(Gustav Prior).
Kaiser-Heine,
Lehrbuch der Geschichte für Mittelschulen.
Ausgabe B.
Erster Heit.
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Lehrbuch der Geschichte
für Mittelschulen.
Drei üeile*
Ausgabe B (mit Bilderanhang).
Erster Teil für Klaffe V.
Milder aus der vaterländischen Geschichte der Meuzeit
bearbeitet von
Heinrich Heine,
Mittelschullehrer in Nordhausen.
2. Auflage.
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Hannover-List, 1ftU Berlin w. 35,
Podbielskistraße 351, Derfflingerstraße 16.
Alle Rechte vorbehalten.
Druck von Lehmann & Bernhard, Hofbuchdrucker, Schönberg i. Mecklb.
Bus dem Dormort zur \. Auflage.
Die Bestimmungen über die Neuordnung des Mittelschulwesens vom 3. Februar 1910 fordern als Lehrstoff in der Geschichte für die Mittelstufe: „Vorbereitender Überblick über die vaterländische Geschichte in einzelnen Lebensbildern der Neuzeit. Die Hauptereignisse der alten Geschichte." Als Ziel für Klasse V wird hingestellt: „Bilder aus der vaterländischen Geschichte, besonders aus der branden-bnrgisch-prentzischen, von der Zeit des Großen Kurfürsten bis auf die Jetztzeit."
Der Geschichtsstoff für diefes Buch ist also durch die „Bestimmungen" gegeben. Seine methodische Begründung findet er einmal in der Altersstufe der Schüler, für die er bestimmt ist und an die zum ersten Male ein Stoff herangebracht wird, der möglichst in der Gegenwart Anknüpfungspunkte vorfinden muß; dann aber auch in der Erwägung, daß nicht alle Schüler die obersten Klassen der Mittelschule erreichen. Diese würden von der Geschichte der neuesten Zeit nichts hören, wenn sie nicht schon in der 5. Klasse damit bekannt gemacht würden. Eine Beschränkung des Stoffes für diese Klasse auf die Bilder aus der neuesten Zeit vom Großen Kurfürsten ab, wie sie die „Bestimmungen" vorschreiben, ist daher aus diesem Grunde mit Freuden zu begrüßen.
Dormort zur 2. Auflage.
Da zu Änderungen weder in Rücksicht aus die Form noch in Rücksicht auf den Inhalt diefes Büchleins eine Veranlassung vorlag, ist diese Auflage im wesentlichen ein Abdruck der ersten; nur hier und da sind kleine Zusätze gemacht worden, die hoffentlich als Verbesserungen empfunden werden.
Nord hausen, im März 1914.
Heinrich Heine.
Kaiser-Heine, Lehrbuch der Geschichte. I.
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1. Der Dreißigjährige Krieg.
Überall in unserm Vaterlande gibt es Burgruinen, z. B. am Harz, in Thüringen, am Rhein; oder man erzählt sich von untergegangenen Dörfern und zerstörten Städten: diese Verwüstungen stammen fast alle von einem Kriege her, der dreißig Jahre gedauert hat und daher der Dreißigjährige Krieg genannt wird.
1. Die Soldaten. Es sind schon beinahe 300 Jahre her, als der Dreißigjährige Krieg war. Wilde Kriegsvölker zogen damals durch unser Land. Aus allen Ländern Europas stammten sie: aus der Schweiz, aus Spanien, Italien, Frankreich, Ungarn, Schweden. Sie wurden angeworben und bekamen einen bestimmten Lohn oder Sold, daher hießen sie Söldner. Der Kriegsdienst war ihnen ein Handwerk; wer ihnen am meisten bot oder unter wem sie am meisten plündern dursten, dem dienten sie. Bald waren sie bei diesem Herrn, bald bei einem andern. Sie kämpften daher auch nicht ans Liebe zum Vaterland, sondern aus Beute- und Gewinnsucht. Heimat und Vaterland kannten sie nicht. — Dem eigentlichen Heere folgten die Weiber und Kinder der Soldaten; denn der damalige Krieger, der heimatlos von einem Lande ins andere zog, hatte seine Familie bei sich. Die Frau kochte, nähte und wusch für ihn, beim Marsch trug sie die kleineren Kinder, Betten, Hausrat und Beutestücke in Körben und Bündeln auf dem Kopfe oder dem Rücken mit sich. Dieser Troß des Heeres war gewöhnlich zwei- bis dreimal so groß als das Heer selbst.
2. Eine Plünderung. Ein Heerhaufen nähert sich einem Dorfe. Voran reitet der Hauptmann, ihm folgen die Soldaten. Lärmend kommen sie näher. Halbwüchsige Burschen laufen nebenher. Weiber mit Kindern und allerlei Bündeln auf dem Rücken folgen. Während diese vor dem Dorfe sich lagern, dringen die Soldaten in das erste Gehöft des Dorfes ein. Der Bauer und feine Frau laufen ans einer Hinterpforte in das Feld hinaus, sie werden aber von einigen Soldaten unter Schlagen und Fluchen zurückgebracht. Unterdes haben die andern die verschlossenen Türen mit Gewalt ausgestoßen, Kisten und Kasten eingeschlagen und durchsucht. Alles, was sie brauchen können, nehmen sie mit: Speck und Wurst, Hühner und Eier, Betten und Kleider. Der Bauer soll auch sein Geld herausgeben; da er aber nichts hat, kann er nichts herbeischaffen. Die Soldaten meinen aber, er habe es versteckt. Sie binden ihm die Hände auf dem Rücken und die Füße zusammen, werfen ihn auf den Düngerhaufen und gießen ihm Mist-jauche in den Mund. Auch seine Frau binden sie, legen ihr einen Strick um den Kopf und drehen ihn fo fest zu, daß die Augen hervor-
4 1. Der Dreißigjährige Krieg.
quellen. Das Vieh wird aus den Ställen geholt und auf dem Hofe
geschlachtet; mit den Tischen und Stühlen machen sie ein Feuer an
und kochen das Fleisch. Als sie am andern Tage weiterziehen, leuchten die Fenster auf, und die Flammen schlagen zum Dach hinaus. Von dem Bauernhaus standen bald nur noch die vier Wände. Andere Soldatenhaufen hatten es mit den übrigen Häusern des Dorfes ebenso gemacht. Wer von den Bewohnern noch rechtzeitig fliehen konnte, rettete sich in den Wald oder einen unwegsamen Sumpf. Einige kehrten wohl wieder zurück, bis sie von andern Truppen aufs neue vertrieben wurden. Allmählich wurde das Dorf ein Trümmerhaufen. Buschwerk wuchs auf den Hofstätten empor. Wo sonst der Haushund lag, hauste nun wohl der wilde Wolf. — Am schlimmsten trieben es die Schweden;
noch lange sang das Volk:
Die Schweden sind kommen, haben alles mitgenommen,
Haben die Fenster eingeschlagen und 's Blei davongetragen,
Haben Kugeln d'raus gegossen und den Bauer erschossen.
3. Ursache des Krieges. Der Dreißigjährige Krieg war um die Religion entstanden. Evangelische und Katholiken bekämpften sich gegenseitig. Der deutsche Kaiser war katholisch, viele Fürsten waren mit ihren Untertanen evangelisch. Beide, Evangelische und Katholische, sollten gleiche Rechte haben und ihre Gottesdienste ungestört abhalten können. Die Evangelischen in Böhmen glaubten aber, ihnen geschähe Unrecht von den Katholiken. Sie beschwerten sich deshalb beim Kaiser, bekamen aber eine ungnädige Antwort. Da versammelten sich evangelische Edelleute in Prag, drangen bewaffnet ins Schloß und warfen zwei kaiserliche Räte, die sie für die Hauptschuldigen hielten, zum Fenster hinaus. Der Kaiser sah das als eine Empörung an, und nun begann der Krieg, der sich bald über ganz Deutschland verbreitete.
4. Berühmte Feldherrn im Dreißigjährigen Kriege. Die berühmtesten Feldherrn der Katholiken waren T i l l y und Wallen-st e i n. Tilly besiegte die Evangelischen in Böhmen, zog dann nach Norddeutschland und zerstörte die Stadt Magdeburg (1631). In Süddeutschland, am Lech, wurde er verwundet und starb an der Wunde.
W a 11 e n [t e i n war ein böhmischer Edelmann und nach dem Kaiser der reichste Maun; er war so reich, daß er für den Kaifer auf seine eigenen Kosten ein Heer von 20 000 Mann ausrüstete. Den Soldaten gefiel es bei ihm, denn sie durften rauben und plündern nach Herzenslust. Freilich war er auch sehr strenge; war einer feige im Kampf oder ungehorsam im Dienst, so hieß es kurzweg: Laß die Bestie hängen! Weil der Kaiser später glaubte, er sei ein Verräter und wolle sich mit den Evangelischen gegen ihn verbünden, ließ er ihn in Eger ermorden (1634).
Der größte Feldherr der Evangelischen war König Gustav Adolf von Schweden. Ihm ging die Not der Evangelischen in Deutschland zu Herzen, daher kam er ihnen zu Hilfe. Er besiegte Tilly, ward aber in der Schlacht bei Lützen getötet (1632).
2. Der Große Kurfürst. 5
5. Friede. Nach dreißigjährigen Kämpfen waren schließlich alle des Krieges müde, und es ward im Jahre 1648 Friede geschlossen. Man nennt ihn den Westfälischen Frieden, weil er in der westfälischen Stadt Münster und in Osnabrück zustande kam. Deutschland war zu einer Wüste geworden. Man konnte Stunden weit gehen ohne einen Menschen zu treffen. Viele Ortschaften waren von der Erde verschwunden, andere halb verfallen. Den alten Leuten erschien der Friede als eine Rückkehr ihrer Kinderzeit. Die Jugend aber, das harte, verwilderte Geschlecht, empfand das Nahen einer wunderbaren Zeit, die ihm vorkam wie ein Märchen aus fernem Lande; die Zeit, wo auf jedem Ackerstück dichte, gelbe Ähren im Winde wogen, wo in jedem Stalle die Kühe brüllen, in jedem Koben ein rundes Schweinchen liegen sollte, wo sie selbst mit zwei Pferden und lustigem Peitschenknall auf das Feld fahren würden; wo sie nicht mehr mit Heugabeln und verrosteten Musketen den Nachzüglern im Busch auflauern, nicht mehr als Flüchtlinge in unheimlicher Waldesnacht auf den Gräbern der Erschlagenen sitzen würden; wo die Dächer des Dorfes ohne Löcher, die Höfe ohne zerfallene Scheunen sein sollten; wo man den Schrei des Wolfes nicht in jeder Winternacht vor dem Hoftore hören müßte, wo ihre Dorfkirche wieder Glasfenster und schöne Glocken haben würde, wo in dem beschmutzten Chor der Kirche ein neuer Altar mit einer seidenen Decke, einem silbernen Kruzisix und einem vergoldeten Kelch stehen sollte. Als es bekannt wurde, daß Friede geschlossen sei, kamen die Leute in der halb zerstörten Kirche ihres Ortes zusammen und sangen:
Gottlob, nun ist erschollen
Das edle Fried- und Freudenwort,
Daß nunmehr ruhen sollen
Tie Spieß' und Schwerter unb ihr Mord.
L. Der Große Kurfürst.
Zu der Zeit des Dreißigjährigen Krieges gab es noch kein Königreich Preußen; damals hieß dieser Staat noch Kurfürstentum Brandenburg und war nicht viel größer als die heutige Provinz Brandenburg. Die Herrscher dieses Landes hießen Kurfürsten (von küren, d. h. wählen, weil die Kurfürsten den deutschen Kaiser zu wählen hatten). Den Grund zu der heutigen Größe Preußens hat der Kurfürst Friedrich Wilhelm von Brandenburg gelegt, der deshalb auch der „Große Kurfürst" genannt wird.
1. Seine Jugend. Friedrich Wilhelm, der später den Namen „der Große Kurfürst" bekommen hat, ist im Jahre 1620 in dem Schlosse zu Berlin geboren. Seine Jugend fällt also in die Zeit des Dreißigjährigen Krieges. Da war er in der Hauptstadt Berlin nicht sicher. Fern von Vater und Mutter wuchs er deshalb heran; zuerst wurde er in Jagdschlössern vor den umherstreifenden Feinden verborgen gehalten;
6 2. Der Große Kurfürst.
später fand er in der Festung Küstrin einen sichern Znflnchtsort. Hier erhielt er auch regelmäßigen Unterricht; neben der Religion mußte er namentlich Sprachen lernen, Lateinisch, Französisch, auch Polnisch. Außerdem wurden die körperlichen Übungen nicht vernachlässigt; er mußte fleißig fechten, reiten und schwimmen. Der König Gustav Adolf von Schweden war sein Oheim; und als dieser den Evangelischen zu Hilfe kam und in der brandenburgischen Stadt Frankfurt a. d. O. war, besuchte ihn Friedrich Wilhelm. Freundlich fah ihm der nordische Held in die dunklen Augen und meinte, durch ihn würden für fein armes Vaterland noch einmal bessere Tage kommen. Nach I Vz Jahren war der Knabe zu Besuch bei dem letzten Herzog von Pommern in Stettin, dessen Land er später erben füllte; und nun sah er schmerzbewegt die Leiche seines heldenmütigen Oheims nach Schweden einschiffen. So lernte er aus eigener Anschauung die Furchtbarkeit des Krieges kennen. Als er 14 Jahre alt war, kam er ganz aus den Kriegsunruhen daheim fort zu Verwandten feiner Mutter nach Holland. Hier war der Dreißigjährige Krieg nicht hergekommen, hier herrschte Friede. Wie waren die Felder hier schön bebaut, wie wogte das Korn aus den Fluren, wie behaglich weideten die Rinder in dem hohen Grase! Wie schmuck und sauber sahen die Dörfer aus, und welches betriebsame Leben herrschte in den Städten, namentlich in den Seestädten, wo reiche Kaufleute wohnten, und wo Schiffe allerlei Waren aus fremden Ländern brachten oder mit einheimischen Erzeugnissen beladen wurden. Was war dagegen sein armes, ödes Brandenburg! Aber er nahm sich schon jetzt vor, es dereinst ebenso reich, mächtig und glücklich zu machen, wie dieses Holland.
2. Sein Regierungsantritt. Friedrich Wilhelm war 20 Jahre alt, als sein Vater starb. Nun wurde er Kurfürst von Brandenburg. Wegen der Kriegsunruhen wohnte er zuerst noch in Königsberg in Preußen, wohin sein Vater schon geflüchtet war. In Brandenburg hatte er kaum noch etwas zu sagen; die kurfürstlichen Truppen, die hier in Spandau, Küstrin und andern Orten lagen, standen in der Gewalt des Kaisers und waren dem Kaiser zum Gehorsam verpflichtet, nicht dem Kurfürsten. Sie waren dem Lande eine ebenso große Last wie die schwedischen Soldaten. Zunächst wollte Friedrich Wilhelm aber die Feinde aus dem Lande schassen, deshalb schloß er mit den Schweden einen Waffenstillstand. Dann wollte er Soldaten haben, die nur seinem Befehle gehorchten und auf die er sich verlassen konnte. Darum verlangte er von den Offizieren, daß sie ihm Gehorsam schwören sollten. Das tat nur ein Regiment in Küstrin. Da entließ er die andern Regimenter, und die Offiziere, die sich das nicht gefallen lassen wollten, wurden gefangen genommen. Das eine Regiment aber von etwa 3000 Manu behielt er nun ständig im Dienst und vermehrte es mit der Zeit auf 30 000 Mann. Das war der Anfang des stehenden Heeres. Er gab den Soldaten gleichmäßige Waffen und eine gleiche Bekleidung, so daß seit dieser Zeit die Soldaten Uniformen tragen. Seine Helfer beim Heranbilden des Heeres waren der General D e r f s l i n g e r , eines öfter-
2. Der Große Kurfürst. 7
reichischen Bauern Sohn, und Jochem Henuigs, der Sohn eines Bauern aus der Altmark.
3. Friedrich Wilhelms Sorge für sein Land. Als er zwei Jahre in Königsberg gewohnt hatte, kehrte er in sein Brandenburger Land zurück.. Da sah er nun die Not mit eigenen Augen. Die Hauptstadt Berlin war ein verfallenes großes Dorf. Damit der Kurfürst im Schlosse wohnen konnte, mußte erst ein Notdach von Brettern darauf gelegt werden; denn Ziegel fehlten. Vor allem nahm er sich nun der verarmten Bürger und Bauern an. Dem Bürger in der Stadt, der Hab und Gut verloren hatte, gab er Geld, damit er sein Haus wieder ausbauen und sich ein Geschäft gründen konnte. Den Bauern gab er Saatkorn, daß sie ihre Felder bestellen konnten. Er ließ auch schon die ersten Kartoffeln pflanzen, die die Leute damals allerdings noch nicht essen wollten und sie deshalb auch nicht anbauten. Der Landmann mußte bei seinem Hanse einen Garten anlegen und darin Obstbäume pflanzen; er gebot, daß jeder Bräutigam vor seiner Hochzeit 6 Obstbäume pflanzen und 6 pfropfen sollte. Aus Holland ließ er Leute kommen, die mußten sich in den wüst gewordenen Gegenden wieder anbauen. Von ihnen sollten die branden-burgischen Baueru lernen, wie man das Vieh pflegt, ans der Milch Butter und Käse bereitet und im Garten Gemüse baut. Auch derTabak ist damals zuerst in Brandenburg angebaut worden. Damit die Waren leicht von einem Orte nach dem andern geschafft werden konnten, ließ er neue Straßen bauen. Auf diesen richtete er auch einen Po st verkehr ein; von Berlin gingen nach allen Richtungen Postboten aus, nach entfernteren Orten reitende Boten. Auch die Wasserstraßen sollten für die Fortschaffung der Waren benutzt werden. Die Oder uud die Spree verband er durch den Friedrich-Wilhelms-Kanal, damit von Berlin aus die Frachtkähne auch nach den Städten an der Oder fahren konnten.
4. Die brandenburgische Flotte. In Holland hatte der Große Kurfürst gesehen, wie ein Land durch Schiffahrt und Seehandel reich werden kann. Auch er wollte mit überseeischen Ländern Handel treiben. Ein Holländer mußte ihm Schisse ausrüsten, natürlich Segelschiffe aus Holz. Zuerst fuhren seine Schiffe nur auf der Ostsee, bald aber flatterten die weißen Flaggen mit dem roten Adler Brandenburgs auch aus dem Weltmeere; bis nach der Westküste Afrikas kamen sie, und der Befehlshaber der kleinen brandenbnrgischen Flotte kaufte von einem Negerhäuptling eilt Stück Land, baute eine Festung daraus und nannte diese Groß-Friedrichsburg. Das war das erstemal, daß Deutsche in Afrika Land erwarben.
5. Sein Krieg mit den Schweden, a) Einfall der Schweden in Brandenburg. Der König Ludwig XIV. von Frankreich war mitten im Frieden in Deutschland eingefallen, hatte Elsaß-Lothringen genommen, war über den Rhein gezogen und hatte in den deutschen Landen geraubt und geplündert. Gegen ihn zog im Jahre 1674 auch der Große Kurfürst. Seine Feldherrn Derff -l i n g e r und Jochem Hennigs freuten sich schon darauf, den
8 2. Der Große Kurfürst.
Franzosen zu zeigen, was brandenbnrgische Krieger leisten können. Jochem Hennigs ließ für seine Regimenter noch schnell neue Fahnen anfertigen; sie waren oon gelber Seide und mit silbernen Fransen eingefaßt; auf der einen Seite ließ er einen roten brandenbnrgifchen Adler hinmalen, der in der rechten Klane einen grünen Lorbeerkranz hält und auf der anderen Seite einen passenden Spruch, wie z. B.:
Wer Gott vertraut, der wird beschützt,
Wie sehr des Feindes Donner blitzt.
Wer sich getrost auf Gott verläßt,
Der steht vor Feindes Waffen fest.
Daun zogen sie frohen Mutes an den Rhein bis nach Straßburg. Dem Franzofenkönig war das aber gar nicht lieb. Um sich diese Brandenburger wieder vom Halse zu schaffen, verbündete er sich mit den Schweden, gab ihnen Geld, daß sie sich genug Soldaten anwerben konnten und überredete sie, in Brandenburg einzufallen. Das taten diese auch, und bald hausten ihre Söldner in Brandenburg so schlimm, wie zur Zeit des Dreißigjährigen Krieges.
b) D i e Selb st Hilfe der Bauern. Wieder mußten nun die Landleute wie in den Tagen des Dreißigjährigen Krieges sich in unzugängliche Sümpfe und Wälder flüchten. Sie versuchten aber auch, sich selbst zu helfen. Sie fcharten sich zusammen, wählten sich einen Anführer, bewaffneten sich mit Sensen, Mistgabeln und Dreschflegeln und überfielen plündernde Schwedenhaufen. Auch Fahnen hatten sie sich gemacht; ein weißleinenes Tuch war an einen Schaft genagelt, der Dorfschmied als der geschickteste Mann des Ortes hatte mit roter Farbe den braudeuburgischeu Adler auf das Fahnentuch gemalt, und der Lehrer hatte wohl den schönen Spruch dazu gesetzt:
Wir sind Bauern von geringem Guth Und dienen unserm genedigsten Kur-Fürsten und Herrn mit unserm Bluth?)
Aber sie konnten doch nicht allzuviel gegen die Schweden ausrichten. Als der Kurfürst von der Not seines Landes hörte, schrieb er den braven Leuten: „Haltet aus, ich komme!" und sogleich gab er den Krieg am Rhein auf und zog in Eilmärschen nach Brandenburg.
c) Schlacht bei Fehrbelliu. Als die Schweden von der Ankunft des Kurfürsten hörten, zogen sie sich über die Havel zurück. Sie glaubten, die vielen Sümpfe im Havellande würden den Brandenburgern bei der Verfolgung hinderlich sein, so daß sie vor ihnen nach Norden entkommen könnten. Aber bei F e h r b e l l i n am Rhin, einem Nebenflüßchen der Havel, holte er sie schon ein. Am 18. Juni 1675 früh um 6 Uhr konnten seine vordersten Reiter die Schweden schon angreifen. Diese standen auf einer fandigen Ebene innerhalb des Sumpfgebietes; bei dem nebligen Wetter hatten sie übersehen,
1) So die Inschrift der noch erhaltenen Fahne in der Kirche zu D a n n e -f e l d i. d. Altmark.
3. König Friedrich I. 9
einen Hügel zu besetzen. Ans diesem ließ nun der Große Kurfürst seine Kanonen auffahren. Um den Hügel drehte sich auch die ganze Schlacht. Die Schweden suchten um jeden Preis diese Stellung zu erobern, und ein Regiment nach dem andern stürmte gegen die Brandenburger an; aber die Tapfern schlugen jeden Angriff zurück. Als ihre Führer fast alle gefallen waren, stellte sich der Kurfürst selbst an die Spitze der Reiter und rief: „Getrost, meine tapfern Krieger, ich, euer Fürst, will siegen oder mit euch zugleich sterben! Vorwärts, ihr wackern Reiter!" Und vorwärts stürmten sie, bis endlich der Sieg errungen war. Die Schweden flohen der mecklenburgischen Grenze zu. Seit dem Tage von Fehrbeöin nannte man Friedrich Wilhelm den Großen Kurfürsten.
3. König Friedrich I.
1. Wie aus dem Kurfürstentum Brandenburg ein Königreich wird. Als der Große Kurfürst gestorben war, wurde sein Sohn Kurfürst von Brandenburg; er hieß Friedrich. Von Gestalt war er nur klein und etwas verwachsen, weil seine Wärterin ihn als Kind hatte fallen lassen. Aber er liebte Glanz und Pracht um sich her. Er hatte zahllose Diener und Hofbeamten. Gern feierte er glänzende Feste, bei denen er fein prächtiges Schloß, feine Wagen und Pferde, feine kostbaren Gewänder und Schmucksachen zeigen konnte. Am liebsten aber wäre er König geworden, und zwar nicht König in Brandenburg, sondern König in Preußen. Denn seit dem Großen Kurfürsten waren die Kurfürsten von Brandenburg zugleich Herzog in Preußen. Dieses Land gehörte aber damals noch gar nicht zu Deutschland; hier herrschte Friedrich ganz unbeschränkt, in Brandenburg hatte er noch den Kaiser über sich. Aber doch konnte Friedrich den Königstitel nicht ohne Erlaubnis des Kaisers annehmen. Und der sträubte sich dagegen. Nun war der Kaiser aber in Verlegenheit; denn es drohte ihm ein Krieg mit Frankreich, und dazu brauchte er auch die tapfern brantienburgischen Soldaten. Da versprach ihm Friedrich, ihm mit 8000 Mann zu Hilfe zu kommen; und nun willigte der Kaiser ein, daß er sich König nannte. Seitdem gelten auch die Farben der alten Preußen, schwarz und weiß, als Landesfarben für das ganze Königreich Preußen.
2. Wie Friedrich sich zum König krönt. Als Friedrich sich König nennen durfte, wollte er sich feierlich in der alten Königsstadt der Preußen, in Königsberg, krönen. Das sollte ein Fest von nie gesehener Pracht werden. Schon im Dezember des Jahres 1700 reiste der König mit feiner Gemahlin von Berlin ab. Seine ganze Dienerschar, drei Kompagnien Garde und viele Herren und Damen begleiteten ihn. Wochenlang waren sie unterwegs, und erst im Januar 1701 kamen sie in Königsberg an. Der 18. Januar sollte der Krönungstag sein. An diesem Tage versammelten sich im Königsberger Schlosse alle
10 3. König Friedrich I.
Vornehmen des Landes. Der König trug einen scharlachroten Rock; der war mit Gold gestickt, und Knöpfe von Diamanten waren daran, von denen jeder viele tausend Mark kostete. Um seine Schultern hing ein Mantel von rotem Samt, mit goldenen Kronen und Adlern bestickt und mit Hermelinpelz besetzt. So trat er mit seiner Gemahlin in den Saal und setzte sich die goldene Königskrone auf; dann nahm er eine zweite Krone und schmückte damit die Königin. Darauf begaben sich alle über den Schloßplatz nach der Schloßkirche. Der Schloßplatz war mit rotem Tuch belegt, und Soldaten standen zu beiden Seiten des Weges. Zehn Edelleute hielten über den König und die Königin einen Thronhimmel. Vor dem Altar der Kirche salbte der Geistliche das Königspaar an der Stirne mit Öl, und das Volk rief: „Glück zu dem König!" Die Glocken läuteten, und die Soldaten feuerten Gewehre und Kanonen ab. Mehrere Tage noch dauerten die öffentlichen Festlichkeiten. Das Volk erhielt das rote Tuch, womit der Marktplatz beiegt war, und Münzen mit dem Bilde des neuen Königspaars. Auf einem freien Platze wurde ein Ochse gebraten, der mit Schafen, Hafen und Hühnern gefüllt war; dieser Braten wurde an die Leute verteilt. Wer Durst hatte, konnte Wein trinken, der aus zwei metallenen Adlern floß, der eine gab roten, der andere weißen Wein.
