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Schüler-Bücherei
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Ein Lehr- und Lesebuch
für
Schule und Haus.
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Dr. $ H. Alvers,
Oberlehrer an der Necüschnle zu Metz.
Zweite, vermehrte und verbesserte Auflage.
FeiMg,
R. Voigtländer's Verlag.
Vorwort zur ersten Austage.
Über die biographische Form des ersten Geschichtsunterrichtes sind alle SchuÜnäuuer längst derselben Meinung; weniger ist dies der Fall inbezng auf den zu behandelnden (Stoss. Während die Volksschule vorzugsweise die Helden des hebräischen Altertums ihren Schülern als Charakterspiegel vorhält, führt der Geschichtslehrer an höheren Lehranstalten die seimgen fast ausschließlich nach Hellas und Rom in die klassische Götter- und Heldenwelt. Erst zu Anfang unseres Decenninms ist unter den Vertretern beider Schnlgattungen die Frage aufgetaucht und lebhaft erörtert worden, ob nicht auch die Vorzeit unseres deutschen Volkes neben der der Griechen und Römer in diesem Unterrichte eine hervorragende Stelle einnehmen solle. Die Pädagogische Gesellschaft zu Leipzig schrieb 1873 sogar einen Preis ans für die beste Anweisung diesen Sagenstoff in der Volksschule zu verwerten, und auch für die höheren Lehranstalten wird von den verschiedensten Seiten für die deutsche Sage mindestens dieselbe Berechtigung gefordert, die der klassischen schon von Alters her zugestanden ist. Hier in den Reichslanden wurde diese Frage für die höheren Lehranstalten bereits bei Einrichtung des deutschen Schulwesens entschieden, indem der Lehrplan
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derselben anordnete, den Sextaner in die griechisch-römische, den Quintaner aber in die deutsche Götter- und Heldensage einzuführen. Der Verfasser hatte damals den letzteren Gegenstand zu behandeln, und so zahlreich auch die wissenschaftlichen und populären Mythologien und Heldenbücher sind, und so viele Handbücher es auch für den propädeutischen Geschichtsunterricht giebt, so fand derselbe doch keines, das er diesem Unterrichte zugrunde legen mochte. Es wurde daher der Stoff für die einzelnen Unterrichtsstunden jedesmal zu einem möglichst abgerundeten Ganzen zusammengestellt, und ans diesen (später etwas erweiterten) Präparationen sind die gegenwärtigen „Lebensbilder" hervorgegangen. Sie verfolgen, luxe dies auch der Nebeutitel sagt, einen doppelten Zweck. Zunächst wollen sie jungen Lehrern, die diesen Gegenstand meistens zu behandeln haben, die Auswahl des außerordentlich reichhaltigen Stoffes etwas erleichtern. — Bei der eigenen Auswahl ist hauptsächlich nach folgenden beiden Grundsätzen verfahren worden:
1. Die nordische Mythologie ist in beschränkter Weist heranzuziehen, da einmal ohne dieselbe die eigentliche deutsche Götterlehre zu dürftig und auch viel zu abstrakt ist, um dem Schüler ein dauerndes Juteresse einzuflößen und für seine intellektuelle Bildung vou Bedeutung zu werden, und dann, weil irgendwelche Gefahr für die religiöse und sittliche Bildung des Schülers durch dieselbe durchaus nicht zu befürchten ist.
2. Da die Bekanntmachung unserer Jugend mit der deutschen Heldensage hauptsächlich den Zweck hat, sie für die Repräsentanten derselben zu begeistern und echt deutsche Gesinnung in derselben zu erwecken, so muß aus den zu behandelnden Sagen der deutsche Geist möglichst rein und unverfälscht, d, H. «»vermischt mit fremden Elementen, hervorleuchten.
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Aus diesem Grunde sind alle diejenigen Dichtungen unseres Mittelalters hier ausgeschlossen, in denen sich britischer, französischer vder gar römisch-kirchlicher Einfluß geltend macht.
Die „Lebensbilder" wollen ferner aber auch ein Lesebuch fein. Dies soll nicht gerade heißen, ein Lesebuch sür diejenigen Schüler, die gerade in diesem Gegenstände unterrichtet werden, denn ihnen wird das lebendige Wort des Lehrers diese Bilder viel deutlicher vor die Seele stellen, als es der tote Buchstabe je vermag. Sie wollen vielmehr hauptsächlich ein Lesebuch sein für die vielen Schüler, die dieses Unterrichtes noch entbehren. Es wird noch eine geraume Zeit darüber vergehen, ehe man in allen Unterklassen der höheren und in allen Oberklassen der niederen Schulen die Zeit dazu findet, unsere deutsche Götter- und Heldensage zu behandeln. Bis dahin muß die häusliche Lektüre wenigstens etwas aushelfen. Trotz des außerordentlich zahlreichen Lesestoffes in dieser Richtung hat der Verfasser doch geglaubt, es fehle ait einem billigen Büchlein, das in einfacher Form unb lebendiger, das Lehrerwort wenigstens notdürftig ersetzender Schilderung das allerwichtigste aus unserer deutschen Sagenwelt darbiete.
Beide Zwecke scheinen recht wohl mit einander vereinbar zn sein, und wem etwa bie Darstellung in einzelnen Abschnitten zugunsten bieses letzteren Zweckes zu ausführlich erscheint, bent ist es ja unbenommen, sie zu kürzen. Im Stil hat sich ber Verfasser möglichst selbständig zn halten gesucht, und eilte kindliche, aber von ermüdender Weitschweifigkeit freie Sprache, wie sie zum lebendigen und belebenden Vortrag geeignet erschien, ist Hauptsache gewesen. Daß die Ausführung in dieser Hinsicht oft hinter dem Willen zurückgeblieben, ist dein Verfasser nur zu gut bekannt. Daß ferner auch hier und da ein alter Bekannter ein wenig hat herhalten müssen, wird niemand Wunder nehmen; vom Guten
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der Alten das beste nehmen, um es der Jugend wieder zu geben, ist ja das schöne Vorrecht des Lehrers, das mich der Verfasser eines Lesebuches mit ihm teilen darf.
W a s s e l n h e i m i/E., Ostern 1878.
Der Verfasser.
Vorwort zur zweiten Auflage.
Durch die neuen Schulregulative für das höhere Schulwesen in Elsaß-Lothringen hat der Unterricht in der Götterund Heldensage, wie der geschichtliche Unterricht in den unteren Klassen überhaupt, eine wesentliche Beschränkung erfahren, und es wird unmöglich fein in der knrz bemessenen Zeit das hier Gebotene zu bewältigen. Nichtsdestoweniger hat der Inhalt des Buches eine Vermehrung und nicht eine Verminderung erfahre», und wer daher dasselbe auch fernerhin beim Unterrichte in Quinta zugrunde legen will, muß noch mehr als früher eine passende Auswahl treffen.
Die Vermehrung verdankt das Buch besonders der günstigen Aufnahme als Jugendlektüre. Es ist sowohl vou der Frankfurter als auch der Schweizer Jugeudschrifteu-Komiuissiou angelegentlichst empfohlen worden. Die bei dieser Gelegenheit geäußerten Wünsche nach Erweiterungen haben volle Berücksichtigung gefunden, und, wie zn hoffeit ist, ohne daß dadurch das Buch für bett Schulgcbranch an Wert verloren hat. Mit Rücksicht auf beit letzteren ist mich überall die neue Orthographie angewenbet worben.
Metz, August 1887.
Dr. I. H. Albcrs.
Inhaltsverzeichnis.
I. Göttersagen.
©eile.
Einleitung................................................................. 1
1. Wie Allvater die Welt fchnf......................................... 3
2. Odin der Herrscher in Afenheim .................................... 7
3. Frigga oder Freya, die Himmelskönigin.............................. 15
4. Thor, der Donnerer................................................. 18
5. Thor's Heldenthaten................................................ 20
6. Loki und seine Kinder.............................................. 28
7. Baldur, der Gute................................................... 31
8. Wie Loki bestraft wird ........................................... 36
9. Götterdämmerung oder das Weltende.................................. 38
10. Erd-, Lnft- und Wassergottheiten................................... 41
11. Tyr, Tuis und Tnisko ............................................. 45
12. Nerthus, die Erdgöttin............................................. 48
13. Holda und Bertha................................................... 50
14. Die vier alten Jahresfeste......................................... 54
II. Heldensagen.
Walter von Aquitanien.
1. Wie Walter und Hildegund entfliehen............................. 60
2. Der Kampf mit König Gunther’s Mannen............................ 65
3. Der Kampf mit Hagen...................................... . . 68
Die Ni b ehingen.
1. Wie Siegfried den Drachen schlägt............................... 73
2. Wie Siegfried bie Zwerge bezwingt............................... 77
VIII.
3. Brunhild, die Walküre............................................ 79
4. Siegfried am Hofe König Gunther's................................ 82
5. König Gnnther's Brautwerbung und die Doppelhochzeit 85
fi. Siegfrieds nud Kricmhild'S Besuch.......................... 89
7. Hagen und sein Anschlag..................................... 92
8. Die Heimholnng und Versenkung des Nibelungenschatzes 97
9. König Etzel's Brautwerbung.................................. 100
10. Kriemhild's Rache............................................... 103
Gudru ii.
1. Wie Gndrun geraubt wird......................................... 110
2. Wie Gudrun befreit wird....................................... 114
Dietrich von Bern.
1. Dietrich's Jugend............................................... 119
2. Dietrich wird König uud sucht Abenteuer......................... 125
3. Dietrich's Befreiung und Heimkehr............................... 130
4. Dietrich's Kampf mit Ecke....................................... 133
5. Dietrich flieht nach Ungarland.................................. 138
Die Rolandssage.
1. Jnng Roland's Kampf mit dem Riesen.............................. 143
2. Der Zug gegen die Heiden........................................ 148
3. Genelun's Verrat und Roland's Tod............................... 152
I. Göttersage».
Einleitung.
Gleich allen anderen Bewohnern Europa's sind auch unsere Vorfahren aus dem Innern Asiens — der Wiege des Menschengeschlechtes — herübergekommen. Es muß ein gar großes und gewaltiges Volk gewesen sein, das seine Wohnsitze in der Mitte, in dem eigentlichen Herzen unseres Erdteiles nahm. Diese Wohnsitze gingen int Norden und Westen sogar noch weit über die Grenze des jetzigen Deutschlands hinaus. Die Halbinsel Jütland, der größte Teil Skandinaviens, sowie auch die Inseln der Ostsee waren in uralten Zeiten von deutschen Völkerschaften bewohnt. Im Westen erstreckten sie sich bis über die Vogesen und über die Maas bis an die Nordsee hinaus, wahrend im Osten später sogar einige Stämme bis an den Dnjepr und Dnjestr vordrangen. Alle Völkerschaften, die diesen großen Raum bewohnten, waren ursprünglich ein Volk. Wenn die Sprachen, die sie redeten, auch je nach der Gegend von einander abwichen, so hatten sie doch alle eine gemeinsame Muttersprache, beinahe einerlei Sitten uud Gebräuche, und ganz besonders hatten sie dieselben religiösen Vorstellungen. Erst später entstanden aus diesem einen großen Volke mehrere kleinere mit verschiedenen Sprachen und abweichenden Sitten. Der Hauptstamni
Albers, Lebensbilder. i
aber, der in der Mitte des großen Gebietes wohnte und sich nach einem alten Nationalgott Tuisko benannt haben soll, blieb bei weitem der mächtigste. Dies waren unsere Vorfahren im engeren Sinne, die alten Deutschen, d. H. Nachkommen des Gottes Tnisko; die Römer aber nannten sie Germanen, d.h. Speermänner. Im Norden, aus der Halbinsel Skandinavien, auf Jütland und den Inseln der Ostsee, die nicht allzu fern von der Küste jener Halbinseln liegen, zweigte sich schon sehr frühe ein Bruderstamm der alten Deutschen von dem gemeinsamen Urvolke ab. Dies waren die G n u t e n, von denen die Goten , die S w i o n e n, von denen die Schweden, und die Noreg er, von denen die Norweger und Dünen abstammen. Das Land war gar öde und kalt, besonders im Norden, wo fast ein ewiger Winter herrscht, und Schnee und Eis selten schmilzt. Den Goten gefiel es daher in dem rauhen Lande gar nicht, und sie fingen an auszuwandern. Wie ein großer Bienenschwarm zogen sie über die Ostsee weiter nach Süden, wo es wärmer wurde und suchten sich dort eilte neue Heimat. Die zurückbleibenden nordischen Brüder wurden später mit dem gemeinsamen Namen Nordmänner bezeichnet, und der Stamm kurzweg der nordische Stamm genannt. Diese Nordmänner behielten am längsten und am reinsten die ursprünglichen (Sitten und Gebräuche und auch ihren alten heidnischen Glauben bei. Als alle südlicher wohnenden germanischen Bruderstämme schon längst das Christentum angenommen und den alten Glauben beinahe ganz vergessen hatten, da gingen die nordischen Sänger, Skalden genannt, noch von Burg zu Burg und sangen bei den Gastmählern der Großen herrliche Lieder von den mächtigen Göttern ihrer Heimat. Von diesen Göttern, die auch von unseren Vorfahren, den Urbewohnern des jetzigen Deutschlands, verehrt wurden, soll hier die Rede sein.
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Die Sagen und Lieder von diesen Göttern sind auf -er fernen Insel Island, wo sich die Erinnerung an dieselben am längsten erhielt, zuerst aufgezeichnet worden. Es giebt noch heute zwei Bücher, in denen sie verzeichnet sind: die ältere und bie jüngere Edda. Das Wort Edda bedeutet Großmutter, und die Verfasser, die ihren Aufzeichnungen diesen Namen gaben, haben wohl damit sagen wollen, daß dieselben zu dem Volke reden sollten, wie die Großmutter zu ihren Enkelkindern, wenn sie ihnen an den langen Winterabenden schöne Geschichten und Märchen aus längst verflossenen Tagen erzählt.
1. Wie Ässvaler die Well schuf.
Dem höchsten aller ihrer Götter halten unsere Vorfahren den schönen Namen Allvater (Alfadur) gegeben. Er war ohne Ursprung und ohne Ende: ihm war alles Unterthan, denn er war der Schöpfer des ganzen Weltalls. Alles was da ist, was da lebet und nicht lebet, war durch ihn ins Dasein gerufen. Ewig und unwandelbar, schwebte er vor der Erschaffung der Welt über einem unermeßlichen, leeren Raum, den man sich als einen schrecklichen Abgrund vorstellte, und Ginnngagap nannte. Dieser Name bedeutet so viel wie unendliches Nichts. In diesem Nichts gab es weder Sicht noch Dunkel; da war kein oben und unten, aber doch waren die Keime der ganzen Schöpfung schon darin enthalten. Die Sonne, der Mond, die unzähligen Sterne, die Erde mit ihrem Wasser, die Lust, das Feuer, und sogar das Sicht und die Finsterniß lagen als verborgene Keime wüst und wild durcheinander in deut ungeheuren Abgrund. Da warf Allvater einen Blick auf den Abgrund, und dieser spaltete sich mit entsetzlichem Krachen in zwei Teile,
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einen südlichen unb einen nördlichen. Der fitbliche Teil war voller Licht unb Glanz, er würbe beshalb Muspelheim, b. H. Reich be§ Lichtes genannt. Der nörbliche Teil aber war iibe unb finster, unb ein bichter, kalter Nebel lag datü-6er ausgebreitet; Niflheim, b. H. Reich bes Nebels ober bet Finsternis, wurde sein Name. Zwischen biesen Beiben Reichen in ber Mitte blieb noch ein Raum, ber mit einem Enbe an Muspelheim stieß unb von bort einiges Sicht empfing, mit bent anberen Enbe aber bis an Niflheim reichte unb bort fast ebenso finster unb kalt wie dieses war. Da ließ Allvater aus Muspelheim feurige Funken in diesen mittleren Raum fallen, unb dieselben schmolzen ben Schnee, bas Eis unb ben Reif, womit ber Raum zum großen Teile angefüllt war. Die geschmolzenen Tropfen wurden lebendig, unb ans ihnen entstaub ein großer Riefe, 2)mir ober Ö r g e l m i r genannt. Aus anberen Tropfen tiilbete sich bann eine große Kuh, von bereu Milch ber Riese sich nährte. Anbere Funken, bie aus Muspelheim herüberflogen, fetzten sich zu großen unb kleinen Lichtern zusammen, bie fortan Tag unb Nacht regieren mußten. Das waren bie Sonne, ber Mond und die unzähligen Sterne. Die Kuh des Riefen Ymir beleckte nun die Eisblöcke, und aus denselben kamen erst einige Meufchcnhaare, dann ein ganzes Haupt und endlich am dritten Abenb eine ganze Menschengestalt hervor. Das war bei- starke unb mächtige Gott Buri. Von ihm stammen alle übrigen Götter ab. Der Riese Ymir aber warb bet Stammvater eines großen Riesengeschlechtes. Götter und Riesen lebten nun eine lange Zeit mit einander in steter Feindschaft, am meisten gehaßt aber war bet Urriefe 3)mir selbst. Enblich warb et übertounben unb getötet. Der Sohn bes mächtigen Buri hatte sich mit einer Riesentochter vermählt unb bekam von ihr brei Söhne. Das waren bie brei gewaltigen Götter Dbin, Wile unb We. Odin aber war
bet gewaltigste. Die brei Brüber kämpften mit Irnir unb besiegten ihn enblich, nachdem sie ihm viele Wniiben beigebracht hatten. Aus diesen Wunden floß soviel Blut, baß bas ganze Riesengeschlecht barin ertrank. Nur ein einziger Riese, ber Alte v o m Berge (Bergelmir) rettete sich mit seinem Weibe mittelst eines Bootes, bas in dem Blute ganz gut schwimmen konnte. Von ihm stammen alle späteren Riesen ad, unb bie würben bem Ob in unb seinen Nachkommen erst recht feinb, so baß die Götter später noch gar viel mit den bösen Riesen zu kämpfen hatten. Die brei Götter nahmen nun bett unförmlichen Leichnam bes 9)mir unb machten daraus die Erde. Das Blut gab das Wasser, und das Fleisch das Land. Aus den großen Knochen machten sie die Gebirge, unb aus ben Zähnen unb ben kleinen zerbrochenen Knochen wurden die Steine. Dann nahmen sie seinen ungeheuren Schädel und befestigten ihn über der Erde, unb das war fortan der Himmel. Zuletzt nahmen sie fein Gehirn und warfen es in die Höhe, da wurden lauter große unb kleine, weiße uub blaue Wolken baraus. Die vielen kleinen Würmer unb Maben, bie in bem Fleische Umir's, aus bem bie Erbe gemacht war, lebten, würben in lauter kleine Zwerge verwandelt. Sie bekamen menschliche Gestalt unb menschlichen Verstand, mußten aber immer in ber Erde leben. Ihre Klugheit und Geschicklichkeit, besonbers in ber Bearbeitung ber Metalle, bie sie in ber Erbe fanden, war so groß, daß selbst die Götter später oft Hülfe bei ihnen suchten. Vier von diesen Zwergen setzte Obin als Wächter an bie vier Enben der Welt, bamit sie ben Himmel trügen. Nach ihnen wurden später bie vier Himmelsgegenben, Osten, Westen, Süden unb Norden benannt. Nun erbauten sich die Götter eine prächtige Burg, gerabe mitten über ber Erbe an bem höchsten Punkte bes Himmels. Diese Burg wurde fortan ihre Wohnung, uub sie hießen sie Asenheim, d.h. Reich bet Äsen,
b?tm sie nannten sich selbst Äsen. Mit Hülfe der flinken Zwerge erbauten die Äsen nun eine wunderschöne Brücke, die den Himmel mit der Erde verband und in herrlichen Farben über die ganze Welt strahlte. In der Mitte hatte diese Brücke einen breiten roten Streifen, der war eitel Feuer, und niemand als nur die Götter, deren Füße die Glut des Feuers nicht zu scheuen brauchten, konnte über diese Brücke gehen. Ein ungebetener Gast war aber doch hinübergekommen, das war der schlaue Riese Loki, dem das Feuer Unterthan war. Nach einem Gesetze Allvaters mußten die Götter ihn fortan in Asenheim dulden und durften ihn nicht fortjagen. Damit sich aber nicht etwa noch mehr Riesen in Asenheim erschleichen, möchten, ward der Gott He im dal als Wächter an die Brücke gestellt. Die Äsen nannten diese wunderbare Brücke 33 i f t ö st oder Asenbrücke, bei den Menschen aber hieß sie
nachher der Regenbogen.
Mit der Erschaffung der Menschen aber ging es so zur Als alles auf der Erde zum Empfange der Bewohner bereitet war, d. H. als Gras und Kraut und allerlei Gewächse ausgegangen waren, da schufen die Götter ihnen selbst ähnliche Wesen. Aus Bäumen wurden sie gemacht, aus einer Esche der Mann, und aus einer Erle das Weib. Odin hauchte ihnen das Leben ein und gab ihnen die Seele, unu auch die anderen Götter teilten ihnen von ihren Gaben mit. Den Mann nannten sie nun Ass, d. H. Esche, und da» Weib Embla, d. i. Erle. Ask und Embla wurden die Ur< eitern des ganzen Menschengeschlechtes. Mitten auf der Erde errichteten die Götter jetzt eine schöne, herrliche Burg unb bestimmten sie den ersten Menschen zur Wohnung. Die Burg wurde Middilgard , d. H. der Hos in der Mitte, genannt. Die bösen Riesen aber, die den Göttern so seind waren, suchten die Menschen, die von nun an die Lieblinge der Götter wurden, zu töten und bedrohten Middilgard. Um
die Menschen und ihre Nachkommen vor diesen mächtigen Feinden zu schützen, wies Allvater die Riesen in ein fernes, großes Gebirgsland, welches jenseits des großen Weltmeeres lag, den Menschen aber erlaubte er, den ganzen Teil der Erde bis an das Meer zu bewohnen. Dieser Teil hieß von jetzt ab Mannheim, d.i. Reich der Menschen, der Wohn-platz der Riesen aber ward Jöthunheim genannt, denn in jener Zeit hießen die Riesen I ö t h u n e.
So lebten nun die Götter in Asenheim, die Menschen in Mannheim und die bösen Riesen in Jöthunheim. Mannheim und Jöthunheim, das Land der Menschen und das der Riesen, waren aber durch ein großes Meer, das die ganze Erdscheibe umfloß, getrennt. Auf dem Grunde dieses Meeres lag eine große Schlange. Sie hatte sich rund um die Erde gewickelt und biß sich in den Schwanz, damit sie alles feste Land zusammenhielt, wie der Reifen das Faß, und wenn sie einmal loslassen würde, so glaubte man, müßte der Erdball auseinanderfallen. Dies Ungeheuer hieß die Midgards-schlange; von ihr wird noch später die Rede sein. In Asenheim war Odin der mächtige, aber auch milde und gütige Herrscher. Er kam oft nach Mannheim herab und mit ihm die übrigen Götter, um mit den Menschen zu verkehren. In Jöthunheim aber herrschte ein Ungeheuer von Riese, der größer und stärker war, als alle anderen Riefen. Ut gar dl oft war der Name dieses Riesenkönigs, und von seiner Bosheit werden wir auch noch hören.
2. ©bin, der Herrscher in Asenheim.
Wir wissen schon, daß Odin der Sohn Buri's war, und daß er zwei Brüder, Wile und We, hatte. Von den beiden letzten weiß die Sage uns nichts weiter zu berichten, desto mehr aber von dem Erstgeborenen, von Odin. Er war
der mächtigste und herrlichste Gott in Asenheim und be-
herrschte gleichsam als Stellvertreter des ewigen Weltschöpfers Allvater die ganze Welt. Darnm ward ihm auch oft selbst dieser Name gegeben. Die germanischen Volksstämme, die weiter südwärts jenseit der Ostsee wohnten und eine andere Sprache redeten, nannten ihn Wodan oder Wuotan. Er hatte von allen Göttern den prächtigsten Palast in ganz Asenheim. Dieser Palast überragte alle anderen Götterburgen weit und strahlte in goldenem und silbernem Glanze über Walhalla, so nannte man auch den Ort, wo die Paläste der Götter standen, ja, beinahe noch in das Land der Menschen, Mannheim, hinein. Wenn die Götter sich versammelten, um das Heil der Menschen zu beraten oder Gericht zu
halten, dann saß Odin auf einem prächtigen Thron, höher denn alle, und seine Gemahlin Frigga oder Freya saß an seiner Seite, aber ein klein wenig niedriger als er selbst, denn auch sie war ihm Unterthan. Auf seinen Schultern
saßen dann zwei Raben, die hießen Hughiu und Munin, d. H. Denkkraft und Erinnerung. Diese beiden Raben ließ er jeden Tag in die Welt hinausfliegen, und wenn sie auf seinen Schultern saßen, so sagten sie ihm leise alles ins Ohr, was sie gehört und gesehen hatten. Darum war auch Odin der allerweiseste im Rate der Götter. Aber er hatte diese Weisheit teuer bezahlen müssen. Sie hatte ihm ein Auge gekostet, wie wir später sehen werden. Dieser Götterrat fand jeden Tag unter einem großen Baume statt; Yggdrasil oder die Lebensesche wird er genannt. Das war ein gar sonderbarer Baum. Kein anderer Baum war so groß und so alt wie er. Seine Zweige reichten bis in den Himmel hinein, und von seinen drei großen und starken Wurzeln stand die eine im Lande der Menschen, die andere im Lande der Riesen, und die dritte reichte sogar über den großen Abgrund hinaus und stand über Niflheim. An der Wurzel, die sich
zum Lande der Menschen erstreckte, war ein Brunnen, der U r d s b r u n n e n genannt. An diesem Brunnen war das eine Ende ker Brücke Bifröst, die Himmel und Erde verband. Hier versammelten sich die Götter, um Gericht zu halten oder das Glück der Menschen zu beraten. Die Lebensesche war so alt wie die Welt und konnte auch nicht eher untergehen als diese, denn drei Göttinnen, die Norneu hießen sie, hatten von Allvater den Befehl erhalten, jeden Morgen aus dem Urdsbrunneu frisches Wasser über die Zweige zu gießen. So lange dies geschah, konnte der Baum nicht verdorren. Das abspritzende Wasser, das jeden Morgen dabei auf die Erde fiel, nannten die Menschen Tan. Odin konnte von seinem Throne in Walhalla wohl die ganze Welt übersehen, aber dennoch ritt er häufig bis an die Enden des Himmels und der Erde, ja, sogar zuweilen nach dem Riesenlande. Dazu hatte er ein achtbeiniges, granes Roß, das war so schnell wie der Wind und konnte nicht nur ans der Erde, sondern auch auf dem Wasser und sogar in der Luft laufen, und müde wurde es nie. Der Name dieses Tieres war Sleipnir. Auch zwei sehr wichtige Kleinode besaß Odin, einen Speer und einen Goldring. Beide waren von klugen Zwergen kunstvoll gefertigt und hatten ganz besondere Eigenschaften. Der Speer verfehlte nie sein Ziel, nach dem er geworfen wurde, so klein und so weit dieses auch sein mochte, und er kehrte stets von selbst in die Hand des Gottes zurück. Da war es kein Wunder, daß Odin mit Hülfe dieses Speeres, der Gunguir hieß, alle seine Feinde leicht besiegen konnte. Der Goldring aber hatte die Eigenschaft, daß in jeder neunten Nacht acht ebenso schöne und kostbare Ringe von ihm abtröpfelten. Er hieß deßhalb auch Draupuir oder der Tröpfler. Wie der Speer ihn zum mächtigsten Gott machte, so wurde er durch den wunderbaren Ring auch zum reichsten.
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Wenn Odin ausritt, um die bösen Riesen zu bekämpfen, so setzte er meistens einen schönen goldblinkenden Helm aus und zog einen stahlblauen Panzer an. Dreimal ist er im Lande der Riesen gewesen, einmal um an der Quelle der Weisheit alle Dinge zu ergründen, dann um einen Riesenkönig, der ein arger Geizhals war, zu strafen, uud endlich um zu erfahren, ob ein Riefe, dessen Weisheit bei Göttern und Menschen berühmt war, wirklich so weise sei, wie er selbst. Der geizige Riesenkönig hieß G e i r r ö d. Er beraubte alle Wanderer, die in seine Nähe kamen. Odin machte sich nun eines Tages auf den Weg, um ihn auszusuchen. Seine Gemahlin F r i g g a aber war gerade ein wenig böse auf ihren Mann und wollte ihn ein bißchen ärgern. Sie schickte deshalb einen Boten zu Geirröd und ließ ihm sagen: „Wenn
einer zu dir kommt, den deine Hunde nicht anbellen, vor dem nimm dich in acht, denn er ist ein böser Zauberer." Frigga aber wußte wohl, daß vor Odin's flammenden Blicken alle Hunde verstummen würden. Als Odin nun in die Riesenburg trat, hielt ihn Geirröd für den angekündigten Zauberer. Er ergriff ihn und fragte nach Namen und Herkunft und nach seinen Schätzen. Da Odin sich nicht verraten wollte, so ließ der Riese ihn fesseln und zwischen zwei brennende Scheiterhaufen legen, um ihn zum Geständnis zu bringen. Odin hielt dies acht Tage lang aus, denn das Feuer hatte keine Gewalt über ihn. Der achtjährige Sohn des Riesenkönigs hatte endlich Mitleid mit dem Fremdling und reichte ihm das Trinkhorn seines Vaters, damit er sich an einem erquickenden Truuk labe, denn die Hitze war so groß, daß sein Mantel anfing zu brennen. Odin stimmte nun zu dem Trnnke ein Lied an, in welchem die Wohnungen der Götter in Walhalla beschrieben wurden. Da merkte Geirröd, wer sein Gast sei und sprang erschrocken von seinem Sitze aus, dabei glitt er aber aus und fiel in sein Schwert, daß es
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ihm mitten durch den Leib drang, und er starb. Odin aber verschwand jetzt, und der mitleidige Riesenknabe wurde König an seines Vaters Statt.
Daß Odin der weiseste aller Götter war, ist schon gesagt. Er verdankte solch», große Weisheit dem Riesen Mimir. Diesem war von Allvater die Bewachung einer Quelle anvertraut, die den Namen Mimirsbrunnen, d.i. Gedächtnis brunnen, führte. Die Quelle dieses Brunnens war am Fuße derjenigen Wurzel der Lebeusesche, die in Jöthunheim lag. Hier saß der Niese Mimir und trank jeden Morgen von dem Wasser, wodurch er iu den Besitz der höchsten Weisheit gelangte. Ihn suchte einstmals Odin auf miD begehrte einen Trunk aus der berühmten Quelle. Mimir gestattete ihn, aber nur unter der Bedingung, daß Odin ihm eines seiner Augen dafür gebe. Odin's Liebe zur Weisheit war so groß, daß er in diesen Vorschlag willigte. Nachdem er einen kräftigen Trunk aus der Quelle geschöpft und genossen hatte, wurde er mit Weisheit erfüllt, die unerhört war bei Menschen und Göttern. Sein Auge, aber nahm Mimir und benutzte es fortan, um jeden Morgen damit aus der Quelle feinen Trunk zu schöpfen. Die Gelehrten, die die Person Odin's als das ganze Weltall beuten, sagen das verpfändete Auge fei der M o n d, deffen meistens sichelförmiges Horn aus dem Wasser uns entgegenblinkt, das andere Auge aber, das Odin behielt, sei die allschauende Sonne.
Ein zweiter Riefe, der auch für sehr weise galt, hieß Wasthrudni r. Als ein armer Wanderer kehrte Odin bei ihm ein unb sagte, er habe so viel von seiner Klugheit gehört urb sei darum gekommen, sich von der Wahrheit zu überzeugen. Da ward Wafthrudnir zornig und erwiderte: „Hüte dich, du naseweiser Gast, wenn bu nicht selber weiser bist als ich, so wirst du meine Burg nicht lebend verlassen. Komm, laß uns einen Wettkampf in Fragen unb Antworten
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anstellen." Da Odin hiermit zufrieden war, legten sie sich gegenseitig mancherlei Fragen vor über die Erschaffung der Welt und über die Götter. Da erkannte der Riese zuletzt die göttliche Weisheit Odin's nnd bekannte sich für überwunden mit den Worten: „Du wirst immer der Weiseste sein!"
Als der weiseste unter allen Göttern, Riesen und Menschen hatte Odin auch die Schreibkunst und die Dichtkunst erfunden. Die Buchstaben, die man zum Schreiben brauchte, nannte man Runen, nach einem alten nordischen Worte, das so viel bedeutet wie Geheimnis. Und wahrlich ein großes, gewaltiges Geheimnis mochte es die Menschen wohl dünken, wenn sie so zahllose Gedanken zum ersten Male in wenigen Zeichen ausdrücken lernten; und die Kunst mochte ihnen wohl als eine göttliche erscheinen! Nicht minder war dies der Fall mit der Dichtkunst. Odin lehrte sie später einen seiner Söhne B r a g a, und der begabte einige seiner Lieblinge unter den Menschen damit. Die Menschen verehrten von da an den Braga als den Gott der Dichtkunst.
Vor allen Dingen war aber Odin der Gott des Krieges und der Schlachten. Alle Tapferen, die mit Ruhm bedeckt auf dem Schlachtfelde starben, die nahm er durch seine Schlachtenjungfrauen, die Walküre n genannt, zu sich nach Walhalla, wo sie in seinem prächtigen Palast bei ihm wohnten. Hier lebten sie bis ans Ende der Welt mit Odin und den übrigen Göttern zusammen. Am Tage kämpften sie tapfer mit einander und brachten sich klaffende Wunden bei, und abends setzten sie sich in Odin's Halle zum fröhlichen Mahle nieder. Alle Wunden, die sie am Tage erhielten, heilten am Abend sogleich wieder, und die Kämpfe begannen am Morgen von neuem. Sie aßen jeden Abend die besten und saftigsten Stücke von einem Eber und tranken köstlichen Met. Dem Eber wuchsen die Stücke, die sie allabendlich aßen, stets von
neuem wieder, und der Met wurde nie alle. Odin's G^
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inahlin, die goldstrahlende Frigga, und die ritterlichen Walküren, bedienten sie beim Mahle und Braga würzte dasselbe mit seinen Gesängen. Wenn die Seelen der gefallenen Helden in Walhalla anlangten, dann begrüßte er sie mit den Worten: „Trinket den köstlichen Met mit den Göttern und genießet die Vergnügen, die Allvater den Tapferen bestimmt!" Dann kam Braga's Gemahlin, die Jdun, und bot in krystallenen Schalen goldbackige Äpfel dar, von denen dann die Helden mit den Göttern aßen. Diese Äpfel hatten die Eigenschaft, daß sie diejenigen, die sie aßen, stets verjüngten und ihnen immer neuen jugendlichen Mut und frische Kraft verliehen. Nach dem Genuß dieser Äpfel waren alle Wunden, die sie auf dem Schlachtfelde erhalten hatten, geheilt, und gekräftigt uud gestärkt begannen sie nun in Walhalla neue Kämpfe unter einander und mit den Göttern. Diese Kämpfer Walhalla's hießen Einherier,-ihre Zahl wurde alle Tage
größer und darüber freuten sich die Götter sehr, denn wenn
einst die bösen Riesen auf Afenheim eindringen, um es zu zerstören, dann werden die Einherier an der Seite der Götter kämpfen.
Von allen germanischen Völkerschaften haben die Dänen vorzugsweise den Odin feierlich verehrt. Auf der Insel
Fühnen liegt eine Stadt, die heißt Odensee. Hier sollen
die alten Dänen einst lange Zeit in einem heiligen Haine,, der mitten in einem See — Odinsee — lag, dem Gotte ihre Mutigen Menschen- und Tieropfer dargebracht haben. Auch in Deutschland giebt es noch jetzt viele Stellen, besonders Berge, von denen die Sage geht, daß sie einst Opferstätten Wodan’s waren. In heiligen Hainen, unter dem Schattendache riesiger Eichen versammelten sich unsere Vorfahren, und die Priester Wodan's brachten ihre Opfer dar und hielten Gericht über das Volk. Als das liebste Opfer des Wodan wurde das Pferd angesehen. Aus großen Opfersteinen, die man noch häufig in
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Deutschland findet, wurden die zu opfernden Tiere geschlachtet, das Haupt derselben dem Golt geweiht und an den Ästen der heiligen Bäume befestigt, wo die Raben, die heiligen Vögel Odin's, sie nach und nach verzehrten. Das Fleisch aber wurde in einem feierlichen Mahle zu Ehren Wodan's verspeist. Der vierte Tag in der Woche war ihm besonders heilig und erhielt seinen Namen, nämlich Odin's- oder Wodanstag. Die Dänen, Holländer und Engländer haben diesen Namen mit einer kleinen Veränderung noch beibehalten, die Deutschen aber haben den heidnischen Namen längst abgeschafft und in Mittwoch verwandelt; doch heißt in einigen Gegenden Noiddentschlands dieser Tag im Volksmunde auch noch „Gunsdag", welcher Name von „Wodanstag" herkommen soll. Wie sehr unsere Vorsahreu den Wodan verehrten, und mit welcher Zähigkeit sie an der Verehrung auch dann noch festhielten, als das Christentum zu ihnen kam, davon giebt uns der Frieseuherzog R a d b o d ein herrliches Beispiel. Als die christlichen Priester ihn schon für die Lehre des Evangeliums gewonnen hatten, und er bereits im Begriff war, sich taufen zu lassen und den heidnischen Göttern zu entsagen, da ward er plötzlich nachdenkend, und mit finsterem Auge unterbrach er den Priester, der ihm die Freuden des Himmels beschrieb, mit den Worten: „Wo sind denn meine Vorsahren?" Da antwortete ihm der Priester, daß die, da sie als Heiden gestorben, nicht in den Himmel gekommen wären. „Nun, dann will ich auch nicht hinein", sagte Radbod, „sondern will lieber zu ihnen nach Walhalla, zu Wodan." Keine Überredung, keine Bitten konnten den stolzen Friesen jetzt von dem Glauben seiner Väter abbringen, und in der festen Hoffnung, einst als Einherier einen Platz in dem Siegespalast seines Gottes zu erhalten, ist er gestorben.
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3. Frigga oder Fre;,a, die Himmelskönigin.
Des Götterkönigs Odin geliebte Gemahlin war F r i g g a. Unter ihrer Herrschaft standen alle Göttinnen Asenheims, und deshalb ward sie auch die Königin der Asinnen genannt. Bei den Deutschen führte sie den Namen F r e y a, wenigstens glaubt man, daß diese Göttin mit ihr ein und dieselbe gewesen sei. Frigga hatte in Walhalla einen eigenen Palast, der die aller anderen Göttinnen an Schönheit übertraf; er hieß Fensal, d. H. zu deutsch Feensaal. Im Rate der Götter saß sie an Odin's Seite und konnte gleich wie er, die ganze Welt übersehen. Alle Schicksale der Menschen waren ihr bekannt, aber sie offenbarte sie niemandem. Die Sprachen aller Tiere verstand sie, und sogar das Rauschen und Säuseln der Baumwipfel wußte sie zu deuten. Sie versammelte oft die Göttinnen in ihrem Palast, um mit ihnen sich zu besprechen. Dann erschien sie in ihrem schönsten Schmuck. Das prächtigste Kleinod desselben aber war ein blitzendes Halsgeschmeide, das von Zwergen verfertigt war. Alle ihre Kleinode lagen in einem prächtigen Kästchen eingeschlossen, und dies ward von einer jungfräulichen Dienerin, der Göttin Fulla, aufbewahrt. Zwei andere Dienerinnen, welche Gna und H lh n hießen, waren ihre Botschasterinnen. Hatte sie die Menschen vor einer Gefahr zu warnen, so sandte sie Hlhn auf die Erde. Die Gna hatte ein Roß, das säst ebenso schnellfüßig war, wie Odin's Sleipnir. Auf diesem Rosse durchflog sie die Welt, um Frigga's Botschaften auszurichten. Die Herrscherin selbst aber fuhr auf einem mit zwei Luchsen oder Katzen bespannten Wagen durch die Lust, um die schönen und guten Frauen der Erde zu besuchen. Zuweilen ritt sie auch aus einem Eber, der silberne Borsten hatte. Weitn sie aus demselben nach Mannheim jagte, so ward es dort, wo sie gerade war, niemals ganz Nacht, so viel
Glanz unb Schein ging von demselben aus. Sie hatte auch ein prächtiges Falkengemanb; wenn sie bas anlegte, so konnte sie schnell wie ein Falke burch bie Luft fliegen. In Walhalla empfing sie an Odiu's Seite die in der Schlacht Gefallenen, unb bie Hälfte derselben gehörte ihr, währenb Obin bie anbere nahm. Mit den Walküren bewirtete sie die Einherier bei ihren Mahlen unb reichte ihnen den köstlichen Met aus dem mit Silber beschlagenen Trinkhorn. Sie war auch die Göttin der Liebe und Ehe. Sie bestrafte durch eine Dienerin, Wara mit Namen, treulose Ehegatten, half aber bagegen Mann unb Frau, wenn sie unverfchnlder in Not unb Elend geraten waren. Die Brautleute brachten ihr daher auch fleißig Opfer dar, damit sie ihnen Glück unb Heil zuteil werben lasse. Ein Tag in der Woche — es war der sechste — war ihrem Dienste besonders geweiht, und der heißt noch bis aus heute Freitag, b. i. Tag ber Freya. An biesem Tage sauben barum bei unseren Vorfahren auch immer bie Verheiratungen statt, da man diesen Tag für einen glücklichen hielt. In Norbdeutschlaud hat sich biese Sitte noch bis jetzt erhalten.
