschaftliche Bildung Italiens, das die sächsischen Kaiser immer aufs neue erkämpfen mußten, belebend auf Deutschland und gingen daraus geistige Genüsse, höhere Geselligkeit, überhaupt edlere Lebensgewohnheiten hervor, so lag in all diesen Errungenschaften neben viel Licht auch manche Schattenseite. Das Germanentum gewann, um vieles zu verlieren; aber der Kampf wirkt auf ganze Volker, wie auf den Einzelnen trotz seiner ungeheuren Nachteile und Verluste läuternd und wird dadurch ein Erzieher der Völker.
So stand Deutschland nach dem Tode Heinrichs II., des Letzten seines Geschlechts, reich an Erfahrung und bereit, den Kampf des Daseins mit den übrigen Völkern Europas aufzunehmen.
1. Konrad II., der Salier.
(1024 -1039.)
Den deutschen Fürsten schien die beste Gelegenheit gekommen, nach Heinrichs II. Tod ihr Besitztum selbständig zu regieren ohne Kaiser und Reich. Doch bald zeigten sich die böseil Folgen. Jeder wollte herrschen und bekämpfte damit des andern Rechte, und weil kein höchster Schiedsrichter da war, suchte sich auch jeder im Volke, soweit er mächtig genug war, seiu Recht auf eigne Faust <Faustrecht). Daraus entstand viel Elend im Lande. Doch glücklicherweise überwog noch die Vaterlandsliebe die persönlichen Vorteile derart, daß der Entschluß bei allen Fürsten Deutschlands Geltung fand, wiederum einen König zu wählen.
Nach vielen Hin- und Herberatungen, Land- und Volkstagen zogen die deutschen Herren in altherkömmlicher Weise zur Königswahl an den Rhein. In der lachenden Ebene zwischen Worms und Mainz lagerten die unabsehbaren Gefolgschaften der Herzöge, Grasen und Bischöfe unter freiem Himmel, Sachsen, Slaven, Franken, Bayern und Schwaben auf dem rechten Ufer des deutschen Stromes, die Lothringer auf dem linken User. Und die Herren saßen vereint beim perlenden Wein in traulichem Gespräch, gemütlich erwägend, wen sie in ernster Stunde der Wahl zum König küren wollten. Unter allen ragten zwei edle Franken hervor: Herzog Konrad von Franken und Graf Konrad von Franken, der Salier genannt. Demselben Geschlecht entsprossen.
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waren sie beide Urenkel jenes Konrad, der auf dem Lechfelde den Heldentod starb. Lange schwankte die Wahl unter den beiden, bis endlich Graf Konrad als der Aeltere die Entscheidung herbeiführte. Er nahm seinen jungen Vetter, den Herzog, bei Seite und versprach, ihm als erster unter den Fürsten zu huldigen, wenn er zum König erwählt werden sollte, erbat sich aber dagegen die Huldigung seines Vetters, wenn die Wahl ihn selbst treffen sollte.
Der Bischof Aribert von Mainz wählte als der Erste den Grafen Konrad, und alle geistlichen Fürsten stimmten ihm bei. Als dann die weltlichen Herren zu wählen hatten, gab Herzog Konrad von Franken laut seine Stimme für seinen Vetter ab, und jubelnd stimmten alle Uebrigen zu. Nur die Herzöge von Lothringen hätten gern einen andern König gehabt und zogen grollend hinweg. Doch wurde der Erwählte zu Mainz feierlich gekrönt, und der neue König setzte seinen Vetter Konrad neben sich auf den Königsstuhl.
Schon auf dem Wege zur Kirche umdrängte ihn eine Menge Hülfesuchender, die er zum großen Verdruß der Bischöfe, welche die Feier des Zuges nicht gestört haben wollten, mit größter Geduld anhörte und alle Einwände mit den Worten zurückwies: „Gerechtigkeit üben im rechten Augeublick, es sei mir bequem oder nicht, ist die größte meiner Pflichten." „Wäre", sagt darüber sein Geschichtsschreiber (Wipo), „Kaiser Karl der Große im Kaiserornate unter das Volk getreten, kein größerer Jubel hätte ihn empfangen können."
Konrad II. war nicht gelehrt wie die sächsischen Kaiser vor ihm; aber er brachte die edelsten Eigenschaften der Franken aus dem deutschen Kaiserthrone zur Geltung. Feurig, gewaltig, reich begabt, großmütig und unerschrocken, barmherzig gegen Schwache und Elende, war er den Bösen ein strenger Richter und sagt darüber sein Biograph: „Man setzt sich dem Verdacht der Schmeichelei aus, wenn man erzählen will, wie großmütig, wie standhaft und unerschrocken, wie ernst gegen die Schlechten, wie gütig gegen die Bürger und wie streng er gegen die Feinde, wie unermüdet und nachdrücklich er im Geschäfte gewesen, wenn es des Reiches Wohlfahrt erheischte."
Das war ein König, wohl geeignet, dein deutschen Reiche ein wirklicher Führer und Beschützer zu sein, und es wurde sprichwörtlich im Reiche, König Konrads II. Thron ruhe auf den (Stufen des Thrones Karls des Großen.
Konrad wußte kluge und edle Ratgeber um sich zu sammeln; sein Hofkaplan, der gelehrte Wipo, Bischof Bruno von Augsburg, ein Bruder des verstorbenen Kaisers Heinrich II., Bischof Werner von Straßburg, der Erbauer der Habsburg u. s. w. hatten alle gleich ihrem königlichen Herrn nur des Reiches Wohl im Auge. Bald waren Ruhe und Ordnung im Laude wieder hergestellt; doch entging es dem König nicht, daß noch mancher verderbliche Funke unter der Asche glühte. Schon wollte sich Konrad zu der für die deutschen Herrscher zur Pflicht gewordenen Römerfahrt bereit machen, um die römische Kaiserkrone aus der Hand des Papstes zu empfangen, als die östliche Reichsgrenze durch die Polen bedroht wurde.
Boleslav, der alte Friedensstörer, war gestorben, nachdem er sich bei Heinrichs II. Tod die polnische Königskrone aufs Haupt gesetzt hatte, und sein Sohn Mieczislav war ebensowenig geneigt, Lehnsträger des deutschen Reichs zu sein. Nun verband sich Konrad II. mit dem Dänenkönig Könnt (Knud) und es gelang ihm mit dessen Hülfe, sich den Polenfürsten wieder tributpflichtig zu machen. Freilich kostete die Freundschaft des Dänenkönigs dem Reiche ein gut Stück Landes, das einst Kaiser Otto I. erworben hatte, die Mark Schleswig. Aber die hundertjährigen Kämpfe Deutschlands im Norden kamen so endlich zur Ruhe, und wurde dadurch der Verlust ein Gewinn für das Vaterland. Konrad konnte sich jetzt andern Aufgaben widmen, die ringsum seiner warteten.
Kaum hatte die Witwe Heinrichs II., Kunigunde, dem neuen König Krone, Schwert und alle Reichsinsignien, auch die heilige Lanze übergeben und sich selbst dem klösterlichen Leben geweiht, als Konrad nach der Krönung seinen Königsritt durch die deutschen Lande begann. Er saß in Aachen auf dem Marmorstuhle Karls des Großen und hielt in öffentlicher, allgemeiner Reichsversammlung Gericht, zog dann durch die lothringischen Städte, wo sich Trotz und Drohungen der unzufriedenen Großen vor der Majestät seiner persönlichen ritterlichen Erscheinung beugten, und Adel, Geistlichkeit und Volk dem neuen Herrn vertrauensvoll entgegenjubelten; denn Gerechtigkeit und Milde bezeichneten seinen Weg.
Aber kaum hatte Konrad den gefährlichen Nachbar im Osten überwunden, da erstand ein neuer Feind im Westen. Die Herzöge von Lothringen und andre unzufriedene Herren, Balduin von Flandern, der jüngere Konrad v. Franken, der längst mit dem königlichen Vetter
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zerfallen war, u. a. verbündeten sich gegen das Reichsoberhaupt. Ein Empörungskrieg drohte inmitten des Reiches auszubrechen, als sich die gefahrdrohenden Wirreu wunderbar lösten. Eben war Konrad im Begriff (1025), Lothringen zu bekriegen, als ganz unerwartet Herzog Gozelo von Niederlothringen in Aachen eintraf, wo Konrad Weihnachten feierte, um friedlich mit ihm zu unterhandeln und den Eid der Huldigung zu leisten. Hatte Gozelo dem Zureden des
Bischofs von Cambrai Gehör gegeben, erschien ihm die eröffnete
Aussicht auf den Besitz des vereinigten Lothringens verlockend, es marin ihm die Hauptstütze der Empörung gefallen, und seinem Beispiele folgten bald die übrigen Fürsten, Friedrich von Oberlothringen, auch die andern Lothringer und Herzog Konrad von Franken. Konrads II.
Ruhm war zu dieser Zeit so groß, daß Niemand daran dachte, die
Königswürde könne seinem Hause durch Wahl eines fremden Nachfolgers genommen werden. Er ftnmte daher schon jetzt seinem achtjährigen Sohn Heinrich (III.) die Thronfolge sichern. Auch verlobte er ihn mit der Tochter des Dänenkönigs Knut, namens Gnnhild.
Dann erneuerte Konrad die Ansprüche Kaiser Heinrichs II. auf Burgund, das der schwache Burgunderkönig Rudolf III. diesem in einem Erbvertrage zugesagt hatte. Konrad war einst kein reicher Herr gewesen und hatte erst durch seine Vermählung mit Gisela, der edlen verwitweten Herzogin von Schwaben, seine Güter reich vermehrt. Sie war ihm nahe verwandt, und die Kirche hatte schon um der Güter willen, auf welche die für Erbschaften allzeit bereite Geistlichkeit ein Auge geworfen, die Ehe zu hindern gesucht. Auch die Krönung Giselas als Königin war erst nachträglich in Köln vollzogen worden. Aber Gisela und ihr Sohn Ernst aus erster Ehe hatten Ansprüche auf Burgund, da Rudolf III. (1025) von Burgund der Cheiin Giselas war, den Konrad durch einen kurzen, aber erfolgreichen Kriegszug gezwungen hatte, den Erbvertrag mit der deutschen Krone zu erneuern, so daß Burgund nun nicht an Frankreich fallen sollte.
Auch ein Gesetz, zuerst im burgundischen Königreiche durch die Geistlichkeit gehaudhabt, wurde von Konrad klug nach Deutschland übertragen, das dem Unfrieden, dem Faustrecht, siegreich gegenüber trat. Es ist das die berühmte Treuga Dei, d. i. Gottesfriede, wonach bei Strafe des Kirchenbanns und der Landesverweisung jede Fehde von Mittwoch Abend bis Montag Morgen ruhen sollte, da diese Tage durch Christi Leiden geheiligt seien. Auch an allen Fast-
und Festtagen mußte Frieden gehalten werden. Manche Fehde wurde so durch Aufschieben in Ruhe beigelegt, etwa dem Rate Martin Luthers entsprechend, im Zorne nicht eher zu handeln, als bis ein Vaterunser gebetet worden sei.
Es war nun hohe Zeit geworden, daß Konrad seinen Römerzug antrat; denn bei der Nachricht von Kaiser Heinrichs II. Tod hatten die Italiener, besonders in der Lombardei, eiligst die Spuren deutscher Königsherrschaft zerstört, die Königspfalzen gestürmt, und der italienische Adel war bereit, seinen ganzen Ingrimm gegen die Herrschaft der Deutschen mit Waffengewalt geltend zu machen. Die lombardischen Herren hatten die Kaiserpfalz in Pavia zerstört und die lombardische Königskrone dem französischen König Robert angeboten (1026). Jetzt zog Konrad mit gewaltigem Heere durch die Lombardei, und das Volk jubelte ihm entgegen. Aber die Stadt Pavia schloß ihre Thore vordem deutschen Herrscher und verweigerte hartnäckig den Neubau einer Kaiserpfalz in ihren Mauern.
Konrad mußte sich zunächst darauf beschränken, die feste Stadt durch sein Heer einzuschließen und dadurch die Zufuhr von Lebensmitteln abzuschneiden. Er selbst ging nach Ravenna, wo ihn der Bischof Heribert mit königlichen Ehren empfing; aber die großen Herren, der Adel, spannen Verrat. Die Deutschen wurden in: Schlaf überfallen und schon die erste Nacht des kaiserlichen Aufenthalts mußte viele Gräuel decken. Zwar erschienen die Empörer voller Angst vor Konrads Rache reuevoll ant andern Morgen vor ihm und erflehten im Büßerhemd und bloßen Füßen Verzeihung. Das blanke Schwert hatten sie um den Hals gehangen uud nahmen demütig ihre Strafe hin. Trotzdem erschien es Konrad geratener, bis zum Winter nach Norditalien zu ziehen, da auch das deutsche Heer während der warmen Jahreszeit durch Seuchen aufgerieben wurde. Erst im nächsten Herbst nahmen die Deutschen die ganze lombardische Ebene in Besitz, und die Stadt Pavia wurde gleich den rebellischen Markgrafen Italiens unterworfen, so daß Konrad als der mächtige Herr des Landes dastand und ungehindert nach Rom ziehen konnte.
Dort hatte Johann XIX. den päpstlichen Stuhl iune und gab mancherlei Aergernis. Er war nicht als Geistlicher gebildet und hatte nur als äußere Form für seine hohe Würde alle päpstlichen und priesterlichen Weihen an einem Tage empfangen. Unsicher in seiner Stellung trachtete er diese durch Konrad zu befestigen, den er nach Rom
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rief und ihn bort nebst seiner Gemahlin frönte. Eine glänzende
Versammlung umgab das Kaiserpaar unb dessen Sohn Heinrich;
selbst König Knut von Dänemark unb Rubols von Burgunb waren erschienen. Auch viele beut)che und italienische Prälaten, viele weltliche Große ans betn fernen Dentschlanb unb aus Italien wetteiferten,
bie Feier burch bie reichste Prachtentfaltung zu erhöhen. Aber wie
bei ben letzten Krönungen ber sächsischen Kaiser würbe bas Fest auch biefes Mal burch Straßentumulte zwischen Deutschen unb Römern gestört, bie zunächst um einer Kuhhaut willen entstanben unb sich bis zum erbitterften Kampfe steigerten, ©üblich unterlagen die Römer; auch sie kamen gleich den Bewohnern Ravennas Gnade erflehenb im Buß-hemb mit angehängtem bloßen Schwert. Aber Konmb traute betn Frieden nicht und suchte feine Herrschaft durch Unterwerfung Unteritaliens zu sichern. Auch hier besiegte er jeden Widerstand so schnell und über alles Erwarten, daß man die Erfolge seiner Kriegskunst der Hülfe überirdischer Mächte zuschrieb.
Als gefürchteter Herr verließ Konrad jetzt Italien, um in Deutschland gleiche Erfolge zu erringen. Dort hatte sich der Sohn feiner Gemahlin aus erster Ehe, Herzog Ernst (1028), mit andern Großen des Reichs verbunden, um feine Ansprüche auf Burgund gegen Kaiser und Reich geltend zu machen; doch fiel Burgund fünf Jahre später beim Tode König Rudolfs (1033) an den deutschen Kaiser.
Wenn Burgund, zu verschieden von Deutschland nach Sprache, Bildung und Staatsverfassung, nicht leicht im deutschen Reiche aufgehen konnte, so lag doch in dieser Vereinigung beiber Staaten ein Segen für dieselben.
Kaiser Konrad stand auf der Höhe feiner Macht. Ueberall water Zieger geblieben, so verwickelt und drohend sich die Verhältnisse ihm gegenüber gestellt haben mochten. Aber niemals hatte er in stolzer lleberhebung die Gefahren unterschätzt und darum klaren Blickes stets das Richtige und Erfolgreiche thun dürfen. Da riefen ihn Wirren nach Italien, die er am allerwenigsten vermutet haben mochte. Der Bischof Aribert von Mailand, eine Stütze deutscher Herrschaft in Italien und einst der treue Freund des Kaisers, mochte auf dieses Verhältnis bauen, als er wagte, sich zum Herrscher und Kirchenfürsten neben dem päpstlichen Stuhl aufzuwerfen, den ein wenig sittenreiner zehnjähriger Knabe, Benedikt IX., inne hatte. Dieser beklagenswerte Zustand war nur durch den Mißbrauch des Verkaufs geistlicher Würden möglich, der sich
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allmälig eingeschlichen hatte, und die Kirche war weit davon entfernt, eine Verbesserung, wie sie einst Kaiser Heinrich II. im Auge hatte, an sich vollziehen zu können.
Da die Mailänder ihrem Bischof dankbar ergeben waren, der in treuester Fürsorge und Weisheit dort gewaltet hatte, mochte es diesem möglich erscheinen, sich in Mailand eine Residenz des lombardischen Reiches zu gründen. Er maßte sich kaiserliche Rechte an, verfügte gegen Sitte und Recht über die Lehen der kleineren Lehnsträger (Val-vassoreu) und wollte diese gleich den Freien sich dienstpflichtig machen. Die in ihren alten Rechten Gekränkten suchten sich zu schützen, indem sie sich mit den Freien und mit den Bürgern der Stadt gegen den Bischof und gegen die größern Lehnsträger verbanden, die es mit dem Kirchenfürsten hielten. Dieser wurde mitsamt seinem hohen Adel im offenen Kampfe besiegt, und die ganze Bevölkerung der Lombardei nahm in offener Empörung für die kleinen Lehnsträger Partei; alle verlangten dringend den Machtspruch des Kaisers, den sie nach Italien riefen. Das Volk wollte nicht mehr von der Willkür der Großen abhängig sein; es verlangte ein geschriebenes Landrecht. Andern Falls wollte es sich selbst Gesetze geben.
Auch der Erzbischof Aribert rief den Kaiser, dessen Rechte er so sühn verletzt hatte, und Konrad prüfte vorsichtig, wem er am klügsten zu helfen habe, um sich und dem Reiche zu nützen. Eigentlich waren die kleinen Lehnsträger und Grundbesitzer, auch die Städtebewohner Italiens keine Freunde der Deutschen, obgleich sie vom deutschen Kaiser Hülfe erbaten; doch Aribert war auch ein gefährlicher Freund. Ihm stellte Konrad in dem mächtigen Markgrafen Bonifacins von Toskana einen Nebenbuhler und Wächter zur Seite, den er mit der Nichte seiner Gemahlin verheiratete. Im Uebrigen kam er dem Erzbischof zur Hülfe.
Dieser empfing seinen kaiserlichen Freund in Mailand sehr unterwürfig ; als aber der Kaiser vorsichtiger Weise Mailand verließ und in Pavia ein Hoflager bezog, dort Reichs- und Gerichtstage abzuhalten, um allen Klagen Gehör zu geben, vergaß sich Aribert und verriet trotzig seine eigentliche Meinung. Auf nietnands Befehl oder Bitte würde er etwas herausgeben, was er im Mailänder Stift gefunden oder für dasselbe erworben habe. Da ließ ihn der erzürnte Kaiser gefangen setzen, und diese Strenge verbreitete Furcht und Schrecken.
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Aber der Bischof entkam, kehrte glücklich nach Mailand zurück, und alles Volk war plötzlich einig im Haß gegen die Deutschen.
Mit einem großen Heere zog Kaiser Konrad nach Mailand, und der Kirchenfürst trat ihm, ein streitbarer Held, an der Spitze seiner Scharen entgegen, die er um ein Banner sammelte, das mit dem Bildnis des heiligen Ambrosius geschmückt war. Es wurde an einem Wagen befestigt, der von Stieren gezogen wurde, und mochte ein begeisternder Aberglaube an die unfehlbare Hülfe des heiligen Ambrosius die Truppen des Bischofs so tapfer kämpfen lassen, daß es den Deutschen lange nicht gelingen wollte, ihre Herrschaft in Italien zu befestigen. Als Konrad das Weihnachtsfest in Parma feierte (1037), brach ein heftiger Straßenkampf ans, der sogar des Kaisers Leben in Gefahr brachte. Er ließ die Mauern der Stadt niederreißen und die Stadt selbst zum großen Teil zerstören, um die übrigen Städte schon durch Schrecken im Zaum zu halten. Dazu schuf sich der Kaiser in den durch den Bischof bedrängten kleinen Lehnsträgern Bundesgenossen. In dem berühmt gewordenen Lehnsgefetz (constitutio de feudis) sicher;e Konrad ihnen die Erblichkeit ihrer Lehen zu, welche sie von den unter Kaiser Heinrich II. sehr begünstigten Bischöfen, Aebten, Grafen und Markgrafen hatten, ausgenommen, weitn sie sich durch Verbrechen
derselben unwürdig gemacht. Darüber sollten aber nur ihres Gleichen entscheiden dürfen, und dem Lehnsherrn war es nicht gestattet, seine Lehen anders wieder an sich zu nehmen. Jede Berufung der Lehnsherren und auch der Lehnsträger mußte an den Kaiser selbst oder an seine Psalzgrafen gerichtet werden. Dadurch konnte sich der Mittelstand
freier entfalten, und der hohe Adel wurde somit in seiner Willkür und Macht beschränkt.
Auch im Süden Italiens hielt Kaiser Konrad strenges Gericht, wo longobardische Fürsten ihre Herrschaft durch Raub und Mord zu befestigen suchten. Da einer dieser Herren, Pandnlf IV. auf des Kaisers Befehl nicht vor ihm erschien, wurde er sofort feiner fürstlichen Würden entsetzt, und der Herzog Waimar von Salerno trat an seine Stelle. Auch erhielt der Normanne Rainulf die Grafschaft Aversa als
Reichslehen. Es ist dies besonders erwähnenswert, weil dadurch in
Italien die Normannenherrschaft, schon durch Heinrich II. in der normannischen Mark begründet, noch mehr befestigt wurde, welche dein deutschen Reiche ein gefährlicher Feind werden sollte.
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Doch zunächst erstand den Deutschen ein noch größeres Verderben in der Pest, welche Italien verheerte, und Konrad selbst zog krank nach Deutschland zurück, ohne den übermütig gewordenen Aribert unterworfen zu haben. Nur kurze Zeit noch war ihm vergönnt, für des Reiches Wohl zu sorgen. Sterbensmüde zog er von Gau zu Gau, um den Frieden des Landes zu befestigen, für Hans und Reich zu sorgen und seinem Sohne Heinrich, den er zum König von Burgund krönen lies;, den deutschen Fürsten schon jetzt als ihren zukünftigen Kaiser vorzustellen.
Noch einmal nahm der kranke Herrscher, umgeben von aller Kaiserherrlichkeit, mit seiner Gemahlin und seinem Sohne Heinrich zu Utrecht am Hochamt teil. Es war am ersten Pfingsttag. Am zweiten Festtage war er aller seiner Kaisermacht entkleidet; er lag auf der Totenbahre (4. Juni 1039). Sein Leichnam wurde im Dom zu Speyer beigesetzt; der eigne Sohn trug den kaiserlichen Vater mit zu Grabe.
Ein großer Kaiser war zur Ruhe gegangen; ein mächtiger Herr folgte ihm in seinem Sohne, Heinrich III.
2, Heinrich III.
(1039 bis 1056.)
Heinrich war längst vor Kaiser Konrads Tod zum deutschen König erwählt und gekrönt worden, und das deutsche Volk sah mit Vertrauen auf den 22 jährigen Herrscher, in dem sich alle Tugenden des Mannes und der Ritterwürde vereinigt zu haben schienen, um den frommen Bestrebungen des jugendlichen Herrn zu dienen. Er hatte eine ausgezeichnete Erziehung und Bildung genossen, die ihn dem Klosterleben, der Geistlichkeit, in deren Händen die Gelehrsamkeit ruhte, vielfach nahe brachte. So tritt Heinrich III., trotz seiner Jugend ein willensstarker, kluger und tüchtiger Regent, zunächst als ein besonderer Freund der Kirche aus.
Bei seinem Regierungsantritt lag das Papsttum in tiefem Verfall, die Geistlichkeit war vom König abhängig, und die herzogliche Gewalt von Franken, Bayern, Schwaben und Kärnthen ruhte in den Händen des Königs. Nach altem Brauch hielt dieser seinen Umzug durch die deutschen Lande, um eben so wohl Huldigung wie Klagen entgegenzunehmen. Da kamen nach Regensburg viele Fürsten Italiens (1040),
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Erzbischof Ariberts Sache zu gütlichem Austrag zu bringen, der seine Handlungsweise gegen Heinrichs Vater zu entschuldigen bemüht ltmr. Auch die lombardischen Großen zeigten friedliche Gesinnung, und die burgundischen Vasallen kamen nach Ingelheim mit reichen Geschenken. Heinrich erschien als der mächtigste Fürst seiner Zeit, und mochte das von seinem Vater erstrebte Ziel, eine unumschränkte königliche Machtvollkommenheit und völlige Vernichtung der Herzogswürde, leicht zu erreichen wähnen, wenn er das Murren der unzufriedenen Großen
nicht beachtete, die seinem Sohne schon in der Wiege huldigen mußten.
Da riefen ihn ernste Unruhen im Osten an die Grenze des Reichs. Das slavische Volkstum, das unter Kaiser Konrad II. der deutschen Herrschaft endgültig unterworfen schien, erhob sich in neuer Kraft uud mit ihm das Heidentum, das lieber den Götzen opferte, als den Zehnten der Kirche bezahlte. Auch empörte sich das Volk gegen die fürstliche Aristokratie, die sehr mächtig geworden war.
Unter solchen Unruhen konnte es als ein Segen betrachtet werden, daß ein edler Fürst im Böhmerlande, Bretislaw, der allgemeinen Verwirrung zu steuern suchte, indem er dem vernichtenden Heidentum in Polen ein neues christliches Slavenreich entgegenzustellen trachtete. Voller Begeisterung sammelte er die bewaffnete Macht Böhmens und Mährens unter seiner Fahne.
Diesem Beginnen konnte Heinrich nicht thatenlos zuschauen, doch als er berechtigte Ansprüche erhob, kam es nach fruchtlosen Unterhandlungen zum Kampfe (1040). Deutsche und Slaven, stets wie Feuer und Wasser geschieden, standen sich im Böhmerwalde gegenüber. Bretislaw hatte während der langen Verhandlungen sich gut zu verschanzen gewußt, die Blüte des deutschen Heeres sank unter den Waffen der Feinde, denen der Rest der Deutschen das Feld räumen
mußte. Als aber Heinrich im nächsten Jahre mit verstärkter Heeres-
macht nach Böhmen zurückkehrte, bat Bretislaw um Frieden. Er erschien barfuß und im Büßergewand zu Regensburg vor dem Könige, übergab ihm die herzogliche Fahne Böhmens und verzichtete auf alle Eroberungen und aus alle königlichen Ehren. Heinrich aber machte sich den tapfern Gegner zum Freunde, indem er ihn als Herzog bestätigte und sogar Teile Schlesiens hinzufügte.
Die Unterwerfung der Böhmen war auf Heinrichs weitere Erfolge von großem Einfluß; denn in Böhmen und Polen verlor Ungarns Königtum einen lang gewohnten Halt, und bald empörte sich das.
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Volk, besonders die Großen Ungarns gegen ihren Herrscher. Voller Entsetzen entfloh König Peter von Ungarn den Gräuelszenen einer blutigen Revolution und bat den deutschen König fußfällig um Hülfe, während sich in Ungarn ein neuer Herrscher aufwarf, der dem Heidentum wieder freie Bahn ließ und alle guten, christlichen Gesetze seiner Vorgänger über den Haufen warf. Tann rüstete er sich gegen die Deutschen. Er mochte der einstigen Ungarnzüge gedenken, welche Heinrich I. und' Otto der Große in heißen Schlachten zu bekämpfen hatten, und glaubte wohl vermessen, die Deutschen völlig unterwerfen zu können, da er anfangs siegreich war.
Doch in drei Feldzügen gelang es den Deutschen, die Ungarn unter so geringen eigenen Verlusten zu besiegen, daß man sich Wunderdinge davon erzählte (1042—1044). Als die Ungarn in wilder Flucht durch die Ebeue der Naab dahintobten, schlug Heinrich III. auf dem Schlachtfelde ein Lager auf und feierte im Büßerhemde einen Dankgottesdienst auf offnem Felde für diesen Sieg. Als er in die ungarische Königsstadt Stuhlweißenburg einzog, den vertriebenen König Peter in seine Herrscherwürde wieder einzusetzen, fielen ihm reiche Schätze, sogar Gemahlin und Kinder des entflohenen Königs zur Beute.
Dankbar überreichte der in seine vorige Würde eingesetzte König Peter dem deutschen Herrscher die goldne Lanze als Zeichen der Unterwürfigkeit und huldigte ihm vor allem Volk. Dann wurde er von Heinrich mit Ungarn nur belehnt.
Damit war die Abhängigkeit desselben vorn deutschen Reiche feierlich anerkannt. Aber kaum hatte Heinrich das Land verlassen, so empörten sich die Ungarn aufs neue gegen den König Peter, der schließlich verstümmelt, geblendet, ein armseliger Krüppel, noch zehn Jahre seines Lebens dahin schleppte, während sich die Ungarn einen Neffen des einst so verehrten Königs Stefan (der Heilige) erwählten und die Deutschen zu wiederholten Kriegszügen veranlaßten.
Obgleich Heinrich III. von dem großartigen Plane allmälig zurücktrat, alle Herzogtümer in seiner Krone und Herrschaft zu vereinigen, so sah er doch die herzogliche Würde nur wie ein Reichsamt an, das er beliebig vergeben oder zurücknehmen konnte. Die so eingesetzten Herzöge beugten sich ber Hoheit und Machtfülle Heinrichs derart, daß keiner derselben herrschsüchtige Interessen zu verfolgen wagte. Das deutsche Reich stellte eine Macht dar, die sich Karls des Großen Herrschaft
B o r n h a k, Unser Vaterland. 10
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ebenbürtig fühlen durfte, und das Kraftgefühl Deutschlands war berechtigt, in welchem Heinrich III. das durch lange Fehden und Parteikämpfe zerrüttete Frankreich, der starken, deutschen Königsherrschaft zu verbinden strebte.
Das Volk war in Frankreich schon seit Jahrhunderten hülflos der Willkür der Großen preisgegeben. Der Landmann war schutzlos gegen die Räubereien derselben, und der Kaufmann mußte es dulden, wenn bewaffnete Rotten seine Waren plünderten. Nur die Geistlichkeit hatte eine Wehr für sich. Sie belegte Raub und Mord mit dem Bann und versagte auch den ritterlichen Räubern die Sakramente im Leben und im Sterben.
Dazu hatte eine dreijährige Wasser- und Hungersnot den Wohlstand des Landes vernichtet, und die Menschen erwürgten sich voller Verzweiflung untereinander. Selbst die Gräber sollen nicht verschont geblieben sein. Endlich gab eine bessere Ernte neue Lebenshoffnung, und die Geistlichen benutzten die dankbare Volksstimmung, einen Gottesfrieden zu predigen, der alle Nebelthaten auslöschen sollte.
„Friede! Friede! Friede!" rief alles Volk mit zum Himmel erhobenen Händen, und die Bischöfe erhoben ihre Stäbe, als der Gottesfriede verkündet wurde, der schon unter Konrad II. in Burgund und Deutschland begründet worden war.
Heinrich III., der sich mit der ihm verwandten, frommen Agnes von Poitiers, Tochter des Herzogs von Aquitanien vermählt hatte und
längst der Richtung des Abts Odo von Cluny (Congregation der
Cluuiacenser, welche eine Abkehr von der Welt predigten) angehörte,
suchte diese fromme Bewegung in Volk und Rittertum zu fördern (1043). Auf einer Synode zu Konstanz trat er am Vorabend des Gründonnerstags mit dem Bischof vor den Altar und sprach in eindringlicher Rede selbst zum Volke, daß es den Frieden halten
möchte.
Diese Mahnung entsprach nicht einem Gefühl der Ohnmacht oder Schwäche. Heinrich war nur von dem herzlichen Verlangen erfüllt, das Land durch Frieden zu beglücken. In diesem Sinne sollte auch die Kirche ihren hohen Zielen christlicher Heiligung entsprechen, und wie viele Uebelstände waren hier zu beseitigen! Geistliche Aemter, Würden und Pfründen wurden in niedriger Weise für Geld verkauft. Statt des geistlichen Amts zu warten, zogen Bischöfe und Aebte an der Spitze ihrer Reisigen in das Feld und aus die Jagd.
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Endlich vereinigte Heinrich (1044) alle Bischöfe seines Reichs auf einer Synode und sprach zu ihnen: „Mit Betrübnis beginne ich zu euch zu reden, die ihr an Christi Stelle in der Kirche steht, welche er sich mit dem Preise seines Blutes gewonnen hat. Denn wie er selbst aus freier Güte aus dem Schooße des Vaters zu unsrer Erlösung herabgeftiegen ist, so hat er auch den Seinen befohlen: Umsonst habt ihr es empfangen, umsonst gebt es auch. Aber ihr, die ihr hattet ein Segen sein sollen, seid, von Geiz und Habsucht geblendet, ein Fluch der Kirche geworden, da ihr, das Gebot des Herrn übertretend, Geld gebt und nehmt. Auch mein Vater, für dessen Seelenheil ich schwere Sorge trage, hat dieser verdammlichen Habsucht nur allzu sehr ge-sröhnt."
Die Bischöfe waren erschrocken und fürchteten nach dieser Straf-rede ihre Absetzung. Da sagte ihnen Heinrich voll Güte: „Geht hin uud sucht, was ihr aus unerlaubte Weise gewonnen habt, zu guten Zwecken zu nutzen, betet auch mit aller Inbrunst für das Seelenheil meines Vaters, damit ihr ihm Erlaß von Gott erbittet!"
Es wurde nun strenger Befehl erlassen, kein kirchliches Amt um Geld und Gut zu vergeben. Wer dagegen handelte, sollte seines Amts entsetzt werden. Heinrich selbst gelobte: „Wie Gott mir die Krone aus reinem Erbarmen unentgeltlich gegeben hat, so werde ich auch alles, was seine heilige Kirche angeht, unentgeltlich erteilen."
Das ganze christliche Abendland sollte, von diesem Geiste durchdrungen, darin ein festeres Band finden, als in der politischen Einigung, die doch damit erstrebt wurde. Dennoch erschien die Verwirklichung eines christlich - germanischen Gottesstaates, wie Karl der Große ihn erstrebte, auch für Heinrich unmöglich, wenn die Hülfe des Papstes ihn nicht unterstützte. Nur als „gekrönter römischer Kaiser" mochte er den erhabenen Vorrang einer solchen Weltherrschaft erreichen, so meinte er.
Aber jenseits der Alpen sah es sehr übel ans. Alle christliche Zucht und Sitte, alle Rechtszustände waren in Italien aufgehoben; die kleinen Herren und Fürsten drückten die Untergebenen und scheuten vor keinem Frevel zurück, wenn es galt, ihre Macht zu befestigen. Die frommen Wandrer, welche nach Rom pilgerten, wurden von Räubern überfallen, und römische Adlige raubten aus St. Peter, was fromme Christen geopfert hatten.
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Dazu stritten sich drei Päpste um den Stuhl Petri; Benedikt IV. saß in Lateran, Sylvester III. in Maria maggiore und Gregor VI. im Vatikan. Alle drei thaten sich gegenseitig in den Bann, trieben die ärgste Simonie und konnten dem Bürgerkriege nicht wehren, der in Rom wütete. Diesen zerrütteten kirchlichen und bürgerlichen Verhältnissen Italiens erschien einzig Heinrich als Retter. Zn ihm eilte der Archidiakonus Peter über die Alpen und bat ihn fußfällig, nach Italien zu kommen. Heinrich erkannte darin einen göttlichen Ruf und zog mit einem großen Heere über den Brenner durch die Lombardei der Stadt Rom zu.
Obgleich Heinrich III. die Absetzung aller drei Päpste für notwendig hielt, sollte doch kein Befehl oder Gewaltakt dazu führen (1046). Auf einer Synode zu Sutri saß die gesamte römische Geistlichkeit zu Gericht, an ihrer Spitze Papst Gregor. Jeder der drei Päpste sollte berechtigt sein, sich und seine Ansprüche zu verteidigen. Der König selbst war dabei gegenwärtig
Als Gregor aufgefordert wurde, über feine eigne Wahl zu berichten, erzählte er ganz ehrlich, daß er feine Rechte auf den päpstlichen Stuhl verkauft habe und darum feiner Stelle entsetzt werden müsse. Auch Sylvester wurde aus gleichem Grunde seiner Würde entkleidet Endlich mußte auch Papst Benedikt auf einer Synode zu Rom feierlich dem päpstlichen Stuhl entsagen, und die Versammlung
italienischer Würdenträger bat erfurchtsvoll den deut scheu Herrscher, einen Papst ernennen zu wollen. Dieser ergriff die Hand des ehrwürdigen deutschen Bifchof Suidger von Bamberg und führte ihn auf den Stuhl Petri. Er wurde als Clemens II. am Weihnachtsfeste zum Papst geweiht und hatte die Ehre, an Heinrich III. und feiner Gemahlin Agnes die Kaiferkrönung zu vollziehen.
„Die Kirche erscholl von den Lobgefangen des römischen Volkes^ von den Jubelrufen der deutschen Krieger, die ihren König als römischen Kaiser begrüßten. Es geschah an derselben Stelle, an demselben Tage, an dem einst Karl der Große zum Kaiser ausgerufen wurde (Weihnachten 1046), das römisch-deutsche Kaisertum stand auf dem Höhepunkte feiner Macht und Herrlichkeit: Kirche und Staat gehorchten feinen Geboten, geistliches und weltliches Regiment lagen in Heinrichs Händen." Auch gelobten die Römer aus freiem Antriebe, daß fortan kein Papst ohne des Kaisers Willen gewählt und geweiht werden solle, und Heinrichs Ansehen war so groß, daß nach Papst Clemens' Tode
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(er wurde in Bamberg begraben), noch dreimal ein deutscher Bischof Papst wurde.
Nachdem Heinrich in ©üditaticn die Verhältnisse der longo-bardischen Fürstentümer und der normannischen Besitzungen geordnet hatte, kehrte er nach Deutschland zurück (1047), wo er wieder nach Willkür Herzogtümer nahm und vergab, so daß Bayern, dessen Herzog Konrad wegen Ungehorsam abgesetzt worden war, dem dreijährigen Kaisersohne Heinrich (IX.) verliehen nnd nach dessen Krönung zum deutscheu Könige im folgenden Jahre dem zweijährigen Kaisersohne Konrad übergeben wurde, nach dessen frühern Tode sogar an die kaiserliche Mutter überging. Durch solches Vorgehen schuf sich Heinrich im eigenen Vaterlande Feinde genug. Herzog Gottfried von Lothringen wollte sein gesamtes väterliches Erbe wieder an sich bringen und verfolgte dieses Ziel mit eiserner Hartnäckigkeit. Konnte ihm Frankreich nicht helfen, auf das er zuerst gebaut, so suchte er Beistand bei anderen fehdeluftigen Herren, und bald tobte ein unheilvoller Krieg von bei Mosel bis zur Nordsee.
Die Unruhen pflanzten sich weiter fort über Ungarn, Polen, Italien und Burgund. Auch in Sachsen zog eine ©ährung durch das Volk, weil Heinrich im Harz so manches feste Schloß baute, wie die stolze Kaiserburg zu Goßlar u. a., in denen die Sachsen Zwingburgen fürchteten.
Wenngleich Heinrich mit großer Umsicht all diesen Gefahren teils durch Bündnisse mit Frankreich, England und Dänemark, andererseits durch strenge Energie siegreich zu begegnen wußte, so konnte er sich und dem Lande nicht jede Mißstimmung hinwegnehmen. Herzog Gottfried ergab sich zwar ans Gnade und Ungnade; auch wurden bie Unruhen besonbers in Italien leicht beigelegt, als aber Kaiser Heinrich mit bem Könige von Frankreich friedlich unterhandelte, sprach dieser keck ans, bie Deutschen hätten ben Lothringern ihr Lanb einst hinterlistig genommen. Da warf ihm Heinrich ben Fehbehanbschnh vor bie Füße, boch bei" König von Frankreich floh heimlich bei Nacht utib Nebel, um bem Zweikampfe auszuweichen.
Balb rebete düstre Kunde von Mordplänen deutscher Fürsten gegen des Kaisers Leben, und wenn auch diese vereitelt wurden, so beherrschte boch ben kaiserlichen Herrn von nun an eine sehr trübe Stimmung. Er mochte einsehen, baß, so Großes utib Herrliches er
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vollbracht hatte, er doch nicht die unerreichbare Höhe erlangen konnte, welche sein königlicher Mut erstrebte.
Er residierte in seiner Lieblingspfalz zu Goßlar, als er den ihm befreundeten Papst Viktorll. dorthin berief (1056). Von Goßlar hatten sich dann beide nach der Burg Bodfeld im Harz begeben, als die Hiobspost eintraf, daß das sächsische Heer von den feindlichen Liutitzen (schon unter Heinrich II. gefährliche Nachbarn), an der Havelmündung besiegt und völlig vernichtet sei.
Die längst erschütterte Gesundheit des jugendlichen Kaisers erlag dem Schrecken über dieses unerwartete Unglück. Am 5. Oktober 1056 schied zu Bodfeld auf den Höhen des Harzes der Kaiser aus der Zeitlichkeit, dessen Name lange weithin durch das Abendland mit Furcht und Zittern genannt ward. Heinrich III. starb jung nach einem
thatenreichen Leben; er hatte das 39. Jahr noch nicht erreicht, aber siebzehn Jahre das Reich regiert und neun Jahre die Kaiserkrone getragen. Seine Regierung, in welcher die Kaisermacht ihren höchsten Höhepunkt erreichte, ist eine der denkwürdigsten unsrer Geschichte.
An seinem Geburtstage, dein 28. Oktober (1056), fand Kaiser Heinrich III. seine letzte Ruhestätte in dem damals noch unvollendeten Dome zu Speyer, wo auch seine Eltern begraben lagen.
3. Heinrich IV.
(1056 bis 1106.)
Noch auf dem Sterbebette hatte Heinrich III. sich von den Leinen, von den Großen des Reichs, die ihn umgaben, auch von dem ihm befreundeten Papste Viktor Treue gegen den unmündigen Sohn Heinrich geloben lassen. Viktor, der einige Monate später selbst starb, hatte wenigstens das Königskind nach Aachen geführt und dort unter großen Feierlichkeiten auf den Stuhl Karls des Großen gesetzt. Aber Die Würdenträger des Reichs fühlten sich frei von dem starken Willen eines königlichen Herrn, dessen Königtum sie als persönliche Fessel empfunden hatten, und doch war ein starkes Reich auch für sie die Veste, in der sie sicher wohnen konnten.
Beim Tode Kaiser Heinrichs III. reichte die deutsche Herrschaft im Lüden bis nach Italien, im Osten waren Böhmen, Polen und
Magyaren zinspflichtig. Im Westen huldigten Burgund und die heutigen Niederlande der deutschen Krone, und im Norden bildete die Eider die Reichsgrenze. Wäre auf Kaiser Heinrich III. ein Herrscher non gleicher Kraft und Umsicht gefolgt, die durch ihn unter das deutsche Reichszepter gezwungenen herzoglichen Gewalten und die Macht des Papstes hätten nicht so unheilvolle Zustände herbeiführen können, wie sie die Negierungszeit Heinrichs IV. bezeichnen. Aber Heinrich war beim Tode seines Vaters ein fünfjähriges Kind, auf das aller Augen gerichtet waren, um nur möglichst viel Einfluß auf den König, möglichst viele Vorteile für sich zu gewinnen.
Zunächst führte die kaiserliche Witwe Agnes die Regierung für ihren Sohn. Bei aller Treue darin kam ihr als einer französischen Fürstentochter überall Mißtrauen entgegen, und sie mochte das Beste thun wollen, als sie sich in dem stolzen Bischof Heinrich von Augsburg einen Ratgeber erwählte. Aber damit war nur ein Funke in ein Pulverfaß geworfen; denn alle anderen Herren im. Reiche wachten um so eifersüchtiger über der vormuudschaftlichen Regierung.
Besonders thaten sich darin zwei einflußreiche Erzbischöfe hervor: Hanno von Köln und Siegfried von Mainz. Sie suchten weltliche und geistliche Fürsten für sich zu gewinnen, und um diesen Bestrebungen entgegen- zu arbeiten, mußte auch Kaiserin Agnes sich nach Bundesgenossen umsehen, die sich aber mit der Zeit als wenig zuverlässig erwiesen. Vielmehr suchte nur jeder eigne Machtvergrößerung. Der ehrgeizige Graf Rudolf von Rheinfelden erzwang sich das Herzogtum Schwaben sogar durch Entführung der elfjährigen Tochter der Kaiserin, und da der in Schwaben reich begüterte Graf Berthold von Zähringen auch Ansprüche auf das Herzogtum erhob, entschädigte ihn Agnes durch das Herzogtum Kärnthen. Bayern, das Heinrich III. seiner Gemahlin einst als Herzogtum übergeben, übertrug sie dem Grafeu Otto von Nordheim. Aber in all diesen Herren fand die Kaiserin eben so wenig Stütze für ihre schwierige Stellung, wie später ihr Sohn Heinrich.
Das Trachten aller Großen des Reichs war nur darauf gerichtet, der Kaiserin die Regierung zu entreißen, um selbst dabei zu gewinnen. Erzbischof Hanno verband sich sogar mit Otto von Nordheim und Eckbert von Braunschweig, um den königlichen Knaben Heinrich b seine Gewalt zu bringen.
Als die Kaiserin einst bei Kaiserswerth Hoflager mit dem juugen König hielt, der nun zwölf Jahr alt war, kehrten die Herren scheinbar
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zu ehrfurchtsvollem Besuche bei ihr ein. (Nach anderm Bericht war die Kaiserin mit ihrem Sohne zu Gast bei den Bischöfen.) Sie waren in einem herrlich ausgestatteten Schiffe herbei gekommen, und nach frohem Male forderte Bischof Hanno Heinrich IV. auf, das Innere des Schiffes zu besehen. Kaum an Bord, segelten die Herren mit ihrem königlichen Gefangenen davon, und die Kaiserin sah händeringend vom Balkon ihres Schlosses aus, wie das Schiff mit ihrem Kinde dahin eilte. Sie sollte es niemals wieder sehen und zog sich in ein Kloster zurück; Heinrich wurde nach Kinderart bald beruhigt und durch Schmeichelreden gewonnen.
Trotz aller Entrüstung, die sich im Reiche über diesen Raub geltend machte, gelang es Hanno, die vormuudschaftliche Regierung an sich zu bringen. Die unzufriednen Fürsten aber suchte er durch Verleihung von Rechten und Gütern an sich zu fesseln. Doch mit der Zeit mehrten sich die Schmierigkeiten, und Hanno verband sich mit dem stolzen Erzbischof Adalbert von Bremen, daß er mit ihm die Regentschaft führen möchte.
Das wurde für den jungen König verderblich; denn während Hanno, selbst streng und hart, Heinrich so zu erziehen trachtete, daß Fürsten und Vasallen des Reichs leicht große Selbständigkeit erlangen konnten, flößte Erzbischof Adalbert ihm Haß gegen alle ein, die einst seine königliche Gewalt beschränken könnten. Besonders erregte er Heinrichs Haß gegen die Sachsen, so daß dieser schon als Knabe überlegte, wie er deu edelu Sachsenstamm völlig vernichten wollte. Dazu sröhnte er Heinrichs Begierden und Leidenschaften, um die Gunst des jungen Königs zu gewinnen, und die edeln Eigenschaften desselben untersaget! den in ihm gepflegten Begierden.
Als Heinrich fünfzehn Jahre alt war (1065), wurde er auf Adalberts Betrieb nach alter germanischer Sitte durch Wehrhaftmachung für mündig erklärt und in Worms feierlich zum deutschen König gekrönt. Die vormuudschaftliche Regierung hatte damit ihr Ende erreicht, uud Heinrich hatte nichts Eiligeres zu thun, als den von ihm gehaßten harten Erzieher Hanno zu entfernen. Nur Adalbert blieb in seiner Nähe. Seinem Einflüsse gab er sich mit aller Lebhaftigkeit seines Charakters hin, die, durch Hauuo unnatürlich gefesselt, durch Adalbert zur ewig schwankenden Willkür erzogen worden war. Und doch flammten auch in Heinrich die edelsten Eigenschaften des Frankengeschlechts auf, mit, frühe irregeleitet, dem Vaterlande nur zum Un-
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heil zu werden, und den König trotz des besten Willens, seines Vaters Regierung würdevoll fortzusetzen, gerade das Gegenteil ausführen zu lassen.
Voller Sorge sahen die andern Reichsfürsten auf Adalberts Einfluß und auf seine Verschwendung. Er selbst umgab seinen Hof mit königlichem Glanze und veranlaßte Heinrich, die Unterthanen mit Steuern zu belasten, welche seinen üppigen Bauten und mancherlei Leidenschafteu dienten.
Auf einem Reichstage zu Tribur (1066) wurde von Heinrich gefordert, entweder selbst der Krone zu entsagen, oder den verderblichen Ratgeber Adalbert zu entlassen. Das Letztere geschah, und die Hauptführer dieser Bewegung gegen Adalbert traten wieder an das Ruder; es waren Erzbischof Hanno, Otto von Nordheim und Rudolf von Schwaben.
Heinrich trug wohl die Königskrone, aber königlicher Herr war er nicht. Er mußte unausgesetzt Kränkungen erfahren, die ihn mit Haß und Bitterkeit erfüllten und ihn nur auf den Augenblick harren ließen, sich rächen zu können. Sah er doch nur Habgier, Herrschsucht und so viel niedrige Gesinnung um sich her, daß der königliche Jüngling, dem alle Thatkraft gehemmt wurde, auch auf manchen Abweg geriet und selbst die ihm aufgezwuugue tugeudsame Gemahlin Bertha von Susa (Piemont) treulos verachtete und sich von ihr zu trennen suchte.
Es kann nicht Wunder nehmen, daß auch im deutschen Volke Sitte und Recht Schaden litt, als seine Fürsten in Pietätlosigkeit und leichtfertigem Wandel vorangingen. Heinrichs IV. ungerechtfertigte Härte gegen die Sachsen, deren Klagen um ihr gekränktes Recht er niemals anhörte, und in deren Lande er gleich seinem Vater Burgen anlegte, bei deren Bau das Volk harte Frondienste leisten mußte, kränkte nicht nur die Sachsen. Was heute dort geschah, konnte morgen auch den übrigen Deutschen angethan werden. Erzbischof Adalbert war bald an des Königs Hof zurückgekehrt (1069) und schürte weiter den Haß gegen die Sachsen, von denen Heinrich gesagt haben soll, daß sie zu nichts gut seien, als Zins zu zahlen und Knechtsdienste zu thun.
Gleich seinem Vater wollte Heinrich IV. auch die Macht der Fürsten, die Herzogsgewalt, unter seine Herrschaft beugen, und so mußten die Sachsenherzöge, die es nicht vergessen konnten, daß einst der Stamm
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der Lachsen den deutschen Kaiserthron inne hatte, diese Härte am schwersten empfinden. Dazu durchstreiften die Franken, welche aus den Harzburgen saßen, das sächsische Land, erpreßten Steuern und raubten, so viel sie erlangen konnten.
Als Erzbischof Hanno gleich anderen Bischöfen harten Tadel vom Papste erfahren hatte, daß er trotz strengen Verbots doch Simonie getrieben, war sein Ansehen im Volke und sein Einfluß auf den König, noch mehr gesunken, und Adalberts Rat, die Gewalt der Fürsten rücksichtslos zu beugen, fand bei Heinrich ein nur zu williges Ohr. Er nahm zunächst dem Bayernherzog Otto von Nordheim, dem er den Raubzug bei Kaiserswerth nicht vergessen konnte, das Herzogtum Bayern, das nun der erste Wels (I.) erhielt und that ihn auf die Auflage hin, daß er nach des Königs Leben und Krone strebe, in die Reichsacht. Otto verband sich voller Rache mit dem Herzog Magnus von Sachsen gegen Heinrich, der sie beide überfiel und gefangen nahm. Otto wurde zwar nach einigen Jahren wieder frei gegeben, Magnus aber in strenger Hast gehalten, weil er ans die von seinem Vater zu ererbenden Herzogsrechte nicht verzichten wollte. Dadurch kam Heinrich in den Verdacht, das Herzogtum für sich selbst zu begehren, den rechtmäßigen Erben aber im Gefängnisse sterben zu lassen.
Auch die andern Reichsfürsten hatten über viel Härte ihres Königs zu klagen und in ihrer Unzufriedenheit bildeten sie eine Vereinigung, an deren Spitze des Königs Schwager, Rudolf von Schwaben, stand.
Während Heinrich mit Flandern, mit Polen und Böhmen zu schaffen hatte, auch Erzbischof Adalbert gestorben war, drängten die Reichsfürsten wieder Hanno an das Ruder. Doch ließ sich Heinrich dadurch nicht warnen. Er ging auch ferner in gewohnter Willkür mit den deutschen Herren um. Selbst als Herzog Arnulf von Sachsen gestorben war, hatte er dessen Sohn Magnus nicht aus der Haft entlassen, obgleich Otto von Nordheim sich erbot, mit seinen Gütern für den Sachsenfürsten haftbar zn fein. Aehnliches Schicksal erfuhren andere Reichs Herren, wie Berthold von Kärnthen u. a., so daß die Erbitterung der Fürsten von Jahr zu Jahr wuchs. Sie vereinigten sich mit den Sachsen, die vergeblich ihren Herzog Magnus begehrten, und in den Rüstungen Heinrichs gegen die Polen nur eine Heeresmacht gegen sich selbst sahen.
Schon hatte der König die Fürsten wegen des polnischen Kriegszuges nach der Harz bürg Geschieden, als er Kunde von deren Verschwörung
erhielt. Wie ein aufgescheuchtes Wild floh er bei Nacht durch die
Wälder des Harzes, während sich Fürsten und Bauern gegenseitige Treue bis in den Tod gelobten, die alten Rechte und Freiheiten ihres Stammes gegen ihren königlichen Herrn zu schützen.
In roilbent Fanatismus zogen 60 000 Sachsen zur Harzburg hin, und Heinrich fanbte ben Herzog Bertholb von Kärnthen, bent er jetzt sein Herzogtum zurückgegeben, in das Lager der Sachsen, mit ihnen zu unterhandeln,, während er selbst endlich bie schützenbe Ab lei Hersfeld in Hessen erreichte, wo sich der Heerbann gegen Polen sammelte.
Alle Burgen des Harzes sollten geschleift, die bösen Ratgeber des Königs entlassen und Herzog Magnus frei gegeben werden; das war die Bedingung ber Sachsen; daun erst sönne von Weiterem die Rede fein. Aber Heinrich konnte sich diesen Bedingungen nicht fügen. In Magnus hätte er den Aufrührern einen kundigen Anführer gegeben, in den Burgen den eigenen Schutz und Halt verloren. Er selbst wäre den Sachsen wehrlos überlassen gewesen.
Die Fürsten, welche Heeresfolge geleistet hatten, kamen zwar ihren König in Hersfeld zu begrüßen, auch andere geistliche und meltlicl e Herren kamen; aber es war wenig Aufrichtigkeit dabei, und Heinrich, der die Größe ber Gefahr wohl übersah, welche ihm von ben Sachsen brohte, bat die Fürsten um Hülfe, ja er kniete flehend vor ihnen nieder und stellte ihnen vor, wie des alten Reiches Macht und Herrlichkeit durch die eidbrüchigen Fürsten zu Grunde gerichtet würde.
Das war nun eben so entwürdigend, wie unklug gehandelt. Er erhielt auch zunächst wenig sichere Zusagen und knüpfte darum Unterhandlungen mit fränkischen Herren an, bat auch die Bischöfe, mit den Sachsen zu unterhandeln. Diese verlangten aber unter einer Flut von Anklagen die Abdankung des Königs.
Auf einer Fürstenversammlung zu Corvey und zu Gerstungen sollte endlich das Recht zwischen König und Volk entschieden werden. Aber der König erschien nicht, und die sächsischen Fürsten gewannen so großen Einfluß, daß der Gedanke an eine neue Königswahl immer lebendiger würbe. Doch schlossen bie Sachsen enblich einen Vertrag mit Heinrich, wonach sie ihm Treue gelobten, wenn er ihre Rechte schützen, Straflosigkeit verbürgen unb Abhülfe aller Beschwerben versprechen wollte. Wie weit Heinrich sein Wort halten würbe, staub bahin; von seinem wankelmütigen Charakter war nicht viel zu hoffen; aber
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auch ihm wurde mit gleicher Münze gezahlt. Vertrauensselig hatte er die Mannschaften, welche er gegen die Sachsen führen wollte, entlassen. Als er aber Franken und Bayern durchreiste und in Nürnberg mit Rudolf von Schwaben und Berthold von Kärnthen zusammentraf, sah er wohl, daß er sich bittrer Täuschung hingegeben hatte; denn ver-läumderische Beschuldigungen, die von den Sachsen ausgehen mochten, zeigten, daß kein Mittel unversucht blieb, seine Königsmacht zu stürzen.
Wiederum wollten sich die Fürsten in Mainz versammeln, um über ihrem Könige zu Gericht zu sitzen. Dieser eilte an den Rhein, um ihnen zuvor zu kommen, wurde jedoch von dem Wormser Bischof nicht in die Stadt gelassen. Dafür jagten die Bürger ihren Kirchenfürsten weg und holten den König mit allen Ehren in ihre Mauern. Auch die anderen rheinischen Städte schlossen sich ihm an, und der wenig besuchte Fürstentag zu Mainz brachte die besonders von den Sachsen erhoffte Absetzung Heinrichs nicht zu Stande. Dieser fand vielmehr im südlichen und westlichen Deutschland noch so viel treuen Anhang unter seinem Volke, daß er mit einem Heere von 6000 Mann gegen die Sachsen ziehen konnte, welche seine Burgen umlagerten. Es war hohe Zeit, daß Heinrich diesen zu Hülfe eilte; denn wenn auch die Seinen oft Ausfälle aus den Vesten machten und dem im Kampfe ungeübten Landvolke viel Schaden zufügten, so hatten sie doch nicht hindern können, daß schon zwei Burgen in Flammen aufgegangen waren, und in Thüringen, das Werraufer entlang, stand bei grimmiger Kälte ein Heer von 40000 Sachsen, um dem deutschen Könige den Durchzug durch sein eignes Land zu wehreu.
Zu Fritzlar, wo einst Heinrich I. zum König ausgerufen wurde, sollte Heinrich IV. die deutsche Königskrone verlieren, so hofften viele deutsche Fürsten und Herzöge, die ihrem königlichen Herrn Treue geschworen hatten. Da Heinrich die Schwierigkeit seiner Lage übersah, versuchte er klug zu unterhandeln. Aber die Bedingungen, unter welchen sich die Herren, besonders die sächsischen, fügen wollten, ivami zu hart, als daß sie der König hätte erfüllen können. Er wollte lieber den Kampf entscheiden lassen, als sich so schmählich demütigen, seine angestammte Königswürde, die freilich immer noch den Schein des Wahlrechts an sich trug, von der Fürsten und Vasallen Gnade abhängig zu machen. Aber diese weigerten sich zu kämpfen und dem König blieb nur übrig, sich den im Frieden zu Gerstungen gestellten Forderungen zu fügen (1074). Vorsichtig ließen die Sachsen Heinrichs
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Gesandten schwören, falls der König nicht alle Versprechungen erfüllen würde, ihn als Meineidigen durch Fürstenbeschluß zu entthronen.
Wie viel Schmach, entwürdigende Verläumdung und niedriger Verrat hatten die deutsche Königswürde im Laufe weniger Jahre in den Staub gezogen, weil Heinrich, ein ewig schwankendes Rohr auf bet stürmischen Höhe eines Thrones, sich selbst und seinen Vorsähen nicht treu zu bleiben verstand. Indem Fürsten und Vasallen über dns Königtum siegten, wankten die Säulen des Reiches, das Heinrich Hl. so eben mächtig über Staat und Kirche aufgerichtet hatte. Wie stolz hatten sich die Burgen der Königsherrschaft erhoben, die nun durch die sächsischen Bauern dem Erdboden gleich gemacht wurden. Nicht einmal Kirchen und Abteien wurden verschollt, und das herrliche Münster der Harzburg ging in Flammen auf. Unersetzliche Kostbarkeiten und Reliquien fielen der wilden Leidenschaftlichkeit zum Opfer, und selbst die modernden Gebeine aus den königlichen Gräbern wurden in alle Winde gestreut. Heinrich hatte voll bitteren Hasses Sachsen verlassen, und die Fürsten mochte ein Grauen überkommen vor der entfesselten Wut eines zügellosen Volkes, dessen Strafbarkeit immer grösser wurde.
Da Heinrich im eignen Lande keine Hülfe fand, bat er den Papst um Unterstützung; der aber zögerte, über Kirchen- und Gräberschänder den Bann auszusprechen. Der Bann war ein Akt, dessen Tragweite heute unbegreiflich erscheint. Niemand schützte den Gebannten, niemand diente ihm; die Kirche verweigerte ihm die Sakramente, und noch über den Tod hinaus reichte die Macht des Bannstrahls; denn dem Gebannten wurde selbst die Ruhe in geweihter Erde versagt.
Ungerufen und unerwartet erschienen jetzt viele deutsche Fürsten: Rudolf von Schwaben, Welf von Bayern, Berthold von Kärnthen, alle für ihr Herzogtum besorgt, auch der Erzbischof von Mainz. Sie boten dem Könige ihre Hülfe gegen die Sachsen an, da sie fürchten mochten, daß die Flammen der Empörung, welche an dem Gebäude des Reichs emporloderten, auch über ihren Köpfen zusammenschlagen konnten. Heinrich versprach ihnen dafür die reichen Besitzungen der Sachsen, die ihm doch nicht zur Verfügung standen. Da kam auch Markgraf Dedo von der Lausitz, die Meißener, Westfalen und überhaupt alle, die zu verlieren fürchteten oder zu gewinnen hofften.
Nachdem Heinrich die Westgrenze gegen Frankreich gesichert, auch die polnischen Verhältnisse im Osten geordnet hatte, sammelte er ein
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Reichsheer in Breitenbach an der Fulda, zu dem auch bald die oberdeutschen Fürsten stießen, die er vorher vergeblich um Hülfe gebeten hatte. Seine Macht und sein Ansehen war überraschend gewachsen. Alle Herzoge leisteten persönlich Heeresfolge, und jeder Stamm eilte unter seinem Fürsten herbei. Von Heinrich selbst aber heißt es: „Durch
hohen Wuchs ausgezeichnet, saß er hoch zu Roß, unter Tausenden sichtbar, von goldner Wehr umglänzt; wie der Morgenstern unter den Gestirnen, so strahlte er unter den übrigen Fürsten hervor."
Bei Hohenburg (1075) an der Unstrut in der Nähe von Langensalza trafen die Reichstruppen mit dem sächsischen Heere zusammen, das zumeist aus Bauern bestand, an ihrer Spitze der tapfre Herzog Otto. Aber Heinrich siegte, und gegen 8000 Sachsen sollen das Schlachtfeld bedeckt haben, indeß 1500 Streiter des Reichsheeres gefallen waren.
Jetzt erst sprach Erzbischof Siegfried den Baun gegen die Rebellen aus, und König Heinrich zog mit seinem Heere verwüstend durch den Harz, durch Sachsen und Thüringen. Ohne Mäßigung ließ der königliche Sieger das Land verwüsten, Kirchen und Klöster zerstören, so daß die Herzöge Rudolf von Schwaben und Bert hold von Kärnthen wegen dieser großen Sünde Fasten einstellten und gelobten, ihr Schwert für solches Kriegen nicht mehr ziehen zu wollen.
Endlich beugten sich die Sachsen, selbst das tapfre Geschlecht der Billunger unter ihren Herzögen Magnus und Hermann. Auch Otto von Nordheim nebst vielen Bischöfen erschienen auf dem Felde zu Speyer Gnade flehend vor dem König, der ihnen zwar königliche Milde versprach, sie aber streng bewachen ließ, bis die Reichsfürsten über ihr Geschick entschieden haben würden.
Doch Heinrichs Groll gegen die Sachsen war unversöhnlich. Das Verlangen des Papstes, den sächsischen Bischöfen Amt und Würden wiederzugeben, erfüllte er nicht; auch kam die Sache der Gefangenen gar nicht vor die nächste Reichsversammlung zu Goslar. Sie sollten bis zur Vernichtung gebeugt werden. Nur Otto von Nordheim, der in der Folge das Vertrauen Heinrichs gewann, wurde seiner Haft entlassen und ihm der Auftrag gegeben, die zerstörten Harzburgen und Königspfalzen wieder herzustellen. Die Sachsen sollten den königlichen Zorn empfinden.
Mit tiefem Schmerze hörte der totkranke Hanno von solchem Thun. Seit die Wormser ihren Bischof vertrieben und die rheinischen Städte sich für Heinrich entschieden hatten, war dort auch der Sitz der übrigen
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Bischöfe schwankend geworden, um so mehr, da ihre Leute die Bürger in den Städten zu schlimmeren Abgaben zwangen als die Kriegsknechte. Auch die Kölner hatten mit Hanno heiße Kämpfe geführt, ehe sie in dem Lager des siegreichen Erzbischofs barfuß und im Büßergewande erschienen waren. Doch als Hanno am andern Tage Gericht über die Schuldigen halten wollte, waren 600 Kaufleute aus der Stadt entflohen, und die armen Zurückgebliebenen wurden gefangen, getötet, die Rädelsführer grausam geblendet und über die Flüchtigen der Bann ausgesprochen, so daß der Jammer der Stadt Köln übergroß war. Der Glanz vergangener Tage war dahin, und Hanno war ein alter, kranker Mann, den bei Tag und Nacht die furchtbarsten Schmerzen peinigten; denn das Fleisch faulte ihm von den Knochen, und lant klagte der Kirchenfürst: „Wehe der armen Welt!"
Er starb (4. Dezember 1075), und obgleich er mit seinem Sprengel wie mit dein Papste vielfach in Streit gelebt hatte, wurde er doch, eine spätere Zeit hatte das alles vergessen, unter die Heiligen versetzt.
Trotz jahrelanger Mißerfolge stand Heinrich IV., jetzt kaum
25 Jahre alt, als sieggekrönter Herrscher an der Spitze des deutschen
Reiches, das ihm willenlos gehorchte, nachdem die Fürsten sich gebengt hatten. Friede hätte das deutsche Land beglücken mögen, und das aus vielen Stürmen gerettete Staatsschiff wäre wohl hehren Zielen auch unter Heinrich IV. entgegen geeilt, wenn ein unseliges Selbstbewußtsein ihn nicht nach Italien getrieben hätte. Das Papsttum, das während -der Kämpfe in Deutschland kühn sein Haupt erhoben, sollte sich dem Zepter des Königs zu einer Zeit beugen, wo dieser es kaum mit fester Hand ergriffen hatte. Sein Vater, Heinrich III., hatte ein zerrüttetes -entnervtes Papsttum gefunden, das er auf edlen deutschen Fundamenten neu erbaut hatte; seinen: Sohne stellte sich ein geistig hervorragender Papst entgegen, Gregor VII. Er war als Pater Hildebrandt in der Stille des Klosters auf dem Aventin zu Rom, später im Kloster von Cluny zu einer Weisheit erzogen worden, welche den päpstlichen Stuhl mit einem Strahlenglanze kirchlicher und irdischer Macht umkleiden
sollte, wie er ihn nie vorher besessen.
Es würde zu weit führen, allen Wandlungen der christlichen Kirche $tt folgen, die unter den letzten Päpsten, durch Kirchenversammlungen und deren Beschlüsse den Triumph des Papsttums über die weltliche Herrschaft begründet hatten. Die Päpste hatten sich frei gemacht von den Machtsprüchen römisch-deutscher Kaiserherrschaft. Der Stuhl Petri
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sollte fortan nur durch Wahl eines Kollegiums römischer Kardinäle besetzt werden, das aus 7 Bischöfen, ferner aus Diakonen, welchen die Pflege der Barmherzigkeit oblag, und 28 Hauptpfarrern des römischen Sprengels bestand. Diakonen, Priester und Bischöfe, welche den Senat des Papstes bildeten, wurden im 12. Jahrhundert zum Kollegium der Kardinäle vereinigt, deren nicht mehr als siebzig sein sollten. Der Grund zu einem wirklichen römischen Priesterstaate war gelegt, und dem deutschen Kaiser sollte nur ein Wahlrecht zustehen, soweit es ihm die Kirche jedesmal gewähren würde.
Dem römischen Stuhle war jetzt die weltliche und geistliche Macht ganz Italiens wie von selbst zugefallen. Auch Frankreich war Rom günstig gesinnt, und Papst Gregor VII., den die Kardinäle als „vom heiligen Petrus gewählt" ausriefen, trug die päpstliche Krone, ohne daß König. Heinrich das ihm zustehende Recht einer Einsprache ausgeübt hätte, obgleich lombardische und deutsche Bischöfe ihn daran mahnten.
Gregor suchte die Macht der Kirche nach jeder Seite hin und mit allen Mitteln zu fördern. Zuerst gebot er die strengste Durchführung der Ehelosigkeit (Cölibat) der Geistlichen. Bei den Bischöfen war diese schon in den ersten Jahrhunderten kirchliche Sitte, aber bis dahin nicht Gebot für alle Geistliche gewesen. Sie sollten ihm nun unterworfen sein und nur der Kirche, nicht der Familie angehören.
Dann sollte die Investitur, die Belehnung der Bischöfe und Siebte mit geistlicher Amtsgewalt, mit Ring und Stab nur durch die Kirche geschehen, so verlangte Gregor. Auch die großen Lehnsgüter, welche der Kaiser bis dahin den Würdenträgern der Kirche zu verleihen hatte, wären damit nur durch den Papst vergeben worden, obgleich seit den Cttoncn mit dem Bischofssitze Grafschaftsrechte verbunden waren, wodurch sich die sächsischen Kaiser die Hülfe der Bischöfe gegen die weltlichen Fürsten zu sichern gesucht hatten. Wenn dieser päpstliche Beschluß, oer doppelte Rechte umfaßte, Erfolg hatte, war er von . unberechenbarer Tragweite.
Schon im neunten Jahrhundert war durch die pseudo-isidorischen Defretalen (angebt, von Bischof Jsidorus und vielfach bestritten) dem Papste das ausschließliche Richteramt über alle Bischöfe übertragen, auch das alleinige Recht, Konzilien zu berufen und ihre Beschlüsse zu bestätigen. Gregor war der. Mann, diese viel bestrittenen Rechte für die Kirche allein zu beanspruchen. Damit wurde jeder Eingriff von
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Kaiser und Königen zurückgewiesen, und selbst die Bischöfe wurden nur ein Werkzeug päpstlicher Macht.
Die Steigerung dieses Verlangens gipfelte in der kühnen Behauptung, daß alle weltlichen Herrscher ihre Krone vom Papste, als „dem Stellvertreter Christi" zu Lehen empfangen hätten. Ihre Würdigkeit, ihre Nachfolge auf dem ererbten Throne wurde also durch päpstlichen Willen entschieden, und das von Karl dem Großen erstrebte christliche Gottesreich sollte seinen Lenker statt auf dem deutschen Kaiserthrone, auf dem päpstlichen Stuhle finden.
Mochten diese Gedanken in dem brennenden Eifer Gregors für die Herrschaft der christlichen Kirche begründet und zunächst nur geistig aufgefaßt worden sein, bald genug wurden sie verweltlicht, und die römisch-katholische Kirche konnte das Wort ihres hehren Stifters nicht mehr auf sich beziehen: „Mein Reich ist nicht von dieser Welt."
Heinrichs IV. Charakter war leider zu sehr geeignet, solche Herrschaftsgelüste Gregors zu unterstützen. Schon in Italien hatte der Papst heftigen Widerstand gefunden und darum genug in nächster Nähe zu thun, seinen Plänen Geltung zu verschaffen. Er hatte es darum kluger Weise übersehen, wie Heinrich IV. das Jnvestiturrecht nach wie vor in Deutschland übte; als sich dieser aber in italienische Angelegenheiten mischen und selbst mit den Normannen in Italien Verbindungen anknüpfen wollte, trat Gregor seinen Bestrebungen klug entgegen.
Zunächst hatte Heinrich Gesandte nach Rom geschickt, um wegen der Kaiserkrönung zu verhandeln (1075). Doch sandte ihm der Papst unerwartete Antwort. Er machte ihm ernste Vorwürfe darüber, daß er unerlaubter Weise das Jnvestiturrecht übe, mit gebannten Räten umgehe und wegen vieler Laster anzuklagen sei, darum von christlicher Gemeinschaft ausgeschlossen werden solle, wenn er sich bis zur nächsten Fürstensynode nicht gebessert und feierlichst Buße gethan habe.
Während hier Gregor vermessene Sprache führte, war er in Rom von höchster Lebensgefahr umgeben. Doch rettete ihn sein Mut und seine würdevolle Haltung, die niemals ihre Wirkung auf die Menge verfehlten; denn das Volk, das sich soeben gegen den Papst empört hatte, brachte ihm bald begeisterte Huldigungen dar.
Heinrich empfing zu Goslar die Botschaft des Papstes, und es kann nicht Wunder nehmen, daß sein rasches, fränkisches Blut sich aufbäumte gegen Worte, die ein deutscher König von den Päpsten noch niemals zu hören brauchte, und Heinrich stand zu dieser Zeit im Voll-
Bornhak, Unser Vaterland. 11
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gefüllt aller glänzenden Erfolge, die er über die Sachsen davongetragen hatte. Der Papst, „der verwegene Mönch", sollte vom Stuhle Petri gestoßen werden, und die Möglichkeit dazu erschien leicht genug. Die gesamte deutsche Geistlichkeit stand auf ihres Königs Seite. Selbst in Italien hatte Gregor wenig Sympathien, aber viele Feiude.
Ein deutsches Konzil zu Worms sprach im Beisein des Königs die Absetzung Gregors aus (1076), und lombardische Bischöfe stimmten diesen: Beschlusse auf einer Synode zu Piacenza zu. Kardinal Hugo, ein Feind Gregors, war nach Deutschland gekommen und hatte viele schwere Anschuldigungen auf diesen gehäuft. Vierundzwanzig deutsche Bischöfe waren in Worms zu dem Beschlusse gelangt, daß Gregor seiner vielen Sünden halber niemals den Stuhl Petri hätte besteigen dürfen.
Der Brief Heinrich I V., in welchem er dem Papste den Synodalbeschluß mitteilte, führte böse Sprache. Der Anfang lautete: „Heinrich, nicht durch Gewalt, sondern nach Gottes frommer Anordnung König, an Hildebraudt, nicht den Papst, sondern den falschen Mönch!" Diesen Gruß hast Du durch die Verwirrung verdient, die du über alle Stände gebracht hast. . . . Durch List und Betrug bist du zu der Höhe
emporgestiegen. Gegen dein Mönchsgelübde erwarbst du dir Geld, mit Geld Volksgunst, mit Volksguust Waffen, mit Waffen den Stuhl des Friedens, von dem herab du den Frieden der Welt zerstörtest. Denn du bewaffnest die Unterthanen gegen ihre Obrigkeit. . . . Deshalb denn, du mit Fluch behafteter und durch unser und aller Bischöfe Gericht Verdammter, steige herab von dem angemaßten apostolischen Stuhl! Es soll ihn ein andrer besteigen, der nicht mit dem göttlichen Wort seinen Uebermut umhüllt. Ich, Heinrich, durch Gottes Gnade König und alle Bischöfe sagen dir: Steig herab! Steig herab! . . .
Dieses königliche Schreiben, dem ein anderes an den römischen
Klerus und an das römische Volk mit der Mahnung beigegeben war, dem Papste nicht mehr zu gehorchen, wurde durch einen Priester und einen königlichen Beamten nach Rom gebracht. Auf einer Synode im Lateran sprach der Priester Roland zum Papste: „Mein Herr, der König und die deutschen und italienischen Bischöfe gebieten dir, von dem Stuhle zu steigen, den du nicht nach dem Recht, sondern durch
Raub erlangt hast; denn ohne ihren und des Kaisers Willen darf
niemand sich zu solcher Würde erheben!" Dann wandte er sich zum Klerus: „Euch aber, Brüder, sordre ich auf, Gesandte abzuschicken und
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aus der Hand des Königs einen Papst zu empfangen; denn dieser hier ist kein Papst, sondern ein reißender Wolf."
Gregor hörte diese beleidigenden Worte in würdiger Ruhe an, -verlas sogar selbst den königlichen Brief, und die ganze Versammlung stürmte in solcher Entrüstung über die deutschen Gesandten her, daß diese sich kaum vor den Schwertern der Römer zu retten vermochten. Durch eine zweite Synode, welche der Papst berief, wurden die lombardischen Bischöfe und der Erzbischof von Mainz von der Gemeinschaft der Gläubigen ausgeschlossen, deu Uebrigen eine Frist gegeben, ihren Abfall von Gregor zu bereuen. Dann aber geschah das bis dahin Unerhörte: König Heinrich I V. von Deutschland wurde durch den Papst in den Bann gethan, feiner königlichen Würden entsetzt und damit das deutsche Volk des Eides der Treue gegen feinen König entbunden. Der König fetzte den Papst ab, der Papst den König, und es mußte sich nun entscheiden, wem von beiden die höchste Macht der Christenheit des Abendlandes zufallen sollte. Ein zehnjähriger Bürgerkrieg war nur der Vorläufer langer erbitterter Kämpfe zwischen Staat und Kirche, die erst nach Jahrhunderten zur Ruhe kommen sollten.
Während Gregor grenzenlos jedes ihm zu Gebot stehende Mittel benutzte, sein Ziel, die Demütigung des Kaisers, zu erreichen, mußte Heinrich die traurige Erfahrung machen, daß er sich in der Treue der deutschen Fürsten getäuscht hatte. Aus dem Gipfel der Macht stehend, hatte er rücksichtslos die Rechte der Fürsten mißachtet, die stets untereinander voller Zwietracht, Haupt und Schwert gegen ihren König erhoben, als der päpstliche Bannstrahl ihre Empörung zum Recht stempelte und jedes Band der Ehrfurcht und des Gehorsams löste. Dazu schickte Gregor ein Sendschreiben an die deutschen Bischöfe und weltlichen Herren, worin er seine Handlungsweise verteidigte, und Priester und Mönche durchzogen die deutschen Lande, um sie gegen den König aufzuwiegeln.
Und als die Wogen des Aufruhrs über ganz Deutschland fluteten, beriefen die Fürsten eine Versammlung nach Tribur (1076), um gemeinsam Ehre und Macht ihres Reichsoberhauptes vernichten zu helfen. Nur wenige Getreue gedachten ihres Eides; aber sie waren der Menge gegenüber machtlos; die meisten hätten Heinrich am liebsten abgefetzt. Gregor selbst aber wollte nur den deutschen Thron unter päpstlicher Herrschaft wissen. Es kam ihm nicht aus die Person des Königs an, welche mit Anschuldigungen überhäuft wurde. Heinrich,
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stolz im Glück, mutlos und verzagt im Unglück, vollendete die Erniedrigung des Königtums, indem er den Fürsten selbst die Herrschaft des Reiches zu übergeben versprach, wenn man ihm nur die Krone lassen wollte.
Aber die Fürsten ließen ihren König ohne bestimmte Antwort; sie verlangten nur, daß er sich dem Machtspruche des Papstes unterwerfen und sich in Jahresfrist vom Banne lösen sollte. Sie wollten dann Gregor bitten, eine Reichssynode abzuhalten. Andernfalls wollten sie eine« neuen König wählen.
Heinrich unterschrieb zwar schmähliche Forderungen und lebte mit seiner treuen Gemahlin Bertha zu Speyer so zurückgezogen, als erwarte er nur einen Richterspruch; aber er sann auf Mittel, den Fürsten durch Versöhnung mit dem Papste zuvorzukommen. Obgleich Gregor sich weigerte, Heinrich vor dem geplanten Fürstentage zu Augsburg zu sehen, zog dieser doch mit seiner Gemahlin, seinem dreijährigen Söhnchen und einem Diener unter den furchtbarsten Beschwerden des Winters über die Alpen. Die Königin mußte selbst auf Rinderhäuten über die Eisfelder hingeschleift werden, und die Schnee-massen verlegten oft die Pässe, bis der einfache Königszug endlich in Susa ankam, wo Markgräfin Adelheid, die Mutter der Königin, die Reisenden aufnahm.
Kaum hatten die mit dem Papst unzufriedenen italienischen Fürsten Heinrichs Ankunft erfahren, als sie herbeieilten, um ihre Hülfe anzubieten, und es hätte nur des königlichen Wortes bedurft, um ein mächtiges Heer zusammen zu bringen. Aber Heinrich sprach es nicht; er wollte vor allen Dingen nur den Bann zurückgenommen haben, der ihn im eignen Lande vernichtete und dort seinen Gegnern die Möglichkeit einer neuen Königswahl ließ.
Gregor, der zunächst nicht wußte, ob Heinrich ihm mit Heeres-macht entgegenkam oder als Büßender, war von Rom aus über Florenz nach Canossa, in das feste Schloß seiner fürstlichen Freundin, Markgräfin Mathilde von Toskana und Lothringen, geeilt, welche mit König Heinrich verwandt war. Als aber der Papst erfuhr, wie so gar demütig Heinrich IV. eine Unterredung mit ihm begehrte, verweigerte er sie zunächst, und als er endlich nachgab, war es nur unter der Bedingung, daß König Heinrich im Büßergewande vor ihm erscheine und ihm die Königskrone mit dem Bekenntnis übergeben sollte, daß er ihrer unwürdig sei.
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Auf Fürbitte der Markgräfin Mathilde milderte der Papst seine Forderung dahin, daß Heinrich seine Kleidung mit einem wollenen Hemde vertauschen, barfuß und mit entblößtem Haupte im Schloßhofe stehen und auf des Papstes Entscheidung harren sollte. Doch ein Brief Gregors selbst berichtet genau: „Heinrich kam mit Wenigen vor das feste Schloß zu Canossa, wo wir uns aufhielten. Drei Tage
stand er, alles königlichen Schmuckes beraubt, barfuß und mit einem
wollenen Hemde angethan, in kläglicher Gestalt vor dem Thore und hörte nicht eher auf, unter häufigen Thränen um apostolisches Er-6armen, Hülfe und Trost zu flehen, bis er alle Anwesenden so sehr zum Mitleid bewegte, daß sie unter vielen Thränen für ihn baten
und alle über die ungewöhnliche Härte unsers Herzens erstaunten. Einige riesen sogar, unser Betragen verrate mehr tyrannische Wildheit und Grausamkeit als apostolische Strenge."
Am vierten Tage wurde Heinrich endlich unter der Bedingung
vom Banne losgesprochen, daß er einstweilen auf die Regierung verzichten solle, bis ein Fürstentag darüber entschieden habe, ob er König von Deutschland bleiben könne. Eine feierliche Messe schloß diesen in der deutschen Geschichte unerhörten Akt zwischen Staat und Kirche, zwischen König und Papst. Nun war der Glanz der deutschen Krone erbleicht, den päpstlichen Stuhl aber umgab eine Glorie wie nie zuvor.
Als darauf Heinrich im tiefen Gefühl der Schmach, die ihm, ob seinerseits sehr klug überlegt, doch als König angethan worden war, durch die Lombardei der deutschen Heimat entgegenzog, mieden ihn die lombardischen Herren. Er war ihnen in seiner unköniglichen Demut verächtlich geworden. Das steigerte Heinrichs Erbitterung so, daß er sich jetzt dem mächtigsten Feinde Gregors, dem Erzbischof Wibert von Ravenna anschloß, um im Bunde mit italischen Fürsten sein angestammtes gutes, deutsches Recht zu erkämpfen.
Die deutschen Fürsten waren unterdessen in Forchheim zusammen gekommen (13. März 1077), wohin sie auch Papst und König geladen hatten. Doch Heinrich kam nicht, und der Papst konnte nicht kommen, weil ihm der König alle Auswege von Canossa mit Truppen verlegte. Da wählten die Fürsten, welche Heinrich noch in päpstlichem Banne wähnten, einen neuen König, Rudolf von Schwaben. Damit war die Erblichkeit der deutschen Krone ausgeschlossen, und die königlichen Rechte wurden auch für Rudolf sehr beschränkt. Er mußte versprechen, die
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Wahlfreiheit der Fürsten anzuerkennen und die Bischosswahlen frei zu geben. Auch sollte die Bestätigung des Papstes abgewartet werden.
Da zog durch ganz Deutschland eine Empörung gegen den „Pfaffenkönig", wie ihn seine Feinde nannten. Das Volk, die Bürger und Städte hielten Heinrich IV. Treue, als die deutschen Fürsten sie gebrochen hatten. Dieser brach eilends von Italien auf, kam durch Kärnthen und Bayern in die fränkischen, rheinischen und burgundischen Städte bis nach Schwaben, wo sich ein starkes Heer um ihn sammelte. Nun entbrannte ein heißer Krieg, der ganz Deutschlands Interessen zwischen Papst und König teilte. Der neue König Rudolf floh nach Sachsen und hielt in Goslar Hof, wo der päpstliche Legat ihm die Bestätigung des Papstes brachte, aber den Bann gegen Heinrich erneuerte.
Es kam zur Schlacht bei Melrichstadt in Franken (1078), aber beide Königsheere wichen zurück, ohne eine Entscheidung herbei geführt zu haben, die auch eine zweite Schlacht bei Forchheim nicht brachte.
Heinrich zog sich nach Schwaben zurück, das er furchtbar verheeren ließ und endlich dem ihm getreuen Friedrich von Staufen zu Lehen gab, dem er auch feine Tochter Agnes vermählte. Sie wurden die Stammeltern des Hauses der Hohenstaufen. Noch schien der Papst zu schwanken, für welchen König er sich am klügsten entscheiden sollte; denn bald verhießen die päpstlichen Legaten Heinrich IV., bald dem König Rudolf Gregors Gunst. „Dabei trugen sie von beiden so viel Geld mit (ich fort, als sie nach Römer Art bekommen konnten." So lalltet der Bericht des Geschichtsschreibers Bruus darüber.
Endlich sprach sich der Papst für Rudolf aus und sandte ihm eine goldene Krone mit der Inschrift: „Petra dedifc Petro Petrus diadema Rudolpho" (der Fels [GHriftus] gab die Krone Petrus, Petrus gab sie Rudolf).
Nun ließ auch Heinrich die Absetzung Gregors aufs neue aussprechen, der die Lombarden zustimmten. In einer dritten Schlacht, bei Merseburg (1080), siegte zwar Rudolf; aber er wurde totlich verwundet und verlor die rechte Hand, die er noch im Sterben mit der Linken empor gehoben haben soll unter der Klage: „Das war die Hand, mit der ich meinem Könige Treue geschworen habe!" Sie wird noch heute im Dom zu Merseburg gezeigt, wo auch Rudolf bestattet liegt.
Das Volk sah in diesem Ausgang der Königsfehde ein Gottesgericht und neigte sich nun um so mehr dem rechtmäßigen Herrscher, Heinrich IV., zu. Dieser überließ es jetzt seinem Schwiegersohn
Friedrich von Staufen, die deutschen Verhältnisse zu ordnen und eilte nach Italien, seinen größten Feind, Gregor VII., zu unterwerfen. Ungehindert kam " er bis nach Rom, das er mehrere Jahre hindurch belagern mußte. Endlich öffneten die Römer ihre Stadt; der Papst hatte sich trotzig in der Engelsburg verschanzt. Heinrich aber ließ sich jetzt endlich von dem neu ernannten Papste Clemens III. (früher Erzbischof Wibert von Ravenna) zum Kaiser krönen (1084).
Da rief Gregor VII. seinen Lehnsmann, den Normannenherzog Robert Gniscard, zu Hilfe, der eben im Begriffe mar, sich das griechische Reich zu unterwerfen. Kaiser Heinrich verließ Italien und eilte nach Deutschland, den Römern die Verteidigung ihrer Stadt überlassend, die der Normannenherzog bald eroberte,.plünderte und dann anzünden ließ. Er begleitete den Papst nach Salerno, wo dieser schon im nächsten Jahre starb (1085). Seine letzten Worte sollen gelautet haben: Dilexi justitiam et odi iniquitatem, propterea morior in exilio. (Ich habe die Gerechtigkeit geliebt und die Bosheit gehaßt, darum sterbe ich im Exil!)
Gregor war tot, sein Bestreben, in der Zersplitterung Deutschlands die Kaisermacht unter das Regiment der Kirche zu stellen, lebte in stetiger Entwickelung fort, so daß elf Jahre später einer seiner Nachfolger, Urban IIV öffentlich darüber sprach, wie „das geringste Priesterlein in der Kirche Gottes größer als alle sterblichen Könige" sei.
In Deutschland hatten Heinrichs Feinde einen neuen Gegenkönig gewählt (1088), den Grafen Hermann von Luxemburg. Dieser gab aber seine Königswürde bald freiwillig wieder auf, und ein nochmaliger Gegenkönig, Eckbert von Meißen, siel im Kampfe gegen Heinrich bei einer Mühle im Selkethale.
Die gefährlichsten Gegner des Kaisers, auch Otto von Nordheim, waren tot, und selbst die Sachsen unter ihrem Herzog Magnus boten Heinrich freiwillig Frieden an, der ihm von Seiten der Kirche nimmer gegönnt sein sollte.
Papst Urban hatte durch eine Ehestiftung zwischen der 43jährigen Markgräfin Mathilde und dem 18jährigen Welf 0'.), dessen Vater, Welf IV., für sich gewonnen, und Mathilde wußte den eignen Sohn Heinrichs, Konrad, der sich zu Monza als König von Italien krönen ließ (1093), für den Papst günstig zu stimmen. Doch ein gegen Kaiser Heinrich gestifteter lombardischer Städtebund erklärte sich zwar für Kourad, verjagte aber den Papst. Konrad starb wenige Jahre später (1101).
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Immer mehr waren Deutschlands Fürsten bereit, zu Kaiser und Reich zu halten; denn das Papsttum hatte ihnen nirgends genutzt. Auch Heinrich suchte gut zu machen, durch gute Werke zu sühnen, was er einst gefehlt. Dem Fehdewesen und Faustrecht wurde ernstlich gesteuert, und selbst mit dem Papst (Paschalis II.) versuchte Heinrich Frieden anzubahnen; aber er erlangte die Aufhebung des Bannes nicht. Vielmehr suchte der Papst den zweiten Sohn des Kaisers, Heinrich (V.), den sein Vater schon längst zum König hatte erwählen lassen (1098), an den päpstlichen Stuhl zu fesseln, und begleitet vom apostolischen Segen des heiligen Vaters, begann der Kaisersohn einen Empörungs-krieg gegen den vielgeprüften kaiserlichen Vater, den er endlich zur Thronentsagung zwang. Er hatte dieses Ziel nur durch List erreicht. Da Heinrich IV. allezeit in den rheinischen Städten eine Stütze gefunden hatte, bat ihn sein Sohn gerade dort um eine Unterredung, welche zu Koblenz stattfand. Bei der Begegnung hatte der Schmerz alle Erfahrungen eines vielbewegten Lebens den Kaiser überwältigt, und er sprach zu Heinrich: „Sohn, wenn ich für meine Sünden gestraft werden soll, so beflecke du doch deinen Namen und deine Ehre nicht; denn es ziemt sich nicht, daß der Sohn über den Sünden des Vaters als Richter auftrete!"
Scheinbar voller Reue schwur Heinrich (V.), daß er nichts wolle, als den Vater endlich mit der Kirche aussöhnen. Er bat dann, daß der Kaiser gleich ihm selbst nur mit 300 Rittern nach Mainz zu gütlicher Beratung komme, zunächst aber in der Burg zu Böckelheim bei Kreuznach Halt mache, da der Erzbischof einen Gebannten nicht bei sich aufnehmen dürfe. Kaum war der Kaiser in den Schloßhof der Burg getreten, als sich die Thore hinter ihm schlossen. Er war der Gefangene seines Sohnes. Ja noch mehr, es wird berichtet, daß dieser Bischöfe zu seinem Vater sandte, die ihm Krone, Ring und Purpur gewaltsam entreißen mußten, und Heinrich hatte jammernd ausgerufen: „Ich leide für die Sünden meiner Jugend, wie noch kein Fürst gelitten hat!"
Endlich mußte Heinrich IV. zu Ingelheim feierlich der Krone entsagen. Vorher hatten sich die sächsischen Fürsten mit Heinrich V. zu Goslar vereinigt, um ihr Verhältnis zum neuen König möglichst günstig zu gestalten. Auch in Nordhausen war eine Fürstenversammlung abgehalten worden, die aber mehr ein geistliches Konzil war, in dem die Entscheidung dem Papste überlassen wurde. Heinrich V. er-
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schien erst, als er gerufen wurde, im ärmlichen Gewände vor der Versammlung und erklärte, daß er seinen Vater nicht ans Herrschsucht verdränge, sondern nur dem h. Petrus und dessen Nachfolger sich als Christ unterwerfen wolle. Da pries ihn die Versammlung, und für die Bekehrung des kaiserlichen Vaters und für das Glück des Sohnes erscholl das Kyrie eleison.
Weder Bitten noch Thränen des kaiserlichen Herrn rührten das böse Herz seines Sohnes, der den Vater mit so schonungsloser Härte behandelte, daß dieser voller Verzweiflung, aber immer vergeblich die Lossprechung des Papstes vom Bann erflehte. Endlich entfloh Heinrich IV. der Gefangenschaft und fand in Lüttich bei dem Herzog von Niederlothringen eine Zuflucht. Schon wollte Heinrich V. gegen feinen armen Vater zu Felde ziehen, als er die Kunde erhielt, daß dieser seinem Kummer erlegen sei (1106). Er war, 56 Jahre alt, zu Lüttich gestorben und durch den Bischof dort feierlich beigesetzt worden.
Aber die Kirche versagte selbst dem Leichnam des gebannten Kaisers die geweihte Ruhestätte. Er mußte aus der Gruft wieder herauf gehoben werden, und sein Sarg stand auf einer kleinen Maasinsel unter freiem Himmel. Dort hielt ein mitleidiger Mönch aus Jerusalem die Ehremvacht an seinem Sarge und sang Bußpsalmen für des toten Kaisers Seele.
Dann brachte man den königlichen Leichnam nach Speyer, das seinem Könige stets im Leben treu, ihn auch voller Ehren im Tode empfing und in der von ihm selbst erbauten Marienkirche beisetzte. Aber sofort verbot der Bischof jeden Gottesdienst in der Kirche, wo ein Gebannter bestattet war. Er durfte also auch dort feine Ruhe finden und wurde in einer ungeweihten Kapelle niedergestellt. Erst fünf Jahre später (1111) nahm der Papst den Bann von dem Toten, der nun in der Erbgruft seiner Väter beigesetzt wurde.
Fünfhundert Jahre darauf zerstörten die Franzosen Speyer (1689) und damit die Gräber der Frankenkönige. So waren auch die letzten Erdenspuren Kaiser Heinrichs IV. für immer ausgelöscht.
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4. Heinrich V. und die inneren Zustände Deutschlands unter den salisch-fränkischen Kaisern.
(1106 bis 1125.)
Mit dem Tode Heinrichs IV. war eine bedeutsame Zeit für die Entwicklung des deutschen Reiches abgeschlossen. Nie vorher hatten sich Kirche und Staat so schroff gegenüber gestanden, nie die Kirche so stark ihre Sonderinteressen ausgeprägt, verteidigt und besondere Rechte erkämpft, wie unter Heinrichs IV. Regierung.
Die Karolinger wie die sächsischen Kaiser hatten alle Kräfte eingesetzt, der Kirche zu dienen, das Christentum in Deutschland auszubreiten; aber jetzt war die einst bedrängte christliche Kirche erstarkt und hatte sich zur Herrin über den Staat erhoben. Waren die Kloster einst nur Stätten christlicher Zucht und Sitte, Schulen der Kunst und Wissenschaft, jetzt hatten sie durch Schenkungen und Verleihungen Reichtümer angehäuft; die geistlichen Herren waren Fürsten geworden. Die Kirche hatte sich verweltlicht.
Wohl standen ernste Männer auf, welche diesen Schaden der Kirche erkannten; sie meinten ihr und der Geistlichkeit neue Lebenselemente durch eine strengere Klosterzucht zuzuführen. Hier sind besonders drei Mönchsorden zu nennen, deren guter Einfluß nicht zu verkennen ist: Die Cluniacenfer (910), gegründet von Abt 23emo in Burgund und die Cisterzienser (1098), von Robert zu Dijon in Frankreich gestiftet. Der Orden der Cisterzienser erhielt seine größte Bedeutung unter Bernhard von Clairveaux (f 1153), dessen Name in der Geschichte der Kreuzzüge unsterblich geworden ist; er gründete allein 160 Klöster.
Der dritte und strengste Orden war der durch den Erzbischof Brun von Köln (1084) gestiftete Orden der Karthäuser (zu Chartreux bei Grenoble), der in völliger Abgeschiedenheit von der Welt dieser wenig dienen konnte. Ueberhanpt wird die Abkehr von der Welt, die Abgeschlossenheit der Beschaulichkeit jetzt christliche Zeitrichtung des Klosterlebens.
Mit der Zeit hatte die Auslegung der Hl. Schrift mancherlei Deutungen erfahren, die ihre Lauterkeit abschwächten und mehr persönlichen Interessen dienten. Heiligendienst, Bilder- und Reliquienverehrung hatten der Werkgerechtigkeit Thor und Thür geöffnet und dem abergläubischen Wesen Vorschub geleistet.
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Dem wachsenden Einflüsse des Papstes, vor allen Dingen aber der Macht der weltlichen Fürsten und Großen des Reichs hatten die Ottonen ein Gegengewicht zu geben versucht in der Belehnung der Bischöfe mit Grafschaftsrechten, und sich in den durch solche Vorteile gewonnenen hohen Würdenträgern der Kirche willige Diener zu schaffen gewußt. Aber bald wurden die Bischöfe Herren inmitten des Reichs und erhöhten allmnlig nur die Macht der Kirche.
Die staatlichen Verhältnisse Deutschlands waren besonders unter Heinrich IV. stark erschüttert, und statt der unter den früheren Kaisergeschlechtern immer mehr zum Ausdruck gekommenen Erblichkeit der Königswürde war in der Erwählung der Gegenkönige, besonders bei Rudolf von Schwaben, das Wahlrecht wieder zur Geltung gelangt, dagegen die Herzogswürde fast überall erblich geworden, so sehr auch gerade die fränkischen Kaiser gestrebt hatten, die Macht der Herzöge zu beugen.
Die Einheit und damit die Kraft des Reiches war geschwächt, die Erstarkung der Eiuzelstämme uud ihre Herrschaft gefördert worden. Das Königsgut war unterdessen zusammengeschmolzen, der König kaum einem ersten Herzog gleich zn achten. Doch hatten sich die fränkischen Kaiser in den Städten durch Verleihung von Rechten eine Stütze zu schaffen gesucht. Diese Vorrechte wurden durch Freibriefe gewährt. Dadurch hob sich der Wohlstand der Städte, die es mit dein Kaiser gegen Fürsten und Adel hielten, welche eifersüchtig die wachsende Macht der Städte zu hindern trachteten und sie befehdeten.
Die höchsten weltlichen Reichswürden hatten jetzt die Herzöge von Sachsen, Franken, Schwaben und Bayern. Die höchsten geistlichen Herren waren die Erzbischöfe von Mainz, Köln und Trier, uud da seit den ältesten Zeiten der Erzbischof von Mainz die Königswahlen leitete, so wurde das Reichsoberhaupt in Mainz gewählt, seit Karl dem Großen in Aachen gekrönt.
Die Heeresmacht des Reiches bestand aus 7 Heerschilden, d. i. Heereshaufen. Diese setzten sich nicht, wie einst, zumeist aus dem freien Volke, dem Bauerustaude, zusammen, da der Heerdienst seit Heinrich I. immer mehr Reiter- und Ritterdienst geworden war, der den ärmeren Freien zu viel Kosten machte. Sie gaben lieber ihren Geldbeitrag zu den Kriegskosten, den sogenannten Heerschilling und überließen dem Adel die Ehren des Krieges, zogen aber hier und dort unter den Fahnen der Ritter in den Kampf. So wurde das Land-
Volk allmälig nicht mehr waffenfähig; der Bauer durfte endlich feine Waffen mehr tragen. Brach ein Krieg aus, dann entbot der König seine großen Vasallen, diese ihre Lehnsleute, die sogenannten Ministerialen und alle zusammen bildeten mit ihrem zahlreichen Dienstvolke das Reichsheer.
Glücklicherweise gab es nicht immer Krieg; aber die Ritter, nur aus den Vornehmen des Volks, dem Adel bestehend, bildeten allmälig einen besonderen Stand, dessen Bildungsschule die Turniere, d. i. Waffenspiele, wurden, welche einen edeln und ernsten Charakter an sich trugen. Tie Wassenführung wurde kunstgerecht gelernt; der Ritter hatte eine soldatische Schule durchzumachen. Waffendienst und Rittersitte war nicht ohne strenge Uebung zu erreichen.
Wehrhaft gemacht, trat der Edelknabe zuerst als Knappe zu treuem Hofdienst bei seinem Lehnsherrn ein, begleitete ihn als Schildträger zu Turnier und Krieg, wenn er zuvor seit seinem siebenten Jahre als Bube ehrfurchtsvollen Umgang mit edlen Frauen und die Anfangsgründe der Rittertugend geübt hatte. Erst nachdem seine Waffentüchtigkeit erprobt worden, war, legte er meist nach siebenjähriger Lehrzeit und nach einem makellosen Leben, nach vorhergegangenem Fasten und Gebet das Rittergelübde ab: Religion, Wahrheit und Recht zu verteidigen, die bedrängte Unschuld, Witwen und Waisen zu schützen. Dann erst erhielt er von einem höher stehenden würdigen Ritter den Ritterschlag oder die Schwertleite. Auch wurde in älteren Zeiten des Rittertums nur der zum Turnier zugelassen, welcher einen christlichen Lebenswandel führte. Es gab Turniergesetze, an welche Kämpfer und Kampfrichter, Turniervögte, Wappenkönige, Herolde u. s. f. zur Aufrechterhaltung der Ordnung streng gebunden waren.
Der Turnierplatz war mit Sand bestreut und von Schranken umgeben, hinter denen das Volk stand und den Ritterkämpfen zuschauen durfte. Auf hohen Balkönen saßen die Damen neben den vornehmsten Herren, die sich nicht am Turnier beteiligten, und unter rauschender Musik eilten die vom Kopf bis zum Fuß in Eisen gepanzerten Ritter in die Schranken, sobald der Herold die einzelnen Paare aufrief. Wer die meisten Gegner überwunden hatte, erhielt aus den Händen der vornehmsten Dame den Dank in Form einer goldenen Kette oder eines andern Kleinods, auch wohl eines kostbaren Waffenstücks, und saß bei dein folgenden Festmahle auf dem Ehrenplatz in den Prachtkleidern, womit die Damen ihn selbst geschmückt hatten. Auch eröffneten die
Sieger den Festreigen. Da Harnisch und Visir den Ritter unkenntlich mochte, so wählte jeder ein Zeichen am Helm und Schild, um für die Seinen erkennbar zu sein, das Bild eines Tieres und anderes. Damit wurde der Grund zu den Wappen gelegt und dem Geschlechtsnamen wurde der Name ihres Stammschlosses mit einem „Von" beigelegt.
Der Ritterstand fand seine weitere Entwicklung in den Ritterorden, deren Blüteperiode in die Zeit der Kreuzzüge fällt.
Die Rechtspflege war besonders unter Heinrich IV. sehr erschüttert worden; doch erhielt sich immer noch der alte Rechtsgruudsatz, daß jeder Deutsche noch den Gewohnheitsrechten seines Sandes und von seines Gleichen gerichtet werden mußte. Auch dos Lehnrechtswesen stand auf gleichem Rechtsgrunde. Die Vasallen eines Lehnsherrn betrachteten sich als pares, d. i. Gleiche, von einander Unabhängige. Der Gleiche konnte nur von Gleichen gerichtet werden, und der Lehnsherr hatte dos höhere Richteramt ber Entscheidung. Die Berufung oller ging an den höheren Lehnsherrn, zuletzt bis an ben König.
Das beutsche Reich war also hiernach trotz aller Wirren, bie unter Heinrich IV. barüber hingezogen waren, wohl georbnet, als Heinrich V., voller Begier nach ber Königswürbe, seinem Vater bie beutsche Krone entrissen hatte. Die päpstliche Partei, bie ihm bazu verhelfen, rechnete natürlich auf Dank, bett sie von Heinrich V. nicht ernten sollte. Er strebte bahin, ben alten Glanz ber beutschen Königsmacht tvieber herzustellen, unb barttnt sollte zunächst bie Kirche alle unter Heinrich IV. erlangten Errungenschaften tvieber herausgeben. In scheinbarer Freunb-schaft lub Heinrich V. bett Papst Poscholis II. zu sich nach Deutschland unb bieser war bereits auf bettt Wege bahin, auch Heinrich ihm schon bis Regensburg entgegen geeilt, als Poscholis ber Warnung folgte, sich nicht in bes beutschen Königs Gewalt zn begeben. Er ging nach Frankreich, um von bort aus mit betn beutschen Herrscher über bie Rechtsansprüche von Staat unb Kirche zu verhanbetn.
Aus ber Kirchenversammlung zu Chalotts begehrten bie königlichen Gesanbten, an ihrer Spitze ber Erzbischof Brutto von Trier, baß bei ber Investitur zwischen geistlichen unb weltlichen Interessen zu unterscheiben sei, biese betn Könige verbleiben müßten, währettb betn Papst unb ber Kirche bie geistlichen Entscheibungm angehören sollten, so baß Wohl unb Weihe von Bischöfen unb Aebten, nur vom Papst vollzogen, weltliche Würben unb Güter, Sehen, Regalien u. s. w. auch an bie geistlichen Vasallen nur vom Reichsoberhaupte verliehen werben bürsten.
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Da erhob die Kirche energischen Widerspruch, „sie dürfe nicht wieder zur dienenden Magd werden, nachdem sie durch Christi Blut wieder frei geworden sei."
Man kam nicht zu gütlicher Einigung. Die königlichen Gesandten zogen mit der Drohung heim, daß in Rom der Streit durch die Waffen entschieden werden sollte, und bald rüstete Heinrich V. eifrig, nachdem er sich zuvor mit der fünfjährigen Tochter des Königs von England, Heinrichs II., verlobt hatte (1110).
Kein deutscher Herrscher hatte bis dahin einen so großartigen Römerzug gethan, wie Heinrich V., der mit 30,000 Rittern, Fußvolk und Knechte ungerechnet, über die Alpen zog und zunächst durch Gesandte vom Papste die Krönung begehrte. Aber dieser verlangte zuvor das Versprechen vom Könige, auf das Recht der Investitur völlig zu verzichten, doch die Gesandten ließen sich keine Bedingungen stellen und bestanden aus dem althergebrachten Rechte der deutschen Herrscher, die Geistlichen mit den Regalien zu belehnen. Bei dem Hin- und Widerreden über die Rechte des Staats und der Kirche äußerte endlich Paschalis II., daß doch der König die Regalien behalten möge, und die Diener der Kirche sich mit den Zehnten und Opfern begnügen sollten.
Heinrich ging darauf gern ein, und zu Sutri kam ein Vergleich zustande (1111), wonach Heinrich auf das Jnvestiturrecht verzichtete, die Bischöfe aber alle zu ihren Sitzen gehörigen Regalien, Grafschaftsrechte u. s. w. abgeben sollten. Alles schien friedlich geordnet, und der König zog unter dem Jubel des Volks in die ewige Stadt ein. Der Papst selbst führte ihn unter den Lobgesängen der Geistlichkeit in den St. Peters Dom, den deutsche Krieger umringten.
Vor der hl. Handlung wurde der Vertrag zwischen König und Papst nochmals verlesen. Da ging ein Murren durch die Versammlung; die Bischöfe wollten sich ihre verbrieften Rechte nicht nehmen lassen. Heinrich wollte die Menge beruhigen und versicherte, daß nicht ihn, sondern den Papst die Schuld dieses Konflikts treffe. Nun weigerte sich Paschalis, die Kaiserkrönung zu vollziehen, und plötzlich rief ein Ritter aus des Königs Gefolge: „Was braucht es vieler Worte? Mein Herr, der Kaiser, will gekrönt werden, wie weiland Karl der Große!"
Aber immer entschiedener verweigerte der Papst die Krönung, so daß Heinrich ihn samt 16 Kardinälen gefangen nehmen ließ und nach
Deutschland führte. Ein Geschichtschreiber sagt darüber: die Christenheit sah ruhig zu, wie der König den Papst von Burg zu Burg schleppte, wie er ben Kirchenstaat mit Feuer und Schwert verwüstete, und weder die Gräfin Mathilde von Toskana, die Freundin der Päpste, traf Anstalten, das Oberhaupt der Kirche aus den Banden der Knechtschaft zu erlösen, noch regten die Normannen die Arme zur Verteidigung des Hl. Stuhles. Jene Tage waren die Kehrseite der Scene von Canossa, die Nemesis für päpstliche Ueberhebung.
Der Papst mußte versprechen, dem Könige die Investitur frei gewühlter Bischöfe zu überlasten, wegen der erlittenen Mißhandlungen sich nicht zu rächen und den König nicht in den Bann zu thun. Dann entließ ihn Heinrich aus der Gefangenschaft und wurde von dem Papste feierlich in der Peterskirche zum römischen deutschen Kaiser gekrönt (1111).
Aber die italienischen Bischöfe erklärten sich mit den Zugeständnissen des Papstes nicht einverstanden und thaten Heinrich V. als „zweiten Judas" in den Bann. Nun mußte er selbst das Geschick seines Vaters erleben. Die Kirche gab den Reichsfürsten durch den Bannfluch das Recht, sich zu empören. Daneben hatte ihnen Heinrich besondere Ursache zur Unzufriedenheit gegeben, als er beim Aussterben der orlamün-dischen Grafen von Weimar die Erbgüter derselben eingezogen hatte; alle sächsischen Fürsten, die sich mit der französischen und römischen Geistlichkeit verbündeten, erhoben die Waffen gegen ihren Kaiser, der die rebellischen Herren zwar anfangs besiegte, bald aber diesen erliegen mußte. Nun fiel fast ganz Norddentschland von ihm ab, und nur die mit dein Kaiser verwandten Hohenstaufen, Friedrich von Schwaben und Konrad von Franken, blieben der kaiserlichen Sache treu.
Dazu hatte der Tod der Markgräfin Mathilde von Toskana einen Erbschaftsstreit um ihre reichen Güter erregt, die sie der Kirche vermacht hatte. Zwar setzte eine siegreiche Römerfahrt den deutschen Kaiser in den Besitz derselben und ein Verwandter Heinrichs bestieg zu dieser Zeit den päpstlichen Stuhl, aber im Grunde wurde durch dies alles des Kaisers Stellung im Reiche wenig geändert, und er sah bald, daß er gleich seinem Vater der Kirche nachgeben müsse, wollte er nur etwas aus seiner Kaiserherrlichkeit retten.
Zunächst gab er den sächsischen Fürsten das begehrte Besitztum und schuf sich in ihnen Helfer gegen päpstliche Uebergriffe. Dadurch wuide auch der kluge Papst Kalirt II. zu friedlicher Unterhandlung genötigt, und ein Vertrag, das Wormser Konkordat, endigte den Streit
um das Recht der Investitur (1122). Danach hatte der Kaiser auf die Belehnung mit Ring und Stab zu verzichten und die Freiheit der Bischofs- und Abtwahlen anzuerkennen. Doch sollten diese im Beisein des Kaisers oder seines Bevollmächtigten ausgeführt werden, und der deutsche Herrscher belehnte die von der Kirche Gewählten in Deutschland durch das Zepter mit den Regalien oder fürstlichen Rechten vor der Weihe, in Italien nach derselben.
Staat wie Kirche waren so auf ihre engeren und eigentlich entsprechenden Grenzen zurückgewiesen; aber die Verhältnisse des Lehnsstaates hatten sich durch die Bemühungen der Kirche sehr gelockert. Dagegen kamen die deutschen Städte im Bewußtsein ihres Wohlstandes zu größerem Ansehen; denn der Kaiser suchte in ihnen Bundesgenossen gegen die fürstlichen Herren und Ritter, mit denen er bis an sein Lebensende zu kämpfen hatte.
Wohl hatte er nur die Trümmer jener Kaisermacht gerettet, welche noch unter seinem Großvater, Heinrich Hl., so fest gegründet schien; aber doch war in der Beilegung des Jnvestiturstreits Großes für das Reich erlangt morden.
Heinrich V. starb ohne Erben im 44. Lebensjahre (1125) und wurde in der Gruft zu Speyer beigesetzt. Mit ihm erlosch das Haus der Franken, und schon die Mitwelt sah darin den Fluch für den Empörer gegen seinen kaiserlichen Vater.
Die fränkischen Kaiser hatten hundert und ein Jahr regiert (1024 bis 1125).
1. Der erste KreiiWg
die Ritterorden.
Schon in den ersten Jahrhunderten der Ausbreitung des Christentums war es frommer Brauch geworden, die heiligen Stätten Palästinas aufzusuchen, und solche Wallfahrten hatten sich besonders seit Konstantins des Großen Zeit gemehrt. Er hatte einen Marmortempel über dem Grabe Christi errichtet, und daneben erhob sich die herrliche Auferstehungskirche, welche seine Mutter, die heilige Helena, dort erbauen ließ. Sie selbst zog in das gelobte Land, dort ihr Leben in klösterlicher Zurückgezogenheit zuzubringen.
Fromme Pilger ließen sich durch Priester zu der langen, gefahrvollen Reise weihen, und im einfachen Pilgergewand, nur mit Kreuz, Stab und Tasche versehen, zogen sie unter unsäglichen Gefahren und Beschwerden zum Grabe Christi, voll heiliger Sehnsucht, den Boden zu betreten, auf dem der Erlöser gelebt und gelitten hatte.
Selbst Karl der Große hatte mit dem ruhmreichen Herrscher des Orients, Harun al Raschid, einen Bund geschlossen, damit die Pilger ungestört an heiliger Stätte beten möchten, und die Araber, welche im siebenten Jahrhundert als Anhänger Muhameds Palästina eroberten, störten diese Pilgerfahrten nicht. Doch als zuerst ägyptische Kalifen, später die rohen und grausamen seldschuckischen Türken das gelobte Land in Besitz nahmen, wurden die Christen dort mißhandelt, sogar als Sklaven verkauft.
B o r i> h a k, Unser Vaterland. 12
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Schon zur Merovingerzeit waren die Araber in Spanien eingefallen; auch die Karolinger hatten weiter mit ihnen um den Besitz des Landes zu kämpfen (Schlacht bei Tours und Poitiers 732) wie um die Existenz des Christentums gegenüber dein Muhamedanismus, dessen Anhänger mit Feuer und Schwert vorwärts drangen. So hatte sich zuerst in Spanien, dann weiter in Frankreich, Italien und Deutschland ein christliches Rittertum ausgebildet; das christliche Abendland trat dem muhamedanischen Morgenlande ritterlich gegenüber. Die Ungläubigen sollten aus Europa verdrängt, Palästina ihren unwürdigen Händen entrissen werden. Und weil zunächst fränkische Ritter um den Besitz desselben sich mühten, nannten die Türken alle Christen des Westens „Franken".
Auch Papst Gregor VII. hatte das heilige Land erobern wollen. Seine Kämpfe mit Heinrich IV. hinderten ihn daran. Da pilgerte ein einfacher Mönch, namens Peter aus Amiens (1094), zum heiligen Grabe und sah dort alle Gräuel des fanatischen Muhamedanismus, die christlichen Wandrer geschmäht und verfolgt und die ehrwürdigen Stätten verspottet und geschändet. Voll heiliger Begeisterung hatte er inbrünstig in der Auferstehungskirche um Hülse gegen solche Gräuel gefleht und während des Gebets eine Stimme vernommen, die ihm zurief: „Stehe auf, Peter, eile mit der Vollendung des begonnenen Werkes, verkünde die Leiden meines Volkes, daß ihm geholfen, und die heilige Stadt von den Ungläubigen befreit werde."
Da ging Peter nach Rom und erbat sich die Hülfe des Papstes Zu solchem Vorhaben. Dieser gab ihm Briefe an die Fürsten und Großen aller Reiche der Christenheit mit, in denen eine glühende Sprache zur Teilnahme an einem Kriegszuge gegen die Ungläubigen aufforderte. Den Mönch selbst aber ermutigte der Papst mit den Worten: „Gehe hin, mein Sohn, wandle von Dorf zu Dorf, von Stadt zu Stadt, erzähle überall, was du gesehen und gehört hast, erwärme die kalten Herzen mit glühender Beredsamkeit, und der Heiland würd seinen Segen zu deinen Bemühungen geben. Alles Uebrige überlasse meiner Sorgfalt!"
Peter folgte der Weisung und zog, angethan mit einem graueu Pilgerkleide, barfuß und entblößten Hauptes auf einem Esel sitzend durch die Länder. Wo sich Menschen um ihn sammelten, machte er Halt und schilderte das Elend der Christen in Palästina. Mit funkelnden Augen und hinreißender Begeisterung sprach er von dem Aufträge des
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Erlösers, das heilige Grab aus den Händen der Ungläubigen zu befreien. „Auf, ihr Christen," rief er, „auf! Der Heiland selbst ruft end). Er öffnet euch selbst die Thore des Paradieses, und ihr wollt nicht hinein gehen? Das heilige Grab, der Oelberg, die Höhle zu Bethlehem und die andern geheiligten Stätten, sie alle rufen euch zu: Kommt und rettet uns aus den Händen der Barbaren! Ich selbst habe oft gehört, rote die geweihten Orte tief erseufzten, rote aus allen Winkeln der Weheruf erscholl: Rettet, ach rettet uns! und ihr wolltet noch zaudern, ihr, die auserwählten Werkzeuge des Herrn?" Der fanatische Mönch wurde wie ein Heiliger verehrt, wohin er kam, und
sein Weg durch Italien und Frankreich glich einem Triumphzuge. Man
drängte sid), nur sein Gewand zu berühren, und seinem Esel raufte man Haare aus; denn auch sie konnten ja vielleicht wunderthätig sein.
Zu derselben Zeit kam eine Gesandtschaft des griechischen Kaisers zu Papst Urban II., Hülfe gegen die Ungläubigen zu erflehen, die sein Reid) bedrohten. Da berief dieser zuerst eine Kirchenversammlung nach Piacenza, auf der die griechischen Gesandten ihre Klagen vortrugen, dann nach Clermont in Frankreich (1095). Diese war so zahlreich besucht, daß selbst die Städte der Umgegend die Volksmenge
nicht zu fassen vermochten, und in weiter Ebene lagerten die herbei-
geeilten Fürsten, Bisd)öse, Mönche und allerlei Laien in Zelten.
Hier schilderte Peter von Amiens der lauschenden Menge in ergreifenden Worten, was feine Seele erfüllte, wie die heiligen Stätten Palästinas unter Schmach und Schande wüste lägen, und wie der Erlöser selbst ihr Heerführer sein wolle, den Frevel zu sühnen. Lautes schluchzen umher kündete die Rührung der Zuhörer, die bald in höchster Begeisterung riesen: „Gott will es! Gott will es!" Und mit erhobener Stimme ries der Papst: „Ja, Gott will es! Ich will sie nicht trocknen, die Thränen, welche diese schrecklichen Bilder in unsre Augen locken. Lasset uns weinen, meine Brüder, lasset euren Wehklagen sreien Laus! Aber wehe uns, wenn wir nidjts als diese Thränen hätten, wenn wir das Erbe des Herrn noch länger in den Händen der Ungläubigen ließen! ^enes Land, das wir mit Recht das heilige nennen, jener Hügd,
wo ei für unsre Sünden blutete, jenes Grab, aus welchem er als
Todesüberwinder erstand, jener Berg des Friedens, von dem er gen
Himmel fuhr, jene heiligen Mauern, welche die Versammlung der Apostel in sich geschlossen, und roo das kostbare Blut der seligen
Märtyrer geflossen, sollen mir sie noch länger der Barbarei, der Ruch-
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losigkeit zum Raube lassen? — Nein, o nein! ihr werdet aus eurer Trägheit erwachen. Auf denn! Wendet Eure Schwerter gegen den Feind des christlichen Namens, statt sie gegen euch untereinander zu schärfen! — Werdet aus Streitern des Teufels Streiter des lebendigen Gottes, unter dessen glorreicher Fahne ihr nichts zu fürchten habt! Ihr werdet als Sieger heimkehren oder die Märtyrerkrone erringen; vollkommener Ablaß und die gewisse Hoffnung himmlischer Freuden begleiten euch in den heiligen Streit. Kein irdisches Band, nicht eheliche Liebe, nicht kindliche Pflicht soll euch an die Heimat fesseln. Damit aber keine bange Sorge euch bedrücke, verleihen wir allen, die sich diesem verdienstvollen Unternehmen weihen, den Schutz der Kirche, und verflucht sei, wer das Eigentum der heiligen Streiter antastet! . . .
Aber den Streitern Christi gebührt es, ein besonderes Zeichen an sich zu tragen, das sie in den Stunden der Schlacht von den Ungläubigen scheide. Dieses Zeichen sei das Bild des hl. Kreuzes. So schmücke sich jeder, der sich diesem heiligen Zuge anschließt, auf seiner rechten Schulter mit einem Kreuze! Den Christen sei es ein Zeichen ihrer Verbrüderung, den Türken ein Schrecken!"
So und Weiteres sprach der Papst, und der Bischof Ademar von Puy bat als erster knieend um das Kreuz. Ihm folgten Unzählige; sie hefteten ein rotes Kreuz als heiliges Weihezeichen auf ihre Schulter. Mancher trug es auch verborgen mit sich hinweg; galt es doch, so manches Hindernis zuvor hinwegzuräumen. Bald wollte niemand zurückbleiben, und die Kreuzfahrer bildeten eine wahre Völkerwanderung, die sich aus Hirten und Mönchen, aus Rittern und Landleuten, selbst aus Nonnen zusammensetzte. Eine fanatische Bewegung ging durch alle christlichen Lande. Ueberall wollte man Zeichen und Wunder gesehen haben. Besonders die niedern Stände, die Leibeignen und kleinen Vasallen meinten in diesem Kriege auch eine Erlösung von dem Druck ihrer Lehnsherren zu finden. Bald sah man keine Stadt und kein Dorf, wo sich nicht Pilger sammelten. Auf den Feldern wurden Zelte aufgeschlagen, und Psalmen und Lobgesänge erfüllten die Landstraßen.
Aber auch wilde Haufen strömten unter einem Abenteurer herbei, Walter von Habenichts genannt (1096). Sie zogen über den Rhein durch Deutschland, das sich den lebhaften erregten Franzosen gegenüber bis dahin weniger an diesem ersten Kreuzzug beteiligte und die wilden Horden verspottete, die bei jeder Stadt und bei seder Burg, die sie erreichten, ungeduldig fragten, ob denn das Jerusalem sei. Denn es
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war zunächst nur die ungebildete Masse des Volks, die in wilder Hast voranstürmte. Gegen 100,000 Menschen dieses Heeres sollen umgekommen sein, ohne das hl. Land gesehen zu haben. Nur ein kleines Häuflein kam bis nach Konstantinopel und erhielt vom griechischen Kaiser die Erlaubnis, sich vor der Stadt in Zelten zu lagern, um dort das eigentliche Heer der Ritter zu erwarten.
Inzwischen hatten sich auch in Deutschland drei Heereshaufen gesammelt, die aber zunächst nur über die Inden herfielen, weil diese den Heiland gekreuzigt hatten. Sie wurden ebenfalls zum größten Teil aufgerieben. Dann erst brach das wohl geordnete und gut ausgerüstete Heer der Fürsten und Ritter auf, an deren Spitze Gottfried von Bouillon, Herzog von Niederlothringen stand. Mit ihm, dem ritterlichsten Mann seiner Zeit, dessen äußere Gestalt eben so herrlich genannt wird, wie die Eigenschaften seines Charakters als hervorragend edel und ritterlich galten, zogen seine Brüder Balduin und Eustachius, Hugo von Vermandois, Bruder des Königs von Frankreich, Stephan, Graf von Blois und Raimund, Graf von Toulouse, auch die Nor-nmnnenfürften Italiens, Bohemund von Tarent, sein Neffe Tankred und viele andere Fürsten und Edle. Es waren zusammen 80,000 Mann Fußvolk und 10,000 Reiter, meist Franzosen und Normannen, alle aber unter dem Heerführer, Gottfried von Bouillon.
Der griechische Kaiser, welcher jetzt fürchten mochte, das große Heer könne ihm selbst sein Reich nehmen, erschwerte den Zug der Kreuzfahrer auf alle mögliche Weise, und erst als Gottfried seinen Truppen erlaubte, sich Speise und Trank zu nehmen, wo sie davon finden mochten, wurde der Kaiser williger. Auch erzwang sich Gottfried die Ueberschiffung des Heeres, das inzwischen bis auf 600,000 Mann angewachsen sein soll, nach Kleinasien.
Dort stießen die Heere Gottfrieds und Peters zusammen und schwerfällig wälzten sich die Völkermassen dem gelobten Lande zu. Je naher sie ihm kamen, desto mehr erfaßte sie ein heiliger Eifer, ja ein fanatischer Taumel. Viele entschlossen sich, ohne Waffen, ohne Geld, mit bloßen Füßen als demütige Büßer in das heilige Land zu ziehen. Sie nährten sich von Wurzeln und rohen Früchten des Feldes, pilgerten mühsam durch die Wälder von Nicäa und bezeichneten ihren Weg mit Kreuzen.
Die Fürsten zogen vereinzelt mit ihren Heeresabteilungen Palästina entgegen, denn die Landstrecken, durch welche sie kamen, hatten nicht
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Lebensmittel genug für solche Menschenmassen. Hunger und Ent-
behrungen aller Art brachten schwere Krankheiten hervor; dazu kamen viele Christen durch die Waffen der Türken um, so daß die Heereshaufen immer kleiner wurden, je mehr sie sich dem gelobten Lande näherten.
Endlich erreichte das Gesamtheer der Kreuzfahrer die alte Hauptstadt Bithyniens, Nicäa, hinter deren breiten Mauern ein starkes
Türkenheer lagerte, das erst zur Uebergabe bereit war, als sich die
Griechen hinterlistig in den Besitz der Stadt gesetzt hatten. Doch
mußten die Kreuzfahrer unverrichteter Sache mühsam weiter durch die Gebirgsschluchten Kleinasiens ziehen, unausgesetzt von den ihnen auflauernden Türken verfolgt, welche hurtig auf ihren kleinen Pferden davon ritten und eben so schnell wieder die Züge beunruhigten.
Das ungewohnte heiße Klima steigerte das Elend der christlichen Pilger, die überall nur durch kahle Einöden zogen; denn vor ihnen her zerstörten die Türken die eigenen Dörfer, verbrannten selbst das Getreide auf den Feldern und verschütteten die Brunnen.
Die Kreuzfahrer meinten unter ihrer glühenden Rüstung zu ersticken, als sie, durch Spürhunde geleitet, voller Jubel eine sprudelnde Quelle fanden. Aber Unzählige starben, weil sie ihren brennenden Durst zu hastig gelöscht hatten. Ein Unglück folgte dem anderen, und die Mutlosigkeit im Christenheere stieg zur Verzweiflung, als Herzog Gottfried schwer verwundet ins Lager getragen wurde. Er war dem Hülferufe eines Pilgers gefolgt, den ein Bär angegriffen hatte und der nun seine Beute fahren ließ, um sich gegen den Herzog zu wenden. Dieser erfaßte, als er schon verloren schien, mit der Linken den Bären und stieß ihm mit der Rechten das Schwert in die Weichen. Aber im Todeskampfe stürmte das Tier noch einmal ans den Tapfern ein, den die Seinen für tot aufhoben. Doch er lebte und fiel nur langem Siechtum anheim.
Jetzt sollte die Stadt Antiochia in Syrien den Kreuzfahrern einen festen Sitz in Asien gewähren. Balduin hatte sich bereits der Feste Edessa bemächtigt; aber Antiochia war mit so breiten Mauern umgeben, daß ein Wagen mit vier Pferden bespannt darüber hin fahren konnte. Vierhuudertuudfänfzig darauf erbaute Türme dienten zur Vertheidigung, und die Besatzung bestand aus ungefähr 7000 Reitern und 20,000 Fußgängern.
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Monate lang belagerten die Kreuzfahrer vergeblich die Stadt, und die Not in ihren Reihen wird als entsetzlich geschildert. Lange Regengüsse durchnäßten das Lager, und die Pilger starben in solcher Anzahl, daß dev Raum zu ihren Grabesstätten fehlte. Das schwerste Uebel war der Mangel an Lebensmitteln, und bald waren von 70,000 Pferden nur noch 2000 vorhanden. Die Opfer an Menschenleben waren noch zahlreicher. Selbst Peter von Amiens verlor angesichts solcher Not den Mut und wollte fliehen; aber Tankred ließ ihn ergreifen und ins Lager zurückführen. Dazu hatten die Türken lange Zeit hindurch ungestört ihre Kundschafter int Christenheere und wußten, jede Schwäche desselben klug auszunutzen, bis Fürst Boemund von Tarent zwei Türken töten und braten, dann aber ausrufen ließ, jeder Kundschafter sollte so umkommen. Diese Nachricht verbreitete im Morgenlande Furcht und Schrecken; ja es hieß, die Christen wären Menschenfresser.
Nach achtmonatlicher Belagerung, deren Einzelberichte an die Heldenthaten des trojanischen Krieges erinnern, wurde Antiochia endlich durch List genommen. Ein Verbündeter ließ in dunkler Nacht von einem der Türme eine Strickleiter hinab; die Belagerer erkletterten so Thürme und Mauern, und in furchtbarem Gemetzel sollen 10,000 Türken umgekommen sein. Doch ein fast größeres Elend erwartete die Christen; denn drei Tage später langte der türkische Emir Corboga mit großen Heeresmassen vor Antiochia an und schloß das Christenheer in der ausgehungerten Stadt ein, so daß dort die Not aufs Höchste stieg, viele sich von den Mauern der Stadt hinabließen und zu den Türken übergingen oder in der Flucht ihr Heil suchten.
Da trat ein französischer Geistlicher, Peter Bartolomäus, vor die Fürsten und berichtete, wie ihm der hl. Andreas vier mal im Traum erschienen sei und ihm befohlen habe, vor dem Hochaltare der Peterskirche zu Antiochia die heilige Lanze auszugraben, mit welcher die Kriegsknechte einst den Heiland am Kreuze die Seite durchstochen hätten. Schon bei ihrem Anblicke würden die Feinde der Christen fliehen. Zwölf Männer gruben lange vergeblich an der bezeichneten Stelle; das Kleinod wollte sich nicht zeigen, bis Peter selbst in die Tiefe der Gruft sprang und die Lanze an das Tageslicht brachte. Freudetrunken jubelte die Menge diesem sichtlichen Zeichen der Gotteshülse entgegen. Feierliche Prozessionen wallten durch die Straßen; neuer Mut und fester Glaube begeisterte zu kühner That, so daß am Abend das türkische Belagerungsheer besiegt, die Christen gerettet waren. Nun zogen die
Kreuzfahrer dem heißersehnten Ziele ihrer Pilgerfahrt zu und gelangten zuerst nach Betlehem, wo ihnen die Christen Palästinas, Psalmen singend, entgegen kamen. Allen voran eilte Tankred, und als die Kunde zum Heere kam, daß er die Mauer Jerusalems erreicht hatte, kam neues Leben in die zum Tod ermatteten Reihen. Als sie aber gar von den Bergeshöhen die leuchtenden Kuppeln der heiligen Stadt erblickten, kannte ihr Jubel und ihr Dank keine Grenzen.
„Jerusalem! Jerusalem!" mit heiligem Schauer rief man es, und die Kreuzfahrer umarmten sich jubelnd. Eingedenk des Schriftworts: „Ziehe deine Schuhe ans; denn der Ort, da du aufstehest, ist ein heiliges Land," legten die Pilger ihre Schuhe ab, küßten den heiligen Boden und eilten auf den steinigen, heißen Pfaden bis nach Jerusalem, wo sie am 6. Juni 1099 anlangten.
Aber die Stadt wurde von einem starken türkischen Heere verteidigt; 40,000 Mann standen gegen 20,000 ermattete Kreuzfahrer, dabei 1500 Ritter. Diefeu gab die Begeisterung Mut, daß sie einen
Sturm auf die feste Stadt wagten. Aber ihr Angriff wurde zurück-
geschlagen, und sie sahen bald ein, daß ihnen zu solcher Belagerung die Werkzeuge fehlten. Unter unsäglichen Mühen und Gefahren wurden Baumstämme aus der Umgegend herbeigeschafft, während viele der Kreuzfahrer angesichts der heiligen Stadt vor Hunger und Elend umkamen. Die Sonnenglut trocknete die Wasserbehälter aus; und fanden die Christen eine Quelle, dann kämpften sie um einen' Trunk Wassers, so daß sich oft ihr Blut mit dem ersehnten Tranke mischte. Nach
vierwöchentlicher, fast übermenschlicher Anstrengung hatten die Belagerer den Bau von zwei Türmen fertig, die Jerusalems Mauern um sieben Ellen überragten. Die Wände der Türme waren mit Tierhäuten umkleidet, die vor Wurfgeschossen schützen sollten, und eine aufgezogene
Fallbrücke kounte auf die Mauer der Stadt hinabgelassen werden. Am 14. Juli 1099 sollte der Sturm auf Jerusalem beginnen. In feierlicher Prozession zogen die Christen um die Stadt, voran die Bischöfe mit aller Geistlichkeit in weißen Kleidern, das Kreuz in den Händen; ihnen folgten die Fürsten, Ritter und übrigen Pilger, alle in Waffenrüstung. Unter heiligen Gesängen bewegte sich der Zug zum Oelberg, wo die Christen niederknieten und von den Anführern zu Mut und Ausdauer ermahnt wurdeu.
Die Türken auf hoher Mauer wußten nicht, was all das zu bedeuten hatte und sandten den Christen höhnend Pfeile zu. Ant andern
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Tage begann der Angriff auf die Stadt, der aber völlig zurückgeschlagen wurde; denn die Türken gossen siedendes Del auf die Türme und schleuderten Steine und Wurfgeschosse hinab. Nur ein Trost war den Christen geblieben: das große Kreuz auf dem Turme Gottfrieds von Bouillon war unversehrt. Am folgenden Tage wurde der Kampf erneuert ; aber schon hatten die Kreuzfahrer sieben Stunden lang vergeblich gekämpft, als sie auf ferner Höhe einen Ritter in glänzender Rüstung erblickten, von der Sonne wie mit einem Heiligenschein umleuchtet. Er streckte feine Arme über die Stadt aus, und die Christen sahen in ihm einen Gesandten des Herrn, der ihnen den Sieg verhieß. Ermutigt drangen sie wieder auf die Stadt ein; es gelang ihnen, die Säcke, welche die Türken als Schutz der Mauern an diesen befestigt hatten, anzuzünden, und als der Wind den Rauch der Stadt entgegenwehte, so daß die Belagerer ihre Angreifer nicht beobachten konnten, ließ Gottfried von Bouillon eiligst die Fallbrücke seines Turmes ans die Mauern Jerusalems herab (15. Juli 1099); andre erklommen sie auf Sturmleitern, und bald überflutete das Heer der Kreuzfahrer die Stadt.
Sie richteten dort ein Blutbad an, wie einst der Heide Titus bei der Zerstörung Jerusalems (70 n. Ch.). Die Juden wurden mit Weib und Kind in ihrer Synagoge verbrannt, wohin sie sich geflüchtet hatten, und von den Türken wurde niemand verschont, so daß die Christen buchstäblich im Blute ihrer Feinde wateten. Als sie des Sengens und Mordens müde waren, reinigten sie sich vom Blute ihrer Opfer und zogen barfuß, Psalmen singend, in die Auferstehungskirche. Deckten ihre Bußübungen und ihre Gebete die Gräuelthaten dieser Eroberung und waren solche Christen edlere, bessere Beschützer des Hl. Grabes, als die Türken? Jedenfalls gelobten die Kreuzfahrer freudetrunken Besserung ihres Lebens, und erwählten Gottfried von Bouillon einstimmig zum König von Jerusalem. Doch nannte er sich nur Beschützer des heiligen Grabes; er wollte sich nicht mit einer Königskrone schmücken, wo der Erlöser eine Dornenkrone getragen hatte. Gottfried starb schon im folgenden Jahre, und sein Bruder Balduin nahm die Würde eines Königs von Jerusalem an. Doch fiel Palästina nach diesem ersten Kreuzzuge durch die Uneinigkeit der Christen bald wieder in die Hände der Türken, und das christliche Abendland sollte noch zwei Jahrhunderte lang vergeblich um den Besitz des hl. Landes kämpfen.
Zu dieser Zeit erreichte neben dem französischen besonders das deutsche Rittertum seine höchste Blüte. Mit den edelsten Eigenschaften
des Germanentums geschmückt, hatte es im Christentum erst seine rechte Weihe empfangen; ritterliche Gebräuche waren mit christlichen Anschauungen und Sitten umkleidet und die Pflichten des Kriegers durch Erfüllung der Christenpflichten veredelt worden. Wie der zum Ritter würdig befundene Knappe tags zuvor unter Beten und Fasten sich zu seiner Würde vorbereiten und die Nacht vor dem Feste wachend in der Kirche verbringen mußte, so legte er sich am Morgen in ein weißes Bett, nachdem er ein Bad genommen, um anzudeuten, daß er nun rein von Sünden sei. Dann wurden ihm weiße und rothe Gewänder und schwarze Schuhe angethan, um dadurch an Reinheit des Wandels, cm das Blut Christi und an das dunkle Grab zu mahnen. Und erst, wenn der Knappe in die Versammlung der Ritter geführt, auf das Evangelienbuch geschworen hatte, täglich die Hl. Messe zu hören, dem katholischen Glauben treu zu bleiben, edle Frauen und die Schwachen und Unschuldigen zu schützen und dem Lehnsherrn treu zu sein bis in den Tod, erhielt er den Ritterschlag im Namen (Lottes, des Hl. Michael und des Hl. Georg durch einen dreimaligen leichten Schlag mit flacher Klinge auf Hals und Schulter. Der junge Ritter erhielt Sporen, Handschuhe und Panzer, Helm, Schild und Lanze. Dann wurde ihm ein Pferd zugeführt, auf das sich der jugendfrische Held schwang und es fröhlich vor der ihm zujubelnden Menge tummelte. Glänzende Feste bildeten den äußeren Schluß einer Feier, die von größter Tragweite war; denn von jetzt an durfte der Ritter keinen Schimpf ungerächt, keine Verletzung des Rechts ungefühnt lassen.
Solche christliche Rittersitte hatte sich zur Zeit der Kreuzzüge bei allen Völkern des Abendlandes gleicherweise ausgebildet, und war so der Ritterstand eine große Verbindung geworden, die sich aus allen christlichen Nationen zusammensetzte.
Den Rittern ebenbürtig waren die Edelfrauen, die feiner Rittersitte gemäß schon in früher Jugend in Klöstern oder am Hofe des Lehnsherrn erzogen wurden. Hier lernte das Edelfräulein von der Herrin das gastliche Mahl bereiten, in ihrem Gefolge empfing es die fremden Ritter, nahm ihnen die Waffen ab und kredenzte den Will-kominentrunk. Im Kloster aber lernte die Jungfrau von den Nonnen, wie man die Gold- und Silberfäden geschickt in das Kirchengewand der Priester wirkte oder in den Altarschmuck nähte, der Jahrhunderte überdauerte.
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Das Leben in den Ritterburgen, die von hohen Bergen in das Land schauten, zog meist sehr einförmig dahin, wenn nicht Gäste Anlas; zu allerlei Kurzweil gaben, zu Jagd und Kampsspiel. Rief der König aber seine Mannen zu den glänzenden Hofsesten, dann regten sich die sleißigen Hände der Frauen, den ritterlichen Herrn mit dem selbstgewebten Gewände, mit Feldbinde und Gürtel zu schmücken. Die Edelfrauen zogen auch wohl mit in die Ferne und nahmen Teil an den Festen in der königlichen Hofburg. Blieben sie aber daheim in den stillen Frauengemächern (Kemnate), dann war der Burgkaplan ihr treuer Gefährte und erzählte ihnen von den Heldenthaten vergangener Geschlechter. Kündete aber das Horn des Turmwarts die Rückkehr des Burgherrn, dessen Fähnlein aus weiter Ferne grüßten, dann eilte die Herrin mit ihren Frauen auf die Zinne der Burg, um den Heimkehrenden und seine Mannen zu erschauen; denn die kleinen, tiefen Fenster des Frauengemachs gestatteten feilte weite Ausschau.
In dieses ritterliche Stillleben trat die Begeisterung für die Kreuzzüge gleich einer Befriedigung, und darin mag zunächst die innige Verbindung mönchischen Wesens und ritterlicher Tapferkeit gefunden werden, wie sie sich während der Kreuzzüge besonders in den Ritterorden der Johanniter und Templer, später in dem Deutschen Ritterorden darstellt.
Zunächst hatten Kaufleute aus Amalfi, die nach Jerusalem pilgerten, in der Nähe des heiligen Grabes ein Kloster mit Kapelle und ein Hospital gebaut, um arme Pilger darin aufzunehmen. Sie hatten den hl. Johannes zu ihrem Schutzheiligen erwählt und nannten sich Hospitalbrüder des hl. Johannes von Jerusalem. Es war natürlich, daß die ritterlichen Kreuzfahrer, besonders Gottfried von Bouillon, sich dieser Stiftung annahmen und sie so viel als möglich beschenkten, da ihnen der Segen dieser Anstalten reichlich zu Gute kam. Zur Zeit des ersten Kreuzzugs war Gerhard aus der Provence Meister des Hospitals, das er vom Kloster trennte. Er bildete aus deu eifrigen Krankenpflegern eine besondere Brüderschaft, der er die Regeln der Augustiner Chorherren gab. Ihre Ordenstracht war ein schwarzer Mantel mit weißem achteckigem Kreuze auf der linken Seite. Die Ordensgemeinschaft entwickelte sich allmälig zu drei Ordensklassen: Ritter Christi, welche die Pilger unter ihrem Schutze zum heiligen Grabe geleiteten, aber auch an Krankenbetten dienten — Geistliche, die den Gottesdienst pflegten, und dienende Brüder, die nie Ritter werden konnten. Alle
aber wurden auf das Gelübde der Armut, des Gehorsams und der Ehelosigkeit verpflichtet.
Von den Johannitern zunächst abhängig, war der Deutsche Ritterorden, der sonderlich den Deutschen Hülfe zu bieten strebte. Erst im Jahre 1196 bestätigte Cölestin III. die Unabhängigkeit des Deutschen Ordens von den Johannitern. Die Ritter unter ihnen trugen den weißen Mantel mit schwarzem Kreuz auf der linken Brust, die Laienbrüder ein graues Gewand.
Die Tempelherren waren anfangs eine Verbrüderung von neun französischen Rittern, die, begeistert durch das Beispiel der Johanniter, die gleichen Gelübde ablegten wie diese. König Balduin II. von Jerusalem hatte ihnen als Ordenshaus einen Teil seines Palastes eingeräumt, der neben dem salomonischen Tempel lag. Danach hatten sich die Ritter Templer oder Tempelritterbrüder genannt. Ihr Ordenskleid war ein weißer Mantel mit blutrotem Kreuz, und ihr Schlachtenbanner trug die Inschrift: „Nicht uns, o Herr, nicht uns, sondern Deinem Namen gieb Ehre!"
Diese Ordensbrüderschaft wurde mehr als die anderen von Fürsten und Rittern gesucht, und darum war sie die zahlreichste und mächtigste unter allen, so daß sie bald ein Schrecken der Sarazenen wurde. Nach Verlauf eines Jahrhunderts bestand der Orden der Templer allein aus 20,000 Rittern und 9000 Komtureieu und Prioreien in Asien und Europa. An ihrer Spitze stand ein Großmeister, ihm zur Seite ein hoher Rat.
Wohl reicht die glorreichste Zeit dieser Ritterorden weit über den ersten Krenzzug, ja noch über weitere Jahrhunderte hinaus; aber doch ruht ihre eigenartige Gestaltung nur in ihm, wenn auch die späteren Kreuzzüge einen ähnlichen Charakter haben und darum gleich der ersten Kreuzfahrt nach Palästina unter die unzähligen verschiedenen Urteile fallen, welche Mit- und Nachwelt darüber gesprochen haben.
Die kühle, nüchterne Anschauung der Gegenwart sieht die opferwillige Begeisterung der Kreuzfahrer vielfach nur als eine religiöse Schwärmerei an, der die Ernüchterung notwendig folgen mußte. Der Vaterlandsfreund kann es beklagen, wie die Blüte deutscher Ritterschaft im fernen Orient nutzlos dahin welkte, wie die Fürsten Phantomen nacheilten, statt ihr Schwert für des Vaterlandes Schutz und Wehr zu schärfen. Ja, selbst der Christ kann nicht ganz eine Veräußerlichung des Christentums in den Kreuzzügen fortleugnen, die, vielfach genährt
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von der Geistlichkeit, sich an leblose, wenn auch verehrungswürdige Stätten voll heiliger Phantasie gebunden hielt. Aber trotz all dieser nicht unberechtigten Anschauungen über Grund und G'i folg der Kreuzzüge, welche erhabene Glaubensstärke, welche Größe der Opfer-willigkeit ruht in ihnen, welche Selbstverleugnung der Kreuzfahrer, Vaterland, Weib und Kind, Haus und Besitz, sich selbst ihrem Glau-benseiser darzubringen.
So wird die Geschichte der Kreuzzüge, wie sie sich besonders unter dem Kaiserhause der Hohenstaufen darstellt, für alle Zeiten tief Ergreifendes, ja Ueberwältigendes in sich tragen, und mancher Segen sollte auch für das deutsche Vaterland in ihnen verborgen sein, der nicht darin gesucht worden war.
2. Lothar von Sachsen.
(1125—1137.)
Wie bei der Wahl des ersten Saliers waren die deutschen Völkerstämme nach altem Brauch an den Rhein gezogen, einen König zu wählen, als Heinrich V. kinderlos gestorben war. Franken und Sachsen, Schwaben und Bayern, zusammen 60,000 Männer, waren gekommen, sie alle lagerten zwischen Worms und Mainz aus fränkischer Erde unter freiem Himmel. Jeder der vier Stämme hatte zehn Fürsten zu wählen, diese zusammen je einen ihres Stammes, und diese vier Auserwählten aller Stämme einen König.
Aber die Wahl war schwierig; denn drei Fürsten wurden vor allen gleich würdig befunden: Friedrich von Schwaben, Leopold von Oesterreich uud Lothar von Sachsen, unter denen Friedrich die erste Anwartschaft auf die Krone zu haben meinte; denn der letzte Lalier Heinrich V., hatte ihm als seinen nächsten Anverwandten aus dem Sterbebette die Reichsinsignien übergeben. Auch hatte er alle salischen Lehen und Güter geerbt und war als ritterlicher Fürst bekannt und beliebt.
Doch die Kirche fürchtete einen mächtigen Kaiser, der die Krone als sein Recht beanspruchte, und der kluge Erzbischof Adalbert von Mainz wußte sich zunächst die Reichskleinodien zu verschaffen, dann aber die Wahl so zu lenken, daß Lothar, als Friedrich eben tief ge-
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kränkt hinweggeeilt war, von einer wild heranstürmenden Menge auf ben Schild gehoben wurde, obgleich er unter Thränen gebeten hatte, ihn mit der Bürde einer Krone zu verschonen. Aber auch die Fürsten gingen mit det Kirche Hanb in Hanb und drängten Lothar eine Königs würde auf, die sie dem selbstbewußten Schwabenherzog nicht gönnten. Die Kirche verlangte von Lothar, daß er zum Dank auf alle Kaiserrechte verzichten sollte, die der Krone durch das Wormser Concordat (1122) zugesprochen waren. Lothar that noch mehr. Er erließ sogar den Bischöfen den Lehnseid und war mit einem Versprechen der Treue zufrieden. Dazu bat er den Papst um Bestätigung seiner Königswahl. Die Grundsätze, auf denen seit Karls des Großen Zeit die Kaisermacht ruhte, wurden der Kirche geopfert.
Schon durch die vereitelte Wahl tief gekränkt, wurde Friedrich von Schwaben noch feindlicher gegen Lothar gestimmt, als dieser verlangte, er solle alle Hausgüter, die er von den Saliern geerbt hatte, und die oft durch den eingezogenen Besitz deutscher Fürsten vermehrt worden waren, herausgeben. Reichsgut und Familienbesitz ließen sich aber schwerlich nach so langer Zeit von einander trennen, und als nun Friedrich die Herausgabe verweigerte, that ihn Lothar in die Reichsacht, verband sich aber zugleich vorsichtig mit dem mächtigen Hause der Welfen gegen ihn.
Obgleich Friedrich der Schwiegersohn Heinrich des Schwarzen aus dem Hause der Welsen war, hatte er selbst bei der Königswahl keine Unterstützung bei diesem gefunden, und mit dem Tode seiner Gemahlin war jedes Band gelöst und jede Hoffnung vereitelt, die er noch auf die Hülfe welfischer Verwandten haben mochte; denn König Lothar vermählte zu dieser Zeit seine einzige Tochter mit dem Bayernherzog Heinrich dem Stolzen (1127), dem Schwager Friedrichs. Schon reich durch mancherlei Erbschaft wurde der Bayernherzog bald der mächtigste Fürst Deutschlands, als ihm Lothar auch noch das Herzogtum Sachsen zusprach, und b e Herzogsgewalt Heinrich des Stolzen, die man sich aber nur als vereinzelte unb beschränkte Rechte gegenüber den Königsrechten und neben den Rechten der Grafen unb Vasallen, auch ber geistlichen Herren zu benfen hat, sich von ber Nordsee bis zu ben Alpen erstreckte. So war bic offene Feinbschaft zwischen Welfen (Gneisen) unb Staufen, (auch nach bem Stammschlosse Waiblingen bei Cannstabt Waiblinger, italienisch Ghibellinen genannt), bie inmitten Deutschlands lange, blutige Fehben herbeiführen sollte, burch ben beutfchen König
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selbst entflammt (1127). Bald zog Lothar mit den mächtigen Welfen verbündet gegen Friedrich und belagerte ihn in der Veste Nürnberg. Schon war die Besatzung nicht mehr fähig, Widerstand zu leisten, als Friedrichs Bruder Konrad, der eben aus Palästina heimkehrte, die Stadt befreite (1128). Aber auf die Dauer konnten sich die tapfern Staufen gegen die Uebermacht ihrer Feinde nicht halten und suchten in der satifchen Partei Italiens Bundesgenossen. Ja, Konrad hatte sich selbst in Monza die lombardische Königskrone aufgesetzt, als Papst Houorius II. die beiden Fürstenbrüder in den Bann that. Da wurde der edle Abt Bernhard von Clairvaux der rettende Vermittler; denn nur in der Einigkeit der Fürsten sah er die Möglichkeit eines zweiten Kreuzzugs, für den der fromme Mönch begeistert war. Die Staufen erhielten ihre Herzogtümer zurück, und der Papst sprach sie vom Banne los.
Endlich eilte Lothar, der sich stets von der Kirche abhängig gezeigt, nach Rom und empfing knieend aus der Hand des Papstes die Kaiserkrone. Auch gab ihm derselbe die reichen Mathildischen (Mathilde von Toskana) Güter zu Lehen; der deutsche Kaiser wurde Vasall des Papstes. Kein Wunder, daß die römische Kirche sich allmählich gewöhnte, auch das deutsche Kaisertum als ihr Lehen zu betrachten, das sie willkürlich zu vergeben hatte. Ein Gemälde im Lateran, das Lothar fnieenb vor dem Papste darstellte, hatte eine lateinische Inschrift, die in der Übersetzung lautete: „Der König kommt vor bie Pforte und beschwört zuerst die Rechte der Stadt, dann wird er Lehnsmann des Papstes, aus dessen Hand er die Krone empfängt."
Durch die Aussöhnung der Welfen mit den Staufen, auch durch Unterwerfung der Dänen im Norden, wie der Polen im Osten, war inmitten des Reiches Frieden; aber die Fürsten erhoben immer mehr ihr Haupt- und demgemäß sank die Kaisergewalt. Wieder war es Lothar, der diese Schwächung der Kaiserherrlichkeit auch dadurch herbeiführte, baß er feinem Schwiegersöhne Heinrich betn Stolzen zu Liebe, bas Gesetz erließ: bie Herzogswürbe sollte nicht nur erblich sein, sonbern bie burch Aussterben erlebigten Lehen, welche einst an Kaiser und Reich zurückfielen, sollten nun von den fürstlichen Verwandten geerbt werden. So wurden die Herzogtümer selbständige Fürstengewalten. Im Süden kam das Haus oer Zähringer auf, auch die Württemberger, und ein Gras von Regensburg erhielt das Herzogtum Kärnthen. Thüringen wurde selbständig (1130), als es Ludwig der Springer zu Lehen erhielt, unb bie Wettiner hatten bas Meißner Laub u. ct. Zu bie)er Zeit würbe auch
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ber ©rund zu ber Macht bes anhalt-branbenburgischen Hauses gelegt, indem Lothar bie Markgrafschaft Norbsachsen (heutige Altmark) Albrecht bem Bären, Grafen von Ballenstäbt aus betn Hause Anhalt ober Askanien verlieh. Dieser unterwarf bazu bas Havellaub unb bie Prignitz uub machte Branbenburg zur Hauptstabt bes Laubes.
Noch einmal zog Lothar nach Italien, bem Papste Jnnocenz II. wiber ben Gegenpapst Amitlet II. beizustehen, ben er. vertrieb. Kaum hatte er ben Rückweg nach Deutschland angetreten, als er plötzlich erkrankte unb in einer Hütte bes Dorfes Breitemvang im Oberlechthale starb (3. Dez. 1137). Er würbe in ber Klosterkirche zu Königslutter in Braunschweig bestattet.
Noch auf bem Sterbebette hatte er seinem Schwiegersöhne, Heinrich bem Stolzen, bie Reichsinsignien übergeben, wohl in ber Zuversicht, ihm damit bie beut)che Krone gesichert zu haben, deren Glanz unter seiner Regierung erbleicht war.
3. Konrad III. der erste Hohenstaufe.
(1138 — 1152.)
Der zweite Kreuzzug (1147—1149).
Der Welfenherzog Heinrich ber Stolze war nach bem Tobe bes Kaisers Lothar ber mächtigste Fürst im Deutschen Reiche unb glaubte als Schwiegersohn unb nächster Erbe bes Kaisers ein gutes Recht auf dessen Krone zu haben. Als nun bie Königswitwe Richenza bie Großen des Reichs eiligst nach Quedlinburg berief, Heinrich ben beutscheu Thron zu sichern, zogen bie meisten Fürsten, besonbers bie geistlichen Herren, an ben Rhein unb wählten, eifersüchtig auf ben stolzen Bayernherzog, ben tapfern Schwaben Konrab, ben Hohenstaufen, zum beutscheu König, noch ehe bie Wahl nach altem Recht hätte stctttftnben dürfen. Die Hast ließ mich nnbere Formen übersehen. Nicht alle Stämme waren gekommen und die wenigen nicht an altgewohnter Stätte. Denn in Koblenz wurde Konrab III. erwählt (7. März 1138), ber päpstliche Legat vollzog eiligst zu Aachen bie Krönung, unb Heinrich ber Stolze mußte wohl ober Übel bie Reichskleiuobieu ausliefern, bie ihm ber fterbenbe Lothar übergeben hatte.
DEUTSCHLAND
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Druck von Carl Waltenberg, Berlin SW. 19.
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Entworfen \ uj id Sir H lototvuie 5e zeichnet vuuOtto Herkt, Berlin.
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Voll bitteren Grolls blieb er dem Fürstentage zu Bamberg fern, der die Königswahl Konrads bestätigen sollte, und zu dem späteren Fürstentage in Augsburg kam er mit einem so stark bewaffneten Gefolge, daß der König voller Furcht die Stadt verließ. Doch that er den ungehorsamen Reichsfürsten in die Acht und nahm ihm zunächst das Herzogtum Sachsen, da es gegen deutsches Recht sei, daß ein Fürst zwei Herzogtümer habe. Er gab es Markgraf Albrecht dem Askanier,
wegen seines Wappenbildes der Bär genannt. Letzterer war gleich Heinrich dem Stolzen, ein Enkel des tapfern Sachsenherzogs Magnus, des Billungers, welcher einst in harter Fehde Heinrich IV. unterlag.
Der stolze Bayernherzog war nicht der Mann, sich Sachsen gutwillig nehmen zu lassen; er wappnete sich in offener Empörung gegen den König, und der Partei- und Schlachtenruf: „Hie Welf, hie Waiblinger!" sollte von jetzt an Jahrhunderte lang die deutschen Lande bewegen.
Albrecht der Bär säumte nicht, die sächsischen Burgen zu besetzen, und Heinrich der Stolze, mit den Zähringern verbündet, überzog die Besitzungen der Hohenstaufen mit Krieg. Aber er unterlag, und Konrad III. hielt sich für berechtigt, ihm auch das Herzogtum Bayern zu nehmen, das er seinem Stiefbruder, dem Markgrafen Leopold von Oesterreich gab.
Beide, Welfen und Hohenstaufen, rüsteten sich nun mit erneuter Kraft, und Heinrich der Stolze fand viele Anhänger im Reiche, die Konrads ungerechtes Vorgehen mißbilligten und gleiche Willkür fürchteten. Doch Erzbischof Adalbert von Trier suchte zu vermitteln; es wurde ein Waffenstillstand geschlossen, den der plötzliche Tod des Welfenherzogs Heinrich beendete. Er starb im acht und dreißigsten Lebensjahre (1139) und hinterließ einen zehnjährigen Sohn, der einen ehrenvollen Namen in der Geschichte trägt: Heinrich der Löwe.
Für den minderjährigen Knaben traten seine Großmutter Richenza und seine Mutter Gertrud tapfer in die Schranken, so daß sie das Herzogtum Sachsen für ihn zu behaupten wußten, während der Bruder des verstorbenen Herzogs Heinrich, Welf VI., Ansprüche auf Bayern erhob und zunächst Leopold von Oesterreich vertrieb. Trotz aller Tapferkeit vermochte Welf die Stadt Weinsberg nicht gegen Konrad III. zu halten. Ueber den hartnäckigen Widerstand erbittert, hatte Konrad der Stadt völlige Vernichtung geschworen; nur die Frauen sollten freien Abzug haben und ihr Kostbarstes mit sich nehmen dürfen.
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Siehe, da zogen Frauen und Jungfrauen durch das geöffnete Stadtthor, ihre Männer und Brüder aus dem Rücken. König Konrad lachte dazu; aber die Seinen wollten die List nicht gelten lassen. Doch Konrad sagte: „Eines Königs Wort soll man nicht drehn und deuteln."
So wurden die Männer der Stadt Weinsberg durch die Frauen gerettet, und die Weibertreue von Weinsberg wurde sprüchwörtlich bis auf diesen Tag. Zum Andenken daran heißt auch die Burg vou Weiusberg „Weibertreue".
Bald nach Heinrich dem Stolzen starb auch Leopold von Oesterreich, und der König verlieh das erledigte Herzogtum Bayern an dessen Bruder Heinrich mit dem seltsamen Beinamen „Jasomirgott" (1141), so genannt nach seiner gewohnten Beteurung „Ja so mir Gott helfe". Er hatte sich mit Heinrichs des Stolzen Witwe vermählt und war dadurch der Stiefvater Heinrich des Löwen geworden, dem Konrad III. Sachsen zurückgegeben hatte. Nur ein kleiner Theil, die Nordmark, durfte Albrecht der Bär behalten (1142), der sich jetzt Markgraf von Brandenburg nannte. Die Fehden zwischen Welsen und Hohenstaufen schienen auf diese Weise nach siebenjährigem Kampfe für Deutschland friedlich gelöst zu sein. Um so mehr gewannen die Anfeindungen in Lothringen und Burgund, dann weiter in Italien an Ausdehnung, wo
sich die Päpste der Welfenpartei anschlossen, so daß man die Freunde
des Papstes bald mit dem gemeinsamen Namen Guelsen (Welsen), die kaiserliche Partei Ghibelinen (Waiblinger) nannte.
Das Ansehen der deutschen Könige in Italien war besonders seit Lothar nur einem Schatten gleich. Die Einzelmächte und Großstädte befehdeten sich unter einander und waren nur alle einig in: Haß
gegen die deutsche Herrschaft. Dazu stiftete zu Rom ein Mönch,
Arnold von Brescia, Aufruhr gegen die Geistlichkeit, von der er verlangte, daß sie allem weltlichen Besitz entsagen und sich mit den freiwilligen Opfern und Gaben frommer Christen begnügen sollte. Inmitten aller Wirren riefen die Italiener den deutschen König zu Hülfe und boten ihm Rom als Hauptstadt an. Aber Konrad den Dritten gelüstete so wenig nach der ewigen Stadt, daß er sich nicht einmal dort zum deutschen Kaiser krönen ließ.
Zu dieser Zeit predigte der Abt Bernhard von Clairvaux einen zweiten Kreuzzug, da dem neuen Königreiche Jerusalem der Untergang drohte. Schon Balduin, der erste König von Jerusalem, hätte die heiligen Stätten Palästinas nicht halten können, wenn ihm
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nicht unausgesetzt Hülfe aus dem Abendlande gekommen wäre. Selbst ein neues Heer von Kreuzfahrern war inzwischen unter Welf IV. von Bayern nach dem Morgenlande gekommen (1102), aber durch die Treulosigkeit der Wegweiser völlig untergegangen. Durch reiche Unterstützungen, welche Handelsflotten italienischer Seestädte brachten, vermochte Balduin die Herrschaft des neuen Königreichs auszudehnen. Auch sein Nachfolger, Balduin II., hätte noch weitere Erfolge erlangen mögen, wenn nicht die Verschiedenheit der Völkerschaften und Fürsten, die sich hier zusammenfanden, von vorn herein jede friedliche Einheit ausgeschlossen hätten. Diese Uneinigkeit machte sich besonders unter Balduins Schwiegersohn und Nachfolger, Fulco von Anjou, geltend, und als dessen unmündiger Sohn, Balduin III., König von Jerusalem wurde, eroberte ein mächtiger Türkenfürst, der Sultan Zenki, die Feste Edessa und alle fränkischen Besitzungen am linken Ufer des Euphrat (1144). Zwar kam Edessa noch einmal in die Hände der Christen; aber das Königreich Jerusalem war kaum mehr als ein leerer Name; denn bald zog die Schreckenskunde von Edessas völliger Zerstörung durch Europa (1147Die Christen, welche nicht durch das Schwert umgekommen waren, wurden von den Türken als Sklaven verkauft.
Die Begeisterung des ersten Kreuzzugs war längst dahin, als sich König Ludwig VII. von Frankreich zuerst bereit machte, Palästina wieder zu erobern. Er hatte einen ungerechten Krieg geführt, und durch seine Schuld waren allein bei einem Brande der Kirche zu Vitry 1300 Menschen umgekommen. Nun sollte der Kreuzzug seine Schuld sühnen. Während Frankreich rüstete, zog Bernhard durch Deutschland, um auch hier Kämpfer für den heiligen Krieg zn werben. Die Fürsten sollten ihre Waffen gegen den Feind Christi schärfen, so predigte er, in Palästina biete selbst der Tod das ewige Leben dar.
Konrad III. begegnete zwar dem würdigen Abte mit größter Ehrfurcht, so daß er einst den alten, schwachen Mann aus dem Gedränge einer Versammlung selbst hinaus trug, aber lange Zeit hindurch war er nicht zu einer Kreuzfahrt nach Palästina zu bewegen. Noch einmal sprach der Abt voll Feuereifer im Dome zu Speyer vor Konrad, wie Gott Rechenschaft von ihm fordern würde, wenn er sich nicht an dem heiligen Kriege beteilige, er, der Gott so unendlich viele Wohlthaten zn danken habe. „Ja, ich erkenne die großen Wohlthaten Gottes," rief Konrad, „ich will nicht länger undankbar sein. Ich bin bereit, ihm zu dienen, weil er mich selbst dazu ermahnt."
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Sogleich überreichte ihm Bernhard das Kreuz und eine Fahne als verheißungsvolles Siegeszeichen gegen die Ungläubigen. Auch viele deutsche Fürsten ließen alle Fehde ruhen und schlossen sich dem königlichen Zuge an, darunter Konrads Neffe, Friedrich III. von Schwaben (Friedrich I. Barbarossa). Heinrich der Löwe, Albrecht der Bär, der Zähringer Herzog nnd die sächsischen Fürsten, die keine Lust hatten, nach dem fernen Orient zu ziehen, meinten, daß noch genug Heiden im Vaterlande wären; gegen diese wollten sie kämpfen, und wirklich
gelang es ihnen, die heidnischen Wenden zu bekehren (1148).
Konrad III., der sich zuvor von allen deutschen Fürsten den Landfrieden hatte beschwören lassen und seinen kleinen Sohn Heinrich als
König bestellt hatte (1147), war mit 70,000 geharnischten Rittern
und 20,000 Mann Fußvolk ausgezogen, fand aber auf dem weiten Wege viel Mißgeschick. Zuerst wehrte ihm der König von Ungarn den Durchzug, und in Griechenland erfuhren die Kreuzfahrer gleiches Geschick. Als sie endlich nach langen Unterhandlungen und Beschwerden nach Kleinasien übergeschifft waren, verschlossen die Städte dort ihre Thore vor den Völkermassen des Abendlandes, denen sie höchstens
schlechte Lebensrnittel an Stricken über die Mauer hinabließen, nachdem sie das Geld dafür zuvor emporgezogen hatten. Von treulosen Führern verlassen, von den feindlichen Sarazenen umschwärmt, zog das Christenheer in wüster, wasserloser Gegend unter den furchtbarsten Beschwerden vorwärts, ohne nur den rechten Weg zu wissen. Endlich kam Konrad, selbst von zwei feindlichen Geschossen verwundet, mit 7000 Männern, dem Rest seines Heeres, nach Nicäa zurück und fand bei dem ihm verwandten griechischen Kaiser in Konstantinopel freundliche Aufnahme und Erholung.
Während das herrliche deutsche Heer ein so trauriges Ende gefunden hatte, ohne das ersehnte Ziel zu erreichen, zog auch der König von Frankreich mit 60,000 streitbaren Männern über Konstantiuopel dem gelobten Lande zu. Doch das französische Heer hatte das Geschick der deutschen Kreuzfahrer, und nur Konrad III. und Ludwig VII. zogen, zwei königliche Pilger, mit wenigen Getreuen nach Palästina, dort die heiligen Orte aufzusuchen.
Nach erster Beratung mit Balduin III. und andern Fürsten wurde der Versuch gewagt, die Stadt Damaskus durch gemeinsame Belagerung zu gewinnen. Bald berichtete man von der deutschen Tapferkeit Wunderdinge, und die Sage bemächtigte sich ihrer Helden-
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thaten. Von Konrad wußte man, daß er mit einem einzigen Schwertstreich einen Muselmann in zwei Hälften gespalten habe. Aber die Treulosigkeit der orientalischen Christen machten alle Erfolge zu nichte. Des unnötigen Kämpfens müde, zogen Deutsche und Franzosen (1148) unverrichteter Sache in die Heimat zurück, nachdem 200,000 Menschen der Idee eines zweiten Kreuzzuges geopfert worden waren. Die allgemeine Unzufriedenheit über dieses Mißlingen wandte sich gegen den Papst und seinen Gesandten, den Abt Bernhard, der alle Schuld des unglücklichen Ausgangs in den Sünden, in der Uneinigkeit der Kreuzfahrer fand und damit nicht ganz Unrecht hatte.
Als kranker Mann kehrte Konrad III. nach Deutschland zurück, wo ihn neue Anfeindungen der Welfen erwarteten. Trotzig erhob sich der junge Sachsenherzog Heinrich (der Löwe), alte Ansprüche geltend Zu machen, und eben rüstete sich Konrad, ihn zu demütigen, als der Tod ihm das Schwert aus der Hand nahm. Er starb zu Bamberg (15. Febr. 1152), nachdem er seinem Neffen, Friedrich von Schwaben (Barbarossa), die Reichskleinodien übergeben und ihn zum Vormuud seines siebenjährigen Sohnes bestimmt hatte.
4. Friedrich I. Barbarossa.
(1152 — 1190.)
Kein Widerspruch wurde laut, als die deutschen Reichsfürsten den tapfern Neffen und Waffengefährten des Heimgegangenen Kaisers zum deutschen König erwählten (15. März 1152). Wenige Tage später
weihte und krönte ihn Erzbischof Arnold von Köln in der alten Kaiser-
jtadt Aachen als Friedrich I. zum deutschen Herrscher.
Hoher Wuchs, blaue Augen, blendend weiße Hautfarbe und blondes Haar ließen in ihm den Germanen erkennen, und die Südländer, besonders die Italiener, nannten ihn wegen seines langen, rotblonden Bartes Friedrich Barbarossa (Rotbart).
Das deutsche Volk jubelte dem jugendlichen Herrn entgegen, als er, 31 Jahre alt, den Königsthron bestieg; denn Friedrich war als ritterlicher Held bekannt und gerühmt. Aber so furchtbar er den Feinden entgegen trat, eben so mild und barmherzig begegnete er dem Elend.
Deutsches Recht und Gesetz zu pflegen, hielt er für seine höchste
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Königspflicht, und niemand schien geeigneter, die Streitigkeiten im Innern des deutschen Vaterlandes, besonders zwischen Welfen und Hohenstaufen auszugleichen, als Friedrich, da er durch seine Mutter, einer Schwester Heinrichs des Stolzen von Bayern, Vetter Heinrichs des Löwen und Neffe des Bayernherzogs Welf war.
Zunächst suchte er viele unzufriedene Fürsten durch Schenkungen zu gewinnen. Es gelang ihm das besonders bei Heinrich dem Löwen durch die Rückgabe, Bayerns, das er dem ungehorsamen Heinrich Jasomirgott nahm, so daß jetzt Sachsen und Bayern wieder in der Hand eines Fürsten vereinigt waren.
Durch den Besitz von Sachsen und das dazu gewährte Belehnungsrecht der darau grenzenden Bistümer im Wendenland war Heinrich dem Löwen die Möglichkeit geboten, seine Besitzungen auszubreiten und dadurch eine Macht zu gewinnen, die der deutschen Krone recht unbequem werden sollte.
Gleichwie in Karl dem Großen lebte in Friedrich I. eine rege Vorstellung von der Machtfülle des römischen Kaisertums, das sich im deutschen Reiche erneuern sollte. Schon darum richtete er seinen Blick nach Italien, das einst des alten Römerreiches Herrlichkeit geschaut, aber unter den letzten Kaisern des „heiligen römischen Reiches deutscher Nation" sich Deutschland entfremdet hatte. Die durch Handel und Gewerbfleiß reichen Städte geberdeten sich wie selbständige Republiken, welche sich längst entwöhnt hatten, den deutschen Kaiser als ihren Oberherrn anzusehen. Das mächtige Mailaud verletzte selbst freventlich die Rechte der Nachbarstädte. Lodi und Como, welche nach jahrelangem Kriege von Mailand unterjocht worden waren, wandten sick-endlich Hülfe flehend an Friedrich, als er zu Konstanz ein Heer sammelte, um mit dessen Hülfe seine Rechte in Italien geltend zu machen. Er sandte Boten nach Mailand, die in seinem Namen das Recht der Unterdrückten fordern sollten. Aber die Gesandten entgingen kaum der Volkswut; das königliche Schreiben wurde zerrissen und in den Staub getreten (1154).
Nun brach Friedrich Barbarossa mit einem großen Heere auf, diese Schmach zu rächen und die Italiener daran zu erinnern, daß noch eine Königsgewalt über ihnen stehe. In der Ebene von Piacenza ließ er seinen Schild an einen Baum heften, den italischen Vasallen zum Zeichen, sich nach alter Sitte zur Huldigung einzufinden und den
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Wachtdienst vor seinem Zelte zu leisten. Den Ungehorsamen aber ließ er drohen, daß er ihre Lehen anderweitig vergeben würde.
Auch alle, die zu klagen hatten, sollten hier ihre Beschwerden anbringen. Da klagten Grafen und Bischöfe über die Städte, besonders über Mailand, das eben Boten an Friedrich sandte, ihm 4000 Mark Silber anzubieten, wenn er die angemaßten Rechte bestätigen wollte. Empört wies der König solches Begehren zurück, da er gekommen sei, das Recht zu schützen, das niemals für Geld feil sein könne.
Viele Städte öffneten dein königlichen Herrn freiwillig die Thore, andere wurden im Sturm genommen. Die mailändische Bundesstadt Tortona wurde nach monatelanger Belagerung so grausam zerstört, daß die Kunde von dem Zorn Barbarossas erschreckend durch Italien zog, während er sich zu Pavia die lombardische Krone aufs Haupt setzte (1155).
Doch sollte er neben den Städten einen eben so mächtigen Feind in dem Papst finden, der sich mit jenen verbündete, und ausgeprägter als je zuvor entbrannte in Italien der Kampf zwischen Guelfen und Ghibellinen, zwischen dem päpstlichen Stuhl und seinen Verbündeten gegen das mächtige Haus der Hohenstaufen und seine ritterlichen Anhänger. Dazu stand an der Spitze des römischen Senats der Geistliche Arnold von Brescia und diktierte Gesetze, um die römische Volksgemeinde nach alten Vorbildern zu regieren. Er strebte ähnlichen Zielen entgegen wie Friedrich Barbarossa, nur aus anderen, meist unklug gewählten Wegen. Er sprach der Geistlichkeit alle weltlichen Rechte ab und redete von einer Majestät des Römervolkes, das sich seinen König selber zu wählen habe. In solchem Sinne forderte er Friedrich I. auf, als Herrscher Italiens von Rom Besitz zu nehmen; aber dieser wollte nicht Kaiser von Volkes Gnaden sein und ließ das Anerbieten unbeachtet.
Im Taumel der neuen Freiheit vertrieb die Volkspartei den Papst Hadrian, der den Senat und die Regierung des „gottbegeisterten Propheten" nicht anerkennen wollte. Die Empörer traf nunmehr Bann und Interdikt. In der ewigen Stadt läuteten keine Glocken, kein Sakrament wurde gespendet, und die Toten fanden keine geweihte Ruhestätte. Das geängstete Volk flehte beim Papst um Gnade; er ließ sich aber erst willig finden, als die Römer den Empörer Arnold ans der Stadt verbannt hatten. Dann mußte Friedrich Barbarossa ihn in seine Hände liefern, denn eher wollte Hadrian von einer Kaiserkrönung nichts wissen. Erst, nachdem Arnold von Brescia seinen Tod auf dem (Scheiterhaufen gefunden und der Papst mit königlicher Pracht seinen Einzug in den
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Lateran gehalten hatte, kam er in das kaiserliche Lager nach Sutri, fand sich aber von dem Empfange sehr enttäuscht, weil Friedrich Barbarossa ihm nicht den Steigbügel hielt, rote das Kaiser Lothar gethan hatte. Hadrian machte seinem kaiserlichen Wirte bittere Vorwürfe, daß er die Ehrfurcht gegen die Kirche also vernachlässige, und der Kaiser sprach dagegen von einer Versäumnis, die nichts zu bedeuten habe. Erst auf Bitten der Fürsten, sich nicht mit dem Papst zu überwerfen, hielt Friedrich Barbarossa dem Nachfolger Petri bei seiner Abreise stolz lächelnd den Steigbügel mit den Worten: „Ich werde es nur ungeschickt machen, da ich noch nie Stallknecht gewesen bin."
Nun sandten die Römer, keck geworden durch die Fügsamkeit Friedrichs, eine Botschaft, daß sie ihn gegen Bezahlung von 5000 Pfund Silber zum Kaiser machen wollten, wenn er ihnen verspräche, die neuen Einrichtungen ihrer Verwaltung bestehen zu lassen, welche Arnold von Brescia zum größten Teil geordnet hatte. „Ich kann nicht genug erstaunen," so antwortete ihnen Friedrich nach dem Berichte des gelehrten Bischofs Otto von Freising, „daß eure Reden so gar nichts von der gepriesenen altrömischen Weisheit enthalten, daß sie nur angefüllt sind mit dem abgeschmackten Schwulst thörichter Anmaßung. Vergeblich erhebt ihr die ehemalige Würde und Herrlichkeit Roms; nicht allein die Herrschaft ist an die Deutschen übergegangen, sondern auch ihre Tugenden. Darum regieren deutsche Könige, ratschlagen deutsche Fürsten für euch, und deutsche Ritter treten für euch in den Kampf. Ich komme nicht, um von euch zu empfangen, nur um euch vor innerem und äußerem Streit zu retten. Ich komme als ein Glücklicher zu Elenden, ein Starker zu Schwachen, ein Sicherer zu Geängsteten" . . .
Solche Antwort erschreckte die Gesandten, und die Römer mochten sich auch wenig Gutes von Friedrich Barbarossa versprechen. Dieser ließ in der Nacht vor dem zur Krönung bestimmten Tage die Peterskirche heimlich durch 1000 Mann seiner besten Truppen besetzen, um erst dann mit dem Papste in Begleitung seines ganzen Heeres in Rom einzuziehen, das Zeuge seiner Kaiserkrönung sein sollte, welche der Papst cm 18. Juni 1155 vollzog.
Der Senat auf dem Kapitol vernahm voll Ingrimm, daß der Kaiser nicht zuvor die Rechte der Stadt beschworen habe, und eine wilde Volksmenge drang in das deutsche Lager, erlitt aber eine schwere Niederlage, die besonders durch die Tapferkeit Heinrich des Löwen herbeigeführt worden war. Ihm wischte der Kaiser eigenhändig das
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hervorströmende Blut aus dem Antlitz mit dem zärtlichen Dankeswort: „Heinrich, ich gedenke Dir's!" Und zu den Seinen gewandt, meinte er: „So haben wir den Wunsch der Römer erfüllt und das Kaisertum erkauft, nicht mit Geld, aber nach deutscher Sitte mit dem Schwerte."
Ehe Friedrich nach Deutschland zurückkehrte, ließ er das schmachvolle Bild im Lateran verbrennen, das spottend rühmte, wie Lothar „die deutsche Kaiserkrone demütig vom Papste" empfing. Denn Friedrich Barbarossa war sich voll bewußt, die deutsche Kaiserkrone nicht vom Papste, sondern von Gottes Gnaden zu Lehen zu tragen, um gleich Karl dem Großen sein Kaiseramt in heiliger Pflichterfüllung zu verwalten.
In Deutschland galt es zunächst, der Fehdelust und manchen Auswüchsen des Rittertums zu wehren, das in dem ungebundenen Leben der Kreuzzüge vielfach zum Raubrittertum geworden war. Stegreif nannten es die Herren, wenn sie von ihren sicheren Burgen aus Wegelagerer an den Landstraßen wurden und ihre Feinde oder reisende Kaufleute überfielen, ausplünderten und erst gegen ein teures Lösegeld freigaben.
Der Kaiser zog zunächst den Rhein entlang und zerstörte die festen Burgen der ritterlichen Räuber, unter denen auch die Bewohner des flachen Landes, die Bauern und Hörigen, so schwer litten, daß sie sich lieber Bürgerrecht in den Städten erwarben und „Pfahlbürger" wurden.
Die Streitigkeiten der großen Herren schienen ebenfalls gütlich beigelegt zu sein, als Heinrich Jasomirgott freiwillig auf das Heinrich dem Löwen verliehene Bayern verzichtete und dafür seine Markgrafschaft Oesterreich als erbliches Herzogtum erhielt.
Der Kaiser selbst vermehrte die eigenen Besitzungen durch seine Vermählung mit der reichen Beatrix von Burgund und konnte dadurch dem deutschen Kaisertum mehr äußeren Glanz verleihen, als bisher. Gleichwie zu Karls des Großen Zeiten kamen aus fernen Landen Fürsten und Gesandte zu den Hof- und Reichstagen Friedrich Barbarossas, ihm ihre Huldigung darzubringen. So versicherte der Gesandte des englischen Königs bei Ueberreichung kostbarer Geschenke im Namen seines Herrn, daß England und alles was dazu gehöre, nach des Kaisers Wunsch eingerichtet werden und ihm als dem Größeren der Wille des Königs zum Gehorsam nicht fehlen solle.
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Das alles sah der Papst mit eifersüchtigen und mißtrauischen Blicken. Er schickte zu einem Reichstage nach Besaneon zwei Gesandte mit einem Schreiben, in dem er die Erteilung der Kaiserwürde ein päpstliches Beneficium nannte, ein Wort, das zu jener Zeit gleichbedeutend mit „Lehen" war. Als sich darüber allgemeine Entrüstung erhob, rief der Kardinal Roland (spater Papst Alexander III.): „Von wem hat denn der Kaiser das Reich, wenn nicht vom Papste?"
Da riß Otto von Wittelsbach sein Schwert aus der Scheide, und dem kecken Priester wären seine Worte übel bekommen, wenn nicht Kaiser Friedrich den Frieden vermittelt hätte. Ein langer Briefwechsel zwischen Kaiser und Papst legte diesen Streit endgültig bei.
Indessen hatten sich die lombardischen Städte, besonders Mailand, wieder trotzig erhoben, und Friedrich Barbarossa sah sich wiederum gezwungen, mit großer Heeresmacht über die Alpen zu ziehen. Er selbst führte das Hauptheer der Franken, Bayern und Schwaben über den Brenner durch das Etschthal ohne Schwertstreich bis Verona. Heinrich der Löwe führte die Sachsen herbei. Auch die kaiserlich gesinnten Städte Italiens sandten ihre Vasallen und Mannen, so daß Friedrich mit einem Heere von 100,000 Mann Fußvolk und 15,000 Reitern den widerspenstigen Städten entgegentreten konnte, die sich zunächst schon aus Furcht vor solcher Uebermacht demütig unterwarfen. Nur Mailand widerstand lange in keckem Trotze, bis es sich endlich dem Hunger fügen mußte.
Da kamen die abgezehrten Gestalten, voran der Erzbischof, die Stiftsherrn und die Geistlichkeit mit Kreuzen und Weihrauchfässern, zwölf Bürgermeister und der Adel der Stadt, alle barfuß und in Lumpen gehüllt, als Zeichen demütiger Unterwerfung das bloße Schwert um den Hals gehangen, in das Lager des Kaisers, der, auf hohem Throne sitzend, tief gerührt Gnade vor Recht ergehen ließ, als die stolzen Mailänder vor ihm im Staube knieten.
„Ich herrsche lieber über Willige als Gezwungene, ich belohne lieber, als daß ich strafe; aber niemand soll vergessen, daß ich eher durch Gehorsam, als durch Krieg zu besiegen bin." So und noch Weiteres sprach der Kaiser und tröstete die so tief Gedemütigten. Den Erzbischof ließ er neben sich sitzen, nachdem er ihm den Friedenskuß gegeben hatte.
Mailand verpflichtete sich, 9000 Mark Silber zu zahlen, dem Kaiser in den Mauern der Stadt eine Pfalz zu bauen, die städtischen
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Konsuln von ihm bestätigen zu lassen, ihm alle Hoheitsrechte willig zurückzugeben, besonders auf die angemaßten Regalien zu verzichten und Friede mit den Nachbarstädten zu halten. Die kaiserlichen Rechte ließ Friedrich Barbarossa auf einem Reichstage (roncalischen) von 28 Abgeordneten ans 14 Städten feststellen, wonach er in allen italischen Städten die Obrigkeit einzusetzen, alle Steuern, zusammen 30,000 Pfund Silber, zu bestimmen hatte und das Recht über alle Lehen behielt.
Friedrich I. stand jetzt in der vollen Glorie seiner Kaisermacht. Zu Monza hatte er sich alter Sitte gemäß die italische Königskrone aufs Haupt gesetzt, und er durfte glauben, so des alten Römerreiches Herrlichkeit an die deutsche Krone gebunden zu haben. Schmeichler nannten ihn „den Herrn der Welt."
Weil aber die Friedensbedingungen und Bestimmungen Friedrichs, den alten römischen Verhältnissen entlehnt, alt geheiligte Rechte Mailands verletzten, das sogar kühn behauptete, zwar die kaiserlichen Anordnungen beschworen zu haben, aber nicht, sie zu halten, zog der Kaiser zu einem neuen Strafgericht nach Italien (1160). Dort war Papst Hadrian IV. gestorben, und der durch die normannische Partei Italiens gewählte Papst Alexander III. (Kardinal Roland) stand dem vom Kaiser bestimmten Papst Viktor IV. gegenüber. Er bestärkte die Mailänder in ihrem Widerstand gegen den Kaiser.
Dieser schwur, nicht eher die Krone wieder aufs Haupt zu setzen als bis er Mailand dem Erdboden gleich gemacht habe. Zwei Jahre lang leistete die Königin der Städte tapfern Widerstand, während alle Nachbarstädte sich schon unterworfen hatten. Endlich wurden wiederum der Hunger und die Zwietracht der Mailänder die besten Bundesgenossen der Deutschen. Mailand hatte dieses Mal vergeblich auf die Milde und Gnade Friedrich Barbarossas gehofft. Durch ein langsames uud schmähliches Vernichten sollte die herrliche Stadt untergehen, so hatte der Kaiser beschlossen. Zuerst mußten acht mailändische Konsuln und acht Ritter in das kaiserliche Lager nach Lodi kommen und, das Schwert auf dem Nacken, den Eid der Treue schwören (1162). Vier-Tage später hatten 300 Abgeordnete der Stadt die Schlüssel aller Burgen und der Stadtthore auszuliefern. Das schwerste Strafgericht kam zuletzt. Alle Bewohner der Stadt, in hundert Scharen geteilt, mußten mit Stricken um den Hals vor den Kaiser kommen. Asche hatten sie auf ihr Haupt gestreut, dazu trugen sie Kruzifixe in den Händen. So zogen die Scharen totenstill am Throne des Kaisers
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unb seiner Gemahlin vorüber. Nnn kam bas Heiligtnm Mailanbs,
ber (Saroccio*). Lautlos senkte sich ber Mast bes schiffartigen Wagens;
bann ertönten noch einmal bie bethen Silberposaunen ber Stabt; wenige Minuten, unb ber Siegeswagen lag in Trümmern zerschlagen vor aller Augen. Saut weinenb stürzten bie Mailänber vor bem gewaltigen Herrn unb Kaiser ©nabe flehenb auf bie Kniee. Er blieb unbeweglich. Mailanb sollte von bem Erbboben verschwinben. Nicht burch ein Thor, sonbern burch eine gebrochene Mauerlücke mußten bie Besiegten ihre Stabt verlassen, um sich nach ben vier Himmelsrichtungen hin in vier verschobenen Orten anznsiebeln. Sechs Tage später war Mailanb keine Stabt mehr; bie feinblichen Nachbarstäbte hatten die menschenleere Stabt zerstören bitrfen. Der Pflug ging über bie wüste Stätte, unb in bie Furchen würbe Salz gestreut, zum Zeichen, daß sie unfruchtbar sein sollte für alle Zeiten. Nur bie Kirchen unb Paläste wie bie Kunstwerke hatte ber Kaiser verschonen lassen.
Dieses entsetzliche Strafgericht hatte auch im übrigen Italien viel
Erbitterung erregt, bie noch burch bie harten Bebrückungen ber kaiser-
lichen Statthalter vermehrt würbe, unb bie gemeinsame Not verbanb die lombarbischen Stäbte miteiimnber. Auch Papst Alexanber unterstützte biesen Stäbtebunb, an bessen Spitze sich Verona gestellt hatte, von Frankreich aus, wohin er hatte fliehen müssen, als Friebrich Barbarossa zum vierten Male nach Italien gekommen war (1166). Ohne Schwertstreich war Rom, bas zum großen Teile in Flammen aufging, in Friebrichs Hänbe gefallen, unb balb war ber beutfche Kaiser Herr ganz Italiens. Dennoch mußte er einem mächtigen Feinbe weichen; bie Pest streckte täglich ganze Reihen ber Tapferen nieber. Wer eben auf bas Pferb steigen wollte, stürzte tot hin, unb bie ihre Toten begruben, sanken willenlos mit in bie Grube, 25,000 Deutsche, unter ihnen viele Fürsten unb Eble, fanben so ihren Tob in Italien, unb ber Kaiser beeilte sich, bem Tobeshauch ber Seuche zu entrinnen Er würbe aber selbst einem Morbanschlage zum Opfer gefallen sein, wenn ihn nicht bie Treue eines Ritters, Hartmann von Siebeneichen, gerettet hätte. Die Zeitgenossen, besonbers bie päpstlich Gesinnten, wollten in solchem Geschick bas Strafgericht Gottes sehen. Sich selbst
*) Palladium der Stadt, ein roter Wagen, auf dem sich ein eiserner Baum mit eisernen Blättern erhob. Auf der Spitze des Baumes befand sich ein großes Kreuz, au dessen Vorderseite der Schutzheilige Mailands, der hl. Ambrosius abgebildet war.
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aber in dem Andenken Karls des Großen, seines erhabenen Vorbildes, aufznrichten, ließ Kaiser Friedrich zu Aachen die Gebeine des großen Frankenkaisers im prachtvollen Sarge ausstellen, ihn selbst aber heilig sprechen (1165).
Wiederum erhoben die lombardischen Städte kühn ihr Haupt. Mailand erstand aus der Asche, und an seinen Thoren kündeten Schmäh-säulen von dem Unglück der Deutschen in Italien. Dem Kaiser zum Hohn hatten die lombardischen Städte in der Ebene von Pavia eine starke Festung gebaut und zu Ehren des Papstes Alessandria genannt. Da rüstete Friedrich Barbarossa zum fünften Male ein Heer (1174), um Italien endlich zu besiegen; doch wiederum sollte das Land nur ein Grab vieler Deutschen werden.
Sieben Monate lang belagerte Friedrich die starke Feste Alessandria. Es war Winter, und der unaufhörliche Regen hatte die kaiserlichen Truppen zu keinem nennenswerten Erfolge kommen lassen, als die Schreckenskunde von dem Heranrücken eines großen Lombardenheeres jede Siegeshoffnung nahm. Denn Krankheit und Tod hatten unter den Deutschen reiche Ernte gehalten, und die erschöpften Truppen suchten ihr Heil in der Flucht. Ihr Lager gaben sie den Flammen preis.
Noch hoffte Friedrich Barbarossa, daß die deutschen Fürsten, welche er zu sich entboten hatte, ihm Hülfe leisten sollten, besonders meinte er sich Heinrich den Löwen verpflichtet zu haben. Aber gerade er versagte seinem kaiserlichen Herrn unter allerlei Ausflüchten die Pflicht der Heeresfolge. Er war selbst zu mächtig und darum voll Uebermut geworden. „Von der Elbe bis zum Rhein, von dem Harze bis zur See ist mein", so hatte der stolze Herzog gerühmt, und der eherne Löwe, den er vor der Burg zu Braunschweig aufgerichtet hatte, mochte nur ein Symbol dieses Stolzes sein, in dem er kühn die Rechte anderer Fürsten verletzte und sie befehdete. Daß der Kaiser ihm darum den Landfrieden geboten hatte, nahm Heinrich als persönliche Beleidigung auf. In nächster Bedrängnis bat Friedrich Barbarossa den trotzigen Vasallen um eine Zusammenkunft in Partenkirchen. Er kam, aber alle Bitten des Kaisers, um der Ehre des Reichs willen mit ihm gegen die lombardischen Städte zu ziehen, fanden bei Heinrich kein Gehör. Als nun Friedrich Barbarossa den Bayernherzog sogar fußfällig um Hülfe bat, und dieser sich von seinem kaiserlichen Herrn abwandte, trat die Kaiserin zu ihrem Gemahl und sprach: „Stehet auf, lieber Herr!
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Ihr werdet einst dieses Tages und des Hochmuts denken, und Gott wird euch helfen!"
Der Kaiser erlitt bei Legnano am Ticino eine völlige Niederlage (29. Mai 1176). Schon war er selbst bis zur Mitte des feindlichen Heeres vorgedrungen, wo das neu erstandene Carroccio über der Menge emporragte, als die „Schar des Todes", 900 Jünglinge, die sich verschworen hatten, Mailands Palladium zu schützen, auf die Kaiserlichen eindrangen. Der Kaiser selbst verschwand im Getümmel; die Seinen glaubten ihn gefallen und flohen in wilder Hast. Schon trug die Kaiserin Trauergewänder, als Friedrich bei ihr eintraf. Da er seinen Feinden nicht gewachsen war, suchte er zunächst Frieden mit dem Papst Alexander, schloß dann einen sechsjährigen Waffenstillstand mit den lombardischen Städten, einen fünfjährigen mit König Wilhelm II. von Neapel, und, umgeben von geistlichen und weltlichen Größen, zog er dann nach Venedig, wo ihn der Papst am Eingang der Markuskirche erwartete. Der deutsche Kaiser warf seinen Mantel von sich, fiel vor dem Kirchenfürsten nieder und küßte ihm die Füße. Alexander grüßte ihn dagegen mit dem apostolischen Friedenskusse. In der Kirche empfing Friedrich unter feierlichem Tedeum den päpstlichen Segen und schritt nach dem Gottesdienste neben dem reichgeschmückten Zelte des hl. Vaters, ihm demütig den Steigbügel haltend. Der deutsche Kaiser hatte sich der Macht der römischen Kirche gebeugt, und die lombardischen Städte waren zu früherer Kraft erstarkt.
Was Heinrich der Löwe an Kaiser und Reich gefehlt, daß er außerdem als einziger deutscher Fürst gegen die Königswahl des fünfjährigen Sohnes Friedrich Barbarossas stimmte, blieb ihm unvergessen, und die Spaltung zwischen Gneisen und Ghibellinen wurde noch größer, als der Kaiser die Erbgüter des alten, schwelgerischen Herzogs Welf VI. in Schwaben uni) Bayern durch Erbvertag an sich brachte, welche dieser einst Heinrich dem Löwen für Geld angeboten hatte.
Aeußerlich mochte sich die kaiserliche Macht durch diesen Kauf vergrößert haben, im Grunde hatte der fünfte Römerzug mit seinen traurigen Erfolgen alles zu nichte gemacht, was Friedrich Barbarossa durch viele Opfer erkämpft hatte. Bei seiner Rückkehr in die Heimat erklärte der Kaiser Heinrich den Löwen nach wiederholter, aber vergeblicher Ladung zum Fürstengerichte in die Reichsacht (1179), nahm ihm Bayern, das Otto von Wittelsbach (1180), der Stammvater des noch heute regierenden Fürstenhauses, erhielt und gab Sachsen dem
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Sohne Albrecht des Bären von Brandenburg, Bernhard von Anhalt. Der übrige Länderbesitz Heinrichs wurde zumeist geistlichen Fürsten überwiesen, und schon dadurch erlitt die Herzogsgewalt in Deutschland eine schwere Schädigung; viele Bischofssitze wurden reichsfrei und viele Städte reichsunmittelbar.
Heinrich der Löwe ließ sich das kaiserliche Strafgericht eben so wenig gefallen, wie einst sein Vater, Heinrich der Stolze. Er überzog die Herzogtümer mit Krieg, und viele Städte, Mühlhausen, Nordhausen u. a. gingen in Flammen auf.
Da alle andern Reichsfürsten auf des Kaisers Seite standen, mußte sich Heinrich endlich beugen (1182). Auf dem Fürstentage zu Erfurt bat er den Kaiser fußfällig um Gnade, der ihm großmütig Verzeihung mit dem Vorwurfe gewährte „und dennoch bist du selbst die Ursache deines Unglücks!" Dann umarmte er den einst so teuern Wafsengesährten, der jetzt auf des Kaisers Befehl drei Jahre lang zu seinem Schwiegervater, dem König von England^), ging, dann aber seine Erbländer zurück erhielt, die später vereint das Herzogtum
Braunschweig-Lüneburg bildeten.
In Italien kehrte nach langen schweren Kämpfen endlich Ruhe
ein, als der deutsche Kaiser mit den lombardischen Städten zu Konstanz Frieden schloß (1183), der ihnen viele Rechte, besonders die Selbstständigkeit der Stadtgemeinden, zurückgab. In der Fülle des Glücks, endlich einen Frieden mit so vielen Feinden gefunden zu haben, der wohl hätte billiger erkauft werden mögen, feierte Friedrich Barbarossa in der alten Königswahlebene bei Mainz ein Reichsfriedensfest, von dem noch lange Sage und Lied Kunde gaben. Außer vielen Gesandten,
Fürsten und Bischöfen waren allein 40,000 Ritter gekommen, und
der Kaiser erteilte hier selbst seinen beiden ältesten Söhnen den Ritterschlag.
Zum letzten, es war das sechste Mal, unternahm Kaiser Friedrich L eine Römerfahrt. Das war ein Sieges- und Freudenweg; denn überall wurde er jubelnd empfangen Die Stadt Mailand erbat sich sogar die Ehre, die Hochzeit des ältesten Kaisersohnes Heinrich mit der Tochter König Wilhelms II. von Neapel in ihren Mauern feiern zu dürfen. Der greise Kaiser hatte endlich erreicht, was er länger als ein viertel Jahrhundert hindurch erstrebt hatte; Italien begrüßte ihn
*) Fünfhundert Jahre später bestiegen seine Nachkommen den englischen Thron.
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zwar als Herrn und König, es war das aber durchaus anders, als er es einst hochherzig geplant hatte.
Da zog eine Trauerkunde durch das Abendland: ein junger
tapfrer Türkenheld, Sultan Saladin von Aegypten, hatte Palästina erobert (1187). Die heiligen Stätten waren wieder in den Händen
der Ungläubigen.
Das goldue Kreuz hatte Saladin von der Kirche des heiligen
Grabes hinabgestürzt und als Siegeszeichen an den Kalifen von Bagdad geschickt. Das Königreich Jerusalem war nicht mehr; es hatte 88 Jahre bestanden. Da brach der siebenzigjährige deutsche Kaiser mit einem Heere von 50,000 Rittern und 50,000 Mann Fußvolk auf, das gelobte Land zu befreien; mit ihm zogen viele Fürsten, Bischöfe und Herren des deutschen Reiches.
Auch diesen Kreuzzug erschwerten die Griechen auf jede Weise, und erst die Kunde von den Heldenthaten des „eisernen Volkes der Allemannen" bahnte den Kreuzfahrern den Weg nach Asien. Dort waren die Seldschucken noch treuloser als die Griechen. Von allen Seiten sprengten die Türken auf das Christenheer ein, das nur unter schweren Kämpfen, unter Hunger und Durst vorwärts ziehen konnte, bis es endlich vor Jconium anlangte. Dort erwartete die Christen
eine überlegene Macht der Feinde, und verzagt wollten sie zurückweichen, als Friedrich Barbarossa ihnen zürnend entgegentrat. „Was zürnt und jammert ihr", rief er ihnen zu, „die ihr die Heimat verlassen habt, das Himmelreich mit eurem Blute zu erkaufen? Christus gebietet, Christus siegt!"
Nun stürmte das deutsche Heer todesmutig gegen den Feind; bald wehte die Fahne der Christen von den Zinnen Jconiums, welche Friedrichs eigner Sohn dort aufgepflanzt hatte, und die Beute der Sieger war so unermeßlich, daß diese sie nicht fortzuschaffen vermochten. Doch im heiligen Feuereifer gönnte sich der fromme Heldenkaiser feine Rast; bald überstieg er mit den Seinen das Taurusgebirge und langte glücklich in Seleucia am Kalykadnus (Saleph) an. Der Uebergang über die schmale Brücke dauerte dem jugendlichen Greise zu lang, so lautet der eine Bericht; er wollte mit seinem Pferde durch die Flut schwimmen; nach andern wollte er sich durch ein Bad in dem kühlen Flußbette erfrischen: die Seinen hoben den teuern Greis als Leiche aus den Wellen.
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Die Bestürzung, der Schmerz der Kreuzfahrer über diesen Verlust war so groß, daß viele eiligst in die Heimat zurückkehrten, wenige unter des Kaisers Sohn, Herzog Friedrich, weiter zogen und die Stadt Accon belagerten, wo auch dieser edle Führer seinen Tod fand.
Das deutsche Volk trauerte tief und lang um seinen Heimgegangenen Kaiser. Wie die Trauerfackeln vor den Zelten der Kreuzfahrer in unzähligen Flammen eine heilige Totenwacht deutscher Treue darstellten, so lebte im fernen Abendlande diese Treue in dem Glauben fort, daß der edle Kaiser Friedrich Barbarossa, der mit seiner ganzen Lebenskraft nur des deutschen Reiches Herrlichkeit erstrebt hatte, nicht gestorben sein könne. Er schläft nur, so ging die Sage prophetisch durch die Jahrhunderte, in der Tiefe des Kyffhäusers einen langen, tiefen Schlaf und träumt von des deutschen Reiches kraftvollem Erstehen. Wenn die Raben nicht mehr um des Berges Gipfel kreisen, dann ist es Zeit zum Erwachen.
In Friedrich Barbarossa ist für alle Zeiten eine jener geschichtlichen Gestalten verewigt, die unauslöschlich im deutschen Volksbewußtsein fortleben. Seine ideale Persönlichkeit ist mit einem Ewigkeitszauber umgeben, der alles Edle, Große und Schöne umfaßt, das je das Germanentum mit Lebenskraft erfüllte, und darum konnte des alten deutschen Reiches Herrlichkeit wohl mit seinem hehren Kaiser einschlafen; aber einst mußte sie erwachen, und sie ist erwacht unter dem Zepter der Gerechtigkeit und der Kraft des unvergeßlichen deutschen Kaisers Wilhelm I.
5. Heinrich VI.
(1190 bis 1197.)
Die ruhmreiche Herrschaft Friedrich Barbarossas hatte ihren Gipfelpunkt erreicht, als er, endlich in Frieden mit Italien, durch die Beugung der Heizogsgewalt in Deutschland den ideal gedachten christlichen Staat meinte gefestigt zu haben. Aber beim Tode des edlen Kaisers sollte sein Sohn Heinrich (VI.) dieselbe Aufgabe finden, welche Friedrich Barbarossa endlich gelöst zu haben glaubte.
^chon während seiner Kreuzfahrt hatten die Großen des Reichs gedacht, mit dem jungen stellvertretenden Königssohn leichtes Spiel zu haben. Während Heinrich der Löwe auf des Kaisers Befehl in England
Bornhak, Unser Vaterland. 14
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weilte, hatten die nachbarlichen Herren sich ungehindert seiner Erbländer Braunschweig und Lüneburg bemächtigt, und Heinrich, der sich jetzt nicht an das dem Kaiser geleistete Versprechen gebunden hielt, hatte sich den Besitz seiner Lande im Fluge zurück erobert, ehe sich die andern Fürsten nur besonnen hatten, zu rüsten. Aber der übermütige Welse hatte viele Feinde im deutschen Volke, und als Friedrich Barbarossas 25jähriger Sohn ihm mit einem Reichsheere entgegen trat und mit großer Härte Rache an den eroberten Städten des Herzogtums nahm, war Heinrich der Löwe, unfähig seinen Besitz zu behaupten, zu einem Vergleiche bereit, der dem jungen Reichsverweser sehr willkommen war. Denn dieser hatte in Italien eine Königskrone geerbt, welche ihm streitig gemacht wurde. Der Vater feiner Gemahlin Konstanzia, König Wilhelm II. von Sicilien, war gestorben und ein entfernter Verwandter desselben. Tankred, war eiligst als sein Nachfolger erwählt, vom Papste belehnt und vom griechischen Kaiser anerkannt worden.
Da traf die Kunde von Friedrich Barbarossas Tod in Deutschland ein, und sein Sohn beeilte sich, seine Königsherrschaft als Heinrich VI. auf einem Reichstage in Mainz zu sichern. Volk und Ritterschaft bewunderten den thatkräftigen Herrscher; aber die Milde und Güte des Heimgegangenen Kaisers war seinem Sinne fremd. Darum war er gefürchtet wie nie ein deutscher Herrscher vor ihm. Wohl war auch er einst milderen Regungen zugänglich gewesen. Er hatte, ein königlicher Sänger, mit eingestimmt in den eben erwachten Minnegesang und in den zartesten Klängen von der Liebe gesungen, die ihm mehr wert sei, als Kronen.
Nachdem er sich aber die deutsche Königskrone aufs Haupt gesetzt hatte, füllte nur eine Leidenschaft seine Seele aus, die Begierde zu herrschen und das deutsche Reich in der Machtfülle aufzurichten, wie sie Friedrich Barbarossa erstrebt, aber nicht erreicht hatte.
Der schmächtige, zart gebaute Körper Heinrichs schien kaum solcher Aufgabe gewachsen zu sein; doch wohnte in ihm ein energischer Geist, der selbst die Gesichtszüge des jungen Herrschers wie aus Marmor gemeißelt erscheinen ließ. Ein solcher Mann konnte sich das italische Erbteil einer Königskrone nicht leichten Kaufs nehmen lassen. Als er mit einem wohlgerüsteten Heere die Alpen überschritten hatte, trat er zuerst als Schiedsrichter der unaufhörlich sich bekämpfenden lombardischen Städte auf und konnte ungehindert in Rom einziehen, wo die Zwietracht zwischen Papst und Volk kein Ende nehmen wollte. Papst Clemens III.
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war gestorben, unb sein Nachfolger, Cölestin Hs., wollte Heinrich VI. nur unter Bedingungen zum Kaiser krönen. Dem widersetzten sich die Römer. Nur wenn Heinrich ihnen die von ihm besetzte feindliche Stadt Tuskulum übergeben würde, wollten sie die Kaiserkrönung in den Mauern ihrer Stadt erlauben. Heinrich ging auf diese schmähliche Bedingung ein, und Tuskulum wurde von ben Römern auf das Grausamste zerstört, der größte Teil der Einwohnerschaft ermordet. Die Übriggebliebenen bauten sich auf den Trümmern ihrer Vaterstadt in Hütten und Lauben an; es ist das heutige Frascati.
Am 15. April 1191 wurde Heinrich VI. mit seiner Gemahlin vorn Papste gekrönt; aber sein Siegeszug durch Italien wurde von einer furchtbaren Seuche unterbrochen, welche die Reihen seines Heeres lichtete, und ruhelos eilte der Kaiser, selbst schwer erkrankt, nach Deutschland zurück.
Die deutschen Reichsfürsten meinten einem so sichtlich gedeinütigten Kaiser mit Erfolg entgegen treten zu können, um vereint eine Erb-Monarchie der Hohenstaufen in Deutschland zu verhindern. So ent-stcrnb^ ein Fürstenbund, besten Haupt Heinrich ber Löwe von Braun-schweig war, unb betn es nicht unmöglich scheinen mochte, baß bie deutsche Kaiserkrone auch bas Haupt eines Welfen schmücken könnte. Durch ganz Deutschlanb zog eine Gährung, ein Murren unb Fordern, so baß bei deutsche Kaiser sein ganzes Reich als ein feinbliches Heerlager ansehen konnte, bent von allen Seiten weit über bie Grenzen Deutsch -lanbö her Bunbesgenossen zuströmten.
Ein Feinb bes beutschen Kaisers fehlte betn Fürstenbunbe noch, König Richard (Löwenherz) von Englattb, ber Schwager Heinrichs des Löwen. Er hatte mit König Philipp August von Frankreich den Kreuzzug gemeinschaftlich aufgenommen, als Friedrich Barbarossa gestorben war. Aber schon in Messina hatten sich beide Könige entzweit, und ihr Bund wandelte sich in bittre Feindschaft, als sie im folgenden Jahre Acre (Accon) belagerten und eroberten. Auch Leopold non ^ Ceiterreich hatte sich diesem Kampfe mit seinen Deutschen angeschlossen und meinte ein gutes Recht an dem Siege zu haben. Die Franzosen besetzten den einen Teil der Stadt, die Engländer einen andern, und Leopold von Oesterreich wollte wenigstens die Reichsfahne auf einem der Stadttürme aufpflanzen. Da riß der stolze Richard das deutsche Fahnentuch herab und trat es in den Koth. Die Deutschen waren Zu schwach, solche Schmach zu rächen; sie zogen in die ferne Heimat
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Zurück. Auch Philipp August, der sich mit Richard immer mehr verfeindete, schiffte sich nach Frankreich ein, so daß der König von England allein den Preis gemeinschaftlicher Kämpfe davon trug und immer weiter siegreich vordrang. Der Ruhm seiner Heldenthaten erfüllte das Morgenland, als ihn auch der Herzog von Burgund mit den letzten Franzosen verließ, denen sich viele Engländer anschlossen. Richards stolzer Uebermut wurde ihnen unerträglich.
So verlassen mußte er sich zum eignen Rückzug bequemen, und als ihn gar die Kunde erreichte, sein Bruder Johann, mit dem Beinamen „ohne Land", gehe damit um, sich des englischen Thrones zu bemächtigen, beschleunigte er seine Rückfahrt, wurde aber vom Sturm verschlagen und mußte, als Pilger verkleidet, weiter ziehen. Auf der Wiener Landstraße wurde er erkannt und von dem erbitterten Herzog Leopold von Oesterreich, der den Schimpf seiner Fahne nicht vergessen konnte, gefangen gesetzt. Später als Reichsfeind dem deutschen Kaiser Heinrich VL ausgeliefert, wurde er von diesem zwei Jahre lang in strenger Haft gehalten, weil er früher die Sicilier gegen Heinrich unterstützt hatte. Erst als der Papst dem Kaiser mit dem Banne drohte, und die Reichsfürsten die Freilassung Richards forderten, gab ihn Heinrich VI gegen ein Lösegeld von zwei Millionen Thalern frei. Richards treuer Ritter Blondel war als Sänger von Burg zu Burg gezogen, so erzählt die Sage, und hatte das Gefängnis seines königlichen Herrn in der Feste Dürrenstein ausgekundschaftet.