3. Wie Friedrich fremde Einwanderer in sein Land zieht. Friedrich setzte das Werk seines Vaters fort und suchte fremde Einwanderer in sein Land zu ziehen. Hauptsächlich nahm er viele Leute aus Holland, aus der Pfalz und aus dem Elsaß auf, die wegen der Kriegsunruhen hier geflohen waren. Die Holländer wurden auf dem Lande augesiedelt, wo noch immer große Strecken verödet lagen. Die Psälzer und Elsässer ließen sich meist in den Städten nieder; sie waren im Handwerk sehr geschickt und sind, für das Gewerbe in Preußen sehr wichtig geworden. Durch sie wurde hauptsächlich die feine Weberei und Stickerei bei uns eingeführt; besonders blühte die Strumpfwirkerei auf. Die Handstickerei war schon früher in Deutschland verbreitet, durch die Pfälzer und Elfässer wurde der Strumpfwirkerstuhl bei uns eingeführt, auf dem Strümpfe, Wollhemden, Handschuhe, Jacken und Teppiche hergestellt wurden. Für die Weberei brachten sie bessere Webstühle, neue Muster und neue Farben mit. Ferner gründeten sie Hutfabriken, legten Lohgerbereien an und richteten die ersten feineren Gasthöfe und Speisewirtschaften bei uns ein. Aber auch feinere gesellschaftliche Formen brachten namentlich die Elsässer mit, so wurden z. B. die heutigen Tischsitten damals bei uns allgemein; der Gebrauch der Gabel kam auf; früher führte man das Fleisch mit dem spitzen Messer zum Munde; nun wurden die Messer vorne rund; der Eßlöffel erhielt einen breiten Stiel; man fing an, die tieferen Suppenteller zu benutzen. Diefe feineren Sitten waren zuerst in Frankreich ausgekommen; von hier verbreiteten sie sich nach Deutschland und andern Ländern. Von Frankreich kamen damals überhaupt alle Moden nach Deutschland, man kleidete sich französisch, man sprach viel französisch und ahmte auch in der Wohnung, in den Möbeln, im Benehmen den Franzosen nach.
4. Friedrich Wilhelm I.
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Friedrichs Bedeutung: Er hat den preußischen Staat, den der Große Kurfür st geschaffen hatte, zu einem Königreich erhoben.
4. Friedrich Wilhelm I.
1. Seine Sparsamkeit. König Friedrich I. war gestorben. Er lag in seiner ganzen Pracht mit Scharlachrock und Brillantknöpfen, mit Mantel, Krone und Zepter auf dem Paradebett. So prächtig und feierlich, wie er es im Leben immer gern gehabt hatte, war auch sein Leichenbegängnis. Aber als sich die Gruft über feinem Sarge geschlossen hatte, hörte der Glanz und der Prunk in dem königlichen Haushalt auf. Der neue König Friedrich Wilhelm I. war zunächst daranf bedacht, recht sparsam zu wirtschaften. Von hundert Kammerherren, die sein Vater gehabt hatte, behielt er nur zwölf; „können sich davon scheren, brauche sie nicht," sagte er. Das kostbare Gold- und Silbergeschirr in den Zimmern des Schlosses wurde verkauft, und von dem Gelde wurden die Schulden feines Vaters bezahlt. Die großen Gehälter, die fein Vater an manche Hofbeamten gezahlt hatte, setzte er herab, und viele, die früher sich eine Kutsche gehalten hatten, gingen jetzt zu Fuß; daher fagten die Leute, der König hätte den Lahmen die Beine wiedergegeben. In seinem Haushalt durfte nur so wenig als möglich verbraucht werden. Er trug keine andere Kleidung als die Uniform seiner Soldaten und litt auch in seiner Umgebung keinen prächtigen Aufwand. Seine Mahlzeiten bestanden aus Hausmannskost. Seiner Gemahlin erlaubte er aus Reisen nicht mehr Bedienung mitzunehmen als eine einzige Kammerfrau.
2. Seine Arbeitsamkeit, llnausgefetzt war der König tätig. „Gott hat den König nicht eingesetzt, um seine Tage in Genuß zuzubringen; zur Arbeit sind die Könige geboren," sagte er. Im Sommer stand er schon um 4 Uhr, im Winter um 6 Uhr auf und fing an zu arbeiten. Er betrachtete fein Volk als eine große Familie, über die er als Hausvater gesetzt war. Damit überall im Lande Ordnung herrsche, setzte er Beamten ein, die das Land aufs beste verwalten mußten. Und so fleißig wie er selbst war, so fleißig sollten auch die Beamten sein, oom höchsten bis zum niedrigsten und treu ihre Pflicht erfüllen. Seine Minister mußten fchon im Sommer um 7 Uhr, im Winter um 8 Uhr bei ihm erscheinen. Sehr böse konnte er werden, wenn er Langschläfer und Müßiggänger fand. Eines Morgens kam er nach Potsdam und fand das Stadttor noch verschlossen. Die Bauern warteten schon lange davor, aber der Torschreiber schlief noch. Da eilte der König zu ihm in das Schlafzimmer und prügelte ihn mit dem Stocke ans dem Bette, indem er rief: „Guten Morgen, Herr Torschreiber!" —
Wenn der König des Morgens mit seinen Ministern gearbeitet hotte, nahm er wohl seinen festen Stock in die Hand und ging durch
12 4. Friedrich Wilhelm I.
die Stadt; er wollte überall selbst nach dem Rechten sehen. Dann durste er keinen ohne Arbeit erblicken. Selbst die Obst- und Gemüsefrauen durften ans dem Markt neben ihren Waren nicht müßig sitzen; der König gebot: Sie sollen nicht Manlasfen feil halten, sondern sie sollen Wolle und Flachs spinnen, stricken oder nähen. Ans der Straße ging man ihm gern aus dem Wege, weil er die Leute oft anredete und scharf ausfragte; namentlich wer kein gutes Gewissen hatte, suchte schnell durch eine Seitengasse zu entkommen, wenn er den König von weitem erkannte. Einst merkte er auch, daß jemand vor ihm floh; da ließ er ihn einholen und vor sich bringen. Auf die Frage, warum er davongelaufen sei, antwortete der Flüchtling: „Ich fürchte mich so sehr vor Ew. Majestät!" Da wurde der König zornig und ries: „Ihr sollt mich nicht fürchten, ihr sollt mich lieben, lieben sollt ihr mich!" und dabei schlug er mit seinem Stock jämmerlich auf den armen Schelm ein. —
Gute und treffende Antworten liebte der König. Einst traf er auf der Straße einen jungen Mann. „Was ist Er?" fragte der König. „Ich bin Kandidat der Theologie," sagte der Jüngling. „Woher stammt Er?" — „Ans Berlin, Majestät." — „Die Berliner taugen nicht." — „Ich kenne zwei Ausnahmen." — „Wer sind die?" — „Wir beide, Majestät." Diese Antwort gefiel dem Könige und er machte den Kandidaten bald darauf zum Pfarrer.
3. Seine Sorge für das Heer. In allen Sachen war Friedrich Wilhelm I. sehr sparsam, nur für die Soldaten gab er reichlich Geld aus. Die Soldaten nannte er seine lieben blauen Jungen und täglich sah er ihren Übungen zu. Es gab aber auch in ganz Europa keilte schöneren Soldaten als die preußischen. Alljährlich wurden sie neu gekleidet, das Fußvolk blau, die Husaren rot, die übrigen Reiter weiß. Am liebsten hatte der König recht große Leute, und sein Leibregiment in Potsdam bestand aus lauter Riesen; er nannte sie seine „langen Kerls". Jeder von ihnen erhielt täglich zwei Taler Sold, und für manchen von ihnen hatte er mehrere tausend Taler gegeben, um ihn zu bekommen. Denn die Soldaten wurden damals noch angeworben. Hatten feine Werber irgendwo einen „langen Kerl" entdeckt, wurde alles versucht, um ihn als Soldat nach Potsdam zu bringen. Wenn er sich nicht gutwillig anwerben ließ, wurde auch List und Gewalt angewandt. So hatte ein Werber in einem Dorfe einen langen Tifchler gefunden. Dieser wollte aber kein Soldat werden. Da bestellte der Werber bei ihm einen verschließbaren hölzernen Kasten, so lang als der Tischler selbst. Als der Kasten nach einigen Tagen abgeliefert wurde, behauptete der Werber, der Kasten sei nicht groß genug, der Tischler müsse sich im Maße geirrt haben. Ilm zu beweisen, daß der Kasten genau nach der Bestellung angefertigt war, legte sich der nichtsahnende Tischler der Länge nach in den Kasten. Kaum hatte er sich aber darin ausgestreckt, da wurde der Deckel über ihm geschlossen, bereitstehende Boten trugen den Kasten auf einen Wagen, und fort ging es nach der nächsten Werbestelle, wo schon Soldaten ans den neuen langen Kerl warteten. Aber die Geschichte verlies recht traurig für den Tifchler; denn als man den Kasten öffnete, fand man eine Leiche darin, der
4. Friedrich Wilhelm I. 13
Schreck hatte den Tischler getötet. — Ein anderes Mal wurde ein langer Schäfer nachts in seinem Schäferkarren, in dem er schlief, weggeführt. In Halle wurde ein langer Student auf der Straße aufgegriffen und nach Potsdam gebracht. Wenn Eltern oder sonstige Angehörige den König um Freigabe des jungen Mannes baten, pflegte er zu sagen: „Nicht räsonieren! Ist mein Untertan!" — Fremde Fürsten konnten ihm keine größere Freude machen, als wenn sie ihm einen langen Kerl schenkten; er vergaß es anderen Ländern aber auch nicht leicht, wenn sie einen langen Kerl, den seine Werber dort geworben hatten, nicht gehen lassen'wollten. So war er auf die Hamburger böse, die auch einen langen Kerl in Schutz genommen hatten. Als sie bald darauf einen Berliner Geistlichen zu ihrem Pastor gewählt hatten, ließ ihn der König nicht gehen und jagte: „Die Hamburger wollen mir meine besten Prediger aus dem Laude holen, und wenn ich irgendwo einen Lumpenkerl auwerben lasse, wird ein Lärmen darüber gemacht."
4. Seine Sorge für die Schule. Friedrich Wilhelm I. wollte, daß alle Kinder in die Schule gehen und etwas Tüchtiges lernen sollten. Wo keine Schulen waren, wurden welche errichtet. Über 1800 Schulen sind während seiner Regierung gebaut. Er selbst kam zuweilen in die Schule und überzeugte sich von dem Fleiße der Kinder. Einmal erschien ber König ganz plötzlich in einem Dorfe. Es war irrt Juli, die K'irtber hatten Ferien, ber Lehrer war in seinem Garten unb begoß die Blumen. Als ber König an bas Schulhaus kam unb ben Lehrer sah, rief er ihm zu: „Er soll mir eiue Stuube mit seinen Jnngens halten!" Die Schulkiuber würben geholt, unb währenb ber Zeit besah sich ber König Bänke, Tische unb Schreibhefte. Als bie Kinber ba waren, sagte er zu bem Lehrer: „Nuu leg' Er einmal los!" Zuerst prüfte ber Lehrer seine Schüler in ber biblischen Geschichte; es ging alles gut. Da sagte ber König: „Nuu bie Hauptsache fürs Leben — Rechnen! Ich werbe selbst bie Aufgabe stellen." Die Schüler nahmen die Tafeln vor, nnb ber König sagte: „Jemanb verbient jeben Tag vier Taler; wieviel macht bas am Enbe bes Jahres? Rechnet aus uub baun zieht bavon 240 ab!" Schon hatte ber Lehrer angst, baß bie Ausgabe für seine Schüler zu schwer sein würbe, ba rief eine helle Stimme: „Ich bin fertig!" Es war ber kleine Jochen. „Nun, was kommt heraus?" fragte ber König. Der Junge jagte: „Ich multipliziere 365 mit 4, macht 1460; bavon ab 240, bleibt 1220." „Bravo," rief ber König, „gut gemacht! Unb wertn sich nun zwei Leute in bie Summe teilen sollen, wieviel kommt auf jeben?" Eine Weile blieb es still, bann rief Jochen: „610". „Sehr gut," jagte ber König, „hier, Jochen, jinb zwei Dukaten, immer orbentlich rechnen!"
5. Reisen des Königs durch sein Land. Jebes Jahr reiste ber König in seinem Laube umher, um in ben Dörfern unb auf ben Domänen selbst nach bem Rechten zu sehen. Er ging bann in bie Bauernhäuser unb ließ sich bie Wirtschaft zeigen; wenn er Unorbnung fanb, konnte er sehr böse werben. Besonbers achtete er barauf, ob bie Bauern von ben Amtleuten, ben Pächtern ber königlichen Domänen, auch nicht zu hart behanbelt würben.
14 4. Friedrich Wilhelm I.
Einst kam er in bie Grafschaft Hohenstein am Harz. Er war über bas Gebirge burch bas Stäbtchen Benneckenstein nach ber Domäne Woffleben gefahren. Von bem bortigen Amtmann Fahrenholz war allgemein bekannt, baß er bie Bauern seines Bezirkes burch Hanb- unb topannbienste so schwer brücke, baß sie ihren eigenen Ackerbau versäumen mußten unb babei ganz verarmten. Als nun ber König in ben Amtshof einfuhr, rief er mit lauter Stimme: „Wo ist ber Banern-schinber, ber Amtmann Fahrenholz?" Dieser war aber aus Angst vor bem König schon geflohen. _ Aus Unwillen barüber betrat ber König bas Gutshaus nicht, sonbern speiste in einer Scheune zu Mittag. — Von ba begab sich ber König nach Bleicherobe, ber Hauptstabt ber Grafschaft Hohenstein. Als er bas Stäbtchen wieber verließ unb nach ber Domäne Lohra fahren wollte, lief eine Achse feines Wagens in Branb. Währenb ber Schaben ausgebessert würbe, erschien bie Frau bes Amtmanns Hofmann von Lohra, um ben König um eine Ermäßigung ber Pachtsumme zu bitten. Unglücklicherweise trug bie Frau nun ein Kleib von französischem Kattun. Bei ber Abneigung bes Königs gegen alle ausläubischen, besoubers aber gegen französische Stosse, ist es begreiflich, baß bie Frau einen Erfolg ihres Gesuches von vornherein vereitelte. Kaum hatte sie sich unter vielen Knixen bem Könige genähert unb ihre Bitte vorgebracht, als er unwillig ertüiberte, baß er keinen Pfifferling von ber Pachtsumme ablassen werbe; benn wenn sie noch Gelb für französische Kleiber übrig habe, bürste auch bie Domänenkammer in Halberstabt (wozu bie Grafschaft Hohenstein gehörte) ihr Gelb erhalten können. Durch bie Bitte ber Frau auf bie Wirtschaft ihres Mannes aufmerksam gemacht, beschloß ber König, sich in Lohra genau von bem Staube ber Dinge zu überzeugen. Auch über ben Amtmann Hofmann würben von ben Untertanen zahlreiche Beschwerben erhoben; ber König fanb sie gerechtfertigt, er ließ ben Amtmann festnehmen unb nach ber Festung Magbeburg abführen.
6. Das Taüakskollegium. Wenn ber König in Berlin war, ging er zu feiner Erholung gern auf bie Jagb. Abenbs versammelte er seine liebsten Generale unb Minister um sich unb unterhielt sich zwanglos unb heiter mit ihnen. Es waren gewöhnlich sechs bis acht Herren bei ihm; man saß in einem einfachen Zimmer auf hölzernen Stühlen. Jeber bürste hier feine Meinung frei heraus sagen, auch einen berben Spaß ließ sich ber König gefallen. Die Hofsitte galt hier nicht; keiner bürste sich erheben, wenn ber König kam ober ging. Jeber erhielt eine kurze Tonpfeife zum Rauchen; ein Körbchen mit Tabak staub auf bem Tische; zum Anzüubeu bienten glühenbe Kohlen, bie immer bereit waren, ober man zünbete sie an ben Wachskerzen an, bie aus bem Tische brannten. Der König selber rauchte gern; wer von ben Gästen nicht rauchte, mußte wenigstens bie Pfeife kalt in ben Munb nehmen. Vor jebem Gast staub ein weißer Deckelkrug mit Bier; auf einem Nebentische waren kalte Braten, Schinken, Brot, Butter unb Käse, wovon jeber nach Belieben nehmen konnte. Bebiente waren nicht ba, sie kamen nur, um frisches Bier zu bringen. Diese Abendgesellschaft nannte man bas Tabakskollegium.
5. Friedrich ber Große.
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Friedrich Wilhelms I. Bedeutung : E r hat die preußische Staatsverwalt uug eingerichtet und das preußische Heer geschaffen.
5. Friedrich der Große.
1. Erste Kindheit. Friedrich II., der später der Große genannt wurde, ist im Jahre 1712 zu Berlin geboren. Seine erste Erzieherin war eine Französin, die schon seinen Vater in seiner Kindheit gepflegt hatte. Wegen ihrer Religion hatte sie mit vielen andern aus Frankreich fliehen müssen und war nach Berlin gezogen. Gebildete französische Frauen wurden damals gern als Erzieherinnen in vornehmen Familien angenommen, und selbst der so kerndeutsche Friedrich Wilhelm I. mußte diese Mode mitmachen. Der Kronprinz gewann seine erste Erzieherin sehr lieb und hat ihr bis an ihren Tod treue Anhänglichkeit bewahrt. Von frühester Jugend an wurde also Friedrich in französischer Sitte erzogen und lernte die französische Sprache. — Mit großer Liebe hing er an feiner älteren Schwester, und beide spielten viel zusammen. Einmal hatte Friedrich eine kleine Trommel zum Geschenk erhalten, und es gewährte ihm großes Vergnügen, darauf zu trommeln. Der Schwester wurde das eines Tages zu viel, und sie bat den Bruder, lieber ihren Puppenwagen mit ziehen zu helfen oder mit ihren Blumen zu spielen. Aber sehr ernsthaft erwiderte der kleine Prinz, fo gern er sonst jeder Bitte der Schwester nachkam: „Gut Trommeln ist mir nützlicher als Spielen und lieber als Blumen." Dem Vater gefiel diese soldatische Äußerung so sehr, daß sein Hofmaler ein Bild von den beiden spielenden Kindern anfertigen mußte. — Auch zur Wohltätigkeit wurde der Kronprinz früh erzogen. Seine Eltern pflegten alle Jahre nach Hannover zu reisen, wo seine Mutter her war. Seit seinem dritten Jahre wurde der Kronprinz auch mitgenommen. In Tangermünde ließ der König gewöhnlich halten. Bei dieser Gelegenheit versammelte sich stets ein großer Teil der Einwohner um den königlichen Wagen. Die Königin erlaubte dem Kronprinzen dann, unter die Leute zu gehen. Einst bat er einen Zuschauer, ihn zu einem Bäcker zu führen; hier öffnete er schnell seine kleine Geldtasche und schüttete seine Barschaft in die Hand des Bäckers mit der Bitte, ihm dafür Semmeln, Zwieback und Brezeln zu geben. Er selbst nahm einen Teil davon, das übrige mußte ein Bedienter tragen. Dann wandte er sich zu den Einwohnern und teilte die Backwaren an Kinder und Greise aus. Das wiederholte sich mehrere Jahre, und Friedrich sagte später öfter, daß er hier in Tangermünde zum erstenmal das Vergnügen genossen habe, sich von Untertanen geliebt zu sehen.
2. Friedrich als Knabe und Jüngling. Mit dem Anfange des siebenten Jahres endete die weibliche Erziehung des Kronprinzen. Nun wurden Männer seine Lehrer. Der König gab den Lehrern eine aus-
16 5. Friedrich der Große.
führliche Anweisung, wie sie seinen Sohn erziehen sollten. Er sollte das werden, was sein Vater auch war: ein frommer Christ, ein tüchtiger Soldat und ein sparsamer Hauswirt. Damit er ein frommer Christ würde, mußte er viel aus Bibel, Gesangbuch und Katechismus auswendig lernen. Das gefiel ihm aber gar nicht, und er gewann die Religion nicht lieb. Das Soldatenleben lernte er früh kennen; schon vom achten Jahre an mußte er exerzieren und vom zehnten wie eiu gemeiner Soldat mit Flinte und Patronentasche am Schlosse Schildwache stehn. Aber „Fritz", wie er gewöhnlich genannt wurde, fand keinen Gefallen daran; das ewige Exerzieren war ihm langweilig, und die enge Uniform war ihm ganz zuwider. Viel lieber saß er in weichem Schlafrock daheim und las französische Bücher oder spielte die Flöte. Das war aber dem Vater ein Greuel, und so mußte es heimlich geschehen, wobei seine Mutter ihn unterstützte. Einst überraschte ihn der König; zornig warf er den Schlafrock ins Feuer, schickte die Bücher und Noten dem Buchhändler zurück und hielt seinem Sohne eine lange und derbe Strafrede. Zitternd saß unterdes sein Musiklehrer in dem Schlupfwinkel, wohin er sich oor Angst verkrochen hatte. Da der König auch uoch erfuhr, daß Fritz sein Taschengeld leichtsinnig vertan und sogar noch Schulden gemacht hatte, ward er sehr böse auf ihn, zaukte häufig mit ihm und schlug ihn mit dem Stocke, obgleich er schon achtzehn Jahre alt war.
3. Friedrichs Fluchtversuch. Friedrichs Liebe zu seinem Vater nahm immer mehr ab; und da sein Vater nie aufhörte, mit ihm zu zanken, faßte er den Entschluß, nach England zu fernem Onkel zu fliehen. Seiner Schwester vertraute er's au und zwei Freunden, den Leutnants K a t t e und K e i t h , die wollten ihm behilflich sein. Als sein Vater einmal an den Rhein reiste, sollte Fritz ihn begleiten. Dabei wollte er sein Vorhaben ausführen. In einem Dorfe in der Nähe des Rheines wurde übernachtet. Heimlich stand nun der Kronprinz in der Nacht auf; schnell wollte er sich auf ein Pferd setzen, das seine Freunde schon für ihn bereit hielten, an den Rhein reiten, ein Schiff besteigen und nach England fliehen. Aber die Sache war schon verraten. Er wurde beobachtet, und als er eben sich zu Pferde setzen wollte, hielt man ihn fest. Der König ward sehr böse; er geriet so in Zorn, daß er mit dem Degen auf den Kronprinzen losging, um ihn niederzustoßen. Ein General sprang aber dazwischen, hielt des Königs Arm zurück und ries: „Durchbohren Sie mich, aber schonen Sie Ihres Sohnes." Der Kronprinz wurde verhaftet und nach Küstrin ins Gefängnis gebracht. Ein Kriegsgericht sollte ihn zum Tode verurteilen. Auch Katte wurde gefangen genommen und vor ein Gericht gestellt; die Richter hatten ihn nur zu lebenslänglicher Zuchthausstrafe verurteilt; der König ließ ihn aber auf dem Gefängnishofe vor den Augen des Kronprinzen enthaupten. Über den Kronprinzen aber beschlossen die Richter, kein Urteil zu fällen, da sie hierzu kein Recht hätten. Der König wollte ihn jedoch trotzdem zum Tode verurteilen, uud nur mit Mühe brachten Freunde ihn davon ab. Aber im Gefängnis mußte der Kroupriuz zunächst bleiben.
5. Friedrich der Große. 17
4. Friedrichs Aussöhnung mit seinem Vater. Der Tod seines Freundes Katte hatte auf den Kronprinzen einen gewaltigen Eindruck gemacht, so daß er sehr niedergeschlagen war. Im Gefängnisse besuchte ihn häufig der Feldprediger Müller. Dieser sprach dann mit ihm über sein Verhalten gegen seinen Vater, und endlich sah der Kronprinz es auch ein, daß er unrecht getan habe. Er bereute es und bat den Vater um Verzeihung. Da befreite ihn dieser ans dem Gefängnis. Aber er mußte in Küstrin bleiben und bei der Regierung arbeiten. Er sollte sich fleißig um den Landbau und die Viehzucht bekümmern und lernen, wie man fparsam wirtschaftet. Das tat er auch, und seine Vorgesetzten konnten nur Gutes über ihn an den König berichten. Darüber war der König recht froh, und nach einem Jahre kam er selbst nach Küstrin und besuchte ihn. Bald darauf durfte der Kronprinz auch nach Berlin kommen; er sollte die Hochzeit seiner Schwester mitfeiern. Der König führte ihn in den Saal zu feiner Mutter und seiner Schwester und sagte: „Da habt ihr den Fritz wieder!" Von nun an waren Vater und Sohu gute Freuude. Der König ernannte ihn zum Obersten eines Regiments und schenkte ihm das Schloß Rheinsberg, und als er seinen Tod nahe fühlte, sprach er: „Ich sterbe zufrieden, da ich einen so würdigen Sohn habe!"