Die Königin der Götter wurde anfangs, ebenso wie ihr Gemahl, in heiligen Hainen unter Bäumen oerehrt; doch brannte an den ihr geweihten Orten immer ein Feuer, das nie ausgehen durste und von Priesterinnen unterhalten wurde. Später erbaute man ihr auch prächtige Tempel. So soll ein solcher Tempel zu Upsala in Schweden unb ein anderer zu Freienwalde in der Mark gestanden haben. Freya hatte auch einen Bruder, der hieß Frey r. Wie man bie Freya als bie Monbgöttin betrachtete, so galt Freyr als Sonnengott. Auch er war, wie seine Schwester, jugendlich unb schön; er gab ben Menschen gute unb fruchtbare Jahre und reiche Ernten, unb biese feierten ihm zu ber Zeit, wo die Tage wieder anfingen länger zn werden, ein wichtiges
Fest. Auch er hatte zu Upsala einen Haupttempel und wurde hier unter dem Namen Frö verehrt. Seine Gemahlin G e r d u r war eine wunderschöne Riesentochter aus Jöthun-heim. Einst erblickte sie Freyr, als er Odin's heiligen Sitz in Walhalla bestiegen hatte. Er liebte sie so sehr, daß er Essen unb Trinken verschmähte unb auch keinen Schlaf mehr hatte. Da ließ Obin ben vertrautesten Diener seines Sohnes, ben Skyrner, rufen unb erfuhr von ihm bie Ursache des Kummers. Nun ward der Diener in das Riesenlanb geschickt, um für seinen Herrn um die schöne Gerdur zu werben. Zuerst versprach er ihr elf goldene Äpfel, wenn sie feinem Antrage Gehör geben wollte, und dann, als sie dieselben ausschlug, den Ring Draupnir, als das herrlichste aller Kleinode. Auch diesen wollte sie nicht nehmen. Da erzählte ihr Skyrner von Freyr's herrlichem Schwerte, das Allvater ihm verliehen, und an welches sich die Weissagung knüpfte, daß einst ihr eigener Vater von beffeu Schneibe fallen würbe, unb brohte, baß sein Herr kommen würbe, um beit Vater zum Zweikampf zu forbern. Ta siegte die Liebe zum Vater. Sie reichte bent Diener einen Becher voll Met unb sagte, sein Herr solle nach neun Tagen in den stillen Wald Barri kommen, dort wolle sie ihn sehen und mit ihm reden. Die neun Tage bäuchten Freyr wie neun lange Monbe, so lieb hatte er bie Gerbur. Diese wurde balb seine Gattin, aber er mußte auf ihre Bitte fein schönes Schwert den Riefen überlassen, und das war ein Unglück für die ganze Götterwelt, beim wenn nun einst die Riefen Walhalla stürmen, bann fehlt Freyr bie herrliche Waffe, ber kein Feind wiberftehen kann. ’
Albcrs, Lebensbilder.
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4. Thor, der Donnerer.
Der erstgeborne Sohn Odin's und Frigga's war der gewaltige T h o r. Er war der stärkste der Äsen und galt für unüberwindlich. Er hatte von Odin die Herrschaft über die Wolken erhalten und gebot über Regen und Wind, Donner und Blitz. Die alten Deutschen nannten ihn deshalb auch Donar, d. h. der Donnerer. Sein Palast stand hoch oben in den Wolken und war unter allen Götterwohnungen, wenn auch nicht der schönste, so doch der geräumigste, denn er hatte 540 Stockwerke übereinander. Sein Name war B i l s -k i r n e r unb die Gegend, in der er lag, hieß T h r u d h e i m oder Th rub w an ger. Wenn Thor sich von seinem eigentlichen Reiche an bie Enden ber Erbe begab, so ritt er nicht wie bie anbeten Götter auf einem Streitroß, bettn keines war stark genug, ihn zu tragen, sonberu er fuhr auf einem schweren, ehernen, mit zwei Böcken bespannten Wagen burch die Wolken. Von dem Rollen seiner Räber gerieten oie Wolken in Flammen, Funken stoben auf bie Erbe, die Berge krachten und bebten, und die ganze Erde fuhr dröhnend zusammen. Das nannten Die Menschen dann Donner und Blitz. Thor's gewaltige Kraft beruhte besonders aus drei berühmten Kleinobien. bie bie Zwerge ihm verfertigt hatten. Das erste ber drei war fein berühmter Hammer, Miolner, d. H. der Zermalmer, genannt. Mit diesem Hammer konnte er schlagen, so stark er wollte und worauf er wollte, ernährn doch niemals Schaden, und wenn er ihn nach etwas fchleuberte, so kehrte er stets, gerade wie Odin's Speer Gungttir, von selbst in bie Hanb bes Gottes zurück; ba&ei mürbe ber Hammer, sobalb es Thor beliebte, so klein, baß er ihn bequem im Busen forttragen konnte. Mit biefem Hammer schleuberte er Donnerkeile, unb wenn er bamit gegen bie Felsen schlug, so zuckten Blitze bnrch die Lust. Das zweite Kleinod war
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ein Paar eiserner Handschuhe, die zog er an, wenn er den Hammer schleudern wollte, und dann wurde dieser seinen Händen so leicht, wie ein gewöhnlicher Schmiedehammer. Das dritte Kleinod aber war ein W u n d e r g ü r t e l. Wenn er den umband, so ward ihm sofort doppelt so viel Kraft verliehen, wie er vorher gehabt hatte. Mit diesen drei Kleinodien war der Gott der furchtbarste Feind der bösen Riesen, und er schützte nicht allein Äsenheim gegen ihre Angriffe, sondern zog auch selbst nach Jöthunheim, um dort tapfere Kämpfe mit ihnen zu bestehen. Seiner Thaten sind so viele, daß niemand imstande ist, sie alle zu erzählen. Thor's Gemahlin, die schönhaarige Silva, hatte ihm drei Kinder geboren, die alle mächtige Äsen wurden und den Vater oft in seinen Kämpfen unterstützten. Es waren die beiden Söhne Modi, der Mut, uud M a g n i, die Macht, sowie die sanfte, liebliche Tochter Thrndnar, die Treue. Wenn diese drei ihn begleiteten, dann war er durchaus unwiderstehlich und unbesiegbar.
Gerade wie seinen Eltern, war auch ihm ein Tag der Woche zur besonderen Verehrung gewidmet, das war der fünfte Tag der Woche, der Donnerstag, der noch heute nach dem Gott des Donners seinen Namen führt. Die Verehrung Thor's fand ebenfalls besonders ans Bergen statt, die mit starken Eichen bewachsen waren, und noch jetzt giebt es mehrere derselben, die man Donnersberge nennt, so z. B. in der Pfalz. Gewiß waren auf diesen Bergen früher berühmte Verehrungsstätten des Thor. Als der Apostel der Deutschen, Der heil. Bonifacius, den Hessen das Christentum verkündigte, fand er bei dem Dorfe Geismar eine große, dem Thor geheiligte Eiche. Zu dieser Donnereiche strömten die Sachsen von weit und breit herbei, um Thor zu opfern. Als der Apostel eines Tages eine Axt nahm, um durch das Umhauen des Heiligtums zu zeigen, wie
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ohnmächtig der heidnische Gott sei, da sahen die Sachsen ihn erstaunt und ängstlich an, denn sie dachten nicht anders, aLs daß Thor mit einem Blitzstrahl aus seinem Miölner den Frevler vernichten würde. Aber es geschah nicht. Krachend sank die Eiche zu Boden und mit ihr auch das Heidentum der Sachsen. Viele derselben ließen sich taufen, und Bonisacius bauete aus dem Holz der Donnereiche ein Kirchlein.
5. Thor's Heldenthaten.
Utgardloki, der mächtige Riesenkönig, hatte den schönen Tempel der Frigga zu Upsala zerstört und das heilige Opferfeuer ausgelöscht. Da versammelte Odin die Götter und teilte ihnen die ruchlose That mit. Thor ergrimmte darüber sehr und ließ sofort, ohne Odin zu fragen, seine Böcke anschirren, nahm den Riesenhammer samt dem Zaubergürtel zur Hand uud fuhr in Begleitung des schlauen Loki, der immer noch heimlich ein Freund der Riesen war, pfeilschnell zur Erde herab, um in Jöthnnheim den Frevler aufzusuchen. Der Weg nach dem Riesenlande war gar weit, und sie mußten mehrere Male übernachten. Dann schlachtete Thor seine Böcke, bereitete aus ihrem Fleische ein Abendessen uud verwandelte das Blut in köstlichen Met, die Knochen aber wurden sorgfältig in die Haut gewickelt. Am anderen Morgen stand dann das Gespann wieder ebenso gesund und frisch da, wie es am Abend gewesen war. Als Thor und sein Begleiter aber eines Morgens weiter fahren wollten, siehe, da hinkte der eine Bock. Da geriet Thor in gewaltigen Zorn, und der Bauer, bei dem sie übernachtet hatten, zitterte und bebte mit seiner ganzen Familie vor Furcht und Schrecken, denn es stellte sich heraus, daß das Söhnlein des Bauern, T h i a l s i mit Namen, einen Mark-
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tnochen entzwei gehauen und den Inhalt verzehrt hatte; davon kam das Hinken des Bockes. Thor verzieh die That zwar, gebot aber dem Thialfi und seiner Schwester Röska, ihm zu folgen. Der erstere war durch das genossene Bocksmark so schnellfüßig geworden, daß er es im Lausen fast mit jedermann aufnehmen konnte.
Nachdem sie glücklich über das große Wasser, welches Mannheim und Jöthunheim trennte, hinüber gelangt waren, verbrachten sie die erste Nacht in einer leerstehenden Hütte. Am anderen Morgen hörten sie auf der sie umgebenden großen, öden Haide ein entsetzliches Getöse, und als sie aus der Hütte hinaustraten, gewahrten sie einen ungeheuren Riesen, der sich niederbückte und die ganze Hütte von der Erde aufhob, Venn, was Thor und seine Begleiter für eine leere Hütte gehalten hatten, war nichts anderes, als der eine Handschuh des Riesen. „Ich heiße bei meinen Brüdern S k r y m i r, der Zweigliedrige, und diene Utgardloki, dem Schwarzen", begann der Riese alsbald. „Ich weiß auch, daß du, Thor, zu meinem Gebieter willst, aber hüte dich vor ihm, kein Äse hat sich ihm noch ungestraft genaht, und ihr werdet allesamt nicht wieder nach Mannheim oder Afenheim zurückkehren, wenn du nicht deinen Plan aufgiebst!" Thor aber schlug statt der Antwort so gewaltig mit seinem Hammer an den Schild, daß ganz Jöthunheim dröhnte. Da ward dem frechen Prahler ganz angst und bange, und er erklärte sich bereit, Thor zu feinem Herrn zu führen. Auf dem Wege dahin ward Skrymir immer geschmeidiger und gefälliger, er erbot sich sogar, das Bündel mit Lebensmitteln, das Thialfi trug (die Böcke hatten sie in Mannheim zurückgelassen,) mit in seinen Sack zu stecken und zu tragen. Er hatte aber eine böse Absicht dabei und wollte Thor und seine Begleiter auf der weiten Haide verhungern lassen, denn er hatte die Schnur um seinen Sack so künstlich und so fest zusammengezogen,
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daß außer ihm selbst sie niemand lösen konnte. Nachdenr Thor am ersten Abend, als sie in einem Walde übernachten und ihr Abendessen zu sich nehmen wollten, die Absicht des Riesen gemerkt hatte, ward er so zornig, daß er den Donnerhammer ergriff und dem Treulosen, der schon am Boden lag und schnarchte, daß die Berge erbebten, einen kräftigen Schlag aus die Stirn versetzte. Skrymir aber drehte sich nachlässig um und ries ärgerlich: „Wer weckt mich denn, oder war es etwa ein Blatt, das vom Baume fiel?" Höhnisch setzte er dann hinzu, ob sie denn noch nicht gegessen hätten, und dabei legte er sich auf die andere Seite und schnarchte weiter. Da faßte Thor seinen Hammer mit aller Kraft und führte einen so gewaltigen Streich aus den Schädel des Spötters,-daß helle Funken herausstoben. „So geht's, wenn man im Walde schläft," brummte der Mese, „jetzt fiel mir wohl gar eine Beere aus den Kops." 9tun geriet Thor in den größten Zorn, er schnallte seinen Zaubergürtel um uud erhielt dadurch doppelt so viel Kraft, wie er vorher gehabt hatte. Nun versuchte er noch einmal das Bündel zu öffnen, aber es war vergebens, nicht einmal mit seinem scharfen Schwerte konnte er dem Knoten etwas anhaben. Da führte er voll Wut eilten dritten Streich auf die flache Stirn des schlafenden Skrymir. Ärgerlich sprang derselbe auf unD rief aus: „Da fiel mir wohl gar ein Zweiglein auf die Stirn? Kommt, laßt uns nur weiter gehen, es ist ohnehin bald Morgen."
Nachdem sie nun noch eine Strecke gegangen waren, ei-» blickten sie in der Ferne die mit gewaltigen Mauern umgebene Burg Utgardloki's. Skrymir sprach nun: „Ich darf jetzt nicht weiter mit euch gehen, da ist die Burg, wenn ihr 93tut und Krast genug habt, so werdet ihr die Pforten schon sprengen." Mit diesen Worten verschwand er zwischen den Jelsen und ließ Thor und seine Begleiter allein stehen. Als
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sie nun weiter gingen, wurden sie bald gewahr, daß der
Riese sie belogen und absichtlich irre geführt hatte, denn die
vermeintliche Burg war nichts weiter als ein Felsenthor, hinter dem ein ungeheurer- Abgrund zu sehen war, der in die Behausung der Todesgöttin H e l a führte.
Nach vielem Suchen fand Thor sick indessen doch zu-
recht und gelangte endlich zur Burg des Jöthunkönigs. Dieselbe war von einer hohen Felsenkette umgeben, und an dem Eingangsthor hielten zwei Riesen die Wache; die hatten statt des Schildes eine große Felsplatte und als Speer-mächtige Fichtenstämme in ben Händen. Thor stieß nun mit seinem Speer gegen bie Thorflügel, unb krachend sprangen sie aiiseinanber, bie Wächter aber wagten nicht einmal etwas zu sagen. Die Riesenstabt, in bie sie jetzt eintraten, war ganz finster, benn bie Felsenmauern waren so hoch, baß kein Strahl der Sonne hineindrang. Erst als ein Riese mit feiner Keule an die Felswand schlug, sprangen Feuerflammen heraus und erhellten die Stadt. Jetzt erblickten sie auch den Riesenkönig, wie er regungslos auf seinem Felsenthron saß und seine funkelnden Augen wild auf sie richtete. Um Thor zu erschrecken und zum Rückzug zu bewegen, ließ er zuerst die Felswand, unter der dieser mit seinen Begleitern stand, dröhnend zusammenstürzen und dann an ihrer Stelle einen gähnenden Abgrund entstehen, aus dem giftige Dünste aufstiegen und sich wie eine Wolke um die Ankömmlinge legten. Thor aber rief lächelnd aus: „Weder deine Felsen noch dein Gift vermag mir zu schaden, ich kann überall sicher sein, denn Odin ist mein Vater und Frigga meine Mutter!" Da dachte Utgardloki, es fei besser, sich mit dem Göttersohne gütlich abzufinden; er bat ihn wegen der Tempelzerstörung zu Upsala um Verzeihung unb lud ihn ein, als Gast in seinem Palast zu verweilen, wo sie sich an einem Mahle stärken unb dann in Kampsspielen ihre Kräfte versuchen
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wollten. Thor willigte ein, und alle gingen in einen großen goldenen Saal, wo aus Marmortischen mit goldenen und silbernen Füßen ein kräftiges Mahl und ein erquickender Trunk in krystallenen Gefäßen aufgetragen war. Es wurde nun wacker gegessen und getrunken, und Götter und Riesen waren fröhlich und guter Dinge. Loki nahm jetzt das Wort und schlug, obgleich sich alle schon satt gegessen hatten, einen Wettkampf im Essen vor, denn er war ein ungeheurer Fresser und rühmte sich, daß es ihm niemand im Essen gleichthun könne. Utgardloki rief eiligst einen von Kopf zu Fuß bepauzerten Riesen herein, aus dessen Munde eine doppelte Reihe von flammenden Zähnen hervorragte, und gebot ihm, mit Loki um die Wette zu essen. Nuu ward ein großer Trog gebracht, der war von unten bis oben mit köstlich duftenden gebratenen Auerhähnen angefüllt. Die beiden Wett« frefser setzten sich jeder an das eine Ende des Troges und begannen den Inhalt zu verschlingen. Es dauerte nicht lange, so trafen sie gerade in der Mitte des Troges zusammen. Allein Loki war doch überwunden, denn während er nur das gebratene Fleisch verzehrte, hatte der Riefe auch die Knochen, ja, sogar den Trog mit verschluckt. Loki wurde ausgelacht und mußte zurücktreten. Jetzt kam die Reihe an Thialfi. Er war durch das geuosseue Bocksmark ein Schnellläufer geworden und sollte seine Kunst jetzt zeigen. Utgardloki ries ein wunderlich aussehendes Zwerglein herbei, das war ganz mit einem Schleier bedeckt und konnte sich bald lang und bald kurz machen. Der Wetttauf begann, aber auch Thialfi ward ausgelacht, denn als er gerade die Hälfte des verabredeten Weges zurückgelegt hatte, kam ihm das Zwerglein schon vom anderen Ende wieder entgegen. Auch ein zweites und drittes Mal war Thialfi nicht glücklicher. Jetzt forderte der Riesenkönig Thor selbst auf, seine Kunst zu zeigen. W ward ein großes Trinkhorn gebracht, das war
so lang, daß es über den ganzen Saal reichte, ja, das dicke Ende desselben ging noch in die Mauer hinein. Utgardloki begann nun: „So groß dies Horn auch ist, so ist doch nie* mand unter uns Riesen, der es nicht in einem Zuge oder höchstens in zwei Zügen leer trinken könnte; jetzt versuche du, Thor, ob du int Trinken glücklicher bist als Loki im Essen." Thor nahm das Horn und that einen mächtigen Zug. Als er es aber absetzte, war es noch ganz voll. Da that er einen zweiten, noch kräftigeren Zug, daß ihm fast der Atem ausging; aber auch diesmal war es kaum zu sehen, daß er getrunken hatte. Selbst als er jetzt den dritten Zug gethan hatte, war das Horn nicht weiter geleert, als seine Lippen reichten. Zornig rief er jetzt aus: „Ihr Jöthunheimer müßt im Trinken Meister bleiben; auch schmeckt das Zeug, das ich getrunken habe, nicht wie Met, sondern ist kraftlos wie Wasser und ist bitter und nüchtern!" Utgardloki besänftigte seinen Gast und schlug ein anderes Wettspiel vor. Sie wollten Lasten heben. „Ich habe", begann der Riese, „eine große Katze, die kann der stärkste unter uns nicht vom Boden aufheben, so schwer ist sie; willst du an ihr einmal deine Kraft versuchen?" Thor war es zufrieden und die Katze wurde gebracht. Erfaßte dieselbe unter den Bauch und versuchte sie aufzuheben. Allein, je höher er hob, je höher dehnte sich der Rücken des Tieres aus, aber die Beine blieben immer an der Erde. Endlich hob Thor mit der größten Anstrengung den Rücken bis an die Decke des Saales, ja, er stieß noch sogar ein Loch in dieselbe hinein; als er aber abwärts sah, bemerkte er, dafl die seltsame Katze noch mit drei Beinen ganz fest auf dem Boden stand, und nur das vierte Bein ein ganz klein wenig gelüpft war. Da ließ Thor verwundert und verdrießlich das Tier fahren, und auf den Spott der Riesen konnte er nichts anderes antworten, als einen neuen Wettkampf vorzuschlagen. Da rief der Riesenkönig ein altes, häßliches Weib mit gekrümm-
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lern Rücken und tiefgefurchter Stirn herein. An einem Stocke daherhinkend, stellte es sich drohend vor Thor hin. Dieser ward zuerst unwillig, daß er mit einem Weibe kämpfen sollte; als der König ihm aber sagte: „Sie ist stark wie ein Jöthun und hat schon manchen Mann niedergeworfen, der nicht schwächer schien als Thor," da bequemte sich dieser zu dem wunderlichen Kampfe. Allein Thor unterlag. Das Riesenweib packte den Äsen mit ihren klappernden Armen und warf ihn auf die Knie nieder, worüber sich seine Begleiter sehr entsetzten. Thor aber sprang auf und rief: „Zur Stunde verlasse ich diese Burg; ohne Odin's, meines Vaters Willen kam ich hierher, deshalb fehlt mir sein Beistand und ich muß in allen Kämpfen unterliegen. Aber habe nur Geduld, der Göttervater wird mir verzeihen, und vereint mit ihm wirst du mir nicht widerstehen können!" Mit diesen Worten verließ Thor mit seinen Genossen den Saal.
Dem Utgardloki ward die Sache aber doch bedenklich. Er wußte wohl, daß Odin von seinem erhabenen Sitze in Asenheim alles gesehen hatte, also auch wußte, wie er Thor durch allerlei Gaukel- und Blendwerk betrogen habe. Erhielt es daher für das beste, den erzürnten Gott durch ein aufrichtiges Geständnis zu versöhnen, eilte den Gästen nach und redete Thor also an: „Höre, du starker Thor, das Geschick wolle verhüten, daß du jemals wieder nach Jöthunheim kommest, denn furchtbar ist deine Kraft. Nichts als Täuschungen waren es, die dir bei mir widerfuhren; denn nur durch Zauberkünste glaubte ich, mein Reich erhalten zu können. Der Riese Skrymir auf der Haide war ich selber, denn ich wollte dich vom rechten Wege abbringen. Als du mich mit deinem Hammer dreimal auf das Haupt zu schlagen wähntest, da trafst du nicht mich, sondern dieses Felsengebirge, denn ich hatte dir samt deinen Begleitern die Augen verblendet. Die drei großen Thäler, die du hier siehst, sind die
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Spuren deiner Schläge. Der Riese, mit dem Loki um die Wette aß, war das Feuer des Blitzes, und es war kein Wunder, daß dieses Fleisch und Bein und sogar den Trog verzehrte. Dein Diener Loki aber ist der größte Fresser, den ich je bei Riesen und Menschen gesehen habe. Der Zwerg, mit dem Thialfi um die Wette lief, waren meine Gedanken; und wer vermöchte wohl mit Gedanken an Schnelligkeit sich zu messen! Doch ist Thialfi der schnellste in ganz Jöthunheim. Das Trinkhorn aber, das du uicht leeren konntest, lag mit dem einen Ende im Weltmeere, darum war der Trunk auch so bitter und nüchtern. Wenn du ans Meer kommst, kannst du sehen, wie viel jetzt nach deinem Trunke daran fehlt; den Mangel aber werden die Menschen künftig die Ebbe nennen. Als du hernach die Katze bis an die Decke hobst, da glaubten wir alle, das Ende der Welt sei gekommen; denn wisse, die vermeintliche Katze war die große Midgardsschlange, die die Erde zusammenhält. Es fehlte nicht viel, so hättest du sie ganz herausgezogen, und dann hätte der Erdball auseinander bersten müssen. Das alte, häßliche Weib endlich, das dich niederwarf, war das Alter. Gegen dies kämpfen Menschen, Riesen und Götter vergebens; es wird früher oder später auf des allein ewigen Allvaters Gebot uns alle zu Falle bringen, du brauchst dich also deines Kampfes nicht zu schämen“
Als Thor diese Rede horte, ergrimmte er und wollte seinen Miölner nach dem Sprecher schleudern, aber dieser war samt seiner zauberischen Felsenburg schon verschwunden, und vor den Augen des erzürnten Gottes breiteten sich weithin schöne und reiche Felder aus. Thor und seine Gefährten traten jetzt den Rückweg an und gelangten glücklich wieder nach Mannheim zu Thialfi's Vater. woselbst der lahme Bock inzwischen auch wieder geheilt war. Über die vielfarbige Brücke Bifröst ging es jetzt pfeilschnell nach Äsen-
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heim zurück, wo Odin und die übrigen Götter die Ankömmlinge freundlich willkommen hießen und Thialsi und seine Schwester Röska unter die Götter aufnahmen.
6. Loki uitb seine Kinder.
In den vorhergehenden Kapiteln ist schon öfter von dem listigen Loki die Rede gewesen. Er war der einzige Bewohner Asenheims, dessen Gemüt böse und hinterlistig war, und der durch seine Bosheit und Betrügereien Götter und Menschen oft in große Verlegenheit brachte und viel Unheil anrichtete. Loki war eigentlich kein Afe, er stammte vielmehr von den Riesen ab und war daher auch heimlich deren Freund. Als er mit Thor in Jöthunheim war, freute er sich darum auch nicht wenig über die vermeintlichen Niederlagen desselben, war aber schlau genug, sich seine Freude nicht merken zu lassen. Er hatte sich, kurz nachdem Allvater die Götter erschaffen, in Asenheim eingeschlichen und wurde von der Zeit an daselbst geduldet, ja, er trat sogar zu Odin und Thor in ein näheres Verhältnis und begleitete besonders letzteren sehr häufig. Die Götter fürchteten wohl seine Bosheit, aber sie ergötzten sich auch oft an seiner List und Schlauheit, obgleich sie aus alten Weissagungen recht gut wußten, daß ihnen von Loki und seinen Nachkommen großes Übel, ja, endlich sogar der Untergang bereitet werden würde. Seine Nachkommen waren gar sonderbarer Art. Er hatte sich heimlich mit einem Riesenweibe vermählt, und aus dieser Ehe gingen drei Kinder hervor, die heimlich in Jöthunheim erzogen wurden. Als die Götter davon Kuude erhielten, schickte Allvater hin, um die Kinder zu holen, damit die Erfüllung der bösen Weissagung abgewendet würde. Als der Götterbote mit ihnen erschien, erschrak ganz Asenheim, denn die
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Kinder zeigten sich als scheußliche Ungeheuer. Nur bag-jüngste der drei hatte eine menschliche Gestalt, aber auch die war schrecklich anzusehen, denn die Hälfte des Körpers war licht und jugendlich, die andere aber war schwarz und schon im Zustande der Verwesung begriffen, und so war diese Tochter Sofi’s ein Bild des Lebens und des Todes zugleich. Ihr Name war H e l a. Allvater verbannte sie aus Asen-heim nach dem schaurigen Niflheim. Sie erhielt hier die Herrschaft über ein großes Reich, über das Reich der Toten, und ward fortan die Totengöttin. Den Eingang zu ihrem Reiche, das Helheim genannt wurde, bildete ein unzerstörbares Gitter. Hinter diesem Gitter wandelten alle Verbrecher, besonders aber alle Meuchelmörder, Meineidige und alle, die ein thaten- und rühmloses Leben geführt und eines natürlichen Todes gestorben waren, ruhe- und friedlos umher. Die Göttin selbst bewohnte einen düsteren und öden Palast, der hieß das Elend, und ihr Thron war aus Menschen--knocheu und Schädeln erbaut. In der Hand führte sie einen großen bleichen Knochen als Scepter, den sie drohend gegen die unglücklichen Schatten schwang. Sie war bis an der Welt Ende die ärgste Feindin der Götter und Menschen und stets bestrebt, alle in ihre Gewalt zu bekommen. Bis zum Ende der Welt mußte Hela mit ihren Toten dort ausharren, dann aber — so sagten alte Weissagungen — würde Loki sich an die Spitze des ganzen Helheim stellen und zum Kampfe gegen Asenheim ausziehen.
Ein Dichter *) beschreibt uns die Bewohner Helheims-mit folgenden Worten:
*) Oehlenschläger, „Die Götter des Nordens". Kein Lehrer sollte versäumen, bei passenden Gelegenheiten poetische Schilderungen zur Belebung des Unterrichtes vorzulesen! Hier mußte leider des Raumeswegen aus eine Auswahl derselben verzichtet werden.
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„Es saßen längs ben Wänben bie Schaaren Hela's brin,
Sie waren so blaß unb kränklich unb siebten, als Thor trat hin.
Der kalte Angstschweiß perlenb aus ihrer Stirne staub,
Um ihre magern Leiber sich eine Schlange wanb,
Es war so still im Hause unb überall Leichenbnst,
Nie Lebenstöne braugeu, nur Seuszer burch bie Suft."
Loki'szweiter Nachkomme war die große Midgardsschlange. Allvater stieß sie ins große Weltmeer hinab, wo sie allmählich so groß ward, daß sie sich um den ganzen Erdball legte und diesen zusammenhielt. Wenn sie ihren ungeheuren Leib im Wasser nur ein wenig rührte, so türmte sich das Meer haushoch am Strande auf, und das nannten die Menschen dann Brandung. Als die Götter dies Ungeheuer auf dem Grunde des Meeres festgebannt sahen, da sreuten sie sich gar sehr, denn nun brauchten sie nicht mehr zu fürchten, allesamt von ihm verschlungen zu werden.
Am meisten fürchteten die Götter aber Das dritte Ungeheuer, den Fenriswols. Sie behielten das Tier bei sich in Afenheim, um es unter steter Aufsicht zu haben, damit es nichts Böses anrichte. Als es nun aber immer größer und stärker wurde, und von allen Göttern nur Tyr, der Gott des Krieges und der Kühnheit, den Mut hatte, es zu füttern, da sahen sie ein, daß ihnen von diesem Tiere Verderben drohe. Sie beschlossen daher, es zu binden und so unschädlich zu machen. Aber das kostete viele Mühe; der Wolf zerriß alle Bande mit der größten Leichtigkeit, ja, er hatte die Götter sogar noch zum besten. Er ließ sich ruhig mit einer starken eisernen Kette festbinden, aber als er nur eine ganz kleine Bewegung machte, fiel diese in Stücken herab. Einer zweiten, noch einmal so starken Kette erging es nicht besser. Endlich baten sie Allvater um Rat, und der schickte einen Boten zn den klugen Zwergen und hieß sie ein Band für den Fenriswolf machen. Der Bote brachte ein ganz dünnes Bündchen, das war sanft und weich wie Seide, aber
durch Zauberkraft der Zwerge war es stärker als Eisen. Mit diesem Bande gelang es den Göttern, das Ungeheuer zu fesseln und unter einem großen Felsen zu befestigen, wo es bis zum Weltuntergänge liegen muß. Dem Gotte Tyr aber biß der Fenriswolf, als man ihn fesselte, die rechte Hand ab, und von der Zeit an wurde er der Einhändige genannt.
So waren die drei Feinde der Götter unschädlich gemacht, und in Asenheim war wieder Ruhe und Friede. Aber einer war noch da, und das war der schlimmste von allen Feinden, der wußte sich die Freundschaft der Äsen auch fernerhin durch List und Heuchelei zu erhalten; das war Loki, der Böse, und von ihm kam, wie wir gleich sehen werden, ein großes Unglück über das Asenreich.
7. Valdur, der Kule.
Nachdem Allvater die drei gräßlichen Ungeheuer des Loki aus Asenheim verbannt hatte, war dadurch zwar die Ruhe wiederhergestellt, aber es schien doch noch immer eine geheime Angst auf den Göttern zu liegen. Odin hatte wegen der Ungeheuer zu den Schicksalsgöttinnen, den Nornen, gesandt und sie befragt. Die saßen an dem Urdsbrunnen, am Fuße der Weltesche Iggdrasil und sahen die Zukunft ebenso klar, wie Götter und Menschen die Gegenwart. Der Ausspruch der Göttinnen war schrecklich: Odin's Welt, hieß es, werde durch die drei Ungeheuer ihren Untergang finden. Die Midgardschlange werde die Erde zerdrücken uuti zermalmen, der Fenriswolf werde den Himmel verschlingen, Hela werde alles in die Fluten des Meeres hinabziehen und, Götter, Riesen und Menschen würden in den unendlichen Abgrund, in das Nichts, hinabgerissen werden. Dies alles sollte aber erst dann geschehen, wenn der schönste, beste und edelste
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Sohn Odin's, der reine und gute Baldur, gestorben fei.. Sein Leben war also das Band, das die ganze Götterwelt zusammenhielt, und er wird deshalb auch der leuchtende Hüter Walhalla's genannt. So lange er lebte, war keine
Gefahr für die anderen Götter zu fürchten. Um das Ende der Götter und aller Dinge herbeizuführen, war es daher das Bestreben Loki's, den Tod des edlen Baldur zu veranlassen. Die Götter aber, die den guten Baldur außerordentlich liebten, waren bemüht, alles Leid von ihm abzuwenden. Seine Mutter Frigga lud alle Geschöpfe vor sich und nahm ihnen einen feierlichen Eid ab, dem geliebten Sohne niemals einen Schaden zufügen zu wollen. Wasser,
Feuer, Erde und Luft; alle Metalle, Holz und Steine; alle
Tiere, Vögel, Fische und alles Gewürm und alle Gifte; kurz: alle lebenden und leblosen Wesen leisteten den geforderten Schwur. Nnr eine kleine Pflanze, die erst einige Tage vorher vor dem östlichen Thore Walhalla's ausgegangen war, schien der Frigga gar zu gering, und sie ließ sie unbeeidigt. Dies Pflänzchen war ein M i st e l z w e i g. Die Götter versammelten sich jetzt und begannen allerlei Spiele, um Baldur zu zeigen, daß kein Wesen so unheilig sei, ihm Schaden zuzufügen. Sie warfen mit schweren Steinen, schossen mit spitzen Pfeilen, und hieben mit scharfen Schwertern nach ihm, aber alles glitt wirkungslos an Baldur ab. Selbst Odin's-Speer und Thor's Hammer konnten ihm nichts anhaben er war unverletzlich, und darüber freuten sich alle Äsen, nur der böse Loki nicht. Er verwandelte sich in die Gestalt einer alten Dienerin der Frigga und ging in ihren Palast. Hier sprach er über die Spiele der Äsen und that, als ob er sich über Baldur's Unverletzlichkeit freue. Als Frigga sich rühmte, sie habe alles in Eid genommen, den Liebling der Götter zu schonen, da fragte Loki hinterlistig: „Hast du denn auch: garnichts vergessen?" Frigga antwortete: „Nur der Mistel-
zweig vor dem östlichen Thore Walhalla's ist vergessen worden, aber hier hast du meinen Ring, worauf alle anderen Geschöpfe den Eid geleistet haben; gehe hin und vereidige auch ihn, damit selbst das kleinste Geschöpf dem Baldur nicht schade."*) Hocherfreut eilte Loki nach dem Mistelzweig und brach ihn ab. Dann begab er sich in den Kreis der Götter zurück, lieferte Frigga den Ring ab und nahm teil an den Belustigungen. Baldur s Bruder, namens Höd ur, der blind war, stand hinten zurück und beteiligte sich nicht an dem Schießen und Werfen. Zu ihm ging Loki. „Warum schießest du nicht auch noch Baldnr?" redete er ihn an, und Hödur antwortete: „Ich sehe ja nicht, wo mein Bruder steht, auch habe ich keine Waffe." Da sprach Loki: „Thue doch
wie die anderen Götter und erzeige deinem Bruder Ehre. Ich will dir Bogeu und Pfeil geben und dich dahin weisen, wo er steht." Hödnr nahm nun Loki's Bogen, auf den dieser den Mistelzweig als Pfeil gelegt hatte, und drückte ab. Die Mistel durchbohrte den Guten und Reinen, und leblos fiel er zur Erde. Sprachlos standen die Äsen und blickten sich einander an, wer die ruchlose That vollbracht hätte. Dann aber fingen sie au zu weinen, und so heftig, daß keiner dem anderen den Schmerz sagen konnte. Odin aber nahm den Sterbenden tieferschüttert in seine Arme und drückte ihm die gebrochenen Augen zu.
Die Kunde von Baldur's Tod verbreitete sich sofort über ganz Asenheim, und als Odin den Leichnam in Frigga's Palast tragen ließ, da stürzte diese schon laut weinend und mit aufgelöstem Haar heraus, warf sich über den Entseelten und konnte des Klagens und Jammerns nicht satt werden. Endlich sammelte sie sich und rief laut in den Kreis der weinenden Götter hinein: „Will einer für immer meine Gunst
*) Siehe Bratnscheck, Germ. Göttersage. Seite 172.
Libers, Lebensbilder. z
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und Huld gewinnen, so mache er sich ans in das schaurige Reich der Hela und sehe zu, ob die sonst unerbittliche Göttin des Todes nicht die Seele des guten Baldur wieder heraus-giebt." Da meldete sich Hermoder, der Götterbote, zu diesem verzweifelten Versuch. Odin, der wohl wußte, daß er vergebens sein wurde, gab doch, um die geliebte Gemahlin zu beruhigen, seine Einwilligung, ja, er lieh dem Hermoder sogar sein Roß, das den Boten alsbald pfeilschnell davontrug. In Asenheim ward jetzt das Leicheubegüngnis vorbereitet. Dieses sollte am Gestade des fernen Weltmeeres stattfinden. Auf einem großen Schiffe ward ein Scheiterhaufen von dem köstlichsten Holze aufgebaut und Baldur's Leiche daraus gelegt Als Nanna, die Gemahlin des Verstorbenen, das sah, streckte sie die Arme nach ihm aus, taumelte und sank zu Boden. Ihr war vor Gram das Herz zersprungen. Die Götter aber legten sie neben Baldur auf das Holz, damit sie mit ihm zugleich nach Helheim fahre. Als nun auch noch das Roß des Entseelten, schön gezäumt und gesattelt, auf das Schiss gebracht worden war, da traten alle Götter hinzu und nahmen Abschied von den Toten und legten ihre letzten Geschenke, die sie ihnen mitgeben wollten, cm ihrer Seite nieder. Zuletzt setzte Thor durch einen Blitzstrahl den Scheiterhaufen in Flammen, und ein sanfter Wind trieb das Schiff in die weite Ferne gegen Norden.
Hermoder war inzwischen nach einem neun Tage langen Ritt endlich glücklich nach Helheim gekommen. Als er aber an das unzerstörbare Gitter kam, da wollte es sich ihm nicht öffnen, denn auf Hela's Befehl durfte kein Lebender durch dasselbe gehen. Da sprang der Götterbote von feinem Pferde und zog den Sattelgurt fester an, denn der hatte sich von dem langen Ritte gelöst. Nun stieg er wieder auf, gab dem Hengste die Sporen, und dieser fetzte mit einem so mächtigen Sprunge über das Gitter, daß er es nirgends berührte.
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Hier sah Hermoder nun Baldur und Nanna unter einer Felshatte sitzen und begrüßte sie. In einer anderen großen, von trübem Lichte beleuchteten Halle gewahrte er die entsetzliche Todesgöttin. Sie empfing ihn freundlich und lud ihn ein, die Nackt da zu bleiben. Am anderen Morgen brachte nun Hermoder seine Bitte vor, aber Hela antwortete grinsend: „Ist Baldur wirklich so allgemein beliebt, wie du mir sagst, daß alle lebenden uttD leblosen Wesen um ihn weinen und ihn zurilckbegehren, wohlan! so kehre er nach Walhalla zurück. Ist aber nur ein einziges Ding vorhanden, und sei es auch nur das allergeringste und unbedeutendste auf der ganzen Welt, das ihn nicht beweint, so bleibe er in Helheim." Mit diesem Bescheid kehrte nun der Bote zu den Göttern zurück. Diese sandten hocherfreut Boten in alle Welten ans und ließen alle Dinge und Wesen auffordern, den göttlichen Baldur zu beweinen. Alles, was da lebte und nicht lebte, Menschen und Tiere, alle Pflanzen, ja, Erde und Steine schluchzten, weinten und schwitzten bittere Thränen. Aber in einer einsamen Höhle fanden die Boten ein altes Weib, das sich Thöck nannte. Als sie zum Weinen aufgefordert ward, antwortete sie gleichgültig: „Thock wird nicht weinen über Baldur, denn weder im Leben noch im Tode hatte sie Nutzen von ihm. Was Hela besitzt, möge Hela behalten." Vergebens baten die Gesandten noch lange die Thöck um Mitleid; sie mußten endlich trostlos von bannen ziehen.
Da erheb sich plötzlich ein gewaltiger Sturm, bie Erbe erbebte, unb ber Donner hallte schrecklich an beit Felsen wieder. Obiu's gewaltige Stimme schallte weit über Sturm unb Donner hinaus, als er dem Weibe zurief: „Ich habe
alle deine Missethaten erwogen, und bald ist dein Maß voll; vergiß nicht, daß Odin dich kennt!"
Das Weib aber, das ganz allein nicht um den guten Baldur weinen wollte, war der abscheuliche Loki gewesen.
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Schuld on Baldur's Tod, war er jetzt auch die Ursache, daß der Gort nicht nach Asenheim zurückkehrte, sondern in dem traurigen Reiche der Hela verbleiben mußte.