Als Kaiser Heinrich die deutschen Fürsten, wenn sie nicht nachgeben würden, durch einen Bund mit dem König von Frankreich bedrohte, und Richard Löwenherz dadurch leicht in die Hände seines Feindes Philipp August hätte geraten können, bat dieser die Fürsten dringend, einen Bund aufzulösen, der ihm verderblich zu werden drohte. So wurden die aufrührerischen Reichsfürsten vom Kaiser ohne Schwertstreich besiegt, und ein versöhnender Schluß dieser drohenden Unruhen, besonders der feindlichen Spannung zwischen Welfen und Hohenstaufen (1194), lag in der Vermählung von Heinrichs des Löwen Sohn, Heinrich dem Schönen, mit Agnes, der Base des deutschen Kaisers, einer Tochter des rheinischen Pfalzgrafen Konrad, der ein Bruder Friedrich Barbarossas war.
Der alte Löwe von Braunschweig war endlich des Kämpfens müde geworden; zufrieden, daß ihm seine Erblande neu bestätigt, seinem Sohne die Rheinpfalz zugesprochen war, lebte er fast nur noch der
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Erinnerung vergangener Zeiten. Bis tief in die Nacht hinein, so wird berichtet, saß er am wärmenden Heerdfeuer und las in alten Schriften von den Thaten längst geschiedener Helden. Er mochte träumen von Kampf und Ritterspiel, sein Schwert ruhte in der Scheide. Im christlichen Glauben suchte er Frieden und Trost für seine Seele und starb (1195) mit dem Seufzer: „Gott sei mir Sünder gnädig!" In der St. Blasiuskirche zu Braunschweig kündet noch heute das von dem Löwenherzog selbst gegründete Grabmal von der letzten Ruhestätte Heinrichs des Löwen und seiner Gemahlin Mechthild.
Als Kaiser Heinrich VI. mit einem großen Heere nach Italien
zog, sich endlich die ihm streitig gemachte Königskrone zu erobern, war
das normannische Königshaus verwaist, ehe er jenseits der Alpen anlangte. König Tankred war aus Kummer über den frühen Tod seines Sohnes gestorben, und die Königswitwe mit ihrem dreijährigen zum König gekrönten Sohne vermochte feinen erfolgreichen Widerstand zu leisten. Der deutsche Kaiser zog ohne Kamps als Sieger in die prächtige Hauptstadt des Normannenreiches ein, um sich dessen Krone aufs Haupt zu setzen. Statt aber mit einem solchen mühelosen Siegeslauf zufrieden zu fein, hielt er über das ihm zugefallne Reich ein Strafgericht, das eine ewige Schmach feiner Regierung bleiben wird. Denn unter dem Vorwande einer entdeckten Verschwörung wurden Bischöfe, Grafen und Herren in den Kerker geworfen, geblendet, gespießt, lebendig begraben, verbrannt, einem sogar, der nach der Krone gestrebt haben sollte, eine Krone aufs Haupt genagelt. Und des Schrecklichen noch nicht genug, wurden die Gräber der Könige Tankred und seines Sohnes Roger geöffnet und den toten Normannenfürsten die Krone vom Toten-schädel gerissen. Die verwitwete Königin wurde lebenslang mit ihren drei Töchtern in strenger Haft gehalten, dem dreijährigen Königssohne
sollen die Augen ausgestochen worden fein. Alle diese Gräuel ließ
Heinrich A I. an demselben Weihnachtstage vollziehen, an welchem ihm seine Gemahlin zu Salerno einen Sohn und Nachfolger, den nachmaligen Friedrich II. gebar, dessen Söhne und Enkel unter dem Unsegen der Schreckensthaten ihres Ahnherrn einst den Untergang finden sollten.
Kaiser Heinrich VI. stand auf der Höhe feiner Macht; aber es war ein einsamer, gefürchteter Thron. Denn — „was er sinnt ist Schrecken, und was er spricht ist Blut."
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So kehrte der harte Kaiser nach Deutschland mit dem festen Vorsatz zurück, alle Fürsten zu demütigen, die Vasallen herabzudrücken. Daneben plante er einen Kreuzzug, der nichts mit der Abhängigkeit vom apostolischen Stuhl, überhaupt nichts mit der Geistlichkeit zu thun haben sollte. Alles diente nur dem einen Ziele, Kaiser und Reich als den Inbegriff höchster Machtvollkommenheit zu gestalten. Es war der letzte Versuch, eine deutsche Reichsgewalt mit monarchischer Machtfülle zu schaffen, die sich in der Persönlichkeit des deutschen Kaisers vereinigen sollte. Trotzdem war sich Heinrich bewußt, daß er andrer Hülfe zu diesem Plane nicht entbehren konnte. Mit verschwenderischer Hand hatte er seine Getreuen in Italien gelohnt, in Deutschland handelte er gleicherweise. Der Geistlichkeit gegenüber verzichtete er auf sein Recht, den beweglichen Nachlaß der Prälaten für die kaiserliche Kammer einzuziehen. Den weltlichen Großen versprach er Erblichkeit ihrer Lehen mit dem Recht, sie auch auf Töchter oder weitere Anverwandte zu übertragen, und dem ganzen deutschen Volke schmeichelte er mit dem Plane, sein stcilisches Königreich zu deutschem Reichslande zu machen. Er hatte schon 52 deutsche Fürsten für diesen Gedanken gewonnen, da stellten sich ihm der Papst und die übrigen deutschen Fürsten entgegen. Der Hohenstaufe wuchs ihnen gar zu sehr über den Kopf. Kluger Weise umging Heinrich lieber einen Konflikt, ließ die Sache fallen und begnügte sich damit, seinen Sohn Friedrich (II.) zum deutschen König wählen zu lassen. Wenigstens meinte er, so die Krone dem Hause der Hohenstaufen gesichert zu haben, und das Kaisertum Heinrichs näherte sich immer mehr der unbeschränkten Machtfülle und Willkür altrömischer Imperatoren.
Schon fügte sich diesem erhabenen Gedanken fast das ganze Abendland. Selbst Richard Löwenherz, der mächtige König von England, übergab dem deutschen Kaiser feierlichst zu Mainz alle seine Staaten, um sie dann erst aus seiner Hand als Lehen zu empfangen. Als Zeichen seiner Unterthänigkeit zahlte er 5000 Pfund Sterling an Heinrich VI., der ihm noch Teile Frankreichs dazu verlieh, sich also dadurch zum Oberlehnsherrn des französischen Königs machte.
Der großartige Gedanke sollte jetzt Wirklichkeit werden: „Den Eifer der Kirche, den Thatendrang der Ritterschaft, die fromme Begeisterung der Massen, alle Kraft, die seit einem Jahrhundert das fromme Abendland in Bewegung gesetzt hatte, die aber in planloser Zersplitterung vergeudet war", in einer leitenden Hand zusammen zu fassen.
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Dazu mußte der herrschsüchtige Hohenstaufe das Mittelmeer mit all seinen Küsten besitzen; der ganze Orient, das griechische Kaisertum sollte nur ein Vasall des deutschen Abendlands werden. Dann war die alte Einheit des weltbeherrschenden Römerreiches wieder hergestellt, der Weg nach Asien, das ganze Morgenland offen für den deutschen Kaiser.
Im Sommer des Jahres 1196 „pochte er mit mächtiger Faust an die morschen Pforten des griechischen Reiches." Er nahm das Land vom Epidamus bis Thessalonich als zum Normannenreich gehörig in Anspruch, und schon wurde im griechischen Reiche eine „Deutschensteuer" ausgeschrieben; die Kirchen, selbst die Königsgräber mußten dem deutschen Herrscher und seinem Heere ihre Schätze herausgeben, da machte der Tod allen hochfliegenden Plänen Heinrichs VI. ein jähes Ende. Er starb, 32 Jahre alt, an den Folgen eines kalten Trunkes nach großer Erhitzung auf der Jagd. Im Dome zu Palermo wurde er bestattet (28. September 1197).
Nächst Heinrich III. hatte Kaiser Heinrich VI. die deutsche Kaisermacht zu höchster Kraft erhoben, ihr Ansehen aber mehr zum Schrecken seiner Feinde als zum Segen seines Volkes werden lassen. Des deutschen Vaterlands Wohl lag nicht in der Größe eines Weltreiches, und der Friede, der es hätte beglücken mögen, sollte ihm noch lange vorenthalten bleiben. Das stolze Gebäude deutscher Kaiserschaft aber, das Heinrich VI. selbstsüchtig aufgerichtet hatte, sank mit seinem Tode zusammen.
6. Philipp von Schwaben (1198 bis 1208) und
Otto IV. von Lraunschweig (1198 bis 1215).
Der Sohn Heinrichs VI., den er zum Erben der deutschen Krone bestimmt hatte, war beim Tode seines Vaters ein dreijähriges Kind. Sein Oheim, Philipp von Schwaben, der letzte Sohn Friedrich Barbarossas, suchte vergeblich dem Neffen die Nachfolge zu sichern, welche ihm die deutschen Fürsten durch Eidschwur versprochen hatten. Sie waren sich plötzlich ihres alten Wahlrechts bewußt geworden, denn sie hatten die gewaltige Hand des Hohenstaufen zu bitter empfunden, als daß sie sich in seinem Sohne einen neuen Zwingherrn setzen wollten.
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Nun erwachte die alte Losung deutscher Zwietracht aufs neue „Hie Welf, hie Waiblinger!" Ein Teil des Reiches stand zu den Hohenstaufen, andere begehrten einen Kaiser aus dem Welfengeschlecht. Philipp von Schwaben mußte es sich gefallen lassen, daß er selbst zu Mühlhausen als deutscher König ausgerufen wurde (6. März 1198). Er soll es ungern gethan haben, nur um wenigstens die Krone seinem Hause zu erhalten, welche er dem unmündigen Königssohne nicht verschaffen konnte.
Die welfische Partei wählte Otto, den dritten Sohn Heinrichs des Löwen von Braunschweig, der im Nordwesten des Reiches Anerkennung fand, während Philipp den größten Teil Mittel- und Süddeutschlands für sich hatte. Aber beide Kronenträger waren nur die erwählten Vertreter fürstlicher Parteiinteressen, die nichts mit des Reiches Wohl zu thun hatten.
Philipp, ein würdiger Sohn Friedrich Barbarossas, tapfer, ritterlich, ein frommer und gelehrter Herr seiner Zeit, war einst für den geistlichen Stand bestimmt gewesen und sein Familienleben gab dem deutschen Volke ein Vorbild feiner Sitte und häuslichen Glücks. Denn seine anmutige Gemahlin, die griechische Prinzessin Irene, verstand und würdigte ihres Gatten Vorliebe für Wissenschaft und Kunst und pflegte gleich ihm an ihrem Hofe den deutschen Minnegesang. Der edle Hohenstaufe wäre den meisten Großen des Reichs ebenso willkommen gewesen, wie der Masse des Volkes, wenn nicht die päpstliche und mit ihr die welfische Partei ihren Vorteil mehr gesucht hätte, als des Reiches Glück.
Otto hatte seine Jugendzeit fast nur in fremden Landen zugebracht, war der stete Begleiter seines Oheims, Richard Löwenherz's von England, gewesen, hatte sich an dessen Hose in ritterlichen Künsten geübt, und glich dem Oheim an wilder Fehdelust. Richard setzte alle Mittel in Bewegung, seinem Neffen den deutschen Königsthron zu sichern, der selbst am allerwenigsten Lust hatte, den ihm fremden deutschen Landen ein treuer König zu sein. Doch ließ er sich eiligst zu Stachen frönen, während Philipp in Mainz gekrönt worden war. Beide Könige aber suchten sich die Freundschaft des Papstes Jnnocenz III. zu erwerben, um in ihm eine Stütze zu finden. Dieser riet anfangs zu gütlichem Vergleich; als aber Otto zu Gunsten der Kirche und des Papstes auf mancherlei Besitztümer und Rechte verzichtete, gebot der
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so erkaufte Kirchenfürst, daß „alle Stände bei Strafe des Bannes den Welfen Otto als König anerkennen sollten."
Dieser gewann dadurch besonders die Geistlichkeit Deutschlands für sich; aber das war nur vorübergehend, da Philipp von Schwaben durch seine Tüchtigkeit immer mehr Anhang erlangte. Dabei war Land und Volk um nichts besser daran; denn um der beiden Könige willen zerfleischte bald ein wilder Bürgerkrieg ganz Deutschland, in welchem Deutsche gegen Deutsche inmitten des Vaterlandes kämpften.
Philipp suchte eine friedliche Lösung herbeizuführen. Er bot seinem Gegner das Herzogtum Schwaben und dazu eine seiner Töchter zur Ehe, wenn er um des Friedens willen auf die deutsche Krone verzichten wollte. Schon war selbst der Papst geneigt, den Hohenstaufen anzuerkennen, als dieser von einem Seitenverwandten des welfischen Hauses aus niedriger Privatrache ermordet wurde (1208).
Um die Partei der Hohenstaufen für sich zu gewinnen, verlobte sich jetzt König Otto IV. mit Beatrix, der Tochter des Ermordeten. Aber sie starb, vierzehn Jahre alt, vier Tage nach ihrer Vermählung zu Nordhausen, damals genannt Königs-Northusen.
Der Hader der Parteien wurde nicht beigelegt, und des Papstes Einfluß auf Deutschlands Geschick wurde immer mächtiger. Ihm huldigte ganz Italien, und alle Fürsten Europas fügten sich seinen Anordnungen. Darum konnte Otto IV. nur unter seiner Zustimmung zu Frankfurt aufs neue gewählt werden und in Mailand durch seine Vermittelung die lombardische Königskrone (1209), wie endlich zu Rom die Kaiserkrone empfangen. Zuvor hatte er feierlich versprechen müssen, zu Gunsten des päpstlichen Stuhles auf viele kaiserliche Rechtsansprüche zu verzichten.
Kaum im Besitz aller erstrebten Würden, vergaß Otto seine Versprechungen und gab besonders die so oft zwischen Papst und Kaiser strittigen Güter der Markgräfin Mathilde von Toskana nicht heraus. Vielmehr trachtete er auch nach dem hohenstaufischen Erbe, der Herrschaft des Normannenreiches, als dessen Lehnsherren sich die Päpste alle Zeit betrachtet hatten.
Jnnocenz schleuderte darum den Bannstrahl gegen denselben Kaiser, den er als sein eigenstes Geschöpf glaubte ansehen zu dürfen und beeilte sich jetzt, den vorher verdrängten Sohn Heinrichs VI., Friedrich (II.), als Gegenkaiser aufzustellen.
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Dieser war in Italien unter den Augen des Papstes als dessen Mündel vielleicht nicht ganz ohne geistlichen Einfluß von seiner trefflichen und hochgebildeten Mutter Konstanze in den Wissenschaften und in der Bildung feiner Zeit erzogen worden. Edel und thatkräftig, in allen ritterlichen Künsten geübt, war er längst die Hoffnung der Hohenstaufen gewesen. Er verließ die südliche Heimat (Salerno 1212) und zog, von dem apostolischen Segen begleitet, den deutschen Landen zu, nachdem er vorher die Oberlehnsherrlichkeit des Papstes über Apulien und Sicilien (Normannenreich) anerkannt hatte.
Der jugendliche Enkel Friedrich Barbarossas- wurde überall mit Begeisterung aufgenommen. Zu Frankfurt (5. Dez. 1212) erwählten ihn seine Anhänger zum „römischen" Könige; vier Tage später wurde er zu Mainz gekrönt, und wenige Wochen darauf huldigten ihm zu Regensburg viele deutsche Fürsten, selbst der Herzog von Bayern. Macht und Ansehen Ottos IV. war dahin und feine Anhänger wurden leicht mit Waffengewalt unterworfen. Um die Oberhoheit der Kirche recht augenscheinlich zu machen, ließ Jnnocenz III. den Hohenstaufen, bis dahin König von Sicilien, nochmals durch seinen Legaten, den Erzbischof von Mainz, zu Aachen krönen. Den Anspruch, die höchste Gewalt auf Erden ausüben zu wollen, hatte das Papsttum unablässig erhoben; Papst Jnnocenz war der Mann, die Pläne eines Gregor VII. auszuführen. Ihm war „die päpstliche Hoheit das große Licht am Firmament des Weltalls, die königliche Gewalt das kleine Licht, das von jenem feinen Glanz erhält."
Hülflos war Otto IV. aus feiner Residenz Köln in feine Erblande nach Braunfchweig geflohen, während der 21jährige König Friedrich siegreich durch Deutschland zog und überall als Herrscher anerkannt wurde. Otto starb ruhmlos und vergessen auf der Harzburg (1218).
7. Kaiser Friedrich II.
(1215 bis 1250.)
Die lange Regierungszeit Friedrichs II. umfaßt ereignisvolle Jahre des Kämpfens und Ringens zwischen Staat und Kirche, zwischen Kaiser und Papsttum, und in dem unausgesetzten Wechsel des Erfolges auf der einen oder der anderen Seite ruht auch naturgemäß das Geschick des deutschen Volkes. Es führe ein kurzer Blick auf die kirchlichen
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Zustände, denen Friedrich entgegentrat. Hatte er zunächst seine Erwählung zum deutschen Herrscher dem päpstlichen Stuhle zu verdanken, so lag schon darin von vornherein seine Abhängigkeit vom Papste, der weit und breit in höchstem Ansehen stand. Denn Jnnocenz III., von dem einst Walter von der Vogelweide geklagt: „D weh, der Papst ist zu jung, hilf Herr deiner Christenheit", hatte trotz seiner Jugend das Kirchenregiment mit großer Treue verwaltet, freilich nach dem steten Grundsatz der Kirche „erst der Papst und dann der Kaiser." Von dem Bewußtsein seiner hohen Aufgabe getragen, ging Jnnocenz selbst in Sittenstrenge, Fleiß und Gelehrsamkeit aller Geistlichkeit voran, von welcher er forderte, daß sie im frommen, demütigen Wandel eine Leuchte des Volkes sein sollte.
Mochten solche Bestrebungen sich in weiteren Kreisen Bahn gemacht haben, jedenfalls wurden sie unterstützt durch einzelne Mönchsorden, deren Gründer, von heiliger Glut erfaßt, dem Heile ihrer Mitmenschen dienen wollten. Es waren dies die Minoriten, von einem reichen Kaufmannssohne, Franzesko Bennardone (1209) gegründet, die Dominikaner, und der weibliche Orden der Klarissinnen, welcher sich den Franziskanerregeln unterwarf (1215).
Die Minoriten (geringere Brüder) zogen unter dem Gelübde gänzlicher Armut in härenem Gewand als Bußprediger umher. Arme und Kranke zu pflegen. Sie gewannen sich durch dieses lebensvolle Christentum mehr Anhänger als durch die Predigt, die ihnen auch vom Papste gestattet war. Geistiger vielleicht faßte zunächst der Dominikanerorden sein Gelübde auf; wenigstens war der Stifter, Domingo de Guzmann, ein Spanier aus alt adligem Geschlecht, von dem Wunsche beseelt, durch Belehrung und Beispiel den vielen abweichenden Sehren des Christentums, die sich in Folge der Kreuzzüge mit den Ansichten Andersgläubiger vermischt hatten, entgegen zu treten. Auch hatten sich, hervorgerufen durch toten Werkdienst der römischen Kirche, im südlichen Frankreich und Italien die Sekten der Waldenser und Albigenser gebildet, welche die Verweltlichung des Christentums bekämpften und nach der reinen Lehre des Wortes leben wollten. Sie nannten sich darum Katharer (Reine Ketzer), ein Name, den später die römische Kirche auf alle ausdehnte, die sich ihrem Regiment nicht fügten. Daß die Dominikaner später ihre Hauptaufgabe darin sahen, Ketzerrichter zu sein, das heißt Richter über abweichende Ansichten ohne alles menschliche Erbarmen, hat den Orden mit ewigem Brandmal gezeichnet. Es braucht hier
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nur an Konrad von Marburg erinnert zu werden, den grausamen
Beichtvater der Landgräfin Elisabeth von Thüringen. Sein Lebensbild umfaßt alle Greuel der Ketzergerichte (Inquisition). Als er endlich
vom Volke erschlagen wurde, zog es wie Erlösung durch die deutschen Lande, und die Wormser Annalen sagen darüber: „So wurde durch göttliche Hülfe Deutschland von jenem gräßlichen und unerhörten Gerichte befreit."
Mildere Züge tragen die Pflichten der Klari)sinnen, von Klara von Assisi gegründet (1212), denen auch in der Welt stehende weibliche Personen durch Gelübde der Entbehrung angehören konnten.
Alle diese Orden standen unter unmittelbarer Leitung des Papstes und wurden immer mehr seine willigen Werkzeuge, darum auch eine Macht inmitten des deutschen Reiches. Dem allen stand Friedrich
gegenüber mit seinen erhabenen Gedanken über die Würde eines Königs
und dessen Pflichten.
„Durch den Willen der Vorsehung," sagte er, „erhoben sich in-mitten irdischer Sündhaftigkeit die Fürsten, um frevelhafte Willkür zu zügeln als Richter über Leben und Tod, um gleichsam als Vollstrecker des göttlichen Willens jedem sein Glück, seine Stellung, seinen Anteil zuzuweisen. Demnach ist dies Königtum von Gottes Gnaden berechtigt, falls im Wechsel der Dinge und Zeiten die alten Rechtsgewohnheiten nicht mehr ausreichen, das alte Unwesen zu entwurzeln und die Keime zu neuer Thätigkeit zu legen, täglich neue Verordnungen zu erlassen, unt die Tugendhaften zu belohnen, die Lasterhaften zu vertilgen."
Nachdem Papst Jnnocenz gestorben und der milde Honorius ihm gefolgt war, bestand des Kaisers erste wichtige Regierungshandlung darin, seinen unmündigen Sohn Heinrich zum König von Deutschland zu erheben (1220), um selbst ungehindert nach Italien, seiner eigentlichen Heimat, ziehen zu können. Dort wurde er mit seiner Gemahlin unter ungeheurem Jubel des Volkes gekrönt, aber nicht ohne der Kirche
wichtige Zugeständnisse gemacht zu haben. Er mußte ausdrücklich sein
Königreich ^icilien, das er versprach, niemals mit Deutschland zu vereinigen, als Lehen vom Papste anerkennen.
Das zweite Gelübde, das Versprechen eines Kreuzzuges, wurde
für Friedrich Ursache endloser Oual; denn unaufhörlich vom Papste gedrängt, sein Versprechen zu erfüllen, fand er doch so viel Wichtigeres in seinem Reiche, besonders in Unteritalien zu thun, daß der Kreuzzug in den Hintergrund gedrängt wurde, obgleich Friedrich durch seine
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zweite Vermählung mit der Tochter des Titularkönigs von Jerusalem, Johann von Brienne, dieses als Erbe in Besitz zu nehmen hoffte.
Endlich verpflichtete er sich (1225), im Laufe der nächsten zwei Jahre mit 1000 Rittern nach dem gelobten Lande zu ziehen oder eine Geldbuße von 100,000 Goldunzen zu zahlen und dem Banne verfallen zu sein.
Indessen nahm der Papst großen Anstoß an Friedrichs üppiger Hofhaltung zu Palermo, die neben viel materiellen Genüssen allen geistigen Bestrebungen eine gastliche Stätte bot. Unter Friedrichs Vorsitz wurden die Werke von Gelehrten und Dichtern geprüft; er selbst war Minnesänger, und sein Freund und Staatskanzler, Peter von Vinea, soll den Versbau des Sonetts erfunden haben. Der Kaiser redete in sechs Sprachen: italienisch, lateinisch, deutsch, französisch, griechisch und sarazenisch. Sogar arabische Schriftsteller rühmen seine Weisheit, über welche Friedrich selbst urteilte: „Ohne die Wissenschaft
würde das Leben aller freisinnigen Leitung entbehren; durch sie allein wird das Gefühl unserer Größe im Unglück erhalten!"
Nach dem Tode des gütigen Honorius war der 80 jährige, aber trotzdem thatkräftige Gregor IX. Papst geworden, der streng an den versprochenen Kreuzzug mahnte. Friedrich schiffte sich endlich mit seinem Neffen, dem Landgrafen Ludwig von Thüringen, Gemahl der heiligen Elisabeth, und vielen anderen Fürsten und Edlen nach Kleinasien ein. Da aber nach wenigen Tagen auf der Flotte eine Seuche ausbrach, welcher Landgraf Ludwig mit vielen Bischöfen erlag, kehrte der ebenfalls erkrankte Kaiser nach Deutschland zurück. Nur gegen 800 Pilger landeten in Syrien.
Der Papst hielt Friedrichs Krankheit für erdichtet und sprach darum den Bann über ihn aus, erklärte ihn für einen ungehorsamen Sohn der Kirche, für einen Basilisken, und Friedrich schallt dagegen den römischen Stuhl als Ursprung und Wurzel alles Uebels, das die Welt verwirre.
Bei dieser offenkundigen Feindschaft zwischen Papst und Kaiser wollte Friedrich doch nicht wortbrüchig erscheinen und rüstete sich aufs neue trotz Bann und päpstlichen Verbots zu einem neuen Kreuzzuge. Obgleich Gregor den Geistlichen und den Ritterorden Palästinas aufs strengste verboten hatte, den Kaiser zu unterstützen, da ein mit dem Fluche der Kirche Beladener unwürdig sei, um das hl. Grab zu kämpfen, war Friedrichs Zug doch erfolgreich. Er schloß einen zehnjährigen
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Waffenstillstand mit den Sarazenen ab (1228), in welchem ihm Jerusalem, Bethlehem und Nazareth ausgeliefert wurden. Dann setzte er sich in der Kirche des Hl. Grabes die Krone eines Königs von Jerusalem aufs Haupt, konnte aber seine Herrschaft in Palästina wenig befestigen, da ein päpstliches Söldnerheer seine italischen Besitzungen überfallen hatte (1230).
Die „Schlüsselsoldaten" des Papstes wurden in wenigen Wochen vertrieben, er selbst zum Frieden von S. Germano und zur Aufhebung des Bannes gezwungen. Ein sechsjähriger Friede ließ den Kaiser sein geliebtes italisches Reich Sizilien durch mustergiltige Gesetzgebung, wie durch Pflege von Kunst und Wissenschaft beglücken, während Deutschland, in welchem Recht und Ordnung darnieder lag, vergeblich nach seinem Kaiser ausschaute. Denn der junge Kaisersohn Heinrich war, seit der ihm beigegebene edle Erzbischof Engelbert von Köln ermordet wurde, in Deutschland ein übermütiger Reichsverweser geworden, der sich gegen seinen kaiserlichen Vater auflehnte. Für seine Untreue wurde er durch ein Fürstengericht nach Apulien verbannt und starb dort nach sechsjähriger Gefangenschaft, nachdem er wiederholt die väterliche Verzeihung erlangt und immer wieder den Eid des Gehorsams gebrochen hatte.
Zu derselben Zeit hatten die Ketzergerichte eine schwere Heimsuchung über Deutschland gebracht. Die Scheiterhaufen loderten jahrelang als schaurige Brandfackeln finstrer Priesterherrschaft, unterstützt durch die Habsucht der Fürsten, denen als Lehnsherren die Güter der gemordeten Ketzer zufielen, und das alles unter ausdrücklicher Erlaubniß des Kaisers. Selbst ein ganzer edler Volksstamm, die friesischen Stedinger westlich an der Elbe, ging durch diese Verfolgungen zu Grunde, getreu ihrem Losungswort „Steuer dued es Slaw". Die Grafen von Oldenburg und der Erzbischof von Bremen, denen sich der tapfere Bauernstamm nicht unterwerfen wollte, hatten die Stedinger als Ketzer angeklagt; den Herren kamen 40,000 Kreuzfahrer zu Hülfe, und der edle Ger-manen'stamm unterlag bis zur Vernichtung in der Schlacht bei Oldenesche (27. Mai 1234).
Nachdem Kaiser Friedrich sich kurz darauf in dritter Ehe mit der Schwester König Heinrichs III. von England vermählt hatte und mit seiner Gemahlin in höchster Prachtentfaltung durch die Rheinlande über Köln nach Mainz zog, suchte er dort auf einem glänzenden Reichstage die Ordnung in Deutschland durch Bestätigung der Landeshoheit der Fürsten, durch Regelung der städtischen Verhältnisse und durch einen
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allgemeinen Landfrieden wieder herzustellen. Aber schon rief ihn der erneute Zwist mit den lombardischen Städten und dem Papste nach Italien. Mit 1500 Rittern und ihren Mannen zog er über die Alpen, und kaum hatte er einige Städte gedemütigt, so mußte er schon wieder nach Deutschland eilen, wo Herzog Friedrich der Steitbare von Oesterreich, einst ein Verbündeter des aufrührerischen Kaisersohnes Heinrich, in Bayern eingefallen war. Er wurde bald unterworfen, und um einen Stellvertreter, einen Reichsverweser in Deutschland zu haben, ließ Kaiser Friedrich (1237) seinen zweiten Sohn Konrad zum König wählen und kehrte dann nach der Lombardei zurück, wo seine Gegner -neuen Mut geschöpft hatten. Doch der Kaiser kam jetzt mit einem ansehnlichen deutschen Heere, dem sich die italienischen Ghibellinen anschlossen. Auch 10,000 Sarazenen hatten sich mit den Deutschen verbündet.
Nachdem Friedrich die Feste Mantua erobert und in der Schlacht bei Cortenuova die Lombarden völlig besiegt hatte, waren die meisten italienischen Städte, selbst Mailand/ dessen Siegeswagen (Carroccio) Friedrich auf dem Kapitol zu Rom aufstellen ließ, zur Huldigung bereit. Eine Marmortafel sagte in lateinischer Sprache:
„Nimm vom erhabenen Cäsar, o Rom, von Friedrich dem zweiten, dieses Wagens Geschenk, ewig zu zieren die Stadt. Bei dem Falle -gewonnen von Mailand, kommt vom Triumphe Cäsars zu geben Bericht, herrliche Beute er hier. Hängen wird er dem Feinde zum Schimpf, zur Ehre der Stadt wird her er gesendet; ihn hieß senden die Liebe zur Stadt."
Vom Glücke geblendet, wollte Friedrich das Verlangen Mailands, der L>tadt ihre alten Rechte zu verbürgen, nicht erfüllen. Er verlangte trotzig unbedingte Unterwerfung und hatte sich damit jedes freundliche Entgegenkommen der Italiener verscherzt, die nun auf Leben und Tod um ihre altverbrieften Rechte kämpften und den deutschen Kaiser zu einem Waffenstillstand zu zwingen vermochten, da ihnen unerwartet noch ein Bundesgenosse kam.
Das wilde Volk der Mongolen, das von den Hochebenen Asiens herab unter Führung ihres großen Fürsten Dschingis-Khan durch Rußland und Polen im Osten Deutschlands einbrach, rief den deutscheu Kaiser in sein Reich zurück und befreite damit die lombardischen Städte Don seiner Gegenwart.
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Der greife Papst war voller Ingrimm darüber, daß Kaiser Friedrich durch Vermählung seines Sohnes Enzio mit der Erbin Sardiniens dieses dem Reiche- zurück zu gewinnen suchte, da es doch der Papst beanspruchte. Während nun Papst Gregor in Padua unter dem Jubel der Volksmenge einzog, hatte er am Palmsonntage des Jahres 1239 den Bannfluch über Friedrich erneut, dem an demselben Tage sein treuer Freund Hermann von Salza, der Großmeister des Deutschen Ritterordens starb. Er hatte so oft zwischen Papst und Kaiser friedlich zu vermitteln gewußt, die sich nun unversöhnlich gegenüberstanden.
Eine feindliche Schrift des Kaisers an den Papst schloß mit der Drohung: „Nimm den Sohn, welcher gern in den Schoß der Kirche zurückkehren will, milde aus, damit er nicht aus seinem scheinbaren Schlafe wie ein Löwe erwache, das Recht neu gründe, die Kirche regiere und die stolzen Hörner der Gewaltigen zerbreche . . . ." Aber der Papst, der int Bannflüche alle Unterthanen ihres Eides entbunden hatte, überhäufte den Kaiser mit allen möglichen Beschuldigungen der Gotteslästerung und des Abfalls vom Christentum, und Friedrich verteidigte sich in einem Schreiben an die europäischen Fürsten mit den heftigsten Worten, die der Papst noch derber erwiderte. Für ihn war Friedrich „ein König der Pestilenz", das „aus dem Meer gestiegene Tier der Offenbarung, das mit seinen Klauen und eisernen Zähnen alles zerbreche . . . Der Kaiser schalt den Papst „einen zweiten Bileam, einen großen Drachen und Antichrist . . . Das war ein wunderbares Kampfspiel der beiden Häupter der Christenheit, den Völkern zur Schau und Kurzweil gegeben; aber beide gewannen dabei nicht an Ansehn. Und als jetzt der bald 100jährige Kirchenfürst einen Gegenkönig aufzustellen versuchte, sprachen die Geistlichen dem Papste gütlich zu, fein Aergerniß zu erregen und die deutschen Fürsten meinten mit Recht, der Papst habe feinen deutschen Herrscher zu erwählen, höchstens den von ihnen gewählten König zu frönen. Ja als der Papst die deutsche Krone dem Bruder des Königs Ludwig IX, (d. Heilige) von Franfreich, dem Grafen Robert von Artois anboth wies der fromme König dieses ungerechte Geschenk Gregors zurück.
Erst als Friedrich erfolgreich in den Kirchenstaat einfiel und der nochmals erneute Bannfluch Gregors den Siegesweg des Kaisers nicht zu hemmen vermochte, war der Papst wenigstens insofern willig nach-
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zugeben, als er versprach, den Streit auf einer Kirchenversammlung in Rom beilegen zu wollen.
Dahin berief er aber nur Gegner des Kaisers, der dann die geladenen Prälaten warnte, nach Rom zu ziehen und durch seinen Sohn Enzio mehr als 100 Bischöfe auf ihrer Fahrt zur Kirchenversammlung gefangen nehmen ließ, so daß diese gar nicht zu Stande kam. Der in seiner Rache unbefriedigte päpstliche Greis starb aus Kummer darüber.
In dieser Zeit waren die Tartaren siegreich nach dem Westen vorgedrungen, und der tapfere Herzog Heinrich der Fromme von Schlesien hatte sich, verbündet mit den in Preußen angesiedelten deutschen Ordensrittern, die dort das Heidentum ohne Zuthun des Kaisers verdrängt hatten (seit 1228), in der großen Tartarenschlacht bei der Wahlstatt Liegnitz (1241) dem wohl sechsfach überlegenen Feinde entgegengestellt. Tagelang hatte das heiße Ringen gewährt und Herzog Heinrich war, ein treuer Wächter des Reichs, mit 30,000 Deutschen den Heldentod gestorben. Aber die Hauptmacht der Mongolen war gebrochen; sie hatten so schwere Verluste erlitten, daß sie sich zerstreut nach Mähren, Ungarn und Oesterreich warfen und dort ebenso furchtbar hausten, wie einst die Hunnenvölker. „Der Himmel", so meinte Kaiser Friederich, „müßte endlich zum Trost der wehklagenden Christenheit einen Mann nach seinem Herzen auf den apostolischen Stuhl erheben, der Gregors Krümmungen gerade, seine Missethaten wieder gut mache, ihn selbst aber wieder liebevoll in die mütterliche Kirche aufnehme."
Gregors Nachfolger auf dem päpstlichen Stuhle, Cölestin IV., war wenige Wochen nach seiner Wahl gestorben, und erst zwei Jahre später (1243) wurde der Freund Kaiser Friedrichs II. als Jnnocenz IV. zum Papst erwählt.
Friedrich sollte Recht behalten, wenn er geäußert: „Ich fürchte, unter den Kardinälen einen Freund verloren zu haben, um ihn als Feind auf dem Stuhle Petri zu finden. Kein Papst kann Ghibelline sein!" Denn heftiger als alle seine Vorgänger bekämpfte Jnnocenz den Kaiser mit allen ihm zu Gebote stehenden Mitteln, selbst Verschwörungen, von der Geistlichkeit in Deutschland geschürt, sollten Friedrichs Macht vernichten,' der in den Städten eine Stütze fand. Als friedliche Unterhandlungen mit dem Papste fruchtlos blieben, machte sich Friedrich mit einem deutschen Heere auf, den Hl. Vater in Rom einzuschließen. Dieser entkam aber glücklich nach Frankreich und jubelte,
Bornhak, Unser Vaterland. 15
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daß er „entronnen fei, wie ein Vogel dem Stricke des Voglers. .
Da er den König von Frankreich nicht willig fand, mit ihm vereint gegen Friedrich II. aufzutreten, berief er eine Kirchenversammlung nach Lyon, wohin der Kaiser, immerhin noch milder gestimmt als der Papst, einen Rechtsgelehrten, Thaddäus von Suessa, entsandte, ber ihn gegen bie päpstlichen Anklagen verteibigen sollte.
Ganz anbers bachte Jnnocenz; er wollte keinen Frieben. Nur völlige Vernichtung beS kaiserlichen Ansehens war sein Ziel.
In schauerlicher kirchlicher Feier würbe ber beutsche Kaiser Friebrich, ein Verworfener vor Gott, verflucht unb aller feiner Aemter, seiner Würben unb Kronen beraubt. Bei ben letzten Worten ber Verbammnis, bie wie ein lautes Gottesurteil burch bie weiten Hallen brausten, warfen alle Bifchöfe bie brennenben Lichter, mit benen sie ben Papst umftanben, zur Erbe, baß sie plötzlich verlöschten, unb stimmten mit bem Papste ein in bie Hymne: „Herr Gott, Dich loben wir." Friebrichs Gesanbter aber verhüllte in tiefem Schmerz fein Antlitz unb eilte hinweg, feinem Herrn bie Schreckensbotschaft zu bringen, baß ber Haß bes Papstes unversöhnlich sei.
Als ber Kaiser solche Botschaft empfing, griff er wutentbrannt nach bem kaiserlichen Diabem, bas er sich zornig aufs Haupt fetzte, inbem er rief: „Noch habe ich meine Krone, unb kein Papst unb keine Kirchenversammlung soll sie mir ohne blutigen Kampf entreißen!"
In gerechter Entrüstung forberte ber Kaiser bie europäischen Fürsten auf, mit ihm gegen bie Anmaßung bes Papstes aufzutreten, ber ihnen morgen thun könne unb werbe, was er ihm heute gethan unb ber vergessen habe, baß Christi Reich nicht von biefer Welt fei. Doch bie Heftigkeit, in ber Friebrich fein Senbfchreiben abgefaßt hatte, fchabete ihm. Man suchte zu vermitteln, beim Papste freilich ein vergebliches Mühen; benn er fetzte es burch, baß ber wegen feiner Ungerechtigkeit gegen feine Schwägerin, bie hl. Elisabeth, übel berüchtigte Sanbgraf Heinrich Raspe von Thüringen als Gegenkönig gewählt würbe (1246). Dieser starb aber schon im nächsten Jahre auf ber Wartburg an ben Folgen einer Wunbe, bie er im Kampfe gegen Konrab, Kaiser Friebrichs Sohn, bavongetragen hatte.
Das Volk spottete über ben unglückseligen „Pfaffenkönig", ber so balb seine Königskrone verloren habe; boch Friebrich versuchte auch jetzt umsonst, mit bem unversöhnlichen „Stellvertreter Christi" Frieben zu machen. Auch anbere Fürsten, wie König Lubwig IX. von Frankreich, suchten zu
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vermitteln; aber der Papst beharrte auf seinen ausgesprochenen Willen, daß Friedrich nicht mehr deutscher Kaiser sein solle (1247). Er stellte nun den zwanzigjährigen Grafen Wilhelm von Holland als Gegenkönig auf und belegte alle dem Kaiser Friedrich treugebliebenen Länder mit t>em Interdikt. Bettelmönche mußten das „Kreuz gegen die ketzerischen Hohenstaufen" predigen, und alle Mittel hießen gut, wenn sie nur diesem Zwecke dienten.
In Italien wütete der alte Kampf zwischen Welfen und Ghibellinen, unterstützt von der Zwietracht der Städte und dem Fanatismus der kirchlichen Partei. Bald war auch den Ghibellinen nichts mehr heilig, und der einst so tapfere Schwiegersohn Friedrichs, Ezzelino, kämpfte mit unerhörter Grausamkeit für die Rechte des Kaisers. Man nannte ihn den Teufel in Menschengestalt.
Es mußten wohl alle Leidenschaften erregt werden, da auf Anstiften der päpstlichen Partei selbst Mordanschläge gegen den Kaiser geplant, aber rechtzeitig entdeckt wurden. Auch der zum König gekrönte Kaisersohn Konrad wäre fast einem solchen erlegen. Dennoch bot Friedrich dem Papste auch jetzt noch einmal die Hand zum Frieden. Vergeblich, für Jnnocenz war der Kaiser ein „zweiter Pharao, ein Statthalter des Satans" und Aehnliches, und Friedrich wollte sich nun einen Frieden erzwingen, den er gutwillig nicht erlangen konnte. Er zog nach Lyon, als ihn auf dem Wege dahin die Kunde von dem Abfall der Stadt Parma traf, gegen welche er nun eiligst seine Streitkräfte wandte und eines Tages siegesgewiß aus seinem Feldlager, das er stolz „Viktoria" genannt, zu einem Jagdanssluge hinaus59 um nur die Brandstätte seines Kriegslagers wieder zu finden. Fünfzehntausend der Belagerer waren erschlagen, dreitausend zu Gefangenen gemacht, und Friedrichs Reichsschätze, seine Krone und sein Zepter wurden Beutestücke der Stadt Parma. Er selbst entkam den Händen der Sieger durch die Flucht.
($s war ein zermalmender Kampf, ein ewiges Ringen ums Dasein, das ein deutscher Kaiser führen mußte, der inmitten seines Reiches zum Segen des deutschen Volkes hätte regieren mögen, wenn nicht der unselige Zug nach Italien, der Kampf mit der Hierarchie feine Kraft verbraucht hätte. Noch hielt er sich mutig aufrecht, den deutschen Fürsten ein wirklich kaiserliches Vorbild edler Ausdauer, als Friedrichs geliebter Sohn Enzio, „der Stern der Ghibellinen", im Kampfe gegen die Bolognesen von diesen gefangen, zu ewiger Haft verurteilt und in golbne Ketten gelegt wurde, die fein Kaiser zu lösen vermochte.
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War schon dadurch Friedrichs bis dahin unbesiegter Mut gebrochen, so gab ihm die Untreue seines langjährigen Freundes, den er in höchstem Vertrauen zu seinem Kanzler erhoben hatte, den Todesstoß, obgleich er den Giftbecher nicht trank, den ihm dessen Leibarzt reichen mußte.
Wohl meinte der Kaiser jetzt, irre geworden an allem, was das Leben schön und groß erscheinen läßt, sich zu einem Vernichtungskriege rüsten zu müssen, nm endlich in heiligem Recht seine Krone ungehindert tragen zu dürfen, da entfiel das schwere Kaiserzepter seiner müden
Hand. Friedrich II. starb nach kurzer Krankheit und wurde seinem
letzten Willen gemäß, im Dom zu Palermo beigesetzt. Seine Grabschrift rühmt in überschwenglichen Worten die Tugenden eines deutschen Kaisers, der „lange Zeit der Gegenstand des Staunens und des Schreckens der Welt war." In edel gehaltener Säulenhalle ruht der kaiserliche Sarkophag, mit Kronen geschmückt und getragen von Löwen. An dem schwarzen Marmorsockel des Denkmals kündet eine weiße Platte mit lateinischer Inschrift: „Hier ruht der Kaiser großen Namens Friedrich II.,
König vou Sizilien, gestorben zu Fiorentino in Apulien, am 13. De-
zember 1250."
Der gewaltige Kampf mit dem Papsttum, den Friedrich nicht leichtsinnig gesucht hatte, mußte dem deutschen Volksbewußtsein als höchste Berechtigung ihres Kaisers erscheinen; denn gleichwie die Sage auf ein Erwachen Friedrich Barbarossas lauschen mochte, der des alten Reiches Herrlichkeit wiederbringen sollte, so ging länger als ein Jahrhundert hindurch ein Hoffen durch die deutschen Lande: „Er wird kommen, unser Heiland, Friedrich II., in gewaltiger Majestät und wird die verrottete Kirche läutern und verbessern."
8. Die letzten Hohenstaufen und das Interregnum.
(1250 bis 1273.)
Friedrichs II. Sohn Konrad (IV.) suchte vergeblich, sich die allgemeine Anerkennung als Reichsoberhaupt zu sichern, nachdem er schon als Kind zum deutschen König gekrönt war. Papst Jnnocenz verbot vielmehr den Gehorsam gegen diesen „ketzerischen Herodessohn" unb erklärte ihn seiner schwäbischen Erblande für verlustig. Es war ein schlimmes Zeichen, daß die deutschen Fürsten sich diesem Machtgebot beugten, und die täglich anwachsende kirchliche Partei ließ nur wenig
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Hoffnung für den jungen Hohenstaufen aufkommen. Er verpfändete darum viele seiner deutschen Besitzungen, um sich wenigstens mit Hilfe dieser Mittel in Italien das Erbe einer Königskrone zu sichern, die einstweilen sein Halbbruder Manfred ihm zu bewahren gesucht hatte. Auch mochte Konrad denken, den päpstlichen Bann lösen zu können, der ihn gleich seinem Vater verfolgte, obgleich er bis dahin nichts Schlimmeres gethan, als nur Kaiser Friedrich II. Sohn zu sein. Als aber sein Anerbieten, der Kirche alle vom Papst beanspruchten Rechte und Besitzungen abzutreten, vergeblich war, vereinigte er sich mit Manfred, um auch Neapel zu erobern, das sich bald unterwerfen mußte.
Dadurch ermutigt, wollte Konrad mit einem Heere von 20,000 Mann nach Deutschland zurückkehren, dort zunächst seine Erbländer zu retten. Der Tod hinderte ihn daran. Er starb, 26 Jahre alt, der letzte deutsche König aus dem Hause der Hohenstaufen und hinterließ einen zweijährigen Sohn, Konradin, für den Manfred zunächst das sicilianische Reich verwaltete, bann aber sich selbst die Krone aufs Haupt fetzte, um sie wenigstens dem Hause der Hohenstaufen zu retten, da der Papst die deutsche Königswürde eben an den Prinzen Edmund von England verkaufen wollte.
In Deutschland sorgten die einzelnen Fürsten nur für ihre Hausmacht, für die Selbstständigkeit ihrer Fürstengewalt, und die deutsche Königskrone stand so niedrig im Kurs, daß nach dem Tode des von Jnnocenz IV. bestellten Gegenkönigs Wilhelm von Holland (er wurde 1256 unrühmlich von den Friesen erschlagen) kein deutscher Fürst seine Hand danach ausstreckte. Jedes vaterländischen Gefühles bar, waren deutsche Fürsten fähig, ihre Reichskrone dem Meistbietenden unter den ausländischen Fürsten zn überlassen.
Das war die Zeit des Interregnums (Zwischenherrschaft), „die kaiserlose, die schreckliche Zeit". Denn Könige, wie der durch den Erzbischof von Köln geworbene englische Graf Richard von Cornwallis, ein Schwager Kaiser Friedrichs II., und Alfons von Kastilien, durch den Erzbischof von Trier erkoren, waren nichts weniger als würdige Träger der deutschen Krone; denn beide Gegenkönige vergaben leichtfertig die Königsrechte an solche Fürsten, deren Gunst sie bedurften. Alfons, für dessen Wahl die Herren von Sachsen, Brandenburg und Böhmen jeder 20,000 Thaler erhielten, kam nie nach Deutschland. Richard von Cornwallis fand sich durch dreimaligen kurzen Besuch am Rhein mit
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den Pflichten seiner Königswürde ab, für die er an den Erzbischof von Köln 12,000 Thaler, an Mainz 13,000, dem Herzog von Bayern 9000 und an andere deutsche Fürsten 8000 Thaler bezahlt hatte.
Das alles brachte große Verwirrung über Deutschland. Jeder Fürst und jeder Ritter meinte, nehmen zu können, was ihm beliebte. Faustrecht und Raubrittertum wurden ärger, als je zuvor, utib das> Fehdewesen unter Fürsten und Adel konnte sich ungehindert ausbreiten. Die Burgen, einst Sitz und Pflegestätte ritterlichen Familienlebens, waren Raubnester geworden, in denen wegelagernde Ritter ihre Beute verbargen, die sie reisenden Kaufleuten abgenommen oder andern Rittern und geistlichen Herren.
Da erhoben sich die deutschen Städte und vereinten sich um ihrer Selbsterhaltung willen gegen solches Unwesen zu einem Verbände^ der zu einer politischen Macht wurde. Die sechzig Bundesstädte des „Rheinbundes" verpflichteten sich, nur dem als König gehorchen zu wollen, den die Fürsten einstimmig wählen würden; sonst wollten sie feinem beistehn, keinen aufnehmen, ihm Geld leihen oder Dienste leisten (1241). Schon früher war die deutsche Hansa, der norddeutsche Städtebund, entstanden, dem sich Hamburg, Lübeck, Braunschweig und viele andere Städte angeschlossen hatten. Er gelangte erst später zu seiner vollen Bedeutung.
Nicht zufrieden damit, den Hohenstaufen in Deutschland allen Boden entzogen zu haben, arbeitete die päpstliche Partei auch in Italien an dem Untergange Manfreds und des letzten unmündigen Hohenstaufen Konradin. Zunächst bot der Papst dem Bruder des Königs Ludwig von Frankreich, Karl von Anjou, die Krone von Sizilien an, doch kam die Sache nicht sobald zum Abschluß, da der fromme Ludwig auch für seinen Bruder kein unrecht Gut haben wollte.
Ein desto weiteres Gewissen hatte dieser, und Papst Urbans Nachfolger, Klemens VI., krönte den Franzosen Karl von Anjou gegen das Versprechen völligen Gehorsams und einer jährlichen Abgabe von 8000 Unzen Goldes zum König von Sizilien (1266), das doch rechtmäßig Besitz der Hohenstaufen war. Aber Herr des Landes wurde der Franzose erst nach der Schlacht von Benevent, in welcher Manfred gefallen war. Er hatte seinen Tod geahnt. Als er mit einer Schar vorandringen wollte, fiel ihm seine silberne Helmzier, ein Adler, aus den Sattelknopf nieder. Manfred stürmte tapfer in die dichtesten Reihen
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seiner Feinde, ohne irgend welche Vorteile für sein Heer zu erreichen. Man fand seine Leiche erst am dritten Tage und setzte sie voller Ehrfurcht für den edlen tapfern Hohenstaufen und Dichterkönig in einer Kapelle zu Benevmt bei. Auf päpstlichen Befehl wurde die „Ketzerleiche" aus der geweihten Kapelle verwiesen und am Ufer eines kleinen Gewässers verscharrt, dem Papste keine Ehre, dem hehren Fürsten keine Schande.
Nun erklärte sich Karl von Anjou zum Herrn des Landes, regierte aber mit unerhörter Grausamkeit und zerstörte rücksichtslos alles, was an die Hohenstaufen erinnern konnte. Alle segensreichen Einrichtungen, durch welche Friedrichs II. milde und weise Regierung das Königreich beglückt hatte, wurden durch harte Gesetze verdrängt, und die Klagen des mißhandelten Volkes riefen endlich den jungen Kaisersproß Konradin als Erlöser herbei.
Dieser hatte bis dahin an den Ufern des Bodensees in idyllischer Freiheit eines reichen, edlen Jugendlebens mit gleichgesinnten Freunden Kunst und Wissenschaft gepflegt, Lieder gedichtet und gesungen, und gleich seinem Freunde, Friedrich von Baden (Ottokar v. Böhmen raubte diesem sein mütterliches Erbe Oesterreich) wohl kaum mehr daran gedacht, das Erbe der ihm entrissenen Krone Siziliens anzutreten. Als man ihn einst als König von Deutschland in Aussicht genommen hatte (1262), nachdem er eben in den Besitz des Herzogtums Schwaben gelangt war, mochte der Papst in seinem Hasse dem kaiserliche Knaben (10 Jahre alt) selbst den größten Gefallen gethan haben, indem er die Wahl hintertrieb. Richard von Cornwallis mußte ihm freilich auch das Erbland Schwaben auf Geheiß des Papstes entreißen; die Hohenstaufen sollten besitz- und machtlos bleiben, so wollte es die Kirche.
Nun war der sechzehnjährige Königssohn ein Ritter geworden, und zahlreiche Vasallen strömten dem mit seltener Schönheit an Leib und Seele ausgestatteten Konradin zu, der vereint mit seinen treuen Freunden, Friedrich von Baden und andern, an der Spitze eines Heeres von 10,000 Mann über die Alpen zog (1267).
Mit scheelen Blicken sah der Papst, wie das italienische Volk dem herrlichen Königsjüngling entgegenjubelte. Er mußte es geschehen lassen, daß der letzte Hohenstause, ein königlicher Aar, auf der Hohe des Kapitols im Sonnenglanze des Glückes sich noch einmal groß und herrlich fühlen durfte, ehe der Hohenstaufen letzte Stunde hereinbrach.
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Teils durch den Widerstand der lombardischen Städte auf seinem Zuge uach dem Süden aufgehalten, teils um die Rüstungen der Ghibellinen in Italien abzuwarten, deren Hilfe willkommen schien, hatte Konradin drei Monate lang thatenlos in Verona verweilt und die anfängliche Begeisterung seines Heeres kühlte sich darüber sehr ab. Viele kehrten nach Deutschland zurück, so daß Konradin nur mit 3000 Deutschen bis nach Rom gelangt war. Ein mächtiger Zufluß an sizi-lischen Ghibellinen vergrößerte zwar das zusammengeschmolzene deutsche Heer, aber die Franzosen waren ihm doch an Zahl weit überlegen. So war Konradin bis nach den Abruzzen gekommen und hatte sich bei dem Städtchen Tagliacozzo gelagert. Dort griff ihn das französische Heer an, und die Deutschen glaubten schon den Sieg errungen zu haben, als 800 französische Ritter aus dem Hinterhalte hervorbrachen und ihnen eine völlige Niederlage bereiteten. Konradin selbst mußte sich durch die Flucht retten, fand aber schon in Rom die Volks-stimnrung so verändert, daß er sich nach Astnra wandte, von dort aus in Sizilien Sicherheit zu finden. Ein Römer, Johann Frangipani, der dem Kaiser Friedrich viele Wohlthaten verdankte, nahm Konradin
mit den ©einigen gefangen und lieferte alle gegen großen Lohn an
Karl von Anjou aus.
Damit war das Geschick des unglücklichen Königssohnes entschieden. Unter einem Schein des Rechts berief Karl einen Gerichtshof, der Konradin und seine Getreuen als Empörer zum Tode verurteilen sollte. Ein einziger der berufenen Richter, der knechtisch gesinnte Kanzler Robert von Bari, stimmte für den Tod Konradins, der nur sein gutes Recht gegen den französischen Eindringling verteidigen wollte. Darauf hin sprach Karl selbst das Todesurteil über alle Gefangenen aus; es sollte
auf dem Marktplatze zu Neapel vollzogen werden.
Vergeblich warnte der Papst und die Kardinäle gegen solche Blutthat, und das zu erwartende furchtbare Schauspiel hatte das Mitleid des Volkes so erregt, daß Karl alle Ursache haben mochte, es zu fürchten. In lautloser Stille harrte die Menge der grausamen Stunde, in welcher Karl von Anjou selbst Zeuge seiner Fürstenmorde sein wollte. Als der Tyrann auf dem Richtplatze erschien, verkündete Robert von Bari noch einmal das Todesurteil, und Karl von Anjous eigner Schwiegersohn, Graf Robert von Flandern, rief dem Kanzler zu: „Wie darfst du, frecher, ungerechter Schurke, einen so großen und herrlichen Ritter zum Tode verurteilen?" Dabei schlug er mit dem Schwerte auf ihn ein.
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daß man ihn für tot hinweg trug; aber das Schreckensgericht wurde dadurch nicht aufgehalten.
Dem Grafen Galvan Lancia tötete man erst die Söhne in seinen Armen, dann ihn selbst. Friedrich von Baden und Konradin bestiegen zusammen das Blutgerüst mit bloßen Füßen und in Hemdsärmeln, wie gemeine Verbrecher (29. Oktober 1268). Einer nach dem andern fiel unter dem Beile des Henkers. Konradin hatte noch einmal vom Blutgerüst aus zum Volke gesprochen und seine Unschuld beteuert und war dann mit dem Schmerzensruse: „O Mutter, welches Leiden bereite ich dir!" von einer Welt geschieden, die ihm angesichts des Todes noch einmal in paradiesischer Herrlichkeit vor Augen lag.
Portici, Carstellamara, Sorrento und Massa, ein blendender Zauberkreis im Glanze des tiefblauen südlichen Himmels, umschloß den herrlichsten aller Meerbusen, dessen Wogen den Verurteilten einen Abschiedsgruß rauschten, zu dessen Linken sich das düstere Haupt des Vesuv erhob, zur Rechten die schroffen Felsen der Insel Capri emporragten, gleich finsteren Mahnzeichen an jenen Schreckensgenossen des grausamen Karl von Anjou, den römischen Kaiser Tiberius, der einst aus Capri hauste.
Sage und Dichtung berichten, daß ein weißer Adler aus den Lüsten herabgestoßen sei und den rechten Flügel durch das königliche Blut geschleift habe, um es emporzuragen zu dem ewigen Rächer. Auch heißt es, Konradin habe seinen Handschuh vom Blutgerüst hinab geworfen, daß ihn jemand feinem Verwandten, Peter von Aragonien, als Pfand seines Erbrechts aus Sizilien überbringe, und der Ritter-Heinrich Truchseß von Waldburg soll diesen letzten Willen des Gemordeten erfüllt haben. Peter von Aragonien, der Schwiegersohn Manfreds, erhielt thatsächlich die Krone von Sizilien, nachdem die Schrecken der „sizilianischen Vesper" der grausamen Tyrannenherrschaft Karl vonAnjou's ein Ende gemacht hatten (1282). Da ein kecker Franzose einer sizilianischen Jungfrau aus dem Kirchwege mit unzüchtigem Wort begegnet war, brach der lang verhaltene Groll ihrer Stammesgenossen hervor. Die Dolche der sizilianischen Männer vernichteten alle Franzosen der Insel bis aus den letzten Mann.
Mit Konradin war das Geschlecht der Hohenstausen erloschen, das länger als ein Jahrhundert alle Fürstengeschlechter seiner Zeit überragt hatte, und es mag noch einmal kurz zusammengefaßt sein, was das deutsche Volk in dieser Zeit unter den Hohenstaufen
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und durch sie, ja selbst durch ihre Fehler geworden war. Schwerer trug wohl nie ein Haus an dem Zoll, den das Glück von den Seinen fordert, und die Betrachtung eines Geschichtsschreibers über die tragische Größe der Hohenstaufen ist berechtigt, daß „die Hohenstaufen an der Last ihrer Verfehlungen furchtbar getragen," und daß „Gott mit ihnen wohl mehr als mit andern schon hier abgerechnet."
9. Deutschlands innere Entwickelung unter den Hohenltanfen.
Wenn der weiteste Rahmen der mittleren Geschichte, das Mittelalter genannt, sich ausdehnen läßt von dem Untergange eines Riesenganzen, des weströmischen Reiches (476 bis 1517), bis zur Reformation, so haftet doch unsere Vorstellung des Mittelalters zumeist an der Zeit der Kreuzzüge, an der Regierungszeit der Hohenstaufen, da sich hier der Höhepunkt mittelalterlicher Gestaltung des deutschen Staats- und Volkslebens findet. Dieses hatte gerade hier Zeit und Raum, sich in den verschiedensten Volksschichten selbstständiger zu entwickeln, als es je unter anderen Kaisern möglich war. Hatte Deutschland unter den Karolingern, unter den sächsischen Kaisern wie unter den Saliern nach Außen hin an Macht und Ansehen gewonnen, so verloren die Hohenstaufen, meist fern vom Reiche, hier an Kraft und Ansehn im Kampfe mit der Kirche. Im Ringen um den immer wieder fraglichen Besitz eines italischen Erbteils, das für Deutschland nutzlos war, fand das edle Hohenstaufengeschlecht seinen beklagenswerten Untergang, weil es dadurch unaufhörlich mit dem Papsttum rivalisirte, das endlich Sieger blieb.
Die Kreuzzüge, in ihrem weitern Verlauf ein eigenstes Werk der Päpste und der Kirche, mögen, flüchtig angeschaut, als die Folge einer religiösen Schwärmerei betrachtet werden — immerhin in ihrer beherrschenden Glut und Begeisterung etwas Großes — und doch welche tiefgehenden Beweggründe, welche weiten unberechneten Folgen ruhten darin!
Zunächst waren sie eine Kraftprobe der römischen Kirche auf die Volker des Abendlands wie ihrer Herrscher. Hatte Papst Urban II. den begeisternden Glaubenseifer des Pilgers Peter von Amiens klug benutzt und den ersten Kreuzzug predigen lassen unter dem Versprechen völligen Ablasses für die zunächst meist nur französischen Kreuzfahrer, so war der Erfolg mehr als unerwartet. Die Kirche feierte einen Sieg über die Tausende,
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welche begeistert ihrem Rufe folgten, und das Christentum hatte seine Kraft gegen den Muhamedanismus des Morgenlandes siegreich in die Wagschale geworfen. Wie viele Wandlungen des Eifers und der Erfolge die sieben Hauptkreuzzüge während zweier Jahrhunderte haben mochten, die Macht der Päpste war während dieser Zeit derart gewachsen, daß der päpstliche Bann Kaiser Friedrich II. treffen konnte, weil er den dem Papste gelobten Kreuzzug verzögert hatte.
Mit dem Falle von Accon war der letzte Besitz abendländischer Christen in Palästina verloren (1291), und sechs Millionen Menschen wären nur einer frommen Träumerei oder dem hierarchischen Gehorsam geopfert worden, wenn die Kreuzzüge nicht auf Sitten und Religion, auf Kunst und Wissenschaft, wie auf geistige und materielle Entwicklung des europäischen Völkerlebens, damit deutscher Kultur, einen überwältigenden Einfluß gehabt hätten. Es mag sich diese Einwirkung am besten bei den einzelnen Ständen erkennen lassen.
Kaiser und Fürstengewalt.
Die Hohenstaufen trachteten zunächst darnach, das unter den letzten Kaisern, besonders unter Lothar von Sachsen sehr geschädigte kaiserliche Ansehen wieder herzustellen. Damit stießen sie auf viel feindlichen Widerstand. Die Herzogswürde war meist erblich geworden, wogegen ein starkes Königtum nur durch die besondre Kraft des jedesmaligen Trägers der deutschen Krone möglich war, die er seinem Erben
nicht ohne weiteres hinterlassen konnte. Denn das Wahlrecht der Deutschen war bei den letzten Königskrönungen sehr in den Vordergrund getreten, und schon jetzt hatten einzelne geistliche und weltliche Fürsten dabei eine maßgebende Stimme gewonnen, obgleich von den eigentlichen Wahl- oder Kurfürsten hier noch nicht die Rede ist.
Das Ringen der Fürstengewalt gegen das Kaisertum, die Spal-
tungen der Welfen und Ghibellinen, veranlaßten die Kaiser oft, Hoheitsrechte und Privatgüter an ihre Anhänger zu vergeben oder sich solche durch Gaben zu gewinnen, so die Städte, oft auch die Geistlichkeit, durch Rechtsverleihungen. Darin lag notgedrungen eine Schwächung des Königstums und damit des Reiches, wodurch Papst und Kirche ein Uebergewicht erhielten. Des alten deutschen Reiches Herrlichkeit, welche Karl der Große begründete, hatte nicht zum wenigsten darin geruht, daß der deutsche Kaiser in unbeschränkter monarchischer Gewalt oberster Lehns- und Schirmherr des Staates und der Kirche war.
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Unter betn Haß ber Päpste waren bie Kaiser, um Friebrichs II. Wort zu gebrauchen, ein „gebulbiger Ambos" geworben unb bie beutsche Krone ein Ding, bas gleichsam auf ber Straße lag; aber kein beutscher Fürst bückte sich banach. Den Bestrebungen ber Päpste war es zu banken, baß frembe Fürsten sich bie beutsche Krone kauften.
Währenb so bie Kaiserwürbe in ben Staub sank, erlangten geistliche unb weltliche Fürsten, bie bis bahin nur Lehnsherrlichkeit, Heerbefehl unb Gerichtsbarkeit in ihren Säubern gehabt hatten, erbliche Laubeshoheit, bie ihnen Kaiser Friebrich II. burch ein besonberes Reichsgesetz zusicherte. Nur bie Geistlichen unb Reichsunmittelbaren, zu benen auch viele Stäbte gehörten (freie Reichsstäbte), stauben, jene
unter Bifchof unb Papst, biefe unter bem Kaiser.
Gleich ben mächtigen Stäbten suchten sich bie lanbsäßigen Ritter von ben Fürsten frei zu machen unb bas um so mehr, ba sich
bie Ritter in ben Kreuzzügen wohl von mancherlei Sitten itnb Gebräuchen gelöst hatten, aber sich auch vieler Verbienste rühmen
bürsten. Die Ritter, in ben Kreuzzügen Schilbträger bes Christentums, hatten bas Waffenspiel ber Turniere zu eblerem Dienst unb Ringen erhoben, wie ber Solbat erst im Kriege feine volle Bebeutung erhält.
Auch bas Volk war sich unter feinen Pflichten, unter ber Hülfe, bie es Kaiser, Kirche ober Fürsten leistete, feiner baraus erwachsenen Rechte bewußt geworben. Da würben Versammlungen einberufen, Lanbtage, auf benen bie brei Lanbstänbe, Geistlichkeit, Ritter unb Stäbte mit ihren Fürsten Verträge schlossen. Noch waren feine Vertreter bes Bauernstanbes babei; boch würben im zwölften Jahrhunbert 116 geistliche unb 100 weltliche Reichsftänbe gezählt.
Durch bie Kämpfe ber Fürsten mit bem Kaiser hatten bie vielfach zersplitterten Herzogtümer anbre Gestaltung, anbre Namen erhalten. So war schon unter bem Salier Heinrich III. aus bem Herzogtum Franken bie Pfalzgraffchaft am Rhein unb anbre kleine Grafschaften gebilbet, auch bas Erzstift Mainz, bie Bistümer Würzburg, Bamberg, Fulba, Worms unb Speyer, ebenso bie Burggraffchaft Nürnberg, von ben Zollern verwaltet, unb verschobene Reichsstäbte, wie Nürnberg unb Frankfurt.
Von ben Herzogtümern Sachsen unb Bayern, einst in Heinrichs bes Löwen Hanb vereint (1186), war bas letztere an Otto von Wittelsbach verliehen worben, boch Steyermark unb Tyrol bavon getrennt,
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auch Bistümer und die Städte Regensburg und Passau reichsfrei geworden. Sachsen war an den Sohn Albrecht des Bären (von Brandenburg), Bernhard von Anhalt, gekommen und von dem zersplitterten Herzogtum Schwaben waren Württemberg und Baden die Hauptüberreste.
Lothringen war zum Teil unter Frankeichs Lehnsherrschaft (1196), das Herzogtum Brabant, die Grafschaften Limburg, Geldern, Jülich, Kleve-Berg, auch die Bistümer Lüttich und Utrecht unabhängig, Köln und Aachen Reichsstädte geworden. Böhmen wurde durch Philipp von Schwaben sogar als Teil des deutschen Reiches zu einem besondern Königtum erhoben, und die einzelnen Volksstämme Deutschlands führten längst unterscheidende Farben, jeder je zwei in Schild und Banner, die sich zum Teil bis heute erhalten haben.
In dem wichtigsten Rechtsverhältnis des Staates, dem Lehnswesen, das den Kaiser als ersten und obersten Lehnsherrn ehrte, von welchem die Vasallen belehnt wurden, die wiederum den Aftervasallen das Afterlehen gaben, erhielt der erstere, der Reichslehnmann, ein König-
reich feierlichst mit dem Schwerte, eine Landschaft mit der Fahne zu Lehen. (Reichslehen — Fahnenlehen.) Die Lehen, welche zum Heerdienst verpflichteten, gingen vielfach als Erbe auf den Sohn über, vom 13. Jahrhundert an sogar auf die weibliche Nachfolge. (Kunkellehen.)
Bauer- und Bürgerstand, Handel- und Gewerbe.
Der Fürstenmacht und dem Adel gegenüber war der freie Bauernstand, dnst die Kraft des deutschen Heerbanns, sehr zurückgedrängt. Man unterschied „Freie" und „Unfreie", die je nach den verschiedenen Ländern nicht ganz gleich gestellt waren. Nach dem Sachsenspiegel gab es unter den Freien erstens Schöffenbar Freie, das heißt völlig freie Bauern mit freiem Eigentum, dann Pfleghafte Freie „di in dem lande eigen hebben, dar sie wat sin plichtig af to gevenn oder to dunde." Die dritte Klasse der freien Bauern waren die
Landsassen „di chein eigen hebben in dem lande", also überhaupt
keinen Grundbesitz oder nur verliehene Güter hatten.
.Unfreie waren die Leibeigenen und die Sklaven. Die Leibeigenen waren persönlich unfrei und ohne Erbrecht, aber nur verkäuflich mit der Scholle, zu der sie gehörten. Sklaven, meist unter-
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worfene Völkerschaften, waren rechtlich nur einer Sache gleich. Durch bett Einfluß bes Christentums würbe bieser Zustanb zurückgebräugt unb zur Leibeigenschaft erhoben, bie auch nicht viel besser war als Sklaverei.
Zum Teil zogen bie Bauern, um sich vor bem wachsenben Ueber-mut bes Abels unb ber Raubritter zu schützen, in bie Nähe ber Ringmauern (Pfähle) aufblühenber Stäbte. Mau nannte sie barmn Pfahlbürger ober Ausbürger; sie hatten aber keine stäbtischen Rechte-Daneben gab es Halbbürger, Vollbürger, Spießbürger, nach ihrer Waffe so genannt, n. a. Die Vornehmsten waren bie „Geschlechter", bie Altbürger; sie waren bie ersten stäbtischen Ansiebler unb hatten als bie Patrizier ber Stäbte bie größten Rechte.
Auch auf ben gebrückten Bauernstanb hatten bie Kreuzzüge einen wohlthätigen Einfluh, ba selbst ber Knecht, ber bas Kreuz nahm, nach päpstlicher Bestimmung ein Freier würbe, oft sogar ber Erbe seines Herrn, wenn bieser aus ber Frembe nicht heimkehrte.
In ben Stabten reiften Gewerbe unb Kunst burch Wetteifer unb gegenseitige Anregung, bie ebenfalls burch bie Kreuzzüge genährt würben. Wie einst bie alten Germanen, bie Baubenkmäler bes alten Rom bewunbert hatten, seine Triumphbogen unb seine herrlichen Tempel, so würben bie abenblänbischen Kreuzfahrer burch bie Kunst bes Morgenlandes gefesselt. Der Reichtum ber Farben unb ber Formen reizte zur Nachahmung.
Mit bem Aufblühen ber Stäbte, bie immer mehr Privilegien von ben Kaisern erlangt hatten, ging bie Entwicklung neuer Rechtsverhältnisse, neuer Stäbteorbnungen Hand in Hanb. Immer weniger waren bie beutschen Herrscher fähig, bie gemeine Freiheit bes Volkes gegen Nebergriffe bes Abels zu schützen. Es suchte sich selbst um so mehr burch Vereinigungen zu stärken, ba bie Familienbanbe, einst eine Wehr für bas Recht bes Einzelnen, sich so geweitet hatten, daß in ihnen kein Schutz mehr zu sin ben war.
Der alten Familie ähnlich bisbeten sich Schutzverbrüberungen; sie nannten sich Gilben unb waren beschworene Vereine „Mann zu Mann zu gegenseitiger Hülfeleistung." Die Beziehungen ber Gilbegenossen waren auf Ehre, Tugenb unb Treue gegründet, ein treues Abbilb ber einstigen Familienzusammengehörigkeit. Krankheit unb Not, Beleidigung, Schade an Leib und Leben war allen Gildegenossen gemeinsam. Ja alle Schuld lag auf der Gemeinschaft. „Alle sollen es tragen, wenn einer sich vergeht und alle Gleiches dulden."
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Diese Gilden waren zunächst nicht an die Städte gebunden; aber hier entwickelten sie sich erst zu voller Blüte, da sich die Vollbürger, die Aristokratrie der Städte, zu Schutz und Trutz gegen Willkür der Fürsten und Bischöfe vereinten. Mit der Macht wuchs das Ansehen der Gilden, aber auch ihr Uebermut. Die ältesten derselben, in denen sogar eine Erblichkeit stattfand und die vou Geschlecht zu Geschlecht erstarkten, folgten bald Gilden, welche die Rechte der obersten Gilde bekämpften, dereu Uebermacht zur Tyrannei gegen die ärmeren Bürger der Städte ausartete, je mehr das Regiment der Fürsten und Bischöfe unterlag. Bald hatten die Herren der obersten Gilde das alleinige Recht, städtische Gesetze zu geben, nicht aber „der Mann ohne Herd und Ehre, der von der Arbeit lebt." Trotzdem wälzten die Gilden die Hauptsteuerlast auf die Unterdrückten, und so kam es, daß die Handwerker, welche nicht im Besitz von städtischen Grundstücken waren, Unterthanen der.Geschlechter wurden und doch hatten sie gleich diesen die städtischen Rechte mit ihrem Blute erkämpft.
Nun schlossen sich die schwächeren Bürger, die unteren Stände der Handwerker einander an zur Machtvernichtung der Gilden. Es mag hier unerörtert bleiben, wie viele Handwerker aus den Unfreien, aus den Hörigen der Könige, Fürsten oder Bischöfe hervorgegangen und zu Innungen vereinigt waren, die sich durch Zuströmende der benachbarten Dörfer vermehrten, ihnen selbst galt es, sich Unabhängigkeit, auch Rechte in der Verwaltung der Städte zu verschaffen, und die Freien wollten den Schutz ihres Gewerbes gegen die Hörigen unter den Handwerkern erringen.
Es bildeten sich neue Gildeu der Handwerker, Zünfte, die wiederum eine Aristokratie im Handwerkerstande hervorriefen, in die ihrer späteren Entwicklung nach so leicht kein Fremder hinein kam. Denn obschon die Zünfte auch zunächst Schulen des Handwerks waren, so bildeten sie nicht weniger Schranken der freien Entwicklung, und nur Meistersöhne wurden Meister, indem sie Meistertöchter oder Meister-ivitiveu heirateten. Gilden, Innungen wie Zünfte sind aber nur soziale Vereinigungen in dein großen Kampfe des Daseins einzelner Stände im deutschen Volksleben, und nachdem die Zünfte mächtig neben den Gilden geworden waren, entbrannte mancher heiße Kampf unter ihnen, wie die „Weberschlacht" zu Köln am Rhein (21. Nov. 1371) gegen bie Geschlechter, nach der 33 Weber hingerichtet, 1800 Weber mit
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Weib und Kind ausgewiesen wurden und ihr prächtiges Zunfthaus der Erde gleich gemacht worden war.
Aber trotz mancher Niederlage erlangten die Handwerker doch eine politische Gleichberechtigung mit den Patriziern der Städte. Der freie selbstständige Erwerb hob den Handwerkerstand, und gleich wie sich die Ritter mit dem Zusatze des Wörtchens „von" nach ihren Stammburgen nannten, so fanden die Bürger ihre Namen vielfach nach ihren Gewerben und sind daher die zahllosen Müllers, Webers, Schusters, Schmidts u. s. w. der Jetztzeit darauf zurückzuführen. Die einzelnen Gewerkschaften bewohnten gemeinsam ganze Straßen, die ebenfalls nach ihnen benannt wurden; Fleischergasse, Schustergasse u. s. w. Die Zünfte hielten sich, wenn auch nicht auf gleicher Höhe, Jahrhunderte lang, bis sie einer neuen Ordnung der Dinge weichen mußten.
Fast noch mehr wie das Gewerbe wurden Handel und Verkehr durch die Kreuzzüge belebt; sie gestalteten sich dadurch .zum Welthandel. Die Schiffe, welche die Kreuzfahrer über das Mittelmeer geführt hotten, kamen nicht leer zurück. Sie hotten Verbindungen zwischen Europa, zwischen Deutschland und Asien angeknüpft.
Die kostbaren Waren und Knnstsachen des Morgenlandes wurden Handelsartikel und Kunstmuster zugleich. Der Handel mit dem Orient brachte zunächst dem südlichen Europa, den südlichen Städten Deutschlands Reichtum; erst allmählich zog sich ein Netz der Handelsstraßen dem Norden zu, die freilich an einem Schaden krankten: sie waren zu wenig gesichert. Doch wurden die norddeutschen Städte Lagerstätten der Erwerbungen aus dem Orient, denen der Norden Holz zum Schiffbau, Eisen, Bernstein, Pelzwerk als Handelsartikel hinzufügte. Kaufhäuser,Jahrmärkte und Messen, Wechselbriefe und Tausch erleichterten denHandelsverkehr, der sich auch für Norddeutschland so großartig gestaltete, daß allein in der heute kleinen gothländischen Stadt Wisby zur Zeit der Hohenstaufen 12,000 Kaufleute wohnten und ein besonderes Handelsrecht gründeten, das eine Hauptgrundlage alles Seerechts bis auf diesen Tag geworden ist: „Dat Water-Recht, bat de Kooblüde und de Schipers gemafet hebben to Wisby."
Zu besonderer Blüte gelangte der Handel in den heutigen Niederlanden, von allen Seiten durch seine Lage dafür begünstigt. Im Hafen zu Antwerpen sollen oft zu gleicher Zeit gegen 1200 Schiffe gelegen und wöchentlich viele tausend Frachtwagen aus Frankreich, Deutschland und Lothringen den Handelsverkehr unterhalten haben.
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Dadurch kam viel Reichtum in die Handelsstädte, die sich unter einander verbündeten und fähig waren, große Heere aufzustellen, um sich ihre Rechte mit Gewalt der Waffen zu erkämpfen. Viele Kaufherren waren reicher als der Kaiser und die Fürsten, die sich Geld von ihnen borgten. Augsburg galt als die reichste Stadt in der ganzen Welt, und in Nürnberg wohnte ein mittelmäßiger Bürger besser, als in Schottland ein König. Danzig war so mächtig, daß sein Bürgermeister dent König von Dänemark den Krieg erklärte, und in der Stadt Brügge herrschte solcher Aufwand, daß einst die Königin von Frankreich sich bei einem Besuche (1251) stolz im Kreise der sie begrüßenden Bürger-frauen umschaute mit den Worten: „Ich glaubte allein hier Königin zu sein und sehe deren wohl sechshundert um mich her!"
Der Geldverkehr war ausschließlich in den Händen der Juden, da die christliche Kirche nicht gestattete, Zinsen zu nehmen. Die reichen Juden, vielfach „Kammerknechte" der Kaiser, wurden nur in besonderen Stadtvierteln gegen ein Schutzgeld geduldet. Sie nahmen dafür als Ersatz für sich hohe Zinsen und suchten sich durch Wucher für die Bedrückungen der Christen zu rächen. Doch haben die grausamen Judenverfolgungen des Mittelalters die Lebenszähigkeit des jüdischen Elements nicht mindern können.
Mit dem Reichtum wuchs die Ueppigkeit in Kleidung und Fest-gelagen. Vergeblich suchten fürstliche und kaiserliche Verordnungen jahrhundertelang diesem Unwesen zu steuern, das sie mit hohen Geldstrafen belegten. Es sollte dies dem Ernste einer späteren Zeit vorbehalten bleiben
Deutsche Baukunst und Dichtkunst.
Doch lag in dem Wohlstand der Städte, in der Sorglosigkeit um äußeres Fortkommen neben dem Verlangen auch die Möglichkeit, das Leben zu verschönern. Das Zeitalter der Kreuzzüge und der Hohenstaufen wurde die Blütezeit nationaler Baukunst und deutscher Dichtkunst. Beide fanden Stoff und Belebung in ihrer Zeit selbst, und l'ci zueilt bei Baukunst gedacht. Die deutschen Bauten hatten sich Jahrhunderte lang auf die verhältnismäßig einfach aufgeführten Kaiserpfalzen, Fürstenhäuser und festen Ritterburgen beschränkt neben Kirchen, die nicht viel Kunst, aber den einfachen Sinn ihrer Erbauer an sich trugen. Die Kirchen wurden zur Zeit der Kreuzzüge anfangs noch in romanischer Bauart aufgeführt, die, im Rundbogenstil gehalten, ihrer
Bornhak, Unser Vaterland. c
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Grundform nach den römischen Basiliken (Rechteck, mit Halbkreis für den Altar) nachgebildet waren. Die Dome zu Speyer, Limburg, Mainz, Bamberg, Brauuschweig u. a. verdankten ihre Entstehung dem regen kirchlichen Leben der Kreuzzüge.
Im dreizehnten Jahrhundert vollendete sich die deutsche Baukunst zu ihrer herrlichsten Gestaltung, der gothischen Bauart, die man mit vollstem Rechte die deutsche nennen sollte; denn deutsche Baumeister, selbst im Auslande viel begehrt, hatten sie herausgebildet. Anfangs vertauschten sie nur die Rundbogen mit dem Spitzbogen; aber immer mehr wurde der deutsche Wald mit seinen himmelanstrebenden Baumformen das hehre Modell für den aus Stein gebildeten heiligen Hain gothischer Kirchen. Fest gegründet stehen die mächtigen Säulen, aus denen sich die gleich Riesenpalmen emporstrebenden Säulenbüschel zum hohen Kreuzgewölbe vereinen und wiederum auflösen. Die hohen, durch edle Glasmalerei gedämpften Bogenfenster gleichen farbigen Waldlichtungen, und so entspricht der gothische Bau in allen Formen auch nach außen hin einem Leben aus Stein in edelster Gestaltung
Die herrlichsten Denkmäler dieser altgothisch-deutschen Baukunst sind außer dem Freiburger Münster (1300 vollendet) das Straßburger Münster und der Kölner Dom. Zu letzterem wurde der Grund im Jahre 1248 gelegt, und erst nach mehr als sechs Jahrhunderten wurde der Bau herrlich vollendet. Der Bau des Straßburger Münsters mit seinem steindurchbrochenen Turme, der 574 Fuß mißt, wurde 1277 begonnen, und 161 Jahre später fügte der Kölner Baumeister Joh. Hütz den letzten Baustein ein. Prächtige Patrizierhäuser wurden gebaut, Rathäuser und andere öffentliche Gebäude, die bis auf unsre Zeit gekommen, den Jahrhunderten getrotzt haben.
Die Erscheinungen der Literatur eines Volkes ruhen zumeist auf dessen Geschichte, wie unsere Tagesblätter die Begebenheiten der Gegenwart wiedergeben. So wurde die Begeisterung der Kreuzzüge, das lebensvolle ritterliche Treiben derselben, die Pracht des Orients, wie die phantastisch ausgeschmückten Heldenthaten der Kreuzfahrer Anregung zu Dichtkunst und Gesang.
Zuerst fanden diese im südlichen Frankreich und in Spanien eine heimische Stätte, und die Gesänge der französischen Troubadours tragen etwas ein sich von der Glut des Südens. Bei den frohen Festen der fürstlichen Herren erschienen die Troubadours (so genannt vom Reim
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finden „trouver“) als gern gesehene Gäste, und das „lustige Handmerk" des Gesanges fand sehr viele Vertreter, die auch in die angrenzenden Länder zogen. Auch Deutschland hatte bald seine Troubadours, die Minnesänger, welche von Minne (Liebe und Verehrung) zu der hehren Frowe sangen, der Himmelskönigin Maria, aber auch von ritterlicher Huldigung und irdischer Liebe zur edeln deutschen Frau. Mehr als hundert solcher Sänger und Dichter sind genannt. Oft waren es Ritter, die ohne eignen Besitz, ihren Reichtum in der Gastfreundschaft anderer Herren finden mußten und ihnen von den Heldenthaten tapfrer Ritter sangen, aber auch von der Jungfrauen Schöne und edler Ritter Frauendienst. Man unterschied geistliche, höfische und fahrende Sänger.
Als der bedeutendste unter ihnen gilt der Ritter Walter von der Vogelweide (f um 1230). Er mußte früh sein Brod in der Fremde suchen und lebte am Hofe der Herzöge von Oesterreich. Ihm ist alles eitel Wonne und Freude; seine höchste Lust ist sein „herzliebes Frowelin". Linde, Feld und Wald beglücken ihn, und den Frühling grüßt er: „Nun wohlan, mögt ihr die Wahrheit schauen,
Geh'n wir zu des Maien hohem Feste!
Der da mit allem Glanze ist gekommen.
Seht ihn an und seht die teuren Frauen,
Wer von beiden da wohl sei das beste . . ."
Das Vaterland ist ihm mehr als alle Reiche der Welt, ihm verdankt er alles, in ihm hat er „singen und sagen" gelernt:
• „Ich hab' Lande viel gesehen.
Stets der besten nahm ich gerne wahr,
Uebel müßte mir geschehen.
Könnt' ich je mein Herze bringen dar.
Daß ihm sollte wohl gefallen Fremde Sitte.
Denn was hüls es mir, wenn ich mit Unrecht stritte?
Deutsche Zucht geht vor in allen!" . . .
Doch klagt der Dichter über die Uneinigkeit in deutschen Landen, Äber die Scheinheiligkeit der Geistlichen und über die Anmaßung des Papstes gegen den deutschen Kaiser, den er mahnt, seines kaiserlichen Amtes und Rechts zu walten.
Eine Zeit lang lebte er am Hose des Landgrasen Hermann von Thüringen, der sür die deutschen Sänger ebenso gastfrei war, wie die
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Babenberger zu Wien, der Markgraf von Meißen u. andere. Zn dieser Zeit nahm Walter von der Vogelweide mit andern Sängern (1207), Wolfram von Eschenbach, Heinrich von Cfterdingen u. a. an dem berühmten Wettstreit auf der Wartburg Teil, in dem, der Sage nach, Heinrich von Ofterdingen unterlegen war und schon dem Henker überantwortet werden sollte, als ihn die Huld der Landgräfin Sophie vom Tode rettete.
Als einer der letzten Minnesänger soll Heinrich von Meißen (Frauenlob) von Frauen zu Grabe getragen worden sein, weil er ihr Lob gesungen hatte.
Außer dem eigentlichen Minnegesang, der sich das Lied erwählte, behandelte die Kunstpoesie, besonders vom Adel, selbst vom Kaiser gepflegt, den Sagenstoff alter Zeiten, und die Heldengeschichten: Karl der Große und seine zwölf Paladine, König Artus und seine Tafelrunde, das Rolandslied, aber auch der Trojanerkrieg erscheinen in poetischer Gewandung. Dieser epischen Kunstpoesie schloß sich die Legende an, die ihren Stoff kirchlichen Sagenkreisen entnahm; auch die poetische Erzählung geistlichen und weltlichen Inhalts, die Tiersage, wie Reinecke Fuchs, Fabel- und Spruchsammlungen entstanden um diese Zeit.
Doch die älteste Weise deutscher Dichtkunst, welche nach der im neunten Jahrhundert fast verstummten Literatur im zwölften und dreizehnten Jahrhundert neu erwachte und Großartiges darbot, ist die Volkspoesie, in welcher das Nationalepos (vaterländische Heldengedicht) sich aufbaute. Fahrende Sänger schöpften aus dem Schatze alter Volksgesänge, welche von tapferen Königen und ihren treuen Mannen wußten. Verschiedene Sagenkreise vereinigten sich im Nibelungenliede (13. Jahrh.), in welchem des Königs Siegfried Tod und die Rache feiner Gemahlin Krimhild die tragischen Höhepunkte bilden. Diese Sagenkreise sind der niederr Heinis che mit Siegfrieds Heldengestalt, der burgundische mit den Burgundenkönigen, der oft gothische mit Dietrich von Bern (Theodorich der Große) und der hunnische Sagenkreis mit Etzel (König Attila).
Der norddeutsche Sagenkreis gab das liebliche Bild der treuen Kudrun ((Sudrun und der lombardische die Sagen von König Rother, von König Ctnit, von Hug und Wolf Dietrich. Die Verfasser all dieser herrlichen Volksdichtungen, oft auch nur Sammlungen, sind unbekannt.
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Volksbildung, wissenschaftliche und religiöse Bestrebungen.
Die Volksbildung war zur Zeit der Hohenstaufen wohl allgemein erstrebt; aber noch bewegte sie sich vielfach in nur äußeren Dingen, wie die Wormser Schulordnung (1260) den Schülern freistellte, ohne Entrichtung des Schulgeldes zu einem andern Lehrer überzugehen, wetm der frühere „Wunden oder die Knochen entzwei geschlagen" habe. In Schwaben sollte der Schulmeister seinen Schülern (von Schülerinnen ist nie die Rede) „nur 12 Rutenstreiche" geben dürfen, aber „um eine blutige Nase" sollten die Eltern keine Klage erheben. Doch wurde auch kostenfreier Unterricht erteilt und wegen Armut niemand aus der Schule gewiesen.
Einst, es sei zur Karolingerzeit zurückgegriffen, hatten nur die engen Klostermauern Raum für die Wissenschaft gehabt, und es herrschte dort nirgends ein nur beschauliches Leben. Der Ernst der Arbeit breitete sich über die Kultur der blühenden Klostergärten. Die Landwirtschaft und die Pflege des Forstes suchte den weiten Landbesitz der Klöster zu verwerten. Der einfache Bauernknabe und das Kind der Stadt ging bei denselben Mönchen zur Schule, die auch die Wissenschaften der Griechen und Römer pflegten neben dem Vertiefen in die Pflichten des Christen. Ja, die deutschen Klöster waren so lebendige Stätten der Arbeit, daß sie einem Fremden des fernen Ostens als eine „getverfceiche Stadt" erschienen. Dabei war die Bezeichnung Geistlicher gleichbedeutend mit Gelehrter; denn es wurde von ihm schon als Vorbedingung seiner Stellung die Kenntnis der sieben freien Künste verlangt: Grammatik, Rethorik, Dialektik, Arithmetik, Geometrie, Musik und Sternkunde.
Trotzdem galten oft Gelehrte, die eine besondere Kenntnis der Naturkräfte hatten, als Hexenmeister. Auch Frauen, denen man alle möglichen Unglücksfälle zur Last legte, wurden als Hexen verbrannt. Dieser Unfug dauerte Jahrhunderte hindurch; es entwickelten sich daraus die düsteren Hexenprozesse des Mittelalters neben den furchtbaren Ketzerverfolgungen der Inquisition. Das alles bezeugte weder einen hohen Standpunkt allgemeiner Wissenschaft noch der Religion. Erst von Italien aus, das sich durch griechische Bildung veredelte, ging all-inälig ein Aufschwung wissenschaftlicher Vervollkommnung nach Nordeuropa über.
Schon Friedrich Barbarossa hatte auf dem roukalischen Reichstage ein Gesetz erlassen (1158), das Universitätslehrern und Studenten
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Schutz verlieh. Unter anberm heißt es bort: „Wir halten es für billig, baß, ba alle guten Menschen unser Lob unb unsern Schutz verhielten, biejenigen, bnrch beten Wissenschaft bie ganze Welt erleuchtet wirb unb bie ihre Zöglinge zum Gehorsam gegen Gott unb uns, bessert Diener Kilben, mit einer ausgezeichneten Sorgfalt roiber alle Belobigungen geschützt werben . . . Die Grünbung ber beutscherr Hochschulen Heibelberg, Prag unb Wien im vierzehnten Jahrhnnbert sollte, nachbem bis bahin Paris unb Bologna von Deutschen besucht würben, erst mit ber Erfinbung ber Bnchbrnckerkunst bahnbrechenb für allgemeine Verbreitung bet Wissenschaften in Dentschlanb werben.
Dazu mühten sich bie ebelsten Christen bes Abenblanbs, bie burch viele weltlichen Interessen verwirrte Kirche zu ihrem ursprünglichen Wesen glaubensvoller Gottesverehrung unb bem entsprechend christlichen Leben zurückzuführen Es traten im elften unb zwölften Jahr-hnnbert zwei Richtungen in ber christlichen Kirche auf, welche biefe
Zwecke von verschobenen Seiten zn erreichen strebten. Die Scholastiker wollten bie überlieferten Lehren bes Christentums, bas Gotteswort, mit scharfen Begriffen ergrünben unb beweisen; bie Mystik suchte bas
Wesen bes Christentums in ber Tiefe menschlicher Empfinbung, in ber Heiligung unb in ber Kraft bes Willens. Beiberlei Sehrmeise hatten ihre Begrünber unb ersten Vertreter in Frankreich gehabt, Abälarb zu Paris unb Bernharb von Clairvaux. Sie fanben in Dentschlanb viele begeisterte Anhänger, unb Prebiger, wie ber Mönch Bertholb, Johann Tauler unb Heinrich Suso, würben von unberechenbar segensreichem Einfluß auf bas beutsche christliche Volksleben, bem bie Einfachheit ber
Lehre vom Evangelium unb ber entsprechend Wanbel sehr abhanben
gekommen war.
Wohl hatten bie Kreuzzüge Begeisterung für bie verehrungs-würbigen Stätten christlicher Anschauung erweckt; aber baraus war nur eine gesteigerte Verehrung von Reliquien entstauben. Der christliche Glaube hatte baburch selbst unter ber Geistlichkeit nicht gewonnen. Wie viele Wirren unb Verfolgungen aber unter all biesen Bestrebungen entstauben, bas buchte bie Geschichte unter bem Kapitel ber „Sekten" in ber Christenheit, bie ihrerseits unzählige Opfer treuer Zeugen zu verzeichnen hatten.
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Rechtspflege.
Mit dem Haupte Konradins, des letzten Hohenstaufen, fiel alles Große, was Deutschland von ihm vielleicht noch erhofft hatte, und der Ernst des Interregnums, die eigentliche kaiserlose Zeit des Reiches, mahnte das deutsche Volk, der Pflichten edeln Germanentums eingedenk zu sein, sich um das Banner deutschen Rechts zu scharen.
Der Verfall königlicher Macht hatte im Reiche so viel Willkür geschaffen, daß. die alten Rechtsgewohnheiten, welche bei den verschiedenen Stämmen nicht gleich waren, immer weniger zur Anwendung kamen. Hatte man auch in einzelnen teilen Deutschlands die Gewohnheitsrechte ausgeschrieben (1215 bis 35), den Sachsenspiegel und etwa fünfzig Jahre später den Schwabenspiegel und einzelne Rechtsbücher, auch das Braunschweiger und Lübische Recht, so war doch ein allgemein geltendes deutsches Recht und Gesetz nicht vorhanden; aber der König war überall oberster Gerichtsherr, der über Tod und Leben zu entscheiden hatte.
Der Sachsenspiegel „Spigel der Saren sal diz buch sin genannt, wende saxen recht ist hiran bekant, als an einem spigele de vrouwen ire antlitze beschouwen", von einem Gerichtsschösfen, Eike von Rappow verfaßt, enthält die sonderlich in Anhalt zur Zeit der Hohenstaufen und später geltenden Rechtsgewohnheiten. Darin ist, wie so oft an andern Stellen von den zwei Schwertern die Rede, die Gott der Christenheit verlieh, das eine dem Kaiser, das andre dem Papste und „wer von
gotes halben beschirmer des riches wesen sal."
Art. 1. „Zwei swert liz got in ertriche zu beschirmene die cristenheit. Deme bLöste ist gesaczt daz geistliche, deme keiser daz werltliche. Deme bLbste ist auch gesaczt zu ritme zu bescheidener zcü tif eime blanken pferde, und der keiser sal in den Stegreif Halden, durch daz der satel
nicht en winde".............
Noch war gleichwie in den ältesten Zeiten das Gottesurteil durch Feuer- und Wasserprobe und durch Zweikampf gebräuchlich; auch war
das Buß- und Wehrgeld noch die Lösung der meisten Strafen. Es
wurde aber für die verschiedenen Stände bei demselben Vergehen verschieden bemessen. Zwei wollene Handschuhe und eine Mistgabel war der Tagelöhner Wehrgeld; Spielleute aber und andere, die Geld und Gut für ihre Ehre nahmen, durften sich nur an dem Schatten des Beleidigers rächen.
Der Schwabenspiegel sprach von den zwei Schwertern, die Gott der Christenheit gab, schon ganz anders. Das Papsttum stand jetzt
auf der Höhe seiner Macht. Der Schwabenspiegel, fast nur eine Umarbeitung des Sachsenspiegels, sagt, daß „Gott beide Schwerter dem Papste verlieh, der das weltliche dem Kaiser giebt".
Die tüchtigen Hohenstansenkaiser wußten ihr Schwert auch ohne das jetzt vereinzelt angewandte „Römische Recht" wohl zu handhaben. Sie ließen Mörder und Räuber rädern, die Raubritter aufhängen; aber als die kaiserliche Macht zur Schwäche herabgesunken war und das Faustrecht überhand nahm, gingen aus den Gaugerichten die Vem(Ge-nossenschafts)gerichte hervor, deren Hauptwirksamkeit aber einer viel späteren Zeit angehört und dort Erwähnung finden möge, wo ihre Machtentfaltung zum Segen des Vaterlandes wurde, bis auch sie der Zeitentwicklung weichen mußten.
Das deutsche Volk aber war unter viel schwerem Ringen, selbst um den Preis der päpstlichen Machtvergrößerung, sich seiner Kraft bewußt geworden und hatte wenigstens das eine von seinen ebeln Hohenstaufenkaisern gelernt, idealen Zielen nachzustreben. Die einst im Großen und Ganzen stumpfe Volksmasse reifte langsam, aber sicher, zu einem Volke der Dichter heran.
Begründer der Habsburgischen Hansmacht
(1273 bis 1291.)
„Geendet nach langem, verderblichen Streit War die kaiserlose, die schreckliche Zeit, lind ein Richter war wieder auf Erden.
Nicht blind mehr waltet der eiserne Speer,
Nicht fürchtet der Schwache, der Friedliche mehr,
Des Mächtigen Bente zn werden."
Diese Zeit mar gekommen mit ber Erwählung bes Grafen Nubolf von Habsburg zum beutschen König, unb obiges Dichterivort giebt ein treffenbes Bilb berfelben.
Das Grafengeschlecht ber Habsburger, beren Stammgüter, beherrscht üon ber kleinen Habsburg ober Habichtsburg, sich im Aar- unb Reuß-thale ausbreiteten, war im zwölften Jahrhunbert zu besonberem Ansehn gelangt unb bem 9reichsoberhaupte allezeit treu ergeben gewesen. Durch kaiserliche ©nabe wie burch Heirat hatten bie Habsburger allmählich reichen Besitz in ber Schweiz unb im Elsaß gewonnen unb gehörten als „Lanbgrafen von Oberelsaß" zu bert Fürstengeschlechtern.
Rudolf von Habsburg (geb. 1. Mai J 218) war als treuer Anhänger feines kaiserlichen Paten, Friebrichs II., schon in jngenblichem Aller vom Papite in ben Bann gethan worben, hatte aber später
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sich die Gunst desselben zu erwerben gewußt, als er mit Ottokar, dem mächtigen Böhmenkönig, einen Kreuzzug gegen die heidnischen Preußen im Nordosten des Reiches unternommen hatte. Dazu war er allseitig wegen seiner Milde beliebt und hatte sich als Schirmherr der Unterdrückten viele Freunde erworben. Besonders rühmte man von ihm, daß er ein frommer Herr sei, und die Sage wußte zu berichten, wie er einst auf der Jagd vom Rosse gestiegen, um es einem Priester zu überlassen, als dieser das tosende Bergwasser mit bloßen Füßen durchschreiten wollte, einem Sterbenden die Sakramente zu bringen. Als später der Priester das Pferd dankend zurückgeben wollte, weigerte sich Rudolf, es anzunehmen, da es im Sakramente seinen Herrn und Schöpfer getragen habe. So blieb das Pferd dem Dienste der Kirche geweiht.
Auch hatte Rudolf den Erzbischof Werner von Mainz sicher von Straßburg über die Alpen geleitet, als er nach seiner Erwählung sich in Rom die Bestätigung mit dein Pallium (Mantel) holte.
„Wollte Gott, Herr Graf, ich lebte noch so lange, daß ich euch den mir geleisteten Dienst vergelten könnte!" Mit dem Worte hatte sich der Erzbischof dankbar von seinem fürstlichen Begleiter verabschiedet. Als nun die zerrütteten Zustände Deutschlands dringender Abhülfe bedurften, schritten die Fürsten endlich zur Königswahl, nachdem selbst Papst Gregor X. gedroht hatte, mit Beirat der Kardinäle den Deutschen einen König zu geben, wenn sie nicht eilends ein Reichsoberhaupt erwählen würden.
Zunächst war die Wahl auf den mächtigsten deutschen Fürsten gerichtet gewesen, König Ottokar von Böhmen. Er hatte, so ging die Sage, die Wahl nicht angenommen, da er im Osten ein mächtiges Reich gründen wollte, nach andern war er sehr empört darüber, nicht gewählt worden zu sein. Auch die Wahl des Pfalzgrafen Ludwig bei Rhein zerschlug sich durch die Uneinigkeit der Fürsten, und man kam endlich überein, einen zwar tapfern, aber nicht zu mächtigen König zu wählen, der zwar die Zügel des Reichs mit starker Hand zu halten wisse, dabei aber die Hülfe der Fürsten nicht entbehren könne.
Der Bischof Bruno von Olmütz schrieb an den Papst: „Es scheint, daß sowohl die geistlichen, wie die weltlichen Fürsten vor der Kaisermacht eine starke Abneigung haben; sie wollen zwar einen gütigen und weisen Kaiser, aber seine Macht ist ihnen verhaßt, obwohl Wissen und Wollen ohne Können nichts vermag."
Rudolf belagerte gerade Basel, wo sich die unteren Schichten der Bevölkerung mit den Patriziern stritten, als ihm sein Schwager, Friedrich III. von Hohenzollern, die Botschaft seiner Erwählung zum deutschen König brachte.
Wenige Wochen später (24. Okt. 1273) fand zu Aachen die feierliche Krönung durch den Erzbischof von Köln statt. Die Kroninsignien waren dabei nicht zur Hand und als man ein Zepter vermißte, nahm Rudolf das Kruzifix mit den Worten vom Altar: „Siehe das Kreuz, welches die Welt erlöst hat, wird wohl die Stelle eines Zepters vertreten können!"
Doch war die Wahl für Rudolf nicht unerwartet gekommen. Er hatte zuvor den deutschen Fürsten alle von ihnen während des Interregnums erlangten Vorrechte und Besitztümer sichern müssen, auch versprochen, bei wichtigen Reichsangelegenheiten von den Wahlfürsteu die sogeuannten Willebriefe einzuholen und ihnen alle durch seine Wahl und durch seine Krönung entstehenden Kosten zu ersetzen.
Auch die päpstliche Zustimmung war nicht umsonst zu erlangen gewesen. Gregor X. hatte sich unbedingte Verzichtleistung auf alle kaiserlichen Hoheitsrechte und alle Besitzungen in Italien geloben lassen, und nach vollzogener Kaiserkrönung durch den Papst sollte Rudolf einen Kreuzzug unternehmen. „Mein Gewissen ist Zeuge," hatte er an den Papst geschrieben, daß ich nicht nach dieser Würde gestrebt habe. Denn zitternden Herzens und wohl überlegend, welch bedeutungsvoller Ruf der Vorsehuug an mich ergangen ist, schreckte ich von dieser Würde zurück und unterzog mich der Ausübung dieses Amtes nur im Vertrauen auf den, der auch dem Stammelnden Beredsamkeit verleiht, zur Verherrlichung Gottes, zur Stütze für seine Kirche und zur endlichen Beseitigung der Parteiung und Auflösung. Auf Euch, dem Papste, ruht der Anker unsrer Hoffnung. Euch bitte ich, meine und des Reiches Sache zu unterstützen; möge es Euch gefallen, uns mit dem Diadem kaiserlicher Hoheit zu versehen!"
Obgleich der vom König geplante Römerzug unterblieb, fand doch eine feierliche Zusammenkunft zu Basel statt, bei der Rudolf dem Papste Gehorsam und Ehrfurcht gelobte und damit den letzten Rest geistlicher Gewalt, den die deutschen Könige noch besessen hatten, aufgab. Papst Gregor X. starb bald, und Rudolf fühlte sich dadurch von dem an eine Krönung zum römischen König und Kaiser gebundenen Gelübde eines
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Kreuzzuges befreit. Wie er allseitig bemüht war. Recht und Ordnung, Frieden und Einigkeit im Reiche herzustellen, so trachtete er die Königsgewalt in ihren alten Rechten neu zu befestigen und verkündete auf dem Reichstage zu Nürnberg, daß er von allen Reichsgütern, die Friedrich II. vor seiner Exkommunikation besessen (1271), auch von allem, was dem Reiche später zugefallen, Besitz ergreife.
Der zweite Reichstagsbeschluß verlangte streng die Erfüllung althergebrachten Rechts, daß jeder Reichslehnsträger bei einem Thronwechsel binnen Jahresfrist sein Lehen neu „muthen" solle, wie es eben so Recht war, daß beim Tode des Lehnsträgers der König ein Gleiches zu thun hatte, also im „Herrenfall" und im „Mannessalle". Darum hätte auch der stolze Ottokar von Böhmen kommen müssen, und Rudolf begehrte das um so mehr, da Ottokar ihm bei der Königsmahl die Stimme versagt hatte. Der königliche Lehnsträger erschien trotz aller Ladungen weder in Nürnberg, noch in Würzburg, auch nicht auf dem Reichstage zu Augsburg. Als er aber gar öffentlich die Anerkennung Rudolfs verweigerte, that ihn dieser in die Reichsacht. Damit war der Reichskrieg erklärt; denn Ottokar verbündete sich mit den sehdelustigea Württembergs Grafen Ulrich und Eberhard, auch mit dem Markgrafen von Baden und Herzog Heinrich von Niederbayern.
Der König hatte wohl geglaubt, durch ruhiges Abwarten den trotzigen Vasallen zur Besinnung zu bringen; als dieser aber weher rüstete, suchte sich auch Rudolf Kampfgenossen. Er fand sie in einstigen Freunden Ottokars, dessen Stolz diese vielfach verletzt hatte. Auch den Pfalzgrafen Otto bei Rhein, den • Markgrafen Otto von Brandenburg und Albrecht II. von Sachsen wußte Rudolf durch Verlobung mit dreien feiner Töchter an sich zu fesseln. Er zog zunächst mit einem Reichsheere nach Oesterreich, das Ottokar an sich gerissen Hatte, eroberte Wien und fand auch Hier die Bnndesgenossenschast zuverlässiger Fürsten.
Jetzt von allen Verbündeten verlassen, suchte Ottokar zu unterhandeln, versprach den Lehnseid zu leisten und war geneigt zu einer Doppelheirat seiner Kinder mit denen des Königs Rudolf. Der Böhmenkönig zog in aller Pracht seines Reichtums hinüber in das königliche Lager Rudolfs, der ihn im gewohnten grauen Mantel empfing. Seinen Mannen aber Hatte er befohlen, sich zu beiden Seiten des Weges im vollen Waffenschmuck aufzustellen, damit sie den Böhmen Achtung gebietend erscheinen möchten.
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Ottokar schwur jetzt den Lehnseid für Oesterreich. Steiermark, Kärnthen und Krain aber mußte er herausgeben. Seine Gemahlin Kunigunde, so erzählte man, empfing den Gemahl bei seiner Heimkehr mit bittern Vorwürfen, höhnend, daß er es wie der Maulesel mache, der ausschlägt und die Ohren spitzt, wenn der Wolf fern ist, aber sich nachher ruhig angreifen und zerfleischen läßt. Wutentbrannt schaute Ottokar nach Hülfe aus, um die Feindseligkeiten gegen Rudolf aufs neue zu beginnen.
Wirklich fielen ihm manche feiner früheren Bundesgenossen zu, unb er hätte den verlorenen Besitz vielleicht wieder gewinnen mögen, da Rudolf bic Reichstruppen entlassen hatte, wenn er die Zeit nicht hätte nutzlos vergehen lassen. So aber konnte der König seine geringen Streitkräfte wieder sammeln und stand bald seinem aufrührerischen Lehnsträger auf dem Marchfelde an der Donau gegenüber.
Als ihm außerdem die Ungarn zu Hülfe gekommen waren, mochten feine Streitkräfte denen der Böhmen gleich fein. Aber während dieser in stolzer Pracht siegesgewiß vor feinen Truppen herritt, wählte Rudolf für sich demütig ein einfaches Rittergewand, und der Name Christi war der Schlachtruf feines Heeres. Mancher fromme Edelknecht begehrte von seinem königlichen Herrn den Ritterschlag vor der Schlacht, unb Rudolf meinte, eine göttliche Verheißung empfangen zu haben, als er in der vorhergehenden Nacht geträumt hatte, der Reichsadler habe den böhmischen Löwen mit seinen Fängen zerfleischt.
Ottokar fiel in der Schlacht (22. August 1278), und sein Tob brachte den sich längst auf Seiten Rudolfs neigenden Sieg zu völliger Entscheidung. Damit war für Deutschland Großes gewonnen. Die östlichen Länder des Reiches gingen nicht völlig an das Slaventum des Ostens verloren, sondern blieben dem Germanentum erhalten. Ottokars unmündiger Sohn behielt nur Böhmen als Lehen. Doch sollte die Macht der Habsburger, die Rudolf so klug für fein Haus zu begründen verstand, auch dem deutschen Reich nicht immer segensreich werden.
Die folgenden Jahre des Friedens, in denen Rudolf die vorhandenen Gesetze mit aller Strenge handhabte, traten besonders dem Raubritterwesen entgegen. Allein in Thüringen wurden mehr als sechszig Raub-bürgen zerstört, auch in Franken und Schwaben wie am Rhein. In Erfurt wurden an einem einzigen Tage 29 Raubritter hingerichtet. Als der König einst um Gnade gebeten wurde für einen Ritter, der Zur entehrenden Strafe des Stranges verurteilt war, antwortete er:
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„Der wahre Adel hält fein Wort, ehrt die Tngend, liebt die Gerechtigkeit, beleidigt niemand und fügt feinem Menschen Unrecht zu." Der Ritter wurde gehangen.
Doch war der König jeder Bitte feines Volkes zugänglich, wo es sich um das Recht handelte, auch jeder Hilfesuchende sollte bei ihm frei ein- und ausgehen dürfen. Als man ihm einst meldete, daß ein solcher vor der Thür stehe, sagte er: „Ei so laßt ihn doch herein, bin ich denn dazu König geworden, daß man mich hier einsperrt?" Nur die Minnesänger klagten in ihren Liedern, daß sie „unbegabt" vom Kaiferhofe ziehen müßten, der ihnen unter den edeln Hohenstaufen eine gastliche Stätte gewesen war. Der Ernst der Zeit hatte wenig Raum für Spiel und Gesang.
Obgleich Rudolf den ersten Thron Europas inne hatte, sah mein wohl den mächtigen Herrn eigenhändig seine Kleider ausbessern, und als mau ihm während eines Kriegszuges den Mangel an guten Lebensmitteln klagte, zog er eine Rübe aus dem Felde, schabte sie und aß sie vor aller Augen mit den Worten: „So lange wir das noch haben, hat's keine Not!" Der reiche König hatte nicht vergessen, daß er als Graf sich mit feiner zahlreichen Familie hatte einschränken müssen. Macht und Würde hatten ihn nicht stolz gemacht. Einst besuchte er einen Gerber bei Basel, den er früher gekannt hatte und stand vor einem Züricher Bürger, der ihm einst das Leben gerettet hatte, vom Throne auf, um ihn zu begrüßen.
In einfachem Wams ging der königliche Herr durch die Straßen der Städte und kehrte in ärmlicher Herberge ein, das Leben des Volkes durch eigene Anschauung kennen zu lernen. Da soll es vorgekommen fein, daß ihn eine Wirtsfrau als „des Kaisers Lungerer" vom warmen Ofen getrieben, und eine Bäckerfrau soll, als er kaiserliches Hoflager bei Mainz hielt und in das Bäckerhaus trat, sich am Backofen zu wärmen, auf den Bettelkaifer gescholten haben, dessen Leute den Bürgern Zur Last fielen. Als der König dazu lächelte, goß die Frau mit einem Kübel Wasser nach ihm, und triefend ging er hinaus in sein Lager. Zum Mittag sandte er der Zornigen einige Schüsseln feiner Speisen mit dem Gruße, daß das der Reitersmann sende, den sie so begossen habe. Die Bäckerfrau lief eiligst in das Lager und bat um Verzeihung. Zur Strafe mußte sie den ganzen Vorfall der Hofgesellschaft erzählen.
Ein ander Mal ging der König in Erfurt als Bierrufer durch die Straßen und rief, als fei er der Brauknecht eines Bürgers, der
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die Braugerechtigkeit hatte und eben „frisches Bier ausgethan" und „sein Zeichen (die Fahnenstange) vorgestoßen": „Hol in, hol in, ein gut Bier hat Siegfried von Butstete ufgethan!" Doch selten mochten Scherz und Spiel König Rudolfs Schritte leiten; nur Recht und Gerechtigkeit wollte er überall zur Geltung bringen. Als ein fremder Kaufmann von einem Erfurter Bürger betrogen worden war, und Rudolf selbst durch kluges Erforschen den Betrüger entlarvte, soll der Fremde ausgerufen haben: „Wahrlich, dieser König ist heilig und Gott wirkt Wunder durch ihn!" Im Volke wurde des Königs Rechtlichkeit sprichwörtlich, und lauge nach seinem Tode hieß es in Deutschland von einem zweifelhaften Charakter: „Der hat Rudolfs Rechtlichkeit nicht."
Trotzdem machte sich allmählich eine Mißstimmung gegen den König im Reiche geltend. Die großen Herren wurden in ihrer Willkür beschränkt unb dadurch unwillig, so daß der König immer wieder Fehden mit ihnen auszukämpfen hatte. Auch machte man es ihm zum Vorwurf, beiß er Italien so leichten Kaufs bahin gegeben habe unb bem Papste sogar burch eine von ben Kurfürsten vollzogene Urkunde bas ganze Gebiet feines Kirchenstaates zusagte, so weit er es verlangte. Auch ging er bereitwillig auf ben päpstlichen Wunsch ein, seine letzte Tochter mit bem Enkel bes sizilischen Königs Karl v. Anjou, Konrabins Mörber, zu vermählen. Diesem selbst überließ er sogar Teile bes arelatischen Königreichs (Hoch- und Rieberburgunb), bas unter Konrcib II. an Deutschlaub gekommen war.
Immer klarer ging Rnbolfs Streben bahin, seine vielen Kinber reichlich zu versorgen. In biesem Sinne übergab er seinen beiben Söhnen Albrecht unb Rubolf ben ganzen ehemaligen österreichischen Besitz König Ottokars von Böhmen als Fahnenlehen. Später würbe Albrecht alleiniger Herr Oesterreichs, und wurde so die österreichisch-habsburgische Monarchie begründet. Sein Bruder Rudolf erhielt das neugeschaffene Herzogtum Schwaben.
So nur war es vielleicht möglich gewesen, daß verschiedentlich ein Gegenkönig, als der „wiedererstandene Friedrich II." Anhänger im Reiche finden konnte. Ging doch die Kaisersage Friedrich Rotbarts, der des alten Reiches Herrlichkeit wiederbringen sollte, auch von Kaiser Friedrich II. durch die Jahrhunderte, bis sie sich endlich nur an des ersten Friedrich Namen und Persönlichkeit band.
Rudolf fühlte fein Alter herannahen und hätte so gern feinen Sohn Albrecht als erwählten königlichen Nachfolger gesehen. Er berief
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ihn darum nach Erfurt zu einer Fürstenversammlung; aber sein Wunsch ging nicht in Erfüllung, und mißgestimmt schied er von dort. Als er aber gar beim Tode des Königs von Ungarn dieses seinem Sohne Albrecht neben Oesterreich zu Sehen geben wollte, wurde den Fürsten Albrechts Hausmacht zu groß, und selbst Papst Nikolaus, der unausgesetzt Rudolfs Kaiserkrönung hintertrieben hatte, sah scheel dazu. Er
wollte Ungarn dem sizilischen König Karl geben; aber während man
sich darüber stritt, erwählten die Ungarn einen Anverwandten des verstorbenen Königs Ladislaus, namens Andreas.
Noch einmal versuchte der greise Rudolf vergeblich auf einem Reichstage zu Frankfurt (1291), die Erwählung seines Sohnes zum König durchzusetzen. Traurig und enttäuscht zog er hinweg, dem Süden
zu. In Straßburg fühlte er seine Kräfte schwinden und schied mit
einem letzten Blick auf die Stadt und mit den Worten: „Lebe wohl
o Stadt, lebt wohl, meine geliebten Bürger!"
Müde und lebenssatt, aber ruhig und gottergeben brachte Rudolf die letzten Wochen seines Lebens auf feiner Burg Germersheim zu, eifrig mit Reichsangelegenheiten beschäftigt. Ist es geschichtlich wahr, ist es Sage, daß der König sterbend die Burg verließ, als er von den Aerzten die Gewißheit seines baldigen Todes erfuhr und nqch) Speyer aufbrach, um dort zu sterben, jedenfalls fand fein Leichnam eine Ruhestätte in der von ihm erwählten Gruft im Tome zu Speyer, unter dem Sarge Philipps von Schwaben.
Ein Grabstein mit dem lebensgroßen Steinbild Rudolfs im Kaiserornate mit Zepter und Krone deckte das Grab, und eine einfache Inschrift sagte, daß der Kaiser im achtzehnten Jahre seiner Regierung starb, im Monat Juli am Tage der Verteilung der Apostel (1291).
3. Adolf von Nassau.
(1292 bis 1298.)
Der Sohu Rudolfs von Habsburg, Albrecht von Oesterreich, meinte dennoch fest auf die Nachfolge rechnen zu können, hatte er dock-reichlich Geld im Reiche verteilt, und wo war ein Ebenbürtiger, der ihm das gleich thun konnte?
Beim Tode seines Vaters war er mit dem König von Ungarn V.i Krieg verwickelt, mit dem Erzbischof von Salzburg, selbst mit den
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eigenen steirischen Unterthanen verfeindet, und nachdem er hier auszugleichen gewußt hatte, konnte er daran denken, nach dem Elsaß zu ziehen, wo die Gegner der Habsburger sehr rege waren.
Auf Betrieb der geistlichen Kurfürsten am Rhein, besonders des Erzbischofs Gerhard von Mainz und des Kölner Erzbischofs wurde der sehr ehrgeizige, aber arme Graf Adolf von Nassau zum deutschen Herrscher bestimmt, ehe Herzog Albrecht eine Ahnung davon hatte, daß er selber den deutschen Fürsten als König zu mächtig erschien. Es wird erzählt, daß außer den Geistlichen alle Anwesenden voller Entrüstung über das Ergebnis der Königswahl die Kirche verlassen hätten und nur die Pfaffen wären dageblieben. Doch ließ sich Adolf von Nassau zehn Monate nach König Rudolfs Tod zu Aachen krönen, und niemand trat ihm hindernd in den Weg. Selbst Herzog Albrecht traf mit ihm in Hagenau zusammen, um ihm die Reichskleinodien zu überliefern und den Vasalleneid zu leisten, scheinbar völlig mit der Thronbesteigung seines Gegners einverstanden. Beide fuhren zusammen nach Basel und feierten dort gemeinsam das Weihnachtsfest. Tn mochte sich der König über des Herzogs Gesinnung täuschen, daß er ihm eine gegenseitige Heirat ihrer Kinder vorschlagen konnte. Stolz wies der reiche Österreicher das Anerbieten mit verletzendem Hohn zurück; denn er dachte nur darauf, seinem Nebenbuhler eine Krone zu entreißen, die er stets als sein berechtigtes Erbe angesehen hatte.
Das erschien um so leichter, da sich Adolf unmöglich auf die Dauer als deutscher König zu halten vermochte. Er kümmerte sich zunächst nicht um den Rat der Fürsten, die ihn doch nur gewählt hatten, um selbst desto mehr in Reichsangelegenheiten mitreden zu können; aber es fehlten ihm vor allen Dingen die Mittel, sich in der erstrebten selbständigen Kaisermacht erhalten zu können, auch sich Bundesgenossen zu erkaufen. Um die ' mangelnden Geldmittel zu erlangen, zögerte er nicht, verliehene Rechte gewaltsam an sich zu nehmen, wie er dem Erzbischof Gerhard den ihm auf ewige Zeiten gewährten Rheinzoll bei Boppard ohne weiteres absprach und die übrigen verschenkten Rheinzölle ebenfalls für sich verwerten wollte, so daß Gerhard drohend aussprach, er habe noch mehr Kaiser in der Tasche und mit Albrecht von Oesterreich verhandelte.
Der in Deutschland bald einsame König Adolf suchte auswärts nach Hülfe. Nachdem er dem deutschen Orden, um ihn für sich zu gewinnen, alle seine Einrichtungen im Reiche bestätigt hatte, gab
Bornhak, Unser Vaterland. 17
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er einem reichen italischen Patrizier, Matteo Visconti, gegen eine große Geldsumme das Reichsvicariat über die Lombardei und verbündete sich mit König Eduard I. von England gegen Philipp IV. von Frankreich, der die Franche-Comts, welche Deutschland als Teil von Burgund besaß, diesem durch die Heirat eines französischen Prinzen zu entziehen trachtete. Der König von England gab dem deutschen König 30,000 Mk. Silber zur Anwerbung von Soldtruppen gegen Frankreich und erniedrigte dadurch den deutschen Herrscher selbst zu einem Söldner.
Es kam nicht zum Kriege mit Frankreich, der, falls er siegreich war, Adolfs Stellung im Reiche sicherlich gehoben hätte. So aber benutzte Adolf das Geld, um sich vom Thüringer Landgrafen Albrecht dem Entarteten die Markgrafschaft Meißen zu erwerben, welche dieser als Oheim von dem kinderlosen Markgrafen Tuta von Uterlanb und Meißen (f 1291) geerbt, aber schon längst seinen Söhnen übergeben hatte. Doch erlangte Adolf diesen Besitz erst nach einem verheerenden Kriege.
Der Handel Adolfs mit Albrecht dem Entarteten war eben so unköniglich, wie der Krieg um die thüringer Lande ungerecht war, und der deutsche König hatte in dem Landgrafen einen verächtlichen Bundesgenossen. Dieser war vermählt mit Margaretha, einer bei letzten Nachkommen des Hohenstaufengeschlechts, Tochter Kaiser Friedrichs II., welche er um eines Hoffräuleins willen verstoßen hatte. Er wollte sie sogar durch einen Mann ermorden lassen, welcher der Fürstin täglich Milch auf die Wartburg brachte. Doch dieser verriet, baß man ihn zum Morbe gebungen, unb Margaretha entfloh noch in berselben Nacht, nachbem sie schmerzlich Abschieb von ihren schlasenben Söhnen genommen hatte. Den ältesten Knaben, namens Friebrich, so lautet bie Sage, hatte sie in heftigem Weh beim Abschiedskusse in bie Wange gebissen. Er erhielt später ben Beinamen „mit ber gebissenen
Wange."
Albrecht ber Entartete mochte aus Haß gegen seine Gemahlin auch bas Erbteil ihrer Kiuber leichtsinnig verhanbeln, unb König Aböls verfuhr mit bem eroberten Laube so grausam, baß er beispielsweise nach ber Einnahme von Freiburg eine große Anzahl ber tapfern Bürger hinrichten ließ. Die Reichsfürsten, welche gegen alles Er--warten ihre Rechnung nicht bei König Aböls gefunben hatten, forberten balb ben Herzog Albrecht von Oesterreich auf (1295), sich gegen ben
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König zu erheben; besonders sollen Sachsen, Brandenburg und Mainz sich lebhaft dafür verwandt haben. Wenzel von Böhmen hatte bis dahin treu zu Adolf gehalten, weil seine Tochter mit dessen Sohn, Ruprecht von Nassau, vermählt war. Als aber dieser starb, folgte er dem Zureden seiner Gemahlin, einer Schwester Albrechts von Oesterreich, und hielt zu dessen Partei, die sich durch Vermählung der beiden Töchter Albrechts, die eine mit dem Markgrafen von Brandenburg, die andre mit dem Ungarnkönig Andreas III., erheblich gestärkt hatte.
Die Herren des Reichs waren alle zu Prag versammelt (1297), als sich Wenzel vom Erzbischof Gerhard von Mainz die böhmische Königskrone aufs Haupt setzen ließ; sie berieten dabei, wie sie dem deutschen Könige seine Krone nehmen wollten, um sie Albrecht zu geben. Doch räumte Adolf seinem Nebenbuhler nicht leichtert Kaufs das Feld. Er rückte dem Herzog mit Heeresmacht entgegen, als dieser die Donau entlang nach dem Rheine ziehen wollte und nur die Absetzung des Königs abwartete, um ihn danach anzugreifen. So standen sich beide Fürsten eine ganze Woche lang thatenlos mit ihren Heeren gegenüber.
Endlich war das große Werk gethan. Die Entthronung König Adolfs durch die deutschen Fürsten erfolgte am dritten Juni 1298 wegen „Entheiligung geweihter Hostien, Gewaltthat gegen Frauen, Beraubung der Kirchen und ihrer Diener, Vernachlässigung der Rechtspflege und Störung des Landfriedens."
Jetzt kehrte also Albrecht feine Waffen nicht gegen den König; er bekriegte ja nur den abgefetzten Herrn wie einen ungehorsamen Vasallen. In der Nahe von Göllheim bei Worms kam es zur Schlacht (2. Juli 1298) und Adolf sühnte alles, was man ihm je zur Schuld anrechnen konnte, durch einen edlen Heldentod. Man wollte wissen, daß er von feinem Feinde Albrecht selbst den Todesstoß erhalten habe. Nun klagten auch die Fürsten über den Tod des „edeln Königs", selbst Gerhard von Mainz wußte, daß „der edelste Held gefallen" und „heute ein tapferes Herz gestorben sei."
Nur Albrechts Feindschaft ging über den Tod hinaus. Er gestattete nicht, daß die Königsleiche im Dom zu Speyer beigesetzt wurde. Sie fand ihre Ruhestätte im nahen Kloster Rosenthal, bis König Heinrich VII. elf Jahre später ihr einen Königsplatz unter den toten Herrschern Deutschlands im Dom zu Speyer gab.
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Das deutsche Volk aber war völlig teilnahmslos beim Tode eines Königs, den es in der That gar nicht besessen hatte.
3. Albrecht l. von Oesterreich.
(1298 bis 1308.)
Die Art und Weise, in welcher der deutsche Thron erledigt worden war, mochte auch Albrecht nachträglich wenig ehrenvoll erscheinen, und er gab sich den Anschein, als sei ihm die Königskrone nichts wert. Er wollte gern einem Würdigeren huldigen, so sagte er den Wahl-fürsten, und man konnte sich' im Volke erzählen, wie selbstlos der fürstliche Herr handle, der doch inzwischen mit allen ihm zu Gebote stehenden Mitteln die eigene ordnungsmäßige Wahl in aller Stille betrieb.
Am 27. Juli 1298 wurde er dann zu Frankfurt von den Kurfürsten gewählt, bald darauf in Aachen gekrönt und hatte nun dafür
zu sorgen, daß allen fürstlichen Wählern die reichen Versprechungen, welche er ihnen zuvor gegeben hatte, erfüllt wurden. Da waren zuerst die geistlichen Kurfürsten am Rhein, welche ihre Zollgerechtigkeiten
zurückverlangten, die sie fast ein halbes Jahrhundert lang ungestört besessen hatten und die ihnen viel einbrachten, den Städten aber eine harte Last waren. Auch wurde der Böhmenkönig durch Albrecht von feinen Pflichten als deutscher Lehnsträger befreit; er brauchte nicht mehr zu den Reichstagen zu kommen, wurde vielmehr Hauptmann des Reiches in Meißen, wie in dem Oster- und Pleißnerland.
Dann aber ging der kalte und berechnende Regent, von dem seine Feinde sagten, daß die Natur ihn gekennzeichnet habe, als sie ihm nur ein Auge gab, mit finsterer Energie daran, die Königsgewalt seines Hauses fest zu gründen. „Hart wie Diamant" war sein Gemüt und dem entsprach sein Handeln, das keine Hindernisse kannte, wo es den eignen Vorteil galt. Doch hätte Deutschland unter seiner Regierung eine gedeihliche Entwicklung haben mögen, wenn sich nicht schroff neben den Egoismus eines thatkräftigen Herrschers die rücksichtsloseste Hierarchie des Papstes und die pietätlosen Herrschergelüste deutscher Fürsten gestellt hätten.
Der herrschsüchtige Papst Bonifacius VIII. verwarf anfangs Albrechts Erwählung und schwur, König Adolfs Tod zu rächen, ließ aber durchblicken, daß er versöhnlich gestimmt sein werde, wenn der Kirche die
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Schenkungen Rudolfs von Habsburg bestätigt würden. Auch ftonb der Papst in Feindschaft mit Philipp (IV.), dem Schönen von Frankreich und hoffte auf Albrechts Hülfe. Dieser dachte durch den Papst die Erblichkeit der deutschen Königswürde für sein Haus zu erlangen. Denn es standen diese Aussichten sehr ungünstig, da er sich kurz nach der Krönung mit fast allen Kurfürsten verfeindet hatte. Dem Mainzer hatte er nicht einmal die Zeche während seines Aufenthaltes in der Krönungsstadt bezahlt, und den andern Kurfürsten, zu denen Erzbischof Dietrich von Trier, der Bruder Adolfs von Nassau gehörte, sprach er schon auf dem Nürnberger Reichstage, den er wenige Monate nach seiner Erwählung abhielt (November 1298), die so feierlich gewährten Rheinzölle ab. Diesen jetzt feindlich gesinnten Herren gesellten sich trotz aller erfahrenen Begünstigung Wenzel von Böhmen zu, seit seine Gemahlin, Albrechts Schwester, gestorben war.
Schon darum mußte dem König daran gelegen sein, seine Macht zu vergrößern, wenn er es nicht ohnedies, den Fußtapfen seines Vaters folgend, gethan hätte. Obgleich nach altem Herkommen der erwählte König sein Herzogtum anderweitig vergeben mußte, hatte Albrecht in Nürnberg nicht andre Fürsten, sondern seine Söhne mit Oesterreich, Steiermark, Kroin und der slavischen Mark belehnt. Doch als der Stamm der Grafen von Holland, Seeland und Friesland ausgestorben war (1299), trachtete er vergeblich, diese erledigten Reichslehen zu Gunsten seines Hauses einzuziehen.
Denn, vom Papste angeregt, versammelten sich eben die vier geistlichen Kurfürsten zu Bacharach am Rhein und beschlossen Albrechts Absetzung (14. Okt. 1300).
Reicher an Mitteln, als einst Adolf von Nassau und mächtiger durch die ihm verbündeten Städte, welche unter dem Drucke der Fürsten seufzten, siegte Albrecht in raschem und glänzendem Feldzuge über die geistlichen Vasallen, die eben so wenig des Reiches Wohl im Auge hatten als Albrecht. Jetzt sah der Papst klug mit einer gewissen Achtung zu dem siegreichen König empor. Er nahm auch seine Geschenke huldvoll au (1303), erklärte ihn für einen treuen Sohn der Kirche und ermahnte alle Glieder des Reiches zu Treue und Gehorsam.
Dafür mußte Albrecht versprechen, keinem seiner eignen Söhne, die von einer Schwester Konradius stammten, „dem verfluchten Otterngezücht der Hohenstaufen", ohne päpstliche Zustimmung zu einer Krone zu verhelfen. Ja er machte dem Papste das eines deutschen Reichsoberhauptes
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unwürdige Zugeständnis, daß das Recht, einen römischen König (d. H. König von Deutschland, Italien und Burgund) also einen deutschen Kaiser zu wählen, bestimmten, geistlichen Fürsten vom aposto-lichen Stuhle zu übertragen sei, von welchem Kaiser und Könige auch das Recht des weltlichen Schwertes erhielten."
So gab Albrecht leichtfertig deutsche Kronrechte auf, um desto sicherer und ungestörter den Besitz seines Hauses vermehren zu können. Es sollte ihm wenig gelingen. Der Versuch, die Krone für seine Familie erblich zu machen, scheiterte an dem Widerstand der Kurfürsten, und als mit Wenzel III. von Böhmen das Geschlecht Ottokars ausgestorben war, gelang es Albrecht zwar, seinem Sohne Rudolf die böhmische Königskrone zu verschaffen, indem er die Witwe des letzten Königs heiratete; als aber der junge König nach kurzer Zeit starb, verschmähten die Böhmen den zweiten Sohn Albrechts und wählten sich Heinrich von Kärnthen zum König.
Auch Thüringen und Meißen, das die rechtmäßigen Landgrafen Friedrich mit der gebissenen Wange und Diezman wieder in Besitz genommen hatten, suchte Albrecht vergeblich zu erobern. Sein Feldherr, Burggraf Friedrich von Nürnberg (Hohenzollern), wurde bei Lucka in der Nähe von Altenburg so völlig besiegt, daß unter den Thüringern lange Zeit das spottende Wort galt: „Es wird ihm glücken, wie den Schwaben bei Lücken."
Alle Bestrebungen Albrechts, die Habsburgische Hausmacht zu vergrößern, scheiterten allmälig, und er ging einem tragischen Geschicke entgegen. An seinem Hofe zu Wien ließ er seinen vierzehnjährigen Neffen Johann, den Sohn seines verstorbenen Bruders Rudolf, mit den eignen Söhnen erziehen, der, erbittert darüber, daß ihm der Oheim als Vormund das Erbteil der schwäbisch - habsburgischen Besitzungen in der Schweiz und im Elsaß vorenthielt, während Albrechts Söhne längst mit Herrschaften belehnt wurden, den Entschluß faßte, den Oheim zu ermorden. „Er wolle einen Mann aus ihm machen, der sich allen Fürsten gleichstellen könne," hatte Albrecht geantwortet, als der junge Fürstensohn noch einmal durch den Erzbischof von Mainz und den Bischof von Konstanz sein Erbe forderte. Und zum Beweis, wie ernst ihm das fei, hatte Albrecht feinen Neffen aufgefordert, sich 100 der schönsten Pferde aus dem königlichen Stalle zu wählen, auch die Leute dazu. Das nötige Geld zur Ausrüstung sollte ihm die königliche Kasse zahlen.
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Auch ließ sich der König gegen den trotzigen Jüngling nicht verstimmen, als man ihm von dessen Mordplänen sagte. Er lächelte dazu, wie zu einem Kinderspiele. Sie waren beide in der Schweiz, Truppen anzuwerben und feierten in Baden bei Zürich das Maifest zusammen.
Beim festlichen Mahle schmückte der König den ritterlichen Knaben mit
dem schönsten Maienkranze. Dann zog Albrecht hinaus nach Rheinfelden, seiner Gemahlin entgegen. Johann eilte ihm mit seinen Freunden voraus und besetzte das Fährschiff, das sofort vom Ufer stieß, als der König es bestiegen hatte. Jenseits angelangt, fiel einer der verschworenen Freunde dem Pferde Albrechts in die Zügel, ein zweiter hieb mit dem Schwerte auf den Wehrlosen ein. Dieser rief arglos seinen Neffen zu Hülfe: „Lieber Vetter, hilf mir!" Da empfing er von diesem selbst den Todesstoß (1. Mai 1308).
Auf den Hülferuf eilte eine alte Frau aus dem Walde herbei,
wahrend die Mörder entflohen. Sie nahm das Haupt des sterbenden Königs voller Erbarmen auf ihren Schooß und schloß ihm das brechende Auge. Von den Entflohenen wurde nur einer ergriffen, der sich sicher fühlen mochte, weil er selbst nicht Hand an den König gelegt hatte; aber die Gemahlin Albrechts und seine Tochter Agnes (Witwe des Königs Andreas III. von Ungarn) wollten furchtbare Rache nehmen. Der Gefangene wurde unter entsetzlichen Qualen hingerichtet, indem man ihn, drei Tage lang aufs Rad geflochten, langsam dahin sterben ließ, während seine Ehefrau, treu bis zum letzten Hauche, betend ihm zur Seite blieb.
Johann, wegen seiner Mordthat „Parricida" (Verwandtenmörder) genannt, entkam und blieb für alle Zeit verschollen. Aber die königlichen Frauen ließen alle Burgen der Entwichenen zerstören, und alle Angehörigen der Schuldigen, all ihre Dienstleute, gegen 1000 an Zahl, enthaupten. An der Mordstätte aber errichtete Königin Agnes das Kloster Königsfelden.
4. Albrecht I. und die Gefreinng der Schweiz von seinen
Landvögten.
In das letzte Lebensjahr Albrechts I. fällt ein hervorragendes geschichtliches Ereignis, die Befreiung der Schweiz von den österreichischen Landvögten durch Wilhelm Tell, deren Geschichte im Gewände der Sage
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mehr bekannt ist, als in ihren einfachen Thatsachen. Wir folgen dieser sagenhaften Geschichte, wie sie sich im fünfzehnten Jahrhundert immer fester gebildet und doch mit dem ältesten deutschen Sagenstoff vermischt hat. Erst im sechszehnten Jahrhundert fand die überlieferte Geschichte ihre Berichterstatter, die sich vielfach nur an die wirkliche Geschichte anlehnt, ohne ihr völlig treu zu sein. Ihr gehöre zunächst ein kurzer Blick.
Die Schweiz gehörte seit Konrad II. zum deutschen Reiche (1033), da er sie nach dem Tode des Burgunderkönigs, Rudolf III., mit dem Burgunderreiche an sich riß. Später stand die Schweiz lange Zeit unter der Verwaltung der Zähringer (heute in Baden). Doch machten sich mancherlei Wirren geltend, da viele weltliche und geistliche Herren neben Freistädten und freien Landgemeinden dort Besitz hatten. Unter ihnen ragten die Habsburger hervor, und die habsburgischen Grafen im Aargau sandten Landvögte in ihre Besitzungen der Waldstätten Schwyz, Uri und Unterwalden, um die Gerichtsbarkeit auszuüben.
Kaiser Friedrich II. erhob Uri und Schwyz zu Reichsvogteien, wodurch sie unmittelbar unter Kaiser und Reich standen, und es erscheint natürlich, daß auch Unterwalden sich von der gräflich habsburgischen Vogtei loszumachen suchte, um unter das Reich zu kommen. Als aber Rudolf von Habsburg deutscher Herrscher wurde, war er oberster Vogt und Reichsherr zu gleicher Zeit und wählte die Landammänner (Vögte) unter den Schweizern selbst, so daß sie nur von ihresgleichen gerichtet wurden. Die Waldstätten schlossen nach seinem Tode einen ewigen Bund (1291), und Adolf von Nassau hatte ihnen die von Kaiser Friedrich II. verliehenen Rechte bestätigt. Albrecht J. that das freilich nicht, ließ aber gleich seinem Vater Rudolf das Land von Schweizern verwalten, und sicher knüpft sich an Albrechts Bestreben, durch persönlichen Besitz der Schweiz seine Hausmacht zu vergrößern, die sagenhafte Geschichte von der Unterdrückung des edeln Schweizervolkes und dessen Befreiung.
Albrecht, so wird berichtet, ließ den Waldstätten sagen, sie thäten gut, sich unter den mächtigen und erblichen Schutz des Hauses Oesterreich zu begeben. Er liebe das tapfere Volk der Schweizer und wollte sie gern als seines Hauses liebe Kinder wissen. Ihm zu widerstehen, seien sie ohnedies zu schwach. Aber die Schweizer begehrten bei ihren alten Rechten und beim Reiche zu bleiben.
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Da sandte Albrecht I. ihnen grausame Landvögte, Hermann Geßter von Brunneck über Uri und Schwyz, Beringer von Landenberg über Ober- und Unterwalden. Sie machten viel harte Forderungen, legten dem Volke Steuern aus und erbauten sich feste Zwingburgen inmitten der Alpen.
Wegen geringer Vergehen wurden die Leute nicht nach altem Recht und Gesetz, sondern nach übermütiger und roher Willkür gestraft. Die Edeln des Landes wurden Baueruadel gescholten. Als einst Geßler vor dem schönen Hause eines reichen Landmanns, Werner Stauffacher, vorbeiritt, und dieser ihn ehrfurchtsvoll grüßte, rief Geßler: „Kann man es auch dulden, daß das Bauernvolk so schön wohnt!"
Bald war kein Mensch in den Waldstätten seines Lebens, seiner Habe und seiner Ehre sicher, und die Schweizer baten wiederholt, aber vergeblich, am Kaiserhofe um Hülfe. Einem Landmann zu Unterwalden, Heinrich von Melchthal (d. H. aus dem Melchi), nahmen die Knechte Landenbergs die Ochsen vom Pfluge weg, und als sich Melch-thals Sohn dagegen wehrte und einem Knecht dabei zwei Finger zerschlug, darum aber entfloh, ftrafte man den alten Mann dafür, indem man ihm beide Augen ausstach.
Der junge Melchthal, welcher bei Walter Fürst zu Attinghausen ein Unterkommen gefunden hatte, sprach mit diesem und mit Werner Stauffacher oft von des Landes Not und daß der Tod besser sei, als solch schmählich Joch zu tragen. Im Herbst des Jahres 1307 kamen sie in stiller Nacht auf einer Bergwiese des Rütli am Vierwaldstädter See zusammen. Jeder von ihnen hatte zehn Vertraute mitgebracht, und, umschlossen von den Höhen ihrer waldumkränzten Berge, schwuren sie sich gegenseitig treue Hülfe zur Befreiung des geknechteten Vaterlandes, doch mit dem Vorsatz, die Pflichten gegen das hl. römische Reich und gegen die Kirche nicht zu verletzen, auch die Habsburger nicht in ihren Rechten zu kränken.
Dem Geßler däuchte das verachtete Bauernvolk der Schweizer in letzter Zeit trotziger als je vorher. Er wollte ihren Gehorsam prüfen, als er auf dem Marktplatze zu Altorf eine Stange mit seinem Hute aufrichten ließ mit dem Befehl, daß jeder Vorübergehende diesen begrüßen solle, als sei es der Landvogt selbst. Einer der Verschworenen, Wilhelm Tell aus Uri, der Schwiegersohn des Walter Fürst, ging wiederholt an dem Hute vorbei, ohne ihn zu grüßen. Das berichtete der Knecht, welcher als Wache dabei stand, dem Landvogt, der darauf *
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den Teil vor sich kommen ließ. Auf die Frage, warum er das Gebot übertreten habe, antwortete er, daß es ohne Absicht geschehen sei. „Darum, gnädiger Herr", so sprach er, „verzeiht mir und haltet es meiner Thorheit zu Gute!"
Der böse Landvogt aber, der wohl ahnen mochte, daß in dem Tell nichts weniger als Thorheit zu finden sei, wollte ihn hart strafen,
ließ seine Kinder herbeiholen und fragte, welches unter ihnen dem
Vater am liebsten wäre. Aber Tell sagte: „Gnädiger Herr, sie sind alle mein und mir alle gleich lieb."
Da sprach Geßler: „Du bist mir gerühmt als guter Schütze, und nun sollst du vor mir deine Kunst bewähren. Einem deiner Kinder wirst du einen Apfel mitten vom Kopfe herabschießen." Darüber erschrack Tell sehr und bat den Herrn fußfällig um Gnade; aber dieser blieb unerbittlich. Mutig stellte sich Teils Knabe vor den Vater und zuckte nicht mit der Wimper, als der Pfeil ihm entgegen schnellte. In zwei Hälften fiel der Apfel von seinem Haupte, das Geschoß war mitten hindurch gegangen.
Das brachte dem Schützen Lob ein; aber Geßler hatte bemerkt, daß er den ersten Pfeil wie im Trotze in sein Wams gestoßen unb
erst ben zweiten in ben Bogen gespannt hatte. Als Tell nach bem
Grunbe gefragt würbe, wollte er ber Sache eine gute Wenbung geben unb sagte, baß bies Schützen Art sei. Geßler merkte, baß Tell ungern bavon sprach unb gern rasch darüber hinwegkommen wollte. Er möge getrost alles sagen, ermunterte er benselben, unb solle ihm kein Leibs geschehen, auch sein Leben ihm von vornherein versichert sein.
„Nun wohl, Herr", antwortete biefer, „ihr habt mir mein Leben zugesagt, so will ich euch bie Wahrheit sagen. Hätte ich meines Kinbes Haupt getroffen, ber zweite Pfeil würbe bas eurige sicher nicht verfehlt haben."
Als bas ber Lanbvogt vernahm, würbe er sehr zornig unb sagte finster: „Dein Leben habe ich bir zwar zugesichert, um aber vor bir sicher zu sein, sollst bu hinkommen, wo btt weber Sonne noch Monb wiebersehen wirst." So ließ er ihn fesseln, unb bie Knechte Geßlers warfen ihn in ein Schiff, sein Schützengeräth mit ihm, ihn nach Schwyz über ben Viernmlbstäbter See zu fahren, unb Geßler stieg mit in bas Fahrzeug. Auf bem Wasser erhob sich ein arger Sturm, unb bie Knechte wußten bas Schiff in bem Unwetter nicht zu halten; aber sie kannten ben Tell als kundigen Fährmann unb baten bett Lattdvogt:
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„Herr, ihr seht, wie es geht, heißt den Tell losbinden, er ist ein starker, mächtiger Mann und versteht sich aufs Wetter." Als der Gefangene versichert hatte, daß er sich wohl getraue, mit Gottes Hülfe das Schiff glücklich ans Ufer zu bringen, wurde er von seinen Fesseln befreit und stand bald sicher am Steuer, sah aber allewege nach seinem Vorteil aus, frei zu stehen und seine Armbrust in der Nähe zu haben. Nicht weit von einer hervorspringenden Felsplatte, die ihm gut zum Landen dünkte, ermunterte er die Knechte, tüchtig zu rudern; wenn sie bis dorthin wären, hätten sie das Schlimmste überwunden. Er lenkte aber die Rückseite des Nachens dicht an den Felsen, ergriff im selben Augenblick sein Geschoß, sprang ans Land und schnellte den Kahn mit dem Fuße weit hinaus in den wogenden See. Dann eilte er durch Schwyz, bis er nach Küßnacht kam und verbarg sich dort in einer Felsstraße, welche die hohle Gasse heißt bis auf diesen Tag.
Indessen hatte sich das Schiff doch bis zum Ufer hindurch gearbeitet, und als Geßler mit den Seinen durch diesen Hohlweg kam, hörte Tell in seinem Versteck, wie man überlegte, seiner wieder habhaft zu werden. Da schoß er den Pfeil ab, den er vorher in sein Wams gesteckt und der Landvogt stürzte tot nieder. Tell aber floh durch die Berge nach Uri und erzählte seinen Genossen, was er gethan hatte. Nach andrer Bericht erschoß Teil den Geßler schon an der Felsplatte, wo er landete, die bis heute Tellsplatte heißt. Gleich einer Siegesbotschaft zog die Kunde von Teils That durch die Schweiz; aber noch war der Neujahrstag nicht gekommen, an welchem die Verbündeten ihr geplantes Werk der Befreiung von Oesterreichs Druck ausführen wollten.
An dem verabredeten Neujahrsmorgen gingen zwanzig Männer aus Unterwalden auf die Burg des Landvogts Landenberg in Sarnen, angeblich, um ihm die üblichen Neujahrsgeschenke, in allerlei Vieh bestehend, zu bringen. Landenberg begegnete ihnen auf seinem Wege zur Messe und befahl, nur alles zur Burg hinauf zu bringen. Das war es, was sie wünschten. Am Burgthore stieß einer von ihnen ins Horn; das war das verabredete Zeichen, die bis dahin im Wams verborgenen Lanzenspitzen auf ihre Stäbe zu stecken und die am Fuße des Berges wartenden Gesellen herbeizurufen. So besetzten die Verschworenen die Burg, und als Landenberg herbeieilte, wurde er zwar gefangen genommen, aber nachdem er geschworen, sich nicht zu rächen, unbehelligt über die Grenze gebracht.
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Auch andre Burgen der Untervögle wurden in ähnlicher Weise erobert, und hoch loderten die Freudenfeuer auf den Bergen, die Botschaft zu fünden, daß sich die Schweiz von den grausamen Tyrannen befreit hatte.
Als die Kunde zu Kaiser Albrecht I. gelangte, schwur er den Schweizern bittre Rache, doch der Tod kam der Ausführung seiner Pläne zuvor, als der Mordstahl Johann Parricidas das Leben des königlichen Oheims so jäh beendete.
5. Heinrich Vif. von Luxemburg.
(1308 bis 1313.)
Voller Entsetzen hatte das deutsche Volk die Kunde von der Ermordung seines Königs vernommen. Treue und Glauben waren allezeit der Deutschen Ehre gewesen. Ehrlicher Kampf bis zum letzten Hauch, das war ihre Losung; aber den Meuchelmord kannte die deutsche Waffe nicht. Mit Spannung sah die Menge auf zu den Fürsten und lauschte, wem sie durch ihre Wahl die so verhängnisvoll gewordene Krone darbieten wurden. Ein Mächtiger durfte es nicht sein, das stand fest, also fein Habsburger. Albrechts Söhne traten zurück als Herzöge und mochten sich von dem neu erwählten König wieder mit ihrem Herzogtum belehnen lassen.
Papst Bonifacius VIII., der bei Albrechts I. Wahl noch so mächtig drein zu reden wußte, war im Streite mit König Philipp IV. dem Schönen von Frankreich von diesem gefangen nach Avignon geführt und dort mit großer Härte behandelt worden. Er sollte inmitten Frankreichs thun, was Philipp begehrte, war aber in einem Wutanfalle den Händen seines königlichen Siegers durch den Tod entronnen. Jetzt meinte der französische König auch Deutschlands Herr werden zu können; er verlangte die deutsche Krone für feinen Bruder Karl von Valois. Schon längst hatte ein französischer Advokat, Pierre Dubois, seinem Könige in einer Denkschrift auseinandergesetzt, daß Frankreich dazu bestimmt sei, ein europäisches Universalreich zu gründen, und in der That war fast die Hälfte der Throne in Europa mit Sprossen des französischen Königshauses besetzt.
Philipp der Schöne rechnete ebensowohl auf die Hülfe des Papstes Clemens V., der, selbst Franzose, ebenfalls in dem päpstlichen Exil zu
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Avignon in der Gewalt des Königs war, vor allen Dingen aber auf den Erzbischof von Mainz, Peter von Aspelt (Peter Aichspalter), der, aus niederm Geschlecht, einst Leibarzt König Rudolfs, dann Kanzler des Böhmenkönigs, später Bischof von Basel war. Er hatte durch Clemens V., den er als Arzt vom Tode gerettet haben soll, den Bischofssitz von Mainz erhalten und war auch wegen dieser Beförderung dem König von Frankreich zu großem Danke verpflichtet. Ehrgeizig, geldgierig und berechnend wurde er beschuldigt, an Albrechts I. Ermordung beteiligt gewesen zu sein. Bei aller Geschmeidigkeit, die Erzbischof und Papst den Wünschen des Königs von Frankreich entgegenbrachten, wollten sie ihm nicht zu größerer Macht verhelfen. Er mochte sein Heil bei den deutschen Kurfürsten selbst versuchen.
Da traten in Deutschland zwei Bewerber auf, Graf Heinrich von Luxemburg und Pfalzgraf Rudolf. Dieser verzichtete bald freiwillig, und die drei geistlichen Kurfürsten waren für den Luxemburger. Denn er war ein armer Graf und keiner der maßgebenden deutschen Fürsten. Bei ihm konnten sie desto mehr Einfluß behalten, und doch mochte er kaum als Deutscher angesehen werden. In Valenciennes geboren, vom französischen Könige zum Ritter geschlagen, war er gegen eine jährliche Rente Vasall der französischen Krone und, eine Schmach für einen deutschen König, die sich später wohl noch wiederholen sollte, er war nicht einmal der deutschen Sprache völlig mächtig. Aber in ganz Deutschland war wenigstens Freude darüber, daß der König von Frankreich durch die Wahl Heinrichs enttäuscht wurde.
Brandenburg und Sachsen hatten von vornherein dem Kölner Erzbischof ihre Stimme übertragen; die andern weltlichen Fürsten fielen nicht ins Gewicht, und so wurde die Wahlfrage auf einer Versammlung zu Reuse (in der Nähe der Stadt Koblenz) leicht erledigt. Dort war seit alten Zeiten unter schattigen Nuß bäumen ein steinerner Altan erbaut worden, auf dem die rheinischen Fürsten sich bei wichtigen Besprechungen zu versammeln pflegten. Neun Säulen, durch Spitzbögen verbunden, trugen diesen Altan, „der Königsstuhl zu Rense" genannt, von dem man wußte, daß ein Trompetenstoß auf seiner Höhe in den Kurfürstentümern Mainz, Trier, Köln und Pfalz gehört werden konnte.
Am 27. November 1308 wurde die eigentliche Königswahl zu Frankfurt vollzogen, nachdem Heinrich seinen Wählern ein gut Teil Zugeständnisse gemacht hatte. Und die Wahl sah doch so rechtschaffen
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auS; jeder einzelne hatte seine Stimme für den Grafen Heinrich abgegeben; darauf erst sprach fein Nebenbuhler, Pfalzgraf Rudolf, im Namen aller fein „eligo“ (ich erwähle) aus. Sofort wurde der Papst von der erfolgten Wahl mit der Bitte benachrichtigt, den Erwählten gnädig anzunehmen und ihm die Kaiserkrönung nicht versagen zu wollen.
Dann reiste König Heinrich VII. nach alter Königssitte durch sein Reich, sich huldigen zu lassen, alte Lehen neu zu verleihen und alte Rechte zu bestätigen, wie die Reichsunmittelbarkeit der Waldstädte. Doch da die Straßburger als „Herren von Straßburg" um Bestätigung ihrer Freiheiten baten, war Heinrich VII. nicht zu sprechen; als sie aber als „Bürger und Diener des Königs" kamen, gewährte er, was sie begehrten.
Doch manche der Fürsten, besonders die Habsburger, hatten wenig Lust, sich durch den einst so gering geachteten Heinrich von Luxemburg belehnen zu lassen. Zu einem glänzenden Reichstage, den er in Speyer abhielt, kam endlich der Habsburger, Herzog Friedrich von Oesterreich; aber er zog an der Spitze einer zahlreichen bewaffneten Schar in die Stadt. Der König erschien auch nicht wohlgesinnt gegen ihn und versuchte sogar, die Rechte der Habsburger auf Oesterreich anzufechten. Da drohte der junge Herzog zornig, daß schon fünf Könige um Oesterreichs willen erschlagen wurden, und Heinrich sich vorsehen möge, nicht der sechste zu werden.
Als aber König Heinrich, ein unstreitig edler Herrscher, es als seine heilige Pflicht ansah, den sterblichen iteberresten seiner königlichen Vorgänger, Adolf von Nassau und Albrecht von Oesterreich, die Königsgruft irrt Dom zu Speyer als letzte Ruhestätte zu bieten uud beide in großer Feier einholte, da schmolz das Eis der Feindschaft zwischen den Häusern Luxemburg und Habsburg. Ein Dichter jener Zeit sang: „Nun prüften alle, die da waren, ein Wunder, dem in hundert Jahren nie eins ward gleich; daß zu einem Male römischer Könige drei man mit einander im Münster sah; den einen sah man gehen, die zween aufgebahrt stehen."
Jetzt erhielten auch die Söhne Albrechts I., Leopold und Friedrich von Oesterreich, ungeschmälert die Lehen ihres Hauses und gelobten, den König mit 200 Rittern auf feinem Römerzuge zu begleiten, auch gegen eine Geldsumme ihm zu helfen, das Böhmenreich für fein Haus zu gewinnen. Denn Herzog Heinrich von Kärnthen, der sich schon als Böhmenkönig betrachtet haben mochte, hatte sich nicht beliebt zu
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machen gewußt, und ein Teil der böhmischen Landstände trug dem vierzehnjährigen Königssohne Johann mit der zweiundzwanzigjährigen böhmischen Erbin die böhmische Krone an. Bald wurde statt des jugendlichen Johann der Bruder König Heinrichs, Walram, auserkoren, der als der schönste Ritter seiner Zeit galt. Erzbischof Balduin von Trier, auch ein Bruder König Heinrichs, der Erzbischof von Prag, der Mainzer und andere hatten die böhmischen Herren soweit zu bereden gewußt; aber doch wurde endlich Johann Böhmens König und Gemahl der böhmischen Elisabeth, der Enkelin König Ottokars (1310).
Nachdem die nicht fügsamen deutschen Fürsten, wie der rebellische Württembergs in die Acht gethan waren, und die Zustände Italiens eine gute Aussicht boten, dort die einstigen Hoheitsrechte der deutschen Krone völlig wiederzugewinnen, konnte Heinrich den Plan eines Nömerzuges fester ins Auge fassen. Guelfen und Ghibellinen Italiens waren plötzlich, wenn auch nur für kurze Zeit, eins in der Begeisterung für den deutschen Herrscher. Alle hofften durch ihn die unseligen Wirren Italiens beigelegt zu sehen. „Jetzt juble auf Italien;" rief der Dichter Dante Aligheri seinem Volke zu. „Bald wirst du von allen beneidet sein, sogar von den Sarazenen; denn dein Bräutigam, die Freude des Jahrhunderts, der Ruhm deines Volkes, der fromme Arrigo, der erlauchte Augustus und Cäsar wird zu deiner Hochzeit kommen . . . Gewißlich wird er allen verzeihen, welche um Gnade stehen, dieweil er Eäsar ist und seine Gnade aus dem Quell aller Gnade steigt."
Mit kaum 1000 Rittern und eben so viel Mann Fußvolk zog König Heinrich VII. im Herbst über die beschneiten Alpen in das Land seiner Sehnsucht. Ein wirkliches Reichsheer hatte er nicht zusammengebracht; fast nur die Sippe seines Hauses geleitete ihn. Deutsche Fürsten hatten sich auch nicht daran beteiligt, und die Aussicht auf Erfolg war wenig glänzend, da Heinrich mit eiserner Energie jedem einzelnen des Volkes, jeder Stadt, jeder Partei nur ihr Recht bringen wollte, ohne sich auf eine der mächtigen Parteien des Landes zu stützen. Es gelang ihm, sich in Mailand krönen zu lassen (1311), wenn nicht mit der altehrwürdigen Lombardenkrone, doch mit einer schnell von einem Goldschmied angefertigten.
Heinrich A IT. war zu wenig den ränkesüchtigen Parteien in Italien gewachsen. Die Familien der Visconti und der Torre sannen Verrat, während er nur mit hehren Gedanken auf die Verherrlichung seines Römerzuges bedacht war. Gleichwie zu einem Triumphzuge wollte er
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aus jeder Stadt die Häupter der verschiedenen Parteien mit sich führen. Doch während die Städte huldigend sich bereit machten, ihm reiche Geldgeschenke darzubieten, ließ er ihnen, durch schlechte Ratgeber bewogen, harte Steuern auferlegen und machte sie dadurch widerwillig.
Als die Torre sich empörten, ließen die verbündeten Visconti sie im Stich und wandten sich den Deutschen zu. Aber die Torre wurden von Heinrich geächtet wie die Visconti, und Städte, wie Lodi, Cremona, Brescia und andere erhoben sich so vermessen, wie einst unter den Hohenstaufen. Vergebens beugten sie sich nachträglich, wenn sie keinen Ausweg mehr wußten, voll ängstlicher Demut. Mit gezogenem Schwert ritt der König in die eroberten Städte und übte • strenges Gericht. Heißester Rachedurst aber erfüllte den sonst so milden König, als sein geliebter Bruder Walram bei der Belagerung von Brescia fiel, und vergeblich mahnte Dante, nicht in Einzelkämpfen seine Kraft aufzureiben. Heinrich vernichtete, was ihm zu nahe trat. Da traf die Deutschen ein schweres und verhängnisvolles Geschick; die Pest hielt ihren schrecklichen Einzug in das königliche Lager. Selbst die Königin Margarethe starb an ihren Folgen, und auch Heinrich nahm vielleicht schon hier den Todeskeim mit sich hinweg.
Er überließ die lombardischen Städte ihrem Geschick und kehrte in dem prächtigen, reichen Genua ein, das dem unscheinbaren Königszuge gastlich seine Thore öffnete und dem deutschen Herrscher unerwartet alle Herrlichkeit italienischer Reichtümer zu Füßen legte. Hier erschienen die Gesandtschaften der treuen Städte vor ihm, auch andere, wie die des arglistigen Königs Robert von Neapel und des Königs Friedrich von Sicilien. Aber das deutsche Heer hatte der Stadt die Seuche mitgebracht, und die lungernden Söldner waren den Kaufherren Genuas auch keine angenehmen Gäste, so daß Heinrich endlich sich nach Pisa einschiffte.
Doch hinter seinem Rücken loderte überall der Aufruhr wieder empor, und obgleich die treue Stadt Pisa den königlichen Herrn mit allem Glanze umgab, wollte es ihm nicht wohl werden, so lange er Rom nicht sein nannte. Endlich hatte er es erreicht, und die ihm wohl Gesinnten ermöglichten seinen Einzug; aber die Peterskirche, die alte Krönungsstätte blieb ihm verschlossen. Weder Güte noch Gemalt öffneten ihm den Zugang zum rechten Tiberufer, und die Kardinäle wollten ihn auch nicht ohne päpstliche Erlaubnis in der Kirche
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St. Giovanni krönen, welche die Deutschen in Besitz hatten. Endlich zwang das römische Stadtvolk den Kardinal von Sabina, dem König Heinrich VII. das Kaiserdiadem aufs Haupt zu setzeu.
Obgleich der Papst nachträglich der Kaiserkrönung zustimmte, blieb das Leben auch des gekrönten Kaisers in Italien nur einem unausgesetzten Plänklergefecht gleich. Er war weder im Stande, seine Streitkräfte richtig zu sammeln, noch sie gut zu verwenden, uud Feinde fand er überall.
Während der Kaiser endlich sein Lager auf einer Bergeshöhe von Siena aufschlug,' von hier aus seine Freuude belohnte, seine Feinde ächtete, erhoben sich in 9ioi'd- und Mittelitalien die Gnelfen gegen ihn. Auch König Robert vou Neapel, durch den Papst unterstützt, erlangte allmälig die Herrschaft der einzelnen Teile der Lombardei und Toskanas; Rom überlieferte ihm die Partei der Orsini.
Die Sonne des Luxemburgers war bereits für Italien im Niedergang begriffen, als er noch einmal mit glanzvollster Energie alle eignen Streitkräfte und die der Verbündeten in Bewegung setzte, den König Robert, Vetter des mächtigen französischen Königs, für den deutschen Kaiser jetzt nur der geächtete Rebell, zu vernichten. Es stand ein Reichskrieg, ja ein Kampf ganz Südeuropas bevor, und gespannt
sahen besonders die Völker des Mittelmeeres dem Auflodern desselben
entgegen.
'-La mmbe der od Kaiser Heinrichs VII. der Friedensstifter.
-i.ie unerträgliche Hitze Italiens hatte dem mutig und unaufhaltsam vorwärts drängenden Kaiser einen Fieberanfall zugezogen. Er mußte in einer Sänfte nach Bnonconvento gebracht werden. Dort ließ er sich von seinem einstigen Beichtvater, dem Dominikaner Bernardio von Montepulciano, das Abendmahl reichen. Da schüttelte ein eisiger Schauer seine Glieder; Kaiser Heinrich war auf der Stelle verschieden, wie es hieß, an den Folgen des Giftes, das ihm der Mönch im Abendmahl gereicht (24. Aug. 1313).
iiuch das Heer zog die Trauerkunde gleich einem heimlichen
Flüstern; man wollte es nicht mutlos machen. Aber der Jubel der Feinde, der Gneisen, des Königs Robert und selbst des Papstes, kündete mehr als alles die schreckliche Wahrheit.
Im Campo Santo zu Pisa, der vielgetreuen Stadt Heinrichs VII., wurden die sterblichen Ueberreste des Kaisers in einem herrlichen
Bornhak, Unser Sßaterfnnb.
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Marmorsarkophag gebettet, auf welchem die in Stein gebildete, zum letzten Schlummer ausgestreckte Herrschergestalt auf steinernem Kissen ruht, bis über die Füße hin in den mit Ornamenten bedeckten Kaisermantel gehüllt. Vielfach darauf wiederholte Reichsadler und der luxemburger Löwe künden, daß hier der deutsche Kaiser Heinrich VII. von Luxemburg bestattet ist. Die Längsseite des Sarkophages decken elf Apostelfiguren, während am Haupt- und Fußende symbolische Gestalten trauernd die Totenwacht halten.
6. Ludwig der Bayer (1314 bis 1847) und
Friedrich der Schöne von Oesterreich (1314 bis 1330).
Die steigende Macht der Fürsten machte jede Königswahl zu einem Wahlkampfe, in dem die Vorteile des Einzelnen den Ausschlag gaben. So trat jetzt eine Partei für Herzog Friedrich den Schönen von Oesterreich auf, Sohn des gemordeten Kaisers Albrecht I., eine andre für Herzog Ludwig von Bayern. Und weil dieser eine Kurstimme mehr hatte, als der Oesterreicher, meinten seine Anhänger, ihn mit viel größerem Recht auf den Schild heben zu dürfen. (In diesem Falle nach alter Sitte auf den Altar der Bartholomäuskirche zu Frankfurt.) Eine achtjährige Fehde sollte zwischen beiden die Entscheidung bringen.
Beide Fürsten wurden, gleich edel, mild und tüchtig, gekrönt. Auf Friedrichs Seite standen außer seinen Erblanden die Pfalz, Köln, Ungarn, Neapel, vorzüglich der Adel des Reichs, während Ludwig im Bürgerstande, in den Städten seine Stütze fand, die er reich begünstigte. Auch Thüringen, Böhmen, die Städte am Rhein und die
Schweiz hielten zu ihm.
Diese konnte von den Habsburgern nichts Gutes erwarten, und der Bruder Friedrichs, der tapfre Herzog Leopold von Oesterreich, „die Blume der Ritterschaft" genannt, zog mit einem großen Heere gegen die verhaßten „Schweizer Bauern", welche nach dem Tode Albrechts I. kecker als je ihr Haupt erhoben, sogar Klöster geplündert hatten.
Er meinte, das Hirten- und Bauernvolk würde schon vor dem Anblick seiner geharnischten Ritterscharen zurückweichen. Ja, es wird
berichtet, daß er viele Stricke habe mitnehmen lassen, die gefangenen Schweizer zu fesseln, die er doch erst besiegen wollte. Als er seinen Hofnarren Knni von Stocken fragte, wie ihm der Kriegsplan gefalle, soll dessen Antwort gelautet haben: „Sehr übel! Man habe sich wohl überlegt, wie man in das Land der Schweizer kommen wolle, aber nicht bedacht, wie man wieder herauskomme."
Mit hochwallenden Federbüschen und klirrenden Waffen zogen die Ritter aus den ungewohnten und beschwerlichen Alpenwegen den Waldstätten zu, an denen noch die Schmach zu sühnen war, welche das Haus Oesterreich in seinen Landvögten erlitten hatte. Aber die Schweizer hatten keine geschulten Krieger und wußten nichts von einer Kriegsführung, wie sie die. Fürsten großer Reiche übten. Mit Mühe brachten sie einen Haufen von 1300 Mann zusammen, die den Einzug der Oesterreicher in die Schweiz hindern wollten. Sie besetzten die Höhen des Berges Morgarten (15. Nov. 1315), an dessen Fuß sich ein schmaler Bergpsad hindurchwand, auf dem 9000 Oesterreicher in langsamen Schlangenlinien dahinzogen. Als der Hohlweg dicht mit Menschen und Pferden gefüllt war, erhob sich auf der Hohe eine kleine Abteilung der Schweizer mit großem Geschrei, welche Felsstücke auf die gedrängten Haufen der Feinde herabwälzten. Ihr eigentliches Heer stürmte dabei auf die Oesterreicher ein, die so, doppelt bedrängt, durch den unerwarteten Ueberfall in die größte Verwirrung gerieten. Die Ritter, ihre Pferde und ihr Troß erlagen den Schweizer Bauern und Hirten, welche von den Höhen ins Thal niederstürmten und, wenn nicht kunst- und turniergerecht, doch mit Riesenkraft einhieben. Als so die Edeln um den stolzen Herzog Leopold dahinsanken, entfiel auch ihm der Mut, und der Rest seines Heeres zerstreute sich in wilder Flucht. Die Schweizer zählten nur 15 Tote, iudes die Oesterreicher über 2000 Mann verloren hatten, darunter 640 Edle. Ein Bund „auf ewige Zeiten" vereinigte die Schweizer aufs neue (1315). Der Vertrag war in deutscher Sprache abgefaßt und betonte, daß sich die Schweizer nicht vom deutschen Reichsoberhaupte lossagen, aber nur dem gehorchen wollten, der erwiesenermaßen berechtigt sei, Gehorsam Zn fordern.
Unterdessen hatte der Streit zwischen Ludwig von Bayern und Friedrich von Oesterreich viel Unheil geschaffen. Besonders Ludwigs Erblande waren so jämmerlich ausgeplündert worden, daß er ernstlich um seines Volkes willen daran dachte, auf die deutsche Krone zu verzichten.
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Da trafen sich die feindlichen Heere im Salzburgischen bei dem Städtchen Mühldorf, wo eine heiße Schlacht die endliche Entscheidung brachte (23. September 1322).
Friedrich von Oesterreich ritt in königlicher Rüstung an der Spitze feiner Truppen in die Schlacht, während Ludwig von Bayern ein einfaches Waffenkleid anlegte, wie es elf feiner Ritter trugen. Schon neigte sich der Sieg auf Oesterreichs Seite, als der tapfere Burggraf von Nürnberg (Hohenzollern) siegreich für Ludwig in den Kampf eingriff. Friedrich von Oesterreich selbst wurde gefangen vor den Nürnberger geführt, der ihn Ludwig von Bayern übergab. Nach anderen Berichten hätte Ludwigs Feldhauptmann Schweppermann, der während der Schlacht feines Königs Rüstung angelegt, den Sieg herbeigeführt.
Als nach der Schlacht die knappen Speifeoorräte verteilt wurden, unter denen auch einige Eier waren, hätte Ludwig gesagt: „Jedermann ein Ei, dem tapfern Schwepperman aber zwei". Doch ist das eben so sagenhaft, wie vieles, das sich in der Ueberlieferung an diese blutige Schlacht knüpft. Da soll am Morgen des Schlachttages dem König, Friedrich der „Glücksring des Habsburger Hauses" abhanden gekommen fein, und ein bayrischer Ritter sechs österreichische Banner unter einem solchen Blutbade erobert haben, daß Friedrich von da an den grauen Greifen seines Wappens zum Andenken an diesen schrecklichen Tag in einen blutroten verwandelte.
Annehmbarer klingt es schon, daß Ludwig den besiegten Feind mit dem spottenden Wort empfangen habe: „Herr Oheim, ich sah euch nie so gern!" Dabei führte er feinen Gefangenen als ein königlicher Gastgeber auf die Veste Trausnitz an der Raab, wo die Feinde zu Freunden wurden, obgleich die streitenden Parteien damit nicht zur Ruhe kamen. Friedrichs Bruder Bergold nahm mit dem Papste den Kampf gegen König Ludwig in aller Heftigkeit auf. Der noch im Exil zu Avignon (babylonische Gefangenschaft genannt) lebende Papst ließ dort öffentlich einschlagen, daß kein nur von den deutschen Fürsten erwählter König Oberhaupt des deutschen Reiches fei, wenn ihm die päpstliche Krönung nicht das Recht dazu erteilt habe.
Als Ludwig sich dagegen verteidigte und vor einem Konzil den Irrtum des Papstes beweisen wollte, schleuderte der neunzigjährige „Vertreter Christi" den Bannstrahl gegen ihn und reizte die Polen zu einem Einfall in Brandenburg, das der König nach dem Erlöschen des brandenburgifch-askanifchen Hauses seinem neunjährigen Sohne
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Ludwig als Reichslehen gegeben hatte. Ja noch mehr, der Papst verkündete bald, daß er den französischen König, den letzten Kapetinger, zum deutschen Herrscher bestimmt habe.
Worte aus einer solchen Bannformel zeigen, wie viel unwürdiger Haß und so gar wenig christliche Liebe darin ruht: „Wir flehen die göttliche Allmacht an, daß sie des erwähnten Ludwig Raserei zu Schanden machen, seinen Hochmut zu Boden werfen, ihn durch die Kraft ihres rechten Armes niederstürzen und ihn den Händen seiner Feinde wehrlos übergeben wolle. Sie lasse ihn in ein besonderes Netz fallen. Sein Eingang und Ausgcmg sei verflucht. Der Herr schlage ihn mit Narrheit, Blindheit und Raserei, der Himmel verzehre ihn durch seinen Blitz. Der Zorn Gottes und seiner heiligen Apostel Peter und Paul, deren Kirche zu unterdrücken er sich unterstanden, entzünde sich über ihn, der Abgrund thue sich auf und verschlinge ihn lebendig! Sein Name müsse nicht über ein einziges Geschlecht dauern, und sein Angedenken erlösche unter den Menschen. Alle Elemente seien ihm zuwider, sein Haus müsse wüst gelassen und seine Kinder aus ihren Wohnungen vertrieben werden und vor den Augen ihres Vaters durch seine Feinde umkommen!" . . .
Unter diesen verwirrten Zuständen suchte König Ludwig eine Aussöhnung beider feindlichen Parteien selbst um den Preis persönlicher Opfer. Aber Friedrich von Oesterreich gelüstete es nicht mehr nach einer Krone. Die Sage meldet auch hier Wunderliches. Ein wohl gelehrter Meister kam zum Herzog Leopold und sagte: „Ich will Gut nehmen und den Teufel beschwören, daß er euren Bruder, den König Friedrich, zu euch bringen muß." Da gingen beide in eine Kammer, der Herzog und der Meister uud citierten den Teusel, der in Pilgerkleidern erschien und befahlen ihm, daß er König Friedrich herbringe ohne Schaden.
Da fuhr der Teufel hin auf die Veste zum König und sprach: „Setz dich her auf mich, so will ich dich ohne Schaden zu deinem Bruder tragen." Der König sprach: „Wer bist Du?" Antwortet der Teusel: „Frage nicht, wer ich sei. Willst du aus dem Gefängnis kommen, so thue, was ich dir sage!" Da kam den König und die, so ihn hüteten, ein Grauen au und schlugen Kreuze. Da verschwand der Teufel."
Dieser Sage entspricht wenigstens der Edelsinn Friedrichs von Oesterreich; denn als ihn Ludwig aus der Haft unter der Bedingung
entliefe, den Papst und seinen Bruder Leopold friedlich zu stimmen, andernfalls freiwillig wiederzukehren, ließ Friedrich öffentlich verkünden, daß er selbst auf die deutsche Krone verzichte und jedermann im Reich auffordere, dem König Ludwig zu gehorchen. Er hatte nur das Verlangen, mit seiner edlen Gemahlin wieder vereint zu sein, die sich aus Gram über die Gefangenschaft ihres Gemahls blind geweint haben soll. Als es Friedrich nicht gelang, Bruder und Papst für Ludwig zu gewinnen, ging er nach München zurück in die Gefangenschaft. Von solcher Treue tief gerührt, sah Ludwig in dem edlen Nebenbuhler nicht mehr den Feind; er nannte ihn Freund und Bruder. Beide aßen und schliefen zusammen, und Ludwig teilte trotz des Widerspruchs der Fürsten mit Friedrich die Regierung, übertrug ihm sogar, wenn er fern sein mußte, den Schutz des Bayernlandes.
So war Ludwig nach Italien gezogen, den Papst als Ketzer des päpstlichen Stuhles für verlustig zu erklären und einen Gegenpapst einzusetzen. Es gelang ihm auch, sich in Mailand die lombardische, in Rom die römische Krone aufs Haupt zu setzen, scheinbar am ^»iele feiner Wünsche mußte er doch mit dem Gegen pap st Nikolaus V. nach Deutschland zurückkehren, da ihm alle Geldmittel ausgegangen waren. Dort war eben Friedrich von Oesterreich gestorben, dessen Brüder sich nun mit Ludwig aussöhnten, der, seine Kaisern)itrde verleugnend, demütig aber vergeblich eine Versöhnung mit dem Papste nachsuchte.
Endlich berief der Kaiser einen Reichstag nach Frankfurt, auf dem fünf Monate lang beraten wurde, wie die Würde der deutschen Königsmacht gegen Uebergriffe der Kirche zu schützen sei. Aus die Frage Ludwigs: „Bedarf ein durch die Mehrzahl der deutschen Kurfürsten gewählter Kaiser oder König des Reichs zur rechtmäßigen Ausübung seines Amts der vorgängigen Bestätigung des Papstes?" hatten alle Fürsten nur eine Meinung: daß es eine L-chmach sei für Kaiser und Reich, vom Papste abzuhängen. Dann kamen die Kurfürsten auf dem Felde zu Reuse bei Koblenz zusammen und stifteten dort den berühmten Kurverein „zur Wahrung der Rechte des Reichs im allgemeinen und zur Verteidigung ihres Wahlrechts gegen jedermann."
Nach Frankfurt zurückgekehrt sprachen Kaiser und Fürsten nochmals den Beschluß aus, daß des Papstes Urteil ungerecht und nichtig sei, der König seine Gewalt unmittelbar von Gott habe und durch
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die Wahl der Kurfürsten von Recht und Gewohnheit wegen den Titel eines Königs und Kaisers und die Reichsregierung erlange. Das wurde im ganzen Reiche öffentlich verkündet, und die Tage uon Rense und
Frankfurt hatten der Königswürde Ludwigs einen idealen Glanz ver-
liehen. Doch getragen von der Begeisterung des deutschen Volkes beging Ludwig den größten Fehler seiner Regierung. Er wußte sich diese Liebe nicht zu erhalten. Nur darauf bedacht, von jetzt an seine Hausmacht zu vergrößern, da er oft an empfindlichen Geldmangel gelitten hatte, wandte Ludwig dem entsprechend seine Teilnahme dem Wohle des Reiches viel weniger zu als zuvor. Nachdem er seinem Sohne Ludwig die Mark Brandenburg übergeben hatte, zog er Niederbayern als Erbschaft an sich und vermählte den Brandenburger mit
der reichen Erbgräfin von Tyrol, Margarethe Maultasch, deren Ehe
mit dem Böhmenkönig er selbst trennte und damit in die Rechte der Kirche eingriff. Dem Papste bangte vor der wachsenden Kaisermacht, als Ludwig zur selben Zeit die reiche Erbschaft seines Schwagers, des Grafen von Holland, in Besitz nahm: Holland, Seeland, Friesland und Hennegau. Und das verschärfte päpstliche Interdikt, durch welches der Papst Ludwigs Ansehen zu vernichten hoffte, war doch zu machtlos, um nennenswerte Erfolge gegen ihn zu erreichen.
Zwar stimmten die drei geistlichen Kurfürsten, auch Böhmen und Sachsen für die Wahl eines Gegenkönigs aus dem Luxemburger Hause, Karl IV. von Mähren; aber wunderbares Geschick, bei dieser Königswahl zu Rense (13. Juli 1346) fiel das alte Reichsbanner in den Rhein und ward nicht mehr gesehn. Das schien eine böse Vorbedeutung für den neuen König, der in der Schlacht bei Crecy mit genauer Not sein Leben rettete, als Kaiser Ludwig, alle weltlichen Fürsten und viele Städte dem Papstkönig entgegentraten.
Aber inmitten des Reiches gab es manchen bösen Strauß für Kaiser oder Gegenkönig. Die Magdeburger schlugen ihren Erzbischof mit eisernen Stäben tot, und die Berliner töteten den Probst von Bernau an der Thür der Marienkirche, als er die Bannbulle gegen Ludwig verkündete. Dafür wurden die Berliner in den Bann gethan. Weil die reichen Herren der Städte gegen Ludwig waren, strebte ihnen das niedere Bürgertum, die Gewerke und Zünfte, entgegen. Diese kamen durch viele kaiserliche Begünstigungen empor und entwickelten wesentlich dadurch das Gemeinwesen der Stadt.
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Doch meinte Karl von Mähren feine Krönung erzwingen zu müssen und versuchte, in Aachen einzuziehen, mußte sich aber damit begnügen, vom Kölner Erzbischof in Köln gefrönt zu werden. Trotzdem konnte er sich nicht in Deutschland halten, und Kaiser Ludwigs Regierung schien sich endlich ruhiger zu gestalten, nachdem die deutschen Lande neben allem Hader durch mancherlei Elend schwer getroffen waren. Drei Jahre hindurch verheerten Heuschreckenzüge die kaum bestellten Felder. Armut und Hungersnot waren in ihrem Gefolge. Da kam der schwarze Tod, eine Pest, die vom Orient über Egypten, Italien, Frankreich und Deutschland dahinzog, ganze Landstriche entvölkernd. In einem Fanatismus der Buße zogen viele des Volks als Flagellanten von Ort zu Ort, im wahnsinnigen Toben sich geißelnd und zu vernichten, was Hungersnot und Pest noch übrig gelassen hatten.
Sie zogen hinter kostbaren Fahnen von Sammet und Seide einher, auf dem Kopse Hüte mit roten Kreuzen. Wohin sie kamen, wurden die Glocken zu ihrem Empfange geläutet. In den Kirchen fangen sie kniend:
„Jesus ward gelabet mit galten,
drum sollen wir all an ein Kreuze fallen."
Dabei warfen sie sich je zwei kreuzweise auf die Erde, und der Vorsänger stimmte an:
„Nun hebet auch all eure Hände, daß Gott dies große Sterben wende, nun hebet auch eure Arme, daß Gott sich erbarme"!
Daun gingen sie auf ein freies Feld hinaus, bekannten ihre Sünden dem Geißelmeister und geißelten sich, den Unterkörper durch ein leinenes Gewand bedeckt, mit Riemen, an deren Enden Kugeln mit Nadelspitzen befestigt waren. Das zuschauende Volk aber weinte in stiller Andacht.
In den großen Städten wandte sich der Fanatismus gegen die Juden, deren Wucher und Reichtum Anlaß zum Hasse bot. Sie sollten die Brunnen vergiftet haben, und wie die Geschichte von einem Massenmord auf dem Judenkirchhof zu Straßburg berichtet (1349), so war es mehr oder weniger in allen rheinischen Städten. Ihr Geld nahm dann der Rat der Städte und verteilte es unter die Bürger. Ein Chronist sagt offen: „Das Geld war auch die Sache, davon die
Juden getötet wurden. Wären sie arm gewesen, und wären die Landesherren ihnen nichts schuldig gewesen, so wären sie nicht gebrannt worden."
In so bewegter Zeit starb Ludwig auf einer Bärenjagd bei München, vom Schlage getroffen. Dort ruht seine Leiche in der Frauenkirche. Ein schönes Grabmal, das später sehr verbaut wurde, trägt die schlafende Kaisergestalt. Es war der letzte Kaiser, welcher von einem Papste in den Bann gethan wurde.
1. Karl IV. von Mähren (Mhmen, Luxemburg).
(1347 bis 1378.)
Nach Kaiser Ludwigs Tod hätte Karl IV. ungehindert des deutschen Reiches Oberhaupt sein mögen, wenn der Parteihader nicht für neue SSirreix gesorgt hätte. Da trugen Zunächst die bayrischen dem englischen Könige Eduard III. die deutsche Krone an, und a(o dieser sie ausschlug, dem Markgrafen Ernst von Meißen. Auch er trat für 10,000 Mark Silber, die ihm Karl Pv. bezahlte, zurück. Die deutsche Krone war
Handelsartikel geworden.
Nun stand in der Mark Brandenburg, die Kaiser Ludwigs Sohn, Markgraf Ludwig von Bayern, inne hatte, ein Betrüger auf, welcher behauptete, der nur angeblich gestorbene Markgraf Waldemar der Große zu sein. Er fand viel Anhang in den Städten, auch bei den sächsischen und anhaltischen Fürsten, und Karl T\. hielt mit ihm, um dem Hause Bayern zu schaden. Dieses bot dafür, unterstützt von Brandenburg, der Pfalz, Mainz, zum Teil auch von Sachsen, die Königskrone einem zwar geringen, aber edeln und ritterlichen Fürsten au, Günther von Schwarzburg.
Doch söhnte sich Karl kluger Weise durch Vermählung mit der Tochter des Pfalzgrafen Rudolf mit der bayrischen Partei aus. Nun ließ er den falschen Waldemar fallen, und Günther verlor den geringen Anhalt, durch welchen er sich allein zu halten vermocht hatte. Als er drei Monate nach seiner Erwählung, u)ie es hieß, in Folge
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einer Vergiftung erkrankte (1349), trat er auch feine königlichen Ansprüche noch aus dem Sterbebette für 30,000 Mk. Silber au Kart IV. ab, der jetzt nach wiederholter Wahl und Krönung deutscher König und Kaiser unbestritten war.
Am Hose seines königlichen Oheims zu Paris erzogen, galt er als der gelehrteste Fürst seiner Zeit; denn er sprach und schrieb die böhmische, französische, deutsche, italienische und lateinische Sprache. In seinem siebzehnten Jahre wurde er von seinem Vater, Johann von Böhmen, zum Markgrafen von Mähren und Statthalter von Böhmen ernannt, das seine eigentliche Heimat war und schon darum die größte Fürsorge erfuhr. Der spätere Kaiser Maximilian mochte nicht ganz Unrecht haben, wenn er Karl IV. des böhmischen Reiches Vater, des heiligen, römischen (deutschen) Reiches Erzstiefvater nannte.
Zunächst suchte er die böhmischen Städte, besonders Prag, nach dem Muster französischer und italienischer Städte zu verschönern, und als er deutscher König geworden war, erhob er Prag zu seiner Residenz. Er stiftete dort die erste deutsche Universität (2. Sept. 1347). Am Stiftungstage (7. April) erklärte er Böhmen für ein Erbland feines Hanfes, dessen Machtvergrößerung ihm mehr am Herzen lag, als des ganzen deutschen Reiches Herrlichkeit, die seit lange von ihrer Höhe herabgesunken war.
Dazu riefen ihn dringende Bitten nach Italien, das fast unausgesetzt ein Fehdelager der Parteiinteressen war. Ter italienische Dichter und Gelehrte Petrarca (1350) schrieb dem deutschen König: „Nie hat Italien nach der Ankunft eines fremden Fürsten so sehr geseufzt. Ihr seid seine einzige Hoffnung; es fürchtet Euer Joch nicht." . , . „Mein geliebter, teurer Sohn", läßt der Dichter das verwaiste Rout klagen, „weil Du lebst, bin ich noch nicht ganz gestorben; noch ist Hoffnung und Hülfe da. Siehe Roma in Thränen, fetze es in seinen ewigen Glanz." . . . „Geh schleunigst über die Alpen, Rom erwartet seinen Bräutigam, Italien seinen Retter." . . .
Schon um den Glanz des deutschen Königstums nach altem Herkommen durch die feierliche Krönung mit dem lombardischen und dem römischen Diadem zu erhöhen, war Karl bereit, dem Rufe Italiens zu folgen. Doch mußte er vorher dem Papste, der sich noch immer in der Gewalt des französischen Königs zu Avignon befand, versprechen, ohne Heer nach Italien zu ziehen, sich nicht in italienische Angelegen-
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heiten zu mischen und Italien sofort nach der Krönung wieder zu verlassen.
Nur von einem glänzenden Gefolge über die Alpen geleitet, empfing der deutsche König und Kaiser in Mailand die lombardische Krone, in Rom, das er „in Pilgrims Weise" betrat (1355), durch zwei Kardinäle die Kaiserkrone, um noch an demselben Tage den Rückzug nach Deutschland anzutreten. Dabei versäumte er nicht, sich von italischen Fürsten und Städten viel Geld für Rechtsverleihungen zahlen zu lassen. Da wandelte sich der Jubel, der den Ersehnten begrüßt hatte, in Spott. Die Italiener hatten sich den Kaiser anders vorgestellt.
Nach feiner Rückkehr widmete er sich wiederum fast nur den böhmischen Landen. Hier zerstörte er Raubburgen, hob Handel und Gewerbe, rief Künstler und Gelehrte nach Böhmen und stellte es damit in die Reihe der ersten Kulturstaaten Europas. Doch wußte Karl IV. klug vermittelnd auch mancherlei Uebelstäude im übrigen Reiche abzupellen, und es bucht die Geschichte besonders sein hervorragendes Reichs-gejetz, die „unverbrüchliche ewige" goldne Bulle, so nach der goldenen Kapsel (Bulla) genannt (1356), die das Siegel von Wachs umschloß und an seidener Schnur herabhing.
Dieses Reichsgesetz verlieh oder vielmehr bestätigte das ausschließliche Recht, ein Reichsoberhaupt zu wählen, sieben Kurfürsten, die solches Recht thatsächlich schon länger als ein Jahrhundert ausgeübt hatten, drei geistlichen, den Erzbischöfen von Mainz, Trier und Köln und vier weltlichen, dem König von Böhmen, dem Markgrafen von Brandenburg, dem Herzog von Sachsen - Wittenberg und dem Pfalzgrafen am Rhein. Die geistlichen Kurfürsten galten als Erzkanzler für Deutschland, Burgund und Italien, die weltlichen vertraten die Reichserzämter und war der Böhme Erzschenk, der Pfalzgraf Erztruchseß, der Sachse Erz marsch all und der Brandenburger Erzkämmerer des Reiches. Sie erhielten über andere Fürsten Rechte in ihren Ländern, standen dem Kaiser in der Regierung zur Seite und galten als Würdenträger des Reichs, so bei der Krönung und dem Krönungsmahl, wo ihnen besondere Dienste zufielen. Die Kurwürde sollte an den jedesmaligen Besitz der genannten Länder oder Bistümer gebunden sein und bei Erledigung des Thrones binnen drei Monaten die Königswahl zu Frankfurt am Main, die Krönung in Aachen stattfinden.
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So stauben die Kurfürsten gewissermaßen über dem Kaiser, dem sie durch ihre Wahl seine Würde verliehen. Der Krone war überhaupt fast nur noch ber äußere Glanz übrig geblieben, seit ihre Träger all mählich so viele kaiserliche Rechte verschenkt hatten, baß sie thatsächlich gezwungen waren, auf bie Vergrößerung ihrer Haus macht bebacht zu sein, um nur ein Gegengewicht für bie Macht der deutschen Fürsten zu finden, die jetzt Landesherren ihrer Territorien waren. Begehrte der Kaiser etwas von den Kurfürsten, so mochte er es von ihnen erkaufen, wie Kaiser Karl IV. jedem derselben 100,000 Gulden für das Versprechen zahlte, seinen Sohn Wenzel zum einstigen Nachfolger wählen zu wollen. Auch die Gunst der Städte suchte er später für diesen Plan durch die kaiserliche Erlaubnis des Einigungsrechts zu gewinnen, obgleich' er ihnen dadurch eine Macht verlieh, die der Krone nicht zum Vorteil gereichte.
ES ist begreiflich, daß auch die andern Fürsten eine Selbständigkeit erstrebten, welche die Kurfürsten durch die goldne Bulle erlangt hatten, Ritterschaft und Städte dagegen sich durch große Bündnisse gegen bie fürstliche Uebermacht zu schützen suchten, wo einst Kaiser und Reich den Schwachen zu schirmen vermochten. Vielmehr suchte der Kaiser auch daraus für sein Haus Vorteile zu gewinnen; besonders würben die reichen Hanfastäbte mit ausgesuchtester Rücksicht behanbelt. Aber gerade diesen war der Kaiser nur eine Schattengestalt. Sie nannten ihn ihren Herrn und Kaiser, der nur zu gebieten habe, wie der Lübecker Bürgermeister ihn einst feierlich begrüßte, führten aber ohne Kaiser und Reich Kriege, schlossen Handelsverträge und beherrschten das Meer, als wäre es ihr alleiniges Reich. Die Reichsstäbte wurden dabei mit ungemessenen Freiheiten beschenkt, welche trotzdem nicht umsonst waren. Auch die Erfindung, vielmehr der Verkauf des sogenannten Brief-adels eröffnete immer neue Gelbquellen, deren Karl IV. notgedrungen beburfte, wollte er feine weitgehenden Pläne zur Erhöhung seiner Hausmacht ausführen.
Nach einem Erbvertrage mit den bayerischen Markgrafen Ludwig und Otto in Brandenburg wußte er diesen die Mark fast mit Gewalt für 500,000 Gulden abzudrängen, um sie Böhmen einzuverleiben, trotzdem Markgraf Otto mit der Tochter des Kaisers vermählt war. Es könnte wohl in den heillosen Zuständen Brandenburgs eine Entschuldung bafür gefunben werben. Zum Teil ruhte bort ber päpstliche Bann aus Fürst und Volk, der falsche Waldemar halte viel Unruhe
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geschaffen, Städte unb Ritter befehdeten sich, und obgleich Markgraf Otto ben Verkauf noch einmal rückgängig zu machen suchte, so mußte er ben märkischen Ständen nachgeben, bie bafür stimmten, weil sie barin eine bessere Zukunft ihrer Heimat erhofften. Karl IV. hat biefes Vertrauen gerechtfertigt; er ist ber Mark, in ber er später resibierte, ein guter unb gewissenhafter Fürst gewesen.
Seinen Sohn Sigismund vermählte er mit der Tochter des Königs Lndivig von Ungarn, dessen Land er sich ebenfalls durch einen Erbvertrag gesichert hatte. Endlich waren der Erbländer so viele, daß er jedem feiner drei Sohne einen reichen Besitz zuweisen konnte. Wenzel bekam Böhmen, Schlesien unb bie Oberpfalz, Sigismunb bie Mark Branbenburg, Johann bie Neumark, Schweibnitz unb bie Lausitz, die ber Kaiser von bem Markgrafen von Meißen für Gelb erworben hatte. Die Söhne feines verstorbenen Brnbers, Jobst unb Prokop, erhielten Mähren.
Der Kaiser verstaub es, überall mit Gelb unb guten Worten auszukommen, wo einst bas beutfche Schwert in bie Wagschale gefallen war. Selbst bie Geistlichkeit unb ber Papst waren gut Freund mit dem deutschen Kaiser. Wenn er auch den päpstlichen Wunsch eines Kreuzzuges zu umgehen gewußt hatte, so war er doch Urban V. gegen den fehdelustigen Herzog von Mailand, Bernabo Visconti zu Hülfe geeilt, nachdem das „babylonische Exil" der Päpste zu Avignon beendet war, und sie wieder in Rom ihren Sitz hatten. Der deutsche Kaiser hatte das weiße Pferd des heiligen Vaters von der Engelsburg bis zur Peterskirche demütig am Zügel geführt, unb ber Klerus jubelte: „Selten sah mau solche Einigkeit unter ben Häuptern ber Christenheit!"
Auch im Reiche hatte sich ber Kaiser neue Anerkennung unb Ruhm erworben, als er bie Westgrenze bes Reiches von ben Einbringungen befreite, bie, einst Solbner im französisch-englischen Kriege, in ben Elsaß eingebrochen waren unb Straßbnrg bebrohten. Kurz zuvor hatte er bie Ansprüche bes Reiches auf bie burguubischeu Laube zu behaupten gewußt unb sich bie Krone bes „arelatischen Reiches" auf's Haupt gesetzt (1365).
Im Glanze solcher Erfolge vermochte Karl IV. selbst entgegen ben Bestimmungen ber golbenen Bulle bie Königswahl seines Lohnes Wenzel burchzusetzen. Er würbe zu Frankfurt gekrönt unb balb von seinem Vater zum Reichsverweser ernannt, ba biefer selbst meist im Schloß zu Tangermünbe resibierte, um sich ber Mark Braubenburg
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desto erfolgreicher widmen zu können. Ein geordnetes Gerichtswesen und die Abfassung des Landbuchs der Mark Brandenburg sicherten die landesherrlichen Rechte.
Die süddeutschen Städte sahen vorsichtig auf Karls IV. Politik, der selbst den Fürsten Städte verpfändet hatte, um Geld zu erlangen. Daraus schlossen vierzehn Städte einen Bund, den schwäbischen Städtebund, „gegen jedermann, der sie bedrängen würde," und lange Kriege der Städte mit fürstlichen Herren, besonders mit Graf Eberhard dem ©reiner, verwüsteten die südlichen Länder, ohne daß sich der Kaiser darum gekümmert hätte. Er zog zu dieser Zeit anscheinend zu friedlichem Besuch nach Paris an den seinem Hause verwandten Königshof. Doch wurden dort auch mancherlei andere Interessen geltend gemacht, Frankreich sollte im Kriege mit England anf die Hülfe des deutschen Kaisers rechnen, so versprach dieser. Sein Tod ließ es dazu nicht kommen. Nach Deutschland zurückgekehrt, starb Karl IV. zu Prag an einem schleichenden Fieber, das als Sinnbild jener Zeit gelten möchte, die nun über Deutschland heraufzog, langsam aber düster in ihrer Zukunft.
So vielfach Karl IV. als deutscher Kaiser in der Geschichte getadelt worden ist, ebenso viel Ehre möchte ihm sein Vermächtnis an seinen Sohn und Nachfolger bringen, in dem es heißt: „Habe Deine Freunde lieb und sitze friedsam, und wenn Du etwas mit Güte erreichen kannst, so laß den Krieg. Erweise jedem Zucht und Ehre. Habe den Papst und die Pf aff heit lieb und die Deutschen zu Freunden, so magst Du desto besser im Frieden bleiben."
2. Wenzel (1378 bis 1400) und
Ruprecht von der Pfalz (1400 bis 1410).
Unter Wenzel, ber, kaum siebzehn Jahre alt, die deutsche Krone trägt, wird die deutsche Königswürde zur Karrikatur. Schon über seine Jugendjahre werden viele böse Dinge berichtet, die ihn als einen Unhold erscheinen lassen. Tiere und Menschen sind ihm ein Spielzeug, worauf er jein Geschoß richtet, oder die er anderweitig mißhandelt. Der Henker, den er seinen lieben Freund und Gevatter nannte, soll sein steter Begleiter gewesen sein. Wie viel oder wenig an diesen sagen-
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haften Berichten übertrieben sein mag, etwas Wahres ruht sicher darin, und gewiß ist, daß Wenzel die Jagdreviere Böhmens besser kannte, als die deutschen Lande, zu deren Regierung er berufen war. Am beklagenswertesten erscheint es gewiß von vorn herein, daß der junge Herrscher sich dem Trunke ergab. Wie konnte daraus Gutes kommen!
Gutmütig, doch schwach, wollte er des Volkes Wohl. Strenge Gerechtigkeitspflege sollte jedem das Seine geben; aber das war schwer in einer Zeit, in der keiner des andern Rechte achtete, und jede Partei, sich der andern gegenüber durch Bündnisse zu stärken suchte.
Zunächst hatte Wenzel sein Augenmerk auf den Kirchenstreit gerichtet, der dadurch entstanden war, daß die französisch gesinnte Partei Klemens VII. (aus Genf) zum Papst erhob, die italienische Urban VI., einen italienischen Kardinal, dem auch Weitzel in Deutschland Anerkennung zu verschaffen suchte, dazu Gunst und Macht der Fürsten bedurfte und sich darum kühl und abwehrend gegen die sich weiter ausbreitenden Städtebündnisse verhielt. Diesen gegenüber standen die großartigen Ritterbündnisse, wie die Vereinigung der „Hörner" im Hessenlande, der „Falkner" Westfalens, die Gesellschaften von St. Georg und St. Wilhelm, der große Bund der „brimmenden Löwen", der sich von den Niederlanden zu den Alpen, über Bayern und dem Thüringer Wald ausbreitete und andere.
Ein großer Landfriede, den die Kurfürsten auch gegen die Städte geplant hatten, blieb fast erfolglos, da keine Reichsgewalt ihm Nachdruck zu verschaffen wußte. Wenzel sah diesen Sturm verkündenden Bewegungen ziemlich teilnahmslos zu, als ihn Papst Urban nach Italien lud: „Komm mit den Kurfürsten und richte auf deine kaiserliche Macht! Es eile die edle Germania herbei, um ihrer edlen Schwester Jtalia zu helfen, welche das kraftlose Heer der schändlichsten Sklaverei unterwerfen will." Schou um sich krönen zu lassen, gedachte Wenzel diesem Ruf zu folgen, wollte aber zuvor „nur noch das Reich bestellen" und hielt zu diesem Zwecke in Nürnberg einen glänzenben Reichstag ab, um einen allgemeinen Landfrieden zu befehlen, ber nur im sübwestlichen Deutschland zu stände kam.
Unterdessen war die schweizerische Eidgenossenschaft nach der siegreichen Schlacht bei Morgarten (1315) durch den Beitritt der von Habsburg abgefallenen Städte Luzern, Zürich, Glarus, Zug und Bern zum „Bunde der acht alten Orte" herangewachsen und bereit, Oesterreich und dessen Verbündeten entgegen zu treten, die den Eidgenossen Fehde
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angesagt hatten und mit einem Ritterheer von 4000 Mann unter Leopold von Oesterreich einem Häuflein ungepanzerter Eidgenossen entgegen zogen. Sie trafen bei Sempach mit ihnen zusammen (9. Juli 1386).
Die Herren hatten große Eile, und ein Herr von Ochsenstein sprach vom Sieden und Braten der rebellischen Bauern. Doch — mochte ihnen der Waffengang ungleich erscheinen, besonders der Kampf schwer gepanzerter Ritter zu Pferde mit langen Lanzen gegen das schweizerische Fußvolk ungünstig dünken — die österreichischen Herren übergaben ihren Troßknechten die Pferde. Sie selbst bildeten nun einen dichten Lanzenwall, den die Schweizer vergeblich zu durchbrechen suchten, bis ein Tapferer, Arnold Struthahn von Winkelried aus Unterwalden, mit dem Rufe: „Getreue, liebe Brüder, ich will euch eine Gasse machen. Sorgt für mein Weib und meine Kinder!" vorsprang, mit beiden Armen so viele vordringende Speere zusammen raffte und sie mit der Wucht seiner breiten Hünengestalt zu Boden drückte, daß die Eidgenossen hierdurch eine Straße fanden und mit ihren Morgensternen und Hellebarden heftig auf das stolze Heer eindrangen. Ein altes Volkslied fingt:
„Sein männlich tapfer Sterben War vier Waldstädten gut.
Hei, daß ein Held den Tod gewann Es hätte sonst gekostet Noch manchen Biedermann."
Hier wurden Ritter unter den schweren Panzern zusammengedrängt bis zum Ersticken; dort eilten ganze Scharen in wilder Flucht zu ihren Pferden hin, auf denen eben die Troßknechte sich davon machten.
Noch hielt ein tapferer Ritter sterbend das blutige Banner Oesterreichs empor mit dem Rufe: „Rette Oesterreich." Die Braven aber, welche sich um die Fahne sammelten, sanken dahin und begruben sie mit ihren Leichen. Als Herzog Leopold das Panter Oesterreichs fallen sah, ohne es retten zu können, stürmte er in das wildeste Schlachtgetümmel, den Tod zu suchen, den er an der Seite des Fahnenträgers fand. 700 österreichische Ritter bedeckten die Wahlstatt, und nur 100 eidgenössische Kämpfer waren gefallen. Die Uebrigen hielten nach alter Väter Sitte drei Tage Wacht auf der Siegesstätte, machten reiche Beute und zogen mit wehenden Fahnen in ihre Heimat zurück. Ein zweiter blutiger Sieg der Schweizer oder vielmehr nur der Glarner bei Näsels (9. April 1388) vollendete die Niederlage Habsburgs in
B o r n h a k, Unser Vaterland. , q
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der Schweiz. Die Söhne Leopolds von Oesterreich schlossen Frieden mit den Eidgenossen.
Als jetzt die bayerischen Herzöge trotz des gebotenen Landfriedens in Salzburger Gebiet einbrachen und viele Städte im Süden schädigten, rüsteten sich die rheinischen und schwäbischen Städte, durch die Siege der Eidgenossen ermutigt, ihre Rechte dem Adel und den Fürsten gegenüber, besonders gegen die Württembergs Herren, energisch zu wahren. Das wurde die Ursache zum Ausbruch des großen Städtekrieges, der ganz Süddeutschland furchtbar verheerte, und der auf dem Reichstage zu Eger für sechs Jahre ausgesprochene Landfriede hätte wenig Erfolg gehabt, wenn die Städte nicht endlich selbst der langen Fehden müde geworden wären. Ganze Landschaften lagen verödet, und weite Felder trugen nur Disteln, als der alte Städtefeind Graf Eberhard, der Greiner oder Rauschebart, nach 48 jähriger Regierung starb. Durch seinen Tod wurden die Städte von großer Sorge befreit (1392).
Obgleich der Kurverein zu Rense die päpstliche Krönung neben der kurfürstlichen Wahl für unnötig erachtete, so war doch die Ueberlieferung dieser Sitte für König und Volk noch kräftig und weihevoll genug gewesen, um daran festzuhalten. Aber Wenzel trug mehr Sorge für seine Hausmacht, als für den Glanz des Kaiserdiadems; denn als der Schwiegervater seines Bruders Sigismund, König Ludwig von Ungarn uud Polen gestorben war, galten seine Bemühungen nur dieser Erbschaft. Und wenn es ihm nicht gelang, dieselbe seinem Hause ganz zu sichern, so wurden doch die Interessen der östlichen Länder für Wenzels Handlungsweise entscheidend, seit er die jüngste Tochter des verstorbenen Königs mit dem mächtigen Großfürsten Jagiello von Litauen vermählte, das jetzt ein Wall gegen das bis dahin nach Osten vordringende Germanentum wurde.
Das war ein großer Verlust für das Reich, dem Wenzel fast immer fern blieb, und das er nur von seinem Stammlande Böhmen aus regierte. Seine bedeutendste Regierungshandlung während der letzten Jahre (1385 bis 86) war die Beraubung der Juden, und die Aufhebung aller Judenschulden im Reiche. Dabei wurden über 3000 Juden erschlagen. Doch war Wenzel jetzt auch für Böhmen kein gnädiger und gerechter König. Von dem Adel forderte er ohne weiteres die demselben verpfändeten Krongüter. Einzeln mußten die Herren vor ihm erscheinen, und waren sie nicht bereit, die Forderung zu erfüllen, so verfielen sie
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dem Scharfrichter. Auch gegen die Geistlichen verfuhr er mit gleicher Härte. Den Beichtvater seiner Gemahlin, Johann von Pomuk soll
Wenzel bei Nacht in die Moldau haben stürzen lassen, weil er sich
geweigert, das ihm anvertraute Beichtgeheimnis der Königin zu verraten. Die Kirche verehrt in ihm den „heiligen Nepomuk."
Da bildete sich in Böhmen ein Bund gegen Wenzel, an dessen Spitze sein Oheim, Jobst von Mähren, stand. Diesem hatte schon Sigismund, der sich in ewiger Geldnot befand, die Mark Brandenburg verpfändet. Auch das Stammland Luxemburg und die Landvogtei im Elsaß hatte er schlau an sich zu bringen gewußt, und Wenzel hatte in dem Ehrgeizigen einen gefährlichen Nebenbuhler um die deutsche
Krone. Wenzel geriet in die Gefangenschaft des Adels, aus der ihn
seine Brüder Johann und Sigismund befreiten. Wenngleich die deutschen Fürsten sehr befriedigt waren, ihren königlichen Herrn im fernen Böhmen zu wissen, so kamen die Reichssürsten jetzt doch zu dem Beschluß, statt Wenzel, der so vieler uuköniglicher Handlungen beschuldigt werden mußte, einen neuen König zu wählen. Schon vorher hatten Kurfürst Ruprecht von der Pfalz und der Kurfürst von Mainz mit Wenzels Feinden in Italien verhandelt. Dort hatte dieser die erbliche Herzogswürde von Mailand für 100,000 Goldgulden verkauft, und er mochte die Reichskrone auf feinem Haupte schwanken fühlen (1397), als er endlich wieder einmal nach Deutschland zog, auf dem Frankfurter Reichstage einen zehnjährigen -Landfrieden auszuschreiben und die kirchliche Spaltung zwischen den Päpsten Bonisacius IX. in Rom und Benedikt XIII. zu Avignon durch eine Zusammenkunft mit dem französischen König beizulegen. Bald tiefen ihn Unruhen nach Böhmen zurück, während die rheinischen Kurfürsten über eine neue Königswahl ratschlagten (1400) und Ruprecht von der Pfalz zum „römischen König deutscher Nation" erwählten, Wenzel aber „als einen unnützen und saumseligen Entgliederer des Reiches" absetzten.
Obgleich Wenzel anfangs wütete und drohte, daß er seinen Gegner tot stechen würde, beruhigte er sich bald, sah sich selbst weiter als Reichsoberhaupt an und wollte Ruprecht gern den Titel „römischer König" lassen, wenn dieser ihn als Kaiser anerkennen möchte. Aber solche Bedingungen blieben unbeachtet, und Ruprecht wurde, da ihm Aachen die Thore verschloß, in Köln mit der ersten der drei Kronen geschmückt, welche ein deutsches Reichsoberhaupt zu tragen gewohnt mar. Aber die Reichskleinodien waren noch in Wenzels Händen, und
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ein Zug nach Böhmen, dieselben zu erlangen, brachte nur bem böhmischen Adel Vorrechte. An ben Papst schrieb Ruprecht entschuldigend, baß er nicht wisse, wie bie Wahl ans ihn gefallen sei itnb die Kurfürsten fügten bie Bitte bazu, ben „König aus Erbarmen zu bestätigen."
