«SS
-
Qeorg-Eckert-Institut BS78
1 087 448 8
BS78$10874488
ßzCtv f •
3'fuZfe
rjjkXKX/ »
^ * Äit '»y V c
Geschichte der Provinz Hannover.
3er
ProDin? HonnoDer
für
Lehrer, Lehrerbildnugs- »nb anbere Lehranstalten bet Provinz,
sowie für
Schul- und Bol'ksbiötiolheken
von
fl. Cechlenburg, und K. Dageföröe,
Rektor in Göttingen. Seminarlehrer in Northeim.
n constaxtep.)
= Preis geb. in Gzl. Mk. L.—. =
—
Hannover-List, igQ6 Berlin W. 35,
Podbielski-Straße 85, Derfslinger-Straße 16.
Verlag v.sn Carl "üt mr t^iipav Prior).
für intcnictiv::::?;- S/ „ sc/schung Braunschwelg -Bibliothek-
nventar-,s;ert unter, ;SBi - . h JAfflk-
Hk-u.
3 9 (/ff Q&j ~
Druck von Wilhelm Harzig, Hannover.
Vorwort.
-ü>ir hätten mit der Geschichte nicht die geringste Fühlung, Wenn wir nirgends daheim wären; der Heimat gehört unser ursprünglichstes Interesse, und erhöhte Wirkung wohnt allem Heimatlichen inne. Darum ist diejenige Geschichtsbetrachtung die natürlichste, interessanteste und wirkungsvollste, die den Wellenschlag allgemeinhistorischer Vorgänge bis in die Heimat verfolgt und daneben zeigt, wie die Heimat an der nationalen Entwickelung und kulturellen Aufwärtsbewegung unsers Volkes teilgenommen. Für den Geschichtsunterricht in allen unsern Schulen ergibt sich daraus die Forderung, die Geschichte des deutschen Vaterlandes unter steter Rücksichtnahme aus Heimatort, Heimatgegend und Heimatprovinz zu lehren. In seinen Anfängen auf anschaulicher heimatlicher Grundlage ruhend, soll der Geschichtsunterricht während seines weiteren Verlaufs, wo irgend angängig, belebende heimatliche Beziehungen suchen und verwerten und in seinem Endziele zum Verständnis der gegenwärtigen Verhältnisse in Heimat und Vaterland führen. So wird die natürliche Heimatliebe fester wurzeln im heimischen Erdreich und zu einem starken Baume treuer Vaterlandsliebe emporwachsen, dessen Kern ein gesunder Heimatsinn ist, und der als Früchte zeitigt: klare Einsicht in das Gewordene, Verständnis für das Werdende, dazu Lust und Neigung, an den mannigfaltigen Ausgaben in Heimat und Vaterland, in Gemeinde, Gesellschaft und Staat tatkräftig mitzuarbeiten.
Von dieser Erkenntnis durchdrungen, fordern Schulmänner, Heimat vereine und Behörden immer dringlicher die Berücksichtigung der zahlreichen Wechselbeziehungen zwischen Heimat-, Stammes- und Reichsgeschichte. Auf demselben Boden steht auch die oberste Unterrichtsbehörde in Preußen, wenn sie in den neuen Lehrplänen vom 1. Juli 1901 den Lehrerseminaren vorschreibt, daß an geeigneten Stellen die Geschichte der Heimatprovinz zu behandeln sei. Aber auch andere Lehranstalten, für die eine gleiche Bestimmung bisher nicht besteht, werben die Geschichte des Heimatlandes nicht entbehren wollen.
Vorwort.
Das vorliegende Buch will dem steigenden Bedürfnis nach einer übersichtlichen und doch einer gewissen Anschaulichkeit nicht entbehrenden Darstellung der geschichtlichen Entwickelung der Provinz Hannover entsprechen. Aber landschaftliche Vielgestaltigkeit, mannigfache Zersplitterungen und territoriale Verschiebungen lassen den Entwickelungsgang oft nur schwer erkennen und haben zu einer scharfen Beschränkung gezwungen. Nur das ist dargestellt, was für den Zusammenhang erforderlich, oder was in irgend einer Hinsicht vorbildlich oder typisch erschien. Daß sich der letzte Abschnitt zu einer Art Gesetzes- und Bürgerkunde erweitert, ist begründet in der besonderen Aufgabe des Buches, einzuführen in das Verständnis der gegenwärtigen Verhältnisse und anzuregen zur Teilnahme am öffentlichen Leben.
Die dargebotenen Geschichtsbilder ordnen sich chronologisch und zwanglos der Geschichte des deutschen Vaterlandes ein, bedürfen aber in manchen Teilen der Ergänzung, Veranschaulichung und Belebung durch die Geschichte des Heimatortes und der heimatlichen Landschaft. Der Einfügung von Quellen-, Jllustrations-und Belegstücken stellte sich der Umfang des Buches entgegen. Demjenigen, der nach größerer Ausführlichkeit und nach Einzelheiten sucht, wird das beigegebene Literaturverzeichnis willkommene Fingerzeige geben.
Das Buch will in erster Linie dem Geschichtsunterricht in den Lehrerbildungs- und anderen Lehranstalten unserer Provinz dienen, möchte daneben den Lehrer beim Studium der Heimatgeschichte und bei der Vorbereitung auf den Geschichtsunterricht unterstützen, dürste aber auch für weitere Kreise, namentlich für die, die in der Heimatbewegung stehen und in der Kenntnis der Vergangenheit einen wichtigen Faktor des Heimatschutzes erblicken, eine willkommene Gabe seilt, nicht minder für Schul- und Volks-bibliotheken.
Möge das Buch dazu beitragen, daß die Worte, die unser Kaiser im Jahre 1689 in Hannover an eine Deputation der Universität Göttingen richtete, in unsern niedersächsischen Heimatlanden immer mehr erfüllt werden: „Je mehr und je eifriger unserm Volke die Geschichte eingeprägt wird, desto mehr wird es Verständnis für seine Lage gewinnen und dadurch in einheitlicher Weise zu großartigem Denken und Handeln erzogen werden."
Die Verfasser.
Inhaltsverzeichnis.
I. Die Uor- und Urzeit.
Vorgeschichtliches.
1. Die Eiszeiten ...................................
2. Die ältere Steinzeit und der diluviale Mensch
3. Die jüngere Steinzeit.........................-
4. Die Bronze- und Eisenzeit. Die Kelten Germanische Stämme itt unsern Heimatlanden.
1. Das Eindringen der Germanen......................
2. Die Stämme.......................................
3. Die Siedelungen..................................
Unsere Heimatlande als Schauplatz der Kümpfe zwischen Römern und
Germanen.
1. Drusus.................................................................
2. Tiberius...............................................................
3. Varus............................................................... •
4. Die Kriegszüge des Germanikus..........................................
Der Sachsenbnnd.
1. Die Sachsen............................................................
2. Der Sachsenbund........................................................
3. Die politische Gliedenrng..............................................
4. Die Eroberung Nordthüringens. 528 .........................
5. An- und Ausbau im Sachsenlande.........................................
6. Die soziale Gliederung...................................................
II. Die Zeit des Kampfes zwischen fieidentum und Christentum.
Die Franken erobern Sachsen und Friesland.
1. Die Heerzüge Pipins des Kleinen................................
2. Die erste Unterwerfung durch Karl den Großen...................
3. Die Aufstände Widukinds und das Blutgericht zu Verden . .
4. Der Verzweiflungskampf der Sachsen.............................
VIII
Inhaltsverzeichnis.
5. Widnkinds Taufe und das Ende des Krieges.........................
6. Die Veränderung der Gauverfassung in Sachsen ......
7. Friesland wird fränkische Provinz..............................
6. Das Christentum bei Sachse» und Friesen.
1. Das Christentum in Südsachsen und Nordthüringen . . . .
2. Missionsversuche bei den Engern................................
3. Die Ansänge der Mission bei den Friesen.........................'
4. Die Bistümer für Sachsen und Friesland. Willehad von Bremen
5. Kirchen und Klöster. Corvey.............................
III. Die Zeit der Eebensherrscbaff.
<. Das Herzogtum Sachsen und die Lndolfinger.
1. Innere Wirren.........................................
2. Verheerungen von anßen...............................................
3. Begründung des herzoglichen Amtes in Sachsen. 852 . . .
4. Herzog Ludolf. Das Kloster Gandersheim...............................
5. Die Lndolfinger.......................................
8. Die sächsischen Großen streben nach Fürftenmacht.
1. Hermann Billnng..............................................
2. Das Herzogsamt der Billnnger......................................'
3. Die großen altsächsischen Grafengeschlechter......................] ’
4. Die kleineren Grafengeschlechter ....................................
5. Die sächsischen Bischöfe werden weltliche Fürsten....................
6. Bischof Bernward von Hildesheim......................................
7. Das Auskommen der Häuptlinge in Ostfriesland.........................
8. Die Villikationsverfassnng...........................................
9. Die sächsischen Fürsten im Kampfe mit der Kaisermacht.
A. Zur Zeit Heinrichs III. 1039—1056.
1. Der Gegensatz zwischen den sächsischen Großen und den salischen
Kaisern.................................................
2. Heinrich III. macht Goslar zum Mittelpunkte des Reiches . .
3. Adalbert von Bremen und die Billnnger..........................
B. Znr Zeit Heinrichs IV. 1056 -1106.
4. Burgenbau in Sachsen................................................
5. Otto von Northeim uud Magnus Billnng als Gefangene des
Kaisers....................................................
6. Die Verschwörung .....................................................
7. Der Aufstand...........................................................
a. Belagerung und Verwüstung der Harzburg.
b. Niederlage an der Unstrut. 1075.
c. Verbindung der Sachsen mit Papst und Gegenkönig.
Inhaltsverzeichnis. IX
Sette
C. Zur Zeit Heinrichs V. 1106—1125.
8. Neuer Kampf. Sieg am Welfesholz. 1115................................38
9. Das Ende des Kampfes. Friede zu Würzburg. 1121 ... 38
10. Das sächsische Erbe und die Welfen.
1. Lothar Hon Süpplingenburg als Erbe der Northeimer und der
Brunonen..........................................................39
2. Lothar als Kaiser. 1125 . ...............................................39
3. Die Welfen als Erben der Billuuger...................................40
4. Der Welfe Heinrich der Stolze als Erbe Lothars. 1127 ... 40
5. Welfen und Waiblingen.................................................40
11. Heinrich der Löwe. 1148—1196.
1. Aussöhnung zwischen Welfen und Hohenstaufen..........................41
2. Die Stärkung der Territorialgewalt......................................42
3. Die Anfänge der sächsischen Städte......................................43
4. Die geistliche» Fürsten.................................................44
5. Kampf der sächsischen Fürsten gegen Heinrich..............................44
6. Christianisierung und Kolonisation des nördliche« Wendenlaudes 45
7. Heinrichs Fahrt nach dem Heiligen Lande. 1172................46
8. Heinrich in Felonie, Reichsacht und Verbannung.......................46
9. Heinrichs Rückkehr und Tod...........................................47
12. Die territoriale Zersplitterung Nordwest-Deutschlands. 1180.
1. Die Berteilung Sachsens....................................................48
2. Die Bedeutung der Zersplitterung Sachsens....................49
3. Der ostfriesische Landsriedensbuiid .......................50
4. Die Eisterzienser in Niedersachsen...............................51
IV. Die Leil des Uerfalls der KaisermacM.
13. Otto das totitb mid das Herzogtum Brannschweig-Lüneburg. 1235.
1. Die Söhne Heinrichs des Löwen.......................................52
2. Otto gründet das Herzogtum Brauuschweig-Lüneburg. 1235 . 53
3. Ottos Wirksamkeit...................................................53
4. Die Stediuger...........................................................
5. Die Teilungen des Herzogtums Brauuschweig-Lüneburg ... 55
14. Die Entstehung des Meierrechts in Niedersachsen.
1. Die Ministerialen......................................................
2. Der ritterliche Zeitpächter............................................
3. Der bäuerliche Meier...............................................57
15. Der Lüneburger Erbfolgekrieg. 1369—1388.
1. Lüneburg und Magnus II..............................................5g
2. Lüneburg und Hannover kommen an Albrecht v. Sachsen... 60
3. Das Lüneburger Land fällt wieder an Braunschweig. 1388 . . 61
X
Inhaltsverzeichnis.
Seite
16. Ostfriesland zur Zeit seiner Einigung.
1. Landverluste. Die ostfriesischen Inseln. Der Dollart .... 61
2. Einigungsfehden............................................................62
3. Die Einigung Ostfrieslands.................................................63
4. Ostfriesland wird eine Reichsgrafschaft. 1454 63
5. Die sächsische Fehde.......................................................64
17. Die Hildesheimer Stiftsfehde. 1519.
1. Die Parteien.............................................................65
2. Die Fehde in Minden, Hoya-Diepholz und Kalenberg .... 65
3. Die Fehde im Hildesheimischen............................................66
4. Die Fehde im Lüneburgischen..............................................66
5. Die Schlacht bei Soltau. 1519............................................67
6. Sieg und Siegesfeier..................................................... 68
7. Die Sieger in der Reichsacht.............................................68
8. Die Teiluug des Bistums Hildesheim.......................................69
V. Die Zelt der Reformation und des Dreissigjährigen Krieges.
18. Die Einführung der Reformation.
a. Das Fürstentum Lüneburg.
1. Aufänge der reformatorischen Bewegung.................................70
2. Ausbau der kirchlichen Verhältnisse...................................71
b. Das Fürstentum Grubenhagen.
1. Die Bewegung in Einbeck...............................................71
2. Die Förderung durch den Herzog........................................72
c. Die Grafschaften Hoya und Diepholz.
1. Hoya wird evangelisch.................................................72
2. Diepholz wird evangelisch.............................................73
d. Die Fürstentümer Kalenberg und Göttingen.
1. Erichs und Elisabeths Stellung........................................74
2. Elisabeth führt das Reformationswerk dnrch............................74
3. Gegenreformation und endlicher Sieg...................................75
e. Das Eichsfeld und die Grafschaften Hohnstein und Scharz-
feld-Lanterberg.
1. Das Eichsfeld wird evangelisch........................................76
2. Die Grafschaften Hohnstein und Scharzfeld werden evangelisch . 77
3. Die Gegenreformation auf dem Eichsfelde...............................78
f. Hildesheini, Goslar, Braunschweig-Wolfenbüttel.
1. Die Anfänge der evangelischen Beweguug................................78
2. Das Eingreifen des Schmalkaldischen Bundes............................79
3. Die Schlacht bei Northeim. 1545 ..................................... 80
Inhaltsverzeichnis.
XI
Seite
g. Stadt und Stift Osnabrück, die Grafschaften Meppen und
Bentheim.
1. Die Unruhen in Osnabrück..................................................80
2. Rat und Bischof als Förderer der »eitert Lehre............................81
3. Die Grafschaft Meppen.....................................................81
4. Die Grafschaft Bentheim...................................................82
h. Die Herzogtümer Bremen und Verden, Hadeln.
1. Die Unterdrückung der Reformation in Verden...............................82
2. Die Einführung der Reformation im Verdenschett............................83
3. Die Reformation in den Bremer Gebieten....................................83
4. Das Land Hadeln...........................................................83
i. Ostfriesland.
1. Die Brüder vom gemeinsamen Leben..........................................83
2. Gegensätze und Verwirrung.................................................84
3. Befestigung des Calvinismus in Ostfriesland .............................84
4. Spaltung und kirchlicher Friede...........................................85
19. Resormationskämpfe in Niedcrsachseu.
1. Die Wirkungen des Schmalkaldischen Krieges................................86
2. Die Schlacht bei Drakenburg. 1547 86
3. Albrecht von Brandenburg in Niedersachsen.................................87
4. Die Schlacht bei Sievershausen. 1553 87
5. Endlicher Friede..........................................................88
20. Bedeutung der Reformation für Niedersachse».
1. Die konfessionelle Einheit................................................88
2. Die Landeskirchen und die fürstliche Gewalt...............................88
3. Die kirchlichen Güter und die Schulen.....................................89
21. Beginnende Einigung der nirdersächsischen Ländergebiete.
1. Hoya-Diepholz fällt an Braunschweig-Lünebnrg. 1583 ... 90
2. Kalenberg-Göttingen und Ober-Hoya werden mit Wolfenbüttel
vereinigt. 1584 90
3. Grubenhagen fällt an Wolfenbüttel. 1596 91
4. Der Lüneburgische Erbfolgevertrag. 1610...................................91
22. Volkswirtschaftliches.
1. Bergbau und Hüttenwesen im Harz...........................................92
2. Der privilegierte Grundbesitz.............................................93
3. Das erbliche Meiergut.................................................... 94
23. Unsere Heimatlande während des Dreißigjährigen Krieges.
1. Christian von Braunschweig................................................95
2. Das Einrücken der Dänen und der Kaiserlichen..............................96
3. Der kleine Krieg..........................................................96
4. Die Schlacht bei Lutter am Barenberge. 1626 ............................. 97
5. Niedersachsen in der Gewalt der Kaiserlichen..............................97
Inhaltsverzeichnis.
Sette
6. Georg von Lüneburg-Grubenhagen in schwedischen Diensten.
a- Georgs Operationen an der mittleren Weser .... 98
b. Georgs Sieg bei Hessisch-Oldendorf. 1633 ............. 98
c. Georg als siegreicher General der niedersächsischen Kreis-
armee ..........................................................
7. Der Sonderfriede zn Goslar. 1642 99
8. Der Friede zu Osnabrück. 1648 100
VI. Die Zeit der absoluten fiirsteitmacbt.
24. Das Herzogtum Hannover. 1635.
1. Die letzte Erbteilung der welsischeu Laude. 1635 ...................100
2. Georg von Lüneburg wird Herzog von Hannover.........................101
3. Anfänge des hannoverschen Heerwesens................................102
4. Herzog Johann Friedrich von Hannover................................102
5. Die Gründung des stehenden Heeres in Hannover.......................103
6. A la mode in Hannover......................................... ...... 104
7. Leibniz in Hannover.................................................104
8. Die brauuschweigisch-lüneburgische Landespost. 1640 .... 105
25. Das Kurfürstentum Hannover. 1692.
1. Die Primogenitur und der Kurvertrag...................................106
2. Hannover als kurfürstliche Residenz...................................107
3. Verwaltung und Gerid)t................................................108
4. Das Oberappellationsgericht zu Celle.......................... 109
5. Die Landespolizei.....................................................109
6. Das Steuerwesen.................................................... . 110
7- Vereinigung von Lüueburg-Celle mit Hannover 1705 .... 111
8. Hannoversche Truppen im Spanischen Erbfolgekriege .... 111
9. Hannover in Personalunion mit England. 1714.......................112
10. Die Erwerbung der Herzogtümer Bremen und Verden. 1715. 113
11. Die Universität Göttingen. 1737 .............................. 114
12. Die Anfänge der hannoverschen Volksschule und das Seminar
zu Hannover .....................................................115
13. Die hannoversche Post...........................................115
14. Landstraßen und Wege............................................116
26. Die niedersächsischen Dörfer im 18. Jahrhundert.
1. Die Baueruklassen...................................................117
2. Das bäuerliche Besitzrecht......................................120
3. Die bäuerlicheu Verhältnisse in den bremischen Marschen . . 120
4. Die Dorfgemeinde................................................121
27. Ostfriesland kommt an Preußen. 1744.
1. Die Bürgerkriege in Ostfriesland............................... 121
2. Die Besitzergreifung durch Preußen..............................122
Inhaltsverzeichnis.
XIII
Seite
28. Hannover während des Siebenjährigen Krieges.
1. Die Schlacht bei Hastenbeck. 1757 ..................................... 123
2. Die Konvention von Zeven...............................................123
3. Die erste Franzosenherrschaft in unserm Lande..........................124
4. Die Befreiung durch Ferdinand von Braunschweig .... 124
5. Der Friede von Paris. 1763 125
29. Hannover nach dem Siebenjährigen Kriege.
1. Die Königliche Landwirtschaftsgesellschaft zu Celle...................126
2. Albrecht Daniel Thaer..................................................127
3. Die Abstellung der Frondienste. 1775 ................................. 127
4. Anfang der Gemeiuheitsteilung ........................................128
5. Landeskulturen.........................................................128
6. Hannoveraner in Gibraltar. 1775—1784 .................. 129
7. Die Teilung des Oberharzes. 1788 130
VII. Die Zeit der fremdberrscbaft und der TreiheltsRrlege.
3V. Die Teilnahme Hannovers am ersten Koalitionskriege.
1. Das haunoversche Hülfskorps.......................................130
2. Die Selbstbefreiung der hannoverschen Garnison in Meniu. . 131
3. Gerhard David Scharnhorst.........................................132
4. Der Friede zu Basel und die Demarkationslinie. 1795 , . . 133
31. Hannover unter der Fremdherrschaft.
1. Der Reichsdeputationshauptschluß. 1803 ............................. 134
2. Rückzug und Auflösung der hannoverschen Armee. 1803 . . 134
3. Die zweite Besetzung Hannovers durch die Franzosen. 1803 —
1805 135
4. Hannover kommt an Preußen. 1806 .................................... 136
5. Die hannoverschen Landschaften als westfälische und französische
Provinzen. 1807—1813 137
6. Die königlich deutsche Legion...........................................
32. Hannovers Teilnahme am Freiheitskampf.
1. Die Märztage...........................................................
2. Das Gefecht bei Lüneburg. 2. April 1813..............................139
3. Die Schlacht an der Göhrde. 16. September 1813 ... 140
4. Hannovers Erhebung ..................................................140
5. Hannoveraner in der Schlacht bei Waterloo. 18. Juni 1815 . 141
XIV
Inhaltsverzeichnis.
Leite
VIII. Die Zelt des Ringens nach Treibeit und Einheit.
33. Das Königreich Hannover während seiner Verbindung mit England
1814 — 1837.
1. Erhebung zum Königreich.................................................
2. Gebietserweiterungen....................................................
3. Die königlich hannoversche Armee. 1816...............................144
4. Verfassungs- it. Verwaltungsreformen.................................145
5. Neue Landeseinteilung (Landdrosteien). 1822 .........................14&
6. Das hannoversche Staatsgrundgesetz. 1833 ............................147
7. Die Ablösung der Grundlasten. 1833 ..................................14a
34. König Ernst Angnst von Hannover. 1837—1851.
1. Trennung Hannovers von England. 1837 ................................149
2. Die Aufhebung des Staatsgrundgesetzes................................150
3. Heeresreform nach preußischem Muster.................................150
4. Hannover als Königsstadt.............................................151
5. Gemeinheitsteilung und Verkoppelung. 1842 151
6. Eisenbahnen in Hannover. 1843 ........................... 152
7. Begründung der hannoverschen Volksschule. 1845 ..................... 153
8. Die Bewegung des Jahres 1848 ........................... 153
a. Die Wiederherstellung der Verfassung.
b. Verhältnis zur Reform des Deutschen Bundes.
9. Trennung der Verwaltung von der Justiz...............................155
10. Ernst Augusts Persönlichkeit und Tod.............................155
35. Das Ende des Königreichs Hannover.
1. König Georg V. 1851—1866 ........................ 156
2. Hannovers Haltung in der Deutschen Frage.............................157
3. Der Heeresaufmarsch bei Göttingen....................................158
4. Die Schlacht bei Langensalza.........................................159
5. Hannover wird eine preußische Provinz. 1866 ........................ 160
6. Das X. preußische Armeekorps.........................................160
36. Die Teilnahme niedersächsischer Soldaten am Kriege gegen Frankreich.
1870 n. 1871.
A. Beim VII. Armeekorps.
1. Die Teilnahme der 3 hannoverschen Regimenter......................162
2. Die Erstürmung des Rotenberges bei Spichern....................162
B. Das X. Armeekorps.
1. Mars la Tour. 16. August........................................164
2. Der Reiterkampf bei Mars la Tour..................................165
3. Das X. Korps vor Metz................................................166
Lagerleben........................................................167
Die Übergabe von Metz ............................................168
Inhaltsverzeichnis.
XV
Seite
4. Der Marsch nach der Loire...............................................168
5. Die Schlacht bei Beaune la Rolande. 28. Nov......................170
6. Vor und in Le Mans......................................................174
7. Die Hannoveraner in der Schlacht von Le Mans.....................174
8. Das Siegesfest in Hannover..............................................177
IX. fln$ der Gegenwart.
37. Kirchliches.
1. Die evangelisch-lutherische Landeskirche.......................178
a. Der Kirchenvorstand.........................................179
b. Die Bezirkssynode...........................................179
c. Die Landessynode............................................180
d. Das Landeskonsistorium.................................... 180
2. Die evangelisch-resormierte Kirche.............................181
3. Die katholische Kirche in Hannover.............................182
4. Die Innere Mission in Hannover.................................182
38. Die Landgemeinde.
1. Die hannoversche Landgemeindeordnung vom 28. April 1859 . 183
2. Die Gemeindebeamten............................................184
3. Die Gemeindeversammlung und der Gemeindeausschuß ... 184
4. Gemeindevermögen und Gemeindelasten............................185
5. Polizeiliche Rechte der Gemeinde ..................................185
39. Die Stadtgemeinde.
1. Die hannoversche revidierte Städteordnung vom 24. Juni 1858. 186
2. Das Stadtgebiet.....................................................187
3. Das Bürgerrecht.....................................................187
4. Von der Obrigkeit der Stadt.........................................188
5. Von der Vertretung der Stadtgemeinde................................189
6. Von der Vermögensverwaltung.........................................190
40. Der Kreis.
1. Die hannoverschen Kreise............................................190
2. Das Kreisvermögen...................................................191
3. Der Landrat ........................................................192
4. Der Kreistag........................................................193
5. Der Kreisausschuß ..................................................194
6. Die Dotation der Kreisverbände......................................195
41. Die Regierungsbezirke.
1. Die hannoverschen Regierungen .....................................195
2. Der Bezirksausschuß.................................................196
XVI
Inhaltsverzeichnis.
Seite
42. Die Provinz.
1. Der Oberpräfident und der Provinzialrat...........................197
2. Der hannoversche Provinzialverband...............................197
3. Der Provinziallandtag............................................198
4. Der Provinzialausschuß...........................................199
5. Die Provinzialbeamten............................................199
6. Der Provinzialhanshalt...........................................200
Literaturverzeichnis.......................................201
I. Die Uor- und Urzeit.
1. Aorgeschichtliches.
1. Die Eiszeiteu. Die ältesten Spuren des Menschen in unsern heimatlichen Landen finden sich bereits in der Diluvialzeit, der zweitjüngsten Periode der Erdgeschichte. Damals rückten von Skandinavien her gewaltige Eismassen nach Süden vor und bedeckten das norddeutsche Tiefland mit gewaltigen Gletschern und Eisfeldern. Die Vereisung zog sich bis an den Rand der Gebirge, also auch bis an das Bergland der Leine, Weser und Hase, ja reichte noch weite Strecken in den Talern hinauf. So entstand die erste oder Haupteiszeit. Die geschlossene Eismasse verhinderte den Abfluß unserer Ströme und Flüsse nach Norden und veranlaßte große seeartige Aufstauungen, die durch die Schmelzwässer der Gletscher noch vergrößert wurden und sich weit in den Tälern der Weser, Leine, Innerste, Werre, Hase und Ems hinaufzogen. Dort schütteten sie gewaltige Lager von Kies und Sand auf, die sich noch heute an vielen Stellen hoch über der Talsohle der genannten Flüsse finden. Aus ihnen läßt sich schließen, daß die Weser damals ihren Lauf uach Westen nahm und ihre Gewässer der Ems zuführte. Schließlich taute das Eis ab, zog sich uach Norden zurück und ließ in unsern nordwestdeutscheu Ebenen gewaltige Stein- und Schlammmassen, die es bei seinem Vorrücken von Norden her mitgebracht hatte, als Grundmoränen, Kiese und Sande zurück. Als Zengen für ihre Herkunft treten darin die „nordischen Geschiebe" auf, Blöcke der mannigfaltigsten Gesteine aus Skandinavien und der Ostseegegend: Gneise, Granite, Sandsteine, Kalke und vor allem_ die Feuersteine, (Findlingsblöcke, erratische Blöcke). Auf die Vereisung folgte eine wärmere Periode, die Int er glazial zeit, in der die Gletscher weit zurückwichen. Das Eis rückte darauf noch einmal gegen Süden vor, überschritt diesesmal aber nicht die Linie Braunschweig, Hildesheim, Osnabrück und brachte unsern Heimatlanden die zweite oder jüngere Eiszeit. Diese Zeit hat in den Tälern der Leine, Weser, Innerste, Hase usw. vorwiegend Kiese aus ein heimi scheu Geste tuen hinterlassen, und Vertreter der nor-
Tecklenburg u. Dageförde, Geschichte der Provinz Hannover. 1
2
1. Vorgeschichtliches.
dischen Tierwelt: Mammut, Rhinozeros, Moschusochse, Renntier u. a. sind vor dem Eisrande her nach Süden gewandert. Überreste dieser Tierwelt sind in den verschiedensten Gegenden in Kies- und Sandgruben, bei Durchstichen und Bohrungen gesunden worden. Als die jüngere Eiszeit schwand, entstand die nach glaziale Steppe. Der Wind trieb mit den zerriebenen Bestandteilen der Grund-moräne seiu Spiel in den steppenartigen Einöden. Erst nach und nach vermochten genügsame Pflanzen und niedere tierische Organismen, Fuß zu fassen. Diese schufen die Vorbedingungen für andere, hoher entwickelte Arten. Die Steppe bekleidete sich im Tieflande allmählich mit Baumgruppen; die Abhänge unserer Berge dagegen bedeckten sich mit geschlossenem Wald, in dem Elch, Rothirsch, Wildpferd u. a. Tiere hausten.