5. Der Siebenjährige Krieg. Im Jahre 1740 ward Friedrich König von Preußen. Er dachte gleich daran, fein Land groß und mächtig zu machen. Nun wußte er, daß in alten Verträgen festgesetzt war, daß ein Teil von Schlesien an Preußen kommen sollte, wenn die dortigen Herzöge keine Erben hinterlassen würden. Nach dem Tode der Herzöge hatte aber Österreich Schlesien genommen. Die Kurfürsten von Brandenburg waren zu schwach gewesen und hatten nichts dagegen tun können. Jetzt forderte Friedrich biefe Länder von Österreich zurück. In Österreich herrschte damals die Kaiserin Maria Theresia. Das war eine sehr begabte Frau und eine tüchtige Herrscherin. Schlesien wollte sie nicht herausgeben. Da gedachte Friedrich es ihr mit Gewalt zu nehmen, und er hat drei Kriege mit ihr geführt. Am längsten dauerte der dritte, er währte sieben Jahre, von 1756 bis 1763, und wird darum auch der Siebenjährige Krieg genannt. In diesem Kriege standen ans Österreichs Seite auch die Franzosen, die Russen und die meisten deutschen Fürsten, deren Soldaten zusammen die deutsche Reichsarmee bildeten. So war Friedrich von allen Seiten von Feinden umgeben, aber er verzagte nicht und hat den Krieg siegreich zu Ende geführt. Die beiden bedeutendsten Schlachten waren die bei R o ß b a ch und bei L e n t h e n.
a) DieSchlachtbeiRoßbach (5. November 1757). Von Westen her zogen die Franzosen gegen Friedrich heran. Sie hatten sich mit der Reichsarmee vereinigt. Diese Feinde wollte Friedrich zuerst schlagen. Bei Roßbach in Thüringen traf er sie. Sein Heer mußte lagern und abkochen; er selbst nahm im Schlosse zu Roßbach Wohnung. Am Mittage, der König saß gerade mit seinen Generalen zu Tisch, meldete ein Adjutant, der Feind sei aufgebrochen und marschiere in einem Bogen um sie herum. Der König stieg auf den Boden
Kaiser-Heine, Lehrbuch der Geschichte. I. 2
18 5. Friedrich der Große.
des Hauses, ließ einige Ziegel vom Dache nehmen nnd beobachtete den Feind. Zunächst läßt er seine Soldaten noch ruhig ihr Mittagbrot verzehren. Die Franzosen sind darüber ganz entzückt; sie glauben, die Preußen hätten ihr Herankommen noch nicht bemerkt. Aber plötzlich, um 3 Uhr nachmittags, gibt der König den Befehl zum Ausbruch. In zwei Minuten sind die Zelte verschwunden, und jeder Soldat steht an seinem Platze. Dann heißt es: vorwärts. Die Preußen tun, als ob sie abrücken wollen. Sie ziehen aber nur hinter einen Hügel, daß die Franzosen sie nicht sehen können, und von hier aus greifen sie den Feind an. Die Infanterie geht nach der einen Seite um den Hügel herum, die Reiterei nach der andern. S e y d l i tz , Friedrichs kühner Reitergeneral, ist den Seinen weit voran; indem er seine Tabakspfeife hoch in die Luft wirft, gibt er das Zeichen zum Angriff, und wie das Hagelwetter brausen feine Reiter auf die Feiude. Als nun auch noch Friedrichs Infanterie auf sie hervorbricht, und von dem Hügel Friedrichs Kanonen ihre Stimme erschallen lassen, da flieht alles in wilder Hast davon. Die Reichsarmee ergriff schon beim ersten Schusse die Flucht und hieß seitdem die „Reißausarmee". Bald folgten ihr auch die Franzofen. Ganz Deutschland jubelte über diese lustige Franzosenjagd und sang spottend:
„Und wenn der große Friedrich kommt
Und klopft nur auf die Hosen,
So läuft die ganze Reichsarmee,
Panduren und Franzosen."
b) Schlacht bei Leutheu (5. Dezember 1757). Der eine Feind war geschlagen, aber in Schlesien standen die Österreicher; sie hatten mehrere Städte besetzt nnd schickten sich an, hier ihre Winterquartiere zu beziehen. Ihr Heer war dreimal so stark als dasjenige Friedrichs, das sie spöttisch die „Berliner Wachtparade" nannten. Aber Friedrich hatte Vertrauen zu seinen Soldaten, sie würden auch eiueu stärkeren Feind besiegen. Rasch zog er von Thüringen nach Schlesien. Bei Leuth e n traf er auf das österreichischerer. Am Abend vor derSchlacht rief er seine Offiziere zusammen und sprach ernste Worte mit ihnen. Er sagte: „Ich muß es wagen, oder alles ist verloren. Wir müssen den Feind schlagen oder uns vor seinen Batterien begraben lassen. Sagen Sie das den Regimentern, und leben Sie wohl! In kurzem haben wir den Feind geschlagen, oder wir sehen uns uie wieder!" So sprach er seinen Offizieren Mut zu. Früh am Morgen ging es dann gegen den Feind. Unerwartet griff Friedrich ihn an. Bald ist der eine Flügel der Österreicher geschlagen; dann wird das Dorf Lenthen erstürmt, und schließlich vollendet ein Reiterangriff von 40 Schwadronen feinen Sieg. Mit Begeisterung hatten seine Soldaten gefochten. Ein Offizier traf auf dem Schlachtfelde einen preußischen Grenadier, der in seinem Blute schwamm; beide Füße waren ihm abgeschossen. Aber gelassen saß er da und rauchte seine Pfeife. „Es wundert mich," jagte der Offizier, „daß du bei deinen Schmerzen noch so vergnügt die Pfeife rauchst." Kaltblütig sprach der Verwundete aber: „Ich sterbe für Fritz!" —
5. Friedrich der Große. 19
Als das Heer Friedrichs auf dem blutgetränkten Schlachtfelde sich lagerte, stimmte ein alter Soldat das Lied an: „Nnn danket alle Gott," von Regiment zn Regiment fielen sie ein, und bald erklang ans taufenden von Soldatenkehlen dies Danklied durch die Winternacht; es heißt seitdem der „Choral von Leutheu".
c) Das Ende des Krieges. Nicht immör siegte Friedrich der Große, auch manche schwere Niederlage hat er erlitten, und oft genug schien es, als sei er verloren. Sein Heer wurde immer kleiner, aber immer neue Mittel ersann er, um seiner Feinde Herr zu werden. Endlich sahen diese ein, daß sie ihn nicht besiegen konnten und ließen vom Kampfe ab. Zu H u b e r t u s b u r g in Sachsen wurde Friede geschlossen. Friedrich behielt Schlesien.
(1) 3 i e t e n. Zu Friedrichs berühmten Heerführern gehört neben Seydlitz auch Rieten. Er war Friedrichs beste Stütze; mit seinen Husaren kam er manchmal über die Feinde, ehe sie sich's versahen. Er blieb, wie sein König es wünschte, dem Feinde immer auf den Hacken. Wenn Friedrich fast verzagen wollte, hatte Zieten immer noch guten Mut. Eines Nachts lagen der König und Zieten auf der Erde, imt) der König klagte: „Ich komme aus dieser Falle nicht heraus." Da sagte Zieten: „Bei Leuthen war der Feind noch viel stärker und wir haben ihn doch geschlagen. Nur nicht den Mut verlieren! Es wird noch alles gut werden!" Der König sagte: „Wo nimmt Er nur immer seine freudige Zuversicht her? Hat Er etwa einen neuen Verbündeten gefunden?" „Nein, Ew. Majestät, aber der alte dort oben lebt noch." Der König seufzte: „Ach, der tut keine Wunder mehr!" Da fagte Zieten: „Der Wunder bedarf§> auch nicht; er streitet dennoch für uns und läßt uns nicht sinken." Und so geschah es auch, Friedrich kam wirklich ans der Falle heraus. Da sagte er froh zu Zieten: „Er hat recht gehabt. Sein Verbündeter hat Wort gehalten." — Friedrich ehrte Zieten auch ganz besonders. Einst wurde auf einem Marsche Rast gemacht. Friedrich lehnte sich gegen einen Baum, feine Generale lagen auf der Erde und waren bald eingeschlafen. Da kam ein Offizier, der etwas melden wollte; der König rief ihm aber leise zu: „Still, wecke Er mir Zieten nicht, er ist müde!" Und als der 86 jährige Zieten mit andern Offizieren einmal im Schlosse vor dem König erschien, ließ dieser ihm einen Sessel holen und sprach zu ihm: „Mein alter Zieten, Er darf nicht stehen; setz Er sich, sonst gehe ich weg." — Zieten starb sieben Monate vor dem König; als ihm der Tod seines alten Feldherrn gemeldet ward, sprach er ernst: „Der alte Zieten hat stets die Vorhut geführt; ich werde ihm bald nachfolgen."
6. Friedrich der Große als Landesvater. In den Friedensforen sorgte Friedrich dafür, daß fein Land sich von der Kriegsnot wieder erholte. Damit die Bauern ihr Land bestellen konnten, gab er ihnen Soldatenpferde und Saatkorn. Die eingeäscherten Häuser ließ er wieder ausbauen. Wüst liegendes Land mußte wieder beackert werben. Die Sumpfgegenden an der Havel, an der Oder und der Weichsel ließ er trocken legen. Die burch ben Krieg, burch Krankheiten ober ctnbere Unglücksfälle in Not geratenen Untertanen unterstützte
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20 5. Friedrich der Große.
er reichlich. Er selbst war sehr sparsam und brauchte nur wenig für sich. Den Verarmten zu helfen, hielt er für seine Pflicht, er erwartete nicht einmal Dank dafür. Die Stadt Greissenberg in Schlesien war abgebrannt; da gab Friedrich den Bewohnern Geld, damit sie ihre Hänser wieder ausbauen konnten. Als die Greiffenberger ihm durch Abgesandte ihren Dank aussprechen ließen, sagte er: „Ihr habt mir nicht zu danken, dafür bin ich da!"
7. Seine Reisen durch sein Land. In jedem Jahre reiste Friedrich in seinem Lande umher, um selbst zu sehen, wie es darin aussah und wie die Leute lebten. Gewöhnlich mußte ihn daun der Laudrat oder ein Amtmann einer königlichen Domäne begleiten. Wie es auf einer solchen Reise herging, schildert uns ein Amtmann, der ihn einmal begleitete, als er im Havellande reiste. Der König saß im Wagen, und der Amtmann ritt nebenher. Der König war bis Fehrbellin gekommen, da meldete sich der Amtmann zur Begleitung. Der König fragt: „Wer seid Ihr? — Ew. Majestät, ich bin der Beamte hier von Fehrbellin. — Wie heißt Ihr? — Fromm. — Haha! Ihr seid ein Sohn von dem Landrat Fromm? — Ew. Majestät halten zu Gnaden, mein Vater ist Amtsrat im Amte Lehnin gewesen. — Amtsrat! Amtsrat! Das ist nicht wahr! Euer Vater ist Landrat gewesen. Ich habe ihn recht gut gekannt. Sagt einmal, hat Euch die Abgrabung des Luchs hier viel geholfen? — O ja, Ew. Majestät. — Haltet Ihr mehr Vieh als Euer Vorfahr? — Ja, Ew. Majestät, aus diesem Vorwerk halte ich 40, aus allen Vorwerken 70 Kühe mehr. — Das ist gut. Die Viehseuche ist doch hier nicht in der Gegend? — Nein, Ew. Majestät! — Habt Ihr die Viehseuche hier gehabt? — Ja! — Braucht nur fleißig Steinsalz, dann werdet Ihr die Viehseuche nicht wieder bekommen. — Ja, Ew. Majestät, das brauch ich auch; aber Küchensalz tut beinahe eben die Dienste. — Nein, das glaubt nicht! Ihr müßt das Steinsalz nicht klein stoßen, sondern es dem Vieh so hinhängen, daß es daran lecken kann. — Ja, es soll geschehen. — Sind hier sonst noch Verbesserungen zu machen? — O ja, Ew. Majestät. Hier liegt der Kemmensee. Wenn dieser abgegraben würde, so bekämen Ew. Majestät an 1800 Morgen Wiesenwachs, wo Kolonisten könnten angesetzt werden, und die ganze Gegend würde schiffbar, das dem Städtchen Fehrbellin und der Stadt Ruppiu ungemein aushelfen würde. Auch könnte vieles aus Mecklenburg zu Wasser nach Berlin kommen. — Das glaub ich! Euch wird aber wohl bei der Sache sehr geholfen, viele ruiniert, nicht wahr? — Ew. Majestät halten zu Gnaden, das Gebiet gehört zur königlichen Forst und stehn nur Birken daraus. — O, wenn weiter nichts ist wie Birkenholz, so kann's geschehen. Sagt es meinem Geheimen Rat Michaelis, der Mann versteht's. — Es soll geschehen, Ew. Majestät. -
Sagt mir mal, wie heißt das Dorf da rechts? — Laugen. — Wem gehört's? — Ein Drittel Ew. Majestät unter dem Amte Alt-Ruppin, ein Drittel dem Herrn von Hagen; dann hat der Dom zu Berlin auch Untertanen darin. — Ihr irrt Euch, der Dom zu Magdeburg. — Ew. Majestät halten zu Gnaden, der Dom zu Berlin! — Es ist aber nicht wahr. Der Dom zu Berlin hat keine Untertanen!
5. Friedrich der Große. 21
— Ew. Majestät halten zu Gnaden, der Dom zu Berlin hat in meinem Amtsdorfe zu Karvesee drei Untertanen. — Ihr irrt Euch; das ist der Dom zu Magdeburg. — Ew. Majestät, ich müßte ein schlechter Beamter sein, wenn ich nicht wüßte, was in meinen Amtsdörfern für Obrigkeiten sind. — Ja, dann habt Ihr recht! —
Wie heißt das Dorf hier vor uns? — Manker. — Wem gehört es? — Ihnen, Ew. Majestät, unter dem Amte Alt-Rnppin. — Hört einmal, wie seid Ihr mit der Ernte zufrieden? — Sehr gut, Ew. Majestät! — Sehr gut? und mir haben sie gesagt, sehr schlecht! — Ew. Majestät, das Wintergetreide ist etwas erfroren; aber das Sommergetreide steht dafür so schön, daß es den Schaden bei dem Wintergetreide reichlich ersetzt. — Sät Ihr auch Weizen? — Ja, Ew. Majestät!
— Wieviel habt Ihr ausgesät? — Drei Mispel zwölf Scheffel. — Wieviel hat Euer Vorfahr ausgesät? — Vier Scheffel. — Wie geht das zu, daß Ihr soviel mehr sät als Euer Vorfahr? — Wie ich schon die Gnade gehabt, Ew. Majestät zu sagen, daß ich 70 Stück Kühe mehr halte wie mein Vorfahr, mithin meinen Acker durch Dünger besser instandsetzen und Weizen säen kann! — Aber warum baut Ihr keinen Hanf? — Er gerät hier nicht. Im kalten Klima gerät er besser. Unsere Seiler können den russischen Hanf in Lübeck wohlfeiler kaufen und besser, als ich ihn bauen kann. — Was sät Ihr denn dahin, wo Ihr sonst Hanf hinsätet? — Weizen! — Warum baut Ihr aber kein Färbekraut, keinen Krapp? — Er will nicht fort, der Boden ist nicht gut genug. — Das sagt Ihr nur so, Ihr hättet sollen die Probe machen. — Das habe ich getan, allein sie ist mir fehlgeschlagen, und als Pächter kann ich nicht viele Proben machen, denn wenn sie fehlschlagen, muß doch die Pacht bezahlt fein. — Na, so bleibt bei dem Weizen. —
Eure Untertanen müssen recht gut imstande sein. —- Ja, Ew. Majestät. Ich kann ans dem Hypothekenbuche beweisen, daß sie an 50 000 Taler Kapital haben. — Das ist gut. — Ja, es ist recht gut, Ew. Majestät, daß der Untertan Geld hat; aber er wird auch übermütig; wie die hiesigen Untertanen, die mich schon siebenmal bei Ew. Majestät verklagt haben, um vom Hofdienste frei zu fein. — Sie werden auch wohl Ursache gehabt haben! — Sie werden gnädigst verzeihen, es ist eine Untersuchung gewesen und es ist gefunden, daß ich die Untertanen nicht gedrückt, sondern immer recht gehabt und sie nur zu ihrer Schuldigkeit angehalten habe. Dennoch blieb die Sache wie sie ist: Die Bauern wurden nicht bestraft; Ew. Majestät gaben denselben immer recht, und der arme Beamte muß unrecht haben! — Ja, daß Ihr recht bekommt, mein Sohn, das glaub ich wohl! Ihr werdet Eurem Vorgesetzten brav viel Butter, Kapaunen und Puter schicken. — Nein, Ew. Majestät, das kann man nicht; das Getreide gilt nichts. Wenn man für andere Sachen nicht einen Groschen einnehme, wovon füllte man die Pacht bezahlen? — Wohin verkauft Ihr Eure Butter, Kapaunen und Puter? — Nach Berlin. — Warum nicht nach Ruppin? — Die meisten Bürger halten Kühe, soviel als sie zu ihrem Aufwende brauchen. — Was bekommt Ihr für die Butter in
22 5. Friedrich der Große.
Berlin? — Vier Groschen das Pfund. — Aber Eure Kapaunen und Puter könnt Ihr doch nach Ruppin bringen? — Bei dem ganzen Regiment (in Ruppin) sind nur vier Stabsoffiziere, die gebrauchen nicht viel, und die Bürger leben nicht delikat; die danken Gott, wenn sie Schweinefleisch haben. — Ja, da habt Ihr recht! Die Berliner essen gern etwas Delikates. Hört, ich weiß, Ihr feid ein Liebhaber von Pferden. Geht aber davon ab und zieht Euch Kühe dafür; Ihr werdet Eure Rechnung besser dabei finden. — Ew. Majestät, ich handle nicht mehr mit Pferden. Ich ziehe mir nur etliche Füllen alle Jahre. — Zieht Euch Kälber dafür, das ist besser! — O, Ew. Majestät, wenn man sich Mühe gibt, ist kein Schade bei der Pferdezucht. Ich kenne jemand, der vor zwei Jahren taufend Taler für einen Hengst erhielt. — Der ist ein Narr gewesen, der sie gegeben hat! — Ew. Majestät, es war ein mecklenburgischer Edelmann. — Er ist aber doch ein Narr gewesen." •—
Ein anderer Augenzeuge, der als Kind den König auf der Fahrt sah, erzählt darüber: „Der König kehrte am liebsten sowohl zu Mittag als zu Nacht auf dem Lande ein, und zwar allemal bei den Predigern, vermutlich weil es dort ruhiger war als in den Städten. Für die Prediger war dies ein großes Glück, nicht nur, weil sie wohl bisweilen bessere Pfarren erhielten, wenn sie dem Könige gefielen, sondern auch, weil er allemal für den Mittag 50 Taler und für das Nachtquartier 100 Taler ihnen auszahlen ließ. Das wenige, was der König verzehrte, wurde außerdem bezahlt. Nun hatte der König bei dem Prediger in Dolgelin beinahe allemal die letzte Nacht der Rückreise zugebracht; auch im verflossenen Jahre war er bei diesem eben erst neu angezogenen Prediger eingekehrt, hatte sich wohlwollend mit ihm unterhalten, und der Prediger hatte die 100 Taler empfangen. Er schmeichelte sich also, daß es auch heute geschehen würde und hatte alle Anstalten gemacht. Wir warteten also dort und eine Menge Volks mit uns. Die Vorspannpferde standen geordnet, zehn Stück zu des Königs Wagen.
Nun kam der Feldjäger auf einem Bauernpferde, ein Bauer als Begleiter mit ihm. Der Feldjäger stieg ab, sagte, der König werde in 5 Minuten hier fein, besah die Vorspannpferde und die Kerle mit den Wasser-eimern, die die Räder begießen sollten, stürzte ein Glas Bier hinunter, und da unterdessen sein Sattel aus ein anderes Bauern-Pferd gelegt war, stieg er auf, und im Galopp ging’s weiter. Der König sollte also nicht in Dolgelin bleiben. Bald kam der König. Er saß allein in seiner altmodischen Kutsche. Diese war sehr lang wie alle damaligen alten Wagen, zwischen dem Kntscherbock und dem Wagenkasten wenigstens vier Fuß Raum. Der Wagen hielt, und der König sagte zu seinem Kutscher Pfund: „Ist das Dolgelin?" — „Ja, Jhro Majestät." — „Hier will ich bleiben." — „Nein," sprach Pfund, „die Sonne ist noch nicht unter. Wir kommen noch recht gut nach Müncheberg, und dann sind wir morgen viel früher in Potsdam." — „Na, wenn es fein muß!" Und damit wurde angespannt. Die Bauern, die von weitem ganz still mit ehrerbietig gezogenen Hüten standen, kamen sachte näher und schauten den König begierig an. Eine alte
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Semmelfrau aus Lebbenicheu nahm mich auf den Arm und hob mich
gerade am Wagenfenster in die Höhe. Ich war nun höchstens eine
Elle vom König entfernt, und es war mir, als ob ich den lieben Gott
ansähe. Er sah gerade vor sich hin durch das Vorderfenster. Er
hatte einen ganz alten, dreieckigen Montierungshut auf, dessen hintere gerade Krempe hatte er vorn gesetzt und die Schnüre losgemacht, so daß diese Krempe vorn herunterhing und ihn vor der Sonne schützte. Die Hutschnüre waren losgerissen und tanzten auf der heruntergelassenen Krempe umher. Die weiße Generalsfeder im Hute war zerrissen und schmutzig, die einfache blaue Montierung alt und bestaubt. Ich dachte immer, er würde mich anreden. Er tat es aber nicht, sondern sah immer gerade aus. —- Die Umspannung war geschehen, fort ging es."
8. Friedrich der Große in Sanssouci. Am liebsten lebte der König in dem Schlosse Sanssouci, das er sich bei Potsdam hatte bauen lassen. Von früh bis abends war er hier unermüdlich tätig. Jeder Tag hatte seiue bestimmte Einteilung. Früh um vier Uhr schon stand er auf und ging dann in voller Uniform in sein Arbeitszimmer. Hier las er die eingegangenen Briefe und Bittschriften durch uud schrieb seine Entscheidungen kurz und bündig an den Rand der Briefe. Und Bittgesuche aller Art bekam der König. So bat ihn einst ein Landrat um Ersatz des im Kriege erlittenen Schadens. Da schrieb der König an den Rand des Briefes: Am jüngsten Tage kriegt ein jeder alles wieder, was er in diesem Leben verloren hat. — Als ihn ein Weinhändler um Entschädigung bat für 82 Faß Wein, die ihm die Russen weggeführt hatten, schrieb er: Warum nicht auch, was er bei der Sündslut gelitten, wo seine Keller auch unter Wasser gestanden! — Als ein Beamter seines Marstalls ihn bat, ihm den Stallmeistertitel zu geben, schrieb er: Er hat beim Einkauf brav gestohlen, Ihm dafür den Stallmeistertitel Zn geben, so närrisch bin ich nicht. — Waren die Briefe dnrchgefehen, dann kamen seine Generale und Räte, die ihm sagen mußten, was bei der Armee, bei der Regierung und sonst im Lande vorgegangen war. Wenn die fort waren, hatte jedermann bei ihm Zutritt, der ihm eine Bitte vorzutragen hatte. Vor dem Mittagessen, ritt er gewöhnlich aus oder ging wohl zu Fuß, gewöhnlich von einigen Windhunden begleitet, die auch im Schlosse stets um ihn waren. Pünktlich um 12 Uhr aß er zu Mittag; meist hatte er Gäste bei sich, mit denen er sich lebhaft unterhielt. Abends veranstaltete er gewöhnlich ein Konzert, wobei er die Flöte spielte.
9. Friedrichs Aussehen. Friedrich der Große war von Gestalt nur klein, aber groß und eigenartig waren seine Augen. Die blickten einen durch und durch. Selbst der mutigste General hielt es nicht lange aus, wenn ihn der König scharf anfah. In seiner Kleidung war er einfach. Er zog immer nur den blauen Soldatenrock an, der auf der linken Brustseite mit einem großen Ordensstern geschmückt war. Er trug helle Hosen, hohe Stulpenstiefel und weiße Handschuhe. Auf dem Kopfe hatte er einen dreieckigen Hut. Stets trug er seinen Stock mit einer silbernen Krücke bei sich; wenn er ritt, hing der Stork am Sattel. Der König schnupfte gern, und daher kam es, daß der Schnupf-
24 6. Friedrich Wilhelm III. und die Königin Luise.
tabak vorne auf Rock und Weste lag. Bot er einem eine Prise an, so war er sehr gut gelaunt.
10. Friedrichs Güte und Freundlichkeit. Im ganzen Lande war bekannt, wie freundlich Friedrich zu seinen Untertanen war. Er hieß in seinen letzten Regierungsjahren nur „der alte Fritz", uud jedermann liebte und ehrte ihn. Auf einer Reife drängte sich einst eine Frau dicht an seinen Wagen heran. „Was willst du?" fragte der König. Da antwortete die Frau: „Nur meinen König sehen, sonst nichts weiter." Da nahm der König ein Goldstück ans seiner Tasche und gab es der Frau mit den Worten: „Auf diesem Goldstück kannst du mich ansehen solange du willst." — Für die Kinder war es jedesmal eine Freude, wenn sie den König auf der Straße reiten sahen. Dann liefen sie neben dem Pserde her, schwenkten die Mützen und jubelten. Der König ließ sie zufrieden und störte ihre Freude nicht. Nur einmal trieben sie es zu arg; da hob er seinen Krückstock uud rief ihnen drohend zu: „Wollt ihr wohl ruhig sein, ihr Rangen, und euch in die Schule scheren?" Da lachten sie unb jubelten: „Der alte Fritz will König sein und weiß nicht einmal, daß am Mittwochnachmittag keine Schule ist!" Der König aber ritt lachend davon. — Seine Soldaten dursten ihm auch eine dreiste Antwort geben. Einmal im Siebenjährigen Kriege begegneten ihm einige Dragoner. Da rief Friedrich ihnen zu: „Gerade, Kinder, gerade!" Die Soldaten aber antworteten: „Alter Fritz, auch gerade! Und die Stiefel in die Höhe gezogen!"
11. Friedrichs Tod. Im Alter war Friedrichs Körper gebeugt und krumm geworden. Mancherlei Krankheiten stellten sich ein, aber seine Regierungsgeschäfte versäumte er nicht. Noch im 73. Lebensjahre, ein Jahr vor seinem Tode, hielt er eine Truppenschau in Schlesien ab und saß sechs Stunden in einem kalten, heftigen Regen zu Pferde. Im Sommer des Jahres 1786 wurde er schwer krank, so daß er nicht mehr gehen konnte. Er ließ sich bei gutem Wetter in einem Rollstuhl bann vor bas Schloß bringen unb freute sich über bie schönen Anlagen. In seinem Zimmer las er, biktierte Befehle imb schrieb Briese bis wenige Tage vor seinem Tobe. Im August 1786 starb er.
Durch Friebrich beu Großen ist Preußen ein G r o ß st a a t geworben.
6. Friedrich Wilhelm III. und die Königin Luise.
1. Friedrich Wilhelm III. Vor etwa 100 Jahren hatte unser Vaterlanb viel von bem Franzosenkaiser Napoleon zu leiben; er hatte es besiegt, unb französische Solbaten bebrückten Bürger unb Bauer. Noch heute rebet man wohl von bieser schweren Zeit.
In Preußen regierte barnals König Friebrich Wilhelm III. Seine Gemahlin hieß Luise. Als Friebrich Wilhelm III. geboren würbe, lebte noch Friebrich ber Große. Der war bem kleinen Prinzen
6. Friedrich Wilhelm III. und die Königin Luise. 25
sehr gut, und dieser erinnerte sich später noch gar oft daran, wie er manchmal im Park zu Sanssouci neben dem alten König mit den mächtigen großen Augen hatte spazieren gehen dürfen. Besonders gefiel dem König die Aufrichtigkeit des Prinzen. Einst ließ er ihn eine kleine Geschichte ins Französische übersetzen. Der Prinz konnte das so geläufig, daß der König sich freute und ihn lobte. Der Prinz sagte aber, daß er das Stück erst vor wenigen Tagen bei seinem Lehrer übersetzt hatte. Da streichelte ihm der König die Wange und sprach: „So ist's recht, lieber Fritz, immer ehrlich und aufrichtig! Wolle nie scheinen, was du nicht bist!" Diese Ermahnung machte einen großen Eindruck auf das Gemüt des Prinzen, und seit jenem Tage war ihm alle Lüge und Verstellung zuwider.