Aber vergeblich suchte er die päpstliche Krönung zu erlangen. Zwar kam der Römerzug zu stände, auf dem er auch den Mailänder Herzog Galeazzo Visconti zur Herausgabe des von Wenzel verkauften Herzogtums zwingen wollte; aber der Mangel an Geldmitteln nötigte bald zur Heimkehr, ohne daß Ruprecht nur das Geringste erreicht hätte. Er hatte auf dem Rückwege seine Kleinodien und sein Silbergeschirr verkaufen und verpfänden müssen und kam so arm nach Deutschland zurück, daß das Volk auf den Gassen Spottlieder von dem König sang, der ohne Geld, ohne Ehre und ohne Krone heim gekommen. Zwar empfing Ruprecht, auf dem Stuhle Karls des Großen sitzend, wenige Jahre später die Königskrone (14. Nov. 1407), aber es vollzog sich diese Feier „schlicht, ohne Chrysaut (Salbung) oder andere Zierlichkeit." Aber der arme König konnte bei aller persönlichen Tüchtigkeit und dem eifrigsten Bestreben, Gutes zu schassen, weder in Italien noch in Deutschland viel ausrichten. Die Fürsten, welche kurz zuvor Wenzels Absetzung beschlossen hatten, waren eben so wenig nachgiebig gegen den neuen König, und Wenzel konnte sogar hoffen, jetzt seine Kaiserkrönung durchzusetzen, benn ber Mailänber Herzog erschien ebenso willig ihm zu helfen, wie sein Bruber Sigismunb, mit bem er bie Regierung Böhmens gemeinsam führen wollte. Doch wußte ber Papst ben Römerzug Wenzels zu verhinbern, trotzbem biefer auch ben Herzog von Oesterreich für sich gewonnen hatte. Endlich traten dem König Ruprecht dieselben geistlichen Kurfürsten, welche ihn erwählt hatten, besonders der Erzbischof von Mainz, feindlich gegenüber, so daß er, nachdem er vergeblich manche Kronrechte geopfert hatte, um den guten Willen der Fürsten zu gewinnen, sich zunächst gegen den Mainzer wappnete. Er starb inmitten der Rüstungen zu Oppenheim am Rhein (18. Mai 1410) und wurde in der Heiligengeistkirche zu Heidelberg bestattet. Seine Grabschrift kündet, daß unter dem breiten Grabstein, auf dem die lebensgroßen Gestalten des Königspaares in Stein gebildet sind, „mit seiner keuschen Gemahlin Burggräfin Elisabeth" (Schwester des Burggrafen von Nürnberg Friedrich von Hohenzollern) dort ruht: „Ruprecht, Herzog von Bayern, Pfalzgraf bei Rhein, rechtmäßiger
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römischer König; ein Frieden und Religion liebender Mann, der Gott würdig erschienen, daß er für die Gerechtigkeit leide, dieses heiligen Tempels und des Kollegiums Begründer." . . .
Ihm war das Königsdiadem nur eine Dornenkrone gewesen.
3. Sigismund von Luxemburg. (Lühelburg.)
(1411 bis 1437.)
Nach Ruprechts Tod wurde der Bruder Wenzels, Sigismund von Luxemburg, König von Ungarn und Kurfürst von Brandenburg, von einer Partei der Kurfürsten zum deutschen Reichsoberhaupte erwählt, eine andere kürte seinen Verwandten, Jobst von Mähren. Außerdem behauptete Wenzel kühn weiter seine Rechte als deutscher König. Neben diesen drei Königen, die alle gleichzeitig Kronrechte beanspruchten und ausübten, standen wunderbarer Weise drei Päpste als Stellvertreter Christi und befeindeten sich untereinander: Gregor XII. zu Rimini,
Benedikt XIII. in Avignon und Alexander V., nach dessen baldigem Tode Johann XXIII. zn Rom.
Da Jobst von Mähren schon im folgenden Jahre starb (1411), einigte sich Wenzel mit seinem Bruder Sigismund dahin, daß er für sich den Kaisertitel behalten wollte, Sigismund aber deutscher König sein sollte, nachdem er zu Frankfurt einstimmig gewählt worden war (21. Juli 1410).
Als Zehnjähriger Knabe schon Kurfürst von Brandenburg, zwei ^ahre später mit der Erbin Ungarns verlobt, war er wiederum zwei Jahre danach von seinem Schwiegervater zur Regierung des Königreichs Polen berufen worden. Es kann nicht Wunder nehmen, daß der jugendliche Herrscher viele Mißgriffe that. Endlich versuchte er Ungarn mit ungeheurer Grausamkeit im Zaume zu halten. Obgleich darum dem königlichen Jüngling mancher berechtigte Vorwurf zu machen war, auch sein Leichtsinn und seine Prachtliebe keine empfehlenswerten Eigenschaften für einen deutschen König sein konnten, so fehlte ihm daneben das ideale Streben nicht, etwas Gutes erreichen zu wollen, als ihm die deutsche Krone viele Verpflichtungen auferlegte, die ihm bis dahin völlig fern gelegen hatten.
Seine königliche Sorge war zunächst auf Herstellung des Kirchenfriedens gerichtet, da die ganze Christenheit Anstoß daran nahm, wie
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sich die drei Päpste gegenseitig mitsamt den ihnen anhängenden Parteien verfluchten und nichts weiter im Auge hatten, als auf alle Weise ihre Macht und ihren Reichtum zu mehren. Ihr geistliches Amt war zur Nebenbeschäftigung herabgesunken, oft sogar nur ein Deckmantel der Verirrungen ihres sittlichen Wandels. Wenn die Geistlichkeit ans Jagden und Turnieren, bei festlichen Gelagen oder in sonst welchem üppigen Lebensgenuß Befriedigung suchte, so meinte die Hefe des Volks nicht minder ein Recht zu haben, sich nach Herzenslust zu ergehen. Doch die Besseren, und ihrer waren noch recht viele, sehnten sich bei so großem Aergernis, das im Papsttum richte, nach „einer Reformation an Haupt und Gliedern". Und weil gerade die Päpste viel Anstoß erregten, beispielsweise soll Papst Johann XXIII. vorher Seeräuber gewesen sein, verlangten die Stimmführer der reformatorischen Bewegungen ein von den Päpsten unabhängiges Konzil, um eine ungehemmte Kirchenverbesserung anzubahnen.
Sigismund beauftragte aber den Papst Johann, eine Kirchen-versammlung zu berufen, die endlich zu Konstanz oder Kostnitz am Bodensee zustande kam (1414). Sie sollte viele Gebrechen der Kirche heilen, doch waren auch manche staatliche Verbesserungen ins Auge gefaßt, und viele geistliche und weltliche Aerzte sollten ihre Ratschläge und Heilmittel daran versuchen; aber es war kein heilkräftiges darunter.
Eine wahre Völkerwanderung zog an den Bodensee. Papst Johann kam mit einer Leibwache von 1600 Personen nach Kostnitz; die beiden andern Päpste schickten ihre Stellvertreter. Drei Patriarchen, von Jerusalem, Konstantinopel und Aquileja, die Großmeister aller Ritterorden, 33 Kardinäle, 20 Erzbischöfe, mehr als 2000 Bifchöfe und Aebte mit viel andern Geistlichen und Mönchen kamen aus weiter Ferne, dazu 33 Professoren der berühmtesten Universitäten, 1600 fürstliche Herren oder deren Abgesandte mit zahlreichem Gefolge, selbst ein türkischer Abgesandter und Vertreter des griechischen Kaisers, so daß, als endlich der Kaiser erschien, mehr als 100,000 Menschen, ihn in Konstanz erwarteten. Er selbst kam in der Christnacht mit einem Gefolge von 20,000 Personen und zog mit unerhörter Pracht ein.
Es wurde festgestellt, daß das Konzil nach den vier Hauptnationen, deren Vertreter gekommen waren, abstimmen sollte: die deutsche Nation, die französische, die englische und die italienische. Zur deutschen Nation wurde Ungarn, Böhmen, Polen, Preußen, Russen, Griechen, Kroaten und Dalmatier gerechnet, zur französischen auch die Normannen, Spanier
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und Portugiesen. Als Engländer galten auch Irländer, Schottländer, Dänen, Norwegen und Schweden. Zu den Italienern gehörten Pro-venzalen, Lombarden, Römer, Venetianer, Neapolitaner und Sizilianer.
Zuerst berieten die Abgeordneten der einzelnen Nationen unter sich, darauf erst in den Hauptversammlungen, und das erste Ergebnis der Beratungen mar die Absetzung aller drei Päpste. Dann erst sollte die Reformation der Kirche selbst ins Auge gefaßt werden, an der Könige, Fürsten und Gelehrte, die auch nicht Geistliche waren, sich beteiligen durften, so weit nicht Glaubenssätze beraten wurden, die den Geistlichen vorbehalten blieben.
Papst Gregor hatte seine Würde freiwillig nieder gelegt, Benedikt dagegen betrachtete sich bis an sein Lebensende als Inhaber des päpstlichen Stuhles. Johann, der mit Hülfe des Herzogs von Oesterreich Konstanz als Kriegsmann verkleidet verlassen hatte, suchte vergeblich, seine Absetzung für nichtig zu erklären. Denn das Konzil blieb unweigerlich bei dem einmal gefaßten Beschlusse, daß es seine Gewalt von Christus und nicht vom Papste habe, dieser also nicht über dem Konzil stehe, sich ihm vielmehr unterordnen müsse.
Vor allen Dingen hielt Sigismund darau fest, „als weltliches Haupt christlichen Volkes" berufen zu sein, den Frieden zwischen allen Reichen und Völkern der Christenheit gründen zu mollert. Doch sollte ihm das so wenig gelingen, daß sich die Reichsfürsten trotz des gebotenen Landfriedens selbst inmitten der Stadtmauern von Konstanz befehdeten, wie die verfeindeten Bayernherzöge auf offener Straße mit einander kämpften, bis einer tot auf der Stelle blieb.
Die Deutschen hätten gern vor der neuen Papstwahl die Gebrechen der Kirche abgestellt; aber die Italiener wußten es bald dahin zu bringen, daß einer der Ihrigen gewählt wurde, Kardinal Otto aus dem gräflichen Hanse Colonna, als Papst Martin V., der nun energisch alle ihm zustehenden päpstlichen Rechte benutzte, das Konzil von seinem Willen abhängig zu machen. Er schloß in großer Gewandtheit mit den einzelnen Fürsten Verträge, Konkordate, welche die bisherigen päpstlichen Rechte sicherten, und schließlich gaben alle nach, als Martin erklärte, es sei eine Reformation der Kirche noch nicht an der Zeit. Man tröstete sich mit dem Beschlusse, daß alle zehn Jahre ein Konzil stattfinden solle und daß die Feststellung nicht umgestoßen war: das Konzil steht über dem Papste. Vier lange Jahre hatte man
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unter so viel Aufwand von Pracht, Kraft und Gelehrsamkeit gebraucht, um dieses klägliche Resultat zu erreichen (1414—1418).
Doch hatten sich aus dem Konzil vor allen Dingen zwei weltgeschichtliche Ereignisse vollzogen, die einen unbegrenzten Einfluß auf geistige und staatliche Entwicklung unseres Vaterlandes haben sollten, so klein sie in ihren Anfängen erscheinen. Es ist zuerst die Belehnung des Hohenzollernfürsten, Burggrafen Friedrich VI. von Nürnberg mit der Kurmark, daneben die düstre Entwicklung der Hussitenkriege durch die Beschlüsse des Konstanzer Konzils, nach denen Johann Huß und Hieronymus von Prag den Ketzertod sterben mußten.
a. Das Burggrafentum Nürnberg war seit Jahrhunderten ein wohlgeordnetes Fürstenwesen. Den Grafen von Zollern war es um das Jahr 1190 von den Hohenstaufen als kaiserliches Amt übertragen worden, und ihre Ahnherren finden schon unter Kaiser Heinrich IV. (1056—1106) ruhmvolle Erwähnung. In einem der schönsten Teile Schwabens, nicht weit von den einstigen Stammsitzen der Staufen und der Welfen steht heute in erneuter Pracht die Burg Hoheu-zollern, das Ahnenschloß der preußischen Könige, des deutschen Kaisers.
Die Burggrafen waren in ihrem Besitz selbständige Herren und keinem andern Fürsten Unterthan als dem deutschen Kaiser, von dem sie als Fürstengenossen angesehen wurden, und dessen Burg sie in der freien Stadt Nürnberg verwalteten. Die Geschichte berichtet unter anderm, daß der edle Zoller Friedrich V. „in dem wilden Treiben seiner Tage als ein Schiedsrichter waltete, dessen Friede stiftende Fürsprache Städte und Fürsten suchten." Er wurde wegen seiner vielen Verdienste um Kaiser und Reich zum unmittelbaren Reichsfürsten erhoben. Auch sein Sohn Friedrich VI. (Kurfürst Friedrich I. von Brandenburg) wurde schon früh genannt als des Königs Hauptmann in der Bekämpfung aufständischer Ritter. Doch die Zollern waren arm, und Friedrich VI., ein Schwager König Ruprechts und Sigismunds, Zog zu diesem an den ungarischen Königshof und erhielt dort den Titel eines „königlichen Rates" mit einem Einkommen von 4000 ungarischen Goldgulden. Bald sprach ihm Sigismund für seine Verdienste um Ungarn 20,000 Goldgulden zu, gab ihm aber einstweilen statt des Geldes ungarische Städte als Pfand.
_ t Bei Ruprechts Tod eilte Friedrich nach Deutschland, die Wahl Sigismunds zu betreiben, wofür ihm dieser durch die Statthalterschaft
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der Mark Brandenburg lohnte, nachdem Jobst von Mähren, dem Sigismund die Mark verpfändet hatte, gestorben war. Eine Deputation der Märker war nach Ofen gekommen und hatte Sigismund um Hülfe gebeten gegen den übermütigen Adel, unter dem die Quitzows und die Rochows vor allen gefürchtet waren. Friedrich VI. sollte „als ein rechter Oberster und gemeiner Verweser und Hauptmann von der Mark" die höchst verworrenen Verhältnisse derselben ordnen, und weil er dort als gerechter Herr auf wenig Einkünfte zu rechnen hatte, wurden ihm 100,000 gute, rote ungarische Goldgulden zugesprochen, damit die Verwaltung ihm nicht sein Vermögen koste „für den Aufwand von Geld und Mühe, dem er zur Rettung des halb verlorenen Landes sich unterzog" (1411).
Die Mark Brandenburg wurde einst zur Zeit der Sachsenkönige von slavischen Stämmen, meist Wenden, bewohnt; erst der Assanier Albrecht der Bär hat durch seine Niedersachsen ein arbeitsames, starkes Geschlecht in die Mark eingeführt, so daß diese zu Ende des dreizehnten Jahrhunderts als ein angesehenes Reichsland genannt wird. Mit dem Tode Waldemars des Großen (1319) und dem Auftreten des falschen Waldemars hatten sich dort unheilvolle Zustände entwickelt. Auch als die Söhne Ludwigs des Bayern das herrenlose Land zu Lehen empfingen, wurde nichts gebessert, bis König Karl IV. der Mark seine treue Fürsorge widmete. Nach Karls IV. Tod erhielt sein zweiter Sohn Sigismund das Land, verpfändete aber in fortwährender Geldverlegenheit die Neumark an den deutschen Orden, die Alt- und Mittelmark an seinen Vetter Jobst von Mähren, bei dessen Tod der Zoller, Markgraf Friedrich, als Statthalter gefolgt war.
Trotzige Adelsgeschlechter erwarteten den neuen Herrn und höhnten, „wenn es ein ganzes Jahr Burggrafen regne, so wollten sie ihr Land wohl vor ihm bewahren." Aber das niedere Volk und die Städter begrüßten ihn mit Freuden uud hofften von Markgraf Friedrich Schutz gegen die Raubzüge und Erpressungen der Großen im Lande.
„Der milde christ vom himelrich Der marke zu tröste sicherlich hat geben marggraff frteberich den edeln fürsten lobesamen." ....
So sang man in den Straßen märkischer Städte.
Der Markgraf konnte schon nach Jahresfrist seiner Gemahlin Elisabeth („schöne Else von Bayern"), die noch im Süden weilte.
schreiben, daß ihn das Land bis auf die Uckermark als Herrn anerkannt habe, und er sich sehne, seine „getreue Elslin" in der Mark zu empfangen. Der Geschichtschreiber Hafftitz berichtet darüber: „In diesen Zeiten, als der Quitzower Hoffart gedenmtigt und sie also degradiert sein, ist Friede in der Mark gewesen und ist nicht mehr gehört die Stimme des Betrübnisses und Jammergeschreis, sondern das Volk hat gemessen in Lieblichkeit des Friedens, im Tabernakel der Zuversicht und guter Ruhe. Also muß man den unverschämten Gästen das Scham-hütletit abziehn und den hohen Bäumen die Gipfel verhauen, daß sie nicht in den Himmel wachsen."
Nach zwei Jahren erfolgreicher Thätigkeit in Brandenburg (1414) hatte Friedrich dem Rufe Sigismunds zur Kirchenversammlung nach Konstanz folgen müssen und seiner Gemahlin Elisabeth die Verwaltung der Mark anvertraut. Nachdem er zunächst der Krönung Sigismunds in Aachen beigewohnt hatte, hielt er mit viel Rittern und Dienstleuten seinen Einzug in Konstanz, wohnte aber in dem heimatlichen Mark-grasenschlosse zu Heilborn, von den Mönchen des Klosters daselbst treulich verpflegt, die später eben so treue Wächter seiner letzten Ruhestätte in ihres Klosters Hallen sein sollten.
Bald wurde Friedrich „in Anbetracht treuer Dienste" vom Kaiser vor versammeltem Konzil zum Erzkämmerer des Reichs und Kurfürsten von Brandenburg ernannt (1417). Doch sollte des Kaisers Nachkommen allezeit gestattet sein, das Land für 400,000 Goldgulden zurückzunehmen. Nach Ablegung des Lehnseides empfing Markgraf Friedrich die brandenburgische Lehnsfahne, auch Zepter und Apfel mit dem Kreuz. Während der Zeremonie hielt Herzog Rudolf von Sachsen das Schwert, das nun Friedrich küßte, und Pfeifen und Posaunen verkündeten im weit hinschallenden Chore, daß die Feier beendet war.
Die Ehren häuften sich auf dem Haupte des Hohenzollern, als ihn der Kaiser zum Statthalter und Verweser des römischen Reiches in Deutschland ernannte, und man mochte glauben, daß der junge Kurfürst einst nach Sigismunds Tod dazu bestimmt sein würde, die deutsche Kaiserkrone zu tragen. Doch als er seinen Sohn mit der Tochter des Polenkönigs Jagiello vermählte, und dadurch wenigstens die Aussicht auf die polnische Königskrone für Brandenburg gewann, hatte er damit Sigismunds Huld völlig verscherzt.
Schon am 18. Oktober 1415 war der erste Hohenzoller in Berlin eingezogen und hatte dort im Kreise seiner Familie die Erbhuldigung
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entgegen genommen. !öctlb hatten auch anbete estiibte bei' Mctik frei# willig gehulbigt, und bie Herrschaft Friedrichs würde sich bald befestigt haben, wenn er nicht wenige Wochen später nach Konstanz hätte zurückkehren müssen. Auch bie Kursürst in war zu kurzer Erholung in bie südliche Heimat gezogen, als die Pest in der Mark wütete; aber neue Unruhen, die Empörung märkischer Ritter, riefen die fürstliche Frau in die nordische Mark zurück, wo sie mit starker Hand ihres fürstlichen Vertreteramtes zu walten verstand, während Kurfürst Friedrich seine Pflichten als kaiserlicher Lehnsträger erfüllte, endlich aber seinem Sohne, Friedrich II., die völlige Vertretung der Kurwürde in der Mark übertrug (1426).
d. Huß und die Hnssiten. Seit Jahrzehnten hatten ernste Männer eine Kirchenreformation begehrt und iiber die christliche Kirche geurteilt, daß „das Licht rechter Ordnung in dieser Zeit zumal erloschen sei." Einer der edeln Männer, die sich in heiligem Ernst einem beschaulichen Leben widmeten (Mystiker), Namens Ruysbroek, schrieb: „Jetzt herrscht überall Geiz, Lüge, Trug und List, falsches Gewicht, Maß und Geld. Auch die Päpste, Fürsten und Prälaten beugen ihre Knie vor dem zeitlichen Gut und haben nicht die Besserung und Zucht der Seelen, sondern den Beutel im Auge. Auch die Kirche selbst i|t dem Reichtum zugänglich und bietet für Geld ihre Gaben, Ablaßbriefe für die Strafen des Fegefeuers und für alle Sünden."
In Süddeutschland war ein besonders reges, geistiges Leben erwacht. Die Waldenser hatten längst der herrschenden Sittenverderbnis und der Leichtfertigkeit in Glaubenssachen entgegen gestrebt. Dazu gelangten bei dem lebhaften Verkehr, der sich durch die Vermählung der Tochter König Karls IV. mit Richard II. von Englanb entwickelte, bie Schriften bes englischen Reformators Wiklef nach Prag, ber wegen seiner Lehren gegen Mönchtum und Papst dem Banne verfallen war. Grund genug, um an der in höchster Blüte stehenden jungen Universität Prag lebhaft teilnehmende Forscher zu erwecken, die bei dem ernsten Studium bei" Kirchenlehren unb bes Gotteswortes bie Mißbräuche ber römischen Kirche sinben mußten.
Vor allen anberen geißelte ber am Königshofe Wenzels hochgeachtete Magister Johannes Huß in seinen Predigten die Habgier bei Kirchenfürsten, ben Ablaßhanbel unb ben Schacher mit reichen Pfründen. Als die deutschen Professoren Prags nicht mit ihm übereinstimmten, wußte er es durchzusetzen, daß die Verfassung ber Prager Universität
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ZU Gunsten der Böhmen umgeändert wurde. Die Folge der darin ruhenden Anfeindungen war, daß die deutschen Professoren und Studenten auswanderten und in Leipzig, wo Friedrich der Streitbare sie herzlich willkommen hieß, eine neue Universität gründeten (1409).
Papst Johann XXIII. hatte Hnß wegen seiner heftigen Disputationen Hegen die römische Kirche in den Bann gethan (1413); denn die Kirche schmachbeladen an den Pranger zu stellen, war eine so unerhörte That, daß sie die härteste Sühne verlangte. Als nun das Konstanzer Konzil zustande gekommen war, begehrte zwar Huß die Prüfung kirchlicher Zerwürfnisse; aber er hatte nicht erwartet, daß der Papst „den Prozeß des Magisters Huß" verhandelt wissen wollte. War Huß auch unter dem Drucke der Verhältnisse mit trüben Ahnungen von Prag abgereist, so kam er doch, ausgestattet mit den besten Zeugnissen über seine Rechtgläubigkeit, unter dem Schutze eines kaiserlichen Geleitsbriefes in Konstanz an. Als er dort zu predigen versuchte, wurde er auf Befehl der Kardinäle gefangen genommen. Obgleich Sigismuud vom Rheine her sofort den Befehl gesandt hatte, den Magister aus der Haft zu entlassen, kehrten sich die geistlichen Herren selbst bei des Kaisers Ankunft nicht daran, und nachdem das Schisma der Kirche mit der Absetzung der drei Päpste beendet worden war, verlangten die Geistlichen mit Eifer die Beendigung des Prozesses gegen Huß.
Sigismund war empört, daß man seinen Befehl, Huß frei zu geben, nicht beachtete. Er drohte, das Konzil zu verlassen uud ließ sich doch beschwichtigen. Die böhmischen Großen verwandten sich für den Magister; seine Freunde, besonders der gelehrte Hieronymus von Prag traten für ihn ein. Bald wurde auch dieser in Ketten gelegt und dem Konzil überliefert. Dann ging die Geistlichkeit recht vorsichtig auf ihr Ziel los. Zuerst wurden die Lehren Wiklefs verdammt; damit mußte auch Huß fallen, obgleich beide in ihrer Lehre nicht ganz übereinstimmten. Aber sie waren eins in der Opposition gegen die päpstliche Kirche. Huß wollte seine Lehren öffentlich aus der hl. Schrift beweisen; das Konzil weigerte steh, „mit einem Ketzer zu disputieren." Nur unterwerfen sollte er sich und widerrufen. Seine Freunde im Konzil wußten den Widerruf in eine möglichst milde Form zu fassen. Vergeblich, Huß widerrief nicht. Er rief nur seinen Mittler Jesus Christus als Zeugen der Wahrheit an, die er als Prediger hatte bezeugen wollen. Und durfte er sich nicht vertheidigen, so berief er sich doch öffentlich auf das königliche Geleitsschreiben, als die Verhängnis-
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volle Sitzung des 16. Juli 1415 endgültig entscheiden sollte. Dabei traf der Blick des Magisters das Auge Sigismunds, und dieser — sah vor sich nieder. Er mußte, wie ausdrücklich berichtet wird, „vor dem Ketzer erröten", den man eben zum Feuertode verdammte. Noch an demselben Tage sollte er au ihm vollzogen werden; seine Feinde hatten Eile.
Zuerst wurde Huß unter viel Verwünschungen aus der christlichen Kirche verstoßen. Das Priesterkleid riß man ihm vom Leibe, und eine Papiermütze, .mit schwarzen Teufeln bemalt, wurde ihm aufs Haupt gesetzt, worauf geschrieben stand „Haeresi-archa" (Ketzerfürst). Nun überwies der König selbst den Verurteilten dem Pfalzgrafen, dieser dem Vogte von Konstanz. „Nehmt hin," sprach dieser, „dort den Meister Johann Huß von unser beider wegen, und nach unserm Urteil verbrennt ihn als Ketzer!"
Auf dem Wege zur Richtstätte, die auf einer kleinen Rheininsel errichtet war, drängte sich das Volk um den berühmten Magister, und als er an den Marterpfahl gekettet war, um den man getheertes Holz und Stroh gehäuft hatte, wollte Huß noch einmal reden. Die Henkersknechte hinderten ihn daran, bald auch die Flamme. Nur als der Reichsmarschall ihn zum Widerruf aufforderte, rief Huß mit lauter Stimme, daß er die Wahrheit mit dem Tode besiegeln wolle. Dann hörte man ihn zweimal mit halberstickter Stimme rufen: „Jesu Christe^ Du Sohn des lebendigen Gottes, erbarme Dich mein!" Inmitten der Flammen sah man seine Lippen sich bewegen, bis er zusammenstürzte. Seine Asche warf man in den Rhein; aber die Böhmen sammelten die Erde, in welcher der Pfahl gestanden hatte und bewahrten sie in heiliger Verehrung. Er war ebenso für seine politische wie für seine religiöse Ueberzeugung gestorben.
Denselben Tod erlitt im folgenden Jahre der Magister Hieronymus nach dem Urteil des Konzils (30. Mai 1416), und das Ende der beiden Männer wurde der Anfang der verheerenden Hussitenkriege, deren Fanatismus unzählige Opfer forderte. Zunächst klärten sich die Forderungen der Anhänger der neuen Reformation dahin, daß die Austeilung des hl. Abendmahls in Kelch und Brot, in beiderlei Gestalt, schriftmäßig, also christlich sei, und die Universität schloß sich dem an. Wenzel, der noch immer König in Böhmen war, mußte den Hussiten, wie sich die neue Religionspartei nannte, drei Kirchen ein-
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räumen. Als er aber den Bewohnern Prags befahl, alle Waffen abzuliefern, empörten sie sich, und Wenzel mußte sich auf feine Burg Wenzelstein zurückziehen.
Immer energischer machten die bewaffneten Volksmaffen ihre Forderungen geltend, und 40,000 Menschen schlossen einen Bund, festzuhalten an der Sache des „geheiligten Kelches."
Ihre Lehre suchten sie mit Waffengewalt auszubreiten; sie plünderten und zerstörten Klöster, verfolgten die römischen Geistlichen und als Wenzel einige Ruhestörer gefangen nehmen ließ, stürmten die
Wütenden unter ihrem einäugigen Anführer Ziska auf das Rathaus.
Den Kelch trugen sie vor sich her; oben angelangt, warfen sie sieben
Ratsherren aus dem Fenster auf die unten von der Menge empor-gehaltenen Spieße (16. Aug. 1419;.
Das war ein gegen Kaiser und Reich unerhörter Akt der Empörung. Bei der Schreckensnachricht starb König Wenzel vom Schlage getroffen. Sigismund war gerade mit den Türken in Krieg verwickelt und konnte nicht hindern, daß die Hnfsiten auch Ungarn plündernd durchzogen. Doch waren nicht alle Böhmen gleich fanatisch, und viele
gemäßigte Bürger gehörten zu den Hussiten. Sie nannten sich Kalix-
tiner oder Kelchgesinnte, die fanatische Partei, welche ein neues Gottesreich aufrichten wollte, dagegen Taboristen nach dem Berge Hradistin bei Aussig, den sie befestigten und dem sie den Namen Tabor ge-
geben hatten.
Bald waren die Hussiten im Besitze wohl bewaffneter Heere;
hatten nicht alle Schwerter, so doch mit Eisen beschlagene Dreschflegel. Mit starken Ketten verbundene Wagen bildeten die Burgen der verwegenen Kriegshaufen, die sich „Rächer des göttlichen Gesetzes" nannten. Als endlich Sigismund aus dem Türkenkriege heimkehrte, stand er vor der Größe eiues Kriegssturmes inmitten des Reichs, dein er nicht wehren konnte. Da rief der Papst die ganze Christenheit zu einem „Kreuzzuge gegen die böhmischen Ketzer" ans; aber der böhmische Adel sah darin eine Beleidigung seiner Nationalehre und erklärte feierlich, daß der
wortbrüchige Sigismund nicht ihr König sein könne. Dabei zog der wilde Heerführer Ziska mordend und sengend durch das Land, während Sigismund mit einem Heere von 100,000 Mann vor Prag rückte.
Da unterhandelten die Böhmen und stellten die „vier Prager Artikel" auf, wonach sie sich bei freier Verkündigung des Wortes Gottes und Austeilung des hl. Abendmahls in beiderlei Gestalt unterwerfen
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wollten. Die Verhandlungen zerschlugen sich. Sigismund konnte sich zwar unter dem Schutze einer ihm anhängenden Partei zum Böhmen-könig krönen lassen; aber das ihm feindlich gesinnte Volk wollte ihn nicht anerkennen und stellte dafür eine Regierung von zwanzig Männern aller Stände auf. Spaltungen unter den Hnssiten selbst schwächten wohl ihre Macht; aber doch verheerte Ziska erbarmungslos ganze Landschaften, ohne daß Sigismund ihm zu wehren vermochte. Er wurde iu der Schlacht bei Wyschehrad sogar völlig besiegt (1. Nov. 1420). Dauu suchten die hussitischeu Parteien sich zu einigen und eine allgemeine Kirchenordnung herzustellen, aber die Zwistigkeiten, welche sich unausgesetzt erneuten, ließen das kirchliche Leben nicht zu gedeihlicher Entwicklung kommen.
Infolge eines kaiserlichen und päpstlichen Aufgebots sammelte sich ein großes „Kreuzheer" von 200,000 Mann unter fünf deutschen Kurfürsten und viel andern deutschen Herren, die siegesbewußt gegen die Böhmen zogen, aber vor Ziska fliehen mußten. Auch Sigismund erlitt mit seinem Bundesgenossen, Herzog Albrecht von Oesterreich, wiederum eine furchtbare Niederlage bei Deutschbrod, nach welcher er mit genauer Not nach Mähren entkam (8. Jan. 1422).
Ein dritter „Kreuzzug", den Kurfürst Friedrich I. von Brandenburg führen sollte, kam nicht zu stände, weil der erwartete Zuzug ausblieb, und da der wilde Ziska jetzt seine Waffen gegen die eignen Landsleute kehrte, aber auf seinem Vernichtungszuge starb, gelang es Sigismund mit den Gemäßigten im Volke ein friedliches Abkommen zu treffen. Die Anhänger Ziskas aber zündeten zur Leichenfeier ihres Feldherrn die nächste Grenzstadt an, und es ging die umheimliche Sage, daß man Ziska's Haut über eine Trommel gespannt habe, deren grausiger Klang die Feinde zerstreue.
Die kriegerischen Böhmen waren durch Ziska's Tod nicht führerlos geworden. Seinem letzten Willen gemäß wählten sie einen Priester zu ihrem Feldherrn, Prokopius, mit dem Beinamen der Große. Er lenkte die Kriegführung nach Deutschland hinüber, verheerte Schlesien, Oesterreich, Sachsen, Brandenburg und die bayrischen Lande und kehrte beutebeladen mit den Seinen nach Böhmen zurück. Bald sandten ihm die einzelnen Länder Tribute, um vor seinen verwüstenden Heereszügen sicher zu sein; denn Todesschrecken jagte vor den Hussiten her, wie vor einem Haidebrand.
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Endlich machte sich allgemein das Verlangen nach Frieden geltend, und ein Konzil sollte darüber entscheiden, nachdem ein fünfter Kreuzzug mit einem Reichsheer von 130,000 Mann unter Friedrich I. von Brandenburg vergeblich die Unterwerfung der Böhmen versucht hatte. Zu dem Konzil, das gegen den Willen des Papstes in Basel zu stände kam, erschienen auch die Hussitenführer Prokop und Rockyczant an der Spitze einer großen Gesandtschaft, kehrten aber trotz fünfzigtägiger Unterhandlungen unverrichteter Sache nach Prag zurück, wo endlich „die Prager Kompaktaten" zum Abschluß kamen (1433), nach welchen Spendung des Abendmahls in beiderlei Gestalt, freie Predigt in der Landessprache, Bestrafung der Geistlichen wegen Verbrechen durch zuständige Gerichte, Nichtanerkennung des Kirchenguts als persönliches Eigentum der Geistlichen und nur Nießbrauch desselben festgestellt wurden.
Einzelne Parteien glaubten in den Kompaktaten der römischen Kirche Zugeständnisse zu machen und gingen deshalb nicht darauf ein. Das wurde die Ursache erbitterter Kämpfe der Hussiten untereinander. In einer Entscheidungsschlacht bei Lipan (Böhmischbrod 1434) fielen die ersten Heerführer der wildesten Horden, Prokop der Große und Prokop der Jüngere. Die Glut des krankhaften, leidenschaftlichen Hussiten-tnms sank allmählig in sich selbst zusammen, und wunderbar stieg aus der Asche ein edler Phönix, die böhmisch-mährische Brüdergemeinde, welche unter viel schweren Verfolgungen lange Jahrhunderte hindurch ihren Glauben läuterte und treu wahrte bis auf den heutigen Tag.
So wurde es für Sigismund möglich, die Böhmen endlich zu unterwerfen. Am 23. August 1436 hielt er in Prag seinen Einzug als böhmischer König, nachdem er auf einem Römerzuge die lombardische und die römische Krone erlangt hatte (1431 bis 1433). Wohl bemühte er sich, den so schwer geschädigten Wohlstand des Landes zu heben, als er aber die Böhmen mit Gewalt in den Schoß der römischen Kirche zurückführen wollte, boten sie ihre Landes-Krone dem polnischen Könige an, und Sigismund entfloh, um nicht noch Schlimmeres zu erfahren.
Auf der Flucht fühlte der alte, lebensmüde Kaiser seine Kräfte schwinden. Er berief eiligst seinen Schwiegersohn, Herzog Albrecht von Oesterreich, zu seinem Nachfolger und verschied (9. Dez. 1437), auf einem Stuhle sitzend, nachdem er zuvor im Kaiserornate eine Messe angehört und sich dann das Sterbehemd hatte anlegen lassen. Seine
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Leiche wurde seinem letzten Willen gemäß in der Gruft des Hl. Ladislaus zu Großwardein beigesetzt.
Das Bild seines vielbewegten Lebens trägt für alle * Zeit den Stempel der Charakterlosigkeit, der Schwäche bis zur Wortbrüchigkeit. Auch allen Herrscherthaten, allen Reformen, die er anbahnte, traten diese Eigenschaften hemmend entgegen. Es blieb zumeist überall fast nur bei guten Vorsätzen, und das schwache Reichsoberhaupt fand auch nicht an einem einzigen Kurfürsten einen nennenswerten Halt, da er sie alle nur zu verletzen wußte, selbst den ihm unter viel persönlichen Opfern ergebenen Brandenburger Friedrich I.; denn Sigismunds Herrschaft war zu sehr der persönlichen Willkür und Laune unterworfen, als daß die Gerechtigkeit hätte Macht gewinnen können. Er selbst soll in leichtfertiger Ironie über sich geäußert haben, daß er das Reich zu Grunde richte, wie der Papst die Kirche.
B o r n h a k, Unser Vaterland.
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1. Albrecht II. von Oesterreich.
Nach Sigismunds Tod mochten zwei mächtige Fürstengeschlechter um den Vorrang streiten, die deutsche Königskrone zu erlangen, die Hohenzollern und die Habsburger. Zunächst schien es, als sollte der an Macht und Edelsinn hervorragende Hohenzoller Kurfürst Friedrich I. von Brandenburg zum König erwählt werden. Er hatte sich mehr, als alle anderen Fürsten um des Reiches Wohl und um das Ansehen der Krone verdient gemacht; aber die. anderen Kurfürsten fürchteten in ihm mit Recht den Herrscher, dem sie sich zu beugen haben würden. Darum ging Sigismunds letzter Wunsch in Erfüllung, sein Schwiegersohn Albrecht von Oesterreich, der schon König von Ungarn und Böhmen war, wurde sein königlicher Nachfolger.
Die Schilderung seiner Persönlichkeit zeigt ihn als einen „strengen Mann, der das ©einige zu Rat hielt, im Reden eben so offen wie im Handeln war, aber wenig Gewinnendes in feinem Aeußern hatte." Man sah ihn nie ohne das Schwert an seiner Seite, und bald riefen ihn Kriegsunruhen in die böhmischen Lande, so daß der neue König nicht einmal feinen Krönungszug nach altem Brauche halten konnte.
Ohne den Beistand des tapfern Hohenzollernfürsten Albrecht Achilles, des dritten Sohnes Kurfürst Friedrichs I., möchte es Albrecht auch in Böhmen übel ergangen sein, da ihn zu gleicher Zeit die Ungarn gegen die Türken zu Hülse riefen. Eine Seuche brach aus und wurde
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Ler Bundesgenosse der Türken, vor denen jetzt Albrecht zurückwich und auf dem Heimwege nach Oesterreich im ersten Jahre seiner Regierung starb.
Wohl hatte er Pläne gefaßt, um erkannte Mißstände im Reiche «abzustellen und den unter Sigismund erprobten Kanzler Schlick beauftragt, manche Neugestaltung, Einschränkung der römisch-päpstlichen Rechte, besonders die Gelderpressung der Geistlichen zu hindern und Gerichtsbarkeit über sie vorzubereiten. Auch eine Landfriedensordnung wurde zu Nürnberg vorgelegt, wonach das Reich, in landsmannschaftliche Kreise geteilt, endlich durch besonders dazu bestellte Richter, Kreishauptleute genannt, strenge Handhabung der Gesetze finden sollte.
Aber die Städte blickten scheel zu all diesen Plänen, welche ihre während schwacher Kaiserherrschaft errungenen Rechte bedrohten. Nun hatte der Tod allen guten Vorsätzen des jungen Kaisers ein jähes Ende Bereitet (27. Okt. 1439).
2. Friedrich III. von Oesterreich.
(1440 bis 1493.)
Erst nach dem Tode Albrechts II. wurde diesem ein Sohn geboren, und der Vetter desselben, Friedrich III. von Oesterreich, wurde zum deutschen Reichsoberhaupt erwählt. Doch kam er zunächst gar nicht nach Deutschland, da er bemüht war, die Regentschaft für den unmündigen Ladislaus über Böhmen und Ungarn zu erlangen. Dreijährige Verhandlungen führten endlich dazu, daß den Böhmen ein katholischer und ein hnssitischer Statthalter bewilligt wurde. Später fanden sie in dem Hussiten Georg Podiebrad einen tüchtigen Führer. Die Ungarn erwählten sich einen Tapfern ihres Volkes, Johann Hunyados. Dadurch stand Friedrich III. noch ärmer und haltloser da, als seine Vorgänger, die wenigstens in ihren Stammländern eine Stütze gefunden hatten, und war darum so recht ein König nach dem Herzen der Fürsten, die feinen mächtigen König wollten.
Mit Bangen war Friedrich zwei Jahre nach seiner Erwählung zur Krönung nach Aachen geeilt; denn auch feine österreichischen Lande ■wurden ihm von dem eigenen Bruder streitig gemacht und von den Türken bedroht. Dazu hatte er sich mit den Tyrolern verfeindet, weil er nach dem Tode des Herzogs Friedrich von Tyrol die vorrnundfchaft-
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liche Regierung für dessen zwölfjährigen Sohn über alle Gebühr in der Hand behielt. Statt sich nun Freunde zu erwerben, auf welche er zur Zeit der Not hätte rechnen können, begann er, den Traditionen der Habsburger entsprechend, Krieg mit den Schweizern. Alles Gut wollte er ihnen abnehmen, das sie seinen Vorfahren einst geraubt hatten, so meinte er und mochte dabei auf die Uneinigkeit der Eidgenossen rechnen, die ihm thatsächlich zu Gute kam. Eine Partei derselben verbündete sich sogar mit dem Habsburger, der ihr Land unterwerfen wollte. Sie führten den kaiserlichen Adler und die österreichische Pfauenfeder als Feldzeichen.
Frankreich war eilends bereit, dem deutschen Könige die feit dem Kriege mit England auf französischem Boden herumlungernden Söldnertruppen zu überlassen. Nach ihrem Anführer wurden sie arniagnacs genannt, das deutsche Volk machte daraus „arme Gecken". Friedrich hatte 5000 Mann begehrt, 40,000 kamen. Sie alle mußten unter mancher Niederlage, wie bei St. Jakob an der Birs, der Tapferkeit der Schweizer weichen, und Friedrich war gezwungen, allen Ansprüchen auf die Schweiz zu entsagen.
Seit dieser Zeit begehrten die Fürsten vielfach die Schweizer zu ihren persönlichen Diensten, besonders als Leibwache. Auch gingen sie als viel begehrte Kämpfer in fremder Herren Sold. Das nannte man „Reislaufen". Es brachte den Schweizern einen größern Wohlstand; aber ihre einfachen Sitten litten Schaden darunter.
In all diesen Wirrnissen stand Friedrich III., ein greisenhafter Jüngling, ohne jegliche Thatkraft. Nennt ihn die Geschichte friedliebend, so schildert sie ihn daneben als einen phlegmatischen Träumer, der ant liebsten in den Sternen las und seine Gärten pflegte, statt das arme, deutsche Reich. Er mochte fühlen, daß es not thue, fein geschädigtes Königsansehn zu heben, und eine prächtige Römerfahrt sollte ihm die nötige Würde verschaffen (1451). Auf dem Wege dahin traf er mit feiner Braut, Eleonora von Portugal, zusammen und hielt mit ihr und seinem jugendlichen Neffen Ladislaus feinen Einzug in die ewige Stadt, ließ sich dort die lombardische Königskrone auf's Haupt fetzen und feierte an demselben Tage seine Vermählung. Drei Tage später schmückte auch die römische Kaiserkrone den jungen Herrscher (1452), ohne daß all dieser Glanz seine Macht erhöhen konnte. Er mußte sogar, um sich persönlich zu schützen, sich an einem Volksaufstande beteiligen und
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kehrte eiligst nach Deutschland zurück, dem neue Gefahren durch die Türken drohten.
Obgleich das oströmische Kaiserreich längst von seiner einstigen Höhe herabgestiegen war, durfte es doch stets als ein Bollwerk gegen die von Osten herandringenden muhamedanischen Türken gelten. Mit der Eroberung Konstantinopels (1453) durch Muhamed II. öffneten sich die Pforten des christlichen Europas für die Türken, ohne daß die Schwäche des deutschen Kaisers ihnen zu wehren vermochte. Er sah wohl, daß es schlimm um das Reich stand, schrieb Reichstage über Reichstage aus, kam aber selbst zu keinem einzigen, und die Kurfürsten meinten ihre eigene Schwäche an dem Kaiser durch Absetzung strafen Zu müssen, dem sie doch an Rücksichtslosigkeit nicht nachstanden. Dem hohenzollernschen Burggrafen Albrecht Achilles hatte es der Kaiser vornehmlich zu danken, daß solcher Fürstenbeschluß nicht ausgeführt wurde.
Dieser Hohenzoller galt als der ritterlichste Fürst seiner Zeit; es wird von ihm berichtet, daß sein ganzer Körper mit ehrenvollen Wunden bedeckt war. In seiner jahrelangen Fehde mit den fränkischen Städten, dem schwäbisch-fränkischen Städtekriege, leistete der dankbare Kaiser auch ihm Hülfe, ohne dadurch zunächst einen nennenswerten Erfolg herbei zu führen. Denn die Städte waren durch ihre großartigen Bündnisse mächtiger geworden, als die Fürsten, welche ihre Landeshoheit auf Kosten städtischer Rechte zu vergrößern strebten, und mancher erbitterte Kampf wurde auch durch Albrecht Achilles ausgefochten, ehe es dem Kaiser gelang, einen für feinen getreuen Sehnsträger und Verwandten (Albrechts Gemahlin war die Nichte des Kaisers) günstigen Frieden zu vermitteln, der in Bamberg zu stände kam.
Gleich den Städten fühlten sich die einzelnen Fürsten untereinander beeinträchtigt. Wegen Erbteilung kämpfte Kurfürst Friedrich der Sanftmütige mit feinem Bruder, Herzog Wilhelm, in dem „sächsischen Bruderkriege" (1446 bis 1451), bei dessen Verlaus die Söhne des Kurfürsten durch den Ritter Kunz von Kauffungen nachts geraubt wurden (sächsischer Prinzenraub). Diese Prinzen waren Ernst, Vater des zur Reformationszeit berühmt gewordenen Kurfürsten Friedrich des Weifen und Stammvater der ernestinischen Linie und Albrecht, der Stammvater der fächsifch-albertinischen Linie.
Die Mainzer Bistumsfehde, die Fehde des Erzbischofs von Köln mit der Stadt Soest in Westfalen, nach welcher die Stadt ihre Unabhängigkeit behauptete, die Fehden des Kurfürsten Friedrich des Sieg-
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reichen von der Pfalz, der sich gegen des Kaisers Willen den Kurhut aufsetzte und die kaiserliche Anerkennung ertrotzt hatte, und unzählige andere Kämpfe inmitten des Reichs brachten unsägliches Elend über Deutschland, ohne daß der Kaiser auch nur den Versuch gemacht hätte^ seines kaiserlichen Amts als oberster Schiedsrichter zu walten. Allein im süddeutschen Städtekriege sollen 200 Dörfer verbrannt worden fehv und es war sprüchwörtlich geworden, daß man in Franken bei Nacht auf freiem Felde lesen könne.
Was wollte in solchen Zeiten, wo jeder Freie das Fehderecht für sich in Anspruch nahm, der allgemein gebotene Landfriede, den keine starke Kaiserherrschaft aufrecht zu halten vermochte? Kam es doch in einem Wiener Aufstande so weit, daß die Wiener den Kaiser in der eigenen Hofburg belagerten, bis ihn der Böhmenkönig Podiebrad befreite^ der zu dieser Zeit eine so hervorragende Stelle in Deutschland einnahm^ daß er wagen durfte, seine Hand nach der deutschen Krone auszustrecken. Schon wurde er als Schiedsrichter zwischen Kaiser und Fürsten angerufen, und Friedrich bestimmte ihn zum Vormund seines Sohnes Maximilian, auch, falls dieser früher sterben sollte, zu seinem königlichen Nachfolger.
Podiebrad versprach dagegen, Konstantinopel von den Türken zu befreien, wenn der Papst ihm den Titel eines griechischen Kaisers zugestehen wollte. Aber dieser fürchtete die wachsende Macht des Böhmenkönigs, that ihn in den Bann und ließ einen Kreuzzug gegen ihn predigen, worauf sich viele Böhmen empörten und dem Ungarnkönig Matthias Krovinus die böhmische Krone anboten. Nun rief der bedrängte Podiebrad den Polenkönig Kasimir zu Hülfe und versprach dessen Sohn die böhmische Krone, die er selbst nicht mehr besaß. Den Herzog Karl den Kühnen von Burgund wollte Podiebrad mit der deutschen Krone beglücken, wenn dieser sein Bundesgenosse sein würde.
Inmitten all dieser Wirren war Albrecht Achilles wieder seines Kaisers treuer Rat. Er bewog seinen kaiserlichen Herrn, endlich auf einem Reichstage zu Regensburg persönlich zu erscheinen, um ohne fremde Einmischung nur mit deutschen Fürsten über des Reiches Wohl zu beraten. Aber der Kaiser konnte ihren Beistand nicht einmal gegen die Türken erlangen. Wurde die böhmische Kronfrage durch Podiebrads-Tod entschieden, so behielt Friedrich doch im Osten des Reichs Feinde genug und war so ohnmächtig, daß das deutsche Ordensland zu beiden
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Seiten der Weichsel, durch deutsche Kolonisation erworben, im Thoruer Frieden an Polen überging, dessen Lehnsträger der deutsche Hochmeister mit dem letzten kleinen Rest des Ordenslandes wurde. Zu gleicher Zeit erstand dem Reiche im Westen noch größere Bedrängnis durch den mächtigen Burgunderherzog Karl den Kühnen.
Es würde hier zu weit führen, der Entwicklung der Burgunderherrschaft in West- und Südeuropa, des Herzogtums Burgund, der Freigrafschaft und der mit dem einfachen Namen Burgund bezeichneten Ländervereinigung zu folgen bis zu Karl dem Kühnen, dem französischen Fürstengeschlechte der Valois entsprossen (1467). Dieser trachtete seine teils Frankreich, teils Deutschland lehnspflichtige Herrschaft unabhängig zu machen und ein gallisch-belgisches Königreich aufzurichten von der Nordsee bis nach Südfrankreich, von Holland bis zum Jura und durch weitere Ansprüche sein Reich bis zum Mittelmeere auszudehnen. An Mitteln dazu fehlte es ihm nicht; er galt als der reichste Fürst seiner Zeit, und sein Hof war der glänzendste in Europa. Kunst und Wissenschaft fanden hier nicht weniger Pflege als am Hofe der Mediceer in Italien.
Als Vasall des französischen Königs, dessen Oberhoheit seinem
Stolze lästig war, verbündete sich Karl der Kühne mit den Feinden Frankreichs, besonders mit dem Könige von England. Auch der deutsche Kaiser sollte ihm helfen, dessen Bestreben jetzt nur darauf gerichtet war, die österreichische Hausmacht seinem Lieblingswort entsprechend zu vergrößern: „Alles Erdreich ist Oesterreich Unterthan."
Friedrich III. traf mit Karl dem Kühnen in Trier zusammen,
dort den gegenseitigen Plänen ihrer persönlichen Vorteile den Weg auf Kosten des Reichs zu ebnen (1473). Der Burgunderherzog war mit solcher Pracht eingezogen, daß er den Kaiser dadurch völlig in Schatten stellte. Er hatte eben Geldern und Zütphen erworben und ließ sich der Form wegen durch den Kaiser damit belehnen. Sein Hauptziel aber war, zunächst König von Burgund, dann römischer König zu werden, um als solcher die deutsche Krone auf sein Haupt zu setzen. Er bot
dem Kaiser dafür seine Tochter, die reiche Erbin von Burgund, als
Gemahlin für Friedrichs Sohn Maximilian.
Schon waren alle Vorbereitungen zur Königskrönung des Herzogs getroffen, der fürsorglich Krone und Thron selbst mitgebracht hatte, als der Kaiser heimlich aus der Stadt entwich und nach Köln ging. Er mochte zunächst mißtrauisch geworden sein, daß Karl der Kühne die
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Vermählung seiner Tochter mit Maximilian nicht vor der Krönung vollziehen lassen wollte. Bedenklicher war es sicher, daß keiner der deutschen Fürsten zu der geplanten Krönung Karls des Kühnen erschienen
war. Der mächtige Albrecht Achilles hatte sich in kluger Einsicht der
Verhältnisse sogar sehr entschieden dagegen ausgesprochen. Er selbst hatte in der Mark Brandenburg ernste Aufgaben zu vollbringen, deren Kurfürst er geworden war (1470), nachdem sein Bruder, Friedrich II., der Eiserne, der langen, aufreibenden Fehden mit dem märkischen Adel, der endlosen Unruhen in den Städten müde, seinen Kurhut
niedergelegt hatte, um in mönchischer Einsamkeit seine letzten Lebenstage auf der heimatlichen Plassenburg in Ansbach frommen Betrachtungen und guten Werken zu widmen.
Albrecht Achilles hatte sich allezeit seiner geringen Einkünfte wegen sehr einschränken müssen, und als Kurfürst von Brandenburg war er
noch nicht der Schulden Herr geworden, die ihm sein Vater hinter-
lassen hatte. „Liebe Räte", hatte er seinen Räten bei Uebernahme der Kurwürde gesagt, „ihr wißt, wie wir in großen, wirklichen Schulden stehen nach Inhalt der väterlichen Teilung und nur ein kleines Aufheben an der Nutzung haben, wie wir achten, nicht über 6000 Gulden. Aber thut, wie wir uns zu euch versehen! Helft und ratet, so will ich
euch auch helfen! Doch so wollen wir der Herr im Hause sein!" -
Dabei wußte er den Glanz des Hohenzollernhaufes auch äußerlich zu wahren und diente dem Kaiser in selbstlosester Weise als ritterlicher Vasall. Am 3. November 1471 war Albrecht Achilles, dessen Linie von nun an den Zollernstamm in Brandenburg-Preußen fortpflanzen sollte, als Kurfürst in das Schloh zu Köln an der Spree eingezogen.
Indessen hatte Karl der Kühne voll Zorn über des Kaisers Wortbrüchigkeit ein Heer gerüstet, um zunächst im Streite des Erzstifts
Köln gegen seinen Erzbischof diesem zu helfen, sich selbst dabei als Erbvogt zu erklären und das burgundische Wappen in der alten Bischofsstadt anzuheften. Die bedrängten Kölner riefen den Kaiser zu Hülfe. Er besann sich aber so lange, daß der Burgunderherzog hätte mögen das ganze Erzstift in Besitz nehmen, und als endlich Albrecht Achilles als Reichsfeldherr kam und sich nach einigen erfolglosen Gefechten auf eine große Entscheidungsschlacht vorbereitete, schloß der Kaiser unerwartet mit dem Burgunderherzog einen Frieden, der dem Hause Oesterreich vorteilhaft, der Ehre des Reiches eine Schmach war; denn Friedrich opferte die mit ihm verbündeten Schweizer und den Herzog Renatus
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von Lothringen. Den Elsaß hatte Karl der Kühne schon inne, seit Erzherzog Sigismund von Oesterreich ihm Tyrol verpfändet hatte, und er weigerte sich jetzt, das Land wieder herauszugeben. Er begehrte vielmehr das Reichsvicariat über diesen Besitz und machte sich bereit, die Schweizer zu unterwerfen.
Sie baten kläglich um Schonung, da sie, ein armes Volk, dem Sieger nicht so viel Gewinn schaffen würden, wie die Sporen seiner Ritter wert seien. Vergeblich, Karl der Kühne glaubte leichtes Spiel mit den „Schweizer Bauern" zu haben, 60,000 Burgunder gegen 18,000 der eidgenössischen Scharen. Bei dem Städtchen Granson, das unter der Treulosigkeit Karls des Kühnen sehr gelitten hatte, trafen sich die feindlichen Heere (3. Mai 1476). Die Stadt hatte ihm vertrauensvoll nach kurzer Belagerung die Thore geöffnet, und gegen sein Versprechen hatte er den größten Teil der Bevölkerung an den Bäumen aufknüpfen oder ertränken lassen.
Mit dieser Unthat schien der Glücksstern Karls des Kühnen erblichen zu sein, noch mehr, als er die betenden Schweizer vor der Schlacht verspottete: „Seht, die flehen um Gnade; aber es soll mir keiner davon kommen."
Schon waren beide Heere so ermüdet, daß ein Waffenstillstand notwendig schien, als die Urner, die Schwyzer und Unterwaldner zur Hülfe der Eidgenossen herbeieilten. Der Klang ihrer mächtigen Hörner „Uri Stier" und „UnterwaldnerKuh" genannt, brauste Schrecken erregend über die Schlachtebene von Granson zu den ermüdeten Burgundern hin. Ihr Herzog wandte sich zagend zu den Seinen: „Wie wirds uns ergehen, da uns die ersten schon so ermüdet haben?"
So oft hatte er sich prahlend mit Hannibal verglichen, der gleich ihm die Alpen siegreich überschritten habe, und als nun die erschreckten Burgunder sich zur Flucht wandten, rief des Herzogs Hofnarr seinem Herrn zu: „Monseigneur, nous voilä bien hannibalises“ (Herr, seht wie gut wir hannibalisiert werden).
Bald stürmten die Burgunder in wilder Hast davon, und die Schweizer erbeuteten große Schätze, unter ihnen einen großen Diamanten, dessen Wert der Herzog selbst höher schätzte, als eine ganze Provinz. Der Finder hatte ihn für einen Gulden verkauft; später kam er in den Besitz des Großherzogs von Toskana. Das erbeutete Geld sollen die Schweizer zur Verteilung in Hüten abgemessen haben.
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Trotz der schweren Niederlage hatte Karl der Kühne in wenigen Wochen ein neues Heer ausgerüstet, das wiederum bei Murten geschlagen wurde (22. Juni 1476). 15,000 Burgunder bedeckten die
Wahlstatt, und die Schweizer bauten auf dem Schlachtfelde ein großes Haus, in dem sie die Gebeine der Feinde sammelten. Ueber der Thür stand geschrieben: „Dieses hat das Heer des mächtigen Herzogs von Burgund zum Andenken hinterlassen." Heute steht auf diesem Platze ein Obelisk als Denkstein, da die Franzosen das Beinhaus im Jahre 1798 zerstörten.
Wutentbrannt eilte der Herzog nach Burgund, nochmals ein Heer zu werben, das aber nur mühsam zusammen kam, und ein neuer Feind trat ihm in dem Herzog von Lothringen entgegen, der, durch das Unglück der Burgunder ermutigt, das ihm entrissene Land wieder zu erringen hoffte. Als es bei Nancy zur Schlacht kam, ging sogar Karls vertrauter Feldherr zum Feinde über. Aber noch einmal raffte sich der Burgunderherzog auf zu einem Kampfe auf Leben und Tod; er fand den letztem im Gewühle der Schlacht. Erst drei Tage später wurde seine Leiche eingefroren in einem Moraste aufgefunden. Mit ihm war der letzte männliche Sproß feines Hauses gestorben.
„Bei Granson verlor ich den Mut,
Bei Murten das Gut Und bei Nancy das Blut" sang spottend das Volk, und Ludwig XI. von Frankreich bemächtigte sich eiligst des herrenlosen Herzogtums unter dem Vorwande, es für die Erbin, - Maria von Burgund, zu bewahren, die er mit seinem siebenjährigen Sohne vermählen wollte. Die Niederländer hatten dem französischen Gesandten zur Antwort gegeben, Maria brauche einen Mann zum Gemahl, aber kein Kind, und die Prinzessin selbst rief den deutschen Kaisersohn Maximilian (I.) herbei, der ihrem Rufe eilends Folge leistete. „Nun sei willkommen", jubelte sie ihm entgegen, das edelste deutsche Blut, nach dem mein Herz so lange sich gesehnt!"
Die Vermählung wurde vollzogen, nachdem Maximilian gelobt hatte, den burgundifchen Landen ein treuer Herr zu sein. Es schien dem deutschen Kaiserhause hier im Westen ein neuer Stern aufzugehen; denn Maria sicherte ihren beiden Kindern durch Testamentsverfügung ihren reichen Besitz, den der geliebte Gatte mit ihr teilte. Ein Sturz auf der Jagd endete das Leben der jungen Fürstin nach siebenjähriger
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Ehe, und wieder machte der König von Frankreich Maximilian die Herrschaft Burgunds streitig. Er begehrte sogar die Vormundschaft über dessen Sohn, den er nach Frankreich entführte, und Maximilian meinte durch die Verlobung seiner Tochter Margarete mit dem Dauphin von Frankreich allen Mißhelligkeiten zu entgehen. Die beiden Kinder wurden zu diesem Zwecke gemeinschaftlich in Paris erzogen, und Maximilian blieb zunächst unbestritten Regent der burgundischen Lande.
Als er sich aber eben bereit machte, seinem Vater gegen die Ungarn Hülfe zu leisten, empörten sich die Flandrer, und da er vertrauensvoll einer Einladung der Stadt Brügge folgte, hielten sie ihn dort vier Monate lang gefangen. Seine Räte, die mit ihm festlich in die Stadt gezogen waren, wurden enthauptet; auch die wenigen Kriegsleute, die ihren Herrn begleitet hatten, wurden getötet, und man fürchtete mit Recht für Maximilians Leben. Da gelang es seinem „lustigen Rat", Kunz von der Rosen, als Mönch verkleidet in das Gefängnis des Königs zu kommen. Sein Herr sollte mit ihm die Kleider wechseln und statt seiner als königlicher Beichtvater das Gefängnis verlassen. Doch mußte Kunz unverrichteter Sache abziehen und soll er sich von Maximilian mit den Worten verabschiedet haben: „Dann helfe dir Gott, mein narrender König!"
Als dieser endlich durch seinen Vater befreit und die Aufständischen besiegt worden waren, mußten die Stadträte von Gent, Brügge und Apern kniend Abbitte leisten und 300,000 Goldgulden zahlen.
Im folgenden Jahre gelang es Friedrich Hl., seinen Sohn Maximilian zum deutschen König wählen und krönen zu lassen, ohne daß die Kurfürsten Widerspruch erhoben hätten; denn die ritterliche Persönlichkeit Maximilians hatte sich trotz aller Anfeindungen, welche die Habsburger im Reiche erfuhren, viele Freunde erworben.
Des Kaisers Ansehen im Reiche war allmählich, aber völlig gesunken. " Er war durch seine langen Kämpfe mit dem Ungarnkönig Matthias Korvinus, der selbst die Kaiserstadt Wien in langer Belagerung durch Hunger zur Uebergabe gezwungen (1485) und zur Residenz gemacht hatte, so hülflos geworden, daß das deutsche Volk die Schmach erlebte, wie sein armseliger König vergeblich um Hülfe bittend im
Reiche umherzog, nur sein Oesterreich von den Ungarn befreien zu
können. Die Fürsten sollten ihm wenigstens Hülfstruppen gegen die
Türken stellen, so bat er. Aber diese wußten aus Erfahrung, daß der
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Kaiser am allerwenigsten an des Reiches Not dachte, und nur darauf Bedacht nahm, persönlichen Interessen zu dienen.
Erst nach dem Tode des Ungarnkönigs konnte Friedrich III. wieder als Sieger in Wien einziehen, und voller Befriedigung, seine Erblande für das Haus Habsburg gerettet zu haben, überließ der Kaiser seinem Sohne alle Reichsgeschäfte und zog sich nach Linz zurück, wo er unter Andachtsübungen und alchymistischen Forschungen seine letzten Lebenstage zubrachte. Er starb, 78 Jahre alt (19. Aug. 1493), und durch das deutsche Reich zog ein Hoffen wie Frühlingswehen, daß mit Kaiser Friedrich das Elend langer Jahrzehnte begraben sei.
Seine Leiche ruht in der Stephanskirche zu Wien.
3. Maximilian I.
(1493 bis 1519.)
Ohne Widerspruch von Seiten der Fürsten trat Maximilian die Herrschaft des Reiches an, voll kühnen Mutes, es zu beglücken. Er hatte die ideale, begeisterte Richtung, das südliche Temperament seiner Mutter geerbt, ohne die mehr als zu fühle Besonnenheit seines Vaters damit zu verbinden, Eigenschaften, die vereint zum Heile des Reiches hätten dienen mögen. Es war bekannt, daß seinem Mute feine Gefahr zu groß erschien, und den Gemsen folgend, erfletterte Maximilian die höchsten Felsenspitzen. Daran knüpft sich die Sage von der Martinswand, einem jähen Felsabhange, von dem der königliche Gemsjäger feinen Rückweg fand und sich kniend schon zum Tode vorbereitete, als ein getreuer Tyroler, nach andern ein Berggeist, ihn den rettenden Pfad hinabführte.
Maximilians offenes, gefälliges Wesen gewann ihm aller Herzen. Dazu war er von außerordentlicher Schönheit, eine hoch gewachsene Germanengestalt. Wo es galt, Deutschlands Ehre zu verfechten, war Maximilian ihr Ritter, und als einst niemand wagte, einem Franzosen von riesenhafter Größe im Turnier entgegen zu treten, sprengte ein Ritter mit geschlossenem Visier in die Schranken und streckte den Franzosen in den Sand. Alles Volk jubelte, als der Sieger das Visier zurückschlug; es war Maximilian.
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Künstler und Gelehrte fanden an seinem Hofe eine Freistatt und hätten noch mehr Halt an dem jungen Fürsten haben mögen, wenn seine leichtfertige Lebensweise ihm nicht steten Geldmangel gebracht hätte.
Dem Grundsätze seines Hauses getreu, dessen Größe durch Reichtum zu vermehren, vermählte sich Maximilian in zweiter Ehe mit der reichen Erbin Blanka Maria Sforza von Mailand, deren Oheim die vormundschaftliche .Regierung für seinen Neffen führte und den deutschen Kaiser durch allerlei Vorspiegelungen von einer wieder zu erlangenden Macht der deutschen Kaiser in Italien zu ködern gewußt hatte. Bald mußte Maximilian Mailand als Reichslehen bestätigen und es gegen Angriffe Frankreichs schützen helfen, dem er eine wohl begründete Feindschaft bewahrt hatte, seit der französische König die deutsche Kaisertochter Margarete, die schon den Namen einer Königin von Frankreich führte, ihrem Vater einfach zurück geschickt hatte, weil er sich mit der reichen Erbin der Bretagne vermählen wollte.
Italien sollte Maximilian ebenso wenig Heil bringen, wie den früheren deutschen Kaisern; doch hatte es noch denselben zwingenden Zauber, den es zu allen Zeiten auf die deutschen Herrscher ausübte, und der Kaiser übertrug zunächst seinem Sohne Philipp die Regierung der Niederlande, um selbst mit seiner Gemahlin in deren Heimat einen bleibenden Aufenthalt zu suchen.
Die stolzen Niederländer begrüßten das Kind ihrer Heimat — Philipp war ein Sohn Marias von Burgund — jubelnd als Herrscher, ja noch mehr, sie ließen ihm freiwillig und ungeschmälert alle Herrsch errechn, die einst sein Großvater, Karl der Kühne, ausgeübt hatte. So im glücklichsten Einverständnisse mit dem Volke wurde Philipps Regierung wahrhaft segensreich für das Land, in welchem jetzt durch den Frieden Handel und Gewerbe aufblühten wie nie zuvor. Noch glänzender gestalteten sich die Verhältnisse des deutschen Kaisersohnes, als er sich mit
Johanna, der Tochter Ferdinands von Arragonien und Jsabellas von Kastilien vermählte. Dazu wußte Maximilian eine Verbindung seiner Tochter Margarete mit dem reichen spanischen Thronerben Johann von Kastilien anzubahnen, wieder ein Zuwachs der habsburgischen Macht.
„Bella gerant alii, tu felix Austria nube
Nam quae Mars aliis dat tibi Diva Venus!“
(Andre mögen kriegen, du glückliches Oesterreich heirate,
Was anderen Mars, das giebt dir die Göttin Venus!)
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Die Verse wurden immer mehr geschichtliche Wahrheit, ob zum wirklichen und dauernden Segen der Habsburger, ob zum Heile des deutschen Reiches, sollte die Zukunft zeigen. Die großartigen Gedanken eines Karl, eines Otto des Großen, welche einst erstrebten, das deutsche Kaisertum zum Träger christlicher Weltherrschaft zu machen, seinen Feinden furchtbar, ein eherner Wall nach außen, ein emporstrebender fest gegründeter Bau nach innen, sie waren längst dahin. Das Papsttum war trotz vieler Wechselfälle erstarkt, die Fürsten waren selbständige Herren und nicht mehr gehorsame Vasallen des Kaisers, und das Volk war herangereift zu einem Willen, inmitten der zerrütteten Verhältnisse von Staat und Kirche sich eine Macht zu sichern, welche das Kaisertum durch die Schuld seiner Träger eingebüßt hatte.
Es mochte dem Leben eines edeln Kaisers den rechten Inhalt geben, auf solchem Wege Führer seines Volkes zu werden, und der junge Herrscher suchte ernstlich gut zu machen, was Friedrich III. darin versäumt hatte. Zunächst hielt Maximilian zu diesem Zwecke seinen ersten Reichstag in Worms ab, mußte aber gleich hier erfahren, wie wenig jetzt kaiserliche Machtworte galten. Fürsten und Städte, Adel und Stände begehrten gar keinen monarchischen Führer; sie wollten mit und neben dem Kaiser herrschen.
Als Maximilian Geldmittel zu einem Römerzuge begehrte, sich vom Papste krönen zu lassen, auch Frankreich zu hindern, seine Herrschaft immer weiter in Italien auszudehnen, verlangten besonders die Städte, zunächst den Frieden im Reiche zu sichern. Auch eine sogenannte „eilende Hülfe," das Aufgebot der ganzen Reichsmacht gegen die Türken, wurde an Bedingungen geknüpft, „ein von der kaiserlichen Person unabhängiges Gericht sollte über jedermann im deutschen Reiche gleiches Recht sprechen."
Nur auf Drängen der deutschen Fürsten und selbst des Papstes, dem die Franzosen als Herren von Neapel recht unbequeme Nachbarn waren, willigte Maximilian in die Stiftung eines ewigen Landfriedens, dem ein Reichskammergericht strenge Geltung gegen Faust- und Fehderecht und gegen des Einzelnen Willkür verschaffen sollte. Zu diesem Reichskammergericht hatte der Kaiser nur den Vorsitzenden der von den Reichsständen gewählten sechszehn Räte zu ernennen. Im übrigen war das Gericht völlig unabhängig vom Kaiser und darum nicht mehr an die kaiserliche Residenz gebunden wie
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einst, wo der Kaiser oberster Gerichtsherr war unb seine Schöffen, Ritter unb Eble, sich um ihn sammelten.
Der Sitz bes Reichskammergerichts war zuerst in Frankfurt, im Jahre 1527 würbe es nach Speyer verlegt, 1693 nach Wetzlar, wo es bis zu seiner Auflösung im Jahre 1806 verblieb. Der erste Vor-sitzenbe bes Reichskammergerichts, bas selbst bas kaiserliche Recht ber Achtserklärung hatte, war Eitel Fritz von Zollern, ber bie erste Sitzung am 3. November 1495 abhielt.
Zur Bestreitung ber Richterbesoldungen, auch als Grunblage zu einer Kriegskasse it. a., würbe eine Reichssteuer festgesetzt, bie nicht ganz neu war, unb bie als „gemeiner Pfennig" (von je 1000 Gnlben Besitz 1 Gulben, von 500 einen halben, wer weniger besaß, gab ben vierunbzwanzigsten Teil vom Gulben), enblich eine, ob auch geringe, Gleichstellung ber Pflichten bes Einzelnen für bas gemeinsame beutsche Vaterlanb in sich trug. Auch ber „ewige Lanbfriebe", ber allen Stäuben galt, faßte schließlich einmal wieber ben Gebanken eines Reich es auf, bem bie kleinlichen Interessen Einzelner zu bienen unb zu gehorchen verpflichtet würben. Wie wenig alles bas zu voller Geltung gebracht werben konnte, war freilich wieber ein Zeichen schwacher Kaiserherrschaft.
In verehrungswürbigem Regenteneifer hatte Maximilian tagelang selbst an ben Entwürfen ber neuen Gerichtsordnung gearbeitet unb sich kaum Zeit zu ben Mahlzeiten gegönnt. Aber in Tagen ließ sich bie Regelung so großartiger Verärgerungen nicht vollenden, bie sich bei allen Beteiligten nicht ohne eine gewisse Verstimmung vollziehen konnten. Der Kaiser war ärmer an ben schon kärglichen Rechten ber beutschen Krone geworben, bie Stänbe hätten gern noch mehr, besonbers einen Reichsrat gehabt, bessen Prästbent zwar vom Kaiser, seine 17 Mit-■glieber aber von Fürsten unb Stäbten ernannt werben sollten. Ihnen war eine wichtige Stimme bei ben Reichsbeschlüssen zugebacht. Dieses Reichsregiment kam enblich nach mancherlei Wibersprnch zu Staube.
Zwar würben bem Kaiser für seine Zugestänbnisse zwei Mal 150,000 Gulben bewilligt; aber sie gingen schlecht ober gar nicht ein, so baß auch Maximilian wenig geneigt war, seinerseits bie Reichstagsbeschlüsse zu achten. In seinen Erblanben ließ er ben „gemeinen Pfennig" gar nicht einsammeln; auch griff er oft in bie Gerichts-Pflege bes Reichskammergerichts ein. Der Ritterschaft war Lanbfriebe
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und Reichssteuer verhaßt, und die Städte hatten eben so wenig Lust, Steuern zu zahlen.
Als die Fürsten wiederum einen Reichstag planten, der endlich in Lindau zu stände kam, hatte sich der Kaiser längst zu einer fast abenteuerlichen Ritterfahrt nach Italien gerüstet und ließ den Reichsständen durch seinen Sohn sagen, sie möchten eiligst den Reichspfennig einziehen, Truppen rüsten und ihm nachsenden, da er nicht warten könne. Er ziehe mit der Macht, die ihm Gott verliehen, über die Berge.
Nur der wahrhaft für des Vaterlands Wohl bedachte Kurfürst Berthold von Mainz hatte für diesmal das Verdienst, daß dieser kaiserlose Reichstag manchen guten Beschluß zu stände gebracht hatte, als
Maximilian von seinem verunglückten Römerzuge heimkehrte. Er sollte auch- später keine glücklichere Romfahrt machen.
Obgleich nun Maximilian im Reiche weilte, besuchte er einen zweiten Reichstag zu Worms ebenfalls nicht (1497). Die Fürsten waren überdies uneins, und nur der Mainzer mahnte zur Einigkeit, damit „nicht ein Stärkerer komme, der sie alle mit eisernen Ruten regiere."
Der Kaiser hatte scheinbar immer weniger Interesse für des
Reiches Wohl. Als er endlich einmal auf dem Reichstage zu Freiburg erschien (1498), hoffte er dort nur Kriegsmittel gegen Frankreich zu erlangen und schalt voller Heftigkeit über den Geiz der Reichsstände: „Von den Lombarden bin ich verraten, von den Deutschen verlassen;
aber ich will mich nicht wieder wie in Worms an Händen und Füßen
binden lassen und an einen Nagel henken. Den italienischen Krieg will und muß ich führen; eher werde ich mich von dem Eide dispensieren, den ich dort hinter dem Altare zu Frankfurt geschworen habe. Ich bin nicht nur dem Reiche, sondern auch dem Hause Oesterreich verpflichtet. Ich sage das und muß es sagen, uud sollte ich auch
darüber die Krone zu meinen Füßen setzen und sie zertreten." — — Das waren bittre Köuigsworte. Die Fürsten gaben nach; aber
ein kaiserlicher Zug nach Frankreich und weitere Unternehmungen in Italien mißglückten. Auch nahm ein neuer Feind bald Maxi-
milians Interesse in Anspruch. Durch Grenzstreitigkeiten der Schweiz und Tyrol veranlaßt, rüsteten sich die Schweizer Eidgenossen gegen Oesterreich, das sie haßten. Auch wollten sie sich den Wormser
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Neichsbeschlüssen nicht als Reichsangehörige fügen. Sie brauchten kein Reichskammergericht und wollten keine Steuer zahlen.
Der süddeutsche Edelmann, in ewiger Fehde mit dem schweizer Bauer, wollte außerdem endlich einmal große Abrechnung und Entscheidung suchen. Das war der „Schwabenkrieg", der Kampf zwischen „Stiefel" und „Bundschuh", in dessen Verlauf die Eidgenossen Sieger blieben. Auch Maximilian wurde schließlich von demselben Geschick ereilt. Obgleich er in einem verheerenden Kriegszuge mehr als zweihundert Ortschaften der Schweiz zerstörte, unterlag er den Eidgenossen lind mußte im „Baseler Frieden" (22. Sept. 1499) auf alle Rechte an die Schweizer verzichten, welche als Eidgenossenschaft allmählich in 13 Kantonen vereinigt, sich nicht mehr „Glieder", sondern „gehorsame Verwandte" des Reiches nannten.
Auch in Italien endete Maximilians nochmaliger Römerzug unglücklich (1504). Das Herzogtum Mailand mußte endlich dem französischen Könige als Mannslehen überlassen werden. Aber das .alles brach Maximilians Kampfeslust nicht. Voll ritterlicher Begeisterung plante er einen Kreuzzug gegen die Türken und begehrte Reichshülfe. Doch meinten die deutschen Fürsten, gegen einen solchen Feind vermöchte nur die vereinte europäische Macht etwas auszurichten, und so unterblieb jeder Widerstand gegen die Osmanen. Gab es doch auch inmitten des Reichs so viele Verhältnisse zu ordnen und Streitigkeiten auszugleichen, deren Stürme an den morschen Säulen des alten Kaiserbaues rüttelten. So verheerte ein neunmonatlicher Erbfolgestreit das bayerische Land, bis Maximilian durch gütlichen Vergleich einen -eil Niederbayerns als besondere Herrschaft Pfalz-Neuburg, Ober-pfalz, abzweigte und dadurch die streitenden Parteien befriedigte (1505).
-io wenig das Kriegsglück dem Hause Oesterreich lächelte, Erbschaft nach Erbschaft und manche glückliche Heirat vermehrten unausgesetzt seine Hausmacht. Der Jnfant von Kastilien, Maximilians Schwiegersohn, war wenige Monate nach seiner Vermählung gestorben. Ihm war seine Schwester, die Königin von Portugal und deren Sohn im Tode gefolgt, und der deutsche Kaisersohn Philipp (v. Burgund) wurde dadurch mit seiner Gemahlin Johanna Erbe der Länder ihrer Eltern: Spanien, Sizilien und Neapel. Aber auch er starb bald, und ein Lohn Karl (A .), also der Enkel Maximilians, erhielt die Anwartschaft ans das Erbe seines Vaters (1506), das einst einen Teil
Born hak, Unser Vaterland. ,
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des großen Reiches bilden sollte, von dem c5 hieß, daß die Sonne nicht darin unterginge, da es zwei Welten umfaßte.
Noch immer war Maximilian nicht zum Kaiser gekrönt worden,
als ihn der von den Franzosen bedrängte Papst Julius II. nach
Italien rief. Aber die mit den Franzosen verbündeten Venetianer
versperrten dem deutschen Herrscher den Weg nach Rom, und das ganze Ergebnis seiner Römerfahrt war, daß ihm der Papst den Titel zusandte: „Erwählter römischer Kaiser."
Maximilian wußte sich an Venedig durch ein Bündnis mit Frankreich ißigue v. Cambray) zu rächen, dem sich Spanien und der Papst anschlossen. Den vereinten Kräften der Verbündeten erlag die stolze Lagunenstadt, und jeder der Sieger leistete sein Möglichstes, der Gedemütigten noch eine besondere Schmach anzuthun. Zunächst nahm sich jeder, was er konnte, und die völlige Vernichtung Venedigs schien unausbleiblich. Als aber französische Ritter vor Padna neben Deutschen kämpfen sollten, weigerten sich plötzlich die Franzosen; die Deutschen erschienen ihnen längst nicht mehr ebenbürtig, und tief gekränkt kehrte Maximilian mit seinem durch geborgtes Geld ausgerüsteten Heere nach Deutschland zurück.
Nun gelang es den Venetianern, den Papst und Spanien für sich zu gewinnen. Das war „die heilige Liga", so genannt, weil dadurch der „heilige Vater" hoffte, seine ihm entzogenen Lehen wieder zu bekommen und die Macht der Kirche herzustellen. Noch blieb kr deutsche Kaiser dem französischen Könige treu, und der deutsche Ritter Georg von Frundsberg eroberte für diesen Bologna und Brescia; auch der Sieg von Ravenna war den Deutschen zu verdanken. Als aber auch England der heiligen Liga beitrat, schloß sich Maximilian derselben ebenfalls an und besiegte die Franzosen in der „Sporenschlacht" von Guinegate, so genannt, weil die fliehenden Franzosen mehr von ihren Sporen als von ihren Schwertern Gebrauch machten. Schmachvoller Weise kämpfte hier der deutsche Kaiser als „englischer Freiwilliger" und ließ sich als solcher sogar vom englischen Könige Heinrich VIII. täglich 100 Kronen Sold zahlen.
Trotz vieler schwerer Niederlagen konnte sich Frankreich durch die Erbärmlichkeit seiner Feinde erholen, die es einzeln durch Geldver-sprechnngen zu gewinnen wußte. ' Dem deutschen Reiche aber hatten all diese Kämpfe wohl Opfer gekostet, aber Heil war ihm daraus nicht erwachsen. Dem Hanse Oesterreich war in dem Vertrage einer
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Wechselheirat der beiden Enkel Maximilians mit den Kindern des Königs Wladislaus von Ungarn neues Glück erblüht, da sich ein Erbvertrag daran schloß, durch welchen später Ungarn und Böhmen an Oesterreich fielen.
Trotzdem der alternde Kaiser sich jetzt mühte, dem vielfach vernachlässigten Reiche Gules zu thun, glich doch der Glanz deutscher Kaiserherrlichkeit nur der sinkenden Abendsonne, der vielleicht ein neuer Morgen tagen konnte. Wohl hatte das Reich Maximilian manches in dieser Zeit zu danken. Eine allgemeine Polizeiordnung, vor alleu Dingen die Einrichtung einer durch deu Grafen von Thuru und Taxis errichteten Reichspost und eine geregeltere Handhabung der Gesichtspflege waren anerkennenswerte Versuche, die Verwaltung des Reiches zu bessern. Auch hatte Maximilian den Plan Albrechts II. ausgenommen, das Reich in sechs, später in zehn Kreise zu teilen und darüber js einen Hauptmann als obersten Richter zu setzen (1512). Diese Kreise waren: der niederrheinische Kreis, der kurrheinische, der
österreichische, der burguudische, der schwäbische, der bayrische, der fränkische, der obersächsische, der niedersächsische uud der westfälische Kreis. (Länder und Völkerentwickelung dieser Kreise finden spätere Berücksichtigung.)
Was aber einst der vaterländisch gesinnte Kurfürst von Mainz wegen des Reiches innerer Gestaltung gefürchtet und gemahnt, wach zu feilt gegen päpstliche Uebergriffe, das sollte ein anderer zur That werden lassen, ein Mann aus dem Volke, der den Inbegriff deutscher Volkstraft und deutschen Geistes in sich trug, — Martin Luther. —
Schon stürmten die Wogen neuer Strömungen über die altgewohnten Bahnen römisch-christlicher Kirchenordtumgen hinaus und prallten erschütternd gegen den Felsenbau des päpstlichen Stuhles, als Maximilian, müde und mißmutig über einen zu Augsburg gehaltenen Reichstag nach Innsbruck zog, dort einen Ruheplatz zu finden. Aber die Innsbrucker, welche noch eine Geldforderung an den deutschen Kaiser hatten, ließen nicht einmal sein Gefolge in die Mauern der Stadt. Der arme deutsche Kaiser mußte zu Wels in Oberösterreich liegen bleiben und starb dort im sechzigsten Lebensjahre am 11. Juni 1519. Vier Jahre lang hatte er seinen Sarg mit sich umher geführt, und nach Empfang des hl. Abendmahls sich selbst in sein Sterbehemd gekleidet, als er den Tod heran nahen fühlte. Seine Umgebung hatte er getröstet und gemahnt, nicht zu beklagen, einen Menschen sterben zu
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sehen. Seine Leiche wurde, seinem letzten Willen gemäß, zu Wienerisch-Neustadt neben seiner vielgeliebten Mutter beigesetzt.
Man hat Maximilian in Poesie und Prosa vielfach als „den letzten Ritter" gefeiert. Wie weit diese Bezeichnung zutreffend ist, er-giebt sich aus seiner Geschichte. Sicher ist, daß er noch in ernstem Ringen als ein Geistesritter über viele seiner Zeitgenossen hinwegragt. Als eifriger Beförderer der neu aufblühenden Wissenschaften und Künste reicht sein Leben hinüber in eine neue Zeit. Die Künstler Nürnbergs waren seine vertrauten Freunde, und Namen, wie der des Erzgießers Peter Bischer, des Bildhauers Adam Kraft, des Malers Albrecht Dürer, führen zu einer neuen Welt künstlerischen Lebens, deren Werke noch heute mustergültig sind. Der gelehrte Nürnberger Ratsherr Wilibald Pirkheimer und der Augsburger Konrad Peutiuger waren eifrig bemüht, Maximilians königliche Huld allen Bestrebungen der Wissenschaft und der Kunst zuzuführen, und gar mancher Sänger wurde vom Kaiser eigenhändig mit dem Dichterlorbeer geschmückt, wie die großartig gefeierte Dichterkrönung Ulrichs von Hutten in Augsburg zu bildlichen und poetischen Darstellungen Anlaß gab.
Ein herrliches Denkmal Maximilians in der Hofkirche zu Innsbruck, das er selbst mit seinem Freunde Peutiuger geplant, und das schon im Jahre 1508 begonnen, aber erst 1566 vollendet wurde, giebt neben viel anderrn Zeugnis von der großartigen Entwicklung des Kunst-gewerbes und der Kunst unter Maximilian. Auf einem riesigen Sarkophag aus Marmor erhebt sich die betende Statue Maximilians im Kaiserornate. Ihn umgeben an den vier oberen Ecken des Denkmals die weiblichen Figuren der vier Kardinaltugenden. Die Seitenwände des Sarkophags tragen 24 Marmortafeln, auf denen bie Thaten Maximilians abgebildet sind, und um das aus feinster Schmiedearbeit hergestellte Gitter, das den Sarkophag umschließt, stehen 28 Kolossalgestalten aus Erz, Vorfahren des Hauses Habsburg und ältere Helden^ wie der Ostgothenkönig Theodorich.
Noch ein Denkmal andrer Art, das Maximilian sich selbst erbaute, sind die Dichterwerke oder Historien seines Lebens, „der Theuer-dank", welcher seine Jugend und seine männlichen Heldenthaten feiert, und der „Weißkunig", der eine Geschichte Kaiser Friedrichs III. in vielen allegorischen Darstellungen bietet, und zu dessen Sohn Maximilian hinüber führt, der den Vater an den Türken rächt.
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Wie sehr diese Werke unter Maximilians königlichem Einfluß gestanden haben, verkünden die Worte des Titelbildes im Weißkunig: „Merk viel wird von mir geschrieben, was sachen und krieg ich hab getrieben;
Darnmb schreib, wie ich dir sag, so knmbt die recht Wahrheit an den tag."
Ist der dichterische Wert beider Werke nicht hoch, so lag eins darin: man laS und horte von dem ritterlichen Kaiser Maximilian, und sein Bild blieb im Volke eben so lebendig, wie der fröhliche Humor des huldreichen Herrn bis auf den heutigen Tag gekommen ist. Da läßt er sich von seinem getreuen Hofnarren raten, wie er doch möchte aus der ewigen Geldnot kommen: „Wirf die Krone weg und werde dein Hofmarschall!" Oder Maximilian fragt: „Wie gefällt dir meine neue Burg?" „Schon gut," antwortet Kuuz von der. Rosen, „da fehlt nur noch die Papiermühle." Wozu denn, will der Kaiser wissen, „S' find halt zu viel Lumpen am Hofe." Ein ander Mal meint der Kaiser: „Der König von Frankreich ist-nur ein König der Esel, die alle Lasten geduldig tragen, der deutsche Kaiser aber ist ein König der Könige; denn alle meine deutschen Fürsten wollen nur selber regieren."
Maximilian I. wird trotz aller Mängel, die seiner Regierung anhaften mögen, die aber vielfach auf Verhältnissen beruhten, welche allmählich eine Macht gegen Kaiser und Reich geworden waren, doch eine der Kaisergestalten bleiben, die auch kommenden Geschlechtern lieb und wert sein müssen. Seine ideal angelegte Persönlichkeit wollte stets
das Gute und Große; daß seine moralische Kraft und Ausdauer den: guten Willen unter viel widrigen Verhältnissen nicht gewachsen war, bleibt zu beklagen. ■
Obgleich mit Rudolf von Habsburg die deutsche Kaiserherrschaft, der Glanz ihrer Krone aus tiefster Schmach neu erstanden war, so konnte doch eins nicht wieder auf den alten Stand der Dinge zurückgeführt werden, die Stellung der Kaisergewalt zu den deutschen Fürsten, zum deutschen Volke.
Schon mit dem Untergange der Hohenstaufen, ja während ihrer Herrschaft hatte sich des Reiches Macht in landesherrliche Gewalten aufgelöst. Die Fürsten waren nicht mehr Beamte ihres kaiserlichen Herrn, sondern selbständige Gebieter ihres Länderbesitzes geworden. Nun bildeten sie die Re ichs stände, voran die sieben Kurfürsten, denen als „Grundsäulen und Leuchtern des Reiches" die goldne Bulle Karls IV. (1356) neben dem alleinigen Wahlrecht die Unantastbarkeit ihrer Person und die Unteilbarkeit ihrer Fürstentümer zusicherte. Das vollständige Münz- und Bergmerksregal, die Erhebung des Judenschutzgeldes, auch der gefreite Gerichtsstand wurde ihnen zugesprochen, alles einst kaiserliche Rechte. Die vier weltlichen Kurfürstentümer waren längst erblich, und jeder einzelne Kurfürst strebte naturgemäß danach, durch Vergrößerung der eignen Hausmacht ein Uebergewicht zu gewinnen. Die Kaiser hatten redlich dasselbe für sich und ihr Haus gethan. Aber die hervorragende Stellung, welche den Kurfürsten im Reiche eingeräumt wurde, war
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von schwerwiegendster Bedeutung. Tie Macht der deutschen Krone ging damit auf das Kurfürstenkollegium über, und dieses machte
den ausgiebigsten Gebrauch davon.
Außer den Kurfürsten gab es eine unzählige Menge kleiner Herren im Reiche, Ritter und Adlige, dazu die Städte, die den Fürsten meist feindlich gegenüberstanden und des eigenen Vorteils wegen zu Kaiser und Reich hielten. Herzöge, Ueberbleibsel der alten Stammesherzöge, auch Mark-, Land- und Pfalzgrafen und reichsfreie Ritter neben vielen geistlichen Herren, Erzbischöfe, Bischöfe, Ordensherren und zahlreiche weltliche Stände, die auf den Reichstagen mitreden durften, bekämpften die gegenseitige Macht. Besonders waren es die Land stände, d. t. der niedere Adel, Geistlichkeit und nicht reichsfreie Städte, die den Reichsständen der Fürsten gegenüber ihre Selbständigkeit zu erlangen strebten. Freiheitsdrang des deutschen Charakters könnte man all dieses Ringen nennen, wenn nicht so viel Selbstsucht und düstere Raublust die eigentliche Ursache gewesen wäre. „Vom Stegreifleben" galt als ritterliches Recht, fahrende Kaufleute und Reisende waren vielfach ^zagdwild des Adels geworden. Noch kam es selten vor, daß Adlige ein Amt in der Reichsverwaltung inne hatten, annehmbarer erschien ihnen Kriegshandwerk und Ritterdienst.
Wie sich einst die Fürsten von der Kaisergewalt gelöst hatten, so wollten nun die Unterthanen der Fürsten, an ihrer Spitze die Landstände, sich unabhängig machen. Dazu bot sich gute Gelegenheit, als die Fürsten Geld und immer wieder Geld begehrten, „baten". Es wurde daraus die „Bede", Steuern, die aufzuerlegen den Fürsten allein kein Recht zustand. Darum ließen sich die bewilligenden Stände dafür landesherrliche Rechte abtreten: Zölle, Gerichtsbarkeit u. s. f. Aber die Steuern, die Bede, wälzten sie auf die unteren Stände, besonders auf die Bauern, die im Laufe der Jahrhunderte immer armseliger geworden waren. Doch machten sich in den verschiedenen Landesteilen Deutschlands große Unterschiede geltend. Rechtsschutz, Gleichheit vordem Gesetz, und was nicht alles die Manneswürde jedes Deutschen begehren durfte, war im Großen und Ganzen für sie nicht mehr vorhanden. Sie führten aber immerhin in vielen Gegenden Deutschlands unter reichen Landesherren ein behäbiges Leben. Aber eins war klar, jeder Einzelne wußte, daß nur er selbst seine beste stütze sein konnte. Daraus erwuchs vorsichtige Klugheit, Willenskraft und Ausdauer, aber auch Willkür. In diesem Ringen des Einzelnen, wie der sich ver-
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einigenden Gemeinschaften, der Städte, wie der Fürsten unter Kaiser und Reich, hatten sich Land und Leute je nach dem Drucke, der auf sie wirkte, entwickelt. Rechte errungen, oder Rechte aufgeben müssen bis zu der Zeit hin, wo unter Maximilians Regierung Erzbischof Berthold von Mainz von dem Zusammenwirken der Reichsstände unter der Leitung des Reichsrats das Heil Deutschlands erhoffte.
Der oben erwähnten Einteilung des Reiches in zehn Kreise folgend, zeichne ein kurzgefaßtes Bild die vaterländische Gebietsentwicklung bis zur Reformationszeit, obgleich dieser Reichseinteilung an und für sich feine besonders hervorragende Wichtigkeit beigelegt werden kann.
Der österreichische Kreis mit Oesterreich und seinen Nebenländern von der Adria bis zum Oberrhein führt zurück auf die Zeit in der Friedrich Barbarossa die Markgrafschaft Oesterreich (bayerische Ostmark) dem Herzog Heinrich Jasomirgott von Bayern als erbliches Herzogtum übergab, nachdem Heinrich der Löwe die ihm vorher genommenen Herzogtümer Bayern und Sachsen zurückerhalten hatte. „Hinrik der Leuv und Albrecht der Bar,
Dartho Frederik mit dem roden Har,
Dat waren dree Heeren,
De funden de Welt verkehren" fang das Volf von dieser gewaltigen Zeit, in der Kaisermacht und Herzogsgewalt mit gleichen Waffen um die Oberhand kämpften.
Das an Naturschönheiten überreiche Land zu beiden Seiten der Donau, nördlich von dem böhmischen und mährischen Gebirge, südlich von den Alpen begrenzt, war seit Alters her deutsches Gebiet." Schon zu Otto des Großen Zeit wichtig als bayerische Ostmarf, verlieh es Otto II. seinem Neffen und Freunde, Otto von Schwaben.
An dieses uralte Gebiet deutschen Heldentums heftete sich die Heldensage, wie der Nibelungen Wanderfahrt. Hier hatte Kunst und besang eine heimische Statte gefunden, als die Hohenstaufen selbst den Minnegesang pflegten. Der herrlichen Natur der österreichischen Lande entsprach der treuherzige, in froher Lebenslust übersprudelnde Volks-charakter, den keine despotische Regierung niederbeugte. Als das Gerecht der Babenberger ausstarb, war zunächst Ottokar von Böhmen, dann die Habsburger gefolgt. Oesterreich war ihr Stammland geworden und damit aufs engste mit den Interessen des deutschen Reiches verbunden, die so oft den Habsburger Sonderinteressen weichen mußten. Wie viele deutsche und außerdeutsche Kronen endlich dem Kaiserhause
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der Habsburger zufielen, ist bei früherer Gelegenheit erwähnt worden und wird sich weiter geltend machen. Nur kurz sei eines der ältesten Volksstämme in Oesterreich gedacht, der unvermischt mit fremder Völker Art, fast unberührt von fremder Sitte, den ewigen Höhen seiner Berge gleich, sich bis heute erhalten hat. Es sind die Tyroler.
Am Fuße des mächtigen Alpenwalls, der Süddeutschland von Italien trennt, hatten sich seit der Völkerwanderung dem bayerischen Stamme entsprossene Germanen niedergelassen, von nachbarschaftlicheiu Völkerverkehr durch die Natur ihres Landes ebenso abgeschlossen, wie durch den eigenen, spröden und stolzen Charakter. Darum konnte sich unter ihnen lange Zeit hindurch alte Art und oitte bewahren. Der freie Bauer wohnte selbstbewußt neben dem reich begüterten geistlichen oder adligen Herrn. Unter ihnen erhoben sich allmählich die mächtigen Grasen von Teriolis (Tyrol) bei Meran, die endlich das Land beherrschten. Als das Grafenhaus von Tyrol ausgestorben war, kam das Land durch verschiedentliche Erbschaft ein Oesterreich (1363), ein Juwel in dessen Krone bis auf diesen Tag.
Der bayerische Kreis mit Ober- und Niederbayern, dem Erzbistum Salzburg, den Bistümern Freysing, Regensburg und Passau lehnt sich an die Tyroler Alpen bis zum südöstlichen Teile derselben, nordöstlich von den slavischen Ländern durch den Böhmerwald geschieden. Ein Teil des Landes ans rauher Hochebene die Donau entlang gelegen, prägte wohl den Charakter seiner Natur dem Volksstamme auf, der sich dort anbaute. Aber auch die nördlich von der Donau gelegenen Landstriche und die liebliche Oberpfalz hatten wetterharte Bewohner, deren Nachkommen auch heute noch eine seltene Naturkrast in allen Zügen tragen.
Den Kern des Kreises bildete das Herzogtum Bayern, durch Friedrich Barbarossa an Otto von Wittelsbach verliehen (1180). Besitzungen aussterbender, altbayerischer Geschlechter, geistliche Herrschaften, ritterliche Gebiete und Grafschaften waren allmählich in dem Herzogtum aufgegangen, als Ludwig der Bayer den deutschen Königsthron bestieg (1314 bis 13-47). Zn dieser Zeit starben die Assanier in der Mark mit Waldemar dem Großen aus, und Ludwig zog das Land, nach welchem alle Grenznachbarn die Hand ausstreckten, als ossenes Reichslehen ein, um es seinem Sohne Ludwig (d. Aeltern) zu verleihen, der aber bald nach Bayern zurückging und die Mark feinen jüngeren Brüdern überließ, Ludwig dem Römer und Otto dem Faulen.
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Von ihnen erlangte der deutsche Kaiser Karl IV. von Böhmen Lützelburg (Luxemburg) die Erbfolge in der Mark, die daun auf dessen Sohn Wenzel, von diesem auf Sigismund überging, der endlich seinen treuen Freund, den Hohenzoller Friedrich, Burggrafen von Nürnberg (1411), als Statthalter der Mark bestellte. Zwei Jahre später wurde dieser Kurfürst der Mark, die also in kaum hundert Jahren drei verschiedenen Fürstenhäusern angehörte und durch Untüchtigkeit und Untreue seiner Regenten in tiefen Verfall geraten war.
Der schwäbische Kreis umfaßte neunzig weltliche und geistliche Herrschaften, darunter Württemberg, Baden, Hohenzollern, die Bistümer Augsburg, Konstanz u. a. Er reichte im Csten bis zum Lech, im Süden und Westen bis zum Rhein, und, umschlossen vom Schwarzwald und der rauhen Alb, ist der Kern des alten Schwabenlandes die Heimat viel hehrer Fürstengeschlechter, unter ihnen der Hohenstaufen und der Hohenzollern. Inmitten der reichen und fruchtbaren Lande lagen die vielen reichen und trotzigen Städte, die vereint im schwäbischen Bunde ihres Landes und Volkes Rechte gegen den Uebermut der Herren in heißen Kämpfen zu schützen wußten.
„Wie haben da die Gerber so meisterhaft gegerbt.
Wie haben da die Färber so purpurrot gefärbt!"
Mächtige Reichsstädte, Ulm, Augsburg und viele geistliche Herrschaften gehörten zu Schwaben, und unter Maximilian erhielt Graf Eberhards „der mit dem Barte, Württembergs geliebter Herr", den Herzogstitel, bis dieser Titel später, freilich ein weites Vorgreifen, sich im Jahre 1805 zur Königswürde wandelte.
Ein besonders ruhmreiches Geschlecht des schwäbischen Kreises waren die Zähringer, die vornehmlich den Staufern in unwandelbarer Freundschaft verbunden waren. Ihre Stammburg war Zähriugeu bei Freiburg an der Dreisam, auch die Burg Baden am Oosbach, nahe den heilkräftigen Quellen, an denen sich schon die Römer anbauten (Baden-Badens war ihr Lieblingssitz. Gleich den Hohenzollern werden die Zähringer zuerst unter Kaiser Heinrich IV. und weiterhin als ein tapfres Geschlecht genannt, besonders aber um ihrer Treue willen gerühmt.
Die badische Landesgeschichte hat viele hehre Namen ihres Regentenhauses der Zähringer verzeichnet, von denen nur wenige geuauut sein mögen, wie Rudolf I. von Baden, der treue Freund Rudolfs von Habsburg. Sein Bruder, Markgraf Hermann VI., hatte sich
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mit der letzten Babenbergerin vermählt und war dadurch eine Zeit lang Herzog vou Oesterreich. Sein Sohn Friedrich starb mit seinen: Freunde Konradin, dem letzten Hohenstaufen, unter dem Henkerbeile des französischen Karl, von Anjou.
Der fränkische Kreis umfaßte die hohenzollernschen Besitzungen Ansbach und Baireuth, fünf freie Reichsstädte, darunter als die hervorragendste Nürnberg und verschiedene geistliche Gebiete, wie Bamberg, Würzburg, Eichstädt u. a. Die Fürstentümer Ansbach und Baireuth mit der Hohenzollernfeste Kadolzburg u. a. verdankten gleich den Zähringern, den Wittelsbachern und Habsburgern, dem Kaisergeschlechte der Hohenstaufen ihr Wachsen an Macht und Ansehn. Von ihnen erhielten sie zuerst das Burggrafentum Nürnberg, das unter Rudolf von Habsburg erblich wurde (1190). Sie vermehrten ihren Besitz durch große Sparsamkeit, durch Kauf und Heirat, und die deutschen Kaiser lohnten den Hohenzollern ihre opferwillige Hingabe an Kaiser und Reich durch manche königliche Zuwendung.
Unter Karl IV. wurden die Hohenzollern Reichsfürsten und blieben getreue Räte der deutschen Könige, bis Burggraf Friedrich VJ. als Kurfürst Friedrich I. die Mark Brandenburg erhielt, sein Sohn Albrecht Achilles aber die fränkischen Lande bekam, bis er selbst Kurfürst vou Brandenburg wurde.
Der Kurkreis und der oberrheinische Kreis umschlossen das reiche Gebiet des westlichen Deutschland, das heute mit dem weit umfassendsten Namen der Rheinlande bezeichnet werden kann. Reichtum, Kunst, Handel, Macht, alle Herrlichkeit weltlichen Glanzes ruhte auf diesen seit der Römerzeit hoch berühmten Teilen des deutschen Vaterlandes.
Der Kurkreis umfaßte den mächtigen Besitz der drei geistlichen Kurfürsten, Mainz, Trier und Köln, dazu die Kurpfalz, deren Lande einem reichen Garten gleich waren. Der Pfalzgrafen (Wittelsbacher) altes Stammschloß war die Perle des Neckarthales, Heidelberg. Der deutsche König Ruprecht entstammte der Kurpfalz (1400 bis 1410), und in der kurpfälzischen Linie sollte die Reformation viele glaubenstreue Bekenner finden. Auch die jungem Linien des Geschlechts, wie Pfalz-Neuburg, Pfalz-Zweibrücken, Pfalz-Birkenfeld greifen oft rühmlich in die vaterländische Geschichte ein. Ihnen entstammt das bayrische Königshaus.
Kurmainz, wegen seines Reichtums das „goldene Mainz" genannt, war seit Bonisacins' Zeit der erste Bischofssitz Deutschlands, und
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feine geistliche Herrschaft reichte von der Schweiz bis znr Elbe. Der Stuhl von Mainz war stets durch Glieder berühmter Geschlechter besetzt, und seine Kurfürsten hatten allezeit großen Einfluß auf die Kaiserwahl.
Kurtrier war ebenfalls ein mächtiger Bischofssitz. Die Hauptstadt Trier, welche schon zur Römerzeit entstanden war, lebte mit seinen kurfürstlichen Bischöfen meist in viel besserem Einvernehmen, als Kurköln, das wohl Deutsch-Rom genannt worden ist. Die Residenz bet Kölner Erzbischöfe, welche größtenteils rheinischen Fürstengeschlechtern angehörten, war Bonn, vielleicht, weil fast ununterbrochene Streitigkeiten den Kurfürsten mit der kirchenreichen Stabt Köln entzweiten, wo anßerbem Zünfte unb Gilben mit eincinber stritten. Doch blieb Köln eines ber mächtigsten beutschen Bistümer.
Dem oberrheinischen Kreise gehörte Nassau zum großen Teile an, bas in ber nassauer-oranischen Linie bas Stammhaus ber nieder-länbischen Könige zunächst in ben Erbstalthaltern würbe, unb bie Enkelin bes berühmtesten unter ihnen, bes glaubenstreuen Wilhelm oon Cranien, ber burch Meuchelmorb fiel, ist Louise Henriette, Gemahlin bes Großen Kurfürsten von Branbeuburg, somit Stammmutter ber preußischen Könige.
Der oberrheinische Kreis erstreckte sich bas ganze linke Rheinufer entlang von Basel bis zum hessischen Gebiet. Es war zum Teil bas altlothringische Lanb. Die Bistümer Metz, Toul, Verbun, Basel, Straß bürg, Speyer, Worms u. a., auch reichsfreie Städte, fürstliche unb gräfliche Herrschaften gehörten dazu. Das lothringische Gebiet, zum größten Teile deutsch nach Sprache und Bevölkerung, war stets ein Ziel französischer Gelüste. Das Herrscherhaus ber Lothringer wurde burch Verheiratung seines letzten Herzogs Franz Stephan mit ber letzten Habsburgerin Maria Theresia Stammhaus ber jetzt regierenben Kaiser von Oesterreich.
Der burgundische Kreis umfaßte ausschließlich habsburgisches Gebiet, 21 Herrschaften, barunter vier Herzogtümer unb acht Grafschaften. Er bestaub meist aus ben Säubern, bie aus Karls bes Kühnen Besitz auf bie Habsburger übergegangen waren unb reichte von ber Eifel herab über bie Niederlande hin mit bem Herzogtum Lützelburg (Luxemburg), bem Herzogtum Brabant, ben Grafschaften Namur, Hennegau utib Artois, Geldern, Holland, Seeland, Overysfel, Westfriesland und verschiedenen anderen Gebieten. Auch die Grafschaft Flandern, einst zum
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größten Teil französisches Lehen, mit den mächtigen Städten Brügge,
Apcrn, Gent u. ct. gehörte dazu.
Als ein Zeichen des ungeheueren Verkehrs allein in der Stadt Gent wird berichtet, daß man mittags zur Warnung für die Kinder eine Glocke läutete, damit sie auf den Straßen nicht im Gedränge der heimkehrenden Arbeiter zertreten würden.
Selbst die Franclie Comte, damals Freigrafschaft Burgund, gehörte als Erbschaft der Habsburger zu diesem deutschen Ländergebiet. Sie kam unter Ludwig XIV. an Frankreich.
Zum westfälischen Kreise mit den Herzogtümern, Jülich, Ktcoc, Berg, Oldenburg, Ostfriesland, vieleu Bistümern darunter Lüttich,
Münster, Paderborn, Osnabrück, Verdeu, gehörte auch die alte Graf-
schaft Mark, ein Kernland altgermanischer Kraft und Sitte. Die genannten Bistümer umfaßten weit mehr, als ihre Namen sagen unb waren zumeist Vesten der alten Sachsen und ihrer Bekehrung. So erstreckte sich das Bistum Münster über das ganze Münsterland und das jetzige südliche Oldenburg bis nach Osnabrück.
Diese Länder des westfälischen Kreises wußten wenig vom Reiche, und die von den eignen Feldern umschlossenen Höfe der alten Sachsen waren der Königssitz jedes einzelnen. Wüst, öde, unfruchtbar schlossen sich weite Haidestrecken an fruchtbare Felder, und lange Jahrhunderte hindurch war gerade hier die Lebensweise ber alten Germanen gewahrt, wie sie TacituS zur Römerzeit schildert.
Das nördliche Münsterlanb würbe burch Sanbsteppen unb Moore von betn üppigen Marschlanbe Ostfrieslanbs getrennt. Es war gleich Oldenburg unb Schaumburg (Lippe) burch seine Bewohner ein wertvoller Reichsbesitz; boch richteten auch hier bie Fehbett bes Mittelalters^ besonders ber Stabte gegen bie Herren, wie bie Soester Fehbe gegen ben Erzbischof Dietrich von Köln, viel Unheil im Laube an.
An ben westfälischen Kreis grenzte der niedersächsische Kreis, ber vom altsächsischen Holstein bis über ben Harz hinausreichte. Wird bas Lanb nörblich von Brannschiveig flach, vielfach Haibe und Moor (Lüneburger Haide), so waren das Marschland zwischen den Mündungen ber Elbe unb ber Weser, bas Erzstist Bremen, wie bie am Harz-abhange gelegenen Rcichsstäbte Norbhausen (golbne Aue) unb Goslar, bie Bischofssitze Magbeburg, Halberstadt unb HildeSheim reiches Land, und altehrwürbige Geschlechter hatten in beut nieberfächsischen Kreise ihre Heimat, wie bie Holsteiner, bic Mecklenburger, Welfen tt. a.
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Der obersächsische Kreis umfaßte viel weitere Landesstrecken. Er grenzte im Südwesten an den Thüringer Wald. Im Südosten vom Erzgebirge, im Nordwesten vom Harz begrenzt, reichte er im Nordosten über Pommern hinaus bis zur Ostsee. Viele selbständige Gebiete und große Herrschergeschlechter sind hier erwähnenswert, die Kurfürstentümer Sachsen-Wittenberg und Brandenburg, das anhaltische Fürstentum und der Besitz des Thüringer Landgrafen gehörten dazu. Das hierher gehörige Haus Wettin hat seine fürstlichen Nachkommen noch jetzt in den sächsischen Königen, Großherzögen und Herzögen von Sachsen, auch in Portugal, Belgien u. s. f. Die Askanier oder Anhaltiner (Albrecht der Bär) kolonisierten als Markgrafen von Brandenburg die Ebene von der Elbe bis zur Oder und führten durch den altsächsischen Volksstamm ihrer Heimat der meist slavischen Bevölkerung Brandenburgs ein neues Lebenselement zu. Sie hatten die Mark zwei Jahrhunderte lang segensreich regiert, als das Hans der Askanier mit Waldemar dem Großen erlosch (1319).
Das Pommerland bildete die Nordostgrenze Deutschlands.' Heinrich der Löwe hatte sich die pommerschen Herzöge zuerst lehnspflichtig gemacht. Nach dessen Fall kam Pommern an die Brandenburger Askanier, die es gegen einen Erbvertrag im Falle des Aussterbens wieder vom Lehnsvertrage frei gaben.
Das deutsche Ordensland.
Ein deutsches Reichs land, das, schon früher erwähnt, zu Ende des Mittelalters seine höchste Blüte erreichte, war das deutsche Ordensland, dessen Entwicklung kurz erwähnt sein mag.
In dem alten Bernsteinlande Preußens saßen einst die heidnischen Letten, die dem Christentum lange widerstrebt hatten. Mancher Bote des Evangeliums mußte dort den Märtyrertod erleiden, bis Hermann von Salza, der Hochmeister des deutschen Ordens, der zur Zeit der Kreuzzüge seine Thätigkeit im Orient heilbringend für deutsche Kreuzfahrer entwickelte, unter Bewilligung seines kaiserlichen Freundes, Friedrichs II., das Land mit Hülse der Schwertritter und anderer Kreuzfahrer eroberte und durch Gründung von Städten, Kirchen und Klöstern, durch Einführung deutscher Bildung und Sitte allmählich für Deutschland gewann. Doch hatten die Kämpfe um feinen Besitz 55 Jahre lang gedauert. Während dieser Zeit war die einheimische Bevölkerung fast völlig vernichtet, aber durch deutsche Einwanderung bald ersetzt worden.
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Deutscher Adel bildete den Stand der Landesritter, deutsche Bürger bevölkerten die Städte, und der deutsche Bauer erhielt Grundeigentum gegen Zins und Zehnten. Doch blieb der eingeborene Adel, so weit er sich dem Orden fügte, im Lande und erhielt Lehnsgut von den neuen Herren. So bestand das Volk aus zehntfreien Lehnsleuten, Zinspflichtigen und Leibeignen.
Allmählich breitete sich der Ordensbesitz, meist durch Kauf vergrößert, von Küstrin an der Oder bis zur Embach, d. h. fast bis nach dem heutigen Petersburg aus. Der Sitz der Hochmeister, einst in Accon, dann in Venedig, war seit 1309 die prachtvolle Marienburg an der Nogat. Die eigentümliche Verfassung des Landes bot das Bild der Herrschaft eines ritterlichen Mönchsordens, wie sie die Johanniter, später Maltheser auf Rhodus und Malta ausübten, und der deutsche Ordeu war als solcher Herr eines Landes, das im 14. Jahrhundert in höchster Blüte stand.
Der Hochmeister fand zunächst, als er noch in Accon weilte, seine Vertretung in den Landmeistern, die an den Rat des Ordensmarschalls und der Komture gebunden waren, welche als Vorstände der Landschaften galten. Sie standen an der Spitze von Ordenshäusern, in denen oft bis zu 50 Rittern einen Konvent bildeten. Die Komture hatten die Ordensregeln streng und rein zu wahren und neben dem Geist christlicher Zucht ritterliche Tapferkeit zu pflegen. Kirchlich war das ganze Ordensl.md in vier Bistümer geteilt, an deren Spitze Ordensbrüder standen.
Unter menschlich edler Regierung und Verwaltung des Ordens erblühte der Wohlstand des Landes, Handel und Schiffahrt bereicherten die Städte, und der Bauer war wohlhabend neben dem reichen Adel. Als aber die Ordensstände immer mehr Anteil an der Regierung beanspruchten, die der Hochmeister gleich einem königlichen Herrscher ausübte, war der erste Schritt zum Verfall der Ordensmacht gethan. Ritter und Städte schlossen den sogenannten „preußischen Bund" mit einander und verlangten Zugeständnisse, die.der Hochmeister gewähren mußte, wenn er in ihnen Verbündete finden wollte, um das Ordensland gegen äußere Feinde zu schützen. Aber diese, es waren besonders die Litauer und die Polen, hatten später einen guten Bundesgenossen an der Habsucht und Ueppigkeit, der Ungerechtigkeit und Uneinigkeit der Ordensritter selbst.
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Als Jagiello, der Großfürst von Litthauen, durch seine Vermählung mit Hedwig von Polen deren Erbe gewann und mit seinem ganzen Volke zum Christentum übertrat, entstand in seiner Herrschast eine slavische Macht, die in fanatischem Haß erfolgreich den Kampf gegen die stets befeindeten deutschen Grenznachbarn aufnahm. Die mörderische Schlacht bei Tannenberg, nicht weit von der Weichselmündung, brachte dem deutschen Orden eine furchtbare Niederlage (1410). „Unter Gewitter, Sturm und Regenflnten kämpften die deutschen Ritter, ihres Ordens und des deutscheu Namens würdig." Die vornehmsten Komture fielen neben ihrem tapfern Hochmeister Ulrich von Jnngingen. Noch kämpfte später der tapfere Heinrich von Plauen erfolgreich um den Besitz der Marienburg, und es gelang ihm auch für kurze Zeit, fast das ganze Gebiet des Ordenslandes wieder zu erobern; aber um der ihnen vom Orden auferlegten Kriegssteuern willen mochten die Bewohner des Ordenslandes lieber unter reicher polnischer Oberhoheit stehen. Der Orden wurde immer ärmer und machtloser; er mußte seine Burgen verpfänden und verkaufen, und der Hochmeister Ludwig von Erlinghausen vermochte endlich nicht einmal die Marienburg einzulösen. Er verließ weinend den Hochsitz des Ordens (1453).
Noch jahrelang dauerte der Kampf des deutschen Ordens gegen die Polen und gegen die Empörer im eignen Lande. Endlich mußte er im Frieden von Thorn ganz Westpreußen (1466), das Bistum Ermeland, die Städte Elbing und Thorn an Polen abtreten und das übrige Ordensland von diesem als Lehen annehmen. Die deutschen Kaiser aber, die keinen Anteil an der Arbeit des deutschen Ordens gehabt, das heidnische Land dem Reiche zu gewinnen, thaten eben so wenig dazu, es für Deutschland zu erhalten. Es blieb dem Hanse Hohenzollern vorbehalten, das Ordensland Preußen zu neuem Leben zu erwecken. Doch gehört das dem Anfange des sechzehnten Jahrhunderts an.
Die Friesen, Stedinger und Dithmarsen.
An den breiten Flußmündungen der Ems, der Jahde, Weser unb Elbe, noch höher hinauf der Eider zu, wohnte das tapfere Volk der Friesen, die im Kampfe mit der gewaltigen Natur, mit den Sturmesfluten des Meeres, sich altgermanische Einfachheit und Sitten, auch die Gemeinfreiheit der Väter bewahrt hatten.
Schon Karl der Große erließ ihnen jede Pflicht einer Heerfahrt in die Ferne; sie hatten mit den Naturgewalten der Heimat schwerer zu ringen, als die kaiserlichen Heere mit den Feinden. Es gab dieser Kampf um die heimatliche Scholle, der allen mehr oder weniger notwendig wurde, eine Gleichheit, aus der ein Einzelner nicht leicht hervorragte, und darum konnte der Adel hier keine Herrschaft gewinnen. Die Bischöfe hatten Grafenrechte, die sie aber nicht als Landesherren gebrauchen konnten, und das freie Volk schloß gleich den Schweizern eine Eidgenossenschaft, um sich gegen feindliche Grenznachbarn zu schützen. Es war der Bund der sieben friesischen Seelande: Westfriesland, Westergau, Ostergau, Drente, Groningen, Emden (Ostfriesland) und Rüstringen.
Weiter östlich an der untern Weser saßen die Stedinger. Sie waren gleich den Dithmarsen an der Westküste Holsteins friesischen Stammes, aber mit sächsischen Elementen gemischt und gehörten unter den Grafenbann der Erzbischöfe von Bremen. Im heldenmütigen Kampfe gegen diese (1234), auch gegen die Bischöfe von Münster, Lübeck, Ratzeburg, gegen die Grafen von Holland, Kleve, Oldenburg und die Herren von Brabant waren sie unterlegen. Sie wollten „eher zweimal sterben, als zum Schimpf und Spott gottloser Priester leben."
Der Haß hatte sich aus kleinen Ursachen entwickelt, und die Sage berichtet darüber: Einem Priester war der Beichtpfennig einer Bäuerin zu gering, er gab ihr diesen statt einer Hostie in den Mund. Voll Entsetzen war die Frau hinweggeeilt, in dem Glauben, die Hostie habe sich ihrer Sünde wegen in Stein verwandelt. Als aber des Priesters L hat offenbar wurde, spaltete ihm der Mann der Bäuerin den Schädel, und der gauze Stamm nahm den Kampf gegen die Priesterherrschaft auf. Dafür wurden die Stedinger als Ketzer verdammt und der Vernichtungskrieg gegen sie galt als ein heiliger Kreuzzug.
Ihre freien Bauerngemeinden waren der Uebermacht der Feinde bis zur Vernichtung erlegen; aber noch Jahrhunderte lang kämpften die letzten Elemente dieses Friesenstammes um ihre alten Freiheiten. Mit dem Mittelalter endete auch die Selbständigkeit friesischer Eidgenossen ; aber ihre Kraft lebte weiter in einem selbstbewußten, kräftigen Gemeindeleben aller friesischen Lande.
Auch die sächsischen Dithmarsen gewähren in ihrer ritterlichen Kraft und Ausdauer ein herzerquickendes Bild der Geschichte zu einer
o v n a f, Unser Vaterland. 00
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Zeit, in welcher der deutsche Name seinen hohen Klang unter den
Völkern längst verloren hatte.
Zur Zeit des Interregnums, noch weiter unter Otto IV., hatten die Dänen sich das Land der Dithmarsen unterworfen. Zwar hatten sich Holsten und Dithmarsen in der blutigen Schlacht bei Bornhöved frei gemacht (1227) von der Dänenherrschaft und waren als freie Männer, unter denen die Edelleute mit den Bauern „zu gleichem Recht" gestellt waren, zu ihrer einfachen Hantierung zurückgekehrt. Ihre Schutzwaffe war das altsächsische Beil und das kurze Schwert; sie
duldeten die Vögte des Bremer Erzbischofs nur, wenn sie aus dem
Stamme der Dithmarsen waren. Aber „es kann der Beste nicht im
Frieden leben, wenn es dem bösen Nachbar nicht gefällt". Die fürstlichen Nachbarn, die Herzöge von Mecklenburg und andere Herren, brachen in das Land. Die Dithmarsen hatten sich endlich in der Kirche von Oldenvörde verschanzt. Aber die Feinde legten Feuer darum her, und schon loderten die Flammen an dem Gotteshause empor, das Blei träufelte an den Fenstern herab, da überlegten die Dithmarsen, daß, sollte es nun einmal in den Tod gehen, noch mancher Feind mit ihnen gehen könne. Wild brachen sie aus ihrem feurigen Gefängnis hervor und besiegten die schon triumphierenden Feinde. Ein ehrenvoller Friede kam zu stände; aber die Dithmarsen blieben immer auf der Wacht gegen die mächtigen Feinde. Als gar Kaiser Friedrich II. den Dänenkönig mit dem Lande „Dyetmarn" belehnte, „einem herrenlosen, seine Freiheit mißbrauchenden Lande", da mußte sich das Volk wieder ernstlich zur Notwehr rüsten.
Obgleich der Kaiser später des eignen Vorteils wegen die Schenkung zurückzog, auch Christian I. von Dänemark starb, rüsteten doch seine Söhne, Johann, König von Dänemark, Schweden und Norwegen, Herzog von Schleswig-Holstein (das sich selbst den dänischen König als Schutzherrn erkoren) ein großes Heer gegen die „Bauern". Ritter und Söldnertruppen, darunter die „große Garde", kamen voll Uebermut in das Land der Dithmarsen. Grausamkeit und Verwüstung bezeichneten ihren Weg.
„Wahr di Buer, de Garde de kumt!" sangen die voran stürmenden Truppen. Aber da stockte der Zug; quer über den Weg war eine Schanze gezogen, und dahinter hatten sich wohl tausend tapfere Dithmarsen verborgen. Es war bei dem „Dusenddüwelswars", wo die Marsch zu beiden Seiten am tiefsten ist. Zum Unglück für die Dänen
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trat noch Tauwetter ein und machte die Untiefen völlig unüber-schreitbar. Je weiter die Dänen vordrängten, desto schlimmer für sie. „Wahr di Garde, de Buer de kumt!" Damit brachen die Dithmarsen Llus ihren Schlupfwinkeln hervor. Mit ihren langen Springstöcken setzten sie leicht über die ihnen wohl bekannten Untiefen; Panzer beschwerten ihren behenden Körper nicht. Auch Frauen und Mädchen kämpften in den Reihen der Männer, und die Dänen hatten trotz der Hebermacht ihres Heeres einen harten Stand.
Da zogen die Meldörfer, unter denen die Dänen so grausam gewütet hatten, die Schleusen auf, daß der Nordwestwind die totbringenden Wogenmassen über die Ebene trieb, und die Feinde „segen nich anderes vor ehren Dogen, als den unerheblichen Seventfrceter, den Dooth."
„Gistern waren se alle rike nu steken se hier in den schlicke, gistern vörden se einen hogen mod, nu hacken en de raven de ogert ut",
sang ein plattdeutsches Volkslied. Die Dithmarsen aber waren frei und blieben es, bis sie, durch Parteiungen geschwächt, ihre Freiheit an Holstein verloren und damit unter Dänemark kamen (1559). Auch das gehört späterer Zeit an und führt neueren Zuständen und einer neuen Gestaltung Deutschlands entgegen.
2. Die (Erfindungen nnd Entdeckungen zu Ende des Mittelalters.
Die ersten Anregungen zur Gestaltung einer völlig neuen Zeit gaben zahlreiche Erfindungen und die Entdeckung der bis dahin unbekannten Weltteile auf der westlichen Halbkugel unserer Erde. Sie übten <mf Handel und Gewerbe, Kultur und Völkerleben einen weltbewegenden Einfluß aus, an welchem Deutschland, als das Herz Europas, reichen Anteil hatte.
Im Altertum hatten sich die Seefahrten fast nur auf die Küstenschiffahrt beschränkt, die unabsehbare Wasserwüste des Weltmeers war unbekannt, und der endlich sichtbare Horizont, an dem die Sonne abends ins Meer sank, um am Morgen neu geboren daraus zu erstehen, hieß das Ende einer Erdenwelt, die eine große Scheibe sein
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mußte. Kühnere Seefahrten, welche das Wagnis unternommen hatten, diesem Ende der Welt entgegen zu segeln, Stellung und Wandel der Sterne als Wegweiser nehmend, verloren sich meist als abenteuerliche Reisen, deren Berichte in das Reich der Sage gehörten.
Da bahnte die Erfindung eines kleinen Instruments, des Kompasses, sichere Straßen durch die unendliche Gleichförmigkeit des-Weltmeers. Nun mochten Wolken die leitenden Sterne des Himmels-bedecken, selbst die Sonne ihren Schein verlieren, die Nadel des Kompasses irrte nicht. Sie zeigte auf der Windrose jede Himmelsrichtung auf das genaueste, selbst inmitten des Schiffsraumes an, und bn j Fahrzeug konnte sicher durch die Wogen ziehen, wenn nicht Sturm,, ungeahnte Felsenriffe oder feindliche Seefahrer und Seeräuber ihm Gefahr brachten.
Es ist nicht festzustellen, wer bie Entbeckung machte, baß Eisen^ an zwei entgegengesetzten Enden mit einem Magnetstein bestrichen, mit der Spitze nach Norden zeigte, somit in der entgegengesetzten Richtung nach Süden, wenn es, als Magnetnadel frei auf einem Stäbchen fchwebend, sich ungehindert bewegen konnte. Nach einigen ist der Neapolitaner Giri im vierzehnten Jahrhundert der Erfinder gewesen, nach andern Flavio Gioja; auch ist behauptet wordeu, sie hätten nur verbessert, was schon im zwölften Jahrhundert erfunden wurde.
Auch Zeit und Urheber einer zweiten Erfindung, der des Schieß-pulvers, werden verschieden angegeben. Die Chinesen wollen es schon vor fast zwei Jahrtausenden besessen haben, durch die Araber soll es-bereits im achten Jahrhundert aus dem Orient mit nach Spanien gebracht worden sein. Sicher wurde es schon im zwölften Jahrhundert in Deutschland als Sprengmittel gebraucht. Um die Mitte des vierzehnten Jahrhunderts lernte ein Franziskanermönch zu Freiburg in Baden, Berthold Schwarz, die ungeheure Wirkung einer Mischung von Schwefel, Kohlen und Salpeter kennen, als er diese zu Pulver in einem Mörser zerstampfte. Mit erschütterndem Knall flog der steinerne Stößel in die Luft, als die Masse durch einen zufälligen Funken berührt wurde. Der erste Schrecken wich bald der ruhigen Ueberleguug, daß ein Mörser mit solcher Füllung im Kriegshandwerk eine starke Waffe werden könnte. Der Mönch mochte seine Erfahrung bei Gelegenheit einem Kriegsmann, vielleicht einem hochstehenden Herrn mitgeteilt haben, der Söldnertruppen, Landsknechte, in den Kampf gegen die Städte führte-
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Man füllte mörserähnliche Röhren mit der'feuerspeienden Masse, legte einen starken, spitzen Stein vor die ausgehende Oeffnung, eine zündende Lunte an ein kleines Loch, das man in die geschlossene Seite des Mörsers bohrte, und der Stein flog, von dem Pulver getrieben mit furchtbarer Gewalt der Richtuug zu, wo Wälle und Mauern den Eingang wehrten. Aus diesen Mörsern, schwerfälligen, riesigen Ungetümen, Donnerbüchsen genannt, entwickelten sich die größeren und kleineren Kanonen, deren kleinste das Schießrohr wurde, das jeder Krieger als Todeswaffe in feine Hand nahm Welche Wandlungen Donnerbüchse und Gewehr vom Schleudern der einfachsten Steinkngel (ars tollendi, daher Artollerie) bis zum rauchlosen Schießen der Gegenwart durchmachte, bedarf keiner Beschreibung. Wie verächtlich zunächst die Höllenmaschine, als welche die Schießwaffe mit dem Gebranch des Pulvers anfangs galt, dem ritterlichen Kampf und dem Waffenspiel sein mochte, t)ie nur auf persönlicher Tapferkeit jedes Einzelnen beruhten, das höllische Pulver siegte doch so völlig, daß man sich noch heute müht, seine furchtbaren Wirkungen zu erhöhen.
Als die großartigste und weitgreifendste Erfindung des Mittel-tfltcrS muß die Buchdruckerkunst gelten. Jahrhunderte lang hatten besonders fleißige Mönchshände Bücher geschrieben, gemalt, die Schriften der Alten ans den Pergamentrollen vervielfältigt und in Jahren, vielleicht in einer ganzen Lebenszeit, ein Werk vollendet, das heute eine Tagesarbeit beansprucht. Das waren kostbare Bücher, eine geschriebene Bibel soll 300 Thaler gekostet haben, ein Geldwert, der nach heutiger Rechnung viel mehr als das Zehnfache ist. Kein Wunder, daß man solche Bücher an Ketten befestigte. Das war Brauch geworden, damit niemand solchen Schatz mitnehmen konnte.
Wie der Unterricht in den Schulen ohne Bücher gehaudhabt wurde, scheint heute kaum verständlich. Wurde weniger gelernt, so wurde auch Las Wenige sicher für Lehrer und Schüler schwer genug, und manches Hülfsmittel mag nötig gewesen sein, das heute unbekannt geworden ist. Zn Anfang des vierzehnten Jahrhunderts schnitt man in hölzerne Täfelchen Heiligengestalten ein, die man mit Farbe bestrich und auf Holz, Pergament oder Papier abdruckte, das etwa hundert Jahre früher in Süddeutschland erfunden war. Die schwäbische Stadt Ravensburg hatte 1324, Nürnberg 1390 eine Papierfabrik; doch ist schon aus dem ,<zahre 1318 eine Urkunde vorhanden, die auf Leinenpapier geschrieben
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wurde, dessen Erfinder unbekannt ist. Die Heiligenbilder druckte matt bald als Glücksbringer auf die eben erfundenen Spielkarten ab, und weil die Ausführung meist so roh war, daß die Heiligen nicht zu unterscheiden waren, schrieb oder druckte man ihre Namen darunter, bald-auch einen Spruch, einen Vers. Daraus wurden endlich Seiten. Richtig, das ging, war die Druckschrift auch etwas unleserlich, so war sie doch schneller hergestellt, als mit der Feder. Aber man brauchte so viele Holztafeln, wie ein Buch Seiten hatte, und die vielen Holztafeln, welche auch nicht von zu langer Dauer waren, konnten doch nur immer dasselbe Buch drucken.
Da kam ein deutscher Edelmann aus Mainz, Johann Genssleisch (geb. 1501), der von seiner Mutter, als der letzten ihres Geschlechts, den Namen Gutenberg angenommen hatte, auf den Gedanken, einzelne Schriftzeichen in kleine Stempel oder Stäbchen zu schneiden, daher Buchstabe. Aus den zerbrechlichen Holzstäbchen wurden bald bleierne, bann zinnerne; auch eine Presse wurde dazu erfunden (1439 . Noch fehlte viel, daß der Abdruck eines Buches schön zu nennen gewesen wäre, und Gutenberg hatte schon all seinen Besitz geopfert, ohne die Erfindung, ausreichend verbessert zu haben. Ein reicher Goldschmidt, Johann Fnst zu Mainz, half aus der Geldnot, und der Pfarrer Peter (Schösser (1450) zu Germersheim kam der Sache mit viel gutem Rat zu Hülfe. Er mischte eine gute Druckerschwärze, ließ die Buchstaben in festes Metall schneiden und fügte diese in weichere Metallhüllen. Statt sie einzeln zu seilen und zu schneiden, wurden sie später gegossen. Das erste große Werk (1456), das mit diesen vervollkommneten Lettern gedruckt wurde, war eine dreibändige, lateinische Bibel. Gutenberg, der dem habsüchtigen Goldschmidt das Geld nicht schnell genug zurückzahlen konnte, mußte ihm endlich alle Druckgerätschaften überlassen und froh sein, einen Dienst beim Kurfürsten von Mainz zu bekommen, ohne an den wachsenden Erfolgen der Buchdruckerkunst teilnehmen zu können, welche von den Mönchen als schwarze Teufelskunst gescholten wurde. Denn sie verloren durch dieselbe den einträglichen Verdienst des Bücherabschreibens und hätten gern gewußt, wie man diese Hererer selber betreiben könnte. Aber nur bei verschlossenen Thüren durften die Druckergehülfen arbeiten, und alle mußten sich eidlich verpflichten, die geheime Kunst nicht zu verraten.
Erst als Mainz im Streite zweier Bischöfe zerstört wurde (1462), öffnete sich auch die Buchdruckerwerkstatt für die Buchdruckergehülfen,
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welche dort gleich Gefangenen gearbeitet hatten, wenn auch um hohen Lohn. Die Buchdrucker zogen in alle Welt und ihre Kunst mit ihnen.
Gutenberg starb arm und vergessen; aber vier Jahrhunderte später errichtete ihm die dankbare Nachwelt in seiner Vaterstadt Mainz ein herrliches Denkmal.
Der Kunst, Bücher zu drucken, folgte bald diejenige, Bilder in Kupfer zu stechen (1450). In ihren ersten Anfängen von einem Juden, Israel von Mecheln, erfunden, wurde sie doch erst zur Kunst vollendet durch den Nürnberger Maler Albrecht Dürer. Auch darf sich Nürnberg rühmen, eine für jedermann angenehme Erfindung in den Taschenuhren gemacht zu haben, „Nürnberger Eierlein" genannt, weil sie diesen in ihrer nicht allzu zierlichen Form gleichen mochten. Schon in den ältesten Zeiten hatte man die viel Wechselfällen der Beleuchtung unterworfenen Sonnenuhren, denen später zu Julius Cäsars Zeiten die Wasseruhren folgten. Eine solche brachte einst der Kalif Harun al Raschid Karl dem Großen zu Geschenk, und im Laufe der Jahrhunderte waren Räder-, Schlag- und Turmuhren künstlichster Art entstanden, bis das feine Räderwerk der Taschenuhr zu Anfang des sechzehnten Jahrhunderts mit der Herstellung der „Sackuhren" begann (1509).
Allen diesen wichtigsten Erfindungen des Mittelalters, deren Tragweite im Verlauf der Geschichte ruht, reihten sich die Entdeckungen neuer Erdteile an, welche ohne jene Erfindungen kaum möglich gewesen wären. War Deutschland bei den Erfindungen des Mittelalters fast allein beteiligt, die Entdeckungen lagen nur in der Hand der Völker des südlichen Europa. Doch waren sie auch für Deutschland von großer Bedeutung.
3. Die Entdeckungen der Portugiesen und der Spanier.
Einst ivar die pyrenäische Halbinsel, welche jetzt die Königreiche Spanien und Portugal umschließt, von Germanen erobert worden. Außer den Sueven im Nordwesten, den Vandalen in Andalusien, saßen dort die Westgoten, die auch das südliche Frankreich inne hatten. Toulouse war ihre Hauptstadt. Ihre Herrschaft war zu Anfang des achten Jahrhunderts sehr in Verfall geraten, und die Kinder des Westgotenkönigs Vitigo riefen die Araber zu Hülse gegen den Westgoten-fönig Roberich, der ihren Vater vom Throne gestoßen hatte. Die
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Araber kamen, eroberten aber Spanien für sich (711). Ein kleiner Rest des Gotenstammes flüchtete sich in die asturischen Gebirge und bewahrte die christliche Religion inmitten des sich im Fluge ausbreitenden Islam.
Durch ihre Siege ermutigt, überfluteten die Araber auch das südliche Frankreich, bis die Franken unter Karl Martell ihrem Siegeslauf durch die Schlachten bei Tours und Poitiers (732) ein Ziel gesetzt und sie über die Pyrenäen zurückgedrängt hatten. Allmählich hatten sich die asiatischen Fremdlinge in den neuen Wohnsitzen der pyrenäischen Halbinsel häuslich eingerichtet, feste Städte gegründet und mit dein ganzen Reich-tun: orientalischen Kunstsinns herrliche Bauwerke aufgerichtet, deren Reste noch heute die Bewunderung fesseln. Allein die Stadt Cordova soll unter 212,000 Gebäuden 600 prächtige Moscheen besessen haben. In den volkreichen Städten blühten Handel und Gewerbe, Kunst und Wissenschaft zu einer Zeit, in der Deutschland noch recht wenig davon kannte, und die Christen ferner Länder verschmähten es nicht, auf den Hochschulen der Araber von den Ungläubigen die Weisheit der Medizin, der Sternkunde uud anderes zu lernen.
Aber wie überall brachte auch hier der reiche Ueberslnß und Wohlstand Ueppigkeit und Uebermut. Das frühere Wasfenglück verließ die im üppigen Lebensgenuß verweichlichten Araber. Sie verloren eine Provinz nach der andern, und die Christen, welche besondere Ritterorden gegen diese Ungläubigen gegründet hatten, den Orden von Cala-trava, von St. Jago und Alcantara, erlangten das Uebergewicht in den Provinzen Aragonien und Kastilien. Dieses wurde im Jahre 1028 ein Königreich, jenes 1035. Seit dem Siege der Christen über die Maureu bei Tolosa (1220) war deren Macht für immer gebrochen, und den Arabern blieb nur Granada, das sie noch zwei Jahrhunderte lang zu halten vermochten. König Ferdinand der Katholische von Aragonien (1492), mit Jsabella, der Erbin von Kastilien, vermählt, vertrieb die Araber aus Europa, nachdem sie zehn Jahre lang einen verzweifelten Kampf um die letzte Scholle eines herrlichen Landes gekämpft, das ihnen fast acht Jahrhunderte hindurch eine gastliche Heimat gewesen war. Der letzte maurische Herrscher, so wird erzählt, vergoß heiße Thränen, als er aus [einer Königsveste zu Granada fliehen mußte. Und noch einmal sich umwendend nahm er mit einem letzten Blicke Abschied, da eben das Kreuz aus der Alhambra ausgerichtet wurde.
Unter den blutigen Kämpfen des Christentums gegen den Muha-
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medanismus hatte sich ein zielbewußtes Volksleben, ein ritterlicher Sinn des siegreichen Adels in Spanien herausgebildet, dessen Streben dahin ging, das Land für alle Zelten vor den Ungläubigen zu schützen. Mauren und Juden, so war auch des Königs Besehl, sollten entweder das Land verlassen oder Christen werden. Die Befolgung des Gebots überwachte ein königliches Glaubensgericht, das seine Macht auch über Geistliche und weltliche Große geltend machte.
Was hier in großen Zügen von Spanien, dem östlichen Teile der pyrenäifchen Halbinsel gesagt ist, entwickelte sich in fast gleicher Weise im Westen, in Portugal. Dort hatte im Jahre 1096 ein tapferer Kapetinger aus Frankreich, Heinrich von Burgund, anfangs im Dienste des Königs von Kastilien, am Kampfe gegen die Ungläubigen teilgenommen. Zum Lohn für seine Tapferkeit hatte er die Hand der Königstochter erhalten und war zum Statthalter der eroberten Lande (portncalia) gesetzt worden. Sein Sohn und Nachfolger Alfonso hatte Siege und Eroberungen des Vaters fortgesetzt und war nach einem glänzenden Siege über die Mauren bei Durique von seinem begeisterten Heere zum König von Portugal ausgerufen worden.
Die Portugiesen suchten ihre Feinde, die sie über das Mittelmeer zurückgedrängt hatten, selbst in Afrika auf, und dies eröffnete Lust und Gelegenheit zu weiteren Seefahrten, an denen besonders der Königssohn Heinrich, der Seefahrer genannt, das größte Interesse hatte. Er floh das Geräusch des Königshofes, studierte lieber auf seinem einsamen-Schlosse zu St. Vincent Mathematik, Sternen-, und Schiffahrtskunde und forschte nach allem, was fremde Seefahrer, die seine gern gesehenen Gäste waren, zu berichten hatten.
Die Handelsverbindungen nach Asien, die einst durch die Kreuz-züge eröffnet wurden, waren in den Händen arabischer Kaufleute. Ueber den persischen Meerbusen nach Syrien, über den arabischen nach Aegypten gebracht, wurden die Schätze des Orients von italienischen Händlern nach dem Norden Europas übermittelt. Daß es von dort auch einen Seeweg nach Asien, besonders dem schätzereichen Indien gebe, war nicht bekannt. Man wußte nicht einmal, wie weit sich die große Wüste Afrikas nach dem Süden hin erstreckte. Auch fürchtete man die Sonnenglut an der Linie (Aequator), von der es hieß, daß sie alles versenge und wo das Wasser des Meeres, kochend heiß, Ungeheuer beherberge, welche ganze Schiffe durch die Kraft ihrer Riefenleiber in die Luft zu schleudern fähig feien. Nun hatte Heinrich der
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Seefahrer manche sichre Kunde über Afrika erlangt und wußte, daß solche Gerüchte lauter Märchen waren (1418). Er sandte ein gut ausgerüstetes Schiff unter dem geschickten Seefahrer Perestrello aus, um die unbekannte See an der Westküste Afrikas zu erforschen. Dieser stieß zuerst auf die kleine Insel Porto Santo, weiter hin auf Madeira, beide nicht von Menschen bewohnt und mit dichtem Wald bedeckt. Die Wälder Madeiras, welche die Portugiesen anzündeten, sollen sieben Jahre hindurch gebrannt haben. Ihre Asche wurde der günstige Boden für Anpflanzungen von Weinrebe und Zuckerrohr. Später erreichte
Perestrello die kanarischen Inseln, die Heimat der Kanarienvögel, wo
feuerspeiende Berge schon der Anfang der brennenden Linie zu sein schienen.
Die Meisten wären am liebsten umgekehrt; doch wußte der kühne Führer zu beschwichtigen, und weiter zog das Fahrzeug dem Süden zu. Da erhob sich plötzlich eine riesige Felswand vor ihren Augen, brausende unabsehbare Strudel verwirrten den Lauf des Schiffes. Gewiß war
hier das Ende der Welt, die sich mit einer Mauer umschloß. Es
war das Kap Non. .
Ein Kühnster unter den Mutigen erbot sich, das furchtbare Kap zu umschiffen (1433). Bald folgten die Uebrigen, und weiter ging es unter jahrelangen Beschwerden, bis endlich Guinea erreicht wurde (1462), wo die mutigen Seefahrer durch Gold, Elfenbein und andre Schätze •für die lange beschwerliche Reise entschädigt wurden. Endlich war auch die gefürchtete Linie erreicht; aber das erwartete Feuer war nirgends zu sehen (1463). Da Heinrich der Seefahrer im folgenden Jahre
starb, waren die Portugiesen zufrieden, die Reichtümer der Westküste Afrikas nach Portugal führen zu können, und der großartige Gedanke, auf diesem Wege nach Ostindien zu kommen, war fast vergessen, als König Johann II. von Portugal des alten Planes gedachte (1486)
und den Seefahrer Bartholomäus Diaz mit einigen Schiffen nach
Afrika sandte, die Küste soweit nach Süden entlang zu fahren, bis das Land Afrika aufhören würde.
Heftige Stürme trieben die Fahrzeuge westwärts in den weiten Ozean, und die Schiffsleute empörten sich, weil ihr Führer sie nur in den sichern Tod gehen heiße. Dieser mußte nachgeben und die Rückfahrt nach Spanien antreten, fand sich aber wiederum dem Sturme widerstandslos preisgegeben, der ihn diesmal glücklich an die Südspitze Afrikas trieb. Bartholomäus Diaz nannte das Vorgebirge, das ihm
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und den Seinen ein rettender Hafen vor sichern Stürmen wurde, das „Kap der Stürme". Als aber sein König davon hörte, rief er jubelnd: „Nein, Vorgebirge der guten Hoffnung sollen die Felsen heißen, welche uns nun hoffen lassen, den Seeweg nach Ostindien zu finden!"
Doch vergingen wiederum Jahre, bis ein neuer König, Emanuel der Große, vier Schiffe ausrüstete, mit denen ein erfahrener Seemann, Vasco da (Santa, nach Ostindien fahren sollte. Er segelte an der Ostseite Afrikas, an der Küste Mozambique, empor bis zur Stadt Melinde, wo ein Negerfürst die Fremden gastlich aufnahm und ihnen den Weg nach Indien zeigte, das die Portugiesen im Jahre 1498 erreichten.
Das war nicht ein Land voll wilder Völkerschaften gleich Afrika. In der Stadt Kalikut herrschte sichtbarer Wohlstand, und ihr Herrscher, der Zantorin, empfing die Portugiesen eben so freundlich, wie vorher der König der Stadt Melinde. Aber mnhamedanische Kaufleute sahen scheel dazu; sie fürchteten mit Recht in den Portugiesen Nebenbuhler und wußten sie dem Zamorin als Seeräuber zu verdächtigen. Vasco da Gama mußte eiligst mit den Seinen fliehen, langte aber erst nach zwei Jahren in Portugal an, wo er vom König mit höchsten Ehrenbezeugungen empfangen wurde. Ostindien wurde von jetzt an das erstrebenswerte Ziel portugiesischer Seefahrer. Doch ehe noch die Portugiesen festen Fuß in Ostindien fassen konnten, hatten die Spanier eine völlig unerwartete Entdeckung gemacht, Amerika.
Gleich einer Sage ging die Kunde von den wunderbaren Seefahrten der Portugiesen durch die europäischen Lande. Besonders in den Städten am Mittelmeer regte sich die Lust zu ähnlichen Unternehmungen. In der Vorstadt St. Andrea zu Genua lebte ein Schiffer, namens Columbo, der seinen kleinen Sohn Christof nach Schifferart oft mit hinaus nahm auf die wogende See. Als dieser größer wurde, kannte er nichts lieberes, als das Meer, hatte auch schon als vierzehnjähriger Knabe an einem Kriegszuge der Venetianer gegen die Mnhamedaner teilgenommen und sich durch einen kühnen Sprung ins Meer gerettet, als das Schiff, auf dem er sich befand, in Brand geraten war.
Durch solches Mißgeschick war er nur noch thatendurstiger geworden. Er wollte mehr von der Welt jenseits des großen Wassers sehen, und durfte zunächst Verwandte in Lissabon besuchen. Dort heiratete er später die Tochter jenes Bartholomäo Perestrello, der die erste Expedition
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Heinrichs des Seefahrers um die Westküste Afrikas her geführt hatte, lernte bei diesem die besten Instrumente zur Schiffahrt 'kennen und erfuhr manches, was ihm zn denken gab. Da wurde erzählt, portugiesische Schisse hatten von Westen her wunderliches Rohr und Holz anschwemmen sehen; sogar Leichname von besonderer Farbe und Gesichtsbildung waren am Ufer der Azoren gelandet. Und in dem jungen Columbns entstand das Bild eines unbekannten Landes, das dort im großen Weltmeer liegen mußte. Wenigstens mußte man, wenn die Erde wirklich rund war, auch von der westlichen Seite nach Ostindien kommen können, ohne ein Afrika umschiffen zu müssen.
Immer lebendiger wurden diese Vorstellungen, immer heißer das Verlangen des thatenlu|tigen Seemanns, den großen Seeweg unternehmen zu können, den er längst klar geplant hatte. Selbst mittellos, hoffte er anfangs von seiner Vaterstadt Genua Unterstützung. Man verlachte ihn als einen Schwärmer. Daun wandte er sich an den König von Portugal, Johann II., der sich eingehend über alles berichten ließ, was Columbns wußte oder vermutete. Aber während dieser aus günstigen Bescheid wartete, segelten heimlich königliche Schiffe hinaus, das zu sinben, was Columbns suchte. Nach einigen Tagen kamen bie Schiffe zurück unb bewiesen bem König, baß alles, was Colnmbus ihm vorgerebet, Thorheit sei. Bitter enttäuscht verließ biefer ben königlichen Hof unb ging nach Spanien, bort vielleicht willigere Hänbe zu fiitben. Aber auch hier kam er zu ungünstiger Zeit, ba König Ferbinanb gerabe bie letzten Mauren in Granaba bekämpfte. Erst nach ihrer Vertreibung, es waren wiederum acht Jahre vergangen, rüstete Königin Jfabella dem kühnen Seefahrer drei Schiffe aus, und Columbns sah immer zuversichtlicher ein Land vor sich, das er in Besitz nehmen wollte; denn er ließ sich vor der Abfahrt zum Statthalter aller Länder ernennen, die er entdecken würde.
Mit 120 Gefährten verließ er Spanien (3. Aug. 1492), frohen Mutes und siegesgewiß, im Westen das gesuchte Land zu finden. Wochen, Monate vergingen, ohne daß eine Spur desselben zu sehen gewesen wäre. Dabei erschien das Meer in letzter Zeit so fremd, einer grünen Wiese gleich, über die sich ein Wasserspiegel deckt. Noch schlimmer war es, daß die Speisevorräthe kärglich wurden und das Trinkwasser auszugehen drohte. Die Schiffsleute murrten erst unter sich, dann immer lauter, und ihre Unzufriedenheit steigerte sich endlich zu offener Empörung. Noch einmal gelang es der ruhigen Hoheit und Ueber-
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legenheit ihres Führers, die Erregung zu stillen. Noch drei Tage vorwärts, tröstete er, dann haben wir Land.
Dem Mutigen gehört die Welt; aber die drei Tage neigten sich ihrem Ende zu und — „Land!" rief es von der Höhe des Mastkorbes herab. „Land! Land!" jubelten, schrien die Schiffsleute sich entgegen. Hingerissen von der unerwarteten Freudenbotschaft stürzten sie ihrem Heldenführer weinend zu Füßen und flehten um Verzeihung für ihren Zweifel an seinen Worten, die sich jetzt erfüllt hatten.
Nun brach die Nacht herein, eine lange, ungeduldig durchwachte Nacht; es war der 11. Oktober 149*2. Endlich rötete sich der Osten, und immer deutlicher breitete sich dort ein üppiges Eiland, vom Glanze der ausgehenden Sonne beleuchtet. Endlich war es erreicht. Die Fahne m der Linken, den Degen in der rechten Hand, sprang Columbus als der erste ans Land
„Guanahani!" riefen ihm die staunenden Inselbewohner entgegen, kupferrote, nackte Gestalten, die mit viel buntem Zierrat behängen waren. War das der Name der Insel? Sie heißt heute noch so; aber Columbus nannte sie dankbar: St. Salvador d. i. heiliger Erretter.
Die Spanier beschenkten die Wilden; denn das waren die offenbar freudig erregten kupferroten Leute, die man Indianer nannte, weil man glaubte, Ostindien erreicht zu haben, wenn auch von andrer Seite, als bisher. Dafür gaben die Indianer ihnen Gold, und als sie merkten, daß die Spanier das gern nahmen, zeigten sie nach Süden, wo es mehr davon gäbe. Dort fanden die Spanier die Insel Cuba, ein lachendes Eiland voll paradiesischer Schönheit; aber Gold fand sich zunächst dort nicht. Auf hochbelaubten Bäumen und riesigen Palmen wiegten sich Vögel in glänzender Farbenpracht, und die Natur bot überall verschwenderisch ihre Schätze dar. Auch hier sahen die roten Bewohner staunend auf die fremden bleichen Männer, die so weiß waren, wie sie sich den Teufel dachten. Aber die Weißen waren auch nicht wenig verwundert über Menschen, die feuerfarbne Haut hatten. Zwei Spitzen einer Feuerrohre hatten sie in die beiden Nasenlöcher gesteckt, den Dampf stießen sie aus dem Munde hervor. Tabakos nannten sie das brennende Kraut in der Röhre, und die klugeu Europäer lernten von den Wilden das Tabakrauchen.
Aber Gold war den Spaniern mehr wert, als alles andere und immer aufs neue erkundigten sie sich danach. Da riesen die Wilden /,Hci)tV; und zeigten nach Osten. In der angegebenen Richtung fanden
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die Spanier eine Insel, die sie Hispaniola, klein Spanien (Hayti) nannten. Da wars nicht viel anders, wie auf den andern Inseln. Die Bewohner kamen den Fremden zutraulich und freundlich entgegen, ihr Fürst, den sie Kazik nannten, ließ sich den Weißen entgegen tragen, aber er war auch nackt, wie seine Unterthanen. Goldbleche erhielten die Spanier auch hier, so viel sie begehrten, und es schien der Freude und des Jubelns gar kein Ende nehmen zu wollen. Co-lumbus wollte seinem Könige Nachricht über die glückliche Entdeckung bringen; zuvor aber baute er eine kleine Festung aus den Trümmern eines seiner drei Schiffe, das gestrandet war, und diese Befestigung, an deren Bau die gutmütigen Indianer geholfen hatten, nannte er Navidas. Er ließ dort achtuuddreißig seiner Leute zurück, die den Wilden vor seinen Augen Proben ihrer Waffenkünste geben mußten. Als sie ihre Gewehre abschössen, fielen die erschrockenen Indianer vor den Fremden auf die Knie. Entweder waren das Götter oder Teufel. Doch kaum war der erste Schrecken vorüber, als Columbns eine Kanone abfeuern ließ, welche die Reste des gestrandeten Schiffes zertrümmerte. Das anfängliche harmlose Zutrauen der Wilden wandelte sich jetzt in Furcht, und die zurückbleibenden Spanier waren leicht Herren der Insel und hätten es bleiben mögen, wenn sie die Mahnungen des ColumbuZ befolgt hätten, rücksichtsvoll und duldsam zu sein.
Columbus kehrte nach Spanien zurück (4. Jan. 1493), das er nach dreimonatlicher Fahrt erreichte, vom Donner der Geschütze und mit Glockenläuten begrüßt, wie vom Jubel der Volksmenge. Das war ein feierlicher Einzug in Spaniens Hauptstadt. Der König empfing den kühnen Seefahrer auf dem Throne fitzend und überhäufte ihn mit Ehrenbezeugungen.
Jetzt mochte Columbus nur verlangen, wie viele Schiffe, wie viele Mannschaften ihm in die „neue Welt" folgen sollten, und am 25. September 1493 fuhr er mit 17 Schiffen und 1500 Männern hinaus, einem nicht mehr unbekannten Lande entgegen.
Auf neun Inseln wurde gelandet: Dominique, Guadeloupe, Por-torico u. a. in dem heute karaibischen Meer. Aber o Schrecken, da saßen die Wilden bei schauerlicher Mahlzeit; sie verzehrten Menschen, wahrscheinlich besiegte Feinde, deren blutige Schädel den Spaniern entgegen grinsten. Das waren also die gutmütigen Bewohner des neuen Erdteiles, von denen Columbus in der Heimat berichtet hatte. Wie mochte es den zurückgelassenen Spaniern auf Hayti ergangen sein?
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Da war weder Festung noch Besatzung zu finden. Diese hatte
sich unmenschlich gegen die Indianer benommen, die sich in geiechtei Notwehr gerächt hatten. Ein neues Fort wurde errichtet, das der spanischen Königin zu Ehren Jsabella genannt wurde, und weiter ging es zu neuen Entdeckungen. Da wurde Jamaika gefunden und kleinere Inseln; aber das Leben in dem neuen Erdteile war nicht ganz so leicht und glücklich, wie es anfangs schien. Es galt, Eroberungen zu bewahren, die sich die Wilden nicht gefallen lassen wollten, wenigstens wollten sie nicht so beherrscht sein, als es Hochmut und Habsucht der Spanier begehrten. Diesen gefiel das neue Land darum auch nicht sonderlich, und viele Unzufriedene kehrten nach L-panien zurück, be-
richteten mancherlei böse Dinge, die sie erlebt hatten, und wie doch längst nicht alles sich so verhalte, wie Columbus es geschildert habe und dergleichen mehr.
Der spanische König forderte Rechenschaft; ein Gesandter sollte
streng untersuchen, wie die Verhältnisse des neuen Landes wären, und ob Columbus nicht umsonst so viele Opfer gefordert habe. Voller Entrüstung über solches Mißtrauen häufte dieser Schätze auf, Haufen Goldes sollten dem König beweisen, was das neue Land wert sei. Was Columbus von den Wilden nicht freiwillig erhielt, nahm er mit Gewalt, und die Massen Goldes, die er nach Spanien führte, hatten manches Menschenleben gekostet.
Die glänzenden Beweise galten zwar in Spanien als Recht-
fertigung; aber es verging ein ganzes Jahr, ehe Columbus die erbetenen Kolonisten erhielt, durch welche er die entdeckten Inseln für Spanien zu sichern hoffte. Schließlich gab man ihm nur Verbrecher mit, die sonst in den Bergwerken arbeiten sollten. Sie in Zucht und Ordnung zu halten, war seine erste, schwere Aufgabe.
In acht Schiffen führte er die neue Bevölkerung (1498) in südwestlicher Richtung über den Ozean und stieß auf die große Insel Trinidad an der Mündung des Orinocoslusses. Er war damit dem Festlande des heutigen Amerika nahe gekommen, das er endlich an der Stelle betrat, wo heute die Stadt Karthagena liegt. Fast Schritt um Schritt des Landes mußte jetzt schwer errungen werden. Waren die Wilden anfangs den Spaniern zutraulich entgegen gekommen, so hatten sie nun, durch die erlittenen Grausamkeiten der Weißen gereizt, nur Rachegedauken gegen sie. Columbus wußte sich endlich nicht anders zu helfen, als indem er jedem Spanier eine Anzahl Eingeborener als
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Sklaven übergab. Während Columbus um jeden Fußbreit Landes zu kämpfen hatte, sandte König Ferdinand einen neuen Bevollmächtigten, einen persönlichen Feind des kühnen Entdeckers, übers Meer, der ihn mit Ketten gefesselt nach Spanien führte.
Dort wurde er zwar unschuldig befunden an all dem Unheil, das die Spanier unter den widrigen Verhältnissen ertragen hatten; aber der König blieb mißtrauisch und ernannte einen anderen Statthalter für den neuentdeckten Erdteil. Noch hatte Columbus eine Beschützerin in der Königin Jsabella, die ihm endlich eine vierte Entdeckungsfahrt ermöglichte. Mit vier schlechten Schiffen erreichte er Hayti; aber die spanische Besatzung wehrte ihm zu landen. Er suchte darum weiter südlich eine Durchfahrt nach der Südsee zu gewinnen, strandete aber mit allen Schiffen, so daß die ganze Mannschaft mittel- und hülflos den Wilden preisgegeben war, bis zwei derselben in ausgehöhlten Baumstämmen Hayti erreichten und von dort ein Hülfsschiff brachten^ mit dem die Schiffbrüchigen nach Spanien zurückkehrten.
Dort war die Stimmung den neuen Entdeckungen gegenüber immer lauer geworden, zumal da diesseits und jenseits des Ozeans das Verdienst des Columbus von allen herabgewürdigt wurde, die ihn beneideten. Man scheute sich nicht, ihm selbst zu sagen, wie das, ivas-er gethan, gar nicht so viel Redens wert sei, als inan daraus mache. Den wortreichen Herren -hielt Columbus ein Ei hin mit der Frage,, wer unter ihnen das auf bie Spitze stellen könne. Lachend wies man es zurück; aber Columbus drückte leicht die Spitze ein, das Ei stand. „Das hätten wir auch gekonnt", hieß es da. „Ganz recht" war die Antwort, „ihr konntet auch das neue Land entdecken, aber da ist. eben der Unterschied, gethan hats keiner von euch."
Columbus starb (20. Mai 1506) unter dem Drucke des erlittenen Unrechtes und befahl, daß die Kette, an die man ihn einst geschmiedet, mit in sein Grab gelegt werden sollte. So wurde er auf St. Domingo beigesetzt. Der neue Erdteil erhielt nicht den Namen seines Entdeckers ; er wurde nach einem Florentiner Edelmann, Amerigo Vespucci, der nach verschiedenen Reisen dorthin Karten und genaue Nachrichten darüber veröffentlichte, Amerika genannt. Nur ein Staat Amerikas, Columbia, ehrte in seinem Namen das Andenken des Entdeckers. Auch die Inselgruppe, welche Columbus einst für Teile Ostindiens hielt., bewahrte diese Erinnerung in ihren Namen „Westindien.".
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Inzwischen hatten die Portugiesen, welche ununterbrochen weitere Seefahrten unternahmen, das an Gold und Diamanten reiche Brasilien entdeckt und waren von dort nach Osten dem asiatischen Ostindien gesegelt, indem sie die Südspitze Afrikas umschifften. Anfangs in Indien mit einer Flotte von zwanzig Schiffen freundlich von dem König von Coch in aufgenommen, wurden sie demselben später durch eifersüchtige Mauren verdächtigt. Erst nach jahrelangen blutigen Kämpfen konnten sie festen Fuß iu Südasien fassen, wo sie dann Kolonien und Handelsstädte gründeten. Weiterhin war die ganze Küste Afrikas mit Handelsplätzen der Portugiesen besetzt.
Durch die Entdeckung des Seewegs nach Ostindien waren alle Schätze Südasiens, besonders alle bis dahin nngekannten Reichtümer Westasrikas in den Händen der Portugiesen, denen es später andre seefahrende Völker gleich zu thun suchten. Die süddeutschen Städte, welche bis dahin den Handel des Orients über Italien vermittelten, hatten zunächst durch die Errungenschaften Portugals viel verloren.
An die Entdeckung Amerikas und des Seewegs nach Ostindien schloß sich ebenbürtig die erste Reise um die Welt au. Sie geschah unter der Regierung des deutschen Kaisers Karl V., der als Karl I. König von Spanien war, und sinde dort weitere Erwähnung.
4. Entwicklung des städtischen Lebens. Der Meistergesang.
Der Kampf der Gilden und Zünfte hatte in den Städten eine rege Teilnahme aller Gewerbetreibenden an städtischer Verwaltung und Verfassung hervorgerufen. Behielten die Gilden der Patrizier in den reichsten Städten wie Frankfurt, Nürnberg u. ct. das Oberregiment, so wurden sie in andern ganz aus der Stadtverwaltung verdrängt und konnten nur hineinkommen, wenn sie sich in die Zünste aufnehmen
ließen. „Es ist euch zu wissen", heißt es in einer zu Straßburg
erschienenen Schrift (Reformation des Kaisers Sigismund), „daß es in den guten Städten, nämlich in den Reichsstädten, Zünfte sind. Die sind nun sehr gewaltig geworden, und muß man die Zunft gröblich kaufen. Sie machen Gesetze unter sich, wie etwa die Städte gethan
haben • . . ^0 ist nicht eine rechte Gemeinsamkeit, wie ich euch sagen
B o r n h a i, Unser Vaterland. 90
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will. So hilft doch eine Zunft der andern, als ob ich spreche: hilf mir, so helf ich dir, damit ist die ganze Gemeinde betrogen. Demnach müßten die Zünfte abgethan werden, dann gäbe es weder kalt noch warm und sei jedermann dem andern gleich."
Der Handel zur See hatte die Kauf- und Handelsherren großer Städte Fürsten gleich gemacht, und die deutsche „Hansa" umfaßte zu Ende des vierzehnten Jahrhunderts allein achtzig verbündete Handelsstädte. Sie wurde eine Macht, deren weitreichender Einfluß auf staatliche Verhältnisse heute kaum richtig gewürdigt werden mag. Hatte Deutschland erst in zweiter Linie Vorteil von den Errungenschaften in den neuentdeckten Erdteilen, so bahnten die österreichischen Erbschaften besonders in Spanien bald neue Verbindungen für das Reich an.
Dazu wuchs Macht und Ansehen der Reichsstädte, seit ihnen Rudolf von Habsburg Sitz und Stimme auf den Reichstagen gegeben hatte. Das Bürgertum mochte sich stolz neben Fürsten und Herren erheben und auf den Verfall des Rittertums aufbauen, als dieses seiner Glorie beraubt war, die es auf Kreuzzügen und Römerfahrten einst so glänzend entfaltete. Noch riefen Hoftage zu königlichem Dienst, auch Tourniere sammelten noch zu ritterlichem Kampfspiel; aber die Kriegsmacht des Reiches, die bis dahin auf der Reiterei, den Rittern, beruhte, war durch Einführung der Söldnerheere, durch Verwendung von Fußvolk, der deutschen Landsknechte, neu gestaltet worden. Die Erfindung des Schießpulvers gab der Kriegführung eine neue Wendung. Die persönliche Tapferkeit des Einzelnen kam fast nicht mehr zur Geltung, wo nur die Massen des Heeres wirkten, und die notwendige Uebung in den Schießwaffen rief Berufssoldaten hervor, die oft Freund und Feind gefährlich wurden.
Als mit dem Verfall des Rittertums die Pflege des Minnegesangs und der Kunstpoesie, die einst in den Händen der Herren ruhte, zu Grabe getragen war, erstand die Dichtkunst in den Städten zu neuern Leben.
Es mochte ein Zeichen des Wohlstandes, der Sorglosigkeit, aber auch ein gut Teil gesunder, deutscher Gemütstiefe und vaterländischer Gesinnung sein, daß sich einfache Bürger, Handwerker, mit Heldensagen, mit Gesängen vergangener Zeiten beschäftigten und aufschrieben, was durch Ueberlieferung auf sie gekommen war. Manches verlor dabei seine ursprüngliche Schönheit; wie denn im „Heldenbuch", auch in der Tier-
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sage von „Reimcke Fuchs" die Anmut des überlieferten durch gesuchte Anspielungen Schaden litt.
Allmählich machte sich hier und dort jemand, der Geschick und Sinn Zum Reimeu empfinden mochte, an die erzählende Poesie, die sich an die epische Dichtung vergangener Zeiten anzulehnen versuchte, aber über die Prosa nicht weit hinaus kam. So trat an Stelle des Minne-gesanges zu Ende des Mittelalters der Meistergesang, eine Reim-kunst, die unter Leitung schlichter Handwerksmeister nach fest gestalteten Formen betrieben wurde, gleich den Arbeiten ihrer Gewerbe. Eine sittlich fromme Haltung beherrschte diese Reimarbeit, welche die Werke der arbeitreichen Tage nicht stören durfte.
Die Sänger kamen abends auf der Zeche oder Herberge zusammen; die öffentlichen Singeschulen der Meistergenossenschaften, die besonders in den süddeutschen Städten blühten, waren der eigentliche Gerichtshof für Leistung und Wert der Singearbeit, die gelernt und geübt wurde gleich dem Handwerk. Jede Schule hatte ihre Tabulatur, ein Verzeichnis der Fehler, die besonders im Reim vermieden werden mußten, und wer sie wohl inne hatte, war ein Schulfreund, wer noch daran lernen mußte, ein Schüler. Die ihre Lieder vorsangen hießen Sänger, Dichter waren die, welche ihre Verse fremden Melodien anpaßten. Wer aber Reim und Melodie erfand, war ein vollkommener Meister.
Am Sonntag nach Schluß des Nachmittagsgottesdienstes, wenn die reich geschmückte Schnltafel ausgehangen war, wurde die Schule vor der in andächtigem' Schweigen horchenden Bürgerschaft gesungen. Die Merker gaben genau Acht, und wer am glättesten sang, erhielt den Preis, einen Kranz, den ihm der Kronmeister überreichte, auch wohl ein kostbares Kleinod an einer Kette. Der Sieger hieß König-David-Gewinner, weil auf dem Kleinod König David mit der Harfe abgebildet war.
Das galt als hohe Ehre für den mit dem Preise Gekrönten, wie für seine ganze Sippe; selbst die Zunft nahm an dem Ruhm Teil. Auch wurden die besten Gedichte in ein großes Buch geschrieben und letzteres sorgfältig in der Lade aufbewahrt.
Wurde bei diesem handwerksmäßigen Dichten nichts hervorragendes geleistet, so liegt doch in dem Meistergesang ein gut Teil gesunder Volkskraft, Humor und Witz. Vor allen Dingen steht er dem wirklichen Leben näher, als der Minnegesang, der sich oft in Romantik vertieft
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und dabei kaum an die kindlich reinen idealen Ziele heranreicht, welche der einfache Handwerker sich stellte. Galten die Zusaminenkünfte der Meistersänger fast ganz der Arbeit des Gesanges und der Reimkunst, so mochte dabei doch manches nachgeholt werden, was die Schule an der Jugend versäumt hatte.
Von dem großartigen Fleiße der Meistersänger geben die Werke ihres bedeutendsten Vertreters ein annäherndes Zeugnis. „Hans Sachs war ein Schuh — macher und Poet dazu." Er verfaßte allein G048 geistliche und weltliche Gedichte, darunter auch dramatische Arbeiten. Kaum ein Vierteil derselben sind erhalten. Sie bieten zu gleicher Zeit einen Maßstab für die Bildung der ehrsamen Handwerker unb zeigen, wie sie an allen Erscheinungen ihrer Zeit lebhaft beteiligt sind. Singt Hans Sachs „von der Wittenberger Nachtigall, die man jetzt höret überall", so hat er bittern Spott über die Ueppigkeit und Narrheit der Welt, wie sie sich in dem Reichtum der Städte darstellte, und seine geistlichen Lieder singen von einem frommen, kindlichen Gott-vertranen, das „mit der Pfafferei nichts zu thun haben will".
Noch zu Ansang des neunzehnten Jahrhunderts lebten in Ulm zwölf alte Singemeister. Ohne Noten und Textbücher saugen sie die künstlichen Weisen der Altvordern, welche die Ueberlieferung bewahrt hatte. Als aber im Jahre 1839 nur noch vier dieser Greife übrig, waren, beschlossen sie, den teuern Meistergesang zur letzten Ruhe zu bestatten. Sie übergaben dem „Ulrncr Liederkranze" in feierlicher Urkunde ihre Sing- und Liederbücher, ihre Lade, Schultafel und Tabulatur mit dem Wunsche, daß „gleich wie der Meistersänger Tafel Jahrhunderte herab die frommen Väter zum Hören ihrer Weifen lud, so Jahrhunderte hinab die Banner des Liederkranzes wehen und seine Lieder späten Enkeln tönen mögen."
Neben dem streng schulmäßigen Meistergesang entwickelte sich in ungebundener Freiheit das Volkslied. Niemand kannte den Dichter^ niemand den Komponisten der vielen Wander- und Scheidelieder, der Verse, die vom Handwerk und Kriegslust, von Haus und Heimat, von Schatz und Liebchen sangen, das der Bursch lassen muß. Sie lebten weiter, weil sie, der deutschen Volksseele abgelauscht, zu aller Zeit in jedem deutschen Gemüt einen Wiederhall finden werden. Auch hier reicht das Mittelalter kommenden Zeiten die Hand.
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5. Die Veme.
Der Reichtum brachte besonders in den oberen Schichten der Bevölkerung den Städten Hang zur Prunksucht, zu üppigem Leben. Die Cmtcmuinj guter, christlicher Sitte ging damit Hand in Hand. Rauflust der Bürger untereinander führte nicht selten zu heftigen Straßen-tämpfen der verschiedenen Parteien, denen die Kaiser, zuletzt Maximilian L, vergeblich durch strenge Polizeiverordnung zu steuern suchten. Neben ticr Willkür in den Städten waren Fehdesucht uud Faustrecht trotz des gebotenen Landfriedens und des neuen Kammergerichts nicht zur Ruhe gekommen. Nur einzelne Landesherren des Reichs waren fähig, ihr Regiment thatkräftig zu führen Da rang sich das Volksleben des Mtttelalters nach zwei Seiten hin zu gesunder Entwicklung hindurch: das war die Rechtspflege, über welche die Veme ihre Herrschaft breitete, bis sie unter den eigenen Mängeln ihren Verfall finden mußte, sobald das eindringende römische und kanonische Recht besseren Strafprozeß bot, dann das Streben nach religiös sittlicher Bildung, das in der Reformation seinen Sieg finden sollte.
Die Veme ist in: Laufe der Zeiten mit viel Geheimnisvollem, darum oft Unwahrem umkleidet worden; doch die neueste Geschichtsforschung zeigt ihre Entstehung nicht als einen Gewaltakt in der Hand von Dunkelmännern, die das Tageslicht scheuten. Die Vemgerichte sind vielmehr ans dem naturgemäßen Prozeß einer Rechtsentwicklung entstanden, die sich an das germanische Staatsleben band.
In diesem Sinne leitete die Veme selbst ihren Ursprung auf Karl den Großen zurück, und alle Gerichte des Mittelalters gründen sich auf die Grafschaftsgerichte, welche durch Karl den Großen nach fränkischen Rechtsgewohnheiten neu geordnet wurden. Die Grafschaftsgerichte schieden sich im zwölften Jahrhundert (1170) in Freigrafschaft, über die persönlich und dinglich Freien, also mit freiem Besitz, und Gografschaft, über Landsassen d. i über Freie ohne freies Eigentum. Der Grund dieser Trennung lag in der wachsenden Fürsten-gewalt, welche sich zunächst der schwächsten Klasse, den Landsassen gegenüber, geltend machen konnte. Darum wurde auch die Gograf-fchstft rein landesherrlich, während der Landesherr, als Inhaber der Grafschaft und als Stuhlherr, den Freigrafen als Vorsitzenden des Freigerichts bc|tcttte. Doch den Bann, das heißt, die Erlaubnis, Recht zu sprechen, erhielt der Freigraf nur vom König. Die Rechtsbücher
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schlossen vom Freigrafenamte aus: Reiche, Arme, Dienstmannen, tolle Gecken und Unwissende. Nur mußte der Freigraf, der mit dem ihm zugeordneten Schöffen Recht sprach, eine unmittelbar freie Person sein. Aber die doppelte Bestellung: Berufung durch den fürstlichen Landesherrn, die nicht zurückgenommen werden konnte, und Verleihung des Gerichtsbannes durch den König, welchen dieser zurückzuziehen berechtigt war, machte den Freigrafen abhängiger' vom König, freier vom Landesherrn. Darum trachteten die Landesfürsten danach, die Freigrafschaften in die ihnen völlig unterworfenen Gograffchaften aufgehen zu lassen, in welchen fürstliche Beamte unbeschränkte Richtergewalt ausübten, wie in den Vogt eien der Altmark unter den Assaniern, wo nicht „unter Königsbann", sondern „bei des Markgrafen Hulden" entschieden wurde.
Da im Osten des Reichs die landesherrliche Gewalt viel stärker ausgeprägt war, als im Westen, konnte dort leicht die Vereinigung beider Grafschaftsgerichte stattfinden. Aber auf roter (rauher) Erde, in Westfalen und weiter, über die vielfach zerrissenen Gebiete des Westens, nach den Niederlanden hin, erhielten sich die eilten Freigerichte viel länger und selbständiger. Auf ihnen beruhte die Veme, deren Name wahrscheinlich nur „gemeinsame" Gerichte bezeichnet, und die nur auf „roter Erde" Recht sprachen.
Unter der schwachen Regierung der Luxemburger Kaiser hob sich Macht und Ansehen der Freigerichte wie nie zuvor. Sie rühmten sich, neben den besonders in Süddeutschland bestehenden Hof- und Landgerichten die allein kaiserlichen Gerichte zu sein. Selbst Fürsten räumten ihnen mit der Zeit dieses Recht ein und fügten sich ihrem Richterspruche. Doch lag das Uebergewicht, das die Verne im fünfzehnten Jahrhundert erreichte, nicht in dem Ansehen, das sie als kaiserliches Gericht hatte, sonst hätte sich mit der Macht der Kaiser der Einfluß der Freigerichte erhöhen, mit deren Schwäche sinken müssen. Die Macht der Veme lag vielmehr in dem Verfall des altgermanischen Strafprozesses, in der Unsicherheit deutscher Rechtsverhältnisse überhaupt, in mangelhafter Privatklage. Gegen den mächtigen und einflußreichen Verbrecher fand sich überhaupt kein Kläger; so versagte jede Strafgerichtsbarkeit gegen die höheren Stände. Auch das frühere Beweismittel der Eideshülfe war vielfach unanwendbar geworden, feit sich die Parteien gegenseitig durch Eideshelfer überboten. Das Gottesurteil litt an noch größeren Mängeln.
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Ueber all dieses setzten sich die Vemerichter durch eine neue Strafgerichtsordnung hinweg. Konnte sonst nur jeder bei dem Grafschaftsgerichte klagen, zu dem er gehörte, so wollte der Freistuhl der Verne jeden Kläger hören, der im deutschen Reiche lebte. Sie erließ Ladungen und sprach Recht „unter Königs-Bann", der im ganzen Reiche galt, und vervemte selbst Fürsten. Nur eins war bestritten, ob den Juden die Ehre zu Teil werden konnte, vor ein Freigericht gefordert zu werden. ^
Schon im Sachsenspiegel war den Bauermeistern oder Schulzen
bie Pflicht auferlegt. Vergehen, von denen sie erfuhren, zu „rügen", aber das traf nur die Landsassen, die vor das „Gogericht gehörten, gegen die hohem Stände war kein Ankläger, keine „Rüge" da.^ Nun bildete die Veme dieses Rügerecht weiter ans, indem jeder Schösse, Wissende, die über ganz Deutschland zu Tausenden verbreitet waren, bei der Aufnahme schwören mußte, alles in die heimliche Acht vor den Freistuhl zu bringen, „von dem er selbst weiß oder durch wahrhaftige Leute hört, es sei Vemewroge." So verbreitete sich der altwestfälische Gerichtsbrauch durch die Veme über ganz Deutschland wie eine Schreckensherrschaft; denn welches Vergehen war da vor Rüge und Strafe geschützt? Selbst der Kaiser war nicht mehr sicher vor ihr. Aber eine ungeheure Willkür der Anklage konnte sich daraus entwickeln, um so gefährlicher, da der Besitzer des Freistuhls den Nachlaß
des Gefangenen erbte. _
Wenn auf erhobene Anklage die geladenen Parteien vor dem Frei-ftuhl erschienen, nahm die Veme, die aber nicht, wie meist behauptet ist, nur heimlich und bei Nacht sprach, den Eid als Beweis, 2)od) band sich das gebräuchlichste Verfahren an das Ergreifen „bei hant-hafter That", dem gleich kam „gichtiger Mund" und „blinkender Schein," d. H. Geständnis und Augenschein. Wurde dies nur von einem Schöffen vor Gericht bezeugt, dann war der Uebelthäter scholl verurteilt und wurde, falls er erschien, an dem nächsten Baume aufgehangen. Kam der Gettime nicht, so wurde er nach Schöffenzeugnis vervemt und konnte gehangen oder erdolcht werden, wenn mindestens drei Freischöffen ihn ergriffen. Brachte dieses schnelle und harte Verfahren einen heilsamen Schrecken für Uebelthäter, so ließ es doch der Ungerechtigkeit dadurch Raum, daß es dem einzelnen keinen Rechtsschutz bot.
Die Veme würde aber kaum zu der erlangten Ausdehnung angewachsen sein, wenn sie nicht unter mächtigem Schutz gestanden hätte.
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Der Erzbischof von Köln konnte nur schwer seine Herzogsgewalt in Westfalen geltend machen; er hoffte )ie durch Anerkennung und Einfluß der Freistühle zu gewinnen. Da stellte ihm Karl IV. zwei wichtige Urkunden aus. Die eine gestattete ihm, die von der Verne ungerecht Verurteilten wieder in ihr Recht einzusetzen, in der zweiten wurde das vom Erzbischof beanspruchte Recht zugestanden, daß alle Freigrafschaften in Engern und Westfalen vorn Kölner Stuhle in sofern
abhängig sein sollten, als der Erzbischof die Freigrafen bestätigen mußte.
SBas Wunder, wenn auch andre Herren, Fürsten, die als Stuhl-herren Freigrafschaften besaßen, die Bischöfe von Minden, Hildesheim und andere, die Veme schützten, um Herren derselben zu werden. Doch mit der ins Schrankenlose steigenden Macht der Veme wuchsen auch ihre Mißbräuche, in denen ihr Verfall ruhte. Es war den Vem-gerichten kein ochutz, daß sie sich selbst heilig und unantastbar nannten; denn als sie sich entschieden gegen das Königtum auflehnten, hatte dieses keinen Grund mehr, sie zu schützen.
3m Jahre 1470 luden Freigrafen sogar den Kaiser, seinen Kanzler und die Beisitzer des Kammergerichts vor den Stuhl zu Wünnenberg.
kommet oder kommet nicht, so muß das Gericht seinen Gang haben, wie sich nach freien Stuhles Recht gebühret" schloß die Vorladung, die der König nicht beachtete.
Endlich schlossen Fürsten und Städte Bündnisse gegen Uebermacht und Willkür der Veme, und die Landesherren verboten ihren Unter-theinen, vor den Freistühlen Recht zu nehmen. Völlig verdrängt
wurden sie erst nach Jahrhunderten. Mit der Anwendung des voll-
fommneren römischen und des kanonischen Rechts sank auch die Veme, die auf altdeutschen Rechtsgewohnheiten beruhte. Sie hatte sich überlebt; doch reichten ihre Spuren lange Zeit hindurch in die Rechtsgewohnheiten des Volkslebens hinein, das voller Ehrfurcht die Denkmäler einer harten Rechtsprechung hütete bis auf den heutigen Tag, und wärm es nur uralte Bäume westfälischer Wälder, hier oder dort eine -cteinbotnf, welche die Ueberlieferung als von der Veme herrührend bezeichnet.
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6 Kirchliche Zustände Deutschlands zu Ende des Mittelalters
Mit den Scheiterhaufen, die das Konzil zu Konstanz aufgerichtet hatte, und den darauf folgenden Hussitenkriegen war das heiße Ringen und ernste Suchen des christlichen Volkslebens nach einer so oft von Priestern und Laien begehrten Reformation an Haupt und Gliedern nicht erloschen. Vielmehr hatten sich die Waffen geschärft, welche bereit waren, einen Kampf aufzunehmen, der sich ebensowohl gegen päpstliche Uebergriffe richtete, wie gegen die Verweltlichung der Kirche und die Entartung ihrer Diener. Da hatten Konzilien für und gegen die Päpste beraten und waren doch ratlos auseinander gegangen (1511). Ein Konzil zu Pisa hatte sogar beschlossen, den totkranken Papst abzusetzen, und der deutsche Kaiser Maximilian wollte Papst werden. Er unterschrieb sich schon „zukünftiger Papst". Aber er konnte das zu den Bestechungen nötige Geld nicht zusammenbringen und suchte, immerhin ein dankenswertes Wollen, die deutsche Kirche von der Herrschaft des römischen Stuhles zu lösen. Ein Straßburger Theologe, Jakob Wimpfeling, mußte ein Gutachten darüber abfassen, wie es möglich sein möchte, einen Papst in Deutschland zu haben, wie Frankreich sich zu Avignon den Papst lange gefügig zu halten gewußt hatte. Aber Maximilians beweglicher Charakter kannte die Energie der Ausdauer nicht. Er wandte sich bald selbst der hl. Liga zu, an deren Spitze der wieder genesene Papst stand, und war bereit, diesem in einem Kreuzzuge gegen die Türken dienend zu folgen, um die Erregung der Geister in Deutschland nach außen hin abzulenken.
Das war zu derselben Zeit, als die Feder Martin Luthers, nach dem Traume seines fürstlichen Landesherrn, Friedrichs des Weisen, die päpstliche Tiara hinabzuwerfen drohte. Der deutsche Kaiser sah kaum etwas davon, und es war nur ein Zeichen seines Hasses gegen den Papst, als er dem Kurfürsten von Sachsen riet, das Mönchlein zu bewahren, vielleicht daß man es einst gegen Rom brauchen könne.
Indessen ergriff die deutsche Ritterschaft den Gedanken eines Kreuzzuges gegen die Türken mit Begeisterung. War es doch immerhin eines Ritters würdiger, die Ungläubigen zu vernichten, als wegelagernd ewigen Fehden im Reiche obzuliegen. Besonders war es ein tapferer Ritter, Ulrich von Hutten, der mit Eifer den Edelsinn des deutschen Rittertums zu heben trachtete. Er schalt: „Freiheit nennen wir, um das Reich sich nicht kümmern, dem Kaiser nicht gehorchen
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und sich alles ungestraft erlauben." Doch griff man auf einem Reichstage zu Augsburg (1518) das „heidnische Papsttum", in „hundert Beschwerden der deutschen Nation gegen das päpstliche Regiment" eben so heftig an, wie die ungläubigen Türken.
Wohl brachte der päpstliche Legat Kardinal Cajetan, der gekommen war, den vorwitzigen Wittenberger Mönch zu bekehren, dem Kaiser einen vom Papst geweihten Hut und Degen; aber doch klagte Maximilian: „Nun ist der Papst auch noch zu einem Bösewicht an mir geworden. Ich kann sagen, daß mir kein Papst, so lange ich gelebt, je Treue gehalten hat. Ich hoffe, so Gott will, soll das der letzte sein." In dieser Stimmung hatte Maximilian Augsburg verlassen. „Segne dich Gott, du liebes Augsburg und alle frommen Bürger darin! Wohl haben wir manches Mal guten Mut in dir gehabt, nun werden wir dich niemals wieder sehen!" Damit war er geschieden.
Mißmutig darüber, daß der Papst seine fest zugesagte Unterstützung bei dem Plane der Nachfolge des kaiserlichen Enkels Karl (V.), der schon König in Spanien war, nicht gehalten hatte, weil der Türkenzug mißglückt war, hatte Maximilian das Ende des Augsburger Reichstages nicht abgewartet und war voller Kummer bald darauf gestorben, ohne die großen Bewegungen verstanden zu haben, welche als unheilkündendes Wetter sich über den Horizont des deutschen Reiches breiteten.
Die Geistlichkeit, vom Papst bis zur rauhen Mönchskutte herab, hatte sich längst ihrer einstigen Würde entkleidet. Unlautrer Wandel, gröbste Unwissenheit, Genußsucht und habsüchtige Bestrebungen hatten den Priesterstand in den Staub gezogen. Der Kardinal Bellarmin sagt darüber, indem er sich auf das Zeugnis gleichzeitiger Schriftsteller beruft, daß „keine Schärfe in den geistlichen Gerichten, keine Zucht in betreff der Sitten, keine Kenntnis der hl. Schrift, keine Ehrfurcht vor göttlichen Dingen, ja überhaupt kaum etwas von Religion übrig geblieben sei, so daß die Priester von den Völkern verachtet und verschmäht wurden und an einer schweren und langwierigen Ehrlosigkeit litten."
Ihrem Leben entsprechend waren die Predigten der Geistlichen. Lustige Schwänke und Possen würzten die Legenden uud Märchen von Heiligen, deren wunderthätige Reliquien der Christenheit zu göttlicher Verehrung dienen mußten. Die Glut des Fegefeuers konnte den Gestorbenen durch teure Seelenmessen gekühlt werden, und der
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päpstliche Ablaß, welcher für Geld zu kaufen war, deckte eigene und fremde Sünden.
Aus kleinen Anfängen entstanden, war der Ablaßhandel zum öffentlichen Aergernis geworden. Einst riefen die Päpste zu den Kreuzzügen unter der lockenden Aussicht eines Verdienstes, das Gott der Kirche und ihren Gliedern anrechnen würde. Darin lag eine Befreiung der Sündenschuld, wie der Papst den Knecht zum Freien machte, wenn er am Kreuzzuge teilnahm. Wer nicht selbst mitgehen konnte, sollte durch Geldspenden das verdienstvolle Werk unterstützen. Auch dadurch konnte man sich von Sünden loskaufen. Das Mittel erwies sich einträglich und wurde weiter angewandt, wenn Papst und Kirche Geld brauchten, und wann wäre das nicht gewesen? Die anfangs dabei betonte Forderung sinnesändernder Buße trat in den Hintergrund; endlich war fast nur noch der Ablaßhandel um Geld geblieben, der alle christliche Sitte und Zucht untergraben mußte.
Die Priester sahen selten oder nie in ihrem Leben eine Bibel, die als kostbar geschriebenes Werk sorgsam gewahrt, oder gleichgültig und unbeachtet in den Bibliotheken der Klöster ruhte, je nachdem die dort waltenden Geistlichen und Mönche noch eine Erinnerung ihres Berufes tu sich trugen. Denn so weit alles christliche Leben zurückgedrängt schien, und so viel Entsittlichung auch in den untern Volksschichten daraus folgte, doch lebten noch verschiedene Gemeinschaften im lautern, treuen Schriftglauben. Sie sammelten sich um hervorragende Priester des Evangeliums, unter denen nur einige genannt sein mögen.
Im vierzehnten Jahrhundert hatten sich die Anhänger deutscher Mystik gemehrt, welche im elften und zwölften Jahrhundert zuerst durch ihren Hauptbegründer, den frommen Abt Bernhard von Clairvaux, auf Heiligung des Willens und Wandels drang gegenüber der verstandesmäßigen Theologie der Scholastik. Die Verfolgungen der Waldenser und Albigenser, die blutige Inquisition, wie die böhmischen Kriege hatten ein Glaubensleben nicht zu ersticken vermocht, das in den „Gottesfreunden" mit dem kindlich frommen Heinrich Suso (Graf von Berg), dem glaubensstarken Volksprediger Johann Tauler zu Straßburg, Johann Geiler von Kaisersberg it. A. würdige Vertreter gefunden hatte.
Die „Brüder vom gemeinsamen Leben" (Hieronymianer) pflegten in ihren Brüderanstalten Gelehrsamkeit neben christlichem Wandel.
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Ohne klösterliche. Abgeschlossenheit suchten sie sich durch gegenseitige Ermahnung, durch fleißige Schriftforschung im Glaubeu zu stärken und durch Verbesserung des Unterrichts auf das Volk zu wirken, das in seiner Unwissenheit dem Aberglauben anheim fiel oder sich wenigstens von einem Christentum abwandte, das so unwürdige Hirten in vielen Geistlichen hatte, deren befleckter Wandel offenkundig war und selbst durch die Konzilien in alle Welt hinaus verkündet wurde.
Selbst die Klöster waren vielfach Stätten sittlicher Versunkenheit; doch gab es auch hier noch rühmliche Ausnahmen. Zu ihnen gehörte der Augustiner Chorherr Thomas a. Kempis (Hamesken aus Kempen bei Köln (1471), dessen Buch „Von der Nachfolge Christi" bis heute nichts von seiner Lebensfähigkeit eingebüßt hat, weil es auf apostolischer Glaubensinnigkeit ruht Der Verfasser des Büchleins „Von der deutschen Theologie" „wie Adam in uns sterben und Christus in uns erstehen solle" ist unbekannt. Johann vom Goch (Johann Pupper aus Goch bei Cleve, 1475) stellte schon beide Hauptlehren der Reformation auf: die Rechtfertigung des sündigen Menschen vor Gott nur in Gnaden durch den Glauben und die hl. Schrift als Grundlage aller christlichen Lehre. Ein Prediger zu Worms, Johann von Wesel (ans Oberwesel, 1481), schloß sich diesen Lehren an, wurde der Ketzerei angeklagt und zu lebenslänglicher Hast in einem Kloster verurteilt (1489). Voller Glaubenseifer predigte Johann Wessel aus Groningen gegen den Mißbrauch des päpstlichen Ablaßhandels, der die Geister verwirre und teuflisches Leben anstifte. Von ihm sagte später Martin Luther, hätte er ihn früher gekannt, möchten seine Feinde und Widersacher wohl glauben, er habe dem Wessel nachgebetet und geredet, so aber stimme nur beider Lehre zusammen, weil sie sich in Gottes Wort zusammen finde.
Waren einst die Klöster Pflegestätten wissenschaftlicher Bildung gewesen und die Geistlichen Lehrer des Volkes, im dreizehnten Jahrhundert erstanden der christlichen Lehre Feinde in den Gelehrten des '„Humanismus". Es war das eine neue, von Italien über Deutschland, die Niederlande und weiter sich ausbreitende wissenschaftliche Richtung, die alten Sprachen zu pflegen, aufs neue aus den klassischen Werken ber Alten zu schöpfen, den Gewinn daraus für die Wissenschaft, für das öffentliche Leben zu verwerten. Wenn die Humanisten sich auch zunächst nicht lösen wollten von christlicher Weltanschauung, so ging doch allmählich ber Geist des heidnisch-griechischen Altertums, die phantasiereich belebte
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Götterwelt in die Denkweise der Humanisten über, so daß man sie bald gleichwie Heiden in der Christenwelt ansah. Mit beißendem Spott geißelten sie die Gebrechen ihrer Zeit, die Sünden der Geistlichkeit, und diese that ihr Möglichstes, um den Ruf der Neuerer zu vernichten. Doch konnte das den Zudraug der Jugend zu den Lehr-statten der in ihren Arbeiten und Forschungen verehrungswürdigen Lehrer nicht hindern, und wie die Geschichte in erster Linie zu aller Zeit die von Gottes Weltregierung zeugende Erfüllung ist, so sollten auch die Humanisten der großen Geschichtsentwicklung der Reformation dienen, statt ihr zu schaden (1465 bis 1536).
Der gelehrte Niederländer Erasmus von Rotterdam, einer der vorzüglichsten Forscher und Denker unter den Humanisten, trat dem Christentum durchaus nicht feindlich entgegen, und doch hat gerade er der Kirche in ihrer damaligen traurigen Gestalt durch die Geißel seiner Spottwerke manche schwere Wunde beigebracht. „Das Lob der Narrheit" schildert das weite Reich derselben und verweilt am längsten bei der Geistlichkeit unb bei dem Papste, der „die guten Apostel Peter und Paul für sich regieren läßt, derweil es ihm in allerlei Lust wohl ist . . . ."
Neben dem an Gestalt kleinen unb schwachen Erasmus kämpfte als wackrer Streiter gegen „bas mönchische Ungetüm, bas futtentragende Untier" Ulrich von Hutten. „Ich Habs gewagt unb will bes Enbs erwarten!" so steht er gewappnet mit Wort unb Schwert, ein ebler Geistesritter gegenüber ber Unlauterkeit in Wort unb That, welche sich unter ber Maske mönchischer Frömmigkeit breit machte (1455 bis 1521).
Diesen beiben, Erasmus und Hutten, geistig ebenbürtig war Johann Reuchlin, armer Leute Kinb aus Pforzheim. Er hatte sich nur mühsam, aber besto eifriger, bie Kenntnis aller Sprachen angeeignet unb würbe enblich vertrauter Rat bes Herzogs von Württemberg. Reuchlin war ber erste Deutsche, ber bie Grammatik ber hebräischen Sprache betrieb, bie bis bahin nur von jüdischen Rabbinern gepflegt wurde. Er rief durch Verbreitung von Sprachkeuntnissen die Bibelforschung im Urtext hervor, zum großen Aerger der Geistlichkeit, der am allerwenigsten daran gelegen war, Irrtümer ihrer Schriftlehre zu berichtigen und im Volke Aufklärung zu schaffen. Die Geistlichen brachten es dahin, daß der Gelehrte sogar vor ein Ketzergericht nach Köln Geschieden wurde; aber die Inquisition war machtlos geworden. Reuchlin wurde freigesprochen und fand nur um so viel mehr begeisterte Anhänger.
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Da schrieben seine Freunde die „Briefe der Dunkelmänner", (epistolae obscurorum virorum), in denen sie die Feinde Reuchlins verspotteten. Der Franziskanermönch Thomas Murner griff in seiner „Schclmenznnft" die mönchische Scheinheiligkeit an, und Sebastian Brant hielt in seinem „Narrenschiff" besonders der Geistlichkeit eine derbe Strafpredigt.
Lag darin mancher Zündstoff, so wurde auch der Boden dadurch geebnet, auf welchem die Reformation sich aufbauen konnte. Staatsund Volksleben, Kultur und wissenschaftliche Bildung standen gleichsam auf der Warte, und zu keiner bessern Zeit mochten die morschen Säulen veralteter, unheilvoller Zustände zusammenstürzen, damit es auch hier gelten durfte: „Und neues Leben blüht aus den Ruinen".
Zweiter Teil.
Nr neue JEtti bis zur Gegenwart.
1. Martin Luther, Zwingli, Calvin.
In dem Jahrhunderte langen Streite des Papsttums mit der Kaisermacht um
die Oberherrschaft hatte die Kirche durch die Verweltlichung ihrer Ziele nur ver-
lieren können. Sie hatte unter schwachen Kaisern manche Rechte erlangt, die ihre äußere Machtstellung erhöht hatten, aber innerlich war sie gerade dadurch ärmer geworden, ihres göttlichen Stifters unwürdig. So ruhte in diesem Ringen geistlicher und weltlicher Macht der erste Anlaß zu dem welterschütternden Ereignis, das die Geschichte die „Reformation" nennt.
Zu Anfang des sechzehnten Jahrhunderts mochte das Papsttum wiederum eine Kraftprobe wagen, als Papst 2eo X. dem sühnen, thaten-dmstigen Erzbischof Albrecht von Mainz, Bruder des Brandenburger Kurfürsten, den Verkauf päpstlichen Ablasses verpachtete, um durch den Erlös den Bau der prachtvollen Peterskirche, welchen Julius IT. begonnen hatte, zu vollenden. Dem Erzbischof, Primas des deutschen Reiches, der dem Handelshause der Fugger zu Augsburg tief verschuldet war, sollte die Hälfte aller Einnahmen aus dem Ablaßhandel in den Erzstiften Magdeburg und Mainz gehören. Der geistliche Herr fand besonders
in dem Dominikaner Joh. Tezel einen leichtfertigen Ordensgeistlichen,
der das Geschäft des Ablaßhandels auf seine besondere Art betrieb. Zwar hatte die Ablaßbulle Leo's den vollkommensten Ablaß aller Sünden: Simonie, Wucher, unerlaubte Ehe, Mord u. s. f. an die Bedingung reumütiger Beichte und andächtigen Kirchenbesuch
Born hak, Unser Vaterland.
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ge-
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bunden; aber die Ablaßkrämer ließen diese Bedingungen bald fallen, wenn als Ersatz desto mehr Geld gezahlt wurde. Zogen doch Fugger'sche Agenten mit ihnen von Ort zu Ort, um gleich fünfzig Prozent der
Einnahmen auf der Stelle einstreichen zu können.
Mit großem Gepränge und kecker Marktschreierei zogen die Ablaß-Händler in den Städten ein, wo auch viel Volk vom Lande zusammenströmte, sich die ewige Seligkeit bei Zeiten zu kaufen, damit ja die günstige Gelegenheit nicht versäumt würde; denn Tezel hatte gedroht,
„er werde nunmehr bald das aufgerichtete Ablaßkreuz wieder nieder-
legen und die bis dahin offen gestandenen Pforten des Himmels wieder zuschließen. Und es werde künftig niemals wieder geschehn, daß das ewige Leben und die Vergebung der Sünden um so geringen Preis zu erhalten sein würde, auch nicht zu hoffen, daß jemals, so lange die Welt stehe, eine so große Freigebigkeit des römischen Stuhls wieder nach Deutschland kommen dürfte."
Da gab es Ablaßbriefe mit der Formel der „vollständigen Vergebung und Erlassung für das Leben", auch „Formeln der vollständigen Erlassung für den Augenblick des Todes", Ablaßzettel für jede einzelne Sünde, Freibriefe für Hölle und Fegefeuer. Wo die Ablaßkrämer sich zum Vertrieb ihrer Ablaßbriefe niederließen, wars wie auf einem Jahrmarkt. Das Volk drängte sich um die Ausrufer der Ablaßzettel, der große Geldkasten nahm die Bezahlung auf. „Sobald das Geld im Kasten klingt, die Seele aus dem Fegfeuer springt", das glaubte das arme, betrogene Volk und kaufte sich das seltene Glück für diese und
die zukünftige Welt.
Der Unfug erregte Anstoß genug und erweckte hier Mitleid mit dem irregeleiteten Volke, dort Gleichgültigkeit über die Sünde und Spott, im ganzen und großen aber nur eine namenlose Verwirrung der Gemüter. Wenn das Oberhaupt der christlichen Kirche diesen schamlosen Handel gut hieß, was konnte man dann von den Gliedern erwarten? Die Edleren im Volke meinten, es könne solcher Ablaß gar nicht des Papstes Wille und Befehl sein. Wie konnte sich ein Tezel rühmen, „mehr Seelen in den Himmel gebracht zu haben, als sämtliche Apostel mit ihrer Predigt?"
Die Humanisten spotteten, Theologen disputierten, und vorsichtige Leute, darunter die Bischöfe, schwiegen zu einem Unfug, den die Landesherren ungehindert geschehen ließen. Ein frommer, ernster Mann, Dr. Martin Luther, Magister an der neu errichteten Universität
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Wittenberg, hatte den Mut, den: öffentlichen Aergernis offen entgegen Zu treten. Ihn jammerte des Volks, dessen Unwissenheit und Verrohung er im Beichtstuhl kennen lernte, und voll heiligen Eifers predigte er unablässig gegen das verkehrte Treiben, seit Tezel auf dem Markte zu Jüterbogk ein Feuer angezündet und dazu verkündet hatte, daß alle ketzerischen Widersacher des Papstes also verbrannt werden sollten.
Martin Luther, der wegen seines strengen, sittlichen Wandels und ebenso wegen seiner hohen Gelehrsamkeit überall in Ansehen stand, war als der Sohn eines armen Bergmanns am 10. November 1483 Zu Eisleben geboren. „Ich bin eines Bauern Sohn, mein Vater, Großvater und Ahn sind rechte Bauern gewesen. Darauf ist mein Vater gen Mansfeld gezogen und ein Berghauer worden, daher bin ich," erzählt Luther von sich. In harter Zucht wuchs er auf; denn „die Schulen waren damals rechte Kerker und Höllen." Auch die elterliche Erziehung muß überaus streng gewesen sein; denn nm einer einzigen Nuß willen wurde er vou seiner Mutter „so gestäupt", daß „das Blut floß."
Da der Knabe gute Anlagen zeigte, schickte ihn sein Vater auf die lateinische Klosterschule uach Magdeburg, „wo man die Kinder wie Vögel im Vogelbauer hielt und ihnen keine Ergötzung gönnte." Es ging dort eben so dürftig zu, wie später in Eisenach, wo der vierzehnjährige Knabe bei Verwandten wohnte, sich aber Almosen an fremden Thüren ersingen mußte. Eine wohlhabende Bürgerfrau, Frau Cotta, fand Gefallen an dem frommen Currendeschüler, der so schön und innig sang. Sie ließ ihn im Flöten- und Lautenspiel unterrichten und unterstützte ihn auch sonst reichlich.
Seines Vaters Verhältnisse hatten sich in der Zeit gebessert. Martin Luther sollte darum studieren und zwar, wie vornehmer Leute Kind, Jura. Schon nach vier Jahren erlangte er auf der Universität Erfurt die Magisterwürde, und eine glänzende Laufbahn schien vor dem jungen Gelehrten zu liegen, als er, ohne daß seine Eltern vorher davon wußten, in das Augustinerkloster zu Erfurt eintrat und das Mönchsgelübde ablegte. Voller Aufregung über eines Freundes plötzlichen Tod durch Blitzschlag, der auch ihn in gleicher Weise treffen konnte, suchte er Frieden und Versöhnung mit dem strengen, allgewaltigen Gott in den stillen Klostermauern. Doch die härtesten Bußübungen, die niedrigsten Dienste öes Klosterlebens, brachten dem jungen Augustinermönch nicht die Nub?
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des Gemüts, die er unter tiefsten Seelenqualen suchte. Einst hatte man ihn ohnmächtig in der Zelle liegend gefunden, und schwere Krankheit hatte ihn darnieder geworfen, als der schwache Körper dem vergeblichen Ringen unterlegen war.
Im Kloster verstand niemand den frommen Bruder, der doch mehr als seine Pflichten erfüllte. Er mochte wohl später sagen, wenn einer durch Möncherei, d. H. durch strengste Pflichterfüllung derselben, „in den Himmel käme, so wollte er auch hinein kommen sein". Da kam zu rechter Zeit der fromme Generalvikar Joh. v. Staupitz in das Augustinerkloster nach Erfurt, der zu Luther das erlösende Wort sprach: „Der Gerechte wird seines Glaubens leben!" So oft gelesen und doch nie verstanden, richtete diesen das Wort zu neuem Leben auf: „So halten wir es nun, daß der Mensch gerecht werde ohne des Gesetzes Werke^ allein durch den Glauben."
Der erfahrene Staupitz verordnete eine zweite Medizin, die Arbeit. Auf seinen dringenden Rat ging Luther als Lehrer der Philosophie an die neu errichtete Universität zu Wittenberg (1502), wohin ihn Kurfürst Friedrich der Weise berief, wohnte aber in dem dortigen Kloster. Später übernahm er anf Wunsch seines Fürsten einen Lehrstuhl der Theologie und wurde Prediger an der kurfürstlichen Schloßkirche. Hier konnte er öffentlich die Mißbräuche des -Ablaßhandels rügen und der Zu drang zu seinen Predigten wurde immer größer, je unumwundener er über Dinge zu sprechen wagte, die jeder ehrliche Mensch im Stillen längst mißbilligt hatte (1508). In Ordensangelegenheiten hatte er in Rom einen Auftrag auszurichten gehabt und war als frommer Priester zu Fuß von Kloster zu Kloster gepilgert, um in mühsamer, verdienstvoller Pilgerfahrt die heilige Stadt zn erreichen. Wie sank aber der Heiligenschein Roms bei näherem Anschauen in ein Nichts zusammen, wie sah päpstliches und priesterliches Verdienst hier so ganz anders aus, als Luther es sich einst daheim gedacht hatte (1510)1 Darum kam er mit neuen, unerwarteten Anschauungen zurück und sah das Werk der Kirche, den verkäuflichen Ablaß, mit Entsetzen an. Anfangs trat Luther mit schüchterner Bitte, bald voller Glaubenseifer dem Unfug entgegen, ohne den Papst dadurch angreifen zu wollen.
Kurfürst Friedrich der Weise soll während eines Reiseaufenthalts im Schlosse zu Schweinitz geträumt haben, er sehe einen Mönch in so großer Schrift etwas an die Thür der Schloßkirche zu Wittenberg schreiben, daß man es im Schlosse zu Schweinitz lesen konnte. Die
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Feder wuchs von Minute zu Minute ins Unendliche, bis sie in Rom
so an die dreifache Krone des Papstes stieß, daß diese zu fallen drohte.
Tcr Kurfürst griff eilends zu, sie zu halten und erwachte.
Nach Sitte der Zeit, gelehrte Meinungen zu veröffentlichen, heftete Luther am 31. Oktober 1517 an die Thür der Schloßkirche zu Wittenberg 95 Schriftsätze (Thesen), durch diese die Unhaltbarkeit des Ablaßhandels darzuthun. Der erste Satz lautete: „Indem unser Herr
Jesus Christus sagt: Thut Buße und bekehret euch, wollte er, daß
das ganze Leben der Gläubigen Buße sei . . ." und weiter hieß es,
ivie der Papst aus sich keine andere Pein erlassen könne, als die er selbst aufgelegt; nur wenn des Papstes Erlaß als eine Erklärung des göttlichen Willens gelte, könne darin eine Rechtfertigung von Sünden ruhen. So sei denn der Ablaß in seiner gegenwärtigen Gestalt un-christlich und gegen die echte Lehre der katholischen Kirche. Auch der Papst „wolle sicher lieber St. Peters Dom zu Pulver verbrennen, als ihn aufbauen mit Haut und Haar, Fleisch und Knochen seiner Heerde."
Diese Sätze, lateinisch geschrieben, waren zunächst darauf berechnet, gekehrte Antworten, Disputationen, hervor zu rufen. Zuvor hatte sie Luther an den Erzbischof von Mainz und an vier andere Bischöse mit der Bitte gesandt, den elenden Ablaßhandel abzustellen; aber nur einer, der Bischof von Brandenburg, hatte es der Mühe wert gehalten, überhaupt zu antworten. In einigen Wochen waren diese 95 Thesen „schier die ganze Christenheit durchlaufen, als wären die Engel selbst Botenläufer." Obgleich Luther an Leo X. eine Rechtfertigungsschrift gesandt hatte (7. August 1518), erhielt er doch den Befehl, binnen sechzig Tagen nach Rom zu kommen, sich dort zu verteidigen. Doch wurde er später auf den Augsburger Reichstag gefordert, sich hier vor betn päpstlichen Legaten Cajetan zu verantworten. Dieser war beauftragt, nach geleistetem Widerruf Verzeihung angedeihen zu lassen, andernfalls den trotzigen Mönch in den Bann zu thun und nach Rom zu liefern.