2. Die ältere Steinzeit und der diluviale Mensch. Der Mensch konnte weder auf den Eisfeldern der älteren, noch auf denen der jüngeren Eiszeit existieren, wohl aber zur Juterglazialzeit. Spuren dieses diluvialen Menschen hat man auch am Ober- und Mittellauf der Leine und an der mittleren Weser, in der Gegend von Alfeld, Gronau, Elze und Hameln, nachgewiesen. Hier lebte der Mensch als Genosse des Mammnts, des Rhinozeros und des Renntiers. Im interglazialen Kies des Seine- und des Wesertals fand man von Menschenhand bearbeitete Geweihstangen des Hirsches und des Elches zusammen mit den Zähnen des Elefanten und des Rhinozeros; ferner bearbeitete Feuersteine, Feuersteinartefakte. Unter ihnen sind besonders die Schlagkeile bemerkenswert, die an dem breiten oberen Ende meist glatt und rundlich zugeschlagen sind, so daß sie ausgezeichnet in die Handfläche passen, nach dem anderen Ende zu aber eine drei- oder vierkantige oder auch rundliche Verjüngung zeigen. Die von Menschenhand bearbeiteten Steine, wie Bohrer, Schaber, Messer u. a., dienten als Werkzeuge und Waffen. Da nur solche aus Stein oder Knochen vorkommen, so nennt man diesen Zeitraum auch die ältere Steinzeit oder die paläo* lithische Periode. Zur Jnterglazialzeit war das Leinetal an verschiedenen Stellen durch Querdämme geschlossen, so unterhalb Gottingen, unterhalb Salzderhelden, vor Alfeld und beim Austritt des Flusses aus dem Berglande, unterhalb Gronau. Dort staute die Leine ihre Gewässer zu kleinen Seen auf. Noch in nachdiluvialer Zeit waren z. B. Teile des Göttinger Tales von einem See ausgefüllt. Auf dem Grunde dieser Seen Bettete sich alles ein, was zufällig hineinfiel; so erhielt es sich bis heute. Handlich zugerichtete Bärenunterkieser und Hirschgeweihe dienten als Beile, Hacken und Hämmer, Gelenkpfannen größerer Tiere als Trinkgefäße. Die diluvialen Menschen waren Jäger und Fischer, ohne Hund, ohne Haustiere, ohne Kenntnis des Ackerbaues, ohne feste Wohnungen. Aber sie verstanden es, Feuer zu entflammen; sie wußten das wilde
1. Vorgeschichtliches.
Renntier und den Bären zu erlegen; chr Pfeil traf den Schwan, ihre Angel holte den Fisch aus der Tiefe; auf dem Kerbholze verzeichneten sie das Resultat ihrer Jagd. Gebranntes lottgeschtrr
war noch unbekannt. . . . ,
3. Die jüngere Steinzeit. Während der jüngeren Eiszeit starb
die diluviale Tierwelt teilweise aus, und der diluviale Mensch suchte wärmere Gegenden auf. Als aber die nachglaziale Steppe den Übergang zur obersten Erdschicht, dem Alluvium, bildete, da erschien neben Bar, Wolf, Hirsch, Wildschwein usw. auch der Mensch wieder in unsern Gegenden und nahm dauernd Besitz von dem Grund und Boden, den wir noch heute bewohnen. Nun beginnt die jüngere Steinzeit oder die neolithische Periode, in der ^Lerkzeuge und Waffen zwar noch vorwiegend aus Stein, Feuerstein oder Quarzit, hergestellt sind, aber in feinerer Bearbeitung. _ Denn inzwischen hatte sich im fernen Osten unter einem milderen Klima ltnt) begünstigt von einer reicheren Natur eine bedeutend höhere Kultur entwickelt, die unter anderen wichtigen Erfindungen die Kunst der Töpferei zu hoher Blüte brachte. Jene orientalischen Volker drangen zu den wilden Völkerftämmen Europas vor, um für ihre Erzeugnisse Zum und Bernstein einzutauschen. Teils auf dem Landwege durch dao Douautal aufwärts, teils als kühne Seefahrer an der Küste Europas entlang fahrend, kamen sie hinauf bis zum Bernsteinlande. £>te gelangten von der Donau aus auch nach Mitteldeutschland imb t>on hier aus durch bie Täler der Unstrut und Leine in die nordwestlichen Gegenden Deutschlands. Zn ihrer Sicherung gründeten sie an günstig gelegenen Plätzen Handelsniederlassungen. Bon den orientalischen Ständlern ging für unsere Gegend eine neue Mtur aus. Das wird durch zahlreiche Funde in fast allen Gegenden Hannovers, Westfalens und der eingeschlossenen Gebiete bewiesen. Hierher gehört auch die in der Einhornshöhle atu Südharz aufgefundene zweite Kulturschicht. Diese Funde zeigen uns den neolithischen Menschen als Ackerbauer und Viehzüchter. Er ist im Besitz der Töpferei und fertigt sehr zierlich ornamentierte Töpfe an, kennt aber noch nicht den Gebrauch der Töpferscheibe. Er versteht sich aus Spinnerei und Weberei. >ue Kenntnis der Metalle fehlt ihm noch; aber seine Stein- und Knochen-werkzeuge zeigen eine oft geradezu künstlerische Bearbeitung des spröden Stoffes. Die Steinwerkzeuge sind geschliffen, poliert und vielfach für die Anbringung von Holzstielen durchbohrt; Mahlsteine aus Sandstein oder Harzer Grauwacke bilden die rohesten Formen alter Handmühlen. Der neolithische Mensch bewohnt Hütten, die aus Baumstämmen, Reisig und Lehm gebaut sind; er setzt seine Toten in hockender Stellung mit Beigaben in Flach- oder Hügelgräbern bei. Die neue Kultur kam wahrscheinlich durch neue Ansiedler zu den Resten der Menschen, die sich aus der Diluvialzeit erhalten hatten und mit jenen zu einem neuen Kultur-
4
1. Vorgeschichtliches.
Volke verschmolzen. Die jüngere Steinzeit umfaßt etwa den Zeitraum von 3000—1500 v. Chr.
4. Die Bronze- und Eisenzeit. Die Kelten. Einen weiteren Fortschritt in der prähistorischen Kultur rief die Bearbeitung der Metalle hervor. Die ersten Metalle, die zu Werkzeugen, Waffen und Geräten benutzt wurden, waren Kupfer und Brouze (Kupfer mit Zinn-zusatz). Die Bronze war ein „vornehmes" Metall nnd ist nie zu ärmeren Gegenden und ärmeren Volksschichten durchgedrungen. Hier blieben Stein- und Knochenwerkzeuge, Muschel- und Zahnschmucksachen im Gebrauch. Die Bronzezeit hat überhaupt in unsern nordwestdeutschen Gegenden nur geringe ©puren zurückgelassen. Anders die Eisenzeit. Seit etwa 1000 v. Chr. Geburt findet sich im Südosten Europas die Verwendung des Eisens. Damit beginnt eine neue Kulturströmung nach West- und Mitteleuropa vorzudringen. Man bezeichnet die erste Eisenzeit, in ber das Eisen zunächst nur geringe Verwendung fand, nach dem ergiebigsten Fundort aus jener Zeit, Hallstadt im Salzkammergut, als „Hallstadtzeit".
Mit dem Vordringen ber Kelten von Osten her entwickelt sich nörbltch ber Alpen, etwa im 5. Jahrhunbert v. Chr., eine Kultur, die eine vollkommene Beherrschung der Eisentechnik zeigt. Nach dem Fuudorte La Töne am Neuenburger See wird diese Periode gewöhnlich als „La Tene-Zeit" bezeichnet.
Die Sitte der Leichenverbrennung gewinnt während dieser Zeit allgemeine Verbreitung. Asche und äiiochenreste werden in Urnen aufbewahrt und in Hügel- und Stein gröber it beigesetzt. Die zahlreichen Hünengräber und Urnenfriedhöfe in den heutigen Regierungsbezirken Lüneburg, Stade und Osnabrück sind die Zeugen jener Zeit und Sitte. Besonders bemerkenswert unter ihnen sind die „Sieben Steinhäuser" bei Fallingbostel im Lüneburgischen.
Die Kelten hatten sich also von Osten her auch in den Ländern der Elbe, Weser und Ems angesiedelt. Durch sie ist der Gebrauch des Eisens bei uns erst heimisch geworden; von ihnen rühren viele der erwähnten Hünenbetten her. Bei der Bestimmung ihrer Wohnsitze kommen namentlich Ortsnamen mit den Grund-worten mar — Moor, Meer, Sumpfland, Marsch, (Geismar, Sosmar, Wettmar u. ct.); lar, leri, 1er — Leere, Ode, unbewohnte Gegend, (Uslar, Goslar) in Betracht. Von Flußnamen sind die Namen der Leine (lagina — Seesluß), der Wörpe (werapa), Nebenfluß der Wümme, ber Wölpe (wilippa) unb Alpe (alapa), Nebenflüsse ber Aller, als keltisch nachgewiesen.
2. Germanische Stämme in unsern Heimatlanden.
5
2. Germanische $fämme in unsern Keimallanden.
1. Das Eindringen der Germanen. Seit dem 4. Jahrh. v. Chr. drängten die Germanen ins Land zwischen Elbe und Weser. Die Germanen nahmen die keltische Kultur zum Teil au und entlehnten damit der keltischen Sprache eine Zahl von Ausdrücken, z. B. rigs (König), ambaht (Amt). Vor den immer stärker nachdringenden Germanen wichen die Kelten aus ihren Wohnsitzen, oder sie wurdeu germanisiert und als Hörige und Unfreie in den germanischen Volkskörper ausgenommen.
Das nordwestliche Deutschland war von den germanischen Stämmen der Friesen, Chanken, Langobarden, Amsivarier, Chasnarier, Chamaver, Angrivarier und Cherusker besetzt worden. Jeder Stamm fühlte sich als ein besonderes Volk und hatte feste Grenzen. Diese bestanden in der ältesten Zeit, vor der Ausrodung des Urwaldes, größtenteils in ausgedehnten Gebirgs-, Wald- oder Sumpfgürteln oder in Seen und Flüssen. Je länger solche Stammesgrenzen Bestand hatten, um so schärfer bildete sich auch die Grenze hinsichtlich der Lebeusgewohuheiteu und Anschauungen, der Sitte, des Rechts und der Sprache. Der Verkehr, der geistige und sprachliche Austausch, die leibliche Verbindung durch die Ehe — das alles stockte au der Grenze.
2. Die Stämme. Die Friesen. Am weitesten nach Westen vorgeschoben, gehörten sie zu den ingväonischen Germanen. Sie wohnten ausschließlich auf Marschbodeu uud waren wohl bei ihrer Einwanderung bereits mit solchem Boden vertrant. Das deutet darauf hin, daß sie, ursprünglich ans der nordfriesischen Marsch und von der Westküste Schleswig-Holsteins gekommen, bis zur Rheinmündung vorgedrungen sind. Im heutigen Ostfriesland wohnten vor den Friesen Teile der Chauken. Diese räumten das Land; nun drangen von der Rheinmündnng her Friesen ein, und es fand damit die Absonderung der Ostfriesen von ihren westlichen Brüdern statt. Die Abgeschlossenheit des Landes und die Lebensweise auf dem von der See bedrohten Marschlande trugen zur Herausbildung der Sonderstellung der Friesen wesentlich bei. Die Stammesgrenzen sind besonders von ihnen aufrecht erhalten. Sie wahrten so ihre Selbständigkeit und Sprache durch Jahrhunderte, ihren Namen und manche Eigenart bis heute. Die eigentliche friesische Sprache starb indes im Lause der Zeit aus; das jetzige Friesische ist Plattdeutsch, in dem sich friesische Ausdrücke erhalten haben. Die Marschen der Friesen waren znr Urzeit deichlos.
Die Chauken oder Hu gen. Sie waren die Ostnachbarn der Friesen und einer der mächtigsten Stämme, friedfertig und dabei seetüchtig. Sie bewohnten die Küstenlandschaften von der unteren Ems bis zur untern Elbe und führten einen ununterbrochenen
6
2. Germanische Stämme in unsern Heimatlanden.
Kampf mit dem Meere. Sie breiteten ihre Wohnsitze aus und nahmen, nachdem sie mit den holsteinschen Sachsen verbunden waren, teil an der Besiedelung Englands. Dadurch wurden die Küstenstriche ostwärts der untern Ems entvölkert und von den Friesen besetzt, die hier den Namen Ostfriesen erhielten.
Die Langobarden siedelten im heutigen Lüneburgischen, im Lauenburgischen und in der Altmark. Sie verließen das Gebiet bereits im Jahre 6 n. Chr. Um bie Mitte des 2. Jahrhunderts war auch das Lauenburgische von ihnen verlassen. Sie waren elbaufwärts nach der Donau gezogen. Ihr Stammland war der mittelalterliche Bardengau, dessen Name in Bardowiek (Bardenort, Bardendorf) noch heute erhalten ist. Barden war der eigentliche Name des Volkes. Ihre Volkszahl war nur klein. Als sie nach Süden zogen, waren sie einer Bewegung gefolgt, die namentlich die östlichen germanischen Stämme, die Bnrgunben, Vandalen und Lngier, ergriffen hatte. Von der Donau zogen die Langobarden nach Italien, wo die Lombardei noch heute ihren Namen bewahrt.
Die Amsivarier, Anwohner der Ems, nachmals als fränkischer Stamm bekannt, haben bis zum Jahre 58 n. Chr. im Gebiet der Emsmündung gewohnt. Dann wurden sie von den (Ehanten vertrieben, zogen in das südliche Westfalen, an den Niederrhein und sind in den Frauken aufgegangen.
Die ©hasuarier trugen ihren Namen nach ihrem Wohnsitze an der Hase, und wohnten bis zum Dümmer. Mit den Amsivariern verließen sie ihre Gebiete auf Veranlassung der ©Haufen. Ums Jahr 100 n. Chr. finden sie sich an der oberen Weser, um 300 an der Lahn; dort sind sie die Vorfahren der Nassauer und Moselfranken geworden.
Die Angrivarier gehörten zu der Gruppe der Jstväonen. Sie wohnten südlich von den ©Hauken an der mittleren Weser, von Bremen auswärts bis in die Gegend des Steinhuder Meeres, ostwärts über die Aller hinaus und westwärts bis zum Dümmer. Mau nimmt an, dies Volk sei in seiner alten Heimat sitzen geblieben, und man hält es deshalb für ein Kernvolk des späteren Sachsenbundes, weil sein Name mit dem des sächsischen Stammes der Engern an der Weser identisch sei. Andere Forscher, aus das Zeugnis des Tacitus sich stützend, sagen, daß auch sie ihre alte Heimat aufgaben, nach Westen zogen und in das östliche und westliche Münsterland einwanderten. Die Angrivarier hatten ihre Grenze gegen die südlich wohnenden Cherusker durch einen breiten Wall geschützt, den Augrivariertoall; er zog sich von ber linken Weserseite, etwa von Lemförbe ab über Diepenau und Uchte bis Schlüsselburg, unb setzte sich bann aus bem rechten Weseruser fort bis zum Stein-tz über Meer.
Die Cherusker waren bie Sübnachbarn ber Lango&arben
8. Unsere Heimatlande alr Schauplatz der Kämpfe zwischen Römern u. Germanen. 7
und Anarivarier und gehörten zu den mitteldeutschen Herminonen; sie wohnten an beiden Seiten der oberen Weser, der Lerne und der Oker derart, daß das heutige Südhannover und Braunschweig an beiden Seiten der Oberleine ausgeschlossen blieb. Hier snßeii toohr* scheinlich Thüringer, wie sich aus dem von der niedersächsischen Art abweichenden Hausbau schließen läßt. Um Chr. Geburt ent mächtiges Volk, sind die Cherusker gegen Ende des 1. Jahrhunderts politisch vernichtet worden, und ihre Reste sind in den benachbarten Stämmen, vornehmlich in den Thüringern, vielleicht auch in den Chatten und
Langobarden aufgegangen. t r rr r . , . r ,
3. Die Siedelimgen. Die ersten Niederlassungen, gleichviel ob keltisch oder germanisch, folgten im südlichen Berglande dem Lause der Flüsse und Bäche und suchten die Quellen des nötigen Wassers wegen. Der Boden, die Enge der Täler und der dichte Wald auf den Bergen zwangen zur Anlage geschlossener Ortschaften. Anders im nördlichen Flachlande! Überall konnte man hier in geringer Tiefe das Grnndwasser erschließen und Brunnen anlegen. Die Siedelungen waren also nicht an besondere Gegenden gebunden und konnten sich nach Belieben über das ganze Land verbreiten. Daher begann bei der Neigung unserer Vorfahren, sich abzusondern, hier die Einzelsiedelung, der Einzelhof, vorzuherrschen. Zu den schon erwähnten keltischen Ansiedelungen kamen mit dem Eindringen der germanischen Volksstämme neue, die in vielen Fällen an ihren alten, schwer zu deutenden Namensformen noch zu erkennen sind. Die Namen beziehen sich in den meisten Fällen auf die Lage an Fluß und Bach, an Berg und Wald, an Moor und Ried, an Hude und Heide. Solche Namen sind z. B. Grone (e = Abschleifung von a, aha = Wasser); Nörten, Wulften, Bewenden (ten = tun — Zaun); Steimke, Bremse (ke = beke — Bach); Bornum, Lesum, Bockenem (um, em — hem — Heim); Gandersen (Gandersheim) Ülzen (en — hem — Heim); Forste, Dorste (stede, stide, ste — Stätte); Bodenburg, Harburg, Oldenburg (bürg — Bergeort); Burgwedel, Langwedel (wedel — Wald); Haverlah, Bokeloh (Iah, loh — Wald) Auch manche Orte auf ingen, ing, ungen, ung, ie, die eine Abstammung, das Eigentum oder auch eine Eigenschaft andeuten, gehören dahin.
3. Unsere Keimalkande als Schanplah der Kämpfe zwischen Körnern und Germanen.
1. Drnsus. Das Weserland Bildet den Ausgangspunkt aller Übergriffe gegen das Römische Reich. Sollte die Reichsgrenze dauernd gesichert sein und die Roiuanisierung Galliens gelingen, so mußten bie germanischen Volksstämme des Ems- und Weserlandes unter-
8 3. Unsere Heimatlande als Schauplatz der Kämpfe zwischen Römern u. Germanen.
worfen werden. Kaiser Augustus nahm daher die Eroberung des westlichen Germaniens in Angriff und beauftragte seinen Stiefsohn ?.rui“§ mit der Durchführung dieser Ausgabe. Drusus begann lernen Angriff gegen die Germanen im Jahre 12 v. Chr. Er brachte die Friesen unter römische Oberhoheit und besetzte mit Hilfe dieser neuen Bundesgenossen Borknm zur Beherrschung der Emsmünduna. Alsdann fuhr er die Ems auswärts, griff die Brukterer im Gebiete der oberen Ems an, dehnte seinen Zug bis zu den Chauken aus und schloß mit diesen einen ähnlichen Buud wie mit den Friesen. Im folgenden Jahre drang er auf dem Landwege, dem Laufe der r-lppe folgend, ins Land der Cherusker bis an die Weser, die er wahrschenilich beim heutigen Höxter erreichte. Er wäre auch noch über die Weser gegangen, wenn nicht Mangel an Lebensmitteln eingetreten wäre uud der Winter nicht bevorgestanden hätte äur Sprung der Straße vom Rhein zur Weser, die Lippe entlang legte er an der Lippe das Kastell Aliso1) an. Am weitesten qiitq der Zug des wahres 9 v. Chr. Bon Mainz aus zog er durch das Land der Chatten, überschritt die Weser und rückte durch das Cheruskerland bis an die Elbe vor.
2. Tiberius. Sein Bruder Tiberius fetzte in den nächsten wahren das begonnene Werk fort. Dem Unterfeldherrn Domitius Ahenobarbus gelang es, bis über die Elbe vorzudringen. Sein Weg führte ihn durch die norddeutsche Ebene, wo er in den Sümpfen und Morästen Bohlwege oder Knüppeldämme anlegte. Im Jahre 4 n. Chr. brachte Tiberius die Cherusker zum Anschluß an die Römer und das römische Heer blieb zum ersten Male auch während des Winters in Germanien zurück. Im Jahre darauf übernahm Tiberius emen kombinierten Angriff der Flotte und des Landheeres gegen die Chaukeu. Die Flotte fuhr die Elbe hinauf, das Sandheer ruckte vom Cheruskerlande ans vor, so daß sich die Chauken widerstandslos unterwerfen mußten.
3. Varus. Germanien war, soweit es im Plane des Augustus lag, unterworfen, und es konnte die Überleitung in die römische Verwaltung beginnen. Mit dieser Aufgabe wurde Varus beauftragt, der sich in der Folge als unfähig und den Verhältnissen nicht gewachsen erwies. Er verlegte seinen Aufenthalt ins Land der Cherusker, schlug an der mittleren Weser ein Sommerlager auf, betrachtete die Cherusker und die benachbarten Volksstämme bereits als Unterworfene und führte durch feine kurzsichtige Art und durch feine Rücksichtslosigkeit und Harte jenen Aufstand herbei, der unter der Leitung des Cheruskerfürsten Armin im Jahre 9 n. Chr. zu der bekannten Schlacht im
3n Haltern, westlich von Münster, sind die Spnren dieses Kastells wieder aufgefunden.
3. Unsere Heimatlands als Schauplatz der Kämpfe zwischen Römern u. Germanen. $>
Teutoburger*) Walde führte, die ihm den Tod und seiner Gewaltherrschaft das Ende brachte. Inmitten unserer Heimatlande steht weithin leuchtend das Hermannsdenkmal, das Standbild Armins^ der durch seinen Sieg das Römers och von unsern Gegenden und damit von unserm Vaterlande abwälzte.
4. Die Kriegszüge des Germanikus. a. Der Zug im Jahre 15.. Als Armin im Jahre 15 n. Chr. die Germanen abermals zum Kampfe rief, setzte Germanikus einen kombinierten Angriff der Flotte und des Landheeres ins Werk: während Cäcina sein Heer auf dem Landwege durch das Gebiet der Brukterer an die Ems führte, fuhr Germanikus mit vier Legionen in die Emsmündung ein, traf im Bruktererlande mit Cäcina zusammen, besuchte von da aus das Teutoburger Schlachtfeld und ließ sich alsdann von Armin in unwegsames Waldland locken, wo seine Reiterei und die Hilfstruppen durch einen plötzlichen, auf eine Scheinflucht erfolgenden Angriff hart geschlagen wurden. 2)
Kaum waren die römischen Retter in den Engpaß eingedrungen^ so griff Armin an, schnitt dadurch die in der Borhttt befindliche Reiterei und mehrere Kohorten von dem Hauptheere ab und drängte sie in das Moor. Die Deutschen hielten den Paß von Barenan besetzt, nnd es blieb dem römischen Oberbefehlshaber nichts anderes übrig, als den Rückzug zur Ems anzutreten. Da ihm jedoch die
direkte Verbindung mit der Ems abgeschnitten war, so konnte der Rückzug nur östlich des Dümtners auf der Straße über Lemförde und Diepholz und über Cornau bewerkstelligt werden. Cäcina erhielt den Auftrag, den Rückzug und die Flanke des Hauptheeres zu decken, dann sich selbst auf eigene Faust nach dem Rheine hin durchzuschlagen. Das jrrnuptheer gelangte nördlich des Großen Moores durch die Kloppenburger Moore glücklich an die Ems. Gemäß der Weisung des Oberfeldherrn eilte Cäcina, als das Hauptheer die nötige Strecke Weges voraufgezogen war, von
*) Es ist bislang nicht gelungen, den Crt der Varusschlacht unangefochten zu bestimmen. Die beiden beachtenswertesten Versuche zur Bestimmung sind von Knoke und von Schuchhardt gemacht; dieser verlegte sie in die Nähe der Groten-burg bei Detmold, jener findet ihre Stelle in den Längstälern des Teutoburger Waldes, die sich vom Passe von Iburg aus in nordwestlicher Richtung erstrecken.
2) Knoke, Kriegszüge des Germanikus, verlegt diese Niederlage des Ger-manikns nach Baren au, das zwischen den letzten Bergausläufern nördlich von Osnabrück und dem Großen Moore, südwestlich des Dümmers, gelegen ist. Die Straße ist hier paßartig verengt. Die ganze Landschaft ist auf ihrer nördlichen Seite in einer Ausdehnung von mehr als 1V2 Meilen durch ein undurchdringliches Moor abgesperrt. Auf der Südseite steigen die Höhen itnunterbrochetL derartig zu dem Engpaß nieder, daß sie die bequemste Gelegenheit zum Angriff ans ein durchziehendes Heer bieten. In der Gegend von Barenau sind zahlreicht römische Münzen gefunden. Das hat z. B. Mommsen veranlaßt, nach dort die Varusschlacht zu verlegen.
10 3. Unsere Heimatlande als Schauplatz der Kämpfe zwischen Römern U. Germanen.
Lemförde aus nach Mehrholzi), um zwei Moorbrücken, die pontes longi2), zu erreichen, ehe der Feind dort festen Fuß gefaßt hatte. Über die Brucken gelaugte Cäcina au die westliche Seite des Großen Moores unb unter steten Kämpfen gegen die dort bereits stehenden Germanen kam er über Bergfeine, Vörden und Bramsche nach Rheine And von dort nach castra vetera. Germauikus kehrte von der Ems aus auf dem Wasserwege nach dem Rheine zurück. Um die Fahrt auf dem seichten Watt zu ermöglichen, ließ er unter Vitellins zwei Legionen aussteigen und nahe dem Ufer neben der Flotte hermarschieren. Sie kamen durch eine Sturmflut in die größte Gefahr und retteten sich nur nach großen Verlusten und Mühen auf festes Land.
b. Der Zug im Jahre 16. Für das Jahr 16 wurde ein Hauptangriff von der See ans geplant. Im Juni fuhr die Flotte, taufend Segel stark, durch deu Drufuskanal bis zum Kastell Amisia an der Emsmünduug. Die Flotte wurde hier am linken Ufer der Ems zurückgelassen. Das römische Heer marschierte alsdann am rechten User der Ems hinauf, überschritt den Fluß und erreichte mittels einer Moorbrücke in der Tinner Dose die Höhen des Hümmling. Bon da aus gelangten die Römer auf Wegen, die mit Sicherheit nicht festgestellt werden können, an das linke Weserufer in der Gegend von Minden, nachdem ein Aufstand ber Angrivarier, bereit Land Germauikus eben durchzogen hatte, schnell unterdrückt war.
In der Nahe der Porta ließ Germauikus Brücken über deu Strom schlagen. Auf dem rechten Ufer erwarteten ihn die Germanen ■unter Armin, der hier mit feinem im römischen Heere dienenden Bruder Flavus eine Unterredung hatte, die zum Zweikampf geführt chatte, Ware nicht Flavus von den Römern zurückgehalten worden. Äm folgenden Tage überschritt das Hauptheer der Römer auf der Brücke südlich der Porta den Strom. Zwar erschwerten cherus-kische Abteilungen den Übergang; aber das Hauptheer stand weiter zurück, in der Nähe des Passes der Arensburg, der die Verbindung zwischen dem Norden und Süden der Weserkette herstellt. Dort sollte der Hauptschlag gegen die Römer geführt werden. So kam -cs zu dem Kampfe von Jdisiaviso, 3) wo Armin mit seinen Germanen eine völlige Niederlage erlitt.
*) Bei Mehrholz, zwischen Diepholz und Vechta, schlug Cäcina, bevor er ■auf das Große Moor überschritt, ein Lager auf. Die Spuren des Lagers sind von Knoke wieder aufgefunden und in seiner Schrift: „Das Cäcinalager bei Mehrholz", Berlin, Gärtner 1898, beschrieben.
2) Zwei parallel laufende Moorbrücken, die von Knoke aufgefunden und Don ihm als die eigentlichen pontes longi bezeichnet werden.
3) Auch die Lage des Schlachtfeldes von Jdistaviso oder Jdisiaviso ist zweifelhaft; es ist südlich und nördlich des Wesergebirges gesucht worden. Grimm -erklärt das Wort, das Jdisiaviso heißen müsse, als ^eenwiese, kommt indes aufgrund dieser Erklärung zu keiner genauen Ortsbezeichnung. Nach Knoke ist die von Eisbergen an der Weser bis an die Weserkette in nördlicher Richtung sich
4. Der Sachsenbund.
11
Danach sammelte Armin seine Germanen nördlich der We^er-fette am alten Angrivarierwall zwischen dem Steiuhuder Meer und der Weser. Alle Angriffe der Römer blieben zunächst erfolglos. Dann aber hatte das römische Heer so wesentliche Erfolge, daß es sich den Sieg zuschrieb. Germanikus hatte jedoch nur einen £eil ber Germanen besiegt und hielt es für nötig, den Rückzug anzutreten und damit sein weiteres eroberndes Vorgehen in Germamen für immer aufzugeben. Auf welchem Wege er an die Ems zurückgekehrt ist, wissen wir nicht. . r^.cc r, ,
Als Germanikus mit seinem Heere sich einschiffte, zerstreute ein schrecklicher Sturm die Flotte, und Tausende fanden ihr Grab in den Wellen der Nordsee; andere strandeten oder wurden nach entlegenen Inseln verschlagen, auch Germanikus. Dieser irrte Tage und Rächte lang an der Küste umher und hätte am liebsten auch in den Wellen den Tod gesucht. Germanikus hat die Ems nicht wiedergesehen, und neben andern Ursachen mögen seine Erfahrungen an Frieslands Küste nicht wenig dazu beigetragen haben, daß der Kaiser (47 it. Chr.) befahl, das rechtsrheinische Gebiet ganz aufzugeben. In feindlicher Absicht haben seitdem Römer unsere Heimatlande nicht mehr betreten.