8. Wie lofii bestraft wird.
Baldur's Tod war nicht die einzige Missethat des böse» Loki. Er hatte schon vorher fast alle mächtigsten Götter auf das tiefste beleidigt. Der Gemahlin Thor's hatte er z. B. heimlich das schöne, blonde Haupthaar abgeschnitten und der Frigga sogar ihr köstliches Halsgeschmeide, das schönste Stück ihres Schmuckkästchens, gestohlen. Die Götter zwangen ihn zwar, beide Übelthaten wieder gut zu machen, und sowohl das Haar als auch den Schmuck wieder herbeizuschaffen, aber Odin und Thor vergaßen ihm seine Frechheit nimmer. Noch eine andere Bosheit wird von ihm erzählt: Damit die Götter und Einherier nicht alt unb schwach würden, hatte Allvater ber Göttin Jdun eine Anzahl schöner goldwangiger Äpfel gegeben, bie, wie wir schon früher gelernt haben, die Eigenschaft besaßen, daß die, welche Davon aßen, immer jung blieben unb niemals alt wurden. Jbnn würbe deshalb die Göttin der Unsterblichkeit und der ewigen Jugend genannt. Sie war die Gemahlin Braga's, des Gottes der Dichtkunst, und alle Götter hielten sie in hohen Ehren. Eines Tages nun war Jdun mit ihren Äpfeln verschwunden. Die Götter erschraken nicht wenig, benn, als sie sich anblickten, sahen sie, wie schnell sie alt würben unb ihre Haare sich grau färbten. Obin rief eiligst alle Götter zusammen, unb ba stellte sich benn heraus, daß man Jdun zuletzt mit Loki gesehen hatte, wie beide Asenheim verließen. Da ward Loki dem Götterkönig vorgeführt, und als dieser ihm mit furchtbarer Strafe drohte, mußte er die Wahrheit sagen. Er hatte nämlich Jdun aus Asenheim gelockt, indem er vorgab,
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er habe in einem Walde viel schönere Äpfel gesehen, als die ihrigen. Jdun ließ sich verleiten, ihre Äpfel mitzunehmen, um sie mit den von Loki angeblich gesehenen zu vergleichen. Im Walde aber harrte ihrer ein mächtiger Riese, mit dem Loki Verabredung getroffen hatte, in der Gestalt eines großen Adlers. Der packte die arme Jdun und trug sie samt ihren Äpfeln nach Jöthunheim, Loki aber kehrte schadenfroh nach Asenheim zurück. Das alles mußte Loki unter den Drohungen Odin's eingestehen. Um die Strafe von sich abzuwenden, versprach er, die Göttin wieder herbeizuschaffen, bat aber Frigga, ihm ihr Falkenkleid zu leihen. Als Loki nun in Falken-« gestalt in Jöthunheim ankam, war der Riese gerade abwesend, und Jdun saß jammernd in einer Felsenkluft gefangen. Schnell verwandelte Loki die Göttin in eine Nus; und flog pfeilschnell mit ihr nach Asenheim zu. Der Riese hatte ihn aber doch gesehen und verfolgte ihn in Adlergestalt. Gerade als der Falke an dem Thore Afenheims angekommen war, holte ihn der Adler ein, aber die Götter hatten schnell ein Feuer angemacht, und während der flinke Falke sich seitwärts in das Thor hinein* flüchtete, flog der Adler, der sich nicht so schnell wenden konnte, gerade in die Flamme hinein und verbrannte. Die Götter freuten sich nun wohl über die Rückkehr Jvun's, denn nun konnten sie sich an ihren Äpfeln wieder verjüngen; aber sie sahen auch ein, daß es mit dem frechen Loki nicht so weiter gehen könne. Auch hatte man bald nachher erfahren, daß Loki Schuld daran war, daß der gute Baldur in Helheim bleiben mußte. Laut forderten die Götter von Odin die Bestrafung des Übelthäters, und dieser beschloß endlich, den Forderungen nachzugeben und Loki sangen zu (affen. Der aber war nirgends zu finden. Er hatte die ihm drohende Gefahr gemerkt und sich auf einen ganz abgelegenen, hohen Berg geflüchtet. Hier erbaute er sich eine Burg mit vier Öffnungen, pm nach allen Seiten spähen zu können. Odin aber entdeckte
von seinem Göttersitze ans gar bald die Burg mitsamt ihrem Bewohner. Als Loki das merkte, verwandelte er sich in einen Lachs und verbarg sich in einem Bache. Da fanden die Götter in Loki's Burg ein Netz, mit dem er sich selbst Fische zur Nahrung gefangen hatte. Zwar hatte der Listige dasselbe ins Herdfeuer geworfen, aber da es naß war, fo verbrannte es nicht, sondern verlöschte das Feuer/ Dieses Netz nahm Thor und fischte damit nach Loki. Zweimal gelang es ihm zu entkommen; einmal schlüpfte er unter dem Netze durch, und ein andermal sprang er über dasselbe weg; endlich aber gelang es dem Gotte doch, den Bösen in seinem eigenen Netze zu sangen. Er ward jetzt in ein Felsenloch gesperrt, drei große Felsblöcke wälzte man über seinen Leib, und mit unzerreißbaren Banden wurde er an die Blöcke gefesselt. So fest waren die Bande, daß er sich nimmer befreien konnte. Wenn er zuweilen doch den Versuch machte, dies zn thun, und sich drehte und krümmte, so erzitterte die Erde in ihren Grundfesten. Die Menschen sagten dann, es sei ein Erdbeben.
In diesem Zustande muß Loki gekettet und gefesselt liegen bis an das Ende der Welt; dann aber wird er auf kurze Zeit frei werden zum großen Vernichtungskampfe zwischen Göttern und Riesen.
9. Götterdämmerung oder das Weltende.
Was wir bis jetzt von dem Glauben unserer nordischen Vorfahren kennen gelernt haben, gehörte der Vergangenheit an, d. h. es war das, was sie von der Vergangenheit glaubten, es waren ihre Vorstellungen von der Entstehung und Erhaltung der Götter-, Riesen- und Menschenwelt. Aber alles, was einmal entstanden ist, muß auch notwendig einmal ein Ende nehmen, — das wußten unsere Vorfahren ebenso gut,
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wie wir es heute wissen — und von diesem Ende aller Dinge machten die alten Nordmänner sich gar sonderbare Vorstellungen. Sie glaubten, die Welt würde von einem Jahrhundert zum anderen immer schlechter und böser; die Menschen würden immer mehr von den Göttern abfallen und sich den bösen Riesen zuneigen, ja, die Götter selbst allmählich unter dem Einfluß des Bösen, das von Loki herstammt, nicht mehr die Reinheit bewahren, die sie ursprünglich gehabt. Sobald dies geschehen, also das Böse über das Gute in der Welt die Oberhand gewinnen würde, dann mußte nach ihrem Glauben eine allgemeine Auflösung des ganzen Weltalls erfolgen, und diesen Zustand der Auflösung nannten sie Götterdämmerung. Das erste Zeichen des beginnenden Weltunterganges war der Tod des unschuldigen Baldur. Mit ihm war gleichsam das Gute aus der Welt verschwunden, und die Herrschaft des Bösen hatte begonnen. Aber es gab der Zeichen gar viele: zuerst, hieß es, würde die Erde an allen Enden wiederhallen von Krieg und Kriegsgeschrei; Brüder und Verwandte, ja, Eltern und Kinder würden sich gegenseitig befehden, und unerhörte Berbrechen von den Menschen begangen werden. Dadurch werde dann das Reich der Hela immer mehr mit Kämpfern angefüllt, und die Zeit, wo sich Loki an ihre Spitze stellen kann, immer näher heranrücken. Dann kommen drei schreckliche Winter hintereinander, ohne daß ein Sommer dazwischen ist. Dann kommt die Wolfszeit. Eine Anzahl Wölfe, die sich an dem unschuldig vergossenen Blute gemästet haben, dringt auf die Welt ein uuö verschlingt Sonne, Mond und Sterne. Die Erde und das Meer werden gewaltig erschüttert. Loki erzeugt ein Erdbeben über das andere, uud die Midgardsschlange windet sich im Meere, daß das Land weithin von den Wellen überflutet wird. Endlich reißen alle Bande. Loki wird frei, die Midgardsschlange steigt ans Ufer, und der Fenriswolf reißt sich los und geht surchtbar brüllend umher. Dann
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kommt etit ungeheures Schiff über den Ocean aus Jöthun-heim; die Riesen sind darauf, und nun beginnt der letzte Kampf. Der Wächter an der Brücke Bifröst bläst in sein Horn, daß es durch ganz Asenheim schallt, und ruft Götter und Einherier zu den Waffen. Aber auch Loki ist nicht müßig; mit den zahllosen Scharen Hela's rückt er zum Kampfe heran. Die Äsen und Einherier reiten über die Himmelsbrücke, diese bricht hinter ihnen dröhnend in Trümmer zusammen, und eine Rückkehr nach Asenheim ist nicht mehr möglich. Eine große, unermeßliche Ebene nimmt die Kämpfer auf Voran reitet Odin auf Sleipnir, angethan mit dem schönen Goldhelm und dem leuchtenden Harnisch, und mit dem Speer Gnngnir bewaffnet. An seiner Seite reitet Thor, der den Miölner furchtbar drohend schwingt. Odin kämpft mit dem Fenriswolf und Thor mit der Midgardsschlange, den beiden gefürchtetsten Feinden der Götter. Aber im Rate Allvaters ist beschlossen, daß alles untergehen soll. Der Fenriswolf verschlingt Odin, wird aber selbst gleich daraus von W i d a r, einem Sohne Odin's, getötet. Thor zerschmettert der Midgardsschlange mit seinem Hammer den Kopf, aber ihr Gift, das sie auf ihn speit, tötet ihn. Auch Loki, der Böse, fällt im gewaltigen Zweikampf mit dem Wächter der Brücke Bifröst, tötet aber auch zugleich seinen Besieger. So vernichten und zerstören sich alle gegenseitig. Götter stehen gegen Riesen, Walhalla's Krieger, die Einherier, gegen die Totenscharen der Hela, und alle fallen in dem mörderischen Kampfe. Endlich schleudert der Riese Surtur Feuer in das Gewirre, und es geht die ganze Welt in Flammen aus. Die Glut des Weltbrandes wird dann durch die Wasser des Oceans, der aus seinen Usern tritt und alles überflutet, gelöscht, und in dem aufwirbelnden Rauch erscheint Allvater und fällt seine Urteile über Götter, Riesen und Menschen. Die Seelen der Guten fuhrt er in einen neuen
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-Himmel, tu herrliche Säle von glänzendem Golde, die der Bösen aber verbannt er an einen Ort, der noch viel schauriger ist als Helheim. Aus den Wellen entsteht dann eine neue Welt, auf der es kein Böses mehr giebt. Die Götter werden wiedergeboren und neu geschaffen, und die von jetzt an ewig grünende Erde wird mit neuen Menschen bevölkert-Götter und Menschen aber werden zusammen wohnen in Ewigkeit.
10. Lrd-, Lust- und Wajftrgütlheiteu.
Gleich wie Asenheim mit Göttern, und Mannheim mit Menschen bevölkert waren, so dachten unsere Vorfahren sich ■auch das Innere der Erde, die Luft und das Wasser von Wesen belebt, die einerseits den Göttern verwandt waren und von ihnen abstammten, andererseits aber den Menschen viel näher standen als die unsterblichen Äsen. Zu diesen Mittelwesen gehörten auch die Zwerge, die Odin aus Amir's Leibe entstehen ließ. Sie hießen auch Elben oder Elfen, und man unterschied Lichtelben und Schwarzelben, gleichsam gute und böse Zwerge. Die letzteren äußerten aber nur baun ihre Bosheit gegen die Menschen, wenn sie von diesen gereizt wurden. Sie mußten das Sonnenlicht fliehen und durften nur bei Nacht ihr Wesen treiben. Ließen sie sich vom Tageslicht überraschen, so wurden sie durch einen Sonnenstrahl in Steine verwandelt. Ihre Gestalt dachte man sich häßlich und klein, und dabei hatten die Männchen übergroße Köpft mit gewaltigen Bärten. Ihre Hände und das Gesicht waren rußig und erdbraun. Sie bewohnten unterirdische Grotten und Höhlen und besaßen große und tiefe Erkenntnis der Natur und ihrer Kräfte; besonbers verstanden sie Metalle und Erze zu verarbeiten, und mancherlei künstliche Geschmeide, z.B. den herrlichen Schmuck der Freya, den 0 r i f i n g a nt, und
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kostbare Geräte hatten sie geschmiedet. Auch verstanden sie die Runen, und ihre Sprache war die der Menschen. Wer mit ihnen reden wollte, der ging in den Wald, wo er am dichtesten war, oder zwischen Felsen, wo sie am steilsten und gewaltigsten waren, und rief laut, was er wünschte. Dann antworteten ihm die Zwerge. Das war das Echo, wie die Menschen es später nannten.
In der Gegend von Köln hießen sie Heinzelmänn-ch e n und in Schlesien nannte man sie Wichtel Männer -denn Wichte bedeutet Zwerge; auch die Haulemänner' die im Walde wohnen und den guten Kindern ans der Not helfen, die bösen aber ins Unglück bringen, gehören zu diesen Wesen.
Die Lichtelben wurden auch Feen genannt. Sie waren goldglänzende kleine Frauen, lichter als die Sonne selbst, in silberschimmernden Gewändern, kleinen wuudersckwnenMädchen gleich. Sie schweben und tanzen im Sonnenglanze, erscheinen den Menschen bei der Geburt und verheißen ihnen Glück und Segen, denn sie spinnen die goldenen Schicksals-säden derselben von ihrem ersten Atemzüge an. In den schönen Märchen von Schneewittchen und von Dornröschen kommen die Zwerge unb Feen noch heute vor.
Den Zwergen gegenüber standen die Riese n. Sie stammten, wie wir bereits wissen, alle von B e r g e l m i x, dem Urriesen, ab, der allein ans der großen Blutflut gerettet ward. Es gab unter ihnen F r o st -, Reis- unb Eisriesen von gar scheußlicher Gestalt. Sie mußten gleich ben Zwergen bas Tageslicht scheuen und wohnten in den Bergen, wo sie nicht selten große Schätze, die die Zwerge zusammengetragen hatten, bewachten. Sie waren den Menschen sehr feind, unb ganz besonbers raubten sie gerne beren Frauen unb Töchter, uni bie sie bann mit ben Männern unb Brüdern kämpften. Auch Riesenweiber unb Riesentöchter gab
es. Sie waren besonders erfahren in der Runenschrift, und' man gab ihnen allerlei Zauberkünste schuld. Die berühmteste unter diesen Riesentöchtern ist die N ö t t, d. i. Nacht. Ihre Tochter war die I ö r d, d. H. die Erde, und die war so schön, daß Odin sie nach Asenheim nahm. Eine andere ebenso berühmte Riesin war die W o l a oder W ö l n a. Sie war eine gewaltige Wahrsagerin aus dem Nornengeschlecht, die in hohem Ansehen stand, und nach ihr hießen später alle Wahrsagerinnen Wölna. Noch heute giebt es zahlreiche Sagen von Riesen uud Riesinnen; am bekanntesten von allen ist diejenige von dem Riesensrünlein auf Burg Nideck im Elsaß geworden.
Die Luftgeister hießen W a n e n. Sie bevölkerten die Regionen der Wolken, hausten auf Bergesgipfeln, wo der Wind heulte und pfiff, und in lieblichen Grotten und Rainen,, wo linde Abendwinde säuselten. Man rechnete auch die Walküren zu ihnen, jene lieblichen, himmlischen Jungfrauen, welche während der Schlacht in der Luft über den Kämpfenden schwebten uud ihnen Sieg oder Tod brachten,, wie es Odin's heiliger Wille bestimmte. Ihr Anblick war reizend schön. Sie erschienen auf feurigen Rossen, waren prächtig bepanzert und behelmt, mit Schild und Lanze bewaffnet, aus denen Helle Lichtstrahlen hervorbrachen und ihre Gestalten mit einem schwebenden Schimmer umgaben, der wie Morgenrot leuchtete. Nur die tapfersten unter den Streitern küren, d. i. wählen sie zum Heldentod. Sobald die Erwählten gefallen sind, tragen sie dieselben in ihren Armen nach Walhalla und bedienen sie dort in Gemeinschaft mit den Göttern.
Ein Abkömmling der Wanen war K w a s i r. Er wurde auf einer Wanderung von zwei heimtückischen Feinden überfallen uud getötet. Aus seinem Blute machten sie einen wunderbaren Trank, der zur Dichtkunst begeisterte, und logen dann den Äsen vor, Kwasir wäre im Meere der ewigen Weis-
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heit ertrunken. Ein Riese aber raubte den köstlichen Trank, und von diesem kam er an Odin, den Besitzer aller Weisheit. Odin aber verlieh die Gabe der Dichtung an seinen Sohn B r a g a. Darum nennt man die Dichter noch heute die Nachkommen der Götter.
Auch N i o r d u r, der Regengott, war eigentlich ein Waue. Als einst die Äsen mit den Wanen in Fehde gewesen waren, mußte beim Friedensschlüsse Niordur mit seinen beiden Kindern als Geiseln in Asenheim bleiben. Er vermählte sich mit einer zweiten Gattin und durfte nun immer dort wohnen. Sein Palast hieß Noatnn, und von ihm aus durste er in Zukunft die Herrschaft über Wind und Regen führen, die ihm Odin übertrug.
Unter den Wassergottheiten standen oben an Ä g i r, der Gott des Meeres, und seine Gattin R a n a, die aus dem Riesengeschlechte stammte. Sie hatten neun Töchter, die Wellenmädchen. Ägir wohnte für gewöhnlich tief unten auf dem Meeresgrunde, doch hatte er auch eine Landwohnung auf der dänischen Insel L e s s ö e im Kattegatt. Ein Dichter *) beschreibt sie folgendermaßen:
„In hoher Felsengrotte der Meergott Ägir wohnt,
Ein Silberhelm mit Korallen ans seinem Scheitel thront;
Hat einen Bart von Meergras, ein Ruder in der Hand,
Besetzt mit klaren Steinen: so segelt er an den Strand.
So ost das blanke Ruder Ran's nnicht'ger Gatte schwingt,
So stillt sich des Meeres Brausen, die Flut ermattet sinkt.
Dort ist aus Hlesehb**) sein Muschelthron erbaut,
Und in den blauen Wellen er seine Töchter schaut."
Seine Gattin ward den Schiffern sehr gefährlich, denn statt die Armen, wenn sie Schiffbrnch litten, zu retten, zog sie
*) Oehlenschläger a. a. O.
**) Alter Name der Insel Lessöc.
dieselben auf den Grund des Meeres und beraubte sie, denn Rana war ein heimtückisches, habsüchtiges Weib. „Zur Rana , fahren" hieß darum in alten Zeiten so viel wie ertrinken. Die Wellenmädchen dagegen umschwammen als bleiche, weißverschleierte Jungfrauen mit langen Haaren die Schiffe, hüpften und tanzten auf den Wellen und schützten die Seefahrer. Obgleich wir nur neun Wellenmädchen mit Namen kennen, so gab es doch deren viel mehr, und nicht allein das Meer, auch die Landseen und alle Ströme, Flüsse und Bäche waren von. ihnen bevölkert, und die Menschen nannten sie Nixe n. Oft fand man sie in Quellen, von Schilf umgeben, mit triefenden Haaren fitzen, durch ihren sanften Gesang die Menschen anlockend. Zuweilen aber auch saßen solche Welleninüdchm an gefährlichen Stellen der Flüsse und Ströme und verlockten durch ihre Schönheit die Schiffer, sich ihnen zu nahen. Aber" wehe ihnen, wenn sie es thaten. Sie zogen sie unbarmherzig, mit sich hinab in ihr nasses Wellengrab. Einen solchen Vorgang schildert uns Heinrich Heine's herrliches Lied „bie-Loreley."
11. &yr, Tuis uub TuisKo.
In den vorhergehenden Kapiteln haben wir die Religion unserer nordischen Stammesbrüder kennen gelernt und dabei schon gelegentlich auf manche Abweichungen bei den Völkern südlicher Gegenden hingewiesen. Es ist schwer zu bestimmen, wie weit unsere eigentlichen Stammeltern, die Deutschen, den religiösen Vorstellungen der nördlicher wohnenden Brüder folgten, ja, dieselben waren sogar in Deutschland selbst, je nach den Gegenden und Volksstämmen, in der Zeit, wo unsere Nachrichten von ihnen beginnen, vielfach verschieden. Über ganz Deutschland aber verehrte man die beiden Haupt-götter Wodan und Donar, die wir schon als Odin und
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Thor kennen gelernt haben. Diesen beiden zur Seite steht noch ein dritter Gott, der höchst wahrscheinlich von allen deutschen Stämmen verehrt ward. Er hieß, je nach den verschiedenen Gegenden, in denen man ihm Diente, Ziu, Tuis, Tuisko oder S a x n o t. Er war derselbe Gott, den wir schon unter dem Namen Tyr bei den Nordmännern kennen gelernt haben. Er war der Gott der Kühnheit und der Tapferkeit, also der Kriegsgott. Er hatte den schrecklichen Fenris-wolf groß gefüttert, aber im Kampfe mit ihm die rechte Hand eingebüßt und wurde fortan der Einhändige genannt. Er war der Deutschen Schlachten- oder Schwertgott, den sie vor jedem Kampfe um Sieg anriefen und ihm Opfer brachten. Um die Schwerter zu weihen, ritzte man den Anfangsbuchstaben seines Namens in die Schwertkliugen ein. Er ward an vielen Stellen unter dem Namen Zio oder Ziu verehrt. Der dritte Tag der Woche war seinem Dienste besonders geweiht und hieß nach ihm Ziustag, woraus später Dienstag geworden ist. Ganz besonders dienten ihm die Bewohner zwischen Elbe und Oder in einem großen heiligen Walde. Als der dort wohnende Volksstamm (Semnouen) später nach Süden auswanderte und sich in Schwaben unb Bayern festsetzte, brachte er feine Verehrung auch bahrn.
Bei einem anberen deutschen Stamme, beit Sachsen, warb er unter bem Namen S a x n ö t verehrt. Die Sage berichtet darüber folgenbes: In ber Gegenb bes Harzgebirges wohnte in uralten Zeiten ein überaus kräftiges Völkchen, bas wohl geeignet war, Entbehrungen zu erbutben unb große Thaten zu vollbringen, bas aber ben Krieg noch nicht kannte; benn in seine Thäler, in benen es seine Herben weidete, drang nur selten ein Fremder ein. Als nun aber die umwohnenden Völker sich bekämpften, kamen auch Flüchtlinge zu dem friedlichen Gebirgsvölkchen und erzählten gar viel von den gewaltigen Thaten, die sie vollbracht hatten. Da erwachte in
den Jünglingen und jungen Männern auch die Lust, sich zusammenzuscharen und auf Krieg und Abenteuer auszuziehen. . Aber niemand unter ihnen verstand den Krieg, und sie hatten keinen Führer, der sie den Krieg lehrte. Da kamen in einer Vollmondnacht alle Männer an einer heiligen Quelle in einem großen Walde zusammen, opferten den Göttern und baten sie, ihnen einen kriegskundigen Führer zu senden, damit auch sie zu Sieg und Ruhm hinausziehen könnten, wie ihre Nachbarn. Und Allvater erhörte das Gebet. Aus der Quelle stieg auf einmal ein weißlicher, dichter Nebel auf, und man hörte ein Krachen, als ob es donnere. Als darauf der Wind den Nebel zerteilte, da kam aus ihm eine Anzahl geharnischter Männer hervor, deren Führer ein blankes Schwert in der linken Hand trug, während die rechte bis zum Gelenk fehlte. „Ich heiße Aschan es," begann der Führer, „und bitte für mich und meine Begleiter um Gastfreundschaft." Diese ward mit Freuden gewährt, beim die Priester ahnten gleich, baß bies der ihnen von den Göttern gesandte Führer sei, und sagten es dem Volte. Da war bie Freube groß, unb man bat den Einhändigen, bei ihnen zu bleiben und ihr Führer zu sein, damit sie den Krieg lernten. Damit ward nun frisch begonnen. Aus hartem Gestein wurden kurze Schwerter gemacht, die scharf waren wie Eisen, und dazu schwere Keulen. Viel Mühe kostete es den Jünglingen, das Kriegsspiel zu lernen, die Schwerter zu schwingen unb bie Keulen zu werfen. Endlich aber gelang es, ja, sie erlangten sogar eine wunberbare Gewanbtheit unb Übung barin und führten die schwierigsten Kunststücke ans. Das schwierigste und auch gefährlichste von allen war der Schwerttanz. Zwischen ausgerichteten scharfen Schwertern sprangen und tanzten die Jünglinge, nur mit einem Gurt um bie Senden bekleidet, umher, und bekämpften sich gegenseitig. Nach vollendetem Spiel fügten dann die Kämpfer ihre Schwerter mit den
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Spitzen künstlich zu einem ©lerne zusammen, der geschickteste im Schwerttanz sprang hinaus und ward von allen zugleich unter Jubelschall emporgehoben.
Als sie so geübt waren, zogen sie aus gegen die benachbarten Völker, und das Spiel waro nun Mutiger Ernst. Sieggekrvnt und mit Ruhm bedeckt kehrten sie heim und
teilten die reiche Kriegsbeute unter sich. So kämpften sie viele Jahre und unterwarfen die ganze Gegend. Sie nannten sich von jetzt an Sachsen, denn Sachs oder Sax hieß das kurze Steinschwert, mit dem sie so tapfer kämpfen gelernt hatten. Als die Sachsen nun das mächtigste Volk des ganzen Umkreises geworden waren, berief der einhändige Afchanes alle Männer an der heiligen Quelle zusammen, bei der er
einst zu ihnen gekommen war. „Höret, ihr tapferen Sachsen", redete er sie au, „die Zeit ist gekommen, daß ich euch verlassen muß. So wisset denn zuvor, wer ich bin, und kennet
auch meine Gefährten. Wir kommen ans Asenheim; ich bin der einhändige Tyr, dem der Fenriswolf die rechte Hand zermalmte, als die Äsen ihn fesselten, und diese sind die
tapfersten Helden, Einherier, aus Walhalla. Fortan sollt ihr zum Andenken, daß ich euch den Krieg gelehrt habe, mich
unter dem Namen Saxnöt verehren." Kaum war der letzte Laut feiner Worte verhallt, da war auch schon von ihm und feinen Helden nichts mehr zn sehen. Die Sachsen aber errichteten an jener Quelle ihrem Gotte ein Heiligtum, und
das wurde nie leer von Opfern.
12. Nerthus, die (Sr&göftin.
Unsere alten Vorfahren, besonders die an den Küsten der Ostsee wohnenden, verehrten eine Göttin, die den Namen N e r >-thus führte, aber auch, obwohl fälschlich, Hertha genannt wird. Wahrscheinlich war es Freha selbst. Die Sage er-
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zählt von ihr folgendes: Im hohen Norden wohnte eine gewaltige Riesin, die hatte eine Tochter von lieblichem Au-, sehen, die Odin neben der Frigga als seine Gemahlin heimführte. Er übergab ihr die Herrschaft über die Erde und nannte sie deshalb Iörd, d. h. Gebieterin der Erde. Es gefiel aber der Jörd in Asenheim gar nicht, und sie sehnte sich zurück nach ihrer alten Heimat, der Erde. Aus Mitleid mit ihrem Kummer, der täglich größer wurde, entließ Odin sie endlich in Frieden. Sie begab sich nun auf eine schöne Insel im großen Nordmeere und waltete von hier aus über die Erde und ihre Bewohner. Diese aber nannten sie N e r -thus, welches soviel als Erhalterin bedeuten soll, und verehrten sie als die oberste Göttin. Die Insel im Nordmeere, auf der sie ihre Wohnung aufschlug, soll die Ostseeinsel Rügen gewesen sein. Hier befand sich ein großer, düsterer Wald und in dessen Mitte ein von hohen Eichen beschatteter, unermeßlich tiefer See. Von dem dunkelfarbigen Wasser erhielt er den Namen „der schwarze See." An diesem See, vielleicht auch in demselben, wohnte die Göttin. Da Odin ihr die Angelegenheiten der Erde anvertraut hatte, so begab sie sich von Zeit zu Zeit, vielleicht ein- oder zweimal im Jahre, zu den Menschen. Zu diesem Zwecke stand an den Ufern des See's immer ein heiliger Wagen, der mit kostbaren Tüchern behängen war, und dem sich niemand als nur die Priester der Göttin nähern durften. Die Priester, die täglich am See opferten und beteten, wußten, wann die Göttin sich im Wagen befand; sie schirrten dann zwei Kühe an denselben und führten sie im Lande herum. Überall, wohin der Wagen gelangte, wurden der Göttin Feste gefeiert, und es herrschte Frohsinn und Heiterkeit. Überall ruhten Arbeit und Waffengetümmel, jede Fehde, jede Streitigkeit hörte auf, so lange die Göttin anwesend war. War die Umfahrt vollendet, so kehrte sie in ihr Heiligtum zurück, und Wagen und Tücher, ja selbst
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die Kühe wurden sorgfältig in dem schwarzen See gebadet. Auch die Götnn nahm, bevor sie an ihren eigentlichen Stufend halt — als diesen dachte man sich wahrscheinlich die Tiefe des See's, vielleicht aber auch das Innere des Waldes — zurückkehrte, ein reinigendes Bad. Die Sklaven aber, die das Abwaschen des Gespannes besorgt hatten, wurden als Opfer von den Wellen des See's verschlungen.
Noch heute befindet sich auf der Insel Rügen ein solcher See, wie ihn die Sage beschreibt. Er ist von hohen Buchen umgeben, zwischen denen sich allerlei Steintrümmer befinden, die man für Überreste von Opferaltären hält. Der See heißt jetzt der Burgsee, weil später auch eine alte Ritterburg dort gestanden hat; er wird aber auch nach der hier einst verehrten Göttin der Herthasee genannt.
13. Hotda und Berlha.
Noch zwei andere Namen von uralten Göttinnen finden wir bei unseren deutschen Voreltern. Es sind die Namen H o l d a und Bertha. Beide Namen bezeichnen eigentlich eine und dieselbe Göttin, und die Norddeutschen verehrten die alte nordische Frigga, die Gemahlin Odin's und oberste Göttin Asenheims, unter dem Namen Holda, die Süddeutschen aber, die Bayern, Schwaben und auch die Elsässer, gaben ihr den Namen Bertha, oder eigentlich Berchta. Der Name Holda bedeutet die Holde, die Gute, die Gnädige, und da die Himmelskönigin Frigga mit ihr gemeint sein soll, so wird sie zuweilen auch F r i g g a - H o l d a genannt. Man dachte sie sich als eine freundliche, hüls reiche Frau, die ebenso wie die Göttin Nerthns auf der Erde umherzog, und die guten und fleißigen Frauen belohnte, die bösen, besonders die trägen und unordentlichen aber bestrafte. Ganz besonders günstig gesinnt war sie den fleißigen Spinnerinnen, denn sie hatte den Flachsban unter ihren besonderen Schutz genommen.
In der Zeit, wo wir Fastnacht feiern, und die Abende so kurz werden, daß die Frauen nicht mehr zu spinnen pflegen, zog früher die Göttin durch's Land und sah überall nach, ob auch aller Flachs während der langen Winterabende von den Frauen und Mädchen gesponnen worden war. Wenn sie in ein Haus kam, wo die Frauen und Mädchen fleißig gewesen waren und alle Rocken leer gesponnen hatten, da segnete sie das Haus und schenkte den Frauen zuweilen Spindeln, die, wenn man sie abhaspelte, niemals leer wurden und auf diese Weise ihre Besitzerinnen reich machten. Fand sie aber um diese Zeit in einem Hause noch ungesponnenen Flachs, so zündete sie denselben an und wünschte den faulen Besitzerinnen ein böses Jahr. Die fleißigen Spinnerinnen bekamen dann im folgenden Sommer schönen, langen und weichen Flachs, denn Frau Holda segnete ihre Felder; aber die faulen bekamen zur Strafe nur schlechten, kurzen und harten Flachs, der schlecht zu spinnen war und auch nicht viel taugte. Ihr Lieblingsbaum war die Linde, in deren Schatten sie oft Rast hielt, uud wenn am Abend die Jünglinge und Jungfrauen eines Dorfes unter derselben zusammen kamen, dann mischte sich Frau Holda ungesehen unter sie und nahm teil an ihren Vergnügungen. Als ihren Aufenthalt dachte man sich entweder tiefe See'n und Brunnen, oder auch finstere Gebirge. So hatte sie auch eine Wohnung im Khff-hänserberge in Thüringen. Hier sitzt ein alter deutscher Kaiser, der Rotbart genannt, schon viele, viele Jahre verzaubert, und Frau Holda ist seine Kellermeisterin. Alle hundert Jahre wacht der alte Kaiser mit seinen Kriegshelden auf, und dann bringt die Göttin den alten Helden den köstlichsten Wein aus dem tiefen Keller des Schlosses. Armen, aber fleißigen Leuten giebt sie zuweilen von dem schönen Wein ans ihrem Keller. So lebte einmal ein armer, aber sehr braver Arbeitsmann in einem Dorfe am Fuße des
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Kyffhäuserberges. Der feierte eines Tages die Taufe feines Sohnleins und hatte dazu einige gute Freunde geladen. Sie tranken des Abends auch ein wenig Wein, den die armen Leute von ihrem sauren Verdienst sich angeschafft hatten, um ibre Gäste zu bewirten. Aber es war nur wenig Wein da, und bald meldete die älteste Tochter, ein Mädchen von 15 oder 16 Jahren, daß das Fäßlein leer getrunken sei. Da rief der Vater scherzhaft: „So geh' doch zum Rotbart und
hole aus seinem Keller, der hat ja Wein genug!" Das Mädchen Hielt die Worte des Vaters für Ernst und machte sich mit einem Kruge auf den Weg. Als sie an den Berg kam, traf sie eine schöne Frau in einem ganz Hellen Gewände. Das war die Kellermeisterin Frau Holda. Sie sprach zu ihr: „Komm nur mit, ich führe dich in den Keller." Alsbald that der Berg sich auf, und sie traten hinein. Da waren sie in einem großen Keller voller dicker Weinfässer mit dem edelsten Wein aus den besten Gegenden. Frau Holda nahm nun den Krug des Mädchens und füllte ihn bis an den Rand und geleitete es dann zurück. Als die Gäste die Erzählung des Mädchens hörten und den Wein kosteten, waren sie über alle Maßen erstaunt und wollten Durchaus den Eingang zu dem Keller suchen. Aber so viel sie auch suchten, sie fanden ihn nimmer, denn auch das Mädchen konnte die Stelle, wo sie die gute Frau Holda getroffen hatte, nicht mehr wiederfinden. Es giebt in Deutschland noch mehrere Berge, in denen die Göttin ihre Wohnung gehabt haben soll, und die darum ihren Namen führen, so z. B. der Frau-Hollen-Steiu bei der Stadt Fulda. Auch kommt die Göttin noch in vielen Märchen vor, wo sie einerseits als die liebe gute Fee erscheint, die den Menschenkindern Glück und Freude verheißt, andererseits aber auch den Charakter einer alten häßlichen Hexe annimmt. Sie war auch über die Wolken gesetzt und spendete Regen und Schnee, und wenn
im Winter die weißen Schneeflocken flogen, dann sagte man: „Frau Holle (Holda) macht ihre Betten, und die Federn fallen auf die Erde." Wenn aber an schonen, sonnigen Tagen der Himmel mit lauter einzelnen, weißen Wölkchen bedeckt war, daun meinte man: „Frau Holle treibt ihre Schafe aus," und darum nennt man die kleinen weißen Wolken noch heute Schäfchen.
Der Name Bertha bedeutet die Leuchtende, Glänzende, oder auch einfach die Weiße. Sie wurde in Süddeutschland ganz ähnlich verehrt, wie in Norddeutschland die Holda. Auch sie war eine gute und milde Göttin, die nur zornig wurde, wenn man sie verspottete; dann strafte sie aber sehr strenge. Sie zeigte sich den Menschen oft als schöne, weiße Frau und offenbarte ihnen dann zukünftige Dinge. Am 6. Januar feierte man ihr früher ein Fest und brachte ihr Opfer dar, der Tag wurde damals der Berthatag genannt. Zuweilen konnte aber Frau Bertha auch sehr zornig und böse werden. Das geschah gewöhnlich im Winter, und wahrscheinlich darum, weil dauu die alten Deutscheu meistens faulenzten, denn dies konnte sie durchaus nicht leiden. Unter-wildem Sausen und Brausen stürmte sie dann durch die Lüfte, gerade so, wie es Wodan zuweilen zu machen pflegte. Die Leute sagten dann, das sei der wilde Jäger. Dabei war sie aber doch immer gut und milde. Ein alter Mann mit weißem Bart und auf einen Stab gestützt, mußte ihr dauu vorausschreiten, und alle Menfchcit, die in ihren Weg kamen, warnen. Der alte Mann wurde der treue Eckhart geheißen. Einmal Begegneten ihm zwei Kinder, die für ihre Eltern einen Krug Bier geholt hatten. Da sie nicht schnell genug aus dem Wege gingen, kam Frau Bertha heran und ihre Begleiter tranken den Kindern das Bier aus. Da weinten sie gar bitterlich, und das dauerte den getreuen Eckhart, darum sagte er zu ihnen: „Seid nur still, wenn
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ihr nach Hause kommt, ist der Krug wieder voll und wird immer voll bleiben, so viel auch daraus getrunken wird. Aber ihr müßt es niemandem erzählen." So geschah es auch, und alle wunderten sich, daß der Krug gar nicht leer wurde, und fragten die Kinder nach der Ursache. Die Kleinen plauderten denn endlich doch, und da war der Krug sogleich wieder leer, und so viel sie auch suchten, sie fanden den ireuen Eckharl nicht mehr.
14. Die wr allen Iahressejte.
Daß den einzelnen Göttern bestimmte Tage der Woche geheiligt waren, und sie an diesen besonders verehrt wurden, sahen wir schon bei Wodan, Thor, Tyr und Freya. Es gab aber auch noch andere bestimmte festliche Zeiten, in denen man sich der Verehrung der Götter insbesondere befleißigte. Solche festliche Zeiten kehrten viermal im Jahre wieder, und ihre Feier hing eng mit den vier Jahreszeiten zusammen. Um die Zeit, wenn das Eis krachend auf den Strömen zerbarst; wenn milder Regen die Erde ausweichte, und sie zur Aufnahme neuer Saat und Hervorbringung neuen Lebens empfänglich machte; wenn reinigende Gewitter anfingen, die Lust zu erschüttern, oder der Sturmwind rauschend über die Berge dahinsnhr und die Wolken zerspaltete; wenn dies alles geschah: dann sahen unsere Ahnen in diesem Walten der Natur die Hand des mächtigen Thor. Sie sagten: „Thor fährt durch die Lüfte und fein Barthaar, das im Winde flattert, erzeugt den Sturm; fein Mantel sind die Wolken, geladen mit fruchtbarem Regen." Sie glaubten, Thor-kämpfe dann mit den gewaltigen Eisriesen, um sie aus der Nähe der Menschen zu vertreiben, er werfe nach ihnen den Miölner und zerschmettere dabei die Felsen. So deutete man das Gewitter. Dann rief Thor seine Schwester, die
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liebliche Göttin Ostara, die die Erdmutter dem Odin geboren hatte, und sie brachte den schönen Frühling mit. Sie war von ihrer Mutter über die Pflanzen uud Pflänzchen gesetzt und mußte darüber machen, daß sie durch Morgensonne und Frühtau zum Hervorkeimen gebracht wurden. Sie teilte sich mit ihrem Bruder in die Ehren des Frühling s s e st e s, das nach ihr Osterfest benannt wurde. Es war ein rechtes Freudenfest, und die Berge uud Höhen leuchteten wieder von hellen Freudenfeuern, die mit Eichen, dem Baume Thor’s, unterhalten wurden. Mit frischem Erstlingsgrün geschmückte Böcke, Thor's heilige Tiere, wurden umher-geführt, dann geschlachtet, und nachdem die Kopse und die besten Stücke dem Gotte geopfert waren, bei einem gemeinsamen Mahle verzehrt. Als später das Christentum zu unseren Vorfahren kam, da ward dieses Frühlingsfest nicht mehr dem heidnischen Thor gefeiert, sondern zum Andenken an die Auferstehung des Heilandes; den Namen Osterfest aber behielt es nach der alten Göttin Ostara.
Wenn die zarten Keime, die die holde Frühlingsgöttin aus der Erde hervorgelockt hatte, sich weiter entwickelten zu Blättern und Blüten, dann begann die Herrschaft der Freya über die Natur. Sie war die Göttin der Schönheit und legte nun die Schönheit in alle Blumen hinein. Sie legte den Vögeln ihre prächtigen Lieder in die Kehle und hieß sie die schöne Natur besingen. Der Gott der Dichtkunst, B r a g a, hatte zwar zuerst den Vögeln die Gabe des Gesanges verliehen, aber Freya mußte jedes Jahr aufs neue die Gesangeslust wecken. Unter allen Vögeln aber war die Nachtigall der Freya am liebsten, sie mußte ihr die schönsten Lieder fingen. Um die Zeit, wenn die Rosen, die Lieblings-blumcn der Freya, voll aufgeblüht waren, dann feierte man ihr das schöne Mittsommerfest. Neben der Freya verehrte man aber auch an diesem Feste den Tyr, und besonders
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Bet den Sachsen, die den Krieg von ihm gelernt hatten und ihn Saxnot nannten, gestaltete sich das Sommerfest zu einem rechten Kriegsfeste. Als die alten Dentschen mit dem Christentnm bekannt geworden waren, setzten sie an die Stelle des Tyr Johannes den Tänser, den Vorläufer Christi, dessen Geburtstag man in der christlichen Kirche an diesem Tage feierte, und nannten das Fest I o h a n n i s f e st. Diesem Johannes zu Ehren haben die Christen das Fest lange gefeiert; später aber ist es abgeschafft worden, und heute heißt nur noch ein Tag nach ihm. Dies ist der St. Johannistag, der am 24. Juni, einige Tage nach Sommeranfang, gefeiert wird. Das wichtigste und schönste aller Feste aber war das H e r b st s e st. Es war zugleich Erntefest und wurde dem Allbeherrscher Odin oder Wodan zu Ehren gefeiert, weshalb es in Deutschland auch Wodansfest hieß. Als Dankopfer für die glücklich heimgebrachte Ernte wurden dem Gotte ausgewählte Pferde, Stiere und auch wohl Gänse dargebracht, und die Köpfe in seinem Haine befestigt; das übrige aber diente zur Ernte- und Opfermahlzeit. Ans dem Blute, das in einer Rinne von deut Opferstein hinunterlief, weissagten die Priester und Priesterinnen — welche letztere weise Frauen oder Alraunen genannt wurden —- das Schicksal des künftigen Jahres. Solche Opfersteine, die auch bloß Steintische genannt werden, kommen noch heute vielfach vor. Ju Süd-westdeutfchland, besonders in den Vogesen, nennt man sie Dolmen, Cr o mle ch s oder Menhir § , doch weiß man nicht genau, ob diese Steine Denkmäler, Grabstätten, ober bloße Opserblöcke sind. Auf den Feldern, die man abgeerntet hatte, ließ man einige Früchte zurück und schenkte sie Wodan, denn man glaubte, er brauche sie für fein Pferd. Auch an dem Herbstfeste zündete man überall Frendenseuer an, in dieselben warf man dann die besten Garben und sagte dabei Gebete und weife Sprüche her. Das höchste von allen
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Opfern war das Menschenopfer. Es wurde nur ganz selten und dann nur dem höchsten Gotte Wodan dargebracht. Man nahm dazu meistens Kriegsgefangene, aber auch Sklaven und Verbrecher. Sie wurden ganz besonders beim Beginn eines Krieges dargebracht, und die weisen Frauen weissagten aus ihrem Blute, ob der Krieg ein glücklicher werden würde. Auch am Herbstfeste wurden zuweilen Menschenopfer dargebracht, wenn nämlich die Ernte schlecht geraten war und infolge dessen Mangel und Not bevorstand. Man glaubte dann Wodan durch Menschenopfer zu versöhnen, damit er Not und Elend abwende.