2. Vermählung. Friedrich Wilhelm verheiratete sich schon als Kronprinz mit Luise. Sie war die Tochter des Großherzogs von Mecklenburg-Strelitz. Wegen ihrer Schönheit und ihres freundlichen Wesens waren ihr alle Menfchen gut, die sie kannten, und als Friedrich Wilhelm sie nur einmal gesehen hatte, jagte er zu sich: Die soll deine Frau werden oder keine! Im Jahre 1793 wurde zu Berlin bie Hochzeit gefeiert. Einige Tage vorher reiste sie dahin. Aus das herzlichste wurde sie von der Berliner Bevölkerung empfangen. Kopf an Kopf standen die Leute in den Straßen, durch die sie fuhr, und braufende Jubelrufe schollen ihr entgegen. Ein Zuschauer schrieb damals über ihren Einzug: „Die Ankunft dieser engelschönen Fürstin gab den Städten Berlin und Potsdam einen erhabenen Lichtglanz. Alle Herzen flogen ihr entgegen, unb ihre Anmut unb Herzensgüte ließen keinen unbeglückt." Ihre Ehe mit bent gleichgesinnten Kronprinzen würbe für bas ganze Laub bas Vorbilb zu einem rechten beutschen Familienleben. Damals herrschte noch bie Mobe, baß vornehme Eheleute ein-anber mit „Sie" anrebeten. Aber Friebrich Wilhelm unb Luise kehrten sich nicht baran, sie nannten sich Du. Einst sagte ber König zu berrt Kronprinzen: „Wie ich höre, nennst bu bie Kronprinzessin Du?" „Geschieht ans guten Grünben," erwiberte ber Kronprinz scherzenb, „mit berrt Du weiß man boch immer, woran man ist; bagegen bei bent Sie ist immer das Bedenken, ob es mit einem großen S gesprochen wird oder mit einem kleinen."
3. Paretz. Im Sommer wohnte das kronprinzliche Paar meist in dem Dorfe Paretz bei Potsdam. Hier lebten sie wie die Gutsherrschaft unter ihren Bauern. Luise hieß hier nur die gnädige Fron von Paretz. Besonders pflegten sie auch das Erntefest hier mitzufeiern. Gleich nach dem Mittagsmahl zogen die festlich angekleideten Schnitter und Schnitterinnen vom Gutshofe nach dem Schloß, voran die Dorf-musik und der reichbebänderte Erntekranz von Ähren und Feldblumen. Auf dem freien Schloßplatz hielt der Zug und stellte sich in einen Halbkreis. Nun trat die königliche Gutsherrfchaft heran und hörte bie Rede der Großmagd freundlich an. Dann ging der Tanz an. Das königliche Paar mifchte sich unter die Landleute und drehte sich auch mit im Tanze. Auch Buden waren aufgeschlagen wie bei einem Jahrmarkt. Mitten in dem fröhlichen Treiben erschien bann Luise. Sie kaufte
26 6. Friedrich Wilhelm III. und die Königin Luise.
Körbe voll Eßwaren und ließ sie herumreichen. Die Kinderwelt drängte sich besonders an sie heran, und manchmal rief wohl eins ungeduldig: „Frau Königin, mir auch was!"
4. Reisen durch das Land. Als Friedrich Wilhelm III. König geworden war, reiste er alljährlich in seinem Lande umher, wie seine Vorfahren das auch getan hatten. Gewöhnlich begleitete ihn die Königin Luise dabei. Oft genug sprach sie auch mit den Leuten, die gekommen waren, sie zu sehen oder zu begrüßen. Noch lange erzählte man sich dann in der Gegend von der Königin Luise. So reiste sie einst in Pommern. In einem Dorfe wurde der Wagen von Landleuten umringt; der Ortsschulze trat an den Schlag heran und bat die Königin, eilte Weile auszusteigen, denn sie möchten doch ihre Landesmutter auch „traktieren" (zu essen geben); die Stadtleute dächten sonst, sie hätten allein das Vorrecht. Da verließ die Königin den Wagen, trat in das zu ihrem „Traktement" eingerichtete Bauernhaus und aß fröhlich vou dem aufgetischten Eierkuchen.
Über den Einzug des Königspaares in Magdeburg erzählt ein Mann, der als Kind mit dabei war: „Es war uns Kindern streng verboten, uns in das Getümmel zu wagen; aber wie wäre da Halten gewesen! — Das Haus war von seinen Bewohnern geleert und nur der Hut einer alten Wärterin anvertraut. Der vorbeizukommen, hielt nicht schwer. Rasch hatte ich die Tür hinter mir und war mit den letzten Nachzüglern auch im vollen Rennen nach dem Brücftor. Aber in der Nähe desselben kamen uns glänzende Equipagen entgegengefahren, nach flutete der Volksstrom dem Fürstenwalle (einer Straße) zu; von diesen Wogen wurde auch ich gefaßt, nun fchwamm ich mit der Flut und wurde von ihr ruckweife auf die Stirn des Walles befördert. Dort stand Kopf an Kopf, und es schien fast unmöglich, bis zum Gouvernementsgebäude vorzudringen, in welchem die Majestäten abgestiegen waren. Aber was wäre einem vor Neugier brennenden Knaben in folchem Falle unausführbar! Gehend und kriechend, schiebend und geschoben, stoßend und gestoßen schrotete ich mich durch die schwarze Menschenmasse hindurch. Ich gelangte endlich glücklich, wenn auch etwas gequetscht, an einen Ort, wo ich nun unter den Vordersten gerade der großen Salontüre gegenüberstand, in welcher die Herrscher erscheinen mußten, wenn sie sich, wie jedermann erwartete, dem Volke zeigen wollten. Da stand ich also auf der glücklichen Stelle. Bald zeigte sich ein reizendes Schauspiel. Die Königin trat in die Salontüre. Ich erinnere mich ihres Anzuges noch ganz deutlich; sie trug einen stahlgrün seidenen Überrock und war übrigens ohne Schmuck, einfach gekleidet. Das Volk begrüßte sie jubelnd, Mützen und Hüte schwenkend. Sie verneigte sich mit holdseliger Freundlichkeit nach allen Seiten, und nun wurde ich Zeuge eines Auftritts, der wohl verdient, erzählt zu werden. Auf silberner Platte wurde ihr eine Tasse dargeboten; sie nahm sie und frühstückte. Ein Herr mit mehreren Sternen auf der Brust näherte sich ihr aus der Tiefe des Salons und schien des Augenblicks zu warten, wo er ihr nach beendetem Frühstück die Tasse abnehmen durfte. Plötzlich aber fah die Königin empor, daun mit un-
6. Friedrich Wilhelm III. und die Königin Luise. 27
glaublicher Freundlichkeit nach dem Volke. Ihr Blick fiel auf ein Kind, mit welchem die Wärterin sich auch unter den Vordersten befand. Die Schönheit des Kindes mochte ihr gefallen und das lange goldgelbe Lockenhaar des Kleinen. Sie winkte erst mit dem Finger; da aber niemand die liebenswürdige Natürlichkeit dieser Gebärde begriff, so sagte sie jemand, der hinter ihr stand, etwas, worauf der Diensttuende gegangen kam und der Wärterin befahl, ihm mit dem Kinde zur Königin zu folgen. ■ Die arme Person wurde blutrot, gehorchte zitternden Schrittes und sah sich dabei unterweilen nach der Menge um, als wollte sie sagen: Ich maße mir diese Ehre nicht an. Inzwischen wollte der Herr mit den Sternen der Königin die Tasse abnehmen; sie lehnte es aber ab, neigte sich dem Kinde, welches unbefangen umher lächelte, entgegen, faßte seine Händchen, streichelte ihm die Wangen und gab ihm bann aus ihrer Tasse in dem Teelöffel zu kosten. Sie fragte bie Wärterin nach dem Alter des Kindes, nach feinen Eltern und was dergleichen mehr war. Alles diefes geschah in der Entfernung weniger Schritte oou dem Platze, wo ich stand, so daß ich diese Einzelheiten genau merken konnte. Man begreift, welchen Eindruck der Vorgang im Volke machen mußte, bei dem eine Königin sich so lieblich mütterlich gegen ein fremdes Kind bezeigte. Es wurde nicht gerufen oder sonst laute Freude an ben Tag gelegt, aber rings um mich hörte ich murmeln, daß das noch eine Königin sei, wie sie sein müsse."
5. Jena und Auerstedt. Die glücklichen Jahre gingen schnell dahin. Gar bald kam eine böse Zeit. Preußen geriet in Krieg mit dem Kaiser Napoleon von Frankreich. Die preußischen Heere zogen den französischen entgegen. Luise begleitete ihren Gemahl mit hinaus in den Krieg. Nach Thüringen hinein ging es. Über Naumburg kamen sie nach Erfurt und von hier nach Weimar. Dort zog sich das preußische Heer zusammen. Wo Luise sich den Truppen zeigte, wurde sie mit lauten Rufen der Begeisterung empfangen. Das flößte ihr wohl Vertrauen zu ihrer Armee ein; sie sah aber auch die besorgten Mienen der höheren Offiziere und die Ratlosigkeit der .Heerführer. Denn es waren Meldungen gekommen, daß die Franzosen schon ganz nahe bei Weimar ständen. Man hielt das preußische Herrscherpaar nun nicht mehr sicher in Weimar; namentlich durfte die Königin hier nicht bleiben. Ein verdienter General übernahm es, sie zu bitten, das Heer zu verlassen und nach Berlin zurückzukehren. Schweren Herzens willigte Luise ein, und in der Frühe des auderu Morgens, es war am 14. Oktober 1806, reiste sie in stürmischer Eile von Weimar ab. Der nächste Weg nach Berlin über Halle war schon nicht mehr sicher; sie mußte über Erfurt, Langensalza, Mühlhausen, Heiligenstadt fahren. Und während ihr 'Wagen auf der Landstraße dahinrollte, schlug der Donner der Kanonen von den Schlachtfeldern von Jena und Auerstedt an ihr Ohr. Sie erfuhr es aber noch nicht, daß die preußischen Heere hier vollständig besiegt wurden.
6. Luise auf der Flucht. Von Heiligenstadt ging die Flucht um den Harz herum nach Braunschweig und weiter über Magdeburg, Tangermünde und Brandenburg. Hier erreichte ein Eilbote ihren
28 6. Friedrich Wilhelm III. und die Königin Luise.
Wagen und übergab ihr einen Brief, den ein Adjutant des Königs geschrieben hatte. Er enthielt die Worte: Die Schlacht ist verloren, der König lebt! Mit tiefer Bestürzung vernahm die Königin diese Nachricht. Aber schnell faßte sie sich. Jetzt galt es, nach Berlin zu eilen und ihre Kinder zu retteu. Als sie aber hier ankommt, sind ihre Kinder schon fort nach Schwedt ct. O. Die Franzosen seien schon auf dem Marsche nach Berlin, hieß es, und da habe man die königlichen Kinder in der Hauptstadt uicht mehr sicher genug gehalten. In Schwedt tras Luise am andern Tage mit ihren Kindern zusammen. Es war ein trauriges Wiedersehen. „Ihr seht mich in Tränen," rief sie ihren Kindern zu; „ich beweine das schwere Geschick, das uns betroffen hat. Der König hat sich in der Tüchtigkeit seiner Armee und ihrer Führer geirrt, und so haben wir unterliegen müssen." — Und weiter geht die Flucht bis nach Königsberg. Hier erkrankte die Königin am Typhus, und 14 Tage lang schwebte ihr Leben in Gefahr. Es war gerade um die Weihnachtszeit, und die königlichen Kinder hatten ein recht trauriges Weihuachtsfest. Bald erscholl auch noch die Schreckenskunde, daß die Franzosen sich auch Königsberg näherten; und noch einmal mußte die Königin mit ihren Kindern fliehen. Noch todkrank wurde sie in ihren Wagen getragen. Bei Sturm und Schneegestöber ging es'über die knrische Nehrung nach Memel. Drei Tage dauerte diese Reise. In der ersten Nacht lag die Königin in einer Bauernstube, wo die Fenster zerbrochen waren und der Schnee auf ihr Bett wehte. Doch sie überstand die Reise, die Seeluft tat ihr gut, und allmählich erholte sie sich. In Memel blieb die Königsfamilie fast zwei Jahre.
7. Der Friede zu Tilsit. 1807. Bis über die Weichsel zogen die Franzosen durch Preußen. Da mußte Friedrich Wilhelm III. Frieden schließen. In der Stadt Tilsit kam Napoleon mit dem Könige von Preußen und dem Kaiser vou Rußland zusammen, um über den Frieden zu verhandeln. Napoleon wollte Preußen viel Land abnehmen und es fast um die Hälfte verkleinern. Darüber herrschte überall die größte Bestürzung und Trauer. Der König wußte sich nicht zu helfen. Da kam man auf den Gedanken, daß Napoleon vielleicht zu einem günstigeren Frieden bereit fei, wenn die Königin Luife ihn darum bitten würde. Es wurde der Königin sehr schwer, vor Napoleon zu erscheinen, den sie haßte wie keinen anderen Menschen; aber für ihr Land war sie bereit, alles zu tun. Napoleon empfing sie mit königlichen Ehren und war höflich gegen sie; die edle Erscheinung der Königin machte auch auf ihn einen großen Eindruck, uud er hat sie später uicht wieder beschimpft, wie er das vorher genug getan hatte. Aber Luise erreichte bei ihm nichts; beim Abschiede sagte er ihr nur: Wir wollen sehen. Napoleon ging von seinen harten Bedingungen nicht ab: er nahm Preußen alles Land westlich der Elbe und machte daraus ein Königreich Westfalen, das er seinem Bruder gab. Dazu mußte Preußen noch sehr hohe Kriegskosten zahlen.
8. Der Tod der Königin Luise. Im Winter 1809 kehrte die königliche Familie wieder nach Berlin zurück. Luise hatte sich sehr
7. Napoleons Zug nach Rußland. 29
danach gesehnt. Das rauhe Klima Ostpreußens bekam ihr nicht. Mit herzlicher Freude wurde sie in Berlin empfangen. Bald aber sollten wieder Tage der Trauer kommen. Schon seit Jahren hatte sich Luise gewünscht, ihren alten Vater in Strelitz zu besuchen. Im Sommer des Jahres 1810 wurde ihr endlich dieser Wunsch erfüllt. Noch einmal fühlte sie sich ganz glücklich. Aber bereits wenige Tage nach ihrer Ankunft wurde sie tu dem Lustschlosse Hohenzieritz bei Strelitz krank, eine schwere Lungenentzündung befiel sie. Die geschicktesten Ärzte wurden au ihr Krankenlager gernsen, aber keiner konnte sie retten. Wenige Stunden vor ihrem Tode kam der König mit seinen zwei ältesten Söhnen Fritz und Wilhelm. Das war ihre letzte Freude. Bald darauf starb sie, am 19. Juli 1810. Im Mausoleum zu Charlottenburg liegt sie begraben. Der tiefgebeugte König ließ über ihrer Gruft ein herrliches'Marmorbild anfertigen, das sie schlafend darstellt. Das preußische Volk aber hat feine edle Königin Luise nicht vergessen.
7. Napoleons 3ug nach Rußland.
1. Bis nach Moskau. Im Sommer des Jahres 1812 zog Napoleon nach Rußland, um auch dieses Reich einzunehmen. Er hatte ein Heer zusammengebracht, wie es die Welt noch nicht gesehen hatte. Auch viele deutsche Soldaten mußten seinen Fahnen folgen. Tag für Tag kamen da lange Truppenzüge durch unser Land. Die Russen erwarteten den Feind an der Grenze; aber gegen eine solche Übermacht konnten sie nicht standhalten. Sie zogen sich zurück, und damit es dem nachfolgenden Heere Napoleons an Lebensmitteln fehlen sollte, verwüsteten sie alles vor ihm her. Immer tiefer drang die „Große Armee" ins weite russische Reich hinein, bis sie nach der Stadt Moskau kam. Hier dachte Napoleon den Winter über zu bleiben. Seine Armee hatte in Rußland bereits furchtbar gelitten; durch Gefechtsverluste, Hitze und Kälte, Hunger unb Entbehrung, Krankheit und Fahnenflucht war sie auf 100 000 Mann zusammengeschmolzen. Unb mit 500 000 Mann war Napoleon in Rußlonb hineingezogen! Nun sollten bie Solbüten sich hier ausruhen unb sich stärken für ben Felb-zng im nächsten Jahr. Aber es kam anbers. Als sie in Moskau einzogen, waren bie Straßen still unb leer, niernanb zeigte sich in ben Häusern, alles war wie ausgestorben. Auch bie Vorräte an Lebensmitteln waren zum größten Teil fortgeschafft. Wenn bie Solbaten sich in bie Häuser legten, brannten biese nach kurzer Zeit nieber. Balb entstaub hier, balb ba eine Feuersbrunst. Heimlich kamen bie Russen aus ihren Verstecken hervor unb zünbeten bie Häuser an. Dann lagerten bie Solbaten in ben breiten Straßen unb auf ben großen freien Plätzen. Nun entstaub an verschiebenen Stellen ber Stabt Feuer, so baß bie französische Armee sich schleunigst aus ber Stabt retten mußte. Die Winterquartiere waren ihnen grünblich verbothen.
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7. Napoleons Zug nach Rußland.
2. Rückzug aus Rußland. Was nun? Weiter ziehen konnte Napoleon nicht, da der rassische Winter hereinbrach, den seine Soldaten nicht gewöhnt waren. Gern hätte er nun Frieden geschlossen; aber die Russen sprachen: Jetzt soll der Krieg erst losgehen. Da blieb ihm nur der Rückzug übrig. Aber welches Elend erwartete ihn jetzt! Die Russen sorgten dafür, daß die französischen Armeen ans demselben Wege zurückziehen mußten, auf dem sie gekommen waren. Da lagen die Dörfer verwüstet, kaum war eine Hütte zu finden, in der man hätte rasten können. Dazu kam die Kälte des russischen Winters, der in diesem Jahre ungewöhnlich früh und hart eintrat. Die Kälte stieg auf 30°. Unaufhörlich schneite es. Mühsam arbeiteten sich die Soldaten durch den tiefen Schnee hindurch, Wagen und Geschütze blieben darin stecken. Dazu wurde das Heer von den russischen Kosaken umschwärmt, die an solche Kälte gewöhnt waren. Bald lösten sich da die Regimenter aus, von Zucht und Ordnung war nicht mehr die Rede. Jeder suchte sich selbst zu retten, keiner kümmerte sich um den andern. Hunderte und Tausende blieben vor Ermattung liegen und standen nicht wieder auf. Jeden Morgen lagen Haufen Erfrorene um die niedergebrannten Wachtfeuer.
Bald verließ Napoleon sein Heer. Im Schlitten eilte er durch Deutschland nach Paris. Hier und da war er in Deutschland erkannt worden, so in Glogan in Schlesien und in Dresden. Um die Weihnachtszeit verkündete eine Pariser Zeitung, der Kaiser fei bei bester Gesundheit in seiner Hauptstadt eingetroffen.
In den ersten Tagen des neuen Jahres kamen die vordersten Flüchtlinge der „Großen Armee" in Deutschland an. Ein Augenzeuge schildert sie mit folgenden Worten: „Ungeordnete Haufen aus allen Truppengattungen, ohne Kommandoruf und Trommelschlag, lautlos wie ein Totenzug, nahten sie sich der Stadt. Der Mehrzahl waren Ohren und Nasen erfroren, erloschen lagen die dunklen Augen in ihren Höhlen. Die Bekleidung zerlumpt und unsauber, aus den Kleidungsstücken der Bauern und ihrer Frauen ergänzt. Jeder hatte umgehängt, was er gefunden, um eine Hülle gegen die Kälte zu haben. Viele hatten die Füße mit Stroh umwickelt, mit Decken und Lappen, mit dem Fell der Tornister und dem Filz der Hüte. Lahm und hinkend wandelten sie daher, auf Stöcke gestützt. Wurden sie in ein Zimmer geführt, so drängten sie sich mit Gewalt an den heißen Ofen; gierig verschlangen sie das dargereichte Brot und die warmen Getränke. Einzelne vermochten nicht aufzuhören, bis sie starben. Hinter ihnen her aber sangen die Knaben:
Es irrt durch Schnee und Wald umher Trommler ohne Trommelstock,
Das große mächtige Franzenheer. Kürassier im Weiberrock,
Der Kaiser auf der Flucht. Flüchtling ohne Schuh,
Soldaten ohne Zucht.
Mit Mann und Roß und Wagen, So hat sie Gott geschlagen.
Nirgend Rast und Ruh.
Mit Mann und Roß und Wagen, So hat sie Gott geschlagen.
8. Die Zeit der Befreiungskriege. 31
8. Die Zeit der Befreiungskriege.
1. Der Anfang der Befreiungskriege. Napoleons Heer war in Rußland vernichtet. Mit seiner Macht schien es vorbei zu sein. Nun. wollte auch Preußen nicht länger seine Herrschast ertragen. „Lieber sterben, als durch die Franzosen verderben," so sagte man. Damit der König Friedrich Wilhelm III. viele Soldaten bekäme, erließ er einen Aufruf. „Der König ries, nnd alle, alle kamen," heißt es in einem Liede aus damaliger Zeit. Ans ganz Deutschland kamen Freiwillige, die in das Heer eintreten wollten. Wer nicht mit in den Kamps ziehen konnte, half dnrch Gaben; denn der König gebrauchte auch viel Geld, um die Soldaten ordentlich auszurüsten. Viele Eheleute gaben sogar ihre goldenen Trauringe her; sie bekamen dafür eiserne mit der Inschrift: Gold gab ich für Eisen. Frauen ließen wohl ihr langes Haar abschneiden und verkauften es, um das Geld dafür ein den Sammelstellen abzuliefern. Jeder wollte zur Vertreibung der Franzosen beitragen. So leicht ging das aber doch nicht. Napoleon hatte in Frankreich ein neues Heer zusammengebracht, mit dem er nun aufs neue gegen Preußen zog.
2. Die Schlacht bei Leipzig. In den ersten Schlachten war Napoleon auch noch Sieger geblieben, in einigen war er dagegen schon besiegt worden. Die Hauptschlacht aber war bei L e i p z i g. Das war eine gewaltige Schlacht. Fast alle Völker Europas standen sich hier gegenüber; darum hat man diese Schlacht auch wohl die Völkerschlacht genannt. Denn mit den Preußen hielten es auch die Ruffen, Österreicher und Schweden. Drei Tage dauerte die Schlacht, am 16., 18. und 19. Oktober. Schon am 16. Oktober wurde zehn Stunden gekämpft. Von dem Donner der Kanonen zitterte die Erde, und in Leipzig zersprangen unzählige Fensterscheiben. Fast schien es, als würde Napoleon siegen, und schon hatte er einen Boten in die Stadt gesandt, der hier die Siegesnachricht versündigen sollte. Aber am Abend mußten seine Soldaten wieder zurück. Am 17. Oktober, einem Sonntage, fing Napoleon mit den verbündeten Mächten zu unterhandeln an, um mit ihnen Frieden zu schließen; aber sie gingen auf feine Vorschläge nicht ein. Für die Armeen war dieser Tag daher ein Ruhetag. Aber früh am 18. Oktober begann der Kampf von neuem. Immer dichter umschlossen die Verbündeten das französische Heer und die Stadt Leipzig; ein Dorf nach dem andern wurde von ihnen erobert. Abends gegen 5 Uhr erteilte Napoleon den Befehl zum Rückzug auf Leipzig. Die Nacht hindurch blieb er in ber Stadt, während Teile feines Heeres schon nachts aus bem westlichen Tore ber Stabt abzogen. Am Vormittage bes folgenben Tages griffen die Verbündeten die Stadt Leipzig an. Mittags drangen sie in die Stadt ein, in der noch Tausende von Franzosen waren, die sich nicht so schnell hatten retten können und nun gefangen genommen wurden.
Schwer waren bie Verluste; viele Tausenb lagen tot aus dem Schlachtfelde, und kaum vermochten die Häufer in der Stadt Leipzig und in den benachbarten Orten die Verwundeten zu faffen. Aber groß, war auch der Sieg: Deutschland war wieder frei.
32 8. Die Zeit der Befreiungskriege.
Über die Leipziger Schlacht heißt es in einem Liede:
Bei Leipzig trauert das Mordrevier,
Das manches Auge voll Tränen macht;
Da flogen die Kugeln wie Winterflocken Und Tausenden mußte der Atem stocken Bei Leipzig, der Stadt.
Die Welschen hat Gott wie die Spreu zerstreut,
Die Welschen hat Gott verweht wie den Sand;
Viele Tausende decken den grünen Rasen.
Die übrig geblieben, entflohen wie Hasen,
Napoleon mit.
Am 18. Oktober 1913 ist hier das Völkerschlachtdenkmal eingeweiht.
3. Belle-Alliance. Mit der Herrlichkeit Napoleons war es nun ans. Die Preußen folgten ihm nach Frankreich hinein; er wurde abgesetzt und nach der Insel Elba geschickt. Aber nicht lauge dauerte es, da war er von der Insel entflohen. Er kam nach Frankreich, und die Franzosen nahmen ihn wieder als Kaiser auf. Bald hatte er auch wieder ein Heer, und der Exieg mußte nun aufs neue beginnen. Der eilte Feld marschall Blücher war mit seinen Preußen der erste, der über den Rhein ihm entgegenzog. Von der Nordsee kam ein aus Engländern und Hannoveranern bestehendes Heer unter dem englischen Feldherrn Wellington. Mit diesem wollte sich Blücher vereinigen. Napoleon aber gedachte beide Heere einzeln zu schlagen. Zuerst griff er Blücher an und besiegte ihn. Daun wandte er sich gegen Wellington. Bei dem Pachthofe Belle-Alliance kam es am 18. Juni 1815 zur Schlacht. Aber Wellingtons Truppen standen wie die Mauern; sie schlugen einen Angriff nach dem andern ab. Die französischen Geschütze hatten schon furchtbare Lücken in ihre Reihen gerissen; aber Wellington hoffte auf die Hilfe Blüchers, der ihm Unterstützung zugesagt hatte. Doch die Wege waren vom Regen so durchnäßt, daß Blücher nur langsam vorwärts kommen konnte. Alle Augenblicke saß eine Kanone fest in dem tiefen Schlamm. Blücher sprengte von einer Truppe zur andern und ermunterte sie. „Vorwärts, Kinder, vorwärts," sagte er. „Es geht nicht, Vater Blücher," antworteten dann wohl die Soldaten. Er aber sagte: „Kinder, es muß gehen, ich habe es ja meinem Freunde Wellington versprochen." Unterdes schwebte Wellington in ber größten Gefahr. Auch 26 Reiterregimenter hatte Napoleon gegen ihn gesandt. Der Boden erdröhnte von den Hufen der 10 000 Pferde. Doch noch hielten die Truppen stand. Da endlich, um ^5 Uhr, erscholl Kanonendonner hinter dem französischen Heere. Das war der alte Blücher. Neuer Mut belebte Wellingtons Soldaten. Vergeblich war nun alle Anstrengung der Franzosen; bald warfen sie auch ihre Gewehre weg und suchten Rettung durch die Flucht. Fast wäre Napoleon selbst von preußischen Reitern gefangen genommen worden; sein Wagen mit Hut, Degen und Orden fiel ihnen zur Beute.