4. Der Sachsenbund.
1. Die Sachsen. Im südlichen Teile der kimbrischen Halbinsel^ im heutigen Holstein, wohnten im 2. Jahrhundert n. Chr. die Sachsen, die auch drei vor der Mündung der Elbe gelegene Inseln inne hatten. Sie zeichneten sich ans durch Mut und Körperkraft, Tracht und Bewaffnung. Ihr langes Haar wallte frei über die Schulter herab; an der Seite trugen sie ihre Waffe, den Sahs oder Sax, d. i. Messer1), kurzes Schwert. Diese furchtbare Waffe, nach der die Sachsen den Namen führten, verstand der sächsische Krieger außerordentlich geschickt zu handhaben. Der Ursprung der Sachsen ist in sagenhaftes Dunkel gehüllt. Der erste Sachse sollte nach ihrer Überlieferung als Kriegsmann dem Felsgestein im wilden Walde entsprungen sein.2)
erstreckende Ebene der campus idistavisus. Seine Hypothese ist durch so viele topographische, militärische und philologische Gründe gestützt, daß man ihr am unbedenklichsten folgen kann. S. Kriegszüge des Germanikus S. 393 ff.
1) In unserm Worte Messer ist noch ein Anklang an das Wort sax enthalten. Das Kurzschwert ging als Schneidegerät, als Messer, in den Han^ halt über und erhielt den Namen mezzisax, mezzirax, messer; (mezzi, auch metti noch erhalten in Mettwurst — Speise.) . ..
2) Vergl. hierzu die Redensart „Im Lande Sachsen, wo die ichonen Mädchen aus den Bäumen wachsen", worin ein Nachklang jener Sage enthalten ist.
12
4. Der Sachsenbund.
Nur eng war das Land, das die Sachsen bewohnten, und gering ihre Volkszahl. Aber sie waren ein kühnes, verwegenes Volk das seine Wohnsitze auszubreiten trachtete. Über die Elbe zogen sie südwärts ins Land der Chauken und setzten sich hier fest. Sie landeten der Sage nach an der Küste des Landes Hadeln und bemächtigten sich mit List des Landes. Nicht schreckte sie die stürmische See. Auf kleinen, leichtgebauten Schiffen fuhren sie gen Westen und plünderten die Küsten Niedergermaniens, Galliens uud Britanniens, die damals noch den Römern gehörten. Sie setzten sich an der Nordfüste Galliens fest und gründeten, nachdem die Chauken in ihnen ausgegangen, (S. 6) in Verbindung mit Angeln und Jüten um 450 n. Chr. in Britannien eine Reihe kleiner Staaten, aus denen später das angelsächsische Reich und das heutige England hervorgegangen sind.
2. Der Sachseubnnd. Im 4. und 5. Jahrh. n. Chr. entstand an baden Seiten der Weser, östlich bis zur Unterelbe, westlich bis zum Nrederrhein reichend, der Sachsenbuud. Neben Sprache und Stammverwandtschast bildete sich im Laufe der Zeit gleiches Recht, gleiche Verfassung heraus und knüpfte das Band fester, das die einzelnen Völkerschaften des Sachsenlandes zusammenhielt, sodaß die sächsische Bevölkerung einen in sich geschlossenen, einheitlichen Volksstamm bildete, der sich „durch das leicht erkennbare Gepräge einer innerhalb des allgemeinen germanischen Volkscharakters zur Ausbildung gekommenen Eigenart von den übrigen großen Stämmen des^ deutschen Volkes unterschied". Mit der Entstehung des Bundes verschwanden die Namen seiner einzelnen Glieder allmählich. Nur der Cherusker wurde noch hier und da bei römischen Schriftstellern Erwähnung getan; der Name der Angrivarier erschien in veränderter Gestalt als Angrarii (Engern).
3. Die politische Gliederung. Es bildeten sich im Sachsenbunde vier große Gruppen: Ostfalen, Engern, Westfalen und Nord-albingier, die ihren Namen von ihren Wohnsitzen führten; denn ^alen bedeutet Ansiedler, und Engern Anger- oder Wiesenbewohner. Die Ostfalen (Ostfalahi) wohnten östlich von der Leine nach der Elbe zu. Der Mittelpunkt ihres Gebietes war die Gegend zwischen Hildesheim und Wolfenbüttel, die auch noch später als Ostfalengau (Astfalon) bezeichnet wurde. Die Engern (Angrarii, Angarii) Hatten auf beiden Seiten der Weser, von Münden bis hinab nach Bremen, einen breiten Strich Landes imie: sie teilten sich in Ost- und Westengern. Die Sitze der Westfalen (Westfalahi) werden durch die gleichnamige Provinz noch heute angegeben, und die Nord alb in gier wohnten im heutigen Holstein nördlich der Elbe.^ Jede Gruppe besprach ihre gemeinsamen Angelegenheiten auf einer großen Landesversammlung, zu der jeder Gau seine Vertreter sandte, beriet gemeinsam über Krieg und Frieden uud
4. Der Sachsenbund.
13
erhob im Falle eines Krieges den Herzog auf den Schild. Aber Westfalen wie Ostfalen redeten dieselbe allen Sachsen eigentümliche Mundart, den nieder- oder plattdeutschen Dialekt, der von der oberdeutschen Redeweise durch ganz bestimmte, auf der natürlichen Entwickelung der Sprache beruhende Eigentümlichkeit abwich. Engern und Nordalbingier lebten nach demselben Rechte, das unter allen germanischen Stämmen nur dem sächsischen Stamme eigen war. Schon in der gleichartigen äußern Erscheinung, die sich durch ganz Nordwestdeutschlaud, namentlich bei der ländlichen Bevölkerung. noch heutigen Tages findet, trat die Einheitlichkeit des gesamten sächsischen Stammes hervor. Auch die Anlage der Häuser war in Sachsen durchweg dieselbe und geschah nach dem Grundsätze, Menschen, Vieh und Vorräte unter einem Dache zu vereinigen, wie es noch heute in den Bauerhäusern Westfalens und Niedersachsens Brauch ist.
4. Die Eroberung Nordthüringens. 528. Südöstlich vom Sachsenlande war das Königreich Thüringen entstanden. Als der Frankenkönig Theoderich erobernd gegen das Thüringerreich vordrang. fanden die Kämpfe teilweise im heutigen Hannoverschen und Braunschweigischen statt. Bei Ruuiberguu (dem heutigen Ronnenberg) im Gau Merstem am Deister wurden die fränkischen Reiter in leicht überdeckte Erdfallen gelockt; dennoch erlitten die Thüringer große Verluste und mußten sich nach Arhen (dem heutigen Ohrum) an der Oker zurückziehen. Nachdem sie auch dort nicht standhalten konnten, zogen sie sich noch weiter zurück uud setzten sich in der Burg Scheidungen an der Unstrut fest. Da rief der Fraukenkönig die Sachsen zu Hülfe, und mit ihnen gelang es, Scheidungen zu erobern uud die Thüringer zn besiegen. Als Lohn für ihre Dienste erhielten die Sachsen damals das Land zwischen Harz und Unstrut. Die Bewohner des Landes wurden Hörige der Sachsen, die als Herren das Land in Besitz nahmen.
5. An- und Ausbau im Sachsenlande. Als der Sachsenbund sich bildete, hatte jeder Volksstamm ein ererbtes Recht auf seine Wohnsitze; keiner durfte sich mehr auf Kosten des andern ausbreiten. Sollte die wachsende Volksmenge Unterkommen und Unterhalt haben, so mußte das Land im Innern stärker an- und ausgebaut werden. Daher benutzten die Freien einer Markgenossenschaft den Wald, um für sich oder ihre Nachkommen daselbst neue Ansiedelungen zu begründen. Der neue Ort hatte Teil ein der Allmende des Mutterdorfes und führte auch dessen Namen. So entstanden viele gleichnamige Ortschaften, die erst in späterer Zeit durch Zusätze wie gross, klein, alt, neu, ober, nieder, unter usw. von einander unterschieden wurden. Dieser Ausbau wurde eifrig betrieben; das bezeugen die vielen Doppelorte. Welcher von diesen Orten jedesmal der jüngere ist, geht aus seiner Lage hervor;
14
4. Der Sachsenbund.
denn gewöhnlich liegen die neuen Orte weniger geschützt, weiter hinauf und näher am Walde als die Mutterdörfer. — Auch die Edelinge legten neue Orte an. Stieg die Zahl der Hörigen fo hoch, daß der Grundherr nicht Grund und Boden genug hatte, um alle zu versorgen, so sandte er einen Trupp oder torp seiner Hörigen hinaus in die gemeine Mark, meistens in den Wald, und wies ihnen daselbst einen Platz zum Anbau an. Die übrigen Markgenossen waren gern damit einverstanden; denn wer den Wald bebaute und zurücktrieb, der sorgte für den gemeinen Nutzen, da der Wald mit seinen wilden Tieren schädlich für Viehzucht und Feldbau war. Indem nun die Worte dorf, hausen, heim, hagen, seid, rode, born, beck, büttel (93au), borstel oder bostel(Burgstall), hude (Weide) und wedel (Wald), werder (Flußinsel), holz, berg, stedt, förde oder ford (furt) it. a. mit dem Namen der adeligen Grundherrn zusammengesetzt wurden, erhielt man die Bezeichnung der neuen Orte. An anderer Stelle wurde ein neuer Ort auch wohl nach seiner besonderen Lage oder nach dem Namen des ersten Ansiedlers bezeichnet. Durch die Anlage neuer Ortschaften wurde der Wald immer mehr gelichtet und auf die Höhen der Berge zurückgetrieben. Wie sehr die Ansiedler durch mühevolle Rodungen dem Walde die Feldmark abzugewinnen mußten, davon legen die zahlreichen Ortsnamen, die mit rode zusammengesetzt sind, noch heute Zeugnis ab.
6. Die soziale Gliederung. Das sächsische Volk gliederte sich in drei Stände: Edelinge, Frielinge und Laten. Daneben gab es Sklaven, die aber außerhalb der Volksgemeinschaft standen. Die Stände waren streng geschieden, die Heirat unter Personen verschiedenen Standes nicht gestattet. Wer eine Frau aus höherem Stande heiratete, verfiel dem Tode.
Die Sklaven waren entweder Knechte, d. h. Hausgesinde im Haushalt ihrer Herren, oder aber sie bewirtschafteten die Hufen, die sich im unmittelbaren Besitz ihrer Herren befanden. Sie waren zu ungemessenen Frondiensten und Abgaben an Feldfrüchten, Vieh und Kleidungsstücken verpflichtet und hatten an den von ihnen verwalteten Hufen kein Besitzrecht. Der Herr konnte sie jederzeit von der Hufe oder dem Gute trennen und mit oder ohne diese verkaufen. Wurden sie getötet, so empfing der Herr das Wergeld als Schadenersatz. Für ihre Untaten haftete der Herr immer und unbedingt. Die Sklaven waren meist unterworfene Kelten, römische und andere Kriegsgefangene und deren Nachkommen.
Die Laten waren hörige Ackerbauer mit festem Besitzrecht am Gut und, wie es scheint, schon damals gemessenen Abgaben. Ihrem Stande gehörte die große Masse der Ackerbau treibenden Bevölkerung an. Der Late war ein ebenso regelmäßiger Besitz des Edeliugs wie Waffe und Kleid, hatte aber eine rechtlich anerkannte Persönlich-
4. Der Sachsenbund.
15.
feit die durch ein Wergeld von 120 Solidi') geschützt war. Die Laten im südöstlichen Teile Sachsens waren, wie ausdrücklich bezeugt wird, ans dem dort angesessenen und von den Sachsen besiegtem Volke der Thüringer hevorgegangen. In ähnlicher Weise wird auch m den übrigen Teilen Sachsens der Stand der Laten durch kriegerische Unterwerfung eines alteingesessenen Volkes sich gebildet haben. Zur Heirat bedurfte der Late eiuer ausdrücklichen (Erlaubnis seines Herrn.
Die Frielinge waren teils bäuerliche Grundeigentümer, die unter der munt (Gewalt) der Edelin ge standen, teils freie Kolonen. Sie traten an Zahl hinter den Laten zurück und bildeten nicht, wie gewöhnlich angenommen wird, die Hauptmasse und den Kern des Volkes. Ihr Ursprung beruht aus dem Umstaude, daß unaesippte, d. h. außerhalb des Verbandes der alten Volksgeschlechter stehende Freie hauptsächlich durch Entlassung aus der Unfreiheit entstanden sind. Den Nachkommen dieser ungestppten Leute blieb die Gleichberechtigung mit den alten Volksgeschlechtern und die Aufnahme in deren Sippeverband versagt. Das einzelne Fnelmgs-geschlecht blieb unter der Gewalt der Edelingssippe, aus deren Hörigen es einst hervorgegangen war. Daher rührt auch das 5>eiratsverbot, das auch zwischen Frielingen und Edelingen bestand. Einzelne alte Freiengeschlechter hatten im Laufe der Zeit Grundeigentum erhalten, aber dieses war keineswegs volles, freies Eigentum, sondern mit Abgaben belastet. Die Frieliuge waren also persönlich frei, aber gruudherrlich abhängig.
Die Edelin ge. Über die mehr oder minder abhängigen Volksklassen hinaus erhob sich der Stand der Edelinge oder nobiles, der vollfreien Volksgenossen. Sie waren die eigentlichen Grundherrn Edeling und freier Grundeigentümer war gleichbedeutend. Ihr Vermögen bestand in Grundstücken, Sklaven und Laten. Die Grundstücke konnten nur durch Erbschaft in anderii Besitz übergehen. Es erbten nur die Söhne, die Töchter dann, wenn Söhne fehlten. Nur im Falle der Not durfte das Erbe veräußert werden. Daun hatte aber der nächste Erbe das Vorkaufsrecht. Über die Sklaven konnte der Herr jedoch frei verfügen. Jeder Edeling hatte einen Grundbesitz von etwa 4 bis 5 Hufen, die Hufe zu 30 Morgen gerechnet. Dieser Grundbesitz wurde jedoch vom Eigentümer nicht selbst bebaut, soudern war zum größten Teil an unfreie und freie Kolonen ausgetan. Kraft dieser Herrschaft über Grund und Boden übte der Edeling auch die Herrschaft über die Leute. Er ist der Grundherr, sein Besitztum ist eine Grnndherrfchaft.
i) 1 Solidus — dem 20. Teile eines Pfundes Silber; dabei ist auch die damals mindestens 10 mal größere Kaufkraft des Geldes zu berücksichtigen.
16
5. Die Franken erobern Sachsen und Friesland.
II. Die Zeit des Kampfes zwischen fieidentum und Christentum.
5. Aie Aranken eroöern Sachsen und Jriesland.
1. Die Heerzüge Pipins des Kleinen. Sachsen und Franken Ovaren von jeher feindliche Nachbarn und lagen dauernd in Grenz-llieitigleiten, sodaß den Franken die völlige Unterwerfung und Bekehrung der Sachsen nötig erschien. Schon Karl Martell unternahm mehrere Kriegszüge gegen sie und drang um 720 bis zur E er vor. Uni die von Bonifatius gegründeten Missionsanstalten zu schützen, unterwarf Karlmann einen Teil Ostfalens und empfing von den Nordthüringern das Versprechen, sich der Predigt und der Taufe nicht langer widersetzen zu wollen. Mehrfach ist auch Pipiu siegreich ins Sachsenland eingedrungen, sodaß sich die Sachsen zur Entrichtung eines jährlichen Tributs vou 300 Pferden verstehen, auch Geiseln für die Zulassung christlicher Glaubensboten in chrem Lande stellen mußten.
2. Die erste Unterwerfung dnrch Karl den Großen. Karl der trotze machte mit der Unterwerfung der Sachsen Ernst Mit «mem großen Heere drang er im Jahre 772 vom Mittelrhein aus gegen die fachst,che Grenze vor, überschritt sie in der Nähe von Fritzlar, erreichte, ohne auf Widerstand zu stoßen, das Diemeltal nnb eroberte dort die an der Stelle des heutigen Stadtberge gelegene Lies bürg. Auch bei der nordwärts, im (Schutze eines heiligen Haines auf der Iburg bei Driburg stehenden Ir minsul, einem uralten Heiligtume des Sachsenvolkes, zeigte sich vom Feinde keine Spur, sodaß Karl ungestört das Heiligtum und die geweihte Umgebung zerstören konnte. Dann brach er gegen die Weser auf. Zum ersten 1 title traten ihm Hier sächsische Kriegerscharen entgegen, aber, durch Starls rasches Vordringen eingeschüchtert, stellten sie Geiseln, und mit reicher Beute beladen, kehrte das fränkische Heer an den Rhein
k'- üöer die Zerstörung der geweihten Jrminsul, scharten
sich die Sachsen zu einem Rachezuge ins benachbarte Gebiet der Hessen gegen die von Bonifatius gegründeten Missionsanstalten. Deshalb bereitete Karl für das Jahr 775 einen größeren Kriegszug vor. Dieses Mal zog ein gewaltiges Frankenheer das Rnhrtal entlang und erreichte die Weser an der Nethemundung. Dem Solling gegenüber, am Brunsberge bei Hoxter, Hatten die Sachsen starre Verschanzungen. Hier erzwang sich Karl den Stromübergang. Emen Teil seines Heeres ließ er zur Bewachung der Weserufer und zur Deckung des Rückzuges zurück,' mit dem andern durchzog er den
5. Die Franken erobern Sachsen und Friesland.
17
Solling, überschritt die Seine und gelangte um den Nordrand des Harzes an die Oker. In der Nähe von Ohrum schlug er sein Lager auf. Hier unterwarfen sich die Ostfalen unter ihrem Herzog Hessi feierlich dem Frankenkönige, schwuren ihm Treue unb stellten eine große Zahl kriegstüchtiger Jünglinge als Geiseln. Seinen Rückweg nahm Karl burch die Deistergegend und deu Bukkigau (Bückeburg). Hier erschienen mit ihrem Herzoge Bruno die Engern und unterwarfen sich. Wenngleich der an der Weser zurückgebliebene Teil des Frankenheeres in nächtlichem Überfall fast vernichtet war, so glaubte Karl doch, daß nach seinem Abzüge die Sachsen nunmehr Ruhe halten würden. Dennoch erhoben sie sich aufs neue, und Karl mußte abermals das Schwert ziehen. Ehe sich die Sachsen versahen, stand Karl zürnend und drohend im Herzen des westfälischen Landes, an den Quellen der Lippe, legte eine neue Feste an und zwang die umwohnenden Westfalen zur Taufe unb Unterwerfung. Auf einer großen fränkischen Reichsversammlung, bie Karl im Hochsommer bes Jahres 777 zu Paderborn abhielt, sollte bieses auch äußerlich zum Ausbruck kommen. Mit einem zahlreichen, aus allen Teilen b^s Reiches gesammelten Heere erschien ber König, unb ebenso zahlreich strömten auf seinen Befehl bie Sachsen bahin, unb Eble unb Freie zeigten sich zur Annahme bes christlichen Glaubens bereit.
3. Die Ausstände Widnkinds und das Blutgericht zu Verden. Es gab aber noch Männer unter ben Sachsen, bie entschlossen waren, sich unb ihrem Volke bie Freiheit unb den alten Gotterglauben zu erhalten. Zu ihnen gehörte Widukind, ein westfälischer Ebeling. Er hatte sich von beut Reichstage zu Paderborn ferngehalten, jenseits der Elbe beim Dänenkönige eine Zuflucht gesucht und harrte der Zeit, bie ihm bie Rückkehr in bas sächsische Lanb ermöglichen würbe. Als nun im Jahre 778 bie Kuube kam, ber Frankenkönig habe in Spanien eine große Nieberlage erlitten, ba säumte Wibukinb nicht langer. Unerwartet erschien er unter seinen Lanbsleuten unb rief sie zu ben Waffen. Sengenb unb brennenb, raubenb unb plünbernb drangen sie bis an ben Rhein. Nun rückte Karl im Jahre 779 mit gewaltiger Kriegsmacht vom Nieberrhein her in Sachsen ein unb sehte im folgenbeit Jahre beit Krieg östlich ber Weser fort. An ber Oker bei Ohrum erschienen auf feinen Befehl bie Bewohner bes östlichen Sachsens, ließen sich taufen, unb Karl sah von ben an-grenzenben Hügeln beut Schauspiele zu. Zum ersten Male brang bann Karl über bie Oker hinaus in bas norbthürmgische Laub und gelangte an besten äußerste Ostgrenze bis zur Elbe, an bie Münbung ber Ohre. Ganz Sachsen ward damals von den fränkischen Heeren durchzogen; überall wurden Priester eingesetzt und Missionsanstalten errichtet; es schien, als wenn das ganze Land bezwungen sei. Wteberum war Wibukinb geflohen, unb als nun Karl bas Laub verlassen hatte, kehrte ber flüchtige Herzog zurück unb staub Mb
Tecklenburg u. Dageförde, Geschichte der Provinz Hannover. 2
18
5. Die Franken erobern Sachsen und Friesland.
Wieder an der Spitze eines zahlreichen Heeres. Statt vereint mit dem fränkischen Heere, das Karl unter Adalgis und Geilo zum Schutze der sächsisch-thüringischen Grenze gegen die Sorben entsandt hatte und in das der sächsische Heerbann eingereiht werden sollte, zu Felde zu ziehen, sammelten sich die Sachsen unter Widukind, zerstörten die erst vor kurzem gegründete Kirche zu Bremen und verjagten oder töteten die christlichen Priester. Dann umzingelten sie einen Teil des fränkischen Heeres und vernichteten ihn am Süntel1) in einem mörderischen Kampfe. In Grimm und Zorn erschien Karl alsbald in Sachsen, und da es ihm gelungen war, manchen aus den Reihen des Adels für seine Pläne zu gewinnen, drang er, von diesen Leuten unterstützt, ohne Widerstand bis in die nördlichen Gegenden des Landes vor, wo er bei Verden an der Aller ein Lager bezog. Dahin rief er die Großen der Sachsen zusammen. Sie alle bezeichneten als den Urheber des Abfalls den wiederum entflohenen Widukind unb lieferten dem Könige alle feine Genoffen aus, so viel sie derer habhaft werden konnten. Da erging gemäß den blutigen Strafen, mit denen die zu Lippspringe unter Zustimmung der Sachsen erlassenen Gesetze Landesverrat und Untreue gegen den König bedrohten, über diese Abtrünnigen ein furchtbares Gericht. Eine große Zahl der Gefangenen wurde an einem Tage auf Befehl des Frankenkönigs enthauptet.2)
4. Der Verzweiflungskampf der Sachsen. Die entsetzliche Härte des Königs rief das Volk zur Blutrache auf. Jetzt erst ward der Kamps zu einem Volkskriege. Mit voller Einmütigkeit erhob sich das Sachsenvolk, und als Karl im Jahre 783, diesmal mit stärkerer Heeresmacht als je zuvor, in Sachsen erschien, trat ihm der sächsische Heerbann, zum Verzweiflungskampf entschlossen, bti Detmold (Theotmalli) entgegen. Eine Schlacht, wie dieser Krieg sie noch nicht gesehen, ward hier geschlagen. Der Sieg blieb unentschieden. Dann brach der König gegen die Hase auf. Die durch die Det-molder Schlacht hart mitgenommenen Gegner sollten nicht aufatmen. In der Gegend des heutigen Osnabrück, am Schlagvörderberge, kam es vier Wochen nach dem Treffen bei Detmold, zu einem zweiten wütenden Kampfe, in dem die Sachsen endlich nach heldenmütigem Widerstände der besseren Führung und Schulung des fränkischen Heeres erlagen. Widukind und andere Führer der Sachsen entkamen.
1) Als Ort des Kampfes wird das Tachtelfeld unweit der Stadt Münder genannt. Auch soll das Totental, das am nördlichen Hange des Hohensteins, eines gewaltigen Felsens, sich hinzieht, seinen Namen von den Toten haben, die dort aufgehäuft lagen. Der im Tale herabrinnende Bach soll vom Blute der Erschlagenen hoch angeschwollen gewesen sein.
2) Die bekannte Nachricht von der Hinrichtung der 4500 Sachsen wird von der neueren Geschichtschreibung in Zweifel gezogen. Vergl. Jahresbericht der Deutschen Geschichtswissenschaft, 1901.
5. Die Franken erobern Sachsen und Friesland.
Die Kraft dieses letzten und allgemeinen Aufstandes der Sachsen war damit gebrochen. Trotzdem fehlte noch viel an der völligen Unterwerfung des Landes, uud unausgesetzt, Winter uud Sommer, ist Karl in den nächstfolgenden Jahren tätig gewesen. Er unternahm Züge durch Westfalen, durch Ostfalen und Nordthüringen bis an die Mündung der Saale, bis an die Nordsee und zur Münduug der Elbe, hielt einen neuen Reichstag zu Paderborn und verwüstete uud verheerte weite Landstrecken, alles, um seinen Sieg zu vervollständigen.
5. Widukiuds Tanse und das Eude des Krieges. Solange Widukind bei seinem Widerstaude verharrte, war an eine Beruhigung des Laudes nicht zu deuken. Deshalb beschloß Karl, seinen Gegner, dessen Heldenmut und Ausdauer er achten gelernt hatte, auf andere Weise zu gewinnen. Er trat mit ihm in Unterhandlung, und als der Sachse sein Mißtrauen nicht verhehlen konnte, stellte Karl ihm sogar für seine persönliche Sicherheit fränkische Geiseln. Überzeugt von der Fruchtlosigkeit eines ferneren Widerstandes und bestätigt im Besitze aller seiner Güter, entschloß sich Widukiud zum Nachgeben. Im Juni 785 fand er sich, begleitet von vielen vornehmen Sachsen, in der Köuigspsalz zu Attigny ein, gelobte Treue uud Unterwerfung und empfing die Taufet) Karl selbst vertrat bei ihm Patenstelle. Seitdem begann der Widerstand der Sachsen zu erlahmen. Das ganze westliche Sachsen, soweit es noch heidnisch war, folgte dem Beispiele seines Führers.2) Dieser blieb seinem gegebenen Worte getreu und gehörte bald zu den eifrigsten Förderern des neuen Glaubens. Voller Freude meldete Karl die Bekehruug des Sachsenherzogs dem Papste und bat, den endlichen Sieg durch ein Dankfest zu feiern. — Wohl sind auch später noch, zumal in den nördlichen Landesteilen, vereinzelte Aufstände vorgekommen, aber sie hatten keine Bedeutung mehr. Karl überwältigte diesen Widerstand dadurch, daß er einen großen Teil des Volkes in andere Gegenden seines Reiches ver-pflauzte und statt dessen Franken im Sachsenlande ansiedelte. Am längsten widerstaudeu die Nordalbingier. Aber auch sie mußten sich schließlich fügen. Mit dem Jahre 804 war der letzte Widerstand erloschen.
x) Von Widnkinds Taufe weiß die Sage mancherlei zu berichten. Platen hat sie in einem Gedicht behandelt; außerdem hat Harms sie in Prosaform in seiner Weise dargestellt uni) ausgeschmückt. Das Tiefste und Ergreifendste in bildlicher Darstellung über diesen Gegenstand hat Thnmann geleistet in seinem Wandgemälde „Widnkinds Tanfe" im Gymnafium zu Minden. Das Gemälde verlegt die Taufe zwar nicht, wie die Geschichte berichtet, nach Attigny, sondern läßt sie an einem Waldquell in der Heimat Widnkinds geschehen. Dadurch ist der Künstler in der Lage, den Gegensatz zwischen Heidentum und Christentum in ergreifender, typischer Weise zum Ausdruck zu bringen.
2) Die Stadt Herford in Westfalen hat dem Helden Widukind ein Denkmal errichtet, das ihn auf springendem Roß darstellt.