Wenn die Sonne gegen Ende des Jahres immer tiefer sank und in den nördlichen Gegenden ganz zu verschwinden drohte, dann betete man um baldige Rückkehr derselben, damit sie die Erde neu belebe durcki ihr Licht und ihre Wärme. Der Gott des Lichtes und der Wärme war aber Fr ehr, der Brnder der Freya. Obgleich der böse Loki der eigentliche Feuergott war, so hatte Allvater doch auch dem Freyr soviel Gewalt über das Feuer gegeben, daß er der Sonne, die man als einen Fenerfnnken aus Mnspelheim ansah, im Herbst und Winter immer neues Feuer zuführen mußte, damit ihr Licht und ihre Wärme erhalten blieben. War nun endlich nach langem Harren der kürzeste Tag gekommen, und hatte Freyr die Sonne bewogen, ihr Licht und ihre Wärme zu vermehren, dann jubelte alles auf, und dem Lichtgotte ward das große Winterfest gefeiert. Schon lange vor dem kürzesten Tage beschäftigte man sich mit den Vorbereitungen zu dem Feste. Das Opfertier war der schönste weiße Eber, den man finden konnte. Er ward schon lange vorher gemästet und in der längsten Nacht geschlachtet und verspeist. Das Feuer, an dem er gebraten ward, mußte auf ganz eigentümliche Weise angemacht werden. Am Nachmittage -es kürzesten Tages mußten in allen Wohnungen des Dorfes
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die Feuer gelöscht werden. Die Gemeinde zog dann auf einen freien Platz, wo ein starker Eichenpfahl in die Erde getrieben wurde. Auf diesen befestigte man ein großes, neues Rad mit neun Speichen, die mit Stroh umwickelt waren. Nun wurde unter Gesang das Rad rasch von Osten nach Westen auf dem Pfahle gedreht, bis es durch die Reibung in Brand geriet. An dem brennenden Rade steckten dann die Teilnehmer am Feste ihre mitgebrachten Fackeln in Brand, trugen das Feuer in ihre Häuser und zündeten damit auf dem Herde ein neues Feuer an, das nun das ganze Jahr hindurch brannte, am Tage in hellen Flammen, um Speisen darauf zuzubereiten, und des Nachts als glimmende Kohle unter der Asche. Die erste Mahlzeit, die an dem neu gewonnenen Herdfeuer zubereitet wurde, war das von dem Eber des Freyr gewonnene Opfermahl. Um das brennende Rad ober häufte man Holz und Stroh, daß es zu einem hohen Freudenfeuer wurde. Dieses Festfeuer nannte man Rad- oder Julsener, denn in der nordischen Sprache hieß das Rad Jul. Das ganze Fest hieß darum auch das Julfest. Die Freude am Winterfeste war groß, denn jetzt ging man dem Frühling, der schönsten Zeit des Jahres, entgegen. Als daher die christlichen Priester unseren heidnischen Voreltern die frohe Botschaft von dem erschienenen Heiland brachten, und zur Erinnerung an dessen Geburt unser schönes Weihnachtsfest einführten, das auf dieselbe Zeit des alten heidnischen Winterfestes fiel, da feierte man beide zusammen: jetzt
hatte ja die Finsternis des Heidentnmes aufgehört, und das Licht des Evangeliums war ihnen aufgegangen!
Noch manche Sitten und Gebräuche sind von diesen Festen unserer Vorsahren übrig geblieben. Am Vorabend des 1. Mai, oder am Johannisabend zünden die jungen Leute eines Ortes noch heute auf Höhen lustige Feuer an
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und tanzen um dieselben herum. Das sind noch Erinnerungen an die alten heidnischen Götterfeuer. Am Pfingstfeste schmückt , man das Haus mit dem ersten Maiengrün, mit Birkenreis. Die Birke, der Maienbaum, war der Baum der Frühlingsgöttin, und zu ihrer Ehre pflanzten unsere Vorfahren sie einst vor und in ihren Häusern auf, um ihre Freude auszudrücken, daß der harte Winter jetzt vertrieben sei. Das heilige Tier der Ostara war der Hase, und ihr Lieblingsopfer waren Eier. Am Osterfeste werden noch heute buut-bemalte Eier in Gras und Bnsch versteckt, und die Kinder suchen sie. Es heißt, der Osterhase hat sie gelegt, und die Eier selbst heißen Ostereier, oder im Elsaß Ostergackle. Auch die Osterfladen, die man in einigen Gegenden um Ostern ißt, sollen noch an den Opferkuchen der Göttin erinnern. Das Herbstfest ist jetzt zum Erntefest geworden, und der Herbstschmaus, den der Bauer seinem Gesinde giebt, in vielen Gegenden auch die Martinsgans, erinnert noch an den Opferschmaus, den man einst zu Ehren Wodans um diese Zeit genoß. Sogar der Weihnachtsbaum, den wir in der Christnacht anzünden, stammt eigentlich von dem alten heidnischen Winterfest her. Mitten im Schnee des Winters bewahrte der Tannenbaum allein die grüne Farbe des Sommers und zeigte dadurch, daß das Leben in der Natur nur schlief, aber nicht erloschen war. Als ein Zeichen dieses schlummernden Lebens stellte man den Tannenbaum in den Häusern auf, erleuchtete ihn durch Lichter und umtanzte ihn zur Ehre Freyr's. Der Weihnachtsbaum mit seinen strahlenden Lichtern hat sich bis heute erhalten, aber sein Glanz strahlt nicht mehr zur Ehre einer heidnischen Gottheit, sondern zur Ehre des himmlifcheu Vaters, der seinen Sohn in die Welt gesandt hat, um die Menschheit von der Finsternis des Heidentnmes zu erlösen! —
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II. Heldensagen.
Walter von Aquitanien.
1. Wie Walter und Hildegund entfliehen.
In dem fernen Ungarlande herrschte vor vielen Jahren ein mächtiger König, der hieß Etzel. Dieser war ein gewaltiger Kriegsheld und machte viele Eroberungen. Einst hatte er auch einen weiten Kriegszug unternommen und reiche Beute ans den eroberten Ländern mit heimgebracht. Das beste der Beute aber waren zwei Königskinder, die er ihren Eltern als Geiseln abgenommen hatte. Der Burgunderkönig Herrich hatte ihm sein einziges Töchterlein und König Alpher von Aquitanien sein Söhnlein mitgeben müssen, zum Zeichen und Unterpfand, daß sie von nun an dem Etzel Gehorsam leisten wollten. Diese beiden Königskinder hießen Walter und Hildegund. Auf demselben Zuge war auch der Frankenkönig G i b i ch, der in Worms am Rheine wohnte, besiegt worden. Auch er sollte sein Söhnlein Günther als Geisel mitgeben, als aber die Mutter gar sehr für ihren kleinen Liebling bat, da ließ Etzel sich endlich bewegen, statt seiner den Sohn eines ihrer Verwandten anzunehmen. Dieser Knabe, welcher Hagen hieß, wurde nun mit Walter zusammen in der hölzernen Etzelbnrg an der Donau erzogen, als wären sie des Ungarkönigs eigene Kinder. Die beiden Knaben aber wurden treue Freunde. Die kleine Hildegund jedoch kam zur Königin und ward von
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ihr gehalten wie ihre eigene Tochter. So lebten die drei viele Jahre im fernen Ungarlande bei den Hunnen und erwuchsen allmählich. Die Knaben wurden starke und tapfere Jünglinge und Hildegund eine schöne, züchtige Jungfrau. Ob sie es gleich ganz gut hatten in dem fremden Lande und König Etzel und seine Gemahlin sehr liebten, so gedachten sie doch oft ihres deutschen Vaterlandes und sehnten sich sehr nach der Heimat und ihren Lieben. Walter und Hagen kämpften zwar mutig an der Spitze tapferer Hunnen, und der Ruhm ihrer Kühnheit erscholl durch das ganze Ungarland ; aber lieber wären sie doch daheim gewesen und hätten ihre deutschen Mannen zu Kampf und Sieg geführt. Hildegund liebte die Hunnenkönigin wie eine Mutter, aber die rechte Mutter, die in Burgund um ihr verlorenes Töchterlein trauerte, konnte sie doch nicht vergessen, und heimlich, wenn es die Königin nicht sah, weinte sie manch' bittere Thräne. Alle Schätze der Etzelburg standen ihr zu Gebot, und die waren unermeßlich. Sie durfte nehmen, soviel sie wollte und sich damit nach Gefallen schmücken, oder den Armen zur Linderung ihrer Not austeilen. Aber alle schönen Schätze vermehrten nur ihren Kummer, denn es war manche Spange, und manches Stirnband dabei, die einst ihrer Mutter oder deren Frauen gehört, und manches Armband, das früher König Herrich, ihr Vater, oder dessen tapfere Helden getragen hatten, und die nun als Kriegsbeute in der Etzelburg aufbewahrt wurden.
Nun ereignete es sich, daß eines Tages eine wichtige Nachricht aus Worms kam: König Gibich war gestorben, und sein Sohn, an dessen Stelle einst Hagen hatte mit Etzel ziehen müssen, war König der Franken geworden. Der junge König verweigerte den Tribut, den sein Vater bisher an Etzel gezahlt hatte, und für den Hagen als Geisel bürgte. Nun litt es den Bürgen nicht länger in der Etzelburg, er
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mußte an den Rhein, um seinem jungen Könige beiznstehen. Ohne von Walter, der gerade auf einem Kriegszuge abwesend war, Abschied nehmen zu können, entfloh er heimlich aus Etzel's Landen. Glücklich erreichte er die Heimat, schwor König Günther den Eid der ewigen Treue und ward einer seiner tapfersten Ritter.
Ruhmbedeckt und mit Beute beladen kam Walter von dem Kriegszuge zurück und erfuhr die Flucht seines Freundes. War ihm schon früher der Aufenthalt an dem fremden Königshofe nur wenig lieb gewesen, jetzt war er ihm unerträglich, und er sann gleichfalls auf Flucht. Da traf er eines Tages Hildegund im Palast des Königs. Von Liebe zu der schönen Jungfrau ergriffen, fragte er, ob sie ihn begleiten und daheim sein ehelich Gemahl werden wolle. Hildegund willigte gern ein, denn sie wußte recht gut, daß ihre und Walter's Eltern einst den Lieblingswunsch gehegt hatten, sie mit einander zu vermählen. Walter gab jetzt den Rat, aus dem Schatze des Königs die Kleinode auszuwählen, die Etzel einst ans Burgund und Aquitanien geraubt hatte, und diese in zwei Kisten zu verpacken. Nachdem Hildegund diesen Rat befolgt, auch einigen Speisevorrat bereitet hatte, lud Walter den Etzel und feine Mannen zu einem Festmahle ein. Nach Hunnensitte ward viel gezecht, und die Becher machten fleißig die Runde. Walter hatte bald die Freude zu sehen, wie die müden Zecher einer nach dein anderen in festen Schlaf versanken. Da erhob er sich und umgürtete seine linke Seite mit einem großen Schwerte, wie es deutsche Ritter zu tragen pflegten, während er an der rechten das kurze Hnnnenfchwert trug. Dann holte er sein treues Schlachtroß, „der Löwe" genannt, aus dem Stalle. An beiden Seiten desselben befestigte er die von Hildegund bereit gehaltenen Kisten mit den Schätzen und auch die Speisevorräte. Während die geliebte Gefährtin das edle Tier am
Zügel führte, ging Walter kampfbereit nebenher. So zogen sie in Nacht itnb Nebel hinaus.
Erst spät am anderen Morgen erwachten Etzel und seine Ritter und sahen sich vergebens nach ihrem Wirte um. Als sie ihn überall suchten und nicht fanden, als auch aus dem Palaste der Königin die Nachricht kam, Hildegund sei verschwunden und mit ihr ein großer Teil des Schatzes, da gewahrte Etzel, daß die beiden deutschen Geiseln ihn überlistet hatten. Groß war nun der Zorn in der Etzelburg, und wutentbrannt zerriß der Hunnenkönig sein Gewand und forderte seine Ritter auf, den Flüchtlingen nachzusetzen und Waller gebunden zurückzubringen. Ja, er bot sogar einen hohen Preis aus, für fcen, der es wagen wollte, den entflohenen Königssohn wieder in seine Gewalt zu bringen; aber so hoch auch der Preis gestellt ward, kein Hunne hatte den Mut, dem kühnen Deutschen zu folgen, und unbehelligt kamen die Fliehenden der Grenze des Ungarlandes immer näher. Am Tage versteckten sie sich in dem dichtesten Gestrüpp und Gebüsch, das sie finden konnten, und des Nachts zogen sie auf den abgelegensten und unwegsamsten Pfaden weiter. Als die mitgenommenen Speisevorräte aufgezehrt waren, fing Walter Vögel und Fische, die Hildegund des Abends zubereitete. So waren sie 40 Tage lang gereist, da hörten sie gegen Morgen das Rauschen eines gewaltigen Stromes; es war der Rhein, uud die schöne Stadt Worms, wo der Freund Hagen dem König Günther diente, lag in der Nähe. Nun hätte man glauben sollen, die Not der Flüchtlinge habe ein Ende; aber nein, jetzt begann sie erst recht! König Günther war ein eigennütziger, geiziger Mensch, und als er hörte, daß Walter und Hildegund von der Etzelburg entflohen seien und die Schätze des Hunnenkönigs mit sich führten, da dachte er, es könnten auch die Armringe und Stirnbänder dabei sein, die einst seinem Vater von den
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Hunnen geraubt waren, und so viel Hagen auch für feinen Freund bat, es nicht zu thun, beschloß der König, die Flüchtlinge, wenn sie durch sein Land kämen, anzuhalten und -ihnen ihre Schätze abzunehmen. Die Kunde von der Ankunft derselben erfuhr er auf eine eigentümliche Art. Als Walter und seine Braut über den Rhein setzten, hatten sie nämlich dem Fährmann zwei sonderbare Fische, die Walter noch in der Donau gefangen hatte, als Lohn gegeben. Am anderen Morgen brachte der Fährmann die seltenen Fische dem Koch des Königs, und so kamen sie ans Günthers Tafel. Die Fische waren von lieblichem Geschmack, und darum forschte man nach, woher sie kämen. Als der Fischer nun den Ritter und die schöne Jungfrau beschrieb, die er über den Fluß gesetzt hatte, da erkannte Hagen daran seinen Freund Walter und Hildegund, die bnrgundische Königstochter und rief fröhlich aus: „Freuet euch mit mir, jetzt kehrt mein Geselle Walter heim ans dem fernen Ungarlande!" Der König aber hatte nur ein Ohr für die Worte des Fährmannes, als dieser von den beiden großen Kisten sprach, in denen es geklungen habe, als ob lauter Gold und Silber darin gewesen sei. „Nein", rief er aus, „freuet euch lieber mit mir, denn jetzt kommt König Gibich's Schatz zurück; auf, und folgt mir, daß wir ihn den Flüchtlingen abjagen!" Hagen gedachte der alten Treue und Freundschaft, die er feinem Waffenbruder Walter angelobt hatte und suchte den König von dem ungerechten Unternehmen abzumahnen. Aber es war vergebens. Günther befahl zwölf der tapfersten Helden, und darunter war auch Hagen, ihre Rosse zu satteln und ihm zu solgen. Mit tiefer Trauer im Herzen mußte der ritterliche Hagen gehorchen; sein König und Lehnsherr hatte es befohlen, und er mußte folgen, so schwer es seinem Herzen auch ward.
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2. Der Kampf mit König Gnnlher's Mannen.
Der Held Walter und seine Begleiterin zogen vom Rheine landeinwärts der Heimat zu. Ehe sie aber dahin
gelangen konnten, mußten sie erst ein hohes Gebirge über-
steigen, das hieß dermalen der Wasichenwald, die Welschen haben es später die Vogesen genannt. An der Stelle, wo jetzt eine breite Landstraße von der Stadt Weißen bürg nach der Gebirgsseste Bitsch führt, kamen die Flüchtlinge zwischen zwei Berge, die so dicht aneinander lagen, daß die herüberhüngenden Felsen sich oben fast berührten und eine ganz enge Hohle bildeten, die im Innern mit zarten, grünen Kräutern bewachsen war. „Hier laß uns rasten", rief
Walter erfreut aus, „hier sind wir sicher." Walter war der Rast auch sehr bedürftig, denn seit sie aus König Etzels Landen entflohen waren, hatte er nie anders geruht, als
auf Schwert und Lanze gestützt. Hildegund, die nicht so müde war, übernahm darum die Wache und versprach, ihn sanft zu wecken, sobald sich in der Ferne die Staubwolken der Verfolger zeigen würden. Der Schlummer des Helden wurde erst in der Morgendämmerung gestört. Da erblickte die nmherspähende Hildegund eine Schar Schwerbewaffneter; es war Günther mit seinen Mannen. Hildegund glaubte, es seien nachsetzende Hunnen, und voller Angst bat sie ihren Beschützer, sie lieber mit dem Schwerte zu durchbohren, als sie wieder in die Gewalt der Feinde fallen zu lassen. Walter aber tröstete sie und sprach: „Es sind keine Hunnen, es sind Franken, Bewohner dieses Landes, und jener starke Held mit dem rothen Federbusche auf dem Helme ist mein alter Freund Hagen, mein Gefährte aus der Etzelburg."
Kaum hatte er feine Rede beendet, so erschien ein stolzer Ritter, den König Günther auf Hagen's Rat abgesandt hatte, um mit Walter zu verhandeln; denn der Zugang zu der
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Höhle, vor welcher derselbe stand, war so enge, daß stets nur ein einzelner Mann heranzukommen vermochte.
„Hö-re Jüngling," rief der Abgesandte, „sage mir, wie du dich nennst, und was du in diesem Lande zu schaffen
hast-"
„Erst sage mir", erwiderte Walter stolz, „wer du bist, und wer dich sendet, denn ich sehe, daß du nicht allein bist."
„Ich heiße G a mel o von Metz, und mich sendet König Günther, dem dies Land gehört."
Da antwortete Walter: „Es ist zwar nicht schön von
ihm, einen müden Wanderer mit solchen Fragen zu behelligen,
doch will ich ihm Rede stehen. Ich bin Walter von Aquitanien. Als ich noch ein Knabe war, hat mein Vater mich nach dem Ungarlande als Geisel senden müssen; jetzt kehre ich in meine Heimat zurück, und die ich mit mir führe, ist meine liebe Braut Hildegund, die Tochter des Burguuderkönigs Herrich. Sage deinem König, daß ich ihm hundert goldene Armringe geben will, wenn er mich ungehindert durch sein Land ziehen läßt; denn daß er nicht in friedlicher Absicht gekommen ist,
sehe ich an der Rüstung."
Als Gamelo zurückkehrte und das Anerbieten Walter's überbrachte, da riet Hagen wiederum zum Frieden, aber König Günther schalt ihn feige und nannte ihn eine Memme, die nur mit der Zunge zu fechten verstehe und den Schwertkampf scheue. Als Hagen dies hörte, ergrimmte er über die unverdiente Kränkung und ging seitwärts zu einem nahen Hügel, um dein Kampfe zuzusehen.
Der kühne Gamelo rüstete sich zuerst zum Kampfe. Angethan mit glitzerndem Panzer und mit goldenem Helme geschmückt, ritt er zum zweitenmale vor die Höhle und ries: „Schicke dem Frankenkönig deinen Schatz, wenn dir das Leben lieb ist!" Walter aber erwiderte: „Habe ich den
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Schatz eltoc deinem König gestohlen, oder hat er mir einmal etwas geliehen, daß er es jetzt mit so hohen Zinsen zurückfordern könnte?"
Als Gamelo diese Antwort vernahm, warf er mit aller Kraft seine Lanze nach dem führten Sprecher. Dieser aber bückte sich schnell, und die Waffe fuhr in den grünen Rasen.
„Ha, wenn du es so meinst", rief Walter, „so bin ich auch dabei!" und mit den Worten zugleich flog auch der Speer hinüber. Walter hatte besser gezielt. Der Speer durchbohrte den Schild des Gamelo, zerschmetterte die Hand und die Hüfte desselben und drang noch tief in den Rücken des Pferdes, wo er stecken blieb. Das war ein Wurf, als ob ihn eines Riesen Kraft geschleudert habe, und um dm stolzen Gamelo war es geschehen. Walter sprang herzu, und während sein Feind sich vergebens bemühte, die Lanze loszumachen, durchbohrte er ihn mit seinem Schwerte.
Gar tief waren Günther und feine Mannen betrübt, als sie ihren tapfersten Kämpfer fallen sahen; den größten Schmerz aber empfand Skaramund, des Gefallenen Neffe, und er sprach: „Ihr Freunde, dies geht mich allein an, ich will den Oheim rächen oder selber sterben." Das Letztere tourte wahr, denn obgleich Skaramund kühn und tapfer auf seinen Gegner eindrang, ihm auch sogar einen so gewaltigen Hieb auf den Helm versetzte, daß die Funken aus dem Stahl sprühten, so lagen doch bald die Leichen des Oheims und des Neffen neben einander, während Walter ganz unverletzt dastand.
Der stolze König Günther schickte nun einen seiner tapferen Helden nach dem anderen in den verzweifelten Kampf; aber kein Speer, kein Pfeil und kein Schwert verletzte den noch tapferern Walter. Schon war der edle Werinhard aus Xanten, der streitbare Eckefried ans Sachsen und noch vier andere todesmutige Helden in dem Kampfe mit
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dem unüberwindlichen Jüngling gefallen, und dem König Günther waren von seinen zwölf Helden nur noch drei übrig geblieben; denn der grimmige Hagen saß noch immer auf feinem Hügel und freute sich, wenn auch im Schmerze um seine Genossen, doch innerlich über die Tapferkeit seines alten Waffenbruders. Da vereinten sich die Übriggebliebenen zu einer List. Einer der drei trug nämlich als Waffe einen starken Dreizack, der an einem Seile befestigt war und damit nach dem Wurfe immer wieder zurückgezogen werden konnte. Diesen Dreizack warf jetzt der stärkste von ihnen nach Wal-ter's Schild, und als die Haken darin festsaßen, zogen alle drei, und selbst König Günther faßte mit an, um Walter aus dem engen Felsenthor herabzuziehen, oder ihm wenigstens den Schild zu entreißen. Aber die List mißlang gründlich. Walter stand fest wie ein Eichbaum, und alle vier konnten ihn nicht vom Platze ziehen. Auf einmal ließ Walter den Schild fahren, gerade als sie im besten Ziehen waren. Da gab es ein lustiges Gepurzel, und die vier Helden lagen der Länge nach am Boden. Schnell entschlossen, sprang Walter jetzt auf sie zu, und ehe sie in ihren schweren Rüstungen sich erheben konnten, hatte er drei derselben getötet, und nur der König war noch am Leben. Der mochte aber den Kampf nicht wagen, sondern sprang eilig auf sein Pferd und sprengte auf den Hügel zu, auf dem Hagen noch immer faß. Walter aber ging ruhig zurück zu seiner Höhle, wo Hildegund ihn fröhlich empfing, und beide glaubten, nun habe Der Kampf und die Gefahr endlich ein Ende.
3. Der Kampf mit Hagen.
Nach so hartem Kampfe sehnte sich Walter nach Ruhe. Er hatte den König mit Hagen davon reiten sehen, aber er wußte nicht, was sie planten. Ob sie nach Worms zurück-
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kehren wollten und ihn in Frieden ziehen ließen? — Er hatte gesehen, wie König Günther seinen Freund Hagen geküßt hatte,
' und das schien ihm ein übles Zeichen für ihn selbst zu sein.
-Mag kommen, was da will!" rief er aus, „bis der Morgen tagt, bleibe ich hier!" Er versperrte nun den schmalen Eingang mit allerlei Buschwerk und Gestrüpp, dann kniete er hin und sprach ein gläubiges Dankgebet für seine Erhaltung und gedachte auch der Seelen der von ihm Erschlagenen; darauf legte er sich in der Höhle zur Ruhe nieder. Zu Hildegund aber sprach er: „Halte treue Wacht bis Mitternacht, dann magst du schlafen, und ich will der Wächter-sein, denn dann ist die Gefahr größer."
Mit dem Kuß des Königs, der Walter beunruhigte, war es aber folgendermaßen zugegangen: Als alle Helden gefallen waren, floh Günther zu Hagen. Er bat den grimmigen Helden so innig und so flehentlich ihm seine Ehre zu retten; er erinnerte ihn immer wieder an seinen Eid der Treue, den er ihm geleistet, daß endlich die Mannentreue gegen den Herren über die Freundschaft siegte. Es kam noch hinzu, daß unter den gefallenen elf Helden auch Hagen's Neffe war. dessen Tod er nach Rittersitte an dem Sieger rächen mußte, einerlei, ob dieser Sieger sein Freund war oder nicht. Er versprach seinem Herrn, am anderen Morgen, wenn Walter sein Felsennest verlassen hätte, im offenen Felde mit ihm zu kämpfen. Voll Freude fiel jetzt der König seinem Dienstmanne um den Hals und küßte ihn.
Im ersten Morgengrauen, als Walter ringsum keinen Feind erspähen konnte, fing er sechs von den zurückgelassenen Rossen der Gefallenen. Vier belud er mit den erbeuteten Rüstungen, auf das fünfte hob er Hildegund, und das sechste bestieg er selber, während er den mit den Schätzen beladenen „Löwen" am Zügel führte. Kaum hatten sie die Schlucht verlassen und waren etwa tausend Schritt in die Ebene hinab
gestiegen, als Hildegund zwei Reiter gewahrte. Bleich vor Schrecken rief sie aus: „Fliehe, o Herr, nun ist unser Ende da, sie kommen!" Walter aber antwortete: „Meine Rechte hat so viele Feinde vernichtet, daß es schimpflich wäre zu fliehen. Nimm den „Soweit" mit unserem Schatz und führe ihn in dieses Wäldchen; ich will hier getrost die Feinde erwarten, wie es einem Ritter gebührt."
Er brauchte nicht lange zu warten. Günther sprengte zuerst gegen ihn heran und kränkte ihn durch höhnende Rebe, aber Walter kümmerte sich nicht barum. Er wandte sich vielmehr mit rührenden Worten an seinen alten Freund und bat ihn, von dem Kampfe abzustehen, ja er bot sogar reichliches Lösegeld für den Frieden. Hagen aber erwiderte finster:
„Nicht um Gold und Beute kämpfe ich, darum hielt ich mich gestern fern; aber die Ehre meines Königs und das Blut meines Neffen, den bu gestern erschlagen hast, fordern von mir den Kampf."
Nach solchen Worten war weitere Rede unnütz, und der Kampf begann. Alle brei sprangen von den Rossen. Hagen warf zuerst den Speer, aber der traf nur den Schild und fuhr unschädlich seitwärts in die Erde. Auch Günther warf jetzt, aber gering war die Kraft seines Armes, und Walter schüttelte den Speer leicht von feinem Schilde ab. Jetzt begann ber Schwertkampf, unb bald zu zweien, Mb abwechselnd stürmten Hagen unb Günther auf ihren Gegner ein; am meisten aber bebrohte ihn Hagen. Von ber zweiten Morgenstunde an ; währte ber Kamps bis Mittag, unb keiner von ben breien war verwunbet. Da faßte Günther einen bösen Plan, ber allen breien Unglück brachte, ihm selber aber am meisten.
Er hätte nämlich gar zu gern feine Lanze, bie zu ben Füßen Walter s lag, roiebergehabt, um bann, währenb Hagen den Jüngling bebrohte, ihm mit berfelben einen töd-
lichen Stoß zu versetzen. In einem Augenblicke, als Hagen hart auf Walter eindrang, steckte Günther sein Schwert in die Scheide und griff nach dem Speere. Aber Walter merkte die Absicht, und seinen Angreifer ein wenig zurückdrängend, setzte er den Fuß auf den Speer und holte zugleich zu einem mächtigen Hiebe aus. Doch diesmal rettete Hagen noch seinen König. Er fing den Schlag mit seinem Schilde auf. Da warf auch Walter mit der Lanze, die er noch in der Hand hielt, nach Hagen, und während dieser sich gegen den Wurf deckte, versetzte er Günther einen so gewichtigen Schlag mit seinem langen Schwerte, daß dessen rechtes Bein vom Rumpfe getrennt wurde. Schon schwang er das Schwert zum Todesstreiche über dem Haupte des Königs, da sauste Hagen's Waffe durch die Luft, und das Schwert mitsamt der abgehauenen Hand lag am Boden. Walter verbiß den Schmerz und zog mit der linken Hand das kurze Hunnenschwert, und ehe Hagen es verhindern konnte, versetzte er ihm einen Schlag ins Gesicht, der die ganze Wange spaltete, ein Auge zerschlug und sechs Backenzähne ans der Kinnlade löste. Da war der Kampf zu Ende. Alle Helden waren schwer verwundet und des Kampfes satt. Auch Hagen war jetzt beruhigt, die Ehre seines Königs war gerettet, uud sein Neffe gerächt. Am meisten freute sich Walter, trotz seiner abgeschlagenen Hand. Er rief Hildegund herbei, und diese verband nun mit zarten Händen die Wunden der drei Helden. Walter und Hagen setzten sich einander gegenüber auf den Rasen, der arme Günther aber mußte am Boden liegen bleiben, denn sein abgehauener Schenkel erlaubte ihm nicht sich zu fetzen. Walter bat jetzt die Hildegund, aus ihren Vorräten ein Krüglein Wein zu holen. Als sie damit kam, gebot er: „Zuerst reiche deu Becher an Hagen, er hat gar tapfer und treu für seinen König gestritten; dann gieb ihn mir, denn ich habe am meisten gelitten, und zuletzt mag König Günther
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trinken, denn er hat nur lässig gekämpft und wird nicht sehr warm geworden sein.
Hagen aber lehnte die Ehre ab und sprach zu der Braut seines Freundes: „Reiche erst deinem Herrn und Bräutigam den Becher, er hat besser gekämpft als wir alle." Da nahm Walter den Trunk und reichte seinem alten Waffenbruder die übriggebliebene Hand, und beide erneuerten den Treubund mit einander. Nachdem sie auch dem König den Becher gereicht, und trotz der Schmerzen, die ihre Wunden ihnen verursachten, noch eine Weile mit einander gescherzt hatten, hoben sie den lahmen König auf sein Pferd, unb nun kehrten alle drei in ihre Heimat zurück: Günther unb Hagen nach Worms, Walter aber mit Hilbegunb nach Aquitanien. Hier würben bie Brautleute mit hohen Ehren empfangen unb feierten ein fröhliches und glänzendes Hochzeitsfest.
Die Tapferkeit des Helden Walter aber wurde weit und breit bekannt unter seinen Zeitgenossen und Nachkommen, und viele, viele Jahre nachher erzählte man noch von seinen tapferen Kämpfen. Zuletzt ward die Geschichte von Walter und Hildegund von einem Dichter in einem langen und schönen Gedichte besungen, und das wurde das Walthariuslied genannt.
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Die Nibelungen.
1. Wie Siegfried den Drachen schlägt.
An den Ufern des Niederrheins stand in alten Zeiten eine Burg auf einem hohen Berge, die hieß Xanten. Hier herrschten König S i e g m u u d und seine Gemahlin S i e -gelinde. Die beiden hatten einen Sohn, den nannten sie Siegfried. Er war der Liebling der Mutter und der Stolz des Vaters, denn er war von lieblicher Schönheit, und seine Augen hatten einen sonnenhaften Glanz; dazu besaß er als Knabe schon die Stärke eines Mannes. Als er ein Jüngling geworden war, konnte er die Zeit nicht abwarten, daß ihn sein Vater in die Fremde schicke, und ohne Erlaubnis ritt er daher eines schönen Morgens in die weite Welt hinaus, um Abenteuer zu suchen. Müde und hungrig und ohne einen Zehrpfennig kam er des Abends in ein Dorf, das am Rande eines Waldes lag. Am Ende des Dorfes gewahrte er eine Schmiede. Da kam ihm der Gedanke, hier zu bleiben. „Wie wärs," sprach er zn sich selbst, „wenn der Schmied dich als Arbeiter nähme?" Der aber stand mit seinem Gesellen vor der Thür, denn es war schon Feierabend.
„Kann ich bei euch Arbeit finden, Meister ?" fragte Siegfried und hielt fein Roß an. Verwundert antwortete der Schmied: „Seit wann reiten denn die Schmiedegesellen hoch zu Roß aus die Wanderschaft?" Siegfried aber warum eine Antwort nicht verlegen. „Mein letzter Meister", rief er, „hatte kein Geld, um mich zu bezahlen, und ba hat er mir bas Roß als Lohn gegeben!" Der Meister lachte,
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aber er fand Gefallen an dem kecken Jüngling, der ganz darnach aussah, als könne er einen tüchtigen Hammer schwingen. Er nötigte darum Siegfried abzusteigen und nahm ihn als seinen Gesellen. Nun gingen sie miteinander in das Haus, denn die Meisterin hatte das Abendessen aufgetragen. Beim Essen stellte der neue Geselle seinen Mann; er hatte den ganzen Tag nichts gegessen und getrunken und langte darum tapfer zu. „Wenn du den Hammer auch so gut zu schwingen verstehst, wie den Löffel," sprach der Meister, „so denke ich einen tüchtigen Gesellen an dir bekommen zu haben." Obgleich Siegfried keinen Begriff von der Schmiedekunst hatte, ging er doch ganz getrost zu Bett und schlief ohne Sorge. Am anderen Morgen sollte das Schmieden losgehen. Der Meister gab ihm, weil er noch jung war, einen leichten Hammer; Siegfried aber wühlte den schwersten aus, der in der Schmiede war, und schwang ihn spielend in der Luft. Da brachte der Meister das glühende Eisen und legte es auf den Ambos und sprach: „Jetzt laß nur das Faxenmachen,
du wirst noch müde genug werden, schlage nur tüchtig zu." Aber als Siegfried den ersten Schlag that, da zitterte Die ganze Werkstatt, das Eisen zersprang in zwei Stücke und der Ambos zerspaltete sogar den dicken Holzklotz, auf dem er befestigt war. Da packte der Meister erstaunt den neuen Gesellen am Ohrläppchen und rief: „Junge, wo hast du die Riesenstärke her?“ Siegfried aber verstand das anders, faßte den Meister samt dem Gesellen am Kragen und warf sie beide in die Ecke. Mit dem Schmieden war es jetzt vorbei. Da gab der Geselle den guten Rat, den gefährlichen Kameraden in Frieden los zu werden. Als Siegfried wieder hereinkam, sprach darum der Meister zu ihm: „Höre, Siegfried, wir müssen heute die Arbeit aussetzen; du hast mich so unsanft auf die Erde geworfen, daß mir alle Rippen wehe thun. Da wir nur noch wenige Kohlen haben, so kannst du in den
Wald gehen und Kohlen holen; der Köhler wohnt links am Kreuzwege bei der großen Linde, bringe nur einen tüchtigen Sack voll, dann wollen wir morgen wieder frisch an die Schmiedearbeit gehen."
„Gieb mir nur mein Pferd, dann bringe ich gleich zwei Säcke," erwiderte Siegfried und ging in den Stall und bestieg sein Roß.
Mit dem Köhler war es aber eine eigene Sache. Es wohnte gar keiner in dem Walde, aber bei der Linde am Kreuzwege hauste ein gräulicher Lindwurm, ein fürchterlicher Drache, der jeden auffraß, der ihm nahe kam. „Reite nur hin",
dachte der Schmied, „bei dem Drachen wird dir deine Stärke nichts nützen."
Siegfried hatte keine Ahnung von der Gefahr, die ihm drohte, und ritt ganz vergnügt in den Wald. Er kam bald an den Kreuzweg, sah auch die große Linde, aber einen
Kohlenbrenner konnte er nicht gewahr werden. Hinter dem Baume lag ein kleiner See und hinter dem See war eine steile Felswand; das war alles, was er sah. Endlich bemerkte er in der Felswand eine Höhle und dachte: „Sollte dort vielleicht der Kohlenbrenner wohnen?" Plötzlich kam ein gewaltiges Untier ans der Höhle hervor; es war der Lindwurm. Er hatte einen langen, dicken Leib wie eine Schlange und dicht hinter dem Halse zwei große Flügel. Der ganze Leib war mit großen gelblichen Schuppen bedeckt, und vorn am Leibe und in der Mitte hatte er je zwei große Füße
mit langen, spitzen Krallen wie ein Adler. Den Rachen, der
so groß war, daß er einen ganzen Mann hätte verschlingen können, hatte er weit geöffnet, und Siegfried sah seine drei Reihen langer Zähne und seine blutrote, feurige Zunge, die war in drei Teile gespalten und bewegte sich hin und her, wie das Züngelchen einer zischenden Schlange.
Das Ungeheuer stürzte sich in den See und schwamm
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auf Siegfried zu. Da dieser keine Waffen hatte, so ergriff er einen nahestehenden Baum und riß ihn mitsamt der Wurzel aus dem Boden. Als der Drache nun im Begriff war auf das Ufer zu klettern, warf Siegfried den Baum mit seinen vielen Ästen und Zweigen auf ihn. Der Drache verwickelte sich mit seinen Füßen und mit seinem schlangenförmigen Leibe in den Zweigen. Siegfried warf nun schnell noch einige ausgerissene Bäume und abgebrochene Äste darüber, so daß das Untier ganz bedeckt ward und sich nicht mehr los machen konnte. Jetzt zündete er schnell die Bäume an. und der Lindwurm verbrannte in dem Feuer. Da gewahrte Siegfried ein kleines Büchlein, das aus dem Feuer herausrann. Das war das ausgebratene Fett des Lindwurmes. Um sich aber ganz gewiß zu überzeugen, tauchte er seinen Finger hinein. Da sah er, daß, als das Fett erkaltete, den Finger eine harte, hornige Haut bedeckte. „Das giebt einen guten Harnisch," sprach er bei sich selbst, „ich will mich ganz damit bestreichen." Gesagt, gethan! Schnell zog er die Kleider aus und bestrich sich den ganzen Körper mit dem aufgebratenen Drachenfett. Das ward bald hart, und er bekam eine ganz hornige Haut, und von nun an war er sicher, daß kein Schwert und kein Speer feine Haut auch nur ritzen konnte. Nur an einer ganz kleinen Stelle zwischen den Schultern hatte sich ein Lindenblatt, das vom Baume fiel, angehängt. Die Stelle blieb unbestrichen und die Haut wie gewöhnlich. Erst hatte Siegfried das Blatt nicht bemerkt; als er es aber gewahrte, dünkte die Stelle ihn so unbedeutend, daß er sich nicht weiter darum kümmerte, zumal er sie nicht gut mit den Hünven erreichen konnte, weder mit der rechten noch mit der linken.
Da Siegfried nun ein so seltenes Abenteuer bestanden hatte, dessen er sich nicht zu schämen brauchte, beschloß er nach Xanten zurückzukehren. Auf dem Heimwege ritt er an bet Schmiede vorbei. Der Meister stand wieder an der
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Thür und war ganz erstaunt, als er Siegfried zurück kommen sah. Dieser aber rief ihm lustig zu: „Dein Kohlenbrenner liegt draußen und ist selbst zu Kohlen verbrannt. Du kannst von ihm keine Kohlen mehr bekommen; ich rate dir aber einen Topf zu nehmen und von seinem Fett zu holen, das brennt eben so gut wie Kohlen."
Die Eltern Siegsried's freuten sich sehr, als er zurückkehrte, aber die Ritter lächelten spöttisch, denn er war nur wenige Tage fort gewesen. Als er aber die Geschichte von dein Drachen erzählte, auch seine hornige Haut zeigte, da verwandelte sich ihr Spott in Bewunderung. Sein Abenteuer ward bald im ganzen Lande bekannt, und die Leute nannten ihn wegen seiner hornigen Haut nie anders als den h ö r n e r n oder gehörnten Siegfried.
2. Wie Siegfried die Zwerge bezwingt.
Der thatenlustige Siegfried konnte es nicht lange auf der Burg Xanten aushalten, und bald ritt er wieder auf Abenteuer aus. Da kam er einmal an einen hohen Berg, an dem sah er eine Anzahl von Zwergen herumlaufen und horte sie eifrig miteinander streiten. Das waren die Nibelungen, d. H. die Leute des Nebellandes, die wohnten in den Bergen. Sie hatten zwei Könige, die hießen Schil-bung und Nibelung. Das waren ein Paar mächtige Fürsten, denn nicht allein das Geschlecht der Zwerge war ihnen unterthau, sondern sie waren auch wohl befreundet mit den starken Riesen, die in dem Lande hinter den Bergen wohnten. Als Siegfried sich dem Zwergvvlke näherte, begrüßten sie ihn freundlich und riefen ihm entgegen: „Hier kommt der starke Siegfried, der Held von Niederlanden!" Als der Angerufene sich nun umsah, gewahrte er einen ungeheuren Schatz von Gold und Silber und köstlichen Edel-
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steinen, die in dem Sonnenlichte in den prächtigsten Farben funkelten. Das war der Schatz der Zwerge, den die beiden Könige viele Jahre in dem Berge aufbewahrt hatten. Jetzt aber waren sie uneins geworden, hatten den Schatz, den sie Nibelungenhort nannten, heraustragen lassen und wollten ihn unter sich teilen. Da sie aber auch beim Teilen nicht einig werden konnten, so baten sie Siegfried, ihnen denselben auseinander zu legen. Der war bereit dazu, und sie gaben ihm zum Lohne ein kunstvoll geschmiedetes Schwert, das sie B a l m u n g nannten, und mit dem Siegfried alle seine Feinde leicht besiegen konnte, denn es focht beinahe von selbst. Obgleich der Nibelungenhort so groß war, daß hundert Wagen ihn nicht hätten wegzutragen vermocht, teilte Siegfried doch alles ganz gewissenhaft. Aber die Zwerge waren neidisch auf einander, und so waren sie nicht mit der Teilung Siegfrieds zufrieden. Das nahm der Held aber gewaltig übel, und die ersten Feinde, die er mit seinem Nibelungenschwerte angriff, waren die Nibelungen selbst. Da riefen die beiden Könige schnell zwölf starke Riesen herbei, die sollten den Siegfried überwinden; aber es dauerte gar nicht lange, so lagen sie alle tot an der Erde, und sogar auch die beiden Zwergkönige Schilbung und Nibelung. Da kamen aber noch siebenhundert starke und kühne Recken aus dem Nibelungenlande, die kämpften gar tapfer, und hätte Siegfried sein gutes Schwert Balmung nicht gehabt, so würden sie ihn gewiß besiegt haben. So aber ward er ihrer Herr und tötete sie alle. Als die übrigen Zwerge und Riesen das sahen, überkam sie eine große Furcht vor dem Helden Siegfried und seinem guten Schwerte, und sie gaben Hm das Land und die Burgen .und natürlich auch den Schatz zu eigen. Einer von den Zwergen aber wollte sich durchaus nicht ergeben, sondern wehrte sich wie ein Löwe, um den Tod seiner Könige zu rächen. Das war der Zwerg Albe rich. Siegsried würde
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nun wohl bald Herr über ihn geworden sein, wenn derselbe nicht eine Kappe getragen hätte, die ihn unsichtbar machte. Mit dieser Kappe — sie hieß Tarnkappe — auf dem Kopfe rannte der Zwerg wütend auf Siegfried ein und versetzte ihm manchen kühnen Schwertstreich, die aber alle an der hörnernen Haut abglitten und ihm nichts schadeten. Endlich packte Siegfried aber doch den tapferen Alberich und • nahm ihm die Tarnkappe ab. Da mußte er sich ergeben, und Siegfried war der alleinige Herr des Nibelungenlandes und seines unermeßlichen Schatzes. Er befahl nun den Übriggebliebenen, den Schatz wieder an den alten Ort zu tragen; den Zwerg Alberich aber setzte er seiner bewiesenen Treue und Tapferkeit wegen zum Wächter des Schatzes. Ihm ward befohlen, den Schatz an niemand als an ihn selbst, oder an seine Boten auszuliefern. Siegfried beschloß aber, den Schatz niemals zu heben, denn er hatte von einer alten Weissagung über denselben gehört: es sollten einmal die Götter den Nibelungenhort verflucht haben, und seit der Zeit brachte er jedem, in dessen Besitz er geriet, Urtheil und großes Unglück. Darum dachte Siegfried, es fei besser, den Schatz in dem Berge zu lassen, und ritt also ohne ihn heim in die Burg seines Vaters und erzählte sein Abenteuer mit den Zwergen. Dabei zeigte er auch sein schönes Schwert Balmung, und das ward von allen Rittern bewundert, denn es war so scharf, daß man Eisen und Stahl damit zerschneiden konnte.