Das war noch unter der Regierung Maximilians, der zu dieser Zeit voll lebendigster geistiger Interessen päpstliche Uebergriffe mit Erfolg hätte bekämpfen können, da er hierin einen Rückhalt an den Kurfürsten hatte. Statt dessen hielt er es mit dem Papst und ließ die kirchlichen Dinge im Reiche gehen, wie sie wollten. Zwar hatte er Luther einen Geleitsbrief ausgestellt und nach dessen Begegnung mit
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Cajetan, der in dem Magister mehr „als ein gewöhnliches Mönchlein" erkannt hatte, hatte auch der Kaiser ihm mehr Wichtigkeit beilegen sollen. Der päpstliche Legat hatte betont, „daß ihm ein Granen angekommen" sei über des Deutschen Gelehrsamkeit, aber auch über den Ernst und Eifer desselben. Er hatte Luther drohend zum Abschied zugerufen, da dieser nichts widerrufen hatte, vor ihm möge er sich nimmer wieder sehen lassen. Darum war Luther trotz kaiserlichen Geleitsbriefes, der bekannter Maßen wenig zuverlässig war, heimlich aus Augsburg entwichen und wohlbehalten in Wittenberg angekommen. Cajetan verlangte seine Auslieferung vom Kurfürsten, der dem Kardinal antwortete, daß ihm „die Gerechtigkeit verbiete, vor erwiesener Schuld zu strafen. Auch könne er seine Universität nicht ihrer schönsten Zierde berauben."
Da der Ablaßhandel in den Händen der Dominikaner war, nahmen die mit ihnen aus gespanntem Fuße lebenden Augustiner, die im Volke sehr beliebt waren, schon darum Luthers Partei, und was anfangs nur Sache der Gelehrten gewesen war, fand schnelle Verbreitung in allen Schichten der Bevölkerung. Auch die unausgesetzten Streitigkeiten der römischen Päpste mit den deutschen Kaisern hatten in Deutschland manchen Keim der Unzufriedenheit gegen das Papsttum gelegt, der nur geringen Anlasses bedurfte, um in offener Feindseligkeit empor zu wachsen. Wie lange war der Groll unterdrückt worden darüber, daß die Päpste ihre Schatzkammern mit dem Gelde der Deutschen füllten!
Nochmals versuchte ein päpstlicher Nuntius, der sächsische Edelmann Karl von Miltitz, Luther zum Widerruf zu bewegen; denn die Religionsstreitigkeiten in Deutschland, zu denen die Predigt gegen den Ablaß heran gewachsen war, erschienen dem Papst jetzt ernst genug, um sie zu unterdrücken. Luther gewann immer mehr Anhang, und mancher bedeutende Gelehrte stand ihm zur Seite. Es sei hier nur Philipp Melanchthon genannt, ein Neffe Reuchlins, dessen hohe Gelehrsamkeit und tüchtigen Sprachkenntnisse eben so segensreich Luthers Arbeiten förderten, wie sein milder, gefälliger Charakter das leicht aufbrausende Gemüt des Reformators besänftigte. „Ich bin der grobe
Waldrichter," sagte Luther von sich, „der Bahn machen muß, aber Magister Philipp fährt säuberlich daher, säet und begeußt mit Lust."
Nach verschiedenen Unterredungen mit Miltitz versprach Luther zu schweigen, wenn seine Gegner schweigen würden; zum Widerruf war er nicht zu bewegen, vielmehr hoffte er gerechte Entscheidung
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vom Papste, den er in einem Schreiben nach Rom „einen Daniel unter den Löwen, eine Rose unter den Dornen und ein Lamm unter den Wölfen" nannte. „Ich bezeuge vor Gott und allen Kreaturen, daß ich nie willens gewest, noch heutigen Tages bin, der römischen Kirche und Ew. Heiligkeit Gewalt auf einerlei Weise anzugreifen oder mit irgend einer List etwas abzubrechen." — In solcher Stimmung war Luther von Miltitz geschieden; aber das erbetene und versprochene Stillschweigen der Gegner wurde nicht gehalten (1519).
Einer der größten Gegner Luthers, der ruhmbegierige, aber streitsüchtige Dr. Eck lud den Wittenberger Professor Karlstadt (Boden-stein) und Luther zu einer Disputation nach Erfurt oder Leipzig. Sie fand nach Erlaubnis des Herzogs Georg von Sachsen auf der Pleißen-burg zu Leipzig statt (1520), und schon hatte es den Anschein, daß Karlstadt dem gewandten und bibelkundigen Eck nach tagelangem Disputieren unterliegen sollte, als Luther in den Kampf eintrat. In seiner gewaltigen Rede griff er, vielleicht unbeabsichtigt, auch den Papst an und leugnete immer mehr dessen göttliche Stellung, welche die Kirche oder er selbst beanspruchte. Als man Luther vorhielt, daß er so mit den Ketzern Wiklef und Huß übereinstimme, welche doch die Konzilien verdammt hätten, scheute sich Luther nicht, auszusprechen, daß unter den zu Konstanz verdammten Artikeln mancher grundchristliche gewesen sei.
„Das walt' die Sucht!" rief Herzog Georg, und auf Luthers Einrede, daß auch Konzilien irren könnten, sagte ihm Eck: „Ehr-
würdiger Vater, wenn ihr das glaubt, seid ihr mir wie ein Heide und Zöllner."
Die Disputation führte nicht zur Einigung; aber sie klärte Luthers Stellung von mancher Ungewißheit. Jetzt sprach er es überall öffentlich aus, daß die Glaubenslehre von der Rechtfertigung, wie sie ihm der ehrwürdige Vikar Staupitz in Pauli Worten vorgetragen, hussitische Lehre war, und daß er fortsetzen wolle, was diese begonnen habe. Bald kam eine päpstliche Bulle von Rom, welche einundvierzig aus Luthers Schriften gezogene Sätze verdammte, die Luther in sechzig Tagen zu widerrufen habe. Benutze er diese Frist nicht, sollte er selbst in den Bann gethan werden.
Das Volk riß die an den Straßenecken und Kirchenthüren angeklebten Verkündigungen des päpstlichen Willens ab; auch die Obrig-
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feiten verboten diese Zettel, welche Unruhe und Aergernis im Volke hervorriefen. Luther selbst folgte der Heftigkeit seines Charakters, als er durch einen Anschlag bekannt machte (10. Dez. 1520), die päpstliche Bulle samt Kirchenrecht wolle er öffentlich verbrennen. In der Morgenfrühe eines kalten Dezembertages sammelten sich Studenten und Lehrer der Hochschule um ihn, und begleitet von einer Menge Volks zogen alle vor das Elfterthor zu Wittenberg hinaus, wo ein Scheiterhaufen angezündet wurde, in dessen Flammen Luther Stück für Stück der Schriften Ecks, das Corpus iuris canonici und endlich die päpstliche Bulle hineinwarf und dabei feierlich ausrief: „Weil du den Heiligen des Herrn betrübt hast, so betrübe und verzehre dich das ewige Feuer!" Damit war das Band zerrissen, das Luther noch an die katholische Kirche, an den Papst gebunden hatte.
Zu derselben Zeit, als Luther in Deutschland den Kampf gegen die Mißbrauche der Kirche und gegen das Papsttum aufnahm, war in dei Schweiz Ulrich Zwingli, Pfarrer in Zürich dagegen aufgestanden. In den wesentlichen Punkten mit Luther einer Meinung, da beider Lehre sich auf die hl. Schrift gründete, führte Zwingli selbst in Äußerlichkeiten eine Reformation der Kirche ein. Bilder, jeder äußere Schmuck, selbst die Orgel wurde aus derselben verbannt. Doch ein Hauptunter-schieb ber beiberfeitigen Lehrauffassungen bestaub in ber Lehre vom Hl. Abenbmahl. Konnte Luther sich nicht von bem Wort lösen: „Das ist mein fleisch — mein Blut," so wollte Zwingli nur bilbliche Zeichen in Brot unb Wein sehen, bie an Christi Opfertob erinnern sollten. Wäre biefe schwerwiegend, aber immerhin nur einzige scheibenbe Schriftstelle frieblich umgangen worben, welche Macht hätte in einer einigenben Auffassung gelegen!
Statt beffen befeinbeten sich bie beibett Reformatoren mit größter Heftigkeit, unb bas Volk mochte irre werben an seinen Hirten, bie sich gegenseitig Jrrlehrer schalten. Zwinglis Lehre breitete sich in ber Schweiz, in ben Nieberlanben unb in Frankreich aus, wo Calvin einer ber eifrigsten Beförberer ber Zwinglischen Lehre würbe unb, ba er sie vielfach erweiterte, mit Recht neben biefem als Begrünber ber „reformierten Kirche" genannt wirb. Zu Noyon in Frankreich (1509) geboren, mußte er seiner Lehre wegen bie Heimat verlassen unb ging nach Genf. — Immer klaffenber würbe bie Spaltung zwischen ber lutherischen unb ber refomierten Kirche unb führte später, nachbem
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eine versuchte Einigung durch ein Religionsgespräch zwischen Luther und Zwingli zu Marburg völlig resultatlos verlief, zu erbitterten und weitgreisenden Kämpfen.
2. Karl V. deutscher Kaiser.
(1519 bis 1556).
Seit Maximilians I. Tode waren bereits fünf Monate verflossen, ohne daß die deutschen Fürsten zu einer endgültigen Königswahl gelangt wären. Neben dem spanischen König Karl I. bewarb sich Franz I. von Frankreich um die deutsche Krone. Beide, fast gleich an Macht
und Ansehen, waren Fremde für das Reich, dessen Sprache sie nicht
einmal zu reden wußten. Karl, der sich rühmte, spanisch mit Gott, italienisch mit den Frauen, französisch mit seinen Freuuden und deutsch nur mit seinen Pferden zu sprechen, war als der Sohn Philipp des Schönen von Oesterreich und dessen Gemahlin, Johanna von Aragonien, im Jahre 1500 zu Gent in Flandern geboren. Kaum 17 Jahre alt, hatte er von seiner Mutter die Königreiche Spanien, Neapel und Sardinien geerbt und durch die glücklichen Entdeckungen auch das goldreiche Amerika erhalten. Als Sohn Philipps war er Erbe Burgunds und der österreichischen Stammländer. Schon auf dem Reichstage zu Augsburg (1518) hatte ihn sein Großvater Maximilian den Fürsten als zukünftigen Kaiser empfohlen, der mächtig genug sei, das Reich gegen die Türken zu schützen. Daneben hatte er einst die deutsche Krone dem König von England angetragen, ein andermal dem jungen König Ludwig von Böhmen und Ungarn zugesichert. Beide traten bald vor den andern mächtigern Bewerbern zurück, denen einzig der im ganzen Reiche hochangesehene Kurfürst Friedrich der Weise erfolgreich hätte den Rang streitig machen können, weil ihn die deutschen Fürsten am liebsten gewählt hätten. Aber Friedrich wußte wohl, daß die deutsche Krone in den bewegten Zeiten eine Dornenkrone werden konnte. Der Kurhut von Sachsen trug sich leichter, um so mehr, da der Papst bei
der Kaiserfrage auch mitreden wollte.
Solche Unsicherheit der Wahlverhältnisse öffnete allen Möglichkeiten die Aihür. Beide Könige, Karl von Spanien und Franz von Frankreich, suchten sich die Gunst Leo's X. zu erwerben, der im Grunde keinen von beiden mochte, aber einen Legaten für Spanien, den andern für Frankreich wirken ließ, doch verblieb die endliche Wahl
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mir den Kurfürsten, deren Stimme um den höchsten Preis erkauft werden mußte. Frankreich wollte sich die deutsche Krone 3 Millionen Thaler kosten lassen. Französische Agenten sollten diese klug in Deutschland verwenden. Gewiß hätten sie ihrem Könige den deutschen Thron verschaffen mögen, wenn sie nicht unausgesetzt sich bemüht hätten, dessen Gegner Karl als einen eben so unfähigen, wie kränklichen Herrscher hinzustellen. Solcher Herr war den Kurfürsten gerade recht, um ihn beherrschen zu können, und so geneigt sie anfangs für den Franzosen waren, bald galt ihnen der Habsburger in seiner Schwäche mehr, als jener.
Zu den Herren, die es mit Frankreich hielten, gehörte vornehmlich der Brandenburger Kurfürst Joachim I., der am liebsten selbst deutscher Kaiser geworden wäre. Gelang das nicht, so sollte ihm Frankreich wenigstens den Schaden reichlich vergüten. Da eine Vermählung des brandenbnrgischen Kurprinzen mit einer österreichischen Prinzessin nicht zu staude kam, und die Franzosen als Ersatz die Tochter Ludwigs XII. geboten hatten, machte Joachim seine Zustimmung von einer Aussteuer von 200 000 Sonnenthalern und einem Jahresgehalt von 120 000 Thalern für sich und den Kurprinzen abhängig, auszahlbar bis an dessen Lebensende. Falls die Wahl des französischen Königs als deutsches Reichsoberhaupt gelang, sollte dieser außerdem verpflichtet sein, den Kurfürsten zu seinem Statthalter in Deutschland zu ernennen. Dem Bruder Joachims, Kurfürst Albrecht von Mainz, schien das verlockend; auch er begehrte für seine Stimme von König Franz einen Kaufpreis von 120000 Thalern und ein Jahrgehalt von 10000 Thalern.
Alles wurde von: französischen König bewilligt.
Indessen setzte Karl von Spanien in aller Stille seine Bemühungen um die deutsche Krone fort, die er als Enkel Maximilians I. wie ein rechtmäßiges Erbteil ansah. Er fand zunächst eine Stütze an den franzosen-feindlichen rheinischen Städten. Als dann aber Leo X. den Kurfürsten die Weisung zugehen ließ, sich der Wahl des Oesterreichers zu enthalten, erweckte er dadurch ihren Widerspruch, durch welchen König Karl gewinnen mußte. Die spanische wie die österreichische Partei machten schon lebhafte Kriegsrüstungen, beide suchten Bundesgenossen, als der spanische König Karl (\r.) zum deutschen Reichsoberhaupt erwählt wurde (27. Juni 1519). Ihm hatte die deutsche Krone zmölf Millionen Thaler gekostet. Dieselben Kurfürsten, deren Stimme von Frankreich teuer erkauft worden war, hatten sich nun von Karl Y.
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erhandeln lassen. Sie hofften sich durch einen strengen Wahlvertrag,
später „Kapitulation" genannt, zu entschädigen, durch deren 34 Artikel sie den König von si'ch abhäugig erhalten wollten. Karls Gesandte unterschrieben unweigerlich alles Verlangte. Fremde Bündnisse, auswärtige Kriege, die Berufung von Reichstagen, Reichssteuern, waren an die Bewilligung der Kurfürsten gebunden. Auch sollte Karl niemals spanische Truppen nach Deutschland führen dürfen. Wie wenig Karl V. später von dem Versprochenen hielt, zeigt seine Geschichte.
Pfalzgraf Friedrich wurde nach Spanien gesandt, dem König die Glückwünsche der Fürsten zu überbringen und die Bitte auszusprechen, bald im Reiche erscheinen zu wollen. Der französische König machte gute Miene zum bösen Spiel. Er ließ Karl V. versichern, daß er
keinem die deutsche Krone lieber gönne, als gerade ihm. Vier erbitterte Kriege zwischen Karl V. und Franz I., die besonders dem Besitze Italiens galten, sollten beweisen, wie wenig Wahrheit in der Versicherung des französischen Königs lag. Der Papst hielt nun auch einen feierlichen Dankgottesdienst für Karls Erwählung ab, als wäre ihm selbst damit eine große Wohlthat geschehen.
„O Carle, Keyser lobesan, greift du die sach zum ersten an,
Gott würts mit dir on zweyfel Han."
Diese Unterschrift eines Bildes Karls V. aus dem Jahre 1521 war der Ausdruck dessen, was das Volk von ihm hoffte. Aber er kam Zunächst nicht nach Deutschland. Nur seine Kommissare walteten
ziemlich willkürlich, ohne sich um die Artikel der „Wahlkapitulation" zu kümmern. Die kirchlichen Angelegenheiten waren ihre geringste
Sorge, und die Lehre Luthers konnte sich darum eine Zeit lang völlig ungehindert ausbreiten.
Die Gegner der- Reformation in Deutschland waren freilich rührig genug, wie die am 4. Juni 1520 ausgefertigte Bannbulle gegen Luther bezeugte. Schon hatte der feurige Ulrich von Hutten gegen Papst und Geistlichkeit geschrieben, ohne daß Luther weiter gegen Rom aufgetreten war. Da aber Dr. Eck als päpstlicher Protonotar und Nuntius in Deutschland umherzog, sandte auch Luther geharnischte Schriften aus, zuerst „Aufruf an Kaiserliche Majestät und den christlichen Adel deutscher Nation von des geistlichen Standes Besserung" (24. Juni 1520), worin er jedem wahren Christen das geistliche Priestertum zuspricht, auch
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eine unabhängige deutsche Landeskirche begehrt. In der „Babylonischen Gefangenschaft der Kirche" griff Luther die Lehre von den sieben Sakramenten, besonders der katholischen Abendmahlsfeier, an. Endlich sandte er selbst dem Papst eine Schrift zu „Von der Freiheit des Christenmenschen". Ja, er ließ sogar die päpstliche Bannbulle mit einer Gegenerklärung und einer Appellation an ein allgemeines, freies Konzilium drucken, worin er den Papst einen ungerechten Richter, einen Unterdrücker der H. Schrift und Verächter eines freien Konziliums nannte.
Obschon nun Luthers Schriften, er selbst und alle, die sie lesen würden, verdammt waren, diese selbst hier versiegelt, dort verbrannt
wurden, das Feuer, das sie angezündet, ließ sich damit nicht dämpfen.
Nun kam Karl V. in sein neues Reich und ließ sich zu Aachen nach
alt gewohnter Sitte frönen. Der Papst ernannte ihn durch ein Breve
zum römischen Kaiser. Das deutsche Volk aber hatte sich den neuen Herrn doch anders vorgestellt, der nach so langem Abwägen von den Kurfürsten als der Würdigste befunden war, die deutsche Krone zu tragen. Ein schmächtiger, kränklich aussehender Jüngling sah er teilnahmslos auf das ihn urnjubelude Volk, das ihm fremd war.
Katholiken und Lutheraner mühten sich um die Gunst des jungen Königs, den besonders Friedrich der Weise gnädig für Luther zu stimmen suchte. Auch sämmtliche Reichsstände, darunter selbst der eifrig katholische Herzog Georg von Sachsen, beeilten sich, in 105 Artikeln große Beschwerden gegen den römischen Hos und die Entartung der Kirche auszusprechen, indem päpstliche Heiligkeit „täglich so viele Jndulgenz und Ablaß in die deutsche Nation schicke, dadurch arme Einfältige verführt und nur ihrer Barschaft bethört wurden," auch daß der Papst den Bann also mißbrauche, daß er oft um 4 bis 8 Kreuzer damit drohe.
Um diese beklagten Uebelstände zu ordnen, wie die Verhältnisse des Reichsregiments zu regeln, berief Karl V. einen Reichstag nach Worms. Auch wollte er sich die ständische Beihülfe zu einem Kampfe mit Frankreich sichern. Nach den großen Versprechungen des Kaisers knüpfte man entsprechende Erwartungen an diesen Reichstag. „Er gedenke mit Hülfe der Königreiche, der großmächtigen Lande und Verbindungen, die ihm Gott verliehen, das Reich zu feiner alten Glorie wieder zu erheben."
Aber die Fürsten trachteten gar nicht nach der alten Reichsherrlichkeit. Sie suchten die Erfüllung der Wahlkapitulation, die Herstellung des Kammergerichts und des Reichsrats vom Kaiser zu erlangen. So
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viel dieser sich winden mochte, er mußte doch den meisten Forderungen der Fürsten nachgeben. Selbst die Kriegsverfassung blieb ziemlich beim Alten. Die Lasten wurden auf die einzelnen Reichsstände verteilt, imb Karl V. erhielt kaum die Hülfe zu einem Römerzuge auf ein halbes Jahr, der doch seit Alters her kaiserliches Recht war.
Das Volk, die Städte mußten bald einsehen, daß nur zwei Parteien, bei der Kaiserwahl gewonnen hatten, der Kaiser und die Fürsten. Deutschlands berechtigte Interessen kamen in der Folge nur so weit zur Geltung, als sie sich in das Schlepptau der österreichischen Großmacht Karls V. nehmen ließen, der eben seinem Bruder Ferdinand die fünf österreichischen Herzogtümer als Erbe überwies.
Mit dem großen päpstlichen Bann war allezeit die Reichsacht verbunden, und schon darum hätte sich Karl V. Luthers Sache zuwenden müssen, wenn er nicht außerdem von den dem Reformator günstig gesinnten, oder vielmehr gegen den Papst feindlich gesinnten Reichsständen dazu gedrängt worden wäre. Aber mit dem Papst, den er im Kriege gegen Frankreich, wie gegen die spanischen Stände zu gebrauchen dachte,, wollte er es auch nicht verderben, und Luther selbst hatte gebeten, ihn. nicht ungehört zu verdammen.
Jedenfalls sollte Luther auf dem Reichstage zu Worms erscheinen^ obgleich der päpstliche Legat Alexander meinte, mit einem vom päpstlichen Bann belegten Ketzer dürfe nicht unterhandelt werden. Zuerst suchte des Kaisers Beichtvater durch den mit Luther befreundeten Ritter Franz von Sickingen Einfluß auf ihn zu gewinnen, vielleicht ihn zum Widerruf zu bringen. Aber für Luther galt nur die Wahrheit der Hl. Schrift als Grundlage, und darum war nicht anderweitig zu vermitteln.
Er wurde am 26. März vom kaiserlichen Herold unter freiem Geleit nach Worms entboten. Die kaiserliche Ladung lautete:
„Karll von Gottes Gnadenn Erwelterr Rhomischer Kayßerr Zu alleun zetten Mehrer des Reichs 2c.
Ersamer lieber crndechtigerr. Nachdem wir vnnd des heyligen, Reichs Stennde yetz hie verßamlett fuergenhommen vnd entschlosßenn der 2erenn vnnd Bnecher halbenn, ßo eyn zeitherr von dir außgangenn seinn, erkundigung von dir zuentpfahenn haben wir dir herzeknmmenn vnnd von dannen widderumb an ein sicher gewarßam vnser vnnd des Reichs Fyery gestrackh sicherhait vnnd gelaytt gegebenn, das wir dir htenebenn zu senden Mit Beger du wollest dich fürderlich erhebenn Alß»
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das du in den ainvndzwaintzigstenn tagen in solchem vnnßernn geteilt bestimbtt gewisßlichenn hie bey vns seyest vnd nit cmßbeleibest, dich auch keyns Gewalts oder vnrechtens besorgen. Dann wir dich bey dem ob-gemelten vnnßerenn Gelaitt vessticklich handthabenn vellenn. Vnns auch auff solch dein Zukunsst entlich vorlasßenn vnd du thust daran vnnßer ernstlich maynung. Geben in vnnser vnnd des Reichs Stadt Wormbs am Sechsten tag des Monedes Martii Anno zc. 1500 vnd im ainvndzwaintzigstenn vnnsers Reichs im andernn Jarenn."
folgt:
Carolus. (Gegeuzeichnuug des Erzkanzlers)
2C.
Am 4. April 1521 trat Luther in Begleitung des kaiserlichen Herolds und einiger Freunde frohen Mutes die Reise nach Worms an, zu der ihm der Wittenberger Rat ein kleines offenes Wägelchen gestellt hatte. Als er bis Frankfurt gekommen war, sandte ihm sein treuer Freund Spalatin aus Worms die Botschaft entgegen, daß er nicht kommen möge, da die Sache schlimm für ihn stehe. Aber Luther antwortete: „Nach Worms bin ich berufen, nach Worms muß ich zieheu. Und wenn so viel Teufel darinnen wären, als Ziegel auf den Dächern!" Auf die Warnung, daß ihn Huß' Geschick ereilen könnte, hatte er die zuversichtliche Antwort: „Ist auch Huß zu Asche worden, so ist doch die Wahrheit nicht verbrannt."
So traf er am 16. April in Worms ein und sollte am folgenden
Tage seine Lehre vor Kaiser und Reich und vielen geistlichen Herren verteidigen. Alle Welt wollte den kühnen Mönch sehen, der es gewagt, dem Papst zu trotzen, vor dem sich doch die Kaiser beugten, und Luther tonnte nur mit Mühe in die Herberge gelangen. Ant anderen Morgen holte ihn der Reichsmarschall zur Versammlung ab; doch wegen der Volksmenge mußte er auf Umwegen dahin geführt werden. An der
Thür der Vorhalle klopfte ihm der tapfere Feldhauptmann Georg von
Frundsberg auf die Schulter mit dem Wort: „Mönchlein, Mönchlein, du gehest einen Gang, dergleichen ich und mancher Oberster auch in atlerernstester Schlachtordnung nicht gethan. Bist du aber auf rechter Meinung und deiner Sache gewiß, so fahre in Gottes Namen, und sei getrost, Gott wird dich nicht verlassen!"
Erst nach zweistündigem Warten wurde Luther in den Sitzungssaal geführt, wo ihn zunächst die nie geschaute Pracht blenden mochte: Karl V.
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unter betn Purpurbalbachin auf bem Throne, ihm zur Seite sechs Kurfürsten, vierunbzwanzig Herzoge, acht Markgrafen, breißig Bischöfe unb hunberte ctnbcrer Herren. Unter großer Bewegung ber Amvesenben trat Luther ein. Man legte ihm seine Schriften vor mit ber Frage, ob er sie als bie seinen erkenne unb auf seine bejahenbe Antwort bie Frage, ob er sie wiberrufen wolle. Der bleiche, kaum von schwerer Krankheit genesene Mönch schien einen Augenblick schwankenb zu sein. Er bat um Bebenkzeit bis zum anbern Tage.
In stunbenlmiger Rebe, bie er nachher um bes Kaisers Willen lateinisch wieberholen mußte, unterschieb Luther in ber Sitzung bes folgenben Tages brei Arten seiner Schriften. Was er vom christlichen Glauben und seinen Werken schlicht unb einfach gerebet, sei nur christlich. Hier könne er nicht wiberrufen. Wollte er ferner bas wiberrufen, was er gegen ben Papst unb Papsttum gerebet, bas burch böse Lehre unb Exempel bie Christenheit an Leib unb Seele verwüstet habe, so würbe er sich zu einem Schanbbeckel ber Bosheit machen. Was er aber gegen einzelne Personen geschrieben unb gerebet, bavou wolle er gern zugestehen, baß es hätte mit mehr Sanftmut geschehen mögen, aber Wahrheit seien auch biese Schriften. Doch wolle er sich gern weisen lassen, könne man ihn nur eines Besseren belehren. Aber ber Kaiser iimrbe ungebulbig, Luther solle kurz unb biinbig reben.
Da faßte sich Luther ein Herz unb sagte mit lauter Stimme, daß es alle hören konnten: „Weil beim Eure Kaiserliche Majestät, Kur- unb Fürstliche Guabeu eine schlichte Antwort begehren, so will ich eine solche geben, bie roeber Hörner noch Zähne haben soll, ber-maßen: es sei beim, baß ich mit Zeugnissen ber hl. Schrift ober mit klaren unb hellen Grünben überwnnben werbe, so kann unb will ich nichts wiberrufen, weil roeber sicher noch geraten ist, etwas wiber bas Gewissen zu thun."
Als man ihn nochmals zum Wiberruf brängte, rief er jene ewig denkwürdigen Worte: „Hier stehe ich, ich kann nicht anbers, Gott helfe mir. Amen!"
Verstimmt hob ber Kaiser bie Sitzung auf, ihm hatte Luthers lebensvolle Rebe, bie er kaum verstauben, nicht zugesagt. Als Luther burch ben Vorsaal schritt, ließ Herzog Erich von Braunschweig ihm einen Krug Eimbecker Bier reichen; beim er war sehr ermattet unb bankte: Wie Herzog Erich jetzt meiner gebacht hat, also gebenke unser Herr
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Christus seiner in feinem letzten Stündleiu, und soll Herzog Erich sich dieser Worte in der Todesstunde erinnert haben.
In der Herberge angekommen, reckte Luther die Hände empor und rief: „Ich bin hindurch; ich bin hindurch!" Aber sicher durste er sich dennoch nicht fühlen; denn schon am folgenden Tage ließ der Kaiser den Fürsten mitteilen, daß er den Ketzer in die Acht thun werde. Nur das gegebene kaiserliche Geleit sollte ihn 21 Tage lang schützen. Er wolle nicht mit Sigismund erröten, soll Karl V. denen geantwortet haben, die ihn hatten bereden wollen, einem Ketzer nicht das Wort zu halten.
Am 26. April hatte Luther Worms verlassen und war schon glücklich in Eisenachsches Gebiet gekommen (1521), als er am 4. Mai in der Nähe des Schlosses Altenstein von bewaffneten Rittern aufgegriffen und heimlich nach der Wartburg gebracht wurde. Auf diese Weise hatte der Kurfürst von Sachsen seinen verehrten Magister gesichert. Doch durch Deutschland zog das Gerücht, Luther sei durch Mord aus dem Wege geräumt worden, und manche Klage wurde laut. Albrecht Dürer schrieb: „D Gott, ist Luther tot, wer wird uns hiesür das heilige Evangelium so klar fürtragen? O ihr frommen Christenmenschen alle, helft mir fleißig beweinen diesen gottgeistigen Menschen und Gott bitten, daß er uns einen andern erleuchteten Mann sende.
Unterdessen lebte Luther ein Jahr lang auf der Wartburg unter dem Namen eines Junker Jörg, und wenn auch später sein Aufenthalt
bekannt wurde, so zeugt es für Luthers Ansehn im Volke, daß ihm
weder Bann noch Acht etwas anhaben konnten. Das Leben auf der Wartburg war eine Zeit stiller Einkehr für den Reformator, in der er ernstlich prüfen mochte, ob sein Werk aus Gott sei. Wie mancherlei
Anfechtungen er dabei ausgesetzt war, zeigt die bekannte Sage von der
Erscheinung und Versuchung des Teufels, nach dem Luther mit dem Tintenfaß geworfen haben soll.
In der Sülle dieses Jahres fand Luther auch Zeit und Sammlung, ein Werk zu beginnen, das schon allein fähig wäre, seinem Namen ein unsterbliches, dankbares Gedenken im deutschen Volke zu sichern. Es ist die deutsche Bibelübersetzung. Luthers Übersetzung des neuen Testaments erschien schon im September des Jahres 1522; doch wurde die ganze Bibel erst im Jahre 1534 vollendet. Der Gelehrte MathesiuS schrieb darüber: „Das ist der größten Wunderwerke eins, das unser
Gott durch Dr. M. Luther vor'm Ende der Welt hat ausgerichtet, daß er uns eine schöne, deutsche Bibel läßt zurichten und redet und erklärt uns, was sein ewiges, göttlich Wesen und gnädiger Wille ist, in guten, derben und verständlichen deutschen Worten."
Die Bibelübersetzung, von der Luther sagt, daß er sie „nur zu Gottes Ehren und zum Dienst der lieben Christen" schrieb, ohne auch nur „einen Heller" dafür zu nehmen, wurde ein Meisterstück deutscher Sprache, für deren Bildung sie durchaus maßgebend blieb. Luthers Freunde: Melanchthon, Crnciger, Bngenhagen, Justus Jonas und Aurogallus hatten ihm bei der Uebersetzuug treue Handlangerdienste geleistet, wenn seine eignen Kenntnisse im Griechischen und Hebräischen nicht ausreichen wollten.
Was Luthers Bibelübersetzung für die Entwicklung der evangelischen Kirche gewesen ist, wie sie noch heute die allgemeine Grundlage ihrer Christenlehre bildet, das läßt sich nicht in kurze Worte fassen. Jeder Einzelne fühlt und weiß, was ihm darin gegeben ist. Auch wie sich an die deutschen Psalmen zunächst das evangelische Kirchenlied anlehnte, wie das Gotteswort neben und über viel dumpfer Verwirrung der Gemüter im Volke so lebendig wurde, daß sogar die einfachsten Leute Prediger und Verkündiger desselben in ihren Kreisen wurden, das alles waren Spuren eines Werkes, das nur in Gottes Wort begründet, doch eine Welt umgestalten sollte.
Die eifrigsten Verkündiger des neuerstandenen Gotteswortes wurden die Augustinermönche, auch die antipäpstlichen Franziskaner. In jeder Stadt traten reformatorische Prediger auf, aber auch Ritter, Handwerker, selbst Frauen, wie die gelehrte Argula von Grumbach, welche die Universität Ingolstadt zu einer Disputation auf Grund des Gotteswortes heraus forderte, alle nahmen einen Kampf auf, der in seinen Erfolgen beweisen sollte, ob die Reformation nur Menschenwerk sei. Sie wurde zunächst eine Angelegenheit des ganzen deutschen Volkes. Selbst bildende Kunst und Volksdichtung gingen in ihren Dienst, und es gab keinen Stand, der nicht wenigstens für oder gegen „die Pfafferei" Partei genommen hätte, welche sich leider so viel hatte zu Schulden kommen lassen.
Bornhak, Unser Vaterland.
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3. Religiöse und politische Unruhen:
Bilderstürmer, Erhebung der Neichsritterschaft und die Muernkriege
Während Luthers Aufenthalt auf der Wartburg meinten viele seiner Anhänger in Wittenberg, sie müßten ihn dort vertreten und seine vielfach mißverstandene Lehre ausbreiten. Zu ihnen gehörte Dr. Karlstadt, ein Freund Luthers, dessen Eifer und Begeisterung endlich zur Raserei ausartete. An der Spitze eines Haufens rauflustiger Studenten, Mönche und Bauern zog er durch die Kirchen, zerstörte Altäre und geweihte Gefäße, warf Bilder und Beichtstühle auf die Straßen und tobte gegen „die Abgötterei der katholischen Kirche."
Die zügellose Rotte vermehrte sich von Tag zu Tag, und das übel verstandene Wort von der evangelischen Freiheit eines Chrijten wurde Ursache zu viel Unheil. Karlstadt eiferte auch gegen das Studieren und gegen alle Gelehrsamkeit. Er verlangte der Hl. Schrift gemäß ein allgemeines Priestertum jedes getauften Christen und ging in die Werkstätten der Handwerker, um sich von ihnen Gottes Wort auslegen zu lassen, da Gott „den Einfältigen geoffenbart, was er den Weisen verborgen habe." Im Ganzen neigte Karlstadt der hussitischen Schriftauffassung zu, folgte aber den Hnssiten leider auch in ihren Verirrungen.
So gab es viel Thorheit und noch mehr Unfug, dem der Kurfürst von Sachsen um so weniger zu wehren vermochte, als sich Karl-
stadt durch eine in Zwickau entstandene Sekte der „Zwickaner Propheten" zu stärken wußte, aus denen die Rotte der Wiedertäuser entstand, welche noch viel Unheil im Reiche anrichten sollten.
Die Gegner der Reformation triumphierten, unter ihnen selbst der
kluge Erasmus von Rotterdam, der einst der Reformation nicht ab-
geneigt war, aber doch Friedrich den Weisen gewarnt hatte, Luthci zu beschützen. Jetzt mochte auch der Kurfürst int Stillen bereiten, dem
Gelehrten nicht gefolgt zu sein.
Aber Luther hielt weder Acht noch Bann auf der Wartburg zurück. Gegen den Wunsch seines Kurfürsten eilte er nach Wittenberg, und schrieb diesem, der ihn besonders vor dem Herzog Georg gewarnt hatte! 93on meiner ooch aber, gnedigster Herr, ctntiuott
ich also: — — ich hab E. K. F. G. (Euer Kurfürstlichen Gnaden)
genug gethan, das ich dies Jar gewichen bin, E. K. F. G. zu Dienst.
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Denn der Teufel weis fast wol, daß ich's aus keinem zag gethan habe. Er sahe mein Hertz wol, da ich zu Worms einkam, das, wenn ich hette gewusst, das soviel Teufel auff mich gehalten hatten, als Ziegel auff dcu Dächern sind, were ich dennoch mitten unter sie gesprungen mit freuden. Nu ist Hertzog Georg noch weit vngleich einem einzigen Teufel. Vnd sintemal der Vater der abgründlichen Barmhertzigkeit vns durchs Evangelium hat gemacht freidige Herrn vber alle Teufel und Tod, vnd vns geben den Reichthumb der Zuversicht, daß wir thüren (dürfen) zu jhm
sagen: Hertzliebster Vater: kann E. K. F. G. selbs ermessen, das es
solchem Vater die höchste schmach ist, so wir nicht sowohl jhm vertrawen sotten, daß wir auch Herrn vber Hertzog Georgen zorn sind. Das weis
ich ja von mir wol, wenn diese Sach zn Leipzig also stünde, wie zu
Wittemberg, so wollte ich doch hinein reuten, wenn's E. K. F. G. verleihe mir mein nerrisch reden neun Tage eitel Hertzog Georgen regnete, und ein jeglischer neunfach wüthender, denn dieser ist. Er helt mein Herrn (Schrifttum für ein Man aus Stroh geflochten; das kann mein Herr, vnd ich eine zeitlang wohl leiden. Ich will aber E. K. F. G. nicht verbergen, das ich für Hertzog Georgen habe nicht einmal gebeten und geweinet, das jn Gott volt erleuchten. Ich will auch noch einmal bitten und weinen, darnach nimmermehr. — Solchs sei E. K. F. G. geschrieben der Meinung, das E. K. F. G. wüste, ich kome gen Wittenberg in gar viel einem hohem Schutz denn des Kurfürsten. Ich Habs auch nicht im sinn, von E. K. F. G. Schutz begeren. Ja, ich halt, ich wolle E. K. F. G. mehr schützen, denn sie mich schützen könde. Dazu, wenn ich wüsste, daß mich E. K. F. G. könde und wolte schützen, so wolt ich nicht kommen. Dieser Sachen sol noch kan kein Schwerd roden oder helsfen; Gott mus hie allein schaffen one alles menschliche sorgen und zuthun. Darum, wer am meisten glaubt der wird hie am meisten schützen. — — — Es ist ein ander Mann, denn Hertzog Georg, mit dem ich Handel, der kennt mich fast wol und ich kenne ihn nicht vbel. Wenn E. K. F. G. glaubte, so würde sie Gottes Herrlichkeit sehen; weil sie aber noch nicht glaubt,, so hat sie auch noch nichts gesehen. Gott sey Lieb und Lob in ewigkeit. Amen."
In kaum acht Tagen hatte Luther durch tägliche Predigten und durch seinen persönlichen Einfluß die thörichte Schriftauffassung der Bilderstürmer so erfolgreich widerlegt und ihrem tollen Treiben gesteuert, daß die Schwärmer Wittenberg verlassen mußten, aber — und Lias war das Schlimmere — das Gift ihrer Verkehrtheiten in das Reich
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hinaustrugen. Am schlimmsten gestaltete sich die Bilderstürmerei in den Niederlanden.
Während Luther sich mühte, durch Kirchen- und Schulordnung, wie durch christliche Schriften dem deutschen Volke die Reformation zu einem geistigen Besitz zu machen, dabei auch das schlechte Kirchenregiment zu verbessern strebte, verstanden das die untern Volksschichten recht schwer. Sie wollten ivohl eine Befreiung von jedem, auch dem Druck der Kirche und der Geistlichkeit; sich selbst aber dafür um so mehr in die eigene Zucht zu nehmen, um errungene Freiheiten brauchen zu können, fiel ihnen am wenigsten ein. Es mochte ihnen zum Bewußtsein kommen, wie sie durch ihre geistlichen Führer und bischöflichen Herren in Unwissenheit und strenger Abhängigkeit gehalten wurden; doch lebte sichs unter dem Krummstabe der Bischöfe gut, aber daneben hatten die Leute um so mehr Muße, sich um Zeitereignisse zu kümmern, die sie im Grunde längst nicht zu verstehen vermochten. Eine andre volkstümliche Bewegung kam dazu.
Das Reichsregimeut, das unter Karl V. wieder eingerichtet war, in welchem Kurfürst Friedrich der Weise eine hervorragende Stellung einnahm, hatte die beste Absicht, deutsch-nationale Interessen gegen päpstliche Uebergrisfe zu wahren. Es bot der Reformation durch seine Beschlüsse einen solchen Schutz, daß das gegeu die Reformation gerichtete Wormser Edikt recht hinfällig geworden war.
Da erhob sich die deutsche Reichsritterschaft unter Franz von Sickingen, der, ein tapfrer lutherischer Ritter, vergeblich Luther sein Schwert zur Ausbreitung der neuen Lehre angeboten hatte, gegen Reichsverfassung und Fürstenherrschaft, deren landesherrliche Gewalt den Rittern unbequem wurde. Sickingen wollte die Reichsritterschaft in seinem Heere vertreten und führte doch zum größten Teile nur Söldner-fchaaren ins Feld, die er mit seinen Freunden zumeist aus den untern Volksschichten geworben hatte. Die Fürsten thaten sich zusammen und belagerten ihn endlich erfolgreich in seiner Burg Landstuhl, bei deren Verteidigung er den Tod fand. Hätten die Fürsten neue Schießwaffen, so habe er neue Mauern, hatte er zuversichtlich ausgesprochen. Aber die Kugeln legten Bresche um Bresche in die 20 Schuh dicken Mauern, bis sie Franz von Sickingen selbst trafen. Als er todeswund auf seinem Lager ruhte, brachen die Sieger herein, und ehrfurchtsvoll knieten die Fürsten an dem Sterbebett eines der edelsten Ritter nieder, ein Vaterunser für die fliehende Seele zu beten. Kurz nach ihm starb, noch
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nicht 36 Jahre alt, ein anderer Edler seiner Zeit, Ulrich von Hutten, einsam auf der Insel Ufnau im Züricher See, wohin er sich geflüchtet hatte. In diesen beiden Rittern waren zwei tapfre Degen der Reformationszeit dahin gegangen, die ihre ritterlich-romantischen Ideen nicht von geistlichen Dingen zu trennen, aber sie ihnen auch nicht richtig zu verbinden wußten.
Mit Sickingens Fehden war scheinbar nichts erreicht; aber doch wurde das Neichsregiment allmählich beschränkt, und ein Konzil sollte vieles entscheiden. Es kam nicht zu stände, und die süddeutschen Fürsten, welche Nom geneigt waren, beschlossen in dem „Regensburger Konvent" (1524), die verderblichen Irrlehren Luthers zu unterdrücken.
Im Volke, besonders unter den Bauern, wurde dadurch die Erregung nur um so schlimmer. Bei ihnen vermengten sich persönliche und nationale Rechtsinteressen mit allerlei reformatorischen Anschauungen Zu unklaren Begriffen. Das Volk war seit Alters her an kurze bündige Rechtsprechung gewöhnt, bei welcher das Volk selbst einst nicht unbeteiligt war. Das immer mehr sich ausbreitende „Römische Recht", das von vornherein den Fürsten und Herren mancherlei Rechte zusprach, ivurde durch gelehrte Juristen gehandhabt, die auf den Universitäten studiert hatten und oft fremd hergekommene Leute waren, welche manchmal zeigen mochten, daß das Recht eine wächserne Nase hat.
Vielfach verspottet, wie in Sebastian Braut's Narrenschiff, wurden die Advokaten auch wohl mit Stöcken und Dreschflegeln bezahlt. Denn die neuen Rechtsgelehnen gaben den Grundherren, so meinte das Volk, stets Recht vor den vielfach gedrückten Bauern.
Zu diesen über die neuen Rechtsverhältnisse unzufriedenen Bauern kamen die Schwärmer der neuen Lehre, Karlstadt, später Thomas Münzer und viele andere. Sie predigten von einer Abschaffung der Obrigkeit, von christlicher Gütergemeinschaft, in welcher Stehlen und Morden zum Recht gemacht wurde. Die Lehre Luthers, den sie „das sanftlebende Fleisch von Wittenberg" nannten, nahmen sie zum Deckmantel ihrer Raufhändel und Raubzüge, bei denen sogar alles zerstört wurde, was an Schönheit und Kunst erinnerte, Kruzifixe in erster Reihe.
Die Revolutionsführer, welche der Reformation dienen wollten und sie doch zu einem Zerrbild herab würdigten, suchten vergeblich in Luthers Person einen Halt zu gewinnen. Er hatte wohl, selbst ein Mann aus dem Volke, Herz und Verständnis für dessen Leid und
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Bedrückung und in seiner Schrift „von weltlicher Obrigkeit, wie man ihr Gehorsam schuldig ist", die Fürsten streng gemahnt: „Man roird-nicht, man kann nicht, man will nicht ever Tyrannei und muthwillen die länge leiden, liebe Fürsten und Herren; da wisset euch nach zu richten. Gott wills nicht länger haben. Es ist jetzt nicht ein Welt, wie vor Zeiten, da Ir die Leute wie das Wild jagtet und triebet. Darum lasset Ewer Frevel und geweilt und denkt, daß Ir mit Recht handelt und lasset Gottes Wort sein Gang haben" . . . Auch hatte der Reformator in dem „großen und kleinen Sermon vom Wucher" heftig dagegen geeifert, daß die Reichen den Armen Geld um Zinsen borgten. Sie sollten es freudig und nur um Gottes willen leihen, weil sie eben reich wären durch Gottes Gnade.
Das war alles wohl von Luther gemeint, und er hatte damit
nicht zum Aufruhr, sondern zum Frieden gemahnt. Hätten alle reichen.
Leute nebenbei Luthers Christengesinnung gehabt, so möchte wohl Gutes daraus entstanden sein.
Den untern Ständen dünkte solches Reden ein neues, schönes
Evangelium, das aber nichts mit ihrem Christentume zu thun hatte. Aufwiegler zogen durch das Reich, und an den verschiedensten Orten Süddeutschlands thaten sich die Bauern zusammen, gewaltsam Freiheiten von ihren Gutsherren zu fordern (1493).
Im Elsaß entstand die Vereinigung des „Bundschuh" (Bauernschuh) gegen die Ritter, in der schon, und das ist von besonderer Bedeutung, längst vor Luther der politisch-religiöse Apostel Hans Böhm von Niklashausen (das Pfeiferhänsle) aufgetreten war. Dieser hatte
unter großem Zulauf gepredigt und war in Würzburg als Ketzer verbrannt worden (1476).
Im steirischen Dorfe Untergrünbach kam ein Bund zu stände (1502), der zur Losung hatte: „Was ist denn nun für ein Wesen? Man kann vor Mönchen und Pfaffen nit genesen." In Württemberg that sich der Bund des „armen Kunz" oder „Konrad" zusammen (1514), welcher erklärte, daß er „der Gerechtigkeit und den göttlichen Rechten ein
Beistand thun wolle."
Viele ähnliche Bündnisse erstreckten sich über Mittel- und Westdeutschland und bereiteten einen Krieg vor, der durch seine schrecklichen Folgen eine beklagenswerte Erscheinung inmitten der Reformationszeit bleibt. Aus den anfänglich zerstreuten Bauernaufständen entwickelten sich die Bauernkriege. Den Anfang derselben bildete die Empörung
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des Stühlinger Bauern Hans Müller von Bulgenbach (1524), der eine Brüderschaft errichtete, um alle Bauern frei zu machen. Dieser fehlte es nicht an fehdegewandten Führern, welche bei den Bauernaufständen zu gewinnen hofften, wie der vertriebene Herzog von Württemberg durch sie sein Herzogtum wieder zu erwerben dachte. Auch mancher ehrenwerte Mann erkannte die Mißstände an, über welche der Bauer berechtigte Klagen führte, und ein von den Bauernvereinigungen aufgestelltes Programm zeigte, daß kluge Leute neben der kirchlichen Reformation eine Aenderung in betreff der bäuerlichen Verhältnisse für durchaus notwendig hielten. In einer Schrift „Teutscher Nation Not-turft" trat der ganze Abscheu vor den fremden Rechtsgelehrten zu Tage. Es hieß darin: „Alle Doktores der rechten, fy seyen Geystlich oder weltlich im heyligen römischen reych Teutscher Nation sollen nach laut der fürgenommen reformation an keyn gericht, bei keynem rechten, auch in keyns Fürsten obern andern rädten meer erlitten, sondern ganz abgethan werden. Sy sollen auch fürbaß hyn vor gericht ober recht nit weytter reden, schryben oder radtgeben, Seytmals got den menschen mit seiner eygen weißheit begnadt und fürsehen hat ... . Kein Doktor soll sitzen, helffen rechtfprechen, schöpfen noch beschließen, wann In das harter dann den Layen verschlossen ist . . . Dazu synd es nun besoldt fnecht und nit erbdiener des rechten ..."
Einen Kaiser und Herrn wollten die Bauern anerkennen, alle andern geistlichen und weltlichen Herren sollten nichts mehr zu regieren haben. Die Bauernhaufen der „evangelischen Brüderschaft"' wurden bald so mächtig, baß viele Grafen unb Herren ihre Forderungen be-friebigten. Wehe benen, bie es nicht thaten unb in ber Bauern Hände fielen. Ein Gras von Helfenstein wurde nebst seinen Getreuen vor den Augen seiner jammernden Gemahlin und seines unmündigen Kindes unter furchtbaren Qualen zu Tode gemartert, und dazu pfiff ein Ungeheuer lustige Melodien auf der Flöte.
Einer der Haupträbelsführer war Thomas Münzer, geboren zu Stolberg am Harz, ein unruhiger Geist, ber, zuerst Lehrer in Braun-schweig, bann Diakon in Zwickau, sich anfangs Luthers Lehre anschloß. Nach mancherlei Zwistigkeiten mit Mönchen und andern Geistlichen, bei denen Luther vermittelnd eingriss, wurde er dessen Feind und verband sich mit einem schwärmerischen Tuchmacher, Nikolaus Storch, der voll geistlichen Hochmuts sich 12 Apostel und 72 Jünger erwählte, welche seine nübertäuferischen Lehren verbreiten sollten. Nachdem Thomas
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Münzer die Tuchmachergesellen gegen den Magistrat aufgewiegelt hatte, wurde er aus Zwickau verwiesen, ging nach Wittenberg und verband sich mit Karlstadt, bis er mit diesem nach Luthers Rückkehr von der Wartburg auch hier weichen mußte.
Nach weitern Irrfahrten erhielt er eine Pfarrstelle in Allstädt bei Nordhausen, wurde aber auch hier vertrieben, als er die Bauern zusammen rottete, um Kirchen zu zerstören. Von einem Orte zum andern gedrängt, weil er nirgends Ruhe hielt, erließ er endlich eine Schmähschrift gegen Luther von Nürnberg aus, und es gelang ihm, die Bauern in ganz Süddeutschland, besonders an der Schweizer Grenze gegen jede weltliche und geistliche Herrschaft aufzuwiegeln und in drei „helle Haufen", im Allgäu, am Bodensee und an der Donau zu sammeln. Selbst die Bauernweiber bewaffneten sich und halsen sengen und rauben. Daß die ungebildete, rohe Masse des Volks, jedem vernünftigen Wort und Rat unzugänglich, sich vielfach von Wüstlingen und verkommenen Subjekten höherer Stände leiten ließ, machte die Bauernkriege zu dem, was sie wurden, zu einem Kampfe entfesselter, tierischer Leidenschaft. So mußte es ein vermessenes und thörichtes Beginnen bleiben, daß die Führer des Aufstandes in Mitteldeutschland, der sich „Christeinigung" nannte, einen „Bauerustaat" gründen wollten.
Luther erließ zuerst einen mahnenden Aufruf an die Rebellen und forderte die Fürsten auf, einem Unfug zu steuern, den sie selbst durch ihren Uebermut hervorgerufen hätten. Als aber die Gränelthaten der Bauern immer ärger wurden, schrieb er im höchsten Zorn „Wider die räuberischen und aufrührerischen Bauern", die man „totschlagen solle, wie tolle Hunde".
Melanchthon suchte durch Milde Einfluß auf die tobende Menge zu gewinnen; alles vergeblich, sie sollten nur der Gewalt weichen. Georg Truchseß von Waldburg, der Hauptmann des schwäbischen Bundes, schlug zuerst die Bauern im Allgäu. Dann wandte er sich gegen die Schwarzwälder und Württemberger Haufen, 30,000 Mann an Zahl, und schlug sie bei Löblingen. Hier fielen 8000 Bauern. Zuletzt mußten ihm auch die Odenwälder und fränkischen Bauern nach blutiger Niederlage bei Königshofen weichen. Damit war der Aufstaud in Süddeutschland niedergeworfen.
Indeß war Thomas Münzer nach Thüringen zurückgegangen und iviegelte dort das Volk durch Abgesandte auf, die in den Städten
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Nordhausen, Eisenach, auch in Hessen und im Braunschweigischen viele Anhänger ihrer Lehre fanden, deren Hauptziel in einer allgemeinen Gütergemeinschaft gipfelte. Dabei zerstörten die Horden Kirchen, Klöster, Schlösser, überhaupt alles, was ihnen im Wege lag, so daß schließlich nicht viel zum Teilen übrig blieb.
Den vereinten Streitkräften des Landgrafen Philipp von Hessen, des Herzogs Georg von Sachsen und des Herzogs von Braunschweig gelang es endlich, Thomas Münzer mit seiner Hauptmacht an demselben Tage zu vernichten, an dem auch die süddeutschen Bauern bei Würzburg unterlagen (15. Mai 1525). Das Heer bestand nur noch aus 8000 Bauern, die sich bei Frankenhausen hinter einer Wagenburg verschanzten. Aller Zucht und Ordnung baar, fast ohne Waffen und andre Kriegsmittel, sahen die Bauern voller Bangen eine Schaar von 6000 wohl geschulten Rittern heran ziehen. Sie wären drum gern der Aufforderung der Fürsten gefolgt, ihren Anführer Thomas Münzer auszuliefern, um selbst frei auszugehen. Aber dieser bethörte sie durch fanatische Reden von wunderbaren Träumen und göttlichen Eingebungen. Getrost dürften sie alle die heidnische Rotte erwarten; denn alle Kugeln der Feinde würde er mit seinem Rockärmel auffangen. Das ließ sich etwas schwer glauben, und als die Kugeln der Ritter nach allen Seiten hin einschlugen, und viele Bauern fielen, die bis dahin in dem Kampfe nichts gethan hatten, als sich zu fürchten, da stoben etwa 5000 der übrig gebliebenen in wilder Flucht auseinander. Thomas Münzer kroch eiligst auf einen Speicher und versteckte sich dort in einem Bette, wo der feige Heerführer bald gefunden, auf scheußlichste gefoltert und endlich getötet wurde. Nun mochten die Bauern erst mit Recht über die Härte der Sieger klagen, welche mit unerhörter Grausamkeit die schaurigen Thaten der Bauern vergalten. Wenige Fürsten waren menschlich genug, das Möglichste zur Erleichterung der Bauern zu thun, unter ihnen der pfälzische Kurfürst und Karls V. Bruder, Erzherzog Ferdinand. Kurfürst Friedrich der Weise von Sachsen, welcher stets ein gütiger Herr seines Landes gewesen war und zur Milde gegen die Unterthanen gemahnt hatte, „denn wir Fürsten thun den armen Leuten mancherlei, das nicht taugt", war inmitten dieser Unruhen heimgegangen (5. Mai 1525). Sein Arzt sagte von ihm: „Er war ein Kind des Friedens,
darum ist er auch friedlich verschieden."
Kurfürst Johann wurde sein Nachfolger und trat vereint mit den andern Fürsten auch den letzten Erscheinungen der Bauernkriege erfolg-
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reich entgegen. Der deutsche Kaiser aber hatte andres zu thun, als sich um Deutschlands Kriege zu kümmern.
4. Ausbreitung der Reformation in Deutschland während der auswärtigen Kriege Karls V.
(1521 bis 1529.)
Obgleich die Bauernkriege nur sozialen Zuständen entsprungen waren, trugen sie doch eine Gefahr für die Reformation in sich, aus deren Lehren sich die Anführer beriefen. „Was das heilige Evangelium aufrichtet, soll aufgerichtet sein, was das niederlegt, soll nieder gelegt sein und bleiben" hieß es in den sieben Artikeln der „versammelten Bauernschaft im Land zu Frauken". Lutherische Prediger hatten sogar in der Reihe der Bauern gekämpft und es lag nahe, allen reforma-torischen Bestrebungen von Staatswegen entgegen zu treten. Aber die Reformation hatte, bei der in ihr ruhenden Lebensfähigkeit, einen zu wohl vorbereiteten Boden im ganzen Reiche gefunden, und war darum zu fest gewurzelt, um leicht beseitigt zu werden. Das wußte vor allen andern Papst Hadrian VI., dessen Einfluß es zunächst gelang, ein vom deutschen Reichsregiment geplantes Konzil in Speyer zu unterdrücken. In „100 Beschwerden deutscher Nation" suchten die weltlichen Stände ihr Recht, da „ohne billige Abstellung weder Friede noch Einigkeit unter den Ständen, noch eine Unterdrückung solcher Ausbrüche möglich sei, wie die der letzten Aufstände". Dazu verlangten die Stände ein freies christliches Konzilium deutscher Nation. Alles wurde abgelehnt. Die Fürsten sollten dem Wormser Edikt (1524) folgen, das Unterdrückung der neuen Lehre befahl. Sie versprachen, demselben so viel als möglich nach zu kommen, und damit war so gut wie nichts gelobt. Aber Karl V. mußte doch auf günstigere Gelegenheit warten, seine Pläne gegen Reformation und Reichsstände durchzuführen.
Schon Militz hatte einst Leo X. berichtet, daß er auf einen Katholischen allemal drei lutherisch Gesinnte im Reiche gefunden habe. Trotz aller Verfolgungen gegen die Anhänger der neuen Lehre, welche schon in den ersten Jahren ihres Entstehens eine Reihe von Blutzeugen hatte, breitete sich die Reformation in naturgemäßer Notwendigkeit aus. Zwei Augustinermönche, H. VoeS und I. Esch, starben in Antwerpen auf
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dem Scheiterhaufen (15*23). In Wien wurde Casper Tauber enthauptet (1524), in Württemberg und Bayern, überhaupt in Süd-deutschland, loderten viele Scheiterhaufen lutherischer Märtyrer. Ein Professor in Schwaben hatte allein 40 lutherische Prediger aufgehangen, und Herzog Georg von Sachsen ließ in Leipzig zwei Bürger enthaupten, bei denen die hl. Schrift gefunden wurde. Luther pries den edeln Heinrich von Zütphen selig, der in dem Ditmarschner Orte Meldorf auf das Schrecklichste zu Tode gemartert war; durch ihn habe das neu erstandene Evangelium die Bluttaufe empfangen. Nur um so begeisterter wurde die Reformation aufgenommen.
Neben dem berechtigten Gefühl der deutschen Reichsstände, Deutschland von päpstlichem Einfluß zu befreien, erwachte in den deutschen Fürsten das Verlangen, der Geistlichkeit die Verwaltung weltlicher Güter, weltlicher Herrschaften abzunehmen, sich selbst dadurch zu bereichern. Karls V. Bruder, Erzherzog Ferdinand, war der Erste, der das Bistum Brixeu durch einen seiner Räte verwalten ließ, weil dessen Bischof sich der aufrührerischen Bauern nicht hatte erwehren können, „bis auf ein künftiges Conzilium oder eine Reformation des Reichs." Der Vorschlag einiger Glieder des Reichsregiments, alle geistlichen Güter zu säkularisieren, da sie zu nichts mehr nütze seien und darum von der Reichsregierung eingezogen werden müßten, stieß nur auf den Widerstand der geistlichen Kurfürsten, die dadurch verloren hätten. Ja, man wollte diese geistlichen Herren bei einer zukünftigen Kaiserwahl ausschließen, und die Geistlichkeit mochte ans solchen Anträgen sehen, wie weit ihr Ansehen gesunken war, das sie mit Karls V. Hülfe wieder herzustellen hofften. So entstanden inmitten des Reichs unter den Fürsten lutherisch gesinnte Parteien und päpstlich katholisch gesinnte, ohne zunächst schroff gegen einander aufzutreten. Aber durch die Einziehung der geistlichen Güter und die Vereinigung bischöflicher Rechte mit der Landeshoheit, welche die Fürsten auf Grund der Reformation erstrebten, waren sie auch naturgemäß verpflichtet, diese selbst in ihren Ländern zu schützen.
Landgraf Philipp von Hessen suchte die lutherischen Fürsten untereinander zu verbinden; aber Luther und Melanchthon wollten nichts von einem weltlichen Bunde wissen, der dem Evangelium dienen sollte. „Es ist" sagte Luther, „weit ein ander Ding umb das Reich Christi, denn umb das weltliche Regiment, welches den Fürsten und Herren befohlen ist . . . Darum muß man die zweierlei Reich weit
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non einander scheiden, darinnen man Sünde strafet und vergiebt, oder darinnen man Recht fordert und Recht nachlasset" . . . Ungeduldig schalt er wohl: „Ich muß immer solch Unterschied dieser zwei Reiche einbläuen und einfäuen, eintreiben und einfeilen, obS wohl so oft das verdrießlich ist, geschrieben und gesagt ist. Denn der leidige Teufel hört auch nicht auf, diese zwei Reich in einander zu kochen und zu dräuen" . . . Als aber die katholischen Fürsten sich verbündeten, auf alle Weise gegen die Protestanten vorzugehen, schloß Philipp von Hessen mit dem Kurfürsten Johann von Sachsen das „Torgauer Bündnis" (1526), dem später die Herzoge von Braunschweig - Lüneburg, der Herzog von Mecklenburg, der Fürst von Anhalt, die Grafen Mansfeld und viele Städte beitraten.
Nun forderten die „evangelischen" Stände, wie sich Lutheraner und Reformierte gemeinsam nannten, ein freies Konzil, auf dem sie ihre kirchlichen Angelegenheiten schlichten könnten. Mit dem Wormser Edikt sollte es jeder Reichsstand halten dürfen, „wie er es gegen Gott und kaiserliche Majestät zu verantworten sich getraue" Da diesen Forderungen niemand energisch entgegen trat, konnten die Fürsten in ihren Ländern eben so ruhig reformieren, wie die Städte. Der Kurfürst von Sachsen ließ durch Luther und Melanchthon eine Kirchenreform ausarbeiten, welche Kirchen- und Klosterwestm, Schulunterricht, Ausbildung der Lehrer und Geistlichen neu regeln sollte. Danach wurde der Gottesdienst in deutscher Sprache gehalten und die Hl. Schrift zur Grundlage desselben genommen. Der christliche Volfsunterricht der Jugend sollte in erster Linie gepflegt werden. Denn mit Entsetzen hatte Luther die Unwissenheit des Volkes, selbst der Geistlichen ersannt, als er im Kurfürstentum Sachsen umher reifte, Kirchen und Schulen zu untersuchen.
In dem „großen" und „fleinen Katechismus" legte Luther allem Volk die christliche Lehre auf Gruud des Gottesworts durch Frage und Antwort so einfach und liebevoll aus, wie nur ein guter Hausvater sie Kindern verständlich machen kann. Das evangelische Kirchenlied, das jetzt überall ertönte, führte bald zur Abfassung eines ersten deutschen Kirchengesangbuchs (1524). Zur Errichtung von Schulen, Kirchen und Pfarreien wurden die eingezogenen Kirchen- und Klostergüter verwandt, und gerade in Sachsen entwickelte sich die Neugestaltung dieser Verhältnisse so allmählich und ohne Zwang, daß sich nirgends ein Widerstand geltend machte. Auch mochten weder Kaiser noch Papst hindern,
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bstjj sich das deutsche Volk in .seiner Gesamtheit der Reformation
immer zugänglicher zeigte. Doch war nicht ausgeschlossen, daß die lutherische Lehre auch inmitten des Volkes angefeindet wurde. Besonders erregte die Vermählung Luthers mit Katharina von Bora, einer früheren Nonne, vielfach Anstoß. Er wollte, nachdem die Ehelosigkeit der Geistlichen aufgehoben war, auch selbst mit dieser schriftwidrigen Einrichtung der katholischen Kirche brechen, und sein reich
gesegnetes Familienleben zeigt, daß er damit keinen Fehltritt gethan, vielmehr das Vorbild eines christlichen Hausstandes gegeben hatte.
Wer läse nicht mit Rührung die Briefe des zärtlichen Vaters Luther
an sein „Hänsichen", oder von der demütigen Ergebung in Gottes Willen beim Tode seiner kleinen Magdalene, die er getrost zu ihrem Heiland gehen heißt? Luthers Haus ist das echte geistliche Pfarrhaus, in dem Arm und Reich gleich herzlich willkommen sind, und wenn Luthers stets offne Hand nicht anders zu helfen weiß, nimmt er den silbernen Becher, die Pathengabe eines seiner Kinder, aus dem Schranke, dem armen Bruder Studio damit auszuhelfen.
Nach Luthers und Melanchthons resormatorischen Einrichtungen in Sachsen ordneten auch die übrigen deutschen Fürsten, welche bie Reformation angenommen hatten, das Kirchenwesen in ihren Ländern. In Sachsen und Hessen, in den fränkischen Landen der Hohenzollern, in Lüneburg, Ostfriesland, Holstein und Schlesien fand bie neue Lehre Einlaß. In bem beutschen Orbenslande Preußen hatte ber Hochmeister Albrecht von Brandenburg bie lutherische Lehre angenommen, bie er auf einer Reise burch Deutschland) kennen gelernt itnb bei einem Zusammentreffen mit Luther befestigt hatte. Er verwanbelte sein Hochmeistertum in ein weltliches Herzogtum, bas er vom polnischen König zu Lehen nahm (1525). Auch bie preußischen Bischöfe gewährten ber Reformation willig Einlaß. Ebenso in cinbern Säubern, wie Dänemark, Schweden u. s. f. verbreiteten Luthers Schüler und Anhänger die Reformation. Der englische König aber, Heinrich VIII., schrieb eine lateinische Abhandlung gegen Luther, in der er die katholische Lehre von den fiebert Sakramenten verteidigte. Dafür bekam er vom Papste den Titel Defensor fidei“ (Verteidiger des Glaubens), wie der König von Frankreich der „Allerchristlichste", ber spanische König ber „Katholische" itnb ber Oesterreicher als Erbe ber Krone des hl. Stephan von Ungarn „Apostolische Majestät" wurde. Heinrich VIII. ist berfelbe König, ber später um feiner geschiedenen Ehe willen sich vom Papste und von der
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katholischen Kirche lossagte, um sich selbst in England als Haupt der englischen Kirche aufzustellen, dadurch vor allen Dingen unabhängig zu sein und das englische Geld im Lande zu behalten.
Als aber die katholischen Fürsten und Bischöse in der Konvention non Regensburg einen Bund zu gegenseitiger Hülfeleistung geschlossen hatten, lag die Reichsgewalt in ihren Händen, weil sie den protestantischen Herren an Zahl überlegen waren. So wurde es möglich, daß auf dem Reichstage zu Speyer alle den Lutheranern günstigen Entscheidungen ausgehoben wurden (1529). Da thaten sich die lutherischen Stände mit den Anhängern Zwinglis, den Reformierten, zusammen und legten schriftliche Verwahrung dagegen ein, daß ihnen das einmal verliehene Recht der Reformation somit genommen werden sollte. Sie protestierten. Als später des Kaisers Bruder und Stellvertreter, König Ferdinand, die Protestation unbeachtet zurücksandte, beschlossen die protestantischen Fürsten, von da ab nach ihrer Protestation benannt, eine feierliche Appellation an den Kaiser und an die gesamte deutsche Nation. Das war ein bedeutsamer Schritt, die deutschen Reichsstände hatten sich damit öffentlich von einander geschieden. Sieben Landesherren, von Sachsen, Hessen, Brauuschweig-Lüneburg, Mecklenburg, Anhalt, Mansfeld und die fränkischen Hohenzollern, dazu 15 Reichsstädte waren die protestierenden Stände gegen Kaiser und Reich, gegen die katholischen Stände, zu denen die christlichen Fürsten und die Herren Don Oesterreich, Bayern, das Herzogtum Sachsen und viele Städte gehörten, welche alle des Kaisers Schutz erhofften, wenn er erst im Reiche sein würde. Bis dahin war er aber, vom Jahre 1521 bis 1529, durch auswärtige Kriege in Anspruch genommen.
König Franz I. von Frankreich wollte sich für die deutsche Krone, die ihm entgangen war, in Italien schadlos halten. Er forderte darum das einst von Ferdinand dem Katholischen, dem Großvater Karl V., eroberte Navarra für Frankreich und hatte durch den glänzenden Sieg bei Marignano Mailand erobert. „Mein Bruder Karl (V.) und ich", scherzte der joviale König von Frankreich, „wir sind stets einig; denn wir wollen allemal dasselbe" — (haben). —
Weil nun Karl V. seinen Besitz in Italien nicht aufgeben wollte, vielmehr feine Ansprüche auf Burgund erneuern, das Frankreich an sich genommen hatte, mußte er mit Waffengewalt sein Recht suchen. So standen sich die beiden mächtigsten Fürsten Europas, Karl V. und Franz I. kampfbereit gegenüber.
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Schon im ersten italienischen Kriege rückten die Franzosen gleichzeitig in Spanien und Italien ein (1521 — 1526), wurden aber in der Nähe von Mailand durch die Tapferkeit deutscher Landsknechte unter dem lutherisch gesinnten Georg von Fruudsberg völlig besiegt und aus Italien vertrieben. Auch die lutherischen Fürsten Deutschlands waren bereit, ihren Kaiser weiter gegen Frankreich zu unterstützen. Der böse Anfang des Krieges schreckte Franz I. nicht von neuen Rüstungen ab. Er drang bis Mailand vor, mußte sich aber unter großen Verlusten zurückziehen, und als die Deutschen ihren Siegeslauf direkt nach Frankreich richteten und Italien fast unbewacht ließen, nahm Franz I. indessen Mailand in Besitz. Aber es war eine Totenstadt, in der die Pest wütete. Dazu verließ ihn sein Vetter Bourbon und vereinigte seine Truppen mit den elf Fähnlein deutscher Landsknechte (24. Febr. 1525), die den Franzosen bei Pavia eine schwere Niederlage beibrachten. Franz I. war selbst schwer verwundet vom Pferde gesunken und gefangen nach Madrid geführt worden. Dort unterzeichnete er nach elfmonatlicher Gefangenschaft einen Frieden, in welchem er auf Neapel, Mailand und das Herzogtum Burgund, unter dem geheimen Vorbehalt verzichtete, daß er diesen erzwungenen Vertrag nicht zu halten gedenke. Kaum frei, meinte er Eid und Ehrenwort brechen zu dürfen, und obgleich der deutsche Kaiser den französischen König einen Eidbrüchigen schalt und im ritterlichen Zweikampfe solche Schmach rächen wollte, der Franzose kehrte sich nicht daran. Er schloß mit England, Venedig, Mailand und mit Papst Clemens YII., der ihn vom Eid freigesprochen hatte, einen Bund gegen den deutschen Kaiser (die heilige Liga), und begann den zweiten italienischen Krieg (1526 — 1529).
Das Glück blieb auf Karls Y. Seite, dessen Heerführer Fruudsberg siegreich mit 16,000 Landsknechten über den Po hin nach der Trebia zog, wo der kaiserliche Feldherr Bourbon mit seinem zuchtlosen Heere zu ihm stieß, das sich in Rom an dem Papste bezahlt machen wollte. Denn der Sold war lange Zeit von Deutschland ausgeblieben. Spanier, Italiener und Deutsche zogen vereint nach Rom. Doch unterwegs brach eine Meuterei unter den Truppen aus. Bourbon rettete sein Leben durch die Flucht; aber Fruudsberg, der allezeit ein treuer Führer und Berater seiner Truppen gewesen war, mit ihnen jeden Mangel getragen und ihnen gegeben hatte, so lange er selbst hatte, brach vor Schmerz über solche Untreue der Seinen zusammen. Er sank, vom
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Schlage getroffen, auf eine Trommel nieder. Da kam die wilde Rotte zur Besinnung und zog sich zurück; aber der lange Zeit verehrte Feldherr erlag wenige Tage später den Folgen des Schlaganfalles. Wieder mit seinem Heere ausgesöhnt, zog Bourbon vor Rom, und, als er vergeblich vom Papste eine Abfindungssumme forderte, wurde die Stadt erstürmt. Bourbon fiel; nur um so wütender tobten die Seinen voran, bis sie Herr der Stadt waren, die mit solcher Grausamkeit verwüstet wurde, daß berichtet wird, wie Rom mehr gelitten durch solch christlich Heer, als es je durch heidnische Barbaren erfahren habe. Kein Alter und Geschlecht schützte vor den empörendsten Mißhandlungen.
Auch den Katholiken war die Residenz des Papstes keiner Schonung wert. Er selbst mußte, nachdem er in der Engelsburg gefangen worden war, den Siegern ein Lösegeld von 400,000 Dukaten versprechen, das aber später durch Karl V. gemildert wurde, als er vernahm, wie sich das deutsche Heer in maßloser Rücksichtslosigkeit und rohem Spott dem Siegestaumel hingegeben hatte. Der Kaiser sandte Entschuldigungsschreiben an alle deutsche Fürsten wegen solcher Ausschreitungen, ließ allgemeine Trauer an seinem Hofe anlegen und für die Befreiung des Papstes öffentlich in den spanischen Kirchen beten.
Das kaiserliche Heer zog sich, von den Franzosen gefolgt, die immer noch meinten, Herren Italiens werden zu können, nach Neapel zurück. Aber Krankheiten brachen im französischen Heere aus, und der berühmte Seeheld Genuas, Andreas Doria, ging zu Karl A . über. Da mußte sich Franz I. fügen. Er schloß mit dem Kaiser den Frieden von Cambray (1529), in dem er endlich Deutschlands Uebergewicht in Italien anerkannte, besonders auf Mailand verzichtete, aufs neue die Lehnsherrlichkeit über Flandern und Artois abgab, auch zwei Millionen Kronen Lösegeld für seine Söhne zahlte, die in den Händen der Deutschen waren. Das Herzogtum Burgund blieb bei Frankreich, obgleich Karl V. sich ausdrücklich seine Ansprüche darauf vorbehielt.
Dieser für Frankreich ungünstige Friede erhielt den Spottnamen „Damensriede", weil die Tante Karls V., Margareta von Oesterreich und die Mutter Franz I., Luise von Savoyen, die Verhandlungen geführt hatten, bei denen der Franzose nicht verschmähte, seiner Gewissenlosigkeit wiederum einen geheimen Vorbehalt zu gewähren.
Mit dem Papste schloß Karl V. einen besonderen Friedensvertrag, in dem er ihm außer mancherlei Zugeständnissen, welche Italien betrafen, die Ausrottung der lutherischen Lehre in Deutschland versprach.
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Er kam jetzt zum ersten Male selbst nach Italien und Papst Clemens VII., der nun sein Verbündeter wurde, setzte ihm zu Bologna die lombardische und die römische Krone aufs Haupt. Doch hatte diese Krönung nichts mit der einstigen deutsch - römischen Kaiserkrönung gemein, durch welche der von den Fürsten erwählte König erst zum Kaiser wurde (1530). Karls V. Krönung geschah in spanischer Umgebung, mit spanischem Gepränge. Die deutschen Kurfürsten waren nicht einmal dazu berufen worden.
Zwischen der Kirche und dem Palaste Karls war eine hölzerne Verbindungsbrücke gelegt worden, und kaum hatte der neu Gekrönte den letzten Schritt darauf gethan, als sie krachend zusammenstürzte. Karl V. war der letzte deutsche König, der eine Kaiserkrönung durch den Papst begehrte und erhielt.
So kehrte Karl nach Deutschland zurück mit dem ernstlichen Willen, in Reichs- und Kirchenangelegenheiten sein Herrscheramt zu Üben (1530).
5. Die ^ugsburgische Konfession und der schmalkaldische Sund.
Die Katholiken in Deutschland erhoben stolz ihr Haupt, nachdem Karl V. den französischen König besiegt hatte; kam er doch nun in das Reich, die dem Papst gegebene Zusage zu erfüllen. Er hoffte, seinen Zweck auf friedlichem Wege zu erreichen und berief in diesem Sinne einen Reichstag nach Augsburg, auf dem er dreierlei durchzusetzen hoffte: Die Krönung seines Bruders Ferdinand zum römischen König (Titel des jedesmaligen kaiserlichen Nachfolgers), sichre Abwehr und Kriegshülfe gegen die Türken, den Erbfeind des christlichen Abendlandes, und Unterdrückung der neuen Religionslehre.
Er hatte seinen Hof von Bologna nach Innsbruck verlegt und versuchte von hier aus die Reichsstände durch allerlei Versprechungen und Geschenke günstig für sich zu stimmen. Nach und nach trafen die Fürsten in Augsburg ein und suchten ebenfalls gute Fühlung unter einander zu gewinnen. Zuerst war Kurfürst Johann von Sachsen (Bruder Friedrichs des Weisen) gekommen, von seinen Theologen: Melanchthon, Spalatin und Justus Jouas begleitet. Luther war als Geächteter in Koburg zurückgeblieben.
Die protestantischen Stände sahen dem Reichstage mit großem Ernst entgegen. Vielleicht mochte er die lutherische Lehre, die längst nicht genug in sich gefestigt erschien, schwer schädigen. Schon hatten
Bo rn hak, Unser Vaterland. ■
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die Bilderstürmer und die Bauernkriege an dem schnell empor gewachsenen Bau der protestantischen Kirche bedenklich gerüttelt, und den protestantischen Ständen war es klar, daß sie nur dann etwas ausrichten könnten, wenn sie, absehend von kleinlichen Meinungsverschiedenheiten, vereint sich aus Gottes Wort stützen würden. Darum sollte bezeugt werden, daß sie „keine neue Kirche stiften, nur die alte gereinigt wieder Herstellen wollten," und was die Reformatoren aus den drei ältesten Bekenntnissen der christlichen Kirche schriftmäßig gefunden hatten, sollte auch dauernd als Grundlage der neuen Lehre dienen. Das wollten sie offen in einem gemeinsamen Bekenntnisse vor aller Welt den*thun und sich gegen alle Werkgerechtigkeit der katholischen Kirche auf Grund der Rechtfertigung durch den Glauben, wie ihn die Schrift lehrt, verwahren.
Am 15. Juni 1530 hielt der Kaiser seinen feierlichen Einzug in Augsburg; doch mochte er übel berichtet seiu, wenn er sich die Evangelischen so demütig und zaghaft vorstellte, daß es nur des kaiserlichen Befehls bedürfe, sie in den Schoß der katholischen Kirche zurückzuführen. Während des Reichstags sollte keiner der protestantischen Geistlichen predigen dürfen, und alle Fürsten und Stände sollten mit dem Kaiser an der Fronleichnamsprozession teilnehmen. Das lehnten die Evangelischen entschieden ab, und Markgraf Georg von Brandenburg sprach zum Kaiser voll heiliger Begeisterung, daß er sich lieber wolle den Kopf abschlagen lassen, als von Gottes Wort weichen.
„Löver Forst," erwiderte ihm Karl in seiner niederländischen Mundart, „nit Kopp ab, nit Kopp ab!" Er war kein Freuud heftiger Gefühlsausbrüche; doch ging er von seinem Befehle nicht ab. Daß er nicht befolgt wurde, machte allgemein einen gewaltigen Eindruck. Man sah, die Fürsten hatten jedenfalls Mut, ihren Glauben zu bekennen und für ihn einzutreten.
Der Reichstag wurde eröffnet am 20. Juni 1530, und die lutherischen Stände erhielten die Erlaubnis, ihr durch Melanchthon abgefaßtes Glaubensbekenntnis öffentlich vor Kaiser und Reich in lateinischer und deutscher Sprache vorzutragen. Jeder Artikel dieses Bekenntnisses, die Augsburgische Konfession genannt, war vorher einzeln von allen Reformatoren gewissenhaft mit den evangelischen Fürsten und Vertretern der Städte geprüft worden, und Luther hatte von Kobnrg aus das Gutachten gesandt: „Sie gefällt mir sehr wohl, und ich weiß nichts daran zu bessern und zu ändern, würde sich auch nicht schicken, denn
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ich so sanft und leise nicht treten kann. Christus unser Herr helfe, daß sie viele und große Frucht schaffe, wie wir hoffen und bitten." Er war voller Glaubensfreudigkeit und schrieb zu dieser Zeit auf der Koburger Veste die Siegeshymne der evangelischen Kirche „Ein feste Burg ist unser Gott .
Die Konfession war unterschrieben vom Kurfürsten Johann von Sachsen und seinem Sohne (Joh. Friedrich), dem Markgrafen Georg von Brandenburg, dem Herzog von Lüneburg, dem Landgrafen Philipp von Hessen, dem Anhalter Fürsten und von den Abgeordneten verschiedener Städte. Die Nürnberger hatten geschrieben: „Unsers Erachtens ist nicht zu weichen; man müßte denn des Kaisers Gnade höher anschlagen als die Huld Gottes." Als man den sächsischen Kurfürsten warnte, daß seine Unterschrift ihm den Kurhut kosten könne, und seine Theologen allein unterschreiben wollten, wehrte er: „Das wolle Gott nicht, daß ihr mich ausschließet. Ich will meinen Herrn Christus auch mit bekennen!" Man nannte ihn seit dieser Zeit „Johann der Beständige." Der Anhalter Fürst Wolfgang meinte: „Ich habe für meine Herrn und Freunde manchen Ritt gethan, mein Herr Christus verdient wohl auch, daß ich etwas für ihn thue." Auch der Brandenburger Markgraf Georg (fränkische Linie)' ließ sich nicht zum Wanken bringen, als Kurfürst Joachim I. und andre ihn zum Abfall zu überreden suchten. „Sollte er auch aus seinem Lande verjagt werden, so müsse er es Gott empfehlen."
In der kaiserlichen Burgkapelle wurde die Augsburgische Konfession deutsch verlesen. Der Kurfürst von Sachsen hatte zuerst das Wort genommen: „Wir sind Deutsche und auf deutschem Boden lasset uns deutsch reden!" Niemand widersprach, und auf kaiserliche Erlaubnis las der sächsische Kanzler Dr. Bayer die Schrift so langsam, laut und deutlich vor, daß man ringsum alles wohl verstehen konnte. Zwei Stunden lang hatte die Vorlesung gedauert, und ein Flüstern des Staunens und Wohlgefallens ging durch den weiten Raum. Man hatte so viel Entsetzliches über die neue Glaubenslehre gehört unb gelesen, nun wurde es klar, das war ja alles grundchristlich, was die Evangelischen lehren und glauben wollten. Sie selbst aber fühlten sich gehoben und gestärkt, ein so gutes Bekenntnis öffentlich abgelegt zu haben.
Dadurch wurde die Reformation immer mehr eine Angelegenheit des ganzen deutschen Volkes, und die Augsburgische Konfession
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legte den Grund zur Bildung einer dem Evangelium entsprechenden Landeskirche. Auch verpflichteten die Reformatoren von jetzt an die anzustellenden Geistlichen auf diese Konfession. Doch lag darin kein Glaubenszwang, wie ihn die katholische Kirche ausübte; denn die sogenannte Konkordienformel, welche bald darauf festgestellt wurde, bestimmte ausdrücklich, daß „jedes menschliche Ansehen zu verwerfen und die Geltung der Symbole nur dadurch bestimmt sei, daß diese mit der heiligen Schrift übereinstimme."
Ganz anders sah der Kaiser dieses Bekenntnis an. Entrüstet über die Kühnheit der Protestanten, ihm so offen entgegen zu treten, ließ er sogleich eine Widerlegung durch katholische Theologen abfassen (Kon-fntntion) und ebenfalls vorlesen, verbot aber, den Lutherischen eine Abschrift davon zu geben. Melanchthon jedoch verfaßte nach dem Gehörten eine Schutzschrift (Apologie), die der Kaiser weder vorgeleseu, noch überreicht haben wollte. Vielmehr gebot er streng, die Evangelischen sollten zur katholischen Kirche zurückkehren. Etwaige Mißbräuche werde er und der Papst schon abschaffen.
Aber so bereitwillig die evangelischen Stände zu jedem Vergleich waren, ebenso fest hielten sie an dem einmal ausgesprochenen Bekenntnis. Dafür sprach sich der kaiserliche Reichsabschied sehr ungnädig aus und drohte mit Reichsexekution vieler harter Beschlüsse gegen die Protestanten. Darum unterschrieben diese den Reichsabschied nicht, gaben auch ihre Stimme nicht zur Wahl Ferdinands als römischer König, der nur von den katholischen Ständen erwählt wurde. Sie trennten sich dadurch auch in politischer Hinsicht von den Katholiken, unter denen einige, wie die bayerischen Herzöge, ebenfalls gegen die Wahl Ferdinands waren.
Diese unerwartete Widersetzlichkeit hätte der Kaiser gern mit Waffengewalt unterdrückt; aber die Seinen rieten ihm vorsichtigere Mittel. Man wollte den Protestanten allerlei Prozesse anhängen, und das darin entscheidende Reichskammergericht wurde darum nur mit Katholiken besetzt. So dachte man den Widerstand der Evangelischen vereinzelt leichter zu vernichten.
Da schlossen die Stände Augsburgischer Konfession zu Schmalkalden in Thüringer Landen einen Bund (29. März 1531), sich gegenseitig zu schützen, wenn das Reichskammergericht einen unter ihnen angreifen würde. Dazu hatte der Kaiser mit dem Papste über Kriegsrüstungen gegen die Protestanten verhandelt, und diese, selbst die Theologen, meinten es wohl vertreten zu können, wenn sie sich kriegsbereit
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gegen ihren Kaiser machten, sofern dieser sie um ihres Glaubens willen angreifen mürbe. Doch war in ben schrnalkaldischen Bundesartikeln ausdrücklich erklärt, daß man sich „allein gegenwehr- und rettungsweise" verbunden habe und „nicht, als solle jemand unter uns einen Krieg anfangen". Um sich auch vor Angriffen des Kammergerichts zu schützen, wählten die Protestanten sachverständige Prokuratoren. Sachsen, Hessen, Braunschweig, Mecklenburg, Anhalt, Mansfeld hatten die Urkunde unterzeichnet, auch die Städte Ulm, Konstanz, Straßburg, Memmingen, Lindau, Biberach, Jsuy, Magdeburg, Bremen, Lübeck u. a. Ein Reichskrieg schien unausbleiblich. Da kamen die Türken herbei, um von der Uneinigkeit der Deutschen zu gewinnen. Schon rückte ein mächtiges Türkenheer gegen Ungarn vor, und der Anführer, Sultan Soliman II., sah sich bereits als Herrn und König Deutschlands, das er von Kostantinopel aus gemütlich zu regieren gedachte.
Vor einem gemeinsamen Feinde wurden die Deutschen stets einig, so auch jetzt. Der Kaiser zog mildere Seiten auf gegen die Protestanten, die nun gehorsame Unterthanen ihres kaiserlichen Herrn wurden, nachdem er ihnen im Nürnberg er Religionsfrieden ihre Forderungen bewilligt hatte (1532), freilich nur in einen: königlichen Erlaß, da nicht alle katholischen Stände damit einverstanden waren. Doch stellte der Kaiser den Protestanten „rechte Freundschaft und christliche Liebe" in Aussicht, worüber die Katholiken wenig erfreut waren. Sie machten dem Kaiser bittere Vorwürfe, daß er den Protestanten Zugeständnisse gemacht habe, statt ein Konzil einzuberufen. Diese stimmten dafür jetzt Ferdinands Königswahl zu, und durch gegenseitiges Nachgeben und Entgegenkommen konnte sich ein so prächtiges Heer sammeln, wie Deutschland seit Jahrhunderten nicht ins Feld geführt hatte. Achtzig Tausend Mann der besten Truppen zogen Soliman entgegen, den schon der Anblick dieses glänzenden Heeres entmutigte. Seine Flotte wurde außerdem durch den Admiral Andreas Doria hart bedrängt. Die Türken traten eiligst den Rückzug an, doch behielten sie einstweilen Ungarn, da die katholischen Fürsten den König Ferdinand wegen seiner Nachgiebigkeit gegen die Protestanten in seinen Privatinteressen nicht unterstützen mochten.
Die Mitglieder des schrnalkaldischen Bundes schlossen sich jetzt enger aneinander, da sie auch ihre politische Zukunft gefährdet sahen, und das Bündnis galt fast mehr wie eine Abwehr gegen Oesterreichs Uebermacht, als wie eine religiöse Schutzwehr. Darum näherten sich
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besonders diejenigen Fürsten dem schmalkaldischen Bunde, welche von Oesterreich zu fürchten hatten. Selbst die katholischen Mitglieder des einstigen schwäbischen Bundes, mit dessen Hilfe Oesterreich den Herzog Ulrich von Württemberg vertrieben hatte, waren damit einverstanden, daß Landgraf Philipp von Hessen den Herzog Ulrich mit Frankreichs Hilfe wieder einsetzte. Mit einem Heere von 24 000 Mann hatte Philipp das österreichisch-schwäbisch-böhmische Heer besiegt (1534), und König Ferdinand mußte im Frieden von Kadan selbst den Herzog Ulrich derart bestätigen, daß dieser Württemberg als Afterlehn von Oesterreich, aber Sitz und Stimme im Reiche haben sollte. Herzog Ulrich führte in Württemberg die Reformation ein, die auch bald der Elsaß, Baden und viele Reichsstädte annahmen.
Damit war das Kriegsgewölk über Deutschland nicht zerstreut, und die Mitglieder des schmalkaldischen Bundes machten sich kriegsbereit. Sie wählten für Oberdeutschland und Hessen den Landgrafen Philipp von Hessen als Anführer, für Sachsen und Westfalen Kurfürst Johann Friedrich den Großmütigen, Sohn Johanns des Beständigen von Sachsen, der im Jahre 1532 nach siebenjähriger Regierung gestorben war.
6. Religionsunruhen in der Schweiz und weitere Kriege Karls V. bis zum Zahre 1544.
Ulrich Zwingli, der mit der religiösen Reformation auch eine Umbildung des staatlichen Lebens erstrebte und rücksichtslos verfuhr, hatte dadurch großen Anstoß bei den Katholiken der Schweiz erregt. Die fünf katholischen Orte Zug, Luzern, Uri, Schwyz und Unterwalden waren bewaffnet ins Berner Oberland eingefallen, und die reformierten Kantone Zürich und Bern hatten dafür durch Besetzung der Alpenpässe den feindlichen Orten alle Zufuhr abgeschnitten. Die fünf Orte gingen nun mit unerhörter Grausamkeit vor, töteten die reformierten Prediger, einer wurde sogar verbrannt, weil er Gottesdienst in seiner Kirche hatte abhalten wollen. Dann verbündeten sie sich gegen alles eidgenössische Recht mit König Ferdinand gegen die reformierten Schweizer, und eine fanatische Kriegsstimmung entbrannte an allen Enden der Alpen. Unerwartet rückten die katholischen Kantone mit 8000 Mann bei Kappel gegen die Züricher Streitmacht von nur 2000 Mann (11. Oktober 1531). Ganz Zürich geriet in höchste Bestürzung. Zwingli selbst war als Feldprediger und Feldherr mit in den Kampf
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gezogen, überall da anfeuernd, wo eine Niederlage drohte. Vergeblich, die kleine Heeresmacht der Züricher unterlag. Zwingli war totlich getroffen unter einem Scanne niedergesunken. So fanden ihn die Feinde. „Willst Du die Mutter Gottes anrufen?" schrieen sie dem Sterbenden ins Ohr, ohne ihn zu kennen. Er schüttelt leise mit dem Kopfe und hauchte sein Leben mit den Worten aus: „Den Leib können sie töten, aber die Seele nicht!"
Als die Feinde am andern Morgen feinen Leichnam erkannten, ließen sie ihn durch Henkers Hand vierteilen, dann verbrennen und die Asche in alle Winde streuen. Zu spat waren 1200 reformierte Bundesgenossen zu Hilfe geeilt, und König Ferdinand sandte feinem kaiserlichen Bruder die Jubelbotfchaft des Sieges der Katholiken. Die Reformation war jetzt in der Schweiz so gut wie vernichtet, und der Katholizismus fand neuen Raum.
Neben unbedeutenderen Führern der Schweizer Reformation trat Johann Calvin (Jean Caulvin) als der bedeutendste Nachfolger Zwinglis auf. Zuerst in seiner französischen Heimat thätig, entwich Calvin den schweren Verfolgungen, welche Franz I. über die Evangelischen Frankreichs brachte, und kam nach Ferrara, wo die hochherzige Schwägerin des französischen Königs ihren Hof zur Zufluchtsstätte aller Verfolgten der Reformation machte. Doch spürte die Inquisition auch hier Calvin auf. Er ging darum nach Genf, wo schon eine reformierte Gemeinde bestand. Aber er machte sich dort viele Feinde durch seine maßlos strenge Kirchenzucht, die er mit Hilfe der städtischen Verwaltung durchzuführen suchte.
Wer einen Gottesdienst versäumte, mußte einen Sols Strafe zahlen. Wer nicht an der Abendmahlsfeier Teil nahm, wurde auf ein Jahr aus der Stadt verwiesen. Eine Frau, die ein weltliches Lied nach einer Psalmenmelodie gesungen hatte, mußte am Pranger stehen, und ein Mädchen, das seine Mutter geschlagen, wurde geköpft.
Jedes Verbrechen, jede Sünde zog auch eine weltliche Strafe und eine Kirchenbuße nach sich. Spiel, Trunksucht, Ehebruch it. a. wurde dadurch öffentlich gebrandmarkt. So wurde die Genfer Kirche fast zu einer Zwangs- und Korrektionsanstalt. Thatsächlich hatte die strenge Kirchenzucht auf das sittliche Leben Genfs einen guten Einfluß. Aber eben so viele beklagenswerte Resultate maßloser Strenge und schlimmen Irrtums lagen darin, weil Calvin nichts von dem vermittelnden Wege christlicher Liebe und Duldung wissen wollte. Doch bot Gens viel
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flüchtigen Reformierten, besonders aus Frankreich, eine Zufluchtsstätte. Da später Calvin sich besonders in der Abendmahlslehre mehr der Augsburgischen Konfession näherte, als Zwingli es gethan hatte, schieden sich die Anhänger der beiden Reformatoren in Zwinglianer und Cal-ümisten, die sich oft genug heftig angriffen, auch gegen die Lutheraner sich nicht als „Religionsverwandte" zeigten.
Zu dieser Zeit plante Karl V., der sich meist in Spanien aufhielt, einen Rachekrieg gegen die deutschen Fürsten, welche seinem Hause den Besitz des württembergischen Landes entzogen und es Herzog Ulrich zurückgegeben hatten, der von seinem treuen Volke mit Jubel begrüßt worden war.
Die kühnen Seeräuberzüge eines mit Soliman verbundenen Cor-saren, namens Chaireddin ^Barbarossa) riefen aber den Kaiser nach Tunis. Der Seeräuber hatte besonders Spanien und Italien schwer geschädigt, und viele tausend Christen waren von ihm als Sklaven nach Algier geführt worden. Karl V. sah es als einen verdienstvollen Kreuzzug an, die Ungläubigen zu unterwerfen, und mit einer Flotte von 100 spanischen und italienischen Schissen und einem Heere von 26 000 Mann unter Führung des berühmten Seehelden Andreas Doria traf der Kaiser vor Tunis ein, das er nach knrzer Belagerung einnahm und es dem früheren rechtmäßigen Herrscher, Mulei Hassan, als spanisches Lehen übergab. Aber weit größer als die Freude über diesen Sieg war die wahrhaft kaiserliche Genugthuung, dadurch 22 000 Christensklaven die Freiheit geben zu können. Reich beschenkt durften sie in ihre Heimat zurückkehren, und überwältigt von der jubelnden Dankbarkeit der Erlösten, hielt der Kaiser diesen Tag für den schönsten seines Lebens, da dieser Gewinn allein einen Feldzug lohne, wenn sonst nichts weiter erreicht worden wäre.
Doch konnte Karl Y. diesen siegreichen Zug wenig ausnützen; denn während er hier die Türken, den Feind der Christenheit überwunden hatte, unterhandelte der „allerchristlichste" König von Frankreich mit dem türkischen Sultan und suchte ihn zu neuen Einfällen in das deutsche Reich zu bewegen. Auch mit den Protestanten, die er in Frankreich aufs heftigste verfolgte, suchte er in Deutschland gut Freund zu werden, indem er sich stellte, als teilte er ihre religiösen Ansichten, die sie zu Feinden des Kaisers machen müßten. Aber die Deutschen glaubten dem Welschen nicht, der bald offen zeigte, daß er mit ihrer Hülfe nur Mailand erobern wollte, dessen Herzog eben gestorben war.
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Der Kaiser eilte mit seinen siegreichen Truppen nach Frankreich, mußte es aber wegen einer dort ausgebrochenen Hungersnot bald wieder verlassen. Es gelang ihm jedoch mit Hülfe des Papstes, einen zehnjährigen Waffenstillstand in Nizza zustande zu bringen, zu dem der französische König so süße Miene machte, als hätte er kaum je etwas Lieberes gewollt. Im Stillen mochte er hoffen auf die eine oder die andre Weise, Herr Mailands zu werden. Als aber Karl V. zwei Jahre später die Stadt seinem Sohne Philipp gab, war es mit Frankreichs Freundschaft vorbei, und Franz I. nahm die erste beste Gelegenheit wahr, sich zu rächen.
Die erneuten Seeräubereien der Türken von Algier aus ließen den Kaiser einen zweiten Kriegszug nach Afrika planen, und obgleich der erfahrene Admiral Andreas Doria eine Seefahrt der kaiserlichen Kriegsflotte bei so später Jahreszeit widerriet, war Karl von dem einmal gefaßten Plane nicht abzubringen. Die Flotte erreichte zwar die afrikanische Küste, aber fast im Hafen geborgen, wurde sie vom Sturm zerschellt, und der Kaiser war froh, sich und den Seinen das nackte Leben gerettet zu haben. Das war der günstige Zeitpunkt, den Franz I. auszunützen gedachte, um in einem vierten Feldzuge nach Italien Mailand zu gewinnen. Aber in schnellen Tagereisen stürmte der deutsche Kaiser Paris zu, das er fast erreicht hatte, als ihm Franz I. voller Bangen Frieden anbot, der zu Crespy geschlossen wurde. (1544.) Danach behielt der deutsche Kaiser Mailand, Neapel, Flandern und Artois, Franz I. behielt Burgund, starb aber schon im folgenden Jahr.
7. Die Wiedertäufer in Münster. e
Die Lehre von der evangelischen Freiheit der Christen war bereits zu Anfang der Reformationszeit so vielfach mißverstanden worden, daß es auch hier fast heißen mochte, wo der Herrgott eine Kirche hat, stellt der Teufel zwei Häuser daneben. Die einst mit den Bilderstürmern verbundene Sekte der Wiedertäufer, welche die Kindertaufe verwarfen und darum Erwachsene nochmals tauften, war zunächst aus Sachsen verdrängt worden, um sich in den Niederlanden desto ungestörter festzusetzen. Sie gingen mit dem abenteuerlichen Plan um, ein weltliches Gottesreich aufzurichten. Es lag in der Zeitstimmung, daß mit der Reformation der Kirche das Verlangen nach einer Verbesserung der staatlichen und bürgerlichen Verhältnisse Hand in Hand ging. Auch die Bauernkriege waren daraus hervorgegangen.
In der volkreichen und wohlhabenden Hauptstadt des westfälischen
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Bistums Münster war die Bürgerschaft seit lange uneins mit der Obrigkeit, und es war zu so bösen Auftritten gekommen, daß sich der Bischof und das Domkapitel samt den Herren vom Adel nur durch die Flucht vor der Volkswut hatten retten können. Die Aufregung und Verwirrung der Gemüter wurde noch größer, als ein Kaplan der Vorstadtskirche zu St. Mauritz, Bernhard Nothmann, lutherische Grundsätze in seinen Predigten aufbrachte und dadurch viel Anhang im Volke fand. Die Kunde davon drang zu deu nahen Niederlanden hinüber, und die Wiedertäufer dort meinten, in dem rebellischen Münster günstigen Boden für ihre Lehre zu finden. Besonders waren es zwei Sektenführer, die den Münsteranern die Köpfe verdrehten: Jan
Bockelzoon, ein Schneider aus Leiden, darum meist nur Johann von Leiden genannt, und ein Bäcker aus Harlem, namens Mathisen. Sie fanden trotz aller Mahnung der Geistlichen immer mehr Anhang, je mehr phantastisches Zeug sie aufbrachten, und als eines Tages ein Harlemer Mönch, Heinrich Stulle, durch die Straßen der Stadt rannie mit dem Rufe: „Thut Buße und lasset euch taufen, denn der Tag des Herrn ist nahe!" da folgte ihm das Volk in dichten Haufen und stimmte ein in seinen Ruf! „Der Tag des Herrn ist nahe, ziehet aus, ihr Gottlosen!"
Wohl ging es wie ein Gottesgericht über die Christenwelt; überall gelockerte Verhältnisse, überall Kriegsgeschrei und keiner, der Frieden geboten hätte; denn der Kaiser, der allein ein Machtwort im deutschen Reiche hätte reden mögen, war in auswärtigen Kriegen seit Jahren fern von Deutschland.
Auch Johann von Leiden zog mit einem Tuchhändler aus Münster, Knipperdölling mit Namen, durch die Straßen der Stadt, immer toller und fanatischer rufend, das neue Himmelreich sei herbeigekommen. Dabei hatten sie die Arme erhoben und die Häupter entblößt. Hinter ihnen her stürmte die Menge, erst neugieriges, müßiges Volk, bald von wildem Sinnentanmel berückte Menschen, die den Himmel offen sahen, auch die Heiligen, welche in dem neuen Jerusalem Münster wohnen wollten. Christus selbst führe die Engelsschaaren und halte die Siegesfahne in seiner Rechten. Bald kannte die Tobsucht keine Grenzen mehr. Fanatische Weiber liefen mit aufgerissenen Kleidern und fliegenden Haaren im Zuge, andere warfen sich schreiend auf die Erde. Wildes Jauchzen wechselten ab mit Bußübungen und Gebeten. Der Kaplan Rothmann rief und predigte die Leute der Umgegend her-
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bei. Er sandte ein- Schreiben aus, in dem es hieß, daß Gott einen außerordentlichen und frommen Propheten (Mathisen"! nach Münster gesandt habe, der das Wort Gottes ganz rein und unverfälscht predige. Auch sei der Tag angebrochen, an dem allen alles gemein sein solle, niemand etwas für sich besitzen, aber alle gleich reich sein würden. Das leuchtete dem anneu bethörten Volke ein. Die nichts zu verlieren hatten, konnten wenigstens dabei gewinnen. Aber wohlhabende Bürger machten sich davon und nahmen mit, was tragbar war. Dafür zog so viel Volk vom Lande in die Stadt, daß es schien, als sei in allen Straßen Münsters Send (Jahrmarkt, von den dabei stattfindenden Synoden so genannt). Alle sollten ihre Habe zurücklassen, hatte Rothmann geschrieben, das neue Ziou, Münster, habe Schätze vollauf.
Als nun die Stadt völlig in den Händen der Wiedertäufer war, plünderten diese Kirchen und Klöster. Alte Bücher wurden verbrannt, nur die Bibel nicht, und die heiligen Gesäße der Kirche wurden zu baarer Münze umgeprägt. Knipperdölliug ließ sich zum Bürgermeister der Stadt wählen, aber alles, was bisher noch wie Recht und Ordnung ausgesehen hatte, wurde jetzt über deu Haufeu geworfen. Alle sollten sich taufen lassen, und die das nicht wollten, es waren Tausende, wurden mit Weib und Kind unter Verwünschungen und mit Peitschenhieben aus der Stadt gejagt; dazwischen riefen die Wiedertäufer: „Thut Buße; denn das Himmelreich ist nahe herbei gekommen!"
Auf Befehl des Propheten Mathisen wurde aller Besitz aus deu Häusern der entflohenen Bürger zusammen getragen; sieben Diakonen sollten die Reichtümer verwalten und verteilen. Aber die Propheten und Heiligen des neuen Zion versorgten sich dabei am besten, und als einer der Diakonen dagegen zu sprechen wagte, hieb ihn Mathisen vor den Augen der Uebrigen selbst den Kopf ab. Seitdem gehorchten alle in blinder Furcht.
Da rückte der Fürstbischof, Frauz von Waldeck, von dem benachbarten Städtchen Telgte aus mit einem Heere vor die Stadt, und der Prophet rannte mit vorgestrecktem Speer durch die Straßen und rief: der Herr sei ihm im Traume erschienen und habe ihm versprochen, alle Feinde in seine Hände zu liefern. Ja, er «volle sie ganz allein besiegen. Mit wenigen Spießgesellen machte er einen Ausfall gegen die Feinde, wurde aber getötet, ohne etwas ausgerichtet zu habeu.
Während das bischöfliche Heer die befestigte Stadt immer enger umschloß, ging es drinnen immer toller zu. Johann von Leiden
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(1534) machte sich zu einem König David des neuen Jerusalem und rief auf dem Markte aus, daß ihm der himmlische Vater erschienen sei und den Auftrag gegeben habe, den ganzen Rat der Stadt „abzustellen". Fortan müsse Zion, die himmlische Stadt, nur von zwölf Richtern regiert werden. Er sollte, ein neuer* Moses, die zwölf Stämme führen. Als König und Regent machte er den Bürgermeister Knipper-dölling zum Scharfrichter der Stadt. Dieser hatte gepredigt, daß alles Hohe nach dem Worte der hl. Schrift erniedrigt werden müßte, und darum die Türme der Kirche abgetragen werden sollten. Bald vollzog sich an ihm selbst dieses Wort der Schrift. Johann von Leiden wußte von immer neuen Erscheinungen und göttlichen Befehlen zu melden. Eines Tages wollte er die himmlische Botschaft erhalten haben, daß alle Häupter und Propheten des neuen Zion mehrere Frauen nehmen sollten. Er selbst nahm zunächst drei, nachher hatte er deren siebzehn.
Ein Goldschmidt aus Warendorf, Johann Duseudschur, kündete, daß ihm Gott geheißen habe, allem Volke zu befehlen, Johann von Leiden als tfjren König anzuerkennen, als einen Herrn über alle Kaiser, Fürsten und Gewaltigen. Sie aber sollten getötet werden, und nur diejenigen verschont bleiben, welche Gerechtigkeit liebten. Dazu sank Johann von Leiden anbetend auf die Knie nieder: „Wohlan denn, du gebeutst. Allmächtiger, und dein Knecht gehorcht!"
So war der Schneider König geworden, der nun mit aller Pracht-ititL) Machtentfaltung seine neue Rolle spielte. Knipperdolling avancierte zum Minister, ein anderer, Bernhard Krechting, wurde königlicher Geheimrat. Achtundzwanzig Trabanten begleiteten den König auf allen Wegen. Schöne Edelknaben mußten ihm Bibel, Schwert, Reichsapfel und Krone voran tragen. Er selbst hatte das Reichszepter in der Hand, und fein scharlachroter Mantel blitzte von Juwelen. Aber das Volk zitterte vor dem Tyrannen; denn ein Blick seines Auges konnte den Tod bringen. Einst wagte eine seiner Frauen anzufragen, ob denn wohl Gott an all dem Treiben Wohlgefallen haben könne; denn das arme Volk ging hohläugig umher und jammerte vor Hunger, während der neue König und sein Hof in höchstem Ueberflusse schwelgten. „Auf dem Markte will ich dir Anwort geben," sagte Johann darauf mit eisiger Kälte. Dort mußte sie vor ihm niederknien, und alle andern Weiber schlossen auf seinen Befehl einen Kreis um die Unglückliche, der Johann mit eigner Hand das Haupt vom Rumpfe schlug. Dann umfaßte er eines seiner Weiber, mit ihm um den blutigen Leich-
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narrt her zn tanzen. Auch die ttebrigen folgten dem Beispiele und das arme, bethörte Volk sang dazn „Ehre sei Gott in der Höhe!"
Allrnälig stieg das Elend der Stadt aufs höchste. Sage und Geschichte berichten von den furchtbarsten Greuelthaten, welche die Hungersnot hervorrief. Trotzdem fand die Aufforderung des Bischofs zur Uebergabe seiner Residenz kein Gehör. Endlich gelang es zwei Bürgern, die Bischöflichen durch einen unterirdischen Gang in die Stadt zu führen, und ein tagelanges furchtbares Blutbad ließ bald kaum Freund und Feind unterscheiden. Eine alte Chronik zeigt die entsetzlichen Bilder dieser Tage, deren schlimmster Kampf um die Lambertikirche her, am sogenannten Drubbel, wütete. Jeder Fuß breite Raum in den Straßen wurde mit Blut erkauft. Die Verlängerung des Prinzipalmarktes zur Königsstraße hin, in der Johann von Leidens Hof lag, heißt daher noch heute die Rotenburg. Kaum die Nächte mäßigten bie Greuelfzenen eines Kampfes, der von allen Seiten mit größter Erbitterung geführt wurde. Doch unterlagen die Wiedertäufer den geschulten bischöflichen Truppen. Kaplan Rothmann war gefallen. Der Zionskönig Johann verkroch sich auf einem Boden des breiten Aegidi-thors, wurde aber ergriffen und mit den andern Rädelsführern zunächst an den benachbarten fürstlichen Höfen zur Schau umher geführt gleich wilden Tieren, endlich aber auf einer vor dem Rathaufe errichteten Blutbühne unter den grausamsten Martern hingerichtet. Noch vor wenigen Jahrzehnten waren die Marterwerkzeuge, die Zangen, mit denen man den Verurteilten Stücke Fleisch vom Leibe gerissen hatte, Dolche, die glühend gemacht, den Wiedertäufern ins Herz gestoßen wurden, unter den Bogengängen des Rathauses zu Münster öffentlich ausgestellt. Jetzt werden die eisernen Zeichen jener Schreckenszeit im Rathaufe aufbewahrt.
An dem dreihundert Fuß hohen Turm der Lambertikirche hing man die abgeurteilten Rädelsführer in eisernen Käfigen auf, den König in die Mitte und etwas höher als feine Helfer Knipperdölling und Krechting. Im Anfang der siebziger Jahre dieses Jahrhunderts wurde der bedenklich schwankende Turm abgetragen, und die leeren Eisenkäfige, aus denen Wind und Wetter den Staub der Uebelthäter längst verweht, warten der Stunde, in der sie vielleicht wieder an neu errichtetem Turme erhöht werden, ein Warnungszeichen allen Zeiten.
Münster aber wurde eine Veste des Katholizismus bis auf diesen Tag.
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8. Änsgleichversuche der religiösen Parteien Luthers Tod.
Die auswärtigen Kriege Karls V. hatten Jahrzehnte lang der Reformation freie Entwicklung gewährt; denn nur für kaiserliche Zugeständnisse waren die protestantischen Herren zur Kriegshülfe willig gewesen. Wenngleich der Nürnberger Friede ein recht schwankender Boden für die Sicherung des Reichsfriedens zwischen Katholiken und Protestanten war, so hatte er doch jede offene Feindseligkeit zurückgedrängt. Mit des Kaisers Rückkehr in das Reich sollte endlich eine Klärung der unsichern Verhältnisse stattfinden; denn mit Recht mußte in der religiösen Spaltung eine staatliche Trennung gefürchtet werden. Doch lag dem Kaiser alles daran, die Protestanten ebenso zu beruhigen und zufrieden zu stellen, wie die Katholiken, damit er sie nicht seinen Feinden, England und Frankreich, zudränge. Aber schon während der Kriegszüge Karls hatte sein ehrgeiziger, erzkatholischer Vizekanzler Held den Mitgliedern des schmalkaldischen Bundes unter der Hand begreiflich gemacht, daß ihnen der Kaiser eigentlich gar nichts sicher zugesagt habe, auch daneben unter den eifrigsten katholischen Fürsten ein Bündnis, die „Christliche Einigung" zustande gebracht (1538), an dessen Spitze die Herzöge Ludwig von Bayern und Heinrich von Braunschweig standen. Der Kaiser erfuhr erst nachträglich davon und war wenig erfreut, daß dadurch feinen Friedensplänen entgegen gearbeitet worden war. Um die Evangelischen versöhnlich zu stimmen, bewilligte er ihnen einen anderthalbjährigen Stillstand 1539 (Frankfurter Anstand) aller gegen sie anhängig gemachten Prozesse des Reichskammergerichts. Aber, und das war bezeichnend für Karls V. Charakter, zu gleicher Zeit hatte er auf des Papstes Wunsch die „Christliche Einigung" der katholischen Fürsten bestätigt. Hatte er doch dem Papste wie dem französischen König versprochen, die katholische Kirche mit allen Mitteln seiner Kaisermacht zu schützen und die protestantische Lehre zu unterdrücken.
Dennoch hatten die Protestanten fürs erste kaum etwas zu fürchten. Der fanatische Kanzler Held starb, und sein Nachfolger Granvella war zur Milde geneigt. Dazu kam der Tod des katholischen Herzogs Georg von Sachsen, dessen Bruder das Erbe des Herzogtums antrat und es gegen Testamentsbestimmung reformierte.
Auch der Erzbischof Albrecht von Mainz, Bruder Joachims I. von Brandenburg, überließ den Protestanten Magdeburg und Halberstadt gegen Bezahlung seiner Schulden. Kurfürst Joachim II. von Branden-
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bürg hatte die Reformation in der Mark eingeführt, und seine um des protestantischen Bekenntnisses willen vor ihrem Gemahl Joachim I. geflüchtete Mutter Elisabeth (von Dänemark) feierlich aus Sachsen zurückgeholt, wo sie bei dem Oheim, Johann dem Beständigen, eine Freistatt gefunden hatte und durch persönlichen Verkehr mit Luther um so fester in der evangelischen Lehre bestärkt worden war. Achtzehn Jahre lang hatte sie dort gelebt, zeitweise sogar in Luthers Familie.
Markgraf Johann von Küstrin, Elisabeths zweiter Sohn, war seit Jahren der Reformation zugeneigt, und wenn die lutherische Lehre gerade in Brandenburg anfangs recht katholisch aussah, so hatte dies wenigstens das Gute, daß in der Einführung der Reformation in die Mark keine gewaltsame Bevolution lag. Friedlich und einmütig begehrten die Städte gleich den Herren vom Adel die reine Lehre des Gotteswortes und die Austeilung des Abendmahles in Brot und Wein. Der gelehrteste Bischof des Landes, Matthias von Jagow, ordnete Einführung und Pflege des neuen Kirchen- und Schulwesens. Aus seinen Händen empfing Joachim II. zu Spandau das hl. Abendmahl in beiderlei Gestalt. Da Kurfürstin Hedwig, die Gemahlin Joachims II., als Tochter des streng katholischen Sigismund von Polen, nicht zum Protestantismus übertrat (doch war ein Sohn Luthers ihr Leibarzt), wollte der Kurfürst schon ihretwegen die Zeremonien der katholischen Kirche nur ganz allmählich ablegen. Luther schrieb dazu, daß es genüge, die Lehre des reinen, unverfälschten Gottesworts und die Speiu düng des Abendmahls Christi Einsetzung gemäß darzubieten. An den Zeremonien sei wenig gelegen. Wenn der Kurfürst an einer Chorkappe oder an einem Chorhemde nicht genug habe, so möchte man, wie der Hohepriester Aaron, drei Röcke über einander anziehen, und wenn dem Kurfürsten eine Prozession nicht genüge, so möchte man, wie Josua mit den Kindern Israel vor Jerichow, siebenmal herumgehen; ja, wenn der Kurfürst Lust dazu habe, möchte er, wie der König David vor der Buudeslade spielen, springen und tanzen, wenn nur solche Aeußerlichkeiteu nicht als zur Seligkeit notwendig angesehen würden.
Selbst die Reliquien standen bei Joachim II. sehr hoch im Ansehen; er zeigte sie voll Stolz dem päpstlichen Nuntius, Kardinal Kommandorus, der ihn besuchte. Auch bewarb sich der Kurfürst für seinen protestantisch erzogenen Sohn um das katholische Erzbistum Magdeburg, dem später Halberstadt zufiel. Das ist der Protestantis-
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rnus jener Tage in der Mark; ähnlich entwickelte er sich in vielen andern Ländern protestantischer Fürsten.
Als Herzog Wilhelm von Kleve durch Vertrag Geldern erhielt und durch seinen Anschluß an den schmalkaldischen Bund den kaiserlichen Besitz der Niederlande gefährden konnte, lag dem Kaiser alles daran, mit den deutschen Fürsten friedlich zu verhandeln. Aber der Papst wollte nichts von solcher Vermittlung wissen. Darum lud Karl selbst die berühmtesten Theologen verschiedentlich zu Religionsgesprächen ein, von denen er einen friedlichen Ausgleich hoffte. Sie führten aber nur noch mehr auseinander, wie auch im gewöhnlichen Leben ein sich Ausschweigen unter feindlichen Parteien mehr Frieden zu stiften pflegt, als das sich Aussprechen.
Die Reformation hatte auch inmitten der katholischen Kirche viele ernste Männer angeregt, eine Wandlung der kirchlichen Verhältnisse als Notwendigkeit anzusehen. Aber die vielen gelangten auf den verschiedenen Wegen nicht an das gleiche Ziel. Endlich sollte ein Religionsgespräch der verschiedenen Konfessionen zu Regensburg eine gütliche Einigung herbeiführen (15. April 1541). Schon hatte man sich über vier der wichtigsten streitigen Glaubensartikel geeinigt, als alle Friedenshoffnungen an der Harte Luthers wie derjenigen des Papstes scheiterten. Beide wollten den Gegnern nur in etwas nachgeben, keiner von beiden das Verhandelte bestätigen, und der Kaiser hätte mögen mit jedem einzelnen Fürsten, mit Luther und Papst besonders unterhandeln, um das gewünschte Ziel zu erreichen.
Die bayrischen Herzoge und der Kurfürst von Mainz, forderten den Papst zu einem Kreuzzug, den Kaiser zu einem Krieg gegen die Protestanten auf. Aber dieser gab einen unerwartet milden Reichsabschied und verhandelte mit Philipp von Hessen und Joachim II. von Brandenburg besonders dahin, daß sie gegen ihnen bewilligte kaiserliche Zugeständnisse die Aufnahme des Herzogs von Kleve in den schmalkaldischen Bund und jede Annäherung an Frankreich hindern wollten.
Das war zu derselben Zeit, in der Karl V. seinen letzten unglücklichen Zug nach Algier unternommen hatte, während es im Reiche drüber und drunter ging. Der schmalkaldische Bund hatte den grausamen, katholisch gesinnten Heinrich von Braunschweig mit einem Heere von 20000 Mann siegreich bekämpft, weil er schmalkaldische Städte bedrängt hatte, und vergeblich wartete er auf kaiserliche Hülfe.
Doch war auch eine Verstimmung vieler protestantischer Fürsten
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gegen Philipp von Hessen eingetreten, der bei Lebzeiten seiner Gemahlin eine zweite Ehe eingegangen war. Im großen und ganzen aber wurden die Glieder des schmalkaldischen Bundes immer mutiger und siegesgewisser. Sie hätten auch viel erreichen mögen, wenn nur die Religion die Triebfeder ihrer Handlungen gewesen wäre.
Bischöfe, wie der Kölner, wollten ihre Bistümer reformieren und gerieten dabei mit ihren Domkapiteln in die heftigsten Streitigkeiten. Diese verhöhnten die neue Lehre aufs ärgste, ohne daß ihnen selbst damit gedient worden wäre. Sie riefen nur sehnliches bei ihren Gegnern hervor, und die neu erfundene Buchdruckerkunst half die Schmähartikel verbreiten. Melanchthon urteilte darüber, daß „solche Schmähung mit Recht den Unwillen aller würdigen Männer erregen müßte."
Trotz jahrelanger Versuche war also keine Einigung erreicht worden, und noch einmal sollte ein Reichstag dahin führen. Dem kam der Papst durch Berufung eines Konzils zuvor, das in Trient (Trident) stattfinden sollte. Da die Protestanten oft das Verlangen danach ausgesprochen hatten, hoffte der Kaiser viel Gutes von ihrem Kommen; doch war ihnen weder Einladung noch Ankündigung des Konzils zugegangen. Auch hatten die Protestanten stets ein „freies Konzil deutscher Nation" begehrt, und nicht ein solches, das vorn Papst berufen, von ihm geleitet wurde. Sie erklärten, ein Konzil, auf dem ihr Gegner, der Papst, den Vorsitz führe, könne in ihrer Sache nicht unparteiisch richten; es würde schon ein Urteil gefallt haben, bevor es berufen fei. Dagegen machten die Katholiken geltend, daß nach katholischer Lehre nur ein Konzil unter Vorsitz des Papstes möglich sei. Damm verlangten die Protestanten vom Kaiser die Zusicherung eines „beständigen Friedens," der sie bis zu „dereinstiger christlicher Vergleichung" schützen solle. Aber der Kaiser wollte sich als Reichsoberhaupt von den Fürsten keine „Vorschriften" machen lassen.
Damit schienen die Gegensätze der Parteien aufs schärfste zugespitzt, und viele Glieder des schmalkaldischen Bundes waren kampfbereit. Aber die Friedensstimmung des Kurfürsten Johann Friedrich von Sachsen überwog, trotzdem der Kaiser öffentlich aussprach, daß er jetzt den Neuerungen ein Ende machen wolle. „Nicht gegen Religion und Freiheit ziehe er das Schwert, sondern um einige widerspenstige Fürsten zu züchtigen, denen die Religion nur zum Deckmantel ihrer strafwürdigen Absichten diene." Vergeblich forderte er die Beschickung
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des Konzils durch die protestantischen Fürsten und Stände. Da er aber ohne ihre Hülfe auch in der Politik seiner Kaiser Herrschaf t^wenig auszurichten vermochte, wußte er sich durch einen Frieden mit den Türken rückenfrei zu machen, um dem Protestantismus desto erfolgreicher entgegen treten zu können. In feierlichem Traktate verpflichtete sich Karl V. dein Papste, „sämtliche Protestanten mit Waffengewalt zum Gehorsam gegen den H. Stuhl zurück zu bringen." Der Papst (Paul III.) versprach zu diesem Kriege 200,000 Kronen zu geben, auch 12,000 Mann Fußvolk und 500 Reiter auf sechs Monate zu unterhalten. Dazu sollte der Kaiser den halben Ertrag aller spanischen Kirchengüter für das laufende Jahr haben. Auch wurde allen Teilnehmer am Kriege gegen die Protestanten vollkommner päpstlicher Ablaß gewährt.
Noch wurde dieser Bund geheim gehalten und scheinbar nochmals eine Einigung durch ein Religionsgespräch zu Worms versucht. Daneben trachtete der Kaiser dahin, protestantische Fürsten für sich zu gewinnen, und der schmalkaldische Bund that das Gleiche bei den Katholiken. Als vornehmsten Bundesgenossen unter den Protestanten gewann Karl A . Herzog Moritz von Sachsen, der mit seinem Vetter, dem Kurfürsten Johann Friedrich, um der Stifter Magdeburg und Halberstadt willen in Fehde lag und vom Kaiser die verlockende Aussicht auf den Kurhut Sachsens erhielt. Er sagte sich völlig von den Evangelischen los.
Der protestantische Kurfürst Joachim II. von Brandenburg verspracht sich im Falle eines Krieges neutral zu halten. Sein Bruder Johann, auch Herzog Erich von Göttingen - Kalenberg und Markgraf Albrecht von Brandenburg-Kulmbach waren kaiserlich gesinnt, außerdem alle katholischen Fürsten, trotzdem der Bayer den schmalkaldischen Bundesgenossen Neutralität versprochen hatte. Karl V. hoffte, durch Unterdrückung der Protestanten in Zukunft auf die sich daran knüpfende Neugestaltung der römischen Kirche Einfluß zu gewinnen, wie der Papst, gestützt aus kaiserliche. Heeresmacht, das Zustandekommen des Trienter Konzils erhoffte, das alle Zugeständnisse kaiserlicher schwäche und Nachgiebigkeit gegen die Protestanten mit Stumps und Stiel ausrotten sollte.
Diesen Wirren, welche so wenig von der christlichen Religion an sich trugen, für welche scheinbar das Schwert den Kamps entscheiden sollte, stand Martin Luther gegenüber als ein fast müde gemordner Kriegsheld. Das waren nicht Waffen des Geistes, welche das Evangelium schützen konnten; nur weltliche Interessen deckten stch mit kirchlichem Gewände. Die Kirchengüter waren von den Landesherren ein-
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gezogen; aber die Kirche selbst war so arm geworden, daß ihr oft das Notwendige zu ihrem Weiterbau fehlte. Das protestantische Kirchen-wesen konnte auch darum nicht zu einer festen Gestaltung gelangen. Die Prediger des Evangeliums vergaßen außerdem vielfach, daß sie nichts neues aufbringen sollten, als nur die alte Freudenbotschaft des Gotteswortes von der Versöhnung in Christo Jesu. Dazu hatte Luthers heftige Gemütsart sich nicht mit den abweichenden Lehren der Reformierten einigen können, er war oft verbittert und einsam in einem Kampfe gewesen, der damals eben so gut wie drei Jahrhunderte später zu einer „Union" hätte führen können.
Auch klagte er, wie so gar wenig die Predigt des Evangeliums Laster und Zuchtlosigkeit hätte mindern können, und es überkam ihn oft ein Lebensüberdruß. „Ich bin die Welt satt und die Welt mein, wir sind also leicht zu scheiden, ohngefähr wie ein Gast, der die Herberge quittiert." Wiederholte Krankheitsanfälle und zunehmende Schwäche hatten ihn so mutlos gemacht, daß er schon am Johannistag 1545 einem Freunde schrieb, fein alter Peiniger hätte ihn schon fast umgebracht, wenn es Gott nicht anders gefügt hätte. Doch hatte ihn eine Erholungsreise erfrischt, so daß er die Vorlesungen an der Universität wieder beginnen konnte, als ihn die Vermittlung in Streitigkeiten seiner ehemaligen Landesherren, der Grafen Albrecht und Gerhard von Mansfeld, wiederholt nach Eisleben rief. Am 3. Januar 1546 machte er sich zum dritten Male dahin auf, von seinen drei Söhnen, und von Halle aus auch von Dr. Justus Jonas begleitet. Eistreiben und Überschwemmung hinderten den Uebergang über die Saale, der endlich in offenem Kahn zurückgelegt «wurde. Schon auf der Weiterfahrt nach Eisleben wurde Luther von einer tiefen Ohnmacht befallen. Er war ein Stück Wegs gewandert und hatte sich, ermüdet und erhitzt, auf den offenen Wagen gesetzt, wo es ihm war, „als sollte das Hirn zu Eis werden."
Er erholte sich aber bald, leitete die Unterhandlungen und predigte verschiedentlich. In mehreren Briefen, die er an seine Frau schrieb, beruhigte er sie, scherzte auch wohl, wie die Sorgen der Frau Käthe ihn beinahe in der Saale hätten ertrinken lassen, wenn er nicht unter höherem Schutze gereist wäre.
Die Verhandlungen waren zu einem befriedigenden Abschluß gekommen, und Luther konnte an die Heimreise denken. Aber schon der Schlußverhandlung am 17. Februar vermochte er nicht mehr beizuwohnen,
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unb er äußerte wicberholt, baß er in Eisleben, wo er geboren sei, auch wohl bleiben solle. Er aß noch mit ben Freunben unter heitern unb ernsten Neben zu Abenb, legte sich seiner Gewohnheit geinäß früh zu Bett, erwachte aber balb unter großen Schmerzen unb Beklemmungen unb sagte Zum Dr. Jonas: „D Herr 6>ott, oktor ^zonas, mir wirb so weh uub bange, ich werbe nun wohl in Eisleben, ba ich geboren unb getauft bin, bleiben." In ber Angst ber Schmerzen staub er noch einmal auf, ging im Zimmer auf unb ab, mußte sich aber balb wieber uieberlegen. An seinem Lager stanben seine Söhne, Graf Albrecht von Mansselb mit Gemahlin, ein Gras Schwarzburg, ber Hofprebiger Cölius unb ber Stabtschreiber mit seiner Frau. Als man ben eintretenben Schweiß für ein günstiges Zeichen hielt, wehrte Luther: „Ich fahre bahin, meinen Geist werbe ich aufgeben." Mit lauter Stimme banste er Gott unb sprach breimal hastig lateinisch bie Psalmworte: „Vater, in bcine Hänbe befehle ich meinen Geist, bu hast mich erlöset, bu treuer Gott!" Dann rief ihm Justus Jonas zu: „Ehrwürbiger Vater, wollet ihr auf Christum unb bie Lehre, wie ihr sie geprebigt, bestänbig bleiben?" Luther antwortete ein vernehmliches „Ja!", bann wanbte er sich zur Seite unb entschlief sanft, nachbem er noch einmal tief aufgeatmet, morgens zwischen zwei unb brei Uhr am 18. Februar 1546.
Mit einem weißen Gewanb bekleibet, würbe bie Leiche folgenben Tages in einen zinnernen Sarg gelegt unb in ber Anbreaskirche zu Eisleben ausgestellt, wo Dr. Jonas bie Leichenrebe hielt. Auf Befehl Johann Friebrichs würbe bie sterbliche Hülle in feierlichem Zuge, als gälte es einen großen Fürsten zu bestatten, unter allem Glanze jener Zeit zur Gruft in bie Schloßkirche zu Wittenberg überführt, wo sie am 22. Februar anlangte. In ber Kirche hielt Luthers Freunb Bugenhagen bie Leichenprebigt, Melanchthon eine lateinische Rebe. Ihm war „bahin
ber Lenker unb Wagen Israels".
Ein Stein mit ber einfachen Inschrift: „Hier ist ber Leichnam Dr. M. Luthers begraben" bezeichnet bie letzte Ruhestätte eines Mannes, ber eine Welt bewegt um seines Gottes willen, unb bieser hatte sich zu ihm bekannt. Denn: „Ist ber Rat ober bas Werk aus ben Menschen, so wirb es untergehen. Ist es aber ans Gott, so könnet ihr es nicht
beimpfen." Apostelg. 5, 38. 39.
König Friebrich Wilhelm III. von Preußen ließ bem großen Reformator brei Jahrhunbert später aus bem Markplatz zu Wittenberg ein herrliches Stanbbilb errichten (31. Oktober 1821). Auf einem
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großen, glatt geschliffenen Granitblock steht die erzne Gestalt Luthers, in der Linken eine Bibel, auf welche die Rechte hinweist. Vier hohe, eiserne Säulen an den vier Ecken des Granitblocks tragen ein eisernes, kunstvolles Schutzdach.
9. Der schmalkaldische Krieg.
Das Konzilium von Trient war trotz vieler Hindernisse eröffnet ivorden, und der päpstliche Legat sollte die Verhandlungen leiten (13. Dezember 1545). Obgleich es deutsche Religionsstreitigkeiten schlichten sollte, war kaum ein Deutscher gegenwärtig, die ganze Christenheit des Abendlandes nur durch Italien und Spanien vertreten. Von Theologen waren fast nur Dominikaner des Auslands dort, die überall die Lehrstühle der Universitäten inne hatten.
Ein derartig zusammengesetztes Konzil hatte sich selbst der Kaiser nicht gedacht, in dem nur Fremde über deutsche Reichsangelegenheiten entscheiden sollten. Dem Papst aber genügte das nicht einmal; er hätte das Konzil lieber in Italien abgehalten. Wollte der Kaiser um des Friedens willen die den Protestanten feindlichen Beschlüsse des Konzils nicht veröffentlicht haben, so beeilte sich der Papst, gerade dadurch den Riß zwischen dem Kaiser und den protestantischen Reichs? Angehörigen noch klaffender zu machen. Auch zog er seine dem Kaiser auf ein halbes Jahr zugesagten Hilfstruppen aus Deutschland zurück, suchte Annäherung an Frankreich und verlegte endlich keck das Konzil nach Bologna. Die kaiserlich Gesinnten blieben in Trient zurück, wagten aber nicht, selbständig zu beraten.
Der Kaiser war kränklich, die Stände unentschieden und der schmalkaldische Bund mehr gelockert, als je zuvor. Doch die Sieges-gewißheit der Katholiken, die drohende Kriegsgefahr einigte die noch übrigen Glieder des Bundes nur um so fester. Während der Kaiser mit einigen hundert Soldaten seine aus Italien und den Niederlanden heranziehenden Truppen erwartete, standen dem schmalkaldischen Bunde 40,000 Mann schlagfertiger Truppen zu Gebote. Der kriegserfahrene Heerführer der oberländischen Städte (Süddeutschland), SebastianSchärtlin von Burtenbach, wollte den Kaiser in Regeusburg überfallen; aber die mit ihm vereinten schmalkaldischen Bundesfürsten meinten, Bayern, das Neutralität gelobt hatte, eine Treue halten zu müssen, die es selbst
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längst über Bord geworfen hatte. Schärtlin durfte nicht in Bayern einrücken. Selbst als er siegreich nach Tyrol vordrang und das Trienter Konzil hätte sprengen mögen oder wenigstens den Zuzug der italienischen Truppen hindern, wehrten ihm die evangelischen Fürsten. Sie wollten den König Ferdinand nicht beleidigen, von dem sie meinten, er billige seines Bruders Kriegsabsichten nicht.
Auf diese Weise verbrachten die schmalkaldischen Verbündeten günstige Zeit und Gelegenheit, ohne ihren Vorteil wahrzunehmen, und der Kaiser konnte ungestört weiter rüsten, die Hilfstruppen aus Italien in Regensburg abwarten, auch endlich, durch diese gedeckt, kühn die Reichsacht über die schmalkaldischen Bundeshäupter, den Kurfürsten Johann Friedrich von Sachsen und den Landgrafen Philipp von Hessen aussprechen (30. Juli 1546). An demselben Tage zogen gegen Karls V. ausdrückliches Gelöbnis bei seiner Kaiserwahl spanische Truppen in Regensburg ein. Bald folgten italienische, besonders päpstliche Söldner.
Hätten jetzt die Verbündeten rasch gehandelt, so hätten sie sicher eine günstige Entscheidung für sich herbeiführen können. Aber wunderbarer Weise wirkte die ausgesprochene Reichsacht lähmend auf die Fürsten, und doch lag auch darin ein gut Teil deutscher Art und Treue, daß Wort und Autorität des Kaisers so viel Macht und Einfluß auf den Einzelnen hatten. Nachdem aber die Evangelischen ein päpstliches Ausschreiben an die katholischen Stände der Schweiz aufgefangen hatten, aus dem die äußersten Vernichtungspläne ihrer Feinde offenbar wurden, konnte es den Verbündeten nicht mehr zweifelhaft fein, daß auch sie Recht und Pflicht der Selbsterhaltung hatten. Sie erklärten sich gegen das Recht der über sie verhängten Reichsacht, wonach sie Rebellen gegen Kaiser und Reich sein sollten, da sie sich ausdrücklich dagegen verwahrt hatten, angriffsweise vorzugehen. Nur zur Notwehr wollten
sie gerüstet haben.
In der Nähe von Ingolstadt bezog der Kaiser ein festes Lager, die Verbündeten am jenseitigen Ufer der Donau. Als der Kaiser in seinem Zelte saß, sich den Lauf der Sterne deuten zu lassen, schlug die erste feindliche Kugel neben ihm zur Erde (30. August 1546). Ersah kaum darauf hin und forderte den Astrologen aus, ruhig in der Erklärung fortzufahren. Mit derselben kühlen Ruhe beobachtete Karl die Bewegungen des Feindes, ohne weiter auf dessen Angriffe einzugehen. Ihm lag daran, den Kampf nach Schwaben hinüber zu leiten, wo er jedoch keine nennenswerten Erfolge errang. Dennoch verfolgte
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er mit großer Ausdauer sein Ziel, die Protestanten zu unterwerfen. Als unter seinen ausländischen Truppen schlimme Krankheiten ausbrachen, suchten die Verbündeten vergeblich günstige Friedensbedingungen zu erlangen; denn schon hatten sich die Verhandlungen gefestigt, nach welchen ihm Herzog Moritz seine ganze Heeresmacht zur Verfügung stellte.
Die Verbündeten hatten sich bei Giengen gelagert, um von dort aus die schwäbischen Städte zu schützen. Sie hielten den Herzog Moritz, den Schwiegersohn Philipps von Hessen, so sicher für einen der Ihrigen, daß die Gemahlin Johann Friedrichs sogar darauf rechnete, der Vetter werde Kursachsen in Abwesenheit ihres Gemahls schützen. Statt dessen verständigte sich Herzog Moritz über den Judaslohn des Kaisers, wenn er die schmalkaldischen Bundesgenossen treulos verlassen würde. Ant 27. Okt. 1546 fertigte Karl V. die Urkunde aus, welche dafür dem Herzog Moritz die sächsische Kurwürde verhieß. Mit Hülfe von böhmischen Truppen unterwarf dieser eine sächsische Stadt nach der andern; doch versprach er, sie bei ihrer Religion zu schützen. Johann Friedrich eilte seinem Lande zu Hülfe und vertrieb zunächst seinen Vetter Moritz, besetzte sogar dessen Herzogtum und erwarb die streitigen Erzstister Magdeburg und Halberstadt von dem alten Erzbischof Johann Albrecht gegen eine Jahresrente. Endlich hatte sich ihm das ganze Elbegebiet ergeben. Selbst England und Frankreich boten ihm ihre Hülfe an, um seine Siege weiter verfolgen zu können; aber der demütige Fürst wollte „alles nur von Gott erwarten."
Indessen waren die schmalkaldischen Heere von Giengen abgezogen (22. November 1546), die Herren des Bundes jeder in sein Land heimgekehrt, und der Kaiser hatte dadurch freie Hand gewonnen, sich den ihm feindlichen Städten zuzuwenden, die durch ungeheure Abgaben gestraft wurden. Statt wie einst in Stüdtebündnissen zusammen zu halten, ergab sich eine reiche und feste Stadt nach der andern. „Es ist ganz unglaublich," schrieb der französische König an seinen Gesandten nach Kassel, „daß die Leute, die bei gesundem Verstände und so mächtig sind, lieber ihr Geld hingeben wollen, um sich in die Knechtschaft zu stürzen, als sich die Freiheit zu erkaufen."
Augsburg, die Königin der süddeutschen Städte, mit festen Mauern umgeben, durch viele Kanonen geschützt, wies seinen tapferen Feldhauptmann Schärtlin aus der Stadt, und als er sich auf seinen Vertrag berief, baren ihn die Bürger mit Thränen, daß er gehen möchte;
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sie wollten ihm als Ersatz geben, was er begehre. Augsburg mußte, obgleich der mächtige Kaufherr Fugger selbst mit dem Kaiser unterhandelt hatte, 150 000 Goldgulden zahlen und 12 Fähnlein kaiserliche Besatzung aufnehmen. Auch die rheinischen Städte unterwarfen sich, der achtzigjährige Erzbischof von Köln wurde seines Amtes entsetzt, und der alte Herzog Ulrich von Württemberg konnte nur durch große Opfer des Kaisers Gnade erkaufen, der überall mit beruhigenden Versicherungen in Religionssachen die ungeheure Geldsumme aufwog, welche seinen Säckel füllte. Doch galt es, jetzt auch die Fürsten des fchmalkaldischeu Bundes endgültig zu unterwerfen, in erster Linie Kurfürst Johann Friedrich. Mit seinem Bruder Ferdinand und dem Herzog Moritz vereinigt, rückte der Kaiser in Sachsen ein und der Kurfürst suchte eiligst mit seinem geringen Heere das feste Wittenberg zu erreichen. Die Kaiserlichen, wohl acht mal mehr an Zahl, als das kurfürstliche Heer, folgten siegesgewiß den spärlichen Truppenresten desselben. Endlich trennte die feindlichen Heere nur noch die Elbe. Ein Müller, deut die Kurfürstlichen zwei Pferde mitgenommen hatten, zeigte ans Rache den Kaiserlichen eine seichte Furt in dem Flusse. Jeder Reiter nahm einen Fußsoldaten hinter sich aufs Pferd, und der Kurfürst sah sich überrumpelt, ohne einem Kampfe gewachsen zu sein.
In der Nähe des Städtchens Mühlberg kam es zur Schlacht (23. April 1547), die der Kaiser selbst leitete. Her Kurfürst mußte bald inne werden, daß jeder Widerstand nutzlos war. Doch wollte er bei seinem Fußvolk aushalten, obgleich er mit der Reiterei Wittenberg noch hätte erreichen mögen. Ein kurzer Vernichtungskampf, und viele treue Kämpfer Johann Friedrichs bedeckten das Schlachtfeld; er selbst wurde schwer verwundet und blutüberströmt vor den Kaiser geführt. Im Gefühl seiner schmählichen Niederlage hob er die Augen gen Himmel und sagte: „Herr Gott, erbarme dich meiner, nun bin ich hier!"
Er wollte niederknieen und dem Kaiser nach deutscher Art die Hand reichen; aber Karl wandte sich unwillig ab, und als der Kurfürst rief: „Allergnädigster Kaiser!" entgegnete ihm dieser: „So, bin ich nun euer gnädigster Kaiser? So habt ihr mich lange nicht geheißen," und auf die Bitte um ein fürstliches Gefängnis: „Er solle gehalten werden, wie er es verdient habe."
Nun zogen die Kaiserlichen vor Wittenberg, daß sich mit großer Standhaftigkeit verteidigte, und der Kaiser forderte von seinem Gefangenen, daß er den Seinen die Uebergabe der Stadt befehle. Der
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aber weigerte sich, „das Unglück habe ihm noch nicht den Mut genommen."
Erzürnt sprach Karl das Todesurteil über den Kurfürsten aus, der eben beim Schachspiel saß, als es ihm verkündet wurde. „Der Kaiser wird", sagte er, „gnädig mit mir sein. Sollte es anders geschehen, bitte ich, mir den Tag meines Todes vorher zu melden, daß ich von meiner Gemahlin und meinen Söhnen Abschied nehmen kann." Dann wandte er sich ruhig dem Spiele zu, als sei weiter nichts geschehen. Der brandenburgische Kurfürst legte sich ins Mittel, auch Herzog Wilhelm von Kleve, wie der Bischof von Arras und andere, selbst der finstre Herzog Alba.
Als jetzt der Kaiser unbedingte Unterwerfung Johann Friedrichs unter die Beschlüsse des Konzils forderte, wollte dieser „lieber Leib und Leben verlieren, als sich in Glaubenssachen dem Papst und seinem Konzil unterwerfen." Doch mußteer die „Wittenberger Kapitulation" unterschreiben (18. Mai 1547), wonach Herzog Moritz das Kurfürstentum Sachsen erhielt, er selbst aber in kaiserlicher Gefangenschaft bleiben sollte. Somit war die Kurwürde von den ernestinischen auf die albertinische Linie übergegangen. Nun mußte Moritz Johann Friederichs Kindern ein Jahrgehalt von 50000 Gulden zahlen, ihnen auch die thüringischen Besitzungen Weimar, Eisenach, Jena, Gotha u. s. f. überlassen.
Von nun an war der Kaiser zur Milde gegen seinen fürstlichen
Gefangenen geneigt, wie er auch dessen Land mit größter Rücksicht be-
handelte. Als man während seiner Anwesenheit in Wittenberg den evangelischen Gottesdienst in der Schloßkirche eingestellt hatte, befahl er, daß Bngenhagen sofort in gewohnter Weise dort predigen solle. „Wer richtet uns das an?" schalt er. „Ist in unserem Namen der Dienst Gottes unterlassen, so gereicht uns das nicht zum Gefallen. Haben wir im Oberlande (Schwaben) doch nichts gewandelt in der Religion, wie sollten wir es hier thun!" Als aber gar Herzog Alba
riet, die Gebeine Luthers aus der Gruft nehmen und verbrennen
zu lassen, wehrte Karl: „Laßt ihn ruhen, ich führe nur mit den
Lebenden Krieg, nicht mit den Toten."
Ueber Haupt hatte der Kaiser durch seinen längeren Aufenthalt in Sachsen ein völlig anderes Urteil über die evangelische Kirche gewonnen. „Wir Habens in diesem Land ganz anders gefunden, als uns gesagt ist," versicherte er beim Abschied.
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Nun wandte sich Karl V. gegen den Landgrafen Philipp von Hessen, da das Heer der niedersächsischen Bundesgenossen nach dein Fall Wittenbergs auseinander gegangen war, und die Städte, ausgenommen Magdeburg, keinen Widerstand mehr leisteten. Der Landgraf^ von seinen Verbündeten verlassen, mußte wohl oder übel mit dem Kaiser verhandeln und sein Schwiegersohn, Moritz von Sachsen, suchte bei Karl V. möglichst gute Bedingungen für ihn zu erlangen. Aber dieser hatte nur zu fordern, ohne irgend etwas gewähren zu wollen. Unbedingte Unterwerfung auf Gnade und Ungnade unter den kaiserlichen Willen wie unter die Beschlüsse des Konzils, Schleifung aller Festungen seines Landes, 150000 Gulden Reugeld und die Freilassung des gefangenen Herzogs Heinrich von Braunschweig verlangte der Kaiser vom Landgrafen Philipp. Doch wurde den harten Forderungen das Versprechen hinzugefügt, daß weder Todesstrafe, noch ewige Gefangenschaft den Landgrafen treffen sollte. Dieser erbat freies Geleit bis zum Hoflager des Kaisers; aber dessen Räte gaben den unterhandelnden Fürsten, Moritz von Sachsen und Joachim von Brandenburg, nur mündliche Versicherungen, daß der Kaiser nach geschehener Abbitte einen Sühnebrief geben wollte. Darum meinten die Fürsten, dem Landgrafen auf eigne Hand freies Geleit zusichern zu dürfen, und Philipp kam vertrauensvoll nach Halle, ohne zu fürchten, daß er welschen Tücken begegnen könnte.
In schwarzer Sammetkleidung, dazu die rote österreichische Feld-binde, trat er, geführt von den beiden Kurfürsten, in den Thronsaal. Kalt empfing ihn der Kaiser, aus dem Throne sitzend inmitten deutscher, noch viel mehr spanischer und italienischer Fürsten und Prälaten. Philipp kniete vor dem Throne nieder, hinter ihm sein Kanzler Günterode, die Abbitte zu verlesen, deren demütige Worte dem Landgrafen wenig von Herzen kommen mochten. Als brütn ein spöttisches Lächeln über sein Antlitz zog, hob ber Kaiser brohenb ben Finger: „Wöll! Ick sall bi
lachen lehren!" Nach ber Verlesung hieß niemand Philipp aufstehn, drum that er es ungeheißen. Auch bot ihm Karl nicht die Hand zur Versöhnung.
Das machte den Landgrafen nicht weiter mißtrauisch. Er folgte einer Einladung des Herzogs Alba zum Abendessen und wurde dort des Kaisers Gefangener. Die Fürsten und Herren waren erschrocken, hatten sie doch dem Landgrafen ihr Geleit in dem guten Glauben angeboten, daß der Kaiser sein Wort halten werde, den Landgrafen weder
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zu töten, noch in ewiger Gefangenschaft zu halten. Alle Vorstellungen^ sie „nicht in diesen Unruhen stecken zu lassen", fanden kein Gehör. Der Landgraf war und blieb Gefangener und mußte als solcher gleich dem Kurfürsten Johann Friedrich dem kaiserlichen Hoflager folgen. Die übrigen deutschen Fürsten aber verließen grollend den Kaiser, der ihr Wort zur Lüge gemacht hatte.
10. Das Ängsliurgische Interim.
Stellung der deutschen Fürsten dazu. Kart V. und Moritz von Lachsen.
Nach Unterwerfung des schrnalkaldischen Bundes, dessen Häupter Karl V. als Zeichen seines Triumphes mit sich führte, stand er auf der Höhe seiner Kaiserherrschaft. Kirche und Reich sollten ihm von jetzt an völlig unterworfen sein. Aber der Papst machte wenig gute Miene dazu, daß der Kaiser das Konzil von Bologna nach Trient verlegt haben wollte. Auch in die verlangte Revision der Tridentmer Beschlüsse willigte der Papst nicht. Darum wurde der Kaiser sein Feind. Seine Bevollmächtigten protestierten in Bologna gegen alle Beschlüsse und verkündeten die Absicht ihres Herrn und Kaisers, die Uebelstände der Kirche kraft seiner kaiserlichen Würde selbst abstellen zu wollen, da der Papst bis dahin wenig guten Willen dazu gezeigt habe.
Am 1. September 1547 hatte Karl V. zu Augsburg einen Reichstag eröffnet, der zunächst seine Stellung dem Reiche gegenüber fördern sollte, ehe der Kirche gedacht wurde, und es erfüllte ihn von vornherein mit stolzer Befriedigung, daß alle Kurfürsten gekommen waren. Auch durfte er nur fordern, und die Fürsten bewilligten. Eine reiche Tiirfenhülse wurde zugesagt; auch wurde der burguudische Kreis in den ReichSverband derart aufgenommen, daß er wohl an allen Rechten, aber nirgends an Verpflichtungen des Reiches theiluahm. Dazu wurden dem Kaiser reiche Beiträge zu einer Kriegskasse versprochen, womit er seine ausländischen Kriege führen mochte, und in kriechender Unterwürfigkeit war man dem „nllergnädigsten Kaiser" zu Willen, als er trotz aller Bitten der Fürsten seine fremden Kriegsvölker nicht entlassen wollte, die dem Reiche eine Last waren wie die Pest.
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Alle Beisitzer des Neichskammergerichts, die der Kaiser von nun an allein ernennen wollte, mußten katholisch sein, und die Protestanten mochten sehen, wie ihre Rechte in Zukunft vertreten sein würden. Auch ■erhielt Moritz von Sachsen auf diesem Reichstage von Kaiser und Reichswegen das ihm längs zugesagte Kurfürstentum. Endlich wurde der neue Kölner Erzbischof statt des Vertriebenen geweiht, der zum Protestantismus übergetreten war.
Da indessen die Spannung zwischen Kaiser und Papst immer größer geworden war, befahl Karl V., daß zwei katholische Theologen, der strenge Weihbischof Helding von Mainz und der gemäßigte Julius Pflug ein vorläufiges Gesetz, eine Kirchen Ordnung und Religionslehre verabreden sollten, die christliche Kirche einstweilen in Deutschland danach einzurichten. Auch der protestantische Hofprediger Joachims II. von Brandenburg, Agrikola, nahm an den Beratungen Teil, ohne ein entscheidendes Wort zu haben. Daß die Evangelischen dabei schlecht wegkommen würden, ließ sich voraus sehen. Es wurde ihnen nur die Priesterehe und das Abendmahl unter beiderlei Gestalt frei gegeben, die sieben Sakramente, auch die Anrufung der Heiligen und selbst die Stellung des Papstes als Oberhaupt der Kirche beibehalten. Da dieser Entwurf einer Kirchenordnung nur vorläufig sein sollte, bis Besseres entschieden sein würde, nannte man die Beschlüsse „das Augsburgische Interim."
Der gutmütige Kurfürst Joachim II. von Brandenburg ließ sich leicht zur Annahme desselben bewegen, auch der Pfälzer und andere. Moritz von Sachsen weigerte sich. Er müsse das erst mit seinen Theologen beraten. Auch erinnerten ihn die Sachsen an das ihnen gegebene Versprechen, sie bei ihrem protestantischen Bekenntnis schützen zu wollen, und Moritz verstand es, Interim und alte Rechte seiner neuen Unterthanen mit einem gemeinschaftlichen Gewände zu umkleiden. Er beauftragte den gütigen, nachgiebigen Melanchthon mit diesem schlüpfrigen Werke, obgleich gerade der schon gegen das Interim geschrieben hatte. Die Abfassung des Meisters Philippus, „das Leipziger Interim", suchte zwar die protestantische Lehre notdürftig zu retten, sich daneben aber dem gewünschten Augsburger Interim anzupassen und sah recht wunderlich aus. Die Autorität des Papstes wurde darin ebenfalls aufs neue anerkannt, auch Messe, letzte Celung, Fasten u s. f. wieder eingeführt, und die Leute spotteten, daß das Interim dem Evangelium die setzte Celung gebracht hatte.
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Aber die Katholiken waren mit dem Interim, soweit es sie selbst entging, erst recht nicht einverstanden, da sie zum Nachgeben keine Lust hatten. So blieb es nur ein auf die Protestanten beschränktes Gesetz, der Unterdrückung. Selbst die kaiserlichen Räte höhnten, „das deutsche Volk solle spanisch lernen." Wo nicht gutwillig nachgegeben wurde, half der Kaiser nach, wie in Augsburg, wo die mehr protestantischen Zünfte das Übergewicht hatten. Statt ihrer ernannte er einen Rat ans den Geschlechtern unter der Verpflichtung zur Annahme de& Interims.
In mancher Stadt wurde so die „alte, wahre Religion" wieder eingeführt, in Konstanz sogar die Predigt des Evangeliums bei Todesstrafe verboten. Doch das Volk stimmte darum dem Interim nicht zu. Spottbilder zeigten ein doppelköpfiges Ungeheuer von Prälaten und Schalksnarren umgeben: „Selig ist der Mann, der Gott vertrauen kann und willigt nicht ins Interim; denn es hat den Schalk hinter ihm." Auf den Straßen ertönten die Schlußworte als Spottlied r „Interim, hat den Schalk hinter ihm!" Die Brandenburger Prediger sagten ihrem Kurfürsten frei heraus, daß der Kaiser mächtig sei, aber Gott noch mächtiger. Ihm wollten sie darum gehorchen. Die Magdeburger klagten, daß der Kaiser sie um ihre Seligkeit bringen wolle.
Obgleich zunächst alle Bitten und Klagen in betreff des verhaßten Interims nutzlos verhallten, so gährten sie ungefehn in der Tiefe um so schlimmer. Aber der Kaiser meinte in diesem kühnen, so wohl gelungnen Wurf nur den Anfang gänzlicher Unterdrückung der Reformation zu sehen, die um so sichrer gelingen mußte, da auch der Papst nachgiebig erschien, indem er das Konzil von Bologna nach Trient zurück verlegte. Dort nahmen außer den drei geistlichen Kurfürsten selbst protestantische Geistliche Teil daran. Schlauer Weise hatte Papst Julius III. feinen Legaten angewiesen, den Protestanten zwar freundlich zu begegnen, aber um keinen Preis sich mit ihnen in ein Religionsgefpräch einzulassen. Als aber die Protestanten dem Papst den Eid des Gehorsams verweigerten, weil das Konzil über dem Papst stehe, und sogar die spanischen Gesandten dem zustimmten, wurde Julius III. sich feiner Ohnmacht gegen den Kaiser bewußt. Diesem kam das doppelt gelegen, da er jetzt die Zeit gekommen meinte, seine spanische kaiserliche Herrschaft in Deutschland auch für die Zukunft zu befestigen. Statt feines Bruders Ferdinand, der als römischer König zur kaiserlichen Nachfolge bestimmt war, wollte Karl V. seinem Sohne Philipp die
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deutsche Krone zugesagt wissen, Ferdinands Sohn sollte wiederum römischer König werden. Doch gefiel dieser unerwartete Plan des Kaisers seinem Bruder Ferdinand durchaus nicht, und nach vielen Beratungen wurde festgestellt, daß Ferdinand nach Karl V. deutsches NeichSoberhaupt, dagegen Karls Sohn, der spanische Philipp, römischer König und kaiserlicher Nachfolger Ferdinands werden sollte. Die deutschen Kurfürsten wurden um ihre Zustimmung nicht gefragt, als die beiden fürstlichen Brüder dieses Abkommen durch einen Vertrag besiegelten (9. März 1551).
Langsam aber desto entschiedner erhoben sich im deutschen Reich Parteibestrebungen politischer und religiöser Art gegen die mannigfachen Kunstgriffe des in seiner Handlungsweise durchaus spanischen Kaisers, der das deutsche Volk nicht liebte, obgleich er sich mühte, es zu beherrschen. Darum sah auch das Volk zu Karl V. nur als zu einem Fremden empor. Wie schwer hatte es unter Roheit und Uebermut der spanischen Truppen gelitten und es als Schmach empfunden, daß ine deutschen Fürsten, Johann Friedrich von Sachsen und Philipp von Hessen in ihrer Haft von Spaniern bewacht und gleich wilden Tieren im Lande umhergeführt wurden. Sie waren Märtyrer des evangelischen Glaubens, der in den breiteren Volksschichten fast noch tiefere Wurzel gefaßt hatte, als an den Fürstenhöfen.
Mit dem frommen Kurfürsten von Sachsen zog sein Freund, der Maler Lukas Kranach, als treuer Leidensgefährte. Landgraf Philipp hatte einen Fluchtversuch gemacht und war danach nur um so fester -eingekerkert worden. Vielleicht gab dies den ersten Anlaß, daß sein Schwiegersohn, Moritz von Sachsen, feindlich gegen den Kaiser gestimmt ivurde. Schon folgte er den kaiserlichen Befehlen nur auf die ihm -gut dünkende Art, unterhandelte mit seinen Schwägern, den Söhnen des Landgrafen, wie mit andern protestantischen Fürsten, während ihn: der Kaiser ein Reichsheer anvertraute, das um des evangelischen -Glaubens willen feindliche Magdeburg zu unterwerfen. Unter den Mauern der Stadt versprach er dem Bruder des Brandenburger Kurfürsten, Johann von Küstrin, „Land und Leute zur Erhaltung der Augsburgischen Konfession und der deutschen Freiheit zu wagen." Zu -gleicher Zeit unterhandelte er mit der Stadt Magdeburg gegen den Kaiser (1551) und versprach eine günstige Kapitulation. Im eignen Lande trauten die Sachsen ihrem Kurfürsten nicht, der immerfort -Treu und Glauben wechselte wie ein Kleid. Doch waren die
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Fürsten machtlos ohne den Kaiser, wenn sie nicht auf Moritz rechnen konnten.
Die Thore Magdeburgs öffneten sich ihm, und er nahm die Huldigung der Stadt zu den Füßen des Standbildes Kaiser Ottos des Großen entgegen. Trotzdem Kurfürst Moritz sich augenscheinlich vom Kaiser lossagte, fehlte es den protestantischen Fürsten und Städten an Geld, den Kampf gegen Karl V. aufzunehmen. Sie verhandelten mit England, Dänemark, Polen, endlich sogar mit Frankreich, mit dem ein -gegen den deutschen Kaiser gerichtetes Bündnis deutscher Fürsten zu stände kam, wonach Frankreich gegen ein monatliches Hülfsgeld von 100,000 Kronen die Reichsstädte Metz, Toul, Verdun, Cambray als Reichsvikariat zugesprochen wurden. Während Moritz mit den ihm verbündeten Wilhelm von Hessen und Markgraf Albrecht von Brandenburg-Kulmbach zusammenstieß, um, wie er den sächsischen und hessischen Ständen verkünden ließ, die gefangenen Fürsten zu befreien, besetzte der französische König die Stadt Metz als „Verfechter der deutschen Freiheit", und deutsche Hülfstruppen gingen nach Frankreich ab, sich mit ihm zu verbinden.
Die sächsischen Stände machten ihrem Kurfürsten Moritz Vorhaltungen, daß „solches Vorhaben gegen den Kaiser zum Nachteile seines Rufes und zu seinem und seiner Unterthanen Verderben führe. Durch Bündnisse mit fremden Potentaten seien schon manche deutsche Fürsten in verderblichen Schaden gekommen."
Was galten solche Worte dem Kurfürsten Moritz? Er meinte •genug gethan zu haben, daß er die Möglichkeit eines Vorbehalts des Reichs erwähnt hatte. Indessen erwartete der Kaiser, der zu Innsbruck mit allerlei kirchlichen und staatlichen Entwürfen beschäftigt war, seinen, wie er meinte, treu ergebenen Reichsfürsten Moritz, der auch zum Scheine dem kaiserlichen Ruf folgte. Karl glaubte nicht eher an seine Untreue, als bis er selbst die Manifeste des Fürstenbundes las, an dessen Spitze der Name'des sächsischen Kurfürsten stand und in denen der deutsche Kaiser der Verletzung der Wahlkapitulation (Einführung der spanischen Truppen nach Deutschland) wie der Unterdrückung deutscher Reichsfreiheit beschuldigt wurde, auch daß er die Stände durch häufige und teure Reichstage gedrückt, die protestantischen Städte gebrandschatzt, die Reichssiegel fremden Händen anvertraut, fremde Räte deu deutschen vorgezogen, überhaupt die Freiheit, das edelste Gut der Deutschen, in unerhörter Weise geknechtet habe.
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Nun mußte cs dem Kaiser wohl klar fein, wessen er sich in Deutschland zu versehen hatte, und hülflos, wie nie zuvor, verließ der reiche, arme und kranke Kaiser Innsbruck, um nach seinen Niederlanden zu entkommen. Doch Moritz hatte ihm den Weg mit Truppen verlegt; und so mußte Karl einstweilen nach Innsbruck zurückkehren, um einen günstigern Augenblick abzuwarten. Allmählich hatte er Truppen angesammelt, mit deren Hülfe er die Reihen der Verbündeten zu durchbrechen hoffte. Aber Moritz stürmte ihm siegreich entgegen und würde den Kaiser gefangen genommen haben, wenn sich nicht das eigne Kriegsvolk empört hätte, so daß er den Schüssen seiner Soldaten nur durch die Schnelligkeit seines Pferdes entrinnen konnte. Dadurch gewann der Kaiser Zeit und Gelegenheit zur Flucht.
Vielleicht mahnte ihn die eigene Not an das schwere Geschick seiner fürstlichen Gefangenen, die ihm bis dahin unausgesetzt hatten folgen müssen. Kurfürst Johann Friedrich erhielt zuerst feine Freiheit unter der Bedingung, daß er dem kaiserlichen Hoflager weiter zu folgen habe. Ueber Nacht war aber der spanische Wachtposten vor seiner Thür entwichen, und gewissenhaft rüstete sich der Kurfürst, dem Befehle des Kaisers nachzukommen, der, von der Gicht geplagt, in einer Sänfte getragen, doch schneller davon eilte, als ihn der etwas schwerfällige Johann Friedrich folgen konnte. Dieser mochte drum scherzen, daß er „ja gern nicht dem Hose entlaufen wollte, wenn dieser ihm nicht davonliefe."
Endlich trafen Kaiser und Kurfürst an einer breiten Wegstelle zusammen, und Johann Friedrich bedankte sich ehrerbietigst für die gewährte Freiheit. Der Kaiser reichte ihm die Hand, indem er fein Haupt entblößte und ihm in deutscher Sprache versicherte, wie er ihn gern erledigt habe, ihm auch fürderhin ein gnädiger Kaiser fein wolle. Er hatte den Kurfürsten um feiner Rechtlichkeit, feiner Beständigkeit im Glauben willen achten gelernt.
Auf der Weiterreise sprach Karl V. mit den Seinen darüber, wie er es mit den Deutschen gut gemeint, aber bei keinem sich Dank verdient habe, auch bei den Katholiken nicht; denn sonst hätte er müssen dem Kurfürsten den Kopf abschlagen lassen. Den Lutherischen habe er es ebenso wenig recht gemacht; darum wolle er Gott die Sache
befehlen, der es gut machen möge.
Innsbruck siel in die Hände der Verbündeten. Moritz gab die
zurückgelassene Habe des Kaisers seinen Soldaten preis und ging selbst
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nach Passau, um einer Verabredung mit König Ferdinand entsprechend, einen Vertrag dort abzuschließen, in welchem sich die' deutschen Kurfürsten, die Herzöge von Jülich, Pommern, Württemberg, Bayern, Braunschweig u. a. dahin verständigten, daß an eine Vernichtung des Protestantismus nicht mehr zu denken sei, auch daß „ohne Oberhoheit des Papstes oder des Konzils" eine friedliche Einigung des Reichs erstrebt werden müsse, damit der Friede dauernd allen Reichsangehörigen zugute komme. Das hatten geistliche und weltliche Fürsten in dem „Passnuer Vertrage" (1552) unterschrieben, der den Protestanten Augsburgischer Konfession völlige Gewissensfreiheit, auch bürgerliche Reichsgleichheit in Aussicht stellte. Dazu sollte allen um des Glaubens willen Vertriebenen unbegrenzte Verzeihung und Rückkehr in ihr Lnnd gewährt sein. Alle diese Rechtsbestimmungen wurden erst im „ Augsburger Religionsfrieden" (1555) weiter ausgeführt, beispielsweise daiz katholische Geistliche ungehindert zum Protestantismus übertreten konnten, alle ihnen einst zugesicherten Kirchengüter aber der katholischen Kirche verblieben, wie denn jegliche Herübernahme kirchlicher Reichtümer den Protestanten verboten blieb.
Diese und ähnliche Punkte waren anfangs nur zwischen Ferdinand nnd den deutschen Fürsten verabredet worden; der Kaiser gab erst feine Zustimmung, als ihm Kurfürst Moritz mit einem Heere entgegen zog. Entschieden war damit der Einfluß des Papstes auf deutsch-staatliche Verhältnisse gebrochen, das Interim und die über alle schmalkaldischen Bundesgenossen verhängte Reichsacht aufgehoben. Endlich erhielt dadurch Landgraf Philipp von Hessen seine Freiheit unter der Bedingung, sich seiner Gefangenschaft wegen nicht rächen zu wollen. Nach der langen, schweren Haft begehrte er nichts mehr, als daheim in Frieden sterben zu dürfen. Sein erster Weg führte ihn dort an die Gruft feiner Gemahlin im Dome zu Kassel, wo er lange in stillem Gebete weilte. Von jetzt an lag ihm der Tod näher als das Leben. An Ltaatsgeschästen beteiligte er sich nicht wieder.
Johann Friedrich, der noch einmal feierlich feinem Kurfürstentum entsagen mußte, war in sächsischen Landen mit höchster Begeisterung empfangen worden. Alle Stände Geeiferten sich, ihrem viel geprüften Herrn Siebe und Anhänglichkeit zu beweisen, und es ist tief ergreifend, Einzelheiten darüber zu lesen. Fünf Jahre lang hatte die fromme Gemahlin Johann Friedrichs, nur in Trauerkleidern einhergehend, verglich ihres Gatten Freilassung erfleht. Als er nun endlich kam,
Bor 7ihak. Unser Vaterland. 90
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stürzte sie in der Freude des Wiedersehens ohnmächtig zu seinen Füßen nieder.
Die Söhne hatten während der Gefangenschaft des Vaters die Universität Jena gestiftet. Bei dem Jubel und fröhlichen Gruß der akademischen Jugend zog ein Lächeln über das ernste Antlitz des Kurfürsten, als er zu dem neben ihm reitenden Lukas Kranach sagte: „Sieh, steh, das ist Bruder Studio!" Dabei empfing der fürstliche ,V)crr die Segenswünsche der Professoren, und als er endlich in seine Residenz Weimar einzog, konnte er den Thränen nicht wehren und sagte gerührt zu seinem Hofprediger Armsdorf: „Ich bin ein armer Sünder, wie mag mir solche Ehre widerfahren!"
(Von Johann Friedrich stammen die sächsischen Herzöge und Großherzöge.)
Endlich schien eine allgemeine Versöhnung im ganzen Reiche gesichert zu sein, und der Kaiser, der es seinem Bruder überließ, mit den deutschen Fürsten ein gutes Abkommen zu treffen, rüstete sich, die Franzosen ans Lothringen zu vertreiben. Alle deutschen Fürsten waren zur Reichshülfe bereit. Selbst Spanien sandte Hülfe; des Kaisers Sohn Philipp hatte allein dazu eine Million Dukaten aufgebracht. Nur Moritz von Sachsen zog mit Ferdinand gegen die Türken. Er schämte sich wohl, einen Feind zu bekämpfen, den er setb>t ins deutsche Land gerufen. Doch war Ferdinand in seinen Unternehmungen ebenso wenig glücklich, wie sein kaiserlicher Bruder, der den Franzosen Metz überlassen mußte. Eine türkisch-französische Flotte griff Neapel an und plünderte die italienische Küste. Gleichwie im Innern des Reiches sank Karls V. Ruhm und Größe auch nach außen zusammen.. Protestantische und katholische Fürsten schlossen sogar ein Verteidigungsbündnis gegen den Kaiser, als dieser Fürsten und Stände wiederholt bat, den spanischen Philipp zum kaiserlichen Nachfolger zu bestimmen.
Inzwischen kriegte der einst mit Moritz verbündete wilde Markgraf Albrecht von Brandenburg-Kulmbach gegen geistliche Stifter, Bistümer, Schlösser und Städte, und König Ferdinand verband sich mit Kurfürst Moritz und Heinrich von Braunschweig, den Landfriedensbrecher zur Ruhe zu bringen. Moritz war schon darum im Bunde, weil er eine ihm unerwünschte Annäherung des Markgrafen an den Kaiser fürchtete-Schon verhandelte er wieder heimlich mit dem Reichsfeinde Frankreich gegen Karl V., als er in einer Schlacht gegen Markgraf Albrecht bei Sievershausen im Lüneburgischen siel. Moritz starb, zweiuuddreilzig
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Jahre alt, mit den im Todesschrecken ahnungsvollen Worten: „Gott itnrd kommen!" Ihm folgte in der Kurwürde sein Bruder August. Acht Tage später ging auch Johann Friedrich zur ewigen Ruhe.
Markgraf Albrecht wurde als Störer des Reichsfriedens in die Reichsacht gethan und floh als Geächteter über den Rhein nach Frankreich. Dort trug er in der Stille sein Unglück als eine wohlverdiente Strafe Gottes, weil er einst als protestantischer Fürst in des Kaisers Dienst das Evangelium verfolgt habe. In frommen Uebungen verbrachte er den Rest seines Lebens, und das von ihm gedichtete Kirchenlied „Was mein Gott will, gescheh allzeit," zeugt von der stillen Ergebung des Brandenburgers in sein herbes Geschick.
Karl V. sah alle hochfliegenden Pläne seines Lebens vernichtet, rind die mächtigen Reiche seiner Herrschaft, in denen „die Sonne nicht unterging", trugen für ihn nur die Vergänglichkeit alles Irdischen an sich. Darum waren ihm Krone und Szepter eine zu schwere Last geworden, und der gebrechliche Körper mahnte ihn, sein Halls zu bestellen. In klösterlicher Stille wollte er seine letzten Tage verbringen.
Nachdem er seinem Sohne Philipp, der schon durch seine Vermählung mit der katholischen Maria von England dem Hause Habsburg eine Machtvergrößerung zugebracht, das Erbe der spanischen Krone, Mailand und Neapel abgetreten hatte, übergab er ihm die Herrschaft der Niederlande. Eine ergreifende Schilderung dieser Uebergabe zeichnet noch einmal die Persönlichkeit Kaiser Karls V. (25. Oktober 1555). Ju dem reich geschmückten Kronsaale des königlichen Palastes zu Brüssel erhob sich die prächtige Estrade, zu der sieben Stufen emporführten. Drei mit Gold und Edelsteinen geschmückte Sessel standen unter dem mit dem burgundischen Wappen geschmückten Thronhimmel, der mittlere für den Kaiser bestimmt, der zur Rechten für seinen Sohn Philipp. Zur Linken war der Sessel der Schwester des Kaisers, bisherigen Statthalterin der Niederlande, Königin Marie von Ungarn. Etwas tiefer befanden sich die Sitze der Ritter vom goldenen Vließ und die der übrigen Fürsten und Herren, noch tiefer die Bänke der Räte. Ringsum im ocicite hatten sich die Abgeordneten aller niederländischen Provinzen niedergelassen.
Erwartungsvolle Stille ruhte auf der Menge, und aller Augen Waren auf bk Eingangspforte gerichtet, als sich die weiten Flügeltüren des Saales ans thaten, und der Kaiser herein wankte, mit der
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Rechten auf die Schulter des herrlich ritterlichen Wilhelm von Oranieir gestützt, mit der Linken auf einen einfachen Stab. Ihm zur Seite schritt finster und bleich sein Sohn Philipp. Aller kaiserlichen Pracht bar, im einfachen, schwarzen Sammetgewande spanischer Art, nur mit dem Orden des goldenen Vließes geschmückt, machte der Kaiser schon bei seinem Eintritt einen ergreifenden Eindruck. Langsam und müde ließ er sich auf den Thronsessel nieder und ließ die Anwesenden durch den Herold zum Sitzen laden. Darauf verlas einer seiner Rate eine kaiserliche Urkunde, die in langer Rede darlegte, daß und warum ber Kaiser gesonnen sei, seinem Sohne bie Regierung ber Niederlande abzutreten. Mit Liebeswort und Mahnung an die Stände, ihrem neuen Herrn Liebe und Gehorsam entgegen zu bringen und die Religion der Väter treu zu wahren, schloß die kaiserliche Willensäußerung.
Nun erhob sich der Kaiser, wiederum auf den Arm des treuen Oraniers gestützt, und schilderte, wie er ein langes Leben hindurch Zeit und Kraft auf bie Regierung seiner Reiche verwandt, nimmer an sich unb seine Kurzweil gebacht habe. Seine Regierung sei eine stete Pilgerfahrt gewesen, weil er allezeit selbst habe sehen unb helfen wollen-Neunmal sei er in Deutschland, sechsmal in Spanien, siebenmal in Italien, zehnmal in den Niederlanden, zweimal in England, zweimal in Afrika und elfmal zur See gewesen. Nun mahjte ihn der hinfällige Leib, die Lasten der Regierung auf jüngere Schultern zu legen. Aber zum Abschied bitte er alle um Verzeihung, wo er gefehlt, wo er jemand gekränkt habe.
Der Kaiser mußte oft inne halten; denn die Rührung übermannte ihn, und Thränen erstickten seine Stimme. Alle Anwesenden schluchzten laut, als Karl seinen vor ihm fnieenben Sohn mit Krone und Zepter belehnte, ihn ermahnte, seinem Lande ein treuer unb gerechter König, zu sein, bann aber erschöpft in ben Sessel zurück sank.
Philipp brachte bie Erregung burch seine eisige Kälte zur Ruhe. Nachbetn er seinem Vater bie Hanb geküßt unb ben erbetenen Segen von ihm erhalten hatte, setzte er sich nieber unb erhob sich nicht, als er sich bei ben Versammelten kurz entschulbigte, nicht französisch sprechen zu können. Darum ließ er ben Kanzler Granvella versichern, daß er mit Gottes und der Stände Bei hülfe seine Regentenpflichten erfüllen, Privilegien und Rechte achten und gutes Einvernehmen walten lassen wolle.
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Die bisherige Statthaltern der Niederlande sagte sich ebenfalls feierlich und öffentlich los von allen Rechten und Pflichten, die sie bis dahin au die Niederlande gebunden. Somit war Philipp Herrscher eines in seinen tiefsten Elementen deutschen Volkes geworden, dessen Charakter der Spanier niemals verstehen und achten lernen sollte.
Im folgenden Jahre trat Karl V. Spanien mit allen eroberten und entdeckten Ländern an Philipp ab (Januar 1556) und erklärte Seit deutschen Fürsten, daß er auch auf die deutsche Krone verzichte zu Gunsten seines Bruders Ferdinand (7. September 1556). Doch wurde dieser erst am 14. März 1558 von den Kurfürsten feierlich gewählt, nachdem er sich in der Wahlkapitulation verpflichtet hatte, „Religions-frieden wie Landfrieden stet und fest zu beobachten und nur mit Willen und Rat der Fürsten und Stände zu regieren." Die Fürsten aber schlossen aufs neue einen Kurverein, Rechte und Stellung ihrer Würde zu rvahren, während der Papst alle möglichen Anstrengungen machte, die Kaiserwahl als ungiltig hinzustellen, weil er, das Haupt der Christenheit, nicht um Entscheidung der Wahl gebeten worden war. Doch die Zeiten waren vorüber, in denen der Papst die deutsche Krone zu vergeben hatte.
Inzwischen hatte sich Karl V. mit seinen Schwestern auf einer glänzenden Flotte nach Spanien eingeschifft (17. September 1556). Mit Inbrunst küßte er bei seiner Landung den Boden, der ihm von jetzt an die stille Zufluchtsstätte bieten sollte, welche er in der Einsamkeit des Klosters von San Inste in Estremadura suchte.
„Bereitet mir, was euer Haus vermag.
Ein Ordenskleid und einen Sarkophag!"
läßt der Dichter (v. Pfoten) den einst so mächtigen Kaiser bitten, ^ und
weiter:
„Nun bin ich vor dem Tod den Toten gleich Und fall' in Trümmer wie mein altes Reich."
In einem kleinen Hause neben dem Kloster wohnte Karl V. von aller Welt abgeschlossen, doch mit kaiserlicher Pracht umgeben, und verbrachte seine Tage in frommen Uebungen wie bei kleinen Arbeiten an Maschinen, die er schon in der Jugend geliebt hatte. Sich in den Ernst des Scheidens zu versenken, ließ er sein Leichenbegängnis einrichten. Er selbst soll dem Sarge im Büßergewaude gefolgt sein. Die Ausregung dieser Zeremonie warf ihn am folgenden Teige auf das
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Kranken- unb Sterbelager. 9)1 it einem Gebet für bie Einheit her Kirche starb bcr Kaiser (21. September 1558), ber vergeblich darum gerungen, ein katholisches Weltreich zu gründen, und der vor allen Dingen nicht erreichen konnte, den Deutschen ein wahrer König zu sein, so sehr er sich darum gemüht hatte.
11. Weitere Strömungen der NeformlitionsM vor dem dreißig-
jährigen Kriege. Die Jesuiten.
Mit der Mahnung an seinen Sohn, dem ketzerischen Treiben der
neuen Lehre mit aller Macht zu mehren, war Karl V. geschieden, und schon stand ein neuer Kämpfer aus ber Warte, biesem kaiserlichen Willen zu entsprechen, der Jesuitenorden.
Das Tribentiner Konzil war nach achtzehnjähriger Dauer geschlossen worben und hatte trotz vieler Mißerfolge doch eine Reformation mancher alten Uebelftänbe der katholischen Kirche vollzogen. Es war eine strengere Sittenlehre unb Kirchenzucht eingeführt worben; auch ber Geistlichkeit war ernste" Weisung gegeben, ihres Namens würbig zu wandeln. Die niederen Geistlichen wurden unter bie Zucht ber Bischöfe gestellt. Aber es gelang betn Papst nicht, bie Beschlüsse bes Konzils zum Neichsgesetze zu erheben. Auch nahmen sie selbst katholische Fürsten, wie Philipp von Spanien, nicht unbebingt an; ber Geistlichkeit blieb es zumeist vorbehalten, ben Bestimmungen bes Konzils Geltung zu verschaffen.
Zu berfetben Zeit hatte ein spanischer Ritter, Ignaz, nach seiner Besitzung „von Loyola" genannt, einen geistlichen Orden gestiftet, dessen Wirksamkeit über die Jahrhunderte hinweg von ungeheurem Einflust wurde. Auf langem Krankenlager hatte sich Ignaz von Loyola mit heiligen Legenben, mit ber Geschichte ber christlichen Kirche beschäftigt unb babei ben Entschluß gefaßt, ein „Ritter für ben Herrn bes Himmels" zu werben. Nach seiner Genesung legte er seinen weltlichen Rittevschmuck bei betn berühmten Bilbnisse ber Maria im Kloster non Montferrat in Katalonien nieber unb bereitete sich bort auf beit geistlichen Beruf vor, machte eine Pilgerfahrt nach betn hl. Grabe, um bann mit eiserner Energie ben Kampf gegen alle Ungläubigen unb Ketzer aufzunehmen. Zu bem Zwecke oerbiinbete er sich anfangs mit wenigen Gesinnungsgenossen; bald entstaub bavaus ber Orden ber
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„Gesellschaft Jesu" oder der „Jesuiten", den Papst Paul III. bestätigte (1540). Schon beim Tode des Stifters (1556) zählte der Orden mehr als tausend Mitglieder, deren Wirksamkeit durch die strenge, fast kriegerische Organisation aufs höchste gesteigert wurde. Hatten doch die Jesuiten den drei üblichen Ordensgelübden als viertes hinzu gefügt „das Leben dem beständigen Dienste Christi und der Päpste zu weihen und unter dem Kreuzesbanner Kriegsdienste zu leisten." Dafür verlieh ihnen der Papst außer den priesterlichen Rechten viele vorteilhafte Befugnisse, besonders das Recht des Güterenverbs.
In alle Welt zerstreut, um überall hin handeln zu können, standen die Glieder des Ordens in einer Stufenfolge von Vorstehern und Untergebenen unter einem Ordensgeneral, dem sie blinden Ge-horsam bei Tag und Nacht schuldig waren. Bekannt ist der jesuitische Grundsatz, daß der Zweck die Mittel heilige; und manche düstre Stelle der Geschichte ruht auf diesem Grunde.
Als der Jesuitenorden gegründet wurde, befand sich die Macht des Papsttums in höchster Gefahr, aus der es die Jesuiten erlösten, indem sie den Protestantismus wie im Sturm zurückzudrängen verstanden, der ein Jahrhundert lang die ganze Welt erfüllt hatte. An keinem Ende der Erde, nuf keinem Wege der Industrie wie des geistigen Lebens fehlten die Jesuiten. Sie wurden Räte und Beichtväter der Könige, sie entzifferten lateinische Inschriften und beobachteten den Lauf der Sterne; sie erforschten alte Schriften und Geschichte, schrieben gelehrte Abhandlungen, machten Oden, gaben die Werke der Kirchenväter heraus, wie Katechismus und Spottgedichte. Sie waren bald alles in allein, nichts in Staats- und Volksleben war ohne ihren Einfluß. Sie glitten von einer protestantischen Gegend in die andere, eben so oft unter den unscheinbarsten Gestalten, wie anderswo als kecke Kavaliere, als einfache Bauern, ja als puritanische Prediger. Sie standen an
leitender Stelle im fernen Osten der Welt, in Peking, wie im neuen Westen der entdeckten Erdteile. Aber wo immer ihr Sitz, was auch
ihre Arbeit, ihre Aufgabe sein mochte, der Geist war überall derselbe:
volle Unterwerfung, stummer Gehorsam gegen die höchste Autorität
ihres Ordensgenerals.
Der Hauptsitz der Jesuiten in Deutschland war Ingolstadt. In kluger Einsicht von dem Wert und dem Einfluß der Jugenderziehung, nahmen die Jesuiten diese soviel als möglich durch ihre hoch berühmten, unbezahlten Jesuitenschulen in die Hand. Aus diesen gingen die nicht
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weniger bedeutenden Jesuitenseminare hervor, in welchen klug geprüft wurde, an welcher Stelle der Einzelne am besten zu verwenden sei. Ja, um Weltton und Gewandtheit der Formen zu üben, wurden Theater, Fechtkunst und andere Dinge, von denen die Klöster nichts wußten, eifrig gepflegt, und die Geschichte ist sicher mehr von diesen Vätern der Gesellschaft Jesu beeinflußt worden, als von irgend einem andern Stande.
Als Philipp die Regierung antrat, bestanden die Niederlande aus siebzehn blühenden Provinzen. Sie waren reich durch Handel und Gewerbe. Ihre Kauffahrteischiffe beherschten alle Meere der Erde. Der außerordentliche Wohlstand des Landes, der durch die milde Regierung der burgundischen Herzoge begünstigt worden war, erhöhte das Selbstgefühl der Niederländer, die ihre Rechte und Freiheiten eifrig zu wahren suchten, welche ihnen Philipp, gleich Karl V. bestätigt hatte. Doch Katholiken und Protestanten, alle Stände, Fürsten und Volk unterlagen jetzt einem, nach der spanischen Inquisition geordneten Glaubensgerichte, dessen Strenge, Heimlichkeit uud Ungerechtigkeit schwer auf den Niederländern lastete.
Da wiederholte Vorstellungen und Bitten ganz erfolglos blieben, schlossen die Stände, besonders der mißvergnügte Adel einen Bund (Kompromiß zu Breda, 1566), die teuern Vorrechte des Landes zu wahren. Es war darin ausdrücklich betont, daß die Mitglieder nichts wider Gott, König, Staat und Kirche unternehmen, aber die Inquisition nicht dulden wollten. Sie verfaßten eine Bittschrift, die Philipps
Halbschwester, Margaretha von Partim, Statthaltern: der Niederlande, um Abstellung aller Ungerechtigkeiten anflehte, welche das Land zu
erdulden hatte. Margaretha war trotz einer fast männlichen Festigkeit
des Willens voll weiblicher Milde und allezeit bestrebt gewesen, das Volk zu beglücken, unter dem sie geboren und erzogen war. Als aber die Herren vom Adel, je vier und vier, gefolgt von der Volksmenge, ihrem Palajte entgegenzogen, war sie nicht wenig bestürzt. Erst das Wort eines ihrer Räte ermutigte sie, daß sie sich vor solchem Bettelgesindel (gueux, davon der spätere Parteiname Geusen) nicht zu fürchten
brauche, und als sie versprach, die Inquisition einzustellen, schien der Sturm beruhigt. Mochte das Volk durch die leicht erlangte Zusage der erschrockenen Fürstin übermütig geworden sein, der Pöbel rottete sich in verschiedenen Orten zusammen und verwüstete in wenigen Tagen 400 Kirchen und Klöster. Darum fürchtete Margaretha mit Recht,
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zu nachgiebig gewesen-zu sein und zog Truppen herbei, die aufrührerischen Städte zur Ruhe zu zwingen und sie mit nnnachsichtlicher Strenge zu strafen. Damit hatte sie dem Willen ihres Bruders Philipp entsprechend gehandelt, der ein spanisches Heer unter dem grausamen Herzog Alba nach den Niederlanden sandte und alle gütigen Zusagen der Statthalterin ohne Weiteres aufhob. Diese aber verließ, dadurch beleidigt, die Niederlande.
Bei Albas Ankunft hatten ihn die Stände ehrfurchtsvoll als einen Gesandten ihres Königs empfangen, und die im Lande hochgeachteten Grafen Egmont und Horn ließen sich so durch Albas verstellte Freundlichkeit täuschen, daß sie vertrauensvoll gastlich bei ihm einkehrten, um seine Gefangenen zu werden. Mit furchtbarer Grausamkeit wurde jetzt Gericht über die Niederlande gehalten. Der „Rat der Unruhen" den Alba errichtete, wurde vom Volk „Blutrat" genannt. Er lieferte täglich Opfer in des Henkers Hand, und die geängsteten Niederländer drängten in wilder Flucht den Grenzen des Landes zu. Die Mittellosen nährten sich bald nur von Raub zu Wasser und zu Lande. (Wasser- und Buschgeusen.) Sie trugen eine Denkmünze auf der Brust mit dem Bilde des Königs und der Unterschrift: „Treu bis zum Bettelsacke."
Die spanischen Soldaten, die keinen Sold empfingen, lebten auf Kosten des Landes, und schwere Steuern, die Alba gleich einem König ausschrieb, lähmten Handel und Gewerbe. In den volkreichsten Städten herrschte düstres Schiveigen, die Märkte standen leer, die Kaufläden waren geschlossen. Die geflüchteten Niederländer wurden von Ludwig von Oranien, dem Bruder des großen Oraniers Wilhelm, an der Grenze gesammelt, und dieser selbst warb in Deutschland Truppen, das geknechtete Vaterland zu befreien. Doch ein harter Winter und schwere Krankheiten zwangen die Truppen zur Rückkehr. Siegreicher waren die Wassergeusen, die den Spaniern viele Niederlagen beibrachten, ihre Schisse plünderten uud sich der Flußmündungen und damit der Seehäfen bemächtigten.
Während die Oranier gerüstet hatten, waren die Grafen Egmont und Horn auf dem Marktplatze zu Brüssel enthauptet worden (1568). Ihre Köpfe ließ Alba auf Pfähle stecken. Im ganzen Lande wurden Zwingfestungen angelegt und jede Handelsverbindung mit England verboten. So wurden die Niederländer zu einem Kampfe auf Leben und Tod gezwungen, uud als es Wilhelm von Oranien gelang, einen Auf-
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stand vorzubereiten, der zu einem blutigen Kriege führte, mußte Alba weichen und den König um seine Entlassung bitten. Dieser sandte zwar einen gemäßigteren Statthalter nach den Niederlanden, Don Zuuigo de Requesens, aber jeder Versuch einer Vermittelung scheiterte an Philipps finstrer Unduldsamkeit.
Der weitere Verlauf des Krieges bietet ergreifende Bilder eines edeln, geknechteten Volkes, das seine Ketten bricht, die so oft aufs neue geschlossen, dennoch endlich heldenhaft gelöst werden. Die englische Königin Elisabeth, welche einst die Hand des Königs von Spanien verschmäht hatte, half jetzt seinen Feinden. In Amerika zerstörten und plünderten englische Schiffe die reichen spanischen Besitzungen, und der Führer des englischen Heeres in den Niederlanden nahm sogar den Namen eines Statthalters der vereinigten Provinzen an. Holland, Seeland, Utrecht, Geldern, Oberyssel, Groningen und Friesland hatten sich schon in der „Utrechter Union" von Spanien losgesagt (1579 , dessen König nun in seiner ganzen Macht sich erhob, England und die Niederlande zu unterwerfen. Eine ungeheure Flotte von 135 großen Kriegsschiffen mit 8000 Matrosen und 19,000 Mann Landungstruppen bemannt, später noch 30,000 Mann Fußvolk und 1800 Reiter, bildeten das Angriffsheer der „unüberwindlichen Armada", welcher Elisabeth von England eine Flotte von 197 wohl ausgerüsteten Schiffen entgegen sandte. Aber für England, für die Niederlande kämpfte ein andrer Bundesgenosse, Sturm und Ungewitter. Die furchtbare Armada erlag teils den empörten Meereswellen, teils den Engländern (1588). Die Küsten Englands und Frankreichs waren mit Trümmern gescheiterter Schiffe bedeckt; aber Philipp empfing die Hiobspost mit derselben eisernen Ruhe, in welcher er bie unzähligen Todesurteile mit kaltem Blute unterschrieben hatie.
Doch von Gram gebeugt, erlebte Philipp bas Enbe bes Krieges nicht. Bei allen Schätzen Amerikas hinterließ er als König vieler Reiche eine Schnlbenlast von 150 Millionen Dukaten. Er würbe in betn Kloster Escurial bei Mabrib beigesetzt, bas er für fünf Millionen Dukaten hatte bauen lassen. Mit seinem Tobe war ber Krieg in ben Nieder-landen nicht beenbet, obgleich auch biefe große Verluste erlitten hatten. Wilhelm von Oranien war zu Delft burch Meuchelmorb getötet, bie reiche Handelsstadt Antwerpen, gleich vielen cinbern in einen Schutthaufen verwandelt worden, da schloß die „Republik der vereinigten Niederlande" mit Spanien einen zwölfjährigen Waffenstillstand. Das war
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im Jahre 1609; erst dreißig Jahre später wurden die Niederlande von Spanien als selbständiger Staat anerkannt. In Holland lebt bis auf den heutigen Tag die begeisterte Ueberlieferung jener furchtbaren Zeitgeschichte, an deren Elend die Jesuiten einen unberechenbaren Anteil haben.
Deutschland erhielt durch die Niederlande eine feste Mauer des Protestantismus nach Westen, während dieser zur selben Zeit in Frankreich durch das Blutbad der Bartholomäusnacht (1572) fast der Vernichtung anheim fiel.
12. Spaltungen der religiösen Parteien in Deutschland unter Ferdinand I. (1556 bis 1564), Maximilian II. (1564 bis 1576)
und Rudolf II.
Ferdinand war fast ein Greis, als er die Regierung des deutschen Reiches antrat, dessen Interessen er allezeit mehr zu wahren gewußt hatte, als Karl V. Seine Milde gegen die Protestanten war von großem Einfluß, so daß jetzt die evangelische Lehre nirgends besonderen Widerstand fand. Darum wagte Ferdinand den so oft gescheiterten Versuch, alle Neligiousstreitigkeiteu durch ein ausgleichendes Gespräch zwischen Katholiken und Protestanten zu ebnen. Obgleich die Einheit der Katholiken durch das Trideutiner Konzil aufs neue gestärkt worden war, legten sie den Evangelischen kein Hindernis in den Weg. Schlimmer war es, daß sich die evangelischen Theologen untereinander um Formen und Buchstaben stritten, und Rom darüber triumphieren konnte: „Ihr Krieg ist unser Friede!"
Fast nahmen es die evangelischen Fürsten jetzt ernster, als die Theologen; wußten sie doch, daß in der neuen Lehre auch ein gut Teil der eigenen Machtstellung der Kirche gegenüber ruhte. Doch mußten sie wohl oder übel Christenlehre und Kirchenverfassung den Geistlichen überlassen. Die Fürsten vereinigten sich zuerst in einem Bekenntnis, das der milde Melanchthon abgefaßt hatte. Damit kamen sie aber bei den Lutheranern übel an, welche die Anhänger Melanchthons als geheime Ealvinisten schmähten. Selbst unter den Lutheranern gab es strenge und gehässige Spaltungen, und der Haß der sächsisch albertinischen gegen die eruestiuische Linie schien sich auch auf das religiöse Gebiet übertragen zu haben. Denn die Universität Jena, zum Herzogtum
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Sachsen gehörig, befeindete aufs heftigste das unter Melanchthons und Bugenhagens milder Führung gemäßigte Wittenberg.
Am meisten wurden die Lutherischen durch den Abfall des Kurfürsten von der Pfalz erbittert, der zu den Reformierten überging und durch seine Theologen eine neue Bekenntnisschrift ausarbeiten ließ, deu Heidelberger Katechismus, dessen Glaubensinnigkeit den lutherischen Bekenntnisschriften würdig zur Seite steht. Leider folgten bald auch Fürsten und Volk den Streitigkeiten der Theologen mehr, als gut und notwendig war. Sie nahmen für und wider Partei, so daß im ganzen Reiche eine dumpfe Gährung herrschte, und die Testamentsworte Kaiser Ferdinands, in denen er seine Söhne dringend mahnte, fest zu halten an dem alten, wahren Glauben, mochten in jener Zeit eben so begründet sein, wie sein Urteil über die Protestauteu: „Da sie gar-
nicht einig noch einhellig sind, sondern vielmehr uneinig und getrennt, wie kann es recht und gut sein, was sie glauben? Da es nun nicht viele, sondern nur einen Glauben geben kann, und sie selber nicht leugnen mögen, daß sie viele Glauben habeu, so kann der Gott der Wahrheit nicht bei ihnen sein."
Als Ferdinand I. den Tod herannahen fühlte, teilte er den Besitz des Habsburgischen Hauses unter seine drei Söhne. Maximilian erhielt Oesterreich, Ungarn und Böhmen, dabei war ihm die römische Königswürde, die Nachfolge auf dem deutschen Kaiserthrone zugedacht. Der zweite Sohn, Ferdinand, bekam Tyrol, der jüngste Karl, Steyermark.
Mit Ferdinand war die Tochter eines Augsburger Patriziers, Philippine Welser, vermählt, und viel Sagenhaftes knüpft sich an diese Ehe, welche anfangs vor dem kaiserlichen Vater geheim gehalten, doch nachher von ihm anerkannt wurde. Man sagte, die Schönheit der Welserin habe des Kaisers Herz gerührt. Doch durften ihre Kinder nur deu Namen „cVAustria“, von Oesterreich, führen.
Kaiser Ferdinand I. starb im Jahre 1564. Ihm folgte sein Sohn Maximilian II., der den Protestanten fast noch mehr Duldsamkeit entgegen brachte, als sein Vater. Seine Erziehung war sonderbarer Weise nur von Protestanten geleitet worden, und hoffnungsvoll erwarteten diese, daß er ganz der Ihrige werden möchte. Hatte es doch eine Zeit in seiner Jugend gegeben, in der er sich dem katholischen Glaubenszwange durch die Flucht entziehen wollte. Bei dem mit größter Hartnäckigkeit geführten Streit zwischen Lutheranern und Reformierten mochte er schwankend werden, wo denn eigentlich die rechte
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Lehre zu finden sei. Dazu waren die Spanier eifrig bemüht, ihn der Religion seiner Väter zu erhalteu. Die Protestanten fanden in Maximilian einen milden, nachgiebigen Herrn, der ihnen jede freier Entwicklung ihrer Kirche gestattete.
Obgleich Maximilian einer der friedfertigsten Kaiser war, die je die deutsche Krone trugen, ließ er sich zu einem Feldzuge gegen die Dürfen überreden, der aber nur damit endete, daß er der türkischen Pforte eia jährliches Ehrengeschenk von 30000 Dukaten zahlen mußte.
Während dieses Krieges hatte sich inmitten des deutschen Reiches-eine alte Fehde geltend gemacht, welche unter dem Namen der Grnrn-bach'schen Händel bekannt ist. Ein fränkischer Reichsritter, Wilhelm von Grumbach, einst mit dem fehdelustigeu Brandenburger Albrecht Alcibiades verbündet, redete dem jungen Herzog Johann Friedrich von Sachsen-Weimar, Koburg, Gotha so lange vor, daß er ihm mit Hülfe der Reichsritterschaft die seinem Vater genommene Kurwürde zurück erobern werde, bis dieser selbst an solche Möglichkeit glaubte. Auch sein Kanzler Brück bestärkte ihn in dem Glauben und redete ihm zn^ sich mit Grumbach zu verbinden, der weit mehr seine eigenen Interessen, besonders seine Feindseligkeit gegen den Würzburger Bischof int Auge hatte, von dem er Güter zu Lehen trug, als daß er dem sächsischen Herzog Johann Friedrich den Kurhut wieder hätte erringen mögen. Nachdem Grumbach Würzburg eingenommen hatte, that ihn der Kaiser in die Acht, und weil ihm Joh. Friedrich in seinen Landen Schutz gewährte, verfiel auch dieser demselben Geschick. Durch seinen feindlichen Verwandten, den Kurfürsten August von Sachsen, gefangen genommen, wurde Joh. Friedrich nach Wien abgeführt und lebenslänglich in Haft gehalten. Nur mit Mühe erhielten später seine Söhne das väterliche Erbe zurück. Grumbach, Brück und andere Anführer der Fehde wurden auf das grausamste hingerichtet, und Maximilian trifft der Vorwurf einer Härte gegen Joh. Friedrich, die eben so zwecklos^ wie unverdient, erscheint.
Auch die Protestanten hatten Grund zur Klage gegen Maximilian^ der sich den Katholiken aus politischen Gründen näherte und dadurch die Protestanten verkürzte. Aber er selbst fand keine Befriedigung in dieser Handlungsweise, und ein Reichstag zu Regensburg sollte wieder einmal die Lösung mancher schwierigen Frage bringen. Maximilian kam krank dort an (1576); doch nahm er noch an den Verhandlungen Teil. Am Tage des Reichsabschieds aber ging er zur ewigen Ruhe
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«in (2. Oktober 1576) mit der Versicherung, daß „seine glücklichste Stunde gekommen sei."
In ihm starb ein edler, wohlwollender Fürst, und so wenig er unter den gährenden Zeitverhältnissen erreichen konnte, die Geschichte nennt doch die wenigen Jahre feiner Regierung einen „letzten Lichtblick in der öden Kaisergeschichte des alten deutschen Reichs."
Noch hatte Maximilian die Wahl seines Sohnes, Rudolf IT., Zum deutschen Reichsoberhanpte erlebt. Ihm war es ein letzter Trost und Sieg, den deutschen Landen ein Unsegen.
Rudolf hatte seine Jugendzeit am Hofe seines Oheims, Philipps II. uon Spanien, verlebt und war unter dem religiösen Fanatismus seiner Umgebung selbst ein Schwärmer geworden. Von höchstem Selbstbewußtsein seiner Kaiserwürde erfüllt, meinte er in unbeschränkter kaiserlicher Allmacht sein berechtigtes Ziel p finden, und doch fehlte es ihm an allem, was ihn dahin hätte führen können. Empfänglich für Kunst und Wissenschaft, verlor er doch seine Zeit in nutzlosem Tändeln mit Alchymie und Astrologie, statt der ernsten Wirklichkeit mit offenem Auge und thatkräftiger Hand entgegen zu treten.
Da Rudolf zunächst den Protestanten volle Freiheit des Glaubens gewährte, versuchten ernste Männer . unter ihnen endlich den inneren Ausbau der Kirche dadurch zu fördern, daß alle Bekenner der Augsburgischen Konfession sich eben sowohl gegen Calvinisten wie gegen Katholiken einigen sollten. Die erste Anregung dazu hatte Kurfürst August von Sachsen gegeben, und selbst Kurpfalz war bereit, die Calvinisten zu verdrängen. Auch Brandenburg unter Johann Georg wollte sich den Beschlüssen unterwerfen, welche drei lutherische Theologen, Andrea, Selnecker und Chemnitz, unter dem Namen einer Eintrachtoder Konkordienformel zusammenstellten. Aber nur neue Zwietracht wurde durch sie hervorgerufen. Wenngleich die heilige Schrift als einzige Richtschnur des evangelischen Glaubens genannt wurde, so eröffneten doch viele Ungenauigkeiten im Ausdruck einzelner Beschlüsse 4)er willkürlichen Auslegung und damit neuen Streitigkeiten die Thür. Inmitten des Protestantismus standen Ketzerrichter gegen christliche Glaubensgenossen auf, die vielleicht nur eine mildere Auslegung des Evangeliums gelten ließen. Selbst der Schwiegersohn Melanchthons, Kaspar Peucer, fiel der Religionsverfolgung in Sachsen zum Opfer, gleich vielen anderen, und allmählich trat die alte Spannung zwischen Katholiken und Protestanten wieder ein. Dazu gab der Eigennutz
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beider Parteien den ersten Anlaß. Die protestantischen Fürsten fuhren fort, Kirchengüter einzuziehen, katholische Herren bedrückten ihre protestantischen Unterthanen. Bis dahin hatte es keinen Anstoß erregt, daß protestantische Fürsten im Besitz katholischer Bistümer waren und blieben, welche durch ihre Rechte und Einkünfte mehr als weltlicher Besitz, weniger als geistliches Amt gelten mochten. So war der brandenburgische Kurprinz Johann Georg zum Bischof von Straßburg erwählt worden, dem die Katholiken freilich einen katholischen Bischof entgegenstellten. Die Bistümer und geistlichen Herrschaften waren gute Versorgungsstellen für jüngere Fürstensöhne, und wenn der geistliche Vorbehalt, den der Papst zu wahren strebte, verlangte, daß evangelische Bischöfe bei ihrer Verheiratung des Bistums verlustig gehen sollten, so fügten sich darum die Herren dieser Forderung nicht gutwillig, wie der kölnische Erzbischof Gebhard. Er trat zur calvi-nistischen Lehre über und vermählte sich mit einer Gräfin Mansfeld, ohne sein geistliches Amt niederzulegen, bis es ihm der Papst durch deu Bann entzog und durch das Domkapitel einen neuen Bischof wählen ließ.
Solche und ähnliche Fälle gaben Anlaß zu endlosen Fehden im Reich, das überdies aufs neue von den Türken bedrängt wurde. Aber die Protestanten wollten dem Kaiser nur Hülfe gegen die Türken unter kaiserlicher Zusicherung des Landfriedens leisten, und wenn sich hier Rudolf fügte, so wußten die Protestanten doch, wie wenig ihre Kirche von ihm zu erwarten hatte. Denn ein Traktat, ein Werk der Jesuitenpartei unter kaiserlicher Zustimmung, setzte auseinander, der „Religionsfriede gelte nichts, und die völlige Vernichtung der Ketzer fei zu erstreben."
Dieses „Gott wohl gefällige Werk" wurde von der österreichischen Partei als Gegenreformation mit allem Eifer ins Werk gesetzt. Spanische Truppen zogen durch die Niederlande nach Kleve, besetzten ungehindert deutsches Land, jagten protestantische Geistliche weg und richteten wieder katholischen Gottesdienst ein. Die Deutschen besannen sich so lange voller Uneinigkeit, wie sie die Spanier aus dem Lande jagen wollten, daß, als sie endlich ein Reichsheer zusammen hatten, dieses doch nur kläglich auseinander ging, weil man sich über die Art des Angriffes nicht einigen konnte.
Den Protestanten aber mußte es klar werden, daß ihre Zukunft nur durch Zusammenhalten aller Kräfte gesichert werden konnte. Eine
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Einzahl Reichsstände, darunter auch Braudeuburg unter Johann George verpflichteten sich, den Religionsfrieden aufrecht zu halten, und endlich kam die „protestantische Union" vieler evangelischer Fürsten und Städte zu stände (1608), durch welche die Mitglieder gegen die Willkür des Kammergerichts und des Reichshofrats ebensowohl geschützt werden sollten, wie ihre kirchlichen Interessen darin Schutz suchten. Dieser Union gegenüber stellte sich „die Liga" der katholischen Fürsten unter Führung des thatkräftigen Herzogs Maximilian von Bayern. Beide Bündnisse sollten in der Kürze ihre Kräfte gegen einander messen.
Herzog Wilhelm von Jülich, Kleve, Berg war gestorben, und unter vielen Fürsten, die das Erbe begehrten, setzten sich zwei derselben, Kurfürst Johann Sigismund von Brandenburg uud Pfalzgraf Wolfg. Wilh. von Neuburg, in den Besitz des Landes. Der Brandenburger gründete seine Ansprüche auf feine Vermählung mit Anna von Preußen, der Enkelin des verstorbenen Herzogs; der Neuburger war selbst ein Enkel desselben. Doch sagte eine Testamentsversügung, daß Sigismunds Gemahlin das Herzogtum erben, ihre Schwestern aber je 240,000 Gulden als Anteil erhalten sollten.
Von den katholischen Fürsten gedrängt, machte der Kaiser beiden den Besitz streitig, und sie hätten wohl im Auslande, besonders an Frankreich erfolgreiche Hülfe gegen den Feind gefunden, wenn nicht der Dolch des Mörders dem Leben des französischen Königs, Heinrichs IV., ein jähes Ende bereitet hätte.
Doch war damit der Streit um das Herzogtum nicht beendet. EL wurde der Schauplatz blutiger Kämpfe. Spanier und Holländer rangen mit den unter sich feindlichen Deutschen um den Besitz eines Landes, das mit Recht hoch genug geschätzt wurde, um es zu erwerben. Endlich that der Neuburger einen entscheidenden Schritt. Er wurde katholisch, als er sich mit einer katholischen bayerischen Prinzessin vermählte unb sicherte sich damit die Hülfe des Kaisers und der katholischen Liga. Der Branbenburger ging zur reformierten Lehre über, woburch die benachbarten, reformierten Holländer seine Verbündeten wurden. Welche bittere Kämpfe dadurch in der Kurmark Branbenburg entfacht würben, von ber fanatischen Geistlichkeit genährt, das berichtet die engere brandenburgisch-preußische Geschichte. Doch gelang es der Entschiedenheit wie der großen Milde und Duldsamkeit Joh. Sigismunds, die wildgährende Volksstimmung zu beruhigen. Trotz aller Mahnungen der Kurfürstin Anna an ihren fernen Gatten, das Herzogtum als Erbe
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seiner Kinder wohl zu wahren und sich nicht durch Ueberredung nehmen zu lassen: „Denn Ew. Liebden und keiner mir mein staatlich Recht
und die Lande wird wieder erstatten können, wenn es jetzt verloren und vergeben wird", hatte Joh. Sigismund doch den dringenden Wünschen des Kaisers nicht ausweichen können, daß der Kurfürst von Sachsen in den Mitbesitz der Kleveschen Lande von den streitenden Parteien ausgenommen werde, aber mit dem wunderlichen Vermerk, daß Sachsen sich kein Recht zum Nachteil der besitzenden Fürsten anmaße.
Indessen hatte die protestantische Union mit dem Tode Friedrichs IV. von der Pfalz ihren Halt verloren, und die Verbündeten des Kaisers besetzten einzelne Teile des Herzogtums Kleve derart, daß zu befürchten stand, Brandenburg wie Neuburg hätten bald nur das Nachsehen. Darum waren beide rasch entschlossen, im Frieden von Xanten so zu teilen, daß Neuburg: Jülich und Berg, Brandenburg: Kleve, Mark, Ravensberg und Ravenstein erhalten sollte. Ueberdies riefen den Kurfürsten von Brandenburg die Unruhen in der Mark heim. Auch das als Erbe seiner Gemahlin soeben in vormundschaftlichen Besitz erworbene Preußen erforderte seine Gegenwart, wenn cs nicht verloren gehen sollte.
Alle diese Bewegungen glichen nur einem Waffenstillstand, und der Klevesche Erbfolgestreit ist das wirre Bild der einem schweren, weitausgreifenden Kriege zusteuernden deutschen Verhältnisse, denen Kaiser Rudolf II. gegenüber stand, wie ein hülfloses Kind. Denn seine eigenen Verwandten hatten nichts Wichtigeres zu thun, als ihm das zu nehmen, was er nur noch zum Scheine besaß, seine Krone. In Oesterreich, Mähren und Ungarn hatte sich Rudolfs Bruder Matthias eine Partei geschaffen, mit deren Hülfe er nach reichen Versprechungen Rudolf zur Thronentsagung zu zwingen hoffte. Zunächst mußte dieser Oesterreich, Ungarn und Mähren an ihn abtreten; und, um das Volk günstig für sich zu stimmen, versprach Matthias den Protestanten jede Duldung, machte auch politische Zugeständnisse und hoffte sich so als lieber, guter König auch bei den Böhmen einzuschmeicheln. Schon hieß es dort, daß der König Rudolf nichts tauge und man sich einen besseren suchen müsse. Da gab der Kaiser den Begehrenden einen „Majestätsbrief", der zwar den Böhmen freie Ausübung ihrer Religion gewährte, aber soviel Verwicklungen für Katholiken und Protestanten in sich barg, daß darin zum großen Teil der endliche
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Ausbruch zu einem langen, schweren Kampfe, bem breißigjährigen Kriege, lag.
Teilnahmlos für bes Reiches Wohl hatte Rubolf II. so lange Jahre seiner Regierung nutzlos vergehen lassen; jetzt wollte er sich rächen an ber Untreue seines Brubers. Er sammelte ein Sölbnerheer um sich; aber bie Prager machten ihn zum Gefangenen in ber eignen Hauptstabt, unb bie Stänbe riefen Matthias herbei, baß er auch bie böhmische Krone von Rubolfs Haupt nehmen möchte. Noch blieb 'biesem jetzt ber leere Kaisertitel; aber bie Feber, mit ber er bie Ab-bankuugsurkunbe unterschrieb, soll er im zornigen Schmerz zerbissen, fortgeschleudert unb vom Balkon seines Schlosses herab bas unbankbare unb treulose Böhmen verflucht haben. Der Tod machte seinen bittern Erfahrungen ein unerwartetes Enbe (1612). Er starb nach fünfunb-breißigjähriger Regierung so arm unb Hills los, baß er in seinen letzten Lebenstagen bie beutscheu Stünbe sogar um eine Unterstützung gebeten hatte.
