98 Geistiges, sittliches geselliges Leben. freie und ungebundene Sitte, der französischen nachgebildet (die sog. 60U1-- toisie). Als eine Eigentümlichkeit derselben wird hervorgehoben, daß die Frauen großenteils geistig gebildeter waren, als die Männer. Die letzteren wurden von früh an mehr in den Waffen, als in den Wissen¬ schaften geübt; als „Pagen" (als welche die jungen Edelleute gewöhnlich, nachdem sie ihre Lehrzeit als Knappen bestanden, an irgend einen .Hof kamen) lernten sie wohl höfische Sitten, aber selten solideres Wissen, während die Töchter der Vornehmen gewöhnlich in Frauenklöstern erzogen wurden und hier oft einen ziemlich guten, bisweilen sogar einen gelehrten Unterricht genossen. Daher fehlte es nicht an Frauen der höheren Stünde, die als Muster feinen, selbst klassischen Geschmackes gepriesen wurden. So n. a. jene Herzogin von Schwaben, Hedwig, die mit dem Mönch Ekkehard (den sie sich dazu ausdrücklich von dem Kloster St. Gallen erbeten) den Virgil las. Einen scharfen Gegensatz zu dem verfeinerten höfischen Ritter¬ tum bildete das Thun und Treiben der auf ihren Burgen meist in sehr einfachen, wo nicht dürftigen Verhältnissen lebenden Ritter. Auf sie zielt wohl besonders, was Reinmar vom Trinken und Spielen als herrschenden Untugenden sagt. Ein harmloseres Ver¬ gnügen war es, wenn ein solcher Ritter mit den Bauern wie mit seinesgleichen verkehrte, an deren ländlichen Festen Teil nahm und ihnen allerhand Schabernack spielte, wie der Ritter und Sänger Nithart von Reuenthal dies Alles von sich erzählt. Gegen das Eude unserer Periode wurden, wie schon früher angedeutet, viele dieser kleinen Ritter zu Raubrittern und Wegelagerern. Die Sitten der Geistlichen mögen während dieser Periode öfters gewechselt haben, auch verschieden gewesen sein je nach dem Charakter der Orden nnd der Klöster, denen dieselben angehörten. Von einzelnen Klöstern wie Fulda, St. Gallen n. a. wird gerühmt, daß ihre Insassen nicht blos Musik trieben und Bibliotheken hielten, sondern daß sie neben ihrem geistlichen Beruf allerhand Künste oder Kunstgewerbe ausübten, wie Holz- und Elfenbeinschnitzerei, Malerei und selbst Architektonik, und daß sie mit ihren Kunstwerken sowohl ihre Kirchen wie ihre Refectorien (Speifäle) schmückten. Wn vielen Klöstern be¬ standen auch gute Schulen, in denen teils die künftigen Geistlichen, teils auch vornehmere Laien unterwiesen wurden. Die strenge Sitten¬ reform, die im 1!. Jahrhundert vom Kloster Elngny ausging, scheint eine Zeit lang günstig gewirkt zu haben. Im 12. und 13. Jahrh, verschlimmerte sich der Zustand der Klöster wieder; der wissenschaft¬ liche Trieb machte vielfach einem trägen und schwelgerischen Leben