3. Brunhild, die Walküre.
Der Göttervater Odin sandte einst die Walküren auf die Erde, um auf dem Schlachtfelde den Helden Sieg zu verleihen, oder die Seelen derer, die Odin als Einherier zn sich nach Wallhalla nehmen wollte, in Empfang zu nehmen. Unter diesen Walküren war auch eine, die hieß Brun hild.
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Als sie über dem Schlachtfelde schwebte, sah sie einen Helden, der nach Odin's Willen im Kampfe fallen und nach Walhalla kommen sollte. Brunhild aber hatte Mitleid mit seiner Jugend und seiner Tapferkeit und verlieh ihm gegen den Willen des höchsten Gottes den Sieg über seinen Gegner. Da ward Odin zornig und stach znr Strafe die ungehorsame Walküre mit dem Schlafdorne; da ward sie in eine irdische Jungfrau verwandelt. Nun befahl der Gott ihr, auf der Erde zu bleiben und wie anvere Frauen sich zu vermählen. Brunhild aber schwur einen feierlichen Eid, daß sie nur einen Helden zum Manne nehmen wolle, dessen Herz gar keine Furcht kenne. Auf einem hohen Berge im Frankenlande ließ sie sich eine Schildburg erbauen und umgab dieselbe mit einem Flammenwall, der wie ein großes Feuer zum Himmel auflohte. Sie selbst legte dann einen goldglänzenden Panzer an, setzte einen blinkenden Helm aus und legte sich schlafen; denn nun glaubte sie, es sei unmöglich, daß ein Held zu ihr heraufkäme, um sie zum Gemahl zu begehren. Aber es kam doch einer.
Als Siegfried aus dem Kampfe mit den Nibelungen heimgekehrt war, blieb er nur kurze Zeit auf der Burg Xanten, und soviel die Mutter Siegelinde ihn auch bat, ritt er doch bald wieder davon. Diesmal wandte er sich südwärts nach dem Frankenlande. Manche Tagereise hatte er schon gemacht und war schon viele Meilen von Burg Xanten entfernt, aber er fand diesmal keine rechte Gelegenheit Abenteuer zu bestehen. Endlich sah er auf einem hohen Berge ein sonderbares Sicht. Als er näher hinzuritt, da erblickte er eine Burg, die ganz mit Feuerflammen umgeben war, und oben aus der Burg heraus flatterte eine Fahne, die Siegsried noch niemals gesehen hatte. Das war die Schiloburg ber Walküre Brunhild. Siegfrieds Pferd scheute vor den Flammen und bäumte sich, aber der kühne Held gab
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ihm die Sporen, und da es ein edles Tier war, das, ähnlich wie Odin's Sleipnir, durch Wasser und Feuer zu eilen vermochte, so sprang es mit einem gewaltigen Satze durch die Flammen in die Burg hinein. Voller Erstaunen gewahrte jetzt Siegfried einen in voller Rüstung schlafenden Helden. Er nahm ihm den Helm vom Haupte und sah nun erst, daß es eine Jungfrau war. Da wollte Siegfried ihr auch den Panzer lösen, aber der lag so fest an ihrem Körper, als wäre er ans Fleisch gewachsen. Da nahm er sein scharfes Schwert und ritzte mit der Spitze den Panzer durch, vom Halse herab und ebenso an beiden Armen. Als er nun den gelösten Panzer abzog, da erwachte die Jungfrau, richtete sich empor und schaute den Helden verwundert an. Siegsried setzte sich an ihrer Seite nieder und fragte sie nach ihrem Namen. Da erzählte sie ihm, daß sie einst eine mächtige Walküre gewesen • daß aber Odin sie wegen ihres Ungehorsams gestraft habe. Dann aber lobte sie Siegfried wegen seiner Kühnheit, holte ein Trinkhorn herbei, das mit Met gefüllt war, und reichte es ihm zum Willkommen. Während ber Held sich an dem kühlen Trunk labte, erzählte sie ihm von Afenheim und den Göttern und Einheriern, lehrte ihn die Runen und ermahnte ihn, tapfer zu sein, und lieber einen frühen Heldentod zu wählen, als ruhmlos dahinzuleben. Da sprach Siegfried: „Kein weiseres Weib ist auf der ganzen Erde zu finden als du, dich will ich zu meinem Gemahl, denn du bist nach meinem Sinn." Brunhild aber antwortete ihm: „Dich will ich und keinen anderen, hätte ich auch unter allen Helden zu wählen, denn du bist der kühnste und tapferste." So verlobten sich die beiden und bekräftigten den Bund mit heiligen Eiden.
Dann zog Siegfried von der Burg hinab, weiter in das Land der Franken hinein, bis an den schönen Rheinstrom, um neue Abenteuer zu suchen. Der Brunhild aber
A l b e r s, Lebensbilder. 0
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versprach er nach einiger Zeit wieder zu kommen unb sie heimzuführen zu seiner lieben Bcutter Siegelinbe, damit sie dann als Herrin und Gebieterin ans der Burg Xanten' herrsche.
4. Siegfried am Hofe König Kuniher's.
In ber alten Kaiserstabt Worms lebte einst eine mächtige Königin, bie hieß U t e. Sie hatte drei Söhne unb eine Tochter. Die Söhne waren Günther, ber an seines verstorbenen Vaters Statt König geworben war, G e r n o t unb Giselher; bie Tochter aber hieß Kriemhild. Am Hose des Königs Günther lebten gar viele tapfere Helden aus dem Burgunderland. Der tapferste und kühnste von allen aber war Hagen vonTronje, den man wegen seiner großen Kühnheit ben Grimmigen nannte. Seine Bnrg Tronje soll im Elsaß, an der Mossig, zwischen Marlen he im und Kirchheim, an der Landstraße von Straßburg nach Zabern gelegen haben.*) Er lebte aber mit seinem Bruder Dankwart, ben man ben Schnellen nannte unb ber Marschalk bes Königs war, zu Worms ant Hofe Gunther's, unb mit ihnen auch ber Helb Ortwein von Metz unb Volker, der Spielmann, nebst vielen anderen tapferen Recken. An einem so edlen Hofe wuchs Kriemhild zu einer lieblichen Jungfrau heran, unb mancher edle Jüngling warb um ihre Hand, aber sie wollte von keiner Vermählung wissen. Einmal hatte sie einen Traum von einem Falken, der von zwei
Adlern zerrissen ward. Da deutete die Mutter Ute diesen Traum: es werde bald ein tapferer Helb kommen unb Kriemhild als feine Gemahlin heimholen; aber btefe bat, solche
Rebe zu lassen, beim sie wolle unvermählt bleiben. Der
*) Vergl. Hertz, deutsche Sage im Elsaß, Seite 214.
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Held aber, auf den die Mutter deu Traum gedeutet hatte, kam bald. Es war Siegfried, der Held aus der Burg Xanten. Er erschien mit zwölf auserwählten Mannen und begehrte Aufnahme an König Gnnther's Hofe. Wie es die ritterliche Sitte erheischte, ward er von tapferen burgnndischen Recken begrüßt. Niemand kannte Siegfried und wußte von wannen er war, nur Hagen der Grimmige, der viel in der Welt herumgekommen war, sprach: „Von wannen die Helden auch an den Rhein gekommen sein mögen, so scheinen sie doch selbst Fürsten, oder wenigstens Boten eines solchen zu sein. Nach allem, was ich von Siegfried gehört habe, glaube ich wohl, daß jener herrliche Recke der junge Königssohn aus Tanten sein könnte, der den Drachen erschlagen und die mächtigen Nibelungenkönige bezwungen hat." Und nun begann er ausführlich von den herrlichen Thaten des Jünglings zu berichten. Da antwortete der König Günther: „Du magst wohl recht haben, Hagen, wir wollen sie freundlich und ehrerbietig empfangen." Darauf ging er selbst mit seinen Helden hinab in den Burghof und begrüßte Siegfried : „Seid uns willkommen samt euren tapferen Kampfgenossen, die euch begleiten; wir wollen euch gern zu Diensten sein." Daraus ließ er ihnen die beste Herberge in der Burg anweisen
und von seinem besten Wein bringen.
Am anderen Tage stellten die Fremdlinge unter sich und mit den Helden Gnnther's allerlei Kampf- und Wettspiele an, aber in allen blieb Siegfried Sieger. Ob sie mit Steinen warfen, oder Speere schleuderten: ob sie mit den Schwertern kämpften, oder mit Lanzen gegen einander rannten: Siegfried war immer der stärkste und geschickteste Kämpfer, und Niemand konnte es ihm gleich thun, selbst nicht einmal der grimmige Hagen. Über solche Tapferkeit des Helden freuten sich alle, am meisten aber König Günther, denn so lange
Siegfried an seinem Hofe blieb, konnte er es getrost mit
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allen feinen Feinden aufnehmen. Auch Ute, die Mutter des Königs, hielt Siegfried sehr hoch in Ehren und wünschte nichts sehnlicher, als daß er die schöne Kriemhild zur Gemahlin nehme und stets in Worms bleibe. Als nun eines Abends Siegsried und die Söhne der Königin in der Halle zusammensaßen und Met tranken, da reichte Kriemhild dem Helden Siegfried das Horn, welches die zauberkundige Mutter mit einem Vergessenheitstrank gefüllt hatte. Von Stund' an vergaß Siegfried die Walküre Brunhild, der er sich verlobt hatte, und dachte nur immer an die schöne Kriemhild, daß er sie zu seiner Gemahlin wähle. Die arme Brunhild aber wartete lange auf Siegfried; endlich verzweifelte sie an seiner Rückkehr und zog nach einer fernen Insel, die hieß Island, und daselbst ward sie eine mächtige Königin.*)
Es dauerte nicht lange, da kam die Kunde von der wun-
derbaren Schönheit dieser Königin von Island auch nach Worms an den Hos Gunther's, und dieser hatte bald keinen sehnlicheren Wunsch, als sie zur Gemahlin zu besitzen. Dieser Wunsch war aber nicht so leicht zu erfüllen; wer in drei ritterlichen Wettkämpfen mit ihr nicht Sieger blieb, der mußte fein Haupt verlieren. Günther verlor aber doch den Mut nicht. Mit Hülfe feiner tapferen Ritter, besonders aber mit Siegfrieds Unterstützung glaubte er, den Kamps wagen zu können. Er ließ daher den tapferen Siegfried zu sich kommen und sprach also: „Kannst du es möglich machen, daß Brunhild in dieses Land kommt und meine Gemahlin wird, so
will ich dir meine Schwester Kriemhild geben, und du magst
immer fröhlich mit ihr leben." Siegfried war hocherfreut
*) Da hier nur die Sage, und nicht der Inhalt des Nibelungenliedes erzählt wird, so glauben wir, diese Verbindung der Edda, der auch der vorhergehende Abschnitt entlehnt ist, mit dem erwähnten Liede wagen zu dürfen.
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und gab gern das Versprechen, die mächtige Königin gewinnen zu helfen. Auch der grimmige Hagen und der Marschalk Dankwart wurden eingeladen, an dem Zuge teil zu nehmen. Kriemhild fertigte ihnen nun die prächtigsten Kleider aus kostbarer Seide, die aus Arabien, Lybien und Maroeco gekommen war, und besetzte dieselben mit edlen Steinen. Jedem der vier Helden wurden zwölf solche Gewänder gerüstet, damit sie in vier Tagen täglich dreimal die Kleider wechseln könnten, um mit Ehren vor der reichen Brunhild zu bestehen. Auch kostbare Waffen und ein neugezimmertes Schiff wurden hergerichtet. In sieben Wochen war alles bereit; die Helden bestiegen das Schiff, dessen Steuer Siegfried führte, und ein günstiger Wind brachte sie bereits am zwölften Morgen in das Land der Königin Brunhild.
Als die Helden in Island gelandet waren, ließen sie ihr Schiff am Strande zurück und begaben sich in die Burg der Brunhild; die hieß Isen st ein. Prächtig gekleidet und von hundert schönen Jungfrauen begleitet, ging diese mit fünfhundert ihrer tapfersten Recken den Fremdlingen entgegen. Brunhild wandte sich zuerst an Siegfried, denn er schien ihr der Vornehmste zu sein. Dieser aber erwiderte ehrerbietig: „Großen Dank für eure Güte, Herrin, daß ihr mich eher grüßt als meinen Herrn, der hier vor mir steht. Er ist ein mächtiger König aus Burgunderland von Worms am Rhein und heißet Günther. Er ist hierher gekommen um eurer Liebe willen; denn er möchte euch als seine Gemahlin begehren. Run überlegt euch wohl, ob ihr nicht lieber von dem Wettkampfe abstehen und ihm freiwillig an den schönen Rheinstrom folgen wollt." Brunhild bestand aber darauf, daß Günther sie erst besiegen müsse, und als Hagen nun fragte, was das für Kämpfe wären, antwortete sie: „Den Stein soll er werfen und ihm nachspringen, auch den Speer soll er mit mir um die Wette schleudern!
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Als Siegfried nun dem König leise seine Hülse versprochen, antwortete Günther: „Alle Kämpfe, zu denen ihr Lust habt, hehre Königin, will ich gern mit euch bestehen, und kann ich euch nicht zum Weibe gewinnen, so will ich gern das Haupt verlieren.
Nun rüsteten sich Brunhild und Günther zum Wettkampfe, und die Waffen wurden gebracht. Die Recken aus Island, wohl siebenhundert an der Zahl, bildeten einen Ring und steckten den Kampfplatz ab. Dann brachte der Kämmerer mit noch drei anderen kräftigen Recken Brunhild's Schild und Speer. Da erschrak selbst der grimmige Hagen, denn solche Waffen hatte man noch nie gesehen. Der Schild war drei Spannen dick und ganz mit Stahl beschlagen und mit Gold verziert. Vier Mann hatten Mühe, ihn zu tragen. Der Speer war aus großen Eisenstäben geschmiedet und so schwer, daß drei starke Recken ihn nur mühsam herbeischleppten. Während nun der König, Hagen und Dankwart noch voller Erstaunen über die gewaltigen Waffen waren, eilte Siegfried an den Strand des Meeres. Da er sich für den Dienstmann des Königs Günther ausgegeben hatte, achtete niemand aus ihn. Aus dem Schifflein nahm er nun die Tarnkappe, die er einst dem Zwerge Alberich abgenommen hatte. Er setzte sie auf und kehrte, von nun an allen unsichtbar, aus den Kampfplatz an Gnnther's Seite zurück. Heimlich flüsterte er diesem zu: „Sei nur nicht in Sorge um den Kampf. Gieb mir den Schild, thue du nur so, als ob du kämpfest, ich will an deiner Statt ungesehen mit der Königin streiten und sie gar leicht besiegen." Kaum hatte Siegfried dies gesagt, da warf Brunhild auch schon ihren Speer mit großer Kraft nach Günther. Der that, als ob er ihn mit dem Schilde ausfinge, in Wirklichkeit aber war es Siegfried, der ihm mit kräftiger Hand den Schild vorhielt. So heftig war der Anprall, daß Feuer aus den Ringen des Schildes sprang, und Siegfried
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auf die Kniee fiel, und hätte er nicht die Tarnkappe gehabt, die ihm die Kraft von zwölf Männern gab, so wäre es um ihn geschehen gewesen. Er raffte sich aber schnell wieder auf und warf den Speer zurück, aber nicht mit der Spitze, sondern mit dem Schafte, denn er dachte „Ich will die schöne Jungfrau nicht toten." Brunhild könnte dem gewaltigen Wurf nicht widerstehen, sondern sank zu Boden und mußte sich als besiegt erklären. Nun ward ein großer Stein in den Ring gebracht,, der war so schwer, daß König Günther ihn nimmer hätte vom Boden heben können. Brunhild aber warf ihn wohl zwölf Klafter weit von sich und sprang in einem einzigen Satze noch über den Ort hinaus, wo der Stein lag. Da rief Siegfried dem König zu: „Thue nur fo, als ob du werfest und springest, für das übrige laß mich sorgen." Da stellte sich Günther, als ob er den gewaltigen Stein aufhöbe und fortschleuderte, Siegfried aber warf ihn ungesehen noch weiter, als ihn Brunhild geworfen hatte. Dann sprang er ungesehen dem Steine nach und trug im Springen den König Günther noch mit fort. So ward Brunhild in allen drei Wettkämpfen besiegt. Sie ries nun ihre Verwandten unb ihre Mannen herbei und gebot ihnen, daß sie von nun an ihrem zukünftigen Gemahl, bem König Günther Unterthan fein sollten. Siegfried hatte unterdessen seine Tarnkappe abgenommen unb that, als ob er erst eben jetzt aus bem Schiffe zurückkehre und die Kämpfe gar nicht gesehen hätte. So wurden alle getäuscht; selbst Hagen und Dankwart wußten nichts von ber heimlichen Hülfe bes Siegfrieb.
Währenb nun Brunhilb alles rüstete, um ihrem Besieger an ben Rhein zn folgen, und täglich mehr Mannen aus dem weiten Reiche nach Jfenstein kamen, fürchtete Hagen, dir Königin möge dieselben zu ihrem Verderben gebrauchen. Siegfried fuhr darum in das Land der Nibelungen, das i.ytn Unterthan war, und brachte tausend der besten Recken aus
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diesem Lande nach Island. Da erkannte Brunhild, daß Günther ein mächtiger König war und über viele Helden gebot, und sie machte sich zur Abreise bereit. Vorher aber ließ sie ihren ungeheuren Schatz durch Dankwart, den Marschalk, unter ihre Helden verteilen, und setzte einen ihrer Verwandten zum Vogt über die Burgen in Island. Dann wählte sie zweitausend der besten Recken aus, und mit diesen und vielen edlen Frauen und Mägdlein fuhr sie mit den Burgundern und den Nibelungen über's Meer nach Worms.
Als der Weg über's Meer zurückgelegt war, und die Helden ans Land stiegen, ward Siegfried der Bote, um die glückliche Rückkunft derselben zu melden. Niemals war ein Bote besser empfangen worden als Siegfried. Gernot und Giselher begrüßte er zuerst, dann auch Kriemhild. Die sagte, daß sie ihm für solche Botschaft immer hold sein wolle. Nun rüstete sich Ute mit ihren schönen Frauen und Gernot und Giselher mit ihren Helden, dem Truchseß Ortwin von Metz an der Spitze, zu einem glänzenden Empfang der neuen Königin und der Heimkehrenden. Bis an die Ufer des Rheins ritten sie ihnen entgegen. Frau Ute begrüßte die Braut und küßte sie vor allen Helden. Darauf stellten fick Kriemhild und Brunhild als Schwestern neben einander, und jeder, der die beiden ansah, erstaunte über ihre Schönheit, und keiner wußte, welche die lieblichste sei. Die Helden begannen jetzt allerlei ritterliche Spiele; teils rannte man in ganzen Scharen gegen einander, teils kämpften auch einzelne Helden. Die ersteren Spiele nannte mau damals Buhurts , die letzteren Tj ost. In allen Kämpfen aber zeichnete sich Siegfried aus. Am Abend zog man in die Burg Gunther's ein, um das Hochzeitsmahl einzunehmen. Jetzt erinnerte Siegfried den König an fein Versprechen, und dieser rief Kriemhild und verlobte sie dem tapferen Helden. Da freuten sich alle, denn Siegfried stand im Burgunderlande in hohen
Ehren; nur Brnnhild freute sich nicht. Sie hielt Siegfried für einen Dienstmann des Königs und sprach, als man sich Zu Tische setzte: „Ich muß klagen und weinen um die
Schwester Kriernhild, daß du sie mit einem deiner Dienst-mannen verlobt hast." Wenn auch Günther erklärte, daß Siegfried ebensowohl Burgen hätte wie er und ein mächtiger König sei, so blieb Brnnhild doch mißmutig, denn Siegfried hotte sich in Island einen Dienstmann des Königs genannt, und sie hätte gar zu gern gewußt, warum er jetzt von Günther so hoch geehrt ward. Die Hochzeitsfeierlichkeiten dauerten vierzehn Tage lang, und die ganze Stadt war voller Freude und Wonne. Am letzten Tage verteilten die Brautpaare reiche Geschenke, prächtige Rosse und goldene Armringe an die Männer, und gold- und silbergewirkte Kleider an die edlen Frauen. Alle, die zum Feste gekommen waren, gingen reich beschenkt von Dannen, und auch die Armen und die fahrenden Leute hatten lange Zeit gute Tage.
0. Siegfried s und Äriemljild's Besuch.
Zehn Jahre waren seit der Hochzeit verflossen. Siegfried und Kriernhild lebten in großer Ehre und Herrlichkeit auf ihrer Burg Xanten in Niederland als König und Königin; denn Siegmund hatte die Herrschaft an Siegfried abgetreten, und die Mutter Siegelinde war schon gestorben. Da kam eines Tages eine Botschaft aus Worms von Günther und Brnnhild. Der letzteren war es aufgefallen, daß Siegfried, der sich doch für einen Dienstmaiin ihres Gemahls ausgegeben hatte, niemals nach Worms kam, um nach den Befehlen seines Herrn zu fragen. Günther, der wohl wußte, daß Siegfried nicht fein Dienstmann fei, hatte immer ausweichende Antworten gegeben, aber endlich mußte er doch
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nachgeben. Er schickte dreißig Recken unter Führung des Markgrafen Gere nach Xanten und ließ Siegfried mit seiner Gemahlin einladen. Die Boten wurden auf das freundlichste empfangen und nenn Tage lang herrlich bewirtet; dann waren die Helden Siegfried's zur Reise bereit. Auch Siegmund, der alte König, schloß sich dem Zuge an. Mit reichen Geschenken, die Siegfried aus dem erbeuteten Schatze der Nibelungen nahm, kamen sie in Worms an. Früh am Morgen zog Günther mit seinen Mannen aus, um seine Verwandten am Rhein zu empfangen. Da gab es viel herzliches Händedrücken und manchen freundlichen Gruß unter den Helden, die sich in zehn Jahren nicht gesehen hatten; und die Königinnen küßten sich zum Willkomm. Es
war säst ganz so wie vor zehn Jahren, da die Königin
Brunhild von Island an den Rhein gekommen war. In einem feierlichen Zuge hielten olle ihren Einzug in Worms. Da hatte der Marschalk Dankwart viel Mühe, denn es war sein Amt, dafür zu sorgen, daß die Gäste alle untergebracht und gut bewirtet wurden. Die Zahl der Gäste aber war
so groß, daß des Abends beim Willkommsmahl, das im
Burghofe eingenommen ward, allein zwölfhundert Helden an den Tischen saßen. Auf dem Ehrensitze, König Günther und seiner Gemahlin Brunhild gegenüber, saßen Siegfried und Kriemhüd und bei ihnen der alte König Siegmund. Die Königin Brunhild aber dachte: „Welch ein mächtiger
Dienstmann muß doch Siegfried sein, daß ihm König Günther so hohe Ehren erweist."
Am anderen Tage begannen die ritterlichen Spiele, und mancher Bnhurt und mancher Tjost ward zwischen den Helden Gnnther's und Siegfried's gekämpft, zwölf Tage lang dauerten dieselben, und die Frauen sahen den Helden zu, auch Brunhild und Kriemhild. Da sprach Siegsried's Gemahlin eines Tages zu Brunhild, als diese an ihrer Seite
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stand: „Sieh nur. wie herrlich mein Mann vor allen Helden dasteht, er verdiente, daß ihm alle Reiche Unterthan seien." Da ward Brunhild neidisch und antwortete: „Und wenn Siegfried auch noch so tapfer und mächtig ist, so ist er doch meinem Manne dienstbar, denn ich habe, als Günther mich in Island besiegte, und Siegfried auch dabei war, selbst gehört, daß er sich einen Dienstmann und Günther seinen Herrn nannte." „Das kann nun und nimmermehr sein", erwiderte Kriem-hild, „denn so übel haben meine Brüder mir nicht gethan, mich an einen Leibeigenen zu verheiraten." So entstand Haß und Neid zwischen den beiden Königinnen, und sie schieden in großem Zorne von einander. Am anderen Morgen wollten beide mit ihren Frauen in das Münster gehen. Da schmückte sich Kriemhild mit ihren schönsten Kleidern und legte ihre prächtigsten Kleinodien an; auch ihre dreiundvierzig Frauen, die sie aus Niederland mitgebracht hatte, schmückten sich so schon, wie sie nur vermochten. Ebenso machte es auch Brunhild und ihre Frauen. Als die Glocken nun zum Kirchgang riefen, da harrten Siegfrieds Mannen vor der Thür des Hauses und geleiteten ihre Königin zur Kirche. Vor der Kirchthür stand schon Brunhild mit ihren Frauen; aber gegen die Pracht Kriemhilds und ihrer Frauen verschwand die ihre
fast wie garnichts. Da ärgerte sich Brunhild gar sehr und
trat zornig auf Kriemhild zu und sprach: „Stehe nun still, denn nicht soll die Frau eines Leibeigenen vor der Königin in das Münster gehen." Da ward auch Kriemhild über alle Maßen zornig uud rief: „Hättest du doch lieber ge-
schwiegen, denn mein Mann ist nicht allein mächtiger und edler als mein Bruder, er ist auch tapferer, denn wisse nur, es war nicht Günther, der dich besiegte, sondern Siegfried." Da ward Brunhild so zornig, daß sie weinte; Kriemhild
aber ging vor ihr in die Kirche.
Als Brunhild in ihren Palast zurückgekehrt war, ließ
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sie den König Günther rufen und sprach zu ihm: „Deine
Schwester hat mich aller Ehren beraubt; sie sagt, daß sie eines mächtigeren Königs Gemahlin sei als ich, und dazu behauptet sie, nicht du, sondern ihr Mann Siegfried habe mich aus Island überwunden" Da erschrak König Günther sehr, denn er merkte, daß Siegfried seinem Weibe das Geheimnis anvertraut hatte. Er ließ nun Siegfried zu sich kommen, und beide Helden kamen überein, ihren Frauen solche fürwitzige und übermütige Reden zu verbieten, damit nicht fernerhin Zank zwischen ihnen fei.
Als die Recken von dem Streite der Königinnen hörten, bedauerten sie denselben alle, zumal die hohen Frauen auch nachher nicht miteinander redeten. Viele von den Recken aber zürnten dem Siegfried doch nicht, denn sie bedachten, wie viel Gutes und Liebes er ihnen erwiesen hatte. Am meisten erzürnt aber war der grimmige Hagen, denn Brun-hild hatte ihm ihr Leid geklagt. Er ruhte nicht eher, als bis er noch manchen der Helden Gunther's für seinen Zorn gewonnen hatte. Ortwin und Gernot stimmten ihm bei, als er Siegfried's Bestrafung für die vermeintliche Beleidigung feiner Königin Brunhild verlangte. Vergebens bat ihn König Günther: „Laßt ab von eurem blutdürstigen Zorn, Siegfried hat uns nichts Böses gethan." Aber Hagen ruhte nicht eher, als bis er auch Günther zum Nachgeben bewogen hatte, und nun ließ dieser es geschehen, daß der grimmige Hagen einen schändlichen Plan machte, um an Siegfried Rache zu nehmen.
7. Sagen und sein Anschlag.
Eines Morgens erschienen Boten am Hofe Gunther's, die sagten, sie kämen aus dem fernen Sachfenlande von den Königen Ln id eg er und Luide gast, um den Burgundern
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den Frieden aufzukündigen. Das war aber eitel Lüge und Verstellung, denn die Boten waren Gunther's eigene Leute, und Hagen hatte die Verstellung ins Werk gesetzt, um den Helden Siegfried unter einem guten Vorwand aus Worms hinaus zu locken. Günther that bei der Nachricht der Boten, als ob er recht traurig wäre; Siegfried aber, der die Boten nicht kannte und keine Ahnung von dem schändlichen Anschlag hatte, tröstete ihn und sprach: „Ich will mit meinen Recken hinziehen, unb meine Hand soll die Burgen der Sachsen verwüsten." Da neigte sich Günther in Falschheit vor bem Helden unb erwiberte: „Das ist eine frohe Nachricht für mich; wenn Siegfried und seine Recken für mich kämpfen, so wirb es meinen Feinden gar übel ergehen."
Nun rüstete Günther scheinbar zu einer Heerfahrt in das Sachsenland, und auch ©iegfrteb machte sich Bereit. Als bie Helben barauf von ben Frauen ABfchieb nahmen, kam Hagen auch zu Krienthilb unb stellte sich freundlich gegen sie. In Wahrheit wollte er aber nur erfunben, ob bas Gerücht von Siegfried, ber Helb habe eine hörnerne Haut unb fei nur an einer ganz kleinen Stelle verwunbBar, auf Wahrheit Beruhe. Kriemhilb traute beit einschmeichelnden Worten bes Hagen und erzählte ihm, baß Siegfrieb's Haut burch bas Bad iit bem DrachenBlut hörnern geworben, baß er aBer doch an einer Stelle zwischen ben Schultern, auf welche ein LinbenBIatt gefallen, verwunbBar geblieben sei. Da sprach Hagen hinterlistig: „Ich will euch gerne an eurem Manne ©iegfrteb bienen unb ihn Behüten, Darum nähet auf fein Ge-wanb eilt feines Zeichen, baß ich baran bie Stelle erkenne, wo er verwnnbbar ist unb ihn beschützen möge." „Das will ich thun, teurer Helb," antwortete Kriemhilb; „mit feiner Seibe will ich auf feilt Gewand ein kleines Kreuz nähert, und an dieser Stelle möget ihr meinen Mann Bewahren, wenn er im Kampfe gegen bie Feinbe steht." Dies
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versprach Hagen und entfernte sich hoch erfreut darüber, daß er das Geheimnis erfahren hatte. Am anderen Morgen ritten die Helden gegen den vermeinten Feind. Hagen ritt an Siegfried's Seite und spähte arglistig nach dem kleinen Kreuze zwischen dessen Schultern. Als er es entdeckt hatte, schickte er zwei seiner Mannen voraus; die mußten eine neue Lügenbotschaft bringen, nämlich die Nachricht, daß König Luideger des Kampfes schon leid geworden sei und nun Frieden entbiete. Siegfried war zwar ein wenig unwillig, daß die Rüstungen vergebens gewesen, aber als Günther ihm vorschlug, statt in das Sachsenland, in den Wasichenwald zu ziehen und hier eine große Jagd abzuhalten aus Bären und Wildschweine, da war er gerne bereit, und sein Unmut war verschwunden. Kriemhild, die in der Nacht einen bösen Traum gehabt hatte, bat Siegfried vergebens, nicht an der Jagd teil zu nehmen, benn sie fürchtete, daß ihm Übles geschehen könnte. Siegfried aber erwiderte: „Ich komme ja in wenigen Tagen wieder, und wer unter deinen Verwandten und Freunden sollte mir übel wollen : ich habe es auch nicht an ihnen verdient." Kriemhild war aber doch nicht beruhigt, sondern sah ihm unter heißen Thränen noch. Die Helden begaben sich jetzt über den Rhein, durchzogen die Ebene und gelangten in das wildreiche Gebirge. Man trennte sich nun von einander, und jeder ging mit feinen Treibern einen besonderen Weg, um das Wild auszusuchen. Siegfried, der einen alten Jägermeister zu seinem Gefährten gewählt hatte, erlegte gleich im Anfang ein Wildschwein, dann einen Büffel, ein Elennthier und vier starke Auerochsen, dazu viele Hirsche und Rehe. Der alte Jägermeister der ihn begleitete, war ganz erstaunt und sprach: „Herr Siegfried, wollt ihr uns denn gar kein Wild übrig lassen? Wenn ihr so fortfahrt, so macht ihr den Walb balb ganz teer." Da ertönte bas Jagbhorn bes Königs, bas bie Jäger zum Mahle rief. Auf
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dem Wege nach dem Sammelplatze jagte Siegfried noch einen Bären auf. Er eilte ihm nach, trieb ihn in eine Felsspalte und fing ihn lebendig. Nachdem er ihm die Beine zu-
sammengeschnürt hatte, band er ihn an seinen Sattel und nahm ihn so mit nach der Feuerstätte, wo er ihn zuletzt mit seinem Schwerte Balmnng erschlug. Unter allen Helden hatte aber niemand so viel Wild erlegt wie Siegfried, und jedermann rühmte seine Stärke und Geschicklichkeit. Als die Helden nun beim Mahle saßen, da fehlte der Wein, denn derselbe war aus Versehen an einen anderen Ort geschafft worden. Siegfried und auch die anderen Helden waren unmutig darüber, und Siegfried sprach: „Wenn wir nur
näher am Rheine wären, daun hätten wir doch wenigstens Wasser!" Da antwortete Hagen: „Ich weiß hier in der
Nähe eine frische Quelle, zu der wollen wir gehen und
Wasser holen." Als sie sich nun auf den Weg machten, sprach Hagen, um den Helden Siegfried allein zu locken: „Ich habe gehört, kein Held könne mit Siegfried um die Wette laufen; das möchte ich gern einmal versuchen." Der Herausgeforderte war damit zufrieden, und der Wettlauf begann. Obgleich nun Siegfried seinen schweren Schild und seine Waffen trug, während er Hagen erlaubt hatte, alles abzulegen, kam er doch zuerst zur Quelle, und Hagen war
besiegt. Am Brunnen angekommen, legte Siegfried seine Waffen ab. Das Schwert und den Bogen mit dem Köcher legte er am Rande des Brunnens nieder, den Speer aber stellte er aufrecht an eilten Baum. Dann war auch Hagen herbeigekommen, und bald darauf auch König Günther. Nachdem der König aus der Quelle getrunken hatte, legte sich Siegfried auf den Bauch, so daß er das Wasser mit dem Munde erreichen konnte. Er hatte sich kaum niedergebeugt, da ergriff Hagen das Schwert und den Bogen Siegfried's und trug sie schnell abseits. Dann aber nahm er den Speer,
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der an einem Saume lehnte und stieß ihn bem arglos trinkenden Helden mit aller Kraft in ben Rücken, gerade an berstelle, bie Kriemhilb mit bem Kreuzchen bezeichnet hatte. Nun wandte Hagen sich zur eiligen Flucht, unb bas war fein Glück, benn hätte bet totwunbe Siegfried ihn gleich gepackt, so wäre er nimmermehr mit bem Leben bation gekommen. Als Siegfried zur Besinnung kam, sah er nur feinen Schitb noch am Boden liegen, benn Schwert unb Bogen hatte Hagen weggelegt, unb ber Speer saß noch in seinem Rücken. Er ergriff ben Schild unb eilte bem fliehen« Hagen nach. Noch niemals war Hagen so vor einem Feinde geflohen, als jetzt vor bem zum Tobe verwunbeteit Siegfrieb. Er wußte aber recht gut, warum er bas that. Enblich holte Siegfrieb ihn ein, imb schlug nun so grimmig auf ihn ein, baß gewiß sein letztes Stünblein gekommen wäre, wenn ben edlen Siegfrieb nicht enblich die Kräfte verlassen hätten. Von Blutverlust ermattet, sank er auf ben grünen Rasen nieber unb färbte ihn mit feinem Herzblute rot. Hagen aber unb Günther flohen, benn sie konnten ben Anblick bes fterbenben Helben nicht ertragen. Siegfrieb aber rief ihnen nach: „Wehe euch, ihr Feiglinge, warum habt ihr mir bas gethan? Immer war ich gut unb treu gegen euch gesinnet, unb nun empfange ich solchen Lohn!, Ihr feib nicht mehr wert, baß man euch fernerhin Helden nennt, unb eure Kinder unb bie ganze Verwandtschaft werden burch eure That gefchänbet!" Die Kunbe von Siegfrieds Verwundung rief alle Jagdgenossen herbei, unb nun entstanb viel Klagen unb Jammern, beim alle waren tief betrübt über bie abscheuliche That; sogar bem König Günther war sie jetzt leib, nur allein Hagen trauerte nicht. Er schalt ben König unb rühmte sich sogar bes Morbes an Siegfrieb, benn nun fei niemanb auf ber Welt, ber bie Helben Gunther's besiegen könne. Siegfrieb aber wanbte sich sterbend an ben König
und befahl ihm sein Weib Kriemhild und sein Söhnlein. Dann rief er aus: „Wehe, wehe! mein Tod wird euch noch gereuen; glaubt mir, in mir habt ihr euch selbst erschlagen!" Bei diesen Worten brachen die Augen des edlen Helden und schlossen sich für immer. Er war tot. — Nnn legte man die Leiche auf den Schild und begab sich aus den Heimweg. Alle waren betrübt und dachten daran, wie Kriemhild klagen und weinen würde; nur Hagen rief übermütig: „Traget den Leichnam vor Kriemhild's Thür, damit sie morgen früh, wenn sie zur Messe geht, ihn findet. Hat sie meine Herrin Brunhild so sehr betrübt, so soll es mich auch wenig kümmern, wie sehr sie klage und weine."
8. Die Heimholn,rg und Versenkung des Mbelungeufchatzes.
Groß war die Trauer der Kriemhild, als sie den erschlagenen Gemahl vor ihrer Thür fand. Sie wußte recht gut, wer die Mörder waren und sagte es ihrem Bruder gerade ins Gesicht: „Du und Hagen, ihr habt es gethan; möge Gott euch für eure grausame That bestrafen." Drei Tage und drei Nächte wachte sie ein der Leiche ihres Gatten ohne Speise und Trank zu genießen, und mancher Mann, auch aus dem Gefolge Günthers, blieb bei ihr, um sie zu trösten. Am dritten Morgen war das Begräbnis des Helden. Da gab es viel Klagen und Weinen unter Helden und Frauen, und Kriemhild's Thränen flössen ohne Unterlaß. Ehe der Sarg in die Erde gesenkt wurde, sahe sie noch einmal den lieben Toten, hob sein edles Haupt empor und küßte ihn ans den bleichen, kalten Mund. Von Schmerz überwältigt sank sie dann bewußtlos nieder. —
Als Siegfried begraben war, kehrte Siegmund mit den Mannen nach Niederland zurück, Kriemhild aber blieb in
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Worms, denn ihre beiden Brüder Gernot und Giselher, die an dem Tode Siegfrieds unschuldig waren, baten sie gar sehr, dies zu thun. Ihre Mutter Ute klagte getreulich mit ihr und tröstete sie in ihrem großen Kummer. Aber zwei waren in Worms, die fragten nicht nach den Thränen Kriem-hilds; das war der grimmige Hagen und die übermütige Brunhild. Die freuten sich, daß ihre Rache gelungen war. Vier Jahre lang lebte Kriemhild einsam und trauernd an dem Hofe ihres Bruders und wollte dem König und Hagen nimmer verzeihen. Da sprach Hagen eines Tages zu König Günther: „Wenn ihr es möglich machen könnt, daß eure Schwester euch wieder freundlich gesinnet wird, dann wollen wir den großen Schatz, den Nibelungenhort, den Siegfried im Lande der Nibelungen verborgen hat, herbeiholen, und ihr werdet große Ehre und vielen Nutzen davon haben." Der König war sehr erfreut über diesen Vorschlag, aber weder er noch Hagen hatten das Herz, zu der noch immer zürnenden Kriemhild zu gehen. Endlich schickte Günther seine beiden Brüder Gernot und Giselher, damit sie ihre Schwester mit ihm versöhnten. Lange wollte Kriemhild nichts von Versöhnung wissen, endlich aber gelang es den Bitten des Giselher, ihr Herz milde zu stimmen. „So saget dem König," sprach sie, „daß ich ihn in meinem Zimmer sehen will." Da war die Freude groß, und Günther machte sich eilig auf den Weg. Unter vielen Thränen verzieh Kriemhild allen, König Günther und feinen Mannen, nur Hagen nicht, der hatte ihr zu großes Herzeleid gethan; das konnte sie ihm nimmer vergessen.