I. Innere Zustände des deutschen Reiches. Ihre Entwicklung von der Reformation bis zum Ausbruch des Krieges.
Der Zeitraum eines Jahrhunderts, welcher zwischen dem beginn der Reformation und dem dreißigjährigen Kriege liegt, hatte für staatliche und kirchliche Verhältnisse, damit für die Kulturzustünde Deutschlands, weitgreifende Wandlungen gebracht. Die Macht der deutschen Kaiser war, wie die Geschichte ergiebt, nun völlig zum Schatten herabgesunken. In eben demselben Vlaße hatte die Fürstengewalt sich erheben können und das besonders auf zweifache Weise. Die von protestantischen Fürsten eingezogenen Kirchengüter wurden nur teilweise Zur Errichtung von Kirchen und Schulen verwandt; auch gingen die Rechte der säkularisierten geistlichen Herrschaften vielfach auf die Landesherren über, die allmählich fast alle einst nur kaiserlichen Rechte für sich erlangt hatten und durch ihre reichen Mittel zu bewahren vermochten.
Der Adel, die Stände sahen die reicher gewordenen Fürsten ein behäbiges, oft üppiges Leben führen, wie es die spanisch-deutschen Kaiser in ihrem Reichtum zuvor gethan, was Wunder, daß dieser Zug des Genusses, der Verschwendung nach und nach das ganze Volksleben durchzog? Der Adel, der durch die Landesherren viele ständische Rechte und Freiheiten erhalten hatte, saß, wenn ihn nicht glänzende Feste unb Hoftage in die fürstliche Residenz riefen, meist unthätig auf den Burgen. Das Rittertum des Mittelalters war dahin; die Waffenschule desselben.
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die Turniere, innren zum Spielplätze tändelnder Herren und Damen geworden. Im phantastischen Wafsenkleide führten sie neumodische Ningelrennen auf, und Erlebnisse der Türkeukriege wurden auf den Kampfplätzen schauspielerisch zur Kurzweil der hohem Stände dargeboten.
Hatten die Herren ihre fürstlichen Hetzjagden, die nur ein Abschlachten des Wildes aus verborgenem „Schirm" waren und mit üppigen Gelagen schlossen, warum sollten die wohlhabenden Bürger sich nicht auch nach Herzenslust gütlich thun? So nahm besonders das Laster des Trunks in allen Ständen überhand; selbst am kaiserlichen Hof konnten wichtige Geschäfte oft nicht erledigt werden, weil die kaiserlichen Räte schon in der Morgenfrühe betrunken waren. Dem Volke wurden je nach den Ständen strenge Gesetze gegen üppige Feste und Gelage erteilt, auch das Tragen kostbarer Gewänder und Schmucksachen beschränkt; aber die fürstlichen Vorbilder waren leider in ihrer Verschwendungssucht und Ueppigkeit wirksamer, als alle Gesetze, und die Sinnlosigkeit folgte dem genußsüchtigen Leben aller Stände. Es nutzte wenig, daß die Geistlichkeit in Schrift und Wort zeterte wider den „Saufteufel", und wie die Teufel sonst alle heißen mochten.
Da es mit der Zeit fürstliche und adlige Gewohnheit geworden war, aus auswärtigen Hochschulen zu studieren oder wenigstens zu leben, brachten die Herren von dort viel fremde Art und Unsitte mit. Wie Paris die hohe Schule der Entsittlichung für den französischen Adel war, so wurde es nun die Sehrstätte des deutschen Junkers. Die alte, gute, deutsche Art wurde in ihrer derben Geradheit verächtlich angesehen, und bald galt es nur noch als feiner Ton, französisch zu konvertieren. Wort und Mahnung des Einzelnen aus dem Volke, daß solche Sprachverketzerung „auzeiguug genug der Untren) dem Vatterlaude crwiesen sei", verhallten. Ein wackerer Rostocker Dichter (Lauremberg) spottete:
„Seht, sülck Schipbrock hesfd de düdsche Spraek geleden.
De Frantzösche hefft er de Refc assgeschneden."
In Berlin wurde schon um das Jahr 1617 an der Kavaliertafel des Hofes nur französisch gesprochen, und die Fürstenkinder lernten früher die französische, als ihre deutsche Muttersprache. Als Elisabeth, die Gemahlin des Winterkönigs Friedrich V., eine Enkelin Maria Stuarts, als Pfalzgräfin in Heidelberg einzog (1613), begrüßten sie festlich geschmückte Kinder mit französischen Versen.
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Der Edelmann, der einst ein gut Teil seiner Einkünfte durch ritterliche Wegelagerei erworben hatte, war arm geworden, seit die Landesherren inmitten ihrer Grenzen auf Frieden hielten und die Raubritter als Verbrecher straften. Nur die Gesunkenften des Standes machten auch noch jetzt als „Krippenreiter" die Straßen unsicher und waren die uuwillkommnen Gäste ihrer Standesgenossen. Dazu waren die Pfründen, von denen besonders die Junker vielfach gezehrt hatten, den Landesherren anheimgefallen, die Nonnenklöster, einst die Zufluchtsstätten der adligen Fräulein, aufgehoben. Nun mußten die Herren -vom Adel allmählich arbeiten lernen, damit auch sie bezahlten Hof- und Herrendienst als Beamte thun konnten. Der Trotz des altgermanischen Adelssinnes war gebrochen; er verschmähte es nicht, nach Titeln und Aemtern zu haschen, die sonst nur bürgerlicher Arbeit wert waren. Andre suchten ihren Grund und Boden auszunutzen und wurden adlige «Gutsherren, die mächtigen Rivalen der freien Bauern.
Der Bauernstand, welcher beim Beginn der Reformation in den Bauernkriegen so trotzig sein Haupt erhob, und aufs grausamste unterworfen wurde, war im Laufe des Jahrhunderts unter dem Schutze der Fürsten wieder erstarkt; aber er war mehr in Abhängigkeit und Leibeigenschaft geraten, als er zuvor gewesen. Doch war das unter den verschiedenen Landesherren nicht gleich. Wo die Bauern während des Aufstandes mit Bedacht alle Urkunden über Zinsen und Frohndienste vernichtet hatten, vermehrten die Gutsherren ihre eignen Ansprüche nach Gutdünken und hier war es, wo von den Bauern berichtet wird, daß ste „ein gar schlecht und niederträchtig Leben führen. Ihre Häuser sind schlechte Häuser von Lehm und Kot gemacht, auf das Erdreich •gesetzt und mit Stroh gedeckt. Ihre Speise ist schwarz Rockenbrot, Haberbrey und gekochte Erbsen und Linsen. Wasser und Molken ist fast ihr Trank." Und Anderswo. „Jetzt ist die Nahrung der besten Bauern fast viel schlechter, als von ehedem die der Tagelöhner und Knechte war."
Doch war der Bauer mehr als einst vor der Willkür des Adels geschützt und sonnte in Frieden sein Land bauen, soweit er nicht dem Gutsherrn Hand- und Spanndienste thun mußte, oder dessen Wild nicht die Felder ungehindert abweidete. Besonders verstand es Kurfürst August von Lacysen, sich der Landwirtschaft erfolgreich anzunehmen. Auch andre Landesherren, wie der Brandenburger, folgten seinem Beispiele. Kurfürst August selbst schrieb ein Haushaltungsbuch, sorgte für
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Feststellung des Arbeitslohns der ländlichen Arbeiter, erließ Steuern, um den Bauernstand dadurch heben zu können, und, was die Hauptsache war, er beaufsichtigte selbst die Aemter, welche über die Bauern gesetzt waren. Urbar gemachte Wälder, ausgetrocknete Wiesen wurden ihnen in Erbpacht gegeben, und eine neue Art bäuerlicher Pächter entstand dadurch, daß ihnen die eingezogenen Klostergüter in Zeitpacht gegeben wurden. Vor allen Dingen wurde dem Bauer jetzt eins geboten, das er bisher nicht gekannt, die Volksschule und die Belehrung durch deutsche Predigt.
Beim Studieren der adligen Herren mochte viel Halbes herauskommen; denn nur dadurch läßt es sich neben dem Aberglauben der Zeit erklären, daß die eifrige Beschäftigung mit den Sternen gerade in den höheren Ständen vielfach nur zu wahrsagerischer Sterndeuterei wurde, das Vertiefen in die Elemente und Kräfte der Natur zur Alchymie, welche vorgab, Gold machen zu können oder den Stein der Weisen zu finden. Die Fürsten hielten sich eben so wohl ihre Alchymisten und Astrologen wie ihre Hofnarren. Doch waren daneben hervorragend ernste Männer der untern Volksschichten in der Wissenschaft thätig. Die Astronomen Tycho de Brahe, Kepler und Kopernikus gehören dem Jahrhundert der Reformation an. Kopernikus wies nach, wie die Sonne, ein feststehender Mittelpuukt, Erden und Monde des Weltalls um sich kreisen lasse. Kepler zeigte die ewigen Bahnen der Planeten, wie sie in länglichen Kreisen (Ellipsen) um die öonne eilen, und Tycho de Brahe hatte in seinen Forschungen längst vorbereitet, was seine großen Nachfolger fest (teilten.
Unter wie viel Aberglauben und Verfolgung sie alle zu leiden hatten, das erzählt die Lebensgeschichte jedes Einzelnen. Kepler, der bei der Protestantenverfolgung aus Graz fliehen mußte und dabei all seine Habe verlor, rettete nur mit Mühe die eigne Mutter vor bem Verbrennungstode als Hexe. Denn, obgleich bie Reformation einen Läuterungsprozeß religiöser Verhältnisse unb bannt ber Kultur und Sitte angebahnt hatte, blieb darin der Zukunft noch vieles vorbehalten.
Vielleicht hatte die mittelalterliche Verehrung wundertätiger Heiligen dazu geführt, auch an ihre Macht dem Teufel gegenüber zu glauben, andrerseits an die Hingabe, an den Pakt einzelner Menschen mit dem Fürsten der Hölle. Zauberer gab es dem Volksglauben nach zu allen Zeiten und unter allen Völkern. Man beschuldigte sie heimlich und laut eines Bundes mit dem Gottseibeiuns. Selbst Papst Syl-
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vester II. und viele Gelehrte waren anerkannte Hexenmeister, vor denen man sich hüten mußte. In Frankreich und Italien waren sogar oft Frauen dem Feuertode als Hexen überliefert worden; in Deutschland hatte Papst Jnnocenz VIII. durch seine verhängnisvolle Bulle (1483) angeordnet, auch hier Hexen aufzuspüren. Die geringfügigsten Dinge, oft nur entzündete Augeu, genügten, die Aermsten den Folterqualen der alten Gottesgerichte, der Feuer- und Wasserprobe und endlich dem (Scheiterhaufen zu überliefern. Der finstere Wahn eines irregeleiteten Gerichtsverfahrens, das so oft nur persönlichem Hasse diente, mochte zur Reformationszeit in der Erregung der Gemüter, auch in thörichtem Forschen unreifer Köpfe besondre Nahrung finden. Von Braunschweig wird berichtet, daß, als Zeugen der Hexenprozesse aus den Jahren 1590 bis 1600, die Brandpfähle vor den Thoren der Stadt so dicht wie ein Wald standen. Allein die kleine Reichsstadt Nördlingen hatte binnen zwei Jahren zwei und dreißig Hexen verbrannt, die Grafschaft Werdenfels in einem einzigen Prozesse deren achtundvierzig. Und das alles geschah auf dem Wege des deutschen Kriminal-verfahrens, nach der „peinlichen Halsgerichtsordnung", Karolina genannt, welche auf Karls V. Befehl aus altdeutschen Strafordnungen, gemischt mit kanonischem und römischem Recht, zusammengestellt worden war. Das Reißen mit glühenden Zangen, Ausgießen der Wunden mit glühendem Blei, Schmäuchen und Brennen, zu Tode Schleifen und wie die grausamen Todesarten alle heißen mochten, waren die Strafen, welche weise Richter des sechzehnten Jahrhunderts erdachten und anwandten, nachdem die armen Opfer unter Folterqualen, deren Schilderung Entsetzen erregt, Verbrechen eingestanden hatten, an denen sie meistens so unschuldig waren, wie ein Kind. Was die Inquisition in religiösem Fanatismus sündigte, that hier kühlen Blutes der Richter um des ewigen Rechts willen. Ist es unmöglich, die Reformation irgendwie für solche Rechtsprechung verantwortlich machen zu wollen, so liegt dennoch die Frage nahe, ob das Licht ihrer Aufklärung nicht mächtig genug hätte sein können, solches Dunkel zu erhellen, wenn die Einigkeit der evangelischen Kirche diese innerlich stark gemacht hätte.
Das reiche Bürgertum der Städte, das mit allem Erust Kunst und Wissenschaft pflegte, sah wohl hochmütig und verächtlich aus die armen Edelleute; aber die Sonne der mächtigen Handelsherren war auch im Niedergang begriffen, seit der überseeische Handel der Spanier und Portugiesen sie überflügelte, und England diesen wiederum den Rang
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streitig machte. Doch hatten auch die Bürger gleich den Bauern eins in der Reformationszeit und durch sie gefunden, die gute Volksschule. Melauchthons Wort: „Gelehrsamkeit ist ein Segen, Unwissenheit ein
Fluch der Kirche" war zur Devise der protestantischen Kirche geworden.
Nur wurde auch hier die Freiheit oft eine verhängnisvolle Gabe. Die lateinischen Schüler, „Bacchanten", zogen gleich Handwerksburschen von einer Schule zur andern, wo es ihnen am besten behagte. Die Jüngeren, Schützer: genannt, mußten den Aelteren Knechtsdienste thuu, selbst für den Unterhalt sorgen, auch, wenn es nicht anders ging, für sie betteln und stehlen. Verhältnismäßig mögen wenige dieser lungernden fahrenden Schüler bis zur Universität gelangt sein, wo das Leben ebenfalls locker genug herging. Dabei wurde die Schulzucht streng gehandhabt, und raffiniert ausgedachte Strafen sollten gut machen, was zuchtloses Leben verdarb. Es muß als ein gutes Zeichen moralischer Kraft im deutschen Volksleben gelten, daß selbst aus diesem fahrenden Schülertum so mancher tüchtige Gelehrte hervorgegangen ist.
Im übrigen ließen die Bürger, die Handwerker, sichs wohl sein im Nachmachen der Herrengebräuche, während draußen im Reiche alles gehen mochte, wie es wollte. Waren die Kaiser nicht für ihr Volk da, so. dieses auch nicht für den Kaiser. Die Bürger bekämpften nicht mehr die Feinde der Städte, deren sie sich einst stegreich erwehrt hatten. Sie schossen lieber auf der Vogelwiese und trieben tolle und kostspielige Kurzweil. So soll allein die Stadt Halle im Jahre 1601 sechsundfünfzig andre Städte zum Vogelschießen eingeladen haben, Straßburg im Jahre 1576 deren siebzig.
Hatten die Vornehmen im Lande Gold und Silber durchwirkte seidene Gewänder, der wohlhabende Bürger wollte und konnte das auch haben. Er mußte immer aufs neue durch strenge Gesetze in die ihm zugewiesenen Schranken gedrängt werden. Ein Paar Pluderhosen, gegen die selbst Sountags auf den Kanzeln gepredigt wurde, den „zer-luderten, zucht- und ehrvergessenen, pludrichten Hosenteufel", nahm sechzig bis huudertdreißig Ellen Seidenzeug in Anspruch. Unter vielem andern schrieb der theologischeProsessor Muskulus(1555) gegen den „Hosenteufel", und eine Probe möge zeigen, wie wenig damit erreicht werden mochte. „Weh denen, wie Jesaja sagt.
Welchen das böse vor gut behagt.
Und das gut als böse achten.
Nach finsterm mehr denn licht trachten
Wie jtzt thut die jugent gemein,
Die da halt wider recht noch rein.
Was Gott gebaut im höchsten tron,
Dem gehorchen Stern, Sonn vnnd Mon.
All creaturen das jre thun,
Mit tust, lieb zier vnnd grossem rhum.
Daran nicht gedenkt menschen findt,
Wird im hellen licht schentlich blindt-Nicht mehr sich der erbarfeit sleiß,
Ihr elterlicher mandet aus weist.
Wie man sieht an der Hosen tracht,
Die der Teufel halt hergebracht.
Hosen Teuffel roirdt er genmmdt,
Deutscher Jugent nun voll bekanndt.
Wie feor flammen die schnit flinken.
Als wolt sie zur Hellen sincken.
Mit karteck, ©antet vnnd seiden.
Thut sie jre schand bekleiden." . . .
Der Sinn für Kunst, Poesie und Wissenschaft, der noch zu An-
fang des 16. Jahrhunderts in den Städten geblüht und durch den Reichtum derselben gepflegt worden war, ging zur Rüste; er war mit bem Beginn des neuen Jahrhunderts materiellen Bestrebungen und Genüssen gewichen. Obgleich die Reformation viel Anregung zu freier wissenschaftlicher Forschung gegeben, auch Luthers Bibelübersetzung die Neubildung deutscher Schriftsprache begründet hatte, so schrieben die Gelehrten meist nach wie vor lateinisch. Selbst die Poesie war neben
Kirchenlied und Spottgebicht kaum über bas Fastnachtsspiel hinaus-
gekommen. Das nachfolgende Jahrhundert des dreißigjährigen Krieges sollte deutscher Wissenschaft, Kunst und Literatur einen Todesschlaf bringen, den nur das Waffengeklirr europäischer Völkerheere unterbrach. Ihre Organisation vor und während des Krieges streife ein kurzer Blick.
Nachdem ein)t das deutsche Volk in allen feinen Gliedern wehrhaft war, folgten später, zur Zeit der Kreuzzüge, die Heere der Ritter und Herren mit ihren Mannen, im fünfzehnten Jahrhundert die Heere der Landsknechte, welche mit dem ritterlichen Gewände, das sie kaum teilweise beibehielten, viel ritterlichen Sinn abgelegt hatten. Sie waren eine wandernde Kriegszunft, die, der Erfindung des Schießpulvers ent-
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sprechend, ein neues Waffenhandwerk begonnen hatten, und von ihren Heerführern, unter denen nur der hünenhafte Georg von Frundsberg, Sebastian Schärtlin und Truchseß von Wald bürg genannt seien, in allerlei Kriegskunst geübt wurden. Trotz aller Raub- und Rauflust, die sich unter den Landsknechten herausbildete, hielten sie auf soldatische Standesehre, und durch militärische strenge Disziplin wurde die Mannszucht bei ihnen aufrecht erhalten.
Zu Ansang des siebzehnten Jahrhunderts war der letzte Rest eines ritterlichen Vasallengehorsams geschwunden. Kaiser und Fürsten mußten im Fall eines Krieges Söldnerheere sammeln, deren Sold so hoch stand, daß er für den Einzelnen fast unerschwinglich war. Darum verfiel man zu Ansang des dreißigjährigen Krieges auf die für Land und Volk so unheilvolle Aushülfe, das Heer sich selbst durch Brandschatzungen und Plünderungen unterhalten zu lassen. Heerführer ober vielmehr Bandenführer traten auf, welche Soldaten für Geld warben. Diese gingen zu dem Meistbietenden und dahin, wo das ungebundenste Leben im Heere war. Den Generalen boten sich Unterfeldherren, Obersten, Hauptleute mit Kompagnien oder Offiziere kleinerer Fähnlein zu Dienst auf Leben und Tod. Der Soldat hatte weder LandeSherrii noch Vaterland, nur den Feldherrn über sich.
In dem Feldlager sammelte sich das beutelustige Gesindel, das aufs „Parteigehn" angewiesen war, mit Weib, Kind und Bagage, so daß hinter dem Heere ein Troß von Wagen, maroden Pferden und Marketenderinnen, Dirnen, Soldatenjungen und Hunden herzog, auf ein Heer von 40,000 Soldaten etwa ein Anhang von 140,000 lungernden Volks. Die Wegstrecke, welche ein solches Heer durchwandert hatte, war wüst und leer, gleich einem Felde, das die Heuschrecken überfallen. Was die Soldaten übrig gelassen, das verzehrte und zerstörte die Meute ihres Anhangs.
Mit der Zeit wurden die Soldaten durch den Hunger auf Beutezüge getrieben. Glücklich die „Partei", welche ein vom Wege abgelegenes, noch nicht aufgestöbertes Dorf fand, um es auszuplündern, im besten Falle dann weiter zu ziehen oder mit dem ersten besten Strohdach das ganze Dorf in Asche zu legen und beim Abschied das arme Volk durch unmenschliche Grausamkeit zu zwingen, etwa noch verborgene Schätze zu verraten, oder die „Partei" weiter zu ergiebigen Beuteorten zu führen.
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Die Not, das zuchtlose Leben machte die Soldaten zu Dieben und Mördern, zur Bestie am eignen Geschlecht. Am schlimmsten waren die Parteigänger auf eigne Hand, entwichne Soldaten, „Buschklepper und Schnapphähne", deren maßlose Roheit die Rache des Volks hervorrief. Die Entsetzen erregenden Greuelszenen der Kriegszeiteu des siebzehnten Jahrhunderts lassen nach den Schilderungen der Zeitgenossen das grenzenlose Elend ahnen, das dem deutschen Vaterlande im 30jährigen Kriege beschieden war.
2. Der Änsbruch des dreißigjährigen Krieges.
Die katholische Gegenreformation, welche die letzten Kaiser ins Werk gesetzt, und die ausfallende Begünstigung der Jesuiten hatten sonderlich in Böhmen eine Spannung der Religionsparteien erhöht und eine bedenkliche Erregung hervorgerufen. Dazu sollte der Artikel des Majestätsbriefes Rudolfs II.: „Wessen das Gebiet ist, dessen ist auch der Glaube", unheilvolle Verwirrung bringen.
Matthias war nicht ohne Widerspruch Nachfolger seines Bruders Rudolf als deutscher Kaiser geworden (3. Juni 1612), nachdem er ihm schon bei Lebzeiten die übrigen Kronen geraubt hatte. Er war aber dem Reiche kein besseres Oberhaupt, als Rudolf II., obgleich sein Alter von 55 Jahren ihn an den Ernst seiner Pflichten hätte mahnen sollen. Ihm war die Krone nur ein glänzender Schmuck, und die Spielereien mit den schönen, hinterlassenen Kunstsammlungen seines Bruders sagten ihm mehr zu, als die Regierungssorgen, welche sich endlich nur darauf beschränkten, daß er, ein fast kindisch gewordener, guter, alter Mann, gewissenhaft seinen Namen unter jedes Schriftstück setzte, am liebsten aber mit seinem Hofnarren Nelli verkehrte. Die sieben Jahre seiner Regierung hätten darum unheilvoller werden mögen, wenn nicht sein vertranter Minister Khlesl, früher ein eifriger katholischer Geistlicher, in verständiger Einsicht der Verhältnisse sich gegen die Protestanten nachgiebig gezeigt, um sie für seine Zwecke gebrauchen zu können, nicht „weil er sie liebte, sondern weil der Krieg zwischen gleichen Gegnern nur zu beiderseitigem Verderben führe."
Die protestantische Union hatte vor der Wahl des Matthias einen Hülfsvertrag mit England abgeschlossen, und das Haupt derselben, Kurfürst Friedrich V. von der Pfalz, befestigte diesen Bundesvertrag durch seine Vermählung mit der englischen Königstochter Elisabeth.
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Die katholische Liga war auch nicht unthätig gewesen. Ihre Mitglieder hatten zu Frankfurt entschieden, daß jedes nachgiebige Abkommen mit den Protestanten, wie alle ihre Besitzergreifungen seit 1555 ungültig sein sollten. Als nun der Kaiser einen Reichstag nach Regensburg berief, um eine Türkenhülfe zu erhalten, erklärten sich die Protestanten dazu nur bereit gegen kaiserliche Abstellung ihrer Beschwerden. Darauf wurde ihnen zwar ein „Kompositionstag" zugesagt, der alle gegenseitigen Wünsche ausgleichen sollte; aber dabei blieb es. Da sich auch die Liga nicht dem Willen des Kaisers, oder vielmehr dem seines Ministers fügte, wurde dem Bayernherzog Maximilian die leitende Stellung darin genommen, um sie dem kaiserlichen Einfluß unterzuordnen.
Auch die Thronfolge kam in Regensburg zur Sprache. Den Intriguen aller Art gelang es trotz des Widerstandes der Böhmen, daß Ferdinand (II.) die böhmische Königskrone nicht durch Wahl zugesprochen, sondern er „als Erbe" derselben einstimmig angenommen wurde. Die Katholifenführer Lobkowitz, Slavata und Adam von Sternberg hatten ihre Pläne so vorsichtig und klug eingeleitet, daß die Böhmen sich ganz unerwartet im Besitz eines neuen Königs sahen, ehe der alte tot war. Ferdinand selbst soll sich auf dein Kirchwege fein getröstet haben, wie er sich freue, daß er die Krone ohne Gewissensbisse erlangt. Sein Gewissen war sicher weit genug, um solchen Krouenraub ungehindert durchgehen zu lassen, und weil er in Böhmen so leicht gelungen war, versuchte er nun, auch die deutsche Krone zu erlangen.
Dazu mußten die Kurfürsten willig gemacht werden, und Oesterreich war bereit, den Protestanten, besonders dem einflußreichen, sächsischen Kurfürsten, für entsprechende Willigkeit Zugeständnisse zu machen. Das gelang über Erwarten leicht. Joh. Georg von Sachsen, den Ferdinand in Dresden selbst aufsuchte, fühlte sich dadurch so geehrt, daß er bedingungslos jede Hülfe zusagte, ohne das Interesse der protestantischen Sache nur mit einem Worte zu erwähnen. Nur Kurpfalz suchte Ferdinands Pläne zu durchkreuzen. Pfalzgraf Friedrich hoffte vergeblich, Maximilian von Bayern würde das stolze Verlangen hegen, die deutsche Krone zu tragen, um die Habsburger zu demütigen, die ihm so vielfach wehe gethan. Die deutsche Krone war ruhmlos
geworden.
Der Majestätsbrief, welcher den böhmischen Protestanten freie Religionsausübung, auch ein Kollegium von 24 Glaubensverteidigern,
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dazu die Prager Universität bewilligt hatte, gewährte die Berechtigung, Kirchen zu bauen, nur den Herren, Rittern und königlichen Städten. Ein Vergleich zwischen protestantischen und katholischen Städten gab auch den Bewohnern königlicher Güter, vielfach einst geistlicher Besitz, dieses Recht. Von den 'Unterthanen geistlicher Stände war nichts gesagt, und die Protestanten verlangten, daß auch diese den königlichen gleich geachtet würden.
Kaiser Matthias hatte zum Nachteil der Protestanten entschieden, als diese von den Katholiken bei einem Kirchenbau zu Braunau gestört worden waren, das zum Benediktinerstift gleichen Namens gehörte. Trotz des kaiserlichen Bescheids drängten die „Glaubensverteidiger", daß die Protestanten den Ban wieder aufnehmen sollten (1612). Er wurde glücklich vollendet, und die Protestanten blieben zwei Jahre lang ungehindert im Besitz ihrer Kirche, bis der Erzbischof von Prag eine katholische Gegenreformation ins Werk setzte, und der Abt von Braunau die protestantische Kirche schließen ließ. Doch gelang es den Protestanten später, sich wieder in den Besitz derselben zu setzen. AehnlicheS war im Städtchen Klostergrab geschehen, wo der Erzbischof die neugebaute Kirche verschließen und versiegeln ließ.
Jetzt beriefen die „Defensoren oder Glaubeusverteidiger" einen großen Protestantentag nach Prag (1616), und sandten ihre Beschwerden an den Kaiser, der durch seinen Kanzler so schroff und abweisend antworten ließ, daß die Erbitterung der gekränkten Protestanten aufs höchste stieg. Dazu war der mächtige, protestantische Graf Matthias von Thurn seines Amtes als Burggraf entsetzt worden, der als solcher die Insignien und Urkunden der böhmischen Krone zu wahren gehabt hatte. Auch gehörten zwei Männer zu den zehn Statthaltern Böhmens, Martinitz uud Slavata, die das Volk besonders haßte, weil man sie beschuldigte, ihre protestantischen Unterthanen mit Gewalt in die Messe getrieben zu haben. Gerade sie machte man auch für die harte Antwort des Kaisers verantwortlich.
Am 23. Mai 1618 stürmten die Abgeordneten der protestantischen Stände bewaffnet auf das Prager Schloß uud drangen in das Sitzungszimmer des Rats, den vier katholischen Statthaltern Vorwürfe über ihr Verhalten zu machen und zu fragen, wer der Urheber des kaiserlichen Bescheids sei. In der Hitze des Streits waren die Statthalter fast alle zur Milde geneigt; nur Martinitz und Slavata antworteten hochmütig und verletzend. Da rief einer der Tobenden: „Werft sie nach
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alt böhmischem Brauch zum Fenster hinaus!" Im Nu wurden beide au die weit geöffneten Fenster gedrängt und trotz alles Flehens in den 30 Fuß tiefen Graben hinab gestürzt, wo sie wunderbarer Weise ziemlich unverletzt ankamen. Ihr Sekretär Fabricius wurde ihnen auch durchs Fenster nachgesandt und langte ebenfalls unten glücklich an. Er fragte die neben ihm liegenden Herren verwundert, warum man ihn denn hinausgeworfen habe, da er doch ganz unschuldig sei. Martinitz soll ihm trotz der wunderlichen Lage in feierlichem Humor geantwortet haben: „Herr Philipp, es ist jetzt nicht Zeit, solches zu
fragen und die Antwort der Stände abzuwarten."
Einige Schüsse, welche von den Verschworenen auf die Aermsten abgefeuert wurden, thaten ihnen nicht viel Schaden und so kamen alle drei glücklich auf und davon, Fabricius nach Wien, Martinitz nach München. Slavata ließ sich bald wieder in Prag sehen, blieb aber nach dem wunderbaren Fall unbehelligt, den die Katholiken dem Schutze der Heiligen, die Protestanten einem Pakt mit der Hölle zuschrieben. Aber die Flamme war entzündet, welche dreißig Jahre lang im deutschen Vaterlande fortlodern und seinen Wohlstand vernichten sollte.
3. (Eiste Periode des dreißigjährigen Krieges:
Der böhmisch-pfälzische Krieg.
Die Böhmen trafen Vorkehrungen zu ihrer Sicherheit, da sich voraussehen ließ, daß der Kaiser die Mißhandlung seiner Statthalter nicht ungestört hingehen lassen würde. Auch die Bevölkerung Prags war in solcher Erregung, daß sie eben so zu fürchten war, wie die kaiserlichen Heere. Zur Verwaltung der Stadt und des Landes wurden dreißig Vertrauensmänner gewählt, deren erstes Werk die Austreibung der Jesuiten war. Freilich schickten die Böhmen eine Rechtfertigungsschrift an den Kaiser und die benachbarten Fürsten, ohne doch sonstwie auf diese Rücksicht zu nehmen. Graf Thnrn, der die Empörung ins Werk gesetzt, rüstete zunächst eine kleine Heeresabteilung, um die noch unentschiedenen Städte Böhmens einzuschüchtern, von denen nur wenige dem Kaiser treu blieben. Selbst die Protestanten in der Lausitz, in Ungarn, Oesterreich, Schlesien und Mähren schlossen sich bald den
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Böhmen an, auch der Fürst von Siebenbürgen Bethlen Gabor. Dann wurde ein großes Söldnerheer ausgerüstet, um so kampfbereit mit dem Kaiser zu unterhandeln, dessen Minister Khlesl eine Einigung der katholischen und der protestantischen Kirche anstrebte. Darum paßte er nicht für Ferdinand, der eben als gekrönter Ungarnkönig nach Wien kam und kriegslustig Lorbeeren zu erringen hoffte. Khlesl wurde überrumpelt, gefangen genommen und fortgeführt, trotzdem der kranke Matthias jammerte, man habe ihm seinen Freund geraubt. Das Vermögen des gestürzten Ministers, der, anfänglich vorn Papste zu lebenslänglicher Hast verurteilt, nachher wieder freigelassen, endlich als Bischof von Wien starb, kam Ferdinand zur Kriegführung gegen die Böhmen gerade gelegen.
Inmitten dieser Unruhen starb Kaiser Matthias, ohne daß sein Tod schmerzlich empfunden wurde (20. Mai 1619). Mutig ergriff Ferdinand die Zügel der kaiserlichen Regierung, zu der ihn die deutschen Fürsten noch gar nicht berufen hatten. Doch gaben ihm endlich selbst die protestantischen Kurfürsten ihre Stimme (28. August 1619). Nur Böhmen erklärte Ferdinand in einer Ständeversammlung zu Prag als „Erbfeind des evangelischen Glaubens und als Sklaven Spaniens und der Jesuiten" und des böhmischen Thrones verlustig. Sie wählten den Kurfürsten Friedrich V. von der Pfalz, das Haupt der protestantischen Union, unter Zustimmung der Mähren, Schlesier und Lausitzer zu ihrem König.
Sängst war Ferdinand IL Stellung selbst in den österreichischen Stammländern erschüttert, die ihm das kaiserliche Zugeständnis abdrängen wollten, mit den protestantischen Böhmen ein Bündnis eingehen zu dürfen. Eine wilde Rotte war auf die kaiserliche Burg in Wien gestürmt, deren einer den fürstlichen Herrn an seinen Wamsknöpfen mit dem höhnischen Wort festgehalten: „Nun Ferdinand, willst du
nicht unterschreiben?" Aber aufs höchste bedrängt, war Ferdinand von einem herbei|türmenden Kürassierregimente gerettet worden, das ihm sein Feldherr Bncqnoy gesandt hatte.
Obgleich vielfach gewarnt, gab Friedrich V. von der Pfalz dennoch dem Verlangen nach, eine Königskrone zu tragen, da sein abenteuerlicher Freund Christian von Anhalt und sein Hofprediger Scultetus ihn dazu drängten, wahrscheinlich von der ehrgeizigen Gemahlin angestiftet. Sie selbst soll dem Zögern durch ihr Wort ein Ende ge-
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macht haben: „Wärest du kühn genug, eine Königstochter zu begehren, was zagst du, dir eine Königskrone aufs Haupt zu setzeu, welche man dir entgegenbringt? Ich will lieber trocken Brot essen an deiner königlichen Tafel, als an deinem kurfürstlichen Tische schwelgen.
Friedrichs kluge Mutter, eine Toch!er Wilhelms von Omnien, mahnte, es könne wohl Kurpfalz au der böhmischen Königskrone hängen bleiben. Vergebens, Friedrich nahm das verhängnisvolle Geschenk an. Die Krönung wurde zu Prag mit unerhörter Pracht vollzogen, und weiter folgte ein üppiges Hofleben, echt königlich, so meinte
die junge Königin.
Die streitigen Fragen und Interessen waren weit über Böhmens Grenzen hinausgedrungen, und beide feindliche Parteien sahen sich nach Bundesgenossen um. Der Kaiser hoffte besonders Hülfe von der katholischen Liga, sah sich aber getäuscht; das frühere Haupt derselben, Maximilian von Bayern, ivollte ihm nicht einmal Geld zum Kriege borgen. Papst Paul V. diente zunächst auch nur mit Versprechungen; doch gab er später 100,000 Kronen Hülfsgelder. Nur Polen, dessen König Sigismund (III.) nach einander mit zwei Schwestern Ferdinands vermählt war, sagte gleich den spanischen Niederlanden Hülfe zu.
Der neue Böhmenkönig fand noch weniger Rückhalt, da sich die protestantische Union mit der katholischen Liga auszusöhnen trachtete, und er selbst sich nicht einmal mühte, Freunde in seinem Böhmenreiche zn gewinnen. Er trug seinen schroffen Calvinismus trotzig zur Schau und äußerte wiederholt, daß er mit dem abgöttischen Wesen der Protestanten aufräumen wolle. Obgleich Friedrich ^ - gelobt hatte, alle Konfessionen seines Reiches zu achten und zu schonen, nahm er gleich anfangs den Katholiken zu Prag ihre Domkirche, um sie den Reformierten zu geben. Dabei ließ er einen wilden Bildersturm zu, den sein Hofprediger Scultetus veranlaßt hatte, wobei alle Kruzifixe und viele kunstvolle Werke der Kirchen zerstört wurden. Die goldenen und silbernen Gesäße wurden mit hölzernen vertauscht, die zerstörten Altäre tmrch Tische ersetzt; auch durften die Kirchenglocken nicht mehr geläutet werden. So wurden die Böhmen Feinde des neuen Königs, dem der Rat des Prinzen Christian von Anhalt alles galt, der Rat .der böhmischen Großen gar nichts. Sie waren drum auch nicht bereit, mit Gut und Leben für Friedrich V. einzutreten.
Inzwischen war es dem Kaiser gelungen, Maximilian von Bayern durch den für die deutsche Krone schimpflichen Münchener Vertrag zu.
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gewinnen, wonach demselben unbeschränkte Oberleitung der Liga zugesagt war und für die Kriegsführung die gesamten Besitzungen Ferdinands zum Pfande geboten wurden, in denen Maximilian alle landesherrlichen Rechte bis zur Deckung der Kriegskosten ausüben sollte. Auch der Kurhut und die Oberpfalz wurden ihm zugesichert.
Den Kaiserlichen gelang es außerdem, den protestantischen Kurfürsten Johann Georg von Sachsen zu gewinnen, als Bernhard von Sachsen-Weimar sich der Sache des Böhmenkönigs anschloß, um vielleicht später mit seiner Hülfe der ernefi mischen Linie den sächsischen Kurhut zurück zu erobern. Während Friedrich V. von den protestantischen Fürsten Hülfe erwartete, schloß die Union mit der katholischen Liga einen Neutralitätsvertrag ab. Ein kaiserlich-bayrisches Heer stürmte nach Böhmen und stand vor Prag, ehe der neue König ernstlich gerüstet hatte. Selbst als man sich im böhmischen Lager kampfbereit machte, herrschte dort eine so große Planlosigkeit, daß die kaiserlichen Heere sich ungehindert sammeln konnten. Die anfangs vorteilhafte Stellung der Böhmen auf Bergeshöhe wurde nicht ausgenutzt, und so entschied sich vor den Thoren Prags in der Schlacht „am weißen Berge" das Geschick Böhmens bereits nach Stundenfrist (8. Nov. 1620). Als der bayrische Feldherr Tilly schon die fliehenden Böhmen verfolgte, saß ihr König Friedrich noch in seinem Schlosse beim Mittagsmahle. Wie er endlich in das Lager hinausreiten wollte, begegnete ihm Prinz Christian am Schloßthor ohne Hut, die Trauerkunde von der verlorenen Schlacht zu bringen. Da galt gar kein Besinnen. Der König ließ Heer, Reich und Krone im Stich und floh mit den Seinen über Schlesien und weiter bis nach Holland, wo ihn die fürstlichen Verwandten gastlich aufnahmen.
Damit war die kurze Herrlichkeit des „Winterkönigs" Friedrich zu Ende, und Prag öffnete den Siegern die Thore, bange des kaiserlichen Strafgerichts harrend, das nach dreimonatlicher Verzögerung nur um so schrecklicher ausfiel. Achtundvierzig Anführer wurden eingezogen, vierundzwanzig derselben in einer einzigen Stunde enthauptet, darunter Zwölf ehrwürdige Greise, deren ältester der neunzigjährige Graf Schlick war. .-U'otz der unerhörten Grausamkeiten und Martern, unter denen die Opfer dieser Niederlage den Tod erleiden mußten, starben alle Böhmen mit dem Glaubensmute der Märtyrer.
„Zerreißt diesen Leib in tausend Stücke", rief der Gras Schlick, als man ihn stückweise mordete, „durchwühlt meine Eingeweide, ihr werdet nichts anderes finden, als wir in der Apologie bekannt haben.
Bor „ hak, Unser Vaterland. on
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Die Liebe zur Freiheit und zur Religion hat uns das Schwert in die Hand gegeben; weil aber Gott dem Kaiser den Sieg verliehen hat, so geschehe des Herrn Wille!"
Das Vermögen der Gerichteten, über fünf Millionen Gulden, floß in deu kaiserlichen Säckel; Höflinge wurden damit gelohnt, auch die Jesuiten wieder nach Böhmen zurückgeführt. Viel tausend protestantische Familien wanderten aus und entvölkerten das Land, in welchem der Protestantismus jetzt mit dem Schwerte ausgerottet werden sollte. Dominikaner uud Franziskaner wurden beauftragt, die „allein selig machende Kirche" wieder herzustellen. Den Majestätsbrief hatte
Ferdinand mit eigner Hand zerschnitten.
Der entflohene König hatte seine Krone verloren und wurde seines Kurhuts verlustig erklärt; seine Mutter hatte richtig prophezeit. Vergeblich bat Friedrich Y. seinen königlichen Schwiegervater um Hülfe; doch fand er einen tapfern Verteidiger in dem kühnen Heerführer Ernst von Mansfeld, der in kurzer Zeit ein Heer von 20,000 Mann gesammelt hatte und ganz allein dem Kaiser und seinen Verbündeten, besonders dem berühmten General Tilly zu trotzen wagte, als die protestantische Union die Sache des Winterkönigs und damit die der Protestanten im Stiche ließ. Seine wilden Banden zogen gleich Räubern durch das Land; vor den Mansfeldern flüchtete alles in abergläubischer Furcht. Auch Christian von Braunschweig, der tolle Christiair im Volke genannt, zog sein Schwert für den vertriebenen König. Obgleich Bischof von Halberstadt, hatte er den Handschuh der Königin als sein Feldzeichen am Helm befestigt, und seine Fahne trug die Devise: „Für Sie!"
Durch die Erfolge des Mansfelders ermutigt, trat auch Markgraf Georg Friedrich von Baden für die verlorene Königskrone ein, und vereint hätten sie dem als unüberwindlich geltenden Tilly erfolgreich entgegentreten mögen, wenn sie sich nicht durch Streit entzweit hätten. So besiegte Tilly den Markgrafen bei Wimpffen (8. Mai 1622), den Grafen von Mansfeld bei Höchst (20. Juni 1622). Der Markgraf trat entmutigt in das Privatleben zurück, Ernst von Mansfeld schloß sich an Christian von Braunschweig an, um mit diesem vereint ein wildes Räuberleben zu führen. Kirchen und Klöster wurden geplündert, auch fein andrer Besitz geschont, die katholischen Geistlichen unter grausamsten Martern getötet. Im Dom zu Paderborn nahm Christian von Braunschweig, Bischof von Halberstadt, die silbernen Bild-
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faulen der Apostel weg. Da Christus gesagt habe: „Ziehet hin in alle Welt", dürften diese hier nicht müßig stehen. Sie wurden in die Münze geschickt und erhielten, zu Thalern geprägt, die Umschrift: „Gottes Freund, der Pfaffen Feind."
Tilly störte den übermütigen Raubzug des Braunschweigers und schlug ihn, als er eben bei Höchst über den Main setzen wollte. Kaum die Hälfte seiner Truppen konnte mit den Mansfeldischen zusammenstoßen, die nun gemeinsam den Elsaß verheerten. Da die böhmische Krone unwiederbringlich verloren schien, suchte Friedrich V. sich wenigstens den Kurhut zu retten und erbot sich, dem Kaiser fußfällig Abbitte zu leisten. Er löste sich auch völlig von dem Mansfelder und dem Braunschweiger; aber der Kaiser wollte nichts von solcher Reue wissen. Er schenkte die pfälzischen Kurlande (1623), Ober- uud Unterpfalz dem Kurfürsten von Bayern, doch zunächst nur für dessen Person. Der Kurfürst von Sachsen erhielt für die dem Kaiser geleisteten Dienste die Ober- und Unterlausitz, anfangs nur pfandweise, später als Landesherr.
Nun kamen auch Ernst von Mansfeld und Christian von Braunschweig, dem Kaiser, dessen Glück im Steigen war, ihre Dienste anzubieten. Dieser fürchtete beide nicht mehr als Feinde, um sie als Freunde gewinnen zu wollen. Sie zogen mit ihrem Raubgesindel nach den Niederlanden, wo sie für einen Krieg gegen die Spanier geworben wurden. Als böse Gäste recht übel empfunden, wurden sie hier bald wieder entlassen und machten die zunächst gelegenen Länder unsicher. Besonders hatte Westfalen und Niedersachsen (Hannover) darunter zu leiden, bis Tilly die regellosen Heeresmassen bei Stadtlohn, nicht weit von Münster, völlig zerstreute.
Obgleich der Kaiser jetzt Herr aller seiner Feinde war, entließ er die Truppen nicht und ließ überall im Reiche verkünden, daß er mit Waffengewalt eine Gegenreformation ins Werk setzen werde.
4. Zweite Periode des 30jährigen Krieges: Niedersächsisch-dänischer Krieg.
(1625 bis 1630.)
Längst hatte Frankreich scheel zu der wachsenden Größe Oesterreichs und Spaniens gesehen, sich auch mit England, Holland und Dänemark verbündet, um unter der Hand die Protestanten gegen den Kaiser zu unterstützen. Ludwigs XIII. kluger Staatsmann Richelieu
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Wußte geschickt die Karten eines europäischen Gleichgewichts zu mischen, bei dem Frankreich sich den Ausschlag zu wahren trachtete. Dänemark, so plante Richelieu, sollte mit Hülfe Schwedens dem Hause Habsburg und der katholischen Liga entgegentreten, welche Maximilian von Bayern als Stütze benutzte, sich den Kurhut zu sichern, der dem pfälzischböhmischen Winterkönig vom Kaiser genommen worden war.
Ferdinand schätzte die Zuverlässigkeit der deutschen Fürsten, besonders der Liga, um so geringer, da Ernst von Mansfeld und Christian von Halberstadt in England und den Niederlanden Söldnertruppen werben durften, des ersten Winks gewärtig, dem Könige von Dänemark Hülfe gegen den Kaiser zu leisten, dessen willkürliches Verfahren im deutschen Reiche viel Erbitterung bei den Fürsten geschaffen hatte. Sie fürchteten, zu bloßen Lehnsträgern des kaiserlichen Gewalthabers herabzusinken und schlossen darum gegen kaiserliche Uebergriffe ein Schutzrind Trutzbündnis, rüsteten auch ein Buudesheer, zu dessen Führung Christian IV. von Dänemark, als Herzog von Laueuburg, gewählt wurde wegen seiner „hochrühmlichen Tapferkeit und wegen seines begabten Verstandes." Unter dem Vorwande, seinem vertriebenen. Schwager Friedrich V. zu helfen, dachte der Däne viel mehr an die zu erringenden eignen Vorteile, Einfluß in Norddeutschland, auch Bischofssitze dort zu erwerben, als an die Interessen der deutschen Fürsten gegen den Kaiser und an das Gedeihen des Protestantismus in Deutschland.
Mit dem Dänenkönig hielten der Herzog von Brauuschweig-Wolfenbüttel, die Herzöge von Mecklenburg und Holstein-Gottorp, der Markgraf von Brandenburg, Herzog Johann Ernst von Weimar, dessen Bruder Bernhard, auch der Herzog von Altenburg. Da war es dem Kaiser hoch willkommen, daß ihm ein mächtiger, böhmischer Edelmann seine Hülfe anbot, Albrecht von Waldstein oder Wallendem. Zwar klang dessen Antrag fast abenteuerlich: er wollte dem Kaiser unentgeltlich ein Heer von 50,000 Mann zur Verfügung stellen, falls ihm der unumschränkte Oberbefehl darüber verliehen würde. Aber Wallenstein war der Mann, einem solchen Vorschlage die glänzendste Ausführung zu geben. Als Protestant geboren und im Glauben der böhmischen Gemeinden von seinen Eltern erzogen, war er nach deren Tod durch seinen Oheim Slavata in die Jesuitenschule nach Olmütz gesandt, um als deren Zögling ein schwärmerischer Katholik zu werden. Ein vielgereister, wissenschaftlich gebildeter Mann, hatte er sich später in manchem
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Kriegszuge als kühner, noch mehr als klug berechnender Heerführer bewährt. Eifersüchtig schaute er auf Tillys Kriegsruhm, und die Sterndeuter hatten ihm verkündet, daß er zu hohen Ehren berufen sei.
Durch reiche Heirat wie durch Kriegsglück hatte Wallenstein sich ein großes Vermögen erworben. Seine Herrschaft umfaßte allmälig sechzig eingezogene Güter vertriebener Protestanten, auf siebzig Quadratmeilen Land allein neun Städte. Als Ersatz des Schadens, den Wallensteins Besitzungen während der böhmischen Unruhen erlitten, auch zur Erhaltung eines Kürassierregiments hatte ihm der Kaiser die Herrschaft Friedland an der Nordgrenze Böhmens gegeben, ihn erst zum Grafen, weiter zum Fürsten und endlich zum Herzog ernannt.
Jetzt ließ der Friedländer die Werbetrommel rühren, und wo er feine Werbefahnen aufpflanzte, da strömten die Massen der tapfersten Männer hin. War es doch im ganzen Reiche bekannt, daß unter dem Friedländer nur Ruhm und Sieg zu erwerben war. Hielt er auf strenge Zucht und Ordnung im Heere, so gönnte er auch Jedem reichlichen Sold und wußte den Wert des Einzelnen zu schätzen und zu lohnen. Seine Persönlichkeit in ihrem geheimnisvoll düstern Wesen fesselte die Massen, die in ihrem Feldherrn etwas Uebernatürliches sahen, wie er selbst solches über sich walten fühlte. Im Laufe der Sterne stand sein beschick geschrieben, das ihm der gelehrte Freund Seni zu deuten hatte.
Anfangs wollte der Kaiser nur 20,000 Mann werben lassen. Das war dem Wallenstein zu wenig; denn obgleich er dem Grundsätze seiner Zeit huldigte, daß sich der Krieg selbst ernähren müsse, schonte er gern Bürger nnd Bauer in Haus und Besitz, damit er beide klug ausnützen konnte. Er machte geltend, ein kleines Heer könne sich nur vom Brandschatzen nähren, ein Heer aber von 50,000 Mann sei Ehrfurcht gebietend und habe nur zu fordern. So wurde Wallenstein vom Kaiser zum „Führer aller kaiserlichen Völker, zum Generalobersten und Feldhauptmann der kaiserlichen Armada" ernannt. Er war damit unbeschränkter Kriegsherr einer Armee, die bald bis auf 100,000 Mann anwuchs.
Der bayrische Heerführer Tilly stand mit feinem Heere in Nieder-fachfen, brandschatzte das Land aufs grausamste und fatholisierte es, als der Dänenkönig ihm mit einem Heere von 16,000 Mann entgegen-rückte, dem die strenge Manneszucht zur Pflicht gemacht war. Christian IV. fand auf feinem Wege, den deutschen Protestanten zu helfen, wenig Entgegenkommen. Zunächst schlossen die Hansastädte ihre Thore vor ihm zu.
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Sie begehrten keinen siegreichen Fürsten in ihren Mauern, der ihre Häfen für sich ausnützen und ihre Handelsbeziehungen stören konnte. Die versprochenen Hülfsgelder aus Frankreich und England erhielt Christian auch nicht, und die Stände, welche ihn zum Führer des Bundesheeres erwählt hatten, kamen ihren Verpflichtungen ebenso wenig nach. Dazn brach die Pest unter den mangelhaft ernährten Soldaten aus, welche fast ein Viertel des Heeres dahin raffte. Nur der Rest zog dem Heere Tillys entgegen, das gleich einer Meute wilder Tiere in Braunschweig hauste und das schöne Land zur Einöde machte. Die anfängliche Absicht des Dänenkönigs, eine mögliche Vereinigung Tillys mit Wallenstein zu verhindern, wurde teils durch einen unglücklichen Sturz vom Pferde, teils dadurch verzögert, daß Brandenburg und Sachsen, auf deren Hülfe Christian glaubte hoffen zu dürfen, durchaus nicht bereit dazu waren, dem Kaiser die Spitze zu bieten.
„Ich sehe nicht anders", hatte Kurfürst Georg Wilhelm zu seinem Minister Schwarzenberg geäußert, „ich werde mich zum Kaiser schlagen müssen. Ich habe nur einen Sohn. Bleibt der Kaiser, so bleibe ich und mein Sohn wohl auch Kurfürst, da ich mich zum Kaiser wende. Was geht mich die gemeine Sache an, wenn ich alle meine Ehre, Reputation und zeitliche Wohlfahrt verlieren soll." Trotzdem blieben die Kaiserlichen ruhig in der Mark und saugten das Land aus. Bald war ganz Norddeutschland von kampflustigen Truppen angefüllt, ohne daß zunächst eine nennenswerte Schlacht stattgefunden hätte. Nur Wallenstein (1626) besetzte siegreich den Elbübergang bei Dessau, so daß Mansfeld nicht nach Schlesien und Böhmen durchbrechen konnte. Doch hoffte dieser mit Hülse dänischer Truppen nach dem Süden zu gelangen, um von da zu Schiffe Englands Beistand zu gewinnen. Der Tod machte seinen Plänen ein Ende. Brustkrank erwartete er, gewappnet wie zum Kampfe, auf zweien seiner Getreuen gestützt, stehend den Tod, die Hand auf des Schwertes Knauf gelehnt. Sein tapfrer Kampfgenosse, Herzog Ernst von Sachsen-Weimar, erlag kurz darauf im dreiunddreißigsten Lebensjahre den Strapazen des Krieges. In Todesträumen hörte man ihn flüstern: „Ist es nicht schade, daß man den schönen Baum abhauen soll?" Auch Christian von Halberstadt starb in demselben Jahre, kaum siebenundzwanzig Jahre alt.
Der Tod dieser drei Tapferen war ein Sieg für den Kaiser. Dazu wurde der Dänenkönig von Tilly bei Lutter am Barenberge so völlig geschlagen, daß er selbst kaum der Gefangenschaft entging.
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Ganz Nordsachsen fiel nun in die Hände der Kaiserlichen. Während Wallenstein und Tilly sich auf Wunsch des Kaisers vereinigen sollten, doch voll Eifersucht sich zu meiden strebten, und dabei mit ihren Truppenmassen das Land aussaugten, lauerten die deutschen Fürsten thatenlos, ivie jeder sich und seinen Länderbesitz am klügsten wahren könnte, ohne dem allgemeinen Interesse irgendwie dienen zu wollen, ja ohne den empörendsten Gewaltthaten und Bedrückungen der Soldatenherrschaft Widerstand zu leisten. So sprach Joh. Kasimir von Koburg offen aus, daß jetzt „die Geduld überall das Beste thun müsse."
Indessen war es Christian von Dänemark mit Hülse Englands und Frankreichs gelungen, ein neues Heer auszurüsten und bis zur Elbe vorzudringen, wo ihm Wallenstein mit 40 000 Mann entgegen zog, nachdem er sich mit Tilly und dem Lüneburger Herzog Georg vereinigt hatte. Nach mancherlei siegreichen Gefechten rückte Wallen-stein bis nach Mecklenburg vor, vertrieb dort die Herzöge, zog weiter nach Dänemark und verheerte das Land bis zur Grenze Jütlands hin, während der Dänenkönig im fernen Deutschland Siege zu erkämpfen strebte.
Indessen brachten die Errungenschaften der Kaiserlichen dem Protestantismus eine ungeheure Niederlage. Ringsum im Reiche, auch in Böhmen, wurden die Protestanten zum Katholizismus gezwungen. In Oesterreich wurde kein protestantischer Adliger mehr geduldet, und immer weiter drang die Gegenreformation nach Nord- und West-Deutschland vor. Auch Maximilian von Bayern katholisierte die protestantischen Volksmassen seiner Länder gegen kaiserliche Zugeständnisse mit furchtbarer Grausamkeit. Ganze Städte wurden schon durch die Furcht vor Dualen, die einem Märtyrertum glichen, zum Rücktritt in die katholische Kirche bewogen. Sie entließen ihre Geistlichen, noch ehe Jesuiten oder sogenannte Seligmacher, die Dragoner, sie mit Waffengewalt dazu zwangen.
Ein Beispiel wunderlichen Heldentums bietet die Geschichte der „Gegenreformation" in Schlesien. Der damit beauftragte Königsrichter der Stadt Löwenberg wollte und sollte endlich die Einwohner mit Gewalt zwingen, nachdem diese sich entschieden geweigert hatten, binnen vier Wochen katholisch zu werden. Sechs- bis siebentausend Menschen waren geflüchtet; sie wollten lieber unter Elend und Entbehrung umkommen als unter den Grausamkeiten der Soldaten.
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Schwache, Greise und viele Frauen, wurden auf das Rathaus bestellt; das Geschäft sollte möglichst schnell dort abgethan werden. Da kamen dreihundert Frauen auf einmal, voran die Gattin des Königsrichters. Jede sollte einzeln eintreten, ihren Glauben abzuschwören; aber keine ließ sich von der andern trennen, und die Frau des Königsrichters rief: „Wir merken recht gut den Possen, den man uns Weibern
spielen und uns wider unser Gewissen zwingen will, päpstlich zu werden. Mein Mann und der Pfaffe sind nicht vergeblich zusammen gelaufen. Wo ich bleibe, da bleibt auch mein Anhang, nicht wahr, ihr Weiber?" Mit lautem Geschrei riefen alle: „Ja, ja!" Da wagte der Königs-
richter nicht, die Frauen zum Gehorsam zu zwingen, und alles Zureden erregte nur größeres Toben, wodurch die anfangs eingeschüchterten Männer auch herbei gelockt wurden und mitschrieen, auch alle Anstalt machten, sich thatkräftig zu wehren. Da stand man in Löwenberg von weiteren Bekehrungsversuchen ab und begnügte sich damit, ringsum katholisch zu reformieren.
Wallenstein, der sich schon in Mecklenburg mit Tilly veruneinigt hatte, erstrebte bald den Oberbefehl des ganzen kaiserlichen Heeres, zu dem er auch die Liga rechnete, 'während deren Führung unbedingt an Marimilmn von Bayern abgetreten war. Darum betrachtete sich Tilly auch nur als dessen Feldherrn und wehrte sich gegen Wallensteins Ansinnen aus jede Weife, der seinerseits Tillys Befehle und Pläne zu durchkreuzen suchte. Auch wußte er beim Kaiser durchzusetzen, daß Tilly, der einen Teil seiner Truppen ins Mecklenburgische legen wollte, Bremen und die Weser besetzen mußte. So hatte der Friedländer Mecklenburg für sich und ließ sich vom Kaiser statt der abgesetzten Herzöge von Mecklenburg mit deren Herzogtum belehnen. Die dänischen Städte, welche in seiner Gewalt waren, suchte er zu bereden, statt ihres fernen Königs den deutschen Kaiser als ihren Herrn zu wählen (1628). Aber vor allen Dingen trachtete er danach, allmählich die ganze Ostseeküste für sich zu gewinnen, besetzte Pommern und ließ sich vom Kaiser zum Admiral des baltischen Meeres ernennen.
Nur die mächtige Hansastadt Stralsund wollte nichts von einer Ergebung an Wallenstein wissen, welche gleichbedeutend war mit Ausgabe ihrer politischen und religiösen Rechte. Die Stralsnnder wandten sich bittend an den Kaiser, die ihnen zugesagte Augsburgische Konfession zu schützen, und dieser befahl Wallenstein, die Belagerung aufzuheben. Doch fühlte dieser sich längst mächtiger, als es der Kaiser ahnen mochte;
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er trotzte ruhig dem Befehl: „Und wenn Stralsund mit Ketten an den Himmel gebunden wäre, so müßte es herunter!"
Der erste Sturm auf die Festung kostete 1000 Wallensteinische Soldaten, weitere Ausfälle der Bürger vernichteten noch mehr. Und als der Stadt gar 200 dänische Schiffe und 2000 Schweden zu Hülfe kamen, mußte Wallenstein darauf Bedacht nehmen, sich die Mecklenburgische Küste zu decken, konnte aber nicht hindern, daß die Dänen in Pommern landeten.
Eine neue Gefahr drohte dem Mächtigen in einem Bunde des Dänenkönigs mit Gustav Adolph von Schweden, der eben siegreich in Polen gewesen war, Liesland erobert hatte und jetzt die Ostseeprovinzen Polens dazu gewinnen wollte. Auch England und Frankreich standen noch aus Seiten der Protestanten, und Wallenstein schloß eiligst zu Lübeck mit Christian von Dänemark Frieden (1629), der versprechen mußte, sich von jetzt ab nur soweit in deutsche Angelegenheiten zu mischen, als es seine Stellung als holsteinischer Reichsstand mit sich brachte. Ihm selbst wurde nur dafür das Zugeständnis daß Dänemark von den zügellosen Truppen Wallensteins und Tillys befreit sein sollte.
schort vor Abschluß des Lübecker Friedens hatte Kaiser Ferdinand dem Drängen der geistlichen Kurfürsten und der katholischen Liga nachgegeben, die Rechte der Protestanten dahin zu beschränken, daß alle Vorteile des Religionsfriedens den Bekennern Augsburgischer Konfession zu Gute kommen, alle Kirchengüter und Stister aber, die von protestantischen Ständen seit 1552 in Besitz genommen waren, der katholischen Kirche zurückgegeben werden sollten. Das war das Re-ftitutionsedikt (6. März 1629), in welchem eine notwendige Verlängerung des Krieges liegen mußte, da der Kaiser, gleich der Liga, seine Heere beibehielt, um dem Edikt nachdrücklich Erfolg zu verschaffen. Dabei ging es oft gar wunderlich zu. Die Exekution des Fortnehmens der betreffenden Stifter und Kirchengüter wurde durch kaiserliche Kommissare und Feldherren aufs strengste durchgeführt. Sie wurden aber meist nicht den ursprünglichen Besitzern, sondern den Jesuiten auch wohl Verwandten oder Günstlingen des Kaisers gegeben. So erhielt Ferdinands II. fünfzehnjähriger Sohn die Erzstifte Bremen und Magdeburg, auch Halberstadt und Hersfeld.
Mächtige Reichsstädte, wie Augsburg, mußten sich aufs neue dem Katholizismus unterwerfen, und nur wenige waren fähig, erfolgreich
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Widerstand zu leisten. Zn ihnen gehörte Magdeburg, mit dem Wallenslein nach langer, vergeblicher Belagerung sich vergleichen mußte. Aber seine Kroaten verwüsteten indeß aufs grausamste die Umgebung, das Gebiet der Stadt. Gleich Wallenstein thaten die übrigen Feldherren des Kaisers im ganzen Reiche, und der Jammer, die Not des deutschen Volkes wuchs grenzenlos. Städte und Dörfer wurden mutwillig in Asche gelegt, nachdem sie gebrandschatzt worden, und während die Offiziere in Ueberfluß schwelgten, ihre Soldaten gleich Räubern hausten, fristete das arme Landvolk sich das Leben mit Rüben des Feldes. Unzählige starben vor Hunger und Entbehrung, noch mehr unter den entsetzlichen Mißhandlungen der verrohten Heeresmassen.
Das tolle Leben und Treiben der Wallensteinischen Truppen, die rücksichtslose Kriegsführung des fürstlichen Feldherrn, der weder Kaiser noch Reich mehr über sich erkannte, wurde den Fürsten der katholischen Liga schließlich zu arg. Endlich vermochten sie, gestützt auf eine Heeresmacht von 33,000 Mann, den zögernden Kaiser zu veranlassen, einen Fürstentag zu berufen (1630), auf dem alle, katholische wie protestantische Fürsten, die lautesten Klagen gegen Wallensteins Uebermut führten. Besonders trat Maximilian von Bayern gegen den großen Rivalen auf, der alle Gewalt der deutschen Fürsten so lange in den Schatten gestellt hatte und nun gar zu vernichten drohte. Ungehindert hatten die Heere des Friedländers Kirchen und Klöster geplündert, die reichen Bürger zu Bettlern gemacht, und während die Beraubten sich selbst vom y leis che der Leichen ernährten, um nur eine kurze Weile später selbst dem -lobe anheim zu fallen, herrschte in Wallensteins Lager mehr als kaiserliche Pracht und Ueppigkeit. Die Zahl feiner Lakaien, feiner Köche, Tänzer, Fecht- und Garderobenmeister erscheint dem heutigen Begriffe fält unmöglich. Seine oberen Hofdiener hatten allein 369 Pferde zur Sev fügung. Wallenstein selbst führte zum eignen Gebrauch 502 Wagenpferde mit sich. Fünfzehn Edelknaben, 50 Trabanten und hundert Leibkroaten folgten ihm zu persönlichem Dienst.
Endlich gab der Kaiser den einstimmigen Klagen der Fürsten und Stände, wie ihrem Antrage nach. Wollenstem seiner Reichswürden unb Aemter zu entsetzen. Durch biefes Nachgeben hoffte er die fürsten fiu bie Königswahl feines Sohnes günstig zu stimmen; nur schien es eine schwere Ausgabe, bem mächtigen Watlenstein solchen schlimmen Bescheid mitzuteilen. Als bie kaiserlichen Gesanbten nach Memmingen kamen, ix)o Wallenstein sich aufhielt, wurden sie trotz ber üblen Botschaft so
freundlich aufgenommen, als gälte es, einen ehrenvollen kaiserlichen Auftrag in Empfang zu nehmen. Er habe schon darum gewußt, sagte Wallendem den kaiserlichen Boten, da er alles aus dem Laufe der Sterne gelesen. Der Geist des Bayernfürsten beherrsche augenblicklich den des Kaisers; darum hätte es so kommen müssen, wenn es auch zu beklagen sei, daß der Kaiser sich seiner so wenig angenommen habe. Wallenstein entließ die Gesandten, denen er reiche Feste gab, mit fürstlichen Geschenken, schrieb selbst an den Kaiser, dankte ihm für das bisherige Zutrauen und bat, ihm die kaiserliche Gnade auch in Zukunft zu bewahren. Dann zog er sich mit seinen ungeheuren Schätzen auf seine mährischen Güter zurück, der Stunde harrend, die er in den Sternen gelesen, wo ihn der Kaiser bitten sollte, ihm aufs neue zu helfen.
5. Dritte Periode des 30jährigen Krieges: Schwedisch-deutscher Krieg.
(1630 bis 1634.)
Längst hatte Wallenstein die Gefahr geahnt, welche der mächtige protestantische Schwedenkönig den Kaiserlichen bereiten konnte; schon im Jahre 1629 hatte er versucht, sich mit Dänemark gegen Schweden zu verbinden. Doch Christian IV. hatte stolz geantwortet, er gestatte außer sich und den Schweden niemand die Herrschaft auf dem baltischen Meere. Nun war Walleustein zwar gefallen, aber Schweden würde weniger zu fürchten gewesen sein, wenn nicht Frankreich, eifersüchtig auf Oesterreichs Erfolge, seine Hülfe gegen Ferdinand II. zugesagt hätte. Dieser hatte in dem Sturze Wallensteins nicht nur eine von den Neichsfürsten unabhängige Stütze verloren; auch feine eignen Rechte wurden ihm jetzt durch die Kurfürsten beschränkt. Er mußte geloben, einen Teil des Kriegsvolkes zu entlassen, keinen Krieg ohne Vorwissen der Stände zu führen und keine Kriegssteuer nach Willkür der Kriegsobersten auszuschreiben. Dem so gedemütigten Reichsoberhaupte waren die Hände gebunden, irgend etwas selbständig zu unternehmen; dazu
waren die Fürsten durchaus nicht willig, des Kaisers Sohn Ferdinand (III.) zum römischen König zu wählen. Das Maß kaiserlicher Hülflosigkeit voll zu machen, drohte setzt Gustav Adolph von
Schweden, die ihm verwandten und vertriebenen Herzöge von Mecklenburg mit Waffengewalt in ihre alten Rechte wieder einzusetzen.
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Doch der Kaiser sah diese Drohung als so nichtssagend an, daß er selbst bei der Nachricht von Gustav Adolphs Landung in Deutschland nur spottend bemerkte: „So haben wir halt a Feindl mehr!" Auch Wallenstein hatte während der Belagerung Stralsunds beim Herannahen der Schweden gehöhnt: „Wenn der Schneekönig selbst herüberkommt, werde ich ihn nach Hause peitschen."
Gustav Adolph, eine echt nordische Helden- und Hünengestalt, war hervorragend geistig begabt und hatte in einem Alter von siebzehn Jahren den schwedischen Thron bestiegen, als sein Reich mit Dänemark, Rußland und Polen im Kriege lag. Sein Vater, Karl IX., hatte ihn schon als zehnjährigen Knaben bei den Beratungen des Staatsrats und den Verhandlungen fremder Gesandten gegenwärtig sein lassen. Fast noch früher war der Prinz mit Interesse den Wandlungen des Krieges gefolgt. Auf seinem milden Antlitz mit breiter, klarer Stirn und großen, klugen Augen ruhte ebensowohl Ehrfurcht gebietender Ernst, wie vertrauenerweckende Güte. Groß als Staatsmann und als Kriegsheld, war er jetzt die Hoffnung der deutschen Protestanten gegenüber den Bedrückungen des kaiserlichen Reftitutionsedikts. Denn mochte die bisherige Kriegsführung Gustav Adolphs mit Recht vermuten lassen, daß er eine schwedische Hauptmacht im Norden Europas zu begründen trachtete, es war sicher eben so wahr, ivns der gottesfürchtige Schwedenkönig feinem Lande, feiner Gemahlin und feinem Reichsrate versicherte und „Gott zum Zeugen nahm, daß ihn vorzüglich die Unterdrückung seiner evangelischen Glaubensgenossen in die Waffen treibe."
Nachdem der deutsche Kaiser das anfangs bittende Verlangen Gustav Adolphs, die Protestanten zu schützen, kaum einer Antwort gewürdigt, hatte dieser trotz ernsten Einredens der Großen seines Reichs mit aller Macht gerüstet und in der Vorahnung seines baldigen Todes, feiner unmündigen Tochter Christina von den Ständen huldigen lassen. Die Regentschaft hatte er einem Reichshofrat unter Vorsitz des erprobten Kanzlers Oxenstierna übergeben. Dann zog er nach schmerzlicher Abschiedsfeier aus zu einem Angriffskampfe für das Evangelium.
„Ich rufe Euch ein herzliches Lebewohl zu", so schloß der königliche Abschied, „vielleicht auf immer, vielleicht sehen wir uns hier zum letzten male." Die ganze Versammlung schluchzte laut; denn Gustav Adolph war der geliebte König feines Volkes. Noch einmal sprach er ein Gebet, das er mit dem letzten Verse des 90. Psalms schloß: „Und der Herr unser Gott, sei uns freundlich und fördere das
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Werk unsrer Hände bei uns, ja, das Werk unsrer Hände wolle er fördern."
So verließ der Schwedenkönig Land und Volk seiner Väter. Als er am 14. Juli 1630 auf der Insel Usedom landete, fiel er angesichts seines ganzen Heeres auf die Knie und betete laut mit den Seinen um den Beistand des Höchsten. Als er dann Thränen in den Augen einiger Krieger sah, die der fernen Heimat gedenken mochten, tröstete er: „Weinet nicht, meine Freunde, sondern betet. Je mehr Betens, je mehr Sieg, fleißig gebetet ist halb gefochten und gesiegt." Dann gebot er seinem Heere, strengste Zucht und Ordnung zu halten, niemand zu berauben, keinem Gewalt anzuthun. Bei Todesstrafe sollten diese Befehle gehalten werden. Aber dem schwedischen Heere gebrach es selbst an den notwendigsten Lebensmitteln und das protestantische Deutschland rührte sich nicht, dem gleich anfangs so bedrängten Schwedenkönig hülfreiche Hand zu leisten; ja es war ihm nicht einmal freundlich gesinnt. Nur Stralsund feierte feine Ankunft durch festlichen Empfang.
Noch bevor Gustav Adolph sich zum Kriegszuge nach Deutschland anschickte, lag der deutsche Kaiser mit Frankreich in Erbfolgestreit wegen des erledigten Herzogtums Mantua, wo der letzte Gonzaga gestorben war (1627). So mußte Frankreich daran gelegen sein, daß Gustav Adolph ebenfalls den deutschen Kaiser angriff, und Frankreichs kluger Minister, Kardinal Richelieu, handelte eben so wohl im Interesse Frankreichs, wie dem Willen des Papstes gemäß, als er im Kriege zwischen Polen und Schweden zu Gunsten des protestantischen Königs Gustav Adolph verhandelte, ihm auch Kriegsgelder gegen den Kaiser versprach, die er freilich nachher nicht zahlte. Die um ihren Handel besorgten Niederländer hielten sich neutral gegen die Schweden, Christian I V. von Dänemark sogar feindlich. Trotz dieses unerwarteten Widerstands gelang es Gustav Adolph, festen Fuß an der Ostsee zu fassen, sich mit Herzog Bogislaw von Pommern zu verbinden und die Kaiserlichen aus dessen Land zu vertreiben, das sie unter unmenschlichen Grausamkeiten verließen.
Dann schickte er sich an, den Mecklenburger Vettern zu ihrem Lande zu verhelfen, das noch immer dem abgesetzten Wallenstein verblieben war. Auch wollte er dem von den Kaiserlichen vertriebenen Administrator Magdeburgs beistehen. Indessen hatte der Kaiser die Zum größten Teile ans dem entlassenen Söldnerheere Wallensteins neu
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geworbene Armee nicht, wie man gehofft, unter Führung Maximilians von Bayern gestellt, sondern unter Tilly dem Feinde entgegen gesandt.
Dem Administrator war es gelungen, nach Magdeburg zurückzukehren. Er dachte mit Hülfe eines dort erregten Aufstands die Kaiserlichen zn vertreiben. In der Stadt selbst bestanden verschiedene Parteien; das Volk, die Gesellschaft der „Dingedankbrüder", waren den Kaiserlichen und der katholischen Liga feind. Sie widersetzten sich der Ausführung des Restitutionsedikts. Die regierende Partei des Rats verlangte Neutralität. Schon Wallenstein hatte die Stadt zwar belagert, aber gegen Zahlung von 10000 Thalern freigegeben (1629). Nun war mit Hülse der Hansestädte der verhaßte alte Rat abgesetzt, und der Administrator, mit dem Gustav Adolph schon früher unterhandelt hatte, zurückgerufen worden.
Da der König nicht gleich im stände war, selbst zur Hülfe der durch Tilly bedrängten Stadt aufzubrechen, sandte er einstweilen seinen kriegserfahrenen Oberst Diether von Falkenberg, die Vertheidigung Magdeburgs zu leiten. Thörichterweise waren die städtischen Truppen auf die Umgegend des Stadtgebiets verteilt, und der bedrängte Administrator sandte Boten über Boten an Gustav Adolph, daß er zu seiner Hülfe heran eilen möchte.
. Obgleich das deutsche Volk den Schwedenkönig überall jubelnd als Erretter begrüßte, so legten ihm die deutschen Fürsten zumeist nur Hindernisse in den Weg Wenn es ihm trotzdem gelingen mochte, den ossenen Anschluß Brandenburgs und Sachsens zu gewinnen, so war sein Sieg über die Kaiserlichen kaum zweifelhaft. Darum hatte Tilly dem Kaiser Ferdinand dringend geraten, mit Schweden friedlich zu verhandeln. Er fand kein Gehör; auch Gustav Adolph schlug einen ihm von Tilly gebotenen Waffenstillstand ans. Doch hatte dieser zunächst das Vordringen der Schweden nicht gehindert, vielmehr immer auf Verstärkungen gewartet. Als aber Gustav Adolph Dernmin und Kolberg erobert hatte, ohne sich Neubrandenburg zu sichern, nahm es Tilly in mörderischer Belagerung, wofür sich die Schweden durch Eroberung und Zerstörung Frankfurts a. O. und Landsbergs a. W. rächten.
Unterdessen hatten die deutschen Fürsten fein bedächtig zu Leipzig beraten (1631), ob sie dem Schwedenkönig wohl trauen könnten und ihm willig sein sollten. Man war aber nur zu dem Entschluß gekommen, eine Beschwerdeschrift an den Kaiser zu senden. Auch wollten alle dem Restitutionsedikte entgegen treten, das ihren landesherrlichen
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Besitz bedrohte. Doch sollte auch die Selbständigkeit der deutschen Fürsten eben so wohl gegen den Kaiser, wie gegen die Schweden zu wahren sein.
„Ach die armen lutherischen Hündlein,
Halten zu Leipzig ein Konventlein.
Was wollen sie machen? Ein kleines Krieglein.
Wer soll ihn führen? Das schwedische Königlein!"
So begann ein Spottlied, das man auf den Gassen sang, und die protestantischen Fürsten handelten dem entsprechend. Der sächsische Kurfürst Johann Georg verweigerte jede Hülfe, gestattete auch nicht den Durchzug der Schweden durch Wittenberg, obgleich Gustav Adolph bittend drohte, es sei Sachsens Schuld, wenn Magdeburg fallen würde. Kurfürst Georg Wilhelm von Brandenburg hatte auch nur Klagen über die Erpressungen der Kaiserlichen. Hatte er sich doch selbst geweigert, im Interesse der Evangelischen den Fürstentag zu Regensburg zu besuchen, weil er „dazu keine Mittel habe." Und doch hoffte seine Gemahlin, eine Schwester des Winterkönigs Friedrich V., auch für diesen von den Schweden Hülfe. Statt sich mit seinem königlichen Schwager Gustav Adolph zu verbinden (dieser war mit der Schwester des Kurfürsten vermählt), hinderte Georg Wilhelm den Durchgang der Schweden durch die Mark, der nun erzwungen wurde. „Mit fliegenden Fahnen und brennenden Lunten" zog Gustav Adolph vor Berlin. Die Kurfürstin Elisabeth Charlotte ging mit ihren Kindern hinaus in das schwedische Lager, Schonung für die Stadt zu erbitten, die großmütig gewährt wurde. Der Kurfürst, dessen Gast jetzt Gustav Adolph wurde, entschuldigte sich, daß er sich allen Soldaten, auch den Schweden gegenüber in einer gewissen Notwehr befinde; denn „welche Kosten, wenn nicht austrägliche Mittel vorhanden wären, durch die Soldateska erzwungen werden müßten, da sie nicht vom Winde leben und aus lediger Hand essen könnte."
Wenngleich die Schweden nun ungehindert weiter zogen, Brandenburg sogar die Festung Küstrin zum Waffenplatz für die Schweden hergeben mußte, kamen sie doch für Magdeburgs Rettung zu spät. Mit einem vereinten kaiserlich-ligistischen Heere war Tilly ungestört durch Kurbrandenburg nach Magdeburg gezogen, das schon Graf Pappenheim mit kaiserlichen Truppen umschlossen hielt. Am 20. Mai 1631 wurde die Stadt durch Tilly und Pappenheim zerstört, während Gustav Adolph sich noch mühte, sich den Weg dahin frei zu machen.
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Der unermüdliche schwedische Oberst Diether von Falkenberg hatte den 30 000 Mann Belagerungstruppen außer der hilfreichen Bürgerschaft nur 2000 Fußsoldaten und 300 Reiter entgegen stellen können; aber die Hoffnung, daß Gustav Adolph noch rechtzeitig kommen und die Belagerungstruppen im Rücken angreifen würde, belebte den Mut der Magdeburger Besatzung. Täglich hatten die Kaiserlichen gegen 1800 Kugeln in die Stadt geschossen; als darum plötzlich die Kanonade verstummte, glaubten die Magdeburger darin das Nahen Gustav Adolphs vermuten zu dürfen und gaben sich nachlässiger Ruhe hin. Plötzlich wurde die Stadt von vier Seiten zugleich angegriffen und überrumpelt (20. Mai 1631). Die Pappenheimer erstiegen zuerst den Wall und jagten die Besatzung vor sich her. Zwar gelang es Falkenberg, die Fliehenden zum Stehen zu bringen; aber schon waren die Kaiserlichen auch von andern Seiten in die Stadt gedrungen, und der tapfere Falkenberg sank tötlich getroffen an der Spitze seiner Truppen nieder. Unaufhaltsam rückten jetzt die Sieger vorwärts, und die Gräuel ihrer Verwüstung kannte keine Grenzen. Kein Alter und Geschlecht wurde verschont. Die Kroaten spießten kleine Kinder auf und warfen sie in das prasselnde Feuer. Das Wehegeschrei der Mißhandelten mischte sich mit dem wüsten Toben der Soldaten, und die Fliehenden rannten nur um so schneller in ihr Verderben. Von den Flammen vernichtet, unter der Grausamkeit der Soldaten umgekommen, hatten 20 000 Einwohner Magdeburgs an einem Tage ihr Leben verloren. Nur 5000 Menschen sollen darin übrig geblieben sein.
Der Dom, die Liebfrauenkirche und einige Fischerhütten an der Elbe waren die kläglichen Reste einer der mächtigsten Städte Deutschlands, und Pappenheim mochte an den Kaiser berichten, daß „seit Trojas und Jerusalems Zerstörung solcher Sieg nicht sei gesehen worden." Doch soll die Schuld solcher Zerstörung nicht Tilly treffen; vielmehr bezeichnete er den Brand der Stadt in einem Berichte an den Kurfürsten Maximilian als ein großes Unglück. Auch hielt er beim Einbrüche der Nacht einen Kriegsrat ab, wie dem Sturm und Brand zu wehren sei. Er ließ allen, die im Dome eine Zuflucht gefunden hatten, Gnade verkünden, und jede mögliche Vorkehrung treffen, dem Elend der Aermsten zu wehren. Nur der gefangene Administrator Magdeburgs wurde als der an allem Elend Schuldige gefangen nach Wien abgeführt. Dort trat er später zur katholischen Kirche über-Die Katholiken aber höhnten über den Fall der stolzen Stadt:
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„Vor Jahren hat die alte Magd Dem Kaiser einen Tanz versagt;
Jetzt tanzt sie mit dem alten Knecht,
S'geschieht dem stolzen Mädchen recht."
Aufs höchste empört über Magdeburgs Unglück, dem Gustav Adolph nicht hatte wehren können, zwang er jetzt den Kurfürsten von Brandenburg unter der Drohung, er werde sonst Berlin in den Grund schießen lassen, zu einem Bündnis mit Schweden. Ihnen mußten während der Kriegsdauer Spandau und Küstrtn überlassen bleiben; ja es war bei den Verhandlungen der Buudesakte, deren Abschluß feierlich in Berlin begangen wurde, unter den beiden Schwägern sogar von der Verlobung des Kurprinzen Friedrich Wilhelm (große Kurfürst) mit der schwedischen Königstochter Christina die Rede.
Auch jetzt noch suchten die Schweden Magdeburg zu erreichen; aber Tilly, der inzwischen auch Erfurt eingenommen hatte, zog ihnen mit verstärkten Heeresmassen entgegen, mußte aber dem festen Lager Gustav Adolphs bei Werben am Einfluß der Havel in die Elbe weichen. Dieser drang jetzt ungehindert bis Mecklenburg vor, setzte dort die vertriebenen Herzöge wieder ein, ließ sich aber als deren Oberherrn anerkennen und huldigen.
Zn dieser Zeit trat der tapfre Herzog Bernhard von Weimar in schwedische Dienste. Landgraf Wilhelm von Hessen huldigte dem schwedischen Könige als Vasall und versprach als solcher 10,000 Mann Hülfstruppen zu stellen. So war Gustav Adolphs Stellung in Deutschland wesentlich günstiger geworden, und als jetzt der Kaiser seinen Feldherrn Tilly beauftragte, den sächsischen Kurfürsten Johann Georg für seine Teilnahme am Leipziger Kongreß und für seine Unentschiedenheit dem Reiche gegenüber zu bestrafen, suchte auch dieser Zuflucht bei Gustav Adolph. Denn schon hatte Tilly die Städte, Halle, Merseburg, Naumburg, Zeitz und Weißenfels erobert und drückte sie mit ungeheuern Steuern.
Einst hatte der Kurfürst nichts von einem Bündnis mit den Schweden wissen wollen; jetzt bot er es ihnen voller Angst selbst an. Zunächst nahm Gustav Adolph die sächsischen Gesandten ziemlich kühl auf, und als er sich endlich willig zeigte, mit Johann Georg einen Bundesvertrag abzuschließen, stellte er harte Bedingungen. Der Kurfürst solle ihm Wittenberg einräumen, den schwedischen Truppen dreimonatlichen Sold zahlen, selbst seinen ältesten Sohn als Geisel schicken und alle schlechten Ratgeber zur Bestrafung ausliefern.
Born hak, Unser Vaterland. 01
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„Nicht nur Wittenberg, ganz Sachsen soll der König zum Unterpfande haben," ließ der geängstete Kürfürst antworten. „Und nicht nur einen Prinzen, meine ganze Familie, ja mich selbst will ich als Geisel bieten, und alle Verräter, die mir der König anzeigt, sollen bestraft werden." Da hatte Gustav Adolph Mitleid mit dem alten, schwachen Kurfürsten und ließ von seinen harten Forderungen ab. Nur einen cinmonatlicheu Sold zahlte Sachsen als Kriegshülfe und schloß mit Schweden einen Bund, „vereint zu stehen und zu fallen."
Darauf wurde das sächsische Heer mit dem schwedischen vereinigt, und beide zogen gegen Tilly, mit dem sie nicht weit von Leipzig bei dem Dorfe Breitenfeld zusammenstießen. Noch besann sich Gustav Adolph, ob er den Angriff wagen sollte (17. Sept. 1631); aber von Johann Georg gedrängt, der die Kaiserlichen sobald als möglich aus Sachsen getrieben haben wollte, gab er nach. Das Feldgeschrei der Kaiserlichen war: „Jesus Maria!", das der Schweden und Sachsen: „Gott mit uns!" Tilly rückte schon in Siegesstimmung heran; er hatte sich eben der Stadt Leipzig bemächtigt und stürmte in der Hitze des Kampfes so heftig auf die Sachsen ein, daß sich ihre Glieder schon beim ersten Angriff lösten, und der Kurfürst ohne Hut samt seinen Soldaten eiligst die Flucht ergriff.
Doch Gustav Adolph löste mit seinen Schweden die Ehre der Schlacht. An seinen fest geschlossenen Reihen prallten die Angriffe der Kaiserlichen gleich spielenden Wellen am Felsblock ob. Siebenmal nach einander schlugen die Schweden allein die Pappenheimische Reiterei zurück. Nun durchbrach der schwedische General Horn die Reihen der Feinde. Tilly mußte von der Verfolgung der Sachsen ablassen und seine Truppen gegen die Schweden richten, deren König selbst die Höhen erstürmte, auf denen das feindliche Geschütz aufgerichtet war. Er wandte es zurück aus die Kaiserlichen, und es trat eine solche Verwirrung, ein so furchtbares Handgemenge ein, daß Freund und Feind sich nicht zu unterscheiden vermochten. Ein schwedischer Oberst war Tilly so nahe gekommen, daß er mit der umgekehrten Pistole auf ihn einschlug, und nur ein Schuß des Herzogs von Lauenburg, der den Schweden niederstreckte, rettete Tilly das Leben. Sieben tausend Gefallene des kaiserlichen Heeres bedeckten das Schlachtfeld; die andern flohen in wilder Hast. Gustav Adolph aber kniete aus dem Leichenfelde nieder und rief laut mit zum Himmel erhobenen Händen: „Dank Dir Gott, Dank Dir für deinen Sieg!"
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Nun erfuhr der königliche Sieger, wohin er kam, fast abgöttische Verehrung; man prägte Medaillen mit seinem Bildnis und trug sie ihm zu Ehren. Lieder priesen den siegreichen Helden und spotteten Äber den „sächsischen Konfekt", der Tilly und seinen Konfektnäschern auf einem starken Tisch in einem „breiten Felde" dargeboten sei.
Am Tage nach der Schlacht traf Johann Georg mit seinen Sachsen auch wieder bei Gustav Adolph ein, der ihn trotz der schmählichen Flucht freundlich empfing, ihm sogar dafür dankte, daß er zur Schlacht geraten habe. Doch sandte ihn Gustav Adolph mit seinem Heere nach Böhmen, während er selbst nach Bayern vordringen wollte, zuerst über den Thüringer Wald nach Franken, dort die geistlichen Stifter zu bekriegeu, einen Zug zu thun „längs der Pfassengasse".
Mit großem Unwillen hatte der Kaiser von der Niederlage der Seinigen, von der wachsenden Macht des „Schneekönigs" vernommen. Mit Tilly hatte der Kaiser kein Glück, so meinte er, und Wallenstein sollte wieder den Sieg an die kaiserlichen Fahnen heften.
Aber Wallenstein zögerte, dem Rufe Ferdinands zu folgen: er that, als sei ihm das ganze Kriegsgetriebe gleichgültig. An seinem Hofe herrschte noch mehr, als einst, kaiserliche Pracht. Täglich bedienten ihn sechzig Edelknaben in himmelblauem Sammt mit Gold gekleidet, und zwanzig Kammerherren, deren einige sogar des Kaisers Dienst verlassen hatten, harrten der Winke ihres mächtigen Gebieters. Im Schloßhofe that eine Leibwache von fünfzig
Hellebardieren Wache, und dreihundert Pferde standen in den Ställen ■an marmornen Krippen. In den glänzenden Festsälen sammelten sich viel frohe Gäste um den einen stillen, ernsten Mann Wallenstein, der schweigend beobachtete, und mit seinen feurigen klugen Augen stolz um her schaute, als ginge ihn die ganze übrige Welt nichts an. Er selbst war einfach ritterlich gekleidet; ein Reiterkoller von Elens-Haut, eine rote Leibbinde, ein scharlachner Mantel, das war seine gewöhnliche Tracht, dazu große Stulpenstiefel und ein Hoch aufgestutzter Hut mit lang herabwallender roter Straußenfeder. So schritt er oft inmitten der Nacht allein über den Schloßhof, wie lauschend schaute er empor zu den Sternen, als sei er nur ein Träumer, und doch war er mehr wach,
als alle die andern um ihn her.
„Ich bin nicht gesonnen, mir eine undankbare Arbeit aufzubürden, ich wünsche meine Tage in Ruhe zu beschließen", antwortete
Wallenstein den kaiserlichen Gesandten, die seinen gekränkten Stolz ver-
öl*
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söhnen und ihn um Hülfe bitten sollten. Denn er unterhandelte mit Gustav Adolph, der ihm sogar die böhmische Königskrone zusicherte^ wenn auch zunächst nur als Vizekönig. Dafür war Wallenstein bereit, nach Wien zu marschieren, sobald Gustav Adolph 12 000 Mann nach Böhmen entsandt haben würde, um dann mit den Sachsen vereint in die österreichischen Lande einzubrechen.
Gustav Adolphs Weg durch Deutschland war ein Siegeszug. Böhmen war leicht in Besitz genommen, dabei Wallensteins Besitz vorsichtig geschont worden, und schon richteten die Schweden in Würzburg eine „schwedische Landesregierung" ein. Gustav Adolph ließ sich als Landesherr huldigen, wohin er kam. Von allen Seiten eilten jetzt die Fürsten und Großen des Reiches herbei, dem gewaltigen Sieger als ihren Herrn zu begrüßen, das Volk suchte das Gewand des Königs oder die Scheide seines Schwertes zu küssen oder nur zu berühren. Gustav Adolph selbst sagte zu den Seinen: „Ist es nicht, als ob dieses Volk mich zum Gotte mache? Unsre Sachen stehen gut; aber ich fürchte, bie Rache des Himmels werde mich für dieses verwegene Gaukelspiel strafen, um diesein thörichten Haufen meine schwache, sterbliche Menschheit früh genug zu offenbaren."
Ueber Frankfurt, das dem König freiwillig die Thore öffnete, eilte er nach Oppenheim und weiter, eroberte Mainz und hatte bald alle Orte zu beiden Ufern des Mittelrheins in Besitz. Selbst die Bischöfe von Worms und Speyer schlossen sich dem Sieger an. Bald jauchzte ganz Bayern dem Schwedenkönig entgegen, auch ein Teil der Donaulinie war in seiner Hand/ Da mochte es dem Kaiser bange werden um die eigne Krone, und feine Verlegenheit wuchs aufs höchste, als sein Feldherr Tilly, der Sieger in 36 Schlachten, beim Uebergang über den Lech tätlich verwundet worden war und vierzehn Tage später
starb (15. April 1632).
Willig hatten die bayrischen Städte den Schweden die Thore geöffnet; denn die Bürgerschaft war zumeist evangelisch gesinnt und wollte lieber schwedisch als katholisch sein. So wurde der Krone Schweden feierlich in der freien Reichsstadt Augsburg gehuldigt; der Münchener Stadtrat überreichte Gustav Adolph kniend die Schlüssel der Stadt. Die Furcht vor dem mächtigen Sieger schwand überall b.ald vor der Huld und Milde des frommen Königs, und die strenge Mannszucht seines tapferen Heeres war Bürgschaft, daß dem friedlichen Bürger kein Unrecht geschehen würde. So war yreude und Jubels
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wohin Gustav Adolph kam. Aber Maximilian von Bayern, dem sein Land so leichten Herzens den Rücken kehrte, suchte Hülfe, wo er sie finden mochte, zuletzt bei Frankreich, das ihm heimlich Hülfe zusagte gegen das Zugeständnis, das linke Rheinufer von Koblenz bis Konstanz ungehindert besetzen zu dürfen. Der Rhein die Grenze zwischen Frankreich und Deutschland!
Endlich hatte der Kaiser den trotzigen Wallenstein aufs neue gewonnen. Kaum war es bekannt, der Friedländer werbe, so strömten die Massen herbei, und wie durch Zauberschlag. stand ein mächtiges Heer gerüstet da. „Das Heer ist da", schrieb er nach Wien, „nun schicket einen Führer!" Und wieder bat der Kaiser flehentlich, das; Wallenstein den Oberbefehl übernehmen möchte. Er that es, aber unter Bedingungen, die dem Feldherrn kaiserliche Gewalt einräumten. Er verlangte unbeschränkten Oberbefehl. Weder der Kaiser noch sein Sohn sollten je beim Heere erscheinen dürfen. Doch mußte der Kaiser alle Mittel zum Kriege gewähren und seine Erbländer dem Wallen-steinschen Heere jederzeit zum Durchgang offen lassen.
Wenn Maximilian von Bayern in erster Linie auf Hülse für sein Land hoffte, so sah er sich bitter getäuscht; denn Wallenstein brach zunächst nach Böhmen auf, die Sachsen daraus zu vertreiben, während die Schweden ungehindert sich weiter in Bayern ausbreiteten. Wallenstein sah mit Wohlgefallen der Bedrängnis feines einstigen Nebenbuhlers zu. Erst auf langes vergebliches Bitten, und nachdem er den. Kurfürsten gleich einem Vasallen zu sich nach Eger beschießen hatte, wo Maximilian unbedingte Unterwerfung gelobte, zog der Friedländer nach Nürnberg, wo auch Gustav Adolph ein festes Lager bezogen hatte. Der König wollte die Stadt schützen, damit ihr das Geschick Magdeburgs erspart bleiben möchte. Wallenstein konnte dem schwedischen Heere von 34,000 * Mann ein Reichs he er von 80,000 Mann entgegenstellen. Diese Heeresmassen mußten auf verhältnismäßig engem Raum ihren Unterhalt finden, und das arme Land litt schwer barunter. Darum hätte Gustav Adolph gern eine baldige Entscheidung herbeigeführt; aber unbeweglich standen die Kaiserlichen elf Wochen lang auf den Bergeshöhen, jede Bewegung der Feinde beobachtend, die ihre Lage gleich einer Falle empfinden mochten, aus welcher schwer zu entkommen war.
Da in dem durch Hunger und Entbehrung geschwächten Heere der Schweden eine Seuche ausbrach, wagte Gustav Adolph einen Sturm
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auf das wallensteinsche Lager, der ihm 2000 Soldaten kostete. Die Uebrigen zogen mit klingendem Spiel am Lager der Feinde vorüber, und Gustav Adolph dachte, nachdem er Bernhard von Weimar mit einer Heeresabteilung nach Franken gesandt, den Krieg in Bayern weiter zu führen. Statt ihm zu folgen, richtete Wallenstein seinen Lauf nach Sachsen, sich den Kurfürsten als Bundesgenossen zu gewinnen oder vielmehr zu erzwingen. Darum ließ Gustav Adolph alle in Bayern errungenen Vorteile int Stich, dem Hülferuf Johann Georgs zu folgen. In Erfurt traf er noch einmal mit seiner Gemahlin zusammen; sie sah ihn hier lebend zum letzten Male.
Mit unbeschreiblichem Jubel wurden die Schweden in Sachsen begrüßt. Gustav Adolph erschien Fürst und Volk als ein von Gott gesandter rettender Engel. Aber die Kaiserlichen glaubten, ihn jetzt nicht fürchten zu dürfen, da die vorgerückte Jahreszeit ungünstig für eine Schlacht erschien. Indeß sandte Wallenstein eine Heeresabteilung nach Halle, dort die Moritzburg zu nehmen. Später sollten acht Regimenter einen Winterfeldzug nach dem Rhein machen. Er selbst wollte bei Leipzig, das er soebeu erobert halte, Winterquartier nehmen.
Diese Lage der Dinge schien Gustav Adolph günstig, einen Angriff zu wagen, den er immerhin so lange hätte verzögern können, bis die Pappenheimer weiter entfernt gewesen wären. So aber ließ ihnen Wallenstein den Befehl zu gehen, zurück zu kommen. Sein eigenes Hauptquartier verlegte der kaiserliche Feldherr nach Lützen, wo er am Abend des 15. November 1632 den Schweden kampfgerüstet gegenüber stand.
Düsterer Nebel ruhte am Morgen des folgenden Tages auf der Ebene, in welcher sich das Geschick der feindlichen Heere entscheiden sollte, und trübe Ahnungen erfüllten das Gemüt Gustav Adolphs. Nachdem er während der Nacht feinen Feldherren den Schlachtplan aufs Genauste mitgetheilt, hatte er, falls er im Kampfe den Tod finden sollte, Bernhard von Weimar die Führung des Heeres übertragen. Die aufgehende Sonne lichtete den Nebel, und wie allezeit bereitete sich auch hier Gustav Adolph durch Gebet zum Kampfe vor. Nachdem die Musiker in erster Morgenfrühe „Eine feste Burg ist unser Gott" geblasen hatten, fangen die schwedischen Heere vereint den 67. Psalm, und der König schloß mit dem lauten Gebete: „Das walt Gott, Herr Jesu. Jesu hilf mir streiten zu Deines heiligen Namens Ehre!"
Unter dem Rufe: „Gott mit uns" stürmten die Schweden gegen die Kaiserlichen; doch streckte ein mörderisches Feuer viele der Anstürmenden
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nieder. Auf beiden Seiten wurde mit höchster Tapferkeit um den Sieg gerungen. Zweimal drangen die Schweden siegreich vor, eroberten die feindlichen Kanonen und richteten sie gegen die Kaiserlichen, aber eben so oft wurden sie vom Feinde wieder zurückgeworfen. Endlich behauptete ihr rechter Flügel, an dessen Spitze der König stand, den Sieg. Da gelangte die Kunde zu ihm, daß der linke Flügel seines Heeres schwanke. Mit Blitzesschnelle eilte Gustav Adolph hinüber, ohne darauf zu achten, daß er, nur von wenigen Getreuen gefolgt, sich zu weit vou den Seinigen entfernt hatte. Da zerschmettert ihm der Schuß eines kaiserlichen Scharfschützen den linken Arm und als er sich, einer Ohnmacht nahe, durch den Herzog von Lauenburg aus dem Gefecht führen lassen will, trifft ein zweiter Schuß ihn in den Rücken. Mit dem Rufe „Mein Gott!" sinkt der König vom Pferde, und Freuud wie Feind stürmen in wildem Handgemenge über den Gefallenen hin.
Ist wohl behauptet worden, daß die tötliche Kugel von einem Verräter im eigenen Heere, vielleicht vom Herzog von Lauenburg, abgefeuert wurde, so berichtet andererseits die Geschichte, daß ein feindlicher Oberst, namens Falkenberg, so nahe an den König heran gekommen fei, daß er mit dem Wort: „Treff ich Dich hierdie Kugel aus nächster Rähe auf den König abgefeuert habe, oein treuer Page Leubelfingen suchte vergeblich den königlichen Herrn aus dem Gefecht zu schleppen. Als er, ein treuer Wachtposten, neben ihm stand, fragten feindliche Kürassiere, wer der verwundete Offizier sei, und Gustav Adolph selbst nannte seinen Namen. Daraus erst jagten ihm die feindlichen Soldaten eine Kugel durch den Kopf, daß er auf der Stelle tot zusammen sank. Auch der Page wurde tötlich verwundet, lebte aber noch einige Tage; von ihm stammt dieser Bericht. Als das königliche Pferd ohne seinen Herrn dahin raste, wußten die Schweden, daß ihr König gefallen ivar, und voll schmerzlicher Rache und maßloser Erbitterung stürmten sie aufs neue gegen die Kaiserlichen, die schon zu weichen begannen. Jetzt rückte der Pappenheimer von Halle her auf das Schlachtfeld, drängte zwar die Schweden zurück, fiel aber selbst an der Spitze seiner Truppen. Die Kaiserlichen mußten weichen, und — ein trauriger Sieg — die Schweden behaupteten das Schlachtfeld, auf dem sie während der ganzen Nacht ihrem Könige die Toten-wacht hielten. Erst am anderen Morgen fanden sie ihn, von Leichen bedeckt, von Blut überströmt, völlig entkleidet. Seine Leiche wurde
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zuerst nach Weißenfels gebracht, bort einbalsamiert, aber erst im folgenben Jahre über Wolgast nach Rostock überführt. Gustav Abolphs ungewöhnlich großes Herz würbe in eine golbne Kapsel gethan, bie seine Gemahlin an sich nahm.
Das ganze protestantische Deutschlaub beklagte ben Tob bes gefallenen Helben, ber „Hauptsäule bes Evangeliums." Selbst Kaiser Ferbmanb soll beim Anblicke bes blutigen Kollers, bas ihm nach Wieu gesaubt wurde, sehr bewegt gewesen sein. Doch ließ er ein Tebeum absingen, als hätte er einen Sieg bei Lützen erfochten. Gustav Abolphs Tob bebeutete für ihn mehr als einen Sieg. Selbst ber Papst ließ bem protestantischen Könige, ber „beut gefahrvollen Emporkommen bes Hauses Oesterreich einen Damm entgegen gesetzt", eine Trauermesse abhalten.
Jebenfalls war Gustav Abolph, eine ber größten Helbengestalten aller Zeiten, seinem Lanbe zu früh entrissen, als baß er es zu ber geplanten Machtentfaltung hätte führen können. Aber selbst wenn ber Vorwurf nicht unberechtigt sein mag, baß er neben religiösen Zielen selbstsüchtige, politische Zwecke im Auge hatte, war etwa einer ber beutschen Fürsten selbstloser? Auch hätte Gustav Abolph beu Protestantismus nicht ohne politische Macht zu schützen vermocht. Aber neben ber GlaubeuSschwäche und Lauheit ber Fürsten jener Zeit bleibt er als Helb nnb Märtyrer seines Glaubens groß für alle Zeiten.
Dem Willen bes toten Königs gemäß übernahm ber kluge Kanzler Axel Oxenstierna unter Genehmigung ber Reichsstänbe als Reichsverweser bie Verwaltung ber schwebischen Verhältnisse in Deutschland in uneingeschränkter Vollmacht, ba bie Thronerbin Christina erst sieben Jahre alt war. Das Oberkommanbo ber protestantischen fchwebisch-beutscheu Heere würbe Bernharb von Weimar übertragen, ber auch bie Bistümer Bamberg uub Würzburg unter bem Titel eines fränkischen Herzogtums zu Lehen erhielt. Doch mußten bie Schweben balb bie angestrebte Lehnshoheit in Deutschland aufgeben; beim ber eigentliche beherrschend Wille fehlte, welchem alle zu folgen bereit waren. Auch hatte ber Krieg bie Einfachheit, ben schlichten, frommen Gehorsam ber Schweben, in bem sie einst mit ihrem König nach Deutschlaub gekommen waren, im Laufe ber Zeit gewaubelt.
Obgleich Oxenstierna auch bett beutschen Fürsten bereitwilligst alles gewährte, was Gustav Adolph ihnen zugesagt hatte, wie bie als Entschäbigung versprochenen geistlichen Lanbesteile, so würbe es boch
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immer schwieriger, die Herren betn Willen ber Schweben fügsam zu halten, unb vergeblich versuchte Drenstierno zu Heilbronn, ein dauernbes Bünbnis ber Protestanten fertig zu bringen. Kleinliche Eifersucht hemmte größere Unternehmungen, obschon bie Heeres macht ber Protestanten bie Oberhanb in Dentschlanb hatte. Der Kurfürst vou Sachsen hielt es unter seiner Würbe, von bem schwebischen Kanzler Befehle anzunehmen. Die schwebischen Generale Horn, Torstenson, Bauer unb Thurm wollten bem Oberbefehle Bernharbs von Weimar nicht folgen. Jeber hnnbelte nach eignem Gntbünken, ging eigne selbstsüchtige Wege.
Jetzt hätte Wallenstein, ber zu Prag strenges Strafgericht über seine besiegten Offiziere hielt, bie protestantischen Heerführer einzeln leicht besiegen mögen; aber schon wieber uerbächtigte man ihn beim Kaiser. Er bezeigte vielleicht schon bemtm wenig Lust, besten Interessen zu verfechten. Das alte Gerücht tauchte wieber auf, baß Wallen-stein mit beit Protestanten heimlich gemeinsame Sache mache, itnb bie Anklage schien berechtigt. Denn währenb Bayern aufs härteste von ben Schweben bebrängt würbe, unterhanbelte Wallenstein lange mit Oxen-stiertta unb Bernharb von Weimar, suchte Sachsen von Schweben zu trennen, Brandenburg zu einem besonbern Frieben zn bewegen. In beiben Länbern hausten seine Truppen wie in Feinbeslanb. Auf Drängen des Kaisers sanbte Wallenstein einige tausenb Reiter nach Bayern; aber sie vermochten bas belagerte Regensburg nicht zu retten.
Wallenstein selbst zog, ohne bes Kaisers Befehle zu beachten, nach Böhmen, bas seiner Hülfe garnicht beburfte, unb ber ausgesprochene ■Iseibacht schien sich zu bestätigen, baß er sich bie böhmische Krone ver-ichaffen wollte. Hatte ihm boch Frankreich bazu jebe mögliche Hülfe unb Unterstützung zugesagt. So mußte bes Frieblänbers Verhältnis zum Reiche unhaltbar werben, unb er mochte nur eine Probe wagen, als et ben Obersten seiner Regimenter eröffnete, er wolle um ber vielen $cinbe willen am Hose bas Kommanbo seines Heeres nieberlegen. i^hrer ^'Otberungen wegen sollten sie sich an ben Kaiser wenben. Ueber diesen unerwarteten Entschluß erschrocken, baten bie Offiziere ben Herzog, boch bei bei- Armee bleiben zu wollen, er versprach, ihrem Wunsche so lange nachzukommen, bis ihre Zukunft gesichert sei. Zugleich stellte einer ber Generale, Jllo, bett Uebrigen vor, baß es jetzt aller Ehrenpflicht sei, nun ihrerseits ebenso zum Herzog zu halten. Bei einem Gastmahl legten x>llo unb Terzky ein Schriftstück vor (12. Jan. 1634),
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nach welchem alle beim Herzog bis zum letzten Blutstropfen bleiben nnb einen jebeu, der bas nicht thue, als Ehrlosen an Hab nnb Gut, Leib uub Lebeu bestrafen wollten.
Anfangs hatte biese Erklärung noch beu Zusatz gehabt, baß bies nur geschehen solle, so lange Wallenstein in bes Kaisers Dienst stehe. Als aber währeub ber Tafel nur bas unbebiugte Gelöbnis ber Treue gegen ben Herzog gefordert würbe, verweigerten viele Obersten ihre Unterschrift, anbre unterzeichneten.
Die Knnbe bavon kam balb an ben kaiserlichen Hof nnb biente ben Feinden des Herzogs als gute Haubhabe, thu als Verräter barzustellen, bessert Sturz notwenbig sei. Nur schwer entschloß sich Kaiser Ferbinanb bazn, den mächtigen Heerführer abzusetzen uub ben Oberbefehl einem seiner Feinde namens Gallas zu übertragen. Ein zweites Schriftstück bes Kaisers bezeichnete beu Herzog öffentlich als Verräter.
Zwar übersah jetzt Walleustein nicht völlig bie Gefahr, in ber er sich befand; boch suchte er zu seiner Sicherung ben Herzog von Weimar zu bewegen, sich mit ben Sachsen ber böhmischen Grenze zu nähern. Die zahlreichen Feinde Wallensteins hatten ein aufmerksames Auge auf dessen Bewegungen; besonders waren Oktavio Piccolomini unb Albringer, bie er für feine vertrauten Freuube hielt, geschäftig, ihm überall zuvor zu kommen. Schon war ber heimliche Befehl ausgegangen, sich bes Frieblänbers unb seiner beiben Vertrauten, Jllo unb Terzky, tot ober lebenbig zu bemächtigen. Die Truppen waren zum großen Teile für ben Kaiser gewonnen, als Wallenstein mit brei Regimentern wenigstens eine feste Stellung in Eget' zu gewinnen suchte. Er glaubte sich bort geborgen, als Offiziere, bie er selbst aus bent Staube gehoben, einen Morbplan gegen ihren Führer schmiebeten uub sich schou jetzt um seinen Nachlaß, um feine Häuser, Pserbe uub Kostbarkeiten stritten. Es waren bie Schotten Gorbon unb Butler uub ber Irländer Leszlie. Zuerst sollten beö Herzogs Freuube während eines Gastmahls ums Leben gebracht werden. Einige Hauptleute, Deveroux, Macdouald, Bisch, Geralbiu uub aubere würben als Mörder gewonnen. Sie setzten sich an betn verhängnisvollen Abeitbc mit Gorbon, Bntler uub Leszlie nebst vielen Getreuen bes Herzogs zu Tisch. Plötzlich würbe bie Thür aufgerissen nnb Geralbin rief: „Holla, ivet ist gut kaiserlich!" uub
„Hoch lebe Ferbinanb!" Bei ben verabrebeten Worten traten Gorbon, Bntler unb Leszlie zur Seite, sich zu schützen, und das Blutbad begann.
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Selbst die Dienerschaft des Herzogs im Schloßhofe wurde niedergemacht, nachdem man die Brücke aufgezogen hatte. In der Stadt Eger herrschte nächtliche Stille; man hatte nichts von diesem mörderischen Ueberfall gemerkt, und die Verschwörer gelangten ungestört bis zu des Herzogs Wohnung, die von allen Seiten besetzt wurde. Daun stürmte der Schotte Deveroux mit seinen Dragonern die Treppe hinauf zu des Herzogs Schlafgemach, wo ein Kammerdiener feinen Herrn mit dem Rufe: „Rebellen, Rebellen!" erweckte. Als Deveroux die Thür des Schlafzimmers aufriß, trat ihm Wallenstein unangemeldet, wie er eben das Bett verlassen, wehrlos entgegen, die Frage aus den Lippen, was es gebe.
„Bist du der Schelm," brüllte Deveroux, „der des Kaisers Volk zum Feinde überführen und seiner Majestät die Krone rauben will?"
Der Herzog schien den Verräter keiner Antwort wert zu halten unb
sah ihn nur mit kaltem, strengem Blicke an. „Du mußt sterben!" schrie nun Deveroux, und als jetzt Wallenstein die Arme zum Himmel emporhob, stieß ihm der Mörder die Hellebarde in die Brust, daß er sofort tot nieder sank (25. Feb. 1634). Der Leichnam wurde in einen Teppich gewickelt und zu den übrigen Gemordeten auf die Zitadelle gebracht. Das Alles war das Werk weniger Stunden. Die Stadt wurde bis zum zweiten Tage von stark bewaffneten Soldaten besetzt gehalten; aber niemand erhob sich für den gemordeten Herzog, an dem die Heeresmassen einst so begeistert gehangen. Mit dem Sold war
auch ihre Treue dahin.
Wallenstein war bei seinem Tode erst fünfzig Jahre alt. In ihm fiel eine der ersten Heldengrößen des dreißigjährigen Krieges. Man fand in seinen Papieren kein Zeugnis, daß er Untreue und Verrat geplant, und der Kaiser, welcher allezeit lieber an die Treue des großen Mannes geglaubt hatte, als an dessen Verrat, beweinte seinen Tob unb ließ 3000 Seelenmessen für ihn lesen. Wallensteins Güter wurden zumeist seinen Feinden geschenkt; seine Witwe erhielt die Herrschaft
Neuschloß in Schlesien.
In der Karthause zu Gitschiu, die Wallenstein gestiftet hat, fetnb er seine letzte Ruhestätte. Fünf Jahre später zerstörte sie der schwedische General Bauer frevelhaft und nahm den Schädel und den rechten Lberarm des Herzogs als Siegeszeichen mit sich hinweg.
Die poetische Glorie, mit welcher Schiller die tragische Helden-gestalt Wallensteins verklärt hat, findet ihre tiefste Begründung in dessen
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Leben, das der Herzog selbst allezeit abhängig fand von höheren Gewalten, dem fein Menschenwille zu widerstreben vermöge. Lauschend aus des Schicksals Wink, den er aus der Sterne Lauf herausliest, geht er sichern Schrittes seinen Weg, Als dieser Glaube schwankend wird, so will es scheinen, verliert Wallenstein Sicherheit und Halt. Er findet darin seinen Untergang. Es mußte sich erfüllen, was der Dichter seinen Helden ahnend fürchten läßt:
„Wärs möglich, könnt' ich nicht mehr wie ich wollte?
Nicht mehr zurück wie mir's beliebt? Ich müßte Die That vollbringen, weil ich sie gedacht.
Nicht die Versuchung von mir wies —- das Herz Genährt mit diesem Traum, auf ungewisse Erfüllung hin die Mittel mir gespart.
Die Wege bloß mir offen hab' gehalten? —
.... Wars unrecht, an dem Gaukelbilde mich Der königlichen Hoffnung zu ergötzen?
Blieb in der Brust mir nicht der Wille frei.
Und sah ich nicht den guten Weg zur Seite,
Der mir die Rückkehr offen stets bewahrte?
Wohin denn sah ich plötzlich mich geführt?
Bahnlos liegts hinter mir, und eine Mauer Aus meinen eignen Werken baut sich auf.
Die mir die Umkehr türmend hemmt!
Strafbar erschein ich, und ich kann die Schuld,
Wie ichs versuchen mag, nicht von mir wälzen;
Denn mich verklagt der Doppelsinn des Lebens,
Und — selbst der frommen Quelle reine That Wird der Verdacht, schlimm deutend, mir vergiften.
War ich, wofür ich gelte, ein Verräter,
Ich hätte mir den guten Schein gespart.
Die Hülle hätt' ich dicht um mich gezogen.
Dem Unmut Stimme nie geltet)rt. Der Unschuld,
Des unverführten Willens mir bewußt.
Gab ich der Laune Raum, der Leidenschaft, —
Kühn war das Wort, weil es die That nicht war.
Jetzt werden sie, was planlos ist geschehn.
Weit sehend, planvoll mir zusammen knüpfen.
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Und was der Zorn, und was der frohe Mut Mich sprechen ließ im Ueberfluß des Herzens, Zu künstlichem Gewebe mir vereinen Und eine Klage furchtbar draus bereiten, Dagegen ich verstummen muß . .
6. Letzte Periode des dreißigjährigen Krieges: der schwedisch-jrauMsche Krieg.
Immer weniger vertrat der Krieg religiöse Interessen. Die Selbst-erhaltung des Einzelnen im Volke, wie unter deu Fürsten, machte den langen, verderblichen € treit zu einem selbstsüchtigen Kampfe auf Leben und Tod. Die wüsten Felder lagen unbebaut, und ringsum, aus den Brandstätten, aus den leeren Häusern der Städte starrte Verderben. Hunger, Entbehrung und Krankheit rafften dahin, was der Krieg verschonte, und große Massengräber nahmen die Leichen auf, zu denen sich kaum die Totengräber fanden.
Diese allgemeine Ermattung hätte zum Frieden führen mögen,
wenn nicht der alte Erbfeind Deutschlands, Frankreich, die letzten
Funken des verheerenden Krieges zu neuer Glut entflammt hätte, dadurch seine Gelüste auf den Besitz deutscher Rheinländer zu befriedigen. Schweden dachte sich die deutschen Ostseegebiete als Siegespreis zu sichern.
An die Spitze des kaiserlichen Heeres, das durch spanische Truppen verstärkt war, trat neben Gallas des Kaisers Sohn Ferdinand (III). Er war bei den Soldaten beliebt und rechtfertigte das Vertrauen, das sein Vater in ihn gesetzt hatte.
Zunächst wandte er sich nach Bayern, die Schweden daraus zu vertreiben. Bald war er Herr der Donaustädte, nnd ein zweitägiger erbitterter Kampf bei Nördlingen (5. und 6. Sept. 1634) endigte mit der völligen Niederlage der Schweden. Zwölftausend blieben auf der Wahlstatt, viertausend wurden gefangen, unter ihnen Horn uud drei
andre schwedische Generale. Erst bei Frankfurt a. M. sonnte Bernhard vou Weimar, der voreilig zum Kampfe gedrängt hatte, die Trümmer seines Heeres sammeln. Noch trostloser wurde die Lage der Schweden, als die deutschen Fürsten, die sich ungestört bis dahin gegenseitig bekriegt hatten, sich allmälig mit dem Kaiser zu einigen suchten. Sachsen
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erklärte feinem alten Bundesgenossen Schweden den Krieg, und Oren-stierna trachtete vergeblich, sich mit Oesterreich zu verbünden.
Jetzt hielt es der französische Minister Kardinal Richelieu an der Zeit, thatkräftig in den Krieg einzugreifen, um Oesterreichs, um Deutschlands Macht vernichten zu helfen. Er schloß mit den Schweden einen Vertrag, wonach er sich verpflichtete, 12,000 Mann beim Bundesheere Zu unterhalten und eine halbe Million Hülssgelder zu zahlen, auch eine Reservearmee am Rhein aufzustellen. Dafür besetzten die Franzosen für sich den Elsaß, bekamen mehrere feste Städte am Rhein, und Frankreich erhielt eine so ausschlaggebende Stimme im Bundesrate, daß keiner der Verbündeten ohne seine Zustimmung mit dem Kaiser verhandeln durfte. Bernhard von Weimar wurde RichelieuS Feldherr. Ihm wurde im Vertrage von St. Germain ein Jahrgehalt und der Besitz des Elsaß als Landgrafschaft zugesichert. Klug wußten die Franzosen sich überall die Oberhand zu bewahren, obgleich bie Kaiserlichen zunächst siegreich waren. Ein Heer, bas Richelieu unter dem Karbinal be la Valette bem Herzog von Weimar zu Hülfe sandte, ivnrde eben so besiegt, iuie später ein anderes unter dem Herzog von Lothringen und nachmals selbst unter dem französischen Könige.
Inmitten der hochgehenden Kriegswogen starb der als leutselig gerühmte Kaiser Ferdinand II". (15. Februar 1637), 62 Jahre alt. Kurz Dor seinem Tobe war es ihm gelungen, bie Wahl seines Sohnes Ferdinand (I1J.) zum römischen König trotz aller französischen Umtriebe durchzusetzen. Sein Tod war kein Verlust für das deutsche Reich. Er hatte es im Fasten und Beten den Mönchen gleich gethan; seine Re-gieruugsgeschäste lagen zumeist in den Händen der Jesuiten, die Machtvergrößerung des Hauses Oesterreich war seine Hauptsorge gewesen, obschon er darin wenig erreicht hat. Brandenburg schloß sich jetzt an den jungen Herrscher an und stellte ihm ein Heer gegen die Schweden Zur Verfügung, deren Gelüste es fürchten mußte. Die Schweden wurden von bem kaiserlichen Felbherrti Gallas bis an bie äußersten Grenzen Pommerns zurückgebrängt; alle festen Plätze an ber Elbe gingen an bie Kaiserlichen über. Zwar faßte Bertiharb von Weimar am Rhein festen Fuß, mußte sich aber vor bem tapferen Bayerngeneral Johann von Werth zurückziehen, imb erst im solgenben Jahre gelang es den vereinten Machten, gegen den Kaiser erfolgreich vorzugehen.
Bernhard vou Weimar suchte eine deutsche „dritte Partei" zu gründen, die ohne Frankreich den habsburgischen Hebelgriffen entgegen
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treten sollte, natürlich mich zur Wahrung feines Besitzes im Elsaß. Denn Richelieu hatte ihm jede Unterstützung entzogen, feit er dessen Forderung, die Festung Breisach, den Schlüssel Frankreichs zu Deutschland herauszugeben, zurückgewiesen hatte.
Der Kaiser gedachte, Bernhard für sich zu gewinnen, als ihm der Tod zuvor kam. Der tapfere Weimarer starb, wie es hieß, in feinem Lager Nenbnrg an Gift (18. Juli 1639), und Richelieu gewann dessen Heer leicht durch Geld. Der Bruder Bernhards, den dieser zum Erben auch für feine elfäßifchen Besitzungen unter der Bedingung eingesetzt hatte, daß sie bei Deutschland bleiben sollten, erhielt nichts als den Leichnam Bernhards, den er in der fernen Heimat bestatten mochte.
Den Schweden war es zu dieser Zeit gelungen, mit Hülfe neuer Truppenverstärkungen aus der Heimat bis nach Schlesien und Böhmen vorzudringen, nachdem sie die Sachsen bei Chemnitz bis zur Vernichtung besiegt hatten. Doch vermochten sie nicht, wie einst unter Gustav Adolph, die eroberten Landstriche zu behaupten. Sie verheerten sie nur. Da berief der Kaiser einen Reichstag nach Regensburg (1640), um endlich Friedensvorschläge zu machen; aber Frankreich und Schweden waren nicht bereit dazu. Bauer versuchte sogar die Mitglieder des Reichstags samt dem Kaiser durch einen lieberfalt aufzuheben; doch wurde er zurückgedrängt und starb auf dem Rückzüge in Folge der Kriegsstrapazen. Noch einmal erglänzte das Kriegsglück der Schweden im hellsten Lichte, als jetzt ein ritterlicher Heerführer, ein Freund und Kampfgenosse Gustav Adolphs an die Spitze der schwedischen Armee und ihrer Verbündeten trat. Es war Torstenfon. Obgleich er im jugendlichen Mannesalter so von Gicht gelähmt war, daß er in einer Sänfte getragen werden mußte, war fein geistiges Uebergewicht, feine kluge Berechnung und fein Einfluß auf das Heer so gewaltig, daß er mit reißender Schnelligkeit siegreich Deutschland durcheilen konnte. Von Lüneburg ging es durch Brandenburg nach Schlesien, wo die Kaiserlichen bei Schweidnitz unter dem Herzog von Lauenburg — einst in schwedischen Diensten und Meuchelmörder Gustav Adolphs genannt — fast vernichtet wurden (31. Mai 1642). Dann eilte Jorstenfon wie im Fluge durch Mähren bis vor Wien, bas er zwar nicht gewinnen sonnte; durch ein österreichisches Heer zurückgedrängt, besiegte er die Kaiserlichen dennoch in Sachsen aus der alten Siegesstätte Gustav Adolphs bei Breitenfelb.
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Doch ein neuer Feind stellte sich den Schweden entgegen und verbündete sich mit dem Kaiser, die Dänen. Wiederum iunr Torstenson mit fast unglaublicher Schnelle aus Mähren den: Norden zugeeilt, überschwemmte mit seinen siegreichen Truppen die ganzen dänischen Lande, um ebenso schnell sich zurück, dem kaiserlichen Feld Herrn Gallas entgegen zu wenden und ihn gleich einem Wild vor sich her von der Ostsee bis zum böhmischen Gebirge zu treiben, wo er die Oesterreicher bei Jankowitz besiegte (6. Mürz 1645). Die Trümmer ihres Heeres warfen sich in wilder Flucht nach Prag, das aber Torstenson zur Seite liegen ließ, seinen Siegeslauf direkt auf Wien zu richten.
Die glänzenden Siege der Schweden machten ganz Deutschland mutlos. Die kaiserliche Familie flüchtete mit allen Schätzen nach Graz; nur der Kaiser wollte in seiner Residenz ausharren. Da wurde die Kaiserstadt ganz unerwartet dadurch gerettet, daß der Fürst von Siebenbürgen, auf dessen Hülfe Torstenson gerechnet, trotzig zuvor die Eroberung Ungarns für sich verlangte, und Torstenson sich zunächst gegen ihn wandte, sich den Rücken zu decken. Schwere Krankheit liest plötzlich den schwedischen Heerführer seineil Feldherrnstab dem General Wrangel übergeben, der mit Sachsen und Brandenburg einen Waffenstillstand abschloß. Auch der hartbedrängte Dänenkönig hatte Frieden mit den Schweden geschlossen. Der Kurfürst von Bayern folgte diesem Beispiele, schloß sich aber später wieder dem Kaiser an, der jetzt allein an der Spitze seines Heeres stand; Gallas war gestorben.
Wrangel vereinigte sich am Rhein mit dem berühmten französischen General Turenne und beide zogen unter furchtbaren Verwüstungen
durch die deutschen Lande. Schon waren sie wieder bis Prag vor-
gedrungen, das der schwedische General Königsmark fast überwunden glaubte, da zog die Jubelbotschaft durch das deutsche Reich, daß
Friede sei.
7. Der westfälische Friede zu Münster und Osnabrück.
(1648.)
Schon seit langen Jahren hatten die besten der deutschen Fürsten den Frieden ersehnt und viel vergebliche Anstrengungen gemacht, ihn zu verwirklichen. Aber Frankreich steigerte die Bedingungen, unter
denen es sich willig finden lassen wollte, ins Ungeheure; auch Schweden wollte nicht umsonst in Deutschland Krieg geführt haben.
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Die Politik des deutschen Kaisers, wie der übrigen Fürsten, hatte im Lauf des Krieges wunderliche Wandlungen durchgemacht, so daß zu Zeiten von einem bayrisch-französischen Angriff auf Oesterreich, von einem schwedisch-österreichischen Bunde gegen Frankreich, und wiederum von einem schwedisch-französischen Bunde u. s. f. gesprochen werden konnte. Die Fürsten thaten es ihren Söldnern gleich, die für den Meistbietenden zu haben waren. Endlich trat Bayern mit Frankreich in Unterhandlung, um von diesem den Schutz seiner kurfürstlichen Würde für die Zusage zu erlangen, daß Bayern Frankreichs Ansprüche auf den Elsaß schon darum unterstützen wollte, damit derselbe in den Händen einer starken katholischen Macht sei.
Bereits im Jahre 1643 war festgestellt worden, daß der Kaiser zu Osnabrück mit Schweden, als dem Hauptvertreter des Protestantismus in Deutschland, zu Münster mit Frankreich, als der Hauptmacht des Katholizismus, verhandeln sollte. Der päpstliche Nuntius und der Botschafter von Venedig als Vermittler beider, hatten ihren Sitz in Münster.
~Lie kaiserlichen Gesandten trafen frühzeitig ein; die Franzosen und Schweden hatten es weniger eilig und kamen fast ein Jahr später an. Alv endlich die Vertreter aller kriegführenden Parteien in den beiden Städten zusammen waren, gab es so viel kleinliche Dinge, Nangstreitig-feiteii und Formen zu erledigen, daß der Friede noch lange nicht in Beratung gezogen wurde. Während Oesterreich sehr billige Forderungen stellte, meinten andre, daß „das einzige Mittel zur Rettung des verfallenden deutschen Reiches die Verdrängung des Hauses Oesterreich auö Deutschland sei, auf dessen Kosten es sich bereichert habe."
Der französische Gesandte, Kardinal Mazarin, der nach Richelieus Zode die Regierung leitete, trachtete dahin, ja die Religionsstreitig-teiten in Deutschland nicht zu beenden; denn nur darin ruhe dessen Schwächung, welche Frankreich zu Nutzen komme. Schweden wollte religiöse, wie politische Zwistigkeiten beigelegt wissen. Den österreichischen Raubten, dem Grafen von Trautmannsdorf und Dr. Volmar, hatte Deutschland es zu bansen, baß bas Friebenswerk ehrlich in Angriff qe-ftanbC ^bracht würbe, nachbein Eifersucht, Habsucht und Falschheit fretnber Mächte bas entkräftete Deutschlanb fünf Jahre lang mit leeren Verhanblnngen hingehalten hatten.
In bem westfälischen Frieben wurde enbüch ber Verwirrung bes Reichs und betn namenlosen Jammer Deutschland ein Ziel gesetzt
Bornha!, Unser Vaterland. ^
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ein Rechtszustand im Volke und der Länderbesitz der einzelnen Fürsten festgestellt. Die Gleichberechtigung der Protestanten mit den Katholiken wurde derart ausgesprochen, daß damit alle frühern Anfeindungen hinfällig geworden waren, auch das Restitutionsedikt. Aber neben allem Herrlichen und Großen, das in dem Frieden für das deutsche Vaterland
lag, hatte es doch so viel zu beklagen, so viel verloren. Um einen
hohen Preis mußte Deutschland seinen Frieden von den fremden Mächten erkaufen.
Das Wesentliche des Vertrags, der zwischen dem Kaiser und der Krone Frankreich geschlossen wurde, enthielt für Deutschland so schmachvolle ^Bestimmungen, daß es diese nimmer vergessen sollte: „Die Oberherrschaft, die Landeshoheit und andre Rechte, die bisher das römische
Reich aus die Bistümer Metz, Toni, Verdun und deren Städte und
Gebiete gehabt hat, sollen künftig auf eben die Weise der Krone Frankreich zustehen und ihr auf ewig einverleibt sein.
Es begeben sich der Kaiser für sich und das ganze Haus Oesterreich, wie auch das römische Reich aller Rechte auf die Stadt Breisach, die Landgrafschaft Ober- und Niederelsaß, Sundgau, die Landvoigtei der zehn im Elsaß gelegenen Reichsstädte, Hagenau, Kolmcir, Schlett-stadt, Weißenburg, Landau, Kaisersberg, Obernheim, Roßheim, Münster im St. Gregoriusthal, Thüringheim und alle Dörfer, die zu derselben gehören, und übergeben sie dem allerchristlichsten Könige und der Krone Frankreich, so daß die genannte Stadt Breisach samt den Dörfern Hochstadt, Riederrimfing, Harten und Acharren und dem ganzen Gebiete, soweit es sich vor alten Zeiten erstreckt hat, nunmehr der Krone Frankreich gehören soll.
Ferner sollen die besagten beiden Elsaß und Sundgau, wie auch die zehn Städte mit allen dazu gehörigen Unterthanen, Städten, Dörfern, Schlössern, Wäldern, Bergwerken, Gewässern, Weiden und samt allen Rechten und ohne Vorbehalt mit der Oberherrschaft von nun an bis zu ewigen Tagen dem allerchristlichsten König und der Krone Frankreich zustehen, ohne daß der Kaiser, das Reich und das Haus Oesterreich oder ein anderer widersprechen könne, daß auch keiner irgend ein Recht oder eine Gewalt in den genannten, dies- und jenseits des Rheins gelegenen Ländern je soll gebrauchen dürfen . . . ."
Was Deutschland allein an Frankreich verlor, wurde einem halben Königreiche gleich gerechnet. Die französischen Gesandten aber konnten
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ihrem Kurier an die Königin-Regentin, Mutter Ludwigs XIV. (Anna von Oesterreich) mit der Friedensbotschaft den Glückwunsch übersenden, daß sie unter ihrer Regentschaft die Grenzen Frankreichs weiter ausgedehnt habe, als es jemals ein König vor ihr vermocht hätte.
Tie Schweden, welche unausgesetzt reiche Beute heimgeschleppt, Kunstschätze, alte Handschriften, darunter Ulfilas gotische Bibelübersetzung u. a., erhielten fünf Millionen Thaler Kriegsentschädigung, dazu Vorpommern, auch Rügen, Teile Hinterpommerns, Wismar, die Bistümer Bremen (außer der Stadt) und Verden als weltliche Fürstentümer, außerdem Sitz und Stimme aus dem deutschen Reichstage.
Kursachsen behielt die Lausitz und vier Magdeburger Aemter, Bayern die Oberpfalz nebst der Kurwürde. Den übrigen Teil der Pfalz: die Unter- oder Rheinpfalz erhielt der Sohn des geächteten Friedrich V. zurück; er wurde der achte Kurfürst des deutschen Reiches.
Mecklenburg wurde für den Verlust von Wismar durch die Bistümer Schwerin und Ratzeburg, auch mit den dortigen Gütern des Johanniterordens als weltliche Fürstentümer entschädigt.
Hessen-Kassel, das im Laufe des Krieges nichts verloren, erhielt für seine treue Anhänglichkeit an Schweden die Abtei Hersfeld nebst 600,000 Thalern, welche Münster, Paderborn, Mainz, Köln und Fulda ausbringen mußten.
Brandenburg, das die größten Anrechte auf das erledigte Herzogtum Pommern hatte, bekam nur einen Teil Hinterpommerns, die säkularisierten Bistümer Minden, Halberstadt und Kammin als weltliche Fürstentümer und die Anwartschaft auf Magdeburg.
Württemberg, Baden, Nassau wurden den vertriebenen Fürsten zurückgegeben; den übrigen Reichsständen wurde ihr Besitz vordem Kriege zugesichert; die Niederlande und die Schweiz wurden als selbständige Staaten anerkannt.
Ter Friede, welcher am 8. August zu Osnabrück, am 17. Scp-ieinber zu Münster geschlossen, aber erst am 24. Oktober bekannt gemacht^ wurde, bedurfte zu seiner Ausführung noch Jahre. Schweden und Franzosen lagerten so lange in deutschen Landen mit allem Ueber-mut kecker Sieger, bis ihnen alles Zugesagte aufs genauste erfüllt war.
Als im „Nürnberger Friedensexekutiousrezeß" (1650) die endliche Erledigung der noch schwebenden Ausführungen des Friedensabschlusses
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erfolgt war, hat der „Hochgeborene Fürst und Herr, Karl Gustav, Pfalzgraf bei -Rhein" 2c., das Ereignis durch ein wunderliches Festbankett gefeiert, dessen Abbildung aus jener Zeit folgende Überschrift trägt:
„Dieses Fried- und Freudenmahl Hielt hie auf dem Rathaussaal Karl Gustav wegen Schweden Als die blutbethränten Fehden Anfangs wurden abgethan Und der Fried gefangen an.
Das die wir ergrimmten Feinde Wurden Neu vertraute Freunde."
Neben der Beschreibung glänzender Zurüstungen der Tafel lautet -er Bericht: „Zuletzt wollten die anwesenden Kriegsherren und Generale zum Abschied noch einmal Soldaten spielen. Sie ließen sich Ober-imd Untergewehr in den Saal bringen, erwählten zu Hanptlenteu die Leiden Gesandten, S. Hochfürstliche Durchlaucht den schwedischen Generalissimus Herrn Karl Gustav Pfalzgrafen bei Rhein, der nachher König von Schweden wurde, und Se. Exzellenz den General von Piccolomini, zum Korporal aber den Feldmarschall Wrangel. Alle Generale, Obersten und Oberstlieutenants wurden zu Musketieren gemacht. So marschierten die Herren um die Tafel, schossen eine Salve, zogen in guter Ordnung auf die Burg und brannten viele Stücke ab. Bei ihrem Rückmärsche aber wurden sie scherzweise abgedankt und des Dienstes entlassen, weil nunmehr Friede sei."
Durch die Volksmassen aber, die am schwersten unter dem furchtbaren Kriege gelitten hatten, zog die Friedenskunde, gleich einer himmlischen Botschaft. Greise konnten ihren Nachkommen erzählen von den Friedenszeiten, die einst gewesen, und die nun wiederkommen sollten, wie der Lenz nach des Winters Dürre. Die Jugend aber mochte der Erzählung lauschen, wie einem Märchen, dessen goldne Zeiten der Erfüllung sie auch sollte schauen dürfen. Hatte doch jeder'Einzelne empfunden, was Paul Gerhardt über sein armes Vaterland sang:
„Den Schmerz drückt niemand besser in unsre Seel hinein.
Als ihr zerstörten Schlösser, ihr Städt' voll Schutt und Stein,
Ihr vormals schönen Felder, mit frischer Saat bestreut.
Jetzt aber öde Wälder und dürre, wüste Heid ..."
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Darum war auch des Dichters Friedenslied allen aus der Seele gesprochen:
„Gottlob nun ist erschollen Das edle Friedenswort,
Daß nunmehr ruhen sollen
Die Spieß, die Schwerter und ihr Mord.
Wohlauf, und nimm nun wieder.
Dein Saitenspiel hervor!
O Deutschland, singe Lieder Im hohen, vollen Chor!"
Das heilige römische Reich deutscher Nation war mit den Friedensglocken zu Grabe geläutet worden. Nur sein Name war übrig geblieben; denn statt des deutschen Kaisers, der sich an seinem Titel erfreuen mochte, herrschten im Reiche 9 Kurfürsten (der neunte, der hannoversche erst von 1692 an), 24 geistliche Fürsten, 9 gefürstete klebte, 10 gefürstete Äbtissinnen, 24 Fürsten mit Sitz und (Stimme auf dein Reichstage, 13 Fürsten ohne Sitz und Stimme, 62 Reichsgrafen, 52 Reichsstädte und etwa 1000 reichsunmittelbare Ritter.
Der Krieg hatte gegen zehn Millionen Menschen gekostet, und der Wohlstand war für lange Zeit in Deutschland vernichtet. Bildung und Gesittung hatten sich vor den verrohten Massen in die Einsamkeit geflüchtet, und das entsetzliche Sprichwort der bis zur rasenden Entartung geknechteten Bauern, daß man „jungen Edelleuten und jungen Sperlingen bei Zeiteu die Köpfe eindrücken müsse", fand tausendfaches Echo im Volksleben. Aber die erste Veranlassung des Krieges, die Religion, sollte nun die Kraft des Friedens werden. Die Dorfgeistlichen wurden die Missionare, die Lehrer des armen Volkes. Aus ihnen gingen die ehrwürdigen Kämpfer evangelischen Glaubens, die Sänger des evangelischen Kirchenlieds hervor, neben Paul Gerhardt ein Martin Rinkhart, dessen Jubelhymne „Nun danket alle Gott!" ob der Freudenbotschaft die Hände falten hieß. Auch seien hier genannt Stephan Prätorius, Johann Arnd, Johann Gerhard, Valerius Herberger u. a.
Die weltliche Dichtkunst erhob ebenfalls wieder langsam ihr Haupt, wenn auch noch schulmäßig in enge Formen gebannt; doch ragen hier Namen hervor, die sich bis heute guten Klang bewahrt haben, wie Martin Opitz, Simon Dach, Paul Flemming und andre.
Vor allen Dingen hatte der Krieg eins nicht vernichten können, den guten, deutschen Volksgeist, der sich wieder zum Rechten fand.
1. Friedrich Wilhelm, Kurfürst von Brandenburg.
(1640 bis 1688.)
Gleichwie ein Samenkorn stirbt, und gerade dadurch das Lebe:: vervielfältigt daraus hervorgeht, so erwuchsen aus der Hinfälligkeit des deutschen Reiches, das der geistvolle Samuel Puseudorf zu dieser Zeit „ein schauerliches, ungeheuerliches Monstrum" nennt, „das man der Sehkraft beraubt", die lebensfähigen Staaten des deutschen Reiches zu neuer Blüte. Unter ihnen ragte besonders Kurbrandenburg mit seinem großen Kurfürsten Friedrich Wilhelm hervor. Seine Regierungszeit bezeichnet den Anfang eines sieghaften Ringens, dessen Endziel erst nach Jahrhunderten erreicht wurde, als König Wilhelm I. von Preußen sich im Königsschlosse der französischen Ludwige zu Versailles als deutscher Kaiser huldigen ließ.
Hatte Frankreich die Selbständigkeit der einzelnen deutschen Fürsten nur zu heben gesucht, um die Kraft des vereinten deutschen Reiches zu schwächen und zu vernichten, der Verlauf der Geschichte zeigt, daß ein höherer Wille das edle, deutsche Volk erhalten und zu neuer Kraft erstehen lassen wollte.
Kurbrandenburg war allezeit ein vornehmes Glied des deutscher: Reiches gewesen, und mancher Sproß des edeln Hohenzollerngeschlechts hätte kühn seine Hand nach der Kaiserkrone ausstrecken dürfen. In der Jülisch-Kleveschen Erbschaft, bei der Johann Sigismund vou
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Brandenburg Kleve, Mark und Ravensberg erhielt (1614), hatten Brandenburgs rechtmäßige Erbansprüche sich mit den Interessen Frankreichs, Spaniens, Oesterreichs und der Niederlande gekreuzt, und als Brandenburg bald darauf beim Tode des letzten Herzogs Albrecht Friedrich auch Preußen (1618), ein Lehnsland Polens, erbte, war es eine Macht geworden, mit der sogar außerdeutsche Staaten rechnen mußten. Aber die schwere Kriegszeit, wie der wankelmütige Charakter Georg Wilhelms hatten den Flug des Hohenzollernaars gehemmt, und Brandenburgs Fahnen wehten damals nirgends, wo es Kamps und ^ieg galt. Unter dem Mißtrauen seiner lutherischen Unterthanen und der kurzsichtigen Selbstsucht der Stände fast an sich selbst verzweifelnd, verließ Georg Wilhelm die zur Wüste gewordenen Marken und suchte mit den Seinen in dem vom Kriege wenig berührten Preußen eine Zuflucht. Nur seine Gemahlin, Elisabeth Charlotte von der Pfalz, ist in ihrem klaren, fest bewußten Willen eine fast tröstliche Erscheinung inmitten der kläglichen Verhältnisse, welche die Schwäche Georg Wilhelms herbeiführte.
Die österreichische kaiserliche Partei hatte sich allezeit großen Einfluß auf den Kurfürsten zu verschaffen gemußt, und kaum hatten seine Gemahlin und deren Mutter hindern können, daß der Kurprinz Friedrich Wilhelm nicht gar in Wien erzogen wurde, wie der Kaiser das wünschte. Er war dann zu seiner Ausbildung ins Ausland, besonders nach Holland gesandt worden, wo er jahrelang im engsten Familienverkehr mit seinem Großoheim, dem edeln uud tapfern Prinzen Heinrich von Omnien, gelebt hatte, dessen liebliche Tochter Luise Henriette die Stammmutter der preußischen Könige werden sollte.
Hier sah und lernte er, wie ein kleiner Staat durch Ordnung und Gesetz, ebensowohl wie durch religiöse und staatliche Freiheit, unter der Leitung des großen Oraniers erstarkt war. Auch seinem Vaterlande konnte durch äußerste Kraftanstrengung eine neue, große Zukunft errungen werden. So kehrte der Prinz, durch erhebende Anschauungen erzogen, bereichert in die Heimat zurück.
Kaum hatte Georg Wilhelm den Kurprinzen aus Betreiben der kaiserlichen Partei in die Heimat zurückgerufen, als er zu Königsberg starb (1640) und die Kurwürde dem kaum zwanzigjährigen Sohne zu so schwerer Zeit überließ, wie wohl kein Hohenzoller vor ihm. Es gehörte ein voller Jugendmut, ein klarer Blick, eine starke Hand und ein tapfres Herz dazu, erfolgreich die Zügel einer Regierung zu
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ergreifen, die den Händen des geschiedenen Kurfürsten fast entfallen waren. Erwartungsvoll schaute man ringsum auf den jungen Fürsten, den Gustav Adolph schon als elfjährigen Knaben so hoch geachtet hatte, daß er ihm seine Tochter Christine zur Gemahlin bestimmte. Die Heirat scheiterte an dem harten, unweiblichen Charakter Christinens, wie an der Herrschsucht der schwedischen Stände. Sie wollten keinen Willensstärken Herrn haben, der überdies reformiert war.
Auch die Königin von Polen ließ dem jungen Kurfürsten mitteilen, daß er sich nicht umsonst die Hand einer polnischen Prinzessin erbitten würde; aber Friedrich Wilhelm antwortete, so lange er sein Land nicht in Frieden regieren könne, dürfe er sich nach feiner andern Braut umsehen, als nach seinem Degen. Selbst als sich der Kurfürst mit Luise Henriette vermählte (1646), mochte er vornehmlich in dem protestantischen Holland eine Stütze suchen, da die Mark durch den Krieg so verarmt war, daß sich der Kurfürst selbst zu seiner Brautfahrt das Geld borgen mußte.
Langsam, aber wohl bedacht, bahnte Friedrich Wilhelm vereint mit seiner treuen Gemahlin die Aenderungen zum Heile Brandenburgs au, das bald als Mustrr eines bis ins Kleinste treu verwalteten Landes galt. Steuer, Zoll, Polizeiwesen wurden geordnet, die Finanzen durch ergiebige Verwaltung der Domänen erhöht, wie durch Pflege der Landwirtschaft im ganzen Lande. Handelsbeziehungen wurden selbst bis nach Afrika und Asien angeknüpft; bereits im Jahre 1647 war eine ostindische Handelsgesellschaft gegründet worden. Doch inmitten des Kriegsjammers hatte der junge Kurfürst als wichtigste Aufgabe erkannt, ein stehendes Heer zu gründen (1653), zu dem die branden* burgischen Stände zunächst eine Geldbewilligung auf sechs Jahre gewährten. Der einst kaiserliche General Sparr und Derffliuger, von dem die Sage berichtet, daß er einst Schneidergesell gewesen, seit seinem sechzehnten Jahre in schwedischen Diensten, halfen treulich an der neuen Heeresverfassung, welche Kurbrandenburg eine Ehrfurcht gebietende Stellung gab. Schon jetzt schien es beim Tode Ferdinands 111. die Kaiserkrone zu gewinnen; doch mußte der Kurfürst zunächst andern Interessen Zeit und Kraft widmen.
In Schweden, das im westfälischen Frieden durch die von Deutschland abgetretenen Gebiete Mitglied des Reichs geworden war, legte Gustav Adolphs Tochter Christine (1632—1654) die Regierung nieder, nachdem sie der Herrschaft und des Ringens mit den Großen ihres
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Reiches müde, ihren Vetter Karl (X.) Gustav von Pfalz-Zweibrücken zu ihrem Nachfolger bestimmt hatte. An allem irre geworden, trat sie später sogar zur katholischen Kirche über.
Der neue Schwedenkönig wurde zunächst nicht vom Polenkönig Johann Kasimir anerkannt, einem Sproß des schwedischen Königsgeschlechts der Wasa. Zwischen beiden entbrannte ein Krieg, und der Brandenburger Kurfürst stand gleichsam zwischen zwei Feuern. Von den Landen, deren geborner Herr er war, besaß er selbst kaum mehr als den Rechtstitel. Kaum war er mit Preußen belehnt (1641); Brandenburg und Kleve waren teilweise in den Händen fremder Mächte; das ererbte Pommern war größtenteils den Schweden im Friedensschlüsse zugesprochen wordeu. Den noch so wenig gesicherten Besitz nicht zu gefährden, suchte der Kurfürst deu Frieden zu vermitteln, doch vergeblich. Mit dem Uebermute alter Siegesgewißheit rückten die Schweden durch seine Länder in Polen ein, dessen Lehnsland Preußen war. Erst neutral, trat Friedrich Wilhelm bald auf Schwedens Seite, in der Hoffnung, vielleicht jetzt die äußerst drückende polnische Lehnshoheit abschütteln zu können. In der Schlacht bei Warschau (28. bis 30. Juli 1656) focht die brandenburgische Armee neben den kriegserprobten Schweden siegreich gegen Polen. Dafür und für ein weiteres Bündnis mit den Schweden versprach Karl X. dem Kurfürsten im Vertrage von Labiau (1656) Preußen nebst dem Bistum Ermeland als unabhängiges Herzogtum. Brandenburg hatte damit ein weder vom Reich, noch von irgend einer andern Hoheit abhängiges, sondern ein freies Herzogtum, das aber zunächst ein bestrittenes Eigentum war.
Der Polenkönig hatte keck gedroht, er werde den Kurfürsten von Brandenburg hin bringen, wo ihn weder Sonne noch Mond bescheinen. sollten. Da sich dies nun doch nicht so leicht hatte thun lassen, und das mit Polen verbündete Oesterreich Brandenburg zur Kaiserwahl nötig hatte, so gab Johann Kasimir von Polen nach und bestätigte im Vertrage von Wehlau (1657) die Unabhängigkeit Preußens von der polnischen Kroue. Er wurde dadurch wieder gut Freund mit Brandenburg, das schon, um Pommern zurückzugewinnen, jetzt vereint mit kaiserlichen Hülssvölkern dem Siegeszuge der Schweden erfolgreich entgegentrat und Karl X. in der Schlacht bei Nyborg (1659) besiegte.
Als der Schwedenkönig im folgenden Jahre starb, beeilte sich die vormundschastliche Regierung des jungen Königs, Frieden zu schließen. Zn Oliva, einem Kloster bei Danzig, wurde der Wehlauer Vertrag
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bestätigt (3. Mai 1660) unb von ben Großmächten Europas anerkannt. Brandenburg war gewachsen nach innen unb außen. Dieses Kriegs -glück, bas Branbenburg politisch erstarken ließ, hatte Friebrich Wilhelm, ber Große Kurfürst, zumeist seiner so wohl georbneten, schlagfertigen Armee zu verbanken.
In einer zwölfjährigen Friebenszeit konnte er jetzt sein Augenmerk ungestört barauf richten, bie verschobenen Sauber seiner Herrschaft zu einer starken Macht zu verbinben, so baß sich alle als ©lieber eines Hauptes fühlen bürsten, bem sie gern angehören wollten. Doch machte ihm bie Einfügung bes Herzogtums Preußen noch viele Schwierigkeiten. Er besiegte ben trotzigen Wiberstanb ber preußischen Stäube enblich burch Strenge, bet sie verräterischerweise mit Polen verhaubelteu, und Milbe völlig fruchtlos erschienen war.
2. Frankreichs Einfluß auf Deutschland.
Der Große Kurfürst und die Raubkriege Ludwigs XIV.
Während sich in ben Lauben bes großen Kurfürsten ein neues Deutschland anbahnte, hatte Frankreich das entschiedene Uebergewicht in ganz Europa. Seit betn westfälischen Frieden, ber bie französische Krone übermäßig bereichert unb Dentschlanb arm gemacht, übte Frankreich seinen Einfluß auch hier in rücksichtslosester Weise ans. Lubwig XIA . hatte bas von ihm erfundene Wort L Etat c’est moi! (Ich bin der Staat!) in glänzender, ja blendender Weise zunächst im eignen Reiche verwirklicht. Von seinen großen Staatsmännern Richelieu und Mazarin hatte er gelernt, alle Faden der Regierung in seiner Hand zu vereinigen; als er der Vormundschaft entwachsen, erklärte er, er seldjt
sei sein bester Minister. Der absolute Herrscher umgab seinen Hof,
seine Regierung mit einer Glorie, die alle Mängel daraus zu verbannen schien. Es war das goldene Zeitalter Frankreichs, in dem
Kunst und Wissenschaft, Handel und Gewerbe blühten, und Reichtum, ja Ueberfluß und Ueppigkeit, nur als natürliche Folge erschienen. Was Wunder, wenn sich an solche Erfolge Ruhmbegier und Vergrößerungssucht ketteten!
Ganz Europa sah neidisch auf das glänzende Hofleben Ludwigs XIV., dem es alle Herren gern gleich gethan hätten. Bald war fast jeder noch so kleine Hof Deutschlands — Brandenburg, auch
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Oesterreich und einige andre ausgenommen — eine Nachäfferei des französischen. •
„A la mode Kleider, ä la mode Sinnen,
Wie sichs wandelt außen, wandelt sichs nach innen."
Das bestätigt sich in allen Verhältnissen, und die höchste Sittenverderbnis ging mit der Ueppigkeit naturgemäß Hand in Hand-. Paris war darin die hohe Schule. Ein Fürst, der sich dort nicht hatte von der Sonne des französischen Hofes bescheinen lassen, galt kaum als vollwichtig, und manchen deutschen Herren gefiel es so gut an der Seine, daß sie lieber ganz dort blieben. Die französischen königlichen Passionen, sich Maitressen zu halten, prächtige Schlösser zu erbauen und das Geld auf jede Weise zu verprassen, das dem armen Volke auf die Mündlichste Art abgenommen war, das alles waren fürstliche Eigenschaften, die in Deutschland bald auch auf die höheren Stände übergingen, und nur in den untern Ständen, besonders unter den Bauern, konnte dieser Einfluß wenig Raum gewinnen.
Spielende Feierlichkeit der Sitten und Gebräuche kam an die deutschen Höfe statt des alten Bandes der Treue und Wahrhaftigkeit des deutschen Volkes. Da sahen die Franzosen voll welscher Schlauheit, daß sie dem ehrbaren, deutschen Michel ant besten durch die Glätte und Gewandtheit der Französinnen beikommen könnten. Indem sie bestrebt waren, recht viele Prinzessinnen und Töchter vornehmer Geschlechter nach Deutschland hin zu verheiraten, kamen sie nur den: Gelüst der deutschen Herren entgegen, denen alles Französische das erstrebenswerteste Ziel war. Auch die deutschen Fürstentöchter wurden mit oder gegen ihren Willen möglichst nach dem hehren Frankreich hin vermählt. Bald wimmelten alte deutschen Fürstenhöfe von französischen Herren und Dienern, darunter Späher und Verräter genug, auch Gouvernanten und Zofen. Sie nur kannten feine Manieren, die so fein waren, daß alles ehrliche, gerade Deutschtum darin unterging. Die Franzosen sahen demgemäß geringschätzig ans die „niedrige Race" des deutschen Volkes, das sich gar seiner Muttersprache schämte.
„Man pflegt im Sprichwort zu sagen", schreibt ein deutscher Patriot jener Zeit, „wo der Teufel nicht hinkommt, da braucht er ein altes Weib; die Franzosen greifen es subtiler an; denn was der König dnrch sich oder seine Residenten nicht ausrichten kann, dazu braucht er nicht alte, sondern junge, französische Weiber, die er bald diesem, bald jenem Könige oder Fürsten an den Hals hängt, um die Konsilia zu
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pcnetriven ober zu verwirren, ober wenigstens durch französische Pracht unb Mutwillen bie Lanbkammern zu leeren."
Doch gab es auch eble beutfche Gestalten, wie Elisabeth Charlotte von der Pfalz, bie bem Brnber Ludwigs, bem Herzog von Orleans, vermählt würbe (1671). Sie ist eine ber verehrungswürbigsten Frauen ihrer Zeit, welche auch bem glattesten, noch mehr bem niedrigsten französischen Höfling Ehrerbietung abzwingt. „Ich habe nie französische Manieren gehabt", schreibt sie von sich selbst, „noch annehmen können; denn ich habe es jederzeit für eine Ehre gehalten, eine Deutsche zu sein imb beutfche Maximen zu behalten, bie hier selten gefallen."
„Lubwig XIV.", sagt einer seiner Zeitgenossen, „siegte bnrch seine Weisheit unb bie Geschicklichkeit seiner Unterhänbler über ganz Europa. Frankreich ist ber Mittelpunkt ber gebilbeten Welt. Es ist abwechselnb von Lanb unb Meer umgeben, es kann sich nach allen Seiten wenben, sich auf alle Art verteibigen unb wenn sein inneres Verfahren versteinbig ist, hat es bie Natur bestimmt, Europa zu beherrschen."
Den meisten beutfchen Fürsten war es gleichgültig, bas; jetzt Ludwig XIV. die deutsche Kaiserkrone begehrte, und nur der Brandenburger Kurfürst setzte es im Fürstenrate durch, daß Deutschland nicht ein Anhängsel Frankreichs wurde. Die deutschen Fürsten wählten den achtzehnjährigen Leopold, Ferdinands III. Sohn, zum deutschen Kaiser. Er war leider ber Schlauheit eines Lubwigs XIV. nicht gewachsen unb überließ es bem Brandenburger, bas Reichsinteresse zu wahren.
Die Macht bes Hauses Habsburg war ebenso in Spanien, wie in Deutschland) von ihrer einstigen Höhe herabgesunken, unb Frankreich begehrte unb besetzte ohne Weiteres zunächst bie spanischen Niederlande. Französische Flugschriften wiesen nach, daß dieser Teil der Niederlande, fast der ganze burguudische Kreis, der zum deutschen Reiche gehörte, Ludwig als Erbschaft seiner Gemahlin, einer Tochter des spanischen Philipp (IV.) zufallen müsse, obgleich er bei seiner Vermählung ausdrücklich darauf verzichtet hatte. Als aber jetzt Frankreich den Engländern ein Bündnis gegen die Niederländer anbot, fürchteten diese die kühne Machtvergrößerung Frankreichs und verbanden sich gegen dasselbe mit Holland und Schweden. (Tripelallianz.) Nun mußte Ludwig im Frieden von Aachen 1668 den größten Teil seines Raubes herausgeben, behielt aber eine Reihe flandrischer Festungen. Voller Rache
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griff er bald darauf Holland ein, nachdem es ihm gelungen mar, dessen Bundesgenossen, England und Schweden für sich zu gewinnen. Auch der Erzbischof von Köln und der kriegerische Bischof Münsters, Bernhard von Galen, schlossen sich ihm an. Ein Heer von 120 000 Mann führte der König selbst nach Holland, das in großer Bedrängnis war. Der tapfere Dränier Wilhelm III. trat an die Spitze der Holländer, die in todesmutigem Ringen ihre Dünen und Dämme durchstachen und das Land unter Wasser setzten, daß es zum Meere wurde und den Feinden entgegen flutete.
Gegen die anbringenden Engländer kämpften die Holländer unter dem Admiral de Rnyter siegreich zur See; aber der einzige deutsche Fürst, der dem bedrängten Nachbarlande zu Hülfe kam, war Friedrich Wilhelm von Brandenburg. Die übrigen deutschen Fürsten hatten schon im Jahre 1658 ein Bündnis geschlossen, „den Rheinbund", der, den Franzosen in die Hände arbeitend, die „Libertät der Reichsstände gewährleisten und der Kaisermacht eine feste Grenze ziehen" wollte. Freilich hatte einst Kurfürst Friedrich Wilhelm auch einen deutschen Fürstenbund geplant, der neben einem schwachen Kaisertum die Reichs--interessen, besonders der Protestanten wahren sollte, aber nicht einen solchen wie den Rheinbund, von dem der französische Gesandte rühmte, daß er „das große Rad gewesen, welches das ganze Reich zu Gunsten Frankreichs in Bewegung gesetzt habe."
Gegen alle Lockungen Frankreichs unzugänglich, wußte der Große Kurfürst den Wert Hollands als Westgrenze des Reichs, ebenso wohl für seine eignen Besitzungen wie für die evangelische Kirche zu schätzen. Doch vermochte er ihm nicht ausreichende Hülfe zu leisten, weil Oesterreich trotz des zugesagten Beistandes (Frankreich hatte es das Gegenteil versprochen), mißgünstig das Vorgehen Brandenburgs hinderte. Dieses schloß endlich mit Frankreich einen Separatfrieden zu Vossem 1673, trat aber schon im folgenden Jahre mit 20000 Mann aufs neue in den Krieg ein, als sich der Kaiser endlich selbst dazu ermannte. Denn Frankreich verletzte mit äußerster Keckheit deutsches Reichsgebiet, bis es dem kaiserlichen Feldherrn Moutecuccoli gelang, die Franzosen über den Rhein zurückzudrängen und aus Holland zu vertreiben.
Das hinderte Ludwig XIV. nicht, bald mit drei Heeren deutsches Gebiet zu überschwemmen, in welchem die Folgen des 30 jährigen Krieges noch längst nicht überwunden waren. Den Rhein entlang, in der Pfalz, wie im Elsaß hausten die französischen Kriegshorden, und die Branden-
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burger von sich abzuwehren, rief Ludwig bie Schweden herbei, bie sich für ein französisches Zahrgelb verpflichtet hatten, jedweden Feind anzugreifen, den ihnen Frankreich bezeichnen würbe. Von Vorpommern aus brachen sie in Hinterpommern imb in bie Mark Brandenburg ein, während der Große Kurfürst in Franken weilte. Im Besitz der wichtigsten Havelpässe bei Havelberg, Rathenow und Brandenburg wähnte sich der schwedische Feldherr Wmngel ganz sicher, da er sich überdies deu Weg nach Pommern frei gehalten hatte. Nur aus sich selbst augewiesen, stürmte der Große Kurfürst mit einer Kühnheit ohne Gleichen dem Feinde entgegen. In Magdeburg hielt er zwei Rasttage, ließ aber sofort die Thore schließen, damit keine Botschaft seiner Nähe an bie Schweden gelangen konnte. List und Kühnheit sollten zu gutem Ziele führen. Mit 6000 Reitern und 13 Geschützen erreichte der Kurfürst am 25. Juni das Havelgebiet; 1200 Mann Fußvolk folgte ihm auf Wagen.
Als schwedischer Offizier verkleidet, begehrte Derfflinger in Rathenow Einlaß, eine Abteilung seiner Truppen erzwaug denselben dabei durch Waffengewalt. Durch deu Verlust dieser Havelfeste wurden die Schweden in zwei getrennte Heerlager gedrängt, das eine in Havelberg, das andre in Brandenburg. Sie gedachten sich nach Norden zu über den Rhin hin aufs neue zu vereinigen. Dies zu hindern, galt es zunächst, sich an den abziehenden Feind zu hängen' ohne direkt anzugreifen; denn die Brandenburger erwarteten den Zuzug neuer Trnppeu. Doch der tapfre, kampfeslustige Landgraf Friedrich von Hessen „mit dem silbernen Bein" i fein eignes hatte er 17 Jahre zuvor im Kampfe gegen die Dänen verloren) griff eiligst, ohne den Befehl des Kurfürsten abzuwarten, die Schweden an. Das kühne Wagnis gelang trotz der wenigen Mannschaften, die von einer Anhöhe herab dem Feinde wohl beizukommen wußten. Im wilden Getümmel wogten die Kämpfenden gegeneinander: die Schweden fochten eben so heiß um ihre alt erprobte Waffenehre, wie die Brandenburger, die den Feind um den Preis so manchen tapfern Heldenlebens endlich zum Weichen brachten, 28. Juni 1675.
„Das war ein rasches Reiten vom Rhein bis an den Rhin,
Das war ein heißes Streiten am Tag bei Fehrbellin!"
Zwar hatte sich Wrangel mit seinen Schweden den Rückzug erkämpft, aber um welchen Preis! Nur ein Rest des glänzenden Heeres,
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mit dem er zu siegen gehofft, schleppte sich mutlos nach dem Norden. Die Schlacht bei Fehrbellin wurde der Anfang des SiegesfKigS für den Brandenburger Adler.
Manche schöne Sage hat den glorreichen Sieg verherrlicht. Es wird berichtet, der Kurfürst habe vor der Schlacht am letzten Hause des Torfes Hakenberg ein verlassenes Bauernkind hülflos auf der Erde sitzend gefunden, es auf sein Pferd gehoben und, da er es nicht besser zu schützen gewußt, während der ganzen Schlacht mit sich geführt. Als aber der Siegesjubel durch die Reihen der Brandenburger klang, schwebte das Kind, ein lichter Engel, empor zu des Himmels Höhen. Das war Brandenburgs Schutzengel, der auch jetzt noch seine Fittige über das HohenzollernhanS breitet.
Noch anderes hat einen guten Klang. Ueberall der Erste, wo das Gefecht am heißesten war, achtete der Kurfürst nicht auf Gefahren, denen er sich selbst aussetzte. Da sah sein treuer Stallmeister Froben, daß der Feind auf den Schimmel zielte, den der fürstliche Herr ritt. Im nächsten Augenblick war er an des Kurfürsten Seite und bat, das Pferd mit dem seinen vertauschen zu dürfen, der Schimmel fange an, scheu zu werdeu. Kaum war die Bitte gewährt, sa sank der edle Froben, von einer Kugel getroffen, tot vom Pferde.
„Du treuer Froben, war's so gemeint?" Mit dem einfach fürstlichen Dankeswort war der Kriegsheld weiter gestürmt, dem Siege entgegen. Er lies; später eine Denkmünze prägen, auf der Frobens
Tod dargestellt war. Sie hatte die lateinische Umschrift, welche in der
Übersetzung lautet: „Das ist vom Herrn geschehen und ist ein Wunder
vor unsern Augen." Pf. 118, 23.
3mav konnte der Kurfürst den Sieg nicht ausreichend verfolgen, doch war in sieben Tagen kein Schwede mehr in der Mark. „Das kann den Schweden Pommern kosten!" hatte der Kurfürst bei der Nachricht von ihrem feindlichen Eindringen in Brandenburg geäußert; aber vielleicht wäre saunt sein rasches Vordringen möglich gewesen, wenn die treuen Märker nicht so zu ihrem fürstlichen Herrn gehalten hätten, daß er überall gebahnte Wege fand. Mit Sensen und Dresch-flegeln bewaffnet, sammelte sich das Landvolk der Altmark, ein herrliches Zeugnis neu erwachender deutscher Treue, unter Fahnen, welche die Inschrift trugen: Wir jtttd Bauern von geringem Gut und dienen unserm Fürsten mit unserm Blut!" Sie erhoben sich selbständig vereint und schädigten die verhaßten Schweden aller Enden.
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Doch es galt, die Schweden völlig aus Deutschland zu vertreiben, nachdem sie sich 30 Jahre lang dort siegreich behauptet hatten. Bis zum nächsten Sommer war ihnen der größte Teil Pommerns entrissen; der kurfürstlich-braudenburgische Admiral Raule brachte mit seinen drei Schiffen ein schwedisches Fahrzeug mit 22 Kanonen und einen Brander ein, und im Kolberger Hafen flatterte der brandenburgifche Adler stolz über der schwedischen Flagge. Nach einem weiteren Jahre war das stark befestigte Stettin in den Händen des Kurfürsten, wenige Monate später auch Stralsund und Greifswald. Von Polen begünstigt, dessen König Johann Sobiesky Frankreich verpflichtet war, machten die Schweden den letzten verzweifelten Versuch, sich in Deutschland zu behaupten , wurden aber von einem auserlesenen kurfürstlichen Heere zurückgedrängt. Ueber das frische Haff hin jagten die Schlitten der Brandenburger hinter dem Reichsfeinde her. Das kurische Haff durcheilte der Kurfürst selbst mit dem Hauptheer, während seine einstigen Bundesgenossen, die Holländer, nebst dem Reiche zu Nymwegen seit Jahr und Tag mit Frankreich um Frieden handelten. Im. Januar 1679 hatten die Schweden Pommern völlig verloren.
Trotz aller Siege mochte der Krieg für Frankreich, das mit halb Europa in: Kampfe stand, auf die Dauer zu schwer werden. Ludwig XIV. hatte überdies seinen tüchtigsten Feldherrn, den Marschall Türenne, in der Schlacht bei Sasbach im Elsaß verloren. Listig suchte er seine Gegner unter einander zu entzweien, um mit jedem Einzelnen desto günstiger Frieden schließen zu können. Diese einzelnen Verträge führen den gemeinsamen Namen des „Nymweger Friedens" (1678). „Nimm weg!" nannte ihn der Volksmund; denn Ludwig XIV. nahm sich oder erhielt von Spanien die Franche Comte, welche bis dahin unter deutscher Reichshoheit gestanden hatte, auch viele burgundische Bezirke und Städte. Freiburg im Breisgau und die elsässischen Zehnstädte behielt er stillschweigend, auch Lothringen. Kaiser und Reich sahen dem schmählichen Abkommen ruhig zu und der Große Kurfürst, der Einzige, der vollwichtig sein Wort dagegen hätte erheben mögen, stand grollend zur Seite; hatten denn die Reichsgenossen ihm gegen die Schweden geholfen? Auch anderweitig hatte die Furcht, daß „der Brandenburger nunmehr der werden könnte, den das calvinische und lutherische Geschmeiß ersehne," Kaiser und Fürsten von Brandenburg getrennt. In Wien sprach man offen aus, daß es „kaiserlicher Majestät nicht gefalle, daß sich an der Ostsee ein neues Vandalenreich hervor-
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thue, und als im Siegesjahre der Schlacht bei Fehrbellin das Herzogshaus von Liegnitz, Brieg und Ohlau ausgestorben war, hatte der Kaiser das Herzogtum einfach als böhmisches Reichslehn für sich eingezogen, auch jeden Einspruch des Großen Kurfürsten unbeachtet gelassen, dem es nach einem Erbvertrag Joachims II. von Brandenburg mit Herzog Friedrich von Liegnitz hätte zufallen müssen.
Mit dem Kaiser hatte Ludwig XIV. unter der Bedingung Frieden geschlossen, daß der westfälische Friede, also auch der Besitz Schwedens, im Reiche, gewahrt bleibe, und den Franzosen freier Durchmarsch im ganzen Reiche gewährt sein sollte. Wo blieb da der Preis aller blutigen Kämpfe Brandenburgs? Am 29. Juni 1679 unterzeichnete Kurfürst Friedrich Wilhelm den Frieden von St. Germain en Laye. Er allein war zu schwach, dem französischen Machthaber zu widerstehen, der ihm mit einem Federstrich alles nahm, was ihm seine Siege über die Schweden zurückgegeben hatten. Es wird berichtet, daß der Große Kurfürst um dieser Unterschrift willen verwünscht habe, schreiben gelernt zu haben und dabei das Wort Vergils gesprochen, das in deutscher Übersetzung lautet: „Möge uns ein Rächer erstehn aus unsern Gebeinen!"
Zum Text der Friedenspredigt bestimmte er das Psalmwort: „Es ist gut auf den Herrn vertrauen und sich nicht verlassen auf Menschen!" Entrüstet über die verächtliche Handlungsweise des Kaisers, dem doch der Kurfürst allezeit hilfsbereit gewesen war, wandte sich der so schwer und ungerecht Geschädigte jetzt Ludwig XIV. zu, der ihm in einem Vertrage (1679) den nunmehrigen Besitz Brandenburgs gewährleistete und aus zehn Jahre je 100,000 Lire zu zahlen versprach. Die Freundschaft des Brandenburgers war dem französischen Könige etwas wert.
Erscheint ein solches Bündnis auf den ersten Augenblick unfaßlich, so mochte kein andrer Ausweg für den Kurfürsten übrig bleiben, wenn er fein Land vor weiterer Unbill bewahren wollte, und — gab das Reich Brandenburg preis, so dieses das Reich. Sie hatten ihre Rechnung ausgeglichen.
Voller Uebermut stand jetzt Ludwig XIV. auf der Höhe feiner Macht. Welcher reiche Länderbesitz war ihm seit dem westfälischen Mieden anheimgefallen! Er wollte leichtert Kaufs noch mehr haben. 3U dem Zwecke setzte er in Besaneon, Metz und Breisach Gerichtshöfe ein (Reunionskammern), die entscheiden sollten, daß alles das, was er
Bornhal, Unser Vaterland. oo
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gern haben wollte, ihm von Rechts wegen gehöre. Da wurde nachgeforscht, was je mit einem der Länder oder mit einer der Städte Frankreichs verbunden gewesen war und ihm darum wieder zufallen müsse. Zuerst wurde festgestellt, daß nach dem Artikel des westfälischen Friedens: Elsaß und die andern Distrikte seien Frankreich mit allen Dependenzen (Zubehör) abgetreten, natürlich zunächst der ganze Elsaß gemeint sei, obgleich unter den „Dependenzen" nur das damals zu dem Frankreich zugesprochenen Städten gehörende Gebiet gemeint war. Daun ivurdeti weitere „Dependenzen" gesucht, ueue Eroberungen inmitten tiefsten Friedens. Wäre es nicht gar so traurig gewesen, so hätten die Entscheidungen der Reunionskammern lächerlich erscheinen können. So sprachen sie ihrem König Weißenburg zu, obgleich es außerhalb des Elsaß lag, weil es vor tausend Jahren vorn fränkischen Könige Dagobert gegründet worden sei, und weil Germersheim einst zu Weißenburg gehört hatte, mußte Frankreich das auch haben, eben so Vaudemout, Saarlouis, Saarbrücken, Luxemburg, Mömpelgard u. a.
Seit der Römer Zeit war solch frecher Raub nicht dagewesen. Auch Straßburg, die altehrwürdige deutsche Reichsstadt mit ihrem herrlichen Münster, fiel Frankreich anheim (1681), durch den Verrat des Straßburger Bischofs Egon von Fürstenberg unterstützt, der den französischen König als „Heiland" begrüßte. Dabei war der erste Minister des Kaisers Leopold, Fürst Lobkowitz, ganz im Einverständnis mit Frankreich. „Durch goldene Ketten", rühmte nachher Ludwig, „ist bei den Ministern in Wien alles auszurichten." War doch auch ein Bündnis zwischen beiden geschlossen, wonach keiner des andern Feinde unterstützen durfte. Viele deutsche Bischöfe und Herren versprachen
strengste Neutralität. Vierzehn Tage nach der Kapitulation Straßburgs hielt Ludwig XIV. seinen prächtigen Einzug in die Stadt, besichtigte die vorhandenen Befestigungen und ließ neue anlegen. Daran mußten die aus der Umgegend aufgebotenen Landleute auch Sonntags arbeiten, und fünftausend französische Soldaten hielten Wache an der neuen Grenzfeste.
Wie tief mußte der Begriff des deutschen Volkes über die Pflichten eines Fürsten herabgesunken sein, daß man den französischen König bewunderte, weil er sich persönlich um das neu erworbene Gebiet kümmerte.
Als endlich- Kaiser Leopold aller französischen Uebergriffe wegen bescheidene Vorstellungen in Paris machte, stellte sich König Ludwig höchst
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verwundert, das; jemand an seinem guten Rechte zweifeln könnte; aber es solle alles in einer Versammlung zu Frankfurt genau geprüft werden. Dort wurden die Vorwürfe in französischer Sprache mit französischer Glätte zurückgewiesen, auch die Schriftstücke darüber gegen allen Brauch französisch abgefaßt. Als sich die Deutschen darüber beklagten, höhnten die französischen Gesandten, daß es so ihres Königs Wille sei.
Um seinen räuberischen Besitz ungestört zu befestigen, schloß Ludwig endlich einen zwanzigjährigen Waffenstillstand. Wer unter den schwer Geschädigten durfte nun wagen, den königlichen Räuber anzugreifen? Das ohnmächtige, zersplitterte Deutschland wehrte sich kaum durch Worte, die zumeist nur Volksstimmen waren:
„Nun ist es Zeit zu wachen.
Eh Deutschlands Ehre stirbt Und in dem weiten Rachen Des Krokodils verdirbt!
Herbei, daß man die Kröten,
Die unsern Rhein betreten.
Mit aller Macht zurücke Zur Saon' und Seine schicke."
Während.das deutsche Reich so schamlos beraubt wurde, stritten sich die fürstlichen Abgesandten aus dem Reichstage zu Regensburg, wer auf purpurnen, wer auf grünen Sammetsesseln sitzen dürfe, oder wer mit goldnen oder silbernen Gabeln essen solle, ehe man Zeit fand, ernste Sorgen des Reichs zu beraten. Des Einzelnen Stimme verhallte in der nun bald zur Gewohnheit gewordenen Unterwerfung deutscher Fürsten unter den maßlosen Eroberer. Die Zeiten waren vorüber, daß ein Bernhard von Weimar, der sich im Südwesten ein eignes Reich gründen, aber keinen Fußbreit deutschen Landes an Frankreich abgeben wollte, sich ebenfalls das Haupt sofort bedeckte, als der französische König es vor ihm gethan hatte.
Neues Unheil entstand im deutschen Reiche, als Kaiser Leopold durch große Willkür die Erbitterung der Ungarn hervorgerufen hatte und um so weniger zu beruhigen vermochte, da ein tapfrer Heerführer, Tököli, sich an ihre Spitze stellte und die Türken herbeirief, denen dieser Hülferuf sehr willkommen war. Sie meinten, das erschöpfte Deutschland leicht als Beute gewinnen zu können, und der türkische Großvezier Kara Mnstapha hatte sich Wien schon als Residenz ausgesucht.
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Im Jahre 1682 hieß es, daß der „allerchristlichste König" von Frankreich der türkischen Pforte für ihre Hülfe die Hälfte der österreichischen Länder angeboten habe. Böhmen, Schlesien, Mähren sollte der französische Dauphin (Kronprinz), dem Ludwig XIV. die römisch-deutsche Kaiserkrone zugedacht, als Ausstattung erhalten. Die Macht der Habsburger sollte vernichtet werden.
An der Spitze von 200,000 Mann stürmte Kara Mnstapha geraden Weges nach Wien, ohne sich mit der Eroberung kleinerer Festungen aufzuhalten. Die Bestürzung der Kaiserstadt war grenzenlos^ als in kürzester Zeit, wie über Nacht aus der Erde gewachsen, sechs-Stunden im Umkreise Zelt an Zelt der Türken stand. Aus der Mitte ragte das Prachtzelt des Veziers hervor, schimmernd von Gold und prächtigem Schmuck. Von seiner Höhe herab flatterte unter dem Glanze des Halbmonds der türkische Roßschweif, und in dem innersten Raume des Zeltes stand die heilige Fahne des Propheten. Unter diesem Zeichen mußten die Türken siegen.
Der Kaiser selbst hatte Wien verlassen; aber Bürger, Studenten^ überhaupt alle, die Waffen tragen konnten, stellten sich unter den Befehl des tapfern Stadtkommandanten Rüdiger von Stahrenrberg. Obgleich den Türken von Paris aus der Plan Wiens aufs genaueste zugegangen war, vermochte ihre Kriegskunst den tapfern Widerstand Wiens nicht sobald zu besiegen. Unermüdlich wurde uachts wieder aufgebaut, was tags zuvor die Türken zerstört hatten. Allmählich unterminierten sie die dicken Festungsmauern, uud die geängsteten Wiener mochten berechnen, wie kurz oder wie lang die Gnadenfrist ihres Lebens noch dauern konnte, ehe sie der Mordlust der Türken anheimfielen. Kam nicht bald Hülfe von außen, so war die Stadt unrettbar verloren.
Als der große Kurfürst dem Kaiser seinen Beistand gegen die Türken angeboten, hatte dieser ihn verschmäht, weil er fürchtete, Brandenburg möchte sich auf dem Wege das mit Unrecht vorenthaltene Herzogtum in Schlesien nehmen. Da bahnten sich die Türken durch eine Hauptmine den Weg in die Stadt; die Mau ru unter der Burgbastei öffneten sich als Thor für die Sieger, die mit furchtbarem Allahgeschrei über die zerborstuen Erdhügel und gesprengten Mauern in die Stadt drangen. Und doch —- die Belagerten wußten in der Verzweiflung die Bresche zu decken und den Feind über die Verfchanzung zurückzudrängen. Es war Kuude in die Stadt gedrungen, daß ein kaiserliches Heer Hülfe
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bringe; aber noch kam sie nicht. Neue Minen sprengten die Sradt. mauern, und weithin leuchtende Raketen sandten den Hülferuf vom hohen Stephansturme aus in die Ferne. Endlich, es war am 11. September 1683, sah man von dem benachbarten Kalenberge aus die ersehnten Hülsstruppen nahen. Dieser Augenblick verwandelte die Verzweiflung der Wiener in lauten Jubel. Kara Mustapha aber, der seines Sieges schon sicher war, knirschte vor Wut, raufte sein Haar und verfluchte den Tag seiner Geburt. Alle Christensklaven seines Lagers, 30,000 an Zahl, Greise, Frauen und Kinder nicht ausgenommen. Wurden niedergemetzelt.
Das heranziehende Reichsheer führte die Blüte deutscher, fürstlicher und ritterlicher Jugend, an ihrer Spitze die kampfgeübten Kurfürsten Johann Georg von Sachsen und Max Emanuel von Bayern, die sich mit dem Heere Karls von Lothringen vereinten. Zu ihnen mr der fromme Polenkönig Johann Sobiesky gestoßen. Es war ein herrliches Christenheer voller Begeisterung, den Kreuzheeren alter Zeiten gleich, das nun den Türken gegenüber stand. Ein siegreicher Kampf der vereinten Heere jagte die Türken in wilder Flucht davon; 15,000 Zelte mit ihren Schätzen wurden die Beute der Sieger. Frohlockend eilten die Bürger Wiens besonders Sobiesky entgegen, dem der glückliche Sieg vornehmlich zu danken war, und ein Brief desselben an seine ‘Gemahlin berichtet darüber: „Ich mußte lange mit dem Wessir fechten, ehe der linke Flügel mir zu Hülfe kam. Da war um mich her der Kurfürst von Bayern, der Fürst von Waldeck und viele andere Reichsfürsten, die mich umhalsten und fußten. Die Heerführer faßten mich bei den Händen und Füßen, die übrigen Obristen mit ihren Regimentern riefen mir zu: „Unser braver König!" Heute Morgen fam der Kurfürst von Sachsen nebst dem Herzog von Lothringen zu mir. Endlich fam auch der wienerische Statthalter, Gras von Starhemberg, mit vielem Volfe hohen und niedrigen Standes mir entgegen. Jeder hat mich geherzt, gesüßt und seinen Erlöser genannt. Auf der Straße erhob sich ein Jubelgeschrei: „Es lebe der König!" Als ich nach der Tafel wieder hinaus ins Lager ritt, begleitete mich das Volf mit aufgehobenen Händen bis zum Thore hinaus. Für den uns gesandten höchst vortrefflichen Sieg fei dem Höchsten Lob, Preis und Dans gesagt in Ewigfeit."
Als jedoch später der Kaiser mit dem Sieger zusammentraf, begrüßte er ihn sehr fühl lind hatte sein DanfeSwort für dessen Hülfe.
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Ter besiegte türkische Feldherr Kara Mnstapha wurde wenige Wochen später in seiner Heimat zur Strafe für seine wiederholten Niederlagen erdrosselt. Doch war mit der Befreiung Wiens der Türkenkrieg noch nicht beendet, sondern dauerte noch weitere fünfzehn Jahre. Dank der Tapferkeit seiner Generale, besonders des Prinzen Ludwig von Baden und des Prinzen Eugen von Savoyen (im Volksliede gefeiert als „Prinz Eugenius der edle Ritter") schloß Kaiser Leopold den glorreichen Frieden von Karlowitz (1699), wonach er alles ihm von den Türken geraubte Land zurück erhielt.
Von dieser Zeit an blieb Deutschland von den Türken verschont, die Jahrhunderte lang ein Schrecken der Christenheit gewesen waren.
Der französische König war indessen ungestört im Besitze der ungerecht erworbenen „Reunionen" geblieben, welche ihm überdies ein Vertrag mit dem Kaiser auf zwanzig Jahre zusicherte. Dazu suchte er seiner Macht auch jenseits des Mittelmeeres Ansehen zu verschaffen^ indem er Algier und Tripolis angriff, wie er Genua verwüstet hatte.
Im eigenen Lande schaltete Ludwig XIV. mit unerhörter Grausamkeit gegen seine reformierten Unterthanen. Nachdem sie in der Pariser Bluthochzeit (1572), deren Schrecken die entmenschte Königin Katharina von Medici geschürt hatte, fast vernichtet waren, hatten sie
sich unter den Segnungen des Edikts von Nantes (1589 Heinrich IV.
von Navarra) zu neuer Lebenskraft erhoben. Nun wollte Ludwig XIV. die Reformation in Frankreich bis auf den Grund ausrotten. „Mein Großvater" (Heinrich IV.), sagte er, „liebte die Hugenotten und fürchtete sie nicht; mein Vater (Ludwig XIII.) liebte sie nicht, aber fürchtete
sie. Ich liebe sie weder, noch fürchte ich sie."
Er hob das Edikt von Nantes ans (1685), und die Reformierten, die nicht zur katholischen Kirche zurückkehrten, wurden unbarmherzig aus dem Lande vertrieben.
„Wir und andre evangelische Puissancen," schrieb der Große Kurfürst, „würden es dermaleinst vor dem Allerhöchsten schwer zu verantworten haben, wenn wir diese intendirte Ausrottung des reinen Evangeliums gleichsam mit gebundenen Händen noch ferner ansehn wollten." Friedrich Wilhelm war wieder voll und ganz der wahrhaft große Kurfürst, der seinen Groll siegreich unter dem Fuße hatte. Er konnte jetzt nicht länger Frankreichs Verbündeter sein. Den Erlaß des französischen Königs beantwortete er mit dem „Edikt von Potsdam", in dem er
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allen um ihres Glaubens willen Vertriebenen eine Freistatt in feinem Lande bot, und in dessen Ausführung er voll landesväterlicher Fürsorge den französischen Auswandern besondre Vorteile und Privilegien gewährte, eine eigne Kirchenverfassung, eigne Gerichtsbarkeit u. v. a. Sie lohnten es ihrem neuen Landesherrn durch unwandelbare Treue und Dankbarkeit; die französischen Emigranten sind den branden-bnrgischen Landen ein Segen geworden bis auf den heutigen Tag. Ihr Gewerbsleiß, ihre feine Gewandtheit in jeglicher Unternehmung der Industrie, die wissenschaftliche und künstlerische Bildung Frankreichs unter Ludwig XIV., welche die französischen Einwanderer in der neuen Heimat pflegen durften, das alles kam dem wachsenden Staate Brandenburg-Preußen anregend und belebend zu Nutzen.
Auch der Kurfürst von Sachsen empfing die evangelischen Glaubensgenossen in fürstlicher Gastfreundschaft und durfte gleich dem Kurfürsten von Brandenburg den Segen feiner Thaten ernten. Dieser konnte nichts halb thun. Er hatte wieder das deutsche Herz unwandelbar auf dem rechten Flecke. Als hätte er eine Schuld zu sühnen, so trat jetzt der Große Kurfürst opferwillig auf des Kaisers Seite, zu dessen Gunsten er seine schlesischen Erbansprüche aufgab und sich mit dem Schwiebuser Kreis abfinden ließ. Er leistete selbst Hülse gegen die Türkei; 8000 Brandenburger zeichneten sich glänzend bei der Erstürmung der Stadt Ofen aus. Und wie lohnte der Kaiser, Oesterreich?
Heimlich unterhandelte der kaiserliche Hof mit dem branden-burgischen Kurprinzen und ließ sich von ihm einen Revers ausstellen, wonach er das ihm sicher bekannte aber nicht zusagende Testament, seines Vaters, das doch der Kaiser bestätigt hatte, ungestört umstoßen bürste, wenn er den Schwiebuser Kreis wieder herausgeben würde.
Kaum waren vier Jahre des zwanzigjährigen Waffenstillstandesvergangen, den Ludwig XIV. mit Deutschland abgeschlossen hatte, als er neuen Vorwand zum Kriege fand. Unter dem Vorwcmde, Nachricht zu haben, daß der deutsche Kaiser ihn angreifen wolle, sobald er mit den Türken Frieden habe, behauptete er, ihm zuvor kommen zu müssen, und als jetzt der Kurfürst von der Pfalz starb (1685), dessen Schwester mit dem Bruder Ludwig XIV. vermählt war, begehrte er darauf hin pfälzische Besitzungen für Frankreich. Seine Kriegserklärung, falls man ihm das begehrte Land verweigern sollte, eröffnete „der allerchristlichste König" mit einem verheerenden Einfall in die Rheinlande, die er zur Wüste wandeln wollte, um dem Feinde den Krieg unmöglich zu machen.
Hohnlachend sprengte der Mordbrennergeneral Melac die herrlichen Zürnte des Heidelberger Schlosses und die Mauern der Stadt.
„Die Ketzer müsse man mit Feuer und Schwert ausrotten, wie Muhamedauer," damit rechtfertigte der französische Herzog Creqni' seine Grausamkeiten.
„Der König will's!" war die Antwort, wenn die jammernden Einwohner, die an der Zerstörung ihrer Städte helfen mußten, um Erbarmen flehten. Die Bauern mußten ihr erntereifes Kornfeld umpflügen, die Weinstöcke wurden ausgerissen und verbrannt, die Obst-bäume an der Wurzel abgehauen. Arm und obdachlos wurden Bürger und Bauern in das lüitste Land Hinausgetrieben. Wollten sie etwas non dem ^slueti retten, dann wurden sie unter den grausamsten Martern erschlagen, auf den Brandstätten lagen die Leichen der verhungerten, mißhandelten Menschen. Im Dome der alten Kaiserstadt Speyer wurden die kaiserlichen Grabstätten frevelhaft zerstört, die silbernen Särge geraubt, die Gebeine in alle Winde gestreut.
_ Das war eine himmelschreiende Not, und der französische Kriegsminister hatte ein weiteres Verzeichnis von 1200 Städten und Dörfern ausgegeben, die zur Vernichtung bestimmt waren, als noch die deutschen Fürsten berieten, ob sie sich mit dem französischen König in Krieg einlassen wollten, der nun schon seit Jahr und Tag ungestört das deutsche Land verwüstete. Zwar hatten sich seine Gegner im Sommer des Jahres 1686 im Augsburger Bündnis vereinigt; selbst Schweden erinnerte sich seiner Pflichten gegen die protestantische Sache. Auch der Papst fing an, die Macht der französischen Bourbonen zu fürchten. Neben den kaiserlichen Truppen sollten 22,000 Brandenburger „graden Weges nach Paris losgehen." So hatte der Große Kurfürst selbst den Kriegsplan entworfen; nur sollte zuvor England gewonnen werden, das sich unter dem katholischen Stuart, Jakob II., zu Frankreich hielt. Dem Oranier Wilhelm III., auch vom Papst begünstigt, war die englische Krone zugedacht.
Unter diesen schwierigen Verhältnissen kränkelte der Große Kurfürst. Häusliche Sorgen, Zerwürfnisse seiner zweiten Gemahlin Dorothea mit den Kindern erster Ehe, der plötzliche Tod des Kurprinzen und seines Bruders, den man auf Vergiftung zurückführte, dieses alles hatte ihn an die Bestellung seines Hauses denken lassen. Sein berühmtes Testament (1686), das wohl unter dem Einflüsse der Kurfürstin zu Gunsten ihrer Kinder entschieden hatte trotz aller Achtung vor dem Achilleischen Haus-
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gesetz, in dem die Unteilbarkeit der Mark festgestellt war, wurde später durch die Hochherzigkeit und Klugheit seiner Kinder auch aus zweiter Ehe in den edelsten Schranken gehalten.
Obgleich der Kurfürst bis zum letzten Lebenstage die Staatsgeschäfte leitete und die Kriegspläne scharf ins Auge faßte, waren die letzten Monate seines Lebens doch nur einem Ringen mit dein Tode gleich. Nachdem er feierlich von den Seinen Abschied genommen hatte, war seine große Seele zur Ewigkeit eingegangen (9. Mai 1688). „Ich weiß, daß mein Erlöser lebt!" Mit dem Wort war der Große Kurfürst von einer Welt geschieden, die ihm viel schwere Kämpfe, aber wenig Tage der Ruhe gebracht hatte.
Man dürfte sagen, daß er zu groß für seine Zeit gewesen sei, da er um mehr als Haupteslänge über die Fürsten seines Jahrhunderts hinwegragte, uud doch, er ist dem Felsen gleich, an dem sich die brandenden Wogen brechen müssen, ein Steuermann, der seines Schiffes Lauf trotz Sturm uud Wetter zu richten weiß. Aus einem Nichts erhob er seine Staaten zu glänzender Ehrenstellung nach außen, zürn Glück jedes Einzelnen seiner Unterthanen. Das Große umfassend, hielt er das Kleine im Auge, aus dem das Ganze sich aufbaut und darum dünkte es dem Großen Kurfürsten nicht zu klein, im Lustgarten selbst das wohlgepflegte Gemüse zu begießen, das er durch holländische Ansiedler hatte anpflanzen lassen, auch wohl selbst auf den Markt zu gehen, um dort zu prüfen, was seine Märker geerntet hatten. Ja man sah den fürstlichen Herrn Einkäufe machen und die Waare selbst ins Schloß tragen, etwa den ersten Blumenkohl oder ein Vögelchen im Bauer. Da fühlte sich der Geringste aus dem Volke seinem Kurfürsten nicht sogar ungleich, und jeder hatte ihn um so mehr lieb, weil er wie ein guter Hausvater auf alles ein wachsames Auge hatte.
Wie der Große Kurfürst inmitten der Wirren des dreißigjährigen .Krieges Hand anlegte zum Neubau der zerrütteten Verhältnisse seiner Staaten, so wollte er hochherzig der Kirche den langentbehrten Frieden geben, selbst um den opferreichen Preis, eigne Wünsche und Ansichten aufzugeben, aber auch mit der Strenge eines königlichen Richters. Die verschiedenen Richtungen^ und Konfessionen der christlichen Kirche sollten sich in seinen Landen nicht befeinden, sondern in Duldung neben einander wohnen. Wer das nicht konnte und wollte, sollte weichen. Selbst ein Paul Gerhardt mußte die Mark verlassen, weil er sich nicht fügen mochte. Der Kurfürst war und empfand zu groß, um einseitige
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Anschauungen gelten zu lassen; auch von seinen Feinden hatte er gelernt. Darum konnte er klaren Blicks Kurbrandenburg so weit vorwärts führen, daß diesem zu einem Königtum nur noch der Name mangelte. Gewiß sollte das Wort eines Biographen allezeit unvergessen bleiben: „Gesegneten Andenkens soll er bei denen sein, die unter den Fruchtbäumen wohnen, die er gepflanzt hcit!'v
3. Vom Tode des Großen Kurfürsten bis zum Ende Ludwigs XIV. Aufrichtung des preußischen Königtums und der spanische Erbfolgekrieg.
Den väterlichen Ueberlieferungen getreu, war der Sohn und 'Nachfolger des Großen Kurfürsten, Friedrich III. von Brandenburg, den räuberischen Franzosen am Rhein entgegengetreten und hatte wenigstens Köln vor ihnen zu retten vermocht, das Ludwig XR . seinem Günstling Wilhelm von Fürstenberg, dem Bruder des Straßburgers, als Erzbistum zugedacht hatte. Nach vielen Bemühungen war auch der Kaiser-gleich Holland und England gegen Ludwig gewonnen worden, nachdem der tapfre und kluge Dränier Wilhelm III. sich die englische Krone errungen hatte. Auch er war bereit, sich den deutschen fürsten für ihre Unterstützung und Zustimmung dankbar zu beweisen, die jetzt zum ersten Male als selbständige Bundesgenossen neben dem deutschen Kaiser, Schweden, Dänemark und Italien der „großen Koalition gegen Frankreich beitraten. Unter den königlichen Stuarts war England ein zuverlässiger Freund Frankreichs, das nun nicht nur einen Bundesgenossen verloren hatte, vielmehr einen gefährlichen Feind in dem protestantischen Dränier bekämpfen sollte.
Die scheinbar große Streitmacht der Bundesgenossen zersplitterte sich in Parteistreitigkeiten. Auch hatte der deutsche Kaiser die Türkenkriege noch nicht völlig beendet, Wilhelm III- seine neue Königsh' rr-fchaft nicht befestigt, und jeder einzelne Fürst wollte nicht umsonst, etwa gar um des Vaterlands willen, mit den Franzosen stiegen, oo machte Herzog Ernst August vou Braunschweig-Lüneburg seine Hülfe von der Kurwürde abhängig, die ihm der Kaiser verleihen sollte.^ Lone Zustimmung der übrigen Kurfürsten errichtete Kaiser Leopold für ihn die Kurwürde von Hannover (1692). Somit gab es nun in Deutschland neun Kurfürsten.
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Aus Verdruß und Eifersucht gegen Kaiser und Kurfürsten näherten sich jetzt die übrigen deutschen Fürsten wieder Ludwig XIV., dem die rheinischen Kurfürsten längst unter der Hand geneigt waren. Wenn Frankreich der Kirche das Zugeständnis einer neuen geistlichen Kurwürde, der von Salzburg meichen würde, so hätte es sich damit in den übrigen geistlichen Kurfürsten Bundesgenossen inmitten des deutschen Reiches geschaffen. Das war also das endliche Ergebnis aller Verbrüderungen und Bündnisse der deutschen Fürsten gegen Ludwig, der dadurch wieder neuen Mut haben durfte, in altgewohnter Treulosigkeit seine Pläne zu verfolgen, obgleich es schien, als sei ganz Europa in der „großen Koalition" gegen Frankreich aufgestanden. Ein neunjähriger Kampf führte trotz des hin und her schwankenden Kriegsglücks kaum nennenswerte Entscheidungen für den Einzelnen herbei.
Gleich anfangs wurden die Franzosen von den Brandenburgern und Niederländern bei Neuß geschlagen, durch den tapfern Herzog Karl von Lothringen mit Hülfe der Sachsen und Bayern aus Mainz, durch ein englisch-niederländisches Heer aus Flandern vertrieben. Doch gingen die errungenen Vorteile durch die darauf folgenden Siege der Franzosen verloren, bei Fleurus 1690, Eroberung der Festung Mons 1691. Auch Namur wurde im folgenden Jahre durch Ludwig selbst erobert, und wenngleich feine Flotte bei La Hogue den Engländern erlag, so hatte er dennoch ein siegreiches Uebergewicht dadurch zu erlangen gewußt, daß er die zersplitterten Kräfte der Verbündeten noch mehr zu trennen verstand und mit jedem einzelnen unterhandelte. Denn schon fühlte er sich geschwächt genug, um den Frieden zu wünschen; auch hatte er neue Ziele ins Auge gefaßt, feine Habsucht zu befriedigen. Der Kaiser brauchte seine Streitkräfte gegen die Türken und war sehr geneigt, auf Ludwigs Wünsche einzugehen, zumal, da er ähnliche Gelüste hatte, wie dieser.
Der spanische König Karl II., seit frühester Jugend nicht voll zurechnungsfähig, ging als der letzte spanische Habsburger seinem Ende entgegen. Mit der einen Schwester desselben war Ludwig vermählt gewesen, die andere war die Gemahlin des deutschen Kaisers Leopold I., der aber nicht gleich Ludwig für alle Zeiten auf die Erbschaft Spaniens Verzicht geleistet hatte.
Indessen wußte Ludwig seine Gegner durch mancherlei Zugeständnisse für sich zu gewinnen und der Friede kam zu Nyswick (Reißweg nannte es das Volk), einem Schlosse bei dem Haag zustande, in dem
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Frankreich freiwillig viele neu eroberte Städte herausgab, auch Freiburg, Breisach, Kehl, Philippsburg und alle kleineren Festungen diesseits des Rheins, welche Ludwig selbst hatte anlegen lassen. Nur die Franche Comte, auch Straßburg und die „reunierten" Landstriche behielt er. Zwar wurde Wilhelm III. von Oranien als englischer König anerkannt, und gegen Zahlung vou 300 000 Thalern verzichtete Frankreich auch auf die erhobenen pfälzischen Erbansprüche der Herzogin von Orleans, doch sollte die Erhaltung der von Ludwig in 1922 Ortschaften der Pfalz wieder eingeführten katholischen Konfession streng gewahrt bleiben. Da auch der Kaiser unthätig dazu schwieg, waren die armen protestantischen Pfälzer völlig hülflos, aber die Entrüstung aller Evangelischen im Reiche gegen das Neichsoberhanpt war auch etwas, das den Interessen Frankreichs dienen mochte. Die bedrängten Pfälzer mochten sich in der Fremde eine neue Heimat suchen.
Noch ehe der spanische König sein sieches Leben beschlossen hatte, war sein Hof einem Feldlager gleich, in dem die spanisch-französische Partei unter dem Schutz und den Intriguen des französischen Gesandten, die deutsch österreichische Partei unter dem Einfluß der Königin ein günstiges Testament des sterbenden Königs zu erringen strebten. Als dritter machte Kurfürst Maximilian von Bayern für seinen Sohn Ansprüche auf die spanische Krone, weil er selbst mit der deutschen Kaisertochter vermählt war. Auch Ludwig XIV. that, als ob er nur die Rechte seines Enkels, Philipp von Anjou, verfechte. Da er nach den letzten Kriegserfahrungen fürchten mochte, nicht zu gewünschtem Ziele zu gelangen, wenn er die ganze spanische Erbschaft beanspruchte, so versuchte er einen Teilungsplan durchzusetzen, bei dem er möglichst gut fort gekommen wäre. Die Jesuiten mußten den König dazu bereden und die Königin von ihrem Gemahl fern halten. Aber dieser hatte doch noch so viel eigene Meinung, daß er gar feine Lust zu einer Teilung seines Königreichs bezeigte und den Kurprinzen von Bauern eiligst zu seinem Erben und Nachfolger bestimmte. Damit lüäre nun jede Liebesmühe und jeder Anspruch der andern vergeblich gewesen, wenn nicht der Kurprinz noch vor dem sterbenden Oheim selbst gestorben wäre. Jetzt mochten Frankreich und Oesterreich aufs neue um die königliche Erbschaft ringen. Karl II. war für Oesterreich und forderte seinen kaiserlichen Schwager auf, den Sohn nach Spanien zu schicken. Leopold meinte, den Erben der spanischen Krone nur in königlicher Ausstattung in sein neues Reich senden zu dürfen,
itnb ehe diese fertig war, ruhte Karl Is. schon in der Gruft feiner Väter.
Während sich der österreichische Gesandte als Vertreter des zukünftigen Königs recht breit machte, hatte französisches Geld und welsche Schlauheit so fein in der Stille unterhandelt, daß der letzte Wille des Königs den Enkel Ludwigs XIV., Philipp von Anjou, zum alleinigen Erben der gesamten spanischen Monarchie bestimmte.
„Nun giebt es keine Pyrenäen mehr für Frankreich und Spanien" jubelte Ludwig und sandte den jungen Erben mit einem Heere nach Spanien, um als Philipp V. die Krone desselben in Besitz zu nehmen.
Der deutsche Kaiser erklärte das Testament für gefälscht, und die übrigen europäischen Mächte wollten die Herrschaft Ludwigs, der längst kriegsbereit seine Feinde erwartete, auch nicht ohne Weiteres überhand nehmen lassen.
Im Reiche war wenig Stimmung vorhanden, einen Kampf aufzunehmen, der für die meisten Fürsten nur insofern Interesse haben konnte, als es galt, den allgemeinen Feind, Frankreich, zu bekriegen. Denn der Siegespreis des Kampfes, den die Geschichte den spanischen Erbfolgekrieg (1702 bis 1714) nennt, konnte nur Oesterreich zu. gute kommen, das sich keine Freunde unter den deutschen Fürsten erworben hatte. Der Undank des Hauses Oesterreich war sprichwörtlich im Reiche. Während die Protestanten dem Kaiser wegen des Ryswicker Friedens zürnten, fühlten sich die übrigen durch die willkürliche Ernennung des Braunschweiger Herzogs zum Kurfürsten von Hannover beeinträchtigt, und alle waren wenig hülfsbereit. Nur der Brandenburger Kurfürst Friedrich III. bot Hülfe für einen Preis, der dem Kaiser anfangs unerhört dünkte. Er begehrte die preußische Königskrone für Kurbrandenburg und hatte zunächst die Genugthuung, Dank den Bemühungen seiner Gemahlin Sophie Charlotte von Braunschweig-Lüneburg, die mächtigsten Fürstenhäuser Europas, ja Deutschlands, seinen Wünschen geneigt zu finden. Endlich wußte der Kurfürst das-Zögern des Kaisers dadurch zu besiegen, daß er sich recht augenscheinlich Frankreich zu nähern schien, und da man außerdem in Wien erfuhr, der Papst mühe sich, die preußische Königskrone als eine Segens-gäbe der Kirche zu spenden, erklärte sich der Kaiser bereit, den Kurfürsten von Brandenburg als König in Preußen anzuerkennen (16. November 1700), wenn dieser ihm eine Kriegs hülfe von 8000 Mann zu dem bevorstehenden Entscheidungskampfe stellen, auch zu Kaiser und»
Reich in weiteren Kriegen halten würde und dem österreichischen Erb-herzoge einst seine Stimme bei der deutschen Kaiserwahl geben wollte.
Sicher wäre der Sohn und Nachfolger des Großen Kurfürsten auch ohne Kaiser und Papst fähig gewesen, sich die Königskrone aufs Haupt zu setzen, die ihm keiner von beiden gewahrt hätte, falls sie ins Schwanken geraten wäre. Vielmehr schalt nun der Papst die vollendete Thatsache der Annahme des Königstitels eine verwegene und gottlose That und forderte die katholischen Fürsten ans, die „von dem Markgrafen von Brandenburg anmaßlich angenommene Ehre nicht anzuerkennen, da sie nur ein Geschenk Gottes, eine Säule und ein Schmuck der Kirche sein könne." In Oesterreich klagte Prinz Eugen, daß die kaiserlichen Minister des Henkers wert seien, die dem Kaiser geraten hätten, die preußische Königskrone anzuerkennen.
Doch verhallte solches Schelten erfolglos. Die Ostseemächte Dänemark, Polen, Rußland hatten überdies, eifersüchtig auf den jungen Schwedenkönig, Karl XII., gegen diesen den großen „nordischen Krieg" (1700 bis 1721) begonnen, durch den sie den österreichischen Interessen noch mehr entfremdet sein mußten. Auch hier hätte Brandenburg sein Schwert in die Wagschaale werfen mögen; aber der hehre, umfassende Geist des Großen Kurfürsten war nicht auf seinen Sohn übergegangen. Er begehrte nur die Glorie einer Königskrone, die er sich und seiner edeln Gemahlin Sophie (Sharlotte- als „ein König von Gottes Gnaden" mit eigener Hand in der Kirche zu Königsberg unter großen Feierlichkeiten aufs Haupt fetzte (18. Januar 1701).
Mit überaus kostbaren Gewändern geziert, welche von Gold und Edelsteinen starrten, begaben sich die Gekrönten zu deu versammelten Ständen, wo sie auf silbernen Sesseln Platz nahmen. Nach erfolgter Huldigung zogen alle in glänzender Prozession zur Schloßkirche, wo die feierliche Salbung erfolgte, nachdem hier, wie in allen Kirchen des Reichs zur selben Stunde über den Text gepredigt worden war: „Ich habe gefunden meinen Knecht David; ich habe ihn gesalbt mit meinem heiligen Oese; meine Hand soll ihn erhalten, und mein Arm soll ihn stärken". Seitdem nannte sich der erste König Preußens Friedrich I. Am Tage vor seiner Krönung hatte er den schwarzen Adlerorden gestiftet mit der Inschrift: „Suum cuique", jedem das Seine!
Doch was ursprünglich als eine That der Eitelkeit erschien, war nur einer Aussaat gleich, deren Pflege dem Hause der Hohenzollern in alle Zukunft eine verpflichtende Aufgabe wurde. Schon unter
Friedrichs T. Regierung erhielt der preußische Staat manchen Zuwachs. Durch Erbrecht fielen ihm die Grafschaften Mörs und Singen zu, die Grafschaft Tecklenburg in Westfalen wurde für 300,000 Thaler angekauft. Auch ein Teil Geldems kam an Preußen, Neuenburg und Valengin standen in Aussicht. Die preußische Krone hatte sich mit königlicher Glorie umkleidet.
Allmählich gewann der Kaiser außer Preußen noch England, Holland, endlich auch Portugal und Savoyen als Bundesgenossen. Doch schien er die beste Bürgschaft für glückliche Erfolge des Bundesheeres in seinem bewährten Feldherrn Prinz Eugen von Savoyen und dein englischen Herzog Marlborough als Heerführern zu besitzen.
Mit Ludwig XIV. verbanden sich zunächst zwei deutsche Fürsten, der in der spanischen Erbschaftsfrage geschädigte bayrische Kurfürst Maximilian Emanuel und sein Bruder, der Kurfürst von Köln. Zum Lohne dafür sollte Bayern die Niederlande haben. Vielleicht! Auch der Kurfürst August der Starke von Sachsen hoffte als erwählter König von Polen aus Frankreichs Beistand im nordischen Kriege und war dafür bereit, diesem gegen den Kaiser zu helfen. Aehnlich handelten die Anverwandten des neuen Kurfürsten von Hannover, die unter dem Namen einer „bewaffneten Neutralität" zu Frankreich standen, wie auch die Herzöge von Gotha, Altenburg und andre.
Das waren nun wieder recht heillose Zustände im deutschen Reiche, unter denen endlich der „spanische Erbfolgekrieg" im Jahre 1701 begann und bis zum Jahre 1714 in großer Heftigkeit zu Wasser und zu Laude geführt wurde. In Deutschland, in Italien, in Spanien und den Niederlanden floß das Blut in Strömen. An der Spitze eines HeereS von 30,000 Mann, unter ihnen 10,000 Soldaten des preußischen Königs, eröffnete Prinz Eugen in Italien den Krieg. Ueber Felsen und Abgründe hatte er sich den Weg dahin unter den größten Gefahren gebahut und stand mit seinen Truppen unerwartet in der Ebene von Verona, während die Franzosen ängstlich die Alpenpässe bewachten, welche er klug mit den Seinen umgangen hatte.
Zunächst siegte der Prinz bei Capri und bei Chiari, nährn den feindlichen Heerführer bei Cremona gefangen, mußte aber bald den mit großer Uebermacht heranrückenden Franzosen weichen, da er keine Hülfe vom Kaiser zu erwarten hatte. Dieser wurde im eignen Reiche hart bedrängt. Der Kurfürst von Bayern eroberte selbst Ulm und besetzte mit seinen Truppen Schwaben und Tyrol. Schon waren
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Kufstein, Innsbruck unb aiibre feste Stäbte in seiner Hanb, ba standen bie bem Kaiserhause ber Oesterreicher treuen Tyroler gegen bie Bayern auf unb verteidigten bie Engpässe ihrer Berge von ben schroffen Felsenhöhen herab. Fast wäre ber bayrische Kurfürst selbst ber Kugel eines Scharfschützen erlegen. Er floh eiligst in sein Lanb zurück, griff aber bann vereint mit ben Franzosen bie Oesterreicher bei Höchstebt an unb schlug sie in bie Flucht (1703).