2*
20
5. Die Franken erobern Sachsen und Friesland.
6. Die Veränderung der Gauverfasiung in Sachsen. Mit Ausnahme des an die Kirche zu entrichtenden Zehnten waren die Sachsen auch fernerhin von allen staatlichen Abgaben befreit und lebten im wesentlichen nach ihrer alten Volksverfassung, nur daß jetzt der König und nicht die Volksgemeinde den Richter einsetzte. Auch die Herzogswürde wurde abgeschafft. Die Grundlage der Landesverfassung bildeten vor wie nach die alten Gaue, von denen Karl höchstens einige kleinere zu einem Gan vereinigte. Karl hat selbst dafür gesorgt, daß die Gesetze der Sachsen aufgezeichnet wurden und erhalten blieben. Die Gliederung der Stände blieb dieselbe, nur daß der Adel nach und nach eine Steigerung seines Ansehens erfuhr, weil Karl stets bemüht war, gerade diesen Stand für sich zu gewinnen. Durch die massenhaften Verbannungen und die damit verbundenen Konfiskationen, durch die Ausrottung mancher hervorragender Geschlechter war ein großer Teil des Grundbesitzes in die Hand des Königs übergegangen. Vieles davon verteilte Karl au seine Getreuen, die Grasen uud übrigen Beamten, die dadurch im Laude reichbegütert wurden, oder er verwendete es zu ausgiebigerer Dotation der Kirche. Aus dem Reste aber erwuchs das überaus große Domanium, Königs- oder Krongnt, das die deutschen Könige noch später im Sachsenlande besaßen. An der Spitze des Gaues stand wie bisher der Graf, aber er war Königsbeamter. Er war Stellvertreter des Königs als Richter, Verwaltungsbeamter und Anführer des Heerbanns. Dreimal im Jahre, alle 18 Wochen, sollte das Gaugericht oder Grafending gehalten werden. Alle Männer freien Standes aus dem Gau waren verpflichtet, sich zu diesen Gerichtstagen einzusingen. Durch öffentliche Bekanntmachung, den allgemeinen Land schrei, angesagt, fanden diese Versammlungen unter freiem Himmel, an den altherkömmlichen Ding- und Mahlstätten statt, an die sich oft noch die Erinnerung heidnischer Weise und Bedeutung knüpfte. Neben den großen Gerichtstagen hatte der Graf allgemeine Landtage zu berufen, auf denen die bürgerliche Verwaltung vom Grasen und den ding- oder gerichtspflichtigen Leuten in ihren Grundzügen geregelt wurde. Hier wurden Vereinbarungen über neue Rechte oder neue Dienste getroffen, hier etwaige Änderungen in den Volksrechten oder Volksgebräuchen verkündet und bestätigt, hier die von dem Grasen erlassenen Verordnungen bekannt gemacht; hier wurden polizeiliche Erkundigungen eingezogen und überhaupt alle Angelegenheiten örtlicher Art beraten. Auch die königlichen Befehle und Beschlüsse der Reichstage, namentlich die Kriegsaufgebote, wurden aus diesen Landtagen zur Kenntnis der Gaugenossen gebracht. Da die Erhaltung des Landfriedens überall der Grundgedanke der Landesverwaltung war, so lag auch die Ordnung und Überwachung der Kriegsverfassung in der Hand des Grasen. Er führte den Oberbefehl im Kriege, hielt im Frieden die Musterungen ab und sorgte dafür, daß die Heerpflichtigen in der
6. Das Christentum bei Sachsen und Friesen.
21
vorgeschriebenen Rüstung und Bekleidung, sowie mit dem nötigen Proviant versehen, auf den bestimmten Sammelplätzen erschienen. Nur die grundbesitzenden Freien waren heerbaunpflichtig, aber auch alle anderen, die bei einem etwaigen feindlichen Überfalle zu den Waffen griffen, standen unter seinem Befehle. f ,
7. Friesland wird fränkische Provinz. Wie Sachsen so wurde auch Frieslaud durch Karl unterworfen. Er schaffte die friesische Königswürde ab und setzte Grasen ein. Im ^ahie <85 gab Karl für ganz Friesland ein gemeinsames Gesetz, das alle bisherigen Rechte und Gewohnheiten _der Friesen berücksichtigte und so in das Volksleben üßcrging, daß die Friesen spater alle ihre alten Einrichtungen gern auf Karl den Großen zurückführten und ihm Gesetze zuschrieben, die erst Jahrhunderte später entstanden. Karl schützte das Land auch gegen die räuberischen Einfalle der Normannen, die schon damals häufig ans ihren „Meeresrappen" in südliche Gewässer fuhren und auch in Friesland raubten» plünderten und mordeten. Karl errichtete eine Küstenwache und ließ zur Verteidigung der Küste Schiffe bauen. An den Mündungen der Flüsse erbaute er feste Plätze, deren Besatzungen das Eindringen der Seeräuber verhindern sollten. Nur einmal während der Regierung Karls wagten die Normannen, Frieslands Küste zu plündern. Im Jahre 809 hatte sich nämlich der Kaiser mit dem Dänenkönig Gottfried veruneinigt und wollte ihn mit Krieg ^ überziehen. Während er zu Aachen ein Heer rüstete, erhielt er die Nachricht, Gottfried habe mit 200 Schiffen die friesische Küste überfallen und Zinsen und Lösegeld erhoben; er drohte, den Kaiser in Aachen auszusuchen. Karl zog gegen ihn. Als er bis zur Weser bei Verden vorgedrungen war, erfuhr er, daß Gottfried ermordet und feine Schiffe umgekehrt seien.
6. Aas ßhristenluin bei Sachsen und Iriesen-
1. Das Christentum in Südsachsen und Nordthüriugen.
Bouisatius hatte sich die Bekehrung der Sachsen vorgenommen und einige Versuche an den südlichen Grenzen gemocht, jedoch ohne großen Erfolg. Diese Versuche sind vielfach durch die Sage ausgeschmückt. Eine derselben knüpft sich an die oberhalb Scharzfeld am Südharz gelegene Steinkirche, eine in Kalkstein gehauene hallenartige Hohle. Auch die Gründung der ältesten Kirche Göttingens, der Albanikirche, wird durch die Sage mit Bouisatius in Verbindung gebracht. Wenngleich bestimmte geschichtliche Nachrichten über Voni-fatius Missionstätigkeit in Südsachsen nicht vorliegen, so ist doch Tatsache, daß diese Gegenden bereits vor Karl dem Großen dem Christentum gewonnen sind, denn das hannoversche Eichsfeld, die alten Fürsten^
22
6. Das Christentum bei Sachsen und Friesen.
tümer Göttingen und Grubenhagen sind stets zum Erzbistume Mainz gerechnet und auch später, als für Sachsen besondere Bistümer eingerichtet wurden, nicht davon getrennt. Mainz hatte hier zwei Archidiakonate, zu Nörten und Einbeck, uud auf dem Rusteberg, an der Südgrenze Sachsens, saß in späteren Jahrhunderten stets ein Mainzischer Vogt als Hüter der Gerechtsame des Mainzer Erzbischofs in den südsächsischen Gauen.
2. Missionsversuche bei den Engern. Der heilige Lebuin, ein Brite von Geburt, versuchte die Macht seiner Beredsamkeit bei den Sachsen an der mittleren Weser; jedoch ohne Erfolg. Fast hätte ihm der Versuch das Leben gekostet. Auf einer allgemeinen Versammlung des Volkes auf der Mahlstätte zu Markloh in Engern, in der Nähe des heutigen Nienburg, trat Lebuin unerschrocken unter die Menge. Als er in seiner Predigt auch von dem drohenden Strafgerichte sprach, das der Frankenkönig über die Widersacher des Gekreuzigten verhängen würde, erhob sich gegen ihn in der Versammlung ein allgemeiner Sturm der Entrüstung, und nur die Da-zwischenkunft einiger angesehener Männer bewahrte den kühnen Glaubensboten vor dem Märtyrertode.
3. Die Anfänge der Mission bei den Friesen. Ein er-
giebiges Arbeitsfeld wurde Ostfriesland für angelsächsische Missionare. Eine freundliche Aufnahme bei dem Friesenfürsten Aldgild fand zunächst der Erzbischof Willfried von Iork, dessen Pläne jedoch erst sein Schüler Willibrord, geb. 658, ausführte. Er war der eigentliche Apostel der Friesen. Dennoch mißlang seine Arbeit in Ostfriesland, während er im fränkischen Friesland mit großem Erfolge wirkte. Bei der Erweiterung des fränkischen Besitzes war ganz
Friesland eine Kirchenprovinz; Willibrord erhielt erzbischöfliche Weihe und Utrecht als Sitz. Er bildete nun Geistliche aus und
gründete Klöster. Aber alle seine Versuche, die freien Friesen unter Radbod, die Dänen und die Bewohner Helgolands für das Christentum zu gewinnen, mißlangen. Radbod haßte das Christentum, weil es die Religion seiner schlimmsten Feinde, der Franken, war; als aber Pipin ihn geschlagen hatte, mußte er die Glaubensboten ungehindert in seinem Lande predigen lassen. Willibrord kam nach dem östlichen Friesland und ward mit seinem Schiffe nach
Helgoland verschlagen, das dem Gotte Forsite geweiht war. Aus einer auf der Insel hervorsprudelnden Quelle durfte mau nur schweigend trinken, und die dort weidenden heiligen Rinder wagte niemand anzurühren. Willibrord taufte aus der Quelle drei Menschen und ließ von den heiligen Rindern einige schlachten und zum Essen zubereiten. König Radbod wagte aus Furcht vor dem Könige Pipin nicht, den mutigen Glaubenshelden zu bestrafen. Da Willibrord aber keinen Erfolg sah, so beschränkte er seine Tätigkeit auf die Utrechter Gegend.
6. Das Christentum bei Sachsen und Friesen.
23
4. Die Bistümer für Sachsen und Friesland. Bei der Zähigkeit, mit der die Sachsen und Friesen im Heidentums verharrten, konnte das Christentum bei ihnen nur mit Zwang und größter Strenge eingeführt werdeu. Daher erließ Karl im Jahre 782 das bekannte Kapitulare von Paderborn, das bei schweren und schwersten
Strafen die Verharrung im Heidentnme oder den Rückfall in dasselbe verbot. Auch richtete er Missionssprengel ein, von wo aus die Bekehrung beginnen sollte. Erst nach dem Kriege, als die Herrschaft der Franken in Sachsen völlig gesichert war, sind daraus auf Befehl Karls des Großeu die sächsischen Bistümer: Osnabrück, Münster, Paderborn, Minden, Verden, Bremen, Elze-Hildesheim und Halberstadt hervorgegangen. Osnabrück war das erste. Schon 787 befand sich hier eine christliche
Kirche, die der Mittelpunkt der umliegenden Gaue wurde.
Münster entstand zn Mimigardeford an der Aa. Erster Bischof
daselbst ward Liudger, der sich eifrig in seiner friesischen Heimat der
Missionstätigkeit gewidmet, bis ihn ein Einfall der Sachsen unter Widukind aus fernem Wirkungskreise vertrieben hatte. Er begann den Bau eines Münsters, wonach Mimigardeford in der Folge den Namen Münster erhielt. Liudger erhielt außer dem Münsterschen Gebiete die von ihm bekehrten friesischen Gaue au der Ems-
mündung nebst der Insel Bant. Für den südlichen Teil Engerns gründete Karl einen Bischofssitz zu Paderborn, wo schon 777 eine Kirche bestand, die aber vou den Sachsen wieder zerstört
worden war. Nordwärts der Paderborner Diözese lag der Min-dener Sprengel, der im Osten bis an die Leine bei Hannover, von da zwischen Weser und Leine aufwärts bis nach der Homburg bei Stadtoldendorf, westlich der Weser bis etwa an den Teutoburger Wald sich erstreckte. Weiter stromab an der Weser erhob
sich Verden als kirchlicher Mittelpunkt für das Gebiet der mittleren Weser, der Aller und der Ilmenau. Zu Bremen gehörten die Gaue zwischen Uuterweser und Unterelbe. Dazu kamen noch westlich der
Weser einige friesische Gaue.
Willehad. Der erste Bischof von Bremen war Willehad, ein Angelsachse. Er entging als Missionar bei den Friesen nur mit genauer Not dem Tode. Karl der Große rief ihn an seinen Hof und betraute ihn mit der Mission in der Landschaft Wigmodia an der Unterweser und in den benachbarten friesischen Gauen. Er gewann viele für das Christentum und gründete eine Anzahl von Kirchen. Aber der große Sachsenaufstand des Jahres 782 vertrieb ihn aus dieser Wirksamkeit. Nach Widukiuds Unterwerfung setzte Karl ihn zum Vorsteher des zu Bremen gegründeten Bistums ein. Bremen, damals noch ein unbedeutendes Fischerdorf, wurde nun Bischofssitz und wuchs dadurch zu einer Stadt heran. Am 1. November 789 weihte Willehad die aus ^olz erbaute Hauptkirche zu Bremen ein. Acht Tage später starb er infolge eines Fiebers zu Blexen an der Wesermündung. Das Volk betrauerte rhu und strömte in Scharen herbei, um seine Hülle die Weser hinauf zu begleiten; im Dome wurde Willehad beigesetzt. Jahrhundertelang wurde das Gedächtnis dieses Mannes in Bremen festlich begangen. Die Stadt Bremen hat dem Begründer
24
6. Das Christentum bei Sachsen und Friesen.
ihrer Große neben der Ansgarukirche ein Denkmal gesetzt und die neueste ihrer Archen nach chm benannt. Auch die Wilhadikirche in Stade die Kirche ^ Wremen und bte tn Scharmbeck führen seinen Namen. ^ m
|unt Sitze für das ostfälische Bistum hatte Karl den Ort Elze, m der Nahe der Mündung der Saale in die Leine aus-er,ehen und dort den Bau einer Kirche begonnen. Ludwig der Fromme verlegte dann nach der Sage vom tausendjährigen Rosenstock durch
zlvrs m?er n S! iv1?11’1' .^en Bischofssitz nach Hildesheim (Hildeneshem). ^er Hildesheimer Sprengel umfaßte die Landschaft am linken Ufer der Oker von deren Ursprung bis hinab zur Mün-oung m die Aller, die Gegenden an beiden Seiten der mittleren L Bt§mnad) Hannover. Auch das für Nordthür in aen errichtete Bistum Halberstadt soll anfangs nicht hier, sondern m Seligenstadt, dem spateren Osterwiek an der Ilse, bestanden haben, ^hm waren alle rechts der Oker gelegenen Gaue zuge-Diese kirchliche Gliederung schloß sich eug an die seit alters im Sachsenlande bestehende Einteilung in Gaue, sodaß Gau-uud Diozeseugrenzen fast ausnahmslos zusammenfallen.
r. r Kirchen und Klöster. Corvey. Schon zur Zeit Karls des Großen besaßen Eresburg, Osnabrück, Müuster, Paderborn, Bremen und Ham-urg christliche Kirchen. Als die Bischofssitze angelegt wurden, erhielten bteje Orte ihre Kathedralen. Auch in anderen geeigneten Orten wurden alsbald Kirchen erbaut. Für deren Unterhalt Erließ Karl besondere Vorschriften. Er verordnete, daß jede Kirche den Zehnten erhalte und mit Land und Leuten ausgestattet werde. Die Ausstattung sollte aus einem Hose nebst zwei Hufen Landes bestehen: außerdem sollten von je 120 Einwohnern sämtlicher drei Stände der betreffenden Kirche zwei Leibeigene, ein Knecht und eine Maad, überwiegen werben. Infolge von frommen Stiftungen ber Gläubigen wuchsen Vermögen unb Grunbbesitz ber Kirche balb in überraschender Weise. Namentlich wetteiferten die vornehmen Geschlechter des Landes in ber_ Gründung und Ausstattuug von Kirchen und Klostern. Das älteste und bedeutendste Kloster war EorveU ait der er' r t äucri* SaHre 816 im Sollinge, im heutigen Neithaus, am Fuße des Moosberges, gegründet, aber bereits 822 ins freund-ltchere, fruchtbare Wesertal verlegt wurde. Eorveh erfuhr bald Begünstigungen und Wohltaten in großer Zahl. Dem entsprach aber auch die segensreiche Wirksamkeit, die von hier ausging und weit über bie inich|te Umgebung hinausreichte. Es wurde in diesen Geaeu-den der Hauptsitz christlicher Gesittung und Wissenschaft. Hier lebte z. B. Widukiud, der Verfasserder „Sächsischen Geschichten". Sorbe^ war auch der Ausgangspunkt einer rührigen Missionstätigkeit, die Nch wett nach Norden bis in die skandinavischen Länder erstreckte hler aus hat der heilige Ansgarius, der Apostel des Nordens, iem großes Werk unternommen. Er war einer der ans Frankreich
7. Das Herzogtum Sachsen und die Ludolfinger.
herübergekommenen Mönche und hat längere Zeit in Corvey ber Klosterschule vorgestanben, bis er im Jahre 826 als Glaubensbote nach Dänemark nnb Schweben ging. Für bte)eit norbischen Sprengel toitrbe Ansgar ber Erzbischof, Hamburg sein Sitz. Er grünbete bie Klöster Ramelsloh unb Bassum. Wieweit Corveys Ansehen, Wirksamkeit nnb Bebentung reichte, geht am besten hervor aus bem Verzeichnis ber Orte, in benen Corvey bienst- ober zinspflichtige Höfe (Schenkungen ober Erwerbungen) hatte. Darin werben hnnberte von Orten Engerns, Ostfalens unb Westfalens genannt. Vielleicht ist Corvey auch bie Ursprungsstätte bes „Heliaitb", ber altsächsischen Evangelienharmonie, bte aus Veranlassung Lubwigs bes Frommen vou einem sächsischen Geistlichen verfaßt würbe unb Christus als reichen, rnilben unb mächtigen Volkskönig auffaßt, ber,. begleitet vou seinen Gefolgsmannen, ben Jüngern, heil- unb fegen-spenbenb bttrch bie Laube zieht. Der Stoff ber Evangelien ist national umgestaltet, bie frentbe orientalische Szenerie burch einheimische sächsische ersetzt, ein Beweis basitr, wie innig bie christlichen Anschauungen bereits mit bem beutschen Volksgemüt vereinigt waren.
m. Die Zeit der Eeben$berr$cbafl.
7. Das Herzogtum Sachsen und die Ludolfinger.
1. Innere Wirren. Nur schwer fanb sich ber freie Sachse in bie Orbnnng ber Dinge, bie bttrch Karl ben Großen in sein Lanb gekommen war, unb nur allmählich verschmolz ber Sachsenstamm auch innerlich mit bem Frankenreiche. So lange Kaiser Kart lebte, wagte es inbes niemanb, ihm ben Gehorsam zn versagen; bertn mit scharfem Auge unb starker Hanb wachte er über alle seine Einrichtungen. Als aber fein schwacher Sohn Lubwig regierte, lockerte sich bas Verhältnis Sachsens zum Frankenreiche wieber. Die Senb-grafeit wnrben nicht mehr ansgesanbt, unb bie Gaugrafen schalteten wie jelbstaubige Herren. Bei bett Wirren, bie nach Lubwigs Tobe unter seinen Söhnen ausbrachen, gelang es seinem Sohne Lothar sogar, einen Teil bes Sachsettvolkes, Freie unb Hörige, für sich zu gelohnten nnb zu einem Aufstäube gegen ben fränkisch gesinnten Abel zu vereinigen. Lothar verhieß ihnen bie Wiederherstellung ber alten Einrichtungen, wie sie vor Karl bem Großen bestauben hatten. Daher wirb bieser Aufstaub als berjeutge ber „Stellinge", b. t. Wie berhersteller bezeichnet. Unter bieser innern Zwietracht hatte das Lanb jahrelang schwer zu leiben.
7. Das Herzogtum Sachsen und die Ludolfinger.
2. Verheerungen von außen. Zu dieser Zeit drangen die heidnischen Normannen ins Land. Die Küstenverteidigung an der Nordsee war seit Karls Tode verfallen. Ungehindert fuhren sie daher den Rhein und die Ems, die Elbe und die Weser und deren Nebenflüsse hinauf, erschlugen die Männer, schleppten die Frauen und Kinder fort, verheerten die Ortschaften, äscherten die christlichen Kirchen ein, töteten die Priester oder brachten sie in Knechtschaft und waren ebenso schnell verschwunden, wie sie gekommen. Im Jahre 845 überfielen sie Hamburg mit 600 Schiffen und wüteten mit Mord und Brand. Damals rettete auch Erzbischof Ansgar nur mit Mühe sein Leben. — Ums Jahr 880 fielen die Normannen wieder in das sächsische Land zwischen Elbe und Weser; ein sächsisches Heer ward von ihnen bei Ebstorf geschlagen. Dann zogen sie sich an der Küste entlang nach Ostfriesland und verheerten alles mit Feuer und Schwert. In Norden war gerade der Erzbischof ans Bremen zur Abhaltung des Sendgrafengerichts anwesend ; er ermunterte die Friesen, für Religion, Familie und Vaterland zu fechten. Dann begab er sich mit seinen Priestern auf eine erhöhte Stelle und flehte zu Gott um den Sieg. Die Nor-mannen rückten heran, um nach ihrer Gewohnheit alles niederzumetzeln. Nach heftigem Kampfe blieben die Ostfriesen Sieger. — Den Normannen taten es die Wenden gleich; von Osten her drangen sie über die Elbe ins Land und setzten sich in den
Gegenden fest, die ehedem von Langobarden verlassen waren. Die
Gegend an der Jeetzel heißt noch heute das hannoversche Wendland und unterscheidet sich durch Ortsnamen mit der Endung ow, ze, itz u. a., sowie durch Bauart der Häuser und die ringförmige Anlage der Ortschaften von den angrenzenden sächsischen Gebieten. — Die südöstlichen Gebiete wurden von den Magyaren, den Nachkommen der Hunnen, in gleich schrecklicher Weise heimgesucht.
3. Begründung des herzoglichen Amtes in Sachsen. 852. Als im Jahre 843 durch den Vertrag zu Verdun das Land östlich des Rheins ans „Karls politischer Schöpfung ausschied und unter der Herrschaft Ludwigs des Deutscheu einen selbständigen Staat bildete, jDn fand auch das Sachsenland, wie es durch Sprache und Volkstum bedingt war, in diesem Staate seinen Platz und hat seitdem an allen Wandlungen und Schicksalen teilgenommen, die das so entstandene „Deutsche Reich" in einer tausendjährigen Geschichte durchgemacht hat."">Die stets sich wiederholenden Einfälle der Normannen, Wenden und Ungarn und die vergeblichen Versuche, sich ihrer zu erwehren, nötigten dazu, zunächst in Sachsen, als dem am meisten bedrohten Grenzlande, alle militärischen Hilfsmittel und Streitkräfte in einer Hand zn vereinigen. Die Not der Zeit forderte eine
bleibende, einheitliche und starke Zentralgewalt, und Ludwig der
Deutsche war es, der sie im Jahre 852 begründete, indem er dem
7. Das Herzogtum Sachsen itnb die Ludolfinger- 27
sächsischen Grafen Ludolf das Herzogsamt in Sachsen übertrug. Das fest ausgeprägte Stammesbewußtsein, das die Sachsen den andern deutschen Stämmen gegenüber verband, war besonders geeignet, die Herstellung einer herzoglichen Gewalt zu fördern. Der neue Herzog hatte die Oberaufsicht über alle sächsischen Grafen, berief und leitete die allgemeine Volksversammlung, verkündigte die neuen Gesetze des Königs, schlichtete die Streitigkeiten zwischen den Großen des Landes und führte deu gesamten Heerbann an. Gegen benachbarte Feinde durfte er den Heerbann selbständig aufrufen. Als Besoldung für sein Amt erhielt er einen großen Teil des Königsgutes zu Lehen. Fast wie ein selbständiger Herr konnte er im Lande schalten und walten.
4. Herzog Ludolf. Das Kloster Gandersheim. Eine Aufgabe von dieser Bedeutung konnte nur ein einheimisches, durch Abkunft, Güterbesitz und Kriegsruhm hervorragendes Geschlecht erfüllen. Ludolf entstammte einem solchen Geschlecht. In Westfalen und Engern, an Ruhr und Lippe, Weser und Leine hatte das Geschlecht Ludolfs ausgedehnte Besitzungen. Am Nord- und Südende des Harzes, bis tief nach Thüringen hinein finden wir die Nachkommen Ludolfs als Herren bedeutender Güter. Ludolf selbst hat auch im lüneburgischen Bardengau Besitzungen gehabt. Diese Ausdehnung seines Stammgutes über alle Teile des Landes mußte sein Ansehen bedeutend erhöhen, nicht weniger der Umstand, daß der König Ludwig der Deutsche einen seiner Söhne mit einer Tochter Ludolfs vermählte. Ludolf kannte Eigenart und Bedürfnisse der Sachsen und genoß großes Vertrauen beim Volke. Mit fester Hand wies er Normannen und Slaven zurück. Er gründete an der Gande, einem rechten Zufluß der mittleren Leine, das Kloster Gandersheim 852, stattete es mit Reichtum an Land und Leuten aus und weihete drei seiner Tochter zum Dienste des Herrn. Das Jungfrauenkloster zu Gandersheim ist das erste gewesen, das in sächsischem Lande von einem einheimischen Edelingsgeschlechte gegründet ist. Als ludolsin-gische Familienstiftung erfreute es sich der besonderen Fürsorge des sächsischen Herzogshauses und blühte namentlich unter Otto dem Großen auf, so daß es sich ebenbürtig der karolingischen Stiftung Corvey an die Seite stellen konnte. Durch die literarische Tätigkeit der Nonne Roswitha ist Gandersheims Ruhm bis auf den heutigen Tag erhalten. Als Ludolf im hohen Alter starb, wurde er mit seiner Gemahlin Oda in der Gandersheimer Klosterkirche beigesetzt. — Wie die Ludolfinger so zeichneten sich auch andere sächsische Grafen und Edelingsfamilien durch Klostergründungen aus. So entstanden die Klöster: Wild es hausen an der Hunte, eine Gründung der Nachkommen Widukinds, Wunstorf, Lamspringe, Ringelheim, Pöhlde, Walbeck u. a.
5. Die Ludolfinger. Die herzogliche Würde erbte in Ludolfs
28 8. Die sächsischen Großen streben nach Fürstenmacht.
Familie fort. Unter feinen Söhnen ist Sachsen zu einem wirklichen Stammesherzogtum emporgewachsen. Der älteste Sohn Ludolfs, Brun, wird als der Gründer Brannfchweigs genannt. Er fiel in der Normannenfchlacht des Jahres 880 bei Kloster Ebstorf. Dem gefallenen Brnn folgte der jüngere Brnder Otto. Ihm gelang es, in der Verwirrung und Zerrüttung der letzten Karolingerzeit, die ganze öffentliche Gewalt an sich zu bringen und so ein Herzogtum in Sachsen herzustellen, das einer völlig unabhängigen Herr-schast gleichkam. Er gründete das Michaeliskloster in Lüneburg, sicherte den Frieden im Innern und wies mit starker Hand die äußeren Feinde zurück. Auch über Thüringen dehnte er feine Macht aus; selbst die slavischen Daleminzier an der mittleren Elbe überzog er mit Krieg und suchte das Land gegen die Hunnen zu schützen. Sein Ansehen im Reiche war so groß, daß man ihn den Erlauchten nannte und ihm die Königskrone anbot, als Ludwig das Kind, der letzte Karolinger, im Jahre 911 aus dem Leben schied. Seines Alters wegen lehnte er das Anerbieten ab; aber dem Eiu-fluffe Ottos verdankte der fränkische Herzog Konrad Wahl unb Würde. Otto starb im Jahre 912. Dann übernahm Heinrich, der bereits unter feinem Vater im Kampfe gegen Wenden und Ungarn erprobt war, unter Zustimmung des ganzen sächsischen Volkes die Verwaltung des Landes. König Konrad hielt aber die große Macht, die in Heinrichs Hand lag, für unverträglich mit der Sicherheit und Wohlfahrt des Reichs und suchte dem Herzog einen Teil feiner thüringischen Lehen zu entziehen. Daher kam es im Jahre 915 zum offenen Bruche zwischen dem Könige und dem Herzoge. An ber Diemel erlitten bie Franken eine schimpfliche Nieberlage. Sie wollten bann Heinrich in ber Pfalz Grona Bei Göttingen belagern, vertrugen sich aber mit ben Sachsen, unb Heinrich blieb im Besitze seiner vom Vater ererbten Lehen. Heinrich warb bald bar auf zum beutfchen König erwählt; er würbe der Erretter Sachsens unb der Erneuerer des Reichs und gehört als solcher der deutschen Geschichte an.
8. Die sächsischen Kroßen streöen nach Ilürstenmacht.
1. Hermann Billung. Wie König Heinrich, so verwaltete auch Otto der Große sein sächsisches Herzogtum zuerst selbst. Je mehr er aber infolge feiner Politik gezwungen war, von Deutschland und seinem Herzogtume abwesend zu fein, desto mehr bedurfte er für Sachsen eines Stellvertreters. Bereits 951 übertrug er die Mark-graffchaft über die nördlichen Wenden dem Grafen Hermann Billung. Dieser war schon als junger Mann in die nächste Umgebung Ottos gekommen, wurde am Hofe wegen feines trotzigen
8. Die sächsischen Großen streben nach Fürstenmacht._________________29
Mutes und seines Sinnes für Recht und Ordnung hochgeschätzt und erhielt eine Tochter Ottos zur Gemahlin. Als Otto I. im Jahre 961 nach Italien zog, um sich die Kaiserkrone zu holen, verlieh er dem Markgrafen Hermann Billnng die herzogliche Gewalt über das nördliche und östliche Sachsen, dazn den Herzogstitel. Außerdem erhielt Hermann die Schntzvogtei über die Erzbistümer Bremen iiitd Magdeburg, sowie eine Anzahl kaiserlicher Güter zu erblichem Eigentum. Seinen Wohusitz verlegte er nun von Hermanns bürg, wo ein billnngischer Haupthof lag, nach Lüneburg und erbaute daselbst auf dem Kalkberge neben dem Michaeliskloster eine feste Burg. Er starb 973 und wurde im Michaeliskloster beigesetzt.
2. Das Herzogsamt der Billnnger. 150 Jahre haben die Nachkommen Hermann Billnngs den Herzogstitel in wachsen gesührt. Die billungischen Herzoge erscheinen aber nicht als den Grafen und Bischöfen des Landes übergeordnet, sondern lediglich als die ersten unter ihresgleichen. Wie sie, stehen auch die übrigen sächsischen Großen, geistliche und weltliche, unmittelbar unter dem Kaiser; nicht der Herzog, die Gesamtheit der Großen vertritt den sächsischen Stamm gegenüber dem Reichsoberhaupte. Es kommen daher auch in Sachsen zu dieser Zeit keine allgemeinen, vom Herzoge berufenen Landtage vor, wie dies z. B. in Bayern der Fall war. Wo allgemeine Angelegenheiten des Reichs oder des Landes zur Beratung stehen, da versammeln sich die Großen zu freien Zusammenkünften. Auch der Oberbefehl über die gesamten Streitkräfte des Landes und das oberste Gericht an der Stelle des Königs lagen nicht in der Hand der Billnnger. Sie trachteten aber danach, ihre herzoglichen Rechte namentlich auf Kosten der Bischöfe zu erweitern. Das führte in der Folge zu harten Zerwürfnissen mit den Bremer Bischöfen.
3. Die großen altsächsischen Grafengeschlechter. Neben den Billnngern kamen die Markgrafen von Stade, die Grafen von Northeim, die Brnnonen und die Grafen von Suppliugeuburg zu besonderem Ansehen und schließlich zu fürstlicher Macht. Sie haben zur Zeit der sächsischen und salischen Kaiser auf die Geschicke Sachsens bestimmenden Einfluß ausgeübt. Ihre Machtstellung beruhte teils auf dem großen Allodialbesitz, teils auf den Grafschaften, die sie vom Reiche zu Lehen trugen, teils auf den von ihnen verwalteten Bogteien über Kirchen und kirchliches Gut.