Einige Wochen nach der Aussöhnung beredete Günther seine Schwester, den Nibelungenhort, der jetzt ihr gehöre, holen zu lassen. Sie willigte ein, und Gernot und Giselher gingen nebst zwölfhundert Helden zu dem Zwerg Alberich, der den Schatz noch immer bewachte. Als sie ihm den
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Tod Siegfried's und die Forderung Kriemhitd's mitgeteilt hatten, holte der Zwerg willig die Schlüssel und führte die Helden in den Berg. Nun wurden über hundert Lastwagen mit Gold und Silber und kostbaren Edelsteinen beladen und auf die Schiffe gebracht. Im Burgunderlande zu Worms angekommen, füllte man alle Kammern und Türme der Königsburg mit dem Schatze, und Kriemhild war die reichste Königin der Welt. Wäre aber der Schatz auch noch tausend mal größer gewesen, sie hätte mit Freuden alles hingegeben, hätte sie dadurch Siegfried wieder zum Leben erwecken können. Nun hatten alle Armen und Notleidenden im Burgunderlande eine schöne Zeit. Von weit und breit kamen sie nach Worms, und reich beschenkt kehrten sie in ihre Heimat zurück und lobten und priesen die gute Kriemhild. Das war dem Hagen auch nicht recht. Er fürchtete, wenn Kriemhild so fortfahre, ihren Schatz auszuteilen, werde sie sich einen großen Anhang verschaffen und bald mehr Ansehen im Burgunderlande haben als der König selbst; darum sprach er zu Günther: „Ein kluger Mann läßt einem Weibe nicht die Ver-
waltung eines so großen Schatzes." Aber der König wollte diesmal nicht ans Hagen hören, denn er hatte seiner Schwester einen Eid geschworen, ihr niemals wieder ein Leid zuzufügen. Da ging Hagen heimlich hin und stahl den Schatz der Kriemhild und verbarg ihn. Als aber Kriemhild sich über diesen neuen Frevel des Hagen beklagte, da entstand große Zwietracht am Hofe Gunther's, denn einige der Helden meinten, Hagen habe Recht, Kriemhild dürfe einen so großen Schatz nicht behalten. Andere aber zürnten Hagen wegen des neuen Leides, das er über die unglückliche Kriemhild gebracht hatte. Da sprach Gernot endlich: „Wahrlich, es wäre am besten, den ganzen Schatz in den Rhein zu versenken, dann gehört er niemandem an, und der Streit hat ein Ende." Diese Worte merkte sich Hagen, und als bald darauf die Burgunder
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sich zu einer Kriegsfahrt rüsteten, blieb er zurück und brachte den Nibelungenhort an den Rheinstrom, wo er ihn an einer reißenden und tiefen Stelle versenkte. Da liegt der Schatz noch heute, aber niemand kann die Stelle finden; denn als König Günther und seine Brüder aus dem Kriege zurückkehrten, und Hagen ihnen seine That erzählte, da wurden sie zwar sehr zornig, aber versprachen sich doch gegenseitig, so lange sie lebten, niemandem zu sagen, wo der Schatz verborgen sei. Die Helden aber, als sie die Sache erfuhren,
wurden so zornig auf Hagen, daß dieser sich eine Zeit lang vor ihnen verbergen mußte. Endlich wurde die Sache aber doch vergessen, und die Helden und Hagen wurden einander wieder freundlich gesinnt. Nur eine einzige Seele am Hofe konnte ihm jetzt noch weniger gut werden als früher; das
war Kriemhild. Sie trauerte und weinte noch immer um
ihren erschlagenen Gemahl. Ihre Mutter llte hatte nahe bei Worms das Kloster L o r s ch erbauen lassen, und die Gebeine Siegsrieo's wurden dahingebracht. In einem Gewölbe wurden sie beigesetzt, und Kriemhild wollte auch in das Kloster ziehen, um immer in der Nähe zu sein. „Denn", sagte sie, „das verhüte Gott im Himmel, daß ich meines Mannes vergäße!"
9. König Etzel's Brautwerbung.
Kriemhild hatte dreizehn lange Jahre um Siegfried getrauert und konnte ihn doch nicht vergessen. Sie wollte schon aus immer in das Kloster Lorsch gehen und mit ihrer Mutter zusammen sich ganz dem Schmerz hingeben, als etwas geschah, das sie auf andere Gedanken brachte. An dem Königshofe zu Worins erschien eine zahlreiche, prächtige Gesandtschaft ans dem fernen Ungarlande. Die kam vom König Etzel, der damals der mächtigste Herrscher in Europa
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war. Der Anführer der Gesandtschaft war der Markgraf Rüdiger von B e ch l a r n, ein tapferer Held, der ein alter Freund des länder- und völkevkundigen Hagen war. Ortwin von Metz empfing die Helden im Namen seines Königs und geleitete sie in den Palast. Da redete Rüdiger von Bechlarn also: „Erlaubt ihr mir, Herr König, so sage
ich euch, was euch mein Herr, der große König Etzel, entbieten läßt. Man sagte meinem Herrn, Kriemhild sei ohne Mann, seit Siegfried gestorben ist, und König Etzel hat seine Gemahlin verloren, denn die edle Königin H e l ch e ist auch gestorben. Wenn ihr nun nichts dagegen habt, so will König Etzel eure Schwester Kriemhild zur Königin über das Ungarland machen." Der König und seine Brüder waren hoch erfreut über die Ehre, die ihrer Schwester widerfuhr, und Günther sprach zu dem Gesandten: „In drei Tagen will ich euch Antwort sagen, denn ich will zuvor mit Kriemhild reden."
Als am Tage darauf der König alle feine Verwandten zusammen fommen ließ, um mit ihnen zu beraten, da rieten alle, die Bitte des Etzel zu gewähren, nur allein Hagen war dagegen. Er fürchtete, daß den Burgundern großes Leid aus der Verbindung mit den Hunnen erwachsen würde. Aber Günther ward zornig, als er das hörte und glaubte, Hagen's Haß gegen Kriemhild sei Schuld an seinem Rate. Er sprach: „Die Königin Kriembild hat Leid genug gelitten; was ihr in Zukunft Liebes geschieht, das will ich ihr gern gönnen." Nun erinnerte der junge Giselher noch gar daran, daß Hagen es gewesen, der der Schwester das viele Leid zugefügt habe, darum solle er sie jetzt ohne Neid ziehen lassen. „Noch nie", setzte er hinzu, „sind einem Weibe von einem Manne so viel Freuden genommen worden wie ihr." Da mußte Hagen endlich stillschweigen und ging mißmutig davon. Der Markgraf Gere aber ward mit der Botschaft des Königs Etzel
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zu Kriemhild geschickt. Die aber antwortete ihm: „Warum wollt ihr euren Spott mit einem armen Weibe treiben?" Als dann aber auch Gernot und Giselher kamen und ihr zuredeten, so willigte sie endlich ein, bett Gesandten Etzel's, Rüdiger von Bechlarn, zu empfangen und biesem selbst bie abschlägige Antwort für seinen Herrn zu geben. Weinend empfing sie den edlen Rüdiger, und erwiderte ihm auf seine Botschaft: „Markgraf Rüdiger! wenn ihr wüßtet, wie schwer mein Herzeleid ist, ihr würdet mich nicht weiter fragen; ich habe den besten Mann verloren, den jemals ein Weib den ihrigen nannte." Rüdiger redete ihr noch viel zu, aber es nützte nicht viel, Kriemhild blieb bei ihrer Weigerung. Endlich sprach ber edle Bote: „Laßt euer Weinen fein, liebe Königin! wenn ihr auch bei den Hunnen keinen treuen Freund weiter hättet als mich, so wollte ich mit meinen Helden doch jedes Unrecht, das euch zugefügt würde, schwer rächen." Als
Kriemhild diese Worte hörte, dachte sie gleich an Hagen, wie
wehe er ihr gethan, unb welche günstige Gelegenheit sich jetzt barbieten würbe, sich an biesem ihrem Todfeind zu rächen. Zwar willigte sie nicht gleich ein, denn es waren noch manche Bedenken zu überwinden; als aber die Brüder noch ein wenig zuredeten, sprach sie zu Riibiger: „Wohlan, ich will euch
folgen", unb bamit bot sie ihm bie Hanb.
Nun warb sogleich zur Reise gerüstet, beim Rüdiger hatte es gar eilig, seinem König bie frohe Botschaft zu
bringen. Kriemhild that ihre Schätze auf, die sie noch von Siegfried s Zeit her befaß und teilte freigebig bavon aus, bamit sich jeber würbig schmücken könne, um au dem Hofe des reichen Ungarkönigs zu erscheinen.
Als die Stunde des Abschieds kam, wurden viele
Thränen vergossen, am meisten aber weinte Ute, die Mutter Kriemhild's, unb ihre Brüder Gernot unb Giselher. Der grimmige Hagen aber stand mißmutig abseits und sprach:
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„Denket an mich, es wird einmal die Stunde kommen, wo diese Vermählung viel Leid über uns alle bringen wird." Die Brüder Gernot und Giselher begleiteten ihre Schwester bis nach Bergen, einer alten Donaustadt, die nicht weit von dem heutigen Ingolstadt gelegen haben soll. Hier trennte man sich, und Kriemhild zog mit ihrem Gefolge durch das heutige Bayerland bis P a s s a u und von dort über die T r a u u und Ens nach Bechlarn, der Burg Rüdiger's, wo sie von dessen Gemahlin G o t e l i n d mit ihrer schönen Tochter bewillkommt wurde. Nach einer kurzen Rast ging es dann weiter nach der Stadt Tu ln an der Donau, woselbst König Etzel an der Spitze von vierundzwanzig dienstbaren Fürsten und eines fast unzählbaren Gefolges aus allen Ländern ihrer harrte. Sieben Tage lang feierte man nun in dem nahen Wien die glänzende Hochzeit. Der Gaben, die Etzel und Kriemhild dabei an die Helden und edlen Jungfrauen verteilten, waren so viele, daß jedermann erstaunte, und wohl nie ein König bei seiner Hochzeit ihnen an Freigebigkeit gleich gekommen ist.
Achtzehn Tage blieb man im ganzen in Wien, dann ging es weiter über H e i m b u r g und M e i s e n b u r g, beides Städte, die an der Grenze des Ungarlandes lagen, nach der eigentlichen Residenz, der E tz e l b u r g. Hier wurde Kriemhild von den Jungfrauen der verstorbenen Königin Helche auf das freundlichste empfangen, und von jetzt an waren wieder frohe Tage am Hofe des Hunnenkönigs.
10. Äriemljild's Rache.
Sowohl im Burgunderland, als auch am Hofe des Etzel schien die That des Hagen, die er einst vor vielen Jahren am Lindbrunnen begangen hatte, längst vergessen zu sein. Kein Mensch schien mehr an Siegfried zu denken; aber es
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schien nur so. Kriemhild trug nicht nur ihren ersten Mann, sondern auch die Rache an dem Mörder desselben noch immer im Herzen.
Dreizehn Jahre nach ihrer Vermählung mit Etzel erschien zu Worms wieder eine Gesandtschaft aus dem Hunnenlande. Diesmal brachten die Boten einen Gruß von Etzel und Kriemhild an ihre Verwandten und zugleich eine Einladung auf das nächste Frühjahrsfest nach der Etzelburg aus Besuch zu kommen. Der einzige, der von der Botschaft nicht erfreut war, war Hagen. Er wurde von den Boten noch besonders eingeladen, aber er traute der Einladung nicht und riet dem König Günther, in Worms zu bleiben. „Habt ihr denn vergessen" , sprach er, „was Kriemhild hier Böses gethan worden ist? Wir werden uns durch die Reise nur selbst großes Leid schaffen und müssen in steter Sorge sein." Seine Warnungen fanden aber keinen Eingang, weder bei König Günther noch bei dessen Brüdern Gernot und Giselher. Die Reise wurde vielmehr beschlossen, und nur das konnte Hagen durchsetzen, daß man sie mit einem großen, wohl bewaffneten Gefolge antrat. Hagen schwankte keinen Augenblick, seinen Herrn und König zu begleiten, ob er gleich ahnte, daß sie alle dem Tode entgegengingen. Er übernahm die Führung der tausend burgundischen Helden, Die sich dem Zuge als sichere Wache anschlossen. Am Tage der Tagundnachtgleiche brachen sie von Worms ans und zogen den Main aufwärts und dann südwärts bis an die Donau. Hier setzte sich der Bayernherzog elf rat ihnen entgegen und verweigerte den Durchzug durch fein Land. Hagen's Bruder, Dankwart, schlug ihn aber zurück, und nun schaffte man das Heer über die Donau. Da erschienen dem Hagen zwei Meerfrauen, die verkündeten ihm, daß keiner der Helden wieder zum Rheine zurückkehren würde, und nur der Kaplan des Königs werde am Leben bleiben. Um die Worte der Meerfrauen
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zu Schanden zu mackien, ergriff Hagen den. Priester und wollte ihn in der Donau ertränken. Der aber schwamm an das Ufer zurück und kehrte heim an den Rhein. Die Helden erschraken alle, als sie die Worte Hagen's hörten, denn sie dachten an die Lieben, die sie in der Heimat zurückgelassen hatten; doch an Umkehr dachte niemand. In einigen Tagen waren sie in P a s s a u, dann kamen sie in das Land Rü-diger's, der sie auf Bechlarn auf das freundlichste bewirtete, und seine Tochter Dietlinde mit Gifelher verlobte. An der Grenze des Hunnenlandes kam ihnen der edle Dietrich v o it Bern entgegen, der Kriemhild kannte und vor ihrer Rache warnte. Ganz besonders tuende! e er sich an Hagen: „Weißt du denn nicht, daß Kriemhild noch immer um Siegfried weint? So lange die Königin lebt, hast du Hagen, du Trost der Burgunder, alle Ursache, dich vor ihr zu hüten!" Trotzig und finster erwiderte Hagen: „Laß sie weinen, so viel sie will!"
Bald kam auch schon Die Königin Kriemhild mit einem Gefolge, um die Angekommenen zu empfangen und in die Burg zu führen. Sie begrüßte alle freundlich, ihren jüngsten Bruder Giselher aber allein küßte und umarmte sie. Als Hagen das sah, band er sein Helmband fester, denn das schien ihm ein böses Zeichen zu sein. Als die Reihe der Begrüßung au ihn kam, fragte Kriemhild ihn nach dem Nibelungenhort, ob er ihr den Schatz mitgebracht habe. Hagen antwortete höhnisch: „Der liegt schon seit vielen Jahren im Rhein und soll da liegt Tt bleiben bis an den jüngsten Tag; auch hatte ich gerade genug an meinen Waffen zu tragen." Dietrich und Hagen reichten sich die Hände unt) sahen der ohne Antwort davongehenden Königin nach. Sie wußten jetzt, wie Kriemhild gesinnt war. Doch war Hagen getrosten Mutes und sprach: „Es komme, was da will, wir sind bereit!" Volker und er schlossen nun ein Freundschaftsbündnis und
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versprachen sich, einander bis zum letzten Augenblick beizustehen. Am Abend ging Kriemhild in Begleitung einer Anzahl Hunnen über den Hof der Burg an Hagen und Volker, die an einem Tische saßen, vorüber. Hageu grüßte die Königin nicht, sondern legte trotzig sein Schwert Balmung, das er nach Siegsried's Tod an sich genommen hatte, über seine Kniee. Kriemhild erkannte die Waffe und Thränen traten ihr in die Augen, als sie an den dachte, der sie einst getragen hatte. Da frug sie ihren Todfeind weinend: „Warum erfchluget ihr meinen lieben Mann, um den ich bis an meinen Tod trauern muß?“ Da gestand Hagen die That trotzig ein: „Ja, ich hab' es gethan, ich habe Siegfried erschlagen, weil sein Weib Kriemhild die Königin Brunhild beleidigte." Die Königin hätte am liebsten gesehen, wenn ihre Hunnen jetzt über die' beiden Burgunder hergefallen wären. Die hüteten sich aber wohlweißlich; sie hatten von Hagen's Stärke und Tapferkeit schon so viel gehört, daß sie sich nicht zu rühren wagten. Auch sahen beide Helden so grimmig aus, als ob sie es mit allen aufnehmen wollten. Als die Nacht hereinbrach, übernahmen Hagen und Volker die Wache für die schlafenden Burgunder. Volker ließ liebliche Melodien in die Nacht hinaus ertönen. Es waren Totengesänge fröhlich sterbender Helden. Am anderen Tage begann der Kampf. Blödel, Etzel's Bruder überfiel die Mannen der Burgunder und erschlug alle, die in der Herberge versammelt waren. Nur Dankwart, der Marschalk, rettete sich, von Blut überströmt, in dem Herrensaal, wo die beiden Königsfamilien gerade beim Mahle saßen. Als Hagen das Blut sah, da war ihm gleich klar, was geschehen war. Mit einem gewaltigen Satze sprang er auf Kriemhild zu und schlug ihrem Sohne, dem kleinen O r t l i e b, der an ihrer Seite faß, den Kopf ab. Das blutige Haupt fiel der entsetzten Mutter in den Schooß. Nun begann ein allgemeiner
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Kampf, und das Blut der Hunnen floß in Strömen, besonders von den Schwertern des wütenden Hagen und des edlen Volker, dem man eine solche Kraft nimmer zugetraut hätte. Dietrich von Bern, der edle Gothenkönig, machte endlich dem Kampfe im Saale für eine Zeit lang ein Ende. Mit gewaltiger Stimme, die das Waffengetöse weit übertönte, begehrte er für sich und feine Helden Frieden, da der Streit sie nichts anginge. Der Friede ward gewährt. Die Gothen zogen aus dem Saale, unter ihrem Schutze entkam auch Etzel an der Hand des Gothenkönigs. Auch Rüdiger von Bechlam ließ man hinaus mit allen seinen Mannen. Mit den zurückgebliebenen Hunnen begann jetzt der Kampf aufs neue und endigte erst, als kein einziger von ihnen mehr am Leben war. Jetzt erbot sich Kriemhild demjenigen, der ihrHagen's Kopf bringe, einen Schild mit purem Golde zu füllen. Margraf Jrn-f r i e d von Dänemark, der sich in der Etzelburg aufhielt, büßte den Versuch mit dem Leben. Der junge Giselher, der Liebling Kriemhild's, bat jetzt seine Schwester: „Vielliebe Schwester, ich habe dir nie ein Seid gethan; in der Hoffnung, daß du uns hold gesinnet seiest, sind wir vom Rheine zu dir gekommen. Vielliebe Schwester, wenn wir nun doch einmal sterben müssen, so laß uns schnell sterben!" Da antwortete Kriemhild: „Wenn ihr Hagen in meine Hand geben wollt, so will ich euch Frieden schaffen." Diese Zumutung ward aber entrüstet zurückgewiesen. Da kannte Kriemhild's Rache keine Mäßigung mehr. Sie ließ Feuer in den Saal werfen und bald loderte ihr eigener Palast in Flammen ans. Aber ihr Plan, Hagen samt ihren Brüdern in dem Brande zu töten, gelang nicht. Die Helden stellten sich an die Wände; so trafen die herabstürzenden Balken sic nicht, und sie standen am anderen Morgen halb vom Rauch erstickt, von Flammen versengt und auf das grausamste vom Durst gepeinigt, auf den rauchenden Trümmern, um den Kampf aufs neue zu beginnen.
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Diesmal erschien Rüdiger von Bechlarn. Etzel hatte ihn an seine Mannentreue gemahnt, und sie hatte über die Liebe zu den Verwandten gesiegt. Er rang mit Gernot einen Verzweiflungskampf und beide fielen in demselben. Als Volker den Tod Rüdiger's den draußen harrenden Helden meldete, da strömten die Gothen und zuletzt auch der König Dietrich in beit Saal. Günther und Hagen waren nur allein übrig geblieben, und Hagen war schwer verwundet. Da gelang es Dietrich, beide Helben zu fesseln unb in Kriem-hilbs sichere Obhut zu geben. Da war Niemanb froher als Kriemhilb. Sie ließ bie beibeii Gefangenen einzeln fest verwahren, unb obgleich Dietrich von Bern gar herzlich für bie» selben bat, war sie boch fest entschlossen, sie zu töten. Sie begab sich zu Hagen in das Verließ und redete ihn an:
„Wollt ihr mir den Nibelungenhort wiedergeben, ben ihr mir geraubt habt, so will ich euch frei wieber heimkehren lassen." Hagen aber erwiberte ingrimmig: „Eure Rebe ist umsonst. Ich habe bamals, als ber Schatz in den Rhein versenkt wurde, einen Eid geschworen, ihn niemandem zu zeigen, so lange mein König lebt. Niemanb soll ihn empfangen." Da schickte Kriemhilb in bas Gefängnis ihres
Brnbers Günther unb ließ ihm bas Haupt abschlagen. „So," sprach sie bann, als sie Hagen biese ihre blutige That mitteilte unb ihm das Haupt ihres Bruders zeigte, „jetzt habe ich ein Ende gemacht; deine Herren sind alle tot, jetzt sage, mir, wo du ben Nibelungenhort hast." „Wohl hast bit ein Enbe gemacht," antwortete Hagen, „meine lieben Herren, ber eble König Günther unb auch Gernot unb Giselher, seine Brüber, liegen erschlagen. Nun weiß niemanb von dem Hort als Gott und ich. Du aber bist eine wahre Teuseliu und nimmer sollst du etwas von ihm erfahren." Da ward Kriemhilb über alle Maßen zornig und rief wilb aus:
„Soll ich beim Siegfrieb's Schatz nicht haben, so habe ich
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doch sein Schwert." Mit diesen Worten ergriff sie Hagens Schwert und schlug mit einem einzigen Schlage dem Helden das Haupt ab.
^ So waren alle Burgunder erschlagen, und nicht ein einziger von ihnen kehrte an den Rhein znrück. Als die Hunnenhelden das Schicksal Hagens erfuhren, da brachen sie iit laute Klagen aus, besonders aber beklagte ihn Etzel, daß er von der Hand seines Weibes gefallen war. Hildebrand aber, dem tapfersten unter den Mannen des Gothenkönigs Dietrich, konnte das Klagen allein nicht gefallen. Er sprang aus und rief aus: „Das soll Kriemhild übel bekommen, daß sie diesen Helden erschlagen hat. Ich will ihn rächen!" So ward auch Kriemhild getötet, und im Lande der Hunnen und der Burgunder war eine lange Zeit eitel Trauer und Leidtragen um das viele unschuldige Blut, das durch Kriem-hild's grausame Rache vergossen worden war.
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Gudrun.
1. Wie Kudrun geraubt wird.
Nicht weit von der Küste der Nordsee, gerade vor der Mündung des majestätischen Elbstromes liegt die kleine Felseninsel Helgoland. Der Teil des Meeres zwischen dieser Insel und dem gegenüberliegenden Lande, wo heute die wilden Meereswogen über weite Sandbänke dahinbransen und den Schiffen große Gefahren bereiten, war einst festes Land. Hier lag das alte Hegelingenland. Über dasselbe herrschte vor mehr als tausend Jahren ein tapferer, streitbarer Held als König. Sein Name war Hettel. Er hatte sich in seiner Jugend seine Gemahlin Hilde von der fernen Insel Irland geholt, wo sie die Tochter eines mächtigen Königs gewesen war. Diese Gemahlin hatte ihm zwei Kinder geschenkt, einen Knaben uud ein Mädchen. Der Knabe, Ortwin geheißen, wurde von dem alten erprobten Kriegshelden Wate von Stürmen in allen Ritterkünsten unterrichtet und zu allen Rittertugenden erzogen. ^ Die zarte Tochter Gudrun aber erzog eine treue Freundin, die einst als kleines Kind ihrer Mutter Hilde aus Irland gefolgt war. Doch war sie auch eine lange Zeit an dem Königshofe in Dänemark, um freundliche Sitten und zierliche Rede zu lernen. Als sie wiederkam, war sie schöner, als selbst ihre Mutter gewesen war, und die hatte man doch weit und
breit als die schönste Königstochter gekannt. ,
Nun kamen bald viele junge und mächtige Könige mit
ihren tapferen Helden an den Hof Hettels und warben um
bie Gunst ber Tochter, um sie als Ehegemahl heimzuführen. Der Vater aber versagte sie allen, benn er hatte sie so lieb, böfj er sie nimmer von sich lassen wollte. Die vornehmsten ber Helben aber, bie Gubrun als Gemahlin begehrten, tonten bie Könige Siegfrieb von Morlanb, Hartmut aus bem Lanbe ber Normannen unb Herwig von Seelanb. König Hettel aber gab sie keinem. Das verdroß alle drei, ganz besonders aber den Hartmut, denn die Mutter Gudruns hatte ihm vorgehalten, wie sein Vater einst der Lehnsmann ihres Vaters gewesen war. Herwig, der König von Seeland, beschloß nun, die Jungfrau mit Gewalt zu nehmen. Dreitausend tapsere Recken bot er auf und zog mit ihnen nach der Burg Hettels. Der Weg war nicht allzuweit, denn er war der Grenznachbar des Hegelingeulandes. In kurzer Zeit stand er daher mit seinen Mannen vor ber Burg, unb ber Kampf begann. Gudrun stand am Fenster und schaute zu. Ob es ihr zwar leid that, daß eine große Zahl der Helden ihres Vaters von Herwig und den Seinen erschlagen ward, so freute sie sich doch solcher Tapferkeit, denn sie erkannte daran Herwig als einen Helden, der ihrer wert toar, wenn auch sein Vater nicht so mächtig war, wie der ihrige. Als nun endlich Hettel selbst auf ben unbezwingbaren Herwig einstürmte, da lief Gudrun hinunter und bat ihren Vater: »Es ist schon gar so viel Blut um meinetwillen geflossen; nun machet Frieden und ruhet aus von dem Kampfe!" Herwig hatte diese Worte gehört und rief: „Ich will nicht eher Frieden geben, als bis ihr erlaubt, daß ich ohne Waffen zu euch komme, um mit der Jungfrau zu reden."
Nun legten die Helden ihre Rüstungen ab, reinigten sich am Brunnen von Staub und Blut, und Herwig ward mit hundert seiner Mannen, die sein Ehrengeleit waren, in die Burg geführt. Als er der Jungfrau nun gesagt, wie er ihr von ganzer Seele ergeben fei, und wie sehnlich er wünsche,
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sie als Königin über sein Land und seine Burgen zu setzen, da bekannte auch Gudrun, daß sie ihm herzlich zugethan sei. und wenn die Eltern es erlaubten, ihm nach Seeland folgen wolle, um immer bei ihm zu bleiben. Heitel und seine Gemahlin willigten ein, aber es ward zur Bedingung gemacht, daß Gudrun noch ein Jahr daheim bleibe, damit ihre Mutter Zeit habe, den Brautschatz zu rüsten. Die Verlobung aber ward gleich aus das glänzendste gefeiert.
Die Kunde von der Verlobung Gudrun's und Herwig'» drang auch bald zn den Ohren Siegfrieds von Morland. Der warf einen unerbittlichen Haß auf den Bräutigam und befahl Schiffe auszurüsten, denn er wolle nach Seeland und Herwig bekämpfen. Dieser erschrak gar sehr, als die feinde im Frühjahr übers Meer kamen und an seinen Küsten landeten. Die Morländer wurden vom Kriegsglück begünstigt, und Herwig geriet iu große Bedrängnis. Da schickte er Boten an König Hettel und an Gudrun. Diese bat nun mit Thränen in den Augen ihren Vater, dem Verlobten Hülfe zu fenden und den bösen Siegsried ans dessen Land zu vertreiben. Nun wurden die Hegelinger Helden, Wate von Stürmen an der Spitze, aufgeboten und nach Seeland geführt. Hier bestanden sie erbitterte Kämpse mit Siegsried und seinen Mannen, aber Hettel und Herwig, Ortwin und Wate Verrichteten Wunder der Tapserkeit. Bald war Siegfried mit den noch übrigen Morländern in eine Burg eingeschlossen, und sie hätten sich gewiß ergeben müssen, wenn nicht im Hegelingenlande etwas Wichtiges geschehen wäre. Als König Hartmut in der Normandie von Hettel's Kriegszug nach Seeland hörte, beschloß er eiligst, einen Zug gegen die nur schwach bewehrte Burg Mat et ane, wo sich Gndrun mit ihrer Mutter befand, zu unternehmen, um die ihm versagte Braut mit Gewalt zu gewinnen. Seine Mutter, die böse Gerlint), bestärkte ihn in seinem Plane und gab sogar,
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um die Ausrüstung des Heeres zu beschleunigen, ihr köstliches Geschmeide her.
Hilde und ihre Tochter waren höchst erschrocken, als Hartmut's Boten kamen und begehrten, daß Gudrun ihnen freiwillig folgen sollte. Die Antwort lautete natürlich abschlägig und verdroß den Hartmut sehr. Am dritten Tage begann der Kampf. Die wenigen Helden, die bei den Frauen waren, wehrten sich mannhaft; aber wie oft sie auch die Normannen von den Mauern zurücktrieben, endlich mußten sie unterliegen. Die Burg ward gewonnen, und Gudrun mit noch zweiundsechzig anderen Jungfrauen gefangen der Normandie zugeführt.
Die Königin Hilde, die man in der zerstörten Burg zurückließ, schickte nun zwar eiligst Boten nach Seeland, um Hettel und Herwig zu benachrichtigen; aber die Burg, wo diese den Siegfried belagerten, lag am andern Ende des Landes, am Meere, und der Weg war recht weit. Erst am siebenten Tage kam der Bote bei Hettel an. Da war die Bestürzung groß, und Hettel und Herwig luden alle ihre Freunde zum Rate zusammen. Da trat Wate vor und sprach: „Laßt uns Frieden mit den Morländern machen, damit wir den Normannen nachjagen und die Jungfrauen aus den Händen ihrer Räuber befreien. Die Schiffe, die wir brauchen, können wir uns leicht verschaffen, sie liegen am Strande und gehören Pilgern, die nach dem heiligen Lanoe wallfahrten; sie können aber gern so lange warten, bis wir zurückgekommen sind." Der Rat gefiel allen wohl und es geschah, wie Wate gesagt. Siegfried verband sich sogar mit den beiden Königen, um Gudrun befreien zu helfen. Schon nach wenigen Tagen kam ein günstiger Wind, da zogen sie die Segel auf und steuerten nach dem Normannenlande. Wate aber zeigte den Weg.
AlbcrZ, Lebensbilder.
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2. Wie (Sit&run befreit wirb.
Als die Verfolger an der Küste herum fuhren, kamen sie bald an die Mündung der Schelde. Hier hatten sich die Normannen auf einer Insel, die damals Wülp ensand hieß, gelagert. Es entspann sich nun ein gewaltiger Kampf. Die Pfeile flogen so dicht, als ob es schneite, und das Wasser an der Küste war auf Speerwurfweite von dem Blute der Erschlagenen gerötet. König Hettel traf mit dem Vater des Hartmut, dem listigen und gewandten Ludwig, zusammen und wurde von ihm getötet. Endlich erlaubte die hereinbrechende Dunkelheit nicht mehr, Freund und Feind zu unterscheiden, und beide Parteien mußten den Kampf abbrechen, ohne daß man sich des Sieges rühmen konnte. Als die Hegelingen am anderen Morgen den Kampf fortsetzen wollten, fanden sie den Feind nicht mehr. Der listige Ludwig hatte im Dunkel der Nacht das Schlachtfeld verlassen und die Beute in Sicherheit gebracht. Eine Verfolgung war nicht mehr möglich, da er mit seinen Schiffen schon weit ins Meer hinausgefahren war. Die Hegelingen begruben nun die Gefallenen, Freund und Feind; das dauerte sechs Tage lang. Später errichtete man auf der Insel zum Gedächtnis der Erschlagenen ein Kloster.
Betrübt kehrten die Hegelingen jetzt zurück, um die Trauerbotschaft von dem Tode des Königs und seiner Helden und von der Entführung der Jungfrauen nach der Normandie, in ihr Land zu bringen. Da gab es viele Thränen, besonders viel aber weinte Frau Hilde, denn sie hatte Gemahl und Tochter zugleich verloren. Wate aber tröstete sie: „Herrin, laßt das Klagen, denn es weckt die Toten nicht auf und bringt die Gefangenen nicht zurück. Schicket vielmehr Leute in den Westerwald und lasset Holz fällen und Schiffe bauen, damit wir an Hartmut und seinem
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Vater Rache nehmen. Die Schiffe aber, die wir zurückgebracht haben, will ich den frommen Pilgern wiederbringen; denn es würde uns schlecht anstehen, dieselben zurückzubehalten." Auch Siegfried von Morland, so feind er früher den Hegelingen gewesen, tröstete Frau Hilde und sprach: „Laßt es mich wissen, Herrin, wenn ihr gegen die Normannen zieht, denn ich will kommen und mit euch die Jungfrauen befreien."
Die Normannen waren inzwischen mit ihrem Raube in ihr Land gekommen, aber vergebens bemühten sich Hartmut und seine Mutter, die Gndrun zu gewinnen. Sie weigerte sich standhaft, die Gemahlin des jungen Königs zu werden, und weinte und klagte den ganzen Tag um ihren erschlagenen Vater. Der junge König war zwar milde und gut gegen sie, aber die Mutter Gerlind war mit seiner Milde nicht einverstanden. Sie sprach vielmehr: „Gudrun ist so übel gesinnt, daß wir sie nur durch Strenge und Härte unserem Willen geneigt machen können." Hartmut wollte nichts davon wissen. Er mußte aber in einen neuen Krieg zichen, und als nun die böse Gerlind mit Gudrun allein war, zwang sie die Jungfrau zu den niedrigsten Magddiensten. Sie mußte ihre schönen Kleider ablegen, grobes Garn spinnen, Wasser tragen, die Öfen heizen und sich von der niedrigsten Magd befehlen lassen. Die einzige in der Burg, die jetzt noch gütig gegen Gudrun gesinnt war, war die Schwester Harmut's, die junge Ortrun. Sie bat oft bei ihrer Mutter für Gudrun und ihre Freundin Hildeburg, aber es half wenig; die beiden edlen Jungfrauen mußten täglich an den Strand und die Kleider der Königin waschen und ihr Leinen bleichen. In solcher Knechtschaft lebten die edlen Frauen sieben Jahre.
Im Hegelingenlande waren nun endlich die Schiffe fertig geworden, und man schickte Boten an alle Helden, auch an
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Herwig und Siegfried. Wate und Ortwin stellten sich an die Spitze und führten das Heer zuerst nach dem Wülpen-sanbe, reo die jungen Helden die Gräber der Väter besuchten und den Normannen blutige Rache schwuren. Bald erblickten sie die normannische Küste und auf derselben sieben Burgen. Herwig und Ortwin gingen nun auf Kundschaft aus, um die Jungsrauen zu erspähen. Es war ein kalter Morgen und tiefer Schnee bedeckte den Strand, dennoch aber hatten Gndrun und Hildeburg hinaus müssen, um zu waschen, und nicht einmal Schuhe zu tragen wollte ihnen die böse Gerlind erlauben. So fanden die beiden Kundschafter sie am Meeresufer; aber sie erkannten sie nicht, denn niemals hätten sie gedacht, daß die edlen Jungfrauen solche Dienste thun müßten. Die beiden Helden fragten nun nach Gudruu und ihren Frauen, und als Herwig endlich ahnte, baß die eine der Wäscherinnen seine Verlobte sei, gaben sich die Mägde zu erkennen. Groß war nun die Freude, und Herwig hätte die Gefangenen gern gleich mit aus die Schiffe genommen, aber Ortwin rief: „Das sei ferne, daß wir bie Jungfrauen, bie uns im ritterlichen Kampfe genommen sinb, heimlich stehlen; wenn ich hundert Schwestern hätte, so sollte das doch nicht geschehen." Gudrun und Hildeburg mußten nun zwar in die Burg zu-zückgeheu, aber sie thaten es mit Freuden, denn am anderen Tage wollten die Helden sie im ehrlichen Kampfe befreien.
Als sie nach Hause kamen, harrte ihrer ein übler Empfang. Gudrun hatte im Zorn über die böse Behandlung und in der Freude über die nahe Befreiung die schönen Kleider der Königin ins Wasser geworfen. Ich will nimmermehr Kleider waschen," rief sie der scheltenden Gerlind entgegen, „rüst mir König Hartmut, ich will sein Weib werden, aber nicht im Sklavenkleide, sondern mit der Krone aus dem Haupte." Das sagte sie aber aus List, denn sie wollte ihre Helden am andern Tage nicht als dienende Magb empsangem
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Nun wurden für Gudrun und ihre Jungfrauen die schönsten Kleider herbeigeschafft, und alle auf das prächtigste geschmückt. In wenig Wochen sollte die Hochzeit sein, so wollte es Gu-bi'un und Hartmut mußte sich gedulden.
Als am anderen Morgen die Sonne aufging, wurde Gerlind mit dem Rufe geweckt: „Wachet auf, Herrin, unsere Burg ist mit fremden Kriegern umlagert!" Das war Wate mit seinen Helden. Bald begann der Kampf, und Gudrun schaute mit ihren Frauen aus einem Gemache demselben zu. Viel Blut floß, und mancher Held sah seine Heimat nicht wieder. Ortwin ward verwundet, König Ludwig aber von Herwig erschlagen. Der alte Wate kämpfte mit Hartmut, aber Gudrun schickte Boten und ließ sagen, man solle ihn
schonen, da ward er endlich gefangen. Die Burg wurde er-
stürmt. Gerlind und Ortrun mit ihren Frauen flüchteten sich zu Gudrun, und die Königin flehte um Erbarmen. Aber der grimmige Wate kannte keine Schonung, er schlug der
bösen Königin das Haupt ab und ließ die Frauen als
Gefangene auf die Schiffe bringen; nur die edle Ortrun'blieb bei ihrer Freundin Gudrun.
Reich mit Beute beladen kehrten die Hegelingen, nachdem sie noch das ganze normannische Gebiet unterworfen hatten, in ihr Land zurück. Da gab es wohl große Trauer für die vielen gefallenen Helden, aber auch zugleich viel Freude. Frau Hilde wurde durch das Wiedersehen der Tochter milde und freundlich gesinnt und ließ die Gefangenen als Gäste in ihrem Palaste behandeln.
Nach wenigen Wochen feierten Gudrun und Herwig in der festlich geschmückten Burg Matelane ihre Hochzeit. Da erscholl Jubel und Freude durch das ganze Hegelingenland. In ihrer Freude gedachte die edle Gudrun aber auch ihrer Freunde aus dem Normannenlande. Ortrun empfahl sie dem Bruder Ortwin als Gemahlin und Hartmut verlobte sich
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mit der treuen Hildeburg. Da gab es in kurzer Zeit noch zwei glänzende Hochzeiten auf der Burg Matelane.
Endlich aber kam ein schwerer Abschied; nur Ortwin und Ortrun blieben bei Frau Hilde und herrschten glücklich über die Hegelingen. Hartmut kehrte mit Hildeburg in die Normandie zurück und erhielt sie von Ortwin zum Sehn. Gudrnn aber zog mit Herwig nach Seeland. Da weinte Fran Hilde abermals um die Scheidende, aber Gndmn versprach, des Jahres dreimal einen Boten zn schicken und Nachricht zu geben, wie es ihr in Seeland erginge. Ortwin und' Herwig herrschten noch viele Jahre als treue Fürsten über ihre Sünder, und ihre Tapferkeit wurde viele, viele Jahre nach ihrem Tode noch in herrlichen Siebern gefeiert.
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Dietrich von Bern.
f. Dietrich's Jugend.
In dem schönen Lande Italien liegt eine Stadt, die heißt Verona, ehemals aber hieß sie Bern. Sie war lange Zeit die Hauptstadt eines mächtigen Reiches. Nach vielen tapferen und siegreichen Kämpfen hatte sich nämlich hier das Volk der Goten niedergelassen. Zum Unterschied von dem Brudervolk der Westgoten, die im südlichen Frankreich und dem nördlichen Spanien ein großes Reich gegründet hatten, wurden sie Ostgoten genannt. Gegen Ende des fünften und zu Anfang des sechsten Jahrhunderts standen sie unter einem König, der hieß Theodorich, die Sage aber nennt ihn nach seiner Residenzstadt Dietrich von Bern und weiß gar viele tapfere Heldenthaten von ihm zu erzählen.
Seine Eltern waren König Theodomir oder Dietmar und Odilia, die Tochter des Grafen Elsung, der vordem über Bern geherrscht hatte. Theodomir war ein tapferer Kriegsheld und alle seine Feinde fürchteten ihn sehr, denn er war gar gewaltig und von großer Körperkraft. Bei seinen Mannen aber war er sehr beliebt, denn gegen sie übte er nur Großmut und Milde. Odilia dagegen war eine zarte, schwächliche Frau, aber sie war klug und geschickt und freundlich gegen jedermann. Darum ward auch sie von allen geachtet und geliebt. Der Knabe Dietrich hatte die Gestalt und die Heldenkraft des Vaters geerbt, von der Mutter aber den klugen Sinn. Als er heranwuchs, ward er so stark und kräftig, daß es bald im ganzen Lande keiner mit ihm aufnehmen konnte, ja, seine Kraft ward so groß, daß er sie
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selbst kaum kannte. Als er sein zwölftes Jahr vollendet hatte, war er schon so groß und stark, wie ein Jüngling von mehr als zwanzig Jahren. Darum schlug sein Bater ihn auch schon so früh zum Ritter, setzte ihn zum Häuptling über seinen ganzen Hof und gebot seinen Mannen, ihm zu dienen. Unter diesen seinen Mannen war auch einer namens Hildebrand. Der war der Sohn des Herzogs von Venedig und vor Jahren an den Hof Theodomir's gekommen. Er war von allen Rittern am Hofe zu Bern der schönste von Gestalt, der tapferste im Kampfe und der weiseste im Rate. König Theodomir hatte ihn daher lieb wie seinen eigenen Sohn. Der junge Dietrich war damals, als Hildebrand nach Bern kam, erst ungefähr sieben Jahre alt, aber er faßte, gleichwie sein Vater, eine herzliche Zuneigung zu dem tapferen Ritter. Diese Zuneigung ward immer größer, je älter Dietrich ward, und als er von seinem Vater das Schwert empfing nnd über den Hof gesetzt ward, da schloß er mit ihm ein Freundschaftsbündnis, wie einst König David und Jonathan, und dies Bündnis haben sie treu gehalten bis an ihr Lebensende. Stets waren sie unzertrennliche Gefährten, und wenn sie nicht gegen die Feinde auszogen, so verfolgten sie die Bären und Eber in den Wäldern ihrer Heimat. Schon in seinem Knabenalter bestand der junge Königssohn an der Seite des Meister Hildebrand (denn so wurde er genannt, weil er der beste Lehrmeister in der edlen Waffenkunst war,) manche gefährliche Abenteuer.