Znm zweiten Maie wurde Napoleon abgesetzt und verbannt, jetzt nach der einsamen Felseninsel S t. Helena im Atlantischen Ozean. Hier ist er nach einigen Jahren auch gestorben.
9. Blücher, der Feldmarschall Vorwärts. ZZ
9. Llücher, der Feldmarschall Vorwärts.
1. Blüchers Jugend. Von allen Feldherrn Preußens zur Zeit der Befreiungskriege ist Blücher am bekanntesten geworden. Er ist zu Rostock in Mecklenburg geboren. Sein Vater besaß ein Gut, und auch er sollte Landwirt werden. Aber die Arbeit auf dem Felde paßte ihm nicht, und die Bücher in der Schule gefielen ihm erst recht nicht. Dagegen machte es ihm Vergnügen, auf dem wildesten Rosse zu reiten oder mit einem Boot durch die hochgehenden Wogen der Ostsee zu fahren. Als er einmal schwedische Husaren gesehen hatte, ließ er seinen Eltern keine Ruhe, bis sie ihm erlaubten, in das schwedische Heer einzutreten. Er war damals erst 15 Jahre alt. Im Siebenjährigen Kriege kämpften die Schweden gegen die Preußen; in einem Gefecht waren schon alle Schweden geflohen, nur Blücher war noch nicht vom Platze gewichen. Das ärgerte einen preußischen Husaren, und er rief ihm zu: „Wart, Bübchen, ich will dich schon kriegen!" Er sprengte auf ihn los, schoß ihm das Pferd tot und brachte ihn gefangen zu dem preußischen Oberst. Diesem gefiel der mutige Jüngling, und er fprach zu ihm: „Bleibe bei uns und werde preußischer Husar!" Blücher war damit einverstanden und zog preußische Uniform an.
2. Blücher als preußischer Soldat. Im Siebenjährigen Kriege zeigte sich Blücher tapfer, und bald ernannte ihn Friedrich der Große zum Rittmeister. Doch machte er in seinem Übermut auch viele tolle Streiche, und als er einmal in eine höhere Stelle hätte aufrücken können, wurde ein anderer ihm vorgezogen. Darüber ärgerte sich Blücher und fchrieb dem Könige einen groben Brief. Der alte Fritz ließ sich das
nicht gefallen und verfügte: „Der Rittmeister von Blücher kann sich
zum Teufel scheren." Blücher wurde nun Landwirt. Aber er fand an diesem Beruf keine Freude, es zog ihn zu den Soldaten. Er wäre gern wieder in das Heer eingetreten, doch Friedrich der Große wollte nichts von ihm wissen. Erst unter seinem Nachfolger wurde er wieder angestellt. Nun zeigte er wie früher seinen alten Mut. Nach der unglücklichen Schlacht bei Jena war er ber Führer der letzten Braven, die sich kühn nach Norbert bis Lübeck burchschlugeu unb sich hier erst ergaben, weil sie weder Pulver noch Lebensrnittel hatten. ■— Ausrichtig verehrte er die Königin Luise. Bei ihrem Tobe brach er in bie Worte aus: „Wenn M die Welt in bie Luft flöge, mir wär's gleich," und an einen Freunb schneb et: „Ich bin wie vom Blitz getroffen. Sie muß vor uns zu gut gewesen sein. Schreiben Sie mich, ich bebarf Uffmuuterung. In meiner jetzigen Stimmung ist mir nichts lieber, als baß ich erfahre bie Welt brenne an allen vier Enben."
, p; Blücher in den Befreiungskriegen. In bett Befreiungskriegen
hat Blucher sich bett ehrenvollen Beinamen „Marschall Vorwärts" erworben. Zuerst nannten seine Solbaten ihn nach ber Schlacht an ber Etzbach (1813) so. Er stctttb auf ber einen Seite bes Flusses, bie Franzosen auf ber attbern. Diese wußten nicht, baß Blücher so nahe ?aY’ J?rr-91D§ äogen sie über bie Katzbach. Als ein Teil herüber war, )agte Blücher: „Jetzt habe ich genug Franzosen herüber, nun vorwärts."
Kaiser-Heine, Lehrbuch der Geschichte. I. o
34 10. Die ersten deutschen Eisenbahnen und die erste deutsche Lokomotive.
Und mit lautem Hurra giug's auf den Feind. Der Regen floß tu Strömen herab; die Gewehre waren zum Schießen schon nicht mehr zu gebrauchen. Da faßten die Preußen sie bei dem Lauf au tmd schlugen mit dem Kolben auf die Franzosen. Bald konnten diese nicht mehr widerstehen und flohen der Katzbach zu. Aber wehe, der hochangeschwollene Fuß sperrte ihnen den Weg. Verzweifelt stürzten sich oiele in die Wogen und fanden darin ihren Tod. — Nach der Schlacht bei Leipzig war Blücher der erste, der mit feinem Heere über den Rhein nach Frankreich hineinzog. Er war kein Freund vou laugem Beraten; er zog es vor, auf den Feind loszugehen und dreinznschlagen. Sein Freund Gneifeuau dagegen war ruhig und bedächtig, der sann die Schlachtpläne aus, die Blücher mit dem Schwerte durchführte. Als eitt-mal in eiuer Gesellschaft Rätsel ausgegeben wurden, sagte Blücher: „Jetzt will ich auch einmal ein Rätsel aufgeben: Wie kann man seinen eigenen Kopf küssen?" Keiner konnte es erraten. Da küßte er Gueifeuau, indem er sagte: „Das ist mein Kopf." —
Im Jahre 1819 ist er gestorben.
10. Die ersten deutschen Eisenbahnen itiii) die erste deutsche Lokomotive.
1. Die ersten deutschen Eisenbahnen. Als man das Jahr 1830 schrieb, hörte man iu Deutschland, daß es in England Wagen gebe, die ohne Pferde dahinliefen; sie würden von einer Dampfmaschine gezogen, und das gehe viel schneller, als wenn Pferde davorgespannt wären; damit die schweren eisernen Räder nicht in den Boden einsänken, wären auf der Straße eiserne Schienen gelegt, auf denen liefen sie, daher hießett sie auch Eisenbahnen. Da wünschten viele Leute in Deutschland, namentlich die Kaufleute, daß auch bei uns solche Eisenbahnen gebaut würden, ttttd es bildeten sich in bett großen Städten Vereine, bie Eisenbahnen bauen wollten. Es gab aber auch Leute, bic von ber neuen Erfindung nichts wissen wollten. Die Bauern hatten Augst, baß ber Kohlengeruch ber Maschine ihre Felder vergiften würbe. Die Arzte behaupteten, burch bas schnelle Fahren würben bic Leute krank werben. Ein Winbmüller, att bessen Mühle eine Eisenbahn vorüber gehen sollte, klagte sogar, bie Eisenbahn würde ihm den Wmb nehmen. Der preußische Generalpostmeister in Berlin fürchtete, daß die Eifcnbahn seine Posten verdrängen würde unb sagte: In Preußen bars keine Eisenbahn gebaut werden. Anders dachte der Kronprinz von Preußen, der spätere König Friedrich Wilhelm 1^ .; er jagte: „Diesen Karren, ber burch bie Welt rollt, hält keine Menschenhand mehr auf. Hub er hat recht behalten. Die erste deutsche Eisenbahn wurde iu Bayern zwischen Nürnberg und Fürth gebaut (1835). Dauu ging es auch in Preußen los. Zwischen Berlin und Potsdam wurde gemessen; es kamen Leute mit Hacke und Spaten; eiserne Schienen wurden wie Wagengeleise nebeneinander gelegt, und schließlich war die Bahtt fertig.
10. Die ersten deutschen Eisenbahnen und die erste deutsche Lokomotive. Z5
2. Die Eröffnung der Eisenbahn Berlin-Potsdam. Es war im
Oktober 1838, als die erste preußische Eisenbahn, die zwischen Berlin und Potsdam, feierlichst eröffnet wurde. Ganz Berlin war auf den Beinen, um dies Ereignis sich anzusehen. Auf dem Bahuhofe stand aus eisernen Geleisen der schwarze Dampfwagen; er stöhnte und ächzte und schien schwer zu atmen, und aus dem hohen Schornstein stieg dicker Rauch auf. Hinter ihm standen mehrere Wagen, ähnlich den Postwagen, die an ihn angehängt waren und die er ziehen sollte; sie waren an den Seiten offen, einige anch oben, das waren die billigsten. Von allen Seiten wurde das neue Verkehrsmittel angestaunt; daß Wagen ahne Pferde dahinlaufen sollten, war doch gar zu wunderbar! Nur eins wollte manchem nicht gefallen, daß nämlich die Bahn von Engländern gebaut, die Lokomotive in England gekauft war und daß ein englischer Lokomotivführer auf der Lokomotive stand.
^ 3. Borsig verfertigt eine Lokomotive. Unter denen, die den
Dampfwagen sich genauer betrachteten, war auch ein Berliner Maschinenbauer mit Namen Borsig. Er hatte zuerst in einer Eisengießerei und Maschinenfabrik gearbeitet, war bann Werkführer in der Fabrik geworden unb hatte nun vor zwei Jahren eine eigene kleine Maschinenfabrik gegriinbet. Er war fehr strebsam; bah ei* hatte ihn bie großartige Erfindung des Engländers Stephenfon, eine Maschine zu bauen, die sich auf der Straße vor- und rückwärts bewegen kann, fchvn lebhaft beschäftigt. Aber die Engländer hüteten sehr streng das Geheimnis der Erfindung und ließen die Leute nicht einmal nahe an den Dampfwagen herantreten. Borsig setzte mm in seiner Werkstatt die Versuche, eine Lokomotive zu bauen, mit erneutem Eifer fort, und 6okang es ihm. Das Modell, das er seinen Ingenieuren und Werkführern zeigte, setzte diese in Erstaunen. Unverzüglich wurde nun an die Ausführung der Maschine in Eisen geschritten. Es war noch mcht ent Jahr seit jener Bahneröffnung verstrichen, da stand das neue Dampfroß fertig da; bei enter Probefahrt auf einem kurzen Geleise im Hofe der Fabrik bewährte es sich aufs beste. Mit Stolz blickte Borsig aus fern Werk und rief freudig aus: Sie ist eine Lokomotive, sie geht!
4. Die Erprobung der ersten öotomolive. In freudiger Erregung schrieb er der Eisenbahndirektion, daß er eine Lokomotive hergestellt habe und ersuchte sie, sie zu prüfen. Doch nun kam die Enttäuschung Die Direktion teilte ihm mit, daß sie mit einer englischen Maschinenbauanstalt einen Vertrag abgeschlossen habe und daher seine Maschine mcht gebrauchen könne; auch habe sie zu deutschen Maschinen wemg Vertrauen. Aber Borsig sollte doch zum Ziele gelangen. Gleich nach der Berlin - Potsdamer Bahn wurde die sogenannte Anhalter Eisenbahn von Berlin über Wittenberg nach Dessau gebaut; und die Direktion dieser Bahn wollte eme Prüfung der neuen Borsigschen Lo omotive vornehmem Der 24. Juni 1841 ward zur Probefahrt bestimmt. Schon am Sage vorher wurde die Lokomotive nach dem B chnhofe gebracht. Die ganze Nacht harrte Borsig hier bei seinen Arbeitern aus um die Lokomotive richtig instand zu setzen und dann anzuheizen. Eme große Anzahl sachverständiger Leute fand sich ein,
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auch englische Ingenieure. Zur bestimmten Stunde bestieg Borsig seinen Eisenrenner. Mit stolzer Sicherheit bewegte sich die erste deutsche Lokomotive vorwärts. Von ihrem Erbauer selbst gelenkt, brauste sie an dem Bahnsteig vorüber, eine Strecke die Bahn entlang, dann int schnellsten Laufe zurück, und auf einen Wink stand sie in der Halle still. Stürmischer Beifall empfing Borsig, nur die Engländer machten lange Gesichter. Die Sachverständigen sprachen sich einstimmig dahin ans, daß die Borsigsche Lokomotive als durchaus gelungen anzuerkennen sei. Diesen Tag zählte Borsig zu den schönsten seines Lebens. Borsig bekam nun den Auftrag, alle Lokomotiven für diese Eisenbahn zu liefern.
5. Borsig, der Lokomotivenkönig. Bald nahmen auch andere Eisenbahnen ihre Lokomotiven von Borsig. Schon 5 Jahre nach dem Bau der ersten Lokomotive wurde die hundertste fertig und nach weiteren zwei Jahren die zweihundertste, im Jahre 1854 die fünfhundertste. Immer weiter dehnten sich die Räume seiner Fabrik aus; schließlich wurden sie so groß, daß sie ganz aus Berlin nach dem Vororte Tegel hin verlegt werden mußten. Trotz seines großen Reichtums lebte Borsig einfach und bescheiden. Seine Arbeiter nannten ihn „Vater Borsig", während er sonst wohl „der Lokomotivenkönig" genannt zu werden pflegte. Er starb schon im Jahre 1854, bald nach der Fertigstellung der fünfhundertsten Lokomotive. Seine Kinder fetzten sein Werk fort, und taufende von Lokomotiven find seitdem aus der Borfigscheu Fabrik hervorgegangen. _
Nach Borsig entstanden auch in nitdent Städten Fabriken, die Lokomotiven bauten.
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A. Der Irrrrz Withekm.
1. Aus seiner Jugendzeit. Der spätere Kaiser Wilhelm I. ist am 22. März 1797 geboren. Er war der zweite Sohn Friedrich Wilhelms III. uud der Königin Luise. Als kleines Kind war er recht schwächlich, und seine Mutter hatte oft große Sorgen um ihm Aber die Königskinder mußten sich in Paretz uud auf der schönen Pfaueninsel bei Berlin viel in frifcher Luft umhertummeln, dabei turnte er fleißig, uud so wurde er kräftiger.
"Die frohe Kinderzeit war bei ihm nur kurz. Als er 9 ^ahre alt war, wurde Preußen von Napoleon besiegt, und die königliche Familie mußte fliehen, zuerst nach Königsberg und dann nach Memel. Das war eine harte Zeit, auch für die Prinzen. Erst nach 3 Iahten konnten sie nach Berlin zurückkehren. Aber bald darauf, als Prinz Wilhelm 13 Jahre alt war, starb feine Mutter; das war des Knaben größter Schmerz. Er hat sie nie vergessen und noch als Greis oft an
sie gedacht. , „ . ™,rr ,
Als der Krieg im Jahre 1813 begann, wollte auch Prinz Wilhelm gern mit ins Feld ziehen. Aber fein Vater sagte. „Du bist noch so
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schwächlich, du kannst noch nicht mit." Das war ihm nicht recht, aber er fügte sich. Nach der Schlacht bei Leipzig erhielt er die Erlaubnis, den Krieg mitzumachen. Der siebzehnjährige Prinz zeigte viel Mut und Unerschrockenheit, so daß ihm sein Vater für sein tapferes Verhalten das Eiserne Kreuz verlieh.
2. Vermählung. Im Jahre 1829 vermählte sich Prinz Wilhelm mit der Prinzessin Angusta von Sachsen-Weimar. Sie hat ihm fast 60 Jahre treu zur Seite gestanden und namentlich für Arme und Kranke viel Gutes getan. In den Kriegen Preußens sorgte sie dafür, daß die Verwundeten gut gepflegt wurden und «ahnt sich der Frauen und Kinder der im Felde stehenden Soldaten an. Dem prinzlichen Paar wurden zwei Kinder geboren: ein Sohn, Prinz Friedrich Wilhelm, der spätere Kaiser Friedrich, und eine Tochter, Luise, die später deu Großherzog vou Baden heiratete.
3. Wilhelm wird König. Prinz Wilhelm war der zweite Sohn Friedrich Wilhelms III., deshalb konnte er nicht hoffen, einst König zu werden. Er widmete sich daher ganz dem Heere und war mit Leib und Seele Soldat. Da aber sein älterer Bruder, König Friedrich Wilhelm IV., keine Kinder hatte, so wurde Prinz Wilhelm spater auch mit zu den Regierungsgeschäften herangezogen; denn nach dem Tode seines Bruders mußte er König werden. Das kam schneller als er dachte. Zu Anfang des Jahres 1861 starb sein Bruder, und mm wurde Wilhelm König von Preußen.
B. per König Wtthekm I. a) Dev dänische Krieg.
1. Ursache des Krieges. Die heutige Provinz Schleswig-Holstein bildete früher zwei Herzogtümer und hatte eigene Herzöge. Später aber, als die Herzogsfamilien ausstarben, wählten beide Länder den König vou Dänemark zu ihrem Herzog; er mußte ihnen jedoch versprechen, daß sie deutsch und selbständige Herzogtümer bleiben sollten und daß er sie nie zu Dänemark bringen wolle. Da kam im Jahre 1863 ein neuer König aus den dänischen Thron, der wollte Schleswig ganz zu einer dänischen Provinz machen. Dagegen wehrten sich die Deutschen, und dabei kamen ihnen die deutschen Nachbarn, namentlich die Preußen und die Österreicher zu Hilfe. So entstand im Jahre 1864 der dänische Krieg.
2. Erstürmung der Düppeler Schanzen. In der Nähe der Ostseeküste bei dem Dorfe Düppel erhebt sich eine Hügelkette, die leicht zu einem 'schu^wall für das dahinter liegende Land werden kann. Hier wollten sich die Dänen gegen die herankommenden Preußen und Österreicher verteidigen. Sie hatten ans den Hügeln noch 10 Schanzen aufgeworfen und sie dicht mit Kanonen besetzt.' Vor den Schanzen waren Gräben gemacht, Drahtzäune waren gezogen, Pfähle in die Erde geschlagen, woraus scharfe Messer steckten, Eggen lagen da mit nach oben gekehrten scharfen Spitzen; und fo dachten die Dänen, die Schanzen seien uneinnehmbar.
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Am 18. April erstürmten die Preußen sie. Schon in der Nacht vorher hatten die Soldaten die ihnen angewiesenen Stellungen eingenommen. Morgens um 10 Uhr ertönte ein schmetterndes Hornsignal, und mit lautem Hurra brachen die Soldaten aus den schützenden Gräben im Laufschritt gegen die Schanzen oor. In wenigen Minuten sind sie dort angelangt. Sie werfen sich nieder mit) eröffnen ein wohlgezieltes Feuer auf die Schanzen. Ihnen folgen die Mannschaften mit Pulversäcken zur Sprengung des Pfahlwerks, mit Leitern, Brettern, Beilen, Schaufeln und Hacken. Aber auch das Feuer der Dänen knattert auf die Anstürmenden herab. Eine Schanze wird besonders hart verteidigt; säst stockt der Angriff. Da tritt Pionier Klincke mit seinem Pulversack an den Schanzzaun und ruft: „Durch müßt ihr, Kameraden, und wenn es mein Leben kostet." Er zündet den Pulversack au, sinkt aber auch in demselben Augenblick tot nieder. Alle Pfähle sind auseinander gerissen, durch die Lücke dringen die Stürmenden ein. Ans einer andern Schanze pflanzt Feldwebel Propst die preußische Fahne auf; er wird in den rechten Arm geschossen; da ergreift er mit dem linken Arm den Säbel, um das Siegeszeichen zn verteidigen. Von einer Kugel und einem Bajonettstich tödlich getroffen, sinkt er endlich bei der Fahne nieder. Solchem tapferen Mute gelang das schwere Werk. Eine Schanze nach der andern wird genommen, um 12 Uhr flattert die schwarzweiße Fahne ans allen.
Einige Monate später wurde Friede geschlossen. Schleswig-Holstein blieb deutsches Land; es sollte von Preußen und Österreich gemeinsam regiert werden.
b) Dev deutsche Krieg von 1866.
1. Ursache des Krieges. Seit den Befreiungskriegen tat Lster-reich so, als ob Deutschland auch noch zu Österreich gehöre. Der Kaiser von Österreich und seine Minister wollten auch in Deutschland gebieten. Es war ihnen nicht recht, daß Preußen ebenso mächtig geworden war wie Österreich. Am liebsten hätten sie Preußen wieder klein gemacht. Auch viele deutsche Fürsten, wie die von Hannover, Hessen, Sachsen, Bayern, Württemberg waren neidisch auf Preußen und hielten es mit Österreich. An die Zukunft Deutschlands dachten sie dabei nicht. Ihnen war der Vorschlag Österreichs auch gauz recht, aus Schleswig-Holstein einen besonderen Staat zu machen und einen eigenen Herzog an dessen Spitze zu stellen. König Wilhelm von Preußen und sein Minister Bismarck aber verfolgten das Ziel, Deutschland zu einem einigen Reich zu machen. Darum konnten sie auch nicht zugeben, daß hier im Norden ein neuer Staat entstehen sollte; vielmehr verlangten sie, daß Preußen die Herrschaft über Schleswig-Holstein haben müsse. Sie sahen zwar ein, daß Österreich sich das nicht gefallen lassen würde; aber um Deutschland einig und stark zu machen, hielten sie es für das beste, Österreich nicht nur ans Schleswig-Holstein, sondern ganz ans Deutschland herauszuwerfen; und so entstand der Krieg, den man den deutschen Krieg nennt. Zu Preußen hielten in diesem
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Kriege Mecklenburg, Oldenburg und die thüringischen Staaten, alle andern deutschen Fürsten standen auf Österreichs Seite.
2. Ter Krieg in Norddeutschland. Um zunächst die feindlichen Nachbarn iu Deutschland zn beseitigen, rückten die preußischen Heere schnell in Sachsen, Hannover und Hessen ein. Der König von Sachsen war mit seinem Heere nach Böhmen zu den Österreichern gezogen. Der Kurfürst von Hessen sandte seine Truppen zu den Süddeutschen, er selbst wurde auf der Wilhelmshöhe bei Kassel gefangen genommen. Der König von Hannover wollte seine Armee auch zu den Bayern über-sühren, wurde aber durch die Schlacht bei Langensalza am 27. Juni 1866 daran verhindert. Zwar siegten die Hannoveraner in der Schlacht; aber schou am folgenden Tage wurden sie rings von preußischen Truppen umschlossen, so daß sie sich den Preußen ergeben mußten.
Aus der Schlacht bei Langensalza.
Ein greiser Bürger von Langensalza hatte vier Söhne beim Krieg; der jüngste stand bei den Einnndsiebzigern. Als der Vater hörte, daß sein Sohn beim Siechenhause ausgestellt sei und in der drückenden Hitze fast verschmachtete, da machte er sich trotz seiner achtzig Jahre und trotz der pfeifenden Kugeln auf den Weg, um feinen Liebling mit Effen und Triukeu zu erquicken. Allein er fand ihn nicht. Wie er auch spähte uud forschte, — alles vergebens. Mit schwerem Herzen kehrte er heim.
Endlich war die Schlacht zu Ende. Der Abend dämmerte bereits. Bon den zurückgehenden Preußen hatte keiner den Vermißten gesehen. Da läßt es dem Vater keine Ruhe. Er macht fich abermals auf uud schreitet zitternd durch das Leichenfeld. Hier ächzt ein Verwundeter, dort starrt ihn ein Toter an. Nicht weit vom Abdeckerhäuschen aber liegen Einuudsiebziger. Vou einer entsetzlichen Ahnung gefoltert, beugt er sich zu jedem Leichnam nieder uud fragt jeden Verwundeten und ruft den Namen feines Sohnes in die stille Nacht hinaus. Endlich hört mau eineu gellenden Schrei: „Rudolf!" Der Vater hat den Sohn gefunden, aber die geliebten Züge sind, bereits erstarrt, und der Vater drückt dem Toten die Augen zu.
3. Die Schlacht bei Königgrätz. Drei andere preußische Armeen drangen über die Sudeten in Böhmen ein. Hier kam es mit den Österreichern zu schweren Kämpfen. Die blutigste Schlacht war bei K ö u i g-g r ä tz am 3. Juli 1866.
^Die Österreicher hielten eine Hügelkette besetzt; vor ihnen zog sich ein Flußtal hiu. In der Mitte vor ihnen lag am Flusse das Dors S a d o w a , oben auf den Höhen C h l n m und weiter zurück an der Elbe Königgrätz. Die anrückenden Preußen mußten das Flnßtal durchschreiten, wobei sie schutzlos dem österreichischen Feuer ausgesetzt waren. Dazu kam noch, daß nicht alle preußischen Armeen zur Stelle waren. Der Kronprinz, der den weitesten Weg hatte, stand noch 30 km weit entfernt. Noch in der Nacht mußte ein Offizier ihm den Befehl überbringen, feine Truppen so schnell als möglich nach dem Schlachtfelde
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zu führen. Früh am Morgen schon begann der Kampf. Von den Höhen, wo die Österreicher standen, donnerten 600 Kanonen auf die angreifenden Preußen. Wie lichteten sich da ihre Reihen! Aber sie hielten sich wie Helden; immer von neuem drangen sie vor und trotzten dem furchtbaren Kugelregen. Gegen 11 Uhr war das Flußtal in den Händen der Preußen. Aber nun kam erst die schwerste Aufgabe: die Anhöhen hinan! Das war unmöglich; denn die feindlichen Kugeln prasselten auf sie nieder wie ein Regen von Eisenstücken. Nicht ein Mann wäre von ihnen lebendig hinaufgekommen. Zurück aber wollten sie nicht; sie mußten daher liegen bleiben, wo sie waren, um abzuwarten, bis der Kronprinz mit seiner Armee von Norden her den Österreichern in die Seite komme. Aber wo blieb der Kronprinz? Es wurde Mittag, und uoch war nichts von ihm zu sehen. Da wurde mancher besorgt, und fragend sah König Wilhelm auf Moltke. Der aber rauchte gelassen seine Zigarre und sagte zuversichtlich: „Majestät werden heute nicht nur die Schlacht, sondern auch den Feldzug gewinnen." Endlich, um 1 Uhr, hörte man weit von links her Kanonendonner; und nun hieß es: Der Kronprinz ist da! Seine Truppen erstiegen von Norden her die Höhen und eroberten die hier so furchtbar wirkenden feindlichen Kanonen und das Dorf Chlnm. Nun rückten auch die im Tale stehenden Truppen von Westen gegen die Hügel vor. Die Österreicher mußten den Rückzug antreten, aus dem bald eine wilde Flucht wurde. Die Preußen hatten die Schlacht gewonnen. König Wilhelm durchritt das weite Schlachtfeld und wurde überall von den ermatteten Soldaten mit brausendem Hurra empfangen. Erst spät abends fand er den Kronprinzen, durch dessen rechtzeitiges Erscheinen die Schlacht gewonnen wurde; tiefbewegt reichte er ihm die Hand.