Die Grafen von Stade vereinigten in ihrer Hand großen Grundbesitz und eine Reihe von Grafschaften, die in den Gauen des Bremer und Verdener Sprengels zerstreut lagen. Dazu kam die transalbingische Grafschaft Dithmarschen und eine Anzahl von Gütern in Mitteldeutschland, die sie durch Heirat erwarben. Ihren Wohnsitz hatten sie zu Stade. Sie erbauten Harburg und Freiburg und statteten das Kloster Harsefeld aus.
30
8. Die sächsischen Großen streben nach Fürstemnacht.
Die Brunonen oder Grafen von Braunschweig hatten ihre Macht im Lande der Engern, an der Weser, Leine und Oker. In der Hildesheimer Diözese lassen sich Gau bei Gau die Gras-schafteu der Brunonen nachweisen. Unter ihren Allodien erscheint schon früh der Ort, nach dem das Geschlecht sich gern nannte, der Haupthof Bnmeswiek — Braunfchweig — mit der daneben gelegenen Burg Dankwarderode.
Die Grafen von Northeim und Katlenburg hatten ihre Stammsitze und Grafschaften an der Rhume, der Oberleine und der Oberweser bis hinauf zu den Gipfeln des Harzes. Ihre Haupthöfe lagen in Northeim und Einbeck. Mehr als andere vornehme Geschlechter Sachsens haben sich die Northeimer durch reiche Schenkungen an die Kirche ausgezeichnet. Das Alexanderstift in Einbeck, das Kloster Katlenburg, das Stift St. Vlasii zu Northeim und die Klöster Amelungsborn, Lippoldsberg und das berühmte Bnrsselde an der Weser verdanken ihnen ihre Entstehung.
Die Grasen von Haldensleben oder Süpplingenburg übten die Verwaltung der Nordmark, die seit Markgraf Geros Tode (965) ein besonderes Reichslehen bildete. Sie wechselten in diesem Amte mit den Grasen von Walbeck. Die Haldenslebener Grasen hatten ihren Sitz in Ostfalen und dem sich daran schließenden Teile Nordthüringens. Auf eiuem ihrer Güter, dem am Elmwald gelegenen Hofe Lutter, jetzt Königslutter, gründeten sie ein Kloster.
4. Die kleineren Grafengeschlechter. Ähnlich, wenn auch nicht in gleichem Maße, entwickelte sich die Macht anderer Grafenhäuser, der Grafen von Hoya, Diepholz, Bruchhausen, Plesse, Dassel it. a. Die Grafen von Hoya saßen als Inhaber des Grafenamtes auf der Burg zu Hoya an der mittleren Weser. Ihre Allodien und Sehengüter lagen weit zerstreut, wurden aber durch Kauf, Tausch, Erbschaft, Heirat und Fehden abgerundet. Sie hatten dabei gegenüber den benachbarten Grafenhäusern von Wunstorf, Hallermuud (später Oldenburg), Tecklenburg, Stumpenhausen u. a. allerdings einen schweren Stand; ebenso gegenüber den benachbarten Bischöfen von Minden und Bremen. Aber sie wußten sich zu behaupten. In ihren Schutz begaben sich z. B. die Grafen von Diepholz, sodaß die Hoyaer die Lehensherren der Diepholzer wurden, die ihrerseits später (1318) wieder mit der Grafschaft über die fog. „Wischfriesen", einer friesischen Niederlassung auf dem Wiesen-gründe südlich des Dürnrners, belehnt wurden. Allodien und Lehengüter wurden kaum noch unterschieden, und so wurden sie Herren eines geschlossenen Gebietes, in dem sie später auch die Landeshoheit ausüben sollten. Die Grasen von Dassel hatten das Jlmetal und den größten Teil des Sollings inne; sie starben schon früh aus; ihr Gebiet ging durch Kauf teilweise in den Besitz der wel-
8. Die sächsischen Großen streben nach Fürstenmacht.
31
fischen Fürsten über, teils kam es in die Hände des Bischofs von Hildesheim. Auch die Grafen von Plesse bei Göttingen starben aus und überließen ihr Gebiet durch Erbschaft dem Landgrafen von Hessen, bis es im vorigen Jahrhundert mit den niedersächsischen Ländern wieder vereinigt wurde. — Das Bestreben aller sächsischen: Grafen ging dahiu, von der Kaisermacht möglichst unabhängig 5zu werden. Dieses Ziel erreichten sie unter den Nachfolgern Ottos des Großen. Von des Kaisers Macht und Person war wenig mehr im Sachsenlande zu spüreu. Daher gelang es den sächsischen Grafen, das ihnen verliehene Krongut mit ihrem Allode zu vereinigen und-die Grafschaften als ihr erbliches Eigentum zu behaupten. Sie setzten Untergrafen in ihren Gebieten ein und wuchsen so immer mehr zu selbständigen Fürsten empor.
5. Die sächsischen Bischöfe werden weltliche Fürsten. Bei dieser-Entwickelung war auch die Kirche nicht müßig. Bistümer und Kloster-Waren von vornherein vom Grafengericht ausgenommen, eximiert, und bildeten einen eigenen Gerichtsbezirk. Sie wurden immer mehr zu Mittelpunkten des sich sammelnden Reichtums an Land und Leuten. Auch Reichsländereien waren in die Hände der Kirche übergegangen und damit das Recht, über sie an Kaisers Statt zu verfügen. Durch Schenkungen, Belehnungen und Kauf kamen neue Besitzungen dazu,, sodaß sich allmählich auch um die sächsischen Bischofssitze große zusammenhängende Gebiete herausbildeten, die durch Übertragung ganzer Grafschaften noch vermehrt und befestigt wurden. So kam es, daß von der heutigen Provinz Hannover nicht weniger als ein Drittel des Grund und Bodens in den Besitz geistlicher Herren kam. Kein Wunder, wenn nun auch die Bischöfe es den Grafen gleichtaten, indem sie die Regierung ihrer Gebiete irrt eigenen Namen zu führen suchten. Dazn ragten sie durch ihre geistige Bildung und ihre Geschäftskenntnis hervor und bildeten einen Stand, ans dem in der Regel die vertrautesten Ratgeber des Königs hervorgingen. Godehard und Bernward von Hildesheim, Adeldag und Adalbert von Bremen, Meinwerk von Paderborn, Engelbert von Osnabrück, der sich zuerst unter den sächsischen Bischöfen als princeps bezeichnete, it. a. sind solche Männer, die in Sachsen die fürstliche Gewalt der Bischöfe begründeten und anbahnten. — Durch das Borgehen der weltlichen und geistlichen Großen war die innere Einheit des Herzogtu ms Sachsen vernichtet. Den Grund dazu hatte Otto der Große gelegt, indem er das Stammesherzogtum Sachsen nicht in einer Hand vereinigte.
6. Bischof Bernward von Hildesheim. Zu den bedeutendsten Männern der ottonischen Zeit gehört Bernward von Hildesheim. Aus edlem sächsischen Geschlechte entsprossen, mit ausgezeichneten Anlagen, und unermüdlichem Fleiß ausgestattet, erwarb er sich außerordentliche Fertigkeit im Schreiben, Malen, in Metallarbeiten und in der Bau- und Bildnerkunst. Im jugendlichen Alter zum .
8. Die sächsischen Großen streben nach Fürsteiimacht.
Priester geweiht, berief ihn die Kaiserin Theophano zum Lehrer und Erzieher ihres Sohnes. Bernward leitete den künftigen Kaiser mit großem Erfolge und blieb der Ratgeber Ottos III. Im Jahre 993 wurde Bernward Bischof von Hildesheim. Bei allen fernen Anordnungen achtete er auf die Wohlfahrt des Reichs, seines Bistums und ieiner Stadt Hüdcshehn. Er begünstigte die Gründung von Klöstern und stiftete selbst in Hildesheim das Michaeliskloster als das bedeutendste Denkmal seines Lebens. Hildesheim verdankt ihm seine Befestigung. — Hatte Seirnmarb seinen gottesdienstlichen Pflichten genügt, so ging er an seine weltlichen Geschäfte, schlichtete gerichtliche Händel mit Scharfsinn, sorgte für die Pflege der Armen uud Kranken, besuchte die Werkstätten, wo Metallarbeiter und 5 m S Angaben Schmuck und Zierat für die Gotteshäuser her-
stellten. Mit Vorliebe ergriff er selbst die Werkzeuge. Seinem Fleiße verdankte die Domkirche einen neuen, mit edlen Metallen und Steinen geschmückten Hochaltar, eine von Gold und Silber glänzende Kr one und ein mitGold überzogenes mit perlen Steinen und Gemmen reich verziertes Kreuz. Seine berühmtesten Arbeiten sind die metallenen Türen des Domes und die bronrene <Lhristussaule. In der Gruft des Michaeliskloster ist er begraben. Selten wird man einen Kirchenfesten finden, der in gleicher Weise eine glänzende'änßere Stellung mit einer ]o rührenden Demut, eine künstlerische und gelehrte Bilduna mit einer so eifrigen Sorge für das Wohl des armen gemeinen Volkes verbunden hat.' Vor dem Dome in Hildesheim ist ihm in neuerer Heit ein Denkmal errichtet. u
7. Das Aufkommen der Häuptlinge in Oftfriesland. In D|t-
friesland war bte Grafen würbe balb nach bem Tobe Karls bes Großen in ben erblichen Besitz ber benachbarten Grafen von Olben-bürg, von Hollanb unb ber Bischöfe von Münster gekommen. Diese erschienen nur selten in Frieslanb. Sie setzten Schulzen ein. Wohl sorgten biefe für bie Erhebung ber ihren Herren zustehenben Abgaben; aber Frieben unb Recht im Laube vermochten sie nicht zu schützen. Jebe Laub sch aft wählte bah er aus ber Zahl ber Grunb-besitzer Ratmänner ober Richter, bie nunmehr bie Gerichtsbarkeit ausübten. Auf manchem Bauernhöfe würbe bte Richterwürbe erblich unb verschaffte bem Besitzer befonberes Ansehen. Viele Ebelinge fingen an, sich feste Steinhäuser ober Burgeu zu bauen, bie m Kriegszeiten nicht bloß ihnen, sonbern auch ben übrigen Einwohnern bes Orts Schutz gewährten; bafür leisteten sie bem Burgherrn Hülfe im Kriege, Arbeiten unb Abgaben für bie Erhaltung ber Burg. Solche burch Macht mtb Ansehen hervorragenbe Gruub-besitzer gab es balb in fast allen größeren Ortschaften Ostfrieslanbs; man nannte sie Häuptlinge. Jeber von ihnen suchte seine Macht zu erweitern; so kam es zu viel Streit unb Fehbe in Frieslanb. llnb boch bebrohten gefährliche Feinbe von außen bas Lanb: noch immer wieberholten bie Normannen ihre Raubzüge, von Suben her brohten bie Herzoge von Sachsen, unb bas unersättliche Meer, ber schlimmste Feinb, riß ein Stück nach bem anberu von ber Küste fort.
8. Die Villikationsverfasfuttg. Der Gruubbesitz ber weltlichen unb geistlichen Herren war so gewachsen, lag so zerstreut in verschobenen Gegeuben, baß ber Grunbherr nicht einmal ben Hof, ben ev selbst bewohnte, ben Herrenhof, persönlich bewirtschaften konnte.
9. Die sächsischen Fürsten im Kampfe mit der Kaisermacht.
33
Er setzte dazu einen seiner Hörigen ein; das war der Meier oder villicus. Dieser verwaltete auch die zugehörigen Lathufen. Der Herrenhof oder Haupthof bestand aus dem eigentlichen Hofe, dem Siedelhof, und zugehörigem Ackerland, dem Salland, und hatte den Namen Amt oder Vorwerk. Der Villikus oder Meier führte die Landwirtschaft auf dem Herrenhose mit unfreien Knechten und den srondienstpslichtigen Bauerm, die auf den Lathufen saßen. Die Erträge der Wirtschaft flössen dem Herrn zu. Die ßathufe1) war ein vollständiges Bauerngut. Sie wurde von dem Laten selbst bewirtschaftet, mußte aber bestimmte Abgaben an den Grundherrn liefern: Getreide, Vieh, Eier, Käse, Butter, Honig. Holz, Tuch und Hausgeräte. Der Late hatte ein dingliches Nutzungsrecht an seiner Hufe, das unter bestimmten Voraussetzungen vererblich war. Die Fron- oder Herrendienste waren verhältnismäßig unbedeutend. Jeder Late mußte einen jährlichen Kopfzins, gewöhnlich ein Huhn, an den Herrn bezahlen. Bei der Heirat hatte er eine Heiratsabgabe, den Bedemnnd oder die Baulebung, zu entrichten. Starb der Late, so nahm der Herr seinen beweglichen Nachlaß ganz oder zum Teil an sich; nur die Hufe wurde auf den nächstberechtigten Angehörigen des Laten vererbt. Ost jedoch verzichtete der Herr zu Gunsten der Familie auf den Nachlaß und nahm nur das Besthaupt, d. i. das beste Stück Vieh, oder das beste Kleid. Die Rechte und Pflichten des Laten bildeten das Hofrecht; die Laten bewahrten es in lebendiger Erinnerung und übten danach im Namen des Herrn selbst die Rechtsprechung im Hofgericht oder Meierding. Vorsitzer dieses Gerichts war der Herr oder auch der Meier.
9. Die sächsischen Inrsien im Kampfe mit der Kaisermachl.
A. Zur Zeit Heinrichs III. 1039—1056.
1. Der Gegensatz zwischen den sächsischen Großen und den falschen Kaisern. Im Jahre 1024 starb auf der Pfalz Grona bei Göttingen Kaiser Heinrich II., „des sächsischen Geschlechtes letzter Zweig." Seine Nachfolger, die Salier, wollten das gesunkene kaiserliche Ansehen wiederherstellen, verlorene Rechte wiedergewinnen und die Fürsten zur Anerkennung der Kaisermacht zwingen. Das schien vor allen Dingen in Sachsen nötig zn sein. Hier war das große Haus- und Reichsgut der Ludolstnger fast vollständig in die Verwaltung der Kircheufürsteu und großen Dynastengeschlechter über-
*) Eine Hufe in Niedersachsen — 30 Morgen.
Tecklenburg u. Dageförde, Geschichte der Provinz Hannover. Z
34
9. Die sächsischen Fürsten im Kampfe mit der Kaisermacht.
gegangen, und von dem großen Domaninm, das noch die Ottonen besessen, waren nur kümmerliche Reste vorhanden. Nur die altberühmten Königspfalzen und die Bannforsten und Jagdgründe des Harzes gingen in die Hände der salischen Kaiser über; so die Pfalz Werla, die Heinrich II. mit ihrem reichen Zubehör nach Goslar verlegt hatte, wo seit Otto I. die Schätze des Rammelsberges zu Tage gefördert wurden. Die Kaiser fränkischen Geschlechts wollten diese Reste des Reichsgutes festhalten und von hier aus die verloren gegangenen Besitzungen und Rechte zurückfordern. Das mußte hauptsächlich die großen Adelsgeschlechter treffen, und da diese nicht gewillt waren, ihre erlangten Vorrechte aufzugeben, so war der Streit unvermeidlich.
2. Heinrich III. macht Goslar zum Mittelpunkte des Reichs.
Die Aufgaben der salischen Kaiser in Sachsen erkannte zuerst in voller Klarheit Heinrich III. Er machte daher Goslar zum Mittelpunkte seiner Herrschaft. Hier hat er während seiner Regierung fast jahrein, jahraus geweilt und eine Reihe glänzender Reichstage abgehalten, hier ist ihm die Mutter gestorben, und hier ist sein Sohn Heinrich IV. geboren worden. Neben dem Kaiserpal aste, der noch heute als eine Zierde Goslars vorhanden ist, gründete Heinrich einen prachtvollen Dom, den er mit kaiserlicher Freigebigkeit ausstattete, und seine Gemahlin gründete auf dem Petersberge vor der Stadt ein Kollegiatstift.^) Auch die Anfänge der Befestigung Goslars werden auf Heinrich HI. zurückgeführt. Diese Anstalten des Kaisers sahen die Sachsen mit Besorgnis und Unmut. Außerdem stand der Kaiser in einem vertrauten Verhältnisse zu dem Erzbischöfe Adalbert von Bremen, der gegen das billungische Herzogshaus eine ähnliche Politik verfolgte wie der Kaiser gegen alle sächsischen Großen. Kaiser und Erzbischof waren also natürliche Bundesgenossen, und der Erzbischof förderte unausgesetzt die Pläne des Kaisers. Heinrich III. starb in der Blüte seiner Jahre, ohne die kaiserlichen Aufgaben in Sachsen gelöst zu habeiL Sein Leib sollte nach seinem Wunsche in der Ahnengruft zu Speier beigesetzt, sein Herz2) aber im Dome zu Goslar aufbewahrt werden.
3. Adalbert von Bremen und die Billnnger. Zu den glänzendsten und großartigsten Gestalten unter den deutschen Bischöfen gehört Adalbert von Bremen. Er entstammte dem Hause der sächsischen Pfalzgrafen von Goseck, deren Burg an der Mündung
*) Ein Stift, das keinen Abt, sondern drei Geistliche (also ein Kollegium) an seiner Spitze hat.
2) Dies Kaiserherz, in einer goldenen Kapsel verschlossen, wurde 1820, nachdem der Goslarer Dom völlig in Trümmer gesunken, nach Hannover ins Weifenmuseum gebracht, auf Veranlassung Kaiser Wilhelms I. aber aus dieser profanen Umgebung entfernt und in der St. Ulrichskapelle des wiederhergestellten Kaiserhauses zu Goslar beigesetzt.
9. Die sächsischen Fürsten im Kampfe mit der Kaisermacht.
35
der Unstrut, Naumburg gegenüber, lag. In ber Schule zu Halberstabt für ben geistlichen Stand Dorgetiilbet, wirkte er mehrere Jahre als Dompropst bafelbft unb wurde 1043 von Heinrich III. zum Erzbischof von Bremen berufen. „Mit einer gewinnenben Liebenswürdigkeit unb einer hinreißenben Macht ber Rebe verbanb er ein ausgebreitetes Wissen, einen schöpferischen Geist unb einen ibealen, nach den höchsten Zielen strebenben Sinn, ber ihm mit Heinrich III. gemein war unb ihn mit ben Traumen von einem auf bie Bremer Kirche zu grüubenben Patriarchate für ben ganzen Norben Europas erfüllte." Mit Unwillen sah er, wie bie billungis tchen Herzöge ihre Macht nach allen Seiten erweitert, wie sie Rechte bes Erzbischofs an sich gerissen hatten, wie sie in einem großen Teile bes Bistums bie Grafengewalt übten unb bas Bistum in eine vom Herzogtum abhängige Stellung zu bringen suchten. Er sprach es offen aus: „Es soll kein Herzog ober Gras, noch sonst eine Gerichtsperson sich irgenb eine Gerichtsbarkeit ober Macht in meinem Bistnme anmaßen." So empfanben bie Billunger bie Einsetzung Abalberts in bas Bremer Erzbistum als eine schwere Bebrohung, unb Herzog Bernharb II., ein Enkel Hermann Billungs, meinte: „Dieser Prälat kommt als Kunbschafter unb will bem Kaiser^ bie Schwäche bes Laubes verraten; aber so lange ich unb meine Söhne leben, soll er keinen frohen Tag in seinem Bistume haben." Bernharb hielt Wort. Balb kam es zwischen beiben Parteien zu § anbetn unb schließlich zu offenen Feindseligkeiten, sobaß Abalbert zum Schutze seines Laubes mehrere Burgen baute, währenb ber Herzog in Hamburg, gegenüber ber Altstabt, wo ber Erzbischof wohnte, bie „neue Burg" an ber Alster anlegte.
B. Zur Zeit Heinrichs IV. 1056—1106.
4. Burgenbau in Sachsen. Um gegen bie sächsischen Fürsten einen sicheren Halt zu haben unb bas Reichsgut in Sachsen besser schützen zu können, legte Heinrich IV., unter bem Einflüsse Abalberts von Bremen stehenb unb daher anknüpfend an die Politik seines Vaters, in den Harzgegenden eine Reihe fester Burgen an. Als erste und gewaltigste unter ihnen erscheint die Harzburg, die zur Beschirmung Goslars erbaut wurde. Auf hohem, weit in das Land vorspringendem Berge gelegen, zu dem nur ein einziger schwer zugänglicher Weg hinaufführte, an ben übrigen Seiten von bichtem Walb umschattet, ber sich ununterbrochen bis zu ben Grenzen Thüringens hinzog, war sie mit großer Pracht erbaut. Im Innern erhoben sich königliche Gebaube unb ein reich ausgestattetes Münster. Hier weilte Heinrich mit Vorliebe. Nach altem Lanbrechte mußte bas sächsische Volk bazu selbst Dienste und Leistungen tun, auch mußte bie Umgegenb für bie Bedürfnisse des königlichen Hofes Sorge tragen. So ward die Anwesenheit des Hoses zu einer drückenden Last.
3*
36
9. Die sächsischen Fürsten im Kampfe mit der Kaisermacht.
Die Bewachung der Burgen übertrug Heinrich schwäbischen und fränkischen Dienstleuten. Kein Wunder daher, wenn die Sachsen diese Festen als Zwingburgen betrachteten und mit wachsender Unzufriedenheit die Pläne des Kaisers verfolgten.
5. Otto von Northeim und Magnus Billung als Gefangene des Kaisers. Es geschah, daß Graf Otto von Northeim angeklagt wurde, dem Kaiser nach dem Leben getrachtet zu habeu. König Heinrich war auf seiner Rückkehr aus einem Wendenfeldzuge in Northeim bei Graf Otto zu Gaste. In der Nacht entstand ein Tumult vor dem Schlafgemache des Kaisers, und bald danach erschien in Goslar ein Mann, namens Egino, und sagte aus, Otto habe ihm in jener Nacht ein Schwert und die Weisung gegeben, den Kaiser zu .erstechen. In einem Zweikampfe mit seinem Ankläger sollte Otto in Goslar seine Unschuld beweise«. Otto erschien nicht, er wurde daher für schuldig erklärt, in die Acht getan uud verlor alle seine Lehen und Würden, zu denen auch das Herzogsamt in Bayern gehörte. Die Ausführung des Urteils übernahm der Kaiser selbst; er besiegte Otto bei Esch Wege an der Werra uud gewährte nur unter der Bedingung Frieden, daß Otto und sein Freuud Magnus, der Sohn des billungischen Herzogs, sich freiwillig zur Gefangenschaft stellten. Nach mehr als einjähriger Gefangenschaft wurde Otto von Northeim freigelassen, Magnus aber, da er nicht auf feilt Herzogtum verzichten wollte, wurde auf der Harzburg in noch strengerem Gewahrsam gehalten und seine Burg zu Lüneburg mit schwäbischer Besatzung belegt.
6. Die Verschwörung. Als darauf Heinrich IV. einen Bund mit dem Dänenkönig einging und im Jahre 1073 beschloß, einen Feldzug des Reiches gegen Polen zu unternehmen, besorgte man, der Kaiser wolle das gegen Polen berufene Aufgebot gegen die Sachsen benutzen. Die sächsischen Fürsten kamen daher zum Kaiser nach Goslar und baten, daß man ihnen die Teilnahme am Polen* feldzuge erlassen möchte, da sie stets gegen die Lutizen unter deu Waffen stehen müßten, baten um Niederlegung der Burgen, Zurückgabe der Güter des sächsischen Adels, um die Freilassung des Herzogs Magnus und um anderes. Als sie ihre Bitten nicht erfüllt sahen, traten sie in der Nacht desselbigen Tages in einer Kapelle bei Goslar zusammen, reichten einander die Hände und schlossen unter Eidschwur für die Freiheit Sachsens und für altheimisches Recht einen Buud auf Leben und Tod. So ward die Verschwörung gegen den Kaiser besiegelt.
7. Der Aufstand, a. Belagerung und Verwüstung der Harzburg. 1074. Alsbald rückte ciit Heer von 60000 Mann unter der Führung Ottos von Northeim heran und überraschte den Kaiser in Goslar. Heinrich raffte seine Kleinodien zusammen und suchte Schutz hinter den Mauern der Harzburg. Hier sah er sich
9. Die sächsischen Fürsten im Kampfe mit der Kaisermacht.
37
von der Hauptmacht der Sachsen umlagert, während andre Haufen die übrigen Burgen einschlössen oder nach Lüneburg eilten, um das Stammschloß der Billunger zurückzuerobern. Nur mit genauer Not rettete sich der Kaiser durch die Flucht nach dem Süden. Ein
wegekundiger Jägersmann leitete den kleinen Zug durchs Gebirge, und noch heute heißt der Pfad der „Kaiserstieg." Der Kaiser gelangte über Eschwege nach Hersfeld uni) gab vou hier aus den
gefangenen Magnus Billuug frei, da die Sachsen gedroht hatten, sonst die aus 70 Mann bestehende schwäbische Besatzung von Lüneburg niederzumachen. Seit dieser Zeit sagten die Sachsen, daß
ein Sachse so viel wert sei wie 70 Schwaben. Nach einiger Zeit sah Heinrich sich genötigt, die Forderungen der Sachsen zu gewähren: Otto von Northeim sollte das Herzogtum Bayern zurückerhalten, die königlichen Burgen in Sachsen sollten gebrochen, den Sachsen ihre alten Rechte gewährleistet und ihnen unter Ausschluß der Fremden die Entscheidung ihrer Angelegenheiten selbst überlassen werden. So mußte denn Heinrich blutenden Herzens zugeben, daß auch seine Harzburg niedergerissen wurde. Wohl hätten bie sächsischen Fürsten auf des Kaisers Bitte die Burg verschont, aber die sächsischen Bauern wollten davon nichts wissen. Als der König das Land verließ,
um nicht Zeuge der Zerstörung zu sein, da rotteten sich die Bauern in der Umgegend der Harzburg zusammen, und es erfolgte die bekannte Verwüstung der kaiserlichen Burg, die mit Grabschändung endete..
b. Niederlage der Sachsen. Das veranlaßte den Kaiser^ die Sachsen mit einem großen Heere zu züchtigen. Es geschah im Jahre 1075 am 9. Juni in der Schlacht an der Unstrut in der Nähe von Langensalza. Einige Monate nach ihrer Niederlage erschienen die stolzen sächsischen Großen und Herren im Lager Heinrichs bei Gerstungeu und unterwarfen sich. Einzeln, ihrem Nange nach, wurden sie vor den König geführt. Der König übergab sie Männern seines Vertrauens zu enger Haft bis aus weiteres. Weihnachten 1075 hielt Heinrich wieder zu Goslar Hof im alten königlichen Glanze, ließ seinen Sohn Konrad zum Nachfolger erwählen, und Otto von Northeim, der inzwischen ans ber Haft entlassen war, erhielt bie ftellvertretenbe Verwaltung in bem gebemiitigteit Sachsen. Heinrich IV. hatte seine angefochtene Stellung in Sachsen voll behauptet; er staub auf bem Höhepunkt seiner Macht.
c. Verbinbung ber Sachsen mit Papst unb Gegenkönig. Trotz ber Nieberlage gaben aber bie Sachsen ben Kampf nicht aus; ja, bieser nahm jetzt eine für ben Kaiser unvermutete Wenbung. Die sächsischen Bischöfe suchten unb fanden einen neuen Bundesgenossen in Papst Gregor VII., ber hier gewünschte Gelegenheit fanb, bem Kaiser gegenüber bie Ansprüche ber Kirche geltenb zu machen. Nachbem der Papst ben Kirchenbann über ben Kaiser verhängt unb ihn für abgesetzt erklärt, unb nachbem auf ber
38
9. Die sächsischen Fürsten im Kampfe mit der Kaisermacht.
Reichsversammlung zu Tribur die deutschen Fürsten sich mit dieser Absetzung einverstanden erklärt hatten, falls sich der Kaiser nicht binnen Jahresfrist vom Banne löse, da begann in Sachsen der Aufstand aufs neue. Auch Otto vou Northeim gesellte sich wieder zu den Gegnern des Kaisers. Während dieser im Winter 1077 die demütigende Bußsahrt nach Kanossa ausführte, stellte man Rudolf von Schwaben als Gegenkönig auf. Widerum waren die sächsischen Großen die Seele des Widerstandes gegen den Kaiser, und wiederum stand Otto von Northeim als Anführer an der Spitze. In den Schlachten von Melrichstadt und Flarchheim siegte Ottos kühner Mut, und mich in der Entscheidungsschlacht an der Weißen Elster (15. Oktober 1080), die Rudolf das Leben kostete, ward durch Ottos rechtzeitiges Eingreisen und durch das sächsische Aufgebot ein vollständiger Sieg erfochten. — Dennoch begann Heinrich aufzuatmen: der Gegenkönig war gefallen, und die Billunger traten vom Kampfe zurück. Weitn auch Otto von Northeim noch eilte Zeitlang widerstrebte, so ward doch auch er ruhiger, zog sich auf sein Stammgut zurück und bereitete sich durch Gründung der Beuediktiner-Abtei St. Blasii in Northeim auf den Tod vor, der ihn 1088 ereilte. Niemand vermochte ihn zu ersetzen, und Sachsen, des langen Haders müde, fing an, sich zu beruhigen. Nur Ekbert von Braunschweig setzte die Empörung fort, jedoch ohne Erfolg. Und als er 1090 in einer einsamen Waldmühle des Selketales erschlagen war, schien auch der letzte Widerstand erloschen zu seilt.
