- 108 — Diesmal erschien Rüdiger von Bechlarn. Etzel hatte ihn an seine Mannentreue gemahnt, und sie hatte über die Liebe zu den Verwandten gesiegt. Er rang mit Gernot einen Verzweiflungskampf und beide fielen in demselben. Als Volker den Tod Rüdiger's den draußen harrenden Helden meldete, da strömten die Gothen und zuletzt auch der König Dietrich in beit Saal. Günther und Hagen waren nur allein übrig geblieben, und Hagen war schwer verwundet. Da gelang es Dietrich, beide Helben zu fesseln unb in Kriem- hilbs sichere Obhut zu geben. Da war Niemanb froher als Kriemhilb. Sie ließ bie beibeii Gefangenen einzeln fest ver¬ wahren, unb obgleich Dietrich von Bern gar herzlich für bie» selben bat, war sie boch fest entschlossen, sie zu töten. Sie begab sich zu Hagen in das Verließ und redete ihn an: „Wollt ihr mir den Nibelungenhort wiedergeben, ben ihr mir geraubt habt, so will ich euch frei wieber heimkehren lassen." Hagen aber erwiberte ingrimmig: „Eure Rebe ist umsonst. Ich habe bamals, als ber Schatz in den Rhein versenkt wurde, einen Eid geschworen, ihn niemandem zu zeigen, so lange mein König lebt. Niemanb soll ihn em¬ pfangen." Da schickte Kriemhilb in bas Gefängnis ihres Brnbers Günther unb ließ ihm bas Haupt abschlagen. „So," sprach sie bann, als sie Hagen biese ihre blutige That mit¬ teilte unb ihm das Haupt ihres Bruders zeigte, „jetzt habe ich ein Ende gemacht; deine Herren sind alle tot, jetzt sage, mir, wo du ben Nibelungenhort hast." „Wohl hast bit ein Enbe gemacht," antwortete Hagen, „meine lieben Herren, ber eble König Günther unb auch Gernot unb Giselher, seine Brüber, liegen erschlagen. Nun weiß niemanb von dem Hort als Gott und ich. Du aber bist eine wahre Teuseliu und nimmer sollst du etwas von ihm erfahren." Da ward Kriemhilb über alle Maßen zornig und rief wilb aus: „Soll ich beim Siegfrieb's Schatz nicht haben, so habe ich