Kapitel VII. Irrfahrten des Odysseus. 29 § 3. OdyTTeus in der Unterwelt. Die Weiterfahrt führte die Jrrfahrer dem fernen Westen zu, dahin, wo der Ozean sich ausbreitet. Dort, an den Säulen des Hercules, war ein Eingang in die Unterwelt, ins Totenreich. Wolken und Nebel umhüllten die ganze Gegend, schaurig und öde wehte es von dort her die Menschen an. Hier landete Odysseus und grnb eine Grube, in die er Blut von zwei schwarzen Schafen fließen ließ. Den Göttern brachte er Opfer dar, Honig und Milch, Wein und Wasser; Mehl streute er darauf. Als das Blut der Schafe in die Tiefe floß, zog Odyssens sein Schwert und setzte sich an den Rand der Grnbe. Nicht lange dauerte es, da kamen die Schatten ans der Tiefe uud drängten sich an die Grube, um vom Blnt zu trinken. Doch Odysseus wehrte sie zurück, bis der alte blinde Seher Teiresias getrunken hatte. Teiresias trank und bekam Erinnerung und Sprache wieder. (Denn die Toten verlieren die Erinnerung an das Leben, wenn sie vom Totenfluß Lethe getrunken haben.) Als er Odysseus erkannte, entsetzte er sich. Dann aber erzählte er dem fragenden Odysseus von den Dingen auf Erden. So erfuhr Odysseus, daß seine liebe Mutter inzwischen gestorben sei, daß seine treue Gattin Penelope noch immer auf seine Rückkehr harre. Zugleich sagte ihm der Prophet, daß Odysseus von Poseidon verfolgt werde, weil er deffen Sohn Polyphemos geblendet habe. Ganz allein werde er in die Heimat gelangen. Dort müsse er noch einen schweren Kampf mit den fremden Männern kämpfen, die um Penelope freiten. Dann aber werde er noch ein langes, glückliches Leben haben. Dann sah er auch seine Mutter kommen. Die sagte ihm, wie traurig es seinem armen alten Vater gehe. Schmerzvoll wollte der Held seine Mutter umarmen, als der Schatten entwich. Auch die Schatten der gefallenen Helden vor Troja sah er. So kam klagend Achilles und sagte, daß er lieber als ein Tagelöhner auf Erden leben möchte, als hier im Totenreich über Schatten herrschen. Auch Aga¬ memnon erzählte ihm von seinem grauenvollen Geschick. Als aber immer neue Scharen von Schatten ans der Finsternis herauffluteten, packte den Helden jähes Entsetzen, so daß er von dem schreckensvollen Ort in die lebendige Welt zurückeilte. § 4. Die Sirenen. Auf der Weiterfahrt kamen die Jrrfahrer an einer Insel vorbei, auf der drei Jungfrauen saßen, die durch ihren zaubervollen Gesang die Vorüber¬ fahrenden heranzulocken pflegten. Wer ihnen folgte, mußte dort qualvoll vor Hunger sterben. Dem Gesänge lauschend, vergaßen sie für den Leib zu sorgen. Kirke hatte den Odysseus gewarnt. Deshalb hatte er seinen Ge¬ fährten die Ohren verschmiert, sich selbst aber ließ er an einen Mastbaum binden und gab den Befehl, ihn trotz aller Befehle oder Bitten nicht zu be-