Bei ber Nachricht dieser Nieberlage bes Kaisers eilte Marlborough aus ben Nieberlctnben herbei, wo er eine Festung nach ber anbern genommen hatte. Mit bem Prinzen Lubwig von Baben vereint erstürmte er bie bayrisch-französische Verschanzung bei Donauwörth (1704) unb schon war ber bebrängte bayrische Kurfürst zu Friebens-verhanblungen geneigt, als bie Nachricht von bem Anrücken bes französischen Marschalls Tallarb eintraf.
Doch auch bem Kaiser kam Hülfe. Prinz Eugen rückte in Eilmärschen herbei, sich mit Marlborough zu vereinigen. Bei Hochstädt in der Donauebene kam es zu einer furchtbaren Schlacht, in ber auch die straffen Regimenter der Preußen unter dem Fürsten Leopold von Dessau sich auszeichneten. Wohl hatte Prinz Eugen einen harten Staub gegen bie tapfern Bayern, währenb sich Marlborough an ber Spitze seiner Englänber und der Hessen auf die Franzosen warf unb sie in die Flucht schlug. Und als die Bayern ihre Stellung nicht mehr zu halten vermochten, waren sie doch noch im stände, in geschlossener unb fester Haltung ben Rückzug anzutreten.
Das war ein verhängnisvoller Tag. Zwanzigtausenb Franzosen unb Bayern lagen tot aus bem Schlachtselbe, fünfzehutauseub, unter ihnen ber französische Marschall Tallarb unb seine beiben Söhne, waren gefangen. Eine reiche Kriegsbeute fiel ben Siegern in die Hände, unb biefer glorreiche Kamps gab bem greifen Kaiser Leopolb neuen Mut, ben unglückseligen Krieg boch noch zu Enbe führen zu sönnen. Aber der Tob machte feinen Plänen ein Enbe (1705). Im folgte fein Sohn Joseph I.
Vor bem jungen Kaiser lag Kurbayern gleichsam als Siegesbeute. Die oerbiinbeten Mächte jubelten, bic Franzosen waren eublich unterlegen. Aber noch mußte ihre Niederlage gründlich ausgenutzt werden, sollten Ludwigs XIV. Ansprüche damit vernichtet sein. Prinz Eugen war nach Italien, Marlborough nach den Niederlanden zurückgekehrt, währenb bie Oesterreicher mit furchtbarer Grausamkeit in Bayern
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hausten. Da erhob sich das bayrische Volk zu einem Kampf auf
Leben und Tod. „Lieber bayrisch sterben, als kaiserlich verderben!"
war die Losung, unter der wohl 20,000 Landleute unter der Führung eines Studenten, namens Meindel, zu den Waffen griffen. Aber die
ungeübten Streiter unterlagen und flohen ins Ausland. Ihr Kurfürst und dessen Bruder, der Erzbischof von Köln, wurden als Strafe für den bayrischen Aufstand in die Reichsacht gethan.
Von jetzt an wurde Spanien, dessen begehrter Besitz den Krieg hervorgerufen hatte, der Schauplatz desselben. Eine österreichische und eine französische Partei schürten im Lande selbst einen Kampf, dessen Ausgang sich noch gar nicht voraussehen ließ. Nach Unterwerfung von Katalonien und Navarra hatte der französische Philipp (V.) endlich seinen Einzug als König in Madrid gehalten (1706), aber den feindlichen Truppeu schon drei Monate später weichen müssen. Wohl er-
oberten die Franzosen allmälig viele verlorene Plätze zurück; aber seit der furchtbaren Niederlage von Hochstädt schien das Kriegsglück von ihnen gewichen zu sein. Noch einmal sandte Ludwig seinen bewährten Feldherrn Villeroy an der Spitze eines großen Heeres nach den Niederlanden, den alten Kriegsruhm gegen Marlborough zu verfechten. Bei dein Dorfe Ramillier, nicht weit von Waterloo, das nach mehr als hundert Jahren den Franzosen nochmals verhängnisvoll wurde, erlitt das französische Heer eine vernichtende Niederlage. Die stolzen Garden. Ludwigs vermochten nicht einmal ihre Fahnen zu retten. So sielen Flandern und Brabant und mußten dem Erzherzog Karl als dem rechte mäßigen Karl III. huldigen.
Fast zu gleicher Zeit unterlagen die Franzosen in Italien. Hier war Prinz Eugen der durch die Franzosen bedrängten Residenz des Herzogs von Savoyen, der Stadt Turin, mit einer säst ans Unglaubliche grenzenden Schnelligkeit zu Hülse geeilt. Unter unsäglichen Schwierigkeiten hatte er mit seinen Truppen über Berge und Ströme mehr als hundert Wegstunden in so kurzer Zeit zurückgelegt, daß ihn die Franzosen noch gur nicht erwarteten. Kaum war die Kunde von seinem Aufbruch zu ihnen gelangt. Mit dem Prinzen waren die Preußen unter Fürst Leopold von Dessau den Belagerern in den Rücken gefallen und gerade sie erstürmten die erste französische Schanze (7. Sept. 1706). Bald waren auch die übrigen Befestigungen genommen, und die Franzosen suchten ihr Heil in wilder Flucht. Frauk-
Bornhak, Unser Vaterland. OA
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reich mußte sich durch die sogenannte „Generalkapitulation" zur Räumung von ganz Italien verpflichten.
Der Glücksstern Ludwigs XIV. verblich so jäh, daß der einst so übermütige Sieger zu jeder Friedensbedingung bereit war, obgleich der österreichische Karl auch wenig sichern Boden unter den Füßen hatte. 9(6er Ludwigs Feinde waren jetzt mehr einig als je zuvor, den greisen König zu vernichten, der bis dahin jedes andern Rechte so frevelhaft mit Füßen getreten hatte.
In den Niederlanden hatte bald Marlborough die Franzosen mit dem ihm zu Hülfe geeilten Prinzen Eugen bei Oudenarde besiegt (11. Juni 1708). Auch die schier für unüberwindlich gehaltene Festung Lille war genommen. Mit dem Beginn eines harten Winters brach Hungersnot und Seuche über Frankreich herein, und das zur Verzweiflung getriebene Volk begehrte wenigstens Brot. Aber der Staatsschatz war durch die Kriege geleert und durch Siege nicht wieder gefüllt worden. Unköniglich haltlos flehte Ludwig um Frieden. „Gern wolle er auf Spanien, Indien, Mailand und die Niederlande verzichten, wenn sein Enkel Philipp nur Neapel und Sizilien behalten dürfe."
„Kein Dorf der spanischen Monarchie könne dem Hause Habsburg entzogen werden," war die stolze Antwort der englischen und österreichischen Heerführer. „Gewiß, alles wolle er herausgeben," versicherte kläglich der von Alter und Schicksal schwer gebeugte König, „auch das Elsaß und die Festungen an der niederländischen und savoyischen Grenze." Doch Ludwig hatte sich umsonst bis zu dieser Bitte erniedrigt. Das alles ivar seinen Feinden noch nicht genug. Er selbst sollte ein Heer rüsten, den eigenen Enkel aus Spanien zu vertreiben.
Das war zu viel der Schmach, und Ludwig wagte einen verzweifelten Rettungsversuch. Er sandte dem kaiserlichen Bundesherrn seinen erprobten Feld Herrn Villars entgegen. Bei Malplaquet, nicht weit von Mo ns, kam es zur furchtbarsten Schlacht des ganzen Krieges (11. September 1709), in der wieder die Franzosen unterlagen, obgleich sie wie Verzweifelte um den Sieg rangen.
Das Maß der Erniedrigung voll zu machen, bot jetzt Ludwig Hülfsgelder zur Vertreibung seines Enkels aus Spanien; aber die Verbündeten bestanden trotzig ans ihrer Forderung, als eben die Schreckenskunde für Ludwig eintraf, daß Philipps Heer geschlagen und Karl III. als Sieger und König in Madrid eingezogen sei (1710). Ganz Frank-
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reich sah jetzt verächtlich auf Ludwig XIV., der es einst zu Ruhm und Sieg geführt und seinem Volke ein glänzendes Zeitalter bereitet hatte. Es war vergessen über der Schmach, die nun Frankreich erfahren mußte.
Als sollte dem bis zur Verzweiflung gedrängten König noch ein Strohalm der Hoffnung gereicht werden, änderte der plötzliche Tod Kaiser Josephs I., der ohne männliche Erben starb, die politische Lage. Nun war Josephs Bruder, der spanische Karl, Erbe der Kaiserwürde und der österreichischen Besitzungen. Aber die machtvolle Monarchie eines Karl Y. sollte nicht in seinem Enkel Karl III. (VI.) aufs neue erstehen. Das europäische Gleichgewicht mußte erhalten bleiben, unb darum sollte er als Erbe der österreichischen Besitzungen und der deutschen Kaiserwürde die Monarchie Spanien nicht ungeteilt besitzen.
Ein Zweites kam Frankreich zu statten. In England hatten politische Parteibestrebungen, noch mehr eine Hofintrigue den Herzog Marlborough wie seine Gemahlin in Ungnade fallen lassen, obgleich diese bis dahin die Freundin der regierenden Königin Anna gewesen war. Der Königin war deshalb daran gelegen, dem Herzog die Führung eines Heeres zu nehmen. Sie unterhandelte darum heimlich mit Frankreich, und im Frühling des Jahres 1712 kamen die beiderseitigen Gesandten in Utrecht zusammen, den Frieden einzuleiten, der bort im folgenden Jahre zwischen Frankreich und den kriegführenden Mächten geschlossen wurde (1713), ausgenommen von Kaiser und Reich. Danach hatte Ludwig XIV. die Genugthuung, daß sein Enkel Philipp V. Spanien und Indien erhielt, doch mit der besonderen Klausel, daß Frankreich und Spanien niemals zu einer Herrschaft vereinigt werden dürften.
England behielt das eroberte feste Gibraltar an Spaniens Südspitze nebst der Insel Minorka und Neuschottland in Amerika. Der Herzog von Savoyen erhielt mit dem Königstitel Sizilien, das sieben Jahre später mit Sardinien vertauscht wurde. Den Holländern wurden mehrere Festungen längs der französischen Grenze zugesprochen; aber die spanischen Niederlande, auch die spanischen Besitzungen in Italien, Neapel, Mailand und Sardinien sollte der deutsche Kaiser haben. Damit nicht zufrieden, fetzte dieser den Krieg noch eine Zeit laug fort, mußte sich aber endlich auch zum Frieden bequemen, der zu Rostock abgeschlossen wurde (7. März 1714). Darnach nahm er als Karl VI. von Deutschland den ihm zugesprochenen Teil der spanischen Monarchie an, und war somit nach so viel Blutvergießen die Teilung derselben
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fast in demselben Maßstabe vollzogen, wie sie vierzehn Jahre zuvor geplant wurde. Auch der Kurfürst von Bayern und sein Bruder, der Kölner Erzbischof, erhielten ihren alten Besitz zurück.
Ludwig XIV. war ein müder Greis, für den der Friede wenig zukünftiges Glück bergen konnte. Er starb, acht und siebzig Jahre alt (1715), und war somit zwei und siebzig Jahre König von Frankreich gewesen, das er seinem sechsjährigen Urenkel, Ludwig XVv verarmt und zerrüttet zurückließ. Was dieser unter der Regentschaft des verruchten Herzogs von Orleans und später als selbständiger Herrscher Frankreichs sündigte, das mußte sein Nachfolger furchtbar büßen.
4. Kurzer Rückblick nuf die innern Zustände Deutschlands im sogenannten Zeitalter Ludwigs XIV.
Obgleich dieser Zeitraum, oder besser gesagt, die Zustände, welche Ludwigs XIV. lange Regierungszeit auch für Deutschland herbeigeführt hatten, mehr als nur die Zeit seines Lebens umfassen, so giebt doch der Tod des Königs einen bedeutsamen Abschluß des Jahrhunderts, das sein Gepräge trägt.
Unter Frankreichs Einfluß war den deutschen Landen nach dem dreißigjährigen Kriege ein Friede gegeben worden, der mehr einem betäubenden Todesschlafe glich, als einem Erwachen zu neuem Leben. Zog das verschwenderische, abenteuerliche und unsittliche Treiben vieler Höfe einen völligen Vermögensbankerott einzelner Staaten nach sich, wie wäre es nur möglich gewesen, daß das deutsche Volk davon unberührt geblieben wäre?
Für die Schuldenmassen des Kurfürsten Johann Georg II. von Sachsen mußten seine Landstände eintreten. Einer seiner Nachfolger, Johann Georg IV., suchte durch harte Steuern und Erpressungen nur Mittel für seine Verschwendungssucht. Dessen Bruder, August II., der Starke, führte ein so tolles Leben, daß es wenig erquicklich ist. Genaueres darüber zu sagen. Um. den Preis des Religionswechsels wurde
er auch König von Polen (1697.) Seit dieser Zeit blieb das sächsische
Kurfürsten-, spätere Königshaus katholisch.
Aehnlich, wenn auch nicht ganz so arg, lebten die Kurfürsten Mar Emcmuel II. von Bayern (f 1726) und dessen Vetter Johann Wilhelm von der Pfalz (f 1716). Auch der Hof des Kurfürsten von
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Brauuschweig-Hannover (König Georg I. von England) war nicht nur in der Anlage seiner Gärten mit den steif beschnittenen TarnShecken und Bosquets bemüht, Frankreichs Sitten und Gebräuchen nachzuahmen. Ebenso war es am Württemberger Hofe unter Eberhard
Ludwig (1693—1733) und Herzog Karl Alexander (1733 —1737), dessen Günstling, der Jude Süß, das Land derart auspressen durfte, daß die armen Bewohner ihr Heil in der Allswanderung uach Amerika suchten.
Da scheint es nicht wunderbar, daß es dem Einzelnen im Volke feine Ehre und Freude mehr ist, Angehöriger eines Staates zu sein. Ihm ist das Herz erstarrt über den Gräueln langer Kriege, die ihm nur Opfer auferlegt haben und einzig der Habsucht und deu Eroberungsgelüsten der einzelnen Landesherren dienten. Die alt angestammte
Treue zwischen Fürst und Volk ist gelockert, und die Selbstsucht ist dem Leben des Einzelnen, wie der Staaten aufgeprägt.
„Wer etwas will haben, der muß es wagen und nicht achten auf der Seilte Sagen," wurde damals sprichwörtlich.
Nur wenige Staaten des deutschen Reiches suchten dem allgemein verderblichen Zuge ihrer Zeit entgegen zu arbeiten, den Frankreichs Einfluß über Deutschland gebracht. So lange der Große Kurfürst das Steuer Brandenburgs führte, war er der ritterliche Wächter deutscher Sitte gewesen, und ob er gleich ineinte, seine Kurwürde und Brandenburgs Ehre auch durch äußere Prachteutsaltuug vertreten zu müssen, so brachte erst die Prachtliebe seines königlichen Sohnes mit französischen Moden und Gebräuchen Schulden für das neue Königreich Preußen, und die gesunde, wenn auch etwas rauhe Urkraft Friedrich Wilhelms I. mußte erst klärend und reinigend auf Preußens Entwicklung und darüber
hinaus auch auf andre Staaten wirken.
Gegenüber den vielen Gefahr drohenden Bewegungen des deutschen Volkslebens geht ein herrlicher, wenn auch in seiner Eigenart vielfach beklagter Zug durch das Ende des siebzehnten, durch die erste Hälfte des achtzehnten Jahrhunderts, der Pietismus. Er schafft um seines thatkräftigen Glaubenslebens willen, trotz viel krankhafter Gefühlsschwärmerei, viel Gutes. Wohl bekämpfen sich in der evangelischen Kirche die Lutheraner mit den Reformierten, in der katholischen Kirche bringen die Anhänger des gelehrten Niederländers Jansen Spaltungen hervor, die den Jesuitismus empfindlich schädigen. Aber doch zieht durch all dieses Ringen ein Lebenshauch, der es bezeugt, daß der
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Buchstabe tötet, aber der Geist lebendig macht. Neben einem Paul Gerhardt, der seine Gemeinde und sein Vaterland verläßt um einer Unterschrift willen, die der lutherische Prediger der Duldung seiner reformierten Glaubensgenossen nicht meint gewähren zu dürfen und doch in seinen herrlichen Liederklängen dem Volke einen bleibenden Besitz bietet, wirkte Philipp Jakob Lpener (f 1705 als Propst in Berlin). In seinem Geiste traten evangelische Gemeinschaften zusammen, welche die ersten evangelischen Missionare nach Ostindien entsandten, aber sie förderten auch in der Heimat evangelisches Glaubensleben, das reiche Früchte trug.
Unter vielem sei nur das Hallesche Waisenhaus genannt, das August Hermann Franke einer armen, hülslosen Kinderwelt erbaute. Voll Gottvertrauens meinte er, daß vier Thaler, welche er in der Sammelbüchse seines Predigerhauses fand, so viel Geld wären, um etwas Großes damit machen zu sönnen. Beim Tode des Stisers (1727) lebten im Waisenhause 430 Waisen; viele hundert andre Kinder und arme Studenten wurden dort gespeist, 21*25 Kinder von 126 Lehrern unterrichtet. Das Waisenhaus oder „die Frankeschen Stiftungen" umfaßten schon damals im Wesentlichen das, was sie heute haben, außer der Waisenanstalt eine Apotheke, eine Buchhandlung und Buchdruckerei, eine Bibelanstalt, ein Wittwen- und Krankenhaus, eine Meierei, eine lateinische Hauptschule (Gymnasium) und ein Pädagogium, eine Erziehungsanstalt für vornehme Schüler, deren reiches Pensionsgeld den armen Kindern zu gute kam. Die Inschrift über dem Haupteingange der im Riesenviereck einen Hof umschließenden Stiftungen ijt Leben und Wahrheit geworden: '„Die auf den Herrn harren, kriegen neue Kraft, daß sie ausführen mit Flügeln wie Adler! ..."
Die Liebesthätigkeit der „Stillen im Lande", der „Pietisten", die nicht „in der Gleichstellung der Welt leben wollten", sich sogar in ihrer einfachen Kleidung absonderten, schuf Wunder in einer Zeit, die der krassesten Gegensätze genug hatte. Durch völlig freiwillige Beiträge dieser „Pietisten" war in einem Zeitraum von kaum zehn Jahren mehr als eine Million Thaler für die Zwecke christlicher Liebeswerke in Deutschland zusammengelegt worden.
Neben solchen Trägern evangelischen Glaubenslebens steht würdig der edle Katholik Friedrich von Spee, der mit Wort und Schrift erfolgreich gegen die noch immer wütenden finstern Herenprozesse auftrat.
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Das Zeitalter Ludwigs XIV., der von dem deutschen Volke gehaßt wurde, wie je -in Tyrann gehaßt worden ist, hatte zwar für Frankreich ein- Glanzzeit der Kunst und Wissenschaft heraus geführt, aber das entkräftete Deutschland hatt- ferne Statte mehr für f.-. Auch die deutschen Gelehrten sahen nur in französischer Bildung das höchste Heil und würdigten die deutsche Sprach- zn einer französischen Brockcn-sammlnug herab. Selbst L-ibnitz, d-r gelehrte Freund der ersten preußischen Königin Sophie Charlotte, konnte m seinem, satt alle Gebiete der Wissenschaft umfassenden Geiste das gesunkene Deutschtum wohl beklagen und als Vaterlandsfreund inmitten der verwelschten Zeit seines Jahrhunderts für die Verbesserung der deutschen Sprache thätig sein • dennoch schrieb er feine Werke fast nur in lateinischer oder französischer Sprache. Deutsch zu schreiben, so meinte man, war emeS Gelehrten unwürdig. Erst Thomasius, zuerst Professor in Leipzig, später in Halle, hatte de» Mut, seine Vorlesungen m deutscher Sprache zu halte« und die erste deutsche literarische Zeitschrift zu
gründen.
Diesem Standpunkte der deutschen Sprache gemasz waren die merst leeren Reimereien der ersten und zweiten schlesischen Dichter-schule und deren Zeitgenossen, unter denen nur wenige Namen über
das Gewöhnliche empor ragen.
Was Gewerbfleiß und Handel, Kunst und Wissenschaft trotz allen Druckes des französischen Einflusses in Deutschland erstrebten und erreichten, das hatten die Einzelnen wie ganze Länder der Treue einzelner, thatkräftiger Landesherren zu verdanken, so daß inmitten des dahin sterbenden deutschen Reiches neue Staaten lebensfähig und jugendlich stark empor wachsen konnten.
5. Das Emporsteigen Preußens neben Oesterreich.
Bei den Friedensverhandlungen der letzten Jahre waren die Interessen Preußens, das allezeit treu für Kaiser und ^ Reich eingetreten war, am allerwenigsten berücksichtigt worden. Friedrich T. war zu nachgiebig, um Ansprüche mit Erfolg geltend zu macheu oder^ den einmal eingeschlagenen Weg energisch zu verfolgen. Im nordischen Kriege, den die Ostseemächte mit Schweden führten, hatte er zwar die Ostgrenzen seines Reiches zu erweitern und zu befestigen gesucht;
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aber Schweden, Nüssen und Polen verletzten nngeschent und ungestraft seine Erblande. Jeder Hülferuf an den Kaiser verhallte ungehört, so daß sich Preußen wohl oder Übel darauf beschränken mußte, abgesehen von den schon früher erwähnten Erwerbungen, im Innern des Landes zu erstarken. Trotz seiner andauernden Beteiligung an verheerenden Kriegen hatten sich die Einkünfte des Staates von 2l/2 Millionen -Lljalein jährlich auf 4 Millionen gesteigert; das preußische Heer war auf 40,000 Mann erhöht worden. Doch hatte sich die Schuldenlast Preußens vermehrt.
Besonders angeregt durch seine geistvolle Gemahlin Sophie Charlotte hatte König Friedrich die Universität zu Halle a. d. Saale gegründet (1694), in Berlin die Akademie der Künste (1696), vier Jahre später die Akademie der Wissenschaften, deren ersten Präsident der gelehrte Freund der Königin, der Philosoph Leibnitz, wurde. Diese Akademie sollte „zur Beobachtung der Natur, zur Ausdehnung des christlichen Glaubens bei den Völkern des Ostens und der Reinigkeit der teutschen Hauptsprache" dienen. Damit war für Kunst und Wissenschaft nicht nur in der königlichen Residenz, sondern für den
preußischen Staat eine Heimstätte geschaffen, deren Segen nicht aus-
bleiben konnte.
Schon bei seinem Regierungsantritt beauftragte der König den gelehrten oamuel v. Pufendorf, die Geschichte des Großen Kurfürsten und die des ersten Königs von Preußen, die feinige, zu schreiben. Mochte sich zunächst Friedrichs Eitelkeit darin gefallen, so ist doch der
Wert dieser Geschichtschreibung ein bleibender.
Unter Friedrichs Sohn und Nachfolger trat in Preußen ein völliger Wechsel aller Regierungsverhältnisse ein. Abgesehen davon, daß jeder überflüssig gehaltene Pomp des Königstums wie mit einem Schlage abgethan war und an seine Stelle eine fast bis zum Geiz gesteigerte Sparsamkeit trat, erstand jetzt erst das preußische Königstum wirklich als eine Ehrfurcht gebietende Macht in Deutschland, die des äußern Scheines nicht bedurfte, um sich Achtung zu verschaffen. Der Energie Friedrich Wilhelms I. war es zu verdanken, daß die Ansprüche des preußischen otaates im Utrechter Frieden nicht ganz übergangen wurden, und seine Regententüchtigkeit legte den Grund eines Staatslebens, das Wetterstürmen trotzen sollte.
Die kraftvolle, äußere Erscheinung des Königs war der Ausdruck feines willensstarken Charakters, der edel und rein seinem Volke selbst
vorlebte, was er von ihm verlangte. Voll höchster Pflichttreue, Sparsamkeit und Strenge gegen sich selbst, ist er ein treuer, wenn auch oft harter Vater der Seinen, ein despotischer Landesfürst, aber daneben der barmherzige, fromme Christ, der vertriebenen Glaubensgenossen die Heimat baut. Er giebt Millionen aus, um ruinierte Städte aufzubauen und verödete Landstriche zu bevölkern. Er baut den Berlinern das erste große Krankenhaus, die spätere Charite, in Potsdam ein Waisenhaus für 2500 Soldalenkinder. Alles das um so größer für einen König, der im eignen Haushalt in Groschen und Pfennigen zu sparen bemüht ist nnd nicht etwa seine Wohlthaten aus gefüllten Staatskassen bezahlen konnte, sondern meist nur mit eignem Vermögen.
Soldat vom Scheitel bis zur Sohle, wird Friedrich Wilhelm I. je länger je mehr der umsichtige, aber unbestechliche Obergeneral seiner Armee. In der Einfachheit seines Wesens lag ihm jeder Prunk fern, aber auch der Sinn für Kunst und Wissenschaft, die sich vor dem Könige ins Ausland flüchten mußten. Einer einzigen Wissenschaft gehörte die vollste Teilnahme des Königs, der Nationalökonomie, der Hebung der Volkswohlfahrt. Friedrich Wilhelm I. wurde ihr eigentlicher Begründer in Preußen. Das „Plusmachen" ist des Königs ernstes Streben aus allen Gebieten des Volkslebens. Selbst der Kronprinz soll praktisch Landwirtschaft und Viehzucht kennen lernen, damit er beurteilen kann, „wie viel Mühe es einem Bauern kostet, so viel Groschen zusammen zu bringen, als zu einem Thaler gehören." „Lange Kerls" als Soldaten pressen zu lassen, galt dem Könige mehr, als die Gelehrsamkeit; seine „blauen Kinder" liebte er, wenn auch auf seine eigne, harte Art.
Die königliche Erholung war die eines einfachen Bürgers. Bei Pfeife und Bierkrug saß Friedrich Wilhelm mit seinen Freunden im Tabakskollegium auf einfachen Holzstühlen, an eben so einfachen Tischen bei derbem Witz und guter Laune. Er litt nicht einmal, daß die früher Gekommenen aufstanden beim Gruße, wenn ihr König herein trat.
<sein häusliches Leben kannte weder Taselsreuden noch kostspielige Feste, und das „Bete und Arbeite" wurde in so engstem Begriffe im königlichen Hause durchgeführt, daß ein Kammerdiener selbst während der herrschaftlichen Mahlzeiten geistliche Lieder und Gebete vortragen mußte. Auch war die Zeit des Zusammenseins der königlichen Kinder mit ihrem Vater nur eine strenge Examenstunde, welcher die bangen Kinder gern entfliehen mochten. Als König meinte er es den streiten-
den Theologen gleich thun zu müssen, nämlich auch in Religionssachen alles besser zu wissen, und die Hl. Schrist sollte auch seinen Kindern die Grundlage aller Weisheit sein. Wie sehr das Uebermaß darin vor allen anderen seinem ältesten Sohne Friedrich dem Großen zum Ueberdruß wurde, ist bekannt.
Es würde hier zu weit führen, der preußischen Geschichte^ in den einzelnen Regierungshandlungen Friedrich Wilhelms I. ja selbst seiner Beteiligung am nordischen Kriege ausreichend zu folgen, um den in seiner Strenge so vielfach verkannten König völlig als Herrscher und Soldat würdigen zu können. Aber Friedrich Wilhelm I. ist der Vater des Großen Friedrich, und was dieser vollbrachte, hatte sein Vorgänger mit äußerster Energie begonnen und vorbereitet. Nur kurz fei dieser Königsarbeit gedacht.
Als nach dem spanischen Erbfolgekriege die preußischen Truppen wieder ihrem Könige zur Verfügung standen, konnte er Stellung zum nordischen Kriege nehmen. Schon im Jahre 1713 wurde Stettin durch den Schwebtet Vertrag einer preußischen und gottorpfchen (schleswig-holsteinischen) Besatzung eingeräumt unb bas schwäbische Pommern bis zur Peene von Preußen besetzt. Da Karl XII. sich das nicht gefallen lassen mochte, kam es zum Kriege, der mit der Einnahme von Rügen und der Eroberung Stralsunds seinen ersten glücklichen Abschluß für Preußen fand, aber zugleich die Eifersucht Peters des Großen gegen feinen Freund Friedrich Wilhelm I. erregte. Er trachtete barum, bie Preußen vom baltischen Meere zu verbrängen unb fcmb in betn Mecklenburger Herzog Karl Leopolb einen guten Bnnbes-genossen. Weil aber zu gleicher Zeit ber Kurfürst von Hannover, Komg von Großbritannien, bie erste Stellung in Norbbeutschlanb erstrebte, wollte Peter ber Große boch lieber biesem Hinberttb in bett Weg treten unb sich mit Preußen vertragen, gegen bas bie Bevollmächtigten bes Kaisers, Hannovers unb Sachsens einen gemeinsamen Angriff verabrebet hatten. Doch batb wollte Englanb wieberum von betn kaiserlichen Kriegseifer nichts wissen unb vermittelte ben für Preußen günstigen Frieben von Stockholm (1720), wonach biefes erreichte, was ber Große Kurfürst vergeblich bitrch blutige Kämpfe gegen bie Schweben erstrebt hotte, ben Landstrich an ber Ostsee zwischen Peene unb Ober nebst Stettin, auch die Inseln Usedom unb Wollin. Dafür zahlte Preußen an Schweben zwei Millionen Thaler.
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Wie emsig und energisch der König selbst während solcher Kriegszeit an der Entwicklung seiner eignen Staatsverwaltung arbeitete, ja im äußersten Notfälle während seiner Abwesenheit die Entscheidung seinem „lieben Fiekchen", der Königin, überließ, das alles gehört der engern preußischen Geschichte an.
Schule und Kirche, Landbau und Handwerk, alles, was dem praktischen Leben erspießlich war, durfte der Teilnahme, der Hülfe des Königs gewiß sein. War die Geradheit Friedrich Wilhelms I. diplomatischen Kniffen nicht gewachsen, so bildete sie doch die erste und festeste Grundlage der berühmten Treue preußischen Beamtentums, und gerade sie war es auch, die den König nach alt hergebrachter Art der Hohenzollern zum deutschen Kaiser halten ließ, so lang es immer angehn mochte. Aber Friedrich Wilhelm I. war auch darin ein echter Hohenzoller, daß er jedem das Seine, sich das Beste gönnte. Dieser Grundsatz wurde sogar zur notwendigen Lebensfrage der Selbsterhaltung für das juuge Königreich, das am wenigsten der Kaiser zu mächtig werden lassen wollte.
Dieser war so eben siegreich gegen die Türken gewesen, wie kaum je zuvor, und die ganze Welt hallte wieder von den Thaten „Prinz Eugemus des edelu Ritters." Das mochte für Preußen eine Mahnung zur Vorsicht sein, und der berühmte preußische Minister Rüdiger von Ilgen hatte schon zu Anfang der Regierung Friedrich Wilhelms I. eine Denkschrift verfaßt von „den gefährlichen Absichten des Hauses Oesterreich gegen Brandenburg." Er war oft gesprächsweise auf die schlesischen Erbansprüche zurückgekommen, in denen Habsburg die Hohen-Ä zollern geschädigt hatte.
Auch der Neuburger Karl Philipp, ein alter Mann, der alle Tage ohne männliche Erben sterben konnte, hatte nach preußischen: Begriff einst sein Teil der Jülichschen Erbschaft nicht zu Recht erhalten. Besaß Preußen eine tüchtige, schlagfertige Armee, was war damit nicht zu erreichen?
Zwar meinte der Neuburger, fein Land auch seiner ältesten Tochter und deren Gatten als Kurfürsten und Nachfolger hinterlassen zu können. Stand jetzt Kaiser Karl VI. zu Preußen, so war das von größter Wichtigkeit, und da er dessen Zustimmung bei einer kaiserlichen „Entschließung" erwartete, war Preußens Hoffnung auf die Erbschaft des Neuburgers nicht aussichtslos. Diese Entschließung war ein österreichisches Hausgesetz, die „pragmatische Sanktion", wonach die weib-
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liche Nachfolge in den österreichischen Erblanden gesichert werden sollte, falls kein männlicher Sproß des Hauses Habsburg vorhanden wäre.
Der spanische Erbfolgekrieg hatte genügend gezeigt, welches Unheil in der Unbestimmtheit einer Erbfolge lag, und nun war der österreichische Thronerbe wenige Monate nach seiner Geburt gestorben (1716). So konnte die um ein Jahr jüngere Prinzessin Maria Theresia erbberechtigt werden.
Das hinderte den Kaiser nicht, unter der Hand alles zu thun, was Preußen, den „Emporkömmling" schwächen konnte, und schon im Jahre (1724) beklagte sich Friedrich Wilhelm, daß man „am kaiserlichen Hofe alle verdrießlichen Affairen wider ihn zusammen suche und ihn mit Fleiß ärger als zuvor schikaniere."
Bis jetzt hatte Preußen an Rußland eine Stütze gefunden. Mit dem Tode Peters des Großen war das vorbei (8. Februar 1725). Als nun gar Spanien sich mit Oesterreich aussöhnte und ein Vermählung des Jnfanten Don Karlos mit Maria Theresia geplant wurde, hatten Preußens und Englands Interessen nicht die geringste Rücksicht vom Kaiser zu erwarten. Schon versprach er die Rückgabe von Gibraltar und Minorka durch die Engländer an Spanien Die Jülichsche Erbschaft sollte nach Karl Philipps Tod auch nicht an Preußen kommen, sondern dem Erbprinzen von Pfalz-Sulzbach zufallen.
Das alles war Grund genug für Preußen, eine Verbindung mit andern Mächten gegen spanisch-östreichische Heb ergriffe zu suchen. Rußland und Schweden hatten sich bereits geeinigt; ihnen schloß sich naturgemäß Preußen, endlich sogar das von allen verlassene Frankreich an, das plötzlich sehr für Preußen eingenommen schien. Dieses Bündnis wurde zu Herrenhausen bei Hannover auf fünfzehn Jahre abgeschlossen (3 Sept. 1725) und mochte der spanisch-österreichischen Allianz erfolgreich entgegentreten, zumal wenn auch Holland gewonnen wurde.
Aber inmitten Preußens, selbst an: preußischen Hofe, bestand, von Wien aus gepflegt, seit lange eine kaiserlich gesinnte österreichische Partei, die dein eignen Landesherrn seine Macht mißgönnte. Der Kaiser benutzte sie, Friedrich Wilhelm I. von einem Bündnis zu lösen, das Oesterreich gefährlich werden konnte. Der Mittelpunkt dieser Bestrebungen für kaiserliche Interessen in Berlin war der „alte Dessauer", der besser mit dem Degen umzugehen verstand, als mit politischen Schlauheiten. Ihm gesellte der Kaiser einen verschlagenen Helfershelfer zu, namens
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Seckendorf. Beide vereint suchten den vertrauten Günstling des Königs, deu General von Grumbkow,' für ihre Pläne zu gewinnen.
Zuerst wurde Friedrich Wilhelm mißtrauisch gegen seinen Schwiegervater, den stolzen König Georg I. von England, gemacht und damit auch das Familienleben des Königs empfindlich geschädigt.
Es war ein Lieblingsplan der Königin, ihren Sohn Friedrich (II.) mit der Tochter ihres Bruders Georg, ihre Tochter Wilhelmine mit einem Sohne desselben zu vermählen. Aber die Herren Vertrauten des Königs hatten für dessen Kinder andre Heiratspläne, die besser in ihren Kram paßten. Sie wußten den leicht zu überredenden König auch dafür einzunehmen, und er schalt bald eben so über englische Betrügereien, wie über französische Schelmenstücke. Nun sah er in dem Herrenhäuser Bund überall Verrat, und es war leicht genug, dem vor Mißtrauen fast kranken König Oesterreich wieder nahe zu bringen.
Die endgültige Abmachung zwischen Preußen und Oesterreich, das „ewige Bündnis", in dem Friedrich Wilhelm I. die „pragmatische Sanktion" garantierte und auf Jülich verzichtete, kam am 23. Dezember 17*28 zu stände. Demgemäß wurde des Königs Stellung zu England immer feindlicher, um so mehr, da sich die Königin gegen seinen Willen weiter bemühte, die geplanten ehelichen Verbindungen ihrer Kinder zu gewünschtem Ende zu bringen. Sein Zorn darüber war grenzenlos, und das schon längst durch die maßlose Strenge des Königs sehr peinliche Verhältnis desselben zum Kronprinzen steigerte sich zu einer Feindschaft inmitten der königlichen Familie, wie sie sonst niemals im Hohenzollernhause vorgekommen ist. Nach einer verunglückten Flucht des Kronprinzen, wonach ihn ein Kriegsgericht auf des Königs Befehl zum Tode verurteilen sollte (der königliche Vater wollte den Sohn in der Hitze des Zorns selbst mit dem Degen durchbohren), verstand sich dieser unter schweren Kämpfen endlich dazu, sich mit der ebeCn, aber ungeliebten Prinzessin Elisabeth von Brannschweig-Bevern, einer Nichte des Kaisers, zu vermählen. Auch die königlichen Töchter mußten sich dem Willen des Vaters entsprechend verheiraten, und war es besonders Prinzessin Wilhelmine, vermählt mit dem Erbprinzen von Baireuth, die dem König ihre freudlose Jugend niemals vergessen konnte und selbst das Bild des königlichen Vaters in ihren Schriften nur als das eines herzlosen Tyrannen gezeichnet hat.
Preußens neue Hingabe an Oesterreich brachte ihm wenig Dank. Auf einer Zusammenkunft Friedrich Wilhelms mit dem Kaiser zu Prag,
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(1732) erklärte Karl VI. in dürren Worten, daß sich Preußen mit einem kleinen Teile des ihm 1729 verbürgten Herzogtums Berg (Teil der Jülichscheu Erbschaft) zu begnügen habe und auf die Hauptstadt Düsseldorf verzichten müsse. Ja der Kaiser trat dem Könige mit so verletzendem Hochmut entgegen, daß er, der deutsche Habsburger, es uach spanischer Sitte unter seiner Würde hielt, dem Könige von Preußen, einem nach seiner Meinung nicht ebenbürtigen Fürsten, nur die Hand zu reichen.
Eine weitere Rücksichtslosigkeit mußte sich Friedrich Wilhelm als protestantischer König darin gefallen lassen, daß trotz seiner Vorstellungen der Kaiser den Salzburger Erzbischof Firmiern ungestört seine protestantischen Unterthanen als „widerspenstige und treulose Rebellen" mißhandeln ließ, obgleich auch ihnen Religionsfreiheit zugesichert worden war. Unter der Drohung, die Katholiken seines Landes sonst ebenso zu behandeln, forderte Friedrich Wilhelm vom Erzbischof, daß er die Auswandrer als „Schützlinge und Unterthanen Preußens" in Frieden ziehen lasse. Er gab mehr als 16 000 Vertriebenen in Ostpreußen eine neue Heimat, versah sie mit Reisegeld dorthin und ließ ihnen Bau-imd Ackergeräte überweisen. Später verwandte er sich auch für die Protestanten Polens und Oesterreichs beim Kaiser, leider mit wenig Erfolg; doch fanden alle in der Fremde um ihres Glaubens willen Bedrängten eine sichere Freistatt in Preußen.
Trotz solcher wenig erfreulichen Zustände im Reiche hatte ganz Europa dreizehn Jahre lang keine wesentlichen Kriege geführt. Mit dem Tode Augusts II. von Polen und Sachsen (der Starke, von dem es hieß, daß er einen Thaler mit der Hand zerbrechen konnte) war die polnische Krone ein Zankapfel zwischen seinem, von der Adelspartei gewählten Sohne (August III.) und dem einst vertriebenen Polenkönig Stanislaus Lesczinsky, dem Schwiegervater Ludwigs XV. von Frankreich, geworden. Zu Stanislaus Gunsten erklärten Frankreich, Spanien und Sardinien dem deutschen Kaiser den Krieg (1733). Die Geschichte nennt ihn den polnischen Erbfolgekrieg.
Stanislaus Lesczinsky war bei der Todesnachricht Augusts II. als Kaufmann verkleidet nach Polen geeilt und hatte sich des Thrones bemächtigt, floh aber bei Annäherung eines großen russischen Heeres, mit dessen Hülfe August III. zum König ausgerufen wurde. Fast zu gleicher Zeit wurde der Kaiser von allen Seiten durch die vereinten Feinde Frankreich, Spanien und Sardinien umdrängt, und der fast
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verzweifelnde Herrscher sandte noch einmal seinen viel erprobten Feldherrn Prinz Eugen an den Rhein. Mit ihm war der preußische Kronprinz Friedrich (II.), der sich hier ein Urteil über das österreichische Heer bilden lernte! Mit den wenigen zu Gebot stehenden Truppen war es nicht möglich, auch nur die Rheinfestungeu zu halten. Nod) schlimmer ging es dem Kaiser in Italien, wo Mailand von den Franzosen, Sizilien von den Spaniern genommen wurde.
In so ungünstiger Lage entschloß sich Karl VI., den Franzosen nachzugeben; aber der Friede wurde zu Wien auf Kosten des deutschen Reiches geschlossen (3. Okt. 1735), ohne auch nur einen der Reichsfürsten darum zu fragen. „Der Kaiser traktiert mich und alle Reichsfürsten wie Schubjacks, was ich gewiß nicht verdient habe," schalt der König von Preußen. Doch sollte es noch schlimmer kommen.
Stanislaus Lesczusky verzichtete zwar auf Polen, sollte dafür aber die deutschen Herzogtümer Bar und Lothringen haben, so bald die Lothringer beim Aussterben des Hauses Medici das Großherzogtum erlangt hätten. Endlich sollten aber die erstgenannten deutschen Herzogtümer nach Stanislaus' Tod an Frankreich fallen, und der deutsche Kaiser hatte sich dafür verbürgt, die Einwilligung der Reichsfürsten zu erlangen. Doch Frankreich wollte sich seine Freundschaft noch teurer bezahlen lassen. Den von Frankreich begünstigten bayrischen Wittels-bachern wurde zugesagt, daß nicht Preußen die Jülich-Bergsche Erbschaft nach dem Tode des Kurfürsten von der Pfalz haben sollte, sondern die psalz-sulzbachsche Linie der Wittelsbacher. Das war vornehmlich dem Papst erwünscht, der den protestantischen Preußenkönig nicht aufkommen lassen mochte; Frankreich und Holland aber wollten ihn am Rhein nicht mächtig werden lassen.
„Da steht einer, der mich rächen wird," soll der totkranke König Friedrich Wilhelm sich getröstet haben, indem er auf den Kronprinzen Zeigte, mit dem ihn nach jahrelanger Verkennung die innigste Liebe und das höchste Zutrauen verband. Alle andern Bundesgenossen, denen der König einst getraut, waren ihm ungetreu geworden; in dem Sohn hatte er sich bei aller Strenge den treuesten Freund erzogen. „Mein Gott, ich sterbe zufrieden, da ich einen so würdigen Sohn und Nachfolger hinterlasse!" blieb die Beruhigung des Königs noch an feinem Todestage. Im Frühling des Jahres 1740 verließ er Berlin. Noch einmal aus dem Wagen aus die Stadt zurückblickend, rief er: „Leb'
wohl, Berlin, in Potsdam will ich sterben!" Er sah den Tod heran-
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nahen, wie ein demütiger Christ und erwartete ihn mit Ruhe eines klugen Haushalters, der sein Haus beschickt, ehe er eine weite Reise thut. In seinem Zimmer stand der fertige Sarg, in den er gebettet sein wollte. „In diesem Bette werde ich sanft ruhen," versichert er wiederholt den Seinen.
Am 26. Mai hatte die Königin den Kronprinzen eiligst von Rheinsberg nach Potsdam beschieden. Am 31. Mai übergab ihm der König „Staat, Land und Leute, die volle Souveränität."
Mit der Welt war Friedrich Wilhelm I. fertig. Nun beobachtete er das Nahen des Todes auf dem eigenen Antlitz in einem Spiegel, lauschte und fühlte das Sterben in dem aussetzenden Puls. „Herr Christus, du bist mein Gewinn im Leben und im Sterben!" Damit war Preußens König zur ewigen Ruhe eingegangen, nachdem er kurz zuvor sich in das Schlafzimmer der Königin hatte fahren lassen mit dem Weckruf, daß er jetzt sterbe.
Eine neue Zeit brach an, das Zeitalter Friedrichs des Großen.
Der erste und zweite schlesische Krieg und der österreichische Erbfolgekrieg.
(1740 bis 1786.)
-ÜHt Lpmmung sah ganz Europa auf den acht und zwanzigjährigen König Preußens, der als Kronprinz nur ein unthätiger Beobachter der politischen Verhältnisse hatte sein dürfen, ein im blinden Gehorsam schweigender Sohn des königlichen Vaters. Seit er von diesem als Deserteur zur Arbeit in der Küftiner Kriegs- und Do-mainenkammer begnadigt worden war, hatte er eine schwere Schule des Leidens durchgemacht, und erst nach seiner Vermählung mit der ihm aus gezwungenen Braut, Elisabeth von Brenmschweig-Bevern (2. Juni 1133), war er zu einer gewissen Selbständigkeit gelangt. Ans dem ihm zugewiesenen Schlosse Rheinsberg durfte er als Oberst eines diuppiner Regiments einen eigenen Hofhalt führen und über feine Erholungsstunden frei verfügen. Das that er aber in durchaus anderm wiime, als es der königliche Vater je gewünscht hatte. In guter Einsicht, daß er selbst niemals Neigung und Verständnis für den Bücher-fram gehabt, hatte Friedrich Wilhelm I. die Regelung des Unterrichts der königlichen Kinder feiner Gemahlin überlassen, wenn er auch oft genug recht quer darein geredet; aber trotz alles Franzosenhasses war er damit einverstanden, daß fein Sohn den hochgebildeten, kunstsinnigen französischen Einwanderer Duhan de Jandun zum Erzieher erhielt, der feinen fürstlichen wchüler mit dem ganzen Stolze eines strebsamen
Bornhak, Unser Vaterland. oc
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Gelehrten in eine Geisteswelt einführte, bie demselben für eine karge und mehr als ernste Jugendzeit reichen Ersatz bot. Vornehmlich fand der Kronprinz Wohlgefallen an der französischen Literatur; er wurde selbst Dichter und Gelehrter, wo er nur Soldat sein sollte. Dazu hatte ihm bie zärtliche Mutter ohne Wissen beS Königs Unterricht in der Musik durch den sächsischen Flötenspieler Quanz geben lassen. Ein seidener Schlafrock, ein französischer Haarbeutel und dem entsprechende Dinge vervollstänbigten auch nach außen hin französische Bilbuug.
Leiber hatte bie allzu harte Moral, ber religiöse Zwang des Königs, luobci das Auswendiglernen ganzer Kapitel der Bibel nicht die geringste Rolle spielte, in religiöser Beziehung wenig guten Einfluß auf den königlichen Knaben gehabt, dem aller Schein in tiefster Seele zuwider war, und der sich andrerseits nicht zu der Einfachheit des Vaters herbeilassen konnte. So wurde die Nachgiebigkeit des Kronprinzen eine erzwungene und damit sehr wenig aufrichtige. In der Mißstimmung gegen des Königs maßlose Strenge und engherzige Sparsamkeit war es sogar möglich, baß ber für alle Lebensgenüsse sehr empfängliche Kronprinz selbst für Gelbzuwenbungen bes Wiener Hofes zugänglich war, ber von ihm einst ben gebührenben Dank erwarten mochte.
Wenn man nun annahm, in Friedrich II. habe nur ein Schöngeist, ein poetischer Schwärmer unb Franzosenfreund ben preußischen Thron bestiegen, ber wohl mit ben Musen, aber nicht mit dem Kriegs-gott umzugehen wisse, so zeigte er der Welt bald, daß sie sich in ihm geirrt habe.
Während er als Kronprinz zu Rheinsberg mit Gleichgesinnten frohe Feste feierte, für Kunst und Wissenschaft eine Freistatt eröffnete, sogar Leute, wie ben leichtfertigen Freigeist Voltaire, um ihrer GeisleS-größe willen nicht verschmähte unb, burch besten funkelnden „esprit-geblendet, eine Zeit lang innig mit ihm befreundet sein konnte, so hatte er doch nicht versäumt, bei ernstem Studium der Kriegswissenschaften sich ein offenes Auge und klares Urteil für die Ereignisse draußen in der Welt zu bewahren. „Ich glaube," schrieb ein Zeitgenosse über bett Kronprinzen, „baß seine größte Leidenschaft bie für den Ruhm ist, ber nach seiner Meinung barin besteht, immer ber strengsten Vernunft gemäß zu handeln und sich von keinem Vorteil beherrschen zu lassen. Er ist unerschütterlich in den Entschlüssen, die er nach reifer Ueber-legung gefaßt hat Er ist großmütig, freigebig und gefühlvoll für fremdes Unglück, und Ungerechtigkeiten empören ihn."
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So ergriff Friedrich II. das Ruder des preußischen Staates, den er zu Ruhm und zu Ehre führen wollte, nachdem das Preußen feines Vaters und Großvaters so manche Schmach ruhig hatte hinnehmen müssen. Zunächst schien sich der junge König nur int Staatshaushalt genau umzusehen, dessen Verhältnisse er doch lange klug studiert hatte. Er erklärte, daß er zur bessern Leitung die Autorität aller Staatsverhältnisse allein vertreten werde. Obgleich das Interesse des Landes und seines Königs allemal dasselbe sein müsse, so könne es doch vorkommen, daß beider Vorteile nicht stets die gleichen sein möchten. Da fei es notwendig, dem großem Ganzen nachzugeben; das sei unstreitig fein Land und Volk. Er aber fei nur „der erste Diener des Staates."
Dem entsprechend handelte König Friedrich II. Die Philosophie, welche er einst in jugendlichem Wissensdrange mit gelehrten Freunden gepflegt hatte, wurde ihm zur rechten und fruchtbringenden Weltweisheit, in der er „dem Geringsten feiner Unterthanen das Recht zusprach, Don ihm als König jede königliche Hülfe zu erwarten."
Seine erste Regierungshandluug bestand darin, daß er in einer -großen Hungersnot, die über Preußen herein gebrochen war, die wohlgefüllten Kornmagazine feines Vaters für die Armen feines Landes eröffnete und um billiges Geld bie sorgsam gesammelten Vorräte verlauste.
Auch litt bas Volk unter einer harten Rechtspflege. Das sollte anbers werden; mit Abschaffung der Folter wurde der Anfang gemacht. Die Armee mußte, als Preußens Schutzmauer, wohl erhalten und gepflegt werden. Sie wurde zunächst' ans 100,000 Mann erhöht, und
dem preußischen Gesandten, der aus Anlaß des Thronwechsels nach
Wien geschickt wurde, wurde aufgegeben, möglichst viel Sache von der Armee Seiner Majestät des Königs von Preußen zu machen. Etwas mehr Respekt vor Preußens Streitmacht, als bisher, war recht wünschenswert. Aber die kostspieligen „langen Kerls" wurden abgeschafft, und eine menschenwürdigere Behandlung sollte dem gemeinen Soldaten
Lust und Liebe zum Dienst einflößen.
Auf eine Anfrage des geistlichen Ministeriums, wie es anjezo mit der Religion in Sr. Majestät Lauben sollte gehalten werben, gab ber König bett Befcheib, baß „in feinen Staaten jebermann nach feiner Facon selig werben könne." Das war vier Wochen nach betn Tobe Friedrich Wilhelms 1. Unter Anregung und Ermunterung bes Königs, imß er „bie Gazetten nicht genieren wolle," erschien bic erste Haube-
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Spenersche Zeitung in Berlin. Es sollten Politik und sonst welche Tagesfragen nicht nur in der hohen Staatskanzlei erwogen werden; auch der Mann aus dem Volke sollte Interesse dafür gewinnen. Ol> er Reife und Urteilsfähigkeit dazu besaß, war eine andre Sache. Der königliche Haushalter suchte mit höchstem Ernst überall das Beste für sein Volk zu thun, in der Pflege der einfachen Volksschule, wie für Kunst und Wissenschaft, in der Hülfe für Krankenhäuser und sonst welche Anstalten, die das Volkswohl förderten.
Welch hehre Anschauung des Königtums suchte der König in sich zu verkörpern, als er seinen Grundsätzen, die lebensvolle That folgen ließ: „Ein Fürst ist für die Gesellschaft, was der Kops für deu Körper ist, er muß sehen, denken, handeln für die ganze Gemeinschaft, um ihr alle Vorteile, deren sie fähig ist, zu verschaffen. Will man, daß die Monarchie den Sieg behalte über die Republik, so muß der Monarch thätig und unbescholten sein und alle seine Kräfte zusammen nehmen, um feinen Pflichten zu genügen." Friedrich II. stand einzig da in-mitten seines Jahrhunderts. Er hatte eine durchaus andre Auffassung der Fürstenwürde, als sie sich bis dahin breit gemacht, der Fürst ist um des Volkes willen da, sein Führer, sein Berater, ein Vater seines Landes! das war der uralte Begriff des Königtums; wie war er in das Gegenteil verwandelt worden!
Während in König Friedrich das Morgenrot eines neuen Tages für Preußen leuchtete, hatte Oesterreich in den Jahren 1736 — 39 einen höchst unglücklichen Krieg gegen die Türken geführt, der die Errungenschaften einstiger Siege völlig vernichtet hatte, und der Rat des greisen Feldherrn Prinz Eugen, daß Oesterreich vor allem andern eine schlagfertige Armee und einen gefüllten Staatssäckel bedürfe, traf eine recht wunde Stelle des österreichischen Staatslebens. Bei allen Verhandlungen^ die Maria Theresia ein reiches Erbe sicherten, hatte er stets die Gefahr betont, welche er in ihrer Vermählung (1736) mit dem gutmütigen, aber schwachen Vetter Franz Stephan von Lothringen sah. Der bayrische Kurprinz wäre ihm als Hüter der österreichischen Erb-lande willkommener gewesen.
Friedrich Wilhelm I. mochte in der Furcht, daß das geschwächte Oesterreich sich Bundesgenossen suchen werde, beit Sohn noch sterbend gemahnt haben, niemals preußische Waffen für frembe Interessen barzubieten und barum sebe Allianz, bie nicht Preußen biene, ihm kein plus mache, zurück zu weisen.
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Er halte damit das innigste Verständnis bei seinem königlichen Sohn gefunden, der längst bereit war, den Degen aus der Scheide zu ziehen, um zu sühnen, was je an Brandenburg, an Preußen gesündigt worden mar.
Wenige Monate nach Friedrich Wilhelm I. war Kaiser Karl VI. gestorben (20. Okt. 1740); die Todesnachricht ließ den eben fieberkranken König Friedrich plötzlich gesunden. Jetzt schien die Zeit gekommen, die er lange ersehnt hatte. Ein alter Entwurf des Großen Kurfürsten über Brandenburgs Ansprüche an Schlesien war längst geprüft worden. Der Kanzler der Universität Halle hatte den Vorarbeiten des verstorbenen Ministers Ilgen entsprechend seit vierzig Jahren die Belege für Preußens Ansprüche auf Schlesien gesammelt und meldete das dem König, der indessen demselben Ziele auf geraderem Wege zusteuerte. Hatte Oesterreich, da es seinen Nutzen galt, allezeit betont, in Schlesien gelte nur das Mannlehen, so wollte König Friedrich trotz der pragmatischen Sanktion das jetzt nicht anders ansehn. „So trete ich in die Rechte meines Stammes ein!" war sein thatenmutigeS Wort. Der Rächer war da, den der Große Kurfürst ersehnte, als erden schmählichen Frieden von St. Germain unterzeichnen mußte, den Oesterreich ruhig vollziehen ließ, und das durch Oesterreich vorenthaltene Erbe ber Bergischen Besitzungen sollte auch in Schlesien bezahlt werden.
Als beim Tode Karls VI. Großherzog Franz, der Gemahl Maria Theresias, den König von Preußen um die Dauer seiner Freundschaft bat, hatte ihm dieser zusagend geantwortet, wenn „man ihn dazu in den Stand setze". Für Friedrichs Zugeständnisse: seine Stimme bei der Kaiserwahl des Großherzogs, auch Preußens Beistand zur Ausrechthaltuug der pragmatischen Sanktion, schien man in Wien etwas schwer von Begriff zu fein. Es erfolgte feine Antwort darauf. Diese Zögerung war für Maria Theresia bedenklicher, als es im ersten Augenblick scheinen mochte; denn alle Fürsten, die etwa bei der österreichischen Erbfolge zu gewinnen hofften, wollten jetzt plötzlich die pragmatische Sanktion nicht gelten lassen. Die dem Kaiserhaus verwandten Kurfürsten Bayerns und Sachsens, selbst das bourbonspanische Hans nebst Frankreich, machten Ansprüche geltenb, benen Friebrich II. wenigstens in Schlesien zuvorkommen wollte. Währenb man in Wien meinte, ber König von Preußen, „spanne nur ben Hahn, ohne zu schießen", staub er schon im Begriff, mit einer Armee von 30,000 Mann über Frankfurt ct. O. nach Schlesien zu marschieren, nur
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„um es gegen allen Angriff und Einfall zu schützen, da das Erzhaus Oesterreich von einem allgemeinen Kriege bedroht sei." In Krossen hatte Friedrich alle seine Offiziere um sich versammelt, ihnen feierlich zu erklären, daß er keinen andern Verbündeten habe, als sie. Auf ihnen müsse feine Hoffnung ruhen; aber eine untrügliche Ahnung sage ihm, daß Preußen in dem Kampfe, den es jetzt aufnehmen wolle, Sieger bleiben werde. Als der König eben ausgeredet hatte, ertönte in der nahen Marktkirche ein furchtbarer Knall. Eine Glocke war durch die Decke der Kirche zu Boden gestürzt. Die erschrockene Volksmenge sah darin ein böses Zeichen; aber Friedrich lächelte: „Das ist einmal eine gute Vorbedeutung für mich. Was hoch ist, soll erniedrigt werden. Tie Oesterreicher müssen fallen!"
Aber auch Maria Theresia, die jugendschöne, willensstarke Fürstin, wußte, was sie wollte, ©ie glaubte an den Ei folg ihrer Sache in dem erhebenden Gefühl, nicht nur die rechtmäßige Erbin, sondern auch die Gott geweihte Trägerin der ererbten Kronen Böhmens, Ungarns und der österreichischen Lande zu sein. In dem tiefen Groll, daß ein andrer es nur wagte, um dieses Rechts willen zu verhandeln, ja an ihrer Macht zu zweifeln, wächst der Haß gegen Preußens König ins Unversöhnliche, und die Begeisterung für die Sache ihres Rechts wird ihr Führer.
Bei seinem Einrücken in Schlesien ließ Friedrich überall öffentlich verkünden, daß er als Freund und Beschützer des Volkes komme. Das ließen sich besonders die Protestanten gesagt sein, welche unter schwerer Bedrückung der Katholiken litten. Von allen weiten kamen sie, wenn nicht anders, mit Heugabeln und Senfen bewaffnet herbei. Sie wollten die Katholiken aus dem Lande jagen helfen. Aber der König wußte zu beruhigen: alle Schlesier feien feine lieben Kinder. Er lud Jesuiteupatres eben so gnädig zur Tafel, wie protestantische Geistliche und gewann damit nicht zum wenigsten die Herzen des Volks. In Breslau, das sich nicht hatte bereit finden lassen, kaiserliche Besatzung aufzunehmen, wurde der Magistrat durch die Bürgerschaft gezwungen, die Thore den Preußen zu öffnen, die ohne Schwertstreich gleich Siegern einzogen (3. Jan. 1741). Ueberall wurde der König von den Schlesiern wie ein Befreier begrüßt, so daß er triumphierend am 16. Januar schrieb: „Ich habe angefangen, Preußen eine Gestalt
zu geben. Der Umriß wird nicht ganz regelmäßig sein. Ganz
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Schlesien ist erobert, bis auf einen armseligen Winkel, den ich vielleicht zum nächsten Frühjahr eingeschlossen haben werde."
Die leichten Erfolge beö Königs von Preußen, ber überbies bie Glorie ber Herrscherwürde ben Unterthanen gegenüber so menschlich verpflichtenb gestaltete, waren ben übrigen Mächten ein Dorn im Auge. Währenb Friedrich, scheinbar nur zu winterlichen Vergnügungen, nach Berlin zurückgekehrt war, sah er eine Kriegsmacht gegen sich aufstehn, gegen die er sich ernstlich zu wappnen hatte. Die erste Besetzung Schlesiens war nur einem kühnen Reiterstückchen gleich, betn bas ernste Nachspiel nicht fehlen konnte. Am 19. Februar 1741 verließ ber König Berlin, den ersten Feldzug der schlesischen Kriege zu beginnen.
Glogau wurde im Sturm genommen, und die österreichische Besatzung von 8000 Mann ergab sich kriegsgefangen. Damit hatte sich ber König ben Rücken gebeckt und besetzte weiter fast ungehindert Schlesien. Er berief evangelische Prebiger ins Land und feierte mit den Schlesiern einen Dankgottesdienst für die Wiederherstellung der evangelischen Kirche. Zur Festpredigt wählte der bibelfeste König den Text: „Das Land, das wir wiedererobert haben, ist unser väterliches Erbe und gehört sonst niemand. Unsre Feinde Habens eine Zeit lang mit Gewalt inne gehabt; darum haben wir jetzt das Unsre wieder zu uns gebracht und niemand das Seinige genommen." (Maccab. 15, 33. 34.)
Anders dachte darüber der Wiener Hof, der selbst das niedrige Mittel versuchte, den König durch Gift umbringen zu lassen, eine Schändlichkeit, die Friedrich „ein Unglück" nannte, „das nur zu wahr und erwiesen" sei.
Inzwischen waren 30,000 Oesterreicher unter dem Feldmarschall Gras Neipperg in Schlesien eingerückt, und Friedrich, durch sie von zwei Seiten bedrängt, entschloß sich zum Angriff, bereit, mit seinen Truppen zu siegen oder zu sterben; „denn", schrieb er einem Freunde, „man hat vor dem Leben eines Königs nicht mehr Respekt, als vor dem Leben eines Unterthans, und ich weiß also nicht, was aus mir werden wird."
Bei Mollwitz trafen die feindlichen Heere zusammen (10. April 1741). Die Oesterreicher warfen sich mit solchem Ungestüm auf den linken Flügel der preußischen Kavallerie, daß diese das Fußvolk zur Flucht mit sich fortriß, und der preußische Feldmarschall Gras Schwerin den König beschwor, wenigstens sein Leben für das Vaterland durch
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bie Flucht zu retten. Dennoch siegten bie Preußen nach langem, blutigen Ringen. Sie hatten 2500 Tote unb 3000 Verwundete verloren, ber Feinb 7000 Tote unb Verwtmbete; 12,000 Oesterreicher würben gefangen.
„Nur wer, von Flammen unb von Tob llnb von Gefahren rings bebroht,
Mit Seelenruhe sich als Mann bewährt,
Er ist bes Namens eines Philosophen wert" schrieb ber König an seinen Freuub Jorban, ber zu krank war, um bie Ironie bes königlichen Siegers mit guter Miene hinzunehmen. Doch biefer tröstete liebensrtntrbig:
„Wie fünbhaft auch ber Geist oft fei,
Unschulbig war mein Herz babei."
Friebrich empfanb ben Sieg zu sehr als ein großes Glück, um der Zukunft besorgt entgegen zu sehen, unb doch war mit bem Siege bei Mollwitz nicht viel für Preußen gewonnen.
Durch Drohungen unb Versprechen suchte Oesterreich Zugestanbnisse vom König zu erlangen; enblich legte sich Maria Theresia aufs Bitten, Friebrich möge bas Haus Oesterreich nicht vernichten wollen, Breslau unb ein großer Teil Schlesiens sollten ihm zugesagt sein, wenn er ihr Bunbesgenosse werbe. Aber ber König hatte sich bereits genommen, was ihm erst gegeben werben sollte. In Breslau hatten Magistrat unb Bürgerschaft ihm ben Eib ber Treue geschworen (31. August 1741); am 7. November waren bie schlesischen Stänbe zur Erbhulbiguug dahin beschieben worben. Als ber Eib auf bas preußische Reichsschwert geleistet werben sollte, wie einst auf bas böhmische, ba war es nicht zur Stelle. Augenblicklich half ber König ber Verlegenheit ab, inbem er feinen Degen bazu gab, auf bem bie Worte eingegraben waren „pro gloria et patria“, mit betn Bemerken, baß biefer Degen jebem anbern bie Spitze bieten werbe. Ein großartiges Volksfest beschloß bie Feier, nach welcher ber preußische König Titel unb Wappen eines „souverainen unb obersten Herzogs von Nieberschlesien" annahm.
Da jetzt Friebrich nach Berlin zurückkehrte unb Feste gab, auch bie Vergnügungen bes Karneval schon für ben Dezember anorbnete, mochte man in Wien benken, ber König fei kampfesmübe unb wolle sich burch recht viel Freube entfchäbigen. Die Täuschung war ihm also gelungen.
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Da jetzt Kurfürst Karl Albrecht von Bayern seine Ansprüche auf die österreichischen Besitzungen wie auf die Kaiserkrone lebhafter geltend machte und sich zu dem Zwecke mit Frankreich, Spanien und Sachsen verband, schloß sich ihm Friedrich unter der Bedingung an, daß ihm die Grafschaft Glatz garantiert würde.
Schon beim ersten Eindringen der Bayern in Oesterreich war der Wiener Hof nach Preßburg geflüchtet und hatte dem preußischen König in geheimer Verhandlung ganz Niederschlesien samt Breslau und Neiße zugestanden für die Zusage, nicht mehr gegen Oesterreich kriegen zu wollen. Maria Theresia hoffte in ihrer Bedrängnis, Zuflucht und Hülfe in der altbewährten Treue und Tapferkeit der Ungarn zu finden, als deren König sie eben gekrönt worden war. Den Sohn auf dem Arme trat Maria Theresia, in Trauergewänder gehüllt, in die durch sie einberufene Ständeversammlung und sprach in ergreifender lateinischer Rede von ihrer Sorge und Not. Als sie endlich mit Thränen erstickter Stimme um den Beistand ihres tapferen Volkes flehte, da ging eine stürmische Bewegung durch die Versammlung. In höchster Begeisterung gelobten die Abgeordneten laut und feierlich. Gut und Leben für ihre Herrin und ihren König Maria Theresia zu opfern. „Moriamur pro rege nostro Maria Theresia!“
Diese mochte um so siegesgewisser sein, da sie zu gleicher Zeit Geldhülfe von England und Holland erhielt, ihre Truppen eben die Bayern und Franzosen aus Oesterreich uud Böhmen vertrieben hatten und siegreich in Bayern eindrangen, so daß sie zu derselben Zeit in München einzogen, als sich gerade der bayerische Kurfürst in Frankfurt als Karl VII. zum deutschen Kaiser krönen ließ. Nun vergaß Maria Theresia die Bedingung, an die König Friedrich seine zusagende Hülfe für Oesterreich gebunden hatte. Er ließ darum Olmütz und Glatz wegnehmen und erfocht den Sieg bei Czaslau (CHotufitz) in Böhmen, nach welchem Oesterreich unter Euglands Vermittelung den Berliner (Breslauer) Frieden schloß, mit dem der erste schlesische Krieg beendet wurde. Danach erhielt Preußeu den größten Teil Ober- und Niederschlesiens nebst der Grafschaft Glatz, 650 Quadratmeilen Ländergebiet mit 1 200 000 Einwohnern.
„Wer hätte gedacht", schreibt Friedrich selbst in seinem Bericht darüber, daß die Vorsehung eiueu Poeten ausersehen habe, das europäische Staatensystem umzuwerfen uud die politischen Berechnungen der regierenden Könige gänzlich zu verändern?" Maria Theresia aber
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mochte klagen, sie könne die Thränen nicht zurückdrängen, sobald sie einen Schlesier sehe. Den: Volk überbrückte das menschenfreundliche Entgegenkommen des neuen Herrschers leicht den schweren Wechsel, bei dem religiöse Duldung, Verbesserung aller Verwaltungszweige, wie der bürgerlichen Verhältnisse das Ihre thaten.
Obgleich es Kaiser Karl VII. inzwischen gelungen war, in seine Residenz München zurück zu kehren, mußte er doch bald wieder weichen, und Maria Theresia ließ sich sogar in der bayrischen Hauptstadt huldigen. Ihre Truppen drängten auch die Franzosen über den Rhein zurück, und König Friedrich mußte daran denken, daß sich die österreichischen Massen siegesgewiß an Preußen versuchen würden. Er wollte ihnen zuvorkommen.
Der Versuch Friedrichs, sich Freunde zu einem deutschen Fürsten-buude zu gewinnen, mißlang, während' Maria Theresia sich mit England und Polen verband. Nun suchte Preußen sich wenigstens im Norden Europas Freunde zu verschaffen. Friedrich vermittelte die Vermählung seiner Schwester, der Prinzessin Ulrike von Preußen, mit Herzog Adolf Friedrich von Holstein-Gottorp, dem dereinstigen König von Schweden, und die Tochter seines Feldmarschalls, die Prinzessin von Anhalt-Zerbst, wußte er mit dem zukünftigen Thronfolger Rußlands, Peter III., zu vermählen. Anfangs hatte der Anhalter Herzog sich gegen die Vermählung gesträubt, weil feine Tochter Katharina dann griechisch-katholisch werden sollte; als ihn der König beruhigte, daß die Prinzessin doch nur lutherisch-griechisch würde, hatte er zugestimmt: „Ja lutherisch-griechisch, dagegen habe ich nichts!"
Damit hatte Friedrich seinen Zweck erreicht; ob ihm die nordischen Verbindungen nützen würden, blieb abzuwarten. Zunächst suchte er sich vorsichtig Frankreich als Bundesgenossen zu gewinnen, das soeben England den Krieg erklärte, wenige Wochen später auch Oesterreich. Und während man am Berliner Hofe glänzende Feste gab und fröhlich tanzte, wurden in aller Stille ernste Kriegsrüstungen betrieben. Friedrich hatte Nachricht von einem Plane, wonach ein österreichisches Heer durch Sachsen geraden Weges nach Berlin marschieren sollte. Unerwartet und unangemeldet rückte darum eine preußische Armee in Sachsen ein. So begann der zweite schlesische Krieg (.1744).
Damit die Sache recht harmlos erschien, hatte sich der preußische Köuig von Kaiser Karl VII. dazu ermächtigen lassen. „Es ergreifen Ihre
Majestät König Friedrich nur zu dem Ende die Waffen", wurde kund gethan, damit Höchst dieselben die Freiheiten des Reichs, den Willen des Kaisers und die Ruhe in Europa wieder herstellen." Friedrichs nächstes Ziel war Prag, das sich seinem Feldmarschall Schwerin nach kurzer Belagerung freiwillig ergab. Darum ging der König, nachdem er seinen Soldaten Winterquartiere in Schlesien angewiesen hatte, nach Berlin zurück und vergnügte sich an den Freuden seiner Hauptstadt, als ob er scheinbar gar nichts anders zu thun wußte.
An dem verschwenderisch gepflegten Schauspiel nahmen die Pietisten des Landes großen Anstoß. Das Opernhaus, deu Tempel des Satans, müsse Gottes Zorn treffen, so hofften sie. Die Hallischen
wurden sogar beim Generaldirektorium (Ministerium), dessen Vorsitzender der König selbst war, vorstellig, die Komödianten wenigstens aus Halle zu verweisen, da die Studenten um ihre zeitliche und ewige Seligkeit gebracht würden. Der König verstand das sehr übel. Er sah darin
zunächst einen Verweis, der auf ihn selbst gemünzt war unb schrieb als
Bescheid: „Da ist das geistliche Musterpack dran schuld. Sie sollen
spielen, und Herr Franke (Aug. Herrmann) soll dabei sein und den Studenten wegen seiner närrischen Vorstellung ein öffentliche Reparation thun, und mir soll das Attest vom Kommandanten geschickt werden, das; er da gewesen ist." An andrer Stelle hieß es: „Die Hallenser Pfaffen müssen kurz gehalten werden; es sind evangelische Jesuiten, und man muß ihnen bei allen Gelegenheiten nicht die mindeste Autorität einräumen." Doch wurde der König zur Milde gestimmt. A. H. Franke brauchte nicht im Theater zu erscheinen, mußte aber ein Strafgeld an die Armenkasse zahlen.
Bei all solchem Treiben verlor der König den Ernst seiner Lage nicht aus den Augen. Er hatte Böhmen wieder räumen müssen, und österreichische Truppen hatten Troppau, Glatz und Jägerndorf in Schlesien besetzt. Schon hatte Friedrich gegen Frankreich und gegen den deutschen Kaiser einen Feldzug beschlossen, da starb dieser. Sein Sohn und Nachfolger, Kurfürst Maximilian III., fühlte sich zu schwach, die Ansprüche des Vaters aufrecht zu erhalten. Er schloß mit Maria Theresia zu Füßen Frieden (22. April 1745), in dem er gegen Rückgabe Bayerns auf die österreichische Erschaft verzichtete und bei der bevorstehenden Kaiserwahl dem Gemahl Maria Theresias, Franz Stephan, seine Stimme versprach. Dieser wurde alsdauu gewählt und zu Frankfurt gekrönt, 13. September 1745.
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In Schlesien sah es indessen recht kriegsmäßig aus. Der König hatte im Frühjahr Berlin verlassen und Quartier in dem schön gelegenen Cisterzienser Kloster zu Camenz genommen, wo er mit den Mönchen in gutem Einvernehmen lebte und sie oft zur Tafel lud. Gerade saß er mit ihnen bei fröhlichem Mahl, da eilte ein Pater herbei mit dem Ruf: „Feinde, Feinde! Kroaten und Panduren!"
„Man soll schnell zur Vesper läuten!" befahl der Abt, der eben int Begriff war, eine Champagnerflasche zu entkorken. Dem König wurde eiligst eine Mönchskutte übergeworfen und fort gings durch eine Hinterthür der Sakristei in die Klosterkirche, deren Pforten die Soldaten besetzt hielten und nun in das Gotteshaus drangen, aus den: ihnen jetzt die feierlichen Klänge des „Dominus vobiscum!" entgegen tönten. Bald kniete das Kriegsvolk inmitten der schwelenden Weih-rauchwolken, uud der Preußenkönig mochte in seiner Mönchskutte der hohen Gottesmacht inne werden, die allezeit noch Wunderwege hat.
Eine preußische Abteilung unter dem später berühmten Zieten kam rechtzeitig, den feindlichen Ueberfall völlig zu nichte zu machen. Den Mönchen aber blieb ihre That beim König unvergessen; er versorgte jederzeit ihren Keller mit gutem Trunk. Als ihm der Abt später von der Feier des königlichen Namenstages meldet, antwortet Friedrich (8. März 1746). „Den an sothanem Freudentage vollends drauf gegangenen Rest Eures Champagnerweines werde ich schon ersetzen und warte nur auf die Ankunft des neuen, den ich jetzo kommen lasse."
Sehr ernst gestalteten sich die Kriegsverhältnisse für Preußen, als sich ein sächsisches Heer mit den Oesterreichern verbunden hatte. In nächtlicher Morgenstunde hatte Friedrich im Lager von Etriegau seine Generale am 4. Juni 1745 um sich versammelt, während die Oester-reicher unter dem Galgen von Hohenfriedberg ratschlagten. Mit Tagesanbruch griffen die Preußen den Feind zwischen Jauer und Lands Hut bei dem Dorfe Hohenfriedberg an. Auf beiden Seiten wurde gleich tapfer gekämpft; die Preußen rangen bald nur noch mit höchster Erbitterung, da sie unter großen Verlusten zu unterliegen fürchteten; doch der Siegeslorbeer wurde ihnen zu Teil. Besonders war es das Dragonerregiment Baireuth unter Schwerin, das sich unvergänglicheLorbeern errang, und der König gab seinem Danke durch einen Gnadenbrief Ausdruck, der dem Regiments für ewige Zeiten von echt königlicher Gesinnung reden sollte. Wann hatte es ein Monarch für nötig gehalten, seinen Soldaten für den Sieg zu danken! Auf den Patronentaschen erhielt das
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Regiment flammende Granaten; auch wurde ihm ein neues Sieget verliehen, auf dem der preußische Adler von 66 Fahnen umgeb:n ist, zum Andenken ein die 66 erbeuteten Fahnen.
„Die Welt ruht nicht sichrer auf den Schultern des Atlas, als Preußeu auf einem solchen Heere!" hieß es in des Königs Bericht über die Schlacht. Doch wurde die königliche Freude sehr gedämpft durch den Verlust zweier seiner Freunde. Der fröhliche Jordan und der treue Jugendgenosse von Kaiserling waren gestorben, ohne daß sie der König noch einmal hätte sehen können. „Sie waren meine Familie", schrieb er seinem ehemaligen Lehrer Duhan, „und ich glaube jetzt verwitwet und verwaist zu sein. Ich befinde mich in einer Trauer des Herzens, welche finstrer uud ernster ist, als die in den schwarzen Livreen. . . . Leben Sie wohl, lieber Duhan und behalten Sie einige Freundschaft für Ihren Zögling und seien Sie versichert, daß es ihm gegen Sie nie an Freundschaft, Achtung und Zärtlichkeit fehlen wird. ..."
Seit langer Zeit hatte der König für das fehlende Glück in der Ehe einen Ersatz in der Freundschaft gesucht. Seine treue, fromme Gemahlin sah mit unwandelbarer Verehrung und Liebe zu ihrem König, hinauf, um dessen Liebe sie vergeblich warb. Friedrich achtete sie als verehrungswürdige Frau und Königin; aber sie war ihm nicht das-erstrebte Ideal weiblicher Vollkommenheit uud geistreicher Größe. Die lauge Entfernung während der Kriege, vielleicht auch manche versuchte Intrigue des kaiserlichen Hofes, die sich an die Königin gewagt, ohne sie je auch als preußische Fürstin untren zu finden, hatte den Riß immer mehr erweitert, der die königlichen Gatten trennte.
Allgemein wurde die Schlacht bei Hohenfriedberg als eine hervorragende Entscheidung für Preußen angesehen, und selbst der König war tief ergriffen von einem Siege, den er sich und seiner Weisheit nicht zurechnete. „Gott hat meine Feinde verblendet und mich wunderbar beschützt", äußerte er zum französischen Gesandten.
In dieser Lage hoffte Friedrich einen günstigen Frieden schließen, zu können; aber Maria Theresia erklärte, lieber den Unterrock von ihrem Leibe geben zu wollen, als Schlesien. Erst weitere Niederlagen, machten sie dazu willig. Obgleich allein in der Schlacht bei Sorr (30. September 1745) 40 000 Oesterreicher von 18000 Preußen besiegt wurden, hoffte Maria Theresia doch im Bunde mit Sachsen, betr preußischen König im eigenen Lande vernichten zu können. Er erfuhr von dem Kriegsplan und kam seinen Feinden zuvor. Die böhmischen
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und sächsischen Pässe wurden besetzt, die preußischen Generale Winter-feldt und Zielen trieben das sächsische Heer zur Flucht, der alte Dessauer nahm Leipzig und bahnte durch die siegreiche Schlacht bei Kesselsdorf (15. Dezember 1745) seinem König den Weg nach Dresden.
Bei der ersten Begegnuug begrüßte Friedrich den alten, erprobten Feldherrn vor versammelter Armee entblößten Hauptes und umarmte ihn. Die preußischen Truppen hatten Wunder der Tapferkeit gethan. Nachdem der Sohn des Fürsten von Dessau mit neun Bataillonen das eisige Wasser eines Grabens durchwatet, hatte er mit ihnen die steilen, eisbedeckten Berge erklommen, hinter denen sich die Sachsen verschanzt hatten, die nun besiegt wurden. Jetzt war Oesterreich zum Frieden bereit, in dem wesentlich die Abmachungen des Berliner Friedens bestätigt wurden. Friedrich erkannte darin den Gemahl Maria Theresias als deutschen Kaiser an.
Bei seiner Rückkehr nach Berlin huldigte ihm sein Volk als dem
„Großen", dem Unüberwindlichen, und ganz Europa blickte auf zu dem
Einzigen, an dessen Weg der Sieg gefesselt schien, und der doch nur das Selbstgefühl besaß, sein Land und Volk groß und glücklich machen zu wollen. Das ganze deutsche Volk empfand sich in diesem Einzigen
wieder groß; das war ein Mann, ein König und ein Held, der dem
ganzen weiten deutschen Vaterlande angehörte. Des großen Friedrich Ruhm wurde ringsum gefeiert, in Wort und Bild, im Lied, wie im Volksbewußtsein. Die Schiffe trugen seiner Thaten Glanz über das Meer, und ferne Völker nannten ehrfurchtsvoll seinen Namen. Der Sultan von Marokko ließ die preußische Schiffsmannschaft eines Handelsschiffes, welche von den Barbaresken an die Westküste Afrikas als Sklaven verschleppt waren, ohne Lösegeld frei und sandte sie neu eingekleidet nach Lissabou mit der Versicherung, ihr König sei der größte Mann der Welt, kein Preuße solle in seinen Ländern Gefangener fein, und die preußische Flagge dürfe nimmer von feinen Kreuzern angegriffen werden. Ein Maler (Hackert) wurde aus einer Reise durch Sizilien von den Bewohnern einer kleinen Stadt mit Ehrengeschenken, Früchten und Blumen begrüßt, weil er „ein Preuße, ein Unterthan des großen Königs" war.
Zwei Briese Friedrichs, den von nun an alle Welt den Großen nannte, beide vom 2. Oktober datiert, gewähren einen Blick aus den auch in seiner Einfachheit großen König. In der Schlacht bei Sorr
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hatten die Panduren und Husaren weniger einen Sieg für Maria Theresia im Auge behalten, als die preußischen Küchen- und Silberwagen, die sie gleich Räuberbanden plünderten, während Friedrich die ihm weit überlegene österreichische Armee zurückdrängte. Der eine Brief darüber an Duhan (französisch) lerntet: . . . „Ich bin rein ausgeplündert. Haben Sie doch die Güte, mir den Boilean, die schöne Oktavausgabe mit Noten, zu kaufen und binden zu lassen. Ferner Bossuets Einleitung in die Weltgeschichte, Ciceros philosophische Untersuchungen, Luciau, übersetzt von Ablancourt, die neueste Ausgabe von Voltaire in fünf Bänden, Horaz, Rousseau, Feuquirres, Türennes Feld-Züge. Machen Sie mir das Vergnügen, mein Lieber, diese Bücher für mich anfzutreibeu und sie mir bald zu schicken. . .
An seinen in Berlin krank zurückgebliebenen Kammerdiener schreibt der König: „Denke Dir, wie wir uns geschlagen haben, 18 gegen 50! Meine ganze Eqnipage zum Teufel, Annemarie (Windspiel) ist thod gehauen, der Champion und die Biche auch thod gehauen, Eichel, Müller und Lesser sind noch nicht ausgefunden. Wenn das Unglück einmal will, dann fällt es einem allemal auf den Hals. Der Köppen muß mihr 10,000 Thaler schicken. Wehrstu hier gewesen, ich hätte gewiß nichts verloren, aber du kennst den dummen Riehen, der sich gar nicht zu helfen weiß, uud ich hatte so gefährliche Umstände auf den Hals, das ich unmöglich daran denken konnte. Nuu ist die Campagne gewiß vorbei und ich werde sie endigen können, wenn es Mihr gefällt. Sei Du nur geruhig, helffe der Himmel weiter. In solcher großen Gefahr und Noht bin ich meine thage nicht gewesen als den SOften und bin doch herausgekommen. Gott bewahre dir. Mache doch meine Sachen alle in Berlin wie ich sie haben will und werde
gesund." Acht Tage später heißt es: „Es hat bei Sorr schärfer ge-
gangen als Niemalen und ich bin in der Suppe bis über die Ohren gewesen. Siestu wohl, mihr thut keine Kugel was. Die Flöte von Quanz habe gekriegt, sie ist aber nicht recht guht; ich habe Quauzen eine in Verwahrung gegeben, die ist viel besser. Gieb sie mir, wenn ich hinkomme. Hier haben Wihr noch alle Tage Bataille, dieses thut nichts.
Wenn alles wird zu Grunde gehen.
Dann wird's mit uus am Besten stehn."
Während Preußen nun nach dem zweiten schlesischen Kriege unter
dem Segen des Friedens erstarken konnte, hatte Maria Theresia noch
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jahrelang teils in Italien, teils in den österreichischen Niederlanden gegen Spanien und Frankreich zu kämpfen. Als aber die Holländer unter ihrem erwählten Statthalter Wilhelm IV. von Oranien sich gegen die Franzosen wappneten und cntch Elisabeth von Rußland für Oesterreich rüstete, suchte Frankreich auf jede Weise Frieden, der zu Aachen geschlossen wurde und den schlesischen Erbfolgekrieg beendete (1748). Darin wurde Preußen der Besitz Schlesiens nochmals bestätigt; Frankreich gab alles eroberte Gebiet zurück, einen Teil Mailands an Sardinien, Ostparma^ Pmcenza und Guastalla an Spanien.
2. Der siebenjährige Krieg. «Der dritte schleiche Krieg.)
(1756 bis 1763.)
Ter Zriede schien auf lange Zeit gesichert und Deutschland bedurfte seiner. König Friedrich suchte seinem Lande die Wunden des Krieges in der elfjährigen Friedenszeit (1745—1756) zu heilen. Wie in Schlesien der Handelsverkehr durch Ausschachtung eines Oderkanals gehoben wurde, so in Pommern durch Anlage neuer Häfen (Swinemünde). Die Erwerbung Ostfrieslands (Emden) war für Preußens überseeische Verbindungen wichtig. (Asiatische Handelskompagnie.) Noch reger erschien des Königs Teilnahme für den Bauernstand, der in seinen Landen nicht mehr leibeigen sein sollte. Da war nichts, was dem König nicht der Beachtung wert erschienen wäre. Mit der Treue und dem Verständnis eines guten Landwirts pflegte er die Kultur von Wald und Feld. Er ließ sich die Anpflanzung von Maulbeerbäumen angelegen sein und die Pflege der darauf lebenden Seidenraupe, auch den Anbau von Tabak, besonders aber der Kartoffeln, die unter Aussicht von Sandrettern in die Erde gelegt wurden, und von deren Wichtigkeit die Prediger auf der Kanzel reden mußten. Bergwerk und Gewerbe, alles überwachte Preußens großer König persönliche Nicht weniger gehörte seine Sorge dem Staatshaushalte, der Rechtspflege wie der Volksschule und der Wissenschaft, ohne den Blick für die Bewegungen außerhalb Preußens je zu verschließen.
Obgleich Friedrich einst gemeint, in Sachsen sei man mehr preußisch, als sächsisch gesinnt, gewann Maria Theresia den polnisch-sächsischen Hof und seinen Regenten August III. für ihre Interessen durch den sächsischen Minister Grafen Brühl, den der allezeit spott-lustige Preußenkönig aufs empfindlichste beleidigt hatte. Auch Kaiserin
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Elisabeth von Rußland war eine unversöhnliche Feindin des großen Friedrich, der schonungslos die Schwächen der eiteln Fürstin geißelte. Durch Bestechung eines Schreibers in der Dresdner Kanzlei erfuhr der König von einem geheimen österreichisch-russischen Bündnisse, dem Sachsen geneigt war, und als gar Maria Theresia sich durch ihren Staatsminister Grafen Kaunitz bewegen ließ, an die von ihr verachtete, aber in Frankreich allmächtige Geliebte Ludwigs XA., die Marquise von Pompadour, eigenhändig zu schreiben und Frankreich ein Bündnis anzutragen, da wuchs die Gefahr für Preußen bedenklich, so daß der König gern auf einen Bund ' mit England einging, das 1 eben mit Frankreich wegen eines Grenzstreites in Nordamerika einen Seekrieg führte. Auch Braunschweig, Hessen-Kassel und Sachsen-Gotha schlossen sich Preußen an, während Oesterreich von dem alten Erbfeind der Habsburger, von Frankreich, im Bündnis von Versailles (1. Mai 1756) weitere Hülfe erwartete.
Nach seiner Art, dem Feinde zuvor zu kommen, eröffnete König Friedrich aufs neue einen Krieg, der sieben Jahre lang Preußens Kraft bis ins tiefste Lebensmark erschüttern sollte. Mit 70,000 Mann brach er unerwartet in Sachsen ein und besetzte das völlig unbewachte Dresden, von den protestantischen Sachsen mit Jubel begrüßt. Ihr katholischer Landesherr, August III., befand sich in der peinlichen Lage, sich eben so wenig mit den Preußen vereinigen zu mögen, wie sie bekämpfen zu wollen. Er zog sich lieber in sein Königreich Polen zurück, wo er herrlich und in Freuden lebte. Da umzingelte Friedrich die Sachsen, 17,000 Mann, bei Pirna, rückte mit seinem Hauptheer in Böhmen ein und schlug dort die ihm vierfach überlegenen Oesterreicher bei Lowofitz (10. Okt. 1756). Schon hatte der Kampf einen halben Tag lang gedauert, als den Preußen das Pulver ausging, und der preußische Befehlshaber, Herzog von Bevern, die Soldaten ermutigte: „Kinder, habt ihr denn keine Bajonette?" Bei dem so erneuten Angriff wurde der Feind zum Weichen gebracht, und Friedrich selbst urteilt darüber in einem Briefe an Schwerin: „Nie haben meine Preußen solche Wunder der Tapferkeit verrichtet, feit ich die Ehre habe, sie zu kommandieren." Das war ein zündendes Königswort; die Begeisterung des Heeres für Friedrich war grenzenlos.
Inzwischen sah Kaiser und Reich das Vorgehen Preußens als
offne Empörung an, und Franz I. erließ an den König von Preußen
als „Kurfürsten von Brandenburg" die strenge Mahnung, abzulassen
B o r n h a k. Unser Vaterland. 36
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von seinem frevelhaften Beginnen, außerdem dem König von Polen allen Schaden zu vergüten, den er ihm in Sachsen zugefügt und fein still uach Haus zu gehn. Auch an die preußischen Offiziere erging der kaiserliche Befehl, „ihren gottlosen Herrn zu verlassen und seine entsetzlichen Verbrechen nicht zu teilen, wofern sie sich nicht der Ahndung des Reichsoberhaupts blosstellen wollten."
„Heiterkeit und Klugheit" schrieb zu der Zeit König Friedrich au Herzog Ferdinand von Braunschweig „und wir jagen den Teufel aus der Hölle — wenn einer drin sitzt." Es sollte noch viel Klugheit nötig werden, nur drei bis zum tätlichsten Hasse erbitterten Frauen den Sieg abzugewinnen; denn auch die Pompadour wollte ihr Rachegefühl an dem königlichen Manne kühlen, der es gewagt hatte, über das Weiberregiment in Frankreich zu spotten.
Da sich die Sachsen ans der Umschließung bei Pirna nicht zu retteu vermochten, hatten sie sich kriegsgefangen ergeben gegen Ehrenwort, nicht mehr gegen Preußen kämpfen zu wollen, was freilich nicht gehalten wurde. Sie wurden iu preußische Regimenter gesteckt, aus denen sie desertierten.
Nun ließ der deutsche Kaiser die Reichsfürsten nach Regensburg laden (17. Jan. 1757), den gemeinsamen Beschluß zu fassen, „den Kurfürsten und Markgrafen von Brandenburg" iu die Reichsacht zu erklären und eine eilende Exekutionsarmee gegen ihn aufzubieten. Ein Druckfehler hatte aus dem Wort „eilende" eine „elende" Reichsarmee gemacht. Fast alle Reichsfürsten waren in dem einen Punkte einig: dein König von Preußen sollte nur so viel Land gelassen werden, um notdürftig als Markgraf vou Brandenburg leben zu können. Doch ging es dem kaiserlichen Notarius Dr. April etwas Übel, als er dem kur-brandenburgischen Gesandten die Vorladung für seinen Herrn überbringen sollte, damit dieser selbst höre, wie ihn die Acht und Oberacht „aller seiner Lehne, Rechte, Gnaden, Freiheiten und Anwartschaften" beraubte. Der Gesandte von Plotho empfing den Doktor und seine beiden Zeugen im Schlafrock, und als der Herr die kaiserliche „Schrift insinuierte", fuhr Herr von Plotho im heftigstem Zorne mit zitternden Händen und brennendem Antlitz in die Höhe: „Was? Du Flegel, insinuieren? Damit schob er ihm hastig das Schriftstück in den Rock und ihn selber zur Thür hinaus, den Bedienten zurufend: „Werft ihn über den Gang hinunter!"
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So war die kaiserliche Vorladung preußischerseits hinaus spediert; aber die feindlichen Armeen waren etwas schwieriger zu behandeln. Selbst Schweden, dessen Königin die Schwester Friedrichs war, stellte seinen Feinden 10,000 Mann Hülfstrnppen, da die übermächtige Adelspartei durch französisches Geld bestochen war. Wohin Preußen ausschauen mochte, von allen Himmelsgegenden zogen seine Feinde herbei, und es hatte keine andre Wehr und Mauer, als seines Königs und seines Volkes Kraft und Begeisterung. Die Feinde hatten 450,000 Mann an schlagfertigen Truppen, Friedrich konnte in seinem vielfach gespaltenen Königreiche nur 150,000 Mann zusammen bringen. „Es wirdt," schrieb er an den General von Winterseldt, „das jahr Stark und Scharf her gehn, aber man muß die ohreu Steif halten und jeder, der Ehre und Liebe vohr das Vaterland hat mus alles daran setzen. Eine guhte Husche, so wird alles Klarer werden."
Einen Teil seiner Truppen stellte Friedrich den Russen und Schweden entgegen; die Verbündeten, England, Hessen-Kassel und Gotha, hielten die Franzosen zurück. Mit dem Rest des Heeres traf der König am 6. Mai 1757 vor Prag ein. Schwerin hielt den Angriff verfrüht; aber der König meinte: „Frische Fische, gute Fische!" Da drückte Schwerin seinen Hut tiefer in die Stirn. „Muß es denn noch heute sein, so will ich den Feind gleich angreifen!" Damit stürmte er in solcher Heftigkeit gegen die feindlichen Feuer, daß ganze Regimenter der
Seinen dahinsanken. Einem jungen Fähnrich, der sich abseits hielt,
nahm der 73jährige Schwerin die - Fahne aus der Hand, und den Soldaten voraneilend, rief er: „Heran, ihr Kinder!" Wenige Schritte, und eine Kartätschenkugel hatte den Tapfern zerschmettert. Dem Sterbenden nahm der General Manteuffel die Fahne aus der Hand. Des Königs Bruder, Prinz Heinrich, drängte mit den Seinen zu Fuß gegen den Feind. Auch der Herzog von Braunschweig, der General F'ouque, wer kennt alle Namen der tapfern Führer und ihrer Soldaten, sie alle wußten nur das Eine: Sieg oder Tod! Als König Friedrich gesiegt hatte, bedeckten 18,000 Preußen das Schlachtfeld, „ohne den Feldmarschall Schwerin mitzuzählen" ließ der König dem Schlachtbericht zufügen, „der allein mehr als 10,000 Mann wert war. Sein Tod machte, daß die Lorbeern des Sieges verwelkten, die man durch ein zu
kostbares Leben erkauft hatte.
Obgleich die preußischen Generale ihren König zum Ausruhen mahnten, zog er doch weiter den Oesterreichern entgegen, und ein zu
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kühn gewagter Angriff brachte ihm bei Kollin eine schwere Niederlage (18. Juni 1757). Von 32,000 Preußen waren 14,000 gefallen, darunter 326 Offiziere. Die Niederlage von Kollin war die erste verlorene Schlacht dieses Krieges, doch war sie nur ein Vorläufer vieler dunkeln Tage in Friedrichs Geschichte. Kaum eine Woche später entschlief seine hochverehrte Mutter, Königin Sophie Dorothea, deren Todesnachricht der König empfing gleich einem selbst zum Tode Getroffenen. Sie war seine vertraute und treuste Freundin gewesen, mit der er nie anders zu sprechen wagte, als „den Hut in der Hand."
„Betrachten Sie mich wie eine Mauer," schrieb er vierzehn Tage später an den Marquis d'Argens, „in welche das Unglück seit zwei
Jahren Bresche geschossen hat. . Zur selben Zeit war die verbündete englisch-hannoversche Armee von den Franzosen bei Hastenbeck an der Weser besiegt worden, die Preußen bei Gr. Jägerndorf. Die Schweden fielen in Pommern ein. Zwischen Nebra und Roßbach bezog Friedrich ein Lager; ihm gegenüber stand die Reichsarmee. Auch die Franzosen, 64,000 Mann, hatten gegen 22,000 Preußen Aufstellung genommen. Die Franzosen spotteten über die Ehre, die sie dem Marquis de
Arandebourg anthun wollten; aber nach anderthalb Stunden befand sich die ganze feindliche Armee auf der Flucht; 7000 Mann mit
320 Offizieren wurden gefangen (5. Nov. 1757).
Vier Wochen später erfochten die Preußen den Sieg beiLeuthen (5. Dez. 1757), wo das prächtige Heer der Oesterreicher bis auf ein Drittel vernichtet wurde. Auch die Preußen hatten schwere Verluste, nur den Mut hatten sie nicht verloren. Als die Nacht mit eisigem
Hauch über das Schlachtfeld zog und das Stöhnen der Verwundeten widerhallte, stimmte ein Soldat laut und feierlich an: „Nun danket alle Gott!" Wie ein Echo tönte es ringsum von unzähligen Stimmen durch die Nacht: „mit Herzen, Mund und Händen. . ." Die Blasinstrumente fielen jubilierend ein, und die Sterbenden gingen unter den Klängen dieses Siegesmarsches heim, während sich die Lebenden im Dunkel der Nacht zum Ausbruch rüsteten.
Oesterreichische Offiziere hatten in dem Schlosse Lissa eine Zuflucht gefunden, die Hühnerställe und Weinkeller geplündert und sich eben zu frohem Mahle niedergelassen, als sich die Thüre öffnete. „Bon soll-, Messieurs!“ damit trat König Friedrich in den Saal, sich entschuldigend, daß er die Herren so spät störe. Mit der Bitte um Erlaubnis nahmen er und seine Offiziere Platz, speiste mit den Herren und
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— bat sich nachträglich von seinen höflichen Wirten, die ihn leicht hätten gefangen nehmen können, die Degen aus, da inzwischen preußisches Militair nahte.
Das neue Jahr brachte ueue Sorgen. Die Franzosen kamen über den Rhein; die Oesterreicher und Russen rüsteten. Aber mit neuen Kräften wollten auch die Engländer zu Preußen stehn. Zu ihrem Anführer wurde der tapfre Herzog Ferdinand von Braunschweig erwählt, der die Franzosen ans Hannover vertrieb und sie bis über den Rhein Zurückdrängte. Der König wandte sich, um Berlin zu decken, gegen die Russen (1758), die ihm eben, 100,000 Mann stark, Königsberg weggenommen hatten und bis Küstrin vorgedrungen waren. Bei Zorndorf trafen die feindlichen Armeen zusammen. Wiederholt hatte der kühne Reitergeneral Seidlitz inmitten des Gefechts die Befehle seines Königs durchkreuzt, der ihm sagen ließ, daß er dafür mit seinem Kopfe haften solle. Als aber der Sieg errungen war, umarmte ihn Friedrich vor der Front mit den schönen Worten: „Auch diesen Sieg habe ich Ihnen zu danken!" Einer der tapfern Soldaten hatte sein Pferd verloren und war selbst am Fuße schwer verletzt worden. Als nun im Kampfgewühl ein Offizier so nahe an ihm vorüber ritt, daß der Soldat dessen Steigbügel erfassen konnte, leitete er sich daran aus dem dichtesten Kugelregen, da der Offizier bis zur gesicherten Stelle ganz langsam ritt. Dann reichte er dem Verwundeten vom Pferde herab seinen Krückstock: „So, mein Sohn, damit hilf Dir nun weiter fort!"
In der Bauernfamilie Kranz zu Ubedel, Reg.-Bez. Köslin, wurde als Heiligtum ein spanisches Rohr mit Elfenbeinkrücke aufbewahrt unter der Ueberlieferung, daß ihn der Gardist Christian Kranz, geb. 1740, von seinem Könige Friedrich II. in der Schlacht erhielt, um sich „damit weiter zu helfen." Kaiser Wilhelm kaufte denselben, als er noch Prinz von Preußen war, und übergab ihn der königlichen Kunstkammer.
Wie ernst der König seine Lage ansah, geht daraus hervor, daß er schon vor der Schlacht sein Testament gemacht hatte, das vor allen Dingen betonte, so zu „agiren, daß, falls er selbst in der Schlacht seinen Tod finden sollte, der Feind keine Aenderung im Befehl merken könne." Doch mochte nun der Sieg den König weniger vorsichtig gemacht haben, so daß er in nächtlicher Stunde bei Hochkirch überfallen werden konnte (14. Okt. 1758). So tapfer sich die unsanft aus ihrem Schlummer geweckten preußischen Regimenter um ihren König scharten.
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konnten sie sich doch nur unter schwersten Verlusten am andern Morgen auf Bautzen znrückziehn; 8850 Gemeine und 246 Offiziere hatte das preußische Heer verloren, dazu 28 Fahnen, 100 Kanonen und alle Bagage. „Wir sind geschlagen worden," schrieb der König an Voltaire „und können wie Franz I. sagen: „Alles ist verloren, nur die Ehre
nicht." . .
So endete der vierte Feldzug des Krieges höchst unglücklich für Preußen. Doch wie kein Unglück allein kommen soll, so verlor der König an demselben Tage die treue Freundin und Leidensgefährtin seiner Jugend, seine Schwester Wilhelmine, Markgräfin von Baireuth. „Manches Unglück," schrieb er, „läßt sich durch Standhaftigkeit und Mut wieder gut machen, aber bei manchen andern ist alle Festigkeit, mit der man sich bewaffnen will, unnütz." . .
Der König vermochte jetzt die Vereinigung der Oesterreicher und Russen nicht mehr zu hindern; doch wollte er es ihnen nicht leicht gemacht haben, ihn zu vernichten. Am 4. August 1759 schrieb er an den General Finkenstein aus Beeskow (franz.): „So eben komme ich hier nach fürchterlichen und entsetzlichen Märschen an. Ich bin sehr erschöpft. Nun sind es sechs Nächte, daß ich kein Auge geschlossen habe." In einem andern Brief desselben Tages heißt es: „Es ist nicht wohl Zeit, jetzunder Rasttag zu machen, in denen Umbständen, wohr Wir seyndt Mus geeilet werden zusammen zu kommen. Wenn der Feind jetzunder ein mouvements macht, so mus ich es ruhig ansehen, habe ich aber die Armee zusammen, so Profithire ich davon." . .
Mit 43,000 Mann griff der König bei Kunersdorf ein Heer von 70,000 Feinden an (12. Aug. 1759) und wurde so völlig geschlagen, daß die Oesterreicher triumphieren mochten, jetzt sei der Augenblick gekommen, den königlichen Emporkömmling in seine alten Schranken zu verweisen. Vergeblich hatte der König, den selbst eine Pistolenkugel getroffen, die nur an einer goldnen Dose in der Westentasche zurückgeprallt war, seine fliehenden Truppen zu halten gesucht und verzweifelt ausgerufen: „Kanu mich denn keine Kugel treffen?"
Als sollte der Wunsch erfüllt werden, hatte ihn eben eine österreichische Reiterschaar umzingelt, doch retteten ihn die Seinen. Am Abend bedeckten 20,000 Tapfre des preußischen Heeres das Schlachtfeld. Auch Ewald v. Kleist, der Dichter des Frühlings, war gefallen, und der König suchte vergeblich in elender Bauernhütte auf einem Bündel
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2tro'.i die ihm so nötige Ruhe, den Gründen nachgrübelnd, die solches Unheil über Preußen gebracht. Als er am andern Morgen mit einem alten frommen Offizier darüber sprach, antwortete dieser, daß daran wohl die Sünde des Heeres schuld sei, das in den letzten wahren nicht einmal mehr eine Betstunde hatte. Darauf hin befahl der König, diese sofort wieder einzurichten.
„Meine Uniform ist von Kugeln durchbohrt," hatte Friedrich noch in der Nacht nach Berlin geschrieben, „zwei Pferde sind mir getötet worden, mein Unglück ist: noch zu leben. Von einer Armee von 48,000 Mann habe ich nicht 3000 zusammen. In diesem Augenblick, in welchem ich schreibe, flieht alles, ich bin nicht mehr Herr meiner Leute, man wird wohl daran thun, in Berlin an seine Sicherheit zu denken. Es ist ein entsetzliches Unglück, ich werde es nicht überleben, die Folgen der Schlacht werden noch verderblicher sein, als die Schlacht selbst. Ich habe keine Hülfsquellen mehr, um nicht zu lügen, ich halte alles für verloren. Ich werde das Verderben meines Vaterlandes nicht überleben. Adieu auf ewig, Friedrich."
Ein schweres Fieber fesselte den König an octs Krankenlager und er übertrug den Befehl über die Armee dem Generalleutnant v. Fink, der ihn dem Prinzen Heinrich übergeben sollte, „weillens Mihr eine schwehre Krankheit zugestoßen .... an meinen Neveu mus die Armee schweren" . . . Doch erholte sich der König, nachdem er wieder geistige Fassung gewonnen hatte und zog mit dem Rest des Heeres Berlin zu, um wenigstens dieses zu schützen. „Ich werde mich den Feinden entgegen stellen," schrieb er, „mich erwürgen lassen oder die Hauptstadt retten" . . . Aber die Russen nahmen wider Erwarten Winterquartier in der Weichselebene, die Oesterreicher in Böhmen, so daß für die preußische Residenz nichts zu fürchten war, obgleich Dresden an Oesterreich verloren ging und der preußische General Fink bei Maren von einem vierfach überlegenen österreichischen Heere umschlossen wurde i-20. November 1759), so daß man über den preußischen Finkenfang spottete, nach welchem sich etwa 10000 Mann mit 4 Generälen und 550 Offizieren nebst ihren Feldzeichen und Kanonen den Oesterreichern übergeben hatten.
„Ich bin so erschöpft von den Widerwärtigkeiten und Unglücksfällen", schrieb der König seinem Freunde d'Argens, daß ich mir tausendmal den Tod wünsche und es von Tag zu Tag müder werde, einen Körper zu bewohnen, der abgenutzt ist. Ich schreibe Ihnen im ersten
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Augenblicke des Schmerzes. Bestürzung, Gram, Unwille, Verdruß zerreißen gemeinschaftlich meine Seele. Haben Sie Mitleid mit meinen: Zustande und machen Sie keinen Lärm davon; denn böse Nachrichten verbreiten sich ohnedem schnell genug. Wann werden meine Leiden enden!" . . .
Und doch — in solcher Stimmung, durch die Gicht am ganzen Körper bis auf die rechte Hand gelähmt, so daß er in einer Sänfte transportiert werden mußte, von Schmerzen gequält, daß er meinte, „schwachsinnig" darüber zu werden, war König Friedrich der Große fähig, Oden zu dichten an das ungetreue Glück, an die Deutschen u. ct., eine Abhandlung über Karls XII. Kriege zu schreiben, die Geschichte der Revolutionen Roms und Schwedens zu studieren. Ob schon manche Hiobsklage in die ferne Heimat eilt mit dem immer wiederkehrenden Gedanken, daß „der Tod süß ist im Vergleich mit einem solchen Leben", so bleibt doch über den gebrechlichen Körper der Geist und seilte Willenskraft Sieger.
Wie gern hätte der König jetzt Frieden geschlossen! aber seine Feinde stellten ihm eine Streitmacht von 250 000 Mann entgegen, während er selbst nur 75 000 Mann zusammen bringen konnte, da Rußland und Oesterreich die Gefangenen nicht herausgaben. „Auf die gütige Vorsehung, mit deren weiser Führung" die ihm befreundete Herzogin von Gotha ihn getröstet, will sich Friedrich nicht verlassen. Er kann sich des Vorurteils nicht entschlagen, „daß unser Herr Gott im Kriege für die großen Massen und schwere Kavallerie ist," die Preußen jetzt nicht zu stellen vermochte. Manches Regiment hatte statt der etatsmäßigen 52 Offiziere nur noch 12, und die Pagen und Funker befreundeter Höfe, ans detten steh vielfach das Offizierkorps neu rekrutierte, war ein zweifelhafter Ersatz.
Trotz des mangelhaft bestellten Heeres brach der König im August 1160 nach Schlesien auf, wo ihn die Oesterreicher erwarteten. „Sind wir glücklich," schrieb er an d'Argens, „so werde ich Sie davon benachrichtigen, sind wir unglücklich, so nehme ich im Voraus von Ihnen Abschied, ja mein Lieber, die ganze Boutique geht zum Teufel!" . . .
Frankreich hatte unter der vertraulich durch Voltaire ausgesprochenen Bedingung, daß Preußen Kleve abträte, Frieden geboten; aber der König hatte darauf geantwortet, er finde diese Vorschläge so unsinnig, detß er sie ins Tollhaus schickeu wolle; denn nur da sei der richtige
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Ort, darauf zu antworten. Dem entsprechend handelte er. Obgleich ihm durch die Niederlage seiner Truppen unter dem General Fouqus bei Lands Hut fast ganz Schlesien verloren ging (23. Juni 1760), gewann er es durch den eignen Sieg bei Liegnitz über die mehr als dreifach überlegene feindliche Armee bis auf die Grafschaft Glatz zurück (15. August 1760).
Indessen besetzten die Russen Berlin und brandschatzten es. Die Sachsen hausten in Charlottenburg wie Räuberbanden; aber schon die Nachricht, daß der König heranrücke, verscheuchte die Feinde aus Preußens Hauptstadt, so daß Friedrich umkehrte, den Oesterreichern bei Torgau zu begegnen (3. November 1760). Dem tapfern Zieten war es zu verdanken, daß hier nach fast verlorener Schlacht der Sieg errungen wurde. Mehr als 10000 Verwundete und Sterbende durch; seufzten die kalte Winternacht auf dem Schlachtfeld. Der König durchwachte sie bei schwelendem Lämpchen in der Dorfkirche und machte Pläne für den folgenden Tag. In der möderischen Schlacht, von der Friedrich meinte: „Die Oesterreicher schießen uns heut das Wort vom Munde weg", war auch er von einer Kugel getroffen, mit dem Ausrufe vom Pferde gesunken: „Ich bin tot!" Doch war er nur besinnungslos; die Kugel war durch Pelz und Uniform bis auf den Brujtkuocheu durchgedrungen, ohne den König zu verwunden. Als er am Tage nach der Schlacht mit Zieten zusammen traf, rief dieser seinen Husaren zu: „Bursche! unser König hat die Schlacht gewonnen, unser großer König lebe!" „Ja", antworteten sie, „unser König Fritz soll leben, aber unser Vater Zieten auch!"
Dem so entkräfteten preußischen Heere konnte der Sieg nicht viel nützen, und Friedrich der Große machte die äußersten Anstrengungen, einen ehrenvollen Frieden zu erlangen. Trotz des Siegesjubels und des 'le Deums, das im ganzen Lande unter Glockenläuten und Kanonendonner erklingen und bis in die kaiserliche Hofburg nach Wien schallen sollte, sah der König keinen Glück verheißenden Ausweg. „Wie ich es auch anfange," schrieb er, „ich erliege der Menge meiner Feinde."
„Beneidet sind wir in der Ferne,
Hier aber seufzen wir."
Seit Georgs II. Tod blieben die Hülfsgelder aus England aus. Oesterreich hatte durch den Besitz von Glatz und Dresden einen festen — ammelplatz in Schlesien und Sachsen, und der vereinten feindlichen
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Macht von 150000 Mann konnte Preußen nur 55 000 Mann entgegen stellen. Doch wurden Oesterreicher und Russen plötzlich uneins. Aber während der König die Oesterreicher bei Neiße zu einer Schlacht zu zwingen hoffte, nahmen die Russen Schweidnitz und damit ein gut Teil Schlesien (1. Oktober 1761). Wenige Wochen später war Kolberg, das ein Jahr zuvor unter seinem tapfern Kommandanten Heyden und dein unerschrockenen Bürger Nettelbeck widerstanden hatte, und damit halb Pommern, in ihren Händen (16. Dezember 1761). Kaum hielt Prinz Heinrich, von dem der König sagte, daß er während des ganzen Krieges keinen Fehler begangen hatte, die Sachsen zurück, Herzog Ferdinand von Braunschweig die Franzosen. Der Untergang Preußens konnte somit nur eine Frage der Zeit sein. Da starb plötzlich Kaiserin Elisabeth von Rußland. Ihr Neffe und Nachfolger, Peter III., war ein Bewunderer des großen Königs, mit dem er Frieden schloß und den: er die Gefangenen ohne Lösegeld herausgab. Bald sandte er Preußen sogar ein russisches Hülssheer zu.
Auch die Schweden schlossen mit Preußen Frieden, so daß es seine Streitkräfte ganz allein gegen Oesterreich zu richten brauchte. Als aber bald darauf Peter III. ermordet wurde, und seine Gemahlin als Katharina II. den russischen Thron bestieg, hob sie sofort alle Zugeständnisse gegen Preußen auf; doch bestätigte sie den Frieden, als sie aus Peters III. hinterlassenen Papieren ersah, daß der preußische König ihn allezeit zu einer edleren und würdigern Behandlung seiner Gemahlin aufgefordert hatte, während sie gemeint, Friedrich trage Schuld an der Härte und Rücksichtslosigkeit ihres kaiserlichen Gatten.
Die Russen waren noch einige Tage scheinbar als Verbündete mit den Preußen vereint geblieben, so daß diese bei Burkersdorf noch einen Sieg über die Oesterreicher davontrugen (21. Juli 1761). Dann wurde auch Schweidnitz wieder erobert, und ganz Schlesien war damit in Friedrichs Händen. Auch in Schlesien und Böhmen errangen die Preußen Vorteile, und Herzog Ferdinand war gegen Frankreich siegreich. Dieses schloß mit England den Frieden zu Fontainebleau (3. November 1762^, in dem England Preußen schmählich im Stiche ließ; doch gab Frankreich, kampfesmüde, bald jede Feindseligkeit gegen Preußen auf.
Von allen Verbündeten verlassen, bis ins Ungeheuerliche verschuldet, schloß Oesterreich besonders unter Vermittelung des sächsischen Kurprinzen Frieden mit Preußen auf dem sächsischen Schlosse Hubertus-
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bürg (15. Februar 1763), wonach Maria Theresia Schlesien für immer an Preußen abtrat, das nun als fünfte Großmacht Europas galt.
„Gebe der Himmel" schließt Friedrich der Große die von ihm selbst aufgezeichnete Geschichte des siebenjährigen Krieges, „wenn anders die Vorsehung sich mit ihren Blicken zu menschlichen Armseligkeiten herabläßt, daß das unveränderliche und blühende Glück dieses Staates die Fürsten, welche ihn künftig beherrschen werden, vor dem Unglücke und den Trübsalen bewahre, die Preußen in diesen Zeiten der Zerrüttung und der Unruhen erlitten hat, damit sie nie gezwungen sind, zu den gewaltsamen und traurigen Hülfsmitteln ihre Zuflucht zu nehmen, deren man sich zu bedienen genötigt war, um den Staat gegen den eroberungssüchtigen Haß der europäischen Fürsten zu erhalten, welche das Haus Brandenburg vernichten und alles, was Preußen hieß, aus ewig verderben wollten."
Die Berliner hatten große Zurüstungen gemacht, ihren großen König im Triumph einzuholen, der ans weiten Umwegen heimkehrte und feine Ankunft zum 2. April hatte ankündigen lassen, aber in aller Stille am 30. März abends mit dem Herzog Ferdinand von Braunschweig und dem General Lentulus in die Stadt fuhr. Am 4. April 1763 wurde das Friedensfest im ganzen Königreiche gefeiert, während der König sich in der Schloßkapelle zu Charlottenburg ein feierliches Te Deum durch seinen Kapellmeister Graun ausführen ließ.
3. Friedrich der Große und Maria Theresia nach dem siebenjährigen Kriege.
Der siebenjährige Krieg konnte um der Bedeutung seiner Folgen willen fast der Wichtigkeit des dreißigjährigen Krieges gleichkommen, ob er ihn schon nicht cm Ausdehnung erreichte. Selbst eine nennenswerte religiöse Entscheidung ruhte darin. Segnete der Papst nach dem Ueberfall bei Hochkirch die Waffen Oesterreichs mit vielen Flüchen über das „schändliche Geschlecht der Anhänger Luthers", und wünschte dem Feldmarschall Daun, daß „sein Arm stets rauche vom Blute dieser Gottlosen", so war dennoch das alte „heilige römische Reich deutscher Nation" vor der aufgehenden Sonne Preußens erblichen, das von jetzt an mit dem Träger der deutschen Kaiserkrone, mit dem katholischen
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Oesterreich, noch ein Jahrhundert lang um seine Stellung in Deutsch-laud ringen sollte. Gewiß hatte Friedrich der Große in erster Linie um die Existenz seines Staates, für die Größe seines Hauses gekämpft. Er war dem letzten Befehle seines königlichen Vaters treu geblieben, niemals für fremde Interessen den Degen zu ziehen; aber er war einem Kaisertum entgegen getreten, das dem Erbfeind Deutschlands, Frankreich, ein Hausrecht im deutschen Reiche eingeräumt hatte. Der preußische König Friedrich II. wurde zum Helden des deutschen Volkes, das zumeist seine Landesherren verachtete, weil sie ihre Unterthanen als Soldaten an fremde Mächte verkauften, um das mit dem Blute ihrer Landessöhne erhandelte Geld im üppigen Hofleben zu verprassen. Wie viel Bewunderer des großen Königs mußten so in den Reihen seiner Feinde kämpfen, während Preußens Soldaten nur für ihren König, für ihr Vaterland in den Tod gingen. Friedrich hatte im deutschen Volke das Bewußtsein für die Ehre eines Heldentums geweckt, das so lange geschlafen hatte.
Die Wunden des Krieges vermochten nur allmählich zu heilen. Obgleich der König ein schlagfertiges Heer von 200 000 Mann erhalten wollte, überließ er doch den Bauern sofort nach dem Friedensschlüsse 35 000 Militärpferde zum Landbau, dazu 40 000 Scheffel Aussaatgetreide aus den königlichen Magazinen. Landstrecken wurden urbar gemacht, verarmte Provinzen erhielten neben Steuererlassen Geldzuschuß, Schlesien allein drei Millionen Thaler. Auch wurden Kolonisten in die östlichen, vielfach entvölkerten Provinzen gezogen, mittellose Handarbeiter und Tagelöhner wurden bei großen Bauten beschäftigt, wie des „Neuen Palais" bei Potsdam, der „Königlichen Bibliothek in Berlin" u. a.
Da Friedrich der Große eine sehr hohe Meinung von der geistigen Befähigung der Franzosen, besonders von ihrer Gewandtheit hatte, berief er leider diese Fremdlinge als Beamte für die schwer empfundene Accise, Steuer- und -labafregte. Obgleich alle Einnahmequellen, alle steuern nur zum Wohle des Volkes verwandt wurden, erregte die Steuererhebung durch Franzosen viel böses Blut im Lande und vielfach nlit Recht, da diese rücksichtslos und hochmütig dabei zu Werke gingen.
Das Hosleben Friedrichs des Großen trug eine Einfachheit zur Schau, eines königlichen Philosophen würdig. Die Freunde seiner Jugend waren zumeist heimgegangen; neuen Freundschaften war er ab-
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geneigt; er lebte der Erinnerung für sich, der Gegenwart und Zukunft für sein Volk. Seine Windspiele waren ihm Gefährten bei Tag und Nacht, und nur die Musik war ihm eine Welt der Erholung. Er sah nicht, wie die deutsche Sprache, die deutsche Dichtkunst sich empor zu ringen wußte; er selbst las und schrieb fast nur französisch, der deutscheste Fürst seiner Zeit ein Freund des französischen ,,esprit!“
Selbst ein Lessing, andrer gar nicht zu gedenken, konnte in Preußen sein Brot nicht finden, und wenn Friedrich der Große einem Gellert, mit dem er in Leipzig zusammen traf, die Möglichkeit zugestand, in der Zukunft des deutschen Volkes weiter zu leben, das Ringen des deutschen Volkgeistes um eine eigene deutsche Literatur blieb dem großen König fremd. Und da ist es ein wunderbares Geschick, daß seine ihm an Körper und Geist so ähnliche Nichte, Herzogin Anna Amalie von S. Weimar-Eisenach, die Tochter seiner Schwester Ulrike von Braunschweig, das im höchsten Maße vollendete, was ihr großer Oheim nicht vermochte. Vereint mit dem ihr geistig ebenbürtigen Sohne Karl August schuf sie der deutschen Sprache und Literatur eine Heimstätte, deren Segen über alle Zeiten hinweg ragen wird. Friede-ricianischer Geist ist es somit dennoch, der in dem kleinen Weimar einen Goethe und seine Zeit reifen läßt, abgesondert von dem Treiben und Werden der Geschichte in der großen politischen Welt, und die deutsche Literatur lebensfähig macht, weil Anna Amalia mehr als ein halbes Jahrhundert hindurch selbstlos groß darüber waltet.
Wer sich nur annähernd klar macht, welchen Einfluß die deutsche Sprache und ihre Literatur auf das Volksleben hat, der ahnt etwas von dem weltbewegenden Einfluß, der in Weimar feine stille Pflanzstätte fand, um dann feine Zweige lebensvoll auszubreiten, wo nur „die deutsche Sprache klingt und Gott im Himmel Lieder singt." —
Fand die deutsche Literatur an Friedrich dem Großen keinen Beschützer, das deutsche, unverwelfchte Recht hatte in ihm allezeit einen gerechten König. Er beauftragte feinen Minister, den Rechtsgelehrten L-amuel Cocceji, eine neue, schnell zu erledigende Rechtsordnung zu entwerfen (codex Fridericianus). Mochte dieser dabei die mustergültige französische Gesetzgebung Ludwig XIV. zu Grunde legen, so war dieser Koder durchaus preußischen Verhältnissen entsprechend gehaltet worden. Der König griff selbst so energisch in die Rechtspflege ein, daß er einst einen ganzen Gerichtshof abfetzte, weil er feiner
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Meinung nach ein ungerechtes Urteil gefällt hatte. Aber der große König beugte sich ebenso unter die Gewalt seiner Gerichte. Als er einst einem benachbarten Müller, dessen Windmühle mit ihrem Geklapper die Ruhe seines Schlosses Sanssouci störte, die Mühle mit Gewalt nehmen wollte, da dieser nicht geneigt war, sie sich abkauseu 311 lassen, durfte der Müller nur daran erinnern, daß es ja noch ein Kammergericht in Berlin gebe. Zum Wahrzeichen steht noch heute die Mühle auf alter Stelle, wenngleich ihre müden Flügel schon längst ruhen.
Je einsamer Friedrich im eigenen Hause wurde — selbst mit seiner Gemahlin verkehrte er nach dem siebenjährigen Kriege nur noch schriftlich —, desto mehr schien er seinem Volke „volkstümlich." Unzählige Anekdoten berichten noch heute davon, wie Friedrich der Große sich zunächst seinen Berlinern und dann weiter seinem Lande zum „alten Fritz" wandelte, während in Oesterreich seine große Rivalin Maria Theresia durch ihre volkstümliche, milde und doch so kluge Regierungsweise sich den Namen „Mutter Maria Theresia" erwarb. Gleich Friedrich dem Großen hielt die große Fürstin alles, was die Staatsverwaltung bessern konnte, das ihr Volk beglückte, ihrer persönlichsten, treuen Sorge wert. Nur in einem Punkte war sie ihrem großen Vorbilde nicht gleich; zu religiöser Duldung vermochte sie sich nicht zn erheben. Obgleich sie als unumschränkte Monarchin jedem päpstlichen Einfluß in ihrem Reiche entgegentrat, wollte sie Nichtkatholiken in Oesterreich nicht dulden und schadete sich damit selbst, da die bedrängten Protestanten vielfach auswanderten.
Kantn hatten sich Preußen und Oesterreich unter den Segnungen des Friedens erheben dürfen, als ein neuer Konflikt an der Ostgrenze Europas beider Interessen erregte. August III. von Polen und Sachsen war gestorben, und sonderlich Rußland wollte in Polen, das ein Wahlkönigreich war, oder eigentlich eine Republik, in welcher der Adel regierte, keine bedeutende Macht aufkommen lassen. Katharina II. hatte den Polen ihren Günstling Stanislaus Poniatowsky aufgenötigt und, um Zwietracht unter Adel und Volk zu bringen, durchgesetzt, daß die Nichtkatholiken gleiche Rechte mit den Katholischen haben sollten.
Wie die tolle Wirtschaft der polnischen Reichstage sprichwörtlich geworden war, so ging es jetzt inmitten des Volkes zu. Verschiedene Parteien bildeten sich; ein Teil des Adels schloß einen Bund (Kon-
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föderation zu Bar 1768) und trat eben so wohl gegen die russische Besatzung, wie gegen die friedliche Bevölkerung aus. Mau rechnete aus Preußens Beistand; als aber Friedrich der Große nur die eigenen Grenzen schützte und die Polen zur Ruhe ermahnte, wandten sich diese an Frankreich, das soeben die Türkei gegen Rußland aufreizte und den polnischen Konföderierten durch Geldunterstützung half, den neuen König Poniatowsky abzusetzen.
Während die Russen mit den Türken zu thun hatten, nahmen sich die Oesterreicher ein Stück polnischen Gebiets, das in ihre Lande hineinragte, 13 Städte der „Zipser Starostie", auf alte Ansprüche hin.
Rußland war damit ganz unerwartet zufrieden; denn Katharina II. äußerte gegen Friedrich den Großen, daß sie beide nun eben so viel Recht hätten, sich das nötige polnische Land zur Abrundung ihrer Reiche zu nehmen. Natürlich hätte Rußland am liebsten ganz Polen gehabt. Das zu hindern, verständigte sich König Friedrich mit Oesterreich, ehe er auf russische Unterhandlungen einging, die endlich zu einer Teilung Polens führten (5. August 1772), bei der Friedrich der Große seine Ansprüche auf den ihm zugefallenen Teil Westpreußens damit rechtfertigte, daß es notwendig zu Ostpreußen gehöre. Rußland bekam das an seinen Grenzen liegende polnische Gebiet bis zur Düna und zum Dnjepr, Oesterreich Ostgalizien und Lodomirieu als besonderes Königreich. Doch unterzeichnete Maria Theresia den Teilungsvertrag mit dem Bemerken, daß, wenn sie längst tot sei, man erfahren würde,
was aus dieser Verletzung von allem, was bisher heilig und gerecht
war, hervorgehen müsse. Polen werde ein brennender Funke im Kleiderkasten bleiben. Damit aber der ganze Vorgang einen Schein des Rechts hatte, mußte der polnische Reichstag seine Einwilligung dazu geben.
So waren die drei Mächte scheinbar sehr einig. Besonders war der <20hn Maria Theresias, Joseph II. (ihr Gemahl war am
18. August 1765 gestorben), offenbar bestrebt, an dem Vorbilde
Friedrichs des Großen heranzureifen. Als dieser aber erfuhr, daß man in Wien auf feine schwankende Gesundheit hin seinen baldigen Tod erwartete, wars mit Preußens Freundschaft vorbei. Außerdem machte Joseph II., der auch zum deutschen Kaiser gekrönt war, voll Ehrgeiz und Ruhmbegier Ansprüche aus einen großen Teil Bayerns geltend, wo eben beim Tode des letzten Wittelsbachers, Maximilians III., Kurfürst Theodor von der Pfalz, seinem Erbrechte zufolge, die Re-
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gierung Bayerns angetreten hatte, aber sein Erbe lieber für Geld verhandeln wollte, als sich um ein Land mühen, das er nicht einmal einem Sohne hinterlassen konnte.
Ueber den Handel waren die deutschen Reichsfürsten nicht wenig entsetzt, besonders die nächsten Anverwandten Karl Theodors. Sie machten dem deutschen Kaiser vergeblich Vorstellungen darüber, und Friedrich der Große ließ als Drohung zwei preußische Heere in Schlesien und Böhmen einrücken, wo die Oesterreicher Stellung genommen hatten. Doch wußte Maria Theresia klug mit Friedrich zu unterhandeln, so daß, als auch Rußland mit Krieg drohte, der „bayrische Erbfo lgekrieg", auch „Kartoffelkrieg" im Volke genannt, ohne eigentliche Schlacht durch den Frieden von Teschen beendet wurde (13. Mai 1779). Danach erhielt das pfälzische Haus Bayern, Oesterreich das Gebiet zwischen Inn, Salzach und Donau mit der Hauptstadt Braunau. Preußen wurde die Erbfolge der alt hohen-zollernschen Markgrafschaften Ansbach und Bayreuth zugesichert.
Hatte sich damit Oesterreich, da es wohl nicht anders konnte, nachgiebig gezeigt, so erwartete es von Preußen das Zugeständnis, daß bei Erledigung des Kurerzbistums Köln und des Bischofsstuhls von Münster dem jüngsten Sohne Maria Theresias, Maximilian, diese geistlichen Herrschaften zufallen sollten. Nicht leicht verstand sich Friedrich der Große dazu, einen österreichischen Erzherzog als fürstlichen Nachbar zu dulden; doch gab er endlich nach. Kurz darauf starb Maria Theresia ruhig, erhaben und fromm ergeben, wie sie gelebt hatte. Die Geschichte giebt ihr das Zeugnis, daß in ihr eine der
größten Herrscherinnen aller Zeiten schied. Sie wußte den Mut, die
Energie und Klugheit eines Mannes mit frauenhafter Güte und christlicher Milde zu vereinen.
Als Friedrich der Große die Nachricht ihres Todes erhielt, schrieb er feinem Minister: „Maria Theresia ist gestorben; eine neue Ordnung der Dinge beginnt." Joseph's Ruhmbegier mochte gefürchtet werden; aber er war ein edler Fürst, dem das Wohl seines Volkes eben so am
Herzen lag, wie einst seiner Mutter; doch schlug er andre Wege ein
und meinte erzwingen zu können, was vielleicht ruhiger Entwicklung vorbehalten war. Darum erfuhren feine besten Absichten viele Anfeindungen, und er mußte die schmerzliche Erfahrung machen, daß mit gutem Willen viel, aber nicht alles gethan ist. Durch feine freisinnigen Pläne machte er sich Adel und Geistlichkeit Oesterreichs zu
Feinden, und sein Versuch, die katholische Kirche Oesterreichs von der Herrschaft des Papstes zu lösen, mißlang ebenso, wie die Gleichstellung der Protestanten und Katholiken in Oesterreich (Toleranzedikt) wenig Anklang fand.
Noch einmal versuchte er Bayern um den Preis von drei Millionen Gulden an sich zu bringen, da Frankreich und Rußland damit einverstanden waren (1786). Aber die geschädigten Herren von Zweibrücken, Karl und Maximilian Joseph, baten Friedrich den Großen um Beistand, der seinerseits Katharina II. zu bewegen wußte, Rußlands Hülfe bei dem Länderhandel zu versagen. Um ähnlichen Ueber-grisfen des Reichsoberhaupts in die Rechte der Reichsfürsten zu wehren, stiftete Friedrich der Große den „deutschen Fürstenbund," dem
sich Sachsen und Hannover, Braunschweig, Gotha, Weimar, Mecklenburg, Zweibrücken, Hessen-Kassel, Osnabrück, die Anhaltischen Fürstentümer, Ansbach und Bayreuth, zuletzt Kurmainz anschlossen. Obgleich sich Friedrich der Große nicht gar viel von der Zuverlässigkeit der meisten Verbündeten versprach und weit davon entfernt war, wie
Herzog Karl August von S. Weimar, eine zukünftige Größe und
Einheit Deutschlands darin zu sehen, so hatte er doch damit eine
Schutzwehr aufgerichtet. Es war sein letztes, großes Werk.
Schon im vorhergehenden Jahre hatte Karl August bei Gelegenheit einer militärischen Revue in Berlin an seine Mutter Anna Amalia nach Weimar über den königlichen Oheim geschrieben: „Das zusammen geschmolzene Sicht fängt an, seinen Leuchter glühend zu machen; einzelne aufschlagende Strahlen und — eine große Schnuppe kündigt die nahe Verlöschung an." Schwer krank, war der einsame König verdrießlich und mißtrauisch geworden, ohne bei aller körperlichen Schwäche Arbeitskraft und Energie des Willens zu verlieren. Das treue Preußenvolk sah seinen König, den es fast vergötterte, kaum noch auf der Terrasse von Sanssouci; aber er arbeitete so unermüdlich, als gälte es, Minuten für das Wohl seines Landes auszukaufen. Wußte er doch, daß er seit seiner Thronbesteigung allein Steuermann und Kompaß des preußischen Staatsschiffes gewesen, alles in allem der einzige Mittelpunkt.
Schon seit dem Frühjahr 1786 an der Wassersucht leidend, entschlief der große König am 17. August. Er hinterließ seinem Neffen Friedrich Wilhelm II. einen wohl eingerichteten, um 1325 □ Meilen vergrößerten Staat und, trotz der schweren Kriege, einen Staatsschatz
B o r n h a f, Unser Vaterland. 07
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von 72 Millionen Thalern. Trotz seiner freien Stellung zum Christentum hatte er es doch überall geschätzt und gegen Ende seines Lebens geäußert, daß er „seinen kleinen Finger darum geben wolle, könnte eifern Land so hinterlassen, wie er es von seinem frommen Vater übernommen habe." Doch hatte sein Leben die Worte seines Testaments großartig bezeugt: „Seitdem ich zur Führung der öffentlichen Geschäfte gelangt bin, habe ich mit allen Kräften, welche die Natur mir verliehen hat und nach Maßgabe meiner geringen Einsichten mich bemüht, den Staat, welchen ich die Ehre gehabt habe zu regieren, glücklich und
blühend zu machen....................... Meine letzten Wünsche im Augenblicke
des Todes werden dem Glücke des Staates gellen; möge er der glücklichste der Staaten sein durch die Milde seiner Gesetze, der am gerechtesten verwaltete in seinem Haushalte, der am tapfersten verteidigte durch sein Heer, das nur Ehre und edeln Ruhm atmet; möge er
dauernd blühen bis an das Ende der Zeiten!"
Der Text der königlichen Leichenpredigt war die glänzende Unterschrift seines Lebens; „Ich habe Dir einen Namen gemacht, wie die
Großen auf Erden einen Namen haben!"
4. Deutschland zur Zeit der französischen Revolution bis zum Untergänge des „heiligen römischen Reiches deutscher Nation. ‘
Inmitten der unter französischem Einflüsse entsittlichten Verhältnisse aller europäischen Staaten hatte Friedrichs des Großen Zeit einen Halt geboten gleich dem Gewitter, das die Luft klärt. Seine Kriege hatten den Wert des heranwachsenden Staates Preußen dargethan; aber sie konnten den allgemeinen Strom der Zeit nicht hemmen, wenn sie auch das Fundament des preußischen Staatslebens ausgebaut hatten. Man hat Friedrich des Großeu Zeit nach mancher Seite hin mit Recht die Zeit der Aufklärung genannt; leider meinten so viel Unberufene, daran helfen zu müssen. War Friedrich dem Großen, trotz seiner persönlichen freien Anschauung, das Christentum die „ewig verehrungswürdige Religion", wie viele kleine Geister meinten es klug umgestalten zu müssen, und da kam je nach dem jedesmaligen Schöpfer viel Mißgestaltetes heraus. Die Philosophen machten sich ein philosophisches Christentum zurecht, wie etwa der Königsberger Immanuel Kant nur die „reine Vernunft" gelten lassen und in seinem „kate-
DEUTSCHLAND
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i2 Tr & Co,/Berlin.
Bearbeitung und Rtinzochnun^ vun Ouo Hetkx, Berlin.
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go rischen Imperativ" das Bewußtsein eines Sittengesetzes schassen wollte, „das zu können und zu wollen, was man soll," während andre Freidenker, wie der Schützling des großen Friedrich, der Hallische Philosoph Wolfs und seine Anhänger, weiter gingen. Sie wollten das Christentum nur für einen notwendigen Zügel des Pöbels gelten lassen. Der geistvolle Mensch, heute heißt das „der Gebildete", hatte nach ihnen keine Religion meht nötig, der that schon so das Richtige.
Dem entgegen stellte der Pietismus vielfach die Kehrseite. Statt der Vernunft sollte danach nur Beten und Bibellesen gelten dürfen. Daß Gottes Weisheit neben das Gebet die verpflichtende Arbeit gestellt, wurde hier mehr als zu viel vergessen. Wie sich ein Friedrich der Große die Aufklärung seines Volkes gedacht und darin gearbeitet, war vielen kleinen Geistern, die es ihm imchthun wollten, ein verschlossenes Buch. Die meisten Aufklärer und Verbesserer wandten sich, ganz wie heute, in besondrer Anstrengung gegen Theologie und Religion und
vergaßen, daß Gottesfurcht aller Weisheit Anfang ist. Das absolute
Regiment der Fürsten des 18. Jahrhunderts hatte bei den Leuten das Mitreden über Politik nicht aufkommen lassen, so daß man im Allgemeinen von der Beschränktheit des Unterthanenverstands überzeugt und es dem einzelnen Bürger vollständig gleichgültig geworden war, wer als Landesherr den Staat oder das Ländchen regierte und seine Steuern einzog. Nur hier und dort wagten sich allmählich Stimmen hervor, die, wie der Jurist Friedr. K. v. Moser, sühn behaupteten, daß Beamte nicht königliche, sondern Staatsdiener seien u. a. Auch auf dem Felde des Schulwesens regte es sich im Jahrhundert der Aufklärung allerorten, und viele edle Menschenfreunde waren thätig, wie der Schweizer Pestalozzi und der Dessauer Basedow, der unter seinem edeln Landesherrn das Philantropin schuf, dort den neuen Ideen Leben und Gestalt durch die heranwachsende Jugend zu geben. Aber das alles waren Tropfen in einem Meer voller Sturm, dessen Wogen immer hoher gingen.
Neben dem Streben der Menschenfreunde machte sich schamlos Ueppigkeit und Sinnlosigkeit breit, nicht zum wenigsten in Preußen, wo Friedrich Wilhelm II., unter der Herrschaft einer frommen Sekte, der Rosenkreuzer, stehend, sich trotzdem nicht scheute, das königliche Familienleben durch Liebschaften und Doppelehen zu beflecken. Wenig stimmten dazu seine Bestrebungen, die „alte Rechtgläubigst" in seinen Staaten wieder herzustellen. Wie anders dagegen der Habsburger Joseph II.,
der mit glühendem Eifer, aber mit gefährlicher Hast, seinen Landen
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Freiheit und Glück bringen wollte und dabei immer die unglücklichsten Wege eiuschlug. Schon Friedrich der Große hatte von ihm gesagt, er thue allemal den zweiten Schritt, ehe er den ersten gethan. Ihn erlöste der Tod im 49. Jahre (1790) von einem Leben, das ihm zur Pein geworden war, und die von ihm selbst gewählte Grabschrift nennt das Resultat all seiner Bestrebungen: „Hier ruht ein Fürst, dessen Absichten rein waren, der aber das Unglück hatte, alle seine Pläne scheitern zu sehen."
Neben der Belebung aller Thatkraft im deutscheu Volke, welche der Ernst des siebenjährigen Krieges hervorgerufen, litten die breiten Volksmassen unter der Bevorzugung der hohem Stände, für die sie die schweren Lasten und Steuern zu tragen hatten. Da brach in Frankreich, wo die Willkür der Großen zur Tyrannei geworden, eine große, Staat und Kirche tief erschütternde Bewegung aus, die einem Erdbeben gleich die weitesten Kreise Europas durchzitterte: die französische Revolution.
Willkürherrschaft, Prunkliebe und Sinnlosigkeit der letzten Könige, Ludwigs XIV. und Ludwigs XV., hatten die Schuldenlast Frankreichs ins Ungeheuerliche gesteigert. Der Adel stand seinem Könige an Ueber-uint und Entsittlichung nicht nach und hatte gleich der Geistlichkeit den Haß der Bürger und Bauern wie eine Lawine heranwachsen lassen. Unter diesen Verhältnissen war Ludwig XVI., der zwanzigjährige Enkel Ludivigs XV., als „der Ersehnte" vom Volke begrüßt worden. Man wußte, in ihm hatte ein guter, wohlwollender Fürst deu französischen Thron bestiegen. Daß er ein schwach begabter Mensch war, übersah man dabei. Er mühte sich, die schreiendsten Mißbräuche abzuschaffen, wollte auch den Besitz des Adels und der Geistlichkeit zu Gunsten der unteren Stände besteuern, fand aber bei den Vornehmen, schon in der Wahl seiner Minister, kein Entgegenkommen. Das Ende davon war, daß Anleihe ans Anleihe gemacht wurde, die Aenueren zu entlasten, und damit war die Schuldenlast Frankreichs in drei Jahren um tausend Millionen Francs vermehrt worden.
Im Jahre 1787 berief der König eine Notabelnversamm-lnng zur Beratung, wie durch Veräußerung von Domänen, durch Freigebuug des Getreidehandels, durch Besteuerung der hohem Stände, den armen Volksmassen geholfen werden könnte. Da die Beschlüsse der Rotabein vom Pariser Parlament bestätigt werden mußten, erhoben sich mancherlei Konflikte, und der schon einmal entlassene, nun
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aufs neue ernannte Minister Necker, ein schweizer Banquier, bewog den König, zu eingehender Beratung die allgemeinen Reichsstände einzuberufen, welche feit 175 Jahren nicht mehr befragt worden waren. Sie sollten zur Hälfte aus Abgeordneten des dritten, also des Bürgerstandes bestehen. Adel und Geistlichkeit wären, wenn sie mit den Bürgern in einer Versammlung beraten hätten, stets im Nachteil gewesen ; sie weigerten sich darum, in dieser Weise mit dem dritten Stande zusammen zu arbeiten, der nun seinerseits erklärte, daß nur ihre Abgeordneten die eigentlichen Vertreter der Nation seien und deshalb die wahre „Nationalversammlung" bilden müßten. Als solche sollten sie eine neue Verfassung (Konstitution) beraten. Damit war der Anfang der Revolution gegeben (17. Juni 1789).
Als darauf der König Necker entließ und ein Heer sammelte, stürmte der französische Pöbel die Bastille, das Staatsgefängnis, und befreite die Gefangenen (13. und 14. Juli 1789). Eine National-yarde bildete sich, und bald stand ganz Frankreich, Pöbel und Soldaten gegen die Obrigkeit in Waffen. Die adligen Schlösser und die Abteien wurden zerstört, geplündert; im ganzen Lande war Drdnungslosigfeit und Revolution.
Da vollzog sich eine große, bewundernswerte That der Selbstlosigkeit. In der nächtlichen Sitzung des 4. August schaffte die Nationalversammlung, zu der jetzt ein Teil des Adels und der Geistlichkeit beigetreten war, alle Vorrechte der höhern Stände, alle Zehnten, Zünfte und Frohndienste ab. Völlige Gleichheit der Abgaben, gleiche Berechtigung zu den Staatsämtern wurde allen Ständen gewährt. Dem Königtum blieb kaum ein Schatten seiner früheren Macht. Alle geistlichen Güter wurden Nationaleigentum, Klöster, geistliche Orden, wie auch der Erbadel abgeschafft. Da der König gleich einem Gefangenen in feinem Schlosse bewacht wurde, wollte er entfliehen, wurde dabei ergriffen und nach Paris zurückgeführt (30. Sept. 1791), wo er die Verfassung beschwören mußte.
Voll banger Ahnung verließen viele der königlichen Verwandten und des hohen Adels Frankreich, überschwemmten besonders die Rheinlande und suchten die deutschen Fürsten zum Kriege gegen die neue Regierung Frankreichs zu bewegen, wozu in Deutschland wenig Neigung vorhanden war. Das machte schließlich den französischen Herren nicht viel Sorge; sie ließen es sich als Gäste der Deutschen wohl sein. Besonders in der Residenz des Trierer Erzbischofs, in Koblenz, war ein
Leben, als sollte alles bis auf Stumpf uud Stiel verzehrt und untergebracht werden. Ein Fest jagte das andre, und die französischen messieurs führten ihrem nobeln Gastgeber sogar die silbernen Bestecke und das Tischzeug aus.
Allmählich kamen die französischen Zustände den deutschen Fürsten doch bedenklich für sich selbst vor. Der deutsche Kaiser Leopold II., der Nachfolger seines Bruders Joseph II., schloß mit Friedrich Wilhelm II. ein Verteidigungsbündnis (Koalition) (1792), das wenig Bedeutung hatte, da der Kaiser bald darauf starb. Als aber sein Sohn und Nachfolger, Franz II., energisch die von der französischen Nationalversammlung eingezogenen Besitzungen deutscher Fürsten im Elsaß und Lothringen verlangte, erklärte Frankreich dem deutschen Kaiser ittib seinen Verbündeten den Krieg.
Schon zu Ende der achtziger Jahre hatte der preußische Minister Herzberg einen nordischen Buud, Preußen an der Spitze, gegen die südlichen Mächte Oesterreich, Frankreich und Spanien geplant. Mit Englands Hülfe hoffte er auch Rußland von Frankreich zu lösen. Aber Friedrich Wilhelm II. war nicht kriegslustig und suchte jeden Konflikt mit Frankreich zu vermeiden. Doch als in Holland, mit dessen Erb-ftntthalter des Königs Schwester vermählt war, ein Streit zwischen den Generalstaaten (Abgeordnete der Stände und der einzelnen Provinzen) und dem Statthalter zum vollen Ausbruch kam, uud die fürstliche Frau bei einer Reise durch das aufgeregte Land gefangen genommen wurde (13. Sept. 1787), hatten 20,000 Preußen die holländische Grenze überschritten, wo die „Patrioten" von den Franzosen unterstützt wurden. Die Partei des Erbstatthalters hatte endlich gesiegt, und ein französischer Gesandter bat in Berlin demütig um Zurückziehung der preußischen Truppen. Nach Wiederherstellung der alten Verfassung Hollands kehrten diese in die Heimat zurück und waren durch das leicht errungene Siegesglück so sicher geworden, daß sie denken mochten, die Heere Friedrichs des Großen seien für alle Zeiten unüberwindlich. Der Minister Herzberg beglückwünschte seinen König ob der Revolution in Frankreich, das sich nun nicht mit dem durch einen Türkenkrieg geschwächten Oesterreich gegen Preußen verbünden konnte.
In solcher Siegesstimmung überschritt ein preußisches Heer von 45,000 Mann unter Herzog Ferdinand von Brannschweig die französische Grenze, durch die Champagne nach Paris vorzudringen, was den Offizieren wie eine Vergnügungsreise erschien. Die Oesterreicher sollten
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bie Franzosen von ben Niederlanden her angreifen. Aber nach einem un-cntfchiebenen Kampfe bei Valmy (25. Sept. 1792) mußten sich bie Preußen unter schweren Verlusten zurückziehen, unb bie Franzosen besetzten bie Rheinlanbe, eroberten bas feste Mainz unb revolutionierten alle geistlichen unb weltlichen Herrschaften längs bes Rheins, bie ben französischen Umwälzungen ohnebies sehr geneigt waren.
Auch in ben Nieberlanben siegten bie Franzosen. Durch bie Schlacht bei Jemappes gingen bie österreichischen Niederlande an Frankreich verloren, unb ein französisches Jubeldekret verfünbete „Krieg ben Palästen, F-riebe ben Hütten!" Währenbbeß loderte in Frankreich bie Revolution in wilben Flammen empor. Ein Sturm bes Pariser Pöbels auf bie Tuilerien hatte ben König veranlaßt, sich in bie gesetzgebend
Versammlung zu flüchten, bie ben Unglücklichen nebst seiner Familie
in ben Temple gefangen fetzte. Das war wie ein Aufruf zu allgemeinem Morben. In einem mehrtägigen Blutbabe wurden in Paris, Versailles u. a. etwa 3000 angeblich königlich Gesinnte (Royalisten) ermordet (2. bis 5. Sept.). Da sich die gesetzgebende Versammlung vergeblich mühte, ben Gräueln zu steuern, löste sie sich aus, unb an
ihre Stelle trat ber Konvent. Er schaffte baS Königtum ab unb
erklärte Frankreich für eine unteilbare Republik.
Da jetzt nur noch eine fanatische Blutherrschaft unter ben „Jakobinern" (so genannt nach ben Versammlungen in einem Kloster) Robespierre, St. Just, Danton unb Marat, Frankreichs unb seines Königshauses Geschick in ber Hanb hatte, war jebes Banb ber Orb-ltung und des Rechts zerrissen. Ludwig XVI. wurde unter der Anklage, mit Frankreichs Feinden, von denen er Rettung hoffte, unterhandelt zu haben, zum Tode verurteilt und am 21. Jan. 1793 durch die Guillotine enthauptet. Die einzelnen Büber dieser Gräuel zu entrollen, ist zwecklos und nur der Wunsch bleibt berechtigt, daß bie Geschichte sie mit bichtem Schleier becl'eu möchte unb bie jammervolle Thorheit verbergen, baß bie „geistvollen" Franzosen, auf ber Höhe ber Kultur und Wissenschaft ihrer Zeit stehend, ben Gott Himmels unb ber Erben absetzten, um dafür die Göttin der Vernunft, durch eine Dirne dargestellt, einzusetzen und wie ein Götzenbild durch die Straßen zu führen, bis es ihnen gefiel, ein „Etre supreme“ anzuerkennen, um endlich nach Jahren Gott feine Rechte wieder zurückzugehen.
Das war die Zeit der Schreckensherrschaft in Frankreich, an bereu Spitze ein Wohlfahrtsausschuß unter Robespierre 20,000
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einzelne Revolutionsausschüsse im ganzen Lande verbreitete, welche anne, unschuldige Opfer, auch grauen und Kinder aller Provinzen, oft auf ein Wort hin oder wegen ihrer Verwandschaft und sonstwelcher nichts sagender Gründe dem Henkerbeile zur Massenermordnng überlieferten. Auch die Königin Marie Antoinette (Tochter Maria Theresias) starb mit den Ihrigen den Heldentod für ihres Volkes Verirrung. Die Sünden der Väter wurden auch in Frankreichs Königshaus furchtbar heimgesucht au deu Kindern der Bourbonen.
Die entsetzlichste Zeit der Schreckensherrschaft fand ein Ende mit dem Tode Nobespierres, der von seiner eigenen Partei gestürzt wurde und am 28. ^utli (9. Thermidor) 1794 unter der Guillotine fiel. In den folgenden Tagen wurden noch 71 der wütendsten Jakobiner hingerichtet. Ein gemäßigter Nationalkonvent (Thermidorianer) trat an ihre Stelle. Die Kerker öffneten sich, und die Ausübung der christlichen Religion war kein todeswürdiges Verbrechen mehr. Durch Wahlen trat bald eine Direktorialregierung an die Spitze des Staates mit fünf Direktoren, welche vollziehende Gewalt hatten. Ihnen war der Rat der Fünfhundert und der Rat der Alten mit gesetzgebender Gewalt beigegeben. Ans den beklagenswerten Krümmern der zerrütteten Gesellschaftsordnung rangen sich langsam bessere Verhältnisse empor; doch wirkten ihre Folgen lange Zeit hindurch Verderben bringend auch auf Deutschland.
Inzwischen hatte Rußland längst große Lust bezeugt, sich Polen weiter einzuverleiben, und die nachbarlichen Staaten wachten aufmerksam, auch dabei zu profitieren. Dadurch war das Interesse für Frankreichs Geschick sehr in den Hintergrund getreten. Katharina von Rußland hatte zwei Heere gerüstet und klug verhandelt, bis man die „Russen zu Hülfe" rief, um die „alte Freiheit des polnischen Volkes" wieder herzustellen. Nach wenigen Tagen rückten „die russischen Befreier" in Polen ein, das auch für sich die Preußen zu Hülfe rief. Polen erlag der russischen Uebermacht, und Kaiserin Katharina unterzeichnete mit Friedrich Wilhelm II. einen neuen Teilungsvertrag (23. Januar 1793), wonach dem Königreiche Polen 5000 Quadrat-meilen Landes genommen wurden. Katharina hatte es übernommen, kn polnischen Reichstag günstig dafür zu stimmen. Preußen erhielt Me otäMe Danzig und Thorn, den größten Teil des früheren Großpolens, Rußland die östlichen Grenzlande: Weißrußland und Podolien, Oesterreich ging bei dieser Teilung leer aus.
Äuf diese Weise war es natürlich, da"; Deutschland nebst seinen Verbündeten die Kriegszüge gegen die französische Republik immer lauer betrieb, so daß mehr oder weniger nur ein Verteidigungskrieg daraus wurde, während das Revolutionsheer der Franzosen in den Unzufriedenen der mit Krieg überzogenen deutschen Länder gute Verbündete fand. Indeß die vielfach invaliden Helden aus Friedrichs Heer kaum wußten, für was sie kämpften, meinten die freiheitstrunkenen Franzosen ihre neue Glückseligkeit überall hin tragen zu müssen.
In der Osterwoche des Jahres 1794 erhoben sich die Polen unter ihrem Heldenführer Koscziusko, die Russen aus dem Lande zu jagen; aber bei der fortwährenden Zwietracht des polnischen Adels war vorauszusehen, daß die Tapferkeit einzelner nichts ausrichten würde. Das mochte auch der König von Preußen denken. Um sich das Stück Polens nicht entgehen zu lassen, das ihm als sichernde Grenze seines Landes notwendig erschien, ließ er seine Truppen gegen Koscziusko vorrücken. Sie standen bereits vor Warschau und hätten weitere Erfolge haben mögen, wenn der König nicht russischen Einflüssen gewichen wäre, während die Russen unter Suwarow in Polen anlangten und das Heer Koscziuskos bei Praga völlig vernichteten. „Finis Poloniae!“ Polens Ende, soll dieser bei der furchtbaren Niederlage ausgerufen haben, in der 10,000 Polen gefallen, 2000 in der Weichsel ertrunken waren. Eine dritte Teilung sollte das Wort bestätigen.
Als in Petersburg über Polens Geschick verhandelt wurde, meldete sich auch Oesterreich und wußte Preußens Ansprüche ganz auf die Seite zu drängen. Doch erhielt letzteres etwa 800 Quadratmeilen Landes in einem geheimen Bündnis der beiden Kaisermächte zugeteilt (3. Januar 1795), die Friedrich Wilhelm II. seinem Lande als „Neu-Ostpreußen" zufügte. Rußland und Oesterreich nahmen sich den Löwenanteil und versprachen sich zugleich gegenseitig Freiheit für mancherlei zu machende Eroberungen. Oesterreich wollte: Serbien, Bosnien, Bayern, auch die venetianische Republik erobern, Rußland: die Donauländer, vielleicht ouch Konstantinopel. Erscheinen diese Teilungen Polens als ein himmelschreiendes Unrecht der dabei beteiligten Mächte, die Geschichte Polens kann für das bis dahin kläglich vernachlässigte arme Volk, für die Urbaifeit seines Landes, in der neuen sorgsamen Verwaltungspflege, die Preußen feinem Anteil widmete, nur große segensreiche Folgen sehen. Auch Oesterreich ist seinen Verpflichtungen gegen das wider alles Recht
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genommene Land mit größter Treue nachgekommen. Nur Russisch-Polen hat schwere Zeiten über sich dahin ziehen sehen.
Obgleich der König von Preußen gern den Krieg gegen Frankreich fortgesetzt hätte, auch durch einen Feldzug an den Rhein den Franzosen günstige Friedensbedingungen hätte erbringen mögen, so veranlaßten ihn doch seine Räte zu dem sehr ungünstigen Frieden von Basel, der ihm den Haß seiner einstigen Verbündeten zuzog. Preußen gelobte darin Neutralität, gab das linke Rheinufer preis (Kleve, Geldern, Mörs), wofür es später durch geistliche Besitztümer entschädigt werden sollte. Die ganze Wucht der französischen Feindschaft fiel so auf Süddeutschland, das sich von jetzt an auch von jeder Verpflichtung gegen Preußen löste und es für spätere Zeiten allein stellte. Die selbst gewählte Zersplitterung und Zerstückelung der deutschen Lande mußte Frankreich zu Nutzen kommen.
Es hatte den Krieg noch im Herbst des Jahres 1795 am Rhein anss neue begonnen, war aber Oesterreich unterlegen, mit dem es zunächst einen Waffenstillstand abschloß, um im nächsten Frühjahr (1796) mit zwei wohl gerüsteten Heeren vom Rhein aus durch Deutschland bis Oesterreich vorzudringen, um sich dort mit der französisch-italienischen Armee zu vereinigen, welche unter den Oberbefehl eines jungen Offiziers, Napoleon Bonaparte, gestellt war.
Der französische Plan mißglückte. Der Bruder des deutschen Kaisers, Erzherzog Karl von Oesterreich, drängte das französische Heer völlig zurück, ohne damit einen dauernden Erfolg für das deutsche Reich zu sichern.
Inzwischen hatte der damals 27jährige General Napoleon Bona-parte seine Truppen in Italien von Sieg zu Sieg geführt. Zu Ajaccio auf Korsika, als der Sohn eines Advokaten, geboren, hatte er in schnellster Stufenfolge revolutionärer Entwicklung sich nach Errichtung des Direktoriums in Frankreich zum Oberbefehlshaber der italienischen Armee aufgeschwungen und dieses Vertrauen der Republik glänzend gerechtfertigt, da er mit eiserner Energie und Klugheit, wie mit rücksichtslosestem Ehrgeiz seine Ziele zn erreichen wußte. Es war ihm gelungen, mit den kleinen italienischen Fürsten und dem Papste günstige Friedensverträge zu schließen und den Erzherzog Karl bis nach Steiermark zurück zu drängen. Als sich aber in feinem Rücken das ^ujroler Volk und die Venetier erhoben, mußte er fürchten, von Italien abgeschnitten zu werden. Er schloß darum den ihm vom Erzherzog an-
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gebotenen Präliminarfrieden von Leoben; wenige Monate später einigte sich die französische Republik mit Oesterreich in dem Frieden von Campo Form io, in dem Belgien, auch Mantua, an Frankreich abgetreten wurden. Oesterreich erhielt die von Bonaparte besiegte Republik Venedig nebst Istrien und Dalmatien. Ein geheimer Vertragsartikel stellte auch das Erzbistum Salzburg und einige Gebietsteile von Bayern und Schwaben in Aussicht, die einstweilen noch andre Landesherren hatten.
Das Zeitalter Friedrichs des Großen ging mit Riesenschritten seinem Ende entgegen. Der preußische Staat krankte nach innen und außen, als König Friedrich Wilhelm II. am 16. Nov. 1797 ruhmlos zu seinen Vätern versammelt wurde und sein Sohn, Friedrich Wilhelm IIL, das Steuer des schwankenden Staatsschiffes ergriff. Die Blicke des Preußenvolkes richteten sich voller Hoffnung auf den jungen Herrscher, dessen inniges Familienleben ihm die höchste Achtung errungen hatte inmitten der Entsittlichung aller Verhältnisse, die ihn umgaben. Er war in ernster Jugendzeit zum verschlossenen, schüchternen Manne gereift, der alles nur allzu schwer nahm und nicht leicht zur Thatkraft gelangen konnte. Ein Geschichtschreiber sagt von ihm, daß „als er zur Regierung kam, er in einer ihm fremden Welt stand, voller Achtung vor den Werken Friedrichs des Großen." Daß sich Formen überleben können, daß vieles im Lause der Zeiten morsch wird, Friedrich Wilhelm III. mußte es in harter Schule begreifen lernen. Er selbst war nicht militärisch ausgebildet worden und verstand nicht, daß auch die Armee Friedrichs des Großen mit ihrer Zeit wachsen und weiter schreiten müsse.
Neben diesem mildert, guten König steht seine Gemahlin, Königin Luise, als sein guter Engel, ein Schutzgeist ihres Volkes. Welche schweren Aufgaben sollten beide lösen!
Zunächst war der König Verbesserungen der innern Verwaltung nicht abgeneigt; aber selbst wenn er hätte manchem guten Rat in betreff der Heeresverbesserung folgen wollen, so stieß er auf die Hartnäckigkeit der eilten Offiziere, die er zu gütig war, entlassen zu wollen. Trotzdem berief er gegen alles Herkommen (Friedrich der Große wollte mir den Adel im Offizierkorps dulden) den niedersächsischen Bauernsohn Scharnhorst an die Spitze der neu gegründeten Militärakademie zu Berlin, obgleich Preußen sich jetzt an keinem Kriege beteiligte.
Während Frankreich gegen seine verbündeten Feinde siegreich war, sah es in seiner Landesverwaltung sehr übel aus. Im Direktorium
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herrschten und stritten die verschiedensten Elemente: Friedliebende und
Kriegslustige, Ordnungsliebe und Gesetzlosigkeit. Die Gebrechen selbst der alten Königsregierung wurden dadurch überboten. Drei der Direktoren gewannen einen Teil der Armee, auch den General Bonaparte, für sich und sprengten durch einen sogenannten Staatsstreich den Rat der Fünfhundert, deportierten und setzten gefangen, die sich nicht fügen
wollten und brachten unter dem Namen einer Republik einen rohen
Despotismus.zur Geltung (4. Sept. 1794).
Wunderbar erscheint es, daß schon jetzt Bonaparte von der französischen Regierung gefürchtet wird, als ihn das Volk als siegreichen
Heerführer begrüßt. Die Direktoren (Triumvirn) schickten ihn, als er, sein Kommando in Italien einem andern überlassend, nach Paris geeilt war, mit dem Aufträge einer Expedition nach Egypten, um bei der Gelegenheit die Herrschaft der Engländer aus dem Mittelmeere zu schädigen. Während diese Unternehmung ins Werk gesetzt wurde, eröffneten die Gesandten Frankreichs, Oesterreichs, Preußens und anderer deutschen Staaten zu Rastatt einen Friedenskongreß, in dem die Franzosen gleich zu Anfang ihre Friedensliebe dadurch bethätigten, daß sie das ganze linke Rheinufer zugesprochen haben wollten, auch Mannheim sofort wegnahmen, Ehrenbreitstein belagerten, den Reichsstädten Hamburg und Bremen Kontributionen auferlegten, die Schweiz ausraubten und eine „helvetische Republik" daraus machten, in Italien Papst Pius VI. gefangen nahmen und den Kirchenstaat eine „römische Republik" nannten.
Das waren haarsträubende Dinge, wie sie kaum Ludwig XIX'. in seinen Raubkriegen gewagt, und ganz Europa stand in einer zweiten Koalition gegen Frankreich. Auch England, Oesterreich, Rußland, Neapel (1798), sogar die Türkei wurden Bundesgenossen. Selbst Schweden und Portugal traten bei. Nur Preußens friedliebender König zögerte; er wollte neutral bleiben.
In dem erneuerten Kriege waren die Franzosen zunächst in Italien siegreich, machten Neapel zur parthenopeischen Republik, nahmen Toskana und zwangen den König von Sardinien, Piemont abzutreten. Schlechter ging es ihnen in Deutschland, wo Erzherzog Karl sie über den Rhein zurücktrieb (1799). Auch in Italien war es mit ihren Erfolgen vorbei, als der russische Feldherr Suwarow den Verbündeten zu Hülfe kam. Der neue Papst Pius VII. konnte wieder in den Kirchenstaat einziehen; auch die andern Fürstentümer gingen an ihre alten
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Landesherren zurück, und ganz Italien begrüßte die Russen als seine Erretter.
Diese Siege hätten den Verbündeten segensreich werden können, wenn die Erfolge nicht durch die Eifersucht der österreichischen imfr
russischen Heerführer zu nichte gemacht worden wären. Der Rastatter Kongreß wurde resultatlos aufgelöst. Zwei der französischen Gesandten waren sogar von den österreichischen Husaren auf der Rückreise ermordet worden.
Die Russen mußten unter großen Beschwerden ihren Rückzug antreten, Suwarow sogar über deu St. Gotthard, um sich mit dem.
andern russischen Heerführer Kursakow zu vereinigen, der durch Schuld der Oesterreicher bei Zürich eiue Niederlage erlitten hatte. Als auch die mit den Engländern verbündete russische Flotte an der holländischen Küste verunglückte, zog der rus|iche Kaiser alle seine Truppeu von den Verbündeten zurück. Doch sah es trotzdem mit den Kriegserfolgen der Franzosen eben so wenig gut aus, wie mit der Staatsverwaltung ihrer neuen Republik. Als die Oesterreicher diese für sie günstige Lage Frankreichs ausnutzen und mit einem Heere einrücken wollten, kehrte Bonaparte eiligst aus Aegypten zurück, stürzte im Einverständnis mit
vielen aus dem Rate der Fünfhundert die morsche Direktorialregierung,
und machte sich zum ersten Konsul der Republik Frankreich (10. Nov. 1799).
Dem Scheine nach waren freilich drei Konsuln auf zehn Jahre gewählt worden; aber nur Bonaparte diktierte als der erste Konsul Gesetze. Als solcher bot er den feindlichen Verbündeten Frieden an, und als sie nicht darans eingingen, rückte er selbst an der Spitze eines großen Heeres über den St. Bernhard nach Italien uud brachte dieses durch den Sieg bei Marengo wieder an Frankreich (14. Juni 1800). Auch der französische Feldherr Moreau hatte Kriegsglück. Nachdem er den 19jährigen Erzherzog Johann bei Hohenlinden besiegt hatte^ war Kaiser Franz II. so mutlos geworden, daß er bereitwilligst: im Frieden von Lünevi lle die Abtretung Italiens und des ganzen linken Rheinufers für sich und für das Reich bestätigte. Die dadurch geschädigten deutschen Fürsten sollten durch die aufgehobenen geistlichen Herrschaften und Fürstentümer uud durch 46 deutsche Reichsstädte entschädigt werden.
Auch in einem mit England abgeschlossenen Frieden zu Amiens-(1802) kam Frankreich gut weg; es erhielt alle von den Engländern
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ihm genommenen Besitzungen zurück, besonders die westindischen Kolonien in Amerika. Allmählich ließ ganz Europa den französischen Emporkömmling, der seit 1802 alleiniger Konsul Frankreichs auf Lebenszeit war, ruhig gewähren; im sogenannten „Reichsdeputa-t i o us Haupt sch lusse" regelte er die deutschen Verhältnisse nach seinem Gutdünken (1803). Die deutschen Reichsstände sagten nnr „Ja" dazn.
Von 52 deutschen Reichsstädten blieben nur sechs übrig: Hamburg, Lübeck, Bremen, Augsburg, Nürnberg, Frankfurt; die übrigen wurden deutschen Fürstentümern einverleibt. Bayern wurde mit Bamberg, Würzburg, Passau und 17 andern Besitzständen entschädigt; Preußen durch Paderborn, Hildesheim, Erfurt, einen Teil des Bistums Münster, mehrere Abteien und Reichsstädte; Hannover durch Osnabrück, Baden mit Konstanz, Heidelberg, Mannheim u. a.; Oesterreich erhielt die Bistümer Trient und Brixen. Die Schweiz, mit der sich Frankreich verbündete, wurde in 19 Kantone geteilt. Der Kanton Wallis, welcher wegen seiner für Frankreich als Weg nach Italien günstigen Lage, vom Schweizerlande ausgeschlossen blieb, wurde später zu Frankreich geschlagen. Württemberg, Baden, Hessen-Kassel und Salzburg wurden Kurfürstentümer. Von den geistlichen Kurfürsten blieb nur der Mainzer regierender Herr, tauschte aber sein Erzbistum Mainz als Kurerzkanzler für Regens bürg ein.
Im Ganzen hatte Deutschland durch diese großartige Umwälzung der Besitzverhältnisse 1150 Quadratmeilen Landes und drei eine halbe Million Unterthanen eingebüßt, die natürlich bei diesem Tausche selbst keine Silbe mitzureden hatten. Aber noch mehr, wie konnte der einzelne des Volkes ein Gefühl, ein Band zwischen Fürst und Vaterland kennen, wie hätte er gar dafür mit Gut und Blut eintreten mögen?
Von jetzt an war Frankreich nicht mehr als dem Namen nach Republik. Bonaparte regierte es als Alleinherrscher. Warum sollte sich der allmächtige Konsul nicht eine Kaiserkrone aufs Haupt setzen? Am 2. Dezember 1804 ließ er sich in der Notre Dame Kirche zu Paris vom Papst Pius VII. als Napoleon I. zum erblichen Kaiser der Franzosen krönen, im nächsten Jahre zum König von Italien, d. h. der cisalpinischeu Republik au der nordöstlichen Küjte der Halbinsel mit der Hauptstadt Mailand. Die Westküste wurde teilweise von Frankreich bis an die Grenzen Neapels beherrscht. Die eiserne Krone der Lom-
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barden hatte er mit ben Worten auf fein Haupt gesetzt: „Gott gab sie mir. Wehe bem, ber sie berührt!"
Jetzt bisbeten Englanb, Rnßlanb, Schweben unb Oesterreich bie dritte Koalition gegen Frankreich (1805), um sich vereint gegen ben übermütigen Korsen zu schützen. Preußen sah noch immer in feiner Neutralität ben besten Schutz, unb ber preußische Minister Haugwitz hatte sich in Paris so friechenb gegen Napoleon benommen, baß bicfer wohl erkennen mochte, wie wenig Preußen zu fürchten fei. Schnell kam er ben SSerbünbeten ber Koalition zuvor, inbcm er mit fünf Heeren zugleich in Dentschlanb einrückte, nachbem er Württemberg unb Bayern vermocht hatte, sich mit ihm zu verbünben. Balb zwang er ein österreichisches Heer von 25,000 Mann bei Ulm zu schmählicher Uebergcibe. Jnfolgebesfen zogen sich bie Russen, welche sich ber bayrischen Grenze näherten, nach Mähren zurück, unb bie Franzosen konnten uugehinbert in Wien einziehen. Napoleon selbst nahm fein Hauptquartier im kaiserlichen Palast zu Schönbrunn.
Das war ein rascher Siegeslauf, ber ben oerbiinbeten Mächten eine ernste Mahnung fein mußte. Kaiser Alexanber I. von Rnßlanb trachtete bei Gelegenheit eines Besuchs am preußischen Königshofe, Friebrich Wilhelm III. von feiner Neutralität zu lösen, unb beibe hatten sich in ber Nacht be§ 3. November 1805 am Sarge Friebrichs bes Großen ewige Freunbfchaft geschworen. Königin Luise schrieb, ergriffen von biefem „herrlichen Bnnbe", wie nun alles gut werben müsse. Nie vorher hatte bie hohe Frau sich um Politik gekümmert: jetzt ftubierte sie eifrig vaterlänbifche Geschichte unb kam zu bem be-triibenben Schlüsse: „Wir sinb eingeschlafen auf bcn Sorbeern Friebrichs des Großen "
Jnbeß bie Russen, 84,000 Mann, vorwärts strebten, sich mit ben Oesterreichern zu vereinigen unb baburch Preußen zu rascher Entscheibung zu brängett, suchte Friebrich Wilhelm III. noch einmal, bei Napoleon zu vermitteln, währenb biefer eben (es war wenige ©tunben vor ber Schlacht) feine Truppen bem kaiserlichen Heere entgegenwarf. In ber „Dreikaiferfchlacht von Austerlitz" (Mähren, 2. Dez. 1805, erfocht er einen glänzenben Sieg. Seine Feinbe hatten 15,000 Tote unb Verwunbete, 20,000 Gefangene, verloren.
Da Haugwitz nach ber Schlacht noch im französischen Lager weilte, bekam er kurzen Befcheib: wenige Stunben Bebenkzeit, für Preußen Krieg ober Frieben zu wählen. Nahm Preußen bas ihm von Frank-
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reich angetragene Bündnis an, so sollte es gegen Abgabe von Kleve und Nenfschatel (preuß. Fürstentum in der Schweiz) und gegen Abtretung des alten hohenzollernschen Besitzes Ansbach an Bayern Hannover erhalten. Ohne Vollmacht seines Königs, ja gegen dessen ausdrückliche Weisung, die eine Kriegserklärung forderte, war Hangwitz im Namen desselben mit diesen Bedingungen einverstanden, und der preußische König konnte nicht anders, er mußte sich fügen, weil er ganz allein stand. Oesterreich, völlig machtlos, hatte unterdessen mit Frankreich
den Preßburger Frieden geschlossen (26. Dez. 1805), nach welchem eS 100 Millionen Francs Kriegskosten an Napoleon zahlen mußte,, sein venetianisches Gebiet an den König von Italien, Tyrol mit Vorarlberg und Passau an Bayern, seine schwäbischen Besitzungen an Württemberg und Baden abtreten sollte. Das Kaisertum Oesterreich (Franz IL hatte cs 1804 zum erblichen Kaiserreich gemacht) schien in den letzten Zügen zu liegen. Rußland zog feine Truppen zurück. Preußen fand-schon darum nicht den gesuchten Frieden, weil der Landesherr Hannovers^ Georg III. von England, sich das Friedrich Wilhelm 111. von Napoleon zugesprochene Land nicht ohne Weiteres nehmen lassen wollte. Er überzog Preußen mit Krieg, den dieses in feiner schwankenden Politik so lange zu vermeiden gestrebt hatte.
Bayern, Württemberg und Baden waren unterdessen von Napoleon mit Gebietserweiterungen bedacht worden. Die beiden ersten wurden sogar zu Königreichen mit völliger Unabhängigkeit von der deutschen Krone erhoben. Bald gab es in Deutschland nur noch Fürsten und Könige von Napoleons Gnaden, der sich wohl allmächtig dünken mußte, so erbärmlich beugten sich alle seinem Machtspruche. Um sie dauernd zu Werkzeugen seiner Despotie zu machen, trachtete er rücksichtslos danach^ die Fürstenhäuser durch Familienverbindungen an sich zu fesseln oder die Herrschaft an feine Verwandten zu bringen. Neapel entriß er den Bourbonen und gab es feinem Bruder Joseph; sein Bruder Ludwig bekam Holland als Königreich; Berg bekam sein Schwager Murat. Wo die eigne Familie nicht ausreichte, wurden die französischen Marschälle bedacht. Berthier erhielt Neuenburg, Bernadotte das-italienische Fürstentum Ponte Corvo, später bekam er Schweden. Talleyrand wurde Landesherr von Benevent; Eugen Beauharnais, der Stiefsohn Napoleons, wurde Vizekönig von Italien. Natürlich waren diese Verleihungen nur französischen Lehen gleich zu achten, allezeit von Frankreich abhängig.
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In diesem Sinne stiftete Napoleon den Rheinbund unter 26 deutschen Fürsten und machte sich zum Protektor desselben. Wer unter den kleineren Landesherren sich nicht schnell genug anschloß, hatte aufgehört zu regieren. Die andern behielten von ihren alten fürstlichen Rechten nur einige Verfügung in der innern Verwaltung. Die Waffenmacht der einzelnen Bundesgenossen gehörte dem allmächtigen Kaiser, der sie zu jedem beliebigen Kriege für Frankreichs Interessen aufbieten konnte. Auf dem Bundestage zu Frankfurt a. M. sollte der Kurerzkanzler Karl von Dalberg, früher Kurfürst und Erzbischof von Mainz, den Vorsitz als Fürstprimas führen. Einst ein Mann von guter, deutscher Gesinnung, war er jetzt ein Franzosenknecht geworden. Einen etwaigen Nachfolger dieses Vorsitzenden der deutschen Fürsten hatte der Franzosenkaiser zu ernennen, der eben den Kurfürsten von Baden, den Herzog von Berg und den Landgrafen von Hessen zu Großherzögen, den Fürsten von Nassau zum Herzog ernannt hatte.
Napoleon war Herr Deutschlands, bevor er es erobert; 13 Millionen Deutsche hatten sich im Rheinbund freiwillig an seinen Siegeswagen gefesselt. Nachdem alle diese Fürsten und Unterthanen sich von Kaiser und Reich gelöst, fiel das alte „heilige, römische Reich deutscher Nation" in sich selbst zusammen, nachdem es tausend Jahre bestanden hatte. Am 6. August 1806 legte Franz II. seine Krone als Oberhaupt des deutschen Reiches nieder. Er nannte sich von da an nur Frauz I., Kaiser von Oesterreich. . .
B o r n h a k, Unser Vaterland.
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Deutschlands Knechtschaft unter Frankreich.
„Deutschland in feiner tiefen Erniedrigung" war der Titel einer anonymen Flugschrift, welche Vaterlandsfreunde heimlich zu verbreiten strebten, nachdem sich die deutschen Fürsten des Rheinbundes „unter den mächtigen Schutz des Monarchen (Napoleon) gestellt, dessen Absichten sich stets mit den wahren Interessen Deutschlands übereinstimmend gezeigt hatten!" Die Schrift suchte das deutsche Volk wach zu rütteln und mahnte, das Geschick des Vaterlandes zu beweinen, statt dem mächtigen Franzosenkaiser den Fuß zu küssen, den er auf Germaniens Freiheit gestellt. Napoleon ließ den edeln Buchhändler Palm, der den Aufsatz verbreitet hatte, erschießen, weil er den Namen des Verfassers nicht nennen wollte; aber Wort und Geist der Schrift lebten weiter, und es standen Männer auf, wie Ernst Moritz Arndt, der in drängender begeisterter Sprache zum „deutschen Gewissen" redete: „Ein Mensch ist selten so erhaben, daß er äußere Knechtschaft und Verachtung dulden kann, ohne schlechter zu werden; ein Volk ist es nie. . . ."
Die Masse des deutscheu Volkes war stumm und kalt den großen Bewegungen der Zeit gegenüber; nur der persönliche Nutzen oder Schaden, den der Einzelne davon haben mochte, war der Beachtung wert. Ohne Schmerz hatte das Haus Oesterreich die deutsche Krone niedergelegt, deren Macht es nicht mehr besaß, und ohne Schmerz, ja mit Schadenfreude hatten die andern Fürsten das Reich zerfallen sehen. Dennoch war ein Bewußtsein vorhanden, daß damit endlich ein letzter, wenn auch nur ein scheinbarer Halt gesunken war. Auch
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Preußen suchte ängstlich die Errungenschaften der Zeit Friedrichs des Großen festzuhalten, ohne sich recht bewußt zu werden, wie wenig überhaupt davon übrig geblieben war; aber es gereicht Preußen zur Ehre, daß es trotz aller Schwäche zu retten suchte, was noch rettbar erschien, und waren das Spuren einer Lebenskraft, die einer Auferstehung fähig war.
Da der Rheinbund auch eiue gegen Preußen aufgerichtete Macht war, so wollte Friedrich Wilhelm III. sich durch einen Nordbund dagegen wappnen, an dessen Spitze vielleicht Preußen eiu Kaisertum wieder aufrichten konnte. Als der König einen norddeutschen Fürstenbund zu stände gebracht hatte, that Napoleon, als sei er damit einverstanden, sann aber im Geheimen desto mehr auf Preußens Verderben. Während er dem Könige die Kaiserkrone anbieten ließ, machte er ihm alle Bundesgenossen mißtrauisch und abwendig, so daß der Bund ihm nicht einmal eine gemeinsame Heerführung anvertrauen mochte, als der Franzosenkaiser Preußen Wesel wegnahm, auch eine Entschädigung für die versprochenen Ansbachischen Besitzungen versagte und seinen eignen Schwager Murat drei preußische Abteien mit seinem Großherzogtum Berg vereinigen ließ. Den Engländern bot Napoleon heimlich Hannover wieder an, das er eben Preußen zugesprochen hatte, und dieses mühte sich vergeblich, mit England, Rußland und Schweden ein Bündnis fertig zu bringen. Auch Oesterreich hatte gleich ganz Süddeutschland Mißtrauen gegen Preußen, seit es die einstigen Bundesgenossen durch seine Neutralitätspolitik schwer geschädigt hatte. Dazu waren die gegen den Willen des Königs abgeschlossenen Verträge des ungeschickten Haugwitz ein Hemmschuh, den besonders die preußischen
Offiziere verwünschten. Es bildete sich eine Kriegspartei im Lande,
auf deren Seite die Königin Luise stand, und wenn der Vorwurf berechtigt sein mag, daß die preußische Armee ihre Kräfte einem Napoleon gegenüber zu hoch schätzte, noch hatte sie Mut und Ehre nicht verloren. Es darf nicht unerwähnt bleiben, daß der für das Unglück Preußens vielfach verantwortlich gemachte Offizierstand zu dieser Zeit fast das einzige nationale Band zwischen Fürst und Volk bildete. Der seßhafte Adel liebte die Scholle und den Besitz seiner Ahnen; er war bereit,
(Bitt und Blut dafür einzusetzen. Die in aller Herren Länder ge-
worbene Armee kannte kein Vaterland uud keinen Landesherrn, da die deutschen Fürsten ihren Besitz wechselten wie einen Rock. Während ber König von Preußen nochmals Friedensverhandlungen anzuknüpfen
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suchte, erschien Napoleon mit einem Heer von 150,000 Mann in Deutschland, dem sich die Rheinbundglieder anzuschließen hatten. Preußens Kriegsdrohung gegen Napoleon, falls er Wesel nicht herausgebe und sich hinter den Rhein zurückziehe, blieb unbeantwortet. Kaum auf mehr als Sachsens schwache Hülfe gestützt, erklärte Preußen am 9. Oktober 1806 den Franzosen den Krieg, trotzdem die erfahrenen Offiziere einer Entscheidung mit höchstem Bangen entgegen sahen. In der Unstrut- und Saalebene entschieden die furchtbaren Schlachten bei Jena und Auerstädt Preußens Geschick am 11. Oktober 1806. Schon am 10. Oktober war ein preußisches Korps bei Saalfeld von den Franzosen zurückgeworfen, dessen Führer, Prinz Louis Ferdinand von Preußen, im Reiterkampfe getötet wurde. Zwei preußische Heere, das eine unter dem eilten Herzog Karl Wilhelm Ferdinand von Braunschweig, das andre unter dem Fürsten von Hohenlohe, zusammen 140,000 Mann, lagerten in und um Weimar und Jena her, indeß Napoleon sie mit einer Streitmacht von 200,000 Mann von der Seite und im Rücken zn fassen strebte. Als die Nachricht von Napoleons Nähe im preußischen Heere kund wurde, entstand so große Bestürzung, daß schon darin böse Vorbedeutung liegen mochte. Man wollte Jena eiligst räumen und versäumte die wichtige Besetzung des Landgrafenberges, auf den nun Napoleon seine Kanonen schleppen ließ. Durch diese Stellung konnte er den Feind in der Ebene beherrschen. Napoleon selbst kommandierte seine Armee bei Jena und besiegte die Hohen-loheschen Truppen so völlig, daß sie sich in wilder Flucht auflösten.
An demselben Tage unterlag der Herrzog von Braunschweig bei Auerstädt und war durch eine Kugel so unglücklich ins Auge getroffen, daß man ihn zunächst besinnungslos hinweg trug. Der König selbst und sein Bruder, Prinz Wilhelm, versuchten einen nochmaligen Angriff; als aber Versprengte der Hoheuloheschen Armee die Hiobspost von der Niederlage bei Jena brachten, lösten sich auch die Reihen der noch kampfesmutigen Truppen. Prinz Eugen von Württemberg, der eine preußische Reserve befehligte, war voller Sicherheit bei Halle stehn geblieben und wurde dort geschlagen. Bei Prenzlan, bei Auslernt und Pasewalk, überall unterlagen preußische Abtheilungen; allgemeine Entmutigung und Ratlosigkeit verschlimmerten die Lage. Ein einziger Offizier schlug sich mit 20,000 Mann bis nach Lübeck durch, Blücher.
Schon am 15. Oktober legte Napoleon Preußen eine Kriegssteuer von 159 Millionen Francs auf; allein Berlin hatte 2V2 Million
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Thaler zu zahlen. Im ganzen Königreiche herrschte nur dumpfe Ergebung, als Preußen, durch den eben geschlossenen Bund Sachsens mit Frankreich, nun völlig allein stand, und seine Bitte um einen Waffenstillstand von Napoleon höhnisch abgewiesen worden war.
Beim Herannahen der Franzosen ließ der Kommandant von Berlin die Weisung ergehen: „Der König hat eine Bataille verloren. Die erste Bürgerpflicht ist Ruhe! ....
Ruhige Fassung ist dermalen unser Loos; unsre Aussichten müssen sich nicht über dasjenige entfernen, was in unsern Mauern vorgeht; das ist unser einziges höheres Interesse, mit welchem wir uns allein beschäftigen müssen."
Am 24. Oktober besetzten französische Truppen unter Davoust
Berlin; am 17. November hielt Napoleon seinen prächtigen Einzug. Sieben preußische Minister leisteten ihm den Eid der Treue. Im Uebermut seines unedlen Charakters verkündete Napoleon von Berlin aus: „Bis jetzt haben wir 150 Fahnen erobert, darunter die von der schönen Königin gestickten, einer für die Preußen ebenso verhängnisvollen Schönheit, wie Helena für die Trojaner!" Im Hohenzollern-schlosse zu Berlin schrieb er Schmähartikel über Preußens hehre Königin und ließ Bilder zeichnen, in denen sie als Amazone eine wilde Horde anführte. Als er, wie so oft in Gegenwart preußischer Beamten und Geistlichen, die niedrigsten Verleumdungen über die Königin aussprach und alle schwiegen, schleuderte ihm der Prediger der französischen
Kolonie, Erman, das Wort entgegen: „Sire, ce n’est pas vrai!u Der Kaiser schwieg und wandte sich ab; später hat die Königin ihrem Ritter tief gerührt gedankt.
In cynischer Roheit verlangte der Franzosenkaiser das Bett der Königin in Charlottenburg als Lagerstätte, und selbst sein Lobredner Thiers tadelt ihn, daß er „die Sitten und Ausdrücke der Kaserne mit auf den Thron gebracht zu haben scheine und nicht noch Beleidigung zum Mißgeschick hätte fügen sollen." Auch den Berlinern wurde ihr Unglück durch jede mögliche Demütigung vermehrt. Das glänzende Regiment der Gensd'armes wurde im jämmerlichen Aufzuge gleich eiuer Viehherde unter den Linden hergetrieben. Die Siegesgöttin mit ihrem Viergespann wurde vom Brandenburger Thor herabgenommen und nach Paris gesandt. Vom Sarge Friedrichs des Großen, an dem
Napoleon lange in düsterm Schweigen verweilte (25. Oktober), raubte
er den Degen des Königs.
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Unterdessen war die Königin mit ihren Kindern dem König nach Stettin und Küstrin entgegen gereist. Wohin die königlichen Gatten kamen, begegneten sie einer Kopflosigkeit, die ihnen erst recht das Trostlose ihrer Lage klar machte. Die meisten Kommandanten übergaben den Franzosen die Festungen ohne den geringsten Widerstand, und Napoleon fand in so vielen niedrigen Elementen des preußischen Volkes die besten Verbündeten.
„Welche Zukunft steht uns bei einer solchen Stimmung bevor!" klagte die Königin, und da die Flucht nach Königsberg als Notwendigkeit erschien, schrieb sie, gebeugt von dem schweren Geschick, in ihr Tagebuch (5. Dezember 1806):
„Wer nie sein Brot in Thränen aß.
Wer nie die kummervollen Nächte Auf seinem Bette weinend saß.
Der kennt euch nicht, ihr himmlischen Mächte!"
Dieselben Worte soll sie mit ihrem Diamantringe in die Fensterscheibe eines Bauernhauses geschrieben haben, wo sie übernachtete. Dem Bewußtsein ihres Volkes sind sie unauslöschlich geblieben. Der zarte Körper schien dem Leid der Seele zu erliegen. Die hohe Frau erkrankte an einem heftigen Nervenfieber. Da trat in der Nacht des 22. Dezember eine günstige Krisis ein, und kaum war die Fürstin dem Tode entronnen, als ihr die Schreckenspost „Die Franzosen kommen!" keine Ruhe ließ. „Ich will lieber in die Hände Gottes, als dieser Menschen fallen!" bat die totkranke Königin, die man in Betten verpackt in einen Wagen trug, der sie zwanzig Meilen weit nach Memel führte. Ihr Arzt Hufeland schrieb unter andern: darüber: „Die erste Nacht lag die Königin in einer Stube, wo die Fenster zerbrochen waren und der Schnee auf ihr Bett geweht wurde, ohne erquickende Nahrung. So hat noch keine Königin die Not empfunden. Ich war dabei in der beständigen Besorgnis, daß sie ein Schlagfluß treffen möchte. Und dennoch erhielt sie ihren Mut, ihr himmlisches Vertrauen auf Gott aufrecht, und er belebte uns alle." — —
Napoleon verlangte völlige Lösung Preußens von Rußland. Aber gewissenhaft blieb Friedrich Wilhelm III. seinem Verbündeten treu und entschied sich trotz seiner ungünstigen Lage oder vielmehr in der Verzweiflung derselben, für die Fortsetzung des Krieges, zu der Zeit ein waghalsiges Unternehmen, da ganz Norddeutschland dem mächtigen
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Imperator willenlos zu Füßen lag. Der unglückliche Feldherr von Auerstädt, der Braunschweiger Herzog, wurde gleich dem Kurfürsten von Hessen seines Landes für verlustig erklärt und starb auf der Flucht zu Ottensen bei Hamburg, wo er seine letzte Ruhestätte unter den Tausende!: fand, die später, von Davoust im Jahre 1813 aus Hamburg vertrieben, unter Hunger und Winterkälte umkamen.
Andre beugten sich dem Eroberer bei Zeiten und wurden belohnt. Sachsen wurde zum Königreich erhoben; der Mecklenburger und der Oldenburger schlossen sich dem Rheinbund an; auch die sächsischen Herzöge mußten das wohl oder übel, wenn ihr Länderbesitz nicht durch einen Federstrich oder durch ein Wort in andre Hände übergehen sollte. Schon am 21. November 1806 hatte Napoleon von Berlin aus durch ein Dekret allen Handel Preußens mit England verboten (Kontinentalsperre). Alle englischen Waren wurden inmitten des Festlandes ausspioniert, weggenommen und verbrannt. Was von solchen Waren etwa heimlich eingeführt und ebenso verkauft wurde, war nur für unerschwingliche Preise zu haben, z. B. ein Pfund Kaffee für einen Thaler, nach heutigem
Verhältnis wenigstens das Vierfache an Wert.
Die bei den Teilungen Polens an Preußen gefallenen Gebiete
lösten sich von der verhaßten Germanenherrschaft und schlossen sich Frankreich an, das ihnen Wiederherstellung ihres Königreichs versprach. Dabei führte das Ringen der Vaterlandsfreunde, Preußen innerlich erstarken zu lassen, wenig sichtbar, guten Zielen entgegen. An der Ostgrenze Preußens machte sich ein reges, militärisches Leben geltend; die Russen, von denen Friedrich Wilhelm so viel hoffte, rückten heran, zunächst freilich die eigene Grenze zu sichern. Dabei ging es den preußischen Nachbarn recht übel; die russischen Freunde plünderten und brandschatzten, als wären sie in Feindes Land. Napoleon wandte
sich mit seiner Hauptmacht der Weichselebene zu, vertrieb die Preußen
aus Posen und schlug, nachdem er sogar Warschau besetzt, die Russen unter Bennigsen bei Pultusü Auch in der mörderischen Schlacht bei Pr. Eylan (7. und 8. Februar 1807) wäre er Sieger geblieben, wenn nicht ein preußisches Hülfskorps eine günstige Wendung herbeigeführt hätte.
Um Preußen von Rußland zu trennen, bot Napoleon dem König Frieden an; aber dieser schloß einen erneuten Vertrag mit dem Kaiser von Rußland, der die Auflösung des Rheinbundes, die Herstellung aller
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früheren Herrschaftsverhältnisse Preußens und die Befreiung ganz Deutschlands vom französischen Joche zum Endziel hatte.
Inzwischen hatten die Russen unter Bennigsen nach verschiedenen kleinen Gefechten eine schwere Niederlage bei Friedland erlitten, und während der König an die Bundestreue des russischen Kaisers glaubte, unterhandelte dieser, um die Franzosen von seinen Landesgrenzen abzuhalten, mit Napoleon um einen Waffenstillstand. Auf einem Schiffe inmitten des Memelflusses gelobten sich beide Kaiser gegenseitige Freundschaft, ohne irgend welche Rücksicht auf den König von Preußen zu
nehmen, der erst am zweiten Tage an einer zweiten Zusammenkunft
teilnahm und auch mit gar zu wenig Erfolg.
Die Friedensverhandlungen einer günstigeren Wendung entgegenzuführen, war Königin Luise, auf Rat Alexanders und den Wünschen ihres königlichen Gemahls entsprechend, herbeigeeilt, obgleich sie wohl meinte, daß es ihr schwer würde, auch nur höflich und artig gegen Napoleon zu sein. „Doch das Schwere wird einmal von mir gefordert. Opfer zu bringen bin ich gewohnt. Das ist das schmerzhafteste Opfer, das ich dem Volke bringe, und nur die Hoffnung, diesem dadurch nützlich zu sein, kann mich dazu bringen."
Am 4. Juli 1807 traf die opferbereite Königin im Dorfe Picktnpönen bei Tilsit ein, wo sie den Abgesandten Napoleons empfing, der sie zur Mittagstafel nach Tilsit lud, zugleich auch des Kaisers Besuch in Aussicht stellte. Nach kurzen Worten höflicher Begrüßung, so lautet ein Bericht über diese Begegnung, fuhr Napoleon heftig auf: „Aber wie konnten Sie nur wagen, den Krieg mit mir zu beginnen?" Nach einer augenblicklichen Pause antwortete die über solchen Vorwurf erschrockene Königin: „Sire, dem Ruhme eines Friedrichs war es erlaubt, uus über unsre Kräfte zn täuschen, wenn anders wir uns getäuscht haben." Darauf suchte Napoleon die Unterhandlung gleichgültigen Dingen zuzuwenden, fragte sogar nach dem Stoff ihres Kleides; aber die Königin kam in feiner Redegewandtheit immer wieder auf das zurück, was sie für Preußen erbitten wollte, wie die Provinzen und Städte seit Jahrhunderten mit dem Hause der Hohenzollern verbunden gewesen seien in Freud' und Leid, von dem man sie nun trennen wolle, auch daß Friedrich Wilhelm III. ein Vater seines Volkes sei, das ihn dankbar liebe. Mit der größten Innigkeit bat sie dann um den Besitz Danzigs und Magdeburgs, die als wichtige Handelsplätze den Schlüssel zur Ostsee bildeten. J’y songerai“, war die kühle
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Antwort, und auf nochmaliges Bitten um Magdeburg: „Magdeburg
ist mir mehr wert als hundert Königinnen!"
Es war alles vergeblich. „Was für Schritte ich gethan habe, Preußens Schicksal zu mildern", schrieb die Königin an ihre Schwester „und wie wenig sie mir gelungen sind, das weiß die Welt. Aber ich war sie als liebende Gattin dem Könige, als zärtliche Mutter meinen Kindern, als Königin meinem Volke schuldig. Das Gefühl, meine Pflicht erfüllt zu haben, ist mein einziger Lohn." Ihrem Vater hatte sie von der trüben Aussicht geschrieben, über die Grenze zu müssen: „Bedenken Sie, wie mir dabei ist; doch bei Gott beschwöre ich Sie, verkennen Sie Ihre Tochter nicht! Glauben Sie ja nicht, daß Kleinmut mein.Haupt beugt. Zwei Hauptgründe habe ich, die mich über alles erheben; der erste ist der Gedanke: wir sind kein Spiel des blinden Zufalls, sondern wir stehn in Gottes Hand, und die Vorsehung leitet uns, der zweite, wir gehen mit Ehren unter. . . . Gott wird mir helfen, den Augenblick zu bestehen, wo ich über die Grenzen des Reiches muß. Da wird es Kraft erfordern; aber ich richte meinen Blick gen Himmel, von wo alles Gute und Böse kommt, und mein fester Glaube ist, er schickt nicht mehr als wir tragen können. ..." —
Am 9. Jnli 1807 wurde der Friede von Tilsit abgeschlossen, der Preußen die Hälfte seines Gebiets nahm mit ungefähr fünf Millionen Einwohnern, alle Länder zwischen Elbe und Rhein samt dem größten Teile von Preußisch Polen mit Danzig und dem Bezirke Bialystock, den sich derselbe Alexander schenken ließ, der noch kurz zuvor dem preußischen König gesagt: „Nicht wahr, keiner von uns beiden
fällt allein?" Die polnischen Gebiete kamen als Herzogtum Warschau an König Friedrich August von Sachsen, der auch den Kottbuser Kreis von Preußeu erhielt. Danzig wurde unter Sachsens und Preußens Schutz zur Republik erklärt.
Für Hannover sollte Preußen später einmal mit sonst welchem Unterthanenverbande von 40000 Seelen entschädigt werden. 'Auf jede Handelsverbindung mit England hatte es zu verzichten uud 150 Mill. Franks Kriegskosten zu zahlen, obgleich die Franzosen längst alle Kassen geplündert und dem Volke wenig mehr als nichts gelassen hatten. Bis zur möglichen Auszahlung sollte Preußen französische Truppen im Lande erhalten und ihnen die Festungen Glogan, Stettin uud Küstriu überlassen. Diese gnädigen Beschlüsse, so wurde betont, hatte Preußen der freundschaftlichen Vermittlung des Herrschers aller Reußen zu danken.
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Opferwillig bot sich des Königs Bruder, der edle Prinz Wilhelm, der in Paris die Verhandlungen führte, Napoleon als Geisel für die zu zahlende Kriegsschuld an; seine Gemahlin wollte ihm nach Frankreich folgen. Gerührt von dieser Seelengröße, eine seltene Erscheinung bei Napoleon, setzte er die Summe herab und behandelte den Prinzen allezeit mit großer Achtung.
Jetzt war die Hälfte des einstigen deutschen Reiches Napoleon unterworfen; er hatte mehr erreicht, als die Raubkriege Ludwigs XIV. Schmerzlich bewegt nahm der König von den ihm entrissenen Landesteilen Abschied: „Ihr kennt, geliebte Bewohner treuer Provinzen, Gebiete und Städte, meine Gesinnungen und die Begebenheiten des letzten Jahres. Meine Waffen erlagen dem Unglück; die Anstrengungen des letzten Restes meiner Armeen waren vergeblich. Zurückgedrängt an die äußersten Grenzen des Reichs, und nachdem mein mächtiger Bundesgenosse selbst zum Waffenstillstand und Frieden sich genötigt gesehn, blieb mir nichts übrig, als dem Lande Ruhe nach der Not des Krieges zu wünschen. Der Friede mußte so, wie ihn die Umstände vorschrieben, abgeschlossen werden. Er legte mir und meinem Hause, er legte dem Lande so die schmerzlichsten Opfer aus. Was Jahrhunderte und biedre Vorfahren, was Verträge, was Liebe und Vertrauen verbunden hatten, muß getrennt werden. Meine und der Meinigen Bemühungen waren fruchtlos. Das Schicksal gebietet, der Vater scheidet von seinen Kindern. Ich entlasse euch von allen Unterthanenpflichten gegen mich und mein Haus. Unsre heißesten Wünsche begleiten euch zu eurem neuen Landesherrn. Seid ihm, was ihr mir wäret. Euer Andenken kann kein Schicksal, keine Macht aus meinem und der Meinigen Herzen reißen. . . ."
Es sei nur eine der vielen tief ergreifenden Antworten auf diesen Abschied mitgeteilt, die, aus Westfalen kommend, in plattdeutschem Dialekt von Herz zu Herzen sprechen mußte: „Das Herz wollte uns brechen,
als wir Deinen Abschied lasen, und wir konnten uns nicht überreden, daß wir aushören sollten. Deine treuen Unterthanen zu sein, wir, die wir- Dich immer so lieb hatten. So wahr wir leben, es ist nicht
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Deine Schuld, daß Deine Generale und Minister nach der Schlacht von Jena zu angedonnert und verdutzt waren, um die zerstreuten Haufen uns zuzuführen und, mit unserm Landvolk vereint zu neuem Kampfe aufzurufen. Leib und Leben hätten wir dran gewagt und das Vaterland sicher gerettet; denn Du mußt wissen, in unsern Adern fließt noch feurig der alten Cherusker Blut, und unsere Landsleute haben Mark in den Knochen, und ihre Seelen sind noch nicht angefressen. Unsere Weiber säugen selbst ihre Kinder, unsere Töchter sind keine Modeaffen und der Zeitgeist hat über uns seine Pestluft noch nicht ausgegossen. Indessen können wir dem Eigenwillen des Schicksals nicht entgehen. Lebe denn wohl, alter, guter König! Gott gebe, daß der Ueberrest Deines Landes Dich treuere Generale und klügere Minister finden lasse, als die waren, die Dich betrübten. Ihren: Rate mußtest Du zuweilen wohl folgen; denn Du bist nicht allwissend. Können wir uns auflehnen gegen den eisernen Arm des Schicksals? Wir müssen alle das mit männlichem Mute dulden, was nicht in unserem Vermögen ist zu ändern. Gott stehe uns bei! Wir hoffen, daß unser neuer Herr auch unser Landesvater sein und unsere Sprache, unsere Sitten, unsern Glauben, unsern Bauern- und Bürgerstand eben so erhalten und achten werde, wie Du, guter, lieber König, es gethan hast. Gott gebe Dir Frieden, Gesundheit und Freude!"
Der größte Teil des zusammen geraubten Landes wurde als vereinigtes Königreich Westfalen dem Bruder Napoleons, König Jerome (Bruder Lustik vom Volke genannt) übergeben, von dessen Hofleben die Geschichte viel bösen Uebermut zu berichten weiß. Doch wurde sein Königreich nicht schlecht verwaltet, vielleicht, weil es wenigstens eine Zentralstelle der Regierung und Verwaltung hatte, die sich in Preußen allmählich ins Unendliche zersplittert hatte. Das Königreich Westfalen bestand aus folgenden Gebieten: dem nördlichen Kurhessen, dem südlichen (seit 1810), dem ganzen Kurfürstentum Hannover, wovon freilich noch in demselben Jahre ein Teil mit Frankreich vereinigt wurde. Das ganze Herzogtum Braunschweig wurde dazu genommen, angeblich wegen eines Manifestes des Herzogs Karl Will). Ferdinand, in welchem er 1792 als preußischer Feldherr den Parisern gedroht, sie in einer für alle Zeiten denkwürdigen Weise zu züchtigen, wenn sie Ludwig XVI. ein Haar krümmten. Das Herzogtum Magdeburg auf dem linken Elbufer, das Fürstentum Halberstadt, Wernigerode, Goslar, das Eichsfeld, das Reichsstift Quedlinburg, die Städte Nordhausen Halle, auch
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vom heutigen Westfalen: Minden, Bielefeld, Paderborn, die Abtei Corvey u. a. bildeten das zusammen gewürfelte Königreich.
In den eroberten Ländern, wie in den Rheinbundstaaten, wurde ein geheimes französisches Polizeiwesen eingerichtet. Jedes gesprochene und gedruckte Wort wurde überwacht, und die erbärmliche Spionage fand leider im Volke ihre Helfershelfer, aber sie verletzte auch andrerseits die edelsten Gefühle. Hatte anfangs der thatkräftige Heerführer und Staatsmann Napoleon, der trotz der schweren Kriege Frankreichs Wohlfahrt ernstlich zu fördern suchte, neben einer thatenlosen Herrscherschar Europas, auch Süddeutschlauds gerechte Bewunderung gefunden, jetzt war derselbe Franzosenkaiser zum herzlosen Tyrannen herabgesunken, dessen Fesseln das deutsche Volk abzuschütteln bereit war. Dennoch gab es in den hohem Volksschichten viele, die das goldne Joch nicht verschmähten, das ihnen in den neuen Staatsverhältnissen winkte. Sind doch allein gegen hundert Schriftsteller gezählt worden, die dem Eroberer huldigend ihre Werke gewidmet haben neben den weniger Edeln, die inmitten der Knechtschaft und Erniedrigung ihr Wort mannhaft für des deutschen Volkes Ehre und Freiheit erhoben. Welches Feuer aber entzündeten die Worte eines Fichte, Arndt, Steffens, Schleiermacher, und wie heiß glimmte der Funke unter der Asche kühler Berechnung!
Bald nach dem Tilsiter Frieden lud Napoleon auf einem Kongreß zu Erfurt, den er mit dem russischen Kaiser abhielt, alle Fürsten und Großen Europas zusammen, selbst Weimars Dichter, die Zusammenkunft zu verherrlichen. Großherzöge und Könige mochten stundenlang unter Lakaien antichambrieren, bis es dem allmächtigen Kaiser gefiel, sie vorzulassen, ihre etwaigen Bitten während seiner Mahlzeiten vorzutragen. Es wird erzählt, daß sich die Wache beim wiederholten Ruf unter das Gewehr beschwert habe, wenn nur eines Königs wegen herausgerufen wurde. Von Erfurt aus machte Napoleon einen Besuch am Weimarer Hofe, wo er seine Schauspieler den Tod Cäsars aufführen ließ und die berüchtigte Hasenjagd auf dem Jenaer Schlachtfelde veranstaltete, das Unglück der Unterlegenen zu verhöhnen. Als er dort mit dem Prinzen Wilhelm von Preußen im Wagen saß, hatte ein deutscher Patriot eben die Büchse gespannt, dem Eroberer eine Kugel ins Herz zu senden, da er aber den edeln Prinzen bemerkte, ließ er die Waffe sinken, das Geschoß; hätte ihn treffen können.
So konnte Napoleon feinen Siegesweg weiter verfolgen, den er eben nach Spanien gerichtet, wo er den bourbonischen Karl IV. und
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dessen Sohn Ferdinand VII. zur Thronentsagung gezwungen hatte, um seinem Bruder Joseph, bisher König von Neapel, die spanische Krone zu geben.
Inmitten der unsäglichen Demütigungen und eines schmachvollen Elends, wie es Deutschland wohl noch nie erduldet, bereitete sich eine neue Zeit vor, die mit dem schönen Namen „Deutschlands Wiedergeburt" bezeichnet wird. Ihre bedeutendsten Träger, deren Politik dieser Zeit ihren Namen gegeben, sind die Minister Stein und Hardenberg. Abgelöst von dem Verlaus der Kriegsereignisse und der äußern Geschichte Preußens finde ihre Wirksamkeit um ihrer Wichtigkeit willen eine, wenn auch nur kurze, aber doch besondre Beachtung.
Gleichwie die Königin Luise zu der klaren Einsicht gelangt war, daß die Mißerfolge des preußischen Staates innern Ursachen entsprungen waren, so dachten viele der Besten im Volke mit ihrem König, der es aussprach: „Es muß auch bei uns vieles anders werden."
Die unglücklichen Niederlagen bei Jena und Auerstädt waren nur Momente eines großen Trauerspiels, das noch nicht beendet war. Aber wo lagen die geheimen Fäden, aus denen sich die Katastrophe zusammen schürzte, wie mochten sie gelöst werden? Gewiß war, mit und in den Niederlagen war ein Wahn zerstört worden, den vielleicht König, Armee und Volk in Preußen haben mochten, wenn sie sich über ihre Kräfte getäuscht hatten. Der preußische Staat war aus dem Ringen lebenskräftiger Keime erwachsen, zunächst Dank dem Hause der Hohenzollern. Sein Name war Ehrfurcht gebietend geworden und bis dahin geblieben. Die Armee hatte bis zum Jahre 1806 keinen Beweis geliefert, daß sie nicht mehr auf der Höhe der Zeit gestanden hätte; denn selbst unter ihrem wenig ruhmreichen König Friedrich Wilhelm II. hatte sie ihren Siegeslauf bis nach Amsterdam gerichtet, als es galt, den Erb statthafter in seine alten Rechte einzusetzen. Auch in den Koalitionskriegen hatte sie sich bewährt. Ebenso hatte sich die innere Verwaltung bis dahin, wohl durch Vergrößerung des preußischen Staates erschwert, aber nicht unfähig gezeigt. Das preußische Beamtentum galt als mustergültig. In seiner Rechtspflege stand Preußen dem Auslande als vorbildliche Größe da. In den Einöden Rußlands, wie in den Wüsten Afrikas erzählte man sich von der Gerechtigkeit des Großen Friedrich, und ein idealer Glanz umgab den Thron der Hohenzollern, deren höchster Ruhm es war, ein Volk zu beglücken, für das sie ein arbeitsreiches Leben opferwillig einsetzten. Nichts erschien morsch in der innern Verwaltung,
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nichts unwürdig in der äußern Politik. Da brach, aller Welt unerwartet, der Staat zusammen, der noch kurz zuvor so stolz geprangt hatte, und das unter einem König, einer Königin, deren majestätische Reinheit schon Bürge war für alles Beste, das sie erstrebten. Dennoch mochte ein Friedrich der Große, der Einzige, solche Möglichkeit gefürchtet haben. Mit einer fieberhaft zu nennenden Energie und Arbeitskraft hatte er bis zum letzten Augenblick das Steuer in der Hand behalten, das preußische Staatsschiff durch himmelan stürmende, bedrohliche Wellen zu leiten. Der Organismus der Verwaltung des Königreichs hatte sich gehalten, vervielfältigt, ohne eine andre einheitliche Zentralstelle gefunden zu haben als in der Hand des großen Königs; sie war ein vielgestaltig Wesen geworden, das nur er zu beherrschen wußte. Den leitenden Persönlichkeiten der vielen Verwal-tnngsressorts mit ihrer schwerfälligen Erledigungsart mochte das immer mehr zum Bewußtsein gekommen sein; aber sie mochten ähnlich denken, wie der Minister Struensee: „Einige Zeit wird die Pastete wohl noch halten. Es wird sich auch keiner eher daran machen, als bis ein gewaltiger Stoß von außen dazu zwingt, oder die Verwirrung im innern Geschiebe so arg wird, daß keiner mehr den andern versteht, mithin alle die 5iot fühlen, zu neuen uud einfachen Grundsätzen zu rekurrieren, ^n solchen Sachen ist die Zeit der einzige Reformator, auf deu man warten und von dem man, wenn er kommt, geduldig ertragen muß, ob, bei dem widerstrebenden verstockten Willen und Mangel an klarer Intelligenz der Menschen, er sanst oder rauh reformiert."