Einmal verfolgten sie auf der Jagd einen flüchtigen Hirsch und kamen dabei in die Nähe oer Höhle eines Zwerges. Dietrich ward das kleine Männchen gewahr, jagte ihm nach. nnd als er es ergriffen, hob er es zu sich in den Sattel. Dieser Zwerg war der geschickteste Dieb unter dem ganzen Zwergvolk und hatte alle Schätze der Umgegend, alles Gold und Silber und viele kostbare Kleinode znsammengestohlsn
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und verwahrte nun alles in seiner Höhle. Er bat Dietrich ganz kläglich um sein Leben. „Was für Ruhm würde es euch bringen, mich zu toten," sprach er; „lieber kämpfet mit einem Paar Menschen, das ich euch zeigen werde. Die beiden haben so viel Schütze verborgen, daß König Theodomir nicht halb so viel besitzt. Aber sie bewachen die Schütze sehr sorgsam. Der Mann heißt G r i m und ist so stark wie zwölf andere Männer, die Frau aber heißt Hilde und ist noch stärker als er. Sie haben ein Schwert, das heißt Nagelring; es ist das beste von allen Schwertern. Wenn ihr dieses Schwert gewinnen könnt, so wird es euch ' leicht, die beiden Wächter zu besiegen." Da antwortete Dietrich: „Nimmer sollst du lebend aus meiner Hand
kommen, wenn du mir nicht sogleich schwörest, noch heute vor Abend dieses Schwert in meine Hand zu bringen. Dann sollst du mir die Höhle zeigen, in der die beiden wohnen. Der Zwerg mußte sich fügen. Um die neunte Stunde abends kam er zurück und brachte das Schwert, das er inzwischen gestohlen hatte. Er führte nun Dietrich und Hildebraud an einen Bergrand und zeigte ihnen die Wohnung, in der die Schätze verborgen waren. Dann machte er sich eiligst davon und schwur, daß sie ihn nie wieder in ihre Gewalt bekommen sollten. Die beiden Helden stiegen jetzt von ihren Rossen, und Dietrich ging voran in die Erdhöhle des Grim, Hildebrand aber folgte ihm gleich nach. Als der Riese Grim sie eintreten sah, wollte er nach feinem Schwerte greifen, aber es war weg. Da stürzte er sich mit einem brennenden Baumstamm, der am Herdfeuer tag, auf Dietrich, fein Weib Hilde aber packte Hildebrand. Da kam der tapfere Meister in arge Rot. Hilde umklammerte feinen Hals mit solcher Kraft, daß ihm schier der Atem ausging. Dann riß sie ihn zu Boden, um ihn zu binden. Da rief
Hildebrand: „Lieber Herr Dietrich, helft mir, denn noch
niemals kam ich in solche Lebensgefahr als bei diesem Weibe." Da hieb Dietrich dem Grim schnell mit dem Schwerte Nagelring den Kopf ab und sprang dann seinem Meister zu Hülfe. Er schlug Hilde jetzt mit einem gewaltigen Schlage in zwei Stücke, von oben nach unten. Die Riesin aber war so zauberkundig, daß ihr das gar nicht schadete, die beiden Hälften liefen wieder zusammen, und Hilde ward wieder so gesund wie vorher. Endlich aber setzte Dietrich den Fuß ans die eine Halste, da blieb sie liegen und starb, und darauf auch die andere. Nun nahmen die Sieger so viel von den Schätzen, als sie nur fortschaffen konnten, das übrige aber ließen sie in der Höhle und verwahrten den Eingang, daß ihn niemand öffnen konnte. Als sie heimkamen und ihr Abenteuer erzählten, auch die Schätze und das Schwert, sowie einen Helm, den Dietrich dem Grim abgenommen hatte, vorzeigten, da waren alle Helden ihres Lobes voll, und Dietrich ward berühmt über alle Lande. Ec soll damals erst dreizehn Jahre alt gewesen sein. Um diese Zeit kam aus dem Lande der Schwaben ein junger Held nach Bern, der hieß Heime oder Hei mir. Der war eines mächtigen Königs Sohn und hatte am Hofe seines Vaters viel von der Stärke und Tapferkeit Dietrich's gehört. Da gelüstete es ihn, sich mit demselben zu messen. „Entweder will ich schnell des Todes sein, oder ein noch berühmterer Mann werden als Dietrich," sprach er zu seinem Vater, und dieser ließ ihn nach vielen Bitten endlich ziehen. Als er in Bern ankam, trat er vor den Hochsitz des Königs Dietmar und grüßte ihn und seinen Sohn, der neben ihm saß. Darauf sprach er zu diesem: „Herr Dietrich, ich habe deinen Namen in meiner Heimat rühmen hören und bin lang geritten, um dich zn sehen. Wenn du nun dich und deine Stärke mit mir versuchen willst, so fordere ich dich zum Zweikampf draußen vor Bern, und der stärkere von uns beiden foll des anderen Waffen davon
tragen." Das ließ sich Dietrich nicht zweimal sagen. Er ging aus der Halle und mit ihm Meister Hildebrand nebst vielen anderen tapferen Rittern. Auf dem Kampffelde vor den Thoren der Stadt Bern ritten die beiden jugendlichen Helden gegeneinander; aber keiner konnte den anderen aus bem 'Sattel bringen oder sonst ihm Schaden zufügen mit dem Spieß. Im dritten Rennen aber nehmen sie beibe ihre ganze Kraft zusammen, unb jeder wollte bem anbeten ben Tob geben. Heime stieß seinen Spieß so gewaltig, baß er unter* halb ber Hanb burch Dietrich's Schild fuhr und dessen Panzer traf, aber au bem Stahl glitt er ab. Dietrich aber bnrchbohrte nicht allein den Schilb seines Gegners, sondern auch dessen doppelten Panzer und verwundete ihn ein wenig. So kräftig waren sie gegeneinander geritten, daß die Pferde auf die Hinterbeine stürzten, und beide Spießschafte in der Mitte abbrachen. Da stiegen sie von ihren Rossen und kämpften mit den Schwertern, und keiner wollte dem anderen weichen, denn das Schwert des Helden Heime war fast ebenso gut als Nagelring, die Waffe des Dietrich. Endlich hieb Heime mit aller Kraft auf den Helm Dietrich's; da zerbrach fein gutes Schwert in zwei Stücke, und er mußte sich in die Gewalt des Berners geben. Dieser machte ihn nun zu seinem Gesellen, und sie wurden die besten Freunde. Des jungen Dietrich's Ruhm aber war noch größer denn zuvor.
Mit einem anderen Helden, der auch nach Bern kam, um sich mit ihm zu messen, ging es Dietrich nicht so gut. Das war Wittig ober Wibga, ber Sohn bes Königs W i l a n b, ber auch zugleich ein tüchtiger Waffenschmied war. Er hatte ein prächtiges Schwert geschmiedet, das hieß Miitung; dies gab er seinem Sohne Wittig, als dieser nach Bern zog. Daraus setzte er ihm einen Helm auf, der war aus dem härtesten Stahl geschmiedet und mit großen Nägeln beschlagen. Der Schild war dick und schwer, so
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-daß ein gewöhnlicher Mann ihn kaum heben konnte; und der 'Panzer, die Brünne, war von goldgelber Farbe, und es mußte ein gutes Schwert sein, das sie durchschneiden wollte. Auf dem Schilde trug der junge Wittig eine Zange und einen Hammer gemalt, weil sein Vater ein Schmied war; und auf dem Helme war ein giftiger Wurm abgebildet, er bedeutete Wittig's Streitlust und seine Grimmigkeit. Ehe er nach Bern kam, traf er unterwegs Meister Hildebrand, der gerade mit mehreren Rittern aus Bern auf Abenteuer ausgeritten war. Sie schlossen Freundschaft und Brüderschaft miteinander, denn Hildebrand wollte den mutigen Jüngling gern für seinen Herrn gewinnen. Nachdem sie auf dem Wege nach Dietrich's Residenz noch manche Heldenthat ausgeführt, und Meister Hildebrand die Stärke und Tapferkeit seines jungen Freundes erprobt hatte, suchte derselbe den Zweikampf zu verhindern, aber Wittig forderte Dietrich heraus, und dieser ward nun so zornig, daß er erklärte, er wolle seinen Gegner, wenn er ihn überwinde, vor dem Thore der Stadt Bern aufknüpfen lassen. Nun begann der Kampf. Zuerst wurde mit den Rossen gegeneinander gerannt. Dietrich's Spieß glitt an dem starken Schilde des Wittig ab, aber Wittig's Spieß drang fest in den Schild seines Gegners ein, und als die Pferde aneinander vorbeiliefen, zersprang er in Ärei Stücke. Da rief er Dietrich zu: „Wende dein Roß und renne noch einmal gegen mich, damit du auch deinen Spieß verlierst, ich will still halten vor dir, und du sollst mich nicht von meinem Rosse herunterbringen." Nun that Dietrich, wie ihm Wittig gesagt hatte; aber, obgleich er sich die größte Mühe gab, Wittig's Panzer zu durchbohren, gelang ihm dies doch nicht, derselbe schlug vielmehr so kräftig mit seinem Schwerte auf den Schaft des Spießes, daß auch dieser in Stücke zersprang. Nun begann der Schwertkampf. Beide teilten gewaltige Hiebe aus, und sie schallten weithin.
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Alle Ritter aber, die dabei standen, lobten die beiden-guten Schwerter Minung und Nagelring. Lange kämpften sie so; zuerst schien Dietrich zu siegen, dann aber wäre er wohl unterlegen, wenn nicht Meister Hildebrand dem Kampfe ein Ende gemacht hätte. Er sprach zu Dietrich: „Du siehst, daß ich dich nicht belog, als ich sagte, Wittig sei ein tapferer Held. Nun scheint mir, als ob deine Brünne zerfetzt, dein Helm seines Schmuckes beraubt, dein Schild zerbrochen und-du selber vielfach verwundet seiest; nun siehst du, daß der Kampf mit Unehre für dich enden muß." Dann wandte er sich an Wittig unb rief: „Guter Geselle, um unserer Brüderschaft willen bitte ich, daß du Dietrich Frieden gebest." Darauf thaten sie ihre Waffen ab uud legten ihre Hände zusammen und wurden von nun an Gesellen und gute Freunbe. So zogen sie in Bern ein, unb jebermann freute sich. So waren jetzt vier tapfere Helben am Hofe des Königs von Bern zusammen, Dietrich unb sein Lehrmeister Hildebrand, Heime und Wittig. Die beiden letzten blieben viele Jahre am Hofe ihres Freundes, und bie Sage weiß noch manches mutige Abenteuer von ihnen zu erzählen. Später gingen sie mit Dietrich's Erlaubnis an ben Hof bes Gotenkönigs Er-manarich, ber ein Oheim Dietrich's war, unb auch hier haben sie viele tapfere Thaten vollbrächt.
2. Dietrich wirb König und sucht Abenteuer.
Als König Dietmar starb, nahm sein Sohn Dietrich bas> Reich in Besitz unb würbe König in Bern. Er war ber größte König, ber weit unb breit über alle Laube herrschte, unb fein Ruhm war bekannt in allen Königreichen, obgleich er noch ein Jüngling an Jahren war, da er den Thron feines Vaters bestieg. Außer dem Meister Hildebrand,. Heime und Wittig, von denen schon geredet ist, waren noch.
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viele tapfere Helden am Hofe zu Bern. Als die wichtigsten unter ihnen werden noch genannt: der treue Helferich, der junge Hache, der kühne E ck h a r t und der mutige Wolfhart, daneben der Heldenjüngling Alp hart, ferner Slmelolt oder Amelung und Nere, dazu noch viele andere Helden, deren Namen in jener Zeit berühmt waren. Von kühnen und gefährlichen Abenteuern, die Dietrich teils allein, teils in Gemeinschaft mit diesen Helden ausführte, weiß die Sage viel zu berichten. Als der junge König den Thron seines Vaters bestieg, hatte er wohl bereits manchen Zweikampf bestanden, aber so ein richtiges Abenteuer hatte er noch nicht kennen gelernt; ja, er wußte nicht einmal, was dieses Wort eigentlich bedeute. Als daher einst die edlen Frauen und Jungfrauen seines Hofes beisammen saßen und ihn fragten, ob er noch kein Abenteuer erlebt hätte, das er ihnen erzählen könnte, da erschrak Dietrich ordentlich unb schämte sich seiner Unkenntnis vor den grauen. Er ging hinaus und suchte den Meister Hildebrand, damit dieser ihm erkläre, was ein Abenteuer wäre. „Das sollt ihr bald genug erfahren," antwortete sein alter Lehrmeister; „macht euch nur bereit, wir wollen hinausziehen, da werdet ihr schon ein Abenteuer kennen lernen." Nun wurde ein tüchtiger Ritter mit der Verwaltung des Reiches beauftragt, und dann ritten Dietrich und Hildebrand aus, um Abenteuer zu suchen. Als sie in einen schönen Wald voll prächtiger Eichen kamen, die ihr grünes Laubdach über die Reiter ausbreiteten; als sie die silberhellen Quellen gewahrten, die von den Felswänden herabsprudelten; und als sie in den Zweigen liebliche Vogelstimmen hörten: da kam das alles dem Dietrich viel schöner und lieblicher vor, als er es daheim in Bern jemals gesehen und gehört hatte. „Wie wunderbar schön ist es hier!" rief er aus; „sagt mir doch, Herr Hildebrand, sind wir jetzt an Ort und Stelle, und nennt man das Ding ein Abenteuer?" Da
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lachte der alte Meister hell auf: „Ha, das wäre mir ein bequemes Abenteuer! Nein, mit Drachen und Lindwürmern, die in solchen Wäldern zuweilen hausen, kämpfen und sie besiegen, das laß ich mir schon eher gefallen; uni) wenn noch einige Riesen mit dabei sind, so schadet das auch nichts." Als sie noch miteinander sprachen, ertönte plötzlich ein lauter Schrei durch den Wald, so daß die Vögel aus Angst sogleich verstummten. „Ich glaube, wir sind den Abenteuern auf die richtige Fährte gekommen," rief Meister Hildebrand; „wartet hier auf mich, bis ich zurückkomme, ich muß einmal sehen, was dieser Schrei zu bedeuten hat." Mit diesen Worten ritt Hildebrand tiefer in den Wald hinein, Dietricb aber blieb zurück. Nicht lange war Meister Hildebrand geritten, so gewahrte er eine Jungsrau, die weinte und klagte sehr, denn sie war von einem gewaltigen Riesen, der Orkise hieß, ihrer Königin Virginal von Jeraspnnt entführt worden und ward jetzt von demselben bewacht. Hildebrand machte mit dem Ungeheuer Orkise kurzen Prozeß; er erschlug ihn und befreite die Jungfrau. Aber der Riese war nicht allein gewesen; vier andere nicht minder starke Recken fanden seinen Leichnam im Walde, und während Meister Hildebrand die befreite Jungfrau vor sich auf sein Pferd nahm und seinen jungen Herrn wieder aufsuchte, hatten die vier Gesellen diesen schon gefunden. Sie hielten Dietrich für den Mörder ihres Gefährten und griffen ihn wütend an. Der aber wehrte sich tapfer feiner Haut, und bald lagen drei der Angreifer in ihrem Blute tot auf dem Boden, und der vierte war schwer verwundet. Er konnte noch gerade erzählen, wie sie den Orkise als Leichnam gefunden und nun diese Rache an Dietrich hatten nehmen wollen, dann starb auch er. „Ha," dachte Dietrich, „das hat Hildebrand gethan! Wenn er jetzt nur bald zurückkäme, damit wir endlich einmal ein Abenteuer finden könnten!" Mit diesen Worten ritt er auch
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tiefer in den Wald hinein nach derselben Richtung zu, die Hildebrand eingeschlagen hatte. Er war noch nicht weit ge» kommen, da sah er auf einmal zwölf Ritter aus sich zusprengen. Als sie ihre Lanzen einlegten und ihn anrennen wollten, da dachte er seufzend: „Wenn doch jetzt nur Herr Hildebrand zu Hülfe käme; zwölf gegen einen ist doch fast ein wenig zu viel." Die Zwölf hatten sich aber gewaltig in Dietrich geirrt, als sie ihn leicht zn besiegen vermeinten. Dietrich schlug sie herzhaft zurück, und je heißer der Kampf wurde, desto stärker schien auch seine Kraft zu werden. Seine Schwertschläge dröhnten so gewaltig auf die Helme und Schilde der Feinde nieder, daß Hildebrand sie in der Ferne hörte. Er setzte die befreite Jungfrau unter einem Baume nieder und sprengte seinem Herrn zu Hülse. Als er sah, wie sein junger Herr sich so tapfer hielt und so kräftig um sich schlug, daß die hellen Funken aus seinem Schwerte hervorsprühten, da freute sich der Alte von ganzem Herzen und sah sogar noch eine Weile ans der Ferne dem Kampfe zu, um seine alten Augen an der Tapferkeit seines jungen Fürsten zu weiden. Dann aber schoß er mit dem Schlachtruf: „Hie Dietrich und Bern!" auf die Feinde los und hieb nach allen Seiten so gewaltig um sich, daß die zwölf Ritter nichts anderes als den Tod vor Augen sahen. Eine ganze Stunde kämpften sie noch, als dann aber die meisten von ihnen erschlagen am Boden lagen, ergriffen die übrigen eiligst die Flucht.
„Seht, mein lieber junger Herr," sagte nun Meister Hildebrand, „so sieht das Ding ans, das man Abenteuer nennt. Ihr könnt jetzt sagen, daß ihr ein ganz leidliches bestanden habt, und wenn euch die Frauen und Jungfrauen daheim zu Bern wieder darnach fragen sollten, so wißt ihr, was ihr ihnen zu antworten habt und könnt ihnen ein ganz. sauberes Stück Arbeit erzählen." — Das war aber noch.
lange nicht das einzige Abenteuer, das Dietrich auf dieser Fahrt bestand. An Drachen fehlte es in diesem sonderbaren Walde auch nicht; und während sie auf die Rückkehr der Jungfrau, die vorausgegangen war, um ihre Herrin zu benachrichtigen, warteten, gewahrten sie zwei dieser Ungeheuer. Hildebrand that den einen ab und befreite den Ritter R e t w i n aus seinen Klauen, und Dietrich erschlug den anderen. Retwin führte die Helden nun in die Burg seines Vaters Helferich, die nicht weit von dem Walde lag, und hier labten sie sich nach all den Anstrengungen an einem herrlichen Mahle und ruhten sich aus. Nach einigen Tagen kam aber schon ein Bote der Königin Virginal und lud die Helden auf das Schloß derselben. Sie gaben dem Boten einen Brief mit und versprachen bald zu kommen. Nach acht Tagen machten sie sich auf den Weg. Dietrich wollte gern zuerst bei der Königin ankommen und ritt deshalb ein wenig voraus, Hildebrand aber und Helferich mit feinen Mannen, die die Helden begleiteten, blieben zurück. Plötzlich wurde nun Dietrich von einem ungeschlachten Riesen überfallen; der versetzte ihm mit seiner dicken Eisenstange von hinten einen so gewaltigen Schlag, daß der Reiter mitsamt feinem Roß niederstürzte. Als Dietrich wieder zu sich kam, mußte er sich in die Gewalt des Riesen geben, aber er tröstete sich damit, seine Freunde würden ihn bald wieder auslösen. Der Riese aber, der W i ck e r a m hieß, brachte ihn ans die Burg des Herzogs Nidinger. Hier wurde er in ein enges Burgverlies geworfen und harrte in schmachvoller Gefangenschaft lange vergebens auf die Hülfe seines Meisters Hildebrand.
A l b e r s , Lebensbilder.
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3. Dietrich s Befreiung und Heimkehr.
Hildebrand und Helferich waren unterdessen nach Tyrol zu der Königin Virginal gezogen. Sie waren auf das höchste erstaunt, als sie Dietrich dort nicht fanden, denn sie dachten nicht anders, als er sei voraus geritten und längst in Jeraspunt angekommen. „Wehe mir!" rief der alte Hildebrand aus, als er erfuhr, daß hier niemand etwas von seinem Herrn wisse; „wehe mir, daß ich den Tag erleben muß, meinen Herrn zu verlieren! Laßt uns ihn suchen, und sollte ich durch tausend Lande fahren, so muß ich wissen, wo mein Herr ist." Retwin's Vater, der Herzog Helserich, kam endlich auf den Gedanken, daß die Riesen des Herzogs Nidinger hier wohl ihre Hand im Spiele gehabt hätten, und als Hildebrand die Gegend unb den Weg, wo Dietrich sich von ihm getrennt hatte, genauer beschrieb, ba würbe biese Vermutung zur Gewißheit. Nun war aber guter Rat teuer; ber alte Hilbebranb wollte gleich aufbrechen, um seinen jungen Herrn zu befreien, aber bas ging nicht. Nibinger wohnte auf einer festen Burg, bte von zwölf gewaltigen Riesen ver-teibigt warb. Enblich beschloß man aber boch auszuziehen unb vor allen Dingen erst einmal ben Berner auszusuchen. Man beurlaubte sich bei ber Königin unb zog in ben Wptb hinaus. Nach wenigen Tagen begegnete ihnen ein Bote,' ber kam von ber Burg bes Herzogs Nibiuger unb hatte einen Brief an Meister Hildebrand. Mit diesem Briese hatte es aber solgenbe Bewanbnis: Der Herzog Nibinger hatte eine Schwester, bie hieß Ibelin. Als bie von ber Gefangenschaft bes edlen Dietrich erfuhr, ba hatte sie ein herzliches Mitteiben mit betn Helbett. Sie schickte ihm gutes Essen von ihrem Tisch in das Gefängnis, ging auch oft selbst zu ihm und suchte ihm die Zeit zu vertreiben, indem sie ihm Geschichten erzählte oder Schach mit ihm spielte. Auch sorgte
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sie dafür, daß dem Helden die Fesseln abgenommen wurden, die Wies er am — der Riese, der Dietrich hinterlistig in seine Gewalt gebracht hatte — ihm angelegt hatte. Diese Herzogin Jbelin hatte den Brief an Meister Hildebrand geschickt. Der Alte war hocherfreut, daß sein Herr noch lebte. Als er aber aus dem Briefe erfuhr, daß die Burg Nidinger's — Muter hieß sie — sehr stark vertheidigt sev da zog er zuerst wieder nach Jerafpunt znrnck. Auch die Königin Virgiual war sehr froh über die Nachricht. Sie schickte sofort einen Boten an den König von Ungarn, der ihr verwandt war, damit er mit einem Heere zn Hülfe käme gegen den Herzog Nidinger. Meister Hildebrand aber zog nach Bern, um die Gesellen seines Herrn aufzubieten. Als Hildebrand ohne seinen Herrn nach Bern zurückkehrte, da gab es einen förmlichen Aufruhr in der Stadt. „Wo ist der Berner? Lebt er noch, ist er todt? Habt ihr ihn in ein Kloster gesteckt, oder ist er in Jeraspnnt bei der Königin
Virginal?" So tönte dem alten Lehrmeister aus jedem Munde entgegen; so fragten die Helden, so fragten die Bürger der Stadt, so fragte die Mutter, und so fragten die Frauen und Jungfrauen durcheinander. „Ja, wo ist er?
wo ist er?" rief der alte Hildebrand ärgerlich. „Wenn ihr
vernünftig wäret und mich zu Worte kommen ließet, so wüßtet ihr's lange. Im Kloster ist er nicht, tot ist er nicht, wohl geht's ihm auch nicht, sondern in Muter ist er, und gefangen ist er, und Hülfe braucht er, und um die zu holen, bin ich gekommen." Da wurden die Gesellen des Königs
aber lebendig! Allen Freunden ward die Heerfahrt angesagt, und jeder wollte mit hinaus ziehen, den edlen Gefangenen befreien zu helfen. Als alle Ritter beisammen waren, zogen sie über das Gebirge nach Tirol zur Königin Virginal. Hier kam am anderen Tage auch der Ungarkönig an, und nun zeigten die Boten den Weg nach der Burg Muter.
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Dietrich sah aus dem Fenster seines Gefängnisses die Freunde heranziehen; und als er Heime und Wittig, Wolfhart uud Eckhart gewahrte, da war die Freude groß; als aber auch sein alter Lehrmeister dahergeritten kam, da hielt es ihn nicht länger in der Burg. Er ließ den Herzog durch die Schwester bitten, ihn frei zu lassen, damit er mit Wickeram, der an allem Schuld sei, ritterlich kämpfe. Das gestattete Nidinger, denn es ward ihm angst vor all diesen kühnen Recken, die gleich beim ersten Angriff die stärksten seiner Riesen erschlagen hatten. Wickeram büßte jetzt seine Falschheit und Hinterlist mit dem Tode, und auch die noch übrigen Riesen wurden erschlagen. Da die Schwester Jbelin für ihren Bruder bat, so verzieh Dietrich ihm und ließ ihm seine Burg Muter zum Lehn. Nun ward ein großes Sieges- und Versöhnungsfest gefeiert, und alle freuten sich herzlich, am meisten aber Meister Hildebrand, daß er seinen lieben Herrn Dietrich wieder gesunden hatte.
Am anderen Tage zogen alle zurück nach Jeraspuut, und hier bereitete die Königin Virginal den Helden den köstlichsten Empfang. Auf einer Ebene war ein mächtiges Zelt aufgeschlagen; und hier gab es für die Helden jeden Tag neue Spiele und Kurzweil; und die Turniere und Kampfspiele nahmen viele Tage kein Ende. Der alte Hildebrand mahnte endlich zum Ausbruch, und nun zogen die Helden nach allen Weltgegenden auseinander, und der Ruhm ihrer Thaten zog ihnen voran und bereitete ihnen daheim die feierlichste Aufnahme. Auch in Bern war der Jubel groß, als Dietrich und die Helden zurückkehrten. Als die Bürger von Bern aber treuherzig ihren König baten, nun doch recht lange bei ihnen zu bleiben, da antwortete der alte Hildebrand lachend: „Allzulange wird's wohl nicht dauern. Er weiß jetzt was Abenteuer sind, und es sollte mich gar nicht wundern, wenn's bald wieder auf eine neue Fahrt ginge."
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4. Dielrich's Kampf mit Ecke.
Um die Zeit als Dietrich König in Bern war, regierte zu Köln ain Rhein eine mächtige Königin, die hieß S e e -bürg. Die hatte viele tapfere Helden und auserwählte Recken an ihrem Hofe; der tapfersten einer aber war der junge Ecke. Der war groß und stark, wie ein Riese, und kein Held hatte ihn bis jetzt zu besiegen vermocht. Eines Tages saßen die Helden in einem Saale beisammen und sprachen über die Thaten des kühnen Dietrich und seines Meisters Hildebrand, deren Ruhm bis zu ihnen gedrungen war. Das Lob, das sie dem Dietrich spendeten, verdroß den Ecke ganz besonders, und er beschloß sich auf die Fahrt zu machen und mit dem Berner zu streiten. Als die Königin Seeburg das hörte, sprach sie zu Ecke: „Ich wünsche nichts sehnlicher, als den berühmten Dietrich einmal von Angesicht zu Angesicht zu sehen, wenn du, Ecke, ihn aufsuchen willst, so würde ich dir großen Dank sagen, wenn du ihn bewegen könntest, einmal nach Köln zu kommen." Ecke antwortete: „Ich will deinen Wunsch erfüllen, edle Königin; und wenn Dietrich sich weigern sollte, so will ich ihn zwingen, auch ohne seinen Willen mit mir an den Rhein zu kommen."
Wohl ausgerüstet mit Panzer, Schild und Helm, und umgürtet mit einem scharfen Schwerte, das in goldener Scheide saß, und dessen Knauf mit einem kostbaren Edelstein geziert war, machte sich Ecke auf den Weg. Sein Roß ließ er zu Hause, denn er war so schwer, daß kein Pferd ihn einen so weiten Weg tragen konnte. In wenigen Tagen hatte er mit raschen Schritten eine weite Strecke zurückgelegt, ohne auch nur zu rasten. Als er das Gebirge ant Rhein überstiegen hatte, zeigte ihm ein Einsiedler den Weg nach Bern. Als er nun am frühen Morgen dort ankam, erschraken die Einwohner so sehr, daß die meisten derselben vor dem gewaltigen
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Recken davon liefen. Dietrich selbst war aber nicht in Bern; er war in das Tiroler Gebirge geritten, und als Ecke dies erfuhr, da stürmte er auch gleich wieder aus der Stadt
heraus, dem Gebirge zu. Die Bürger schauten ihm verwundert nach, freuten sich aber nicht wenig, als sie den Riesen so schnell wieder los wurden. Ecke streifte nun den ganzen Tag im Gebirge herum, ohne den Gesuchten zu finden. Endlich am Abend, als es schon dunkel werden wollte, kam er auf die richtige Spur. An dem Aste einer
Linde fand er ein Roß angebunden, unb nicht weit davon
lag ein totwunder Ritter, aus dessen Wunden eine große
Lache Blutes geströmt war. Er hatte mit Dietrich von Bern gekämpft und war von ihm so zerschlagen, daß selbst Ecke über die Wuuden erschreck und staunend ausrief: „Wahrlich, so breite und tiefe Wunden habe ich noch niemals gesehen und habe doch schon manchen Kampf mitgemacht, fast möchte man glauben, der Donner, und nicht ein Schwert habe sie geschlagen!" Nun erzählte der Verwundete, er heiße Helferich von Sune und sei auch vom Rheine hergekommen, um mit Dietrich zu kämpfen. Dann beschrieb er die gewaltige Kraft des Berners und meinte, ein ganzes Heer sei nicht hinreichend ihn zu besiegen. „Wenn ich euch einen guten Rath geben soll," setzte er hinzu, „so kehret nach Köln zurück; ob ihr auch größer seid als Dietrich, so werdet ihr doch nichts gegen ihn ausrichten." Ecke aber ließ sich nicht bereden, und nachdem er die Wunden des Helferich, so gut er es verstand, verbunden hatte, schied er von ihm und eilte dem Berner nach.
Endlich fanden sich die beiden Kämpfer. Dietrich, der den Helden Ecke hinter sich herkommen sah, rief ihm zn: „Wohin so eilig, guter Held? Was suchet ihr denn?" „Ich suche den Herrn Dietrich von Bern und bin schon durch mehrere Länder gelaufen," rief Ecke. Da antwortete Dietrich
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scherzend: „Es giebt manchen Dietrich in Bern, wenn ihr
aber den König Dietrich sucht, den Sohn Dietmar's, so seid ihr aus der rechten Fährte, denn der bin ich selber." Da freute sich Ecke sehr, daß er endlich den Dietrich gefunden hatte. Er sagte ihm jetzt, daß er ihn nach Köln haben wollte; „unb," setzte er hinzu, „wenn du mir nicht folgen willst, so will ich mit dir kämpfen." Dietrich hatte diesmal
aber wenig Lust zum Kampfe; nicht daß er sich vor dem
Riesen gefürchtet hätte, sondern weil es ihm leib that, einen so tapferen Recken, ber ihm nichts gethan hatte, zu töten. Er sprach barmn: „Warum willst bu durchaus, daß einer von uns beiden bett emberen tot schlage? Wir haben uns ja nichts zu leid gethan und könnten wohl gar gute Freunde bleiben." Davon wollte Ecke aber durchaus nichts wissen, und als er sah, daß Dietrich durch Bitten nicht zum Kampfe zu bewegen sei, fing er an ihn zu höhnen und zu verspotten, um ihn dadurch zu reizen. „Das Lob, das du in allen • Landen genießest, "sprach er, „hast du wahrlich nicht verdient. Am Ende bist du gar nicht der tapfere Dietrich von Bern, für den du dich ausgiebst? Wenn ich nach Hause komme, werde ich überall erzählen, daß Dietrich von Bern, von dem man tapfere Thaten erzählt, sich gefürchtet hat, mit mir zu kämpfen; da wird es mit seinem Ruhme balb aus sein." Nun erreichte Ecke seinen Zweck. Dietrich erwiberte zornig: „Wenn bu meinst, baß ich aus Feigheit nicht mit bir kämpfen will, fo muß ich dir wohl zeigen, daß ich der richtige Dietrich bin, den du gesucht hast. Deine Prahlerei wird dir übel bekommen, und deine Freunde am Rhein sollen lange ans
deine Nachrichten lauem." Mit diesen Worten sprang Dietrich von seinem Pferde und stürmte auf Ecke los. Als der Kampf begann, war es schon fast dunkel, aber die Helden schlugen sich einander mit solcher Wucht aus die Helme, daß die Funken, die herausstoben, es säst ganz hell machten.
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Lange währte der Kampf, und beide Helden ermüdeten endlich, denn Dietrich hatte bereits an demselben Tage mit vier Helden gekämpft und tiefe Wunden davon getragen, während Ecke in den letzten Tagen einen weiten Weg zurückgelegt hatte. Sie schlossen daher Frieden für die Nacht. Unter einem Baume legte sich Ecke zum Schlafen nieder, und Dietrich fetzte sich neben ihn und bewachte ihn treu. Als Mitternacht vorüber war, weckte er den Schlafenden und rief: „Stehe nun auf, Held, und laß mich auch eine Weile schlafen, und wie ich dich in Treue behütet habe, so thue du nun auch mit mir." So schlief auch Dietrich; und obgleich dem Riesen die Nacht gar lang vorkam, und er die Zeit kaum abwarten konnte, bis der Morgenstern aufging, bewachte er ihn doch getreulich: denn wie man noch nie hatte von Dietrich sagen können, daß er einmal die Treue gebrochen habe, so wollte auch Ecke nimmer hinter ihm zurückstehen. Noch ehe die Sonne aufging, begann der Kampf von neuem. Der Klang der Schwerter scheuchte die Vvglein ans den Zweigen auf, und verwundert schauten sie auf die kämpfenden Helden. Diese aber brachten sich eine Wunde nach der anderen bei, denn bei allem Grimm gegeneinander, wollten sie sich doch gegenseitig schonen, und jeder suchte den anderen lebend in seine Gewalt zu bekommen, Dietrich, um Ecke zu seinem Gesellen zu machen, und Ecke, um Dietrich zu der Königin Seeburg au den Rhein zu bringen. Endlich erfaßte Ecke sein Schwert mit beiden Händen und zerspaltete Dietrich's Schild von oben bis unten. Triumphirend fragte er ihn jetzt, ob es ihm nun gefalle, mit an den Rhein zu kommen. Dietrich antwortete ihm durch einen gewaltigen Schlag auf den Helm. Da sank Ecke fast betäubt in das Gras. Dietrich stürzte sich jetzt auf den Gefallenen, und aus dem Schwertkampfe ward ein gewaltiges Ringen. Dietrich mahnte seinen Gegner noch einmal zur Versöhnung und bat ihn, sich
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zu ergeben, aber Ecke wollte nichts davon hören. Er packte vielmehr Dietrich um den Leib und preßte ihn so fest an sich, daß ihm beinahe Hören und Sehen verging. Dazu griff er mit seinen Fingern in die klaffenden Wunden desselben und riß sie weit auseinander, so, daß Dietrich im Schmerze hätte laut aufschreien mögen. Endlich gelang es dem Berner, als sie im Ringen in die Nähe eines Baumes gekommen waren, den Ecke mit aller Kraft, die er besaß, an den Stamm desselben zu pressen. Da vergingen dem Riesen die Sinne, und seine Hände fielen schlaff zu beiden Seiten nieder. Zum letzten Male bot ihm Dietrich Frieden, aber auch diesmal war es vergebens. „Lieber tot, als von den Frauen verspottet," rief Ecke aus; und das waren seine letzten Worte. Dietrich ergriff fein Schwert und stieß es dem tapferen Recken, dem er so gern das Leben gelassen hätte, der es aber lieber verlieren als sich ergeben wollte, in den Leib. Da blieb Ecke für immer stumm.
Als Ecke tot war, that es Dietrich fast so leid, als ob er einen lieben Freund erschlagen hätte. Er begrub ben Leichnam auf dem Kampfplätze, dann nahm er Ecke's Waffen und Rüstung zu sich und begab sich nach Köln zur Königin Seeburg, Die saß mit ihren Freundinnen festlich geschmückt in ihrem Saale und wartete ans die Rückkehr des Helden Ecke. Als sie aber Dietrich in Ecke's Rüstung erkannte, da ward ihr angst, und sie wollte mit ihren Frauen eiligst entfliehen. Dietrich aber rief drohend aus: „O, ihr unge-
treuen Weiber! Wer hat euch den Rat gegeben, daß ihr Ecke aussandtet, mich hierher zu holen? Ich bin gekommen um euch zu sagen, baß Ecke um euretwillen erschlagen im Walde liegt. Wäret ihr Männer, so solltet ihr alle mit mir kämpfen, und Ecke's Tod, den ich selbst am meisten bedauere, wollte ich an euch rächen."
Darauf kehrte Dietrich nach Bern zurück und ward daselbst mit großer Freude unb hohen. Ehren empfangen.
5. Dietrich stiehl nach Angarland.
Nicht immer ging cs König Dietrich so gut wie auf seiner ersten Fahrt. Stach betn er viele Jahre in Bern regiert unb noch manches Abenteuer mit Riesen imb Drachen Bestauben, auch manchen Ritter besiegt hatte, kam einmal ein großes Unglück über ihn imb sein Lanb. Der Urheber bieses Leibes war sein eigener- Oheim, ber Gotenkönig E r m a n a r i ch. Ein böser Ratgeber — Sibich war sein Name — hatte btefen mächtigen Fürsten gegen alle
seine Verwandten aufgebracht. Auch seinem Vetter Dietrich von Bern künbigte er beit Frieben auf, um bas Lanb
bcsselbeu zu erobern unb mit seinem Reiche zu vereinigen.
Mit einem Heere von achtzigtausenb Mann fiel er in bas
Bernerlanb ein unb richtete mit Brennen unb Rauben großen Schaben barin an. Bis nach Mailanb war Erinanarich schon vorgedrungen, als Dietrich seine Schar rüstete unb ihm entgegenzog. Die erste Schlacht war für Dietrich äußerst günstig. Seine Helben überfielen bie Feinde unb brachten ihnen eine große Nieberlage bei, ja ber eigene Sohn bes Erinanarich, ber junge Friebrich, würbe mit achtzehn* hnnbert Rittern gefangen. Die Berner kehrten nun fröhlich in bie Stabt zurück, aber von ba an begann bas Unglück für Dietrich. Die gefüllte Schatzkammer, bie Dietmar seinem Sohne hinterlassen hatte, war bnrch bie vielen Kriegszüge Dietrich's ganz leer geworben; unb dieser hatte nicht einmal so viel, um seine Helben mit schönen Kleibern unb eblen Steinen zu belohnen. Darüber war er traurig unb klagte sehr. „Machet euch keine Sorge, ebler Herr, um Gold unb Silber," sprach ber Held Bertram von Pola, ber mit beut Kriegszuge gewesen war, „ich habe in Pola genug bauen, gebt mir nur einige tapfere Helben, Knechte unb Lasttiere mit, bann will ich euch so viel geben, als ihr braucht." Das sreute Dietrich
sehr, und sieben seiner besten Helden, darunter auch Hildebrand, zogen mit Bertram nach Pola. Aber der Oheim
hatte von dem Zuge gehört, uni) auf dem Rückwege lauerte er den acht Helden in einem Hinterhalte auf und nahm sie mitsamt den Schützen gefangen. Nur einer entkam und
brachte die Trauerbotschaft nach Bern. Da war eitel Klagen und Jammern um die * gefangenen Helden im Bernerland. Dietrich rief untröstlich aus: „Wehe mir, daß ich die Helden allein ziehen ließ, nun sind sie in bitterer Not und mein
Oheim wird sie nicht loslassen. Doch sei einer von euch
mein Bote an Ermanarich, ich will ihm seinen Sohn und die achtzehnhundert gefangenen Ritter ausliefern, wenn er mir dafür meine getreuen Helden znrückgiebt." Die Botschaft war umsonst. Der Oheim erwiderte: „Wenn Dietrich seine Helden wieder haben will, so muß er nicht nur alle meine Helden freilassen, sondern mir auch alle seine Länder abtreten, Garda und Mailand, Bern und Ravenna müssen mir Unterthan werden. Wenn Dietrich dies aber nicht will, so werde ich. die Helden hängen lassen." Das war eine harte Botschaft für Dietrich und fein Land, und die Wahl war nicht leicht. Entweder mußte er feine Getreuen eines jämmerlichen und schmachvollen Todes sterben lassen, oder sein ganzes Reich verlieren und dazu noch an einen Mann, der als höchst grausam bekannt war. Vergebens redeten die zurückgebliebenen Helden ihm zu, das letztere doch nicht zu thun. Er antwortete ihnen: „Und wären alle Länder der Erde mein, so wollte ich sie doch alle hingeben, ehe ich meine getreuen Helden in ihrer Not verließe." Nun schickte er wieder eine Botschaft und ließ dem Oheim sagen, er fei bereit, ihm seine Länder zu geben, wenn er feine Helden freiließe, zugleich schickte er auch den jungen Friedrich und die Gefangenen mit. Niemand freute sich mehr als der Gotenkönig Ermamirich. Er zog sogleich mit feinem großen
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Heere vor die Stadt Bern und schlug daselbst ein großes Zeltlager aus. Als Dietrich nun seine Getreuen wiedersah, da weinte er vor Freude und auch vor Schmerz. Da sprach der Held Sigeband zu ihm: „Ihr sehet wohl, edler König, daß es nun nicht mehr zu ändern ist, und ihr euch geduldig fügen müßt. Darum rate ich euch, wählet unter uns diejenigen aus, die euch die liebsten sind, unb die ihr immer um euch haben möchtet, unb dann ziehet mit ihnen in ein fremdes Land, bis das Glück euch gestattet in euer eigenes Land zurückzukehren." Dietrich aber antwortete traurig: „Wie könnte ich wohl einem unter euch zumuten, mit mir zu gehen, da ich jetzt so arm bin, daß ich nicht einmal für mich selbst genug habe?" Da riesen aber alle Helden: „Mit bir wollen wir leben unb sterben, unb nichts soll uns von beiner Seite treiben. Was auch geschehe, wir wollen dir bis in den Tod getreu verbleiben."