C. Zur Zeit Heinrichs V. 1106—1125.
8. Neuer Kampf und Sieg der Sachsen. 1115. Als Heinrich IV. starb, war der Kampf nicht zu Ende. Die Söhne und Erben der Männer, die diesen Kampf begonnen, setzten ihn gegen Kaiser Heinrich V. fort. Der neue Führer war Graf Lothar von Supplingenburg, den Heinrich V. bald nach seiner Thronbesteigung mit dem Herzogsamte in Sachsen belehnt hatte. Da Heinrich V. in allen Stücken die Politik seines Vaters aufnahm, Lothar aber von den alten sächsischen Rechten nichts aufgeben wollte, so wurde das Einvernehmen gestört, und Lothar griff zu den Waffen, unterstützt vom Papste. Heinrich V. eilte nach Goslar, ächtete die Rebellen und entsetzte Lothar des Herzogtums. Dann trafen sich die feindlichen Heere am Welfesholz (1115) in der Grafschaft Mansfeld, und der Kaiser erlitt eine vollständige Niederlage.
i 9. Das Ende des Kampfes. Noch jahrelang zog sich der Bürgerkrieg hin. Erst 1121 wurde auf dem allgemeinen Reichsfrieden zu Würzburg der Streit endgültig beigelegt, zunächst zwischen dein Kaiser und den weltlichen Fürsten Sachsens. Die
10. Das sächsische Erbe und die Welfen.
39
übrigen deutschen Fürsten schlossen sich dem Frieden an. Es ward bestimmt: die Regalien und Fiskalien dem Kaiser, die Kirchengüter der Kirche, die Allode den rechtmäßigen Besitzern, und die eingezogenen Erbschaften den Erben. Somit wurde bestätigt, was die Fürsten so lange erstrebt: alle kaiserlichen Lehen galten fortan als erbliches Eigentum der Fürsten, d.h. als selbständige Gebiete, deren Fürsten und Herren nicht mehr die Beamten des Reiches waren. Die Kaisermacht war erschüttert, die Einheit des Reichs zersplittert. Es war der Grund gelegt für das Schicksal unseres Vaterlandes in allen folgenden Jahrhunderten. Das Jahr 1122 brachte dann das bekannte Wormser Konkordat, den Vertrag zwischen Kaiser unb Papst über die Investitur der Bischöfe, wodurch auch die geistlichen Fürsten Sachsens in ihrem engen Verhältnis zum Reichsverbande gelockert wurden.
10. Aas sächsische Krbe und die Welfen.
1. Herzog Lothar von Supplingenburg als Erbe der Northeimer und der Brunonen. Die Grafen von Northeim waren durch Erbschaft in den Besitz der bruuonischen Güter gekommen. Der letzte Northeimer, Heinrich der Fette, hinterließ als Erbin seines reichen Besitzes nur seine Tochter Richen za. Mit ihr hatte sich Lothar von Supplingenburg vermählt und damit die northeimischen und bruuouischen Erblaude mit den Stammgütern der Grafen von Suppliugeuburg und Haldensleben vereinigt. Lothar als 5)erzog und als Erbe der Brunonen und Northeimer war Oberlehensherr der Grafen von Schwaleuberg, Everstein, Dassel, Lanenrode, Stumpeuhausen, Gieselwerder, Lüchow, Artlenburg u. a. Mit dieser Stellung verband er den reichen eigenen Allodialbesitz und den seiner Gemahlin, sowie die Vogteien über das Erzstift Bremen und das Bistum Verden. So gestaltete sich unter ihm das Herzogsamt in Sachsen wieder annähernd zu einem einheitlichen Reichsamte, wie es einst die Ludolsinger besessen hatten. Bestimmend griff Lothar auch ein in die Gestaltung der Dinge in den wendischen Landschaften an der Ostsee. Vier Heereszüge hat er dahin unternommen und das Laud bis zur Odermündung dem deutschen Einfluß geöffnet.
2. Lothar als Kaiser. 1125. Als Lothar zum Kaiser gewählt war, ruhte wieder, wie zur Zeit Heinrichs I. und Ottos des Großen, das Reichsregiment und die Vertretung des sächsischen Volkes in einer Hand. Lothars Reichsregierung ist für das sächsische Volk eine Zeit -friedlicher Entwickelung und allgemeinen Gedeihens gewesen. Er förderte den Handel der Sachsen mit den nichtdeutschen Ländern des
40
10. Das sächsische Erbe und die Welfen.
Ostens und Nordens; Gothland ward zum Stapelplatz für sächsische Ware. Auch die durch Vizelin wieder aufgenommene Missionstätigkeit im Wendenlande nahm er unter seinen starken Schutz; er erbaute Segeberg und bestätigte das Kloster Neumünster in Holstein Er war es, der dem Grafen Albrecht von Ballenstedt die Markgrafschaft in der Nordmark verlieh (1134) und der damit den Grund legte zur Mark Brandenburg und zu dem endlichen Siege deutscher Sitte und christlichen Glaubens in den mittleren Slavenländern. — In der von ihm erbauten Kirche zu Königslutter ist er bestattet.
3. Die Welfen als Erben der Billunger. Schon zur Zeit Karls des Großen lebte in Bayern das reichbegüterte Grafen-geschlecht der Welsen. Es genoß solches Ansehen, daß Kaiser Ludwig der Fromme eine Tochter dieses Geschlechts znr Gemahlin nahm. Em Glied der Familie erlangte nach dem Sturze Ottos vou Northeim das Herzogsamt in Bayern und vererbte es aus seine
Nachkommen, unter denen Heinrich der Schwarze besonders zu nennen ist. Dieser hatte sich 1101 mit Wulfhilde, der Erbtochter des Herzogs Magnus von Sachsen, des letzten Billungers, vermählt und aus diese Weise die bedeutenden bil-lungischen Güter im heutigen Lüneburgischen und Kalenbergischen erworben. Er faßte von den Gliedern des Welfenhauses zuerst
sesten Fuß in Norddeutschland und legte so den Grund zu der
Herrschaft des Welfenhauses in unserm Heimatlande.
4. Der Welse Heinrich der Stolze als Erbe Lothars. 1127. Der Sohn Heinrichs des Schwarzen, Heinrich der Stolze, vermählte sich mit der erst zwölfjährigen Gertrud, der Erbtochter des Kaisers Lothar, und erhielt somit die Anwartschaft ans die sämtlichen in Lothars Hand vereinigten northeirnischen, brunonischen und supplingenburgischen Erbgüter. Da er selbst schon im Besitz der billungischen Güter war, so wurde er der Herr und Besitzer der Eigengüter und Ämter der großen sächsischen Grafengeschlechter und nahm damit eine Stellung ein, wie sie vor ihm fein Reichsfürst innegehabt hatte. Der Kaiser übertrug Heinrich dem Stolzen auch das Herzogsamt in Sachsen, sodaß der mächtige Weifenfürst nun zwei Herzogtümer, Bayern und Sachsen, besaß. Über siebenhundert Jahre haben seine Nachkommen in den ererbten sächsischen Gebieten die Herrschaft ausgeübt und die Geschicke dieser Länder mit den ihrigen verknüpft. Heinrich der Stolze war im Nate wie im Felde die sicherste Stütze des bereits hochbetagten Kaisers. Ihm verdankte es Lothar, daß er in den schweren Kämpfen, die er mit den Staufern zu führen hatte, endlich Sieger blieb.
5. Welfen und Waiblingen. Kaiser Lothar und Heinrich der Stolze hielten es für selbstverständlich, daß dieser auch der Erbe des Kaiserthrones werden würde. Als Lothar im Jahre 1137 starb,
11. Heinrich der Löwe. 1148—1196.
41
überlieferte daher die Kaiserin die Reichsinsignien an Heinrich den Stolzen. Die deutschen Fürsten aber fürchteten den mächtigen und stolzen Welfen — auch der Papst Jnnoceuz II. war fein Gegner — und wählten 1138 statt feiner den Hohenstanfen Konrad zum Könige. Als nun dieser den Herzog aufforderte, die Reichskleinodieu herauszugeben, ihn als kaiserlichen Oberherrn anzuerkennen uud auf eins feiner Herzogtümer zu verzichten, weigerte sich Heinrich. Da wurde die Reichsacht über ihn ausgesprochen, er verlor Sachsen unb Bayern. Sachsen gab Konrad an Albrecht den Bären. Jetzt mußten die Waffen entscheiden. Im Norden wie im Süden entbrannte der Kampf zwischen den Anhängern der Welfen und denen der Staufen oder Waiblingen. Während des Kampfes starb Heinrich, erst 37 Jahre alt, ohne die Wiedereinsetzung in feine Herzogtümer erlebt zu haben. In der Gruft zu Königslutter wurde er neben Kaiser Lothar beigesetzt.
Sterbend hatte er feinen Sohn, den zehnjährigen Heinrich, dem Schutze der Sachsen empfohlen, und einmütig erhoben sich Fürsten und Volk für das Recht des Fürstenfohnes. Während der Zeit nahm der Kampf in Süddeutfchland zwischen Welfen uub Staufen infolge bes Sieges von Weinsberg einen für ben König Konrab günstigen Verlauf. Auf bem Reichstage zu Frankfurt kam es 1142 zwischen Staufen unb Welfen, zwischen bem Könige unb ben sächsischen Fürsten zum Frieben. Durch einen ausbrücklichen Verzicht auf Bayern retteten hier bie Vormünber, infonberheit feine Großmutter Richenza unb feine Mutter Gertrub, bem damals 12jährigen Heinrich dem Löwen das Herzogtum Sachsen, doch ohne die Mark Brandenburg. Gleichsam zur Bekräftigung dieses Vertrages vermählte sich Heinrichs Mutter mit Heinrich Jasonürgott, dem Stiefbruder des Königs Konrad.
11. Keinrich der Löwe. 1148—1196.
1. Aussöhnung zwischen Welsen uud Hohenstaufen. Heinrich der Löwe ist im Jahre 1129, vermutlich zu Ravensburg in Schwaben, als einziger Sohn Heinrichs des Stolzen geboren. Nach der Sitte der Zeit wurde er erst in feinem sechsten Jahre getauft. Im übrigen fehlt uns von feiner Jugeud nähere Kitnbe. Im Streite mit ben Staufen war bem llnmünbigen bas Herzogtum Bayern verloren gegangen; aber Heinrich gab feine Ansprüche nicht auf, sondern forberte im Jahre 1147 vom König Konrab Bayern zurück. Da bie Staufen barein nicht willigen wollten, so entstaub ein neuer Kampf zwischen Welfen unb Waiblingen. Konrab starb jeboch währenb biefer Fehbe. Als bann Friebrich Barbarossa Kaiser
42
11. Heinrich der Löwe. 1148—1196.
Nrnrde, trat in dem Verhältnis zwischen Staufen und Welfen ein völliger Umschwung ein. Vom ersten Augenblick seiner Regierung an betrachtete Friedrich seinen Vetter §emrich als die beste Stütze des Thrones und räumte ihm in auffälliger Weise einen Platz neben sich ein; ja, er ließ ihm auf einem Tage zu Goslar, im Juni 1154, durch ein Fürstengericht das Herzogtum Bayern zusprechen. So wurde aus dem gefährlichen Gegner des staufischen Königtums eiu eifriger Bundesgenosse, und zwei Jahrzehnte blieb diese enge Verbindung zwischen Welfen und Staufen die Grundlage der Politik Friedrich Barbarossas. Heinrich erhielt außerdem vom Kaiser das königliche Vorrecht, „in den Ländern jenseits der Elbe Kirchen und Bistümer zur Verbreitung des christlichen Glaubens zu errichten und sie nach eigenem Bedünken mit .den Gütern des Reichs auszustatten, ferner die Erlaubnis für sich und feine Nachfolger, die Bischöfe von Altenburg, Mecklenburg und Ratzeburg zu belehnen, mit gleicher Gültigkeit, als wenn es der König selbst täte. Gleiche Rechte sollte er bei Errichtung neuer Bistümer in den Ländern der Heiden haben." Durch diese Zugeständnisse dem Kaiser noch enger verbunden, begleitete Heinrich ihn nach Italien, wohnte der Kaiserkrönung (18. Juni 1155) bei und warf den Aufstand nieder, den die Römer an diesem Tage durch den Überfall des deutschen Lagers anzettelten. Mit eigener Lebensgefahr rettete Heinrich den Kaiser vom Tode. Das hat Barbarossa dem Löwen nie vergessen. Die sächsische Reimchronik erzählt, der Kaiser habe dem verwundeten Heinrich mit eigener Hand Knopf und Band ■des Helms gelöst und ihm Blut und Schweiß vom Angesichte gewischt.
2. Die Stärkung der Territorialgewalt. Heinrich war auf jede Weise bestrebt, sein Gebiet zu vergrößern und feine herzogliche Stellung zu sichern. Großen Wert legte er daher auf die Abrundung seiner norddeutschen Hausmacht. Für das Schloß Baden in Süddeutschland, das er dem Kaiser überließ, tauschte er die am Harz gelegenen Burgen Herzberg und Scharzfeld, sowie den Hof zu Pöhlde eiu und erwarb die Grafschaft im Liesgau (an der Rhume) für sich und seine Nachkommen auf ewige Zeiten. Die Winzenburg bei Alfeld, die Homburg bei Stadtoldendorf und die Burg Assel bei^Schladeu waren ihm ebenfalls zugefallen, und da er auch die Burg Stade mit allem Zubehör nebst den Grafschaften über beide Elbgestade und über Dithmarschen erlangte, so schlossen sich im Süden wie im Norden Sachsens die Allodien Heinrichs unmittelbar aneinander und verstärkten die herzogliche Macht. Unmöglich konnte er überall persönlich die Verwaltung leiten und selbst zu Gericht fitzen; er timr also genötigt, in den einzelnen Grafschaften Stellvertreter zn ernennen. Zugleich erwuchs ihm dadnrch ein stattliches Gefolge kriegerischer Vasallen, die ihm durch Treueid verbunden waren. Zu diesen rteiteit Geschlechtern gehörten zunächst die Harz-
11. Heinrich der Löwe. 1148—1196.
43
grafen: die Grafen von Hohnstein und Scharzfeld am Südsaume, die Grasen von Blankenburg, Regenstein und Wernigerode am Nordrande des Harzes. In ein ähnliches Verhältnis zu Heinrich traten die Grafen von Wohldenberg, Schladen, Bodenburg, Poppenburg und Waffel, sämtlich im Umkreise der Diözese Hildesheim, ferner die im Mtnbener Sprengel begüterten trafen von Hallermund und von Wölpe, sowie die Grafen von Dannenberg, deren Besitzungen im Verdener Sprengel lagen.
3. Die Anfänge der sächsischen Städte. Später als im übrigen Deutschland finden sich in Sachsen die Anfänge städtischer Entwickelung. Nur die Bischofssitze Hildesheim, Osnabrück, Minden, Bremen und Verden und einige andere Ortschaften, die wie Bardo wiek als Mittelpunkte im Verkehr mit Dänen und Slaven groß geworden waren, oder die wie Goslar als Kaisersitz dienten, zeigten um diese Zeit städtische Anfänge. Das 12. Jahrhundert brachte hierin eine große Wandlung hervor. Auch die weltlichen Großen erkannten allmählich, daß die bisherige Naturalwirtschaft den gesteigerten Lebensansprüchen nicht mehr entsprach. Was jene ihnen versagte, sollten ihnen die wirtschaftlichen Kräfte der unter ihrem Schutze aufblühenden Städte gewähren. Das hatte vor allen Dingen Heinrich der Löwe erkannt. Eifrig war er bemüht, die beginnende Entwickelung des Städtewesens in Sachsen, namentlich deffen Quellen: Handel und Gewerbe, zu fördern; freigebig erteilte er die Privilegien, die für das Gedeihen der Städte notwendig waren. Die Oldesloer Salzquellen ließ er verschütten, damit sie den Absatz des Lüneburger Salzes nicht beeinträchtigten. Lübeck erzwang er sich nach langen Verhandlungen von dem Grafen Adolf von Holstein, der es gegründet hatte. Durch Heinrich wurde dann die eigentliche Blüte der Stadt hervorgerufen, indem er den Reichen und Städten des Nordens, Dänemark, Schweden, Norwegen und Rußland, freien Handelsverkehr mit seiner Stadt Lübeck verkündigen ließ. Zugleich legte er dort eine Münze und einen Zoll an, begabte die Bürger mit Freiheiten,Privilegien und Stadtrecht. Wie Lübeck so hat Heinrich auch den altsächsischen Städten seine Aufmerksamkeit zugewandt. Freilich schmälerte er durch die Bevorzugung Lübecks den Handel Bardowieks; aber er tat dies doch erst, nachdem er eingesehen hatte, daß sich der Handel mit den nordischen Ländern nicht mehr in den alten Bahnen halten ließ. Die Bürger Bardowieks haben ihm allerdings den raschen Verfall ihres Handels nie vergessen. Ganz besonderer Fürsorge hatte sich Braunschweig zu erfreuen. Heinrich machte hier aus mehreren kleineren neben einander liegenden Ortschaften eine geschloffene städtische Niederlassung und umgab sie mit einer Mauer. Einwandernde Niederländer hoben besonders die Wollenweberei. Aus den Rechten, die er der Stadt verlieh, ist das spätere Stadtrecht hervorgegangen. Durch stattliche Bauten, besonders Kirchenbauten, ver-
44
11. Heinrich der Löwe. 1148—1196.
schönerte er die Stadt. Besondern Wert legte er auf den Ausbau der alten Burg der Brummen, Dankwarderode, und der damit verbundenen Kirche, an deren Stelle er einen stattlichen Dom aufführen ließ. den er für sich und sein Geschlecht zur Grabstätte bestimmte. Ob auch Hannover durch Heinrich den Löwen bereits-Stadtrecht erhalten hat, ist zweifelhaft. Jedenfalls aber hat er durch sein Vorgehen den Weg gewiesen, den seine Nachkommen gehen mußten. Im folgenden Jahrhundert haben fast alle Städte unseres Heimatlandes von den Söhnen und Enkeln Heinrichs das Stadtrecht erhalten. Die meisten Stadtrechts Verleihungen in Niedersachsen fallen in die Zeit von 1200—1250.
4. Die geistlichen Fürsten. Auch die sächsischen Kirchenfesten wollte Heinrich in eine von dein Herzogtum abhängige Stellung bringen. Das brachte ihn zunächst in Streit mit dem Bremer Erzbischof. Mit Hülfe des Kaisers gelang es ihm, sich in Bremen als Lehensherr zu behaupten. Noch leichter wurde ihm dies in den übrigen Bistümern Sachsens. In Hildesheim, Berden, Paderborn und Minden wurde der Herzog von den Bischöfen als oberster Richter anerkannt; auch Osnabrück und Münster haben sich diese Stellung des Herzogs gefallen lassen müssen. Nur die ost-sächsischen Fürsten und Bischöfe, Albrecht der Bär, der Erzbischof vou Magdeburg und der Bischof von Halberstadt, leisteten dem Herzog in diesem Bestreben Widerstand. Sie wollten nur den Kaiser als Lehensherrn anerkennen.
5. Kampf der sächsischen Fürsten gegen Heinrich. Die übermächtige Stellung des Welsen, die rücksichtslose Art, mit der er alle selbständigen Gewalten in Sachsen niederdrückte, brachte weltliche uub geistliche Fürsten zwischen Elbe und Rhein gegen ihn in Waffen. Sie schloffen ein Bündnis, um den Herzog niederzuwerfen und die alten Zustände wiederherzustellen. Als der Kaiser im Jahre 1166 zu seiner vierten Heerfahrt über die Alpen zog, da traten die Feinde des Herzogs mit ihren Absichten offen zu Tage. Aber Heinrich bebte vor dem drohenden Unwetter nicht zurück. Er setzte seine Städte und Burgen in Verteidigungszustand, vollendete die Befestigung Braunschweigs und ließ als ein Sinnbild seines unerschrockenen Sinnes vor feiner Burg in Braunschweig einen ehernen Löwen aufrichten, dessen aufgesperrter Rachen sich nach Osten wandte, von woher der Hauptangriff zu gewärtigen war. In Ostsachsen begann der Krieg. Der Erzbischof von Magdeburg, Albrecht der Bär und der Landgraf von Thüringen machten dem Herzog dort zu schaffen. Im Norden eroberte Graf Christian von Oldenburg an der Spitze der dem Herzoge so feindlich gesinnten Friesen die Burg Weyhe im Hoyaischen und nahm Bremen mit dem ganzen umliegenden Gebiete. Zwar gewann Heinrich diese wichtige Stadt zurück, aber die ostsächsischen und thüringischen
11. Heinrich der Löwe. 1148—1196.
45
Fürsten rüsteten aufs neue, und im Norden ging jetzt auch der Erzbischof von Bremen gegen Heinrich vor. Da kehrte der Kaiser aus Italien zurück und gebot Frieden. Dieser fiel völlig zu Heinrichs Gunsten aus; der Bund hatte seinen Zweck nicht erreicht. Die herzogliche Gewalt in Sachsen war so stark wie vorher, und solange das enge Freundschaftsbündnis zwischen Kaiser und Herzog dauerte, sollte eine Änderung darin nicht eintreten.
6. Christianisierung und Kolonisation des nördlichen Wenden-landes. Sobald Heinrich das Herzogtum Sachsen in Besitz genommen hatte, richtete er trotz seiner Jugend sein Augenmerk bereits auf die große Aufgabe, die dem Vertreter des sächsischen Stammes im Slavenlande zugewiesen war. Er förderte zunächst die Organisation der Kirche in den slavischen Gebieten, die bereits früher begonnen, aber in den Anfängen stecken geblieben war. Bei der Einsetzung von Bischöfen beanspruchte Heinrich das Recht der Investitur, das ihm trotz des Widerspruchs des Erzbischofs von Bremen vom Kaiser zugestanden wurde. Dieser gab damit ein Vorrecht der Krone auf, um das die deutschen Kaiser ein halbes Jahrhundert hindurch in Welterschütternden Kämpfen mit dem emporstrebenden Papsttnme gerungen hatten. Der Herzog aber erlangte dadurch eiue von der Reichsgewalt völlig unabhängige, wahrhaft königliche Stellung im Slaven lande, schaltete von nun an mit unbedingter Machtvollkommenheit daselbst und machte die Kirche seinen politischen Plänen dienstbar. Aber auch andere Faktoren wußte er für feine Zwecke zu benutzen. Die großen Vasallen, die er bereits früher für einzelne Gebiete des Wendenlaudes eingesetzt hatte, unterstützten den Herzog anfs eifrigste. Unter ihrer Leitung nahm die deutsche Kolonisation einen raschen und gedeihlichen Fortgang. Sie riefen Kolonisten aus Westfalen, Flandern, Friesland und Holland herbei und wiesen ihnen mitten unter der wendischen Bevölkerung ihre Wohnsitze an. So entstanden in den verödeten Ivendischen Landstrichen zahlreiche Dörfer uud Niederlassungen Zu deutschem Recht. Die früheren wendischen Ansiedler wurden verdrängt oder aufgesogen, und der tiefgehende deutsche Pflug ersetzte den wendischen Hakenpflug. Bald entstanden überall im Lande Kirchen, von den Ansiedlern nach dem Muster der Heimatkirchen erbaut. Die im Osten an der Oder wohnenden Obodriten unterwarf Heinrich mit dem Schwerte, dann teilte er das Land nach deutschem Muster in Grafschaften und gab diese seinen hervorragendsten Dienst-leuten zu Lehen. So begann hier eine gleiche Kolonisationstätigkeit wie in den westlichen Gebieten. Zwar erhoben sich die Wenden noch zweimal zum Kampfe für ihre Unabhängigkeit; aber der Gewalt der deutschen Waffen erlagen sie, uud später vollendeten die wendischen Fürsten selbst ein Werk, das Heinrich mit so fester Hand begonnen hatte.
46
11. Heinrich der Löwe. 1148—1196.
7. Heinrichs Fahrt nach dem Heiligen Lande. 1172. Friedrich Barbarossa hatte in Schwaben von Heinrichs Oheim, Welf VI., mehrere Besitzungen gekauft, die Heinrich zu erben gehofft hatte. Darüber wurde dieser verstimmt; das gab den ersten Anlaß zur Trübung der Freundschaft zwischen Kaiser und Herzog, und da das Sachsenland gegen alle Feinde gesichert schien, so unternahm der Löwe einen Zug nach bem Heiligen Lande und benutzte biefen, um einer neuen Romfahrt bes Kaisers auszuweichen. Anfang bes Jahres 1172 nahm Heinrich zu Braunschweig von seiner Gemahlin Abschieb, begab sich mit großem
Gefolge nach Regensburg, fuhr von hier aus mit 1200 Gerüsteten unter bem
Geleite ber anwohnenben Fürsten bie Donau hinunter und gelangte unter mancherlei Gefahren über die Mündung der Sau hinaus. Von hier aus schlugen die Kreuzfahrer den Landweg durch Serbien und durch ben Bulgarenwalb nach Konstantinopel ein. Hier würbe ber Herzog von bem
griechischen Kaiser Emanuel gar ehrenvoll unb feierlich empfangen. Dann trug ihn ein von bem Kaiser geschenktes Schiff burch bas Mittelmeer nach ber Küste bes Heiligen Lanbes. Von ben Ordensrittern vom Tempel unb vom Hospital eingeholt, von ber Geistlichkeit am Tor mit Hymnen empfangen, betrat er
Jerusalem und besuchte bie heiligen Stätten. Die Kirche bes heiligen Grabes beschenkte er mit Gold unb stiftete brei ewige Lampen: für bas heilige Grab, für ben Kalvarienberg unb für bas heilige Kreuz. Zwei Monate weilte Heinrich ber Löwe mit feinem Gefolge in Jerusalem, bann trat er, geleitet von 500 türkischen Reitern, burch bie Wüsten Kleinasiens ben Rückweg an. Der Sultan von Erekli verehrte ihm als Gastgeschenk dreißig Rosse mit Goldsätteln, Filzzelte, Kamele, gezähmte Leoparden mit bereit Wärtern, Mäntel unb Röcke aus Seibe geschnitten; bem sächsischen Gefolge ließ er bie Auswahl unter 1800 Pferben. In Konstantinopel erhielt ber Herzog eine Anzahl ber seltensten Reliquien. Rach Jahresfrist zog Heinrich in Braunschweig wieber ein. Mit Scheu unb Verehrung Betrachtete das Volk die mitgebrachten Heiligtümer, die, in Gold gefaßt, in dem bald daraus gegründeten Dome von St. Blasii zu Braunschweig aufgestellt wurden. Später sind sie in das Welfenmufeum zu Hannover übergegangen. — „Für die Geschichte des Helden hat dieser Zug kein Ergebnis; die Romantik seines Lebens verklärt er aber zum höchsten Lichte;" denn im Munde des Volkes gestaltete sich der Verlauf des Zuges bald zu einem Lieblingsgegenstande der Sage und phantastisch ausschmückender Dichtung. Von den Abenteuern aus ber Fahrt nach ben Ländern bes Orients, von seinem Schiffbruch, seiner wunberbaren Rettung, seinem treuen Löwen unb seiner Rückkehr nach Braunschweig wußte man noch lange zu singen unb zu sagen, unb das Volksbuch von Heinrich dem Löwen blieb bekannt bis auf unsere Tage.
8. Heinrich in Felonie, Reichsacht und Verbannung. Das getrübte Verhältnis zwischen Heinrich und dem Kaiser Barbarossa bestand fort. Immer mehr hielt sich der Sachsenherzog vom Kaiser zurück, uud als Barbarossa im Jahre 1176 einen entscheidenden Schlag gegen den Papst und die widerstrebenden lombardischen Städte ausführen wollte, verließ ihn der Löwe ganz. Der Kaiser hoffte alles von einer persönlichen Unterredung; er hatte mit Heinrich eine Zusammenkunft zu Chiavenna und mahnte ihn an Eid und Pflicht uud an die Ehre des Reiches. Der Welfe forderte Goslar^) als Preis. Das konnte der Kaiser nicht geben. Ihn ergriff die Angst um das Reich und den Ruhm seines Hauses; er soll sich vor dem Herzog auf die Knie geworfen und um Beistand gebeten haben. Doch der Löwe blieb bei seiner Weigerung. Die Kaiserin richtete
*) Wandgemälde von Wislicenus im Kaiserhause zu Goslar.
11. Heinrich der Löwe. 1148—1196.
47
ihren Gemahl auf und sprach: „Stehe auf und gedenke dieser Stunde, wie Gott ihrer gedenken wird." Des Herzogs Truchseß, Jordan von Blankenburg, aber soll zu Heinrich die übermütigen Worte gesprochen haben: „Laß immerhin die Kaiserkrone da zu deinen Füßen liegen, Herr, denn sie wird doch dereinst dein Haupt schmücken." Der Kaiser mußte allein gegen die Italiener ziehen, und es erfolgte die Niederlage bei Legn an o, die 1177 zum Frieden von Venedig führte, der alle Pläne des Kaisers in Italien vernichtete. — Der Starrsinn und die Untreue des Welfenherzogs konnten nicht ungesühnt bleiben. Kaum kehrte der Kaiser nach Deutschland zurück, so wurde Heinrich-der Lowe vor den Reichstag geladen, um sich wegen seines Treubruchs zu verantworten. Trotz viermaliger Ladung erschien er nicht. Nun ereilte ihn die Reichsacht, und er verlor seine beiden Herzogtümer, sämtliche Neichsämter und Reichslehen. In einer Reichsheerfahrt sollte das Urteil ausgeführt werden. Zwar versuchte Heinrich, sich der Ausführung des Urteils zu widersetzen; aber er fand keine Unterstützung bei den sächsischen Fürsten. Diese, über Heinrichs Strenge längst erbittert, schlossen vielmehr einen neuen Buud gegen ihn. Da geriet der geächtete Herzog in solche Bedrängnis, daß er Hilfe beim Kaiser suchte. In Lüneburg erbat er eine persönliche Unterredung mit dem Kaiser; sie ward ihm verweigert. Ein Furstentag. sollte über Heinrich beschließen. Ausgangs November 1181 rief der Kaiser die Fürsten zu diesem Zwecke nach Erfurt. Dort warf sich Heinrich dem Kaiser zu Füßen und flehte um Gnade. Das Wort der Kaiserin hatte sich erfüllt. Friedrich Barbarossa aber gedachte der früheren Freundschaft und des Tages, da ihm der Löwe das Leben gerettet, und hob ihn tröstend auf. Freilich konnte der Kaiser die Strafe nicht gänzlich erlassen, aber er milderte sie in mehrjährige Verbannung.
