514 Kulturzustände am Anfang des 19. Jahrhunderts. Rockenphilosophie (eine Beleuchtung von allerlei abergläubischen Meinungen und Gebräuchen), Benjamin Neukirchs Anleitung zu deutschen Briefen, die durchlauchtige Welt (eine Art genealogischer Kalender), Hellwigs Frauenzim¬ mer -Apothefchen u. a. Von Erziehungsschriften werden drei französische empfohlen: Croufaz über Erziehung der Kinder, Fenelons Schrift über Mädchenerziehung und eine französische Übersetzung der Lockeschen Er¬ ziehungsschrift. Auch in Gottscheds „Vernünftigen Tadlerinnen" wird der Katalog einer Frauenzimmerbibliothek mitgeteilt. Zum Teil werden hier dieselben Schriften empfohlen wie im Patriot, z. B. auch die Erziehuugsvorfchrifteu von Fenelon und Locke; wir führen jedoch auch noch einige andere der hier aufgezählten Schriften au: Mosheims Sittenlehre und dessen heilige Reden, Hübners Atlas, Mascovs Geschichte, Wolfs deutsche Schriften, Cicero von den Pflichten, Marc Aurels Selbstbetrachtungen, Don Quixote, Gullivers Reisen u. a. Besonders zeichnet sich Gottscheds Katalog aus durch zahlreiche Em¬ pfehlungen deutscher Dichter; es werden z. B. empfohlen die Gedichte von Besser, Canitz, Fleming, Gryphins, Günther, Hagedorn, Haller, Opitz, Philander von der Linde und Rachel. Übrigens fordern die „Vernünftigen Tadlerinnen" nicht Gelehrsamkeit von den Frauen, sondern „eine solche Erziehung, welche die Frau zu einem nützlichen Mitglieds der menschlichen Gesellschaft, zu einer guten Erzieherin ihrer Kinder und vor allem zu einer guten Gattin mache." 59. Rulturznstände am Anfang des Jahrhunderts. (Nach: G. Klemm, Vor fünfzig Jahren. Stuttgart, 1865. Bd. I, S. 16 — 196. Bd. II, S. 44 — 66.) Gesuchen wir ein städtisches Wohnhaus am Anfang unseres Jahr¬ hunderts. Es wird nur von einer Familie bewohnt und die Hausthüre wird daher stets verschlossen gehalten. Wer Eintritt begehrt, zieht an der Klingel; im Erker erscheint ein forschendes Gesicht und die Thüre weicht, nachdem ein Riegel sich erhoben, leicht dem Drucke unserer Hand. Wir treten in die geräumige Hausflur, deren Fußboden mit unregelmäßigen Gneisplatten belegt ist, die nicht immer eine ebene Fläche bilden. Das neben der Hausthüre befindliche Fenster ist mit starken Eisenstäben gesichert. Links von der Hausflur liegt die stattliche Küche, au die sich mehrere für wirtschaftliche Zwecke bestimmte Zimmer anschließen, die nach dem Hinter¬ hause führen, wo sich laufendes Wasser und Raum für das Waschen, Seifen¬ sieden, Lichterziehen rc. befindet. Ans der Hausflur führt eine mäßig breite Treppe nach dem ersten Stockwerk, welches zunächst einen geräumigen, mit ansehnlichen Kleiderschränken besetzten Vorsaal enthält. Das große Wohn¬ zimmer hat einen Erker, der im Sommer namentlich den Frauen zum Aufenthalte dient. Neben dem Wohnzimmer befindet sich die kleinere Kinder-