4. Folgen des Krieges. Durch den deutschen Krieg bekam Preußen die Provinzen Schleswig-Holstein, Hannover, Hessen-Nassau und die Stadt Frankfurt a. M. Alle Staaten nördlich vom Main traten zu dem Norddeutschen Bunde zusammen; das Oberhaupt des Bundes war der König von Preußen. Österreich hatte in Deutschland nichts mehr zu sagen.
c) Der deutschfranxöstsche Krieg 1870—71.
1. Ursache des Krieges. Über Preußens Siege und Preußens Macht ärgerten sich am meisten die Franzosen; sie selbst hatten keine Taten aufzuweisen und traten daher ganz in den Hintergrund, und das konnten sie nicht leiden. Sie suchten daher nach einem Vorwande, um mit Preußen Krieg anfangen zu können, in dem sie, wie sie meinten, Preußen leicht besiegen würden. Und bald fand sich auch ein Grund. Die Spanier hatten ihren König vertrieben und suchten nun nach einem neuen König; da wollten sie den Prinzen Leopold von Hohenzollern wählen, einen entfernten Verwandten vom Könige Wilhelm. Darüber entstand aber in Frankreich große Aufregung; die Hohenzollern, hieß es, seien in Preußen schon so mächtig geworden, und nun sollte ein anderer Hohenzoller auch an der Südgrenze Frankreichs König werden! Das
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durfte nicht geschehen. Schon redete man in Paris von einem Kriege gegen Preußen. Aber da erklärte der Prinz von Hohenzollern, daß er die Krone Spaniens gar nicht annehmen wolle. Doch waren die Franzosen damit noch nicht zufrieden. Sie schickten ihren Gesandten zu König Wilhelm, der damals gerade als Kurgast zu Ems weilte, und verlangten, König Wilhelm solle in einem Schreiben an ihren Kaiser Napoleon III. erklären, er werde niemals zugeben, daß ein hohen-zollernscher Prinz König von Spanien werde. Eine solche Zumutung lehnte der König bestimmt und entschieden ab, und als der Gesandte noch eine Unterredung mit ihm wünschte, ließ der König ihm sagen, daß er ihm nichts weiter mitzuteilen habe. Das sahen die Franzosen für eine große Beleidigung an und erklärten am 19. Juli 1870 an Preußen den Krieg.
2. Deutschlands Kriegsmacht. In Frankreich rechnete man mit der alten Uneinigkeit Deutschlands und meinte, Sachsen und die süddeutschen Staaten würden nicht mit Preußen halten. Aber sie hatten sich geirrt. Deutschland war einig. Alle Staaten rüsteten zum Kampfe und stellten ihre Tnppen unter den Oberbefehl des Königs von Preußen. Bald waren alle kriegsfertig. Mvltke und Roon hatten alles aufs sorgfältigste vorbereitet. Unaufhörlich führten die Eifenbahnzüge Soldaten, Pferde und Kanonen nach Westen. Aus den Wagen aber erscholl es: „Lieb Vaterland, magst ruhig sein, fest steht und treu die Wacht am Rhein." Auf allen Bahnhöfen wurden die Krieger mit Jubel empfangen; Gauner und Frauen eilten herbei nnd boten ihnen Erfrischungen dar. Bald standen über 450 000 Mann an der Grenze.
3. Die ersten Schlachten. Gespannt lauschte mau in Deutschland aus die ersten Kriegsnachrichten. Gleich anfangs kamen einige ungünstige: Die Franzosen waren am 2. August in die deutsche Grenzstadt Saarbrücken eingerückt, die kleine Besatzung von etwa 1000 Mann hatte sich, wie ihr vorgeschrieben war, kämpsend auf die heranrückende Armee zurückgezogen. In Frankreich jubelte man über diesen großen Sieg und veranstaltete Freudenfeste; aber diese deutsche Stadt sollte die einzige bleiben, die in die Hände der Feinde siel. Schon an demselben Tage rückten die Deutschen über die Grenze, und Frankreich wurde der Kriegsschauplatz. Am 4. August wurden die Franzosen bei Weißenburg und am 6. bei Wörth besiegt. Bald räumten sie auch Saarbrücken wieder und besetzten die hinter der Stadt liegenden Spichernen Höhen; aber in einer blutigen Schlacht erstürmten die Deutschen die Höhen (auch am 6. August), und die Franzosen mußten sich weiter zurückziehen.
Ein schmerzliches Wiedersinden.
Unter den Gefallenen auf den Spichernen Höhen war auch Hauptmann v. Manstein, ein Sohn des ebenfalls im Felde stehenden Generals v. Manstein. Der Vater erfuhr den Tod des Sohnes erst am andern Tage. Wie er den toten Sohn auf dem Schlachtfelde fand, darüber schreibt ein Offizier:
„Wir lagen im Biwak nahe bei dem Schlachtfelde. Nicht weit
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von unserm Lagerplatze war ein schlichter Hügel, geziert mit einem roh zusammengeschlagenen Kreuz. Ich war eben im Begriff, hinzugehen, um zu sehen, wer dort begraben sei, als ein General mit wenigen Leuten sich dem Grabe näherte, die sich anschickten, das Grab zu öffnen.
Ich fragte einen Mann vom 77. Regiment, was das bedeute, und erfuhr, daß ihm eben ein General auf der Chaussee begegnet sei, der ihn gefragt habe: ,9hm, mein Sohn, habt ihr viel Verluste gehabt?' .Jawohl, Exzellenz, es sind sehr, sehr viele geblieben!' ,Bei' welcher Kompagnie stehst du?1' Der Soldat nannte die Nummer. ,Lebt euer Hauptmann noch?' .Nein, er und der größte Teil unserer Leute sind gefallen/
^ Das Gesicht des Generals hatte schmerzhaft gezuckt, und eine Träne war seinem Auge entquollen: der Vater hatte den Sohn verloren! Nun wußte ich, um was es sich handelte.
Inzwischen war das Grab geöffnet. Unsere Leute nahmen den Toten heraus und wuschen das entstellte Gesicht ein wenig ab. Lange schaute der Vater auf das bleiche Antlitz des tapferen Sohnes, endlich drückte er einen Kuß auf die erkaltete Stirn. Dann wandte er sich ab und gab die nötigen Anordnungen zur Besorgung eines Sarges."
4. Die Schlachten bei Metz. Nach den ersten Verlusten zogen sich die Franzosen auf die Festung Metz zurück. Hier iu der Umgebung von Metz sind die schwersten Schlachten des ganzen Krieges geschlagen, am 16. August bei M a r s l a T o u r und am 18. August bei G r a o e -l o t t e. Die französische Armee mußte sich in die Festung Metz zurückziehen, und die Deutschen belagerten sie hier.
Über die Schlacht bei Mars l a Tour schreibt eilt Mitkämpfer:
„Wir stehen vor dem Feinde. Hinter Hecken und Verhauen liegt er versteckt und ist nur am Ausblitzen seiner Schüsse zu erkennen. Grauer Pulverdampf hängt tief aus dem Gelände; über unsern Köpfen rast der Geschützkampf. In den Ton der sausenden und platzenden Granaten mischt sich das Kimtteru der Mitrailleusen und das Pfeifen der Chassepots. Unsere Zündnadelgewehre können den Feind noch nicht erreichen. Die Verluste häufen sich. Major v. Hennings hält mit dem Bataillonsadjutanten, jede Deckung verschmähend, hinter der Schützenlinie und erteilt mit großer Ruhe seine Befehle. Eben steigt er vom Pferde, da durchbohrt eine tödliche Kugel seinen Hals. Leutnant Zieger will ihn mit zwei Musketieren hinter eine zerbrochene Protze schaffen, dabei wird einer der Träger erschossen. Hauptmann v. Mvnbart, dem bereits das Pferd unter dem Leibe getötet uud dessen Arm durch zwei Schüsse gestreift ist, übernimmt die Führung des Bataillons. Alles ist jetzt bemüht, in dem fürchterlichen Feuer Deckung zu finden. Nur der Regimentstambour Meuzhauseu steht noch aufrecht, schwingt seinen Trommelstock und feuert feine Kameraden an. Erst als ihm eine Kugel den Stock in der Hand zerschossen und eine andere seinen Helm durchlocht hat, wirst er sich nieder, ergreift ein Gewehr und feuert lebhaft mit. Immer neue Regimenter werden vom Feinde vorgeschoben; die Schützen müssen verstärkt werden; unser Zug schwärmt in die Schützen-
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linie. Mit anderen Bataillonen zusammen unternehmen wir einen Vorstoß und nähern uns dem Feinde bis ans 400 m. Die Kolonnen des Feindes überschütten uns mit ununterbrochenem Saloensener; dennoch gelingt es uns, die gewonnene Stellung zu behaupten. 20 Mitraillensen 'richten jetzt ihr Feuer gegen unsere Kompagnien, davon treffen 4 unsere Flaute von einer Straße aus, in deren Gräben sich feindliche Schützen eingenistet haben. Plötzlich verstärkt sich das feindliche Feuer zu noch nicht dagewesener Höhe. Die schon einmal abgelösten französischen Schützen erhalten durch Garderegimenter aufs neue Ablösung und Unterstützung. Unter dem verstärkten Feuer ihrer Batterien unternehmen sie einen Vorstoß. Er wird trotz der Übermacht zurückgewiesen; die Garde weicht zurück in die Schlucht; der beabsichtigte Durchbruch ist gescheitert. So lagen wir von 5 bis 7 Uhr in dem furchtbarsten Feuer. Da faheu wir, daß ein Teil der Bediennugsmann-fchaften von den feindlichen Batterien flüchtet. Jetzt ist es Zeit, die Geschütze zu nehmen. Seit vier Stunden haben sie Tod und Verderben in unsere Reihen geschleudert. Hauptmann v. Monbart voran; wir mit kräftigem Hurra hinterdrein, hinab in die Schlucht, den jenseitigen Hang hinan! Wir sehen dem Gegner ins Weiße des kluges. Fast sind die Vordersten an den Geschützen. Da erscheinen neue französische Kolonnen und überschütten uns, die wir bereits gänzlich erschöpft sind, mit mörderischem Nahseuer. Unsere Kompagnien^stutzen — und sie müssen zurück nach der Schlucht, überschüttet vom Feuer des Feiudes. Einer stürzt uach dem andern; unserm Kompagnieführer zerschmettert ein Granatsplitter die Stirn. Unser Feldwebel sammelt, selbst blutend, die kleine Schar hinter einem Waldvorsprnnge." ^
5. Sedan. Als die geschlagenen französischen Truppen in Metz eingeschlossen waren, suchte ein anderes feindliches Heer sie zu befreien. Aber die Deutschen kamen den Franzosen zuvor und griffen sie an, ehe sie Metz erreichten. Bei Sedan kam es daher am 1. September zu einer großen Schlacht. Die Deutschen waren so marschiert, daß sie in weitem Umkreise rings um Sedan standen und das französische Heer ganz umzingelt hatten. Sedan liegt in einem Tale an der Maas, rings um die Stadt ziehen sich Hügel hin. Ans den Höhen hatten die Deutschen ihre Kanonen stehen. Früh am Morgen, als noch dichter Nebel im Tale lag, sing der Kamps südlich von Sedan bei den Bayern an. Bald wurde es auf den andern Seiten lebendig. Immer näher rückten die Deutschen an Sedan heran. Die Franzosen kämpften mit Todesverachtung, um aus der Umklammerung herauszukommen. Schließlich suchten sie durch gewaltige Reiterangrisse eine Lücke in den Eisenring zu reißen, der sie umschloß. Welle auf Welle brauste heran, und Welle auf Welle zerrauu, nur tote Reiter, tote Rosse, Verwundete und Sterbende zurücklassend. Dazu donnerten unaufhörlich die Kanonen, statt des Nebels bedeckten jetzt dichte Rauchwolken das Tal von Sedan. Da mit einem Mal, etwa um 5 Uhr nachmittags, schweigt der Donner der Schlacht, eine säst unheimliche Stille tritt ein. Vor dem Tore der Stadt erscheint ein französischer Offizier mit weißer Fahne und wünscht zu König Wilhelm geführt zu werden. Gleichzeitig hatte König
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Wilhelm in die Stadt einen deutschen Offizier hineingeschickt und ber Festung und ber Armee Übergabe anbieten laffen. Der französische Offizier brachte König Wilhelm einen Brief Napoleons, barin stand: „Da es mir nicht vergönnt war, an ber Spitze meiner Truppen zu sterben, lege ich meinen Degen in die Hände Eurer Majestät."
Am andern Morgen suchte Napoleon zunächst Bismarck auf. Die]er schreibt darüber an seine Gemahlin: „Gestern früh 5 Uhr weckte mich der (französische) General Reille, den ich kenne, um mir zu sagen, daß Napoleon mich zu sprechen wünschte. Ich ritt ungewaschen und ungefrühstückt gegen Sedan, fand den Kaiser im offenen Wagen mit 3 Adjutanten und 3 zu Pferde daneben haltend. Ich faß ab, grüßte ihn ebenso höflich wie in den Tuilerien und fragte nach seinen Befehlen. Er wünschte den König zu sehen; ich sagte ihm der Wahrheit gemäß, daß Seine Majestät drei Meilen davon, an dem Orte, wo ich jetzt schreibe, sein Quartier habe. Aus Napoleons Frage, wohin er sich begeben solle, bot ich ihm mein Quartier in Donchery an, einem kleinen Orte dicht bei Sedan. Er nahm es an und fuhr, von feinen sechs Franzosen, von mir und von Karl (dem Burfchen), ber mir inzwischen nachgeritten war, geleitet, burch ben einsamen Morgen nach unserer Seite zu. Bor bem Orte würbe es ihm leib wegen ber möglichen Menschenmenge, und er fragte mich, ob er in einem einsamen Arbeiter-haufe am Wege absteigen könne. Ich ließ es besehen und stieg dann mit ihm eine gebrechliche enge Stiege hinaus. In einer Kammer von 10 Fuß Geviert, mit einem sichtenen Tische und zwei Binsenstühlen, saßen wir eine Stunde, die andern waren unten. Ein gewaltiger Gegensatz mit unserm letzten Beisammensein 1867 in den Tuilerien. Unsere Unterhaltung war schwierig, wenn ich nicht Dinge berühren wollte, die den von Gottes gewaltiger Hand Niedergeworfenen fchmerz-lich berühren mußten."
Dann fuhr Bismarck mit Napoleon nach einem Schlößchen in der Nähe, das der inzwischen benachrichtigte König Wilhelm zu einer Zusammenkunft bestimmt hatte. König Wilhelm schreibt an seine Gemahlin über die Begegnung: „Ich stieg vor dem Schlößchen ab, wo der Kaiser mir entgegenkam. Der Besuch währte eine Viertelstunde; wir waren beide sehr bewegt über dieses Wiedersehen. Was ich alles empfand, nachbem ich noch vor 3 Jahren Napoleon aus bem Gipfel seiner Macht gesehen hatte, kann ich nicht beschreiben." Napoleon wurde dann als Gefangener nach Wilhelmshöhe bei Kassel geschickt.
Über den Eindruck, den die Gefangennahme Napoleons auf die Truppen machte, fchreibt ein Teilnehmer des Krieges: „Das Ereignis rief einen grenzenlosen Jubel hervor. Die tausendstimmigen jubelnden Hurras wollten kein Ende nehmen, patriotische Lieder wurden gesungen, und die Regimeuts-musiken spielten überall: ,Nun danket alle Gott/"
Uber das Aussehen des Schlachtfeldes nach dem Kampfe bei Sedan schreibt ein Mitkämpfer: „Ich erbat mir Urlaub zur Besichtigung des Schlachtfeldes. Zunächst ging ich nach dem zerschossenen und noch immer brennenden Bazeilles hinein (südlich von
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Sedan, wo die Bayern gekämpft hatten). In dem Orte sah es ganz schauderhaft aus; nichts als Trümmer, wankende Mauern, -brand, Blut und Leichen. Die letzteren fahen zum Teil unter Manertrummern hervor, zum Teil lagen sie auf den Straßen herum. Fast allen waren Kopfhaar uud Kleider abgesengt, so daß man in den dunkelblau und dunkelgrau angelaufenen Körpern die schwarzen Kugellocher sah. dz*
waren meist Bayern. , . , ,
Auf dem Marktplatze stand die Marne (Bürgermeisteramt) noch in vollen Flammen. Mitten auf dem Platze lag das kupferne Zifferblatt der Kirchturmsuhr. Daneben zwei bayrische Krankenträger, trotz des Genfer Krenzes, das sie am Arm trugen, erschossen. Auch rn den rauchenden Trümmern der Kirche halbverkohlte Leichname bayrischer feiger und Infanteristen. Über den Marktplatz bewegte sich jetzt ein eigenartiger Zug. Inmitten starker bayrischer Jnfanteriebedeckuug, die ein Offizier führte, schritten, die Hände auf dem Rücken gebunden, 21 Zivilisten, darunter auch mehrere Frauen, die man tags zuvor mit den Waffen in der Hand gefangen hatte und die nun, nachdem das Kriegsgericht über sie das Todesurteil gesprochen, abgeführt wurden, um erschossen zu werden. Und trotz dieser Strenge siel eben, als der traurige Zug an uns vorüber war, aus dem Kellerloche eines Hanfes wiederum ein Schuß. Gin ^rnpp Bayern eilte im Lausschritt hin, schlug die Tür ein und drang in das Haus. Wir mochten nicht sehen, was sich da noch weiter ereignete, hatten auch keine Lust, uns hinterrücks aus irgend einem Kellerloche heraus totschießen zu lassen und
gingen weiter. , .
Wir kamen an dem Massengrabe vorüber, in das eben die Toten unseres Regiments eingebettet wurden, die man dort zusammengetragen hatte. Sie lagen alle) wie sie gefallen und erstarrt waren. Der eine im Laufschritt vorwärts eilend, der andere zusammengekauert, der dritte wieder die Arme nach Dorne ausgestreckt und so fort. Ein Feldwebel wurde zuerst in die tiefe Grube gelegt; er hatte zwei Schüsse durch den Kopf, noch die weißen Handschuhe an und sah aus, als schlafe er. Neben ihn legte man andere. Als die unterste Reihe voll war, wurden Mäntel darüber gedeckt, und dann begann man auf den Mänteln mit der zweiten Reihe. Doch nun hatte ich genug, und wir eilten, von der traurigen Stätte fortzukommen.
Auf dem Rückwege nach dem Biwak kamen wir an einer Lehmgrube vorbei, die französische Infanterie in der Hitze des Gefechts in Verteidigungszustand gesetzt hatte. Jetzt lag die gesamte Besatzung tot herum. Nach den Verwundungen zu schließen, mußten wohl mehrere Granaten dazwischen gefahren sein.
Nicht weit davon lag ein Trupp toter Zivilisten, in bie ebenfalls eine Granate geschlagen war, Männer und Frauen. Tragkörbe mit allerhand Hausrat und mehrere Bündel mit Betten lagen zerstreut umher, und ein Hund, der dabei gekauert hatte, floh, als wir ankamen."
6. Die Festungen. Nach der Gefangennahme Napoleons bei Sedan war der Krieg noch nicht zu Ende. Noch war ein großes französisches Heer in der Festung Metz eingeschlossen; bis Ende Oktober
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11. Aus der Zeit Wilhelms I.
dauerte die Belagerung, da ergab sich die Festung. (Siliert Monat früher, Ende September schon, hatte sich S t r a ß b u r g ergeben. Auch Paris, die stärkste Festung der Welt, wurde belagert. Das war eine schwere Arbeit und dauerte lauge. Weihnachten und Neujahr feierten die deutschen Soldaten noch vor Paris. Während der langen Belagerung waren in Paris aber die Nahrungsmittel knapp geworden, denn die deutschen Truppen ließen niemand in die Stadt hinein. Eine Hungersnot brach aus. Da mußte die stolze Stadt sich Ende Januar ergeben, und die Deutschen zogen als Sieger ein.
7. Deutschland wird ein Kaiserreich. In diesem Kriege hatten alle deutschen Staaten zusammengehalten und hatten Schulter an Schulter gegen den gemeinsamen Feind gekämpft. Es hatte sich gezeigt: Eintracht macht stark. Da wurde der Wunsch laut, daß Deutschland auch äußerlich ein Ganzes bilde und unter einem Oberhaupt vereinigt werden möchte. Während der Belagerung von Paris baten Vertreter des deutschen Volkes und die deutschen Fürsten den greisen Siegeshelden, den König Wilhelm von Preußen, die Würde eines deutschen Kaisers anzunehmen. Er erklärte sich dazu bereit, und in dem französischen Kaiserschlosse zu Versailles vor Paris wurde er in Gegenwart vieler deutschen Fürsten und Heerführer am 18. Januar 1871 feierlich zum deutschen Kaiser ausgerufen.
8. Friede. Als Paris sich Ende Januar ergeben hatte, war der Krieg aus. Es wurde zunächst eilt Waffenstillstand geschlossen, dem der ' endgültige Friede folgte. Frankreich mußte Elsaß-Lothringen an Deutschland abtreten und hohe Kriegs-f si st e n bezahlen.
Die Sieger kehrten nun heim und wurden überall festlich empfangen. Mit wehenden Fahnen nitd klingendem Spiel zogen sie wieder ein in die Städte der Heimat, die sie vor etwa 3 4 Jahren verlassen hatten. Ehrenpforten erhoben sich in den Straßen, durch die sie kamen, Blumen und Kränze flogen aus den Fenstern auf sie herab, und eine freudig bewegte Menge stand dicht gedrängt an den Seiten, um sie zu begrüßen. Freilich floß daheim im stillen Stübchen auch manche Träne; nicht jeder, der ausgezogen war, kehrte zurück; viele ruhen draußen in fremder Erde und sehen ihre Heimat nicht wieder.
C. Der Kaiser Wilhelm I.
1. Wie der Kaiser lebte. Kaiser Wilhelm I. war schon 74 Jahre alt, als er Kaiser ward. Aber seine hohe Stellung war für ihn nicht bloß eine fchöne Würde, sondern sie brachte ihm auch viel Arbeit. Trotz seines Alters war er unausgesetzt tätig, um seine Pflichten zu erfüllen. Schon früh zwischen 5 und 6 Uhr stand er auf. Den ganzen Vormittag arbeitete er, las Briefe und horte die Vorträge feiner Minister. Nachmittags fuhr er etwas spazieren, und von 3 bis 5 Uhr war wieder Arbeitszeit. Dazwischen kamen dann auch noch allerlei Reisen zu Denkmalseinweihungen und andern Festlichkeiten. Abends besuchte er
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häufig das Theater. Wenn es viel zu tun gab, arbeitete er auch noch
des Nachts.
2. Seine Einfachheit. Der Kaiser wohnte in Berlin m dem einfachen Palais am Eingänge der Straße „Unter den Linden". Wenn am Mittage die Wache mit Musik vorüberkam, stand der Kaiser meist am Fenster seines Arbeitszimmers. Das wußten die Leute, mit) weiden Kaiser sehen wollte, stellte sich hier auf und sah um diese Zeit
nach dem „historischen Eckfenster", wie man das Fenster nannte, sobald der Kaiser am Fenster erschien, zogen alle den Hut und verbeugten sich, der Kais-er aber daukte freundlich. — Der Kaiser schlief stets in einem eisernen, einfachen Feldbett, das er auch auf Neisen mitnahm. Als er einst im französischen Kriege nach einem Ort kam, wo alle Häuser mit Kranken und Verwundeten angefüllt waren, hatte man siir den Kaiser mit vieler Mühe eine kleine Stube mit Bett, Tisch und Stuhl zum Nachtquartier gefunden. Da fragte er einen Offizier: „Wo bleiben Moltke und Bismarck?" Der Offizier sagte: „Bis jetzt noch nirgends!" Da jagte der Kaiser: „So laden Sie Moltke und Bismarck ein, die stillen hier mit lagern. Aber das Bett nehmen Sie weg; das brauchen die Verwundeten. Für uns drei lasten Sie Stroh und Decken bringen." So schlief ber Kaiser die Nacht hier aus einem Strohlager.
Seine Kleiber trug er sehr lauge. Eiust bat ihn fein Diener um seinen abgelegten Rock. Freundlich fragte ihn der Kaiser: „Wieviel Gelb bekommst bit für biefen Rock?" „Sechs bis neun Mark," sagte ber Diener. Da meinte ber Kaiser: „Hier hast du bas Gelb! Den Rock aber will ich noch eine Weile tragen." — Als ber Kaiser nach Ems ins Bab reisen wollte, schlug man ihm vor, er möge seinen alten abgenutzten hellen Überzieher durch einen neuen ersetzen. Der greise Monarch aber erklärte, der Überzieher sei noch ganz gut_ unb genüge. Bei sonnigem Wetter in Ems angekommen, sah der Kaiser die Unzulänglichkeit seines alten Überziehers aber doch ein unb gab Befehl, einen neuen in Berlin zu bestellen. Der ungläubige Schneider des Kaisers aber traute ber Sache nicht unb fragte telegraphisch an, ob es auch wirklich wahr fei, baß Majestät einen neuen Überrock haben wolle?
3. Der Kaiser und die Soldaten. Bis in sein Alter hinein blieb ber Kaiser Soldat mit Leib und Seele. Sein Heer immer vollkommener zu machen, war mit seine Hauptsorge. Wenn er eine Truppenbesichtignng ober eine Parabe angesetzt hatte, so hielt ihn nicht Winb nrtb Wetter davon zurück. Im Kriege teilte er alle Mühen unb Gefahren mit feinen Solbaten. Gern besuchte er bie Lazarette. Einmal kam er in einem Lazarett zu einem Solbaten, ber an bem Tage gerabe seinen Geburtstag hatte. Der König reichte ihm freunblich bie Hanb unb ging weg. Balb barauf aber kam ein Diener bes Königs unb brachte ihm als Geburtstagsgeschenk eine golbene Uhr mit Kette.