9. Heinrichs Rückkehr und Tod. Am 25. Juli 1182 verließ Heinrich mit Weib uud Kind sein Stammland. Während seiner Abwesenheit behielten seine Gegner einen großen Teil seiner Erb-lande in ihrer Gewalt, uud Ordnung und Ruhe wollten nicht wieder einziehen. Da kehrte Heinrich im Jahre 1185 zurück, um seine Feinde zu strafen. Er wandte sich dieserhalb an den Kaiser, aber vergeblich. Grollend saß der Löwe ans seiner Burg Daukwarderode zu Braunschweig, die Gelegenheit erspähend, die ihm seine alte Macht wiederbringen sollte. Da rüstete Kaiser Rotbart zur Kreuzfahrt. Er wußte wohl, daß während seiner Abwesenheit Heinrich der Löwe die Ansprüche auf Sachsen erneuern würde. Daher beschied er den alternden Herzog nach Goslar und verlangte, der Herzog solle jetzt endgültig auf den einen Teil seiner Würden verzichten, dafür den andern wiederbekommen, oder er solle an dem Kreuzznge teilnehmen und dadurch die Aussicht auf seine Wiedereinsetzung erkaufen, oder er müsse noch einmal mit seinem ältesten Sohne das Land verlassen. Der Herzog wählte das letztere und ging Ostern 1189
48 12. Die territoriale Zersplitterung Nordwest-Deutschlands. 1180.
zum zweiten Male in die Verbannung nach England. Als aber im Sommer desselben Jahres seine Gemahlin starb, kehrte Heinrich nach Braunschweig zurück und suchte seine alten Waffengenosseu. Diese eilten ihm zu. Damals wurde auch Bardowiek zerstört, das dem Herzog die Tore geschlossen und den Gehorsam verweigert hatte. Aus den Trümmern der ehemals so bedeutenden Handelsstadt errichtete er einen Stein mit der Inschrift: „Vestigia leonis“, die Spuren des Soweit. Heinrichs Siegeslauf ward indes bald gehemmt. Der junge König Heinrich VI., Barbarossas Sohn, ging mit den Waffen gegen den Löwen vor; er belagerte Vraunschweig und verwüstete dessen Umgebung, verbrannte Hannover, vertrieb den welfensreuud-lichen Erzbischof von Bremen und zwang den Herzog im Juli 1190 zum Frieden von Fulda. Der Herzog mußte versprechen, die Mauer Brauuschweigs au vier Stellen niederzureißen und die Lauenburg zu zerstören. Seitdem lebte Heinrich einsam und kummerschwer auf seiner Burg zu Braunschweig. Oft saß er die langen Winternächte hindurch am Kamin und ließ sich Sagen oder Erzählungen der Geschichtsschreiber vorlesen. Seit dem Ostertage 1195 nahmen seine Leibeskräfte rasch ab; er wußte, daß sein Ende nahe. Am Tage vor Jakobi zündete ein Wetterschlag das Dachgebälk des Domes. Als die Flamme an die Kammer des Sterbenden leckte, blickte der lebensmüde Welfe fest nach oben. Nur eins wünschte er noch: seinem geliebten Freunde, Bischof Jsfried von Natzeburg, zu beichten und seinem Sohne Heinrich, dem Pfalzgrafen am Rhein, ins Auge zu sehen; seine beiden andern Söhne, Otto und Wilhelm, waren als Bürgen für ihren Oheim, König Richard von England, beim Kaiser. Er verschied unter Gebet in den Armen Jsfrieds und fand im Dome zu Vraunschweig seine Ruhestätte.
12. Die territoriale Zersplitterung Wordrvest-Aeutschlands. 1180.
1. Die Verteilung Sachsens. Infolge der Reichsacht, die Über Heinrich den Löwen verhängt war, wurde am 13. April 1180 auf der Kaiserpfalz zu Gelnhausen das Herzogtum Sachsen aufgelöst und an verschiedene Fürsten und Herren verteilt. Das Land links der Weser kam als Herzogtum an den Erzbischof von Köln. Ihm unterstanden zunächst auch die Bischöfe von Osnabrück, Minden und Münster. Aber diese sowohl wie verschiedene westfälische Grafen und Fürsten wußten sich nach und nach von der herzoglichen Oberhoheit des Kölner Erzbischofs frei zu machen und übten dann selbst die Landeshoheit in ihren Gebieten. Das östliche Sachsen mit den alten sächsischen Marken kam an
12. Die territoriale Zersplitterung Nordwest-Deutschlands. 1180. 49
Bernhard von Anhalt, den Sohn Albrechts des Bären. Er führte den Titel Herzog von Sachsen und übertrug damit den Namen Sachsen ans die Gebiete der heutigen Provinz und des Königreichs Sachsen. Dem neuen Herzog leisteten die Grafen von Dannenberg, Lüchow, Ratzeburg und Schwerin Lehens-hulde. Für die Läuder zwischen Weser und Unterelbe ging indessen die Bezeichnung Sachsen verloren. Die hier gebietenden Fürsten beugten sich keinem neuen Herzoge. Die Erzbischöfe von Bremen und Magdeburg, die Bischöfe von Berden, Hildesheim und Halber st adt erhielten endgültig alle diejenigen Reichsgüter und Lehen, die innerhalb ihres Gebiets bis dahin dem Herzoge zur Besoldung überwiesen waren. Damit verknüpften sich natürlich auch alle Rechte, die sonst dem Herzoge zustanden. So erweiterten sie ihre Gebiete und wurden reichsunmittelbar wie schon vor ihnen die
weltlichen Fürsten. Dasselbe geschah mit den Gebieten solcher
Herren, die vordem als Lehensträger des Herzogs galten, wie
die Grafen von Oldenburg, Schaumburg, Hoya, Diepholz, Lippe, Plesse, Blankenburg, Dassel, Wölpe, Wuustorf, Hallermund, Lauterberg, Hohnstein u. a. Als reichsunmittelbare Herren übten sie von nun an alle Rechte und
Hoheiten, die früher nur dem Herzoge zukamen. Lübeck ward freie Reichsstadt. Das gleiche Recht erwarben sich Bremen, Hamburg und Nordhaufen. Stade kam an den Erzbischof von Bremen. Heinrich dem Löwen blieben nur die ererbten northeimischen, bruuonischeu, supplingenburgischen und billungischen Güter.
2. Die Bedeutung der Zersplitterung Sachsens. „Die Zertrümmerung des Herzogtums Sachsen war für die Entwickelung des Reiches von einschneidendster Bedeutung. Die gewaltige Herrschaft Heinrichs des Löwen löste sich in ihre Atome aus. Mit den Spolien des gestürzten Welfenhauses bereicherten sich die übrigen geistlichen und weltlichen Fürsten und eine große Anzahl kleinerer Landesherren, welche die Macht, das Ansehen und das Glück des Löwen schon lange betreibet und zugleich gefürchtet hatten. Die staatsrechtliche Form, in welcher der sächsische Stamm bisher seine Gliederung'und feine zusammenfassende Vertretung gegenüber der Reichsgewalt gefunden hatte, war zerbrochen. Die zahllosen kleinen Gewalten im Lande, die vom Herzog abhängig gewesen waren, gelangten jetzt zur Reichsunmittelbarkeit, und die Einheit des Stammes löste sich in die Vielheit der Territorien auf. Ein kleiner selbstsüchtiger Partikularismus trat an die Stelle jener den ganzen Stamm erfüllenden Sonder-bestrebungen, die in ihrer Abneigung gegen die universalen Tendenzen des Kaisertums immerhin eine relative Berechtigung gehabt hatten. Dem Reiche aber und feiner weiteren historischen Entwickelung ist aus dieser ganzen, tief eingreifenden, den deutschen Norden
Tecklenburg u. $> apef örbe, Geschichte der Provinz Hannover. 4
50 12. Die territoriale Zersplitterung Nordwest-Deutschlands. 1180.
von Grund aus umgestaltenden Umwälzung kein Segen erwachsen." (O. v. Heinemann.) Die Zerbröckelung Sachsens ist gewissermaßen ein Vorspiel des großen Auflösungsprozesses, der nach dem Untergänge des staufischen Hauses der ganzen Nation bevorstand. Auf die inneren Verhältnisse hatte sie den Einfluß, daß nach dem Aufhören der herzoglichen Zentralgewalt die Zersplitterung in immer kleinere Territorialmächte gefördert wurde. So entstanden gerade auf sächsischem Boden mancherlei territoriale Neubildungen, und die heute in Nordwest-Deutschland sich findende staatliche Zersplitterung, wie sie in den Staaten Braunschweig, Bremen, Hamburgs Schaumburg-Lippe und Lippe-Detmold, Oldenburg und in den preußischen Provinzen Hannover, Sachsen und Westfalen zu Tage tritt, ist noch die Folge jener Zertrümmerung des Herzogstums Sachsen nach dem Sturze Heinrichs des Löwen.
3. Der ostfriesische Laudsriedensbund. In Ostfriesland dauerten die Häuptlingsfehden fort. Eine der blutigsten war die Ostringer Fehde von 1148—1168, in der zahlreiche Orte verwüstet wurden; nur mit Mühe konnte der Erzbischof von Bremen den Frieden herstellen. Nach dieser Fehde traten Abgeordnete aus friesischen Landschaften zwischen Fly und Weser zusammen, um Satzungen zu vereinbaren, nach denen sie den inneren und äußeren Frieden aufrecht erhalten wollten. Als Ort der Zusammenkunft wählten sie den unsern der Grenze der beiden Gaue Emsgau und Oftergau, sowie der beiden Bistümer Münster und Bremen gelegenen Upstalsbom, in der Nähe der heutigen Stadt Aurich, wo vor alters eine große Eiche stand, die von der erhöhten Stelle, upstal, aus der sie wuchs, den Namen Upstalsbom führte. Die Abgeordneten, anfangs einer, später zwei ans jeder Landschaft, wurden aus ein Jahr gewählt und traten am Dienstage in der Pfingstwoche beim Upstalsbom zusammen. Während ihres Aufenthaltes daselbst, sowie auf ber Hin- und Heimreise genossen sie eines besonderen gesetzlichen Schutzes. Die verbündeten Landschaften verpflichteten sich, gegen äußere Feinde einander getreulich beizustehen und gegen Aufrührer, Mörder, Verräter, Mordbrenner und andere Verbrecher gemeinsam vorzugehen. Zu der Versammlung am Upstalsbom erschienen außer den Abgeorbneten auch wohl Richter, Geistliche, Ebelinge ober anbere Freie aus ben t)erbüitbeten Lanbschaften, aber nicht als Mitglieber der Versammlung, sondern um deren Hülse anzurufen, Klage zu erheben oder sich zu verteidigen. Zahlreiche Streitigkeiten und Fehden sind durch die Versammlung am Upstalsbom geschlichtet, noch mehr Friedebrecher bestraft worden. Die gefundenen Rechtssätze und Urteilssprüche wurden als allgemeines Landrecht und als Willküren der Ostfriesen festgelegt und standen in hohem Ansehen. Sie wurden später zu einem einheitlichen Gesetzbuche für Ostfriesland-
12. Die territoriale Zersplitterung Nordwest-Deutschlands. 1180. 51
zusammengestellt, das jahrhundertelang nur in Abschriften vorhanden war, bis es 1746 unter preußischer Herrschaft gedruckt wurde. Nach 1327 hat am Upstalsbom keine Versammlung friesischer Abgeordneten mehr stattgefunden.
4. Die Cisterzienser irr Niedersachsen. Keine anderen Mönche haben so viel an der Urbarmachung wüster Ländereien und unbebauter Wald- und Bruchstrecken geleistet, keine anderen die Landwirtschaft so gefördert wie die Cisterzienser. Sie waren Bauernmönche, denen die landwirtschaftliche Arbeit als ein wesentliches Stück ihres asketischen Lebens galt. Von dem ältesten deutschen Cister-zienserkloster Altencampen bei Köln stammen als Tochterklöster Walkenried (1129) am Südrande des Harzes, Amelnngsborn (1135) in einem Tale des Sollings, Michaelstein (1146) bei Blankenburg im Harz und Volkerode auf dem Eichsfelde. Bon Volkerode aus ist Loecum (1163) gegründet, von Amelnngsborn aus Riddagshausen bei Braunschweig und von Riddagshausen aus Isenhagen, das später nach Marienrode bei Hildesheim übersiedelte (1245). Von Hardehausen in Westfalen ist Sch arm b e ck im Stadescheit gestiftet (1244). Heide und Marsch sind indes kein Boden für die Cisterzienser; sie überlassen die Kulturarbeit dort lieber den Friesen und Holländern. Aber im mittleren Wesergebiete, an der Leine, in den Waldgebieten im und um den Solling, am Süntel und Deister, am Ausgange der Harztäler — da ist ihr Gebiet. Im oberen und mittleren Leinetale kultivierten die Mönche von Walkenried und von Amelnngsborn. Zahlreiche Klosterhöfe in den Leineniederungen bei Göttingen, zwischen Northeim und Salzderhelden, zwischen Kreiensen und Freden wissen davon zu erzähleu. In der Nähe von Hildesheim an der ^ Innerste und deren Zuflüssen, an der Leine bei Gronau, im Kirchspiel Kirch-rode mühten sich die Mönche von Marienrode. Bei Hannover beginnt das Gebiet der Erwerbungen Loccnms; es hatte kulturbedürftiges und -fähiges Land genng in großer Nähe und weit die Weser hinab; seine Hauptarbeit hat Loecum am Deister und Süntel getan. Die Cisterzienser strebten eine Abrnndnng ihres Besitzes an; sie legten ganze Dörfer nieder und machten den erworbenen Grundbesitz zu „Grangien" oder Klosterhöfen. Je mehr ihnen dieses gelang, desto mehr konnten sie Ackerbau und Viehzucht in rationeller Weise betreiben. An Stelle der üblichen Meierwirtschaft tritt bei ihnen fchon die Domänenwirtschaft; sie produzieren selber, auch für deu Verkauf und haben zu diesem Zwecke eigene Höfe in den Städten: Walkenried in Göttingen, Nordhausen und Goslar; Loccum in Hannover, Minden und Herford; Marienrode in Hildesheim und Hannover; Amelnngsborn in Einbeck und Göttingen. Die Cisterzienser verfertigen in den Werkstätten des Klosters nicht nur für den eigenen Bedarf Tuche, Lederwaren, Eisen-
52 13. Otto das Kind und das Herzogtum Braunschweig-Lüneburg. 1235.
werk, landwirtschaftliche Gerate, sondern auch für den Markt; so förderten sie auch heimische Industrie, besonders die Wollenweberei, die Brauerei und die Eisenindustrie. Die Höfe der Cisterzienser waren Musterhöfe in ihrer Art und übten einen fördernden Einfluß auf Garten- und Ackerbau, auf Viehzucht und landwirtschaftliche Industrie in unsern niedersächsischen Landen. Was die Cisterzienser in der Baukunst leisteten, davon zeugen noch heute die stilvollen Kirchenbauten oder deren Ruinen zu Ameluuas-born, Loccum, Riddagshausen und Walkenried.
iv. Die Zeit des Uerfalls der Haisermacbt.
13. Htto das Kind und das Herzogtum Mraunschrveig-<Lüneburg. 1235.
1. Die Söhne Heinrichs des Löwen. Heinrich der Löwe hinterließ drei Söhne: Heinrich, Otto und Wilhelm. Die Verwaltung der welfischen Stammlande ging zunächst auf Heinrich über. Als Schwiegersohn des Pfalzgrafen am Rhein erbte er alsbald die rheinische Pfalz, führte seitdem den Namen Pfalzgraf Heinrich und stand mit dem Kaiser Heinrich VI. im besten Einvernehmen. Die Söhne des Löwen teilten alsdann das Erbe derart, daß Heinrich alles Land links der Leine, Otto rechts von diesem Flnsse und Wilhelm das Land um Lüneburg erhielt. Als Kaiser Heinrich VI. 1197 starb, wurde Otto von Braunschweig zum deutschen Kaiser gewählt. Die stausische Partei dagegen wählte Philipp von Schwaben, und nun entbrannte der Streit zwischen Welfen und Staufen aufs neue, dieses Mal um die Krone selbst. Jahrelang verwüstete der Bürgerkrieg unser Land. Dabei wurde Braunschweig belagert und arg bedrängt, Stadt und Grafschaft Stade fielen in die Hand bey Welfen, und um den Besitz Goslars entspannen sich heftige Kämpfe; es wurde erobert (1206) und schonungslos geplündert. Nie hat sich Goslar von diesem Schlage wieder erholt; der Glanz der alten Reichsstadt war dahin. Der Kampf zwischen den Welfen und Staufen fand endlich durch die Ermordung Philipps von Schwaben im Jahre 1208 ein unerwartetes Ende. Okto IV. ward jetzt überall als rechtmäßiger König anerkannt. Aber nicht lange sollte er sich ungestört des Thrones freuen. In Friedrich II. ward ihm bereits im Jahre 1212 ein neuer Gegenkönig gegeben, dem er im Jahre 1215 nach abermaligem Bürgerkriege gänzlich
13. Otto das Kind und das Herzogtum Braunschweig-Lüneburg. 1235. 53
Weichen mußte. Er starb 1218 und ward in der Gruft der Blasiuskirche zu Braunschweig beigesetzt. Da sowohl Otto IV. wie Pfalz-gras Heinrich keine männliche Erben hinterließen, und der jüngste Sohn Heinrichs des Löwen, Wilhelm von Lüneburg, 1213 starb, so beruhte der Fortbestand des Welsischen Hauses allein auf dem Sohne Wilhelms, dem neunjährigen Otto, beibenannt das Kind von Lüneburg.
2. Otto gründet das Herzogtum Braunschweig-Lüneburg. 1235. Die Regierung Ottos des Kindes ist für die territoriale Ausbildung des neuen Herzogtums von grundlegender Bedeutung gewesen. Im Jahre 1235 versöhnte sich Otto mit Friedrich II. Zur Regelung der deutscheu Angelegenheiten berief der Kaiser einen Reichstag nach Mainz. Hier sollte der Streit zwischen Staufen und Welfen endgültig beseitigt werden. Am 15. August 1235 trat Otto von Lüneburg vor den Thron des Kaisers und entsagte feierlich mit gebeugtem Knie allem Haß und Groll, den er und feine Vorfahren bislang gegen das staufifche Königtum gehegt hatten, gab sich ganz in des Kaisers Hand und übertrug sein bisheriges Eigentum, das Castrum Lüneburg mit allen dazu gehörigen Burgen, Ländern und Leuten zu lehensweiser Wiederverleihung aus das Reich. Der Kaiser seinerseits verzichtete auf seine von den Töchtern des Pfalzgrafen Heinrich erworbenen Rechte an der Stadt Braunschweig und wies diese gleichfalls dem Reiche zn. Nachdem dann Otto feine
gefalteten Hände in die des Kaisers gelegt und auf das ihm dargereichte heilige Kreuz des Reiches den Eid der Treue geleistet
hatte, erklärte ihn Friedrich zum Herzog und Fürsten unb belehnte ihn mit dem zu einem Herzogtume und Reichs* fahnlehen erhobenen welfifchen Erbe. Seit dieser Zeit nannte sich Otto Herzog von Braunschweig. Er war jetzt nicht mehr ein außerhalb des Reichsverbandes stehender Erbherr, sondern er trat als Reichsfürst in die Reihe der andern, und hierauf stützt sich die ganze geschichtliche Weiterentwickelung unseres Heimatlandes.
3. Ottos Wirksamkeit. Seit dem Sturze Heinrichs des Löwen waren große und kleine Vasallen bestrebt gewesen, von dem wel-sischen Fürstenhause unabhängig zu werden. Das wollte Otto nicht länger dulden. Zunächst suchte er die Grafschaft Stade vom
Bremer Erzbischof zurückzugewinnen, und während dieser in den Kampf mit den Stedingern verwickelt war, fiel der Welse in das Erzstift unb bedrohte Bremen. Jahrelang dauerte der Streit, auch noch, als die Stedinger schon bezwungen waren. Endlich kam es zum Vergleich, in dem Otto zwar die Inseln Finkenwerder, Grieswerder und einige Grafengerichte erhielt, im übrigen aber auf seine Ansprüche verzichtete. — Mit bem Bistum Verben setzte sich Otto leichter in ein srennbliches Verhältnis; er erhielt bie seinen Vorfahren schon übertragen gewesenen Kirchenlehen. In ähnlicher Weise einigte
54 13. Otto das Kind und das Herzogtum Braunschweig-Lüneburg. 1235.
er sich im Süden seines Gebiets mit bem Mainzer Erzbischof. Seine Ansprüche auf Hildesheirn wurden jedoch zurückgewiesen, iinb auf bem Reichstage zu Mainz (1235) würbe ausdrücklich anerkannt, baß bas Stift Hildesheim keiner andern herzoglichen Gewalt als der des Bischofs unterworfen fei. — Bedeutenden Zuwachs an Lanb unb Leuten erlangte Otto auch von beit weltlichen Fürsten; bie Grafen von Everstein an ber mittleren Weser zwang er wieber zur Anerkennung seiner Lehenshoheit; er erwarb die Burg Celle, bas Kloster Isenhagen, ben Zehnten ans ben Goslarschen Bergwerken, bas Besitztum bes letzten Grafen von Altenhauseu unb Osterburg in der Grafschaft Stade und im Lüneburgischen, die Bnrg Lauenstein und die Stabt Hannover mit ben umliegenden Gebieten ber Grafen von Lauenrobe. So stellte Otto fein Herzogtum auf eine festere Grunb-lage unb betrat ben Weg, ans bem feine Nachfolger im Lause ber Sahrhunberte bas Herzogtum Braunschweig-Lüneburg zur Vorherrschaft unter ben Gebieten Nieberfachfens brachten. Er stützte sich auf bie emporstrebend Bürgerschaft. Eine große Anzahl nieder-sächsischer Stäbte: Hannover, Braunschweig, Lüneburg,
Münden, Osterode, Gottingen u. a. verdanken ihm ihre frühesten Stadtrechte. — Er unterstützte auch ben bentscheit Orden im Kampfe gegen bie Preußen. 1252 starb ber erste Herzog vou Braunschweig-Lüneburg; er liegt im Dome zn Brauufchweig begrabeu.
4. Tie Stedinger. An beiben Seiten ber Ünterwefer wohnte ber friesische Stamm ber Stebingcr, stets im Kampfe gegen bie Überflutungen ber Weser. Auf frieblichem Wege hatte er sich bereit erklärt, gewisse Abgaben an bie Bremer Kirche zu zahlen unb bamit bie Hoheitsrechte des Erzbischofs von Bremen anzuerkennen. Als aber die Adeligen und das Domkapitel im Stedinger Gebiet immer mehr Burgen anlegten, mit Burgmannen besetzten unb biese sowohl wie bie erzbischöflichen Vögte sich immer mehr über bie Rechte bes Volkes hinwegsetzten, ba erhoben sich bie Stedinger, zuerst 1187, unb vertrieben bie Verhaßten. Der Graf Johann von Oldenburg kämpfte vergeblich gegen die zähen Marschbewohner. Als der Erzbischof von Bremen ihr Land mit dem Interdikt belegte, verweigerten sie jede Abgabe und erklärten, daß sie keine Hoheit als die des Kaisers über sich anerkennen wollten. So widerstanden sie jahrelang. Im Jahre 1232 begann der Erzbischof Gerhard von Bremen den Kampf aufs neue. Aber die Friesen fanden Unterstützung durch Otto das Kind von Braunschweig-Lüneburg. Da stritten wieder umsonst bie Grafen von Lippe und von Oldenburg gegen sie. Im Übermut und Siegestaumel erschlugen jedoch die Stedinger einen Priester, kamen darüber in Bann und Reichsacht, unb es wurde ein Kreuzzug gegen die Trotzigen beschlossen. Die sämtlichen sächsischen Bischöfe rüsteten gegen sie, unb auch Otto von Braunschweig-Lüneburg bürste bie Sache ber Stedinger nicht länger fordern. Dennoch gaben diese
13. Otto das Kind und das Herzogtum Braunschweig-Lüneburg. 1235. 55
ihre Freiheit nicht verloren. Im Jahre 1233 sammelte sich das Kreuzheer bei Bremen und zog zu Wasser und zu Lande den Marschen von Osterstade zu. Die Stedinger standen wie Mauern; aber ihre kleine Schar mußte der Übermacht erliegen. 400 Mann fielen, die Waffen in der Hand; die Gefangenen wurden als Ketzer verbrannt. 1234 erlitten die Stedinger eine neue und schwerere Niederlage bei Altenesch. Von ihren 11000 Streitern fielen 6000; dann sahen sich die Überlebenden von 40 000 Mann umstellt. Da beugten sich die Stedinger teils, teils verließen sie ihre Heimat. Ihr Land wurde vom Banne befreit und neuen Kolonisten zu Meierrecht überleben. Adelige Herren wurden mit den reichen Gütern der Unterworfenen belehnt [mb bauten Turme und Burgen zur Erhaltung des neuen Besitzes.
5. Die Teilungen des Herzogtums Braunschweig-Lüneburg. Kein Erbgesetz schützte indes das junge Herzogtum Braunschweig-Lünebnrg vor neuen Zersplitterungen. Wie einst die Söhne Heinrichs des Löwen, so teilten auch die Söhne Ottos, Albrecht und Johann, das väterliche Besitztum. Darüber wird berichtet: „Es geschah, daß sie zusammenkamen in der Stadt Braunschweig und daß erstlich die beiden Fürsteu selbst darum die Würfel werfen sollten, wer von thuen die Teilung setzen und wiederum, wer die erste Kür haben sollte. So fiel das Los und Glück auf Herzog Albrecht, der sollte das Land setzen, und Herzog Johann sollte nachher die Kür und Wahl haben. Also setzte Herzog Albrecht Braunschweig, das Land zwischen Deister und Leine, Grubenhagen und den Harz, sowie das Göttingensche als einen Teil; das Land zu Lüneburg und Celle, Haus, Schloß und Stadt mit Holz und Feld, Wasser und Weide sollte der andere Teil sein". Nun wählte Johann den lüne-burgischen Teil, während Albrecht den braunschweigischen behielt. Diese Teilung geschah im Jahre 1269. Sie ist von besonderer Bedeutung; denn sie bildete den Anfang eines Gebrauches, der, durch Jahrhunderte fortgesetzt, das braunschweigisch-lüneburgische Gebiet in eine Menge kleiner Fürstentümer zersplitterte. Außer Braunschweig und Lüneburg wurden Göttingen, Grubenhagen, Kalenberg, Wolfenbüttel, Celle n. a. zeitweise gesonderte Länder mit eigenen Herzögen. Macht und Ansehen der welfischeu Fürsten litt sehr durch diese Teilungen. Dreizehnmal ist das Land geteilt worden, und einmal herrschten sogar sieben Herzöge darin. — Wie Braunschweig-Lüneburg, so wurden auch andere weltliche Territorien Niedersachsens geteilt, so im Jahre 1345 die Grafschaft Hoya in eine „ouve" und „nedere Herschupp". Die Teilungslinie ging quer durch das Land und schloß sich fast dem alten Volkswege an. Den nördlichen Teil, die Niedergrafschaft mit der Residenz Hoya, bekam Gerhard, den südlichen mit der Residenz Nienburg Johann. Zu Gerhards Teil gehörte die erworbenene Grafschaft Alt-Bruchhausen; danach be-
56
14. Die Entstehung des Meierrechts.
zeichnete sich diese Lime mit bem Beinamen von Bruchhausen Die Teilung ber Grafschaft Hoya ist für ihr Bestehen verhängnisvoll geworben; beim durch sie würbe ber Anfall beiber Teile an bas Herzogtum Braunschweig-Lüneburg vorbereitet. — Trotz ber araen Zersplitterung bes altsächsischen Gebietes erhielt sich im Volke das Bewußtsein von ber Zusammengehörigkeit ber verschobenen Gebiete, und es entstand für bie vielen weltlichen unb geistlichen Fürstentümer Zwischen Weser uub Unterelbe ber gemeinsame Name Niedersachsen ber noch heute gebräuchlich ist.
14. Die Entstehung des Weierrechts.
1. Die Ministerialen. Mit ber Zeit ballten sich immer mehr Villikationen in ben Hänben weltlicher unb geistlicher Großgrunb-herren zusammen. Ilm so schwerer würbe es bem Herrn, sich persönlich um bie einzelne Villikation zu bekümmern; er mußte sich ganz auf ben Villikus ober Meier verlassen. Dieser wuchs baburch immer fester in seine Stellung hinein uub im Ansehen über seine ursprünglichen Stanbesgenossen, bie Laten unb Unfreien, hinaus. Wie bem Meier, so erging es auch denjenigen am Hofe bienenben Unfreien, bie zur persönlichen Bebienung bes Herrn bestimmt waren unb so gewissermaßen in bie Stellung von Hofbeamten rückten. In kriegerischen Zeiten bitbeten diese Leibbiener bie Garbe bes Herrn. Sie erhielten baher auch bas Recht, Waffeu zu tragen, bas ben übrigen Hörigen versagt war. Wenn irgenb möglich, erbten biese Ämter fort, unb so entstanb allmählich ein Kreis von Beamtensamilien, bie sich sozial von ben ihnen rechtlich noch gleichstehenben übrigen Hörigen unterschieben. Sie hießen Ministeriale ober Dienstleute. Diese erlangten nun nach unb nach von ben Herren Privilegien, woburch sie auch rechtlich von ben gewöhnlichen Hörigen getrennt unb über sie hinausgehoben würben. Die Ministerialen Bildeten von bieser Zeit ab bie höchste Klasse ber Hörigen mit bem Recht unb ber Pflicht, bem Herrn am Hofe unb im Kriege zu bienen. Mit ber Ausbilbung bes Rittertums würbe ihnen bie Ritterwürbe zuteil.