Das letztere war jetzt, zu einer Zeit geschehen, in der ein andrer Staatsmann, Freiherr v. Viucke, nachdem er noch kurz zuvor England und Frankreich bereist uud gründlich kennen gelernt hatte, versicherte, „daß man sich nirgends besser, glücklicher uud in Wahrheit freier befände, als im preußischen Vaterlande, welches sich vor allen andern Ländern dem Zwecke der Vollkommenheit am meisten nähere." Die Jahre 1806—1807 ließen ihn dann anders urteilen.
Schon der Soldateuköuig Friedrich Wilhelm I. hatte ernstlich gestrebt, eine allgemeine Wehrpflicht einzuführen, indem er von dem System des reinen Söldnerwesens abging, das die Soldaten für Geld im Inland und Ausland anzuwerben suchte. In einer 1714 erlassenen Verordnung heißt es, daß „die Unterthanen ihrem Souveraiu und Landesherrn nach ihrer Geburt und des höchsten Gottes eigner Ordnung und Befehl mit Gut und Blut zu dienen schuldig sind." Eine
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spätere Verordnung wies jedes Regiment an, in einem bestimmten Bezirk (Kanton, daher Kantonsystem) sich zu ergänzen. Jeder kriegstüchtige Mann konnte „enrolliert" werden, ausgenommen die Söhne von Offizieren und Adligen, die so schon auf alle Weise gezwungen wurden, Offizierstellen anzunehmen. Um recht viel Reichtum ins Land zu ziehen, sollten auch die Söhne von wenigstens 10,000 Thaler reichen Kapitalisten militärfrei sein. Allmählich wurden dadurch alle wohlhabenden Klassen von der „Kantonpflicht" frei, so daß endlich die Ergänzung der Armee nur eigenes und fremdes Proletariat war, bei dem kein vaterländisches Interesse zur Geltung kam. Das alles war aus einen Höhepunkt gelangt, der nun die Probe schlecht bestanden hatte.
In der innern Verwaltung hatten sich ähnliche Mißstände heraus gebildet. Das städtische Gemeindeleben, das einst so herrlich geblüht, hatte eine städtische Aristokratie heranwachsen lassen und war erblich in den Ratsfamilien, die den Stadtsäckel verwalteten und die ärmeren Volksklassen ausbeuteten. Preußens Könige hatten dem entgegen gearbeitet und die städtische Verwaltung von der Staatsverwaltung abhängig zu machen getrachtet. Das hatte den Parteiinteressen gesteuert; aber dem Bürger war's dabei nicht viel besser geworden. Was über Wohl und Wehe der Stadt beschlossen wurde, kümmerte ihn wenig, hätte doch keiner mitreden oder etwas ändern können.
Auf dem flachen Lande hatte nur der adlige Großgrundbesitz Rechte, dem der Bauer diente, über dessen Wohl und Wehe derselbe Gutsherr zu Gericht saß, der auch die Verwaltung des Kreises führte. In den höheren Instanzen lag die Verwaltung des Landes in den Händen der Beamten. Außer Adel, Offizier- und Beamtentum wußten alle übrigen Stände, sie hatten nichts mitzureden. Was sollten sie sich um Dinge kümmern, in die sie nicht den geringsten Einblick haben tonnten? Das Militär war dazu da, das Land zu verteidigen; das hatte es bisher alle Zeit gethan; warum sollte es das nicht weiter können? Was ging es den Bürger an? Für die Ordnung im Lande hatten die Beamten zu sorgen. Dafür erhielten sie ihr Gehalt, und die Bürger zahlten ihre Steuern. So allein ist es annähernd faßlich, das nur in den herrschenden Klassen das Unglück Preußens beklagt wurde und in den niedern Ständen sogar Schadenfreude laut werden konnte. Das mußte anders werden.
Schon vor dem Tilsiter Frieden hatte der König seinen Minister Stein als einen „störrischen, hartnäckigen Beamten, der nur persön-
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lichem Hasse folge", höchst ungnädig entlasten. Doch gingen dessen Ideen, die hauptsächlich der Teilnahmlosigkeit der breiten Volksschichten steuern sollten, nicht spurlos zu Grunde. Es konnte jedem einzelnen die Entwicklung seiner Kräfte nur möglich sein, wenn die ständische Gliederung der Landeseinwohner aufhörte, wonach bisher Bürger und Bauer kein Rittergut erwerben, der Adlige kein städtisches, bürgerliches Gewerbe ergreifen konnte u. s. f.
Nach Steins Abgange hatte der Minister des Provinzialdepartements von Altpreußen und Neuostpreußen, Freiherr von Schrötter, in Klugheit und zäher Nachgiebigkeit, den jeweiligen Verhältnissen entsprechend, zunächst ein dem entsprechendes Edikt für die nordöstlichen Provinzen entworfen, als Napoleon im Frieden von Tilsit seine Entlassung forderte. An seine Stelle wurde Stein zurück berufen, der eben krank auf seinem Stammschlosse zu Nassau weilte, aber keinen Augenblick zögerte, dem Rufe seines Königs zu folgen. Während die preußischen Abgesandten in Paris von Napoleon und seinen Kreaturen behandelt wurden, „wie ein Krümchen Brot", wie die Königin an ihre Freundin, Frau v. Berg, schrieb, hoffte sie von Steins Energie alles. „Großen Herzens, umfassenden Geistes, weiß er vielleicht Auswege, die uns noch verborgen sind. . . Stein kommt, und mit ihm geht uns wieder neues Licht auf. Doch Zukunft giebt es nicht ohne Selbständigkeit, und wo ist diese jetzt in der Welt!"
Mit dem Edikt vom 9. Januar 1807 wurden die Reformpläne für den ganzen preußischen Staat begonnen. Der freie Gebrauch des Grundeigentums und die Aufhebung der ErbunterthänigMt beseitigte die Schranken, welche die Stände aus dem flachen Lande geschieden hatten. Die einzelnen Bestimmungen erleichterten Erwerb und Verkauf; selbst die persönlichen Verpflichtungen der Bauern und ihrer Familien, ihr Gesindedienst u. s. f., wurden aufgehoben, nur die dinglichen Lasten und Abgaben blieben, freilich auch Hand- und Spanndienste an bestimmten Tagen der Woche. War damit das Freiheitsgefühl des Bauern geweckt, und konnte er sich nach eignem Wollen, aber freilich oft um den Preis der Scholle, des bäuerlichen Besitzes, den er verließ, eine neue Heimat suchen, so war es eben so notwendig, die Teilnahme der gesamten Bevölkerung an öffentlichen Angelegenheiten zu wecken. Das schien am leichtesten im Städtewefen. Die Handel- und gewerbetreibende, meist wohlhabende städtische Bevölkerung sollte sich
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zunächst aufraffen durch Steins größtes Werk, die Städteordnung vom 19. November 1808. Die Einleitung derselben kennzeichnet ihre hohen Ziele: „Der besonders zu neuern Zeiten sichtbar gewordene Mangel an angemessenen Bestimmungen in Absicht des städtischen Gemeinwesens und der Vertretung der Stadtgemeine, das jetzt nach Klassen und Zünfte sich teilende Interesse der Bürger und das dringende Bedürfnis einer Teilnahme der Bürgerschaft an der Verwaltung des Gemeinwesens überzeugen Uns von der Notwendigkeit, den Städten eine selbständige und bessere Verfassung zu geben, in der Bürgergemeine einen festen Vereinigungspunkt gesetzlich zu bilden, ihm eine thätige Einwirkung auf die Verwaltung des Gemeinwesens beizulegen und durch diese Teilnahme Gemeinsinn zu erregen und zu erhalten." Die Verwaltung der Städte war nun in die Hand ihrer Bürger gelegt, da sie selbst sich alle städtischen Behörden, Magistrat und Stadtverordneten, aus allen Schichten der Bevölkerung wählen durften. Der Bürgerschaft war in den Rechten und Pflichten der städtischen Kom-munalverwaltung, auch der Polizei, ein Anteil an der Landesverwaltung gegeben, und jeder Einzelne stand durch sein Wahlrecht int persönlichen Dienst eines Gemeinwesens, für dessen Wohlergehen bisher nur die Vornehmen Interesse gezeigt hatten, um ihre eignen Rechte zu wahren.
Aehnliche Verbesserungen bahnte Stein in der allmählich zu einer fast unmöglich gewordenen schwerfälligen Staatsverwaltung an, um eine durchsichtige Einfachheit zu erzielen. Das Ministerium wurde in fünf Departements geteilt: Aeußeres, Inneres, Finanzen, Justiz und Krieg. Gleicherweise organisierte eine Verordnung vom 26. Dezember 1808 die Provinzialverwaltung. Den Bewohnern jedes Regierungsbezirks sollte eine Teilnahme in den Angelegenheiten ihrer Provinz eingeräumt^ werden. Endlich sollte, so plante Stein, eine Nationalvertretung geschaffen werden, durch welche der König allezeit Wünsche und Bedürfnisse seines Volkes erfahren möchte; einen andern Einfluß sollte sie durchaus nicht haben dürfen. Noch ehe alle diese guten Pläne zu voller Reife gediehen waren, fiel ein Brief Steins, der deutlich zeigte, rote Preußen an seiner Wiedergeburt arbeitete, und von einem geheimen Bunde in Hessen und Westfalen Kunde gab, der sich mit Oesterreich zu des Korsen Untergang vereinigen wollte, in Napoleons Hautie. Der König wurde gezwungen, Stein zu entlassen; doch alle Arbeit, alles Streben dieses nun geächteten „nomme Stein“ gehörte
B o ri, hc> k, Unser Vaterland. on J ’
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auch in der Ferne, in Oesterreich, in Rußland, wo immer, nur dem von dem welschen Unterdrücker geknechteten Vaterlande.
Die noch unbezahlten französischen Kriegsforderungen, wie die neu angebahnten Verhältnisse und Ordnungen verlangten vor allen Dingen reiche Geldmittel, die nicht vorhanden waren. Nur die Herstellung eines neuen, einheitlichen Steuersystems, die Beseitigung der Bevorzugungen und Steuerbefreiungen, konnte hier Hülfe schaffen. Sie waren bei den bisherigen Reformplänen noch nicht ins Auge gefaßt worden, und das folgende Ministerium Dohna-Altenstein meinte auch nur einen Ausweg finden zu können in der Abtretung eines Teils von Schlesien, als man zu der Zeit in Paris „sehen wollte, wie sich jetzt Preußen benehmen würde", um danach die Behandlungsweise einzurichten.
Längst hatte das Königshaus sich seiner Schätze entäußert; das goldne und silberne Tafelgeschirr war verkauft; von ihren Schmucksachen hatte die Königin nur eine Perlenschnur zurück behalten, denn „Perlen bedeuten Thränen, und ich habe deren so viele vergossen." Equipagen, Dienerschaft, selbst die Kleidung der königlichen Familie war auf das äußerste Maß beschränkt worden, und es mag das Urteil eines russischen Diplomaten, der am königlichen Hofe Gast war, über das königliche Familienleben zu dieser Zeit reden: „Nicht gegen tausend Hoffeste mit goldenen Uniformen und Sternen möchte ich in meiner Erinnerung vertauschen gegen jenes einzige Schauspiel: Eine Königin sitzt am ärmlichen Tische, der, wie sie selbst, alles äußern Schmuckes entblößt ist; aber ihre Schönheit, Anmut und Würde leuchten um so heller. Neben ihr sitzt die älteste Prinzessin (Charlotte, später Kaiserin von Rußland), wie die Knospe neben der entfalteten Rose, und indem sie mit der Mutter die kleinen Hausgeschäfte teilte, entzückten beide durch liebenswürdige Aufmerksamkeit und ließen in meiner Seele ein lebendiges Bild zurück, das kein späteres Ereignis verlöschen konnte."
Als jetzt Napoleon das Königspaar nach Berlin locken wollte, wich es der Einladung durch einen langem Besuch am russischen Kaiserhofe aus, wo die höchsten Ehren, die ausgesuchteste Pracht des Empsanges und der reichen Geschenke doch nicht den Notschrei des Vaterlandes zu übertäuben vermochten, der sie heim ries.
Da gelang es dem König, von Napoleon die Erlaubnis zu erhalten, Hardenberg, den Vorgänger Steins, zurückzurufen, dessen eifriges Bestreben nun war, das Interesse, die Freiheit des Einzelnen
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im höchsten Maße anzuregen durch liberalste Gewährung jeder möglichen Freiheit und jedes möglichen Rechts, damit jedermann schon aus Selbstsucht dem Staate hätte dienen müssen. Sein von ihm ausgesprochenes Program war, und wie hat er damit Preußen gedient, die Errungenschaften der französischen Revolution seinem Vaterlande nutzbar zu machen auf dem Wege friedlicher Reformen, gleichsam als «ine dankenswerte Gabe des Königs an sein Volk.
Hatte Stein durch Umgestaltung der sozialen Verhältnisse wie der Verwaltungsreformen das Staatsleben neu beleben wollen, Hardenberg suchte dasselbe Ziel in Wohlsein, in Recht und Gleichstellung des Einzelnen als Glied des Staates. Während Stein sich mühte, die Trennung der Stände und besonderen Vorrechte derselben aufzuheben, hielt der Staat leider die alten Unterschiede aufrecht in der Verschiedenheit der Besteuerung. Hardenbergs erfteg Bestreben war darum, in der Besteuerung des Volkes gleiches Recht und gleiche Pflicht für jeden einzelnen herzustellen. Ein Edikt vom 27. Oktober 1810, das sich an die französisch-westfälische Steuergesetzgebung lehnte, entsprach völlig diesen Grundsätzen und beseitigte dadurch die dringendste Finanz-not Preußens, brachte aber zugleich eine völlige soziale Umwälzung. Wie viel Altes, Ueberlebtes und Ungerechtes wurde damit beseitigt, da nun jeder Unterthan gleiche Rechte und gleiche Pflichten im Staate hatte, der feine Angehörigen dafür zu schützeu bereit war.
-tiefen Grundsätzen entsprach auch das größte Werk Hardenbergs, die zwar durch Stein angebahnte, aber ganz anders gedachte Regelung der gutsherrlich-bäuerlichen Verhältnisse, welche durch eine Verordnung in Kraft trat (14. September 1811). Ihr tiefstes Prinzip bildete die Ablösung der bäuerlichen Lasten, Abgaben und Verpflichtungen gegen den Großgrundbesitz. Waren einst die Arbeitsleistungen der Bauern, ihre Abgaben an Naturprodukten dem Geldwerte nach gering zu schätzen, im Laufe der Zeit hatte sich das Verhältnis umgekehrt. Eine Ablösung, eine Umwandlung dieser Lasten in Abgabe von Land, in Geldzahlungen, Kapital oder auch in Rente, zahlbar an den Gutsherrn, war die einzig denkbare Lösung ans drückendster Lage für die Bauern. $ür den erblichen bäuerlichen Besitz sollte diese Ablösung in einem drittel des Wertes bestehen, den das Hofgut hatte, bei nicht erblichen in der Hälfte des Wertes. Wenngleich diese Befreiung des Bauernstandes, sein Loskaufen vom Gutsherrn nur allmählich geschehen konnte, der Weg für seine wirtschaftliche Befreiung war gebahnt.
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Auch die Verwaltung erfuhr durch Hardenberg eine andre Umgestaltung, als Stein ins Auge gefaßt hatte. War er einerseits der Mann der Freiheit, die er dem Einzelnen des Volkes bringen wollte, in der Regierung, in der Verwaltung sollte doch nur eine einzige maßgebende Stelle entscheiden, der König, oder vielmehr für diesen der einzige Staatskanzler, den Preußen gehabt hat, Hardenberg. Die fünf durch Stein geordneten Ministerien fanden im Staatskanzler ihren ersten Vorgesetzten.
Auch zur Reorganisation des Heeres wurde in dieser Zeit der Grund dadurch gelegt, daß Stein wie Hardenberg der allgemeinen Wehrpflicht die Wege bahnten, indem die auswärtige Werbung fortfiel; auch konnten Bürgerliche Offiziere werden. Ein andrer, der „Mann stiller Größe", Scharnhorst, sollte das Werk vollenden. Niemand wird feststellen wollen, wer unter diesen Männern das größeste Verdienst an Preußens, damit an Deutschlands „Wiedergeburt" hatte, wem unter ihnen am meisten zu danken ist, daß das preußische Volk, das deutsche Volk zu neuer Kraft und zum endlichen Siege über das Welschtum fähig war.
2. Deutschlands Erhebung gegen Frankreich. Die Freiheitskriege.
Der Tilsiter Friede war für ganz Europa eine Niederlage. Er hatte gezeigt, welcher maßlosen Thaten Napoleon fähig war, ohne das; ein Fürst den Mut gehabt hätte, dagegen aufzutreten. Was galt ein Freundschaftsbündnis mit dem russischen Kaiser, vor dessen Augen Napoleon zu Erfurt die Tapfersten eines Regiments, das sich gegen die Russen ausgezeichnet hatte, mit dem Orden der Ehrenlegion schmückte? Der Kaiser von Oesterreich mußte es sich gefallen lassen, daß Napoleon ihn vor Feindseligkeiten drohend warnte, denn „was Ew. Majestät sind, sind Sie durch meinen Willen." Daß auch das preußische Königtum sein Dasein der Gnade des Franzosenkaisers verdanke, machte dieser bei jeder Gelegenheit geltend.
Gleich Preußen begann Oesterreich im Geheimen an einer Neugestaltung seines Staatslebens, wie an einer Erhebung „des Volks in Waffen" zn arbeiten; denn sicher stand auch ihm ein Entscheidungskampf mit Frankreich bevor. Man hoffte viel von einer Empörung in Spanien, zu deren Unterdrückung Napoleon große Truppenmassen aus Deutschland herauszog, da auch die Engländer der pyrenäischen
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Halbinsel Hülfe leisteten. Aber wie Oesterreich zögerte, um vielleicht den Beistand der Rheinbundkönige von Bayern und Württemberg zu erlangen, so meinte Preußen, ohne Rußland nichts thun zu können, das einstweilen noch mit Frankreich verbündet war. Durch dieses Zögern gewann Napoleon Zeit, Spanier und Engländer niederzuwerfen und sich zunächst gegen Oesterreich zu rüsten, das eben in einer „Deklaration" seine Beschwerden gegen Frankreich offen aussprach und einen annehmbaren Frieden begehrte. Zn gleicher Zeit hatte der Kaiser von Oesterreich ein Manifest an ganz Deutschland gerichtet, in dem es hieß: „Dieselben Anmaßungen, die uns jetzt bedrohen, haben Deutschland bereits gebeugt. Unser Widerstand ist seine letzte Stütze Zur Rettung; unsre Sache ist die Sache Deutschlands. . . . Die Freiheit Europas hat sich unter die Fahnen Oesterreichs geflüchtet. . . ."
Eben hatte Napoleon nach der Niederwerfung Spaniens auch den ihm widerstrebenden Papst Pius VII. gefangen genommen und den Kirchenstaat teils dem Königreich Italien, teils Frankreich einverleibt, da erklärte Oesterreich Napoleon den Krieg. Franz I. hatte eine allgemeine deutsche Erhebung erwartet und sah sich getäuscht. Man war, den gewohnten Parteiinteressen entsprechend, zn mißtrauisch, um energisch für ein Allgemeinwohl einzutreten, und Oesterreich mußte ganz allein den Kampf gegen Frankreich aufnehmen. Ein Heer (75 000 Mann) unter Erzherzog Karl rückte an die Westgrenze Oesterreichs, 35 000 Mann unter Erzherzog Ferdinand deckten die polnische Grenze. Erzherzog Johann zog mit 80 000 Mann nach Italien. So war die österreichische Militärkraft gründlich zersplitttert Dagegen hatte Napoleon vereint mit den Rheinbundtruppen 180 000 Mann, mit denen er unter verschiedenen kleinen Gefechten direkt bis nach Wien vordrang. Als Erzherzog Karl zum Entsatz herbei eilte, suchten die Franzosen das jenseitige Donauufer zu gewinnen, wurden aber bei Aspern völlig geschlagen (21. Mai 1809). Zunächst nach Wien zurückgedrängt, gelang es Napoleon, die Oesterreicher zu täuschen, und weiter abwärts durch sechs über die Donau geschlagene Brücken einen Uebergang zu erlangen, der zur Schlacht bei Wagram führte (5. Juli 1809). Sie blieb unter großen Verlusten auf beiden Seiten unentschieden; doch kam ein von Oesterreich erbetener Waffenstillstand (zu Znmm) zu stände, dem der Friede zu Wien folgte (14. Oktober 1809). Ihn mußte Oesterreich sehr teuer bezahlen. Salzburg und Berchtesgaden, das Jnngebiet und das daran grenzende Haus-
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ruckviertel hatte es an Bayern abzugeben — Westgalizien mit Krakau an das Herzogtum Warschau — einen Teil Ostgaliziens an Rußland — Krain, den Villacher Kreis, einen Teil Kroatiens, Dalmatien samt Triest, in Ganzen 2000 Quadratmeilen Landes, an Napoleon, der sie als „illyrische Provinzen" mit Frankreich vereinigte. So hatte dieser Kriegszug Oesterreichs, von dem ganz Europa gehofft hatte, völligen Mißerfolg. Das Kaisertum Oesterreich war zu einem Nichts herabgesunken, eingeschlossen, gehemmt nach innen und außen.
Das seinem alten Regentenhause treu gebliebene Tyrol, das im Preßbnrger Frieden (1805) an Bayern gegeben war, versuchte jetzt sich von dessen Herrschast in einem Volksausstande frei zu machen, da es besonders in öen Interessen der Schule und Kirche von den Bayern schwer bedrückt wurde. Unter Führung des Sandwirts von Passeier, Andreas Hofer, des kühnen Schützen Speckbacher und des fanatischen Kapuziners Haspiuger, hatten die Tyroler ihr Land von Bayern und Franzosen befreit, als Napoleon neue Truppen sandte, die Innsbruck einnahmen. Wohl gelang es dem Volke noch einmal, die Franzosen aus dem Lande zu jagen, als aber der Wiener Friede die völlige Unterwerfung Tyrols forderte, legte zwar Andreas Hofer den Oberbefehl nieder, suchte aber, in einer Sennhütte verborgen, den Aufstand weiter zu schüren. Er wurde verraten, gefangen genommen und von kn Franzosen zu Mantua standrechtlich erschossen (am 18. Februar 1810). ^ein Geschick war ein tiefer Schmerz für fein Volk, das nicht hatte glauben können, von seinem einstigen Kaiser und Herrn, dem es selbst großartig Treue gehalten, so verlassen zu werden. Lied und Sage, Geschichte und Ueberlieferung tragen das Andenken des treuen Kämpfers für das Haus Oesterreich durch alle Zeiten.
Niemand mochte ahnen, daß das so tief durch Frankreich ge-demütigte Oesterreich fähig war, seine Kaisertochter Maria Luise als Preis für die Sicherung der eignen Zukunft zu zahlen. Napoleon schied sich von feiner edeln Gemahlin Josephine, weil sie ihm keine Kinder geboren hatte, und begehrte die Tochter des Kaisers Franz, um seine Dynastie durch Verbindung mit einem der ältesten und höchsten Fürstengeschlechter, wie er meinte, dauernd zu befestigen. Schon am 11. März 1810 wurde die Ehe durch Prokuraüon in Wien geschlossen, die Civiltrauung fand am 1. April zu St. Cloud statt, die prächtige, kirchliche Trauung am folgenden Tage zu Paris. Mit schwerem Herzen
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hatte Kaiser Franz die Tochter dem französischen Kaiser zur Gemahlin gegeben, nachdem noch nicht zwei Jahrzehnte zuvor die Schwester seines Vaters in Frankreich unter der Guillotine ihren Tod gefunden hatte. Der fast übermenschliche Glanz des Vermählungsfestes war um so mehr beängstigend, da der große, zum Feste gebaute Ballsaal in Brand geraten war, als alle Festteilnehmer darin versammelt waren. Ungezählte kamen darin um oder wurden im Gedränge erdrückt.
„Wie Gott den eingebornen Sohn für die Erlösung der Menschheit dahin gegeben", so trösteten sich die Wiener, „gab der gute Kaiser-Franz seine Tochter für die Rettung des Vaterlands." Schon vor seiner Vermählung hatte Napoleon den von ihm erwarteten Sohn zum König von Rom bestimmt, den Quirinal für sich zum Kaiserpalast. Die altrömische Kaiserpracht sollte sich in seinem Hause erneuern. Am 20. März 1811 wurde ihm wirklich ein Sohn geboren, von dein das Volk in Deutschland spottend sang:
„Der König von Rom,
Napoleons Sohn,
Ist viel zu klein Ein König zu sein." . .
In Preußen waren unterdessen, nach außen fast unscheinbar, die von Stein, Hardenberg und Scharnhorst angebahnten Neugestaltungen langsam, aber sicher ins Leben getreten. Unterstützt von Gneisenau, dem einstigen tapfern Kommandanten Kolbergs, suchte Scharnhorst die in den Kriegsjahren sichtbar gewordenen Schwächen der preußischen Heeresausbildung der neuerdings bewährten französischen Kriegskunst entsprechend umzugestalten. Besonders wertvoll erschien es, durch fortwährende militärische Ausbildung der immer wieder als Reservetruppen entlassenen Soldaten, die jeden Augenblick zur Waffe zurück gerufen werden konnten, ein Heer von 150,000 Mann zur Verfügung zu haben, obgleich Napoleon Preußen nur eine stehende Armee von 42,000 Mann erlaubt hatte.
Fester, als auf diese Waffenmacht, gründete sich Preußens Zukunft auf den Freiheitsdrang, auf den Haß des Volkes gegen das Fremdjoch. Die nationale Stimmung schuf sich selbst Pflege und Kraft in geheimen Bündnissen (Tugendbund), die sich als sittlich-wissenschaftliche Vereinigungen über ganz Norddeutschland verbreiteten. Das war eine neue Seite des Erwachens im deutschen Volksleben. Von dem Taumel schwelgerischer Genußsucht, von dem Luxus, der Sittenlosigkeit und der
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Gottentfremdung der vergangenen Jahrzehnte kehrte man zurück zu Einfachheit, Sitte und Frömmigkeit, wie zur Freiheit wissenschaftlicher und geschichtlicher Forschung, zu treuer Arbeit. Unter Hardenberg war Wilhelm von Humboldt an die Spitze der Unterrichtsverwal-tung getreten (1809), der es als Preußens schönsten Beruf bezeichnete Deutschlands Führer auf dem Felde der Geistesbildung zu werden' Semen Bemühungen gelang es leicht, den König zur Gründung der Hochschule in Berlin zu veranlassen 1810. Im Herbst des nächsten Jahres zogen hehre Träger der Wissenschaft als Professoren der neuen Umverfüät in den prachtvollen Palast des weiland Prinzen Heinrich, Bruder Friedrich des Großen, noch heute das Berliner Universitätsgebäude. Friedrich Wilhelm III. hatte selbst betont, der Staat müsse durch geistige Kräfte ersetzen, was er an physischen verloren habe, und schon die glanzvollen Namen der Gelehrten, welche die Universität begründeten, verbürgten ihren Wert. Es seien nur genannt: die Theologen Schleiermacher und Marheinecke, die Juristen von Savigny und Elchhorn, der Arzt Hufeland, die Philologen Boeckh und Buttmann vor allen nicht zu vergessen den Philosophen Fichte, dessen freiheitstrunkene Reden an das deutsche Volk unberechenbar herrliche Früchte trugen.
Gleich einem Feuer, das sich nicht mehr dämpfen läßt, loderte eine besonders im Königreich Westfalen weit verzweigte Verschwörung empor, die es zunächst auf den Sturz Jerome's abgesehen hatte, und von den hessischen (westfälischen) Offizieren Dörnberg und Emmerich geleitet wurde. Verrat brachte ihr den Untergang.
Ein preußischer Offizier, v. Katte, machte einen Angriff auf die Festung Magdeburg, und ein Held Kolbergs, Major Ferdinand von Schill, wagte mit seinen Soldaten auf eigue Hand einen Angriff auf den Feind, seinem Grundsatz entsprechend: Besser ein Ende mit Schrecken, als ein Schrecken ohne Ende! Er fand seinen Tod in den Straßen Stralsunds. Seine Offiziere, so weit sie in Gefangenschaft gerieten, wurden in Wesel erschossen. Es waren elf todesmutige Jüng-Imge, deren Namen heute ein Denkmal trägt. Die Soldaten wurden in Kerker und auf die Galeeren Frankreichs geschleppt.
Auch ein Kriegszug Friedrich Wilhelms von Brannschweig-Oels, Sohn des bei Auerstädt besiegten Herzogs, war trotz mancher Siege nur ein Todeszug. Seine Totenkopf geschmückten „Schwarzen" suchten allezeit <^ieg oder ^Lod, mußten aber mit ihrem tapfern Heerführer weichen, der zunächst eine Zuflucht in Helgoland, später in
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England fand. Er wartete gleich seinem Freikorps auf den Tag der Rache, der endlich dnrch die ausgleichende Gerechtigkeit des Allerhöchsten kommen mußte.
Um Napoleons Mißtrauen nicht zu reizen, war das preußische Königspaar nach Berlin zurück gekehrt. Aber das war kein Einzug, wie ihn die preußische Hauptstadt sonst gesehen; feierlich still und wehmütig grüßte das Volk seine weinende Königin und seinen trübe nieder blickenden König.
Durch die angebahnten Reformen in der Staatsverwaltung mit neuem Hoffen erfüllt, wollte die Königin eine kurze Zeit der Erholung bei ihrem Vater in der Heimat finden. Sie hatte ihren Geburtstag gefeiert, als „wäre es das letzte Mal." Nach kurzer, schwerer Krankheit starb Königin Luise im Vaterhause zu Neustrelitz am „gebrochenen Herzen" (19. Juli 1810). Es war zuviel des Wehs über sie gekommen.
„Wenn ich tot bin, wird man noch den Namen Magdeburgs in meinem Herzen finden" hatte sie über ihre unglückliche Zusammenkunft mit Napoleon geklagt, und bei dem Fall Oesterreichs „Gott weiß, wo ich begraben werde, schwerlich in preußischer Erde!"
An demselben Tage, wo sie einst als glückstrahlende Braut in Berlin eingezogen war, kehrte ihre sterbliche Hülle dorthin zurück bis sie im Mausoleum zu Charlottenburg die geweihte Ruhestätte fand. Dem preußischen Volke aber blieb sie unsterblich, „ein guter Engel für die gute Sache."
Im Jahre 1810 stand Napoleon auf dem Gipfel seiner Macht. Außer dem alten Staate Frankreich beherrschte er, teils direkt, teils als Vasallenstaaten, das Königreich Neapel, Piemont, das Königreich Hetrurien (^oskana), als Königreich Italien die Länder der adriatischen Küste, die illyrischen Provinzen, das Königreich Holland, das er seinem Bruder wieder abgenommen hatte, Belgien, die deutschen Rheinlande, das Groß-Herzogtum Berg, das Königreich Westfalen, das Herzogtum Oldenburg mit Ostfriesland, die Seestädte Hamburg, Bremen uud Lübeck. Auch der schweizer Kanton Wallis war mit Frankreich vereinigt worden; alle Rheinbundfürsten gehorchten dem Winke Napoleons. Polen, Dänemark, Schweden standen unter feinem Einflüsse; auch Rußland schien sich weiter an den mächtigen Eroberer binden zu wollen. Und doch - das Jahr 1810 war der Wendepunkt in Napoleons Leben; mit dem Scheiden von seiner Gemahlin Josephine sank auch sein Glücksstern.
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Trotzdem der Krieg in Spanien, von den Engländern unter Wellington unterstützt, noch nicht beendet war, machte Napoleon neue, kühne Riesenpläne. Das große Zarenreich Rußland sollte unterworfen werden, weil Alexander sich nicht der Kontinentalsperre gefügt, auch selbständige Politik im Orient getrieben, genug, sich nicht vasallenmäßig betragen hatte, und Rußland war beleidigt, da Napoleon nicht ausdrücklich aus die Herstellung Polens verzichtet hatte, sondern mit diesem liebäugelte, auch dem Schwager des russischen Kaisers, dem Herzog von Oldenburg, sein Land genommen hatte.
Die französische Armee zog in erdrückender Macht, 600,000 Mann, gegen Rußland aus; besonders hatten die Rheinbundfürsten, auch Oesterreich (30,000 Mann) und Preußen (20,000 Mann) Hülsskorps gestellt. Viele Offiziere hatten darum ihren Abschied genommen.
Siegesgewiß hatte der Eroberer einen Kongreß deutscher Fürsten zu Dresden abgehalten (1812) und in glänzender Heerschau auf dem Schlachtfelde von Friedland unter prahlenden Worten über den Zweck dieses Kriegszugs der Welt ein Schauspiel gegeben. Acht Armeekorps sollten von drei Seiten zugleich bis in das Herz Rußlands, in die
Zarenstadt, eindringen. Wie richtig schien Napoleon gerechnet zu haben!
Vor ihm hin eilten, flüchteten die russischen Heeresmassen, tief in das Innre ihres Landes. Ungeduldig war Napoleon mit dem Kern feines Heeres über den Niemen geeilt, über Witebsk bis nach Smolensk, ohne auf die feiner Armee notwendigen Verpflegungsmittel Bedacht zu nehmen. Er hatte dadurch schon auf diesem Wege viele Soldaten eingebüßt. Das hartnäckig verteidigte Smolensk mußte genommen werden (17. und 18. Aug. 1812). Als das französische Heer mit äußerster Energie einen Sturm wagte, ging die Stadt in Flammen aus. Für die Franzosen war sie nun kaum mehr als ein Schutthaufen, und die Russen waren, alles hinter sich verheerend, nach Moskau zu abgezogen. Ihnen nach eilte Napoleon. Bei dem Flüßchen
Moskwa stieß er auf ein russisches Heer von 120,000 Mann unter
Kutusow, der die Franzosen von Moskau abzuwehren suchte. Die furchtbare Schlacht bei Borodino (7. Sept. 1812) endigte mit dein Rückzüge Kntusows; 80,000 Tote und Verwundete bedeckten das Schlachtfeld. Napoleon mochte ungehindert nach Moskau ziehn.
Am 14. September kam er in der Zarenstadt an; es war eine Totenstadt. Alle Behörden, Adel, Kaufleute, Geistliche mit ihren
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Schätzen, die Bürger mit allem tragbaren Besitz, selbst die Löschmannschaften hatten Moskau verlassen. Die Franzosen suchten vergeblich nach Speise und Trank und waren froh, wenigstens Ruhe gefunden zu haben, als auch hier in der Nacht an allen Enden die Flammen aufloderten. Das war der Brand von Moskau, der in sechs Tagen vier Fünftel der herrlichen Stadt völlig zerstörte.
Napoleon verkündete der Welt, daß Moskau nicht mehr existiere, aber sein Heer reichlich mit Vorräten versehen und auf dem Wege nach Petersburg sei. Zu gleicher Zeit hatte er, seine schlimme Lage wohl übersehend, Friedensvorschläge an den russischen Kaiser gesandt, die der schlaue Kutusow, der im Feldlager bei Kaluga stand, aufzuhalten vermochte. Napoleon konnte auf Antwort warten, bis der Winter hereinbrach. So waren 34 Tage vergangen, als die Franzosen sich der Notwendigkeit eines Rückzugs aus dem verödeten Moskau fügten, 150 Meilen eines schweren Weges durch die eisigen Einöden Rußlands, nachdem mit dem 6. November der russische Winter in unerhörter Härte hereingebrochen war. Bald war es nur eine wilde Flucht der meist waffenlosen, von Frost, Hunger und Krankheit, wie von den nachstürmenden Kosackenschwärmen zerrütteten Trümmer eines Heeres, wie es die Welt nie zuvor gesehen. Von der ganzen Riesenarmee kamen nur 1000 bewaffnete, 20,000 unbewaffnete, kranke, armselige, zerlumpte Franzosen über den Niemen zurück. Sie brachten Elend und Krankheit, besonders das Nervenfieber mit, wohin sie kamen. Man muß die Schilderung dieses elenden Rückzugs von Augenzeugen gehört haben, um nur die Fülle eines Jammers zu ahnen, den Napoleon über unzählige Menschen gebracht, uud zu sehen, daß hier des allmächtigen Gottes Hand über den unersättlichen Eroberer gekommen war, ihm Halt zu gebieten. Besonders war der Uebergang über die Beresina, den Napoleon selbst nur schwer erkämpft hatte, die Todespforte für viele Tausende, die in den eisigen Fluten ertranken. Napoleon war seinem Heere auf der Flucht vorausgeeilt, um in Frankreich neue Truppen zu werben; aber mit der flüchtigen Armee kam die Botschaft des verunglückten Feldzugs. Bis dahin war nur die Kunde von Siegen der Franzosen nach Deutschland gelangt. Daß von einer Armee von 600,000 Mann überhaupt kaum 58,000 Mann, die Rheinländer eingeschlossen, übrig geblieben waren, wer hätte es ahnen mögen?
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Auf dem Rückzüge hatte der preußische General York mit 17,000 Preußen das Macdonaldsche Korps decken sollen, hatte sich aber in harter Entschlossenheit — war doch sein König noch Verbündeter Napoleons — mit dem russischen General Diebitsch in der Neutralitätsübereinkunft von Tauroggen vereinigt. Das kam dem preußischen Kanzler Hardenberg, der so vorsichtig handelte, noch ungelegen. Er that den französischen Generalen in Berlin gegenüber sehr ungehalten und der König ließ Jork durch ein Kriegsgericht absetzen. In mutiger Freudigkeit nahm dieser die Verantwortlichkeit seiner That aus sich, er schrieb: „Ich schwöre Ew. Majestät, daß ich eben so ruhig auf dem Sandhaufen, wie auf dem Schlachtfelde, auf dem ich grau geworden, die Kugel erwarten werde."
Während Napoleon einen erneuten russischen Feldzug plante und dazu weit umsassende Rüstungen machte, wurde Preußen durch die unbarmherzig fortgesetzten Requisitionen und die übermütigste Geringschätzung Napoleons zum Handeln gedrängt. Noch zögerte der König, als Stein, jetzt Bevollmächtigter Alexanders, in Königsberg alle Kräfte in Bewegung setzte, Heer und Volk gegen Napoleon aufzuwiegeln. Die Willensäußerung des Königs war nicht eingetroffen, stand auch so bald nicht zu erwarten. Da berief Stein einen ostpreußischen Landtag,^ der die Anträge der Generale Clausewitz, Dohua, Schön, York it. A. zunächst auf die Errichtung der Landwehr annahm, die erst später die Genehmigung des Königs erhielten.
Nach dem Vertrage von Kalisch (28. Febrnar 1813) zwischen Preußen und Rußland, erließ Friedrich Wilhent III. den „Aufruf an Mein Volk' (17. März 1813), der gleich einem elektrischen Funken zündete, -vjii der gewissen Zuversicht, daß Gott der gerechten Sache den oteg verleihen werde, mahnte er zum Kampfe für die heiligsten Güter der Nation und der ganzen Menschheit. Der heiße Kampf werde außerordentliche Opfer verlangen, aber „keinen anderen Ausgang giebt es, als einen ehrenvollen Frieden oder einen ruhmvollen Untergang." Damit war das äußere Zeichen zum Beginn der „Freiheitskriege gegeben.
Am 16. März hatte der König schon die Kriegserklärungen an Napoleon erlassen, nachdem er am 10. März, dem Geburtstage der Königin Luise, das eiserne Kreuz gestiftet hatte.
MITTEL-EUROPA
ZUR ZEIT
DER GRÖSSTEN MACHTFULLE NAPOLEONS
im Jahre 1812.
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Grenze Frankreichs nach. dem 2. Pariser Frieden, 1815
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Urkunde über die Stiftung des eisernen Kreuzes.
lt)ic Friedrich Wilhelm, von Gottes Gnaden König von Preußen
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In der großen Katastrophe, von welcher für das Vaterland Alles abhängt, verdient der kräftige Sinn, der die Nation so hoch erhebt, durch ganz eigenthümliche Monumente geehrt und verewigt zu werden. Daß die Standhaftigkeit, mit welcher das Volk die unwiderstehlichen Uebel einer eisernen Zeit ertrug, nicht zur Kleinmütigkeit herabfank, bewährt der hohe Muth, welcher jetzt jede Brust belebt und welcher, nur auf Religion und auf treue Anhänglichkeit an König und Vaterland sich stützend, ausharren konnte.
21)ir haben daher beschlossen, das Verdienst, welches in dem jetzt ausbrechenden Kriege, entweder im wirklichen Kampf mit dem ^feinde oder außerdem im Felde oder daheim, jedoch in Beziehung auf diesen großen Kampf um Freiheit und Selbstständigkeit, erworben wird, besonders auszuzeichnen und diese eigenthümliche Auszeichnung nach diesem Kriege nicht weiter zu verleihen.
Dem gemäß verordnen lüir wie folget:
1. Die nur für diesen Krieg bestehende Auszeichnung des Verdienstes Unserer Unterthanen um das Vaterland ist
das eiserne Kreuz
von zwei Klassen und einem Groß-Kreuz.
2. Beide Klassen haben ein ganz gleiches in Silber gefaßtes schwarzes kreuz von Gußeisen, die Vorderseite ohne Inschrift, die Kehrseite zu oberst Unsern Namenszug F.W. mit der Krone, in der Mitte drei Cichenblätter und unten die Jahreszahl 1815, und beide Klassen werden an einem schwarzen Bande mit weisser Einfassung, wenn das Verdienst im Kampfe mit dem «feinde erworben ist, und an einem roeissen Bande mit schwarzer Einfassung wenn dies nicht der ^fall ist, im Knopfloch getragen; die erste Klasse hat neben dieser Dekoration noch ein Kreuz von schwarzem Bande mit weisser Einfassung aus der linken Brust; und das Großkreuz, noch einmal so groß als das der beiden Klassen, wird an dem schwarzen Bande mit weisser Einfassung um den Hals getragen.
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3. Die Militair-Ehrenzeichen erster und zweiter Klasse werden während der Dauer dieses Krieges nicht ausgegeben; auch wird die Crtheilung des rothen Adler-Ordens zweiter und dritter Klasse so wie des Ordens pour le merite, bis auf einige einzelne Fälle, in der Regel suspendirt. Das eiserne Kreuz ersetzt diesen Orden und Ehrenzeichen und wird durch-gängig von höheren und Geringeren auf gleiche weise in den angeordneten zwei Klassen getragen. Der Orden pour le merite wird in außerordentlichen Fällen mit drei goldenen (Eichenblättern am Ringe ertheilt.
4. Die zweite Klasse des eisernen Kreuzes soll durchgängig zuerst verliehen werden; die erste kann nicht anders erfolgen, als wenn die zweite fchon erworben war.
5. Daraus folgt, daß auch diejenigen, welche Orden oder Ehrenzeichen schon besitzen und sich in diesem Kriege auszeichnen, zunächst nur das eiserne Kreuz zweiter Klasse erhalten können.
6. Das Großkreuz kann ausschließlich nur für eine gewonnene entscheidende Schlacht, nach welcher der Feind seine Position verlassen muß, desgleichen für die Wegnahme einer bedeutenden Festung, oder für die anhaltende Vertheidigung einer Festung die nicht in feindliche Hände fällt, der Kommandirende erhalten.
7. Die jetzt schon vorhandenen Orden und Ehrenzeichen werden mit dem eisernen kreuz zusammen getragen.
8. Alle Vorzüge, die bisher mit dem Besitz des Ehrenzeichens erster und zweiter Klasse verbunden waren, gehen auf das eiserne kreuz über. Der Soldat, der jetzt schon das Ehrenzeichen zweiter Klasse besitzt, kann bei anderweitiger Auszeichnung nur zuerst das eiserne Kreuz der zweiten Klasse erhalten; jedoch erhält er mit demselben zugleich die mit dem Besitz des Ehrenzeichens erster Klasse verbundene monatliche Zulage, die aber fernerhin nicht weiter vermehrt werden kann.
9. In Rücksicht der Art des verwirkten Verluste diefer Auszeichnung hat es bei den in Ansehung Unserer übrigen Orden und (Ehrenzeichen gegebenen Vorschriften sein Bewenden.
Urkundlich unter Unserer allerhöchsteigenhändigen Unterschrift und beigedrucktem Königlichen Insiegel.
Gegeben Breslau, den 10ten März 1815.
Friedrich Wilhelm.
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An mein kriegsheer.
vielfältig habt Ihr das Verlangen geäußert, die Freiheit und Selbstständigkeit das Vaterlandes zu erkämpfen. — Der Augenblick dazu ist gekommen! — Cs ist kein Glied des Volkes, von dem es nicht gefühlt würde, freiwillig eilen von allen Seiten Jünglinge und Männer zu den 11)affen. XDas bei diesen freier IDille, das ist Beruf bei (Euch, die Ihr zum stehenden Heere gehört, von Euch — geweiht das Vaterland zu vertheidigen — ist es berechtigt zu fordern, wozu Jene sich erbieten.
Seht! wie so viele Alles verlassen, was ihnen das Theuerste ist, um ihr Leben mit (Euch für des Vaterlandes Sache zu geben. — fühlt also doppelt (Eure heilige Pflicht! Seid Alle ihrer eingedenk am Tage der Schlacht, wie bei (Entbehrung, Mühseligkeit und innerer Zucht! Des Einzelnen Ehrgeiz — er fei der Höchste oder der Geringste im Heere — verschwinde in dem Ganzen: Wer für das Vaterland fühlt, denkt nicht an sich Den Selbstsüchtigen treffe Verachtung, wo nur dem •allgemeinen wohl es gilt. Diesem weiche jetzt Alles. Der Sieg geht aus von Gott! Zeigt (Euch feines hohen Schutzes würdig durch Gehorsam und Pflichterfüllung, Muth, Ausdauer, Treue und strenge Ord-nung fei (Euer Ruhm, folgt dem Beispiel (Eurer vorfahren; seid ihrer würdig und (Eurer Nachkommen eingedenk!
Gewisser Lohn wird treffen den, der sich auszeichnet; tiefe Schande und strenge Strafe den, der feiner Pflicht vergißt!
(Euer König bleibt stets mit Euch; mit Ihm der Kronprinz und die Prinzen Seines Hauses. Sie werden mit (Euch kämpfen — Sie und das ganze Volk werden kämpfen mit (Euch, und an Unserer Seite sin zu Unserer und zu Teutfchlands Hülfe gekommenes, tapferes Volk, das durch hohe Thaten feine Unabhängigkeit errang. Es vertraute feinem Herrscher, feinen führern, feiner Kraft — und Gott war mit ihm! So auch Ihr! — denn auch XDir kämpfen den großen Kampf um des Vaterlandes Unabhängigkeit.
vertrauen auf Gott, Muth und Ausdauer fei Unsere Losung!
Breslau, den 17ten März 1313.
Friedrich Wilhelm.
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An mein Volk.
@o wenig für Mein treues Volk als für Deutsche, bedarf es einer Rechenschaft, über die Ursachen des Krieges, welcher jetzt beginnt. Klar liegen sie dem unverblendeten Europa vor Augen.
wir erlagen unter der Uebermacht Frankreichs. Der Frieden, der bie Hälfte Meiner Unterthanen Mir entriß, gab uns feine Segnungen nicht; denn er schlug uns tiefere Wunden, als selbst der Krieg. Das Mark des Landes ward ausgefogen, die Hauptfestungen blieben vom feinde besetzt, der Ackerbau ward gelähmt so wie der sonst so hoch gebrachte Kunstfleiß unserer Städte. Die Freiheit des Handels ward gehemmt, und dadurch die Duelle des (Erwerbs und des Wohlstands verstopft. Das Land ward ein Baub der Verarmung.
Durch die strengste (Erfüllung eingegangener Verbindlichkeiten hoffte Ich Meinem Volke (Erleichterung zu bereiten und den französischen Kaiser endlich zu überzeugen, daß es fein eigener Vortheil sey, Preußen feine Unabhängigkeit zu lassen. Aber Meine reinsten Absichten wurden durch Uebermuth und Treulosigkeit vereitelt, und nur zu deutlich sahen wir, daß des Kaisers Verträge mehr noch wie feine Kriege uns langsam verderben mußten. Jetzt ist der Augenblick gekommen, wo alle Täuschung über unseren Zustand aufhört.
Brandenburger, Preußen, Schlesier, Pommern, Litthauer! Ihr wißt, was Ihr feit fast sieben Jahren erduldet habt, Ihr wißt, was euer trauriges Loos ist, wenn wir den beginnenden Kampf nicht ehrenvoll enden. (Erinnert Tuch an die Vorzeit, an den großen Kurfürsten, den großen Friedrich. Bleibt eingedenk der Güter, die unter ihnen unsere vorfahren blutig erkämpften: Gewissensfreiheit, (Ehre, Unabhängigkeit, Handel, Kunstfleiß und Wissenschaft. Gedenkt des großen Beispiels unserer mächtigen Verbündeten, der Russen, gedenkt der Spanier, der Portugiesen. Selbst kleinere Völker sind für gleiche Güter gegen mächtigere tfeinde in den Kampf gezogen und haben den Sieg errungen. (Erinnert (Euch an die helöenmüthigen Schweizer und Niederländer.
Große Opfer werden von allen Ständen gefordert werden: denn unser Beginnen ist groß, und nicht geringe bie Zahl und die Mittel unserer Feinde. Ihr werdet jene lieber bringen für das Vaterland, für (Euren angeborenen König, als für einen fremden Herrscher, der wie so viele Beispiele lehren, (Eure Söhne und Cure letzten Kräfte Zwecken widmen würde, die (Euch ganz fremd sind, vertrauen auf Gott, Aus-
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5>auer, Muth und der kräftige Leistand unserer Bundesgenossen, werden unseren Anstrengungen siegreichen Lohn gewähren.
Aber welche Opfer auch von Einzelnen gefordert werden mögen, sie wiegen die heiligen Güter nicht auf, für die wir sie hingeben, für die wir streiten und siegen müssen, wenn wir nicht aufhören wollen, Preußen und Deutsche zu fe^n.
Cs ist der letzte entscheidende Kampf, den wir bestehen für unsere Existenz, unsere Unabhängigkeit, unsern Wohlstand; keinen anderen Ausweg giebt es, als einen ehrenvollen Frieden oder einen ruhmvollen Untergang. Auch diesem würdet ihr getrost entgegen gehen um der (Ehre willen, weil ehrlos der Preuße und Deutsche nicht zu leben vermag. Allein wir dürfen mit Zuversicht vertrauen: Gott und unser fester willen werden unserer gerechten Sache den Sieg verleihen, mit ihm einen sicheren glorreichen Frieden und die Wiederkehr einer glücklichen Zeit.
Breslau, den 17. März 1813.
Friedrich Wilhelm.
Die begeisterten Scharen der Freiwilligen, welche herbei strömten und sich um ihren König drängten, hatten zur Genüge gezeigt, daß ein ganzes, tapfres, todesmutiges Volk den Entscheidungskampf aufnehmen wollte. Scharnhorst nannte es den schönsten Tag seines Lebens^ als er dem König die jubelnden Scharen der Freiwilligen vorführen konnte. Der entkräftete, klein gewordene preußische Staat stellte 271 000 Mann ins Feld, auf 17 Bewohner je einen Soldaten. Alte Offiziere, Schüler, Studenten und Professoren, greise Beamte, alle wollten helfen, das Vaterland frei zu machen von welscher Unterdrückung. Viele rüsteten sich selbst aus; denn der Staat war so arm, daß er nur notdürftig eqnipieren konnte. Die Frauen brachten freiwillig ihre Schmucksachen, selbst ihre Trauriuge, sie für eiserne einzutauschen, welche die Inschrift trugen, „Gold gab ich für Eisen." Da wurde kein Opfer zu groß, keius zu gering geachtet, selbst das lange blonde Haar des armen Fräuleins Ferdinande von Schmettau war ein solches. Das war kein „vergebliches Schütteln an der Kette", wie es Goethe nannte. „Das Volk steht auf, der Sturm bricht los!" jubelte es bei allem Weh der Knechtschaft durch das Land. Wie griffen die Heldensänger zu Leyer und Schwert: Theodor Körner, der bei Gadebusch fiel, Arndt,
Born hak. Unser Vaterland. 4ß
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der wetterharte Pommer, Max von Schenkendorf, der trotz seines gelähmten rechten Arms am Kampfe teilnahm!
Und Preußen band sich nicht engherzig an seines Landes Grenzen; Preußen wollte Deutschland frei machen. „Frisch auf zum fröhlichen Jagen!" war das Kampflied der freiwilligen Jäger, die sich selbst ausrüsteten. Das Lützowsche Freikorps wollte Deutsche aus allen Gauen aufnehmen; daß so wenige, etwa aus den Rheinbundländern kamen, war nicht Preußens Schuld.
Da war eine Landwehr, die erst im Kriege kriegstüchtig werden mußte, ein Landsturm, der die äußersten schwachen Kräfte sammelte, Greise, Verwachsene, Knaben, die vielleicht nur Handreichung zu thun vermochten. Daß auch Frauen, als Männer verkleidet, im Kampfe den Heldentod fanden, zeigt, wie die ganze hehre Volksseele auf einmal erwacht war. Wer nicht mit den inr. Gotteshause zum heiligen Kriege Geweihten gegen den Feind zog, der betete und arbeitete daheim für die Kämpferscharen. Frauenvereine, an deren Spitze die preußischen Prinzessinnen standen, sorgten für die Ausrüstung, für die Pflege der Verwundeten. Auch hier kann die ganze Fülle und Größe der Erhebung nur der ahnen, dem es vergönnt war, Zeitgenossen und Augenzeugen von dieser Zeit berichten zu hören. Sühne für die so lange Jahre hindurch getragene Schmach, Sühne für den Tod der Engelskönigin Luise, Rache für die geknechtete Freiheit eines edeln Volkes, sie kannten nicht mehr Menschenfurcht, nur Vertrauen aus die endliche Hilfe des gerechten Gottes. Die vorn König gewählte Devise des Kreuzes auf der Mütze der Landwehrleute „Mit Gott für König und Vaterland" wurde die Losung aller Vaterlandsfreunde.
Dem Kampfesmut des Volkes gingen die Zurüstungen gar zu langsam. Preußeu hoffte im Kaiser von Oesterreich einen Verbündeten zu finden; aber dieser suchte bis dahin immer noch seinen Schwiegersohn Napoleon zu schonen. Von allen deutschen Fürsten trat zunächst nur der Herzog von Mecklenburg-Schwerin an Preußens Seite. „Mit Gottes Hilfe werde ich mich der Ehre würdig zeigen, ein deutscher Fürst zu sein," damit hatte er sich der Befreiung Deutschlands angeschlossen. In fast unglaublicher Schnelle stand Napoleon mit einem großen Heere kampfbereit in Deutschland; seine Gemahlin hatte er zur Regentin Frankreichs bestellt, als er am 14. April 1813 Paris verließ. Schon am 25. April hatte er die Aufstellung feiner Truppen in Erfurt vollendet.
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Im Nordosten Deutschlands hatten die Nüssen die französischen Truppen aus Preußen verdrängt, dessen König sich mit dem russischen Kaiser endlich verbündet hatte. Auch Schweden war dem Bunde bei-■gctreteix gegen die Aussicht auf den Besitz Norwegens. Der russische General Wittgenstein befehligte Russen und Preußen in der Mark, Blücher ein preußisches Heer in Schlesien. Als bald darauf Hamburg, Lübeck, überhaupt die ganze Niederelbe durch den Kosackenoberst Tettenborn von den Franzosen befreit wurde, hob das wohl den Mut des deutschen Volkes; aber man verhehlte sich nicht, daß die sieggewohnten Franzosen, mitten im Herzen Deutschlands stehend, noch recht schwere Tage bringen würden.
Nach kleinern Gefechten, wie der Niederlage des Vizekönigs Eugen (Beauharnais) von Italien bei Möckern (5. April), suchten die Verbündeten in den Ebenen Leipzigs einen Kampf mit Napoleon und erlitten unter der Uebermacht feiner Truppen am 2. Mai die Niederlage bei Lützeu (Großgörschen), die noch verhängnisvoller dadurch wurde, daß Scharnhorst an den in der Schlacht erhaltenen Wunden starb. Auch Blücher, der neunzehn Stunden zu Pferde gesessen hatte, war verwundet, und was das Schlimmste war, Napoleon kam über die Elbe, besetzte Dresden und zwang seine Gegner zu einem Kampfe bei Bautzen, der zwar keinen vollen Sieg für ihn bedeutete, aber die Verbündeten Zum Rückzug nach Schlesien zwang. Doch hatte Napoleon zähneknirschend geäußert, die „Hunde hätten etwas gelernt" (20. und 21. Mai 1813).
Trotz seiner Ueberlegenheit, selbst an Heeresstärke, unterschätzte Napoleon keinen Angenblick die Gefahr, welche ihm schon in der Begeisterung seiner Gegner drohte. Er erlangte durch Oesterreichs Vermittelung einen Waffenstillstand, der den Verbündeten, besonders Preußen, wie eine Niederlage erschien, und doch führte die Ruhe zu neuer Kräftigung. Zwar suchte Oesterreich auch jetzt noch den Frieden zu vermitteln, wurde aber von Napoleon selbst zurückgewiesen und den Verbündeten in die Anne gedrängt, als auch England sich ihnen angeschlossen hatte.
So sah sich Frankreich am Ende des Waffenstillstands von drei mächtigen Heeren der Verbündeten, 800,000 Mann, umstellt, gegen die es selbst nur etwa 490,000 Mann in den Kampf führen konnte. Der österreichische Feldmarschall Fürst Schwarzenberg, stand an der Spitze der Böhmischen oder Hauptarmee; ihr folgten der preußische
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König und der russische Kaiser. Die schlesische Armee führte Blücher, unter ihm Gneisenau, die Nordnrmee der Kronprinz von Schweden (Bernadotte), unter ihm der preußische General v. Bülow.
Obgleich die Verbündeten jetzt Napoleons Heer an Zahl überlegen waren, so ruhte eine Gefahr in der geteilten Heeresleitung, die nur zu gutem Ziele führen konnte, wenn der Plan, die Hauptarmee Napoleon bei Dresden entgegen zu führen, die beiden andern ihm in den Rücken und zur Seite schwenken zu lassen, genau in einander griff. Das französische Heer wurde zwar von einem einheitlichen Willen gelenkt, aber ein Kriegsüberdruß und der sinkende Glaube an Napoleons Glücksstern, waren für die französischen Waffen sehr bedenklich, falls die Verbündeten keine Fehler begingen, die den Franzosen nützen konnten.
Der Anfang war für die Verbündeten wenig Glück verheißend. Eben rückte Schwarzenberg nach Dresden vor, als er auch schon von Napoleon zurückgedrängt wurde (26. u. 27. August), der aus Schlesien herbeigeeilt war. Doch bereits am 23. August waren die Franzosen vom Nordheer geschlagen worden, dessen Führer, der Kronprinz von Schweden (Bernadotte), anfangs recht unthätig verharrte, um seine
Soldaten für eine mögliche Besitzergreifung Norwegens zu schonen,
vielleicht auch mit ihrer Hülfe einst Anspruch auf den französischen
Thron zu erheben. Das Zögern hätte verhängnisvoll werden können, da Napoleon direkt nach Berlin zu ziehen gedachte und den französischen Emporkömmling Bernadotte richtig schätzte. Für die ganze Masse der Verbündeten sollte es überwältigend wirken: Berlin von den Franzosen erobert, durch sie in Brand geschossen! Napoleon und Bernadotte hatten nicht in Rechnung gezogen, daß in der Nordarmee zwei preußische Generale auf der Wacht standen, die Hauptstadt ihres Landes zu
schützen, Tauentzieu und Bülow. Schon waren die Franzosen nur noch wenige Stunden von Berlin entfernt, da trafen 50,000 Preußen bei Groß beeren anf den Feind, den zuerst Tauentzien zurückdrängte, dann auch Bülow gegen den direkten Befehl des schwedischen Kronprinzen. Bei strömendem Regen hatte der Kampf begonnen, bald versagten die Gewehre, und die Märker nahmen nach erprobter Art die Kolben als Waffe. Mit dem Rufe: „So fluscht et bäter!" räumten sie untern den Gegnern auf. Bei hereinbrechender Nacht hatten die Preußen den Sieg gewonnen, den sich der Kronprinz von Schweden nachträglich zuschrieb, ohne den Preußen Dank zu gönnen. Die
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Berliner eilten am folgenden Tage hinaus in das Lager, ihren Befreiern zu danken und sie zu erquicken. Der König erhob den bis dahin wenig bekannten Bülow mit dem Zunamen von Dennewitz in den Grafenstand, nachdem er neben Taueutzien noch einmal (6. September) den Franzosen den Weg nach Berlin durch die Schlacht bei Dennewitz gründlich verleidet hatte.
An der Katzbach, zwischen Jauer und Liegnitz, hatte inzwischen Blücher das schlesische Heer zum Siege geführt (26. August). Als die anrückenden Franzosen unter Macdonald die vom Regen angeschwollene Katzbach durchwatet hatten und am entgegengesetzten Ufer emporklimmen wollten, rief Blücher: „Nun Kinder, hab' ich genug Franzosen herüber, nun vorwärts!" Und dmnf ging es mit umgekehrtem Flintenkolben, da der Regen das Pulver durchnäßt hatte. Schon brach französische Reiterei hervor, die Blücherschen Husaren wichen bereits, da stürmte der greise Feldherr mit gezogenem Säbel voran: „Vorwärts, Kinder, vorwärts!" Die Franzosen wurden zur wütenden Neiße hingedrängt, die Pferd und Reiter in ihren Wellen begrub. Blücher nahm 18,000 Franzosen gefangen, 12,000 Verwundete und Tote bedeckten das Schlachtfeld. Von da an nannten die Soldaten ihren Feldherrn „Marschall Vorwärts." Sein König ernannte ihn, nach einem Dorfe an der Katzbach, zum Fürsten von Wahlstatt.
Gerhard Leberecht von Blücher greift von nun an durch seine persönliche Eigenart so energisch in das Geschick der Freiheitskriege ein, daß die Schilderung seiner Zeitgenossen über ihn allezeit von Bedeutung bleibt. Das dadurch gegebene Bild seiner Persönlichkeit faßt ein Geschichtschreiber der Neuzeit also zusammen: „Aus Blüchers ganzem Wesen sprach die innere Freudigkeit des geborenen Helden, jene unverwüstliche Zuversicht, welche das widerwillige Schicksal zu bändigen scheint. Den Soldaten erschien er herrlich, wie der Kriegsgott selber, wenn der schöne, hochgewachsene Greis noch mit jugendlicher Anmut seinen feurigen Schimmel tummelte; gebieterische Hoheit lag auf der freien Stirn und in den großen, tief dunkeln, flammenden Augen; um die Lippen, unter dem dicken Schnurrbart, spielte der Schalk der Husaren-li|t unb die herzhafte Lebenslust. Ganz frei von Menschenfurcht, mit unumwundenem Freimut, sagte Blücher jebem seine Meinung ins Gesicht, unb boch lag selbst in seinen gröbsten Worten nichts von Steins verletzenber Schärfe . . Die Kunst bes Befehlend verstanb er aus bcm Gambe. Von ber Mannschaft bürste er das Unmögliche verlangen.
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wenn sein „Vorwärts" aus seinen Augen blitzte . . . Die unverwüstliche Kraft des Höffens und Vertrauens wurzelte bei ihm, wie bei
Stein, in einer schlichten Frömmigkeit . . Der schönste Zug des
ganzen Mannes aber bleibt seine Demut, in der er nach gewonnener
Schlacht jeden Ruhm von sich wies mit den Worten: „Was ist's weiter, des lieben Gottes Barmherzigkeit,. Gneisenaus Besonnenheit und mein bischen Verwegenheit hats gethan!"
Wenige Tage nach Blüchers herrlichen Erfolgen an der Katzbach siegten russische und österreichische Truppen bei Kulm und Nollendorf (29. und 30. Aug.) und vernichteten fast das ganze Heer des Marschalls Vandamme, den sie samt 10,000 Franzosen gefangen nahmen.
Einzelne kleinere Gefechte, wie bei Belzig (27. August) und weiter nördlich bei Gadebusch in Mecklenburg, wo der Dichter Theodor-Körner fiel (26. August), sind wohl keine entscheidenden Schlachten; aber die Franzosen blieben allmählich immer mehr im Nachteil, so daß, als endlich die Völkerschlacht bei Leipzig Napoleons Geschick entschied, sein Siegeslauf längst vorher sich dem Untergange zugeneigt hatte.
In zäher Hartnäckigkeit hatte sich Napoleon mit seiner Hauptmacht an der Elbe festgesetzt, statt sich nach so vielen Niederlagen, die ihm bereits 120,000 Mann gekostet, den Rückzug zu sichern. Von Dresden aus suchte er bald die Armee Schwarzenbergs (böhmische), bald das Blüchersche Heer zu. einer Hauptschlacht zu zwingen; doch die Verbündeten hatten einen weiter greifenden Plan, Napoleons Macht endlich zu erdrücken. Nachdem General Aork die Franzosen unter Bertrand bei Wartenburg an der Elbe besiegt und sich dadurch den Uebergang über dieselbe gebahnt hatte, folgte ihm Blücher am andern Tage mit seiner ganzen Armee und vereinigte sich mit der gleichfalls die Elbe überschreitenden Nordarmee unter dem Kronprinzen von Schweden Blücher hatte die Franzosen durch einen Rechtsmarsch umschritten; die. Hauptarmee unter Schwarzenberg, durch russische Reserven verstärkt, hatte ihren Weg nach Sachsen durch Linksschwenkung genommen; Bennigsen ließ direkt nach Dresden marschieren.
Nun mußte Napoleon wohl oder Übel dort seine Stellung aufgeben. Scheinbar völlig ratlos, zog er die Elbe abwärts und lagerte vier Tage lang mit feinen Truppen bei Düben. Endlich machte er Anstalt, seine ganze Heeresmacht bei Leipzig zusammen zu ziehen, und schon am 14. uud 15. Oktober 1813 fanden feindliche Bewegungen
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statt. Am 16. Oktober wurden die Kämpfe weitgreifender und am 18. Oktober war die große Völkerschlacht bei Leipzig, welche dem deutschen Volke endlich die Befreiung von der französischen Fremdherrschaft brachte.
In der meilenweiten Ebene auf der rechten Uferseite der Elbe und Pleiße breiteten sich die Heeresmassen in endloser Zahl, als der Morgen des 16. Oktober trübe und regnerisch anbrach. Den Verbündeten wurde die Schlacht durch folgende Proklamation angekündigt: „Wackre Kriegsleute, die Stunde schlägt. Rüstet euch zum Streite! Russen, Preußen, Oesterreicher! Ihr alle kämpft für eine Sache, für die Freiheit Europas, für die Unabhängigkeit eurer Staaten, für die Unsterblichkeit eurer Namen. Alle für einen, jeder für alle. Mit diesem Feldgeschrei eröffnet den heiligen Kampf. Bleibt ihm treu in der entscheidenden Stunde und der Sieg ist euer!"
Die Hauptmacht Napoleons, 190,000 Mann, bildete einen Halbkreis von Paunsdorf nach Probstheida bis Connewitz. Den Franzosen, denen sich außerdem die Sachsen, auch Rheinbundstruppen und was sonst noch unter den Feldherrnstab des „Empire“ sich beugte, anschlossen, standen in einem Halbkreis die Verbündeten, 300,000 Mann, gegenüber. Bei den Dörfern Wachau und Lieberlwolkwitz begann Napoleon den Angriff, scheiterte aber an der Staudhafligkeit der Verbündeten, da die Marschälle Marino nt und Ney, von denen der Kaiser Hülfe erwartete, von der schlesischen Armee bei Möckern völlig geschlagen waren.
Am 17. Oktober, einem Sonntag, ruhte der Kampf, und Napoleon versuchte vergeblich, mit seinem Schwiegervater glücklich zu unterhandeln. Die Russen füllten an jenem Tage den Halbkreis der Verbündeten nach Osten ans, so daß den Franzosen nur ein etwaiger Rückzug nach Westen, nach Leipzig und den Flüssen Elster und Pleiße zu, blieb. Trotz dieser ungünstigen Lage behielt Napoleon den trotzigen Mut und blinden Glauben an ein mögliches Kriegsglück der französischen Waffen.
So brach der 18. Oktober an. Nördlich von Leipzig stand Jork, noch in der Umgegend von Möckern; östlich schlossen sich ihm die russischen Truppen der schlesischen Armee und die Nordarmee an. Bald erhob sich ein erbitterter Kampf der südlich stehen-deu Russen unter Beuuigsen um das Dorf Probstheida und der Schwarzenbergschen Armee gegen die von Napoleon geführten französischen Kerntruppen, die ihre Stellung tapfer zu behaupten wußten. Von Norden und Osten vermochten die Verbündeten fast bis nach
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Leipzig vorzudringen; zu ihnen waren mitten im Gefecht die sächsischen und Württembergischen Truppen mit klingendem Spiel übergegangen.
Von der Höhe eines Windmühlenbergs beobachtete Napoleon mit gespanntester Aufmerksamkeit die Entwicklung der Schlachtenlinie, das Vorgehen der ihm nun überlegenen Verbündeten, deren Geschützdonner aus mehr denn 1000 Kanonen über das Schlachtfeld dröhnte. Noch behaupteten sich die Franzosen im Zentrum; aber bald war ihre Lage hoffnungslos. Napoleon war ein gebrochener Mann. Nachdem er seinen Truppen den Befehl zum Rückzüge gegeben hatte, sank er erschöpft anf einen Stuhl nieder, den er sich auf die Bergeshöhe hatte bringen lassen. Eine Viertelstunde lang schien er zu schlafen, dann sah er verwundert um sich her auf die Offiziere am Wachtfeuer, dessen flackernder Schimmer sein bleiches Antlitz streifte. Nach augenblicklichem Besinnen erteilte er Befehle. Da schlug eine Granate mitten in das Wachtfeuer, daß Splitter und Funken umherflogen, dann schoß eine Kanonenkugel auf die letzten Flammen nieder. Sinnend blickte Napoleon darauf hin, eine Minute, dann wendete er sich ab, nach Leipzig aufzubrechen. Tort arbeitete er im Gasthofe zum König von Preußen mit feinen Vertrauten die ganze Nacht hindurch. Er konnte nur noch auf die Möglichkeit eines gesicherten Rückzugs denken, den ihm die Verbündeten zu stören gedachten. Schon während der Nacht drängten die französischen Truppen zur Stadt hinaus (19. Oktober 1813). Als aber am andern Morgen von allen Seiten die Angriffssignale der Verbündeten ertönten, und die Preußen von Norden her auf die Flüchtigen feuerten, wurde der Rückzug der Franzosen zum wilden Treiben und Drängen, in dem kaum Napoleon entkam. Hinter sich hatten die Franzosen die Elster-
brücke gesprengt, aber zu früh für diejenigen der Ihrigen, die noch jenseits waren, und nun durch die Elster hindurch zu schwimmen versuchten, aber massenhaft in derselben den Tod fanden.
Unter dem Donner der Kanonen hielten die Verbündeten ihren Einzug in die erstürmte Stadt, an ihrer Spitze Kaiser Alexander von Rußland, König Friedrich Wilhelm III. von Preußen und Kaiser Franz von Oesterreich. Ein altes Volkslied singt in möglichst einfachen Worten bei ihrem Sieg:
Und Fürst und Volk fiel auf die Knie,
Gott hat's gethan, so riefen sie Und schöpften wieder Odem.
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Durch ganz Europa zog Siegesjubel, daß endlich Napoleons Macht vernichtet war. Den Verbündeten hatte die Völkerschlacht bei Leipzig 51 000 Tote und Verwundete gekostet. Sechs Tage später hatte Napoleon Erfurt erreicht, von wo er über Hanau nach Paris entkam, ohne sonderlich ausgehalten zu werden. Bei Hanau hatte sich ihm der bayerische General von Wrede erfolglos entgegen gestellt, nachdem die Bayern schon vor der Leipziger Schlacht den Rheinbund verlassen und sich den Verbündeten allgeschlossen hatten. Auch die andern Rheinbundfürsten ließen Napoleon im Stich; der Rheinbund löste stch auf. Das Königreich Westfalen, das ©roß herzogtu nt Frankfurt und Berg brachen ebenfalls zusammen, und die vertriebenen deutschen Fürsten kehrten wieder in ihre Länder zurück. Sachsen, dessen König als Napoleons Verbündeter in Berlin gefangen gehalten wurde, stellten die Monarchen einstweilen unter eine „Zentral-Verwaltuugsbehörde."
Kaum hatte ein großer nationaler Gedanke die Völker in der Leipziger Schlacht vereinigt, als schon Rußland wie Oesterreich sich mühten, eine deutsche Einheit, etwa unter Preußens Oberhoheit, zu hindern. Ganz Deutschlaud aber war bereit, gegen Napoleon einzutreten, als unter Rußlands und Oesterreichs Einfluß Frankreich Friedensbedingungen gemacht wurden mit dem Versprechen, es nur auf seine natürlichen Grenzen (Rhein!) beschränken zu wollen. Aber noch war Napoleon nicht so weit, sich Bedingungen stellen zu lassen. Nach langen fruchtlosen Unterhandlungen wurde mit dem neueu Jahre (1814) die Fortsetzung des Krieges von den Verbündeten beschlossen, dessen Devise war: Vom Rhein nach Paris!
Nach dem gemeinsam festgestellten Kriegsplane sollte Sch warze n-6erg mit 190 000 Mann durch die Schweiz und den Elsaß nach Btu'gund ziehen, sich dort mit dem siegreich ans Spanien zurückkehrenden Wellington zu vereinigen. Blücher war bestimmt, mit dem schlesischen Heere geraden Wegs nach Westen vorzudringen; seinen rechten Flügel sollte Bülow decken, der eben Holland seinem rechtmäßigen Herrn, Wilhelm von Oranien, zurück erobert hatte.
In der Neujahrsnacht 1813 bis 14 überschritten die Verbündeten zwischen Hüningen und Koblenz den Rhein, Blücher mit den Seinen bei Kaub. Von da zog er in Eilmärschen südwärts, sich mit Schwarzenberg zu vereinigen, ohne zu ahnen, wie sehr Oesterreich geneigt war, den französischen Kaiser zu schonen. Bei Brienne stieß Bl sicher auf Napoleon (29. Januar 1814), doch brachte das Gefecht
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keine nennenswerte Entscheidung; wenige Tage später indessen gelang es dem Marschall Vorwärts, vereint mit dem Kronprinzen von Württemberg, Napoleon bei La Rothiere zu besiegen (1. Februar) und dadurch die Champagne für die Verbündeten zu gewinnen.
Jetzt hinderte nichts den Siegeslauf nach Paris. Aber die geteilten Ansichten uud sich widersprechenden Befehle, welche besonders durch Oesterreichs Zögern veranlaßt wurden, ließen zwischen den Heeren Schwarzenbergs und Blüchers eine verhängnisvolle Lücke entstehen, die Napoleon mit schnellem Feldherrnblick übersah und benutzte. Eine Reihe glänzender Gefechte vom 14. bis 16. Februar machten noch einmal Napoleon zum stolzen Sieger. Die schlesische Armee schien vernichtet. Die Generale Gneisennn, Prinz August, Kleist, Grolinann, waren in höchster Lebensgefahr gewesen. Blücher selbst hatte im Kampfe (bei Etoges), an allem verzweifelnd, den Tod gesucht; doch hatten die tapfern Truppen ihren Generalen einen Ausweg erfochten. So wuchs den Franzosen der Mut, und ihre Keckheit machte den Verbündeten im Hauptquartier bange. Schon ordnete Schwarzenberg den Rückzug der böhmischen Armee an, und Blücher, der zu Mery an der Seine jeden Augenblick den Befehl zum Angriff erwartete, sollte auch zurückgehen. Das war dem alten Haudegen zu viel. In rührenden Worten bat er seinen König wie den russischen Kaiser um die Erlaubnis, vereint mit Winzingerode und Bülow, der eben aus den Niederlanden eintraf, nach Paris gehen zu dürfen. „Ich dar ff mir alles Gnhte davon versprechen," schrieb er am 22. Februar 1814 an den russischen Kaiser, „wenn Sie gnädigst zu bestimmen geruhen, daß die Generale von Wiuziugerode und von Bülow meiner Aufforderung genügen müssen; in dieser Verbindung werde ich auf Paris vordringen, ich Scheue so wenig Kaiser Napoleon wie feilte Mar schalle, wenn sie mir entgegen treten."
In seiner Erregung wartete Blücher gar nicht erst auf die Antwort, sondern ließ gleich auf Paris marschieren, Napoleon ihm nach, während Schwarzenberg den Befehl erhalten hatte, die zurückbleibenden französischen Truppen bei Bar für Anbe anzugreifen. Dieses siegreiche Gefecht ist besonders für Preußen eine wertvolle Erinnerung, weil hier der siebzehnjährige Prinz Wilhelm, später Kaiser Wilhelm f., zum ersten Male im Schlachtenfeuer stand. In großer Kaltblütigkeit hatte er den Befehl seines königlichen Vaters ausgeführt, zurück zu reiten, um zu sehen, welches Regiment so furchtbare Verluste zu er-
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leiden scheine. Mitten im Feuer stehend hatte er, so viel es anging. Tote und Verwundete des Regiments Muga gezählt. Am nächsten
Geburtstag der Heimgegangenen Mutter belohnte ihn der König für die bewiesene tapfere Ruhe mit dem eisernen Kreuze, später der Kaiser von Rußland mit dem St. Georgsorden.
Trotz der Intriguen Frankreichs und Oesterreichs, die beide, jedes nach seiner Art, den Interessen der Verbündeten entgegen arbeiteten, wurde, sonderlich unter dem Einflüsse Steins auf Kaiser Alexander die Fortsetzung des Krieges beschlossen, und das unter einem neuen Vertrage vorn 1. März 1814 (von ©Haumont).
Nun konnte Blücher ungestört seinen Marsch nach Paris fortsetzen, aber wieder eilte Napoleon ihm entgegen: wußte er doch, wie sehr gerade dieser Feldherr zu fürchten war. Am 9. März griffen die Franzosen Blücher ziemlich erfolglos an, auch Schwarzenbergs Truppen widerstanden tapfer. Endlich brach Napoleon in wilder Hast einen Kampf ab, der ihm nur Verderben bringend erschien. Doch meinte
er in alter Verschlagenheit, die Gegner täuschen zu können. Um sie von Paris hinweg zu locken, marschierte er dem Rhein zu. Die Verbündeten ließen es sich wohl gefallen, daß dadurch der Weg nach Paris offen blieb. Dafür gaben sie den Rhein preis, suchten aber auch ihrerseits Napoleon zu täuschen. Als ob sie seinen Winkelzug für hochgefährlich hielten, sandten sie ihm ein russisches Korps entgegen. Alle andern verbündeten Truppen wurden bei Chalons zusammengezogen, von da auf verschiedenen Wegen Paris zu umschließen. Der ewig zögernde Kaiser von Oesterreich, der es allemal eben so gut mit Napoleon hielt, wie mit den Verbündeten, am meisten aber mit sich selbst, hatte sich bestimmen lassen, zur Südarmee abzugehen, den Weg nach Italien frei zu halten. Damit war er den Verbündeten wenigstens auf ihrem Wege nach Paris nicht hinderlich, das sie in den letzten Tagen des März erreichten. Die Marschälle, welche die damals unbefestigte Hauptstadt verteidigen sollten, versuchten zwar einen geringen Widerstand, und Blücher hatte schon 84 Kanonen auf den Montmartre hinauf schleppen lassen, Paris zu beschließen; aber am folgenden Tage kapitulierte es freiwillig, und am 31. März 1814 hielten Kaiser
Alexander und König Friedrich Wilhelm III. ihren Siegeseinzug in
die Stadt. Das französische Volk begrüßte mit höchstem Jubel Frankreichs Feinde. Durch ein Manifest wurde erklärt, Napoleon habe aufgehört zu regieren. Einen Tag später verlangte der französische Senat
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die Rückkehr der Bourbonen auf Frankreichs Thron. Ludwig XVIII., Bruder des gemordeten Königs Ludwig XVI., wurde als Frankreichs König berufen.
Trotz der kurzen Belagerungszeit hatte die Einnahme von Paris unverhältnismäßig große Opfer gekostet; vielleicht war in dem stürmischen hastigen Verlangen, die französische Kaiserstadt zu. nehmen, die ruhige Vorsicht nicht genug bewahrt worden. Blücher hatte es sich nicht nehmen lassen, trotz arg entzündeter Augen, über die er einen grünen Schleier nehmen mußte, von Kolonne zu Kolonne zu fahren und mitten im Sturm die Truppen anzufeuern, sich selbst und seinem Eifer zu genügen.
Mit Windeseile stürmte Napoleon herbei, Paris zurück zu erobern, als er merkte, wie gut die Verbündeten seine Pläne durchschaut und sogar vorsichtig 100000 Mann an dem linken Seineufer aufgepflanzt hatten, ihm den Weg zu verlegen. Als aber Napoleon die Verbündeten angreifen wollte, fiel der größte Teil des eignen Heeres von ihm ab; selbst die Generale hatten keine Lust, sich für eine verlorene Kaiserkrone zu opfern. Am 2. April hatte der Senat unter Schmähungen die Absetzung desselben Kaisers ausgesprochen, den das ganze Volk so oft siegestrunken umjubelt, den fein Heer fast vergöttert hatte. Endlich sah der kaiserliche Emporkömmling keinen andern Ausweg, als der Uebermacht zu weichen und die unbedingte Abdankung für sich und seine Nachkommen in Frankreich und Italien zu unterzeichnen (11. April 1814). Unter Gewährung einer reichen Zivilliste wurde er auf die Frankreich und Italien benachbarte Insel Elba gewiesen, wohin ihm nicht einmal seine Gemahlin folgte. Durch Vermittlung ihres Vaters erhielt sie Parma mit Piacenza und Guastalla als Herzogtum. Auch die übrigen Verwandten wurden durch reiche Einkünfte wohl bedacht; selbst Josephine, die geschiedene Gemahlin Napoleons, erhielt eine Million für sich.
Am 3. Mai 1814 hielt Ludwig XVIII. seinen feierlichen Einzug in Paris. In einer Großmut sonder gleichen wurden die französischen Verhältnisse, soweit die verbündeten Mächte dabei beteiligt waren, geordnet. Durch ein Protokoll, das diese am 31. Mai unterzeichneten, wurde der erste Pariser Friede (30. und 31. Mai 1814) dahin festgestellt, daß die streitigen Gebietsfragen der beteiligten Staaten auf einem demnächst stattfindenden Kongresse geordnet werden sollten, einstweilen aber Frankreich sich auf das Gebiet von 1792 beschränken müsse.
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Aber durch Schlauheit des frauzösischen Ministers Talleyrand hatte Frankreich zum Lohne dafür, daß es ganz Europa geknechtet, einen Gewinn von 100 Quadratmeilen und eine Million Einwohner „zur Abrundung seiner Grenzen." Frankreich behielt die elsässischen Reichslande, auch Mömpelgard, sowie die pfälzischen Gebiete zwischen der Weißeuburger Linie und Landau.
Als aber Preußen die Bezahlung der 136 Millionen Franken verlangte, die ihm Napoleon als Entschädigung für den langen Durchzug der großen Armee zugesagt hatte, wehrte der Zar, Frankreich könne nicht Schulden bezahlen, die Napoleons Kriegszüge verursacht, auch müßten sie als Kontribution angesehen werden, welche Preußen zu tragen habe. Als nun gar Preußen die geraubten Kunstschätze zurück verlangte, zeterten die Franzosen, daß das gegen allen Kriegsbrauch sei. Sie vergaßen nur dabei, daß sie die Besiegten waren. Mit Mühe erhielt Preußen seinen Siegeswagen auf dem Brandenburger Thor von Berlin zurück, der einstweilen als Trümmerhaufen in einem Pariser Schuppen geruht hatte. Auch der Degen Friedrichs des Großen wurde zurückgegeben. Und doch, trotz aller Enttäuschungen, welcher Jubel ringsum, als die Friedensbotschaft kund wurde und nun die Siegesgöttin, ein Wahrzeichen des sieghaften Friedens, wieder in Preußens Hauptstadt einzog. Da mochte es wohl durch die deutschen Gaue singen und klingen:
„Vaterland, in tausend Jahren Kam Dir solch ein Frühling kaum.
Was die hohen Väter waren.
Heißet nimmermehr ein Traum!" . . .
Mit einer Reihe glänzender Feste wurde der Monarchen-Kongreß zu Wien eröffnet. Eine Versammlung von Kaisern; Königen, Fürsten und Staatsmännern mit ihren Gefolgschaften erinnerte an die herrlichsten Zeiten des einstigen deutschen Reiches. Es schien kaum, als solle es sich um ernste Beratungen handeln, vielmehr, wie man üppige Feste aufs genußreichste gestalten könne. Denn die fürstlichen Herren und Würdenträger hatten ihre Gemahlinnen mit sich, und bald schienen die Salons schöner und geistreicher Damen einflußreicher, als die Beratungen der Diplomaten. Kaiser Franz war der verschwenderischste Gastgeber, und der russische Kaiser blieb als der Reichste und Vornehmste der Mittelpunkt alles Glanzes und aller
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Huldigungen. Hätten einfach die alten Besitzverhältnisse wieder hergestellt werden sollen, so würden die Verhandlungen nicht gar so schwierig gewesen sein; aber da sollte „ein europäisches Gleichgeivicht", die möglichste Gleichheit der durch Napoleon verschobenen Besitzstände nach der Weisheit der Beratenden hergestellt werden. Bei diesen Be-
ratungen führten außer Rußland besonders England und Frankreich das große Wort.
Auch der Gedanke eines wiederherzustellenden deutschen Kaiserreichs wurde augeregt. Aber Kaiser Franz hatte einst schwer genug an der deutschen Krone getragen, als daß er sie aufs neue hätte begehren sollen. Den außerdeutschen Mächten, besonders Rußland und England, war erst recht nichts an einem einigen deutschen Reiche gelegen, und so fiel die ganze Neichsidee in sich selbst zusammen. Dafür sollten jetzt die deutscheu Länder zu einem Bunde unabhängiger Staaten vereinigt und die Stellung dieses deutschen Bundes zu deu europäischen Staaten durch den Kongreß festgestellt werden.
Glieder des deutschen Bundes sollten alle Länder sein, die einst zum alten deutschen Reiche gehört hatten, Belgien ausgenommen. Inzwischen waren viele kleine Herrschaften mediatisiert worden, und da der Länderbesitz nach der Seelenzahl vom Jahre 1805 wieder hergestellt werden sollte, die souveränen großen Herren aber über die mediatisierten weniger Herrschaftsrechte hatten, so rechnete man die Einwohner dieser Ländchen je nur als halbe Seele. Welche Staaten als souverän gelten sollten, machten die großen Herren nach dem philosophischen Grundsätze ab, daß jedes Dinges Recht so weit geht wie seine Macht, oomit wurden die Fürsten kleiner Besitzstände zunächst gar nicht zu den Beratungen zugelassen. Unter den souveränen Staaten führte Oesterreich den Vorsitz. Der österreichische Hofrat Gentz verdiente sich allein bei diesen Geschäften des Kongresses als Schriftführer 17,000 Dukaten; 24,000 Gulden erhielt er für gute Dienste von Frankreich-
Da nun jeder der beteiligten Fürsten natürlich aus den Verhandlungen den größtmöglichen Nutzen ziehen wollte, als gälte es nur, die Erbschaft eiueS andern anzutreten, so war damit von vornherein kein friedlicher Boden für gemeinsame Beratungen geschaffen. Der Besitz Polens hätte beinahe zum Kriege zwischen England, Frankreich und Oesterreich einerseits und Rußland anderseits geführt, da dieses das ganze Herzogtum Warschau forderte und dazu die Polen zu den Waffen rief.
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Da die drei feindlichen Staaten diesen Zuwachs Rußlands nicht dulden wollten, schlossen sie dagegen einen „bewaffneten Widerstand."
Preußen stand wieder einmal neutral und unentschlossen. Kaiser Alexander hatte Preußen ganz Sachsen, das doch als erobertes Land galt, versprochen, wenn es Rußland nicht entgegentreten würde. Dagegen hatte Oesterreich Sachsen Schntz versprochen, und Frankreich eiferte gegen „die Beraubung des unglücklichen Königs". War er doch nicht schuldiger, als die Rheinbundfürsten; diese hatten Napoleon in der Zeit der Gefahr verlassen, und Friedrich August von Sachsen war ihm auch in der Not treu geblieben. Doch hätte Frankreich dafür kein gutes Gedächtnis gehabt, wenn der König von Sachsen, der vorn Kongreß zurückgewiesen war, dem schlauen Talleyrand die Erinnerung
nicht durch zwei Millionen Franks gestärkt hätte.
Unter vielem Hin- und Herstreiten waren endlich die Beteiligten darin einig, sich auf Kosten Preußens zu entschädigen, das so wenig dazu sprach und sich nach gewohnter Art noch mehr hätte gefallen lassen, wenn nicht einzelne Männer — es fei nur an Wilhelm von Humboldt und Stein erinnert — für vaterländische Interessen ein-
getreten wären. Preußen mußte sich für feine verlorenen Besitzungen mit einem kleinen Teile Sachsens, mit Posen, dem südlichen Teil West-prenßens, mit Thorn, Danzig, sowie mit einem kleinen Zuwachs am Rhein begnügen. Dieser war gerade als Grenzland Frankreichs für das geschwächte Preußen ein höchst fraglicher und Gefahr drohender Besitz, den ihm die andern Staaten darum herzlich gern überließen; aber dabei übersahen sie, daß Preußen unter diesem Wächteramt erstarken mußte.
Rußland nahm sich den größten Teil des Herzogtums Warschau als Königreich. Der Kaiser von Oesterreich erhielt feinen ehemaligen Anteil an Galizien zurück, nebst Venedig. Dafür hatte es die ihm einst als spanische Erbschaft zugefallenen spanischen Niederlande an Holland abzutreten, dessen Statthalter den gesamten Länderbesitz als vereinigtes Königreich der Niederlande zu einem Bollwerk gegen Frankreich aufrichtete. Auch Oberschwaben gab Oesterreich ab, das unter
Baden, Württemberg und Bayern verteilt blieb.
Wer unter den kleinen Fürsten gute Beziehungen zu den großen Herren hatte, kam auch erträglich weg, wie Herzog Karl August von w. Weimar, dessen Schwiegertochter, Großfürstin Maria Paulowna, es bei ihrem Bruder, Kaiser Alexander von Rußland, durchzusetzen wußte, daß Weimar einige Gebietserweiterungen erhielt und zum
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Großherzogtum erhoben wurde, ein Lohn, den gerade Weimars tapfrer Fürst um Deutschland wohl verdient hatte. Aber was der Eine befmu, mußte ein Andrer hergeben. So brachte der Wiener Kongreß Verwirrung und Unzufriedenheit neben verhältnismäßig wenig Befriedigung. Blücher mochte schon Recht haben, daß die Feder der Diplomaten verdarb, was der Degen errungen hatte, ja er gab seiner Ansicht noch derberen Ausdruck: „Wir haben einen tüchtigen Bullen nach Wien hingebracht und einen schäbigen Ochsen heimgebracht."
Es schien nicht unmöglich, daß die Waffen, welche gemeinsam den
welschen Feind vertrieben hatten, sich gegenseitig bekriegen würden.
Plötzlich wurden die streitenden Mächte durch eine Schreckenskunde zur Besinnung gebracht: Napoleon war mit etwa 900 Soldaten von Elba entflohen imd in Frankreich gelandet. „Grenadiere, wir gehen nach
Paris!" hatte er die Seinen auf dem Schiffsdeck begrüßt, uud der
altgewohnte begeisterungsvolle Gruß: „Vive l’empereur!“ hatte ihm geantwortet. Die kaiserliche Botschaft des „Befreiers vom schimpflichen Joche der Bourbonen, dessen Adler von Kirchturm zu Kirchturm fliegen werde, sich auf der Notredame niederlassen," durcheilte ganz Frankreich. Napoleon brauchte nicht neu zu werben. Noch bewährte sein Name, seine geheimnisvoll finstre Persönlichkeit die alte Anziehungskraft. Von Ort zu Ort mehrte sich der begeisterte Anhang, bis die ihm von Ludwig XVIII. entgegen gesandten Truppen sich den Adlerfahnen des Imperators anschlössen. Der nunmehr wehrlose Bourbon mußte mit seinen Ministern nach Gent flüchten (20. März 1815), während die begeisterte Volksmenge den zurückgekehrten Kaiser umstürmte. Seine jubelnden Offiziere trugen ihn die Treppen der Tuilcrien hinauf. Was half es, daß jetzt der Kongreß plötzlich einig war und eine europäische Acht über den welschen Friedensstörer aussprach, auch einen Heereszug gegen ihn plante? Bald waren die Hauptmächte durch den schlauen, französischen Minister Talleyrand überredet, den Pariser Frieden aufrecht erhalten zu wollen. Nebenbei wurden die Beschlüsse des Wiener Kongresses eilfertig unterschrieben, der russische Kaiser und der König von Preußen verließen Wien, und als die Bevollmächtigten eine deutsche Bundesverfassung vollendet hatten, die nachträglich sich als ein recht übereiltes Werk erwies, löste sich der Kongreß wieder auf (11. Juni 1815).
Ruhige Besinnung mußte jedem sagen, daß jetzt Napoleon einen Kampf auf Leben und Tod wagen werde, und ganz Europa rüstete.
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den Franzosenkaiser gebührend zu empfangen. Fast mochte man fürchten, daß dieser zunächst seine Streitkräfte nach Süden richten werde, wo sein Schwager Murat, der abgesetzte König von Neapel, sich gegen die Oesterreicher erhoben hatte. Doch wurde Murat von diesen geschlagen, später gefangen genommen und am 13. Oktober 1815 erschossen.
Mit brennender Ungeduld erwarteten die Verbündeten Napoleon im Norden, ihn dort mit vereinter Macht zu vernichten. Ein englischniederländisches Heer, 100,000 Mann, Hannoveraner, Holländer, Braunschweiger 2c., sammelte sich unter dem englischen General Wel lington. Mit 115,000 Preußen stand Blücher an der Maas. Doch hatten sich die Heere beider Feldherrn noch nicht vereinigt, als Napoleon mit 150,000 Mann Blücher bei Liguy schlug, 16. Juni 1815. Sein Marschall Ney bekämpfte zu gleicher Zeit die englische Armee hartnäckig bei Quatrebras, ohne sie wirklich zu besiegen. Doch erlitt die englische Armee einen schweren Verlust in dem Tode des tapfern Herzogs von Braunschweig, der mit seinen „Schwarzen" Wellington von Brüssel aus zu Hülfe geeilt war und diesem so viel Uebermacht hatte gewinnen helfen, daß er sich Blücher gegenüber rühmte, einen Sieg bei Quatrebras erfochten zu haben, während dieser eine Schlacht verloren habe. Wenigstens war Wellington durch dieses Gefecht gehindert worden, Blücher zu Hülfe zu kommen, wie dieser erwartet hatte. Nach der Schlacht von Ligny, in der Blücher mit geuauer Not dem Tode entging, sandte Napoleon, um ihn weiter zu verfolgen und eine Vereinigung mit Wellington zu hindern, 36,000 Mann unter General Grouchy nach Wctvre zu ab. Ihm selbst wurde es dabei möglich, sich mit Net) zu vereinigen und mit diesem gemeinsam gegen Wellington vorzudringen, der aus den Anhöhen von St. Jean, in der Nähe des Vorwerks Bellealliance bei dem Dorfe Waterloo, den Feind erwartete (18. Juni 1815).
Napoleon meinte Blücher endgültig versorgt und aufgehoben und nur Wellington beachtenswert, sollte sich aber trotz seiner großartigen und vorsichtigen Schlachtenpläne verrechnet haben. Noch um Mitternacht machte er selbst die Runde bei seinen Vorposten. — Tags zuvor hatte Wellington bei Blücher anfragen lassen, ob er auf feine Hülfe wenigstens durch Unterstützung von zwei Korps rechnen könne, und Blücher hatte geantwortet, nicht nur mit zwei Korps, mit der ganzen Armee stehe er ihm zu Diensten.
B o r » h a k, Unser Vaterland. 41
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Früh am Morgen begann Napoleon den Sturm gegen die Höhen von St. Jean, auf denen Wellington die jedenfalls bessere Stellung inne hatte, aber doch in große Bedrängnis durch die auf ihn eindringenden Heeresmassen geriet. Darüber wurde es Mittag, Nachmittag. Blücher wollte und mußte kommen, hatte er es doch versprochen. Tags zuvor hatte der Regen den Boden aufgeweicht, und noch strömte es weiter vom Himmel herab, sodaß Blüchers Soldaten oft mutlos im Schlamm stecken blieben. Acht Stunden Wegs sollten sie machen und konnten oft nicht um Schritte vorwärts kommen.
„Vorwärts, Kinder, vorwärts!" ermunterte Blücher immer aufs neue. „Scheltet mir nicht über den Regen, das ist ja unser alter Alliierter von der Katzbach her. Damit können wir dem König das Pulver sparen!" Und wenn es dann immer wieder hieß „Aber es
geht nicht," rief er wohl: „Es geht nicht; aber es muß gehen. Kinder,
wir müssen vorwärts. Ich habe meinem Freunde Wellington versprochen zu kommen; ich kann doch nicht wortbrüchig werden!"
Und es ging; der alte Marschall Vorwärts kannte seine Soldaten. Nachmittags zwischen fünf und sechs Uhr kamen die Preußen auf dem
Schlachtfelde an. „Ich wollte, die Nacht bräche an oder die Preußen
kämen!" hatte Wellington unter der feindlichen Uebermacht geseufzt, die Napoleon stolz und siegesgewiß ins Feld geführt hatte. Angesichts der Feinde hatte er die Armee, viele alte, erprobte Veteranen, vor der Schlacht gemustert, und das vieltausendstimmige, endlos scheinende „Vive l’empereur!“ war hinübergeklungen in das stille Lager der Briten, die in eiserner Ruhe den wild anstürmenden Feind erwartet und bis dahin ihm widerstanden hatten.
Das Bülowsche Heer war zuerst in der Nähe des Dorfes Waterloo angelangt. Mit fliegenden Fahnen war es aus dem Walde hervorgebrochen, das Dorf Ploncenoit anzugreifen, das Napoleons rechte Flanke und seinen Rücken deckte. Dann kamen die Zietenschen Husaren. Vorübergehend gelang es den französischen Garden, die Preußen noch einmal zurück zu drängen. Gleichzeitig ließ Napoleon einen Sturm auf Wellington unternehmen. Ney führte die letzten Garden gegen das Zentrum auf den Höhen. „Die Garde stirbt; aber sie ergießt sich nicht!" Es war ein großartiges Opferfest der unter den Siegesfahnen Napoleons ergrauten tapfern Garden, die Wellington mit eisiger Ruhe bis an den Rand der Höhen herankommen und dann in kürzester Entfernung mit furchtbarer Salve empfangen ließ. Wer
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dann noch stand, wurde mit dem Bajonett niedergemacht; aber alle Todesopfer der Franzosen waren umsonst. Zur Rechten und zur Linken wurden sie. ebenfalls geworfen. Anfangs versuchten sie einen geordneten Rückzug; bald eilten sie in wilder Flucht zersteut von dannen. Um
acht Uhr abends hatten die Verbündeten die Schlacht gewonnen. Die Preußen erbeuteten sogar Napoleons Reisewagen, Mantel, Hut und
Degen, die er zurückgelassen, um zu Pferde auf und davon zu gehen.
Die Schlacht hatte den Verbündeten 20,000 Mann gekostet, den Franzosen 25,000 Mann.
An „die braven Offiziere und Soldaten der Armee vom Niederrhein" erließ Blücher das herrliche Dankeswort: „Empfanget hiermit meinen Dank, Ihr unübertrefflichen Soldaten, Ihr meine hochacht-
baren Waffengefährten, Ihr habt Euch einen großen Namen gemacht. So lange es Geschichte giebt, wird sie Euer gedenken. Auf Euch, Ihr unerschütterlichen Säulen der preußischen Monarchie ruht mit Sicherheit das Glück Eures Königs und seines Hauses. Nie wird Preußen untergehen, wenn Eure Söhne und Enkel Euch gleichen."
Napoleons Herrschaft war zu Ende. Hundert Tage waren seit
seiner Rückkehr von Elba verflossen, als er auf die Drohung des ge-
setzgebenden Körpers zu Paris, ihn absetzen zu wollen, allen Ansprüchen auf Frankreichs Thron zu gunsten seines Sohnes freiwillig entsagte (22. Juni 1815). Eine provisorische Regierung wurde bestellt, die
eine Deputation an die vereinigten Monarchen absandte, welche sich eben anschickten, an der Spitze ihrer Truppen nach Paris zu rücken. Da wagte Napoleon einen letzten Versuch. Er bot sich der provisorischen Regierung als General an, wurde aber zurückgewiesen. Er sollte Frankreich verlassen. Als die Preußen heranzogen, wollte er sich von Rochefort aus nach Amerika einschiffen, wurde aber von englischen
Schiffen daran gehindert. Der Großmut seiner Feinde vertrauend, überlieferte er sich selbst der englischen Regierung. Nach eingeholtem Beschlusse der verbündeten Monarchen führten die Engländer- den unersättlichen Korsen als Europas Gefangenen in die Stille der ein-
samen Felseninsel St. Helena, westlich von Afrika, inmitten des atlantischen Ozeans.
Die Sage berichtet, der Gefangene von St. Helena habe im Spiele mit Soldaten die Qualen seiner Seele betäubt, mit toten Puppen die Schlachtreihen geordnet, deren Leitung ihm das Leben von nun an versagte. Unter der strengen Bewachung der Engländer war an
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kein Entrinnen zu denken, und die wenigen Getreuen, welche ihrem Kaiser in die Verbannung gefolgt waren, konnten ihn den Siegesjubel seines Heeres nicht vergessen machen, dessen Begeisterung seinem finsteren Sinnen allein ein Lächeln abzulocken vermocht hätte. Maria Luise begehrte nicht, die Verbannung ihres Gemnls zu teilen; sie lebte wohl befriedigt als Herzogin von Parma. Ihr Sohn, der König von Rom, wurde in der österreichischen Heimat erzogen, wo er unter dem Titel eines Herzogs von Reichstädt lebte und 21 Jahre alt starb.
Vergeblich hoffte Napoleon auf eine Rückkehr nach Frankreich. Er schrieb, eine zweifelhafte Befriedigung, auf St. Helena seine Memoiren, wobei er es mit der Wahrheit nicht zu genau nahm und starb einsam, wie es seine Herzlosigkeit wohl verdient hatte, am 5. Mai 1821 am Magenkrebs. Seit 1840 ruht seine Asche, seinem letzten Willen gemäß, inmitten „des Volkes, das er so sehr geliebt" im Dome der Invaliden zu Paris.
Ehe die Monarchen in Paris einzogen, hatte es sich Blücher nicht versagen können, auch deu so lange übermütigen Franzosen beizubringen, daß sie nun die völlig Besiegten waren, und seinen eigenen Truppen die stolze Genugthuung zu gewähren, die französische Hauptstadt einzunehmen. Dort herrschte Parteihader und eine sogenannte Fünfer-Kommission mühte sich, Ordnung herzustellen, auch mit Blücher friedlich Zu verhandeln. Der aber hatte geantwortet: „Wir verfolgen unsern
teteg, und Gott hat uns Mittel und Willen dazu gegeben." Fingen
England, Oesterreich, überhaupt die andern Verbündeten allmählich an, mit der „französischen Nation" zu liebäugeln uud als Vorwand dafür zu nehmen, daß man ja nur mit „Napoleon" Krieg geführt habe, so
blieb es bei Blücher, bei den Seinen unumstößlich fest, Frankreich
zu demütigen, das seit Jahrhunderten das übrige Europa zu knechten gesucht hatte.
Als Paris am 3. Juli kapitulierte, ließ Blücher seine Truppen nicht etwa feierlich einziehn; nicht einmal das Schauspiel gönnte er den Parisern. Auch die Royalisten, die den für sie willkommnen Feind freundlich begrüßen wollten, wurden von den Preußen hart und feilt zurückgewiesen; waren es doch Franzosen. Blücher forderte 100 Millionen Francs Kriegssteuer und zweimonatlichen Sold für seine Armee.
Am 7., 8., 9. und 10. Juli 1.815 hatten die verbündeten Monarchen zum zweiten Male ihren Einzug in Frankreichs Haupstadt gehalten und das Königtum der Bourbonen wieder hergestellt. Lud-
wig XVIII. war zurückgekehrt, um die Zügel der Regierung ebenso leicht und thatenlos aufs neue zu übernehmen, wie sie ihm wenige Wochen zuvor die Rückkehr Napoleons ans der Hand gewunden hatte. Den Mitgliedern der Familie Bonaparte wurde bei Todesstrafe verboten je nach Frankreich zurückzukehren.
Am 20. November 1815 wurde der zweite Pariser Friede unterzeichnet, der Frankreich auf seine Grenzen von 1790 beschränkte. Nun sollte es auch alle während der Kriege geraubten Kunstschätze herausgeben, und Blüchers Privatvergnügen, oder man könnte sagen, die Befriedigung seiner patriotischen Rache war es, die gestohlenen Sachen auszuspionieren. Diesem Gefühl entsprach es auch, daß er bei seinem Einzug in Paris eine Brücke zu sprengen beabsichtigte, die den Namen „Jena" trug.
Nach den Bestimmungen des zweiten Pariser Friedens hatte Frankreich 700 Millionen Francs Kriegskosten zu zahlen und bis zu deren Abtragung ein Bundesheer von 150,000 Mann in seinen Festungen aufzunehmen, sie dort fünf Jahre lang zu unterhalten. Von den 700 Millionen sollte ein Drittel zu Festungsbauten an der französischen Grenze dienen. 300 Millionen bekamen Oesterreich, Rußland und Preußen zu gleichen Teilen; 25 Millionen erhielten Preußen und England für ihre letzten Bemühungen noch besonders. Die kleinen Alliierten sollten sich in 100 Millionen teilen.
So gnädige Friedensbedingungen für Frankreich hatte man in Deutschland nicht erwartet, dafür hatte das deutsche Volk zu viel unter Frankreichs Uebermut und der maßlosen Herzlosigkeit seines Kaisers gelitten. Wenigstens erschien die Rückgabe von Elsaß und Lothringen natürlich, deren schmählichen Raub die Vaterlandsfreunde nie vergessen hatten. Aber Rußland und Oesterreich war daran gelegen, Frankreich nicht zu sehr zu schwächen, Preußens, Deutschlands Kraft nicht zu heben. So blieben die Errungenschaften, der Preis der Freiheitskriege scheinbar weit hinter den Erwartungen Deutschlands zurück; aber ein Großes hatten sie gebracht: Unter den unsäglichen Qualen und Erniedrigungen der Kriegsjahre waren alle Glieder und Stände des deutschen Volkes sich einer Kraft bewußt geworden, welche die Feuerprobe ausgehalten hatte.
Noch ein Zweites war offenbar geworden: Fürst und Volk gehörten zusammen in ihren heiligsten Interessen, und ein wahrhaft tapfres Geschlecht hatte sich seiner Ahnen würdig erwiesen, die einst im Teutoburger Walde der Welschen Joch zerbrochen hatten.
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3. von 1815 bis 1840:
Der deutsche Lund. Die heilige Älliance. Revolutionäre Bewegungen auf religiösem, wie politischem Gebiete.
Die auf dem Wiener Kongreß abgefaßte deutsche Bundesakte vom 10. Juni 1815 stellte unter vielerlei Nebenbedingungen auch verschiedentlich den Besitzstand der einzelnen 39 Staatenmitglieder des deutschen Bundes fest, ihre Rechte und Pflichten unter einander, wie gegen auswärtige Mächte. Die deutschen Staaten verbanden sich „in dem unauflöslichen, deutschen Bunde zur Erhaltung der innern und äußern Sicherheit Deutschlands und der Unverletzlichkeit der einzelnen Bundesstaaten." Jedes Mitglied durfte für sich Bündnisse schließen, doch nicht zum Schaden eines andern oder des Ganzen. Streitigkeiten untereinander sollten friedlich durch ein besonders dazu bestelltes Gericht geschlichtet werden. Die Angelegenheit des Bundes als Ganzes, wie diejenigen seiner Mitglieder, wurden in einer Bundesversammlung, deren Vorsitz Oesterreich führt, durch Bundesgesandte beraten, die sich an die Instruktionen ihrer Regierung zu binden hatten. So stellte die Bundesversammlung, welche ihren Sitz in Frankfurt a. M. hatte, die Gesammtheit des Bundes dar, der als Staatenbund eine Gesammtmacht gegen das Ausland bilden sollte. Diese zu repräsentieren, sollte ein Bundesheer von 300,000 Mann dienen, das auch die Bundesfestungen Mainz, Luxemburg und Landau besetzte.
Das endliche Zustandekommen dieser Bundesverfassung, welche durch eine Schlußakte von 1820 vervollständigt wurde, bot in der That eine Vereinigung der deutschen Staaten, wie sie in längst vergangenen Zeiten, wenn auch in durchaus andrer Form, bestanden hatte. Sicher war diese Verfassung das Ergebnis der letzten Kriegserfahrungen, die aber noch allzuwenig geläutert erschienen; denn was der Bund plante, war durch so viel Selbstsucht der einzelnen Mitglieder verklausuliert, daß endlich wenig Gutes dabei herauskam. Zunächst lag schon in der wunderlichen Verteilung der einzelnen Bundesstimmen wenig Verheißendes für ein „gleiches Recht für alle". Die elf großen Staaten hatten je eine Stimme im engern Rat, alle andern Staaten zusammen sechs Stimmen, bei Beratungen der sogenannten „organischen Bundesgesetze" war Einstimmigkeit erforderlich.
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Noch schlimmer war es, daß dieser „deutsche Bund" nur für die 39 herrschenden Bundesglieder gemacht schien, das ihnen angehörende deutsche Volk war darin wenig berücksichtigt, obgleich schon damals patriotische Staatsmänner betonten, daß eine deutsche Staatsverfassung nicht nur das Verhältnis der Höfe und freien Städte zu beachten habe, sondern auch das Wohl der Nation, damit es dieser zum Bewußtsein komme, wie Sicherheit, Wohlfahrt und Blüte von^Wissenschaft, Handel und Gewerbe nur in dem festen Bau eines Staatslcbens wurzeln könne, dessen Haupt der regierende Fürst sei, auch daß die Mannigfaltigkeit der Stämme das notwendig sich Ausgleichende einer großen deutschen Nation bilden müsse.
Vielleicht ging aus diesem Bewußtsein der Mangelhaftigkeit des deutschen Bundes ein neuer Fürstenbund hervor: Die heilige Alliance. Das schwere Kriegsunglück und die endliche Befreiung davon hatten Fürsten und Völker hingeführt zu dem Herrn der Heerscharen. Von ihm hatten sie den Sieg erfleht, ehe sie auszogen zu dem „heiligen Kriege", für den sie sich und ihren Waffen an geweihter Stätte den Segen erbaten. Schwer hatte Europa unter der sündlichen Gewaltherrschaft Napoleons gelitten, und ohnmächtig hatten die Fürsten ihre angestammten Rechte vernichten sehn und ihre Völker verhandeln lassen müssen gleich einer toten Ware. Jetzt wollten sie wieder gut machen, was Uebles geschehen war. Am 26. Sept. 1815 stifteten Kaiser Alexander von Rußland, König Friedrich Wilhelm III. von Preußen und Kaiser Franz von Oesterreich den heiligen Bund, nach welchem sie sich im Sinne des christlichen Evangeliums gegenseitig Beistand leisten wollten in aller Not, ihre Völker aber in Liebe, Gerechtigkeit und Frieden regieren. Sie stellten die Politik ihrer Regierung „unter des höchsten Gottes Regiment". Der „einzige Souveraiu der einen christlichen Nation sollte Gott, der göttliche Erlöser Jesus Christus, das Wort des Höchsten aber das Wort des Lebens sein."
Alle Staaten Europas, den Kirchenstaat, England und Frankreich ausgenommen, traten diesem Bunde bei, und nachdem ein Monarchen-kongreß zu Aachen in die Räumung der von ben Bundestruppen besetzten französischen Festungen willigte, wurde sogar Frankreich auf sein Gesuch in den Bund ausgenommen. Leider stand außer ben Stiftern ber heiligen Alliance kaum einer ber übrigen Bunbesgenossen auf bem Grunde christlicher Bestrebungen. Es suchte eben jeder gewohnter Maßen das Seine. Doch mochte es den vier Hauptmächten
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bes heiligen Bundes Ernst sein mit dem Gelöbnis, durch wiederholte Zusammenkünfte der Monarchen und ihrer Minister die europäische Sicherheit zu überwachen.
Das alles waren gute Absichten; aber die Ausführung krankte an mancherlei. Der allzu milde Pariser Frieden, über den Blücher gleich vielen Patrioten klagte, daß Preußen und Deutschland trotz aller Anstrengungen immer wieder als die Betrogenen vor der Welt daständen, trug nicht wenig dazu bei, daß die Franzosen mit Revanchegelüsten einer „Rache für Waterloo" renommierten und dem entsprechend zu handeln versuchten. Und weiter, wenngleich sich der deutsche Bund wie die heilige Allianz als eine völkerrechtliche Vereinigung darstellten, so hatten sie in einzelnen Artikeln auch den innern Ausbau ihrer Verwaltung wohl ins Auge gefaßt, aber dabei war es im großen und ganzen geblieben. Vor allen Dingen war betont worden, daß in allen deutscheu Staaten eine landständische Verfassung eingeführt werden sollte. Friedrich Wilhelm III. hatte seinem Volke am 22. Mai 1815 besonders angekündigt, daß er der preußischen Nation „als Pfand^ seines Vertrauens" eine Landesrepräsentation geben wolle. Das war ein Zugeständnis königlicher Dankbarkeit, wie sie auch andre Fürsten erfüllte, hervorragend den edlen Karl August von Sachsen-Weimar. Er gab seinem Ländchen die neue Verfassung schon am 5. Mai 1816. Mancher #ür}t mochte sich auch in der Rolle einer sreisinnnigen Regierung gefallen, je weniger das eifersüchtig beobachtete Preußen diesen Weg einschlug. Daß je nach Ansicht der einzelnen Monarchen auch wunderbare Wandlungen ihrer Staatsverfassring vorkamen, mag uatür-lich erscheinen, da es hervorgehoben wurde, wie alles „nur Gnade" sei, die „vom Throne ausfließe." Umgekehrt dursten die Fürsten nicht allemal auf die Dankbarkeit ihrer Unterthanen rechnen, die zuweilen trotzig begehrten, was ihnen die Bmrdesakte als freiwillige Fürsteugabe versprach.
Das waren Gährrmgen eines neuen Lebens, dessen Zukunft sich noch nicht erkennen ließ. Die Freiheitskriege hatten ein Volk erzogen, iutö feine Opfer für das Vaterland nicht vergessen hatte und die Errungenschaften in einer Einheit zu bewahren strebte, welche das deutsche Reich einst herrlich und stark gemacht hatte. Waren das vielleicht klänge einer neuen Zeit, welche die französische Revolution angeschlagen, so waren sie doch geläutert durch den Ernst der letzten Jahrzehnte, . und die Jünglinge, welche die Hörsäle verlassen hatten, um des Vater-
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lcmds Befreiung zu erkämpfen, hatten auch jetzt ihren Bestrebungen edlere Ziele gesetzt, als das frühere, oft verrohte laudsmannschaftliche Burschenwesen vergangener Zeiten. Sie thaten sich in Vereinigungen zusammen (Burschenschaften), die am 12. Juni 1815 zu Jena die allgemeine deutsche Burschenschaft begründeten, ohne zunächst irgendwie direkt an politische, noch weniger an revolutionäre Ziele zu denken. Es ist gewiß ein gutes Zeugnis für die Begründer, wie für die, welche ihrem Rufe folgten, daß sie „wahres Christentum" auf ihr Panier schrieben. Wenngleich die akademische Jugend dabei jugendlichen Spielereien huldigte, schwarz-rot-goldue Bänder und Quasten trug, auch schwarze Sammetschnürröcke mit großen weit übergeklappten weißen Kragen gleich einer Uniform, so ist nach alledem heute kaum zu begreifen, wie man besonders in Preußen dahin kommen konnte, die Burschenschaften als staatsgefährlich zu betrachten. Eine zweite Bewegung unter ihnen, das leidenschaftliche Turnen, als dessen Oberhaupt für ganz Deutschland sich „Vater" Jahn betrachtete, gab erst recht kleinlich ängstlichen Staatsmännern Anlaß, freiheitsgefährliche Zukunftsleute in der turnlustigen, mutigen Jugend zu erblicken. Und doch wollte ihr Führer voller Franzosenhaß nur kräftige Urmenschen erziehen, die dein Welschtum für alle Zeiten den Garaus machen sollten. Entwickelte Jahn bei der Art dieses Bekämpfens wunderliche Ideen, gefährlich würde beispielsweise heute niemand etwa einen Vorschlag halten: als Schutzwehr gegen Frankreich einen wilden Wald mit Auerochsen und reißenden Tieren unter der Aufsicht von Grenzwächtern anzulegen, und was dergleichen tolles Zeug noch mehr war.
Sah man bereits all das mit mißtrauischen Blicken an, so gab erst ein besonderer Grund Anlaß zu wirklicher Verfolgung. Die ernste Friedensstimmung, welche Friedrich Wilhelms III. ganzes Leben beherrschte, hatte bei ihm den Plan reifen lassen. Reformierte und Lutheraner, deren Glaubensunterschiede im Laufe der Zeiten immer weniger feindlich hervortraten, völlig zu vereinen (1817). Diese Union sollte am Reformationsfeste, der dritten Säkularfeier zu Wittenberg, durch einen feierlichen Akt vollzogen werden. Dazu wollte der König in besonderer Feier den Grund zu einem Lutherdenkmal legen.
Bei dem religiösen Sinne, der die meist protestantischen Burschenschaften beseelte, war ihr Wunsch, sich an der Feier zu beteiligen, natürlich, obgleich ihre Gegenwart wenig erwünscht war. Sie gedachten dieses Fest auch als große studentische Zusammenkunft zu gestalten, zu-
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gleich auch die Erinnerung der Leipziger Schlacht zu feiern. Die auf den Bergen aufflammenden Oktoberfeuer sollten weithin davon Kunde geben. Diesen Bewegungen standen edle Männer zur Seite. Wie vielleicht einst Fichte den ersten Anlaß dazu gegeben hatte, als er bei Gründung der Universität Berlin die Studenten zu innigem Anschluß, zum Bunde einer Burschenschaft aufforderte, um darin dem wüsten Treiben der Landsmannschaften entgegen zu treten, so waren Ernst Moritz Arndt, Professor Oken u. a. völlig mit den als edel hervortretenden Bestrebungen der deutschen Studenten einverstanden.
Die Burschenschaft hatte eine großartige Versammlung auf der Wartburg zum 17. Oktober ausgeschrieben, wobei man zunächst vergessen hatte, daß die dazu gehörigen Katholiken sich dadurch verletzt fühlen mußten. Die Studenten, welche gekommen waren, etwa 600 an Zahl, hielten oder hörten begeisterte Reden, sangen patriotische Lieder, schlossen Freundschaftsbündnisse auf Leben und Tod und freuten sich der lichten Oktoberfeuer, die aus den der Wartburg gegenüberliegenden Bergeshöhen aufflammten. Bis dahin hatte nur feierlicher Ernst die Versammlung erfüllt, als es einem überspannten Studenten einfiel, ein zweiter Luther sein zu wollen. Wie dieser die Bannbulle verbrannt hatte, so warf er Schrift um Schrift, die etwa Mißliebiges gegen studentische, politische oder religiöse Freiheit enthielten, auf einen brennenden Holzstoß. Laut wurde der Titel der Bücher verlesen, letztere mit einer Mistgabel empor gehalten und allem Volk gezeigt, um darauf mit der Gabel ins Feuer geschoben zu werden. Zuletzt „als Zeichen grimmigen Hasses gegen alle Bösen und Buben im Lande" wurde ein hessischer Zopf, ein österreichischer Korporalstock und ein preußisches Gardistenschnürleib in die Flammen geworfen.
Das alles konnte nicht Anlaß zu einer Strafverfolgung geben; aber der Zorn des Königs von Preußen war erregt, und übelwollenden Ratgebern wurde es nicht schwer, daraus eine zukünftige Revolution zu prophezeihen. Zwar stellte Friedrich Wilhelm III. auch im Jahre 1820 noch einmal die zugesagte Verfassung in Aussicht, nahm es aber nachträglich sehr ungnädig auf, daß die Rheinländer ihren baldigen Erwartungen darauf Ausdruck gaben. Sie wurden bedeutet, daß S. Majestät sich den geeigneten Zeitpunkt selbst wählen werde, und gewiß mochte eins richtig sein, daß es nämlich nicht leicht war, dem nach dem Kriege neugestalteten preußischen Staate eine einhcitlicheVerfasfung derartzugeben, daß sich die verschiedenen Landesteile gleich befriedigt gefunden hätten.
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Inzwischen waren die Fürsten in Aachen zu einem Kongreß versammelt, und die Studenten ihrer Vereinigung froh geworden. Ihre Losung war „Ehre! Freiheit! Vaterland!" Der Leipziger Verband hatte dazu als erstes Losungswort „Gott!" Das sah nicht revolutionär aus; aber klatschsüchtige Zwischenträger brachten den Fürsten, besonders dem Kaiser Alexander, allerlei Nachrichten mit der gehörigen Färbung zu. Der Dichter, Staatsrat Aug. v. Kotzebue, lieferte ihm sogar weitschweifige heimliche Berichte über staatsgefährliche Unternehmungen der Studenten, und Kaiser Alexander verfehlte nicht, den übrigen Monarchen der H. Allianz die beunruhigendsten Mittheilungen zu machen. Ein solcher Bericht fiel in die Hände des Professors Luden, der ihn veröffentlichte.
In gerechtem Zorne, wenn auch nicht auf die rechte Weise, wollte ein Student der Theologie, Karl Saud aus Wunsiedel, diese schändliche Verleumdung rächen. Er suchte scheinbar freundschaftlich Einlaß bei Kotzebue, der jetzt in Mannheim lebte, und erstach ihn mit dem Wort: „Hier, du Verräter des Vaterlands!" kniete dann nieder, sich selbst den Todesstoß zu geben, indem er Gott für „seinen Sieg" dankte. Doch starb er erst später den Tod durch Henkershand (20. Mai 1820). Ein darauf folgendes Attentat des Apothekergehülfen Löhning auf den nassauischen Staatsrat von Jbell zu Schwalbach blieb zwar ein erfolgloser Mordversuch; aber den Staatsbehörden war es nicht zu verdenken, gegen solche Exzesse einzuschreiten. Schlimm wurden diese Verfolgungen, als Unschuldige wie Schuldige darunter fielen, sogar viele edle Männer, die sich nur als Anwalt der Unterdrückten auswarfen. Der Berliner Theologe de Wette wurde sogar seiner Professur entsetzt, weil er einen Trostbrief an Sands Mutter geschrieben hatte, die Professoren Welcker in Bonn, Ernst Moritz Arndt u. a. wurden mit Polizeimaßregeln verfolgt, noch andre, wie Jahn, in Haft genommen.
Gleichwie in Preußen ging es in andern deutschen Ländern, und keinem war das lieber als dem österreichischen Minister Metternich, damit in dem übrigen Deutschland eben so wenig von einer volkstümlichen Verfassung die Rede sein möchte, wie er sie in Oesterreich auch nicht wünschte. Er veranlaßte den König von Preußen in einer Zusammenkunft zu Karlsbad mit Oesterreich, den Beschluß zu fassen, alle Burschenschaften und Turnvereine zu verbieten, die Universitäten, Professoren und Studenten, besondern Kuratoren zu unterstellen. Auch sollten Schriften und Bücher unter 20 Bogen einer Zensur unterliegen.
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unb eine Zentralkommission mußte „geheime bemagogische Umtriebe" ausforschen. Diese Beschlüsse würben betn bentschen Bunbestage unter-bi eitet unb ohne Schwierigkeiten angenommen.
., Nach diesem glücklichen Erfolge konnte Metternich auf weitere Zu-gestänbnisse für einen Iieformplan bes Buubes rechnen, burch ben er bie Mittelstaaten einzuschränken gebachte Einige Bnubesglieber sprachen wohl bagegen (Wiener Konferenz 1819), einigten sich aber halb (Wiener (Schlußakte 8. xMtni 1820) mit Oesterreich, so baß bieses immer mehr einziger Lenker bes Bunbes würbe, besten Zusammenhang unb Kraft sich zusehenbs lockerte.
-liefe politische Schwächung ber Einzelstaaten Hinberte nicht, baß inmitten bes Volkes je nach ben eigentümlichen Verhältnissen bie Be-stielnmgeu weiter empor wuchsen, welche bie Freiheitskriege hatten reifen lassen, ttotzbem bie Segnungen bes Friebens burch manche ungerechte Härte verbittert würben. Zahlreiche Jünglinge schmachteten im Gefängnis, weil sie etwa bie burschenschaftliche schwarz-rot-golbne Schärpe getragen oder Freiheitslieber gesungen hatten.
„Das Haus mag zerfallen.
Was hat's beim für Not?
Der Geist lebt in uns allen,
Unb Unsre Burg ist Gott!"
fang ein Burschenschafter (Singer), als bie strenge Aufhebung ber »urschen* schäften kund würbe, von betn „stattlichen Haus, baß sie voll ibealer Begebungen gebaut hatten". Eine tröstliche Genugthuung war es, baß bie „Mainzer Zentralkommission" nach jahrelangem Stöbern unb Arbeiten er-statte, sie habe in ben Burschenschaften nichts „Revolutionäres" finben können, ^aß sich getabe um biesetr Verfolgungen willen unb unter ihrem Druck wirklich ein revolutionärer „Geheimbunb" bisbete (1824), ber viel von „^rjranttenhaß unb „Tyrannenblut" fafelte, brachte auch keine ernsten Gefahren. Denn bas Beste war, baß ebse Fürsten solchen Dingen burch lanbesväterliche breite ben Boben unter ben Füßen fortzogen, wie man bat um .S\öntg Friebrich Wilhelm III. mit vollster Ueberzeugung im Volke den „Gerechten" nannte, ber in ber That aufs Aeußerste bestrebt war, als ein ftotrtmer unb gerechter König fein Lanb zn beglücken. Ein stärkeres Baitb als bie freisinnigste Verfassung war bie allezeit wahrhaft lanbesväterliche Fürsorge bes Königs aus allen Gebieten feiner Regierung, bie größte Dulbung in religiösen Düngen.
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Mit seinem Könige hatte das Volk gelitten, der König mit seinem
Volke; sie wußten gegenseitig, daß sie für einander Opfer zu bringen
vermochten. Ueber dem Leid war der einsame König vor der Zeit gealtert und wortkarg geworden; selbst die Siegesfreude hatte in seiner Brust kein Echo gefunden, weil sie die treue Gefährtin seiner schweren Leidenstage nicht mit ihm teilen konnte.
Gleich dem König von Preußen waren andre deutsche Fürsten bestrebt, manches gut zu machen, was die langen Kriegsjahre Schweres gebracht hatten. Unter ihnen ragt besonders König Max Joseph von
Bayern hervor (Vater der Königin Elisabeth von Preußen, Gemahlin
Friedrich Wilhelms IV.), der, ein durchaus duldsamer Herr, vom einfachsten Manne im Volke wie ein Freund angesehen wurde. Sein geistvoller Sohn, Ludwig I., kam ihm darin gleich, überragte ihn aber nach jeder Seite hin an künstlerischen und wissenschaftlichen, wahrhaft königlichen Leistungen, so daß man ihm ein „Zuviel" darin oft vorgeworfen hat, und doch darf noch heute gauz Deutschland seiner hehren Schöpfungen froh werden, von denen besonders Bayerns Hauptstadt Zeugnis giebt.
Die deutschen Regierungen meinten allen revolutionären Zündstoff gründlich ausgerottet zu haben, als die Schreckensnachricht von dem abermaligen Ausbruch einer französischen Revolution (Juli 1830) gleich einem zündenden Wetter durch Europa zog. Es war etwas Richtiges au dem einstigen Ausspruch Mirabeaus, die französische Revolution werde ihren Lauf um die Welt nehmen, um dann nach Frankreich zurück zu kehren. Polen, Italien, Belgien, Spanien hatten ihre Revolutionen gehabt; auch in Deutschland wirkten sie ansteckend.
In Braunschweig hatte Herzog Karl ein Willkürregiment schlimmster Art eingeführt. Staatsgüter wurden verkauft, Steuern erhöht, die Stände nicht mehr einberufen und was dergleichen selbstherrliche Thaten mehr waren. Schon während die Regentschaft für den minderjährigen Herrn regierte, hatte dieser wenig Vertrauen erweckt, und nachdem er das in ihn gesetzte Mißtrauen gründlich gerechtfertigt, hatte Braunschweig bei dem Bundestage über seinen Herzog Beschwerde eingebracht, doch im Grunde wenig ausgerichtet. Weitern Erörterungen zu entgehen, reiste der Herzog nach Paris und kam dort gerade recht zur Julirevolution, die ihn so erschreckte, daß er eilends heimkehrte. Aber da sah es für ihn noch schlimmer aus, weil er den Beschwerden seines Volkes gegenüber keine andre Antwort hatte, als die
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Wachen vor seinem Schlosse zu verdoppeln und 16 Kanonen vor seinen Fenstern auffahren zu lassen. Am 7. September wurde das herzogliche Schloß vom Pöbel in Brand gesteckt und der Herzog zur Flucht gezwungen. Alle Versuche, wieder in sein Land zu kommen, mißlangen; nicht einmal dazu verhalf ihm der Bund. Dieser bestellte den Bruder des Herzogs, Wilhelm, zur Regierung, der die Verfassung des Landes von 1820 durch eine neue Landschaftsordnung erweiterte (April 1831) und mit seinem Volke lange in Frieden lebte. Er starb 1885.
Aehnlich wie in Braunschweig ging es in Hessen-Kassel; dort führte Kurfürst Wilhelm II. ein heilloses Regiment. Auch er vergeudete die Staatsgelder, die er mit seiner Geliebten, einer zur Gräfin Reichenbach erhobenen Berlinerin, verpraßte. Durch Straßenrevolten wurde er gezwungen, die Stände einzuberufen und die neue Verfassung zu bestätigen. Als er aber dennoch sein anstößiges Leben weiter fortsetzte, jagte das Volk die fürstliche Geliebte aus dem Lande, und der Kurfürst folgte ihr, nachdem er seinen Sohn Friedrich Wilhelm zum Mitregenten angenommen hatte (1831).
In S achsen war zwar das Herrscherhaus beliebt; aber mancherlei Mißstände, besonders in Leipzig und Dresden, gaben Anlaß zu revolutionären Ausschreitungen. Doch lösten sich die Konflikte bald und leicht, als der wohlwollende König die mißliebigen Minister entließ und seinen allgemein beliebten Neffen Friedrich August zum Mitregenten annahm (1831), mit ihm gemeinschaftlich die Verfassung gewünschter Maßen zu ordnen.
In Schleswig-Holstein hatte ein Jenaer Burschenschafter, der Friese Uwe Jens Lornsen, die Vereinigung der beiden deutschen Herzogtümer durch eine gemeinsame Verfassung zu erreichen gestrebt, um durch bloße Personalunion mit Dänemark sie dem Deutschtum zu erhalten. Er fand wenig Unterstützung und mußte endlich seine deutschen Bestrebungen in langer Haft büßen (1830).
An den süddeutschen Staaten waren die Einflüsse der Julirevolution auch nicht spurlos vorübergegangen, und wenn Oesterreich uud Preußen scheinbar am wenigsten berührt erschienen, so thaten beide als Bundesglieder nichts, die Gährung andrer Staaten zu beruhigen. Es war so recht die Zeit einer Selbstgenügsamkeit, die inmitten der deutschen Lande jenseits des nächsten Grenzpfahls Ausland sah, um dessen Wohl und Wehe man sich trotz aller großthuenden Herrlichkeit eines deutschen Bundes nicht zu kümmern habe. Auch die hl. Alliance
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nahm keine Ursache, sich um des andern Glück zu sorgen. Schweigen und Sichbeschränken schien ohnedies das Klügste, da manches Geschenk der neuen Verfassung sich für die Landesherren recht verhängnisvoll erwies. So meinte das Volk die Preßfreiheit nicht würdiger gebrauchen zu können, als mit ihrer Hülfe öffentlich über das Tyrannenregiment zu fchimpfen, ein neues, liberales, deutsches Reich zu empfehlen und dergleichen. Da gab es Heißsporne, wie die Pfälzer Wirt und Siebenpfeifer, welche alle Männer und Jünglinge, Frauen und Jungfrauen
auf das Hambach er Schloß bei Neustadt a. d. Hardt luden, den
„Mai der Deutschen" zu feiern (1832). Viele Tausende, selbst Polen und Franzosen nahmen an diesem „Hambacher Fest" Teil, das dem deutschen Bundestage keinen gelinden Schrecken einflößte, weil man dort keck „die vereinigten Freistaaten Deutschlands" hoch leben ließ und den „besten Fürsten von Gottes Gnaden zum geborenen Hochverräter -an der menschlichen Gesellschaft" stempelte.
Diese Ausschreitungen riefen manche Beschränkung von Seiten der einzelnen Regierungen hervor. Trotzdem entwickelten sich daneben in der Staatsregierung, im Gerichts-, Schul- und Heerwesen heilbringende Reformen, unter denen besonders eine Zollvereinigung zu nennen ist, zu welcher Preußen die erste Anregung gab. Allmählich schlossen sich immer mehr deutsche Staaten an, bis im Jahre 1836 der große
deutsche Zollverein 27 Millionen Menschen umfaßte, die auch dadurch
dem Auslande gegenüber ein abgeschlossenes Ganze mit gemeinsamen Interessen bildeten.
Die hochgehenden Wogen, welche durch den Sturm der französischen Revolution im deutschen Volksleben erregt waren, hatten Bestrebungen Platz gemacht, die zwar demselben Boden entwachsen waren, aber doch ruhiger Entwickelung fähig schienen, als ein Verfassungsstreit in Hannover das gesamte Deutschland erregte (1837). Wilhelm IV., König non Großbritannien und Hannover, war gestorben, der einst die nach der französischen Revolution in Hannover ausgebrochenen Unruhen durch •eilte zeitgemäße Verfassung beseitigt und den Herzog von Cambridge als Vizekönig Hannovers bestellt hatte, damit dieser allezeit berechtigten Wünschen des Volkes leicht erreichbar sein möchte.
In England war dem König seine Nichte Viktoria auf den Thron gefolgt; in Hannover, wo nach dem salischen Gesetz weibliche Nachfolge unmöglich war, wurde der Bruder Wilhelms IV., Ernst August, König, dessen vergangenes Leben zu großen Befürchtungen Anlaß gab. Bald
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nach seinem Regierungsantritt hob er ohne weiteres die Verfassung auf <5. Juli 1837), weil sie alle Domänen für Staatseigentum erklärte, die er als persönlichen Besitz begehrte, damit seine ungeheure Schnlden-last zu tilgen. Er nahm sie am 1. November nach „gewissenhafter" Prüfung an sich und enthob zu gleicher Zeit alle Beamten ihres auf die Verfassung geleisteten Eides, versprach aber die Einberufung der Ltände von 1819. lim dem Volke das Bittre süßer erscheinen zu lassen, sollte es statt seiner verbrieften und nun durch einen Federstrich geraubten Rechte 100,000 Thaler Steuerermäßigung haben. Ein schlimmer Trost für ein gebrochenes Recht, das sich die meisten stumm nehmen ließen. Sieben Göttinger Professoren, deren Namen wert sind, unvergessen zu bleiben, erhoben Protest, „um nicht als Männer zu erscheinen, die mit Eiden ein leichtfertiges Spiel treiben." Es waren die Ehrenmänner Jakob und Wilhelm Grimm, Dahlmann, Albrecht, Gervinns, Ewald und Weber. Dahlmann, Gervinus und Jakob Grimm mußten sofort das Land verlassen, weil sie Abschriften ihres Protestes versandt hatten. Die übrigen fielen ebenfalls in Ungnade und hatten außerdem unter dem Haß derer zu leiden, die sich charakterlos gefügt hatten. Den Mutigen folgten noch weitere sechs Professoren und aus allen Gauen Deutschlands kamen sympathische Zuschriften, in denen die Professoren als Märtyrer gepriesen wurden. Doch wagte unter den Monarchen nur der König von Württemberg, einen der Vertriebenen, Ewald, an die Universität Tübingen zu berufen. Auf dem Bundestage hatte man für die Beschwerdeschrift der hannoverschen Stände nur den Bescheid, daß „keine Veranlassung zur Einmischung in die innern Angelegenheiten Hannovers vorhanden sei." Damit war der Verfassungsstreit zwar nicht gelöst, doch fügte sich allmählich, was nicht geändert werden konnte. Mochte doch mancher denken, wie jener hohe, hannoversche Staatsbeamte, der verzweifelt äußerte: „Ich unterschreibe alles, Hunde sind wir ja doch!"
In Preußen entbrannte endlich ein Kampf, der Fürst und Volk für oder gegen das Papsttum aufrief. Mit dem Fall Napoleons hatte letzteres sich zu neuer Lebensfrische erhoben und suchte nach gewohnter Art überall herrschend sein Panier aufzurichten, hatte auch zu diesem Zwecke manches für die Kirche günstige Abkommen mit den Regierungen geschlossen. In Preußen erschien der Friede zwischen Staat und Kirche völlig gesichert, weil Friedrich Wilhelm III. sich eben so nachgiebig gegen die Katholiken zeigte, wie gegen die Protestanten.
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Ja, man fürchtete viel eher, in Zukunft die protestantische Kirche auf Kosten der katholischen beschränkt, weil der geistvolle, schwärmerisch religiöse Kronprinz Friedrich Wilhelm (IV.) mit einer katholischen Prinzessin vermählt war und scheinbar sehr geneigt erschien, einer Kirche Zugeständnisse zu machen, die mit jedem Fußbreit des Erreichten Neues begehrte. Das schürten besonders die Jesuiten als treue Helfer des Papstes Pius VII. Die preußischen Bischöfe wurden als laue Söhne der römischen Kirche verdächtigt. Sie sollten sich als Ritter und Kämpfer gegen das Protestantentum bewähren. Das gab böse Stimmung im Lande, und Parteien, Persönlichkeiten standen dafür oder dagegen auf; aber der sonst überaus milde König war nicht ein Fürst, der sich Eingriffe in seine Hoheitsrechte gefallen ließ. Durch eine Kabinetsordre
vom 17. August 1825 bestimmte er für den westlichen Teil seiner Monarchie (Rheinland und Westfalen), wo viele Mischehen stattfanden, daß die konfessionelle Erziehung vom Vater abhängig sein solle. Diese Bestimmung galt in den östlichen Provinzen schon seit 1803. Nun verlangte der Papst die Unterstützung der Geistlichkeit, besonders der Bischöfe für seinen Befehl, daß bei jeder Eheschließung gemischter Konfessionen das Versprechen abgegeben werden solle, jedesmal die Kinder im katholischen Glauben zu erziehen, andernfalls solle die Anerkennung solcher Mischehen, falls sie etwa durch protestantische Geistliche geschlossen wurden, von der katholischen Kirche verweigert werden.
Die katholische Geistlichkeit Preußens war nicht allerwegen bereit,
diesem päpstlichen Befehle nachzukommen; die Regierung wollte erst recht nicht nachgeben und verlangte umsonst Abhülfe von den Bischöfen. Da wurde ein Abkommen getroffen, wonach in der „passiven Assistenz" ein Auskunftsmittel gefunden wurde. Sie bestand darin, daß die Brautleute, falls sie das verlangte Versprechen nicht geben wollten, vor dem katholischen Geistlichen und zwei Zeugen ihre Absicht fund zu thun hatten, sich verheiraten zu wollen. Das schied noch nicht von der Kirche.
Der auf diese Weise hergestellte Friede dauerte nur, so lange er von den milden, alten Bischöfen von Köln, Trier, Münster und Paderborn abhängig blieb. Der spätere Erzbischof Kölns, der streitlustige Klemens August von Droste-Vischering, ging jedoch rücksichtslos gegen die Anhänger der friedlichen Richtung vor, und alle Versuche der Regierung, den kriegerischen Herrn nur zur Beobachtung seiner einst als Weihbischof zu Münster abgegebenen schriftlichen Erklärung
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zu vermögen, blieben fruchtlos. Da ließ der König den trotzigen Prälaten verhaften und zur Festung Minden abführen.
Darauf erscholl ein Kriegsruf des Papstes voll bittrer Anklagen und Vorwürfe gegen die preußische Staatsgewalt, welche die Kirche knechte. Eine mächtige, katholische Volkspartei stand der Geistlichkeit zur Seite, besonders in den katholischen Rheinlanden, die sich damals noch nicht sehr fest an den preußischen Staat gebunden fühlten. Ihnen schloß sich der Erzbischof von Posen, Martin von Dunin cm. Er wurde ebenfalls zu Amtsentsetzung und Festungshaft verurteilt, vom König aber unter der Bedingung begnadigt, daß er nicht in seine Diözese zurückkehre. Das that er dennoch und wurde nun nach Kol-berg geschafft.
Fest entschlossen, diesen Streit zwischen Staat und Kirche, zwischen Krone und Tiara zum Austrag zu bringen, wich Friedrich Wilhelm III. keinen Schritt von dem als recht erkannten Wege.
Unter solchen Unruhen entschlief der müde König, siebzig Jahre alt (7. Juni 1840), und sein Sohn, auf den ganz Deutschland hoffend schaute, bestieg als Friedrich Wilhelm IV. den preußischen Thron. Würde er ein Fels werden, auf den es bauen durfte?
3. Von 1840 bis 1857: Deutschland von der Thronbesteigung Friedrich Wilhelm IV. von Preußen bis zur Revolution 1848.
Schleswig-Holstein, stammverwandt.
Die „Reaktion" bis zur Uebernahme der Regentschaft durch den Prinzen von Preußen.
Die persönlichen Eigenschaften des geistvollen Königs Friedrich Wilhelms IV. waren längst bekannt, und man glaubte nicht zweifeln zu dürfen, daß er Preußen, vielleicht dadurch auch Deutschland in durchaus neue Bahnen lenken werde, nachdem Friedrich Wilhelm III. das Zepter lebensmüde aus der Hand gelegt hatte. Von diesem will es bezeichnend erscheinen, daß ihm sein Volk in den letzten Jahrzehnten „den alten Herrn" nannte. Dein hochfliegenden Geiste seines königlichen Sohnes schien nichts unerreichbar, seiner treuen, vollen Willenskraft alles möglich. Von tief christlicher Gesinnung erfüllt, für Wissenschaft und Kunst begeistert, wurzelte sein Gemütsleben in den Idealen der
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Vergangenheit, die er, romantisch verklärt, auf die Gegenwart zu übertragen suchte. Der leuchtend schwärmerische Blick des Sohnes einer Königin Luise war der Spiegel eines Seelenlebens, von dem viel erwartet werden konnte. Aber bange Zweifler fürchteten, daß der Poet, der Künstler nicht ein König sein würde, wie Preußen ihn bedurfte, sollte der Staat Friedrichs des Großen nicht aufs neue bedenklich unter Stürmen erschüttert werden, die ihm auch ohnedies nicht erspart bleiben mochten.
Es war eine der letzten Thaten Friedrich Wilhelms III. gewesen, unter den Linden zu Berlin den Grundstein zu einem Denkmal Friedrichs des Großen zu legen. Friedrich Wilhelm IV. hatte es auszubauen, eine ideale Mahnung für den Ausbau des preußischen Staates.
Mit den ersten Worten, die der junge König innig, kraftvoll und überzeugend an sein Volk richtete, hatte er aller Herzen gewonnen. Wie demütig groß warb der hehre Hohenzoller um die Liebe seines Volkes, wie wollte er mit ihm verbunden fein in Freud und Leid, in heiliger Treue und wahrer Ehre! Bei der Huldigung in Königsberg wie in Berlin war es nur ein Geben und Nehmen reinster Liebe, eine große Frage des Königs an sein Volk, ob es zu ihm halten wolle „in der heiligen Treue des Deutschen, in der heiligeren Liebe des Christen!"
Das waren hoch gehende Wogen der Begeisterung, und doch zog ein leiser Mißklang hindurch. Eingedenk der wiederholten Zusage Friedrich Wilhelms III., hatten die Stände bei der Huldigung um eine konstitutionelle Verfassung gebeten. Darauf hatte der König eine, wenn vielleicht zusagende, doch recht unbestimmte Antwort gegeben. Aber seine ersten Regierungshandlungen hatten das Unbehagen schnell hinweg geräumt. Konnte man sich einen lieberaleren Fürsten denken, als einen König, der nur bemüht schien, alles in Eile gut zu machen, was in den letzten Jahren verfehlt wurde? Alle unglücklichen Opfer der Demagogenverfolgungen wurden dem Leben wieder gegeben, die edeln Märtyrer vaterländischer Bestrebungen, Ernst Moritz Arndt, Jahn, u. A. durch ihren König glänzend gerechtfertigt. Weniger wurde die königliche Milde gegen die widerspenstigen Erzbischöfe gut geheißen. Klemens August von Köln und Dunin von Posen wurden aus der Haft entlassen, der Letztere sogar wieder in sein Amt eingesetzt. Königliche Gnade und Huld schienen sich nicht genug thun zu können. In dieser Zeit sang Max Schneckenberger seine „Wacht am Rhein", und
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Nikolaus Becker jubelte das Rheinlied in die Welt hinaus: „Sie sollen ihn nicht haben, den freien, deutschen Rhein, ob sie wie gierige Raben sich heiser danach schnitt . . Denn ein solcher König würde auch den französischen Gelüsten entgegen treten, die eben wieder an der Westgrenze laut wurden. Das Volk begann ideal zu denken, vielleicht zu schwärmen mit und in seinem König, der sich nun auch anschickte, die Verfassung umzugestalten. Ob die Ausbildung der ständischen Institutionen im Sinne der Gesamtheit Preußens geschehn würde, war eine offne Frage.
Nachdem die Bundesakte vom 8. Juni 1815 bestimmt hatte, „in allen Bundesstaaten wird eine landständische Verfassung stattfinden", hatte die Preußische Krone „die Repräsentation des Volkes", die ihren Sitz in Berlin haben sollte, wiederholt in Aussicht gestellt. Anfangs-nur verzögert, war dieser Plan in Folge der demagogischen Bewegungen nicht unabsichtlich in den Hintergrund getreten. Im Jahre 1823 erschien in Preußen das „allgemeine Gesetz" wegen Anordnung der Provinzialstände, wonach diese „im Geiste der alten deutschen Verfassung" eingeführt werden sollten, wie „solche die Eigentümlichkeit des Staates und das wahre Bedürfnis der Zeit erfordern". Das war aber recht wenig der Fall. Unverhältnismäßig bevorzugt war der Großgrundbesitz, besonders die Reichsunmittelbaren und Standesherren, auch der Besitz des zweiten Standes, der Rittergutsbesitzer, die beispielsweise in den östlichen Provinzen ebenso viele Abgeordnete hatten, wie der Stand der Städte und Landgemeinden zusammen genommen. Nach dem Grundsatz „Grundbesitz ist. die Voraussetzung aller Stand-schaft" galten als solcher der Großgrundbesitz, meist in den Händen des Adels, der städtische Grundbesitz und der bäuerliche Besitz. Gegenüber diesen drei Ständen hatte der Kapitalbesitz ebenso wenig Vertretung wie die übrige Masse des Volkes, abgesehen vom Beamtentum, das als Säule der Staatsverwaltung mit den Standen vielfach Berührung fand und an Bedeutung für das Staatsleben das Beamtentum der Gegenwart weit überragte. Damit war der Jnteressenpolitik der höheren Stände um so mehr die Thür geöffnet, als auch die Kreis-stände der einzelnen Provinzen nach demselben Muster gebildet wurden,. wodurch jeder Rittergutsbesitzer eine Stimme hatte gleich jeder Stadt. Alle Landgemeinden eines Kreises hatten zusammen nur drei Stimmen, galten also nur so viel wie drei Rittergutsbesitzer.
Im Jahre 1842, am 21. Juni, bestimmte der König die Bildung
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eines ständischen Ausschusses für jede Provinz, der in Zeiten, wo die Provinzialstände nicht versammelt waren, gehört werden sollte. Endlich erfolgte durch ein königliches Patent die Berufung sämtlicher Provinzialstände zu einem Vereinigten Landtage in Berlin (3. Februar 1847), geteilt in die Herrenkurie der Fürsten und Standesherren und in die Kurie der Ritter, Bürger und Bauern. Dessen Befugnisse gingen zwar über die früheren Zusicherungen hinaus (Einführung neuer Abgaben oder Erhöhung der Steuern konnte nur mit ständischer Zustimmung erfolgen), aber der König hatte diese ständische Verfassung „in ihren Grundformen unantastbar, wenn auch entwicklungsfähig" genannt. Auch bei diesem Vereinigten Landtage blieb das Beklagenswerte, daß er keine Vertretung des ganzen Volkes bildete, somit dessen Interessen nicht völlig würdigen konnte.
Einiges aus der königlichen Thronrede ist bezeichnend für Rechte und Charakter des Landtags, der alle vier Jahre einberufen werden sollte. Zunächst erklärte sich der König entschieden gegen die Forderung einer urkundlich verbrieften konstitutionellen Verfassung. Niemals solle sich „ein geschriebenes Blatt Papier zwischen unsern Herrgott im Himmel und dieses Land drängen, als dessen Vertreter der König weihevoll sein königliches Amt verwalten wollte." Er glaubte zu wissen, sein Volk wolle nicht das Mitregieren von Repräsentanten, das Brechen der Vollgewalt seiner Könige, die seine Freiheit und seinen Wohlstand begründet hätten . . „Sie, meine Herren, sind deutsche Stände in althergebrachtem Wortsinn, d. h. vor allem nnd wesentlich Vertreter und Wahrer der eigenen Rechte, der Rechte der Stände, deren Vertrauen den bei weitem größten Teil dieser Versammlung entsendet. Nächstdem aber haben Sie die Rechte auszuüben, welche die Krone ihnen zuerkannt hat. Sie haben ferner der Krone den Rat gewissenhaft zu erteilen, den dieselbe von Ihnen fordert. Endlich steht es Ihnen frei, Bitten und Beschwerden, ihrem Gesichtskreise entnommen, aber nach reiflicher Prüfung an den Thron zu bringen. Das sind die Rechte, das die Pflichten, das Ihr herrlicher Berus. Das aber ist Ihr Berus nicht, Meinungen zu repräsentieren, Zeit- und Schnlmeinungen zur Geltung bringen zu sollen." Und dennoch, trotz aller Enttäuschung, wie herrlich das Königswort, das mit weithin schallender Stimme und zum Himmel erhobener Hand gesprochen wurde, gegenüber dem Geist des Zweifels und des Unglaubens: „Ich und mein Haus, wir wollen dem Herrn dienen!"
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Inzwischen waren tiefgehende religiöse Bewegungen durch ganz Deutschland gezogen. Bei der Grundsteinlegung des aufs neue in Angriff genommenen Kölner Dombaus (4. September 1842) hatte der König herrliche Worte der Begeisterung gesprochen, die weit über Preußen hinaus ein Echo fanden. Fühlte sich dadurch besonders die katholische Kirche gehoben, so wurde auch viel Mißstimmung laut über des Königs allzu gewissenhaftes Christentum, das seinen Einfluß auf die Verwaltung von Kirche und Schule geltend machte. Kettete sich daran ein wirkliches Erwachen und Vertiefen christlichen Lebens im preußischen Lande, so fanden auch Schein und Heuchelei daneben Raum, sich breit und verächtlich zu machen.
Da erregte die katholische Kirche einen gewaltigen Anstoß. Der Bischof Arnoldi von Trier ließ im August 1844 den „ungenützten, heiligen Rock Christi" ausstellen, und Ungezählte wallfahrten gläubig oder ungläubig zu dieser Schaustellung. Die Reliquie hatte Wunder gewirkt, und der Zweifel, der Angriff konnte nicht ausbleiben. Ein katholischer Priester, Joh. Ronge, erließ ein Sendschreiben an den „Tetzel des XIX. Jahrhunderts". Von der katholischen Kirche exkommuniziert, gründete er zu Breslau gleich andern (Czerski in Schneidemühl, Robert Blum in Leipzig, Rupp, Uhlich, Wislicenns u. ff.) eine „christkatholische Gemeinde". Was sich, dem Toleranzedikte des Königs entsprechend, aus den bestehenden Kirchengemeinschaften ausschied, gestaltete „freie Gemeinden" oder „Lichtfreunde", die ihren Anhängern allemal wieder besondere Lichter anzündeten und sich gegenseitig anfeindeten. Ihnen gegenüber standen die Orthodoxen, welche auch kampfeslustig genug waren, und die Druckerschwärze hatte in beiden Lagern genug zu thun, dem Spott und Zorn scharfe Waffen zu geben. Auch Gutes trat zu Tage, wie die Ausbreitung des Gustav-Adolf-Vereins, der die Evangelischen in katholischen Landen schützen wollte, damit aber dort wieder Anstoß erregte. Der König von Bayern wehrte sich dagegen durch die Drohung, einen Tillyverein gründen zu wollen. Religiös Mißvergnügte und politische Unzufriedene hatten sich in Preußen, wie in andern deutschen Ländern, die Hand gereicht, als Friedrich Wilhelm IV. den oben erwähnten Vereinigten Landtag berufen hatte, von dessen Zustandekommen der Prinz von Preußen (Kaiser Wilhelm I.) urteilte: „Ein neues Preußen wird sich bilden, das alte geht mit der Publizierung dieses Gesetzes zu Grunde. Möge das neue so erhaben und groß werden, wie es das alte mit Ruhm und Ehre geworden ist!"
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Der König brachte dem Landtage sein bestes Wollen entgegen; aber in der Fülle eigner Begeisterung übersah er, mit wie wenig Vertrauen ihm gedankt wurde. In einer Adresse, zu der die Versammlung nicht berechtigt war, die aber der König zuließ, wurde an Zusagen Friedrich Wilhelms III. erinnert, von einer Wahrung ständischer Rechte gesprochen, genug, ein unerwarteter Ton angeschlagen. Die erste Fassung dieser Adresse war von dem rheinischen Abgeordneten Beckerath. Sie wurde zu scharf befunden und wesentlich gemäßigt; aber doch verstimmte sie den König. Er erklärte, keine andern Rechte anerkennen zu wollen, als das Patent vom 3. Febrnar sie betone; dennoch wolle er so md gewähren, als mit den unveräußerlichen Rechten der Krone vereinbar sei. Aber Rechte zu wahren, auch die seines Volkes, sei königliches Privilegium, und nicht die Stände hätten darüber zu wachen.
Diese Gegensätze, zwischen den Ansichten des Königs und denen der Abgeordneten machten sich in den Verhandlungen noch mehr geltend. Bald schien der Landtag über die Krone hinauszuwachsen, für die hier zum ersten Male Herr von Bismarck ritterlich eintrat. Selbst gute Vorschläge der Regierung wurden zurückgewiesen, und es entspann sich ein Redekampf um Prinzipien und Rechte, der in ruhiger Debatte zu gutem Ziele hätte führen mögen. So aber konnte der König kaum anders, er mußte den Vereinigten Landtag entlassen (26. Juni 1847). Doch hoffte die Regierung, wie die gemäßigte Partei, eine allmähliche Verständigung zu erzielen, und am 17. Januar 1848 traten die vereinigten Ausschüsse zu diesem Zwecke zusammen. Der König war bereit, ihre Wünsche zu erfüllen: regelmäßige Wiederkehr des vereinigten Landtags und Beschränkung der Ausschüsse. Da zog ein Revolutionssturm über Europa hin, und alle guten Vorsätze mußten mit der Gewalt der Verhältnisse rechnen, die in einer allgemeinen schweren Hungersnot einen mehr als nur günstigen Boden gefunden hatten.
Seit den Freiheitskriegen war ein besonnener Liberalismus, der eine starke Einheit Deutschlands erstrebte, von den Edelsten des Volkes gepflegt worden. Besonders waren süddeutsche Universitäten, süddeutsche Gelehrte mit ihm verwachsen. Daneben machte sich eine demokratischradikale Partei geltend, die nur im wüsten Verlangen, im Umsturz alles Bestehenden, das einzige Heil sah. Besonders ausgeprägt waren diese Strömungen in Baden. In stürmischen Volksversammlungen waren unter Leitung des Advokaten Hecker und des Journalisten Struve Preßfreiheit, Schwurgerichte, Volksbewaffnung und Volksvertretung
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begehrt worden. Auf dem Lande bewaffneten sich die Bauern mit Sensen, zu welchem Zwecke, blieb noch unausgesprochen. Großherzog und Ministerium bewilligten alles Verlangte, ohne völlig befriedigen zu können. Der Bundestag wollte nichts an sich kommen lassen und stellte den einzelnen Regierungen anheim, so viel oder so wenig zu gewähren, als jeder Monarch wolle.
Auch die Vertreter des Liberalismus hatten mit einander geratschlagt und viel ehrenwerte Namen unterzeichneten das Schriftstück, welches allgemeine Wünsche enthielt. Der preußische König war besonbers manchen Reformen der Bundesverfassung nicht abgeneigt. Er ließ in Wien Vorschläge über ein allgemeines deutsches Bürgerrecht, ein gemeinsames Handelsrecht und Strafrecht machen, auch die Ausdehnung des Zollvereins über gauz Deutschland empfehlen u. a. Metternich ging auf keinen der hoch beachtenswerten Entwürfe ein. Er war ein Mann des Rückschritts, am liebsten da, wo es Preußen galt, wie er alles einen verruchten Gedanken nannte, was ein einiges Deutschland bezwecke, unter dem die Fürstenmacht leiden müsse. Und doch lagen
drohende Gewitter in der Luft. In offener Kammersitzung hatte der badische Abgeordnete ausgesprochen: „An der Seine und an der Donau neigen sich die Tage!"
In Bayern war das Volk seit Jahren gegen König Ludwig erbittert, der seine Geliebte, die Tänzerin Lola Montez in den Adelsstand' erheben wollte, wozu die Spanierin vorher das bayerische Bürgerrecht erwerben mußte. Ein Ministerium um das andre verdarb es mit der öffentlichen Meinung, besonders seitdem der König die Erfüllung seines Wunsches durchgesetzt hatte (1847). Das Ende davon war, Lola
Montez, nun Gräfin Landsfeld, sollte Bayern verlassen, doch, obgleich Ludwig erklärte, als „deutscher Mann" der Fürst seines Volkes sein zu wollen, ließ er lieber die Krone, als die Geliebte und dankte zu Gunsten
seines Sohnes, Maximilian II., ab.
Auch in der Schweiz waren seit Jahren religiöse und politische Gegensätze bedenklich auf einander gestoßen. Der Kanton Neufchatel hatte sich in Folge eines Sonderbundkrieges, der auch eine neue Schweizer Bundesverfassung durchzusetzen wußte, von Preußen losgerissen (endgütig erst 1847), und wo es ja noch anscheinend ruhig in ben deutschen Südstaaten herging, gährte ein vulkanisches Feuer in ber -tiefe um so bedenklicher. Dabei meinte bas ganze, nach freier
Einheit strebende Jungdeutschland den Fehdehandschuh aufheben zu sollen, den der Dänenkönig Christian VIII. in seinem „offnen Brief" hinausgeschleudert hatte (8. Juli 1846). Er drohte, Schleswig-Holstein nur noch strenger mit Dänemark zu verbinden, je mehr die Gedanken Uwe Lornsens (1830) im Volksleben Gestalt anzunehmen schienen. Der deutsche Bundestag nahm sich der Stanunesgenossen nicht einmal an, als der Dänenkönig ein völliges Unterdrückungssystem gegen sie begann (1843). Bei seinem Tode folgte ihm sein Sohn Friedrich VII . als der letzte Sproß seines Geschlechts in der Regierung, und die Frage war berechtigt, was nach ihm aus Dänemark, aus Schleswig-Holstein werden solle, da wohl in Dänemark die weibliche Nachfolge galt, nicht aber in Holstein. Ueber Schleswig waren die Meinungen geteilt. Eine Partei (Eiderdünen) wollte Schleswig jedenfalls den Dänen überlassen wissen; die holsteinischen Provinzialstände aber verlangten Schleswig-Holstein „up ewig ungedeelt." Doch wollte Friedrich VII. Zweifel an Dänemarks Rechten nur für kleine Gebietsteile Schleswig-Holsteins gelten lassen. Eine große Volksversammlung zu Neumünster hatte gegen diese Gewaltherrschaft protestiert, und „Schleswig-Holstein meerumschlungen" klang aller Enden wieder von dem hehren Gedanken, „deutscher Sitte hohe Wacht" sein und bleiben zu wollen. Welches Echo fand es in Alldeutschland, das hier einen Anhalt für nationale Bestrebungen sah, als am 24. Februar 1848 der Julithron des französischen Königstums zusammen stürzte. König Louis Philipp wurde von seinem Volke weggejagt.
In Oesterreich, dessen Zusammensetzung aus vielen Nationen, der Regierung allezeit viel Schwierigkeiten gemacht, wirkte das französische Vorbild zuerst, und die Revolution flammte heftig an allen Enden des Kaiserstaates auf. In Ungarn forderte Ludwig Kossuth eine konstitutionelle Verfassung in so kecker Rede, daß die Säulen der Wiener Hofburg davon erzittern mochten, um so mehr, da die Willkürherrschaft Metternichs viel Haß erregt hatte. Auch in Wien ging das aufgeregte Volk zum Angriff über, als es durch das Militär zerstreut werden sollte, das sogar eine Salve auf die Massen abgab. Der Rücktritt Metternichs brachte Mäßigung, als ein kaiserlicher Erlaß Aufhebung der Zensur und die Einrichtung einer Nationalgarde gewährte (14. März). Auch sollte eine Reichsversammlung über eine Konstitution beraten. Eine Anekdote, welche über die Entlassung Metternichs berichtet, ist bezeichnend für die fürstliche Stellung des österreichischen
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Kaisers Ferdinand. Erschrocken soll er die Volksdeputation empfangen haben, voll banger Erwartung, was man von ihm begehren werde. Als die Entlassung Metternichs verlangt wurde, atmete der Kaiser erleichtert auf und antwortete auf gut wienerisch, daß er selbst ja sehr damit einverstanden sei, aber — „sagts ihm selber, ich glaube nur, er thuts nicht!"
Die revolutionären Anstifter zogen scharenweis durch die deutschen Lande, und viele Barrikadenkämpfer Wiens bauten mit an der Revolution Norddeutschlands, welche nur noch Tage auf sich warten ließ. Von Revolutionsmännern aus Polen, Frankreich und Süddeutschland geschürt, wurden in Berlin lärmende Volksversammlungen gehalten, Adressen an den König beraten und verworfen, der die steigende Bewegung durch Einberufung des Vereinigten Landtags zu beruhigen hoffte. Auch ließ er verkünden, wie er vereint mit Oesterreich die Vertreter der deutschen Regierungen nach Dresden geladen habe, freiheitliche und volkstümliche Aenderungen zu beraten. Aber die Bevölkerung Berlins wurde mißtrauisch, als offenbar militärische Sicherheitsmaßregeln getroffen wurden. Der Prinz von Preußen (Kaiser Wilhelm I.), welcher als Kommandeur des rheinischen Armeekorps nach Coblenz hatte abgehen sollen, blieb, und bald waren Gewaltmaßregeln unvermeidlich, als der Pöbel bei den Wiener Allarmnachrichten vor das königliche Schloß zog (15. März) und durch Militär nur schwer zerstreut werden konnte.
In den folgenden Tagen hatte ein königlicher Erlaß, der konstitutionelle Einrichtungen verhieß, Beruhigung gebracht. Das Volk zog vor das Schloß (18. März), dem König eine Ovation darzubringen, und damit schien alles friedlich beigelegt. Nachdem sich aber der König zurückgezogen hatte, wurde seiner Aufforderung, den Schloßplatz zu räumen, nicht Folge geleistet. Ob durch Mißverständnis, ob bedacht, fielen inmitten der Volksmassen, angeblich von Seiten der Soldaten, zwei Schüsse. Das war das Allarmsignal für beide Lager. In der Nähe des Schlosses begann ein heißer Kampf, der sich durch die Hauptstraßen der Stadt fortsetzte, wo in unglaublich kurzer Zeit Barrikaden jeden Verkehr hemmten. Der Kampf zwischen Bürgern und Soldaten dauerte von 3 Uhr nachmittags bis 2 Uhr nachts und beruhigte sich erst nach höchster Erschöpfung. Eine weiße Fahne mit der Inschrift „Mißverständnis," welche der König unter die Massen tragen
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ließ, wurde verhöhnt, und die Truppen mußten die einzelnen Barrikaden selbst am folgenden Tage gleich feindlichen Festungen nehmen.
Von den widerstreitendsten Meinungen, wie von der eigenen Willensschwäche oder vielmehr von der persönlichen Herzensgute getrieben, gab Friedrich Wilhelm IV. am Morgen des 19. März dem Volkswillen nach, das Militär mußte Berlin verlassen. Die Bürgergarde trat an seine Stelle. Weit davon entfernt, durch dieses königliche Entgegenkommen entwaffnet zu sein, brachte der Pöbel die schmählichsten Demütigungen über des Königs Haupt und Haus. Sein rührender Aufruf „An meine lieben Berliner" wurde mit Hohnlachen begrüßt. Die Massen der Leichen wurden in den Schloßhof geschleppt, und der König wurde gezwungen, diese Opfer der Empörung entblößten Hauptes zu grüßen. Der um seiner Energie willen gehaßte Prinz von Preußen mußte heimlich Berlin verlassen, um nicht in die Hände der Aufrührer zu fallen; an sein Palais schrieb man mit großen Lettern: „Nationaleigentum!"
Wie gerade dieses Wort dem königlichen Hause ein Schutz gegen die aufgehetzten Volksmassen werden durfte, das erzählt der noch jetzt lebende Stadtförster Snhr zu Woldegk in Mecklenburg-Strelitz. Die treuherzige Art seines Berichts in Mecklenburger Platt spricht für die Wahrheit desselben.
„Enes Dags im März 1848 kem ik ut de Olle Leipzigerstrat, wo ik as Gesell arbeitete (Suhr war ursprünglich Schneider) vor bat Tughus und sah dat Volk dor lagern. En ordentlich Biwak was up-schlagen, et würd dor kakt und braden. Dull gingt her. Da mit enmal fernen de Timmerlüd, de Aexten mit bunte Bänner up de Schultern, herangerückt und wnllen dat Paleh von den Prinzen
Wilhelm vou Preußen demoliren. Dis wir all nah England flücht; dat Volk glöwte jo, he had de Revolution anstift. Up de Ramp von dat Palleh würden vele Reden Hollen, und de hohen Herren Minister und Professoren schregen stk beinah de Kehl ut den Hals, doch nützt dat allens nich. Dat Volk brüllte immer dortwüschen und leten se gor nich to End reden. Dünn dacht ik so bi mi: De Mann, wat de
Prinz is, het di immer so fründlich grüßt, wenn du an dat Eckfinster von sin Paleh vöröwer gingst: de Mann dücht mi so recht dütsch und wohr; wenn't ichtens möglich is, denn möst du em jetzt Hespert. Ahn
mi noch lang to besinnen, bün ik up de Ramp, hollt mi mit den
linken Arm an enen Laternenpfahl fast und fang an to reden. Ik
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wees mit de rechte Hand, de ik frie hctd, up en rodes Plakat gegen-üwer, worup stünn: „Des Volkes Stimme ist Gottes Stimme" und säd: „Wenn des Volkes Stimme wirklich Gottes Stimme ist, dann
werdet ihr dieses Palais nicht erobern!" Und tom Schluß stimmte ik dat Led: „Heil dir im Siegerkranz" an, und bat ganze Volk sung
mit, und ik hew in bissen Ogenblick manchen öllrigen Mann sehen, den de Thränen von de Backen lepen. As se nu so sungen, möt mi dat de Vorsehung ingewen Heroen, roo’t süs möglich wir, roet icf ntch; genog, eins, troei, drei had ik min Schniederkried herut und schrero an de Flügeldöhr von det Paleh dat Würd „Nationaleigenthum" und rönnt roeg. Ik roüßt sülrost nich, roie mi wir. As ik twüschen de Meng was, hürte ik, dat seh nah den „Studenten" föchten, de dor redt had. Ken Minsch had jo up den lütten Schniedergesellen in de Pekesch mit grüne Schnüren Acht gewen. Un as se nu dat Würd „Nationaleigenthum" sehgen, würdens stutzig. Infolge von de Red und dat Singen was dat Volk all up anner Gedanken kamen, und et glömte nu, dat en von de Studenten, de sich up den Platz herum-drewen, dat Würd dor anschrewen had. Et kam all Lüd vor, as wenn't dor hen zaubert wir. Genog, de Timmerlüd treckten aw, und de äwrige Menge verlür sik ok mit de Tid. Ik kam up Uemwegen nah min Wahnung in die Olle Jakobstrat. Am annern Morgen was ämer de Döhr von dat Paleh en Breth mit de Upschrift „Nationaleigenthum" anbrächt. So is’t kamen, dat se 1848 den Kaiser Wilhelm sin Hns nich störmt Heroen."
Das Palais wurde, sicher in bester Absicht, von einer auch als Bürgergarde bewaffneten Studentenschar besetzt und -vor der Rohheit des Pöbels geschützt. Ihr Anführer, der damalige Studentenoberst Ernst Brand (gest. 15. Januar 1893 als ehem. Realschuldirektor), wurde später mit dem Ritterkreuz des Hohenzollerschen Hausordens belohnt.
Auf Verlangen des Volkes wurden alle gefangenen Empörer, auch der polnische Aufrührer Mieroslaivski, freigegeben, und umgeben von den Prinzen des preußischen Königshauses und seinen Ministern, ritt der König, ein Märtyrer unter dem Hohn der Menge, am 21. März durch die Straßen Berlins, geschmückt mit dem schwarz-rot-goldenen Bernde, als Zeichen eines geeinten deutschen Reiches.
Wunderbarer Weise beruhigte das die Massen. Auch die Worte
des Königs, die er hier und dort an das Volk richtete, gefielen. Als am folgenden Tage (es war der Geburtstag des Prinzen von Preußen,
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den dieser vor seiner Abreise nach England heimlich auf der Pfaueninsel bei Potsdam verlebte) die Leichen der gefallenen Empörer, 183 Särge, vor dem Schlosse vorüber gebracht wurden, um unter der Einsegnung des Bischofs Neander im Friedrichshain bestattet zu werden, ergötzte sich der Pöbel an dem Schauspiel, den König entblößten Hauptes auf dem Balkon des Schlosses stehen zu sehen, wie er die Toten grüßte, die ihm durch die Revolution den Todesstachel ins Herz gesenkt hatten. Dennoch — wie viel erwartete man auch jetzt noch in den besten Schichten des Volkes von dem edeln König Friedrich Wilhelm IV.! Wäre er bereit gewesen, eine deutsche Kaiserkrone von Volkes Gnaden anzunehmen, wie man schon jetzt in manchen Kreisen still zu hoffen wagte, sie wäre ihm wohl zur Dornenkrone geworden.
Schon am 1. März hatte der Bundestag die einzelnen Bundesstaaten aufgefordert, Vertrauensmänner nach Frankfurt a. M. zu senden, eine Nationalversammlung zu begründen. Am 31. März war das von den Liberalen längst geplante Vorparlament eröffnet worden, in den zwar die ärgsten Schreier unter Heckers Führung vergeblich das Programm einer Republik begehrten, aber doch den Grundsatz einer Volkssouveränetät durchbrachten. Der aus dem Vorparlament hervorgegangene Fünfziger Ausschuß betrieb vereint mit dem fast bedeutungslos gewordenen Bundestage die Einberufung eines Reichsparlaments, einer deutschen Nationalversammlung. Diese trat am 18. Mai 1848 in der Paulskirche zu Frankfurt a. M. zusammen. Doch konnten diese sechs Hundert, meist gelehrte, scharf denkende Männer, denen man im großen und ganzen das Zeugnis eines regen Eifers für das Volkswohl nicht versagen darf, es zunächst nur zu einer Aufstellung von „Grundrechten des deutschen Volkes" bringen. Sie wurden von den Einzelstaaten als Ganzes nicht anerkannt, um so mehr, da das Parlament eine Vereinbarung mit den Fürsten ablehnte und sich unter Führung ihres Präsidenten nur auf den Boden der „Volkssouveränetät" stellen wollte. Als Spitze wurde ein Reichsverweser gewählt. Dieser wurde, unter Anerkennung der einzelnen Regierungen, in der Person des Erzherzogs Johann von Oesterreich gefunden. Ihm sollten die deutschen Heere huldigen, was zunächst Preußen und Oesterreich ihren Truppen nicht gestatteten; auch Bayern machte Bedingungen. Dem Reichsverweser sollte ein Reichsministerium zur Seite stehen, das er selbst ernannte, das aber den Rat des preußischen Königs verschmähte, sich mit den Regierungen der Einzelstaaten in Verbindung
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Zu setzen, um so die gute Fühlung mit den einzelnen Fürsten zu erhalten, die vor allen Dingen ihre Selbständigkeit gewahrt wissen wollten.
Da die revolutionären Elemente im Parlament nicht genügend ihre Rechnung fanden, suchten sie ihre Ziele mit Waffengewalt in den für ihre Wühlereien am besten geeigneten Ländern zu erreichen. An der schweizer und an der französischen Grenze standen Tausende, Franzosen, Italiener, Polen, Ungarn unter ihrem Anführer Georg Herwegh bereit, und die badische Regierung hatte längst um Bundeshülfe gebeten, da sie auf das eigne Militär nicht glaubte bauen zu dürfen. Wennngleich diese aufständischen Unruhen in kurzer Zeit beigelegt wurden, nicht so bald ließ sich die Volksstimmung beruhigen, als auch in Polen die Sensenmänner Mieroslawski's aufstanden, welche ebenfalls nach wenigen Gefechten zur Ruhe gebracht wurden.
Den Umständen nachgebend stellten die einzelnen Regierungen liberale Ministerien auf, die so gut wie alles gewährten, was gefordert wurde: Vereinsrecht, Preßfreiheit, Volksbewaffnung, Aufhebung aller feudalen Lasten u. s. f. Das nannte man im Volke Märzerrung en-s chaften.
In Preußen löste sich der Vereinigte Landtag gleichsam von selbst auf, nachdem er auf Veranlassung des Königs ein Wahlgesetz gut geheißen hatte, das eine preußische Nationalversammlung begründete, welche im königlichen Schauspielhause tagte. Ein Konstitutionsentwurf, den das liberale Ministerium Camphausen vorlegte, wurde von den „Demokraten" verworfen, und die gemäßigten Mitglieder der Nationalversammlung hatten schlimmen Stand. Es war nichts Ungewöhnliches, daß man ihnen als Drohung einen Strick vor die Augen hielt oder dem Aehnliches. Mit Hülfe eines neuen Ministeriums sollte die Versammlung nach Brandenburg verlegt werden. Aber die demokratischen Abgeordneten wollten das nicht, und als Wränget vor dem Schauspielhause mit Militärmacht erschien, erklärten sie, nur der Gewalt weichen zu wollen. In energischer Gemütlichkeit machte ihnen Wrangel klar, daß er eben die Gewalt sei, und „im, Kinderkens, macht denen da drinnen das mal begreiflich, daß die bewaffnete Gewalt da is!" Das half. Aber in Brandenburg kam nicht einmal die beschlußfähige Anzahl zusammen; darum löste der König das thatenlose Parlament auf und gab dem Volke endlich selbst eine neue Staatsverfassung, die von den im Februar 1849 ein-
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zuberufenden Kammern revidiert werden sollte. Schon am 27. April 1849 wurden auch diese aufgelöst und am 30. Mai 1850 stellte der König ein neues Wahlsystem für die zweite Kammer auf, in welchem die Wähler nach drei Steuerstufen bestimmt wurden.
Während dieses jahrelangen Verfassungskampfes in Preußen, der auch mit dem Jahre 1850 längst nicht geklärt war, hatte Oesterreich einen noch härteren Streit zu führen, der seine Existenz in Frage stellte, um so mehr, da Kaiser Ferdinand am 2. Dezember 1848 zu Gunsten seines 18jährigen Neffen Franz Joseph dem Throne entsagt hatte. Die österreichische Demokratie führte einen Kampf der einzelnen Nationalitäten des Kaiserstaates, und so war auch der elende Reichstag, der seit dem 22. Juli 1848 in Wien tagte, nicht eine Vertretung politischer Meinungen und Bestrebungen, sondern ein Ringen der einzelnen Völkerschaften um ihre Unabhängigkeit. Da wurde der Abfall Ungarns durch Kossuth betrieben, der auch gelobte, das „heldenmütige" Volk Wiens nicht zu verlassen, gleicherweise eine Slavenbewegung in Böhmen, ein Aufstand in der Lombardei-Venetien. Als der Kriegsminister Latour den Abmarsch der verfügbaren Truppen nach Ungarn befahl, weigerte sich ein Wiener Regiment, zu gehorchen. Selbst ein galizisches Regiment vermochte die Empörer nicht zu zwingen. In dem sich darauf entspinnenden Kampfe siegten die Aufrührer; der Kriegsminister wurde im eignen Hause ermordet und dann an einen Laternenpfahl gehängt.
Mit äußerster Energie gelang es dem jungen Kaiser endlich, aller Feinde im eignen Reiche Herr zu werden. Nachdem schon im Juni die Slaven unterlegen waren, denen selbst die Gemahlin des Fürsten Windischgrätz zum Opfer fiel, waren die Ungarn mit Hülse der Russen unterworfen, die 100,000 Mann stark über die Karpathen in das Land rückten. Auch in Italien waren die österreichischen Truppen unter ihrem Heldenführer Radetzky siegreich, und Fürst Windischgrätz bewältigte im Oktober das aufrührerische Wien, über das ein furchtbares Strafgericht erging. Die Erklärung und strenge Handhabung des Standrechts brachte endlich die gährenden Massen zur Besinnung. Am 7. März 1849 wurde der von Wien nach Kremsier in Mähren verlegte Reichstag aufgehoben und 1851 eine Reichsverfassung für den österreichischen Gesamtstaat gegeben. Doch blieb auch diese nicht lange in Kraft.
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Dieses entschiedene und gegen die Uebergriffe der Demokratie erfolgreiche Auftreten der beiden Hauptmächte Deutschlands blieb nicht ohne Wirkung, zunächst auf das Selbstvertrauen der wohlwollenden Fürsten und aller guten Elemente im Volke. Auch die Umsturzpartei mochte sich eines Bessern besinnen; sie hatte sich' das Umwerfen lang bestehender Verhältnisse doch leichter gedacht, als es sich nun erwiesen hatte.
Auch im Frankfurter Parlament überwog die gemäßigte, sogenannte klein-deutsche Partei die „äußerste Linke", welche in niedrigen Bestrebungen als ihr höchstes Ziel die Vernichtung der monarchischen Staatsverhältnisse sah. Die klein-deutsche Partei meinte von Preußen die Bürgschaft einer vaterländischen Zukunft hoffen zu dürfen, wenn es sich an die Spitze eines geeinigten Deutschlands stellen würde. Doch sollte Oesterreich ausgeschlossen bleiben, das seit Jahrhunderten die allgemeinen deutschen Interessen auf Kosten seiner Hauspolitik schwer geschädigt hatte. Da erklärte Oesterreich, daß es sich feine „historische Stellung" nicht rauben lasse, und eine groß-deutsche Partei der Nationalversammlung zu Frankfurt vertrat diese Interessen. Nach vielen Parlamentskämpfen siegte die klein-deutsche Partei. Ihrem Wunsche entsprechend kam eine deutsche Reichsverfassung zu Stande, an deren Spitze ein Oberhaupt, der König von Preußen, stehen sollte, in welcher Form, blieb noch sehr unklar. Als ob man einen städtischen Bürgermeister zu wählen habe, so wurde debattiert, ob der König von Preußen Reichsverweser oder Wahlkaiser auf drei, sechs oder zwölf Jahre, vielleicht gar auf Lebenszeit fein solle. Es kann nicht Wunder nehmen, daß es allen Fürsten, nicht am wenigsten dem König von Preußen, über den Verhandlungen des Parlaments ansing übel zu werden. Oesterreich war erstens gar nicht der Meinung Preußens, daß die deutschen Staaten überhaupt einen Sonderbundstaat ohne Oesterreich bilden könnten; vielmehr wollte es selbst mit all seinen außerdeutschen Ländern zu einem neu zu bildenden deutschen Reiche gehören. Doch zog es fürs Erste die österreichischen Vertreter ans dem Parlament zurück. Auch die größeren deutschen Staaten: Bayern, Sachsen, Hannover und Württemberg waren gegen die neuesten Parlamentsbeschlüsse.
Zu derselben Zeit hatte Preußen Gelegenheit gefunden, seine wiederholt ausgesprochene deutsche Gesinnung selbst auf dem Schlachtfelde zu bezeugen, während die aufgeregte Bevölkerung gleich der Ber-
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üner Nationalversammlung der preußischen Krone viel Verdruß bereitete, das Frankfurter Parlament auch nichts Besseres zu Wege brachte und die revolutionären Strömungen weiter durch die deutschen Staaten fluteten. Schon im Frühjahr 1848 halten die Reibungen zwischen Dänemark und den Elbherzogtümern Schleswig-H o l st ein-Lauen-bürg (das letztere rechtmäßig 1815 an Dänemark gekommen) zu offenen Feindseligkeiten geführt, und Preußen hatte im Einverständnis mit dem deutschen Bunde den Schleswig-Holsteinern eine preußische Heeresabteilung unter Wrangels Führung zu Hülfe gesandt. Ende April waren die Herzogtümer von den Dänen befreit, und Anfang Mai besetzten die Preußen den südlichen Teil Jütlands. Da mischten sich England, Schweden und Rußland in die Angelegenheit. Sie drohten mit einer Blokade der preußischen Häfen und mit dem Eiumarsch in das Königreich von Nordosten her. Da Preußen im eigenen Staate seine Kräfte brauchte, schloß' es trotz seiner Siege am 26. August den Waffenstillstand von Malmö. Zum Präsidenten in den Herzogtümern wurde der dort verhaßte Dänenfreund Graf Karl Moltke ernannt, und das Elend der Unterdrückung in den so schmählich verlassenen deutschen Grenzländern wurde unerträglicher als je zuvor.
Diese offenbar politische Niederlage Preußens, das vom deutschen Bunde völlig im Stiche gelassen wurde und in der Pflicht der Selbsterhaltung nicht anders handeln konnte, gab den demokratischen Elementen neues Leben. Im Frankfurter Parlament regten sie zu allgemeinen Aufständen an; sie veranstalteten auf der Pfingstwiese bei Frankfurt eine große Volksversammlung, in der beschlossen wurde, das Parlament, das in der Mehrheit nichts von republikanischen Plänen wissen wollte, zu sprengen und einen Konvent an seine Stelle zu setzen. In einem Straßen- und Barrikadenkampf unterlagen die Empörer, die von hessischen und preußischen Truppen besiegt wurden. Aber die Tumulte hatten zwei Opfer gefordert, die am wenigsten schuldig waren. Geueral v. Auerswald und Fürst Lichnowsky wurden aufs Empörendste während eines Spazierrittes ermordet.
Die unter der Hand erfolgte Ablehnung einer ihm zugedachten erblichen deutschen Kaiserkrone durch Friedrich Wilhelm IV. hatte das Parlament nicht vermocht, ganz davon abzusehen. Es herrschte vielmehr großer Jubel, als der König von Preußen wirklich mit 294 Stimmen zum Kaiser erwählt wurde; 240 Abgeordnete hatten sich der Wahl enthalten. Eine Deputation von 33 Männern begab sich nach
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Berlin, dem König feierlich dieses Resultat zu verkünden und ihn um Annahme der Kaiserkrone zu bitten. Freundlich, aber entschieden wies er sie zurück. Höchstens wollte er Reichsverweser an Stelle des Erzherzogs Johann sein, dem es aber zunächst nicht einfiel, seine Würde niederzulegen.
Bemerkenswert bleibt, daß die Frankfurter Deputation, nachdem sie hoffnungslos für ihren Auftrag das Schloß verlassen hatte, in das Palais des Prinzen von Preußen geladen wurde, wo außer dem Prinzen sonderlich die Prinzessin von Preußen (Kaiserin Augusta) den Deputierten in Gegenwart ihres Sohnes freundlich zuredete, es könne und müsse noch alles zu gutem Ende führen. Sah die hohe Frau prophetischer in die Zukunft als die Diplomaten?
Doch war der König entschlossen, vor allem andern das preußische Königtum den Zeitströmungen gegenüber zu festigen. Wie sehr es ihm damit Ernst war, hatte er eben in der Auflösung der preußischen Nationalversammlung bewiesen. Dem gegenüber wollten auch die Radikalen erzwingen, daß das ganze deutsche Volk die gewünschte deutsche Reichsverfassung zur Geltung bringe, und wenn der preußische König nicht an die Spitze Deutschlands treten wollte, sollte der nächstgroße Staat diese Ehrenstelle von Volkes Gnaden einnehmen. Ob sich Preußen oder Oesterreich je dem Beschluß gefügt hätten?
Die gemäßigten Abgeordneten schieden allmählich ans dem Frankfurter Parlament aus, und der Rest, 105 Deputierte, siedelte als „Rumpfparlament" nach Stuttgart über, wo endlich die deutsche Nationalversammlung vor allem Volk zur Karrikatur wurde. Sie ernannte eine ohnmächtige „Reichsregentschaft" und machte sonst welche lächerlichen Dinge, bis das wunderliche Rumpfparlament nach Wochen voller Thorheiten durch die württembergifche Regierung gesprengt wurde.
Einen besseren Versuch, den deutschen Staatsbau fester zu gründen, hatte der König von Preußen gemacht, indem er an Stelle des Staatenbundes einen Bundesstaat mit Volksvertretung zu setzen suchte. Er schloß mit einer Anzahl deutscher Staaten, besonders mit Hannover und Sachsen, das sogenannte Dreikönigsbündnis. Doch traten diese bald wieder zurück, und Friedrich Wilhelm IV. versuchte, auf dem Erfurter Parlament die treu gebliebenen deutschen Kleinstaaten zn einer Union zn verbinden. Nach der hier geplanten Verfassung sollte Preußen die Präsidentschaft des engern deutschen Reiches, auch
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Lessen diplomatische Vertretung haben und die militärische Oberleitung. Ihm zur Seite sollte ein Fürstenkollegium stehen, das die Vorlagen an „die beiden Häuser des Reichstags", an das „Staaten-" und das „Volkshaus" bringen sollte. Diesem Bunde, den Oesterreich eifersüchtig beobachtete, traten 17 Staaten bei. Es suchte mit Bayern, Sachsen und Württemberg ein Gegenbündnis zu schließen, um in Deutschland festen Fuß zu fassen, und während Preußen seine Bundesglieder in Berlin versammelte, eröffnete Oesterreich aufs Neue einen deutschen Bundestag in Frankfurt. Als dessen Mitglied hatte es sogar Dänemark aufgenommen, das eben die deutschen Elbherzogtümer unterdrückte. Dabei hatte Oesterreich nicht . unterlassen, Preußen dazu einzuladen. Doch bewahrte dieses natürlich seine Zurückhaltung weiter, da es klar •ein Zukunftsbild sich vollenden sah: Süddeutschland, der Feind Norddeutschlands !
Diese Spaltung war um so beklagenswerter, da die Revolution in vielen deutschen Staaten aufs Neue erwacht war. In Dresden hatte die Empörung, die von Frankfurt aus angestiftet war, eine solche • Ausdehnung angenommen, daß preußische Truppen zur Unterdrückung mitwirken mußten. Auch in Württemberg wie in Hannover wurden bedenkliche Unruhen nur durch Zugeständnisse der Krone gelöst. Am schlimmsten war es in Baden. Dort hatten Großherzog und Ministerium das Land verlassen und ein Landesausschuß, an dessen Spitze Struve stand, beherrschte von Karlsruhe aus das Land. In der Rheinpfalz, die sich von Bayern losreißen wollte, wurde Volksbewaffnung dekretiert. Der badische Aufstand wurde gleich dem in der Pfalz zwar nach kurzer Zeit, aber nicht ohne blutige Gefechte niedergeworfen. Der Großherzog von Baden hatte vom preußischen König Hülfe erbeten, der feinen Bruder, den Prinzen von Preußen, aus der Rheinprovinz hinüberrücken ließ, während ein Reichsheer in der Rheinpfalz Erfolge hatte. Viele Schuldige, wenn auch nicht die Haupträdelsführer, die sich davon machten, mußten ihre Thaten mit dem Tode büßen oder mit langer Haft.
Je mehr die revolutionären Bewegungen zur Ruhe gebracht wurden, desto schärfer und Gefahr drohender hatten sich die politischen Gegensätze inmitten Deutschlands gegen einander zugespitzt. Zunächst machte sich das in der schleswig-holsteinschen Sache geltend. Die Dänen hatten den Waffenstillstand von Malmö unerwartet gekündigt, und neue Feindseligkeiten begannen. Aber ein Reichsheer unter dem
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preußischen General von Prittwitz war eben so siegreich, wie die schleswig-holsteinischen Strandbatterien, welche die beiden größten dänischen Kriegsschiffe besiegten: die Fregatte „Gefion" und das Linienschiff „Christian VIII." Dieses wurde in Brand gesteckt; mit seiner ganzen Mannschaft nnd 84 Kanonen flog es bei Eckernförde in die Luft (5. August 1849). Bayern und Sachsen der Reichsarmee hatten die Düppler Schanzen erstürmt, Schleswig-Holsteiner und Preußen die Dänen bei Kolding geschlagen, und Reichstruppen rückten vor bis an die Wälle von Fridericia. Da machte die schwedisch-englisch-russische Diplomatie dem Siegeslaufe wiederum ein Ende, sonderlich durch Oesterreichs Eifersucht dazu veranlaßt. Preußen, die treibende Hauptmacht der schleswig-holsteinschen Sache, schloß einen Waffenstillstandsvertrag. Es war müde geworden über die Schwierigkeiten, die deutschen Interessen von deutschen Fürsten bereitet wurden; auch hatte es irrt eignen Staate feindliche Elemente genug zu bekämpfen. Aber den deutschen Elbherzogtümern kam es unglaublich vor, von Deutschland preisgegeben zu werden. Doch wurde es bald laut: Schleswig sollte von Holstein getrennt, in Schleswig eine „Demarkationslinie" gezogen, der nördliche Teil sogar von schwedischen, der südliche von preußischen Truppen besetzt werden. Schleswig sollte, unbeschadet dänischer Rechte, eine eigne Landesverivaltung, natürlich unter dänischem Einfluß haben.
Gleich einem Notschrei auf weitem Ozean verhallte der Hülseruf Schleswig-Holsteins, der wohl im deutschen Volke tausendfaches. Echo fand, aber wenig Hülfe. Was nützte es, das sich des deutschen Volkes Hoffnung auf Preußen richtete und der Ruf des Geschichtsforschers Droysen die Stimmung ganz Deutschlands aussprach: „Preußens geschichtliche Aufgabe bleibe, die deutsche Macht zu sein?"
Inzwischen erging es den Schleswig-Holsteinern sehr übel. Alle preußischen Offiziere wurden aus der schleswig-holsteinischen Landesarmee abberufen; dann schloß Preußen mit Dänemark Frieden (7. Juli 1850) und überließ die armen Schleswig-Holsteiner ihrem Schicksal, das sich immer trauriger gestaltete, da der preußische Bevollmächtigte dort nur ein Schattenbild war. Im folgenden Jahre versuchten die Schleswig-Holsteiner noch einmal ihr Kriegsglück, wurden aber von den Dänen bei Jdstedt völlig besiegt (25. Juli 1850). Ein österreichisch es Heer verhalf den Dänen sogar zur Einnahme von
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Rendsburg und stellte die dänische Regierung in Schleswig-Holstein wieder her.
Während inmitten Deutschlands eiu neues Ringen der Einzelstaaten die Interessen des deutschen Volkes in Anspruch nahm, hatte sich das Trauerspiel in den Elbherzogtümern vollendet. Eine dänische Oberbehörde übernahm es. Schule, Kirche und Volksleben auss Grausamste zu dänisieren, bis sich die europäischen Großmächte im „Londoner Protokoll" (8. Mai 1852) über die dänisch-schleswig-holsteinschen Herrschaftsverhältnisse dahin geeinigt hatten, daß Prinz. Christian von Glücksburg, der einzige Holsteiner Prinz, der auf dänischer Seite gestanden hatte und der ein Schwiegersohn der Schwester Christians VIII. rvar, Thronfolger Friedrichs VII. und König des dänischen Gesamtstaates werden sollte. Hatte Holstein anfangs für sich den am meisten zur Thronfolge berechtigten Herzog Christian von Augusten-burg (Großvater der jetzt regierenden deutschen Kaiserin) erhofft, so wollte man das europäische Gleichgewicht nicht dadurch gestört wissen, daß der dänische Staat zerstückelt würde. Der Augustenburger sollte mit Geld abgefuuden werden.
Die deutsche Flotte, welche trotz ihrer Kleinheit die Dänen aus dem Elbgebiet zu vertreiben vermochte, und die außer einem Reichsbeitrag von sechs Millionen durch patriotische Beiträge und Sammelbüchsen erkauft worden war, wurde meistbietend für anderthalb Millionen verkauft. Preußen erstand die von den Dänen eroberte „Gefion".
Die politischen Verhältnisse und Kämpfe dieser Jahre gehen und stürmen derart in einander über, daß sie unausgesetzt Veranlassung und Zwecke ihrer Ereignisse mit einander verbinden, und so führen die Unruhen, welche zur Zeit der schleswig-holsteinschen Thronfrage sich in Deutschland erheben, auch wieder zurück auf die beiden Hauptgegner in den deutschen Fragen, auf Oesterreich und Preußen.
Wie sich die meisten deutschen Staaten willig oder unwillig zu einer konstitutionellen Verfassung bequemt hatten, so auch Kurhessen, dessen Kurfürst Friedrich Wilhelm mit seinem viel gehaßten rücksichtslosen Minister Hassenpflug jetzt den Kurs bedenklich rückwärts lenkte. Dazu war der Kurfürst ein mehr als absolutistischer Herr, der auch in seinem ehelichen Leben Anstoß genug gab. Der allgemeine Unwille
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des Volkes verweigerte endlich die Steuern. Während Preußen Miene machte, die Sache des Volkes zu unterstützen, wandte sich der Kurfürst an die Frankfurter Bundesversammlung um Reichshülfe, die auch in Aussicht gestellt wurde. Nach einer Zusammenkunft mit den Königen von Bayern und Württemberg war der Kaiser von Oesterreich entschlossen, Preußen nötigenfalls mit 200,000 Mann entgegenzutreten.
Was konnte Preußen thun, dem Rußland grollte, weil Friedrich Wilhelm IV. das Londoner Protokoll nicht willig unterzeichnet hatteA Frankreich auch nicht hold war, jct das überhaupt von allen europäischen Mächten eifersüchtig beobachtet wurde? Der König meinte die Verantwortung eines großen Krieges, der somit in Aussicht stand, nicht auf sich nehmen zu können. Er wandte sich an den russischen Kaiser, welcher in einer Konferenz zu Warschau mit den beiden deutschen Hauptmächten beraten wollte. Der Kaiser von Oesterreich kam selbst; der König von Preußen sandte nur seinen Bruder, den Prinzen Karl von Preußen. Das nahm der stolze Zar Nikolaus sehr übel auf. Konnte der preußische König nicht selbst kommen, dann sollte er auch nicht beachtet werden, und Preußens Interessen wurden thatsächlich so übel behandelt, daß der darüber schwer beleidigte preußische Minister Graf Brandenburg, der in Warschau gegenwärtig war, erkrankte und starb. (Nach neuester Ansicht ist dies nicht in Folge dessen gewesen.) In seinen Fieberphantasien hatte er sich ob der schimpflichen Demütigungen eifrig für sein preußisches Vaterland gerüstet, dessen König nach schwerer Ueberwindung nichts anderes zu thun wußte, als sich bis zum fast Unmöglichen zu fügen (2. November 1850).
Zunächst wurde Preußen aufgegeben, das Einrücken österreichischer Truppen, die nach Schleswig-Holstein sollten, nicht durch das in Hessen liegende preußische Armeekorps zu hindern. Als auch die Bayern nach Hanau kamen, von dort nach Kassel zu gehen, meinten die Preußen, das nicht gestatten zu sollen; aber der preußische Minister von Mantenffel, der die unglücklichen Warschauer Verhandlungen perfekt gemacht hatte, ließ dem preußischen General von der Grüben die Mahnung zugehen, jedes Zusammentreffen mit den Bayern zu vermeiden! Den Österreichern aber ließ er vorsichtig beschwichtigend sagen, sein König habe nur mobil gemacht, das aufgeregte Hessenvolk zu beruhigen. Spöttisch bekannt ist das einzige, feindliche Zusammen-
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treffen der Preußen und Bayern bei Bronzell, dem nur ein Schimmel zum Opfer gefallen fein soll.
Auch alles, was durch weitere Bündnisse und Verhandlungen hätte gut werden mögen, die der König von Preußen plante, schnitt Manteuffel dadurch ab, daß er nach Olmütz eilte, wo Rußland und Oesterreich aufs neue verhandelten, dort anzuzeigen, daß sich Preußen allerwege fügen werde, und das zu einer Zeit, in der Oesterreich ungestört rüstete und laut darüber triumphierte, daß das ohnmächtige Preußen sich also unterwerfe. Nun sollte es Oesterreichs Uebergewicht auch nachdrücklich empfinden. Dies bewilligte fürs Erste nur, daß Preußen sich einzig an freien Konferenzen beteiligen dürfe, welche in Dresden über die zukünftige Gestaltung des deutschen Bundes beraten sollten. Dort begehrte Oesterreich keck die Aufnahme all seiner Länder in den deutschen Bund. Auch sollte das Stimmverhältuis dahin geändert werden, daß die Kleinstaaten, welche sich in letzter Zeit zu Preußen gehalten hatten, so gut wie garnicht im Bundestage zur Geltung kommen konnten. Die Erfüllung dieser Wünsche hinderten England und Frankreich; sie wollten Oesterreichs Einfluß auch nicht überhand nehmen lassen. So blieb endlich nichts weiter übrig, als der alte Bundesstaat in alter, viel beklagenswerter Gestalt. Aber in Wien jubelte man dennoch, Preußens Führerschaft in Deutschland schien auf immer verloren. Der russische Kaiser ordnete mit dem Kaiser von Oesterreich allein die deutschen Verhältnisse.
In der zweiten Maiwoche 1851 sammelten sich zu Frankfurt a. M. die Bevollmächtigten des neu geordneten deutschen Bundestages. Zu ihnen gehörte ein mutiger Kämpfer für Preußens Ehre, der schon in der preußischen Nationalversammlung tapfer für sie eingetreten war, Otto von Bismarck. Die Präsidentschaft des Bundestages führte nach altem Brauch Oesterreich, und die Erbärmlichkeit der alten Reichstage zu Regensburg, auf denen man sich Monate lang darüber stritt, wie weit dieser oder jener Gesandte als Vertreter seines größeren oder kleineren Staates seinen Stuhl auf den Teppich zu fetzen ein Recht habe, auf Sammet- oder Seidenpolster sitzen dürfe, fand in Frankfurt ihr Spiegelbild. Der österreichische Gesandte gestattete sich, so wird glaubwürdig berichtet, während der Verhandlungen zu rauchen, während alle Uebrigen ehrfurchtsvoll das nicht wagten. In der nächsten Sitzung rauchte auch Herr von Bismarck, vertrat er doch Preußen. Das war wichtig, und die übrigen Gesandten berichteten eiligst nach
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Haus, von ihren Regierungen Verhaltungsmaßregeln zu erbitten. Auch sie sollten rauchen, war die Weisung. Nur einer, es war wohl der Darmstädter, befand sich in der Übeln Lage, Nichtraucher zu sein. Drum rauchte er angeblich kalt; die Ehre seines Staates war gewahrt.
Daß solche Äußerlichkeiten nicht viel inneren Gehalt deckten, erscheint begreiflich, und so sah auch das deutsche Volk nach so vielen Enttäuschungen, so vielem vergeblichen Ringen der letzten Jahre recht gleichgültig auf den neuesten Versuch, das deutsche Staatsschiff flott zu machen. Ja es brach sich in fast allen Volksschichten das Verlangen Bahn, endlich zur Ruhe zu kommen. Alle gewerblichen Verhältnisse hatten schwer gelitten, und der mutige Ausblick in die Zukunft war nur möglich unter der Aussicht einer geregelten Ordnung im Staats-leben. Erschien dieses Verlangen fast wie ein Rückschritt, wie ein Fügen auf Gnade oder Ungnade, sicher hatte sich das Volksleben allezeit besser unter straffem Fürstenregiment befunden, als unter der unaufhörlichen Revolution alles Bestehenden, bei der höchstens die Rädelsführer ihre Rechnung finden konnten. Die Gefahr der „Reaktion" lag freilich in einem möglichen „Zu weit zurückgehen." Je maßloser die Wirkungen des „tollen Jahres" 1848 gewesen waren, desto notwendiger war eine Rückkehr zu gemäßigten Verhältnissen, die sich in den verschiedenen Staaten, von den verschiedenartigsten Persönlichkeiten geleitet, auch dementsprechend nicht gleichmäßig vollziehen konnten.
In Preußen wurde die Verfassung in konservativstem Sinne derart gestaltet, daß das „Herrenhaus," ausschließlich durch von dem König auf Lebenszeit oder erblich gewählte Mitglieder der höheren Stände, sogar durch Prinzen des königlichen Hauses vertreten wurde (30. Mai 1853). Die „zweite Kammer", das „Haus der Abgeordneten," setzte sich aus den vom Volke gewählten Abgeordneten zusammen. Gesetzentwürfe, Vorlagen der Regierung hatten beide Häuser in beratender und zustimmender Debatte zu passieren, um dann die königliche Bestätigung zu erhalten.
Die Masse des Volkes hatte jetzt mehr Vertrauen zur Regierung, zum Hause der Hohenzollern, unter deren Zepter es sich jederzeit wohl befunden hatte, als zu den Revolutionshelden, die mit großen Worten nichts Heilsames zu Wege gebracht hatten. Darum wurden fast nur sehr gefügige, regierungsfreundliche Abgeordnete gewählt, die gern den gegebenen Vorschlägen zustimmten: die mißbrauchte Preßfreiheit, das
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Vereinsrecht u. ct. einzuschränken und sich den Rückbildungen der Gemeinde-, Kreis- und Provinzialordnungen geneigt zeigten. Auch auf kirchlichem Gebiete war es offenbar geworden, daß eben so wohl die glaubenstreuen Katholiken, wie die so oft pietistisch gescholtenen treuen Evangelischen einem Felsen gleich inmitten des Umsturzes gewesen waren. Auch jetzt standen die „Orthodoxen" auf Seiten der Regierung, auf der „äußersten Rechten", so daß sich leicht staatliche und religiöse Interessen von denselben Persönlichkeiten vertreten fanden. Man kam ihnen von Seiten der Regierung vertrauensvoll entgegen und machte ihnen gern Zugeständnisse. So war in der Gründung des Oberkirchenrats für die Verwaltung der evangelischen Landeskirche eine neue Behörde geschaffen worden (29. Juni 1850).
Die katholische Kirche wurde nicht minder begünstigt. Auch ihr gestand der König eine eigne, selbständige Verwaltung zu, gewährte ihr eine katholische Vertretung im Kultusministerium und erhöhte dadurch vielleicht um so mehr die Ansprüche der katholischen Kirche und ihrer Bischöfe in andern deutschen Ländern, deren Fürsten sich nicht so entgegenkommend bewiesen, wie der preußische König. Sonderlich war das in Württemberg und Baden der Fall. Beide Staaten hatten viele kirchliche Konflikte zu beklagen und konnten nicht ohne Zugeständnisse zum innern Frieden gelangen.
O esterreich hatte ein Konkordat mit dem Papste vereinbart und suchte die süddeutschen Staaten dafür zu gewinnen (18. August 1853). Doch gelang das nur teilweise. In der Regierung machte Oesterreich stärkere Rückschritte, als irgend ein andrer deutscher Staat. Das Staatsgrundgesetz von 1849 wurde am 31. Dezember 1851 einfach aufgehoben, der Staatskredit nahm von Jahr zu Jahr ab, die Staatsschulden wuchsen ins Unermeßliche, und das Papiergeld nahm bedenklich überhand.
Mehr oder weniger ähnlich vollzog sich die Reaktion der übrigen deutschen Staaten. Das Volk ertrug es murrend oder gleichgültig, und doch ging eine Strömung lebendiger Arbeitskraft durch die scheinbar völlig lahm gelegte Entwicklung deutscher Verhältnisse. Ja die Zeit der Reaktion, des Stehenbleibens jeden Fortschrittes nach außenhin, hatte die notwendige Wirkung, daß man sich gewissermaßen gezwungen sah, wenigstens im Innern des eignen Staatshaushalts sich möglichst gut einzurichten. So blühte unter Preußens König Kunst und Wissenschaft; auch in Bayern erstand immer mehr ein Jsarathen. Dazu er-
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stärkten, begünstigt durch Anlagen von Dampfmaschinen und Eisenbahnen, Handel und Gewerbe. Auch hatten Oesterreichs Ränke nicht hindern können, daß der preußische Zollverein, der sich über 9000 Quadratmeilen Landes erstreckte, am 4. April 1853 auf zwölf Jahre erneuert wurde.
Zwar konnten sich Vaterlandsfreunde nicht verhehlen, daß Deutschlands Ansehen, vor allen Dingen Preußens Führerschaft nicht bloß dem Auslande gegenüber schattenhaft geworden war, und das Verlangen war berechtigt, die frühere Ehrenstellung aufs Neue zu gewinnen. Hierzu schien der günstige Augenblick gekommen, als Rußland unter dem Vorwande, die christliche Kirche im Türkenreiche zu schützen, einen Orientkrieg begonnen hatte, der ein Weltkrieg zu werden drohte. England, Frankreich, vor allen andern Oesterreich, das so schnell Rußlands Beistand gegen die Ungarn vergessen hatte, waren in Anspruch genommen. Aber Preußens Unglücksminister Manteuffel hatte sich schon wieder beeilt, mit Oesterreich ein Schutz- und Trutzbündnis für die Dauer des Orientkrieges zu schließen; auch hatte er zugesagt, falls Rußland die Donaufürstentümer nicht in bestimmter Frist räume, den Oesterreichern preußische Hülfstruppen zu senden, alles, als ob etwa Preußen bedroht wäre, oder als ob es Oesterreich sonstwie etwas zu danken hätte. Preußen sollte in Posen und Schlesien den Oesterreichern mit 200,000 Mann den Rücken decken. Außerdem hatte Oesterreich für sich die Zusage deutscher Bundestruppen durchzusetzen gewußt.
Nun schien gar Frankreich noch einmal entscheidend für das Geschick Europas werden zu sollen, als seiner, im Lause eines halben Jahrhunderts zum dritten Male erstandenen republikanischen Verfassung ein gewaltsames Ende bereitet wurde. Gleich einem vorsichtigen Feldherrn hatte Louis Napoleon Bonaparte, der Neffe des ersten Napoleon, Jahrzehnte hindurch fein Ziel vor Augen gehabt und wohl bedacht vorbereitet, Frankreich könne nur durch die Napoleoniden wiedergeboren werden. Zunächst durch ungeheure Stimmenmehrheit zum Präsidenten erwählt, verschaffte er sich durch entschlossenes, sicheres Auftreten Vertrauen im Volke. Er konnt es wagen, feine eignen Wege zu gehen. Als ihm darin verschiedene Parteien entgegen traten, Legi-timisten und Orleanisten, legte er sich mit Hülfe eines sogenannten Staatsstreiches, der im blutigen Straßenkampfe ungeheure Opfer forderte, an dem für die Geschichte der Napoleoniden wichtigen 2. De-
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zember 1851 diktatorische Gewalt auf zehn Jahre zu. Wohin er kam, besonders auf seinen Reisen durch Frankreich, wußte er klug zu verkünden, daß ein Kaisertum Frankreich, falls es jetzt aus dem Volkswillen hervor wachse, nur gleich bedeutend sei mit dem Frieden. L’empire c’est la paix! war sein fliegendes Wort; ein Jahr später, am 2. Dezember 1852, wurde Louis Bonaparte als Napoleon III. zum Kaiser der Franzosen proklamiert.