4. Kaiser Wilhelms Tod. Je älter Kaiser Wilhelm würbe, besto mehr liebte und verehrte ihn das deutsche Volk. Das zeigte sich namentlich au seinem neunzigsten Geburtstage, der in ganz Deutschland als ein hohes Fest gefeiert wurde. Anfang März 1888 erkältete sich
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der Kaiser. Bald wurde er ernstlich krank. Langsam schwanden seine Kräfte dahin. Die kaiserliche Familie war säst immer bei ihm, auch seine alten Ratgeber Bismarck und Moltke. Am 9. März 1888 starb er. Im Mausoleum zu Charlottenburg liegt er begraben.
Aus dem Kysfhänser, im Herzen Deutschlands, haben die deutschen Krieger ihrem Kaiser ein Denkmal errichtet. Hier in dem Berge, so erzählt die Sage, schläft der alte Kaiser Barbarossa; einst wird er aufwachen und wieder eiu deutsches Reich gründen. Das war nun geschehen. Deutschland war wieder ein Kaiserreich geworden, und Wilhelm I. war der erste Kaiser im neuen Reich. Das will uns das Denkmal sagen.
12. ßismaxfk, Moltke und Koon, drei treue Diener Kaiser Mithelms I. a) Reichskanzler Fürst Bismarck.
1. Bismarck als Knabe. Fürst Otto von Bismarck ist am 1. April 1815 zu Schönhausen a. d. Elbe geboren, wo seine Eltern ein Gut hatten. Aber nur ein Jahr blieb er hier; dann siedelten seine Eltern nach einem andern Gute, nach Kuiephos in Pommern, über. Hier oerlebte Bismarck seine erste Jugend, lind die Ebene Pommerns wuchs ihm aus Herz. In seinem späteren Leben hat er einmcrt von den Gegenden gesprochen, die er liebe: nicht das Gebirge mit seinem Auf- und Absteigen und der beschränkten Aussicht seiner Täler, sondern die Ebenen mit kleinen Hügeln voll hübschen Laubwalds und kleinen Bächen. Er erzählt ferner von den Eichen, unter deren rauschenden Kronen er im Grase gelegen, denkt an den 90jährigen Kuhhirten und sagt: „Wenn er mir ius Gedächtnis kommt, ist mir wie Heidekraut und Wiesenblumen." Doch lernte er auch früh andere Gegenden kennen. Die Eltern nahmen ihn mit nach Berlin, wo sie auch manchmal wohnten. Als er 3 Jahre alt war, durfte er die Mutter auf der Badereise nach Ems begleiten; er kam dabei über Kassel, wo sich ihm schon das Bild von der Wilhelmshöhe ins Gedächtnis prägte.^ Mit 5 Jahren kam er mit nach Thüringen, und die Berge und Burgen hier blieben ebenfalls in seiner Erinnerung. Mit dem siebenten Jahre kam er daun ans eine höhere Schule nach Berlin; hier unterschied er sich nicht von andern Schülern, aber er erhielt immer gute Zeugnisse. Und als er die Schule verließ, lautete das Abgangszeugnis: „Wir entlassen diesen befähigten und wohlverdienten Jüngling mit unsern besten Segenswünschen und der Hoffnung, daß er mit erneutem Eifer an feiner ferneren wissenschaftlichen Ausbildung arbeiten werde."
2. Bismarck als Jüngling und Mann. In Göttingen studierte dann Bismarck Rechtswissenschaft und war darauf eine Zeitlang Referendar. Doch wollte er kein Beamter werden, fondern wurde Landwirt und übernahm die Bewirtschaftung seines Gutes-Kniephof. Von hier aus machte er auch seine militärische Übung. Dabei verdiente
12. Bismarck, Moltke und Roon, drei treue Diener Kaiser Wilhelms I. 49
er sich seinen ersten Orden, nämlich die Rettungsmedaille. Sein Reitknecht hatte eines Tages sein Pferd in die Schwemme geritten, dabei das Gleichgewicht verloren und war im Wasser verschwunden. Großes Entsetzen bei den zahlreichen Zuschauern, aber niemand rührt sich, ihn zu retten. Da springt Bismarck, der zufällig daherkam, ins Wasser, und es gelingt ihm, den Knecht zu packen; der aber klammert sich in seiner Todesangst so fest an seinen Retter, daß beide verloren scheinen. Schließlich aber bringt Bismarck doch noch den Bnrfchen und sich in Sicherheit. Für diese Tat verlieh ihm der König die Rettungsmedaille. Bismarck hat dieses Ehrenzeichen stets hoch geachtet, uud als ihn einst ein vornehmer Herr spöttisch nach der Bedeutung des einfachen Ordens fragte, erwiderte Bismarck: „Ich habe die Gewohnheit, zuweilen einem Menschen das Leben zu retten."
3. Bismarck als Minister und Reichskanzler. Nach dem Tode seines Vaters bekam Bismarck das Gut Schönhausen, wo er geboren war. Hier wurde er auch Deichhauptmann und hatte die Aufsicht über die Elbdeiche. Dann wurde er Landtagsabgeordneter. Durch feilte Reden, die er im Landtage hielt, wurde König Wilhelm auf ihn aufmerkfam und ernannte ihn im Jahre 1862 zu seinem Minister. Er war nun der höchste Beamte in Preußen und der erste Ratgeber des Königs. Er hat Preußen groß und mächtig gemacht, und ihm haben wir es zu verdanken, daß Deutschland ein Kaisertum und König Wilhelm deutscher Kaiser wurde. Daß es dabei zu blutigen Kriegen kam, war unvermeidlich. Sonst suchte Bismarck den Frieden zu bewahren; er sagte: „Wer nur einmal in das brechende Auge eines sterbenden Kriegers auf dem Schlachtfelde geblickt hat, besinnt sich, bevor er einen Krieg anfängt." Im neuen deutschen Reich wurde Bismarck der erste Reichskanzler. Fast zwanzig Jahre hat er noch für das Wohl des Reichs gearbeitet und es zu immer größeren Ehren gebracht, so daß Deutschland von der ganzen Welt bewundert wurde. Und als einmal ein Feind uns durch Kriegsdrohungen schrecken wollte, sprach Bismarck das machtvolle Wort: „Wir Deutsche fürchten Gott, aber sonst nichts auf der Welt!"
4. Bismarck als Mensch. Bismarck war nach Kaiser Wilhelm der bekannteste Mensch in Deutschland, ja weit über Deutschlands Grenzen hinaus, sogar bei den wilden Völkern in Afrika wurde fein Raute genannt. Seine hünenhafte Gestalt in der Kürassieruniform stand jedem vor Augen, ein Bild von ihm hatte jeder gesehen. So heldenhaft seine Gestalt war, so kühn zeigte sich auch Bismarck bei jeder Gelegenheit. Mit eigener Lebensgefahr rettete er feinen Reitknecht aus dem Wasser. Niemals ging er einer Gefahr aus dem Wege. Mit seinem Könige ist er auf den Schlachtfeldern in Böhmen und in Frankreich gewesen. Dabei besaß er rührenden Familiensinn. Am liebsten war er mit seiner Familie, seiner Gemahlin, zwei Söhnen und einer Tochter, zusammen auf seinen Gütern in Varzin oder in Friedrichsruh; einmal, als seine Angehörigen fort sind, schreibt er seiner Frau: „In der vorigen Nacht mußte ich, so oft ich mich umdrehte, immer daran denken, wie wir über die Welt versprengt worden sind:
Kaiser-Heine, Lehrbuch der Geschichte. I. 4
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du auf ber Eisenbahn in Thüringen durch die Nacht rollend, Herbert auf See, Marie in Berlin, Bill in Hanau, wir hier im Walde (Friedrichsruh). Warum köuuen wir nicht beieinander sein? Das Reisen ist vielen das größte Vergnügen, uns ein Kummer."
Als er nicht mehr Reichskanzler war, wohnte er immer in Friedrichsruh, nicht weit von Hamburg. Hier ist er im Jahre 1898 gestorben. In vielen Städten hat man ihm ein Denkmal errichtet.
Bismarcks Bedeutung: Er war der Berater-Wilhelms I. und Begründer des deutschen Reichs.
b) GeneralfeldnrarschaU von Moltke.
Moltke und Roon waren die militärischen Berater Kaiser-Wilhelms; sie sorgten dafür, daß das preußische Heer stets schlagfertig war.
Helmut Don Moltke ist im Jahre 1800 iu dem mecklenburgischen Städtchen Parchim geboren. Sein Better trat in dänische Kriegsdienste und wurde dänischer Offizier. Auch Helmut v. Moltke wurde iu der dänischen Kadettenanstalt in Kopenhagen zum Offizier vorgebildet. Glänzend bestand er seine Prüfung und wurde dänischer Offizier. Aber schon nach drei Jahren trat er in preußische Dienste. Hier zeichnete er sich so ans, daß er bald in den Großen Generalstab kam, zu dem nur die allertüchtigsten Offiziere genommen werden.
Als Wilhelm I. König geworden war, ernannte er Moltke zum Vorsitzenden des Generalstabes, unb Moltke ward von nun an ein treuer Mitarbeiter an der Größe Preußens und Deutschlands. Er entwarf die Pläne für die Einberufung der Soldaten bei einer Kriegserklärung; jeder einzelne sollte möglichst schnell und sicher an seinen Bestimmungsort kommen und in das Heer eingereiht werden. Ferner sorgte er dafür, daß das Heer tüchtige Ans ü h r e r im Kriege habe; schon in der Friedenszeit wurde alles auf den Krieg vorbereitet. Irrt Kriege dachte er die Marsch- und Schlachtpläne ans; wie sorgfältig er dabei alles überlegte, zeigten am besten die Erfolge. Man nannte ihn deshalb wohl den Schlachtendenker.
Nach dem Kriege 1870 ernannte ihn der König zum General-feldmarfchall; vom dankbaren Vaterlande hatte er schon nach dem siegreichen Feldzuge von 1866 ein Geldgeschenk erhalten, wofür er sich in Schlesien ein Gut kaufte. Zuerst wohnte er hier gewöhnlich nur im Sommer, später wohnte er das ganze Jahr hier. Da er keine Kinder hatte, sah er gern die Kinder seines Neffen um sich, mit denen er scherzte und Haschemann spielte. Einem seiner kleinen Großneffen schenkte er einst zum Geburtstage 20 Mark und schrieb dabei folgenden Brief: „Mein lieber Helmut! Ich habe Dir das Geld geschickt, damit Du beizeiten lernst, mit Geld umzugehen. Wenn Du den ganzen Betrag in Deinem Sparkassenbuch anlegtest, so wärest Du ein Geizhals, wenn Du thu iu kurzer Zeit verläppertest, so wärest Du ein Verschwender; das Richtige liegt in der Mitte. Wenn einem Geld geschenkt wird — später mußt Du es selbst erwerben —, so ist es gerechtfertigt, sich dafür Annehm-
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lichkeiten zu gewähren, aber klug, auch etwas für die Zukunft zu ersparen. Wie Du mit diesen 20 Mark verfährst, so wirst Du einst mit größeren Summen wirtschaften. Wer seine Einnahmen voll ausgibt, wird es zu nichts bringen, wer mehr ausgibt, wird ein Bettler oder ein Schwindler."
Im Jahre 1891 ist Moltke gestorben.
Sein Wahlspruch war:
Allezeit
Treu bereit
Für des Reiches Herrlichkeit!
Moltke hat f ü r das Heer die Marsch- und Schlachtpläne entworfen, die zum Siege geführt haben.
c) Kriegsminister von l\oon.
König Wilhelms Kriegsminister Albrecht von Roon wird wohl
der Waffenschmied des deutschen Reichs genannt. Er hat das scharfe Schwert geschmiedet, das in drei Kriegen Deutschlands Einigkeit herbeiführte.
Geboren ist er im Jahre 1803 bei Kolberg in Pommern. Recht strenge wurde er erzogen, zuerst von seinen Eltern, dann in der Kadettenanstalt, wo er zum Offizier vorgebildet wurde. Früh zeichnete er sich durch Fleiß und Tüchtigkeit aus. Bei seinem Abgange aus der Kadettenanstalt erhielt er ein besonders ehrenvolles Zeugnis. Als Offizier wurde er immer dahin geschickt, wo es schwere Arbeit gab. Im Jahre 1859 ward er Kriegsminister. Als solcher ist er der Schöpfer des heutigen preußischen Heeres geworden. Schon in den nächsten Jahren wurde das Heer um 25 000 Mann vermehrt, und unerbittlich drang er darauf, daß den Regimentern nichts fehle, was zu ihrer Ausrüstung und Verpflegung nötig war. Und glänzend bestand seine Heereseinrichtung bei der Einberufung zu den drei Kriegen 1864, 1866 und 1870 die Probe. In Frankreich hatte der Kriegsminister öffentlich erklärt: „Alles ist bis auf den letzten Knopf bereit!" und dann
fehlte es doch am Nötigsten, und überall herrschte die größte Ver-
wirrung, so daß 10 Tage nach der Kriegserklärung ein Offizier in Paris noch anfragte, ob man nicht wisse, wo sein Regiment sei. Dagegen konnte der preußische Kriegsminister erklären, daß das Kriegsministerium nie so ruhige, sorglose Tage gehabt habe wie nach der französischen Kriegserklärung. Beim Einzuge des siegreichen Heeres in Berlin im Jahre 1871 verlieh ihm Kaiser Wilhelm den Grafentitel und schrieb in sein Wappen den Spruch: „E ch t u n d r e ch t i n R a t u n d T a t." Treffender konnte fein Wesen nicht bezeichnet werden.
„Echt und recht" war er in seinem amtlichen und in seinem häuslichen Leben. Als ganz unbemittelter Offizier war er in die Armee getreten; vielem mußte er entsagen, was feine Kameraden besaßen und genoffen. Aber tapferen Mutes machte er aus feiner Armut kein Hehl und gab sich nicht den Schein der Wohlhabenheit.
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52 13. Krupp, der Kanonenköing.
Mit innigster Liebe hing er an seiner Familie; aber mannhast konnte er auch die Pflichten seines Berufs und das Wohl des Vaterlandes über das Familienwohl stellen. Bei Sedan war sein ältester Sohn tödlich verwundet worden. Nach langen Irrfahrten konnte der Vater ihn noch zu einem kurzen schweren Abschied sehen; dann ging er wieder in seinen Dienst; und an einen Freund schrieb er: „Wo so viel Großes vorgeht, da muß der Kummer des einzelnen zurücktreten. Aber wund wird eine Stelle meines Herzens noch lange bleiben." Seine Frau dachte so wie er; sie schrieb ihm in jenen Tagen: „Nun brauche ich mich uicht mehr vor andern zu schämen, die viel schwerere Verluste erlitten." Und der Kronprinz sagte zu ihm: „Danken Sie Gott, daß Sie eine so heldenmütige Frau haben!"
Im Jahre 1879 ist Roon gestorben.
Roon hat das Heer herangebildet, das die deutsche Einheit erkämpft hat.
13 Krupp, der ümiottritkimtg.
1. Anfänge und Kämpfe. Die Kanonen für die Kriege, die Deutschland führte, stammen aus der Gußstahlfabrik von Krupp in Essen. Der Gründer der Fabrik ist Alfred K r u p p. Durch seiner Hände Fleiß hatte sich dieser Mann von einem Arbeiter zu einem Fabrikbesitzer emporgeschwungen, der durch die ganze Welt bekannt war und der von Königen besucht wurde. Alfred Krupp ist im Jahre 1812 zu Essen geboren. Schon sein Vater hatte hier eine kleine Eisenfabrik, in der er nach langjährigen, mühsamen Versuchen einen Guß-stahl herstellte, der den besten englischen Stahl übertraf. Aber er hatte damit kein rechtes Glück, er fertigte davon wohl allerlei kleinere Sachen an, wie Platten, Münzstempel, kleine Walzen, aber es kam zu keinem rechten Aufschwünge der Fabrik. Da starb er; sein Sohn Alfred war erst 14 Jahre alt; ihm hatte er das Geheimnis der Bereitung des Gußstahls mitgeteilt, und er sollte nun die Fabrik weiterführen. Eine schwere Zeit hatte nun der junge Alfred Krupp durchzumachen. Er erzählt davon selbst: „Es ist bekannt, daß im Jahre 1826 die verfallene Gußstahlfabrik meines Vaters ohne Vermögen mir zur Führung anvertraut wurde. Mit wenigen Leuten fing ich an; sie verdienten mehr und lebten besser als ich. Fünfzehn Jahre habe ich gerade so viel erworben, um den Arbeitern den Lohn auszahlen zu können; für meine eigene Arbeit und meine Sorgen hatte ich nichts weiter als das Bewußtfein der Pflichterfüllung. Bei schwerer Arbeit, zuweilen ganze Nächte hindurch am Amboß und vor der Esse stehend, lebte ich oft nur von Kartoffeln, Kaffee, Butter und Brot, ohne Fleisch, und fünfundzwanzig Jahre habe ich ausgeharrt, bis ich endlich bei allmählich sich steigernder Besserung der Verhältnisse ein leidliches Dasein errang."
2. Vollendung und Sieg. Eine entscheidende Wendung trat für Krupp im Jahre 1851 ein. Da fand in London die erste große Weltausstellung statt. Krupp hatte hier einen Gußstahlblock von
13. Krupp, der Kanonenkönig. 53
45 Zentnern, eine Sechs-Pfünder-Kanone mit Gußstahlrohr und hochpolierte Walzen ausgestellt. Das waren Sachen, die man bis dahin noch nicht gesehen hatte, man hatte nur Gußstahlblöcke vou höchstens 20 Zentnern herzustellen vermocht. Krupp bekam dafür den ersten Preis, und nun stieg sein Ruhm schnell. Auf allen späteren Ausstellungen steigerten sich die Leistungen der Kruppschen Fabrik, und ihm wurden die höchsten Anerkennungen zu teil. Auf der Weltausstellung in Paris im Jahre 1855 stellte Krupp schon einen Gußstahlblock von 107 Zentnern aus und 1867 einen solchen von 180 Zentnern; nach dieser Ausstellung hatte er eine Kanone geschickt, die 1000 Zentner schwer war und für die ein besonderer Eisenbahnwagen gebaut werden mußte. Auf der Ausstellung in London im Jahre 1862 trat Krupp zuerst mit seinen Hinterladern auf, unb die Engländer mußten seine Überlegenheit in ber Gefchützfabrikation anerkennen unb eingesehen, baß sein Gußstahl ber beste ber Welt sei. Alle weiteren Ausstellungen brachten ihm nur neue Ehren. Schnell vergrößerte sich seine Fabrik. Sein Vater hatte mit zwei Arbeitern angefangen, jetzt finb in ben Kruppschen Werken etwa 30 000 Mann beschäftigt, unb eine Stabt von 100 000 Einwohnern liegt um bie Fabriken bei Essen herum; hier wohnen bie Arbeiter unb Beamten ber Eisenwerke. Bis zum Jahre 1900 hatte Krupp etwa 40 000 Kanonen geliefert; bie meisten Staaten auf ber Erbe finb mit Kruppfchen Kanonen ausgerüstet. Außer Kanonen werben auf ben Kruppschen Werken noch Wagenachsen, Abreisen, Schienen für Eisenbahnen, Schrauben für Dampffchtffe, Maschinenteile usw. angefertigt.
3. Krupps Edelsinn. Für seine Arbeiter war Alfreb Krupp ber Wohltäter unb väterliche Freunb. Er baute für sie Wohnungen, errichtete Bäckereien, Schlachtereien, Verkanfsläben für alle möglichen Waren, Gasthäufer, Babeanstalten unb baute Kirchen unb Schulen. Um ben Sparfinn zu pflegen, richtete er Sparkassen ein. Alters-, Pensions- unb Sterbekassen sorgten bafiir, baß bie Arbeiter bei ein-tretenber Krankheit unb im Alter nicht in Not gerieten. In persönlichem Verkehr staub er seinen Arbeitern mahnenb, warnenb unb tröstenb zur Seite. Niemals hat er vergessen, wie klein ber Anfang seines Werkes war. Es erfüllt uns mit Rührung, inmitten ber großen Fabrikanlagen noch heute bas kleine Wohnhaus zu erblicken, in bem er bie langen Jahre ber Not unb Sorge verlebte. Eine Abbildung bieses Hauses schenkte er im Jahre 1873 jeberrt seiner Arbeiter unb schrieb bar unter bie Worte: „Vor 50 Jahren war biese ursprüngliche Arbeiter-Wohnung bie Zuflucht meiner Eltern. Möchte jebem unserer Arbeiter ber Kummer fernbleiben, ben bie Grünbung biefer Fabrik über uns verhängte. 25 Jahre blieb ber Erfolg zweifelhaft, ber feitbem allmählich bie Entbehrungen, Anstrengungen, Zuversicht imb Beharrlichkeit ber Vergangenheit so wunberbar belohnt hat. Möge bieses Beispiel anbere in ber Bebräuguis ermutigen, möge es bie Achtung vor kleinen Häusern unb bas Mitgefühl für bie oft großen Sorgen barin vermehren. Der Zweck ber Arbeit soll bas Gemeinwohl sein: bann bringt Arbeit Segen, bann ist Arbeit Gebet."
54 14. Kaiser Friedrich III.
14. Kaiser Friedrich III
1. Jugend. Kaiser Friedrich war der Sohn Kaiser Wilhelms I. Er ist am 18. Oktober 1831 geboren. Als Kronprinz hieß er Friedrich Wilhelm. Er wurde von vortrefflichen Lehrern unterrichtet. Zugleich wurde er aber auch zu einem tüchtigen Soldaten erzogen. Ein Unteroffizier lehrte ihn marschieren und das Gewehr gebrauchen. Einst regnete es bei einer Übung. Da sagte der Unteroffizier: „Sie können in das Schloß gehen, Prinz!" Aber der achtjährige Prinz rief aus: „Seit wann geht ein Soldat dem Regen aus dem Wege?" Und als ein Diener mit einem Regenschirm kam, fragte der Prinz: „Hast du schon einen Soldaten unter einem Regenschirm gesehen? Mach das dumme Ding zn und geh!" Und der Prinz blieb im Regen. — Als 17 jähriger Jüngling besuchte er die Universität Bonn. Dann unternahm er Reisen nach Italien, Österreich und England. Im Jahre 1849 trat er in bie Armee ein. Als sein Vater ihn dem Regiment zuführte, sprach er zu den Offizieren: „Ich übergebe Ihnen meinen Sohn in der Hoffnung, daß er Gehorsam lernen wird, um einst befehlen zn können. Ich hoffe, er wird seinem Namen und seiner Armee Ehre machen." Zu seinem Sohne aber sprach er: „Nun gehe hin, Fritz, und tue deine Schuldigkeit!"
2. Vermählung und Familienleben. Auf seiner Reise nach England hatte er die Prinzessin Viktoria, die Tochter der Königin von England, kennen gelernt. Mit ihr vermählte er sich. Das kroupriuz-liche Paar wohnte im Sommer gewöhnlich in dem prächtigen „Neuen Palais", das Friedrich der Große dicht ant Parke von Sanssouci hatte baueu lassen, und führte hier ei« glückliches Familienleben. Sie hatten 4 Söhne und 4 Töchter; von den Söhnen leben nur noch zwei, Kaiser Wilhelm 11. und Prinz Heinrich. Ihre Kinder erzogen sie vortrefflich. So lange die Söhne noch im elterlichen Hause waren, wurden sie von Hauslehrern unterrichtet, und der Kronprinz und die Kronprinzessin kamen oft in das Unterrichtszimmer, um sich nach dem Fleiß ihrer Kinder zu erkundigen. Der Kronprinz sagte oft zu dem Lehrer: „Seien Sie ja streuge mit den Juugeu und nehmen Sie keine Rücksicht; sie sollen und müssen etwas lernen. Ich bitte Sie, mich hin und wieder von den Fortschritten der Kinder in Kenntnis zn setzen."
Bei Wanderungen aufs Land hielt es der Kronprinz nicht unter seiner Würde, eines der kleineren Kinder sich auf die Schultern zu fetzen und so mit ihm lustig bergauf und bergab zu wandern. Einmal besuchte er mit seiner Familie Tirol und ward in einem Orte von dem Bürgermeister, der ihm schon von früheren Reisen her bekannt war, begrüßt. Der Kronprinz schüttelte ihm freundlich die Hand und sagte: „Ja, ja, mein Lieber, da sind wir schon wieder einmal bei Ihnen; aber was das Reisen für Geld kostet, besonders, wenn man, wie ich, eine große Familie hat! Jetzt gehen wir in die schönen Berge. Wenn wir in ein paar Wochen wieder heim nach Berlin gehen, dann wird der Geldbeutel leer sein."
3. Der Kronprinz als Kinderfreund. Der Kronprinz war ein
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großer Kinderfreund. Auf feinem Gute in Bornftedt bei Potsdam veranstaltete er jeden Sommer ein Fest für die Kinder des Dorfes. Dann bewegte sich der Kronprinz fröhlich unter der munteren Schar, und die Kronprinzessin war wie eine Hausmutter unter ihnen.
Als der Kronprinz einst auf einem Schlöffe im Taunus wohnte, ging er gern im Tannenwalde spazieren. Die Kinder freuten sich immer, wenn sie ihn sahen, und riefen ihm so manches Hurra zu. Eines Tages war er auch im Walde und lag im weichen Moose; da kam die ganze Jugend des nahen Dorfes heran. Rasch machten sie einen Kreis und riefen dem Kronprinzen zu: „Gefangen, gefangen!" Da lachte der Kronprinz und sagte: „Ihr habt mich gefangen. Nun laßt mich aber los, ich schicke euch auch etwas Schönes." Und so geschah es. Zn Weihnachten kam eine Kiste vom Kronprinzen, darin lagen für jedes Schulkind Bücher, Schreibhefte und Kleidungsstücke.
Auch Schule hat der Kronprinz einmal gehalten. Er kam öfter in die Schule zu Bornftedt. Einst war er auch da, da bekam der Lehrer eine Depesche, daß seine todkranke Mutter ihu noch einmal sehen möchte. Als der Kronprinz hörte, um was es sich handelt, ersuchte er den Lehrer, unverzüglich abzureisen und sagte: „Haben Sie keine Sorge wegen Ihrer Klaffe, ich werde sie übernehmen. Eilen Sie nur, damit Sie Ihre gute Mutter noch lebend antreffen." Und fo setzte der Kronprinz den Unterricht fort, bis die Schule aus war.