Am anderen Tage sagte nun Dietrich seiner lieben Stadt Bern mit Thränen in den Augen Lebewohl und befahl, daß man sie seinem Oheim übergebe. Zn Fuß mußte er und seine Helden hinausziehen ; denn nicht einmal bie ritterliche Ehre, zu Roß bie Stabt zu verlassen, hatte man ihnen gewährt. Das war ein herzzereißenber Jammer, unb kein Auge in Bern blieb thränenleer, unb alle seine Unterthanen baten zu Gott, baß einst ber Tag kommen möge, die Schmach an dem grausamen Oheim zu rächen und den geliebten Herrn wieder in sein Reich einziehen zu sehen.
Als Dietrich und seine Helden dreiundzwanzig Tage gewandert waren, kamen sie in die Stadt Gran, die dem mächtigen Hunnenkönig Etzel gehörte. Die Gemahlin Etzel's, die Königin Helche, war gerade mit vielen tapferen Hunnenhelden in dieser Stadt. Unter diesen Helden war auch der MarkgrafRüdiger von Bechlarn, der ein alter Freund Dietrich's war. Der Markgraf war höchst erstaunt, den
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König von Bern hier zu finden, als er aber von diesem das Elend, das ihm von seinem Oheim widerfahren toarr erfuhr, da ergrimmte er über solche Niedertracht und rief ans: „Laßt uns einen Bund machen, was dem einen von uns zu leid gethan wird, das soll auch dem anderen gethan seht." Solchen Bund schloß Dietrich mit Freuden, und nun ließ Rüdiger Rosse und prächtige Kleider bringen für die Helden und gab Dietrich dreihundert Mark Goldes, damit er seine und seiner Mannen Bedürfnisse davon bestreiten könnte. Als er dann am Abend zu der Königin Helche kam, erzählte er ihr das Unglück seines Freundes. Da weinte die Königin^ als ob das Unglück ihren eigenen Sohn betroffen habe, und versprach dem König Etzel alles zu sagen, damit er Dietrich zu sich einlade und ihm beistehe in der Not. Sie selbst lud den Helden an ihren Tisch und bewirtete ihn königlich, wie es ihm zukam. Als er sich von ihr verabschiedete, sprach sie: „Verzage nicht in deinem Leide, denn der König Etzel müßte bald sterben, wenn nicht in kurzer Zeit all dein Elend an Ermanarich gerächt sein sollte."
Nicht lange danach kam ein Bote, der lud Dietrich zu König Etzel. Dieser nahm ihn freundlich auf und hielt ihn wie einen König an seinem Hofe. Darüber freuten sich alle seine Mannen, am meisten aber der alte Hildebrand; ihm lachte das Herz im Leibe, als er seinen Herrn zum ersten Male wieder fröhlich und wohlgemut an einer königlichen Tafel sah. Etzel hatte versprochen, ein Heer auszurüsten, um Bern und die anderen Städte wieder zu erobern, aber das wurde fast gar nicht nötig. Eines Tages erschien der Held Amelolt und meldete, daß er und bie Helden, die Dietrich nicht hatten begleiten können, bie tieibett Stäbte Garda und Bern wieder erobert hätten, und daß er jetzt gekommen sei, seinen Herrn wieder nach Bern zu holen. Nun säumte man nicht lange mit dem Zuge. Dietrich rüstete
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feilte Helden aus, und König Etzel gab ihm eine große Zahl hunnischer Recken dazu, und so zog Dietrich an der Spitze eines stattlichen Heeres wieder in sein Land Italien. Da war vor allen Dingen die Stadt Mailand; die wurde von Ermanarich stark bedroht, und ihr wollte Dietrich zuerst Hülfe bringen. In den schnellsten Tagemärschen legten sie den Weg zurück; am zwölften Tage waren sie schon in Bern. Die Kunde von der Rückkehr des lieben Königs war bald im ganzen Lande bekannt, und überall war Freude und Jubel, nur nicht bei Ermanarich und seinen Mannen, denn über sie kam jetzt das Strafgericht für die Schmach, die sie einst Dietrich und seinen Helden angethan hatten. In der Nähe von Mailand griff Dietrich feinen Oheim an, und feine Helden kämpften einen Kampf, von dem man noch in späten Jahren Kindern und Kindeskindern erzählte. Er-manarich's Helden flohen zuletzt in wilder Hast davon, ein großer Theil aber geriet in Gefangenschaft. Ebenso ward auch Ravenna erobert, und später auch Bologna, wohin Ermanarich mit seinem Heere geflohen war. Als das ganze Land wieder in seiner Gewalt war, war er darauf bedacht, dasselbe zu ordnen, denn unter des Oheims Regierung war. gar viel Unheil geschehen, und das suchte Dietrich alles wieder gut zu machen. Dann schickte er dem Etzel seine Helden reich beschenkt zurück und begleitete dieselben selbst nach dem Hunnenlande, um den König und der Königin Dank zu sagen für die Treue, die sie ihm bewiesen hatten. Als er zurückgekehrt war, regierte er noch viele Jahre über • das Bernerland.
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Die Rolandssage.
1. Jung Roi'and's Kampf mit beut Riesen.
Kaiser Karl der Große saß einst mit den vornehmsten Helden seines Reiches zu Aachen beim festlichen Mahle. Aus der Tafel standen duftende Wildbraten und köstlich zubereitete Fische, und in den Bechern funkelte der herrlichste Wein. Die Helden waren fröhlich und guter Dinge, nur Kaiser Karl schien in ihre Fröhlichkeit nicht ganz einzustimmen.
„Wohl sehe ich hier auf dem Tische manch prächtiges, goldenes und silbernes Gefäß," sprach er zu seinen Gästen, „und an euren Kleidern und Waffen glänzt mancher schöne Edelstein, aber das beste Kleinod fehlt uns doch noch. Dies Kleinod ist ein sonnenheller Edelstein, größer und schöner als alle, die es giebt. Ein Riese, der tief in dem Ardenner-
walde wohnt, trägt es in seinem Schilde. So lange uns
dieses Kleinod fehlt, ist all unser Reichtum nur eitel Tand
und Schimmer." Als das die tapferen Helden hörten,
da war es mit dem Mahle zu Eude. Sie sprangen auf und riefen ihre Knappen, die mußten die Harnische bringen und die Waffen rüsten. Dann ließen sie die Rosse satteln, um in den Ardennerwald zu reiten und das Kleinod des Riesen von ihm zu erkämpfen. Einer dieser Helden hieß Miloit von Anglante. Er hatte einen Sohn, der ward Roland genannt, da er aber noch sehr jung, und noch nicht zum Ritter geschlagen war, so hieß man ihn allgemein Jung Roland. Als Jung Roland von dem Ritt in den Ardennerwald hörte, da wäre er für sein Leben gern mit dabei gewesen. Er sprach daher zu seinem Vater:
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„Hört, lieber Vater, wenn ihr auch glaubt, daß ich noch zu jung und schwach bin, um selbst mit Riesen zu sümpfen, so könnte ich euch doch gewiß den Speer und den Schild nachtragen. Dazu bin ick doch wohl groß genug." Held Milou war es zufrieden, und niemand war froher als Jung Roland. Am anderen Morgen zogen die Helden aus. Es waren ihrer sechs: Der Graf Richard, der Erzbischof von Turpin, Herr Haimon, Naims von Bayern, der Graf Garin und Milon von Au gl ante. Bis an den Wald ritten sie zusammen, dann trennten sie sich, und jeder nahm seinen eigenen Weg, um den Riesen aufzusuchen. Als nun Jung Roland hinter seinem Vater herritt und dessen Schild und Speer trug, da war er gar froh und wohlgemut und schaute eifrig nach dem Riesen aus. Drei Tage lang suchten die Ritter den Riesen in allen Felsspalten und Dickichten des Waldes, aber sie fanden ihn nicht. Am vierten Tage um die Mittagszeit kamen Milon von Ang-lante und sein Schildträger Jung Roland an eine schattige Stelle des Waldes. Der Vater war müde und legte sich in den Schatten einer Eiche, um ein wenig auszuruhen, Jung Roland aber stand neben ihm und hielt Wache. Da sah der Knabe auf einmal in der Ferne ein Blitzen und Leuchten durch den Wald, als ob die Sonne selbst durch denselben wandle. Bald aber gewahrte er, daß es nicht die Sonne war, sondern daß der Schein von einem Schilde herrühre, den ein gewaltiger Riese, der vom Berg herabstieg, am Arme trug. „Ha", dachte Roland, „das ist der Riese, den wir suchen. Der kommt auch gerade zur unrechten Zeit, der Vater ist ja im besten Schlafe. Soll ich ihn wecken, damit er mit ihm kämpfe? Doch nein", fuhr er fort, „wozu bin ich denn hier? Ich habe ja sein gutes Pferd, seinen Schild uud auch seinen Speer." Darauf nahm er auch noch dev Vaters Schwert, band es an feine Seite und bestieg so wohl
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gerüstet das Streitroß, und nun ritt er ganz leise davon, um den Vater nicht zu wecken. Bald traf er an einer Felsenwand den Riesen. D^r war ganz verwundert und rief höhnisch und lachend aus: „Was will denn dieser kleine Wicht auf dem gewaltigen Schlachtrosse? Das Schwert ist wahrhaftig beinahe zweimal so lang, als er selbst, und Speer und Schild sind so groß und schwer, daß sie ihn fast vom Pferde ziehen!" Als Jung Roland diefe Worte hörte, erwiderte er: „Komm nur zum Kampfe heran! dein Spott wird dich noch gereuen. Je größer mein Schild ist, desto besser kann er mich decken, und das lange Schwert paßt gerade zu meinem kurzen Arm, und wenn ein kleiner Mann auf einem großen Pferde sitzt, so gleicht sich das auch aus, denn was dem einen fehlt, das hat das andere desto mehr. Komm also nur heran, ich will es mit dir versuchen." Da langte der Riese mit seinem Speer zu einem tüchtigen Schlage aus, und es wäre wohl um Jung Roland mitsamt seinem Rosse geschehen gewesen, wenn er dasselbe nicht schnell zur Seite gerissen hätte, so daß der Schlag des Riesen fehl ging. Ehe dieser Zeit hatte von neuem auszuholen, schwang Jung Roland seine Lanze gegen den Schild des Riesen. Aber das nützte ihm nichts, denn das Kleinod des Riesen, das er im Schilde trug, war so wunderkräftig, daß jede Waffe an ihm abprallte. So flog auch Jung Roland's Speer ohne Wirkung zurück. Da faßte er aber sein mächtiges Schwert mit beiden Händen, und ehe der ungelenkige Riese das seinige ergreifen und sich wehren konnte, führte der junge Held einen wuchtigen Hieb nach ihm. Der Schlag war glücklich. Die linke Hand, die den Schild hielt, lag abgehauen am Boden und mit ihr auch der wunderkräftige Schild. Der Riefe, dem mit dem Verluste des Schildes, auch die Kraft dahinschwand, wollte sich eiligst darnach bücken und ihn mit der rechten Hand wieder aufheben, da stieß ihn Roland so heftig in das Knie, daß er
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dröhnend zu Boden stürzte. Schnell griff er darauf nach seinem Schwerte und hieb ihm den Kopf vom Rumpfe. Da floß so viel Blut aus dem Halse, daß es wie ein großer Strom in das Thal hinunter lief. Jung Roland nahm nun den Schild des Toten und brach das glänzende Kleinod heraus. Nachdem er sich an dem strahlenden Glanze desselben erfreut hatte, verbarg er es sorgfältig unter seinem Kleide. An einer nahen Quelle wusch er sich und seine Waffen jetzt vom Blute rein und ritt zum Vater zurück. Der schlief noch ruhig im Schatten der Eiche und hatte nichts von dem Kampfe gemerkt. Roland legte sich nun neben den Vater und schlief ebenfalls ein. — Bald aber weckte Held Milon seinen Schildträger und rief: „Schnell, mein Sohn Roland, stehe auf und nimm Schild und Lanze zur Hand, damit wir den Riesen suchen!" Da ward dem jnngeu Helden ganz angst über das, was er gethan, und er wagte nicht, es seinem Vater zu erzählen. Sie ritten nun tiefer in den Wald hinein und kamen bald an die Stelle, wo Jung Roland so tapfer gekämpft hatte. Da sah es aber sonderbar ans. Von dem Riesen war nichts mehr zu sehen als der Rumpf und die blutigen Glieder. Die Hand, der Kopf, der Harnisch und alle Waffen waren verschwunden. Als Milon den Rumpf sah, sprach er: „Das ist der Riese! Ha, meine
Gefährten haben ihn erschlagen, und ich habe Ehre und Ruhm verschlafen! Das ist bös und wird mir immer leid thun!" Darauf wandte er betrübt sein Roß herum, und sie ritten heim zu Kaiser Karl nach Aachen.
Voller Sehnsucht erwartete der Kaiser seine Helden zu* rück. Sie blieben sehr lange aus, und er fürchtete schon, daß sie von dem Riefen erschlagen worden seien. Endlich aber kamen sie zurück. Herr Haimon war der erste, er trug den Kops des Riesen ans feinem Speere, doch sah er dabei ganz betrübt und niedergeschlagen aus. Er legte dem Kaiser das
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blutige Haupt vor die Füße und sprach: „Ich fand diesen Kopf im Walde, aber abgehauen war er schon, und fünfzig Schritt davon lag auch der Rumpf." Da kam auch der Erzbischof Turpin. Er brachte den Handschuh des Riesen, und die abgehauene Hand saß noch darin. Er zog sie heraus und rief lachend: „Das ist ein prächtiges Andenken, ich
bringe es aus dem Walde, aber das Abhauen hatte schon ein anderer besorgt." Nun kam der Bayernherzog Naims, er trug die Stange oder den Speer des Riesen und rief: „Schaut, was ich im Ardennerwalde gefunden habe; eine prächtige Waffe, aber schwer ist sie, das kann ich versichern! He, bringt nur schnell einen Schluck vom besten bayrischen Bier, das soll mir köstlich munden nach solcher Anstrengung!" Jetzt kam auch der tapfere Graf Richard daher. Er ging zu Fuß, denn sein Pferd trug den Harnisch und das Schwert des Riesen. „Wer Lust hat im Walde zu suchen", sagte er, „der kann noch. genug finden, es liegt noch manches gute Waffenstück unter den Tannen, aber es war mir zu viel; mein Roß hatte schon genug an diesen beiden Stücken zu tragen!" Nach ihm kam Graf Garin. Er schwang schon aus der Ferne den Schild des Riesen zum Willkommsgruß. Da rief Kaiser Karl hoch erfreut aus: „Das ist der rechte Held, der hat den Schild mit dem Wunderkleinod!" „Ja," antwortete dieser kleinlaut, „den Schild habe ich wohl, aber -as Kleinod, das ich auch gerne hätte, ist nicht darin. Es war schon herausgebrochen, als ich den Schild im Walde fand." Ganz zuletzt ritt Milon von Anglante heran. Er senkte traurig das Haupt und ließ fein Pferd langsam gehen, denn er glaubte nicht anders, als daß die anderen Helden, während er geschlafen, mit dem Riesen gekämpft hätten. Jung Roland ritt mit Speer und Schild des Vaters hinterdrein; das Wunderkleinod des Riefen aber trug er verborgen unter den Kleidern. Als sie nun in das Burgthor einkitten, da
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nahm er aus dem Schilde des Vaters den Zierat in der Mitte, das Kleinod, heraus, und setzte dafür das Kleinod des^Riesen hinein. O, wie das funkelte und strahlte! Es' war fast, als ob eine Sonne mit ihrer hellen Glut in Milon's-Schilde brenne. Als das Kaiser Karl sah, rief er freudig aus: „Seht, da kommt Milon von Anglante! Der hat den Riesen besiegt, der hat ihm das Haupt und die Hand abgeschlagen und ihm das Kleinod entrissen! Er ist der rechte Held!" Als Milon das hörte, wußte er nicht, was das zu bedeuten habe, und sah sich nach seinem Schildträger um. Da strahlte ihm der helle Glanz des Kleinods ans seinem Schilde entgegen. Nun wußte er erst recht nicht, was er dazu sagen sollte. „He, Roland, du junger Fant", rief er ganz erstaunt und mit barscher Stimme aus, „gleich sage mir, wer dir dies Kleinod gegeben hat!" Da ward dem armen Knaben ganz ängstlich vor dem Zorne des Vaters, und bittend rief er aus: „Um Gottes willen, lieber Vater, zürnt mir nur nicht, daß ich den groben Gesellen erschlug, als ihr eben schliefet."
Vater Milon war nun aber gar nicht böse über die Waffenthat seines Sohnes, und auch die anderen Helden und ganz besonders Kaiser Karl freuten sich über des Knaben Tapferkeit. Jung Roland aber ward bald daraus zum Ritter geschlagen und war von da an ein tapferer Held am Hofe Karl's des Großen.
2. Der Zug gegen die Heiden.
Nicht lange darnach, als Roland zum Ritter geschlagen worden war, kam ein großes Unglück über den Kaiser Karl und sein Reich, das Frankenland. Zu Ansang des 8. Jahrhunderts hatten nämlich die Araber das schöne Spanien erobert und waren bald darauf auch über das Gebirge, die
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hohen Pyrenäen, nach Frankreich gekommen. Der Großvater Kaiser Karl's hatte sie zwar gewaltig aufs Haupt geschlagen und nach Spanien zurückgeworfen, aber die Araber konnten doch seitdem das schöne Land auf der anderen Seite des Gebirges nicht vergessen. In großen Scharen drangen sie immer wieder herüber und verwüsteten das Land. Die Araber gehörten der mnhamedanischen Religion an, aber die Franken nannten sie ebenso wie die früheren Einwohner Heiden. Diese Heiden fügten den Christen viel Schaden zu, sie raubten und plünderten, verbrannten und zerstörten die Gotteshäuser und führten viele Gläubige als Gefangene weit weg in die Sklaverei. Als Kaiser Karl, dem alle Christen Unterthan waren, einmal wieder von ihren Raubzügen hörte, da berief er seine Helden zu einem Kriegsrat zusammen. Unter diesen Helden waren besonders zwölf, die waren stets um den Kaiser unb' beschützten ihn vor jeder Gefahr. Sie hießen darum seine Paladine. Zu diesen Helden gehörte auch Roland und sein Freund O l i v i e r. Ferner gehörten zu ihnen der Bischof Tnrpin, Anshelm, Eckhart und Herr Gottfried, der im Kriege die Fahne des Kaisers trug. Am Hofe des Kaisers waren manche Ritter, die neidisch auf den Ruhm und die Ehre dieser Paladine waren. Zu diesen Rittern gehörte auch der Stiefvater Rolaud's, der Herzog Genelun. Er war der Schwager > -es Kaisers und gleichfalls am Hofe sehr angesehen und gehörte darum auch zu dem Kriegsrat, den der Kaiser berief. Nun wurde in diesem Rate ein Zug gegen die Heiden beschlossen, um sie für ihre Raubzüge zu züchtigen, und im nächsten Frühjahr zogen der Kaiser und seine Helden mit einem großen Heere an den Fluß, der die Grenze zwischen Äem Lande der Heiden und dem Christenlande bildete. Da lag eine feste Stadt, die hieß damals T o r t o l o s e, jetzt ober wird sie Toulouse genannt. Diese Stadt kam sehr
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bald in die Gewalt des Kaisers. Der Held Roland hatte nämlich ein Horn, das hieß Olifant. Als sie vor der Stadt lagen, blies Roland in dies Horn. Das gab einen so gewaltigen Ton, daß die Berge erzitterten und die Häuser beinahe umfielen. Da erschrak die ganze Heidenschaar und wurde nun ebenso verzagt, wie sie früher übermütig, gewesen war. Die Christen gewannen die Schlacht und stürmten die Stadt. Da wurden viele Heiden getötet und gefangen. Eine große Schar derselben sah auch ein, daß, ihre Götter ihnen nicht helfen konnten. Sie baten Kaiser Karl um Schutz und Gnade und versprachen, ihren heidnischen Glauben auszugeben. Da taufte Erzbischof Turpin eine große Zahl derselben in dein Flusse.
Nach der Eroberung von Tortolose wollte Kaiser Karl gegen die feste Stadt Saragossa ziehen. In dieser Stadt herrschte ein König, der hieß Marsilie. Obgleich Marsilie über ein großes Reich regierte, auch die Stadt Saragossa wohl befestigt war, und ein großes Heidenheer darin lag,, so ward dem König doch angst, denn er wußte, wie verzagt sein Volk war, und wie sehr seine Heiden die Tapferkeit des' Kaisers und seiner Helden fürchteten. Er sandte nun einen weisen Mann, der sein bester Ratgeber war, an Karl den Großen, um von diesem Frieden zu erlangen. Der Gesandte hieß B l a n s e a n d i z und war ein alter Mann mit grauem Haar und einem Weißen Barte. Er war aber auch sehr listig und hatte dem König Marsilie den Rat nur gegeben, damit die Heiden Kaiser Karl, oder wenigstens doch seine Helden, in ihre Gewalt bekämen.
Als er mit zwölf Boten und vielen herrlichen Geschenken vor dem Kaiser erschien, war dieser nicht wenig erstaunt. Blanscandiz aber, der den Kaiser Karl sogleich unter allen seinen Helden an seiner herrlichen, schönen Gestalt erkannte, redete ihn also an: „Edler Kaiser, der König Marsilie in.
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Saragossa entbietet dir seinen williglichen Dienst und mit ihni alle Fürsten des Landes. Sie bitten dich, daß du sie durch die Taufe in die Christenheit aufnehmen lassest; dafür wollen sie dir immer Unterthan sein und Zins zahlen, so viel du verlangst. Sie bitten dich aber, unser Land nicht länger zu bekriegen, sondern nach deiner Heimat zurückzukehren, und wenn du auf Michaelistag eine Versammlung in deiner Stadt Aachen hältst, so will Marsilie und tausend Fürsten dahin kommen und sich taufen lassen." Das war dem Kaiser lieb zu hören, und er antwortete: „Daran hat König Marsilie wohlgethan. Begebt euch nun bis morgen in die Herberge, ich will mit meinen Helden die Antwort beraten." Als nun alle Paladine, Herzöge und Bischöfe vor dem Kaiser versammelt waren und ihren Rat geben sollten, da erhob sich zuerst Roland: „Es ist nur eine List von König Marsilie,"
sprach er, „er will uns nur ins Verderben locken, denn mit dem Frieden ist es ihm gewiß kein Ernst." So sprach auch Olivier, der Freund Roland's, und alle Paladine traten ihrer Meinung bei. Aber des Kaisers Schwager, Herzog Genelun, trat ihnen entgegen. Er schalt Roland, daß er im Rate vor den Alten gesprochen hatte, und fuhr bann fort: „Roland und seine Gesellen, bie Pcilabine, desonbers auch Olivier, sinb voll unbänbiger Kriegslust. Sie können nicht Menschen-blut genug vergießen unb würben am liebsten ganz Spanien von einem Ende zum anbern verheeren." Das kränkte beit Rolanb sehr, aber er verblieb bei seiner Meinung unb mit ihm die Paladine. „Marsilie ist treulos", sprachen sie, „unb man darf sich auf fein Wort nicht verlassen." Als Kaiser Kflrl hörte, daß bie Helven nicht recht einig waren, (denn auch Genelun hatte einige auf seiner Seite) da schickte er sie fort, damit sie unter sich berieten unb bann am anderen Tage ihm ihren Beschluß mitteilten. Jetzt einigten bie Helden sich, benn ein alter weiser Bischof, Johannes, gab ben
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Rat, einen erfahrenen Helden als Gesandten an den Hof des Königs Marsilie zu senden, damit dieser sich dort selbst er-kundige und alles erforsche, um dann sagen zu können, ob Marsilie es ehrlich meine. Dem Kaiser Karl gefiel dieser Rat wohl, und nun stritten sich die Helden um die Ehre, des Kaisers Bote zu sein und den Blanscandiz nach Saragossa zu begleiten. Alle boten sich ihrem Herrn an, Roland und Olivier waren die ersten; aber der Kaiser dankte ihnen, er wollte einen alten, bedächtigen Helden senden. Als nun der Erzbischof Turpin sich anbot, da lehnte der Kaiser auch sein Anerbieten dankend ab, denn er wollte den Erzbischof und seinen Rat nicht entbehren. Zuletzt wählte er auf Roland's Vorschlag den Herzog Genehm. Der Kaiser gab ihm einen Brief und sprach: „Bringe dieses Schreiben nach Saragossa und sage König Marsilie, wenn er sich zu unserem Gott bekehren will, so soll er das halbe Land Spanien zum Lehn haben, die andere Hälfte aber will ich deinem Stiefsohne Roland geben." Die Botschaft war dem Genehm gar nicht lieb, und noch mehr verdroß es ihn, daß Roland ein so großes Lehn bekommen sollte; aber er zog doch mit Blanscandiz nach Saragossa zu dem Heidenkönig.
3. Lenelun's Verrat und Nokarrd's Tod.
In Begleitung eines prächtigen Gefolges ritten nun die beiden Gesandten in das Land der Heiden. Auf dem Wege fragte Blanscandiz: „Sagt mir einmal, edler Herzog, wer ist jener Held Roland, der mit zornigen Worten dazwischen fuhr, als ich meinen Auftrag an den Kaiser ausrichtete ? Wie kommt es, daß dieser Held sich so viel erlauben darf und der Kaiser auf seinen Rat so viel Hört ?“ Das war dem Herzog Genetun eine günstige Gelegenheit, seinen Zorn gegen Roland aussprechen zu können. Er antwortete daher sogleich:
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„Von diesem Roland und seinem Freunde Olivier müssen wir gar viel leiben. Die anderen Paladine lassen sich alles von ihnen gefallen, unb so kommt es, baß alles geschieht, was sie wollen. Es geschähe ihnen schon ganz recht unb ich würde mich sehr freuen, wenn diese beiden hochmütigen Jünglinge einmal gedemütigt würden." Über diese Rede war Blanscandiz sehr froh und bat den Herzog, mit ihm abseits zu kommen, bamit bie Helben ihre Worte nicht hören könnten. Nun warb eine arge Untreue an Rolanb unb seinen Gesellen beraten unb Genelun versprach, sie allesamt in bie Hanb des Königs Marsilie zu liefern. Als sie in Saragossa ankamen, bestätigte ber König bas Bündnis seines Gesanbten und Genelun gab ihm sein gutes Schwert, das ihm einst Kaiser Karl geschenkt hatte: der König aber versprach dafür den Helden Roland aufzusuchen und ihn zu erschlagen. Nun ließ der Heidenkvnig alle seine Mannen aus dem ganzen Reiche zusammenrufen und befahl ihnen, sich eifrig zn einem Kriegszuge zu rüsten. Dem Kaiser aber sandte er die versprochenen Schätze unb bie Geiseln, bamit berfelbe in bas Frankenland zurückkehre. Als Genelun mit ben Geiseln unb ben Geschenken in bent Lager des Kaisers wieder ankam, waren alle sehr erfreut über den Ausgang seiner Sendung und Kaiser Karl versprach, alles zu halten, was sein Schwager in seinem Namen den Heiden versprochen hatte. Der Helb Rolanb bekam jetzt den nördlicben Teil Spaniens zum Lehn und blieb mit den Paladinen und zwanzigtausend Helden zurück, um das Heidenland zn verteidigen. Der Kaiser war doch ein wenig besorgt, als er von seinem Neffen Roland Abschied nahm, aber dieser sprach frohen Mutes: „Seid ohne Sorgen, mein Herr Kaiser, und ziehet fröhlich eure Straße; die Fahne, die ihr mir anvertraut habt, will ich wohl zu Ehren bringen." Darauf küßte der Kaiser Rolanb unb zog nach Franken; dieser aber blieb mit seinen Helden in dem Thale Ronceval zurück.
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Kaum war der Kaiser mit seinem Heere über das Gebirge zurückmarschiert, da schickte der Verräter Genehm heimlich einen Boten an Marsilie und ließ ihm sagen, wie er jetzt Roland und die Paladine am besten überfallen könnte.
Nicht lauge nach dem Abzüge des Kaisers ritt Roland auf seinem schönen Streitroß ißalentich durch die Berge. Da sah er in der Ferne dicke Staubwolken, wie wenn ein großes Heer heranzöge. So war es auch. Marsilie kam, um Roland und seine Helden zu überfallen. Nun rüsteten sich die Paladine und ihre Helden. Roland legte seinen prächtigen Panzer an, der glanzte rote Feuer, und auf der Brust war ein Drache gemalt; auch war er so hart, daß kein Schwert und seine Lanze ihn verletzen konnte. Darauf gürtete er sein Schwert Du reit Hart um. Wo dieses Schwert hinkam, da verbreitete es Angst und Schrecken, denn kein Stahl und kein Stein war hart genug, ihm stand zu halten. Es stammte noch aus alter Zeit, wo es allein noch möglich war, solche guten Schwerter zu schmieden. — Bald sah Roland die Feinde in großen Scharen heranziehen und sprach zu seinen Helden: „Ich hoffe, die Heiden sollen heute einen Fall erleben, daß ihnen der Kriegszug leid thut, den sie unternommen haben." Darauf ordnete Held Roland alles zum Kampfe. Dieser war schrecklich und das Blut floß in Strömen. Die Speere flogen so dicht durch die Luft, daß man glaubte es hagele, und auf den Helmen und Panzern erdröhnten die Schläge der Schwerter, wie die Schläge des Schmiedes auf dem Ambos. Am tapfersten von allen Helden kämpften Roland und sein Freund Olivier, ebenso auch der ehrwürdige Bischof Turpin. Wohin sie kamen, da hatte den Feinden das letzte Stündlein geschlagen. Olivier kämpfte mit Margries, einem Der heidnischen Führer. Im Gedränge ward Olivier leicht am Beine verwundet. Als Margries sich dessen rühmte, ward Olivier
zornig und wandte sich gegen ihn. Margries aber mochte den Kampf nicht abwarten, er floh eiligst davon. Da schleuderte Olivier ihm den Speer in den Rücken und rief ihm nach: „So, nun werden dir die Leute wenigstens
glauben, daß du mit mir gekämpft hast!" Nur ein kleiner Teil der Heiden kam nach Saragossa zu Marsilie zurück. Boll Zorn rüstete dieser nun ein zweites, noch größeres Heer aus und zog selbst mit in das Thal Ronceval. Die zweite Schlacht war noch blutiger als die erste. Die Zahl der Heiden war gar zu groß und das Häuflein der Christen schmolz immer mehr zusammen, und selbst von den zwölf Paladinen waren schon die meisten erschlagen worden. Da stieß Roland endlich in sein Horn Olifant, damit der Kaiser herbeikäme und ihnen Beistand leiste, oder doch ihre Leichen in geweihter Erde begraben ließe, wie der Erzbischof Turpin sagte. Als das Horn erklang, erbebten die Berge unb die Heiden erschraken so, daß sie sich vor bem Getöse bie Ohren zuhielten. Balb darauf begann der Kampf aufs neue. Roland und Marsilie fanden sich aus dem Schlachtfelde. Da rief Roland: „Jetzt will ich dir mit meinem Schwerte das Gold zurückerstatten, das du dem Verräter Genehm gegeben Hast." Mit diesen Worten schlug er ihm einen Arm ab, dann entfloh Marsilie. Aber alle Tapferkeit der Helden nützte nichts. Es kamen immer mehr Heiden dem Heere des Marsilie zu Hülfe. Die Könige von Äthiopien unb von Karthago erschienen auf dem Schlachtfelde und 6alb waren alle Helden verwundet oder getötet. Der Held Olivier erhielt einen Lanzenstich in den Leib, aber trotzdem kämpfte er noch mutig weiter, bis endlich Roland das Roß seines Freundes am Zügel nahm und ihn an einen sicheren Ort führte. „O, du liebster meiner Freunde", sprach er weinend, „soll ich nun von dir scheiden und dich nimmer lebend wiedersehen? Das ist das größte Leid, und ich kann es
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nicht genug beklagen!» Darauf legte er ihn auf den Boden, er selbst aber drang noch grimmiger auf die Heiden ein. Auch der Erzbischof Turpin siel bald darauf sckiwerverwundet an Roland's Seite. Da bat er ihn, noch einmal in sein Horn Olifant zu stoßen, damit der Kaiser, der gewiß schon in der Nähe sei, desto schneller herankäme. Dann waren oie Kräfte des edlen Erzbischofs zu Ende, und die Engel trugen seine Seele zum Himmel. Nun war noch Roland allein übrig, aber auch er war schwer verwundet, und ermattet sank er zu Boden. Wohl ertönten jetzt die Hörner des Kaisers immer näher von den Bergen herab, aber die Hülfe kam zu spät. Mühsam schleppte sich Roland in den Schatten eines Baumes, um dort zu sterben. Das sah ein verwundeter Heide und dachte: «Wenn Roland gestorben ist, will ich sein Horn und sein Schwert nehmen und dann erzählen, ich hätte ihn erschlagen." Als er nun leise heranschlich, merkte Roland, was er wollte. Er ergriff das Horn Olifant und schlug es mit solcher Gewalt dem Heiden an den Kopf, daß Horn und Kopf in Stücke zerschellten. Darauf nahm er auch sein Schwert Durenhart, um es an dem Felsen zu zerschmettern; aber das Schwert bekam nicht einmal eine Scharte davon. „Daran erkenne ich dich, du gutes Schwert«, sprach Roland, "dir kann nichts widerstehen und nichts schaden, und deinesgleichen ist niemals auf Erden geschmiedet worden!" Dann steckte er das Schwert in die Scheide und starb. —
Als der Kaiser mit seinen Helden in das Thal Ronceval hinabstieg und die Leichname der Erschlagenen fand, da gab es viel Klagen und Weinen; am meisten aber weinten alle um den Helden Roland. Nun nahm der Kaiser Rache an den Heiden, und auch der Verräter Genelun bekam seine Strafe. Bis an den Fluß Ebro ward Marfilie verfolgt, und alle Heiden, die nicht den Schwertern der Franken erlagen, die wurden in den hoch angeschwollenen Strom
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getrieben, und mußten jämmerlich ertrinken. Der Verräter Genelun aber ward wilden Rossen an den Schweif gebunden und so zu Tode geschleift.
Lange Jahre nachher wußte man im ganzen Frankenlande noch von Roland und seinen Helden zu erzählen. In einigen Gegenden errichtete man ihm zu Ehren hohe Säulen und nannte sie noch seinem Namen Rolandsäulen, ober führte Kampfspiele auf, die sich in Norddeutschland noch bis jetzt erhalten haben und Roland spiele heißen. Ein schönes Lied aber, das die Thaten des Helden und ber Palabine besingt, heißt bas Rolanbslieb.
Urteile der presse
über bie erste Auflage biefeS Buches.
Mitteilung der Kommission für Beurteilung von Jugendschriften im pädagogischen Verein zu Dresden:
Im 1. Teile werben bie Göttersagen, im 2. Teile bie Helbensagen behanbelt; von letzteren: Walter von Aquitanien, bie Nibelungen, Gubrun, Dietrich von Bern und bie Rolanbs-sage. Hervorgegangen ist bas Buch ans Präparationen für ben Geschichtsunterricht, unb ber Verfasser beabsichtigt bei Herausgabe besselbeu, einerseits betn Lehrer einen Seitfaben bei Auswahl bet betr. Unterrichtsstoffe zu bieten, anberen-teils aber auch ben Schülern, bie biefes Unterrichts noch entbehren, ein Lesebuch zu geben. Diesem hoppelten Zwecke entspricht bas Buch vollkommen. Die Sagen werben in übersichtlicher, kurzer unb babei boch fließenber Weife erzählt. Ein nicht gering anzuschlagenber Vorzug bes Buches liegt barin, baß bie Schilberungen ber oft grausamen Kampses-scenen auf bas geringste Maß beschränkt sinb. Gewünscht hätten wir eine ausführlichere Besprechung über Obin („als den grübelnden Äsen, ber sein Auge zur Erlangung von Weisheitslehren opfert," als ben Wanberer rc.); ebenso ist bie Behandlung ber Mittelwesen (Riesen, Elben) zu vermissen. Trotzdem verdient das Buch die weiteste Verbreitung und ist ber Jugend vom 12. Jahre ab in 1. Linie zu empfehlen.
Mitteilung über Ingendschriften der Schweizerischen Kommission:
Die „Lebensbilber" verfolge» einen hoppelten Zweck; sie wollen zunächst Lehrern, welche bie deutsche Götter- unb Heldensage zu behanbeln haben, bie Auswahl bes außer-orbentlich reichhaltigen Stoffes etwas erleichtern, bann wollen sie auch ein Lesebuch sein. Was ben ersten Zweck bes Büchleins betrifft, ob und wie er erreicht wurde, lassen wir bahin gestellt sein. Das Büchlein als Lesebuch für bie reifere Jugend dagegen verbient unsere Beachtung. Dasselbe behanbelt zunächst bie Göttersagen, bie ein Drittel des Buches einnehmen, unb bespricht: Weltschöpfung und Weltuntergang, Obitt, Freya, Thor, Loki, Balbur, Tyr, Nerthus, Holba unb die hetbnischen Jahresfeste. Von ben Helbensagen führt es
vor: Walter von Aquitanien, die Nibelungen, Gudrnn, Dietrich von Bern und die Rolandssage. Der Verfasser schloß alle diejenigen Dichtungen des Mittelalters aus, in denen sich britischer, französischer oder gar römisch-kirchlicher Einfluß geltend machte, und suchte vom Guten der Alten das Beste zu bieten, weshalb er aus den größeren Dichtungen bloß einzelne Züge mitteilte. Die Sprache ist einfach und frei von Weitschweifigkeit. Das Büchlein ist als Lehr- und Lesebuch zur Privatlektüre für Knaben und Mädchen und besonders für Schülerbibliotheken geeignet. H. H.
Zugendschrifien-Äomisiron des Frankfurter Lehrer-vereins :
Das Büchlein zerfällt in zwei Teile: Der erste umfaßt in 13 Bildern auf 44 Seiten die deutschen Göttersagen, der zweite in 23 Bildern auf 80 Seiten die Waltharius-, Nibelungen-, Gudrun-, Dietrich- und Rolandssage. Wiewohl sonach der gewaltige Stoff auf einen engen Rahmen zusammengedrängt ist, enthalten die „Lebensbilder" doch in einfacher Form unb leicht verständlicher Sprache das Wissenswerteste aus bcr beutscheu Götter- unb Helbensage, geeignet, bas Interesse für bieselbe zu wecken unb beutfche Gesinnung zu pflegen. Wir empfehlen baher das Büchlein als passende Lektüre für Schüler mittlerer unb höherer Lehranstalten; aber auch Lehrern, bie in biefer Disziplin unterrichten, dürfte es durch die gelungene Auswahl des Stoffes gute Dienste leisten.
Ehronik des Vol'ksschnl'wesens:
„In biographischer Form und in abgerundeter Darstellung giebt der Verfasser die Hauptsachen der deutschen Mythologie (Thor, Obin, Freya, Loki, Baldur, Götterdämmerung, Tyr, Nerthus, Holda, bie 4 alten Jahresfeste) unb stellt bann ans acht bmischen Dichtungen bie Helben-sagen zusammen, so baß bie Erzählungen zugleich eine Vorstufe für bie Geschichte ber alt- unb mittelbeutfchen Literatur bilden. Nicht bloß für bie höhere Schule bilbet dieses Buch ein treffliches Unterrichtsmittel, fonbern auch für bas Haus Belehrungs- unb Unterhaltungsstoff."
Pädagogisches iitmiturlSfatt:
„Dieses interessante Büchlein sei zum fleißigen Gebrauch in Schule unb Haus bestens empfohlen. Auswahl bes Stoffes unb Form ber Darstellung sind vortrefflich. Daß bie
deutsche Jugend an unfern höhein Lehranstalten um die griechische und römische Götter- und Heldenwelt viel besser Bescheid weiß, als um das, was die Sage aus der deutschen Vorzeit berichtet, ist gewiß richtig; ob auch gut? — Nun, vielleicht hilft die vorliegende Arbeit hie und da einem Mangel ab._ Im Interesse der Ausbildung des nationalen Sinnes unserer Jugend sollte es uns freuen."
Di lies' 3ttljml>mdjt:
Zunächst für Quinta höherer Lehranstalten in den Reichslanden bestimmt, wo der Lehrplan eine Einführung in die deutsche Götter- und Heldensage vorschreibt; aber auch zur Privatlektüre und namentlich für Schülerbibliotheken recht wohl geeignet. Die Göttersagen nehmen ein Drittel des Buches ein und behandeln: Weltschöpfung und Weltuntergang, Odin, Freya, Thor, Loki, Baldur, Tyr, Nerthus, Holda und die heidnischen Jahresfeste. In diesen Abschnitten hätten wir allerdings gewünscht, daß der Verfasser mehr zurückgetreten wäre und statt zahlreicher eingeflochtener Belehrungen und Erklärungen mehr die Sagen allein hätte sprechen lassen. Dann wäre auch Raum geschaffen worden für manches nicht Berücksichtigte, z. B. für die Sagen vom Zwerg Allwis, von der Entstehung der Stäube ic. Epischer sind die Darstellungen aus ber Helbensage gehalten. Sie bieten: Walter von Aquitanien, bie Nibelungen, Gnbrnn, Dietrich von Bern unb Rolanb.
jliternfurlSfaft für Katholische Erzieher:
In Form von Siograpliieett hat ber Hr. Vf. von beit Göttersagen ber Deutschen: „Wie Allvater bie Welt erschuf, Obin, Frigga, Thor, Thors Helbenthaten, Loki und feine Kinber, Baldur, wie Loki bestraft würbe, Götterdämmerung ober bas Weltenbe, Tyr, Nerthus, Holda und Bertha und die vier alten Jahresfeste", dann von den Heldensagen: „Walter von Aquitanien, die Nibelungen, Gudrnn, Dietrich von Bern und die Rolandssage" für Schule und Haus bearbeitet. Die ganze Darstellung ist eine sehr gelungene. Der Hr. Vf. erzählt in ganz kindlicher Sprache, lebhaft und frisch, und vermeidet sorgfältig alles, was die religiöse und sittliche Bildung der Jugend beeinträchtigen könnte. — Bei dem Interesse, das man in neuerer Zeit der deutschen Mythologie zuwendet, verdient das Bnch besondere
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