58 „Bern" geheißen und war dem Theodorich eine werthe Stadt, weil er dort seinen glänzendsten Sieg über Odoaker erfochten. Darum wird er auch in den alten Sagen König Dietrich von Bern genannt. Tapferkeit hatte das neue Reich gegründet; Weisheit mußte es ordnen, verschiedene Völker waren unter Theodorichs Scepter vereint. Vor allen standen die feingebildeten, unkriegerischen Römer den nur mit den Künsten des Krieges vertrauten Gothen schroff gegenüber. Verschiedene Sitte, ver¬ schiedenes Recht galt unter beiden. Auch der Glaube trennte sie. Denn die Römer gehörten der katholischen Kirche an, die Gothen aber waren Anhänger des Ar ius. Doch Theodorich wußte diesen Zwiespalt zu ver¬ söhnen. Beide Völker behielten ihre alten Gesetze und Einrichtungen und sollten ohne Neid und Eifersucht bei einander wohnen. Der arianische König störte nicht den Glauben und Gottesdienst der katholischen Römer, zugleich verstand er aber auch, sie nach ihren Neigungen zu beschäftigen. Die Römer zeichneten sich durch ihre Bildung und Geschicklichkeit in Ver¬ waltung der öffentlichen Aemter aus. Darum nahm der König aus ihnen die Beamten seines Reichs. Das schmeichelte ihrer leicht erregbaren Eitelkeit, und versöhnte sie mit der Fremdherrschaft. So bestanden denn die Titel und Würden der alten Kaiserstadt fort, wurden aber jetzt zur Freude des römischen Volks nach Verdienst und Würdigkeit verliehen und nicht nach Gunst, wie es gewöhnlich bei den Kaisern geschehen war. Zu seinem ersten Rathe erhob Theodorich den K a s s i o d o r u s. Dieser durch Frömmigkeit und Gelehrsamkeit ausgezeichnete Mann hatte lange Zeit hindurch die höchste Leitung aller Staatsangelegenheiten in seiner Hand, bis er als Greis sich in ein Kloster zurückzog und dort den Wissenschaften sich widmete. Außer den öffentlichen Aemtern ruhete auch der Betrieb des Handels wie die Pflege der Künste und Wissenschaften fast ausschließlich in den Händen der Römer. Theodorich belebte den Handel durch den Bau treff¬ licher Landstraßen und durch Strenge gegen alle Räubereien. Die Ord¬ nung und Sicherheit im ganzen Lande war so groß, daß, wer einen Geld¬ beutel verlor, ziemlich sicher war, ihn wieder zu bekommen. Vorzüglich liebte Theodorich die Baukunst, und er schmückte seine beiden Hauptstädte mit herrlichen Kirchen und Palästen, in deren edler Bauart man bereits die Anfänge der spätern altdeutschen oder gothischen Baukunst zu erkennen vermag. Zur Sicherstellung seines Reiches gegen innere und äußere Feinde be¬ durfte aber Theodorich eines stets schlagfertigen und wohlgerüsteten Kriegs¬ heeres. Dieses bildete er einzig und allein aus seinen Gothen, deren Treue und Tapferkeit sich in den vergangenen Jahren so glänzend bewährt hatte. Hunderttausend Streiter waren stets unter den Waffen. In vier¬ zehn Heerhaufen getheilt standen sie in allen festen Plätzen des Reichs und vorzüglich an den Pässen der Alpen als stete Wächter des Friedens. Zugleich deckte eine Flotte von tausend Kriegsschiffen die Küste und schirmte die Sicherheit des Handels im Mittelmeer.