4. Der Kronprinz als Feldherr. Der Kronprinz Friedrich Wilhelm war auch ein tüchtiger Feldherr und Soldat. Dreimal ist er für unser Vaterland in den Kamps gezogen; zuerst im Jahre 1864 gegen die Dänen. Es war Winter und oft recht schlechtes Wetter. Der Kronprinz aber ging mit den Soldaten durch Schmutz und Schnee, schlief mit ihnen in Scheunen und schlechten Bauernhäusern und gab allen so ein schönes Borbild, die Mühen des Krieges geduldig zu ertragen. Als im Jahre 1866 der Krieg gegen Österreich ausbrach, führte er eiue Armee nach Böhmen. Damals war gerade sein Sohn schwer krank; aber das Vaterland brauchte den Kronprinzen, und er tat seine Pflicht als Soldat. Das Kind starb, während der Vater im Felde war. Dadurch, daß er bei ber Schlacht bei Königgrätz rechtzeitig auf bem Schlachtfelbe erschien, hat er wesentlich mit zu bem günstigen Verlauf bes Krieges beigetragen. Auch ben Krieg gegen Frankreich 1870/71 hat er mitgemacht; er war ber Führer ber Süddeutschen unb errang mit ihnen gleich bie ersten Siege bei Weißenburg unb Wörth. Die Solbaten hingen mit großer Liebe an ihm. Wenn er mit ber Solbatenmütze auf bem Kopfe unb ber kurzen Pfeife im Munbe burch bie Reihen feiner Krieger bahinfchritt, herrschte allgemeiner Jubel. Für jeben hatte er ein srennbliches Wort, unb gern machte er einen Scherz mit ihnen. Den Sterbenben unb Berlvunbeten war es oft ein letzter Trost, wenn ber Kronprinz ihnen auf ihrem Schmerzenslager bie Hanb brückte und ihnen einige tröstenbe Worte sagte. — Nicht leicht vergaß er es, wenn er im Kriege mit einem Solbaten zusammengekommen war. Einmal ging er in Berlin spazieren. Da traf er einen Mann, ber hatte bie Denkmünze des französischen Krieges ans der
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Brust. Als dieser den Kronprinzen sah, zog er den Hut und rief: „Guten Morgen." Der Kronprinz fragte ihn: „Kennen Sie mich denn?" Der Manu sagte: „Gewiß, ich keuue Ew. Kaiserliche Hoheit schon seit dem Kriege." Darauf sah der Kroupriuz ihn scharf an und sagte: „Ich kenne Sie auch. Haben Sie mir nicht in der Schlacht bei Wörth eine Pfeife Tabak gegeben?" „Das stimmt," sagte der Mann. Dann nahm der Kronprinz ein Goldstück heraus und sprach: „Da nehmen Sie, ich vergaß den Tabak zu bezahlen."
5. Erkrankung des Kronprinzen. Im Jahre 1887 erkrankte der Kronprinz an einem Halsleiden. Zunächst suchte er Linderung in der milden Luft Italiens; aber das Übel verschlimmerte sich, er konnte kaum noch atmen. Damit er nicht erstickte, mußten die Ärzte ihm schließlich die Luftröhre auffchueideu und eine silberne Röhre hineinsetzen, durch die er Luft kriegen konnte. Aber fprechen konnte er nicht mehr; er mußte sich durch Schreiben verständigen.
6. Regierung und Tod. Als er schwer krank in Italien weilte, tras ihn die Nachricht von dem Tode Kaiser Wilhelms. Nun war der Kronprinz deutscher Kaiser und hieß Friedrich III. Da wollte er nicht mehr fern von seinem Lande bleiben. Trotz seiner Krankheit fuhr er noch an demselben Tage ab nach Berlin. Nach 36 ständiger Fahrt kam er bei Schnee und Sturm in seiner Hauptstadt an. Nur kurze Zeit hat er regieren können. Sein Leiden verschlimmerte sich, und große Schmerzen hat er noch aushalten müssen. Aber er war auch ein Held im Leiden, standhaft und geduldig trug er es. Seinem ältesten Sohne, unserm jetzigen Kaiser, schrieb er einst auf einen Zettel: „Lerne leiden ohne zu klagen." Kurz vor feinem Tode schrieb er noch feiner Tochter an ihrem Geburtstage ins Stammbuch: „Bleibe fromm und gut, wie du es bisher gewesen!"
Am 15. Juni 1888 starb er.
Seine Regierung hat nur 99 Tage gedauert.
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1. Kaiser Wilhelm als Knabe. Unser Kaiser ist am 27. Januar 1859 geboren. 101 Kanonenschüsse verkündeten es den Berlinern. Tausende sammelten sich vor dem prinzlichen Schlosse. Jetzt trat der alte General Wrangel, der bei den Berlinern sehr beliebt war, heraus. „Exzellenz, wie geht's?" hieß es. „Kinder," sagte er, „es geht alles gut; es ist eiu tüchtiger, strammer Rekrut, wie man ihn nur wünschen kann." Abends war die ganze Stadt prächtig beleuchtet. — Besonderes Gewicht legten seine Eltern auch auf feine körperliche Ausbildung. Bei dem Neuen Palais, wo sie im Sommer wohnten, war ein großer Spiel- und Turnplatz. Hier tummelte sich der Prinz mit feinem Bruder Heinrich und feinen Schwestern viel in freier Luft; sie spielten hier auch mit den bürgerlichen Kindern aus Potsdam und von dem Gnte Bornstedt. Prinz Wilhelm zeigte beim Turnen und Exerzieren großen Eifer und
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ist auch ein sehr kräftiger Mann geworden. Sein linker Arm ist freilich infolge eines angeborenen Fehlers schwächer geblieben; um so mehr fällt es auf, wie gewandt er sich, ohne die Linke zu gebrauchen, in den Sattel schwingt. Auch ist er ein sicherer Schütze, ein guter Schwimmer und ein vorzüglicher Ruderer geworden. Wenn er zu Pferde fitzt, pflegt er die Zügel in der linken Hand zu führen, um die rechte für den Degen frei zu haben.
2. Kaiser Wilhelm als Schüler. Als Prinz Wilhelm 15 Jahre alt war, kam er mit feinem Bruder Heinrich auf das Gymnasium in Kassel. Hier wurde er in feiner Weife vor den andern Schülern bevorzugt. Er wohnte in Wilhelmshöhe und kam jeden Morgen zu Pferd herein. Pünktlich war er in feiner Klaffe. Er wurde in der Schule „Prinz Wilhelm" oder einfach „Prinz" genannt, trug die Klaffenmütze und verkehrte aufs freundlichste mit feinen Mitschülern. In feinem Wesen war er bescheiden und anspruchslos. Er arbeitete so fleißig wie nur einer. In den Freistunden trieb er viel Leibesübungen, wie Fechten, Schwimmen, Ballspiel und Schlittschuhlaufen. Mittwoch- und Sonnabendnachmittags unternahm er meistens mit andern Schülern Ausflüge in die schöne Umgebung Kassels. Kein Wetter war ihm dabei zu schlecht. Wie ernst es die Eltern mit der Schule nahmen, davon zeugt folgender Vorfall. Kaiser Wilhelm I. feierte am 1. Januar 1877 fein 70 jähriges Militärdienstjubiläum. Das ganze Land feierte mit, vor allem natürlich die kaiserliche Familie. Die Prinzen hatten am 1. Januar noch Ferien; aber am 2. begann die Schule wieder. Wenn sie das ganze Fest mitmachten, so versäumten sie die ersten Schulstunden. Das durfte nicht fein, und so mußten sie das Fest verlassen und schon am Abend des Neujahrstages wieder nach Kassel abfahren. Nachdem Prinz Wilhelm fein Abgangsexamen ehrenvoll bestanden hatte, ging er nach Bonn auf bie Universität und wurde ein fleißiger, aber auch frifcher und fröhlicher Student.
3. Kaiser Wilhelm als Soldat. Wie alle hohenzollernfche Prinzen wurde auch unser Kaiser schon mit bem zehnten Jahre in bie Armee-liste eingetragen. Als er 18 Jahre alt war, trat er in bas 1. Garberegiment zu Fuß ein, zuerst als Leutnant, unb balb würbe er Hauptmann. Er war ben Offizieren ein guter Kamerab unb feinen Mannschaften ein wohlwollender Vorgesetzter. Durch eigenes Beispiel ging er allen in Pünktlichkeit nnb Gewissenhaftigkeit voran. Seinen Mannschaften zeigte er bei jeber Gelegenheit feine Zuneigung. Nach Be-enbigung ber Schießübungen schenkte er bem besten Schützen eine Uhr. Zu Weihnachten becfte er feiner Kompagnie in glänzenber Weife ben Weihnachtstisch; jeber Mann erhielt ein hübsches Geschenk nach feinen vorher sorgsam erfunbeten Wünschen. Wenn feine Leute auf Urlaub gingen unb es sah mit bem Reifegelb knapp ans, so sorgte er für ben nötigen Zuschuß.
Von bem festen Willen bes Prinzen zeugt folgenber Vorfall aus ber Zeit, ba er schon Oberst war. Mehrere Offiziere feines Regiments gehörten einer ©pielgefeöfchaft an unb verloren sehr hohe Summen. Da verbot ber Prinz feinen Offizieren, biefer Gesellschaft anzugehören.
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Hochgestellte Personen wandten sich nun an den Kaiser, damit er bewirke, daß der Prinz sein Verbot zurücknehme. Wirklich ließ der Kaiser den Prinzen kommen und ersuchte ihn, jenen Herren zu Willen zu sein. „Majestät," sprach Prinz Wilhelm, „bin ich noch Oberst des Regiments?" „Natürlich," sagte der Kaiser. „Dann gestatten Majestät, daß ich meinen Befehl aufrecht halte oder . . . daß ich mein Kommando hiermit in Ew. Majestät Hände zurücklege." Dem Kaiser gefiel solche Entschlossenheit, und er sprach: „£), davon kann keine Rede sein; wo sände ich einen so guten Oberst wieder?" Den Bittstellern aber sagte er: „Tut mir leid, ich habe es dem Obersten gesagt, aber er will nicht."
4. Kaiser Wilhelms Familienleben. Im Jahre 1881 vermählte sich Prinz Wilhelm mit A n g n st e Viktoria, der Tochter eines Prinzen von Schleswig-Holstein. Das hohe Paar führte ein glückliches Familienleben. Sechs Söhne und eine Tochter sind ihnen geboren; sie heißen: Wilhelm, Eitel Friedrich, Adalbert, August Wilhelm, Oskar, Joachim und Viktoria Luise. Als der älteste Sohn, unser Kronprinz, geboren wurde (6. Mai 1882), lebte der greise Kaiser Wilhelm uoch. Mit Freuden betrachtete man damals ein Bild, auf dem vier Kaiser aus vier Geschlechtern des Hohenzollernhanses dargestellt waren und das die Unterschrift trug: Hurra, vier Kaiser! Der Kronprinz Wilhelm ist mit der Herzogin C e c i l i e von Mecklenburg verheiratet; dieser Ehe sind bisher vier Söhne entsprossen. Die Tochter des Kaisers, Viktoria Luise, ist mit dem Herzoge Ernst August von Braunschweig verheiratet.
5. Kaiser Wilhelms Arbeitstag. Der Tod Kaiser Friedrichs rief den Kronprinzen Wilhelm als Kaiser Wilhelm II. auf den Thron (15. Juni 1888). Kaiser Wilhelm II. ist einer der fleißigsten Fürsten, die es je gegeben hat. Er gehört zu den Frühaufstehern. Bereits um 5 Uhr des Morgens steht er aus. Um V26 Uhr sind schon die Adjutanten zur Stelle, mit denen er bespricht, welche Ausfahrten, Besuche usw. an dem Tage zu machen sind.
Um 6 Uhr begibt er sich in sein Arbeitszimmer, wo ganze Stöße von Briefen, schriftlichen Berichten der Minister und der obersten Behörden liegen, die durchgelesen werden müssen. Dann kommen Beamte des Hofmarschallamtes, mit benen der Kaiser etwaige Festlichkeiten und Reisen bespricht, wer baran teilnehmen soll, wieviel Kosten entstehen, welche Geschenke etwa mitzunehmen sinb usw. Dann erscheinen Minister, Räte unb Generale, um bem Kaiser Vortrag über die verschiedensten Verhältnisse zu halten und seine Unterschrift einzuholen. Bis gegen 9 Uhr hat der Kaiser schon soviel gearbeitet, wie mancher vermögende Bürger kaum in einer ganzen Woche leistet. Erlaubt es das Wetter, so macht der Kaiser jetzt eine Ausfahrt, au die sich häufig ein ziemlich starker Spaziergang zu Fuß anschließt. Geht das nicht, so begibt er sich nach der Reitbahn und reitet.
Finden Truppeubesichtiguugen statt, so fällt die Ausfahrt fort, ba bann bem Kaiser Aufenthalt in frifcher Luft genügenb zuteil wird.
Gegen 11 Uhr beginnen wieder die Beratungen, Vorträge urtd Besuche. Es melden sich höhere Offiziere und Beamte, die neu ernannt
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worden sind; es erscheinen Leute, die die Orden verstorbener Verwandten wieder zurückbringen, auch Gesandte fremder Staaten und Fürstlichkeiten kommen, und mit jedem spricht der Kaiser einige Minuten. So geht es bis um 2 Uhr. Dann frühstückt der Kaiser, und am Nachmittag geht die Arbeit weiter, bis um 7 Uhr die Hauptmahlzeit genommen wird. Auch abends müssen häufig noch Arbeiten erledigt werden. So ist der Kaiser den ganzen Tag unausgesetzt tätig.
Der Kaiser ist ein Freund des Seelebens, namentlich liebt er die nordischen Küsten. Fast jedes Jahr fährt er mit seinem Schiff „Hohen-zollern" dahin. Aber auch dauu ruht der Kaiser nicht gänzlich von den Regierungsgeschäften aus. Überall, wo sein Schiff in einen Hafen einläuft, liegen Depeschen und Briese für ihn.
6. Deutschlands Seemacht. Unter Kaiser Wilhelm TI. ist Deutschland auch eine Seemacht geworden. Eine große Anzahl deutscher Schiffe fährt auf allen Weltmeeren, und stolz weht vom hohen Mast die Flagge schwarz-weiß-rot. Viele Schiffe bringen uns Wareu aus fremden Ländern, wie Kaffee, Baumwolle, Tabak, Kakao, Gummi, Kokosnüsse, Palmkerne n. a. Ein Teil diefer Waren wird auf deutschem Gebiet in Afrika angebaut und gewonnen. Zum Schutze des überseeischen Deutschlands und unserer Handelsflotte haben wir eine st a r k e K r i e g s f l o t t e , die noch eifrig vermehrt wird. Wilhelmshaven an der Nordfee und Kiel an der Ostsee sind unsere beiden Kriegshäsen. Oft kommt auch der Kaifer hierher, um die Kriegsschiffe zu besichtigen, und alljährlich hält er mit den Kriegsschiffen auf dem Meere Manöver ab, wie mit dem Landheer zu Lande. Der Bruder unseres Kaisers, Prinz Heinrich, ist der Befehlshaber der deutschen Kriegsflotte; der ist Seemann von Beruf und hat schon manche große Fahrt mit einem Kriegsschiffe gemacht.
Bei allen Völkern steht unsere Seemacht in hohem Ansehen. Und daß deutsche Seeleute mit demselben Mute zu sterben wissen wie die Soldaten in einem Kampfe zu Laude, haben sie am 23. Juli 1896 bewiesen. Dieser Tag ist für die deutfche Kriegsflotte eilt Trauertag, aber auch ein Ehrentag geworden. Am 23. Juli 1896 fuhr das kleine Kriegsschiff Iltis au der chinesischen Küste hin. Den ganzen Tag hindurch hatte ein heftiger Sturm geweht; gegen Abend aber tobte er immer wütender und prasselte Schnee- und Hagelschauer auf das Schiff hernieder. Mit furchtbarer Gewalt schlugen die Wellen gegen das Schiff. Um 1hll Uhr nachts erschütterte ein heftiger Stoß das Fahrzeug und gleich darauf ein zweiter: das Schiff war auf einen Felsen geschleudert und saß darauf fest wie aufgespießt. Mit furchtbarer Gewalt drang das Wasser durch das Loch im Schisssboden und süllte bald alle Räume. Wild schäumend rollten die Wogen über das Deck des Schisses und rissen alles weg, was sich daraus besand. Während die Masten krachten und splitterten, die Wogen donnerten und der Sturm heulte, tat die wackere Mannschaft des Schiffes nach Kräften ihre Pflicht, um zu retten, was womöglich zu retten war. Hoch oben auf der Kommandobrücke steht der Kapitän Braun und erteilt ruhig und besonnen seine Befehle. Da plötzlich ein furchtbares Krachen und
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Prasseln: das Schiff ist in zwei Teile gebrochen. Während das Vorderschiff, das fest sitzt, sich etwas auf die Seite neigt, wird das Hinterschiff, auf dem sich säst die gesamte Mannschaft befand und auf dem auch die Kommandobrücke ist, aus die Felsen neben das Vorderschiff geschleudert. Nun ist alles verloren; der nächste Augenblick kann das Ende bringen. Aber kein Laut der Klage kommt über die Lippen der wackern Seeleute. Starr und stumm stehen sie bei der Kommandobrücke zusammengedrängt und erwarten deu Tod. Da, in dem Augenblicke der furchtbarsten Not, als das Entsetzen vor dem Kommenden sich lähmend um ihre Herzen legen will, ertönt scharf und deutlich durch das Gebrüll der Wogen die Stimme des Kapitäns: „Kameraden — unser teures Vaterland — unser Kaiser — drei Hurras für Seine Majestät!" — und begeistert ringt sich der alte Schlacht- und Huldiguugsrus aus der Brust der todgeweihten Schar zum duukleu Himmel empor. Im nächsten Augenblicke ist die Kommandobrücke leer; der Kapitän und seine neben ihm stehenden Offiziere sind verschwunden, fortgerissen von einer mächtigen über das Schiff wegfegenden Welle. Da stimmt einer das Flaggenlied an; begeistert fallen alle mit ein, auch die auf dem Vorderschiff gebliebenen Kameraden. Hell klingt das Lied in das Getöse des Sturmes, ein letzter Gruß au das Vaterland:
Ihr woll'n wir treu ergeben sein,
Getreu bis in den Tod;
Ihr woll'n wir unser Leben weihn,
Der Flagge schwarz-weiß-rot.
Kaum ist die zweite Strophe zu Eude gesungen, da stürzten die Wogen das Hinterschiff mit der Mannschaft in die Tiefe. Die auf dem Vorderschiff Gebliebenen wurden am andern Tage von Chinesen gerettet. Im ganzen hatten 71 wackere Seeleute, darunter sämtliche Offiziere, ihr'Leben lassen müssen; nur 11 Mann sind gerettet worden. Für alle Zeiten werden die „Jltis"-Helden als Vorbilder treuer Pflichterfüllung gepriesen werden.
7. Deutschlands Luftschiffahrt. Wie aus dem Meere, so suchten die Menschen auch Herren im Reiche der Luft zu werden. Zu schwimmen wie ein Fisch im Wasser hat der Mensch gelernt; er möchte auch wie ein Vogel in der Luft fliegen. Darüber haben die Leute schon im Altertume nachgedacht, und Sagen erzählen uns von kühnen Menschen, die das Fliegen versucht hätten, indem sie nachgemachte Vogelflügel an ihrem Körper befestigt hätten; sie feien aber immer herabgestürzt, weil die Götter neidifch auf sie gewesen wären. Vor etwa 100 Jahren (1811) glaubte ein Schneider in Ulm das Geheimnis des Fliegens ergründet zu haben; er siel dabei aber in die Donau uud erhielt von den enttäuschten 11 Intern, die er zu seinem Schaufluge eingeladen hatte, eine tüchtige Tracht Prügel. — Mehr Glück hatten bie Menschen bei den Versuchen, mit Hilfe von Gasballons durch Me Luft zu fliegen. Schon lauge kannte man Gasarten, die leichter sind als die gewöhnliche Lust, z. B. das Leuchtgas. Füllt man einen Ballon damit, so steigt er empor. Damit Personen mit einem solchen Ballon eine Lust-
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fahrt machen sönnen, ist daran eine Gondel befestigt. Diese Ballons haben aber den Mangel, daß sie nicht gelenkt werden sönnen; sie fliegen wohin der Wind sie treibt. Daher heißen sie anch Freiballons. Da ist es nun dem Grafen Zeppelin gelungen, ein Luftschiff zu bauen, das lenkbar ist und das auch gegen den Wind fahren kann. Mehr als 40 Jahre hat ihn der Gedanke beschäftigt; sein ganzes Vermögen büßte er bei den oielfachen Versuchen ein, und immer wollte das Werk nicht gelingen. Aber endlich stieg das erste Luftschiff auf und unternahm längere Fahrten (1906, 1907 und 1908). Das rief in der ganzen Welt die größte Bewunderung hervor, und überall wurde Graf Zeppelin geehrt und gefeiert. — Auch in den Versuchen, ohne Gasballon wie ein Vogel stiegen zu können, sind die Menschen weiter gekommen. Der Flieger bedient sich dazu eines besondern Apparates, in den ein Motor hineingebaut ist. Das Ganze nennt man Flugzeug ober Flugmaschine. Im Jahre 1903 führte ein Amerikaner zum ersten Male einen Flug mit einer solchen Flugmaschine aus. Seitbem sinb mit ber Flugmaschine fast in allen Ländern bereits hervorragend Leistungen erzielt worben, unb beinahe täglich liest man in ben Zeitungen, baß ein Flieger ben au bem in Hoch , Dauer- unb Weit-fingen zu übertreffen sucht. Auch auf bem Gebiete bes Flugwesens steht Deutfchlanb nicht hinter anbern Säubern zurück; wir haben Flugfchulen zur Ausbilbuug ber Flieger, unb wir hoben Fabriken, wo Flugzeuge gebaut werben. Alle Fortschritte ber Luftschiffahrt verfolgt ber Kaiser mit großer Aufmerksamkeit; er sucht sie baburch zu förbern, baß er Preise für bie Flieger aussetzt. Auch für bas Heer sinb schon Luftschiffe unb Flugmaschinen angeschafft.
8. Unsere Kaiserin Auguste Viktoria. Unsere Kaiserin ist am 22. Oktober 1858 geboren. Der Kaiser hat sie einmal ben leuchtenbsten Ebelstein in seiner Krone genannt. Ihrem Laube ist sie eine rechte Lanbesmntter unb immer bestrebt, Not unb Elenb zu linbern. Zahlreiche Krankenhäuser hat sie bauen lassen. In Berlin besucht sie häufig bie Krankenhäuser, unb wenn sie in eine anbere Stabt kommt, läßt sie sich stets auch bahin führen. Sie gibt ferner Gelb für Suppenanstalten unb Volksküchen, bamit bie armen Leute billiges unb gutes Essen bekommen. Wenn sie hört, baß jemanb in Not ist, so sucht sie zu helfen, soviel sie kann. Einmal, als sie noch Prinzessin Wilhelm war, erhielt sie einen Brief, bar in bat eine kranke Wafchfrau in Potsbam um Gelb. Einige Tage waren vergangen, als ein Herr unb eine Dame in bie Stube ber kranken Wafchfrau traten. Die lag in ihrem Bett, bas Gesicht ber Wanb zugekehrt. Da trat ber Herr an bas Bett imb sagte: „Wenben Sie sich um! Die Frau Prinzessin ist hier, sie will wissen, wie es Ihnen geht." Die Wafchfrau sagte: „Ach, ich bin so krank unb habe kein Gelb!" Am nächsten Tage erhielt bie Wafchfrau eine Summe Gelb. Nun konnte sie sich Nahrung kaufen unb würbe balb gefunb.
Von ihrer Herzensgüte zeugt auch folgenbe kleine Geschichte: Als sie in Hannover bie Krankenhäuser besuchte, reichte ihr auf bem Wege bahin ein armes, krank aussehendes Kind einen einfachen Strauß Felb-
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blumen mit den Worten: „Guten Tag, Tante Kaiserin!" die hohe Frau ist über diese kindliche, unbefangene Begrüßung entzückt, nimmt das dreijährige Kind auf ihre Arme und plauderte mit ihm. Die Volksmenge brach darüber in begeisterte Hoch- und Jubelruse aus. (Sin weißbärtiger Franzose hatte das mit angesehen. „Wer war diese schöne, gütige Frau?" fragte er in gebrochenem Deutsch. „Das war unsere gütige Kaiserin," antwortete ihm stolz ein Zuschauer.
Alljährlich Pflegt die kaiserliche Familie im Sommer einige Wochen aus ihrem Gute C a d i u e n in Pommern zu wohnen, das herrlich am Frischen Hass liegt. Namentlich weilt die Kaiserin hier gern. Sie will dann nichts anderes sein, als eine schlichte Gutsherrin, der das Wohl und Wehe ihrer Gutsaugehörigen am Herzen liegt und die sür alles sorgt. In der Zeit 0or der Ankunft der kaiserlichen Familie wird dann in den schmucken Arbeiterhäuschen zu (Sabinen fleißig gewaschen iiiib gebürstet, berat jedermann, unb sei er auch noch so gering, kann barcms rechnen, baß bie Kaiserin ober ein Prinz plötzlich zu Besuch kommt unb sich in ber Wohnung umsieht. Die Fürsorge ber Kaiserin gilt natürlich vor allem ben Alten unb Kranken, bie nicht mehr arbeiten unb nichts mehr oerbienen können unb bah er auf bie Wohltätigkeit angewiesen sinb. Sie geht im Dorfe von Haus zu Haus, um sich nach bem Besinben ber Leute zu erkuubigeu unb zu sehen, was noch zu ihrem Besten bienen könnte.
3m* Giirprägnng:
Kaiser Wilhelms Geburtstag: 27. Januar 1859.
Geburtstag der Kaiserin Auguste Viktoria: 22. Oktober 1858.
Geburtstag des Kronprinzen Wilhelm: 6. Mai 1882.
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Kaiser-Heine, Gesch. f. Mittelsch. I. Tafel I.
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5. Der Große Kurfürst.
4. König Friedrich 1.
5. Denkmal des Großen Kurfürsten in Berlin,
Von A. Schlüter (Enthüllt J703).
Kaiser-Heine, Gesch. f. Mittelsch. I. Tafel II.
Friedrich Wilhelm I. prüft die Schule.
8. Friedrich der Große.
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9- General von Seydlitz.
\o. Reiterstandbild Friedrichs des Großen.
Don N ci u ch.
Kaiser-Heine, G<sch. f. Mtttelsch. I. Tafel III.
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\ v Schloß Sanssouci,
\2. Königin Luise.
Geniälde von Joseph (Sraffi,
\3. Feldmarschall Blücher.
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l<k. Einsegnung Freiwilliger \8\5.
Kaiser-Heine. Gesch. f. Mittelsch. I. Tafel IV.
15. Kaiser Wilhelm J.
mit Genehmigung der Photographischen Union, München. \7. ÜToltFc.
\6. Bismarck.
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:
*8. Roon.
Kaiser-Heine, Gesch. f. Mittelsch. I.
Tafel V.
20. Kaiser Wilhelm II
2 V Kaiserin Auguste Viktoria.
Deutsche Nationalbibliothek Leipzi
L-1914-515878626
L-1914-515878626