Wie bald hatte man in Europa die Schleichwege des ersten Napoleon vergessen! Zuerst wurde der neue Franzosenkaiser von England anerkannt, gleich darauf von den übrigen Staaten Europas. Nur der russische Kaiser that etwas reserviert. Während die übrigen Monarchen den neuen Herrn mit dem üblichen Fürstengruß „mon frere" anredeten, hatte ihn Kaiser Nikolaus in seinem Glückwunschschreiben nur „mon arni" genannt. Der orientalische Krieg hatte die neue Freundschaft grell beleuchtet, und Rußland war recht übel im Krimkriege weggekommen. Frankreich, England, Oesterreich, selbst der König von Sardinien hatten aus kluger Berechnung um Frankreichs willen geholfen, Rußlands Kriegserfolge gegen die Türkei zu nichte zu machen. Nur Preußen hatte strenge Neutralität bewahrt. Kaiser Nikolaus war über dem unerwarteten Mißgeschick plötzlich gestorben (2. März 1855) und sein Nachfolger, Alexander II. befolgte den dringenden Rat Preußens, Frieden zu suchen. Er beschickte zu diesem Zweck den europäischen Friedenskongreß in Paris, den Louis Napoleon dirigierte. Man hielt es aber nicht der Mühe wert, dazu Preußen einzuladen, obgleich Staaten wie Sardinien n. a. daran Teil nahmen. Erst zu den Schlußsitzungen, als fertige Resultate vorlagen, wurde es zugelassen. Es kam ein europäischer Friede zu stände (30. März 1856), der den gemeinsamen Interessen aller Teilnehmer dienen mochte, wenn nicht etwa L. Napoleon, die vielfach grell hervortretenden Schwächen einzelner deutscher Staaten benutzend, dem Grundsätze seines Oheims folgen würde: L un apres l’autre!
1. Regentschaft des Prinzen von Prenßen.
Oer österreichische Lrieg in Italien.
Im Herbst des Jahres 1857 erkrankte König Friedrich Wilhelm IV. an einem Gehirnleiden, für das die Aerzte anfangs noch Besserung, vielleicht nur Verzögerung, hofften. Der Prinz von Preußen wurde beauftragt, den königlichen Bruder auf drei Monate zu vertreten. Doch eine Erholungszeit in Italien, die dem kunstsinnigen König doppelt reichen Genuß geboten hatte, brachte die erhoffte Genesung nicht; die Unheilbarkeit des Leidens wurde zur Gewißheit. Nach mehrmals verlängerter Vertretuugszeit verlangte der Prinz von Preußen, der Verfassung gemäß, daß ihm die völlige Regentschaft vom König übertragen werde. Es war eine Notwendigkeit für das Wohl des Landes, dessen Regierung in letzter Zeit nur ein Schwanken und Zögern gewesen war. Am 26. Oktober 1858 leistete der Prinz als Regent den Eid auf die Verfassung, und neues Hoffen ging durch die preußischen Lande, daß die thatkräftige, gerade Soldatennatur des Prinzregenten so vielen unklaren Verhältnissen ein Ende machen werde. Thatsächlich wurde sofort das Ministerium Manteuffel entlassen, das Preußens Mißerfolge im letzten Jahrzehnt größtenteils verschuldet hatte. Ein neues Ministerium unter dem Fürsten von Hohenzollern-Sigmaringen, dessen Mitglieder bereit waren, gemäßigtem Fortschritt nachzugeben, trat an seine Stelle.
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In der ersten Ansprache des Prinzregenten an seine Minister war nichts von den hochsliegenden Idealen zu finden, die Friedrich Wilhelm IV. einst in Königsberg und Berlin vor seinem Volke entrollt hatte. Schlicht und klar zeigte seine Rede, was er für Preußens Heil als gut und notwendig erkannt hatte, wie die Steuerkraft freilich angespannt, das Heer schlagfertig gestellt werden müsse, die Kirche nicht durch engherzige Regeln umgrenzt sein dürfe, aber das Kirchenregiment klar und wahr seine Pflicht erfüllen solle. Doch die Wissenschaft müsse sich in unbegrenzten Bahnen ausbreiten. Nichts Neues wollte der Prinzregent in seiner Regierung aufbringen, nicht mit altehrwürdigen Traditionen brechen. Aber fest entschlossen sehe er jedem Feinde Preußens ins Auge, indem er den Frieden suche.
Diese klare, große Sprache, für die jeder, der den Prinzregenten kannte, den ganzen fürstlichen Mann eintreten sah, verfehlten ihre Wirkung auf das Volk nicht, das in überaus regierungsfreundlichen Wahlen die rechte Antwort und Zustimmung gab, und als eben der junge Fürstensohn Friedrich Wilhelm sich die Braut aus England holte, durfte auch er empfinden, daß ihm die Liebe des preußischen Volkes seinen Weg zu einem Siegeszuge gestaltete.
Eben so wenig irre geführt durch allzu lauten Jubel, wie durch vielfachen Tadel, der besonders in einigen Kreisen des Herrenhauses laut wurde, ging der Prinzregent seines Wegs, möglichst unscheinbar hinwegzuräumen, was ihn daran hinderte. Er bewährte darin eine so edle Mäßigung, daß er selbst feindlicher Gesinnung Achtung abnötigte. Selbst das ewig eifersüchtige Oesterreich mußte es ihm Dank wissen, als er zunächst den preußischen Bundesgesandten von Bismarck als Gesandten nach Petersburg versetzte, weil er in Frankfurt zu energisch Front gegen österreichische Interessen machte. Eine sehr gemäßigte Persönlichkeit, Herr von Usedom, wurde statt seiner nach Frankfurt geschickt.
In Oesterreich waren die revolutionären Bewegungen der einzelnen Nationalitäten noch nicht zur Ruhe gekommen. So viel die Krone nachgab, so viel mehr wurde verlangt; dazu krankten die Regierungsverhältnisse an verschiedenen Mißständen, die nicht leicht beseitigt werden konnten. Seit Abschluß des Konkordats (1855) hatte Oesterreich dem päpstlichen Stuhle so viele Rechte geopfert, daß die Macht der Krone bedenklich darunter gelitten hatte. Ueber dem ganzen Kaiserstaate lag eine schwere Luft, der Patriotismus fand nirgends Ursache, sich zu erheben.
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In Italien hatte der alte, viel umworbene Besitz der österreichischen Krone, die Lombardei und Venedig, den freiheitlichen Einheitsideen nachgegeben, welche ganz Italien durchfluteten und besonders durch Frankreich und Piemont, dem alten Kernlande des Königreichs Sardinien, genährt wurden. Auch die übrigen Souveräne Italiens, der Papst nicht ausgenommen, vermochten der revolutionären Strömung nicht zu wehren, deren Hauptstreben dahin ging, die Einheit ganz Italiens zu begründen. Dabei machten sich zwei Parteien geltend. Die Anhänger eines Revolutionshelden Mazzini (Mazzinisten) wollten aus Italien eine geeinte Republik machen, die andere Partei, begeisterte Verehrer ihres Heldenkönigs Carlo Alberto, wie seines Sohnes Viktor Emanuel, Vater des jetzt regierenden Königs von Italien, hofften für diesen die Krone eines geeinten Königreichs Italien zu erwerben.
Vergeblich mühte sich Oesterreich dagegen. Kaiser Franz Joseph reiste selbst umher, versprach allen Empörern Gnade und erreichte eben so wenig bei Republikanern wie bei königlich Gesinnten. Beide Parteien hofften, Napoleon, der sich allerorten als Schiedsrichter aufspielte, für ihre Interessen zu gewinnen. Er war eben einem Attentat in Paris glücklich entronnen (Orsini 14. Januar 1858), und mochte diese Thatsache eben so bestimmend auf ihn wirken, wie die Vermählung seines Vetters, des Prinzen Napoleon (Jeromes Sohn) mit Clotilde, der Tochter Viktor Emanuels. Napoleon trat für den König ein, und eine Flugschrift verkündete, daß ganz Italien seine Unabhängigkeit erhalten und zu einem Staatenbunde unter Vorsitz des Papstes vereint werden müsse. Vermittelnde Versuche Rußlands blieben erfolglos, und der Krieg sollte entscheiden.
Während Viktor Emanuel auf Napoleons Hülfe rechnen konnte, suchte Oesterreich vergeblich nach Bundesgenossen. Selbst in Deutschland fand es nur gute Worte. Dabei waren seine Finanzen aufs Höchste erschöpft, die Unterhaltung seiner Heere in Italien und an der russischen Grenze fast unmöglich. Da wagte der Kaiser von Oesterreich ein Letztes; er verlangte von Viktor Emanuel, binnen drei Tagen abzurüsten. Das wurde zurückgewiesen, und als die Oesterreicher den Ticino, die Grenze, überschrmen Hanen, nahm das Napoleon als Kriegseröffnung und eilte seinem Bundesgenossen zu Hülfe. Zugleich ließ er dem übrigen Deutschland unter der Hand die möglichsten Freundschaftsversicherungen zugehen; aber man hatte dort noch nicht ganz vergessen, was Frankreichs Liebe wert war. Darum war der
deutsche Bund mehr geneigt, für Oesterreich einzutreten, wenn nur Rußland und England das gelitten hätten, und als Preußen helfen wollte, fürchtete Oesterreich, dem verhaßten Nebenbuhler dankbar sein, ihm vielleicht gar die leitende Stellung in Deutschland lassen zu müssen. Lieber schloß es eiligst den Präliminarfrieden von Villafranca (10. Juli 1859), den auch Napoleou aus Angst, am Rhein gegen ein deutsches Bundesheer sich wappnen zu müssen, möglichst beschleunigen half. Er zog mit Viktor Emanuel in die alte Kaiserstadt Mailand ein und eine großartige Proklamation verkündete, daß „Italien frei sein solle bis zur Adria".
Noch einmal hatte Kaiser Franz Joseph kurz zuvor das Aeußerste versucht, Oesterreichs Besitz in Italien zu retten. Doch obgleich er selbst den Oberbefehl über seine Truppen übernommen, hatte es seinem altgewohnten Mißgeschick im Kriege nicht entrinnen können. In bewundernswerter Tapferkeit hatten die Oesterreicher unter Feldmarschall Bene de k bei Solferino sechsmal nach einander den heftigen Angriff der Piemontesen zurückgeschlagen, um endlich doch unterliegen zu müssen (24. Juni 1859). Weinend hatte Benedek auf die Höhen von San Martino zurückgeblickt, als er sie nach wiederholtem Befehl seines Kaisers aufgeben mußte.
Unterdessen hatte der „italienische Nationalverein" unter seinem Führer Farini im Geheimen ganz Mittelitalien aufgewiegelt, das damit der Revolution anheim fiel. Ein italienischer Fürst nach dem andern floh, und das entkräftete Oesterreich vermochte schließlich auch nichts weiter, als zu weichen. Hatte es selbst den deutschen Bundestag zu bestimmen gewußt, dem preußischen Prinzregenten nicht die unabhängige Führung der Bundestruppen nach Italien anzuvertrauen, so hatte es nun seinen Willen gehabt. Am 10. November 1859 wurde in Zürich der Friede geschlossen, nach welchem Oesterreich die Lombardei endgültig an Frankreich abzutreten hatte, das diese Errungenschaft schein-bar großmütig an Piemont (Sardinien) verschenkte. Venetien sollte zwar noch bei Oesterreich bleiben, sich aber dem geplanten Bundesstaate Italien anschließen. Auch die kleinen italienischen Fürsten sollten ihre Sander wieder haben, falls das Volk sie zurückrufen würde. Das geschah aber nicht; Toskana, Parma und Modena begehrten den Anschluß an Piemont, dessen König Viktor Emanuel sein Heimatland Savoyen und Nizza an das „selbstlose" Frankreich abtrat. Doch
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war das ein Handel, der längst vor dem Kriege abgemacht war unb sich zur Zufriedenheit der beteiligten Fürsten vollzog.
Indessen wußte Viktor Emanuels kluger Staatsminister Cavour die Erregung der Italiener genügend weiter zu schüren und zu benutzen. Der phantastische Freiwilligenführer Garibaldi setzte Sizilien unb Neapel in Aufruhr, um auch diese dem geeinten Italien zuführen zu können, und enbsich vereinigte Viktor Ernanuel bie italienischen Staaten, welche ihm meist freiwillig zufielen, allesamt zum „Königreich Italien". Nur Venebig unb ein Teil bes Kirchenstaates mit Rom fehlten noch in biesem Staate. Napoleon suchte Rom ebenso vor Viktor Emanuel, wie vor Garibalbi zu schützen. Durch Verstärkung ber französischen Besatzung in Rom, bie schon seit 1849 bort war, wollte er sich selbst einen Stützpunkt in Italien begrünben, mehr noch ben Papst im Kirchenstaate schützen, ber zum Dank bafür ben Klerus Frankreichs in Napoleons Interesse beeinflußte.
Mochte die Einigung Italiens auch in Deutschland das Verlangen erwecken, den langgehegten Traum eines neuen deutschen Reiches zu verwirklichen, mochten Frankreichs nimmer ruhende Gelüste eine deutsche Einheit erstreben lassen, jedenfalls war der Gedanke daran im ganzen deutschen Volksleben erwacht. Sie konnte sich jetzt nur unter Preußens Führung vollziehen.
Im September 1859 gründeten liberale Männer, an ihrer Spitze Herzog Ernst von Koburg-Gotha, den „Nationalverein", den die meisten beutfchen Fürsten mißtrauisch beobachteten, unb boch bestaub sein Hauptzweck barin, zunächst ben alten, kranken Bunbestag zu beseitigen, um eine neue, von starker Hanb geleitete Bundesverfassung zu begrünben. Oesterreich, bas sich immer aufs neue unbeutsch bewiesen hatte, sollte hiernach nur noch burch ein sogenanntes Unionsverhältnis mit Deutsch-lanb verbunben bleiben.
Wenngleich biesem großartig sich ausbreiteten Nationalverein ber Oesterreich frennbliche Reformverein gegeniibetstanb, so würbe bamit bem gebrückten Kaiserstaate nicht aufgeholfen. Da Metternichs Regierungspolitik, beut Volke möglichst wenig Rechte zu gewähren, boch ber Macht ber Krone wenig genützt hatte, versucht Franz Joseph, Oesterreichs Glück auf entgegengesetztem Wege zu sinben. Ein Versuch nach bem anbern würbe gemacht, neben ben oft betonten „historischen Rechten" ber Krone mobernen Ansprüchen gerecht zu werben. In ber enblichen Erkenntnis vielleicht, baß bes Volkes Liebe und Teilnahme mehr Wert
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habe als alle politischen Kunstgriffe, sollte berechtigten Wünschen der österreichischen Staaten genügt werden. Aber wo war die Grenze der Wünsche und ihrer Befriedigung unter den verschiedenen Völkerschaften des Kaiserstaates?
Mit der Ernennung des freisinnigen Staatsministers Schmerling wurde der Anfang gemacht. In einem „engern" und einem „weiteren" Reichstage sollten die Vertreter des Volkes gehört werden. In dem engeren Reichstage sollten die deutsch-slavischen Läuder vertreten sein, in dem weiteren Reichstage Gesamtösterreich. Dazu gehörte auch Ungarn, das von einer solchen „Zentralisation" nichts wissen wollte. Die Slaven waren auch nicht damit einverstanden; eine Nationalität nach der andern zeigte sich antikaiserlich. Nach kurzer Zeit war man in Oesterreich auf demselben Punkte, von dem man ausgegangen war: auch die liberale Regierungsform hatte feinen Erfolg. Schmerling wurde entlassen, und man fehrte zu den Metternichschen Maximen zurück, die um so empfindlicher auf das Volk wirkten, da die österreichische Finanznot immer mehr offenbar wurde.
Als jetzt auch in den übrigen deutschen Staaten, besonders in Süddeutschland religiöse und politische Gahrung nicht zur Ruhe kommen wollte, blickte sonderlich Norddeutschland Hilfe suchend zu dem thatkräftigen Prinzregenten von Preußen auf. Dazu lag die Gefahr eines Krieges mit Frankreich in der Luft, seit es in Italien nicht mehr in Anspruch genommen war. Aber die deutschen Mittel- und Südstaaten wollten im Falle eines Krieges unter Oesterreichs Führung stehen; nur Norddeutschland war bereit, Preußen zu folgen. Das paßte in Napoleons Rechnung, so ging es stets am besten: Tun apres l’autref Scheinbar um zu zeigen, daß Deutschland nichts von Frankreich zu fürchten habe, auch um Preußen möglichst von dem übrigen Deutschland-zu isolieren, brachte Napoleon dem Prinzregenten eine freundschaftliche-Zusammenkunft in Vorschlag. Das mußte Mißtrauen erregen, und der erste Schritt einer thatsächlichen Trennung Preußens von den übrigen Fürsten wäre damit vollbracht worden. Die Sache scheiterte an der Geradheit des Prinzregenten. Er veranlaßte energisch, daß alle deutschen Fürsten an dieser Zusammenkunft Teil nahmen, welche vom 16. bis 18. Juni 1860 zu Baden-B ad en stattfand (Fürstentag).
Während Napoleon sich in unnützen Versicherungen seiner Friedens-liebe erging, kennzeichnete der preußische Prinzregent seine Handlungsweise durch das schöne Wort: „Ich halte fest an dem Wege,
Bornhak, Unser Vaterland. ÄA
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welchen ich in Preußen und in Deutschland bisher eingeschlagen habe, und ich hoffe, daß sich auf demselben immer mehr deutsche Regierungen mit mir vereinigen werden."
Die Fürsten berieten über Bundestag und Bundeskriegsverfassung eben so eifrig, wie die Bevollmächtigten des Bundestages und kamen zu eben so geringen Resultaten. Auch eine spätere Zusammenkunft des Prinzregenten mit Kaiser Franz Joseph in Teplitz brachte nur freundschaftliche Worte. Die Spannung zwischen Nord- und Süddeutschland blieb und hatte sich nur klarer gezeigt.
2 Wilhelm I.) König von Preußen.
Die Arnieereorganisation und der Versajsungskonflikt.
Am 2. Januar 1861 war der schwer geprüfte König Friedrich. Wilhelm IV. heimgegangen. Da er kinderlos starb, folgte ihm sein Bruder Wilhelm auf den Thron, der sein Herrschertalent in der schwierigen Zeit der Regentschaft hatte erproben können. Er stand im 64. Lebensjahre und hatte nach langer Lebensarbeit mit der Mäßigung eines gereiften Mannes geprüft und erkannt, was Preußen not that. Schon als Prinzregent hatte er wiederholt betont, daß die preußische Armee einer Umwandlung, einer „Reorganisation" bedürfe; als König wollte er das als notwendig Erkannte ausführen. Danach sollte die aktive Dienstzeit erhöht, die der Landwehr herabgesetzt werden. Ihre Militärpflicht hatte bisher bis zum vierzigsten Lebensjahre gedauert; jetzt sollte sie nur bis zum dreiunddreißigsten reichen. Wurden dagegen die jungen Mannschaften mehr zum Dienst herangezogen, so hatte Preußen ein schlagfertiges, jugendstarkes Heer von 400 000 Mann. Der Plan war mit Eifer in Angriff genommen worden; als aber das Abgeordnetenhaus die nötigen Geldmittel bewilligen sollte, erhob sich ein Sturm des Widerspruchs. Das Herrenhaus wollte außerdem der Grundsteuer nicht zustimmen, die seine Mitglieder schwer belastete, und so mußten sich die Minister damit begnügen, daß neun Millionen für eine Kriegsbereitschaft des Heeres auf ein Jahr bewilligt wurden. Das war im Jahre 1860 gewesen, und nun stand die Regierung auf demselben Punkte, wiederum Mittel verlangen zu müssen. Obgleich die widerwilligen Abgeordneten thaten, als ginge der ganze konstitutionelle Staat mitsamt seiner Verfassung zu Grunde, wenn der geforderte Militäretat zu
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stände käme, hielt es König Wilhelm für seine Pflicht, keinen Schritt auf dem einmal angebahnten Wege zurück zu gehen. So wurde aus der Militärfrage ein Verfassungsstreit bitterster Art, der vom Jahre 1861 bis 1866 auf beiden Seiten mit größter Heftigkeit geführt wurde.
Das Königtum der Hohenzollern hat eine andere geschichtliche Entwicklung, als etwa die englische oder französische Dynastie; die Hohenzollern waren allezeit opferfreudig für ihr Volk eingetreten; aber König Wilhelm war nicht der Mann, sich nehmen zu lassen, was er als sein gutes Königsrecht wahrte. Ein königlicher Akt sollte öffentlich davon Kunde geben, daß der König sich wohl bewußt sei, wie er sein Königtum zu Lehen trage von dem Herrn Himmels und der Erden, daß er aber auch entschlossen sei, als ein solcher Lehnsträger sein Amt unwandelbar zu verwalten. Am 3. Juli 1861 verkündete er seinem Volke, wie er gesonnen sei, statt der früher gebräuchlichen Erbhuldigung sich am 18. Oktober in Gegenwart des Landtags krönen zu lassen. Der Monarch von Gottes Gnaden, gebunden an die beschworene Verfassung!
Die Krönung vollzog sich in einer Pracht (18. Oktober 1861), wie sie das Königtum laugst vergangener Jahrhunderte umkleidet hatte, und inmitten dieses Glanzes der demütig große König, dem es einen Augenblick bangt, sich die strahlende Königskrone aufs Haupt zu setzen. Erst als er seinen Blick zu dem Bilde des dornengekrönten Heilands erhebt, findet er in diesem Anschauen die richtige, selbstlose Königsstimmung, in der er sich glaubensvoll das Diadem aufs Haupt setzt.*)
„Ich habe von Gott die Krone empfangen, sie von Gottes Tisch genommen und sie auf mein Haupt gefetzt, auf daß ich sie in Demut trage, weil er sie mir verliehen!" Mit dem Worte kennzeichnete König Wilhelm sein Königtum von Gottes Gnaden bei der Krönung in Königsberg.
Diese selbst erfuhr eben so in Preußen, wie außerhalb desselben die verschiedensten Urteile. Besonders sah die Volksvertretuug in bem Krönungsakt eine ausgesprochene königliche Willensäußerung, ber sie wenig nachzugeben bereit war. Wohl hatte bas Haus ber Abgeordneten auch im Jahre 1861 bie verlangten Gelbmittel «ueber auf ein Jahr bewilligt; bann aber sollte ein neues Wehrgesetz burchgebracht werben.
*) Eigene Worte' König Wilhelms zum Hofprediger Kögel.
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dem sich die Regierung zu fügen haben würde. Das war die sogenannte „Fortschrittspartei", die so nach ihrer weisen Einsicht Gesetze machen wollte. „Ministerverantwortlichkeit, Sparsamkeit im Heerwesen, Steuerermäßigung" und dergleichen Stichworte waren zur Tagesfrage erhoben. Dem Volke klang es auch recht und gut, daß die Liberalen in der Kammer zweijährige Dienstzeit verlangten, damit dem Landbau, dem Handel und Gewerbe nicht so viel Volkskraft entzogen würde wie durch dreijährige Verpflichtung. Wie bitter Preußen zu Anfang, des Jahrhunderts seine militärische Schwäche auf Kosten des Volkswohlstandes hatte bezahlen müssen, das alles schien völlig vergessen zu sein.
Weit davon entfernt, Preußen eine Achtung gebietende Stellung zu gönnen, waren die übrigen deutschen Staaten nur bemüht, aus der zweifelhaften Volksstimmung Preußens Niedergang zu prophezeien. Am 14. Juli 1861 hatte sogar ein fanatischer Student zu Baden-Baden einen glücklich vereitelten Mordversuch auf den König gemacht, weil er „diesen nicht für fähig halte, Deutschlands Einheit zu vollbringen."
Der sächsische Minister, Graf Benst, wollte ein neues Deutschland nach von ihm aufgestellten Bundesreformen gründen, dessen Bundestag im Mai zu Regensburg unter Oesterreichs Vorsitz beraten sollte, im November zu Hamburg unter Preußens Vorsitz. Nötigenfalls sollten dazu Abgeordnete der verschiedenen Staaten zugezogen werden. Während der übrigen Zeit sollte der Kaiser von Oesterreich, der König von Preußen und ein dritter Bundesfürst die oberste Leitung haben. Das war nun alles so bunt geplant, daß die Ausführung sicher mehr Verwirrung gebracht hätte, als je der deutsche Bund gekannt. Die einzelnen Staatsregierungen waren von vornherein nicht geneigt, sich von Sachsen dirigieren zu lassen, so daß schon darin die Unmöglichkeit einer Ausführung ruhte. Die Uneinigkeit der einzelnen Staaten wurde nur wesentlich dadurch gefördert. Preußen kümmerte sich herzlich wenig darum und war ernstlich bemüht, ans dem eignen Staatskonflikt heraus zu kommen.
Als König Wilhelm, auch mit Hülfe des liberalen Ministeriums, keine Einigung mit dein Landtage erreichte, wurde der Versuch mit einem neu gebildeten konservativen Ministerium (Hohenlohe-Jngelsingen) gemacht. Dadurch verstärkte sich die Opposition nur um so mehr, und der König löste ein Abgeordnetenhaus auf, das an ihn das Verlangen
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gestellt hatte, die Regierung solle genau angeben und nachträglich belegen, wie die bewilligten Gelder verwandt worden seien. Das war doch über alles gewohnte Maß hinaus gehend, und König Wilhelm wollte durch geordnete Neuwahlen gewissermaßen die Frage an sein Volk richten, ob nur die liberale Fortschrittspartei oder das ganze Land Forderungen stelle, deren Erfüllung ihm unmöglich erschien. Die Antwort, welche die Wahlen ergaben, war fast einer Herausforderung gleich. Der Konflikt hatte die öffentliche Meinung völlig durchdrungen, und das war von tief einschneidender Wirkung auf das gesamte Staatsleben. Mit um so größerer Energie hielt König Wilhelm, ob schmerzlich enttäuscht, an dem einmal als Recht Erkannten fest. Dennoch durfte er auch eine trostvolle Erfahrung machen. Trotz allen Zwistes waren die Abgeordneten auch in den Tagen bittersten Konfliktes bereit, Preußens Hoheit und Größe dem Auslande gegenüber zu vertreten. Für die Interessen des einheimischen Handels, des Freihandels, des Zollvereins, besonders Oesterreich gegenüber, traten alle Parteien in die Schranken, und darin mochten vertrauensvolle Gemüter eine Garantie für die Zukunft sehen.
Inmitten der hochgehenden Wogen politischer Strömung berief König Wilhelm den Mann an seine Seite, der, ein Steuermann mit unentwegtem Blick und wetterharter Ausdauer, Preußens Staatsschiff sicher durch die Stürme führen sollte. Es war Otto von Bismarck, geboren auf Schloß Schönhausen i./d. A. am 1. April 1815. Ihm wurde die Leitung der ministeriellen Geschäfte anvertraut.
Mit großer Majorität hatte das Abgeordnetenhaus die gesamten Kosten für eine Reorganisation des Heeres gestrichen, und mit dem ausgesprochensten Mißtrauen und Uebelwollen kam man dem „übermütigen Junker" Bismarck entgegen, ber trotz seines fest und scharf begrenzten konservativen Standpunktes jeden möglichen Versuch einer Verständigung mit der Volksvertretung wagte, aber nicht das geringste Entgegenkommen fand. Nur das Herrenhaus stand zum König und war bereit, seine wohlgemeinten Pläne auszuführen.
Indessen kannten die Angriffe der Presse, die beleidigende Sprache der Opposition keine Grenzen. Ant 13. Oktober 1862 ging das Abgeordnetenhaus wiederum aus einander. Daß die Regierung jetzt jedes Mittel versuchte, die gewünschten Zwecke zu erreichen, selbst gezogene Grenzen überschritt, um endlich festen Boden zu gewinnen, erscheint begreiflich, vielleicht sogar gerechtfertigt. Das Land stand größtenteils
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auf Seite der liberalen Abgeordneten, die jedem ausgleichenden Worte unzugänglich waren und nur weiter herrisch begehrten. Zwar sandten die Konservativen des Königreichs eine „Loyalitätsdeputation" nach Berlin, ihrem König zu sagen, daß noch immer felsenfeste Treue den Thron der Hohenzollern stütze; aber das alles schien verschwindend klein gegenüber den stürmischen Bewegungen in der Politik. Auch daß die preußische Krone für die Rechte des hessischen Volkes eintrat, dem sein Kurfürst die Verfassung völlig aufgehoben hatte, wurde spöttisch beleuchtet. Sollte Preußens König doch längst die Verfassung verletzt haben.
Der Konflikt erreichte seinen Höhepunkt im November des Jahres 1863, wo man vom König verlangte, er solle ein Ministerium im Sinne der liberalen Partei ernennen, ein Begehren, das höchst ungnädig zurückgewiesen wurde. Der König schloß einen Landtag, der das königliche Wort nicht verstehen wollte: „Meine königliche Pflicht gebietet mir, die Macht und die Rechte meiner Krone nicht minder wie die verfassungsmäßigen Befugnisse der Landesvertretung hoch zu halten und zu schätzen." Die empörendsten Urteile über des Königs Verhalten gingen ungehindert durch die Presse; sie waren nur ein Echo der Kammerverhandlungen. Das war die Zeit, in der Oesterreich seine liberalen Anwandlungen hatte und den bedenklich sich lösenden Zusammenhang des österreichischen Kaiserstaates mit Hülfe des Ministeriums Schmerling aufs neue binden wollte, auch wollte es sich zugleich für Deutschland recht populär machen.
Zunächst berieten Bevollmächtigte Oesterreichs und der ihm befreundeten Südstaaten über eine Bundesreform, ohne Preußen nur darum zu fragen. Doch kam man bald zu der Erkenntnis, daß vieles nicht wohl ohne Preußens Teilnahme zu erledigen sei; aber Bismarck wies eine nachträgliche Annäherung im Namen seines Königs kühl zurück.
Was wollte Oesterreich, das deutschen Interessen so fern stand, in Deutschland? Es mochte den Schwerpunkt seiner Regierung im Osten finden, etwa „in Ofen", weit weg aus Preußens Gehege. Darauf hin ging Bismarcks Plan. Auch als Oesterreich für einen polnischen Aufstand gegen Rußland Partei nahm und eine dem entsprechende Note an den russischen Kaiser 'sandte, fand es in Bismarck einen heftigen Gegner. Das schien den Kaiser von Oesterreich wenig Zu kümmern; er machte nur um so größere Anstrengungen, seine
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Machtstellung in' Deutschland zu erneuern und zu befestigen. Im August 1863 lud Oesterreich alle deutsche Souveräne zu einem Fürstentage nach Frankfurt. Da Preußen dort für sich wenig oder nichts erwarten durfte, nahm es nicht Teil daran und beantragte nur eine aus direkten Wahlen hervorgegangene Volksvertretung der Bundesstaaten. Man achtete kaum auf dieses Begehren, hatte man doch alles huldigende Interesse auf Oesterreich gerichtet, dessen Kaiser gleichwie im Siegeszuge nach Frankfurt reiste. Er wähnte dort auch politische Siege über ganz Deutschland, besonders über Preußen zu feiern, dessen leitende Stellung unter den deutschen Staaten ein Ende haben sollte. In die Reihe der Mittelstaaten sollte es zurücktreten, und das Gelüst sollte ihm für immer genommen werden, eine Gleichstellung mit Oesterreich zu begehren. So großspurig dieser Fürstentag angelegt war, ebenso resultatlos und klein ging er zu Ende, Dank den Sonderinteressen der einzelnen Staaten.
3. Preußen tmb Oesterreich in Schleswig-Holstein.
Der dänische Krieg im Jahre 1864.
Mit dem Tode König Friedrichs VII. von Dänemark erwachte die kaum zur Ruhe gekommene schleswig-holsteinische Frage aufs neue, und die beiden Großmächte Oesterreich und Preußen wurden plötzlich durch gemeinsame Interessen mit einander verbunden, wenn auch mir scheinbar.
Unter der Machtlosigkeit und Zerfahrenheit des deutschen Bundes-hatten die im Londoner Protokoll (8. Mai 1852) vereinbarten Rechte der Elbherzogtümer für Dänemark längst keine bindende Kraft mehr gehabt. Vielleicht gedrängt von der öffentlichen Meinung, hatte der König von Dänemark die völlige Einverleibung Schleswigs in Dänemark beschlossen (30. März 1863), ohne denselben irgend welche nationale Selbständigkeit zu lassen. Holstein und Lauenburg sollten später dazu kommen. Auf schwedische Zustimmung und Hülfe glaubte er dabei sicher rechnen zu dürfen. Vergeblich mahnte der deutsche Bund und hatte eben mit Exekution gedroht, als Friedrich VII. starb, und König Christian IX. von Glücksburg, dem Londoner Protokoll entsprechend, sein Nachfolger wurde. Er bestätigte in der Sache Schleswig-Holsteins eiligst, was sein Vorgänger gewollt hatte, die ungerechte Verfassung der Herzogtümer.
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In höchster Erregung nahm ganz Deutschland diesen Rechtsbruch eines Königs auf, der, deutschem Stamme entsprossen, deutschem, verbrieften Rechte Gewalt anthat. Vertragsmäßig hatte sich Dänemark verpflichtet, die legitime Ungeteiltheit und Selbständigkeit der Herzogtümer zu wahren und zu schätzen, und jetzt hatte es die harte, jahrelange Unterdrückung derselben mit solcher Treulosigkeit besiegelt. Darum sollte der rechtmäßige Erbe, der Augustenburger Friedrich VIII. (sein Vater Christian war indeß gestorben), Herzog Schleswig-Holsteins sein. So beschlossen die deutschen Fürsten, und selbst Oesterreich und Preußen versagten die Anerkennung des dänischen Königs als Herzog Schleswig-Holsteins, nachdem sie vergeblich von ihm gefordert hatten, seinen Verpflichtungen gegen die Herzogtümer binnen 48 Stunden nachzukommen. Ein spöttischer Bescheid war die Anwort gewesen, und während die Großmächte mit Besonnenheit vorgingen, hatten sie von den deutschen Mittelstaaten, auch Preußen von den Liberalen im eignen Lande, Anfeindungen genug erfahren müssen, weil sie „dem bedrängten Bruderstamme" nicht schnell genug halfen. Der deutsche Bund hatte die stolze Genugthuung, eine Bundesexekution auszurüsten, die Sachsen und Hannover übertragen wurde. Diese thaten wenig mehr, als daß sie alles zuließen, was im Interesse des Angusteuburgers geschah, der sich in Kiel zum Herzog ausrufen ließ.
Unterdessen schlossen Preußen und Oesterreich eine „Konvention" zu gemeinsamer Besetzung Schleswigs (16. Januar 1864). Die Preußen rückten unter ihrem Feldmarschall von Wrangel, die Oester-reicher unter Feldmarschall-Lientenant von Gablenz in Schleswig ein, zusammen 70 000 Mann. Nach einigen kleinen Gefechten näherten sich die Truppen, dem befestigten Danewirke, das sich von Schleswig aus elf Stunden weit nach Osten und Westen erstreckte. Die Furcht deutscherseits, gegen diese Befestigungen einen schweren Stand zu haben, wurde bald gehoben, als die Dänen unerwartet ihre Stellung verließen und sich (5. und 6. Februar) bei Düppel verschanzten. Prinz Friedrich Karl von Preußen wandte sich dem Sundewitt zu, die Düppler Schanzen zu nehmen, während die Dänen bei Oeversee schon durch die Oesterreicher besiegt worden waren.
In eiserner Ausdauer und Tapferkeit wurde die Erstürmung der Düppler Schanzen von den Preußen vollbracht. König Wilhelm hielt die Opfer der blutigen Siegesarbeit eines besondern Preises wert. Er eilte auf die Wahlstatt, den siegreichen Truppen „seinen königlichen
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Dank" zu bringen. Angesichts der eroberten Schanzen hielt er eine Königsparade über die Düppelstürmer ab unter der Versicherung, daß so viel Blut nicht umsonst für Deutschland in den Sand geronnen sein dürfte. Den Einwohnern des Landes versprach der König, daß er „ihre Sache ausfechten" werde.
Die Dänen waren von Düppel aus über die Brücke von Sonderburg nach der Insel Alsen geflohen, während die Oesterreicher unter Gablenz nach Jütland vorgedrungen waren. Sie hatten die jütische Stadt Kolding besetzt, waren weiter bis zum Lymsiord gekommen und hatten die Belagerung der Festung Fridericia begonnen. Genau so weit waren die Preußen vor mehr als zehn Jahren gewesen, als die englisch-russisch-schwedische Diplomatie dem weitern Vorgehen gegen Dänenark ein Ende gemacht hatte. Auch jetzt sahen England und Frankreich eifersüchtig auf die Kriegserfolge deutscher Waffen, und England mühte sich, Napoleon zur Teilnahme am Kriege zu bewegen. Kaum hatten die Dänen das feste Fridericia räumen müssen (auch Zur See waren sie unterlegen, den Preußen am 17. März bei Rügen, den Oesterreichern bei Helgoland am 9. Mai), da wurde energisch eine Konferenz geplant. Gesandte des deutschen Bundes, Dänemarks und Schwedens kamen am 25. April 1864 in London zusammen, den deutsch-dänischen Konflikt beizulegen. Bis zum Schluß der Konferenz soll der Krieg ruhen. %
Die Friedensbestrebungen scheiterten einzig an Dänemarks Trotz. Es war ebenso wenig den entgegen kommendsten Vorfchlägens Preußens und Oesterreichs geneigt, welche die Elbherzogtümer in Personalunion, aber unter selbständiger Verfassung mit der dänischen Krone vereinigen wollten, wie den Wünschen des deutschen Bundes, der das Interesse des Herzogs von Augustenburg ins Auge faßte. Die Konferenz verlief ohne irgend welches erreichte Ziel, am Tage nach ihrem Schlüsse begann der Krieg aufs neue (26. Juni).
Statt des greisen Feldmarschalls von Wränge! hatte Prinz Friedrich Karl den Oberbefehl der preußischen Truppen übernommen. Er ging mit der Schnelle eines kühnen Reitergenerals vor, dem nun die Schiffe dienen mußten. Fast mit Windeseile waren die Bataillone über den Alsensund gesetzt und hatten die Dänen, die allein 3000 Gefangene verloren, zur Flucht nach der Insel Fünen gezwungen. Salt) war ganz Jütland in den Händen der verbündeten österreichischpreußischen Truppen. Auch die westfriesischen Inseln Sylt, Föhr n. a.
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wurden erobert, und ein namenloser Jubel dankte den deutschen Befreiern. Wie viele Schleswig-Holsteiner, die den Jammer ihres Vaterlands nicht mehr hatten ertragen mögen, wie viele schwer Geschädigte und Geknechtete waren im Laufe des letzten Jahrzehnts ausgewandert, und nun grüßte sie ein freies Vaterland, in das sie ungehindert zurückkehren mochten, soweit sie nicht anderswo in deutschen Landen ein neues Heim gefunden hatten.
Im Wiener Frieden (30. Oktober 1864) mußte Dänemark alle seine Rechte auf Schleswig-Holstein und Lauenburg an Preußen und Oesterreich abtreten und sich verpflichten, deren weitere Verfügungen über die Herzogtümer anzuerkennen. Da die beiden Großmächte fast ganz allein die blutige Kriegsarbeit gethan hatten, wollten sie dem deutscheu Bunde auch keinen Anteil am Siegespreise lassen. Sie allein wollten und sollten in den Herzogtümern gemeinsame Bestimmungen in Regierung und Verwaltung treffen. Wie weit das in Frieden möglich fein würde, zeigte die nächste Zukuust.
Preußeu, das für die Befreiung der deutschen Nordmarken die größten Opfer gebracht hatte, wollte die politische Eroberung durch eine gewisse Sicherheit im Innern befestigen. König Wilhelms, Bismarcks Streben musste verhindern, daß sich die norddeutschen Grenzländer gleich den deutschen Mittelstaaten an Oesterreichs Interessen, an dessen Führung ketteten. Sollte Preußen den Erbprinzen von Augusteu-burg als Herzog Schleswig-Holsteins anerkennen, so konnte das nur unter entsprechenden Bedingungen geschehen. In diesem Sinne verlangte Preußen unbedingte Verfügung über Land- und Seemacht der Herzogtümer (1865), Einführung der preußischen Militärverfassung, Einräumung der Bundessestnng Reudsburg, des Kieler Hafens, lieber-lassung des Post- und Telegrapheuwesens, überhaupt alle die Rechte, welche heute das „deutsche Reich" den deutschen Staaten gegenüber hat, Bayern und Württemberg ausgenommen.
Weder Fürst noch Land wollten sich dem Verlangen Preußens fügen. Auch Oesterreich, wie der deutsche Bund suchten jedes Entgegenkommen möglichst zu hindern. Doch saß Preußen in Norddeutschland schon jetzt zu fest im Sattel, als daß es sich hätte durch kleinliche Anfeindungen irre machen lassen. Vielmehr verlangte es energisch vom deutschen Bunde die Abberufung der überflüssig gewordenen Exekutionstruppen aus Schleswig-Holstein. Es fühlte sich in Gemeinschaft mit Oesterreich stark genug, ein deutsches Recht in den
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Elbherzogtümer zu bewahren, das ihre Waffen im Schlachteufcuer neu erworben hatten.
Ein preußischer und ein österreichischer Zivilkommissar sollten schließlich zusammen die Elbherzogtümer regieren. Daß daraus erst recht kein Heil kommen konnte, wurde zwar gefürchtet, aber die Gefahr nicht umgangen. Die Oesterreicher unter Gablenz thaten sicher allemal das Gegenteil von dem, was die Preußen unter Manteufsel gern gehabt hätten. Rückten aber die Oesterreicher nur einen Finger breit vor in ihren Ansprüchen, so thaten es ihnen die Preußen wenigstens um das Doppelte zuvor. Alles in allem genommen, standen die staatsfmind-lichen Verhältnisse Oesterreichs und Preußens in Schleswig-Holstein schon im Sommer 1865 direkt vor der Säbelspitze. Die nächste Kriegsgefahr wurde zwar durch eine Zusammenkunft der beiden Monarchen in Ga st ein beseitigt (14. Aug. 1865); aber nur um so schwerer zog sich das Gewölk unzähliger Mißverständnisse zusammen.
Unbeschadet des gemeinsamen Besitzes sollte um des lieben Friedens willen Oesterreich Holstein verwalten, Preußen Schleswig. Das Herzogtum Lauenburg sollte Preußen gegen einen Entgelt von 2^2 Millionen Thaler an Oesterreich allein bekommen. Bei diesem scheinbar friedlichen Ausgleiche stand Oesterreich schon aus Grundsatz gleich der Majorität des Bundes, d. h. den deutschen Mittelstaaten, so viel es irgend möglich war gegen Preußen. Der österreichische Statthalter begünstigte sogar die augustenburgischen Interessen den Wünschen und Beschwerden Preußens gegenüber.
Ein sehr gereizter Depeschenwechsel der beiden Großmächte gab ein Spiegelbild gegenseitiger kriegerischer Stimmung, welcher nur die ausführende That fehlte. Bismarck, der wegen seiner geschickten Diplomatie während des dänischen Krieges von König Wilhelm in den Grafenstand erhoben worden war, kündigte sogar den Bruch der bisherigen Allianz an. Er suchte bei den übrigen deutschen Staaten Fühlung zu gewinnen, auf wen Preußen im Falle eines Krieges rechnen könne, da Oesterreich ziemlich offen zu rüsten begann.
Im Frühjahr 1866 beantragte Preußen beim Bunde die Einberufung einer aus direkten Wahlen und aus allgemeinem Stimmrecht hervorgegangenen Versammlung, um noch einmal den Versuch heilbringender Reformen zu machen. Aber die Wogen waren zu hochgehend, um ruhiger Mäßigung Raum zu lassen, und Preußen that wohl daran, sich zeitig gegen seine Feinde zu rüsten. Am 8. April
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schloß es mit Italien einen Bund, wonach dieses sich unter Napoleons Zustimmung verpflichtete, Oesterreich den Krieg zu erklären, falls Preußen zur Durchführung der Bundesreform die Waffen ergreifen werde. Dafür wurde Italien das noch österreichische Venetien zugesagt. Weder Italien noch Preußen sollten von diesem Vertrage, der auf drei Monate geschlossen war, zurücktreten dürfen, bevor die beiderseitigen Zwecke erreicht waren: Venetien an Italien abgetreten, Preußen ein entsprechendes Landesgebiet Oesterreichs bekommen hätte.
Zur selben Zeit hatte Oesterreich in vollster Siegesgewißheit schon im Voraus den größten Teil des preußischen Staates an seine Bundesgenossen verteilt; nur Schlesien wollte es für sich behalten. So weit solche Dinge laut wurden, waren sie eine Frage an die öffentliche politische Meinung, die sich immer kriegerischer gestaltete.
©in Vorschlag Napoleons, durch einen Kongreß die Lösung der streitigen Fragen zu bringen, fand zunächst durchaus kein Gehör bei Oesterreich, das jetzt, nachdem es den deutschen Bund stets als feinen Vasallen betrachtet zu haben schien, auf dessen frühere Entschließungen zurück kam und mit seiner Zustimmung die holsteinische Ständeversammlung nach Itzehoe berief (11. Juni). Das nahm Preußen als Verletzung der gemeinsamen Rechte in Schleswig-Holstein auf, als einen Bruch der Gasteiner Konvention. General von Mauteuffel rückte mit seinen Preußen in Schleswig-Holstein ein und verlangte gemeinsame Negierung beider Herzogtümer. Die Oesterreicher lehnten das ab, mußten aber der Uebermacht weichen und zogen, um nicht im Norden abgeschnitten zu werden, ihre Streitkräfte in Böhmen zusammen. Mit ihnen hatte der Herzog von Augustenburg Holstein verlassen. Die Preußen verschlossen durch ihre Truppen jeden militärischen Zugang zu den Elbherzogtümern, und Manteuffel löste die österreichisch-holsteinische Regierung völlig aus. Natürlich sah das wiederum Oesterreich als unberechtigten Gewaltakt Preußens an und beantragte Mobilmachung des Bundesheeres gegen solche frevelhafte Ueberhebung eines deutschen Staates. Dieser Antrag konnte für Preußen um so mehr als Kriegserklärung gelten, als sich der Bund für Oesterreich entschied.
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4. Der preußisch-österreichische Krieg.
Die Ereignisse in Schleswig-Holstein waren der Augenblicksanlas; zum Kriege, der zündende Funke, für den der Feuer begierige Zunder bis zum Uebermaß angehäuft lag. Die weit auseinander gehenden Meinungen Preußens und Oesterreichs, auch der übrigen Bundesstaaten in betreff der neuen Staats- uud Rechtsordnung des zurück eroberten deutschen Reichslandes waren nur Zeichen der seit langen Jahren weit auseinander lausenden Bahnen deutscher Sonderinteressen. Darin allein tag auch die Begünstigung des Augustenburger Herzogs und andrerseits der Widerstand gegen ihn. Während der schleswig-holsteinschen Kriegszeit, welche der Prüfstein preußischer Heeresverbesserung war, hatte der König von Preußen mehr Gelegenheit gehabt als die süddeutschen
Staaten, die Gesichtspunkte ins Auge zu fassen und sie gewissenhaft zu prüfen, welche Preußen zu einem Kriege gegen Oesterreich drängten. Bismarck hatte sie keinen Augenblick außer Acht gelassen und sie mit
der Energie umworben und klar zu stellen gesucht, welche der Lebens-
frage Preußens inmitten Deutschlands, in Europa wert war. Er hatte es nicht verschmäht, selbst Napoleons Hülfe in Betracht zu ziehen und sich Unglaubliches von ihm bieten lassen (der französische Botschafter Benedetti forderte schon jetzt alles Land bis zur Mosel), ohne um Haares Breite von dem abzuweichen, was er für Preußens Ehre und Größe im Auge hatte.
Seit Oesterreichs Niederlage in Italien hatten die Mängel und Vorzüge der österreichischen und französischen Armee ein. besonderes Studium des preußischen Generalstabs gebildet. Das Ergebnis desselben war in dem „Italienischen Feldzug des Jahres 1859" ver-
öffentlicht worden und darin der Beweis geführt, warum Oesterreich mit seiner übergroßen Anzahl Rekruten verschiedenster Nationalitäten in seiner zögernden Taktik unterliegen mußte, während Napoleon schnell, kräftig alle Vorteile für sich zu benutzen verstand.
trotzdem ganz Deutschland einer Mobilmachung entgegen ging, mühte sich Oesterreich den Krieg zu verzögern. Das Wiener Kabinet ließ in Paris vertraulich mitteilen, daß es zur Abtretung von Venetien bei eit sei, falls es durch preußisches Gebiet entschädigt würde. Die Verlegenheit, welche dadurch für Italien gegen den Bundesgenossen Preußen entstand, dachte der italienische Gesandte Nigra nach echt welschen Grundsätzen dadurch zu beseitigen, daß der geplante Kongreß möglichst
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lang hingezogen würde. Dann hatte Italien das gewünschte Venetien; der mit Preußen auf drei Monate abgeschlossene Vertrag war abgelaufen; es hatte von Italien nichts mehr zu fordern.
Die Verhandlungen des Kongresses scheiterten an Oesterreichs maßlosen Forderungen. Selbst Frankreich hatte erklärt, daß es sich indem bevorstehenden Konflikte neutral halten müsse, und doch kam niemandem ein solcher Krieg, wie er in Aussicht stand, gelegener, als Napoleon. Mochten die Gegner sich viele Niederlagen bereiten, desto leichteres Spiel hatte spater Frankreich: l’un apres l’autre!
Aber auch Bismarck sah der endlichen Lösung mit Spannung entgegen. Im eignen Vaterlande fast geächtet, in ganz Deutschland angefeindet, war er von einem politischen Fanatiker unter den Linden in Berlin angegriffen worden. Glücklicherweise hatten fünf Revolverschüsse ihr Ziel verfehlt, und Bismarck konnte bei seiner Rückkehr mit großer Kaltblütigkeit seiner Gemahlin berichten, daß er so eben „angeschossen" sei.
Ihn machte man für alles politische Mißgeschick verantwortlich und verlangte stürmisch seine Entlassung. Und doch begehrte er nichts weiter, als endlich, ein treuer Diener seines königlichen Herrn, die unklaren, staatlichen Verhältnisse in sichre Bahnen zu geleiten. Die Art dieser Minister- und Patriotenarbeit erschien allerdings neu und ungewohnt. Statt in der viel gebräuchlichen, aalglatten Diplomatenmanier trat Bismarck als ein Ritter sonder Furcht und Tadel wahr und klar für seinen König, für seines Vaterlandes Recht und seine Ehre in die Schranken, unbekümmert um das Urteil der Menge, ja unbesorgt über die vielen Hindernisse, welche ans diesem Wege zu nehmen sein würden. Viel Beschwer, desto mehr Ehr!
Mit einer Schnelligkeit sonder Gleichen stand Preußen gerüstet. Seit König Wilhelm die Reorganisation geplant und begonnen, hatte ihm Kriegsminister von Roon in dieser Arbeit treu zur Seite gestanden. Ein Dritter in diesem Bunde, der Generalstabschef Helmuth von Moltke, der einstige dänische Kadett, hatte es nicht an sich fehlen lassen. Schon im dänischen Kriege hatte er sich unter Prinz Friedrich Karl ausgezeichnet; er war gewachsen mit und an den Aufgaben, die jetzt von Preußen gelöst werden sollten. Der König stand vor der unabweisbaren Notwendigkeit eines Krieges, aber die Volksvertretung wollte keine Kriegsgelder bewilligen.
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„Kann ich Armeen aus der Erde stampfen.
Wächst mir ein Kornfeld in der flachen Hand?"
läßt Schiller König Karl VII. in der „Jungfrau von Orleans" fragen. Preußen brachte es fertig, eine schlagfertige und kriegstüchtige Armee binnen wenigen Tagen ins Feld zu führen; aber es verhelte sich keinen Augenblick die Schwierigkeit seiner Lage.
„Niemand kann die Schwere der Opfer, welche der Krieg dem Vaterlande auferlegen würde, schmerzlicher empfinden, als ich" hatte König Wilhelm schon im Mai den städtischen Behörden Breslau's gegenüber ausgesprochen. Der siebzigjährige König hatte den Ernst des Krieges reiflich erwogen, und dieser Stimmung entsprach der Appell, den er nicht vergeblich an sein Volk 'richtete (18. Juni).
- - In meinem Volke lebt der Geist von 1813. Wer wird uns einen Fuß breit preußischen Bodens rauben, wenn wir ernstlich entschlossen sind, die Errungenschaften unsrer Väter zu wahren, wenn König und Volk, durch Gefahren des Vaterlands fester als je geeint, an die Ehre desselben Gut und Blut zu setzen für ihre höchste und heiligste Aufgabe halten!
Unsre Gegner täuschen sich, wenn sie wähnen, Preußen sei durch innere Streitigkeiten gelähmt. Dem Feinde gegenüber ist es einig und stark, dem Feinde gegenüber gleicht sich aus, was sich entgegenstand, um in Glück und Unglück vereint zu bleiben. Wir müssen in einen Kampf auf Leben und Tod gehen gegen diejenigen, die das Preußen des Großen Kurfürsten, des Großen Friedrich, das Preußen, wie es aus den Freiheitskriegen hervorgegangen ist, von der Stufe herabstoßen wollen, auf die feiner Fürsten Geist und Kraft, seines Volkes Tapferkeit, Hingebung und Gesittung es emporgehoben haben."
Zunächst galt es für Preußen, sich der Länder Norddeutschlands ZU versichern, die sür seine militärische Lage von Bedeutung waren: Hannover, Kurhessen, Sachsen. Ihre feindliche Stimmung war Preußen kein Geheimnis, und Moltkes Sorge war es längst gewesen, sie für Preußen unschädlich zu machen, während besonders Hannover und Kurhessen nicht voll wehrfähig waren.
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Am 15. Juni legte Preußen ihnen die Wahl vor zwischen Abrüstung oder Krieg. Aber Hannovers blinder König ließ sich übel raten; er hoffte sich mit Bayern und Oesterreich vereinen und Preußen Widerstand leisten zu können. Der hessische Kurfürst saß trotzig auf seinem Schlosse Wilhelmshöhe und meinte, der Preuße habe ihm gar nichts zu melden, er könne in seinem Lande thun und lassen, was er wolle. Preußens Reformvorschläge sollten ihn auch nicht kümmern. Die hessischen Truppen zogen südwärts den Bayern entgegen. Die Hannoveraner unter ihrem blinden König warteten, daß die Bayern ihnen zu Hilfe nach Norden kommen sollten, oder vielleicht gelang es, mit einem Heere von 18 000 Mann nach Süddeutschland zu entkommen.
Noch bevor der geplante Krieg Preußens gegen Oesterreich zum-. Ausbruch kam, entschied sich das Geschick von Hannover und Kurhessen. General Vogel von Falckenstein besetzte von Nordwesten her Hannover und übernahm die Verwaltung des Landes, General Bayer nahm Kassel und führte den Kurfürsten als Gefangenen nach Stettin (17. und 18. Juni 1866). Da alle deutschen Fürsten aufgefordert worden waren, sich an der Aktion zu beteiligen, hatte der Herzog von Gotha Eisenach besetzt, das der König von Hannover anfangs zu passieren gedachte. Nun zog letzterer zur Seite von Mühlhausen nach Langensalza. Kurze Unterhandlungen mit den Preußen blieben erfolglos, und diese griffen, 8000 Mann Landwehr, 20 000 Hannoveraner an (27. Juni). Keiner von beiden konnte sich einesnennenswerten Sieges rühmen, obgleich König Georg selbst den Waffenrock, den er in der Schlacht von Langensalza getragen hcitteA in seinem „Welfenmuseum" gleich einer Siegestrophäe verewigen ließ. Eins hatte Preußen erreicht, das hannoversche Heer war aufgehalten worden, und das war in dem Augenblicke einem Siege gleich. Am 29. Juni sah sich der König zur Kapitulation genötigt. Sein Heer wurde aufgelöst und in die Heimat entlassen; er selbst begab sich mit dem Kronprinzen (Herzog von Cumberland) nach Wien.
Auch ganz Sachsen war binnen wenigen Tagen in den Händen der Preußen (18. bis 20. Juni); doch war es dem sächsischen Heere gelungen, nach Böhmen zu entkommen und sich dort mit den Oesterreichern zu vereinigen. So hatte Preußen in kaum fünf Tagen allen Widerstand von der Nordsee bis zum Main gebrochen und konnte seine Streitkräfte gegen Süddeutschland, gegen Oesterreich richten.
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Seit durch Stimmenmehrheit der Bundestagsgesandten die Mobilmachung der Bundestruppen gegen Preußen beschlossen war, galt es für König Wilhelm, den Kriegsplan Moltkes möglichst schnell auszuführen: „Getrennt marschieren, vereint schlagen!" Die Besetzung von Hannover, Hessen und Sachsen deckte der preußischen Armee den Rücken. Den Südstaaten: Württemberg, Bayern, Hessen-Darmstadt u. A. glaubte Moltke schon darum gewachsen zu sein, weil er ihre Militärmacht nicht für kriegstüchtig hielt. Anders stand es mit Oesterreich, das eine schlagfertige Armee von 264 000 Mann ins Feld führen konnte, dazu 23 000 Sachsen.
In drei Heeresabteilungen geschieden, rückten die Preußen dem Süden zu. Die Armeekorps unter General Herwarth von Bittenfeld, unter Prinz Friedrich Karl und dem Kronprinzen wurden durch ihren Generalstabschef so vorsichtig wie geschickt durch Sachsen und Schlesien nach Böhmen dirigiert, als ob er zu jeder Zeit genau von den Bewegungen des Feindes unterrichtet gewesen wäre. Vielleicht folgte dieser längst gefaßten Plänen, die Moltke kannte und klug zu benutzen verstand, ohne im gegebenen Augenblick die Freiheit des Handelns zu beschränken. Denn „die Armeekorps," heißt es in einem Chiffretelegramm an die einzelnen Heerführer, „haben von dem Augenblick an, wo sie dem Feinde gegenüber treten, nach eigenem Ermessen und nach Erfordernis zu handeln, dabei aber stets die Verhältnisse der Nebenarmee zu berücksichtigen ..."
Wunderbar bleibt, daß Oesterreich so wenig Fühlung mit dem preußischen Feldzugsplane gewann und den drei Armeen, welche sich immer weiter einander näherten, nicht mit voller Streitkraft entgegentrat. Selbst den einzelnen Korps bot der österreichische Oberfeldherr Benedek, besonders durch seinen General Clam-Gallas, so ungenügenden Widerstand, daß die Preußen unausgesetzt au Terrain gewannen. Vom 26. bis 29. Juni siegte Prinz Friedrich Karl wie die Elbarmee unter Herwarth von Bittenfeld bei Liebenau, Hüner-wasser, Podol, Müuchengrätz und Gitschin, während die Armee des Kronprinzen, welcher die schwierige Aufgabe hatte, zuvor von der Grafschaft Glatz ans die Sudetenpässe zu überschreiten, bei Nachod, fefalitz, Burkersdorf, Soor und Schweinschädel siegreich war. Unterdessen konnten sich die Armeen des Prinzen Friedrich Karl und des Generals von Bittenfeld mit einander vereinigen, um den Kronprinzen zu erwarten.
Bornhak, Unser Vaterland. . ~
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Am 29. Juni verließ König Wilhelm Berlin, begleitet von Bismarck, Roon und Moltke, um den Oberbefehl über die Armee zu übernehmen. Er traf am 2. Juli in dem soeben eroberten Gitschin ein, wo ihn das Heer erwartete. Bis dahin war Moltkes Feldzugsplan genau innegehalten worden und hatte sich auf Tag und Stunde bewährt, eine Leistung, die Großartiges für die Zukunft in sich tragen mochte. Die Zuverlässigkeit der preußischen Heeresleitung war erprobt.
Indessen hatte Benedek die ganze österreichische Armee der Bistri) entlang aufgestellt, und die preußischen Heerführer faßten dieser für die Oesterreicher höchst bedenklichen Lage gegenüber (sie hatten die Elbe im Rücken) Pläne, deren Gelingen sicher schien, falls der Kronprinz mit seiner Armee noch rechtzeitig eintraf, die österreichische Armee in der rechten Flanke anzugreifen. Aber die Truppen waren von den vielen Gefechten, von schweren Märschen ermüdet, und das richtige Eintreffen der kronprinzlichen Armee blieb bei den durch Regengüsse grundlos gewordenen Wegen zweifelhaft. Dagegen war der sofortige Angriff eine Ueberraschnng, in welcher der Sieg ruhen mochte.
„Hält es der General von Moltke für nötig," so lautete des Königs Befehl, „daraufhin Beschlüsse zu fassen, so möge derselbe noch in der Nacht zu jeder Zeit kommen, um die nötigen Befehle zu empfangen.
„Wir waren," berichtet Moltke darüber, „mit unsern drei so weit von einander getrennten Armeekorps in keiner brillanten Lage beim Beginn des Feldzugs; aber:-jeder Tag, der verfloß, ohne unser Vordringen zu verhindern, brachte uns nach menschlichem Berechnen der Siegesgewißheit näher."
Während Moltke getreu seinem Wahlspruche „Erst wägen, dann wagen" sich in mitternächtlicher Stunde für das Letztere entschied, war die Ankunft des französischen Botschafters Benedetti im preußischen Lager gemeldet worden, und die möglichen Aufträge desselben beschleunigten Moltkes Entschluß, daß setzt das „Kühnste auch das Sicherste" sei.
Mit einer Berechnung ohne gleichen wurde der Plan ins Werk gesetzt, die drei getrennten Armeen so schnell als möglich zu vereinigen. Unter welchen gefahrdrohenden Möglichkeiten diesem Ziele entgegen gesteuert wurde, wie jeder Augenblick alle klug bedachten Pläne durchkreuzen konnte und doch keiner Minute bangen Zögerns Raum gab, das buchte die preußische Geschichte mit goldenen Lettern und legt jedem
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der einzelnen Feldherren Zweige jenes Lorbeerkranzes aufs Haupt, der König Wilhelm und seinem Generalstabschef Moltke in erster Linie gehört.
Die mörderische Schlacht von Königgrätz (Sadowa) krönte den Siegeslauf der preußischen Armee in großartigster Weise (3. Juli 1866). Wohl hatte der Kampf seine bangen und kritischen Augenblicke; gegen zwei Uhr mittags schien den Preußen im Zentrum die höchste Gefahr zu drohen. Da plötzlich wankten die vorher festgeschlossenen Reihen der Oesterreicher, und die Kunde kam herüber, erst als unsicheres Gerücht, dann als verbürgte Thatsache: „Unser Kronprinz ist da!" Immer sichtlicher rückten die drei preußischen Armeen erdrückend auf den Feind. Benedek hatte den Fehler begangen, die Armee des Kronprinzen zu wenig zu beachten, die nun die Entscheidung gebracht hatte.
„Jetzt ist Eurer Majestät der Sieg nicht mehr zu nehmen," war nach kurzer, scharfer Beobachtung das Urteil Moltkes seinem König gegenüber, und bald waren die Oesterreicher völlig unterlegen. Sie hatten 24000 Tote und Verwundete; 19800 waren gefangen. Die preußische Armee hatte 8794 Mann verloren, dazu 359 Offiziere; aber trotz der schweren Verluste war der Siegesjubel im preußischen Heere grenzenlos.
„Einen vollständigen Sieg über die österreichische Armee nahe an Königgrätz,' zwischen der Elbe und Bistritz, haben wir heute in einer achtstündigen Schlacht erfochten," beginnt eine Depesche König Wilhelms an seine Gemahlin Augusta, welche unter dem Ausdruck des Schmerzes über die vielen Verluste schließt: „Ich preise Gott für seine Gnade. Wir sind alle wohl. Der Gouverneur soll Viktoria schießen!"
Als König Wilhelm noch einmal spät Abends über das Schlachtfeld ritt, seine tapfern Soldaten zu grüßen, begegnete er dem Kronprinzen und schmückte ihn auf offenem Schlachtfelde mit dem Orden pour le merite. „Welch ein Moment des Wiedersehens," schrieb der König darüber an seine Gemahlin, „nach allem Erlebten und am Abend dieses r^ages! Ich übergab ihm selbst den Orden pour le merite, so baß ihm die Thränen herabstürzten, denn er hatte mein Telegramm mit der Verleihung nicht erhalten. Also völlige Ueberraschung! Einstens alles mündlich! Erst um 11 Uhr war ich hier, ohne alles, so daß ich auf einem Sopha kampierte."
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Dieser glänzende Sieg preußischer Waffen wurde im In- und Auslande gleich einem Wunder angestaunt; hatte man ihnen doch nichts weniger gegönnt als solchen Erfolg. „Die Welt bricht zusammen!" hatte der römische Kardinal Antonelli bei der Nachricht von der Niederlage Oesterreichs ausgerufen. „Unsre Nordarmee existiert nicht mehr," klagten österreichische Blätter, und die englische Times schrieb: „Der böhmische Feldzug hat die Thaten Julius Cäsars und selbst des Riesen von Austerlitz überboten."
Wien sollte das nächste Ziel der vereinigten preußischen Armeen sein; als aber das österreichische Heer sich bei Olmütz verschanzte, folgten ihm eilends preußische Truppen dorthin, ohne Wien aufgeben zu wollen. Da that der Kaiser von Oesterreich einen Schachzug; er trat Veuetien an Napoleon ab, der es annahm und zu Gegendiensten bereit war. Oesterreich durfte darnach hoffen, mit Italien, dem Napoleon nun Veuetien anbot, Frieden zu schließen und die dort verwandten Truppen rasch nach der Donau zu werfen. Aber trotzdem die Italiener bei Custozza (24. Juni) von den Oesterreichern besiegt waren, auch in der Seeschlacht bei Lissa, blieb Italien ehrenvoll seiner Allianz mit * Preußen eingedenk; es nahm das französische Geschenk nicht an. Doch wurde der Krieg auf Seiten Oesterreichs in Italien sehr lau fortgesetzt, so daß Oesterreich kaum seine Stellung in Italien zu behaupten strebte.
Die Hoffnung auf Frankreichs militärische Hülfe mußte Franz Joseph freilich aufgeben, da Napoleon soeben in Mexiko wenig gute Erfahrungen gemacht hatte; aber doch telegraphierte dieser an König Wilhelm, daß ihn „der große und rasche Erfolg der preußischen Waffen nötige, aus feiner Rolle vollständiger Enthaltung herauszutreten." Er rate dringend, zunächst einen Waffenstillstand eröffnen zu wollen.
Während der vielfach unterbrochene Telegraph nicht allzu schnell die widerstreitenden Ansichten vermittelte, eilten die Preußen auf verschiedenen Wegen siegreich Wien entgegen. Schon rückten sie vor Preßbnrg, das Benedek zu retten suchte. Am 22. Juli stießen die feindlichen Armeen aufeinander; eine Stunde vielleicht, und Preßbnrg wäre in den Händen der Preußen gewesen. Da traf die Kunde von dem im Hauptquartier des Königs zu Nikolsburg abgeschlossenen fünftägigen Waffenstillstände ein; Preßbnrg blieb in Oesterreichs Besitz. Doch stand Moltke mit einem Heer von 45 000 Mann abwartend kampfbereit, falls der Waffenstillstand nicht zum Frieden führen würde.
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Dieser wurde am 23. August zu Prag abgeschlossen, nachdem die Bevollmächtigten Preußens und Oesterreichs die vorher nicht ohne Napoleons Einfluß festgestellten Friedenspräliminarien unterschrieben hatten. Ihre Hauptbestimmungen waren: „Der Kaiser von Oesterreich erkennt die Auslösung des bisherigen deutschen Bundes an und giebt seine Zustimmung zu einer neuen Gestaltung Deutschlands ohne Beteiligung des österreichischen Kaiserstaates. Er verspricht, das engere Bundesverhältnis anzuerkennen, welches der König von Preußen nördlich von der Linie des Main begründen wird und erklärt sich damit einverstanden, daß die südlich von dieser Linie gelegenen deutschen Staaten in einen Verein zusammentreten, dessen nationale Verbindung mit dem norddeutschen Bunde der nähern Vereinbarung zwischen beiden vorbehalten bleibt, und der eine internationale, unabhängige Existenz haben wird. Er überträgt seine im Wiener Frieden vom 30. Oktober 1864 erworbenen Rechte auf die Herzogtümer Holstein unb Schleswig auf den König von Preußen mit der Maßgabe, daß die Bevölkerungen der nördlichen Distrikte von Schleswig, wenn sie durch freie Abstimmung den Wunsch zu erkennen geben, mit Dänemark vereinigt zu werden, an Dänemark abgetreten werden sollen. Der König von Preußen erklärt sich bereit, das Königreich Sachsen in seinem bisherigen Umfang bestehen zu lassen, indem er sich vorbehält, den Beitrag Sachsens zu den Kriegskosten und die künftige Stellung desselben innerhalb des norddeutschen Bundes durch einen besonderen Friedensvertrag näher zu regeln. Dagegen verspricht der Kaiser von Oesterreich, den von dem König von Preußen in Norddeutschland herzustellenden neuen Einrichtungen, einschließlich der Territorialveränderungen anzuerkennen."
Damit war der alte deutsche Bund aufgelöst, von dem man nach den Freiheitskriegen so viel erhofft hatte, und der doch mehr Unheil als Gutes zu Wege gebracht.
Auch gab Preußen seine Zustimmung zu der Vereinigung des „lombardisch-venetianischen Königreichs" mit Italien, das inzwischen wenig Kriegsglück gehabt hatte. Nach Abzug der österreichischen Truppen mußte es sich doch Venetien im Namen Frankreichs durch den französischen General Leboenf förmlich schenken lassen.
In dem Nikolsburger Frieden waren die gegen Preußen kämpfenden deutschen Südstaaten nicht eingeschlossen und hatten darum einen besonderen Frieden zu vereinbaren, nachdem sie den preußischen Truppen
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in manchem blutigen Kampfe unterlegen waren. Ihren Streitkräften, 45,000 Bayern unter Leitung des altersschwachen Prinzen Karl von Bayern und Bundestruppen, geführt vom Prinzen Alexander von Hessen, fehlte es an einheitlichem Handeln, und so wurden die Bayern vom 4. bis 10. Juli unausgesetzt besiegt, bei Derubach, Hünfeld und Kissingen, bei Hausen und Hammelburg, obgleich sie den Preußen an Zahl überlegen waren. Auch die Hessen unterlagen bet Laufach und Aschaffenburg.
Als General Vogel von Falkenstein in Frankfurt einzog, hatte sich der preußenfeindliche Bundestag eiligst aus dem Staube gemacht, und der Stadtsäckel sollte dessen Sünden und deren Schuld mit sechs Millionen Thalern bezahlen. Als wenige Tage später General Manteuffel den Oberbefehl in Frankfurt übernahm, erhöhte er die Kriegssteuer auf fünfundzwanzig Millionen Thaler. Doch wurde die Summe später erlassen; dafür bezahlte Frankfurt seine feindliche Haltung mit der eigenen Freiheit. Es fiel bedingungslos gleich Hannover, Kurhessen und Nassau an Preußen, das jetzt seinen Siegeszug durch Bayern fortsetzte. Bei Hund heim und W erb ach (23. und 24. Juli), bei Tauberbischofsheim, Helmstädt und Roßbrunn (25. Juli) wurden die süddeutschen Truppen völlig geschlagen. Anfang August kam ein Waffenstillstand zwischen Preußen und Süddeutschland zu stände. Ende Oktober erst der Friede. Am längsten wehrte sich Sachsen dagegen, dessen König eher geneigt war, abzudanken, als sich zu fügen.
Obgleich die besiegten Süd- und Mittelstaaten ihre Niederlage schmerzlich empfanden, wie die Kriegssteuer, welche sie an Preußen zu zahlen hatten, so sollte ihnen doch allmählich klar werden, daß der König von Preußen in der Erhaltung seines Staates Deutschlands Größe im Auge hatte, wenngleich er als Träger und Vertreter deutscher Interessen manches Opfer der widerstrebenden Einzelstaaten fordern mußte. „Nur Deutschland hat gewonnen, was Preußen erobert hat," betonte König Wilhelm in seinem Aufruf an die Bevölkerung Hannovers.
Die allezeit so laut gerühmte Friedensliebe Napoleons, seine „wohlwollende Neutralität" erhielt eine wunderliche Beleuchtung, als sich die süddeutschen Regierungen, Baden ausgenommen. Hülfe flehend an ihn gewandt hatten. Er ließ durch seinen Minister des Auswärtigen von Bismarck die Abtretung der bayrischen Rheinpfalz und Rheinhessens mit Mainz verlangen, dabei nicht undeutlich mit dem Säbel rasselnd.
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Da Bismarck dafür gar kein Gehör zu haben schien, sich vielmehr in vorsichtigen Höflichkeiten selbst zu überbieten suchte, nebenbei aber kein Geheimnis aus Napoleons Anerbieten machte, zog dieser klug zurück und that, als habe sein Minister die gegebenen Vollmachten überschritten. Er wurde dafür entlassen. Aber den süddeutschen Staaten waren darüber die Augen ausgegangen. Sie schlossen, Bayern, Württemberg und Baden, heimlich ein Schutz- und Trutzbündnis mit Preußen, worin sie sich gegenseitig die Integrität ihres Gebiets garantierten, sich auch verpflichteten, im Kriegsfälle ihre Truppen gegenseitig zur Verfügung zu stellen. Damit war also eine Annäherung zwischen Nord-und Süddeutschland angebahnt, uud wenngleich sich im Norddeutschen Bunde die Staaten Norddeutschlands enger an einander schlossen, die Süddeutschen sich ebenfalls besonders verbündeten, so hatten doch die Erfahrungen der letzten Jahre die gegenseitige Kriegsstimmung wesentlich beruhigt. Außer Preußen, das um 1308 Quadratmeilen vergrößert und durch mehr als vier Millionen Einwohner vermehrt war, hatten alle Staaten nur verloren. „Mancher freilich," sagt Moltke in seinem Generalstabswerke über den österreichischen Krieg, „kehrte nicht wieder heim. Die Opfer waren schwer und groß gewesen; 4450 Söhne des Vaterlandes^ hatten den Sieg mit ihrem Leben erkauft, 6427 waren der Cholera oder auderu Krankheiten erlegen, 16 177 hatten ehrenvolle Wunden davon getragen." An andrer Stelle heißt es weiter: „Es
steht zu hoffen, daß das Ergebnis dieses beispiellos schnell und glücklich verlaufenen Feldzuges eine segensreiche Zukunft für Deutschland uud die heranwachsende Jugend herbeiführen wird. In dieser ernsten Prüfung hat der König sein Volk gewogen und auch das Volk seinen König. Welch Gefühl heute, eiu Preuße zu sein — vom König bis zum letzten seiner Unterthanen! — Jetzt kennt Preußen sich! das ist das größte Resultat dieses Krieges. Es hat ja gesehn, daß am Tage von Königgrätz der preußische Adler eben so jung, so kraftbewußt seinen Siegesflug nahm, wie,bei Fehrbellin, Leuthen und Bellealliance."
Und in der That, wie könnten die Bilder jener Tage jemals aus dem Volksbewußtsein schwinden: Ein siebzigjähriger König eilt mit Jugendsrische in das Feldlager, einen verhängnisvollen Krieg zu leiten. Er nimmt selbst die Nächte zu Hülfe, wenn es gilt, klare Pläne, schnelle Entschlüsse zu fassen. Er teilt gleich seinem Sohne mit seinem Heere alle Entbehrungen und Strapazen des Krieges, und wäre es ein ^tück trockenes Brot. „Ich weiß genau, ivo eiu König von Preußen
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hingehört, wenn seine brave Armee im Feuer steht!" ist die Antwort des Königs auf die Mahnung des Grafen Bismarck, sich aus dem heftigen Granatfeuer zu entfernen, in das der königliche Held an der Spitze seiner siegreichen Kavallerie, den Feind verfolgend, in der Schlacht von Königgrätz geraten war.
Erschöpft setzt sich der königliche Herr auf eine Ruhebank, die ihm seine Soldaten durch eine Leiter hergestellt haben, welche sie über zwei tote Pferde gelegt hatten. Hier diktierte er Bismarck eine Depesche an die Königin. Sein nächtliches Ruhelager ist zuweilen auch nicht viel besser; er ist froh, seine altersmüden Heldenglieder auf einer Streu oder auf einem Sofa ausstrecken zu können, gleich den jugendstarken Soldaten.
Diesen vom ganzen Volke mit höchster Begeisterung empfundenen Eindrücken entsprach der Einzug des Königs in Berlin an der Spitze seiner siegreichen Truppen, der am 20. und 21. September erfolgte. Schon zuvor hatte Königin Augusta in später Abendstunde ihre Lieben empfangen, und als vom Denkmal Friedrichs des Großen her langsam und feierlich die Tone des „Heil Dir im Siegerkranz!" die Ankommenden begrüßten, hatte sich plötzlich der brausende Jubel des Volkes in andachtsvolles Schweigen gewandelt. Am andern Tage war der erste Weg des königlichen Paares in den Dom, dem Herrscher der Heerscharen für die Siege zu danken. Gedachte der König jenes Buß- und Bettages am 27. Juni 1866, als er Abschied von Berlin nahm, dem ungewissen Kriege entgegen zu gehen? Der Oberhofprediger Kögel hatte am Morgen über den Text gepredigt: Ist Gott für uns, wer mag wider uns sein? Tags darauf war er mit dem Oberhofprediger Snethlage bei der Königin-Witwe Elisabeth zu Tisch geladen, als der König gemeldet wurde. Nachdem dieser von der Königin Abschied genommen hatte und ihr Zimmer verließ, trat er an den Prediger herein, sich über die gehörte Predigt ansznsprechen. Er äußerte sich auch über die Kehrseite des Textes: Ist Gott wider uns, wer mag für uns sein? Als nun Snethlage siegesgewiß antwortete, daß ihm der Erfolg der preußischen Wasser: sicher sei, und er nur den nachfolgenden Hochmut fürchtete, ergriff der König feine Hand und sagte innig mit einem Blick aus die düstre Gewitterwolke, die eben am Himmel stand: „Unter-
liegen wir, so wollen wirs in Geduld und Beugung tragen. Siegen wir, dann verspreche ich, werde ich der Erste sein, der dem Volke vorangeht mit dem Bekenntnis: Das hat der Herr gethan!" Der König hat Wort gehalten.
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Die Jubeltage der Heimkehr schienen allen Schmerz der Verluste Zu übertäuben. Auch alle Mißstinnnung zwischen König, Volk und Volksvertretung war dahin gegangen wie Schnee vor der Sonne. Sollte der Großftaat Preußen Deutschlands Führer werden, dann durfte er nicht mehr an innern Konflikten kranken. Die Regierung bot zuerst die Hand zur Versöhnung. In seiner Thronrede gestand der König zu, daß die Ausgaben der letzten Jahre, welche das Vaterland in der Militäroorlage zu seinem Schutze bedurft habe, leider der gesetzlichen Grundlage hätten entbehren müssen. Er ließ durch seine Minister um nachträgliche Genehmigung der für das Militär gemachten Ausgaben in dem sehr fein gewählten Worte „Indemnität" bitten. Sie wurde mit großer Majorität in beiden Häusern des Landtags gewährt. Selbst eine beantragte Ehrengabe des Staates von 200,000 Thalern an Bismarck, Roon und Moltke wurde anstandslos bewilligt. Den städtischen Behörden gegenüber äußerte der König: „Preußen mußte das Schwert ziehen, als es sich zeigte, daß es die Erhaltung seiner Selbständigkeit galt. Aber auch zur Neugestaltung Deutschlands hat es sein Schwert gezogen." .... Und weiter: „Es ist mir in meinem hohen Alter sehr schwer geworden, das Wort „Krieg!" anszusprechen, Krieg gegen einen alten Bundesgenossen, der seine berechtigte Stellung in Deutschland hatte, zu dessen altem Fürstenhause ich vielfache Beziehungen hatte. Es ist mir doppelt schwer geworden, weil ich die Opfer kannte, welche ich meinem ganzen Volke auferlegen mußte; aber ich bin heraus-gefordert worden und mußte den Kampf annehmen."
Auch in den neu erworbenen Landesteilen (Schleswig-Holstein wurde am 12. Dez. 1867 einverleibt, Hannover, Kur Hessen, Nassau und Frankfurt durch königliche Erklärung vom 17. August) wußte Preußen mit äußerster Mäßigung den Uebergang der neuen Regierungsverhältnisse anzubahnen, jedem ein Maß von Selbstverwaltung zu gewähren, auch besondere Provinzialfonds für örtliche Verhältnisse.
„Nicht in dem Verlangen nach Ländererwerb, sondern in der Pflicht, unsre eroberten Staaten vor wiederkehrender Gefahr zu schützen, der nationalen Neugestaltung Deutschlands eine breitere und festere Grundlage zu geben, liegt für uns die Nötigung, das Königreich Hannover, das Kurfürstentum Hessen, das Herzogtum Nassau und die
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freie Stadt Frankfurt auf immer mit unsrer Monarchie zu vereinigen." Diese Worte kennzeichneten die königliche Gesinnung, und „Nur Deutschland hat gewonnen, was Preußen erworben" blieb von jetzt an die Richtschnur aller Regierungshandlungen des Königs den neuen Landeserwerbungen gegenüber.
Als noch einmal Spuren des alten Konfliktes in den Beratungen des Etats für 1867 auszubrechen drohten, war wiederum die Regierung zur Vermittlung bereit, und die Volksvertretung wußte dieses hochachtenswerte Entgegenkommen gebührend zu würdigen. Bereitwilligst wurden die Mittel Zur Unterstützung der Witwen und Waisen von Gefallenen gewährt, auch für die im Kriege invalide gewordenen Soldaten. Jedem königlichen Wunsche, jeder Regierungsvorlage wurde jetzt das möglichste Entgegenkommen der Volksvertretung zu Teil, und der König konnte den Landtag des Jahres 1867 befriedigt mit den dorten schließen: „Ich werde es als den höchsten Ruhm meiner Krone ansehn, wenn Gott mich berufen hat, die Kraft meines durch Treue, Tapferkeit und Bildung starken Volkes zur Herstellung dauernder Einigkeit der deutscheu Stämme und ihrer Fürsten zu verwerten."
5. Gründung -es Norddeutschen Lundes und des deutschen Zottparlaments.
Die Luxemburger Frage.
Während der Kaiser von Oesterreich nach dem Kriege die Neugestaltung seiner Monarchie durch eine geteilte Verfassung zu stärken suchte, Ungarn und seine Nebenländer als TransleUhanien mit besonderem Ministerium, besondrer Verfassung, die deutsch-slavischen Provinzen des Kaiserstaates als Cisleithanien (jenseits und diesseits der Leitha) beide als gesonderte Reichshälften regierte und nur in gemeinsamen Reichsangelegenheiten durch ein Reichsministerium verband, sollte das Wort König Wilhelms That und Wahrheit werden: „Die Zeit ist herbeigekommen, wo unser deutsches Vaterland durch seine Gesamtkraft seinen Frieden, seine Macht und' seine Würde zu vertreten im stände ist."
Gleich nach dem Kriege hatte Preußen die Bevollmächtigten aller nördlich vom Main gelegenen Staaten zu einer Konferenz nach Berlin geladen (17. Dezember 1866), um ihnen den Entwurf einer neuen
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Bundesverfassung vorzulegen. Nach Feststellung desselben berief der König als Bundesoberhaupt den am 12. Februar 1867 erwählten Norddeutschen Reichstag nach Berlin (24. Februar) und begrüßte ihn in begeisterter Rede:
„Einst mächtig, groß und geehrt, weil einig und von starken Händen geleitet, sank das deutsche Reich nicht ohne Mitschuld an Haupt und Gliedern in Zerrissenheit und Ohnmacht. Des Gewichts im Rate Europas, des Einflusses auf die eignen Geschicke beraubt, ward Deutschland zur Wahlstatt der Kämpfe fremder Mächte, für welche es das Blut seiner Kinder, die Schlachtfelder und die Kampfpreise hergab. — Niemals aber hat die Sehnsucht des deutschen Volkes nach seinen verlornen Gütern aufgehört, unddieGeschichte unsre r Zeitist erfülltvon den Bestrebungen, Deutschland und dem deutschen Volke die Größe seiner Vergangenheit wieder zu erringen. — Wenn diese Bestrebungen bisher nicht zum Ziele geführt, wenn sie die Zerrissenheit, anstatt sie zu heilen, nur gesteigert haben, weil man sich durch Hoffnungen oder Erinnerungen über den Wert der Gegenwart, durch Ideale über die Bedeutung der Thatsachen täuschen ließ, so erkennen wir daraus die Notwendigkeit, die Einigung des deutschen Volkes an der Hand der Thatsachen zu suchen, und nicht das Erreichbare dem Wünschenswerten zu opfern!
Als Erbe der preußischen Krone fühle ich mich stark in dem Bewußtsein, daß alle Erfolge Preußens, Stufen zur Wiederherstellung und Erhöhung der deutschen Macht und Ehre geworden sind.
Nur zur Abwehr, nicht zum Angriffe einigen sich die deutschen Stämme, und daß ihre Verbrüderung auch von ihren Nachbarvölkern in diesem Sinne aufgefaßt wird, beweist die wohlwollende Haltung der mächtigsten europäischen Staaten, welche ohne Besorgnis und ohne Mißgunst Deutschland von denselben Vorteilen eines großen staatlichen Gemeinwesens Besitz ergreifen sehen, deren sie sich ihrerseits bereits seit Jahrhunderten erfreuen.
Von uns, von unsrer Einigkeit, von unsrer Vaterlandsliebe hängt es ab, dem gesamten Deutschland die
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Bürgschaften einer Zukunft zu sichern, in welcher es, frei von der Gefahr, wieder in Zerrissenheit und Ohnmacht zu verfallen, nach eigner Selbstbestimmung seine v erfassungs-mäßige Entwicklung und seine Wohlfahrt pflegen und in dem Rate der Völker seinen friedliebenden Beruf zu erfüllen vermag."
Der Norddeutsche Bund umfaßte 22 Bundesstaaten mit 7 540 Quadratmeilen Landes und 30 Millionen Einwohnern. „Das deutsche Volk, stark durch seine Einigkeit, konnte getrost den Wechselfällen der Zukunft entgegen sehen;" denn auch die süddeutschen Staaten, unter denen Hessen-Darmstadt eine besondere Militärkonvention mit Preußen abgeschlossen hatte, führten preußische Wehrverfassung ein und näherten sich schon dadurch dem norddeutschen Bunde, zu dessen Bundeskanzler der König Bismarck ernannte.
Inniger gestaltete sich diese Annäherung durch den Abschluß eines neuen Zollvertrags, dessen Interessen ein besonderes Zollparlament vertreten sollte. Es mag hier daran erinnert sein, daß Preußen einst zuerst den Gedanken eines deutschen Zollvereins angeregt und einen solchen mit großer Umsicht und Energie gestaltet hatte. Schon im Jahre 1818 hatte Friedrich Wilhelm III. die Binnenzölle aufgehoben, welche damals sogar die einzelnen preußischen Provinzen trennten. Im Jahre 1828 hatte Preußen einen Zollvertrag mit Hessen-Darmstadt abgeschlossen, 1831 mit Kurhessen, 1833 mit Sachsen, Thüringen, Bayern und Württemberg, 1836 mit Baden, Nassau und Frankfurt, 1841 mit Braunschweig, Lippe und Luxemburg. Durch diese Einigung auf völlig unpolitischem Gebiete war Preußen an die Spitze des deutschen Zollvereins, damit Deutschlands, getreten und hatte durch Handelsverträge mit Oesterreich, Frankreich und Italien in den sechziger Jahren Ansehen und Macht des Zollvereins wesentlich gehoben. Als nun der norddeutsche Reichstag Handels- und Zollinteressen seiner Bundesgenossen in die Hand genommen hatte, konnten die Zollverbindungen mit den deutschen Südstaaten nicht in alter Form fortbestehen. Sie mußten sich an den norddeutschen Bundesrat und Reichstag anlehnen. Ihre Abgeordneten bildeten vereint mit den Mitgliedern des norddeutschen Reichstages das Zollparlament, dessen Beschlüsse in Ltenersachen somit für ganz Deutschland Geltung haben sollten. Dieses Zollparlament trat am 27. April 1868 zum ersten Male in
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Berlin zusammen, und ganz Europa mochte ahnen, daß damit der Anfang gemacht sei, eine große Zukunftsfrage zu lösen.
Von jetzt an reichten sich Zollparlament und Reichstag des norddeutschen Bundes der Jahre 1868, 1869 und 1870 unausgesetzt die Hand zum innern Ausbau Deutschlands. In fortwährender Folge wurden heilbringende Reformen der Gesetze für Handel und Gewerbe, für bürgerliche und staatliche Einrichtungen geschaffen, und die Gesamtheit des deutschen Volkes durfte immer mehr das Gefühl einer Zusammengehörigkeit empfinden, die „in den Vordergrund stellte, was einte, und zurücktreten ließ was trennen könnte." Persönliche Berührung der einzelnen Abgeordneten, ernstlich gemeinte Arbeit aller Bundesgesandten, vor allen andern aber die Ehrfurcht gebietende Persönlichkeit des königlichen Bundesoberhaupts hatten das Ihrige gethan, mild ausgleichend auf ganz Deutschland zu wirken.
Aber das Ausland, besonders Frankreich, sah eifersüchtig aus den nationalen Aufschwung, auf die Friedenspolitik inmitten der deutschen Staaten. Die maßlose Ueberhebung der Grande nation, in der eine kriegslustige Partei das Feuer schürte, machte dem Kaiser Napoleon Vorwürfe, daß er Preußens Erfolge von 1866, die doch niemand vorher ahnen konnte, geduldet habe. Die Einigung Deutschlands schien nur eine Frage der Zeit zu sein, und wo blieb dann die Aussicht Frankreichs auf den Rhein? Alle diese stürmischen Gefühle der Franzosen für Deutschland, für Preußen, oder vielmehr dagegen, spitzten sich in dem Worte zu: „Rache für Sadowa!" Obgleich Napoleon sehr wohl wußte, daß man die letzten militärischen Mißerfolge Frankreichs und seine wenig glückliche Vermittlerrolle seinem persönlichen Regiment zum Vorwurf machte und dadurch das Kaisertum der Napoleoniden in Frage stellte, so zögerte er doch, den französischen Revanchegelüsten nachzugeben, weil er die völlig unzulänglichen militärischen Kräfte Frankreichs nur allzugut beurteilen konnte. Er suchte die wünschenswerte Befriedigung der französischen Eitelkeit auf diplomatischem Wege zu erreichen. Sein Gesandter Beuedetti mußte Bismarck Versicherungen über Frankreichs Wohlwollen aussprechen, und wie dieses geneigt sei, Preußen in betreff Süddeutschlands völlig freie Hand zu lassen, falls ihm dafür die linksrheinischen Kohlendistrikte im Saargebiete zugesagt würden und — das war die dringendste Forderung — wenn Preußen Frankreich beistehen wolle, Luxemburg zu erwerben und Belgien zu erobern.
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Durch Auflösung des deutschen Bundes war das Groszherzogtum Luxemburg, einst zu den österreichischen Niederlanden gehörig und seit 1815 mit Rolland in Personalunion verbunden, unabhängig geworden. ^)wai gehörte es uoch zum deutschen Zollverein, war aber ein undeutsches Ländchen mit vorwiegend deutscher Bevölkerung. Die Niederlande hätten es gern an den französischen Nachbar verhandelt, obgleich Preußen in der starken Grenzfestung eine Besatzung hatte. Napoleon würde kaum so kühn gefordert haben, wenn er hätte ahnen können, wie weit sich schon jetzt die deutsche Einheit vollzogen hatte. Mochte er auf Oesterreichs Bundesgenossenschaft rechnen dürfen, falls dieses überhaupt in der Lage war, seine französische Freundschaft durch Kriegshülfe zu bethätigen, in der Stellung der übrigen deutschen Staaten hatte er sich entschieden geirrt. Bayern erklärte sofort, zu Preußen, zu Deutschland halten zu wollen, und als Bismarck im norddeutschen Reichstage die französischen Gelüste zur Sprache brachte, erhob sich allgemein lebhafter Widerspruch. Napoleon wagte im Bewußtsein der eigenen Schwäche nicht, seine Wünsche nachdrücklicher zu verfolgen, und Preußen gab klug dahin nach, daß es, wenn Frankreich auf den Ankauf Luxemburgs verzichtete, fein Besatzungsrecht aufgeben wollte. Holland sollte nach einem Konferenzbeschluß der vereinigten Mächte die Festung schleifen, und die Großmächte übernahmen die Gesamtgarantie für die Neutralität des Ländchens. Damit war die bedenkliche Frage zwar aus der Welt geschafft, nicht aber Frankreichs Gelüste.
Nach dem Tode des besonnenen Kriegsministers Niel wurde Napoleon durch dessen Nachfolger Leboeuf unaufhörlich zum Kriege angeregt. Wehrhaftigkeit und Kriegsbereitschaft des französischen Heeres sollten den alten Kriegsruhm Frankreichs erhöhen und ein protestantisches Kaisertum in Deutschland verhindern. Obgleich Napoleon wußte, daß noch viel an dem fehlte, was über die Herrlichkeit der französischen Armee in alle Welt ausposaunt wurde, so mußte er irgend etwas wagen, um seinem Sohne den Thron Frankreichs zn sichern. Indem er dem Lande eine konstitutionelle Verfassung gab, hoffte er die Dankbarkeit des Volkes für sich zu gewinnen; aber er hatte nur um so mehr Leidenschaft und Kriegslust entfesselt.
Das französische Volk suchte und fand in Süddeutschland Sympathien genug. Dort schien in letzter Zeit die Parole ausgegeben zu sein, „lieber französisch als preußisch!" und der Haß gegen eine mögliche „Verpreußung" wurde wacker geschürt. Erst mit der Zeit
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sonnten die edel und dentsch gehaltenen Ziele des Königs von Preußen, welche Bismarck furchtlos, aber mit großer Vorsicht zu fördern strebte und in diesem Sinne im norddeutschen Reichstag vertrat, bahnbrechend mich auf Süddeutschland wirken.
6. Der deutlch-fraiiMsche Krieg mit dem Kaiserreich.
König Wilhelm hatte sich nie über die hinterlistigen Absichten Napoleons getäuscht, der trotz aller Freundschaftsversicherungen genugsam bewiesen hatte, wie er nur auf günstige Kiegsgelegenheit wartete, und Preußen hatte nichts versäumt, sich kriegsfertig zu machen. Schon im Winter 1868—69 hatte Moltke dem König einen Feldzugsplan überreicht, welcher Transport und Marsch der gesamten mobilen Armee von 484 OOO Mann so genau feststellte, daß nur das Datum des ersten Mobilmachungstages eingeführt zu werden brauchte, um sofort die truppen kriegsfertig in Marsch zu setzen. Danach konnten in zwanzig Tagen 384 000 Mann an der feindlichen Grenze stehen, in weiteren vier Ziagen weitere 100 000 Mann auf das feindliche Gebiet folgen.
solche Vorbereitung, die nachweislich mit allen Vorräten, Waffen, Munitionen und Montierungen nicht nur auf dem Papier stand, sondern thatsächlich war, gab der preußischen Regierung schon zu dieser Zeit nach allen Seiten hin große Sicherheit. Eine Denkschrift des Kriegsplanes betonte, daß es zu den Aufgaben des Generalstabes im Frieden gehöre, für alle kriegerischen Möglichkeiten gerüstet zu fein, und so wurden zwar verschiedene feindliche Angriffe Frankreichs in Anschlag gebracht, als Wahrscheinlichkeit aber angenommen, daß „die Franzosen ihre erste Versammlung auf der Linie Metz-Straßburg bewirken würden, um mit Umgehung der starken Rheinfront gegen den Main vorzudringen, Nord- und Süddeutschland zu trennen, mit letztem ein Abkommen zu treffen und dann gegen die Elbe vorzuschreiten." Die Zukunft sollte zeigen, wie fein Moltke gerechnet hatte.
Als der französische Minister im Juni 1870 in einer Versammlung des gesetzgebenden Körpers erklärte, daß der Friede Europas niemals gesicherter gewesen sei, als jetzt, mochten Leichtgläubige sich dem Wahne hingeben, daß er die Wahrheit gesprochen. Preußen blieb auf der Wacht, ohne zu ahnen, von welcher Seite das Wetter zünden sollte, das den politischen Horizont längst verdunkelt hatte.
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Nachdem die Spanier ihre Königin Jsabella vertrieben hatten, machten sie allerlei Versuche, eine ihnen passende Staatsform zu finden. Die monarchische Partei gewann endlich die Oberhand und wußte ihrer Meinung Geltung zu verschaffen, daß ein vom Volke erwählter König jedenfalls angenehmer sei, als viele Häupter einer Republik. Nach vielen vergeblichen Unterhandlungen mit auswärtigen Prinzen hatte sich der katholische Erbprinz Leopold von Hohenzollern-Sigmaringen, Bruder des zum König von Rumänien erwählten Karl von Hohenzollern, willig finden lassen, die spanische Königswürde anzunehmen, falls die Volksvertretung (Cortez) ihn erwählen würde (Juni 1870).
Ein Hohenzoller König von Spanien! Das forderte den Einspruch Frankreichs heraus; war es doch eine Beleidigung der französischen Nation, die spanische Dynastie an das preußische Hohenzollernhaus zu binden. So ungefähr machte man sich in Frankreich Sturm und Kriegsgeschrei bereit, obwohl die Verwandtschaft der fürstlichen Hohenzollern mit dem preußischen Königsgeschlechte weit in das Mittelalter zurückführte. Der spanische Thronkandidat war viel näher mit den Napoleoniden verwandt. Seine Mutter war eine Tochter der Groß-herzogin Stephanie (Beauharnais) von Baden, Stieftochter Napoleon I.
Louis Napoleon selbst war wenig zu einem Kriege geneigt, wußte er doch zu gut, wie viel davon zu halten war, wenn Leboeuf renommierte, daß die französische Armee fix und fertig sei bis auf den Gamaschenknopf. Aber Kaiserin Engenie stand auf Seiten der Kriegspartei und fand „une petite guerre tres amüsante“. Der kaiserliche Gatte, der viel lieber einen kleinen Handel im Stillen gemacht hätte, etwa Belgien für Frankreichs Zustimmung in der spanischen Thronfrage erlangt, mußte sich endlich wohl oder übel fügen und mit in die Kriegsdrommete stoßen. Doch blieb das alles noch ein offenes Geheimnis, wenngleich am 6. Juli der Minister, Herzog Grammont, im gesetzgebenden Körper nicht undeutlich durchblicken ließ, das der Kaiser gesonnen sei, seinem Willen und den Wünschen Frankreichs Nachdruck zu verschaffen. Dazu wurde der französische Botschafter Benedetti
beauftragt, an König Wilhelm die Forderung zu stellen, dem Prinzen Leopold die Annahme der spanischen Krone nicht zu gestatten. Der König ließ antworten, so wenig er den Befehl zur Annahme erteilt habe, ebenso wenig könne von einem Verbot die Rede sein. Ueberdies wurde die Frage gegenstandslos, als der Prinz selbst erklärte, „um seiner Person willen nicht den Weltfrieden stören zu wollen und eine-
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untergeordnete Familienfrage zu einem Kriegsvorwaud heranreifen zu lassen". Dazu erklärte der Vater des Prinzen, Karl Anton von Hohen-zollern, dem spanischen Gesandten in Paris, daß sein Sohn freiwillig zurücktrete.
Die Kriegspartei Frankreichs war mit dieser Lösung gar nicht zufrieden, und eine andre Wendung der Sache wurde bald gefunden. Der preußische König sollte an den Franzosenkaiser einen Brief richten, in dem er gewissermaßen um Verzeihung bat, wenigstens sollte er darin aussprechen, daß er der Würde der französischen Nation nicht habe zu nahe treten wollen und sich dem Verzicht des Erbprinzen anschließe. Vor allen Dingen aber sollte König Wilhelm die Zusage geben, daß er „niemals zu einer etwa später wieder auftauchenden Kandidatur des Prinzen von HohenzoÜern seine Einwilligung geben werde." Der englische Gesandte sollte diese starke Znmutuug unterstützen, indem er seinerseits den preußischen Gesandten in London, Graf Berustorsf, beredete, in diesem Sinne die französischen Ansichten an seinen König zu berichten. Dieser weigerte sich, ein solcher Zwischenträger fremder Interessen zu werden. Er fand in Bismarck darin eine mannhafte Stütze.
In taktloser Weise hatte darauf Beuedetti das französische Ansinnen dem König Wilhelm, der sich zum Kurgebrauch in Ems befand, auf offener Kurpromenade ausgesprochen. Weitere Erörterungen hatte er in einer Audienz nachgesucht; doch hatte ihm der König durch seinen Adjutanten vom Dienst sagen lassen, daß er Herrn von Benedetti in dieser Angelegenheit nichts weiter zu sagen habe.. Das war so mild und königlich ausgesprochen als nur immer möglich, und doch war das kurze, schneidige Telegramm Bismarcks über diese Begegnung der zündende Blitzstrahl, der Frankreich, besonders Paris in großartigsten Kriegstaumel versetzte. Man begann dort, sich zn dem Spaziergang nach Berlin vorzubereiten und rechnete aus, in wieviel Tagen die französischen Heere dort eintreffen würden. Vergeblich warnte der französische Bevollmächtigte Stoffel in Berlin vor einem Kriege mit dem fo vorzüglich gewappneten Preußen, und die Worte des greisen patriotischen Geschichtschreibers Thiers verhallten ebenso spurlos in der stürmischen Kammersitzung zu Paris am 15. Juli: „Ich halte den Krieg für unklug. Ich bin gewiß, daß Sie eines Tages diese Ueberstürzuug bereuen werden. Die Gelegenheit zum Kriege ist schlecht gewählt, und dies wird sich rächen."
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An demselben Tage kehrte König Wilhelm nach Berlin zurück, ohne eine Ahnung davon zu haben, welche Kriegsstimmung auch über Deutschland lag und ihn, wohin er kam, mit grenzenlosem Jubel begrüßte. Bismarck war aus Varzin nach Berlin geeilt, Moltke ans Kreisan. Beide fuhren mit dem Kronprinzen und Roon dem König bis Brandenburg entgegen, „um ohne eine Stunde Zeitverlust" die Befehle des königlichen Herrn ausführen zu können.
Wohl war der König erstaunt, als ihm Bismarck während der Fahrt „mit großer Klarheit und mit würdigem Ernst" auseinandersetzte, wie der französische Uebermut die Notwendigkeit einer Mobilmachung herausfordere; noch hatte er gehofft, den Frieden erhalten zu können. Aber der vieltausendstimmige Jubel, der den König vom Potsdamer Bahnhof zum Palais hin geleitete, war dieselbe Sprache begeisterter Huldigung, die ihm selbst in den neu erworbenen Landesteilen, in Kassel, in Göttingen und weiter sagte, wie das ganze deutsche Volk in dem greisen König den Vertreter seiner Rechte, den Rächer für das schwer beleidigte Rechtsbewußtsein deutscher Ehre sah. Welcher Augenzeuge könnte den Eindruck jener Gewißheit vergessen, die in dem jubelnden Empfange ruhte, daß hier seinen König ein großes, opferbereites Volk grüßte!
Noch am Abend seiner Ankunft war eine Adresse an den König mit viel tausend Unterschriften bedeckt, welche mit den Worten schloß: Wir haben nur ein Wort in dieser Zeit: „Mit Gott für König und Vaterland, hurrah, drauf!"
Die Volksmenge umlagerte das Palais des Königs, vor dem sich wie mit elektrischem Schlage alle Häupter entblößten, sobald er sich am Fenster zeigte. Preußenlied und Königshymne nmbrausten das Königshaus. Als aber spät abends um 11 Uhr Moltke sich in das Palais begeben hatte, verbreiteten Schutzleute unter der Menge die königliche Botschaft, daß der Kriegsrat in der Nacht noch eine schwere Arbeit vor sich habe und um Ruhe bitte. Mit Blitzesschnelle eilte der Ruf durch die Massen „Nach Hanse!" Wenige Minuten später lag das Palais im tiefsten Frieden. Noch in derselben Nacht wurde die Mobilmachung der norddeutschen Bundestruppen beschlossen. Der Reichstag sollte am 19. Juli zusammentreten. In der Eröffnungsrede sprach der König zündende Worte: „Hat Deutschland derartige Ver-
gewaltigung seines Rechtes und seiner Ehre in früheren Jahrhunderten schweigend ertragen, so ertrug es sie nur, weil es in seiner Zerrissenheit nicht wußte, wie stark es
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war ... — Mit um so größerer Zuversicht wenden wir uns, gestützt auf den einmütigen Willen der deutschen Regierungen des Südens wie des Nordens, an die Vaterlandsliebe und die Opferfreudigkeit des deutschen Volkes mit dem Aufruf zur Verteidigung seiner Ehre und seiner Unabhängigkeit! . . ."
Gleichsam als Antwort sprach der sächsische Bevollmächtigte Freiherr von Friesen im Namen des ganzen Bundes dessen volles Einverständnis aus mit den von Preußen kundgegebenen Absichten: „Frankreich will den Krieg. Möge derselbe dann möglichst schnell und kräftig geführt werden!"
Die zu Kriegszwecken geforderten 120 Millionen Thaler wurden einstimmig bewilligt, und schon am 21. Juli trennte sich der Reichstag mit einem Hoch auf den ehrwürdigen BundesfetdHerrn, König Wilhelm von Preußen.
Noch einmal wurde jetzt das Wort That und Wahrheit: „Es ist ein Kreuzzug, ist ein Heilger Krieg!" Jetzt stritt keine Partei um Ansichten und Vorrechte, kein Volk in eifersüchtigem Wachen über seine Sonderinteressen. Der Erbfeind Frankreich ist hervorgebrochen, und alle Stämme des deutschen Volkes wissen nichts Größeres, als die Frage, wer den deutschen Freiheitsreigen eröffnen soll.
War der König von Preußen zunächst nur Oberhaupt des norddeutschen Bundesheeres, bald stellten alle deutschen Fürsten sich und ihre Heere dem ehrwürdigen Kriegsherrn zur Verfügung, voran in edler Begeisterung König Ludwig II. von Bayern. In der bayerischen Kammer wies die Volksvertretung einstimmig und voller Entrüstung Frankreichs Botschaft an Bayern zurück, daß sich „die Waffenbrüderschaft der Bayern und Franzosen von selbst verstehe, da es Zeit sei, an Preußen Rache zu nehmen".
„Nein," war der einmütige Ruf, „wir sind Deutsche, aber keine Halbfranzosen!" Der König von Bayern erwiderte den Dank König Wilhelms: „Mit Begeisterung werden meine Truppen an der Seite ihrer ruhmgefrönten Waffengefährten für deutsches Recht und deutsche Ehre den Kampf aufnehmen." Doch wer vermochte diese Stimmung höchster Begeisterung in ganz Deutschland zu schildern! Schon die Erinnerung daran wird den Zeitgenossen als ein unvergänglicher Besitz in der oeele ruhen, oind solche Höhen allgemeiner nationaler Erhebung so selten, daß manches Jahrhundert sie nicht hat erleben dürfen,
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so bleiben sie um so mehr Bürgschaft für das Dasein des echten deutschen Volksgeistes, der wohl in kleinen Zeiten ruhen kann, aber ausmacht, wenn es Sturm läutet, und der allemal, seitdem es ein Germanien, ein Deutschland giebt, in allen Schichten der Bevölkerung seine Pflicht gethan hat.
Für diese Volksstimmung war die Kriegserklärung Frankreichs, die der französische Geschäftsträger La Sourd dem König am 19. Juli, mittags ein Uhr, überreichte, fast eine erlösende Botschaft. Unter dem Eindruck ihres Ernstes war der König mit dem Kronprinzen in das Mausoleum nach Charlottenburg gefahren, um an der Gruft seiner Eltern lange im stillen Gebet zu verweilen. Die Stunde war da, welche einst Königin Luise prophetisch geschaut hatte. Die Erinnerung an vergangene Zeiten sich selbst, dem Volke und dem Heere zu erneuern, stiftete der König für die Zeit des Krieges das eiserne Kreuz.
Acht Tage später, am 26. Juli, war die Mobilmachung der deutschen Armee vollbacht. Außer 447,000 Mann, welche der norddeutsche Bund und die Südstaaten ins Feld stellten, hatte die deutsche Heeresleitung noch fast 112,000 Mann zur Verfügung, die als Reserve zunächst in Deutschland blieben, um später mit der Landwehr nach-zurücken. Die vereinigten deutschen Truppen waren in drei Armeen geteilt, deren erste der General von Steinmetz führte, die zweite als Zentrum Prinz Friedrich Karl von Preußen, die dritte der preußische Kronprinz. Sie sollten vereint die linke Rhein- und Maingrenze wie Süddeutschland decken und von da angriffsweise nach Frankreich vorgehen. König Wilhelm wollte selbst den Oberbefehl im Felde übernehmen. Die Schlußworte seiner Proklamation an das Heer lauteten: „Gott der Herr wird mit unserer gerechten Sache sein!" Auch Napoleon übernahm den Oberbesehl über seine Armee, der in großem Selbstbewußtsein versicherte: „Das Auge des Weltalls schaut auf euch!"
Dem Kronprinzen, der am 24. Juli ins Feld gerückt war, wollte der König in kürzester Zeit folgen. Am 27. Juli schrieb die Königin Augusta dem Oberhosprediger Kogel: „Zwischen dem Kriegsrat und dem öffentlichen Bußtagsgottesdienst wünscht der König heute mit mir zum heiligen Abendmahl zu gehen. Spenden Sie es uns. Wir hoffen auf den, der die Mühseligen und Beladenen annimmt."
Draußen unter den Linden wogten die Volksmassen, und nur dem Murmeln einer Brandung gleich klang es herüber in die stille Kapelle des kronprinzlichen Palais, wo die Feier stattfinden sollte. Zur ver-
abredeten Minute öffnete sich die Thür und herein traten König und Königin ganz allein.
„Bei mir werdet ihr Ruhe finden für eure Seelen!" sprach der Prediger, nachdem der König seinen Säbel abgelegt und sich mit der Königin zur Abendmahlsfeier niedergelassen hatte. Als die heilige Handlung beendet war, umgürtete sich der König mit fester Hand und schied von dem Prediger mit herzlichem Wort, indem Thränen über seine ehrwürdigen Wangen rollten: „Gottes Wille wird geschehen!" Wenige Minuten und die Kapelle lag wieder in einsamer Ruhe. Draußen grüßte die wogende Menge jubelnd das königliche Paar, ahnungslos, unter welchem Segensbewußtsein König und Königin der Zukunft ins Auge sahen.
Am 2. August traf König Wilhelm nebst Bismarck, Roon und dem Generalquartiermeister von Podbielski in Mainz ein und übernahm sofort das Oberkommando. Ihm zur Seite stand der bewährte Generalstabschef vou Moltke, unter diesem eine Reihe vorzüglicher Generale.
Die ruhmdurstige französische Nation zu befriedigen, eröffnete Napoleon den Krieg durch Besetzung der offenen preußischen Stadt S aarbrücken, in der zwei Bataillone Infanterie und drei Schwadronen Ulanen lagen, welche der Uebermacht von 250,000 Franzosen nachgaben. Das meldete Napoleon als einen großen Sieg nach Paris. In der Depesche an die Kaiserin Eugenie hieß es, daß hier Louis, das Kind Frankreichs, die Feuertaufe erhalten habe und durch seine Kaltblütigkeit ergraute Krieger zu Thränen gerührt. Der junge Napoleon „Lulu" soll hier mit Hülfe eines Feuerwerkers eine Mitraillense abgefeuert haben. Ein französischer Zeitungsartikel berichtet: „Seit 48 Stunden weht die dreifarbige Fahne über Saarbrücken, wie sie dort schon 1801 und 1815 geweht hat. Ihr siegreiches Wiedererscheinen in Rheinpreußen ist nicht nur der Beweis einer glorreichen Wasfenthat, es ist erlaubt, sie als eine neue Geschichtsperiode zu begrüßen." Wie prophetisch das klang, was die Franzosen von „der nun unbestreitbaren Ueberlegenheit ihrer Waffen" meinten! Wie kläglich war dagegen die Wirklichkeit! Obgleich die französische Armee einzelne tüchtige Heerführer hatte: Mac Mahon, Bazaine, Frossard n. a., so machte der unerhörte Wirrwarr der gesamten Heeresverwaltung, der Maugel au notwendigster Equipierung, unzureichender Proviant in den Magazinen, schon jeden Versuch, die Zusammenziehung der deutschen Heere zu
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hindern, völlig zu nichte. Ter Aufmarsch deutscher Heeresmassen zwischen Trier und Landau vollzog sich in so ruhiger Größe, als gelte es der Aufstellung einer Parade, wenn nicht jeder berechnete Schritt den ungeheuren Ernst der Sachlage in sich getragen hätte.
Dem preußischen Kronprinzen, der außer schlesischen und posener Truppen nur Süddeutsche führte, war es beschiedeu, die erste Wassen-that dieses Krieges zu vollbringen. Am 4. August 1870 überschritt er die bayerische Grenze und wandte sich nach Weißenburg, oas durch eine Division Mac Mahons unter General Douay besetzt war (Weißenburger Höhen und der Geißberg). Preußen und Süddeutsche feierten hier ihreu ersten Sieg treuer Waffenbrüderschaft, dem wenige Tage später neue Triumphe folgten. Doch möge ein Augenzeuge Szenen dieses ersten Sieges des deutsch-französischen Krieges zeichnen: „Fast ohne einen Schuß zu thun, drangen die Bataillone aufwärts gegen das feste Schloß Geißberg, dessen 15 Fuß hohe Umfassungsmauer eine fast unbezwingbare Burg für den Feind bildete. Aus allen Fenstern und Luken wurden die Deutschen durch ein furchtbares Feuer empfangen. Drei Kompagnieführer sanken fast zu gleicher Zeit tötlich getroffen mit den Reihen ihrer Braven nieder. Als der Fahnenträger fiel, raffte der Major Keisenberg die Fahne empor, um wenige Augenblicke darauf doppelt getroffen mit zerschmetterten: Fahnenschaft niederzusinken. Noch zweimal wurde die Fahne gerettet, noch zweimal der Träger erschossen, erst der dritte Unteroffizier Lorenz trug sie bis zum Ende. Die Grenadierbataillone blieben ungestört im Vorrücken, die Offiziere an der Spitze; nichts hemmte den Tritt der Braven. Der Anblick war das Größte, was militärische Augen schauen konnten. -Salvenfeuer — ein Hurrah — und der Feind wich und floh. — Solche Soldaten sind unüberwindlich."
Vor dem Kronprinzen lösten sich die Reihen der zerrissenen Bataillone; jauchzend stürzten die Mannschaften auf ihn zu. Mit letzter Kraft richteten sich die Schwerverwundeten aus und streckten ihm die Arme entgegen. In herzlichsten Worten dankte der Kronprinz den Tapfern. Als ihm das zerschossene Fahnentuch gereicht wurde, küßte er das Siegeszeichen, und die Fahnenreste hoch empor haltend, rief er laut: „Der wohlverdiente Kranz soll ihr zu Teil werden!"
Douay hatte den Rest seiner Truppen mit denen Mac Mahons vereinigt, der eine feste Stellung bei Wörth eigenommen hatte, um von da aus mit 45,000 Mann der kronprinzlichen Armee den Weg
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durch den Wasgenwald (Vogesen) zu verlegen. Aus einzelnen kleinen Gefechten entwickelte sich ein heißer Kampf, der sich um den Besitz von Wörth, Elsaßhausen und Froschweiler drehte, endlich aber zu einem glänzenden Siege der Deutschen (Preußen, Württemberger, Badenser) führte (6. August 1870). Leider war er mit größeren Opfern erkauft, als selbst die Schlacht bei Königgrätz. Die deutsche Armee hatte 10,000 Tote und Verwundete, an Zahl uud Wert viel mehr Verlust als das französische Heer. Denn die Edelsten des Volkes, begeisterte Söhne ihres Vaterlandes, bildeten die deutsche Armee; Frankreich führte auch Scharen wilder Barbaren ins Feld, Zuaven, Turkos, an Stumpfheit und Grausamkeit halb vertierte Menschen. Eine Beute besonderer Art war unter solchen Umständen das prächtige Zelt Mac Mahons mit reichen Prunkbetten, Schaukelstühlen uud andern Luxussachen. Auch die Garderobe der beiden Damen des französischen Heerführers, einer Gräfin Clermont und der Madame Latour, fiel in die Hände der deutschen Sieger, die nach heißem Kampfe noch Humor genug hatten, sich mit seidenen Kleidern, Pariser Hüten, falschen Locken u. a. zu schmücken, um eine seltsame Maskerade aufzuführen.
Indessen hatten Truppen der ersten und zweiten Armee einen nicht minder schweren und glänzenden Sieg erfochten. Bei Saarbrücken und Forbach hatten die Franzosen unter Frossard die Spicherer Höhen mit überlegener Heeresmacht befestigt (6. August 1870). Sie wurden mit gleicher todesmutiger Energie erstürmt wie der Geißberg bei Weißenburg. Einzelne Bataillone kämpften oft gegen zerschmetternde Massen französischer Divisionen; ganze Reihen des VIII. Armeekorps (v. (Soeben) stürzten nieder, um durch Nachrückende sofort ersetzt zu werden. General von Franeois fiel inmitten seiner Truppen, und umringt von den Seinen war er mit den Worten verschieden: „Es
ist doch ein schöner Tod auf dem Schlachtfelde — ich sterbe gern, da ich sehe, daß das Gerecht vorwärts geht."
Am späten Abend räumte der an Zahl weit überlegene Feind die feste Stellung vor deutschen Soldaten, die eben drei starke Tagesmärsche zurückgelegt hatten, ohne ein Mittagessen zu erhalten. Nachdem sie die letzte Wegesstrecke fast im Sturmschritt zurückgelegt hatten, waren sie dennoch fähig geblieben, unter unsäglichen Schwierigkeiten die Höhen empor zu klimmen und zu siegen.
Napoleons Telegramm kündete der französischen Hauptstadt von geordneten Rückzügen der Armee und — daß „noch alles gut werden könne."
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Ein Sturm des Hasses ergoß sich über alle Deutschen in Paris, die rücksichtslos ausgetrieben wurden, als an Stelle des Ministers Olivier der grausame Gras Palikao getreten wahr. Wohl blieb die Kaiserin noch Regentin; aber wehe Napoleon, wenn er jetzt nach Paris zurückgekehrt wäre. Er mußte den unfähigen Leboeus entlassen und das Kommando in Bazaines Hände lege. Ob unter den gegebenen Umständen viel zu bessern war, blieb fraglich; doch suchte das Ministerium der „letzten Stunde", wie es spöttisch genannt wird, zweckmäßige Anordnungen für die Armeen zu treffen, besonders Paris zu befestigen.
Durch diese Siege konnten die beiden ersten deutschen Armeen sich ungehindert vereinigen und in Lothringen, Metz entgegen, einrücken, auch einen Anschluß an die unaufhaltsam über die Vogesenpässe vordringende dritte Armee erstreben. Aber die Berichte von den wunderbaren Kriegsthaten der Deutschen hallten aller Enden wieder, und ganz Europa zollte ihnen achtungsvolle Bewunderung. Von England (Times) schrieb man: „Ein furchtbareres Werkzeug, als diese
deutsche Armee, hat niemals seine Arbeit verrichtet. Es ist die physische Kraft eines ganzen Volkes zusammen gefaßt, und gegen den Feind geführt mit solcher Schulung und Mannszucht und so bereitwilligem Mitwirken eines Jeden, daß sie handelt wie ein einziger Mensch unter dem Willen seines Kopfes und Herzens handeln würde. Der Sturm auf die Höhen von Spichern zeigt die ungeheure physische und moralische Kraft dieses Heerkörpers. Zwei Regimenter hatten sich bereits erschöpft, als die Vierziger vorgingen und die Höhe nahmen mit einem Verlust von 600 Mann und 16 Offizieren. Andre Regimenter hatten ähnliche oder noch größere Verluste. Die Arbeit mußte gethan werden, und sie wurde gethan mit nicht größeren Opfern als nötig waren, aber mit jedem Opfer, das nötig war."
Anderswo hieß es: „Das sind keine Bataillone, das sind wandernde Mauern, die mit unwiderstehlicher Gewalt vorwärts dringen. Man sieht garnicht, daß Kanonen, Mitrailleujeu und Gewehre sie berühren; jede Lücke schließt sich augenblicklich. Nur hinter den Reihen sieht man, daß sie gelöst wurden. Jeder Mann vom ersten bis zum letzten ist ein Held. Frankreich ist verloren!"
„Quelle armee, ces Prussiens, la gloire francaise est perdue pour jamais!" rief weinend ein schwer verwundeter französischer Oberst aus der Höhe von Spichern.
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Die Erwartung, daß die Franzosen eine Schlacht östlich der Mosel suchen würden, erfüllte sich nicht, Napoleon überließ sogar den Befehl über die Rheinarmee, und damit die Verantwortung für die Festung Metz, dem General Bazaine, während er sich selbst mit seinem Sohne zu Mac Mahon in das Lager von Chalons begab. Bazaine mochte ihm dorthin folgen sollen. Er überließ in der That die Festung Metz einer starken Besatzung, damit sie gleich Verdun ein möglicher
Zufluchtsort bleiben konnte und suchte Mac Mahon und Trochu zu erreichen, die ihre Armee neu sammelten, um damit den Weg nach Paris zu gewinnen. Das zu hindern und den Franzosen so viel
Truppen als möglich in den Weg zu werfen, war jetzt deutsche Kriegsarbeit. Sie führte zu einer Reihe blutiger Gefechte um die Stadt Metz her. Die Schlachten von Colomby-Nouilly (14. Aug.), die heißen Kämpfe bei Vionville (Mars la Tour, 16. Aug.) und Gravelotte (18. Aug.), wo König Wilhelm selbst den Oberbefehl führte, eröffneten einen neuen Siegesreigen der Deutschen. Von ihnen blieb eine Armee unter Prinz Friedrich Karl als Umschließungsmauer der Stadt Metz zurück; die übrigen Truppen, unausgesetzt weiter bemüht, eine Neubildung der Armee Mac Mahon zu hindern, behielten Paris als Hauptziel im Auge. Den Krieg, der schon so ungeheure Opfer gekostet, bald beendet zu sehen, war der leitende Gedanke der deutschen Heerführung. Allein die Schlacht bei Gravelotte, über die König Wilhelm vom Schlachtfelde aus nachts bei flackerndem Wachtfeuer auf einem Sattel sitzend dem Bundeskanzler diktierte, daß „die historischen Granaten von Königgrätz auch hier nicht fehlten, aus deren
Bereich ihn diesmal Kriegsminister von Roon entfernte," hatte den
Franzosen 20,000 Tote und Verwundete, 3000 Gefangene gekostet. Freilich hatte Moltke zuletzt durch ein Massenfeuer von 84 Geschützen furchtbare Vernichtung erzielt; aber die Verluste der Deutschen waren, die Gefangenen abgerechnet, nicht geringer.
Plötzlich kam die überraschende Kunde in das deutsche Hauptquartier, Mac Mahon habe das Lager von Chalons verlassen; bald stand er mit einer Armee von 150,000 Mann bei Reims. Ihm war eine schwierige Aufgabe geworden. Er sollte Paris decken, zugleich die französische Rheinarmee bei und um Metz aus ihrer Falle befreien und die aus verschiedenen deutschen Truppenkörpern gebildete Nord- und Maasarmee unter dem Kronprinzen von Sachsen über den Rhein zurückdrängen. Natürlich saß er unter diesen entgegengesetzten Auf-
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gaben wie in einer Zwickmühle. Zog er nach Metz, was ihm Kaiserin Eugenie als Regentin befohlen hatte, so war seine rechte Flanke, gleichwie Paris, von der kronprinzlichen Armee bedroht. Gelang es ihm, nach Paris vorzudringen, so blieb die Rheinarmee, welche von 200,000 Deutschen umschlossen war, abgeschnitten und wurde erdrückt. Dazu kam eine drohende Depesche aus Paris: „Wenn Sie Bazaine im Stich lassen, bricht in Paris die Revolution aus!"
Doch während im deutschen Hauptquartier alle diese Möglichkeiten in Betracht gezogen wurden, hatte sich Mac Mahon nordwärts gewandt. Auch diese unerwartete Bewegung war bald durchschaut; er gedachte auf weiten Umwegen, die Maas entlang, der belgischen Grenze folgend, Metz zu erreichen. Machte dann Bazaine zu gleicher Zeit einen Ausfall auf das Belagerungsheer des Prinzen Friedrich Karl, so konnten bei glücklichem Erfolge die vereinten französischen Armeen auch das kronprinzliche Heer unschädlich machen.
Das Exempel war verrechnet, weil Moltke es zu durchkreuzen wußte. Er ließ die Truppen vom Wege nach Paris abschwenken und in Eilmärschen nach Norden ziehen. Mac Mahon wurde bald von ihm überholt, weil er schon am zweiten Marschtage nicht genügend Proviant hatte und es auf weiten Umwegen herbeischaffen mußte. Dazu hatte Moltke reichlich dafür gesorgt, daß den Franzosen schon anfangs der Weg gut verlegt war. Ein Überschreiten der Maas, ein Entkommen nach der belgischen Grenze erschien sehr bald unmöglich. Schon am 27. August wurde es klar, daß Mac Mahon seine Armee nur durch schleunigste Wendung nach Westen vor erdrückender Umschließung der Deutschen retten konnte. Es war zu spät. Neben kleinen Gefechten machte besonders die Schlacht bei Beaumont (31. Aug.) klar, daß an eine Vereinigung mit Bazaine garnicht mehr zu denken war. Vielleicht war noch ein Rückzug nach Sedan zu bewerkstelligen, da ein Rückzug nach Paris durch die Gefechte von Buzancy und Le Cheue unmöglich geworden war.
Aber schon am 1. September 1870 mußte Mac Mahon samt seiner Armee fast thatenlos zusehen, wie er, in einen Bergkessel eingeengt, bei Sedan immer dichter von dem festgeschlossenen Ringe deutscher Armeen umklammert wurde. Nicht einmal ein Entrinnen gab es mehr. So wurde am 2. September 1870, morgens fünf Uhr, die ewig denkwürdige Schlacht von Sedan fortgesetzt, in der 200,000 Deutsche gegen 112,000 Franzosen kämpften. Nach sechsstündigem Kampfe
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waren bie wichtigsten Punkte in ben Händen der Deutschen. Mac Mahon war schwer verwundet, unb ber Oberbefehl ging zuerst in bie Hänbe des Generals Ducrot über. Dann übernahm in General Wimpffen, ber tags zuvor aus Algier zurückgekehrt war, also wenig von ber kriegerischen Sachlage wissen konnte. Um drei Uhr nachmittags waren bie Franzosen so eng umschlossen, baß nur bie Wahl blieb zwischen Kapitulation ober Vernichtung. König Wilhelm ließ bas Feuer einstellen unb sanbte einen Parlamentär mit weißer Fahne in bie Festung, Kapitulation anzubieten. Ihm begegnete im Thor ber französische Parlamentär, ber sie erbitten wollte.
Das Weitere, wer wüßte es nicht, wie General Reille ben Brief Napoleons König Wilhelm im Schlößchen Bellevue bei Frenois überreichte, bes Inhalts: ISTayant pas pu mourir au milien de mes troupes, il ne me reste qu’ä remettre mon epee entre les mains de Votre Majeste! (Da es mir nicht vergönnt war, inmitten meiner Truppen zu sterben, bleibt mir nichts, als meinen Degen in bie Hänbe Eurer Majestät nieberzulegen.)
„Welche Wenbung bnrch Gottes Fügung!" telegraphierte König Wilhelm an bie Königin Augusta, unb ganz Europa staub bewunbernb vor einem solchen Siege, vor solcher Nieberlage.
Am 1. September waren 3000 Franzosen gefallen, 1400 ver-wundet, 21,000 kriegsgefangen, burch Kapitulation am 2. September kriegsgefangen 83,000 Franzosen mit ihrem Kaiser. Dazu bie Masse Waffen, Pferbe unb Wagen, Munition, Abler unb Fahnen! Das französische Heer war eine Ruine, bie eine Hälfte gefangen, bie anbre in Metz eingeschlossen.'
Am 2. September würbe bie Kapitulationsurkunde unterschrieben: „So geschehen zu Frenois am 2. September 1870.
v. Moltke. be Wimpffen."
Am 3. September reiste Napoleon nach Schloß Wilhelmshöhe bei Kassel ab, bas ihm bis zum Ende bes Krieges als Aufenthaltsort angewiesen war.
Der Telegraph trug bie Siegesbotschaft in alle Laube, unb bas ganze bankbare beutsche Vaterlanb war eins in bent großen Gebauken: „Gott hat gerichtet! Unser ist ber Sieg!
Voll Leben blühn bie Gräber unsrer Toten.
Der uns gehetzt in biesen Heilgen Krieg,
Er liegt gerichtet heut vor uns am Boden. —
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Nur Wochen sinds, nicht Deutschlands blos, es sind Der ganzen Weltgeschichte größte Wochen,
Der Anfang — Kriegesspiel für Frankreichs Kind!
Das Ende — Frankreichs Krön' und Thron zerbrochen!
Europas Mächtigster, er ist vernichtet.
Und unser ist der Sieg! Gott hat gerichtet!"
Der Größe dieser Thatsachen entsprach die Siegessrende des deutschen Volkes, und wenn es unmöglich ist, das Bild jener Tage wieder zu geben, die Erinnerung derselben wird fortleben uud wiederklingen, so lange noch Zeitgenossen daran denken, davon reden können „gleich Schivertgeklirr und Wogenprall."
Bis spät abends ritt König Wilhelm über das weite Schlachtfeld, den braven Truppen zu danken, deren Jubel den greisen Kriegsherrn umbrauste. Ueber die düstre Todesstätte hin jauchzte grenzenlose Siegesfreude, die endlich zum gestirnten Nachthimmel erschütternd ausklang in dem vieltausendstimmigen: „Herr Gott, Dich loben wir!"
„So groß und welthistorisch dieses Ereignis auch ist," äußerte König Wilhelm inmitten des lauten Jubels zum Grafen Bismarck, „den Frieden wird es uns doch nicht bringen." Der Heldengreis war zu demütig, als daß ihm einen Augenblick die Nüchternheit ruhigster Ueberlegung hätte verloren gehen können. Wohl empfand auch er die Größe des Sieges; aber wie ergreifend erscheint seine persönliche Stellung dazu. In einem ausführlichen Briefe an die Königin vom 3. September heißt es: „ . . . . Es ist wie ein Traum,
selbst wenn man es Stunde für Stunde hat abrollen sehen! Wenn ich mir denke, daß nach einem glücklichen Kriege ich während meiner Regierung nichts Ruhmreicheres mehr erwarten konnte, und ich nun diesen weltgeschichtlichen Akt erfolgt sehe, so beuge ich mich vor Gott, der allein mich, mein Heer und meine Mitverbündeten ausersehen hat, das Geschehene zu vollbringen und uns zu Werkzeugen Seines Willens bestellt hat. Nur in diesem Sinne vermag ich das Werk aufzufassen, um in Demut Gottes Führung und Seine Gnade zu preisen."
Das ist der König, von dem ein berühmter Augenzeuge zur selben Zeit urteilt: „Nach allem, was ich von ihm gesehen habe, hat es noch niemals einen wirklicheren Oberbefehlshaber gegeben, als diesen greisen König. Die Geschichte wird ihm volle Gerechtigkeit widerfahren lassen.
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Jetzt wird er durch den Ruf Moltkes und Bismarcks überschattet oder verdunkelt, aber er übt den thätigsten Einfluß uud die vollständigste Ueberwachuug über die kriegerischen Operationen aus, behält bei der Verwaltung des Heeres und der Leitung des Personals ganz und unbedingt das Heft in Händen. Er, der dieses große Heer geschaffen, weiß es auch zu verwenden. Sein Auge ist so klar und scharf, als wäre er 20 und nicht 73 Jahre alt, und den Soldaten versteht er vom Stiefelabsatz bis zur Helmspitze."
Beim Mittagsmahl am 3. September ehrte der König seine treuen Helfer mit dem Wort: „Sie, Kriegsminister von Roon, haben unser Schwert geschärft, Sie, General von Moltke, haben es geleitet, und Sie, Graf von Bismarck, haben seit Jahren durch die Leitung der Politik Preußen auf seinen jetzigen Höhepunkt gebracht!"
Mit zermalmender Energie ging es schon an demselben Tage weiter nach Paris, Mannschaften, Offiziere, Feldherren mit ihrem greisen Heldenkönig. Es gewährt noch heute das höchste denkbare Staunen, diesen Kriegspfaden voll Berechnung, klügster Benutzung jeder Schwäche des Feindes zu folgen und die dadurch gegebenen Vorteile ausgekauft zu sehen, Zug um Zug ein königliches Schachspiel der Geschichte.
7. Der deutsch-französische Krieg mit der Republik Frankreich.
Seit Wochen hatte Graf Palis ao, der neben der Scheinregierung der Kaiserin Eugenie ein scharfes Regiment führte, die Pariser durch die empörendsten Siegesnachrichten getäuscht; aber mit der Unglückskunde von Sedan zerriß das Lügengewebe zu jäh, daß die Aufregung der französischen Hauptstadt sich zu maßloser Wut gegen Napoleon steigerte, dem all dies Unglück Frankreichs zur Schuld angerechnet wurde, und der doch nur ein Werkzeug des fanatischen Hochmuts der Franzosen hatte sein müssen. Kaiserin Eugenie floh eiligst nach England, während eine neugebildete „Regierung der nationalen Verteidigung", an ihrer Lpitze der fanatische Jules Favre, deu Kaiser Louis Napoleon samt seiner Dynastie des französischen Thrones für alle Zeiten verlustig erklärte und auf Grund dieser Thatsachen den möglichsten Vorteil von den deutschen Siegern zu erlangen suchte, ohne sich zu verhehlen, daß der Krieg noch nicht zu Ende sei.
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Obgleich Jules Favre weder uon anderen Mächten, noch von der französischen Nation als Vertreter Frankreichs anerkannt war, verhandelte Bismarck doch mit ihm in Ermangelung einer andern vertretenden Autorität, kam aber mit seiner ruhigen, klaren Festigkeit der Phrasenmacherei des Franzosen gegenüber zu keinem Resultat. Stellte Bismarck als Vertreter des siegreichen Deutschland seine Forderungen, so zeterte Jules Favre gegen barbarische Geivaltakte, und wurde Frankreich ein Waffenstillstand unter Bedingungen angeboten, so waren diese für Jules Favre unannehmbar.
Nicht ein Souverän hatte für den Kaiserstaat Frankreich die Waffen ergriffen; jetzt machte die Republik einen eben so vergeblichen Versuch, Bundesgenossen zu gewinnen. Nur der alte Freiheitskämpfer Garibaldi, der einst die Sache Italiens gegen Oesterreich vertrat, führte ein Korps zusammengelaufener Freiwilligen herbei, um Frankreich zu Helsen. Frankreich war darauf angewiesen, sich mit eigner Kraft gegen die Deutschen zu wehren, deren Heere sich der französischen Hauptstadt mit rastloser Eile näherten, sie mit Riesenarmen zu umschließen. Wenngleich die Pariser über die empörende Vermessenheit tobten, ihre Stadt, die stärkste Festung der Welt, belagern zu wollen, so konnten sie die Thatsache damit nicht ändern, daß sich diese Umschließung in allernächster Zeit zu vollziehen drohte. Wohl war die Stadt möglichst verproviantiert worden; aber da bald an ein Entkommen aus ihren Mauern gar nicht mehr zu denken war, wie lange konnten mehr als zwei Millionen Einwohner, dazu 400,000 bewaffnete Mannschaften, mit diesen Vorräten das Leben gefristet werden?
Mit Hülfe eines Luftballons verließ der Advokat Gambetta Paris, um in Tours, das noch frei von deutschen Truppen war, mit fieberhafter Eile die Neubildung einer französischen Armee ins Werk zu setzen, da die Truppen des Kaiserreichs entweder kriegsgefangen oder in Festungen zerniert waren. In der Proklamation, die der begeisterte Volksführer an die Franzosen richtete, hieß es: „Es ist nicht möglich, daß der Genius Frankreichs auf immer sein Haupt verhüllt hat, daß die große Nation sich den ihr in der Welt zukommenden Platz durch die Invasion von 500,000 Menschen nehmen läßt. Laßt uns den Kampf in Massen aufnehmen, laßt uns lieber sterben, als daß wir die Schmach einer Zerstücklung Frankreichs duldeu! Trotz unsers Unglücks bleibt uns noch das Gefühl der Einheit und Unteilbarkeit der französischen Republik."
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In der That vollzog sich eine nationale Erhebung Frankreichs, deren Tiefe man den leichtblütigen Franzosen kaum zugetraut hätte. Bald starrte ganz Frankreich in Waffen, natürlich unter wenig Ordnung, gar feiner militärischen Ausbildung, nur voller Fanatismus gegen alles, was deutsch war. Da waren Nationalgarden, leicht geordnete Linientruppen, bewaffnete Bauern und Handwerker, Mobilgarden und wilde Helden, Franktireurs, alle so schlecht ausgerüstet als irgend denkbar. So wenig schulgerecht diese Truppenmassen waren, sie verlängerten doch den -Svrieg auf Monate hinaus und erschwerten ihn ganz unberechenbar, da sich der Kriegsschauplatz über ein Drittel ganz Frankreichs ausbreitete; auch wurde der Kampf oft mehr nach Art einer Räuberbande geführt, nls nach grcider Soldatenmanier. Besonders die deutschen Zernierungstruppen hatten durch diese Kampsesweise einen schweren etand. Endlich kapitulierte eine Festung nach der andern. Das feste ^ oul eigab sich zuerst (23. oept.); ihm folgte das altehrwürdige Straßburg nach furchtbarem Bombardement (27. Sept.). Am 30. September, am Geburtstage der Königin Augusta von Preußen, hielt General non Werder an der Spitze seiner siegreichen Truppen den Einzug in die alte deutsche Stadt. Es war der Jahrestag jenes 30. Sept. 1681, an dem die Generale Ludwigs XIV. Besitz von der alten Reichsstadt genommen hatten, nachdem bereits das ganze Elsaß in ihren Händen war, und der Senat der Stadt schon am 28. Sept. an den Kaiser Leopold geschrieben hatte: „Da wir keine Aussicht haben auf irgend
welchen Beistand durch Rat und That, so können wir nichts thun, alo uns dem Willen Gottes fügen und die Bedingungen annehmen, die w. Allerchristlichste Majestät (Ludwig XIV.) uns vorschreiben wird."
Bald folgte die weitere Uebergabe vieler Festungen, Soissons (16. Okt.), Verdun (8. Nov.), Diedenhofen (24. Dez.) u. s. f. Die schwierige Belagerung der Stadt Metz hatte Prinz Friedrich Karl länger als zwei Monat führen müssen, bis Bazaine sich mit einer Besatzung von 173,000 Mann kriegsgefangen ergab (27. Okt.).
Schon wenige Tage nach der Schlacht von Sedan hatte Bazaine keine ernstlichen Versuche mehr gemacht, das Belagerungsheer zu durchbrechen. Seit er am 9. September durch einen ausgewechselten Offizier von dem Sturz des Kaisertums und der Aufrichtung der französischen Republik erfuhr, hielt er sich nicht verpflichtet, diesem „Werke schlechter Leidenschaften" Gehorsam zu leisten. Gleich seinen Offizieren war er bereit, als Führer der unter seinem Befehle stehenden kaiserlichen
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Armee dem Kaisertum gegen die Umsturzpartei weiter zu dienen. Dem Grundgedanken dieser Absicht war die deutsche Heeresleitung nicht abgeneigt; sie hätte, falls der Plan zu gutem Ende führte, vielleicht eher den Frieden ermöglicht; denn Napoleon mußte dann alle Kräfte anspannen, seine Regierung mit Hülfe dieser treu gebliebenen Armee (falls sie nicht etwa zur Republik überging), zu befestigen. Verhandlungen mit der Kaiserin Eugenie, als Regentin Frankreichs, führten in sofern nicht zu einem günstigen Resultate, als sie der deutschen Heeresleitung nicht Sicherheit genug boten, einen dauerhaften Frieden zu erlangen. Möglicherweise hätten die Deutschen das, was sie mit der kaiserlichen Regierung abgemacht, vom französischen Volke nachträglich erkämpfen müssen.
Inzwischen waren die Lebensmittel in Metz so zusammengeschmolzen, daß sich Bazaine nur noch kurze Zeit zu halten vermochte. Es waren allein so viele Pferde geschlachtet worden, daß die Geschütze nicht mehr bespannt werden konnten, die Reiterei zu Fuß gehen mußte. Ein Verzweiflungsausfall, den Bazaine am 24. Oktober plante, wurde aufgegeben, weil die Offiziere erklärten, die Soldaten würden nicht mehr gehorchen und sich dem Massenfeuer der Preußen nicht aussetzen. Nachdem festgestellt war, daß nur noch für einen Tag Reis, Kaffee u. a. vorhanden, sammelte Bazaine zum letzten Male seinen Kriegsrat um sich, um den gemeinsamen Beschluß zu fassen, daß die Armee, vom Hunger besiegt, sich dem Feinde kriegsgefangen ergeben müsse (27. Oktober 1870). Am folgenden Tage meldete der Tagesbefehl des Prinzen Friedrich Karl seiner tapfern Armee, daß Bazaine mit fünf ganzen Armeekorps, darunter die Kaisergarde, drei Marschälle von Frankreich, über siebenzig Generäle, 4000 Offiziere mit der besten Armee Frankreichs, 150 000 Mann, kapituliert habe.
Am 29. Oktober kündete KönigWilhelm seiner Gemahlin: „Das große Ereignis, daß nun die beiden feindlichen Armeen, die uns im Juli gegenüber traten, in Gefangenschaft sich befindett, veranlaßte mich, die beiden Kommandierenden unsrer Armeen, Fritz und Friedrich Karl, gestern zuFeldmar-schällen zu ernennen. Der erste Fall der Art in unserm Hause."
General von Moltke, der am 26. Oktober seinen siebzigsten Geburtstag gefeiert hatte, wurde in den Grafenstand erhoben.
Noch schwieriger gestaltete sich die Belagerung von Paris, das zunächst von den Armeen des Kronprinzen von Preußen und des
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Kronprinzen von Sachsen umschlossen wurde. König Wilhelm nahm sein Hauptquartier in Versailles und leitete von dort aus persönlich die Belagerung.
Von den Mitgliedern der neuen französischen Regierung befragt, was vom Schicksal der Stadt zu halten sei, antwortete Trochu, der Kommandant von Paris, unverholen, wie es ein „unbedingt gültiges militärisches Gesetz sei, daß jede Festung, die nicht durch eine schon vorhandene Armee unterstützt wird, schließlich in die Hände des Siegers fällt, auch daß Paris mit seinen zwei Millionen Einwohnern, seinen Bedürfnissen, seinen Interessen und seinen Leidenschaften eine viel handgreiflichere Anwendung dieses Gesetzes biete, als jeder andre Platz." Trotzdem hielt Trochu „die heroische Tollheit", den Belagerern nicht nachzugeben, für „ganz unbedingt notwendig, die Ehre Frankreichs zu retten."
Damit gewinnt das Verhalten der französischen Regierung der eigenen Hauptstadt gegenüber das Ansehn eines Verbrechens, dem viele Tausende zum Opfer fielen. Und noch etwas anderes wurde verhängnisvoll. Die neue Regierung in Paris bestand zumeist aus Demokraten, die seit Jahren die Abschaffung stehender Heere, die Ausrottung „jeder Art von Militarismus" verlangt hatten und jetzt nur von den Soldaten selbstgewählte Offiziere dulden wollten. „Unter dem Feuer des Feindes", so hieß das prahlende Wort, „sollte jeder militärische Grad der Wahl unterworfen sein," und das geschah Die Generale widersprachen diesem wahnsinnigen Beginnen; aber buchstäblich setzten 100 000 Mann der französischen Besatzungstruppen in derselben stunde, in der die Deutschen die Stellungen erstürmten, durch welche sie Paris einzuschließen vermochten, ihre Offiziere ab und wählten neue an ihre stelle. Dieser ersten Wahl folgten weitere Wahlkämpfe bei jeder erledigten Stelle und gaben Anlaß zu deu ärgsten Umtrieben. ' Freilich wurde dieses wunderlich schöne Gesetz am 19. Dezember 1870 wieder aufgehoben; aber da hatte es schon so viel Unheil angerichtet, daß die Folgen längst nicht wieder gut zu machen
waren. Man hoffte inzwischen auf Entsatz von außen durch die neu
gebildeten Armeen, trotz der oft wiederholten leeren Phrase: „Nicht
Frankreich wird Paris, sondern Paris wird Frankreich retten!" So waren die vielfachen Ausfälle des Generals Trochu, die deutschen Eernierungstruppen zu durchbrechen, um so mehr ein leeres Schauspiel, bet verschiedene Aufstäube in Paris den Ernst einer wirklichen sach-
Bornhak, Unser Vaterland. . 7
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gemäßen Verteidigung gar nicht aufkommen ließen. Sie erhöhten nur das Elend der Stadt, während revolutionäre Elemente den weltbeglückenden Versuch machten, einer sogenannten Kommune die Herrschaft zu übertragen.
Die deutsche Heeresleitung, welche anfangs nur über 160 000 Mann Belagerungstruppen verfügte, hatte nicht beabsichtigt, Paris zu bombardieren, sondern nur durch völliges Abschließen, durch Aushungern zur Uebergabe zu zwingen. Denn die meilenweit ansliegenoen Forts der doppelten Festungsgürtel um Paris her erschwerten die Belagerung um so mehr, als die deutschen Truppen zunächst nicht ausreichendes Geschütz halten, während Paris selbst damit ausgezeichnet versehen war. Nachdem nämlich eine Expedition französischer Kriegsschiffe zuerst an der Nordseeküste, dann in der Ostsee nur dazu geführt hatte, einige Häfen zu Mokieren und den deutschen Handel zu schädigen, waren die Marinemannschaften mit ihrem Geschütz nach Paris beordert worden. Sie waren die einzigen regulären Truppen der früher kaiserlichen Armee und bildeten den Kern des Verteidigungsheeres. Erst als das deutsche Belagerungsheer sich nach Uebergabe der vielen französischen Festungen, die nun nicht mehr zerniert zu werden brauchten, vermehrt hatte, auch ausreichendes Belagerungsgeschütz herbeigeführt worden war, begann ein furchtbares Bombardement auf Paris, dessen Notlage immer mehr über alles menschliche Ertragen hinaus wuchs.
Inzwischen wurde fast in ganz Frankreich mit glühendem Fanatismus gekämpft, besonders im Norden und Südosten, um möglicherweise Paris zu erreichen und aus deutscher Umklammerung zu befreien. Bot jetzt Frankreich seine äußersten Kräfte auf, sich nur vor Vernichtung zu retten, so wichen die Deutschen nicht einen Augenblick von der Bahn ruhiger Ueberlegenheit ab. Fürsten und Völker standen unentwegt in Waffen, endlich den Kampf mit dem welschen Erbfeind zum Austrag zu bringen. Nun brach der Herbst mit seinen Regengüssen, dann der Winter herein, aber von den fürstlichen Heerführern, von den greisen Feldherren wäre drum nicht einer zurückgegangen und hätte die tapfern Mannschaften verlassen, jeder an seiner Stelle und alle zusammen unter dem ehrwürdigen Oberfeldherrn zu einem Volk von Brüdern herangewachsen. Kein Bundestag hatte sie zusammengeführt, keine Bundesakte sie einig gemacht; der Ernst der
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Zeit hatte ihre Wege geeint, ihre Thaten zn einem großen gemeinsamen Heldenwerke für das einige deutsche Vaterland gemacht.
Den neu gebildeten Armeen Frankreichs entsprechend, welche sich „die Ausrottung der deutschen Barbaren" zum Ziel gemacht, gestaltete sich der Krieg gegen die französische Republik vielseitiger und darum schwieriger, als vorher gegen das Kaiserreich; doch während die deutsche Heeresleitung vor Paris auf der Wacht stand, behielt sie auch die übrige Kriegführung völlig in der Hand, dem Plan der französischen Regierung, alle französischen Truppen im gegebenen Augenblicke zu gleicher Zeit nach Paris marschieren zu lassen, erfolgreich entgegen zu wirken.
Die neuen Heere der Republik waren in drei Armeen geteilt morden: 1. die Nordarmee unter Befehl Bourbaki's, dem bald Faid herbe im Kommando folgte, 2. die Loirearmee unter Aurelles de Paladine, später unter Chanzy und Bourbaki, 3. die Ostoder Vogesenarmee unter bereitn).
Der Nordarmee wurde General von Manteuffel (später Goeben) entgegen gesandt. Sie erlitt eine Niederlage um die andre, zuerst bei Moreuil (27. November). Am 30. November mußte Amiens kapitulieren; dann besetzten die Deutschen Rouen (6. Dezember) und bie Hafenstadt Dieppe' (9. Dezember), so daß sich Faidherbe, ein sonst tapfrer und kriegstüchtiger General, in die an der Nordgrenze gelegenen Festungen Ar ras und Lille zurückzog, um von dort mit neu gesammelten Streitkräften den Deutschen in den Rücken zu fallen. Sofort wandte sich Manteuffel von Westen nach Osten zurück und schlug den überlegenen Feind in verschiedenen Gefechten, bis die neunstündige, blutige Entscheidungsschlacht von St. Quentin der französischen Nordarmee völlige Vernichtung brachte. In wilder Flucht eilten die versprengten Neste der Franzosen vor ihren Verfolgern, so weit die Füße sie zu tragen vermochten, und es giebt ein Bild der ganzen Erbärmlichkeit dieses französischen Kriegswesens, was ein Augenzeuge darüber schreibt: „Tausende von jungen Leuten (es waren meist Mobil-und Nationalgarde) schleppten sich mühsam fort. Keiner sprach ein Wort. Sie hatten nicht die Kraft dazu, von Zeit zu Zeit erhoben sie öen Kops und warfen einen verzweifelten Blick auf die Stadt. Von Zeit zu Zeit sah man einige, die unfähig waren, weiter zn marschieren, Zu Boden sinken und sich in den Schmutz niederlegen. Viele von ihnen waren so mit Schmutz bedeckt, daß sie kaum mehr Menschen
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ähnlich sahen. Die Einen waren barfuß, die Andern in Holzschuhen, noch andre trugen einen Holzschuh und einen ledernen Schuh. Die Klagen über die Schuhe sind allgemein. „Schuhe von Pappendeckel sind es," riesen sie, „nach fünf Tagen fallen sie in Stücke." Das war, ehe die Kanonade der Verfolger begann, als diese eröffnet ward, da ereigneten sich Auftritte, die keine menschliche Feder beschreibt. . . ."
Paris hatte von der Nordarmee nichts mehr zu erwarten; sie existierte nicht mehr. Im Oktober hatte Gambetta gehofft, die Regengüsse des November würden „die Barbarenhorden" vernichten, im November, der „eisige Hauch des Dezember würde die Eindringlinge erstarren lassen," und im Dezember vertröstete er sich auf den Januar, deu Mouat des „Sieges und der Rache," bis der Jammerlaut von Paris her auch zu Gambetta herüber klang: „Das Drama geht zu Ende. Vor der Katastrophe kann uns nichts mehr retten!"
Auch die Süd- oder Loirearmee sollte keine Hülfe bringen können. Schon vor der Kapitulation von Metz war der bayerische Geueral von der Tann nach Süden gerückt, die Bildung dieses Heeres zu hindern und, falls es doch zu stände käme, von Paris abzuwehren. Nach verschiedenen siegreichen Gefechten, bei Artenay (10. Oktober), bei Orleans (11. Oktober), mußten die Deutschen zurückweichen, als die Loirearmee eine Verstärkung von 100,000 Mann erfuhr und dadurch bei Coulmiers (9. November) die Bayern zu besiegen vermochte. Dieser Sieg belebte den Mut der Franzosen derart, daß Tausende jugendlicher Kämpfer sich bewaffneten; doch war der Siegestaumel bald zu Ende, als nach dem Fall von Metz Prinz Friedrich Karl, mit ihm der Großherzog von Mecklenburg, den Bayern zu Hülfe gesandt wurde. Sechs Wochen lang rangen jetzt die feindlichen Armeen unter beiderseitigen schweren Opfern miteinander um den endlichen Sieg, der schließlich den Deutschen bleiben sollte. Aus diesen Kämpfen ragen besondere Ehrentage hervor: der Sieg des Großherzogs von Mecklenburg bei Dreux und Chateaunenf (17. und 18. November), der Sieg des X. Armeekorps (Hannoveraner, Brauu-schweiger, Oldenburger) unter Voigts-Rheetz bei Beau me la Nolande (28. November), wo allein 1600 unverwundete Franzosen in der Deutschen Hände fielen. Jede Schlacht brachte der Loirearmee ungeheure Verluste; in der Schlacht von Orleans gerieten allein 10,000 Franzosen in deutsche Gefangenschaft, uud auf der Straße von
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Orleans bis Blois sagen mehr als 6000 französische Verwundete, die von den Ihrigen hülflos zurückgelassen waren.
Mit der furchtbaren sechstägigen Schlacht bei Le Mans war auch die Loirearmee vernichtet. Allein im Laufe des Monats Januar hatte sie 60 000 Tote, Verwundete, Gefangene und Versprengte verloren.
Jetzt war noch die Vogesenarmee übrig, die Gambetta zur Verstärkung der sogenannten Ostarmee, einem Teile der Loirearmee, dem siegreich im Elsaß vorrückenden General von Werder (meist Badener Truppen) entgegengesandt hatte. Dieser war nach dem Falle Straßburgs gegen die kleinen Festungen im Elsaß vorgegangen und hatte besonders an den überall unerwartet auftauchenden Franktireurs schwierige Feinde gefunden. Das starke Belfort, das von den Franzosen mit zähester Tapferkeit verteidigt wurde, hatte er wenigstens durch Zernierung unschädlich gemacht, und weiter ging es unter fortwährenden Kämpfen über Spinal, Vesoul nach Dijon, das erst von Garibaldi genommen, dann aber wieder von den Deutschen besetzt wurde. Das den Garibaldianern zu Hülfe geeilte neugebildete Korps, die arm.ee du Rhone, wurde geschlagen und zersprengt.
Nun hatte Gambetta wieder einen „großen Plan". Bonrbaki sollte mit seiner Ostarmee (80 000 Mann) die Werdersche Armee erdrücken, Belfort befreien, die Verbindungslinie der Paris belagernden Armeen mit Deutschland abschneiden, die Belagerer im Rücken angreifen und so Paris Hülfe bringen. Das klang alles großartig kühn. Die Deutschen machten keine großen Worte über ihre Plane, sie handelten. General von Werder, die Absicht Bourbakis durchschauend, zog sich in eine Verteidigungsstellung zwischen Mömpelgnrd und Belfort Zurück. Auf der ganzen Linie wurden umfassende Anstalten getroffen, Wälder verhauen, Dörfer und Gehöfte verschanzt, und kaum war der Bau dieser Notsestuugen fertig, als Bourbaki mit 120 000 Mann zürn Angriff heranrückte, um 35 000 Deutsche zu bewältigen, von denen jeder Einzelne dazu entschlossen war, jeden Fußbreit Erde zu verteidigen bis auf den letzten Mann, und jeder Soldat gelobte dem General: „Hier kommt keiner durch!" In dreitägigem Ringen kämpfte hier das XIV. Armeekorps, zur Hälfte Badener, die andre Hälfte Preußen, mit solcher Zähigkeit und Vorsicht, daß Bourbaki mit einem Verlust von 10 000 Mann den Rückzug nach Südwesten antrat, denn
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schon eilte General von Manteuffel mit einer hastig gebildeten Südarmee über die eisbedeckten Höhen des Jura dem General von Werder in Eilmärschen zu Hülfe. Die bedrängte, schwierige Lage des XIX . Armeekorps war von König Wilhelm nicht unbemerkt geblieben; er äußerte, indem er den schnell ins Werk gesetzten Abmarsch der Südarmee zu beschleunigen befahl, daß „Werder und seinen tapfern Truppen die höchste Anerkennung gebühre."
Noch hatte Manteuffel die Werderscheu Truppen nicht erreicht, als er von dem Rückzüge der Franzosen erfuhr. Sofort schwenkte er nach Südwesten, Bourbaki mit seinen 70 000 Mann den Weg zu verlegen.
Es gelang ihm, durch Sperrung der Jurapässe Bourbaki auf das
neutrale Gebiet der Schweiz zu drängen, welche allerdings den entwaffneten Heeresmassen ein Unterkommen gewährte; aber für den französischen Freiheitskampf zählten sie nicht mehr.
Auf diesem Zuge hatte General von Manteuffel eine Abteilung von 6000 Mann zur Beobachtung der bei Dijon stehenden 25 000
Garibaldianer zurückgelassen. In einem der sich entwickelnden Gefechte um Dijon wurde eine deutsche Fahne vermißt. Sie wurde, wie
Garibaldi am folgenden Tage dem Feinde melden ließ, blutgetränkt, zerschossen und mit gebrochenem Schafte unter einem Hügel von Leichen gefunden. Das war die einzige deutsche Fahne, welche im ganzen deutsch-französischen Kriege verloren ging.
Inmitten dieser blutigen Kämpfe war die deutsche Verfassungsfrage zu einem weltgeschichtlichen Akte herangereift. Angesichts der Stadt Paris, im stolzen Königsschlosse zu Versailles, vollzog sich ein deutscher Sühneakt, der lange vorbereitet, doch niemals eine geweihtere Zeit, eine passendere Stelle finden konnte, als das stolze Königsschloß der französischen Ludwige.
König Ludwig II. von Bayern handelte im Sinne der übrigen deutschen Fürsten, im Sinne ganz Deutschlands, als er an die Fürsten und freien Städte die Aufforderung ergehen ließ, das deutsche Reich wieder aufzurichten uud die erbliche Kaiserwürde König Wilhelm I. von Preußen zu übertragen. Die Zustimmung der Fürsten war schon Anfang Dezember 1870 erfolgt; der Beschluß des Reichstages fügte diesem Akt die des Volkes hinzu. Die Adresse des Reichstags an den König schloß: „Lediglich durch die moralische Macht, welche die Friedensliebe Deutschlands ausübt, hegen wir die Hoffnung, daß
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unser Reich sein wird der Anfang eines wahren und gesicherten Friedens."
Am 18. Januar 1871 waren 170 Jahre vergangen, seit Kurfürst Friedrich III. von Brandenburg sich als König Friedrich I. die preußische Königskrone aufs Haupt gesetzt. An diesem Tage sollte die deutsche Kaiserwürde von König Wilhelm I. von Preußen für sich und seine Erben angenommen werden. Schon am 14. Januar hatte der König den deutschen Fürsten und Städten' seine Bereitwilligkeit zur Annahme der Kaiserwürde erklärt und dabei seine persönliche Stellung dazu ausgesprochen: „Ich nehme die deutsche Kaiserwürde an nicht im Sinne der Machtansprüche, für deren Verwirklichung in den ruh mv ollste nZ eiten unserer Geschichte dieMachtDentsch land s zum Schaden seiner innern Entwickelung eingesetzt wurde, sondern mit dem festen Vorsatze, so weit Gott Gnade giebt, als deutscher Fürst der treue Schirmherr aller Rechte zu sein und das Schwert Deutschlands zum Schutze desselben zu führen . . ."
König Wilhelm sah die Kaiserwürde nicht als eine Auszeichnung an, sondern als eine Verpflichtung, die er dem deutschen Berufe der Hohenzollern und damit dem Vaterlande schuldig war. Dieser Gesinnung entsprach die Einfachheit, in der die Kaiserproklamation sich vollziehen sollte. Einen Thron, den man im Spiegelsaale des Schlosses zu Versailles aufrichten wollte, verbat sich der König; statt dessen wurde eiu Feldaltar aufgebaut, und unter seinen „Mitfürsten" stehend, wollte er „ die neue, schwere Verpflichtung übernehmen". Dem Divisionsprediger Rogge wurde eingeschärft, keine Predigt zu halten, nur ein Weihegebet, dabei aber des Königs Person nicht anders zu erwähnen, als daß er ein Werkzeug in der Hand der Vorsehung sei.
Bald nach 12 Uhr trat der König in den Festsaal, empfangen von dem Jubelchoral: „Jauchzet dem Herrn alle Welt!" den ein aus
Mannschaften gebildeter Sängerchor vortrug. Der König wollte vor dem Altar unter den anderen Fürsten stehen bleiben. „Als ich aber sah," sagte er später darüber, „daß man meine Fahnen uud Standarten auf jenen liaut pas gestellt hatte, ging ich natürlich dort Hin; denn wo meine Fahnen sind, da bin ich auch. Nun war aber der haut pas so voll, daß die Fürsten fast keinen Platz gehabt hätten. Dann würden sie aber während der Proklamation haben unten stehen müssen.
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^sch lief] sie also 51ter 1t hinauftreten unb besaht nur, baß bie Fahnen bes I. Garberegiments zu Fuß, bei bem ich überhaupt in bie Armee eingetreten bin, bie Fahne meines ©renabierregiments (7) unb bie bes Garbe-Lanbwehr-batai110ns, beffen erster Kommanbeur ich s0 lange gewesen, bicht hinter mich treten sollten. —"
Ein militärisches „Helm ab zum Gebet!" eröffnete bie kirchliche Feier unb bas Weihegebet bes Prebigers ertönte burch bie lautlose Stille: „Du überschüttest ihn mit goldenem ©egen, Du setzest ihm bie Krone aus, Du setzest ihn zum Segen ewiglich; benn ber König hoffet auf ben Herrn; sie gebachten Dir Uebles zu thun unb machten Anschläge, bie sie nicht konnten ausführen . . Ein bransenbes „Nun banket alle Gott" ertönte, als ber König, gefolgt von allen Prinzen unb Fürsten, an ben Ranb ber 6'ftrabe vorschritt unb laut aussprach, wie ihm bie beutsche Kaiserkrone angetragen fei, unb baß er sie annehme unb in biefem Sinne eine Proklamation an bas beutsche Volk erlassen habe, bie ber Bunbes-kanzler jetzt verlesen werbe. Den Wortlaut berselben melbete ber Telegraph in alle Laube zur selben Minute, in ber Bismarck bie Königsworte langsam unb gemessen vorlas. Der Schluß lautete: „Uns aber unb Unsern Nachfolgern an ber Kaiserkrone wolle Gott verleihen, allzeit Mehrer bes beutscheu Reiches zu sein, nicht an kriegerischen Eroberungen, saubern an ben Gütern unb Gabe nbe.s Friede ns auf bem Gebiet nationaler Wohlfahrt, Freiheit unb Gesittung!"
Jetzt trat ber Groß herzog von Baben vor unb rief, ben Helm hoch emporhebenb: „EslebeSei n.e Kaiserliche Majestät, Kaiser Wilhelm!" Meeresbrausen gleich setzte sich bieser Hochruf fort durch ben mächtigen Saal, baß bie Scheiben flirrten, ein von ber höchsten Begeisterung getragenes dreimaliges Jubelhoch, in bas ber Geschützbonner bes Mont Valerien dröhnend hineinklang. Die Fahnen unb Stan-barten senkten sich vor bem ruhmgekrönten Helbenkaiser; tausenb Hänbe reckten sich zum Gruße empor, unb währenb ber rauschenbe Jubel sich in bem Gesänge „Heil Dir im Siegerkranz!" auslöste, beugte ber Kronprinz seine Kniee vor bem kaiserlichen Vater, ber ihn aufhob unb umarmte, inbem ihm bie hellen Thränen aus ben Augen stürzten. Dann jedem Einzelnen ber Anwesenden ein herzlicher Gruß, ein
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Händedruck; Graf Bismarck war einer der letzten, seinem kaiserlichen Herrn zu huldigen.
Die Krönungsfeier des deutschen Kaisers Wilhelm war vollbracht, unter den obwaltenden Umständen ein einzig dastehender Akt deutscher Geschichte. Als der Kaiser den Krönungssaal verließ, sank die Hohen-zollernfahne nieder, und die Kaiserflagge rauschte empor.
Am folgenden Tage begann Paris wegen der Uebergabe zu unterhandeln. Das Volk war im Aufruhr begriffen; es wollte und konnte den Hunger nicht mehr ertragen; immer geringer war die tägliche Brotration für den Einzelnen geworden. Am 24. Januar fuhr Jules Favre mit einem Nachen durch die Eisschollen der Seine hindurch an das andere Ufer, in Versailles mit Bismarck zu unterhandeln. Dieser empfing thu sehr kühl. Die Lage war eine andere geworden, als nach der Schlacht von Sedan, wo Jules Favre gleich Gambetta noch meinten, „Armeen aus der Erde stampfen zu können." Bismarck zögerte keinen Augenblick, in seiner packenden Art alle Fetzen französischer Eigenliebe und thörichter Sucht nach gloire herunter zu holen, um nackt und klar die empörende Thatsache reden zu lassen, daß eine leere militärische Eitelkeit eine Stadt von mehr als zwei Millionen Menschen dem Hungertode preisgegeben habe. Dieser verbrecherischen Thatsache entsprechend wurden die Unterhandlungen geführt, Bismarck kühl beherrschend, nicht ohne Blitzstrahlen tiefen Empfindens, Jules Favre jammernd ohne Ende.
Nur einmal verlor Bismarck seine Ruhe, als Favre auch Garibaldi in den Waffenstillstand eingeschlossen haben wollte. „Lassen Sie mir den!" fuhr Bismarck auf. „Er ist keiner der Ihrigen. Ich will ihn in Berlin umherführen lassen mit der Inschrift auf dem Rücken: „Das
iu die Dankbarkeit Italiens!" — Da hatte der Begleiter Favre-'s, Hauptmaun d Herisson, einen guten Gedanken. Kurz vorher hatte Bismarck geäußert, wie eine Zigarre beruhigend wirke. Er bot sie ihm. Einen Augenblick, und Bismarck verstand die stumme Bitte. Der zornige Blick war plötzlich erloschen: „Sie haben Recht, Herr Hauptmann, das führt zu nichts. Im Gegenteil." Garibaldi wurde in den Waffenstillstand, später in den Frieden mit Frankreich eingeschlossen. Die Verhandlungen führten am 28. Januar 1871 zur Kapitulation, wonach alle Mobilgarden und alle Linientruppen der Besatzung kriegsgesangen wurden und die Waffen abzugeben hatten. Paris durfte sich verproviantieren, blieb aber einstweilen noch cerniert.
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Dem stuf drei Wochen abgeschlossenen Waffenstillstand folgten am 26. Februar die zu Verfalles vereinbarten Friedenspräliminarien, welche erst am 10. Mai durch den Frankfurter Friedeu bestätigt wurden. Das Telegramm Kaiser Wilhelms, das die lang ersehnte Friedenskunde in die ferne Heimat trug (2. März), schloß: „Der
Herr der Heerscharen hat überall unser Unternehmen sichtlich gesegnet und daher diesen ehrenvollen Frieden in seiner Gnade gelingen lassen! Ihm sei die Ehre! Der Armee und dem Vaterlande mit tiefbewegtem Herzen meinen Dank!"
Die wichtigsten Friedensbestimmungen waren: Frankreich läßt das Elsaß mit Straßburg und seinen andern festen Plätzen, Belfort ausgenommen, sowie Deutfchlothringeu mit Metz in den Händen des Siegers, 257 Quadrat-Meilen mit 1,580,000 Einwohnern. Frankreich zahlt fünf Milliarden Francs Kriegsentschädigung, die eine noch im Jahre 1871, die übrigen in dreijähriger Frist. Die deutschen Truppen räumen unmittelbar nach Ratifikation des Friedensvertrages durch die französische Nationalversammlung die Pariser Südforts und das linke Seineufer. Die Räumung der übrigen Departements wird seitens der deutschen Truppen schrittweise je nach erfolgter Abzahlung der Kriegsentschädigung eintreten."
Am 1. März rückten 30,000 Deutsche als Sieger in Paris ein, ein größerer Schmerz für den Dünkel der Franzosen, als die zu bezahlenden Milliarden.
Am 7. März verließ Kaiser Wilhelm Versailles. Er hatte es verschmäht, persönlich als Sieger in Paris einzuziehen. Am 17. März traf er in Berlin ein; doch erfolgte der feierliche Einzug ein der Spitze der siegreichen Truppen erst am 16. Juni 1871. In der Einweihung des Denkmals Friedrich Wilhelms III. zu Berlin sollte dieses Fest seinen Abschluß finden. Zu den Füßen des königlichen Vaters legte Kaiser Wilhelm die Siegespalme nieder, ein Rächer ans dem Hanse der HohenzoIlern, den der Große Kurfürst 192 Jahre zuvor ahnend geschaut, da er den schimpflichen Frieden von St. Germain unterzeichnete, der dem Laude so teure Glieder entriß. Damit waren nun die Sieges- und Einzugsfeste in ganz Deutschland eröffnet, welche vier Wochen lang ein Dankesgruß des dankbaren Vaterlands für feine tapfern Söhne waren. Der Einzug der bayrischen Truppen in München, an ihrer Spitze der deutsche Kronprinz, schloß diese Siegesfeste ebenso würdig wie großartig ab. Es war
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ein lief ergreifender Anblick, als abends beim Prolog des Festtheaters König Ludwig die Hände des Kronprinzen ergriff und beide so an die Logenbrüstung traten, umbraust von dem endlosen Jubel der Menge.
Am 21. März berief Kaiser Wilhelm den ersten deutschen Reichstag. Der Schluß seiner Begrüßungsrede gipfelte in dem Segenswunsche: „Möge die Wiederherstelluug des deutschen Reiches für die deutsche Nation auch nach innen das Wahrzeichen neuer Größe sein! Möge dem deutschen Reichskriege ein nicht minder glorreicher Reichsfriede folgen, und möge die Aufgabe des deutschen Volkes darin beschlossen sein, sich in dem Wettkampf um die Güter des Friedens als Sieger zu erweisen! Das walte Gott!"
An diesem Tage erhob Kaiser Wilhelm den Grafen Bismarck in den Fürstenstand.
„Wie Gott es gewollt hat, also ist es geschehen! Ja," rief einst der königliche Heldengreis, „giebts einen Menschen, der bekennen muß, daß er von Gott gesegnet worden sei, so bin ichs!"
Glänzende Erfolge, die das deutsche Volk kaum zu erhoffen gewagt, lagen nun vor aller Augen. Friedrich Wilhelm IV. hatte Recht behalten: „Deutschlands Größe konnte nur auf blutigem Schlachtfelde neu gegründet werden." Es war wiederum zu hoher Ehrenstellung im Rate der Völker berufen worden, uud fein ehrwürdiger Kaiser durfte noch manches ^ahr aus der Wacht stehen, „im Wettkampf um die Güter des Friedens sich als Sieger zu erweisen."
„Nicht in dem Sagengrunde des Kyffhäuser,
Nicht eingewiegt in Märchendämmernacht,
Im Herzen seines Volkes schlief sein Kaiser,
Vom deutschen Einheitsruf ist er erwacht.
Der Heimateiche vielgespaltne Aeste Verschlinge einig frisch ergrünt Gezweig,
Und in die Lüfte, ob der Kaiserveste,
Entrollt sein Banner nun das deutsche Reich."
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8. Deutschland im Frieden.
Während das neue deutsche Reich, sowohl als Ganzes, wie in seinen Einzelstaaten, sich der Segnungen seiner Einheit und einer goldenen Friedenszeit nur allmählich voll bewußt wurde, durfte es seine schwer errungene Reichsherrlichkeit an Frankreichs Geschick abschätzen.
Schon waren die Friedensverhandlungen von Seiten der französischen Negierung möglichst beschleunigt worden, weil eine Umsturzpartei revolutionärer Arbeiterbataillone in Paris über Nacht hundertfach gewachsen schien. Nachdem das deutsche Hauptquartier Versailles verlassen hatte, war die französische Regierung aus dem Treiben der Hauptstadt dahin übergesiedelt, und in Paris stand die „Kommune" auf, welche eine Schreckensherrschaft von Banditen begründete, der Zeit eines Robespierre gleich. Da sielen Unzählige als „Geiseln des Volkes von Paris". Bewaffnung von Sträflingen, Wegnahme öffentlicher Kassen oder des Eigentums Einzelner, Plünderung der Bankhäuser, Spionage und Mord, ja welches Verbrechen könnte genannt werden, das nicht unter der Gewaltherrschaft der Kommune zum „Menschenrecht" gestempelt wurde. Die das Recht der Selbstverwaltung und Selbstregierung in Anspruch nahmen, waren größere Tyrannen der Willkür, als je eine Kaiserherrschaft sein konnte. Ein Augenzeuge sagt, „es war nur das Regiment des Säuferwahns; was heute regierte, war morgen im Gefängnis oder erschossen. Die Revolution lebte von dem unermüdlichen Verschlingen ihrer eigenen Kinder."
Als Bismarck seine Hülfe anbot, durch Besetzung von Paris die Kommune in ihren Anfängen zu unterdrücken, hatte Jules Favre das als Beleidigung zurückgewiesen. In Paris seien nur Patrioten, aber keine Rebellen. Paris, Frankreich mußte an seinem Hochmut zu Grunde gehen. Selbst die erbärmlichste Phrasenmacherei hatte noch reichlich Platz angesichts der größten Niederlagen. Während Paris fast verhungerte, renommierte der Abgeordnete Viktor Hugo: „Das Frankreich der Idee und des Degens wird sich eines Tages unbesiegbar erheben. Es wird Lothringen, den Elsaß, den Rhein, Mainz und Köln wieder nehmen. Nein, es wird Trier, Mainz, Koblenz, Köln, das ganze linke Rheinufer wieder nehmen. Es wird ausrufen: Deutschland, da bin ich! Sind wir Feinde? Nein, ich bin Deine Schwester! Die Völker bilden nur ein Volk, eine einzige Republik, vereinigt durch die Brüderlichkeit. Seien wir die vereinigten Staaten von Europa, die
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universelle Freiheit, der universelle Friede. Ich werde Dir nie vergessen, baB Du mich von meinem Kaiser befreit hast, ich werde Dich von dem Deinigen befreien!"
Endlich fiel die Kommune unter den eindringenden Regierungstruppen, denen Deutschland durch Losgabe von Gefangenen neue Kräfte zugeführt hatte. Mit ihr war fast alles vernichtet, was Paris an stolzen Denkmälern einer glanzerfüllten Zeit besaß. Mit Petroleum begossen brannten unzählige Gebäude, Kirchen, Denkmäler, und beleuchtet von den Flammengluten hatte der Todeskampf der Kommune, das Gemetzel der Soldaten vier Tage und fünf Nächte lang gedauert. Grauenhaft war das Paris, das die Kommune hinterließ. Sie hatte mehr Opfer gefordert, als die Belagerung durch die Deutschen.
War dieses Trauerspiel der französischen Hauptstadt ein ernstes Bild dessen, was eine Volksherrschaft zu bedeuten hatte, so mochte es darum Mahnung sein, das, was die deutschen Heere in heißem Kampfe durch Blut und Eisen zusammen geschmiedet, in treuer Arbeit zu bewahren.
Aber während die Fürsten mit ihrem Kaiser den Ausbau neuer Staatsordnungen zu fördern suchten, hatte sich, in ernster Kriegszeit fast unbemerkt geblieben, eine Wandlung kirchlicher Zustände vollzogen, die viel Unfrieden hervorrief.
^eit Frankreich während des letzten Krieges Rom nicht mehr zu schützen vermochte, hatte ein italienisches Heer Besitz von der ewigen Stadt genommen. Trotz alles Protestes Papst Pius IX. hatte Viktor Emanuel die alte Roma zur Hauptstadt seines neuen Königreichs Italien gemacht. Was der Papst hier an äußerem Besitz verloren hatte, wollte und sollte er an anderer Stelle reichlich zurückgewinnen. Auf dem letzten Konzil hatte er mit Hülfe der Jesuitenpartei das Dogma von der päpstlichen Unfehlbarkeit durchgesetzt (1869). Ein Zweites Dogma, von der unbefleckten Empfängnis Mariä, hatte er dem entsprechend ohne Mitwirkung des Konzils aufgestellt. Die Energie, mit der diese kirchlichen Glaubenssätze in die christliche Weit geschleudert wurden, wirkte einem Feuerbrande gleich. Hielt sich der Papst als Oberhaupt der katholischen Kirche nur in kirchlichen Dingen für unfehlbar, nahm er diese Unfehlbarkeit auf alle Fälle in Anspruch, sicher mußten die deutschen Staaten dazu Stellung nehmen. Konnte doch ihren Unterthanen vom „Oberhaupte der Weltkirche" ausgegeben werden, was sie lösen konnte je nach päpstlichem Urteil von Unterthanenpflicht und Gehorsam. Noch mehr, bei Neugestaltung des deutschen Reiches
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stellten die deutschen Bischöfe die bestimmte Frage, was die Katholiken „bezüglich ihrer religiösen Ueberzeugung vom Reiche zu erwarten hätten, da die Ereignisse der Gegenwart vielfach als ein Sieg des Protestantismus über den Katholizismus dargestellt seien."
Obgleich jeder Einzelstaat, auch Preußen, der katholischen Kirche die freieste Entfaltung gewährte, begehrten jetzt die Bischöfe besondere Zugeständnisse auch in der Reichsverfassung. Damit begann der Kulturkampf in Deutschland. Die Einzelstaaten wie das Reich suchten ihre Rechte zu wahren gegenüber dem wachsenden Begehren der Kirche, die ihre Kämpfer aussandte, die Bischöfe mit dem Heere des Klerus. Es war eine Mobilmachung gegen den Staat, die sich auch im Reichstage durch Bildung des Zentrums vollzog. Wie weit sich kirchliche und politische Interessen in diesem Ringen vermischen mochten, die Zentrumspartei blieb die Garde der katholischen Kirche in Volksvertretung und Reichstag. Natürlich stand hinter dieser gewählten Volksvertretung die katholische Welt ganz Deutschlands. Leider wurde jetzt oft preußisch und protestantisch als gleichbedeutend angesehn, und kirchliche Opposition verband sich leicht mit der politischen.
Der „erobernden Weltkirche" gegenüber wappneten sich allmählich die Regierungen der einzelnen Staaten durch Gesetze, die dem Machtbegriffe des Reiches entsprachen. Damit war aber der Kampf nicht abgethan; erklärte doch der Papst freist seiner päpstlichen Machtvollkommenheit nicht nur die neuen Kirchengesetze für ungültig, sondern machte die Auflehnung dagegen jedem Gläubigen zur Pflicht (5. Febr. 1875). Den den Staatsgesetzen ungehorsamen Geistlichen verweigerte der Staat die Gehälter. „Es ist", so hatte Bismarck es begründet, „des Staates nicht würdig, seine erklärten Feinde gegen sich selbst zu besolden" (18. März 1875). Und weiter entbrannte ein Kampf in der katholischen Gelehrtenwelt, wie ihn nur die Reformationszeit kannte. Ihm schlossen sich viele aus dem Volke an. Sie wollten die Dogmen als etwas neu Gegebenes nicht annehmen und schieden als „Altkatholiken" aus der römisch-katholischen Kirche aus.
All dieser in kurzen Worten unbeschreibliche Wirrwar nach einer Kriegs- und Siegeszeit, in der die deutschen Truppen, ungefragt von welcher Konfession, gemeinsam anbetend vor der Schlacht oder nach errungenem Siege mit dem Liede, dem Gebete ihrer Schulzeit ächt christlicher Gesinnung entsprochen hatte! Wie hatte man gerühmt, daß die deutsche Volkserziehung, der deutsche Schulmeister den Sieg über Frank-
reichs Gott entfremdete Scharen erfochten hatten, nun reichte das nicht mehr aus, ein Neues sollte in Schule und Kirche, Staat und Haus gebracht iverdeu. Nicht der Staat sollte die Aufsicht über Schule und Lehrer haben; wer tüchtig sei zum Lehramt, wolle nur die Kirchen entscheiden. Und doch hatte der Staat die Gehälter zu bezahlen, er hatte seine Staatsangehörigen, auch Kirche und Schule, vor äußern Feinden Zu schützen.
Dem päpstlichen Begehren traten selbst die katholischen Staatsregierungen Deutschlands entgegen. Besonders in Bayern entwickelte sich ein heftiger Kulturkampf. Ein staatlicher Akt Preußens rief die höchste Aufregung hervor: die Ausweisung der katholischen päpstlichen Orden mit Ausnahme derjenigen, die sich der Krankenpflege widmeten. Tie Jesuiten wurden aus ganz Deutschland ausgewiesen. War es doch klar, nicht die Katholiken Deutschlands hatten diesen Kampf entsacht, sondern Rom in seinem Heere stumm gehorsamer Geistlichen, die sich den altgewohnten und nie vorher beklagten Anordnungen der Regierung nicht fügen durften. Das ging so weit, daß den Schulräten, den königlichen Kommissaren, verweigert wurde, den Unterricht in den Seminaren (Posen) beizuwohnen, nachdem der Oberpräsident vorher vergeblich Auskunft über dieselben verlangt hatte.
Diese schwere, beklagenswerte Konfliktszeit, welche durch persönliche Härte sich oft bis zum Aeußersteu steigerte, währte in ganz Deutschland lange Jahre hindurch. Dabei kam iu den breitem Volksschichten viel Unverstandenes und Verkehrtes zu Tage. Man erzählte sich die ungeheuerlichsten Dinge von demselben Bismarck, der, als die katholischen Italiener Rom besetzten, in aufrichtigstem Entgegenkommen dem Papst in Deutschland eine neue Heimat anbot und erwogen hatte, ob in Fulda, in Köln oder sonst wo der heilige Vater einen solchen wünschen möchte. Zu welchen Thorheiten der kirchliche Unfrieden führte, zeigte der Mordangriff Kullmanns auf Bismarck in Kissingen (4. Juli 1874), der dein Reichskanzler selbst erklärte, er habe ihn wegen der neuen'Kirchengesetze töten wollen.
Endlich wurden auch auf diesem Kampfplatze neue friedliche Verhältnisse durch gegenseitige Nachgiebigkeit angebahnt, obgleich noch heute Klänge jener schlimmen Zeiten herüber tönen in die Gegenwart. Möchten sie bald völlig verhallen!
Ein wichtiger schritt, Deutschlands Frieden zu befestigen, war iic völlige Aussöhnung mit Oesterreich. Als der Krieg Deutschlands
mit Frankreich unvermeidlich erschien, hatte auch Oesterreich erwogen, ob es nicht mehr Ursache zu einer „Rache für Sadowa" habe, als die Franzosen, welche sicher auf seine Hülfe rechneten. Die schnellen Erfolge der deutschen Waffen hatten kluge Zurückhaltung geboten; auch hatte Oesterreich im Kriegsfälle Rußland zu fürchten. Doch würden die Herren der Diplomatie nach dem Kriege kaum so bald zu dem glücklichen Resultat friedlicher Einigung gekommen sein, wie sie die Monarchen durch persönlichen Briefwechsel erreichten.
„Auf ein geeinigtes Deutschland wird Oesterreich ruhig hinüber blicken können." Diese Versicherung aus Wien war der erste Schritt einer Verständigung. Oesterreich hatte dem neuen deutschen Reiche seinen Gruß entboten, und Kaiser Franz Joseph suchte den Kaiser Wilhelm durch persönliche Freundschaftsbeweise zu überzeugen, wie sehr er Oesterreichs Annäherung an Deutschland wünsche. Verschiedene Begegnungen und trauliches Aussprechen der Monarchen und ihrer Minister bahnten das Weitere an. Im Herbst 1872 trafen Kaiser Alexander von Rußland und Kaiser Franz Joseph von Oesterreich als Gäste Kaiser Wilhelms in Berlin ein (5. und 6. Sept. 1872).
Obgleich während der festlichen Besuchstage kein Wort der Politik gesprochen sein soll, so war die Thatsache friedlichen Zusammenseins der drei ersten Monarchen Europas an und für sich so groß und wichtig, daß es keines Machwerks aus Worten daneben bedurfte.
Jahre treuer Arbeit an dem Ausbau des deutschen Reiches waren verflossen, die in dem ewigen Wechsel der Tage schwere, ernste Arbeitszeiten, wie Stunden der Befriedigung gebracht hatten: Inmitten des Reichtums französischer Milliarden die in sich selbst zusammenstürzende Gründerzeit hohler Spekulationen, inmitten des Kulturkampfes die trübste Sorge der Staatsverwaltung, dazu das stets erneute Ringen um Militärvorlagen, die das Vaterland weiter stark genug machen sollten, den Frieden zu bewahren. Es giebt vielleicht kein Jahrzehnt vaterländischer Geschichte, das eifriger bemüht gewesen wäre, die Säulen des Staatslebens fest und immer fester zu gründen, als das erste Jahrzehnt des deutschen Kaiserreichs. Aber gleichwie der Abend eines heißen Arbeitstages sich zum Feierabend gestaltet, so schienen endlich alle stürmenden und gährenden Verhältnisse im Reiche zur Ruhe zu kommen. Es gab seltne Festtage im Hohenzolleruhause, die ganz Deutschland mit dem preußischen Volke feierte. Der erste Kaiser des neu erstandenen deutschen Reiches beging sein siebzigjähriges Militär-
jubiläum (1. Jan. 1877). In schwerer, ernster Zeit hatte ihn sein königlicher Vater zu Königsberg am Neujahrsmorgen 1807 mit Jnterims-uniform, mit Hut und Degen, wie mit dem Bande des schwarzen Adlerordens überrascht. „Welche Wendung durch Gottes Fügung, diese siebzig Jahre seitdem!"
Kaum vier Wochen später (9. Febr. 1877) versammelte der Kaiser die Offiziere des I. Garderegiments in seinem Palais, ihnen den blühenden Enkel, Prinz Wilhelm, bei seinem Eintritt in das Heer vorzustellen. Nachdem er in kurzen Zügen die Entwicklung vaterländischer Geschichte entrollt und besonders der Arbeit aller preußischen Regenten für die Armee gedacht, hatte er das herzliche Abschiedswort gesprochen: „Nun gehe und thue Deine Schuldigkeit, wie sie Dich gelehrt werden wird! Gott sei mit Dir!"
Wiederum ein Monat, und Fürsten und Völker des deutschen Reiches sammeln sich zum Geburtsfeste ihres achtzigjährigen Kaisers (22. März 1877). „Unser Leben währt siebzig Jahre, und wenn es hoch kommt, so sind es achtzig Jahre, und wenn es köstlich gewesen ist, so ist es Mühe und Arbeit gewesen." Im Sinne des Psalmisten sah Kaiser Wilhelm auf ein köstliches Leben zurück. Das fühlte niemand dankbarer, als der demütig große Kaiser, und doch — wie war es möglich, daß sich gegen ihn eine Mordwaffe erheben konnte? Am 11. Mai 1878 geschah diese Schandthat von einem durch sozialistische Schriften verwirrten und überspannten 21jährigen Klempnergesellen (Hödel). Keinen Augenblick durfte Kaiser Wilhelm trotz dieses Mordversuchs an der Liebe und Verehrung seines Volkes zweifeln; aber wie schwer wurde dieser Glaube des kaiserlichen Herrn erschüttert, als vier Wochen später (2. Juni) ein zweites Attentat sich gegen ihn richtete. Diesmal war der Mörder kein unwissender, unreifer Mensch, sondern ein gebildeter Fanatiker der Sozialdemokratie (Dr. Nobiling), dem sich weder Herz, noch Verstand und Gewissen gegen dieses wahnsinnige Verbrechen auflehnten.
Daß Kaiser Wilhelm nicht unter Mörderhand sterben durfte, ist oes deutschen Volkes Freude und Ehre geblieben; doch ein andres wurde wenig besprochen und genannt, das in ärztlichen Kreisen betont wurde. Der Greis Kaiser Wilhelm schien in letzter Zeit der Altersschwäche zu verfallen; wiederholte Ohnmachten ließen es befürchten. Die seelische und körperliche Erregung jener schweren Zeit hatte eine Wandlung
Born hak, Unser Vaterland. jo
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geschaffen; die gefürchtete Verkalkung der Blutgefäße war wie durch ein Wunder gehoben.
Es wurde bald klar, daß die frevelhaften Thaten die Frucht einer ganzen Volkspartei waren, deren gefährliche Größe bis dahin niemandem in den Sinn gekommen war. Selbst der Name dieser Partei gewann erst jetzt an Bedeutung. Die „Sozialdemokratie" war bis dahin fast nur als ein leeres Naifonnement angesehen worden. Nur Bismarck hatte sie nicht aus dem Auge gelassen. Weitere schlimme Folgen, wie sie jetzt zu Tage getreten waren, zu hindern, wurde das Sozialistengesetz gegeben, in welchem das Vereinsrecht, das Tragen von Waffen u. a. beschränkt wurde.
Inzwischen besann man sich im Volke, aus welchem Saatkorn die Sozialdemokratie empor gewuchert sein möchte, die ein sehr unklares Traumbild eines Volksstaates sich als letztes Ziel gesetzt hatte. Am 23. Mai 1863 war zu Leipzig ein „Allgemeiner deutscher Arbeiterverein" gegründet worden; zum Präsidenten desselben hatte man Dr. Ferd. Lassalle gewählt. Er wurde immer mehr die Seele dieses Vereins, in welchem er auf Grund eines allgemeinen gleichen Wahlrechts die sozialen Interessen des deutschen Arbeiterstandes zu heben bemüht war. Er erschien als ein wirklicher Patriot, der viel Not des Volkes erkannt hatte, und der sie durch vereinte Volkskraft selbst zu heilen bestrebt war. Das war das einzig Revolutionäre, was in dem sonst begeistert königstreuen Manne ruhte. Er darf getrost als Reformator oder Begründer vieler sozialer Verbesserungen genannt werden. Sein früher Tod (1864) brachte seinem Streben ein frühzeitiges Ende, das eine übel aufgefaßte Fortsetzung in der zu London gegründeten „Internationalen Arbeiterassoziation" fand. Eine deutsche Abzweigung dieser Verbindung raffte sich in Eisenach (1869) zu dem gefährlichen Beschlusse auf: „Die heutigen politischen und sozialen Zustände sind im höchsten Grade ungerecht und daher mit der größten Energie zu bekämpfen zc."
Dieser Kampf wurde mit fast dämonischer Kraft aufgenommen, als die gesamte sozialistische Arbeiterpartei Deutschlands in Gotha zu einem festen Verbände zusammentrat (1875). Es war zunächst der Kamps der Arbeit gegen das Kapital, des Arbeiters gegen die Ausbeutung seiner Kraft durch den Fabrikherrn. Daraus erwuchs erst weiterhin der Kampf gegen den Besitz überhaupt, gegen die Klassenherrschaft. Die Verbrüderung der Arbeiter wurde zwei Jahre später durch einen
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internationalen Bund (zu Gent) über England, Frankreich, Belgien, Dänemark, Deutschland, Oesterreich, Italien und die Schweiz ausgebreitet, und im Verlaufe von kaum einem Jahre waren der Parteikasse an freiwilligen Beiträgen 54,432 Mark zugegangen, denen unausgesetzt Zuschuß folgte. Damit wurden Agitatoren unterhalten, Zeitungen und Kalender gegründet, die in glühender Sprache die wildesten Leidenschaften zu entfesseln suchten, „vom heiligen Rechte der Enterbten" sprachen und alles in den Staub zogen, was bis dahin als heilig und Ehrfurcht gebietend galt. Die Religion und ihre Träger wurden geschmäht, die Achtung vor Fürst und Vaterland gleich einer Kinderthorheit verspottet; aber die französischen Massenmörder des Jahres 1793 wurden immer aufs neue verherrlicht. Das war die Sozialdemokratie zur Zeit des neuerstandenen deutschen Kaiserreichs.
Wer aber möchte leugnen, daß die Geschichte auch in ihren dunklen Seiten Stufen notwendiger und heilsamer Entwicklung birgt? Während die Vertreter der europäischen Staaten auf einem Kongreß zu Berlin in weit ausliegenden Konferenzbeschlüssen einen gegenseitigen friedlichen Ausgleich zu erreichen strebten (bei dem freilich nur Oesterreich und England gut wegkamen), faßte Kaiser Wilhelm gleich seinem großen Kanzler die Ausschreitungen der Sozialdemokratie als eine ernste Frage der Zeit ins Auge. Mit größter Treue wurde berechtigten Wünschen der Arbeiter bereitwilliges Entgegenkommen von Seiten der Regierung. Die Verhältnisse der Produktion, des Verkehrs und der Arbeit wurden durch zuverlässige Männer erforscht, um für soziale Schäden soziale Reformen einzuleiten. Auf diesem Wege wurde das Jahr 1881 bahnbrechend für einen „Staatssozialismus", der, wie Bismarck es mit Recht betonte, den Hohenzollern aller Jahrhunderte auf der Seele gebrannt habe. Es ist der Sozialismus treuster Fürsorge und des Bewußtseins höchster Verantwortlichkeit für Volk und Vaterland. In der „Kaiserlichen Botschaft" vom 17. November 1881 wurde besonders hervorgehoben, wie die Heilung sozialer Schäden nicht auf dem Wege sozialdemokratischer Ausschreitungen gesunden werden könne, und wie es als kaiserliche Pflicht erkannt werde, dein Vaterlande auch darin dauernde Bürgschaft des Friedens zu geben, daß den Hülfs-bedürftigen Beistand geleistet würde.
„Auch diejenigen", heißt es wörtlich, „welche durch Alter oder Invalidität erwerbsunfähig werden, haben der Gesamtheit gegenüber einen begründeten Anspruch auf ein
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höheres Maß staatlicher Fürsorge, als ihnen bisher hat zu Teil werden können. Für diese Fürsorge Mittel und Wege zu finden, ist eine schwierige, aber auch eine der höchsten Aufgaben jedesGemeinw esens, welches auf denFundamenten des christlichen Volkslebens steht." Kaum von seinen Wunden nach dem letzten Attentat genesen, hatte der Kaiser unter anderem dem Staatsministerium gegenüber geäußert, daß seine eignen schmerzlichen Erfahrungen wunde Stellen des gesellschaftlichen Lebens aufgedeckt hätten, aber wie er gern für das allgemeine Wohl sein Blut dahin gegeben haben wolle, wenn dadurch auch die Wunden geheilt würden, an deren Tiefe so viele nicht glauben wollten.
Diesen kaiserlichen Wünschen entsprach der deutsche Reichstag in seinen Beschlüssen. Auch dem ganzen Volke kam es zum Bewußtsein, wie viel versäumte Pflichten einer gegen den andern nachzuholen habe. Was man sonst in den engen Rahmen kirchlicher Armenpflege verwiesen hatte, höchstens auch der städtischen Armenversorgung, trat jetzt in eine völlig neue Anschauung der Verpflichtung und des Selbstschutzes. Mit der Kranken- und Unfallversicherung wurde begonnen; dann sollte Alters- und Jnvaliditätsversorgung erfolgen, wie jede Art des Schutzes der ärmeren Arbeiterklassen, ohne irgendwie das Revier privater und christlicher Wohlthätigkeit zu berühren. Dazu war die Frauenwelt unter ihrer hohen Protektorin Kaiserin Augusta in dem großartigen Verbände des Vaterländischen Frauenvereins der Not ganz Deutschlands auch zur Friedenszeit helfend zur Seite getreten gleichwie er Kranken und Gesunden im Felde gedient hatte. Nur die nähere Kenntnis dieser wahrhaft großen Organisation läßt ihre Hilfe ahnen. Schon in der kurzen Zeit, welche zwischen dem dänischen und böhmischen Kriege lag (1864/1866), hatte die fürstliche Frau die Pflege der Verwundeten und Kranken im Kriege zu erweitern gewußt und am Friedensfeste, 11. November 1866, den Vaterländischen Frauenverein gegründet, dem sie noch weitere Ziele steckte, als die Pflege im Felde erkrankter und verwundeter Krieger. In Friedenszeiten sollte er Notleidenden aller Art Hilfe spenden und christliche Erziehung und Gesittung pflegen. Für ihn gab es keine Schranke der Konfession; er überbrückte in seiner Hülfe selbst Nationalitäten.
„. . . Unser Verein dient im Kriege dem Volke unter den W aff en, i m Fr ied en d er L i n d erung d e r N o t, w o nnd w ie ein e solche herantritt. . ." Unter einem „Zentralkomite vom roten Kreuz"
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waren alle deutschen Vereine zur Pflege der im Kriege Verwundeten und Kranken zusammengetreten, als Frankreich mit einer Keckheit ohne Gleichen den Krieg erklärt hatte, und König Wilhelm schrieb, gerührt von der reichen Fürsorge und Pflege, welche der Armee durch diese Organisation zu Teil wurde, der Königin Augusta dankbar und voller Anerkennung, wie „die deutsche Einheit auf dem Gebiete der Humanität sich vollzogen habe, als die politische Einheit unsers Vaterlands sich noch im Kreise der Wünsche bewegte."
In diesem Sinn und Geist hatten die Frauen-Hülfs- und Pflegevereine nach den Attentaten dem Ruf der Kaiserin Augusta Folge geleistet: „. . .Die tiefe Bewegung, von der das deutsche Volk ergriffen ist, fordert Uns auf, das Uns angewiesene Gebiet nämlich die Familie, die Erziehung, das häusliche Leben, die Ausübung der Barmherzigkeit in allen Kreisen der Nation mit dem Ernst zu pflegen, welcher den Gefahren entspricht. Ueber alle hemmenden Verschiedenheiten und Gegensätze hinweg ist Unsere gemeinsame Aufgabe, die Gottesfurcht zu stärken, die sittlichen Grundlagen zu befestigen und allen Notleidenden zu helfen . . ."
In dem Glücksreichtum, den die Siege über Deutschland gebracht, hatte der Egoismus so viel Raum gefunden, und der alte gute Rat der Vorfahren hätte doch die ganze soziale Frage aus der Welt schaffen mögen:
„Wie es ist auf Erden, r.„ ( . ...
Also solls nicht sein.
Laßt uns besser werden.
Gleich wirds besser sein!"
Was Kaiser Wilhelm als „Sozialhülfe" für sein Volk begehrte, war aber nicht die Arbeit kurzer Reichstagssitzungen; es waren neu gegebene Bahnen eines königlichen Landesvaters, welche ein treu zu verwaltendes Vermächtnis bleiben sollten. Wie weit dieser Staatsbau vollendet ist, was darin noch geschehen muß und wird im Sinne Kaiser Wilhelms, es würde in dem engen Rahmen dieser Blätter nicht Raum finden.
Das persönliche Verhältnis Kaiser Wilhelms zu seinem Preußen-volke, ja zu ganz Deutschland, hatte sich immer inniger gestaltet
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Kaisers Geburtstage waren nationale Festtage geworden, den Kaiser-zu sehen, ihn grüßen zu dürfen, der Stolz jedes Einzelnen.
So mancher Kampfgenosse, so mancher fürstliche Freund und Mit-arbeiter an dem großen Werke deutscher Einheit war schon heimgegangen, als Kaiser Wilhelm noch immer um Haupteslänge emporragte an Lebenszeit und an Erfolgen. Ihm zur Seite standen noch seine Paladine Bismarck, Moltke, Roon, deren Hauptaugenmerk darauf gerichtet blieb, eine stark bewaffnete Macht des Friedens herzustellen und zu erhalten nach dem Grundsatz: „Je stärker wir sind, desto unwahrscheinlicher ist der Krieg." Wie oft ein solcher in Sicht war, haben nur unbestimmte Zeitungsnachrichten gemeldet, wie oft er durch die deutsche, so oft von Deutschen getadelte Militärmacht ohne Waffenkampf verhindert wurde, blieb Kabinetsgeheimnis.
Danach mochte der neunzigjährige Geburtstag des Heldenkaisers Wilhelm (22. März 1887) als ein Friedensfest deutscher Fürsten und Völker gelten. Die deutsche Fürstenwelt war an diesem Tage im deutschen Kaiserhause durch 85 Mitglieder vertreten; aber wer hätte die Tausende, die Millionen zu zählen vermocht, die. Arm und Reich, alle in gleicher Verehrung, zu dem in der Geschichte beispiellosen Feste ihres Kaisers wallfahrteten, mit ihm auch in der Ferne feierten? Die ganze Welt; Asien, Amerika, Afrika und Australien huldigten mit Europa Deutschlands großem Kaiser, der diesen Ehrentag, sich selbst treu und seiner würdig, in andächtiger Einkehr, voll demütigen Dankes gegen Gott feierte, aber auch mit dem frohen Glauben an die Dauer, die Zukunft seines ihm vom Herrn der Welten gesegneten Lebenswerkes. Mit welcher Innigkeit sprach der kaiserliche Erlaß an den Reichskanzler (23. März) von den neunzig Jahren einer reich gesegneten Lebenszeit! In rührender Demut wiederholte sich mit jedem Dankeswort auch der Hinweis auf Gottes wunderbare, gnädige Führung und das königliche Gelöbnis „Wohlfahrt und Sicherheit seines Volkes zu heben und zu fördern, so weit noch Zeit zum Wirken beschieden sein würde."
Da brach das Jahr 1888 düster und verhängnisvoll herein. Schon hatte das Jahr 1887 Unheil kündende Boten voraus gesandt.
Als Kaiser Wilhelm am 27. November 1887 den Vorstand des Reichtages empfing, hatte er einem Schmerzgefühl banger Sorge Ausdruck gegeben. Kronprinz Friedrich Wilhelm war an schwerem Leiden erkrankt und weilte fern von der Heimat in S. Remo. Und während
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die Bangigkeit um den fernen Sohn zu heißer Sehnsucht heranwuchs, entschlief plötzlich und unerwartet der kaiserliche Enkel, Prinz Ludwig von Baden. Dazu lauteten die Nachrichten aus S. Remo immer trüber. Unter solchem doppelten Weh sanken die Kräfte des kaiserlichen Herrn in erschreckender Geschwindigkeit. Am 3. März hatte ihn der Anfall eines alten Nierenleidens auf das Krankenlager geworfen. Wenige Tage, und die Trauerkunde durcheilte, erst verfrüht, dann um so schrecklicher gewiß, die Straßen der Residenz, erfüllte aller Herzen mit unendlichem Weh, durchflog mit Blitzesschnelle die Welt: „Kaiser Wilhelm ist tot!"
Freitag, den 9. März 1888, morgens halb neun Uhr, war Deutschlands großer Kaiser, Wilhelm I., entschlafen. Am Tage vor seiner königlichen Mutter Geburtstag war er heimgegangen. Noch hatte er in den letzten Lebensstunden mit tiefer Ergriffenheit und zustimmenden Worten den Trostgebeten des Oberhofpredigers D. Kögel gelauscht, dann aber nach dem Prinzen Wilhelm und dem Feldmarschall von Moltke gefragt und mit ihnen über die Armee, über mögliche Kriege und „unsre Bündnisse" gesprochen. Auf die liebreiche Mahnung seiner fürstlichen Tochter, der Großherzogin von Baden, sich nicht allzu sehr anzustrengen, hatte er geantwortet: „Ich habe jetzt keine Zeit
müde zu sein!" Er hatte damit ein Zeugnis der Pflichttreue seines ganzen Lebens ausgesprochen.
„Ich harre des Herrn, meine Seele harret, und ich hoffe auf sein Wort" hatte soeben der Prediger getröstet, als die Großherzogin fragte: „Papa hast Du es verstanden?" Auf die bejahende Antwort: „Ja, es war schön!" fragte sie noch: „Weißt Du, daß Mama an Deinem Bette sitzt und Deine Hand hält?" Daraus blickte der Sterbensmüde noch einmal empor und sah die Kaiserin lange und klar an, bis ihm die Augen zufielen. Er sank zurück und hatte aufgehört zu atmen. Sein letzter Blick gehörte der treuen Lebensgefährtin.
Von allen Kirchen des deutschen Reiches kündeten die Glocken den Heimgang Kaiser Wilhelms, als Fürst Bismark am 9. März, 12 Uhr 25 Minuten dem versammelten Reichstage amtlich verkündete, daß, nachdem Kaiser Wilhelm zu feinen Vätern entschlafen, die preußische Krone und damit auch die deutsche Kaiserwürde aus Seine Majestät, Friedrich III., übergegangen sei.
Vor dem Kanzler lag ein Bogen mit der letzten Unterschrift
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Kaiser Wilhelms, ^die er sterbend mit zitternder Hand geschrieben hatte^ um damit die Ermächtigung zum Schlüsse des Reichstags zu unterzeichnen. Mit bebender Stimme uud mehrmals innehaltend, um nicht in lautes Schluchzen auszubrechen, hatte der eiserne Kanzler gesagt, daß es ihm nicht zustehe, seine persönlichen Empfindungen an dieser Stelle auszusprechen, mit denen ihn das Hinscheiden seines Herrn erfülle, des „ersten deutschen Kaisers aus unsrer Mitte." Dazu sei ja auch kein Bedürfnis; denn das Gefühl, das ihn beseele, sei zu lebendig, im Herzen jedes Deutschen.
Aber zwei Thatsachen dürfe er dem deutschen Reichstage nicht vorenthalten, die den Heimgegangenen Herrn auch noch in der letzten Lebensstunde beglückten. Das eine war: die trostvolle Teilnahme für die Leiden des einzigen Sohnes und Nachfolgers, welche aus allen Weltteilen fund wurde, bot dem sterbenden Kaiser die Bürgschaft, daß die Dynastie des Kaiserhauses sich Vertrauen unter allen Nationen erworben habe. „Das Vertrauen, das die Dynastie erworben hat, wird sich auf die Nation übertragen trotz allem, was dagegen versucht wird." Die zweite Thatsache, welche dem Kaiser trostvoll war, bestand darin, daß er auf die Entwicklung seiner Hauptlebensaufgabe, die Herstellung und Befestigung der Nationalität des. Volkes, dem er als deutscher Fürst angehörte, mit dankbarer Befriedigung zurückblicken konnte. Es hatte dazu in den letzten Wochen der einmütige Beschluß aller Dynastien Deutschlands, aller ihrer Vertreter im Reichstage beigetragen, das zu bewilligen, was zur Sicherstellung für Deutschlands Zukunft notwendig war (es war die Militärvorlage).
„Diese Wahrnehmung hat Seine Majestät mit großem Trost erfüllt, und noch in der letzten Beziehung, die ich zu meinem dahingeschiedenen Herrn gehabt habe — es ivcir gestern — hat er darauf Bezug genommen, wie ihn dieser Beweis der Einheit der gesamten deutschen Nation, wie es-durch die Volksvertretung hier verkündet worden ist, gestärkt und erfreut hat. Ich glaube, meine Herren, es wird für Sie alle erwünscht sein, dieses Zeugnis, das ich aus eigner Wahrnehmung für bie letzten Stimmungen unsers dahin geschiedenen Herrn ablegen kann, mit in Ihre Heimat zu nehmen, weil jeder Einzelne von Ihnen einen Anteil andern Verdienste hat, welches dem zu Grunde liegt. Die Helden--
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mutige Tapferkeit, das nationale Hochgespann te Ehrgefühl und vor allen Dingen die treue arbeitsame Pflichterfüllung im Dienste des Vaterlandes und die Liebe zum Vaterlande, die in unserm dahingeschiedenen Herrn verkörpert waren, mögen sie ein unzerstörbares Erbteil unsrer Nation sein, welches der aus unsrer Mitte geschiedene Kaiser uns hinterlassen hat! . . .
„Des Dienstes ewig gleichgestellte Uhr hält uns im Geleise!" Mit diesen Worten hatte sich Bismarck von Moltke, seinem großen Gefährten großer Zeiten, verabschiedet.
Nicht nur ein deutsches Volk trauerte um ein großes Menschenleben, das dahin gegangen war. Eine Völkertrauer, eine Völkerandacht war es, die wogengleich fortrollte über Land und Meer, und es ziemt nicht, diesen Schmerz einer Welt um Deutschlands herrlichen Kaiser schildern zu wollen. Ein großer Akt der Weltgeschichte war in und mit diesem Leben beschlossen, ein Vermächtnis für Deutschlands Kinder und Kindeskinder war darin gegeben worden.
Der totkranke Königssohn, nun Kaiser Friedrich, eilte in die Heimat, seiner Pflicht als Kaiser zu genügen. Spät abends fährt die kaiserliche Mutter aus dem Witwenhause hinaus nach dem Charlottenburger Schloß, wo ihr der Sohn stumm, aber bitterlich weinend in die Arme sinkt.
Neunundneunzig Tnge voller Bangen, ohne Hoffen, dann ist der kaiserliche Dulder erlöst, und Kaiser Friedrich hält wieder, wie einst nach glücklicher Heimkehr aus dem Kriege, den Siegeskranz in der Hand, den ihm die Gattin gewunden. Das sieghafte Schwert ruht ihm zur Seite.
„Lerne leiden ohne zu klagen!" Das Wort Kaiser Friedrichs zu seinem Sohne ist die größte Errungenschaft dieses Martyriums eines Kaisers, der nach seines königlichen Vaters Wort „körperlich und geistig die besten Bürgschaften für die Zukunft des Reiches zu bieten schien. . . ."
Am 15. Juni 1888 war Kaiser Friedrich HI. im Neuen Palais zu Potsdam an derselben Stätte heimgegangen, wo er das Licht der Welt erblickt hatte.
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Ihm folgte in der Regierung sein ältester Sohn, König Wilhelm II., deutscher Kaiser, hoch würdig seiner edeln Vorfahren.
Die Gegenwart ist zukünftige Geschichte. Die Mitlebenden lauschen auf den Klang ihrer Schritte. Möchten sie kommenden Jahrhunderten wiederklingen gleich dem herrlichen Zeitalter Kaiser Wilhelms des Siegreichen, Kaiser Wilhelms des Großen!
Gott segne unser teures deutsches Vaterland!
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DAS DEUTSCHE REICH
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