106 Deutschland unter Mahlkönigen. Zweites Kapitel. Deutschland unter Wahlkönigen. :$m Jahre 1272 starb Richard von Cornwallis, der den Titel eines deutschen Königs geführt hatte. Damit erschien der Thron als auch der Form nach erledigt, denn der zweite Scheinkönig, Alphons von Kastilien, hatte sich um das Reich so wenig gekümmert (war sogar niemals persönlich in Deutschland erschienen), daß man sich auch um ihn nicht weiter kümmern zu dürfen meinte?) Inzwischen war schon unter den letzten Staufen, vollends dann während der Zeit, wo es eine allgemein anerkannte Königsgewalt in Deutschland gar nicht gab, die ärgste Zügellosigkeit eingerissen. Die Großen suchten sich des herrenlosen Reichsgutes zu bemächtigen und begingen außerdem Gewalt¬ thätigkeiten aller Art. Das immer mehr um sich greisende Raub¬ rittertum störte Handel und Wandel nnd gefährdete die persönliche Sicherheit der Schwächeren. Alle Banden der Ordnung waren ge¬ löst. Am stärksten empfanden dies die Verkehrtreibenden in den Städten und die Geistlichkeit als berufene Hüterin des Gottesfriedens. Von Viesen beiden Seiten scheint denn anch der Hanptanstoß zur Vornahme einer neuen Königswahl ausgegangen zu sein. Der, 1254 gestiftete, „Bund der Rheinstädte", (so weit er noch bestand) hätte zuerst mit, so heißt es, auf eine solche gedrungen, unter den Fürsten wäre es der Erzbischof Wernher von Mainz, der Erzkanzler des Reichs, gewesen, der eben dazu gemahnt Hütte. Wenn es wahr ist, daß die Fürsten, als sie sich entschlossen hatten, den erledigten Thron wieder zu besetzen, die deutsche Königskrone dem König Otto¬ kar von Böhmen angeboten haben, so wäre dies allerdings ein sonder¬ bares Zeichen ihrer patriotischen Gesinnung. Ein Nichtdeutscher, eiu Slawe, der als solcher nicht einmal das Recht hatte, bei der Königs¬ wahl mitzuwirken, sollte über Deutschland herrschen! Ottokar lehnte ab; ihm schien es ehrenvoller und vorteilhafter, der mächtige Herr des weithin gebietenden Böhmens, als das ohnmächtige Oberhaupt des in sich zerfallenden deutschen Reichs zu sein. Darauf folgten umständliche Verhandlungen der Fürsten untereinander, die sich an¬ geblich durch sieben ganze Monate hinzogen. Was dabei vorgegangen, weiß man nicht; nur mutmaßen kann-man, daß damals nicht, wie *) Er starb 1284.