2. Der ritterliche Zeitpächter. Aus ber Mitte ber Ministerialen würben von nun an vorwiegend bie Meier ber einzelnen Villikationen genommen. Aber ber Meier war jetzt nicht mehr bloß ein von ber Gnade bes Herrn abhängiger Unfreier, sonbern er besaß kraft seines bienstmännischen Standes Rechte, die von feiten des Herrn anerkannt waren. Er befand sich als ritterlicher Mann in einer angesehenen sozialen Stellung, und er verwaltete nicht mehr als erster Hausdiener, sondern als selbständiger Beamter eine der vielen Grnndherrschaften
14. Die Entstehung des Meierrechts.
57
seines Herrn. Die Meier suchten alsdann, ein eigenes Recht auf die Verwaltung der Villikation zu bekommen, das Amt in ihrer Familie erblich zu machen, d. h. ein Dienstlehen daraus zu gestalten, oder sie zogen die Einkünfte und Bestandteile der Villikation zum Xeil an sich und suchten sich weit über das ihnen zustehende Honorar hinaus zu bereichern, oder sie schlugen einzelne Hufen der Villikation zu ihrem Amtsgut und bewirtschafteten jene wie dieses zu eigenem Vorteil. Wo die Herren diesen Übelständen nicht steuern konnten, da ließen sich die dienstmännischen Meier ihre Stellung ausdrücklich-anerkennen und gerichtlich feststellen. Außerdem wurden die Leistungen für die ganze Villikation in bestimmter Höhe festgesetzt. Nun brauchte der Meier nicht mehr den ganzen Ertrag der Wirtschaft abzuliefern, sondern er war nur Persönlich für eiue bestimmte Menge und Beschaffenheit der Abgaben verantwortlich. Überschüsse sielen ihm zu. Schließlich gelang es, das Amt nach Art der Hofämter oder in der Form des Dienstlehens erblich zu machen, und so wurden die Villikationen den Großgrundherren, namentlich den geistlichen, entfremdet. Um dieser Entwickelung entgegenzutreten, schlossen die Grundherren mit den noch im reinen Amtsverhältnis stehenden Meiern für bestimmte Jahre einen Vertrag des Inhalts, die Villikation zu verwalten und dafür vom Haupthof und von den Lathufen bestimmte Abgaben zu liefern als sogenannte pensio. Damit war dem Villikus Gelegenheit gegeben, an den Erträgen der Villikation teilzunehmen; er hatte ein rechtliches Interesse an der Villikation, und er verwaltete sie nun nicht mehr für den Herrn, sondern, für sich selbst. Der Meier besaß also schließlich kraft Rechtens, was er schon vorher tatsächlich geübt hatte: die Nutzung der Villikation. Die pensio, die der Meier zahlte, hieß in deutscher Sprache „Pacht". So war die älteste Form rein deutscher Zeitpacht entstanden, der ursprünglich hörige Meier war ein ritterlicher Zeitpächter geworden.
3. Der bäuerliche Meier. Viele Villikationsherren trennten von den pachtlos werdenden Villikationen die Haupthöfe ab und vermehrten sie allein. Den Rest der Villikation, die Lathufeu, uahmeu sie in eigene Verwaltung. Damit zeigte sich die Grundherrschaft in zwei Formen: als Herrschaft über sozial hochstehende Zeitpächter und als Herrschaft über Genossenschaften höriger Bauern. Die Vermeiernng der Haupthöfe an Ministerielle, Stadtbürger u. a. erwies sich als vorteilhaft für den Herrn, nicht aber die Verwaltung der abgetrennten Lathufen; verschiedene Umstände machten ihren Besitz für den Herrn unergiebig. Der Zins war zn gering; die Laten waren wirtschaftlich fast Eigentümer geworden; auch der Frondienst verlor feine Nutzbarkeit, weil der Frou-hof nicht mehr der Villikation angehörte. Nun lösten die Grundherren die Villikation ganz auf; indem sie die Hörigkeit der'
58
14. Die Entstehung des Meierrechts.
Laten aufhoben. Mit der Freilassung fielen für den Laten zwar alle Pflichten, aber auch alle Rechte an der Lathufe weg. Damit schüttelte der Herr alle Beschränkungen ab, die ihm das Hofrecht auferlegte, und der Late büßte sein erbliches dingliches Recht auf die Lathufe ein. Als freier Mann hatte er keinen Anspruch mehr auf einen Besitz, den er nur als Höriger innegehabt hatte; er war ein freier, jedoch grundbesitzloser Mann geworden. Sein Vermögen bestand jetzt in seinem Acker- und Hausgerät, seinem Vieh und der Abfindungssumme für deu Verzicht auf die Lathufe. die Gebäude, die Gail und Gare, die er im Boden zurückgelassen hatte. Er packte seine Habe auf einen Wagen, steckte sein Geld in die Tasche und zog mit feiner Familie uud seinem Vieh von dem Hose hinweg, den seine Vorfahren seit Generationen unter dem Schutz des Hofrechts besessen hatten.
Auf diese Weife verwandelte sich ein Teil der Lateu in landlose Leute. Der Herr aber wurde aus einem Herrn über Menschen und Land ein einfacher Grundbesitzer mit unbeschränkter Verfügungs-Freiheit über fein Grundstück. Die Lathufe war in fein unmittelbares Eigentum zurückgekehrt; aber er nahm sie nicht in eigenen Betrieb, sondern er gab sie wieder zu Zins aus uud zwar in Meierrecht; denn dieses beruhte auf einem Vertrage, der auf bestimmte Zeit geschlossen uud kündbar war. Der Meter mußte die Abgaben regelmäßig auf eigene Gefahr an den Sitz des Herrn liefern, uud der Herr war jeder Verwaltungstätigkeit an Ort unb Stelle üb erhoben. So bilbeten bie Herren nach bem Muster bes Haupthofes aus ehemaligen Lathnfen Meierhöfe, b. H. sie vereinigten mehrere Lathufen zu größeren Lanbwirtfchaftsbetrieben uud taten diese zu Meterrecht aus. Zu Meient uahmen sie meisteus die freigelassenen Laten, nicht gerade die eigenen, aber auch Ministerialen und Stadtbürger. So bilbete sich ber Staub ber bäuerlichen Meier ober Freimeier, fortan die wichtigste Bevvlkerungsklaffe Niederfachfens. Indes waren nicht alle Villikatioueu ausgelöst, und so bestanden neben den Freimeiern auch noch Laten in großer Zahl. Die freigelassenen Laten, die nicht in den Besitz eines Meierhofes kommen konnten oder auch nicht danach trachteten, wanderten in die aufblühenden Städte uud itach dem slavischen Osten, der damals gerade der deutschen Kolonisation erschlossen wurde. Jenseits der Elbe wiukte thuen das hohe Gut, das sie in der Heimat eingebüßt hatten, das erbliche dingliche Recht auf einen Bauernhof. Dieses würbe ihnen bort gewährt, ohne baß sie bie teuer erkaufte Freiheit aufzugeben brauchten. Wie stark bie Abwanberititg aus Niebersachfen nach bem Osten gewesen ist, beuten u. a. bie nieber--fächsifchen Ortsnamen wie Osterobe, Frieblanb, Morungeit u. v. a. in Ostpreußen an. — Bei bem Zufammeufchlageu mehrerer Lathufen zu einem Meiergute würben einzelne Hausplätze ober Koten im
15. Der Lüneburger Erbfolgekrieg. 1369—1388. ___________________________59
Dorfe frei. Diese wurden an neue Insassen tiermeiert, die jedoch nur diese Hausstelle, aber kein Land besaßen. So entstand die Klasse der Köter, Kotsassen ober Kötner. Die Bewohnerschaft der Dörfer gliederte sich nun in Meier, Vollmeier, Halbmeier, Viertelmeier, Dreiviertelmeier, — je nach dem sie einhufige oder mehrhufige Güter innehatten — und in Köter.
Der Meier erhielt zur Beglaubigung seines Nutzungsrechts am Meierhof uud zur Feststellung seiner Pflichten gegen den Herrn den M eierb rief. Sollte das Meierverhaltnis aus irgend einem Grnnde aufgehoben werden, so wurde der Pächter „abgemeiert". Im 14. und 15. Jahrhundert wurde das Meier gut überall in Niedersachsen dem Landesherrn stener- uud dienstpflichtig.
15. Aer Lüneburger Krbsolgekrieg. 1369—1388.
1. Lüneburg ttnb Magnus II. Im Jahre 1369 starb der Lüneburger Herzog Wilhelm „mit dem langen Bein", ohne männliche Leibeserben zu hinterlassen. Um sein Erbe entspann sich zwischen den Herzogen Magnus II. von Vrauuschweig und Albrecht von Sachsen ein Streit, der fast zwanzig Jahre laug weite Strecken Niedersachsens verheerte und namentlich auch die Städte Lüneburg, Harburg, Ülzeu uud Hannover betraf. Magnus II. hatte bereits von der Stadt und dem Lande Lüneburg Besitz genommen. Aber er verkannte völlig die Bedeutung der Städte, mißachtete ihre Rechte, und besonders Lüneburg hatte von ihm zu leiden. Er befestigte das Schloß auf dem Kalkberge nnd die Abtei St. Michaeliszerriß Lüueburgs Briefe und erzwang die Auslieferung der Schlüssel von Toren uud Türen. Gerne wären daher die Lüneburger diesen Herrn losgewesen, und da Kaiser Karl IV. den Herzog Albrecht von Sachsen mit dem Lüneburger Laude belehnt und allen Städten und Rittern des Landes bei Verlust ihrer Rechte unb Freiheiten geboten hatte, Albrecht als ihren „erbnatiirlichen Herrn" anzuerkennen, so unterhandelten die Bürger mit Albrecht von Sachsen uud erhielten von ihm die Zusage, daß er alle Rechte uud Freiheiten der Stadt achten und schützen, die Burg auf dem Kalkberge brechen, die Stadtmauer erweitern, das Michaeliskloster verlegen wolle u. a. m., falls er in den Besitz Lüneburgs käme. Nun sandten die Lüneburger einen Absagebrief nach Celle an Herzog Magnus mit der Erklärung, daß sie bei den Drohungen des Kaisers sich gezwungen sähen, an ihr eigenes Wohl zn denken. Ehe Magnus herbeikam, war die Burg auf dem Kalkberge bereits niedergerissen uud das Michaeliskloster zerstört.
60 15. Der Lüneburger Erbfolgekrieg. 1369—1388.
2. Lüneburg und Hannover kommen an Albrecht von Sachsen.
Am Tage danach erschien Herzog Albrecht von Sachsen in Lüneburg. Freudig empfingen ihn die Bürger und huldigten ihm als ihrem echten und rechten Herrn. Bald taten Ülzen und Hannover dasselbe. Harburg wurde erobert und Winsen an der Luhe eingenommen. Auch die Burg Lauenrode, das wehrhafte und festgernanerte herzogliche Bollwerk, das die Stadt Hannover beherrschte, fiel den Sachsen und den hannoverschen Bürgern in die Hände, i) Das Schloß schenkte Herzog Albrecht 1371 der Stadt Hannover; diese zerstörte es und beseitigte damit ein lästiges Hindernis ihrer Freiheit. Die Herzoge Albrecht und Wenzel bestätigten der Stadt sämtliche Freiheiten und Rechte und fügten die Erlaubnis hinzu, daß die Stadt ihre Befestigungen erweitern und vervollständigen dürfe. In kurzer Zeit geriet das ganze Lüneburgische, mit Ausnahme weniger fester Plätze, in die Hand der sächsischen Fürsten. Magnus suchte nach Vermittlern, fand sie in den Städten Braunschweig, Hamburg und Lübeck, mit deren Hülfe ein Waffenstillstand vereinbart wurde, der bis Martini dauern sollte. Magnus wollte dadurch nur Zeit gewinnen. Daher kehrte er sich nicht viel an das gegebene Versprechen und ließ sechzig meißnische Ritter gefangen nehmen. Auch überfielen am 21. Oktober in der St. Ursulanacht 700 braunschweigische Ritter und Knechte die Stadt Lüneburg. Aber tapfer standen die überraschten Bürger auf ihrem Posten. 54 Eindringlinge lagen erschlagen auf der Straße, mehr als 80 Gefangene wurden wegen Straßenraubes hingerichtet, und die anderen, unter denen auch eine Anzahl Adeliger war, mußten ein hohes Lösegeld zahlen. Lüneburg feierte diesen Sieg noch lange in Sagen und Liedern. Trotz der Niederlage begann Magnus II. nach Ablauf des Waffenstillstandes den Kampf von neuem, bis er schließlich bereit war, sich einem kaiserlichen Spruche zu fügen. Da aber Magnus auf dem Mur angesetzten Tage zu Pirna nicht erschien, so erklärte der Kaiser die sächsischen Fürsten Albrecht und Wenzel als die allein berechtigten Inhaber des Herzogtums Lüneburg, erteilte ihnen nochmals feierlich die Belehnung und erneuerte die bereits früher über Magnus und dessen Anhang ausgesprochene Acht und Aberacht. Magnus setzte ungeachtet des kaiserlichen Spruches den Kampf fort und richtete nebst^ seinen Gegnern das Land zu gründe. Ein Ende war nicht abzusehen. Da trat im Jahre 1373 ganz unerwartet eine vorläufige Entscheidung ein. Magnus wurde in einem Treffen bei Leveste am Deister erschlagen; somit verblieb das Lüneburger Land vorerst in den Händen der sächsischen Herzoge.
2) Diese Eroberung der Burg Lauenrode ist von dem Maler Schaper in einem großen Wandgemälde im Treppenaufgange im alten Ralhause zu Hannover dargestellt.
16. Ostfriesland zur Zeit seiner Einigung.
61
3. Das Lüneburger Land fällt wieder an Brannschwejg. 1388.
Magnus Torquatus hinterließ vier Söhne, die beim Tode des Vaters sämtlich noch minderjährig waren. Es gelang aber ihrer Mutter Katharina, zwischen ihnen und den Herzögen von Sachsen einen Vertrag zustande zu bringen, wonach beiden Fürstenhäusern du gleiches Anrecht auf Lüneburg zustehen und die Regierung zwischen beiden wechseln sollte. Katharina bekräftigte diesen Vertrag dadurch, daß sie selbst sich mit Herzog Albrecht von Sachsen verheiratete und ihre Söhne Friedrich und Bernhard mit den Töchtern des Herzogs Wenzel verlobte. Zwar war Albrecht nunmehr unbestrittener Herr in Lüneburg, uud er hatte das redlichste Bestreben, dem zerrütteten Lande aufzuhelfen, aber ohne Erfolg. Und als er im Sommer 1387 vor Ricklingen vom Tode ereilt wurde, da brach der alte Hader um das Lüneburger Erbe von neuem aus. Unter sich selbst völlig einig, verbündet mit Herzog Otto dem Qnaden Don Göttingen und mit der Stadt Braunschweig, unterstützt von der Hildesheimer Ritterschaft, waren die welsischen Brüder entschlossen, um jeden Preis das Lüneburger Land in ihre alleinige Gewalt zu bekommen, und griffen zu den Waffen. Die Stadt Lüneburg u. a. schlossen sich dem sächsischen Fürstenhause an. Vor Winsen an der Aller kam es zur letzten Entscheidung: die Brüder von Braunschweig behielten den Sieg, der dem langjährigen Hader ciit Ende machte. Die sächsischen Fürsten verzichteten 1388 auf ihre Ansprüche und schlossen mit den Braunschweigern eine Erb Verbrüderung, wonach beim Aussterben einer ber beiden Familien deren Land an den überlebenden Teil fallen sollte.
16. Wsriesland zur Zeit seiner Einigung.
1. Landverluste. Von jeher haben die Sturmfluten an der Küste Ostfrieslands große Landverluste herbeigeführt. Die gefährlichsten fanden zu der Zeit statt, als das Land auch durch Fehden im Innern arg zerrissen und verheert wurde. Ganz besonderen Flutandrang hatte von jeher die Insel Bant, die zu Bischof Liudgers von Munster Sprengel gelegt war, auszuhalten gehabt; doch bestand sie noch unzerrissen als ganze Insel um 1100. In den folgenden Jahrhunderten ist auch sie ein Opfer eindringender Sturmfluten und der ihren Lauf verändernden Ems, der Osterems, geworben. Die Osterems oder „neue Ems" hat den Zusammenhang zwischen Borkum und Juist zertrümmert; auch Norderney, der östlichste Vorsprung, das Osterende, der alten Insel Bant, wurde abgesprengt und erhielt nun den Namen nordet neye, d. i. neue, Ooge. Nach ber Zerstörung der Insel Bant war das dahinterliegende Land eines starken Schutzes beraubt. Durch bie weiten Seegaten
62
16. Ostfriesland zur Zeit seiner Einigung.
zwischen den Inseln konnten die Fluten bei heftigen Stürmen ungehindert vordringen. Das Land hinter den Inseln bestand an vielen Stellen aus einem Erdreich, das dem Wasser keinen Widerstand entgegenstellen konnte. Wo jetzt die Leybucht ist, trat das ostfriesische Hochmoor, nur mit spärlichem Pflanzenwuchs bedeckt, ganz nahe an das Meer; an der Grenze des Reiderlandes erreichten es die Ausläufer des Burtanger Moores.
In der Zeit des Fehdeweseus ist auch der Grund gelegt zur Entstehung des Dollarts. Große Sturmfluten hatten das alte Reiderland, das die ganze Fläche des heutigen Dollarts umfaßte, schon oft heimgesucht. Das Laud war eine sumpfige Niederung oder „Dullert", dargig und schwammig, zitterte unter dem Hufschlag der Pferde wie unter dem Fußtritt der Menschen und
konnte daher leicht unterwühlt werden. Dennoch standen auf dem Gebiete die Stadt Torum, 3 Flecken, 30 Dörfer und mehrere kleinere Ortschaften und Gehöfte. Schreckliche Sturmfluten brachen in der Zeit von 1377—1400 herein. Es rissen die Deiche; aber statt die schadhaften Stellen durch gemeinsame Arbeit auszubessern und so dem Eindringen des Wassers zu wehren, sahen die uneinigen und durch Fehdeu verfeindeten Bewohner untätig, ja schadenfroh zu.
Ganze Gehöfte mußten ausgedeicht werden. Da nun um diese Zeit
die sog. Vetkop er und Schieringer in Fehde lagen, so geschah erst recht nichts zur Abwehr des gefährlichen Feindes, ja er wurde sogar als Buudesgeuofse eingelassen, indem 1413 die Gegner einander die Siele in Brand steckten. Nun war betn Verderben Tür und Tor geöffnet; denn ungehindert überströmte seitdem bei jeder Flut die See das unglückliche Reiderlaud. Art der Nordwestseite, Wybelsum und Larrelt gegenüber, wurden auf einer Strecke von V/2 Stunden die Deiche weggerissen, das Wasser walzte sich ungehindert durch ganz Reiderland bis Holthusen, Bunde und Wymeer. Zur Zeit der Flut lagen die Ortschaften wie Inseln im Meere;
ihre Ländereien waren mit Sand überschwemmt. Seit der Zeit war keine Rettung mehr. Nach wenigen Jahrzehnten standen im Innern Reiderlands 20 Kirchdörfer unter Wasser, dem Verderben geweiht, nur Ditzumerverlaat, St. Georgiwold, Böhmerwold und Jemgum wurden gerettet. Von einer Anzahl Ortschaften an der Ems, darunter die Stadt Torum und das Kloster Palmar, kennt man die Stätte nicht mehr; wo einst der Bauer pflügte, fahren jetzt Schiffe. Erst später ist das übrig gebliebene Land durch Deiche geschützt. Heute sucht man immer weitere Strecken des Dollarts einzudeichen, um fruchtbare Polder zu gewinnen.
2. Einigungsfehden. Unter den Häuptliugsgeschlechteru Ostsrieslands war das Haus ten Brok das mächtigste geworden, hatte aber wenig Freunde und viel Neider unter den Häuptlingen. Diesen Umstand benutzte Focko Ukena, um das Haus ten Brok zu stürzen und.
16. Ostfriesland zur Zeit seiner Einigung.
6K
auf solchem Wege zur Alleinherrschaft zu gelangen. 3000 ostsriesische Bauern folgten ihm als ihrem Führer, wahrend Ocko ten Brok auf die Hülfe des Grasen von Oldenburg, des Erzbischofs von Bremen und der Grasen von Hoya und Diepholz angewiesen war. Diese stellten 11000 Mann ins Feld, wurden aber von Focko Ufena und seinen 3000 Bauern 1426 bei Detern völlig besiegt. Ein neuer Sieg Ukenas besiegelte im Jahre daraus auf den „wilde n Äckern" das Schicksal Ocko ten Broks. Er wurde gefangen, verlor seine Besitzungen und mußte seine Vorherrschaft an Focko Ukena abtreten. Aber auch diesen ereilte das Schicksal. Im Jahre 1430' schlossen unter Führung Edzard Cirksenas die Häuptlinge gegen ihn den „Bund der Freiheit," verpflichteten sich, die alte Freiheit zu schützen und alle fremden, d. i. deutschen Herren vom Lande fernzuhalten. Die Verbündeten belagerten die Fockenburg zu Leer,. Ukenas festes Haus, zerstörten sie und bauten ans ihren Steinen die Feste Leerort. Focko Ukena fand Unterstützung beim Bischof von Münster, fiel mit münsterischen Truppen in Ostfriesland ein, raubte und plünderte; doch konnte er feine frühere Stellung und feinen Einfluß nicht wiedergewinnen. Ostfriesland aber war und blieb infolge der vielen Fehden in sich zerrissen und zersplittert und verfiel fremdem Einflüsse und fremder Macht. Schon hatten sich die Hamburger der Emsmündung bemächtigt und sahen Emden und Leerort als ihr Eigentum an.
3. Die Einigung Ostfrieslands. Immer lebhafter wurde der Wunsch nach einer Vereinigung der einzelnen Landschaften. Dem Hause Eirksena war das Einigungswerk vorbehalten. Die Bewohner des Brokmer-, Norder- und Auricherlandes begaben sich freiwillig in seinen Schutz; auch die Stadt Emden wurde ihm, wenn auch unter Vorbehalt der Zurückforderung, übergeben. Dann wurde Ulrich Eirksena im Jahre 1441 von Geistlichen, Häuptlingen und Grundbesitzern des Emder-, Auricher- und Norderlandes einmütig zum Herrn erwählt und ihm die Oberleitung des ganzen Landes anvertraut. Zugleich bat man ihn, die beiden mächtigsten Familien des Landes zu versöhnen; es geschah: 1453 ward aus dem Schlosse zu Berum durch die Vermählung Ulrich Cirksenas mit Theda Ufena, der Großtochter und einzigen Erbin Focko Ukenas, die Einigung Ostfrieslands besiegelt.
4. Ostfricsland wird eine Neichsgrafschaft. 1454. Um sich die Herrschaft über Ostfriesland noch mehr zu sichern, trug Ulrich dem deutschen Kaiser Friedrich III. Ostfriesland als Teil des Deutschen Reiches an, damit er es aus dessen Händen als Lehen wieder empfange. Zugleich bat er den Kaiser, ihn und seine Gemahlin in den Reichsgrafenstand zu erheben. Der Kaiser ging daraus ein und ernannte Ulrich 1454 zum Grafen von Ost friesland. Dieser erhielt
64
16. Ostfriesland zur Zeit seiner Einigung.
dadurch dieselben Rechte, die bisher der Graf von Oldenburg und der Bischof vou Münster als Grafeu in Ostfriesland ausgeübt hatten. Um aber diese, sowie die Häuptlinge nicht zum Widerstände zu reizen, legte Ulrich den Lehnsbrief bis auf günstigere Zeiten zurück, nannte sich nach wie vor Häuptliug und suchte, durch Werke des Friedens das Land zu beglücken und sich die Liebe der Einwohner zu erwerben. Besonders richtete er sein Augenmerk ans die Verschönerung und Erweiterung Emdens, das einst der sichere Hafen der Viktualienbrüder gewesen war. Er erbaute dort ein Schloß uud ließ sich in der Franziskanerkirche, der jetzigen Gasthauskirche, durch einen kaiserlichen Gesandten öffentlich mit Ostfriesland belehnen. Im folgenden Jahre huldigten ihm die Häuptlinge. Seinem Vetter Sibo Attena übertrug Ulrich das Harlingerland und erließ ihm sogar die Huldigung; infolgedessen war Harlingerland später lange Zeit, bis 1600, von Ostfriesland getrennt. Ulrich starb 1466 auf seiuer Burg zu Emden; feine Leiche ward im Kloster Mariental zu Norden beigesetzt. Seine Gemahlin, Gräfin SEHeba, führte bas Werk bes Gatten fort. Nach ihrem Tobe 1494 hatte ihr Nachfolger Ebzarb Cirkfena noch eine Reihe von Kämpfen um seine Anerkennung zu bestehen.
5. Die sächsische Fehde. Kaiser Maximilian I. lag in Fehde mit ben Westfriesen im heutigen Holland. Herzog Albrecht von Sachsen führte bie Fehbe unb belagerte bas feste Groningen. Mit ihm vereinigte sich Ebzarb I. von Östfrieslanb, um einen Wortbruch ber Groninger zu rächen. Als aber Herzog Albrecht starb unb Ebzarb nun allein Groningen eroberte, sich barin festsetzte unb eine Burg baselbst errichtete, zog er sich ben Unwillen bes Kaisers unb den Haß der Sachsen, seiner früheren Bundesgenossen, zu. Der Kaiser belegte den Grafen mit der Reichsacht. Heinrich von Braun-schweig-Grubenhagen und mehrere andere nieder sächsische Fürsten drangen in Ostfriesland ein, unb bie Häuptlinge Hero Omken uub Christopher von Jever erhoben sich. So entstaub bie „sächsische Fehbe", bie Ostfriesland jahrelang verwüstete. Am meisten litt bas Laub unter einem Haufen zusammengelaufenen Gesinbels, bie schwarze Garbe genannt. Unter bem Grafen von Leisenich uub bent Herzog Heinrich von Braunschweig suchte sie Östfrieslanb heim. Dazu kamen bie Sachsen und ihre Bundesgenossen. Viele Dörfer wurden ausgeplündert, andere verbrannt. Anfang Mai 1514 zogen 20 000 Krieger vom Harlingerlanbe aus gegen Altrich. Ebzarb hatte bei betn Kloster Meerhusen ein Blockhaus errichten lassen. Die Wege bahin waren vorher aufgegraben und mit Eggen unb anberen fcharfeit Gegenstänben für Reiterei ungangbar gemacht. Aber durch ein Miß-verstänbnis bes Geschützmeisters waren bas Pulver uub einige Kanonen abgeführt worben. Am fünften Tage würbe bas Blockhaus ;t)on beit Feinden gestürmt, unb bie Besatzung von 80 Mann fanb ihren
17. Die Hildesheimer Stiflsfehde. 1519.
65
Tod. Edzard zog sich vor der Übermacht auf Aurich zurück. Dieser Crt war mit Lebensrnitteln so wohl versehen, daß er eine viermonatliche Belagerung aushalten konnte. Edzard legte noch 350 Söldner hinein und zog selbst nach Emden. Allein die Besatzung war nicht imstande, die ausgedehnten Wälle um Aurich zu verteidigen. Daher zog sie ab, steckte aber zuvor die Stadt selbst in Brand und hinterließ dem Feinde nur einen Trümmerhaufen. Nun zogen die Feinde vor ©tiefHausen. Herzog Heinrich ließ die Weiber und Kinder der Besatzung vor seinen Kriegern Hertreiben und drohte, mit ihren Leichen den Bnrggraben auszufüllen. Da fiel auch ©tiefHaufen, und nun ergoß sich der wilde Haufe weiter ins Land; Norden und Lütetsburg wurden ausgeplündert und zum Teil verbrannt. Gras Edzard erbot sich dem Herzog zum Zweikampf; aber Heinrich lehnte ab. So mußte denn der Kampf weiter geführt werden. Nachdem Graf Edzard von dem Herzoge von Geldern Hülfe erhalten, vertrieb er die Feinde aus der Friedeburg und machte sie zum Frieden geneigt. „Dieses Land sollte nicht Friesland, sondern Frißland heißen, denn es hat fast ganz Thüringen und Meißen ausgefressen", sagten sie. Der Friede erfolgte 1518 zu gunsien des Grafen, nachdem er für die Herausgabe der Feste Stickhaufen 8000 Gulden gezahlt hatte. So ging Edzard aus all diesen Kämpfen siegreich als anerkannter Graf von Ostfriesland hervor.
17. Aie Kildesheiiner Stiftsfehde. 1519.
1. Die Parteien. Als Kaiser Maximilian I. starb, brach zwischen dem Bischof Johann von Hildesheim und deu Adeligen seines Landes eine unheilvolle Fehde aus, die Hildesheimer Stiftsfehde, die weite Strecken Niedersachsens arg verwüstete. Die Stiftsjunker traten zu einem Bunde zusammen, mit ihnen Herzog Heinrich von Braunschweig-Wolfenbüttel, dessen fehde-lustiger Bruder Franz, Bischof von Minden, und Herzog Erich I. von Kalenberg-Gottingen. Auf des Bischofs Seite traten Herzog Heinrich der Mittlere von Lüneburg und dessen Schwiegersohn, Herzog Karl von Geldern, sowie die Grafen von Hoha, Diepholz, Schaumburg und Lippe, dazu die Städte unb einige Adelige seines Landes.
2. Die Fehde in Minden, Hoya-Diepholz und Kalenberg.
Um die Gegner zu überraschen, begannen Johann von Hildesheim
Tecklenburg u. Dageförde, Geschichte der Provinz Hannover.
5
66
17. Die Hildesheimer Stiftsfehde. 1519.
und Heinrich von Lüneburg in der stillen Woche vor Ostern den Kampf, indem sie von Burgdorf aus in das Bistum Minden eindrangen, Minden nahmen und den Bischof zur Flucht zwangen. Dann zogen sie in die Grafschaften Hoya und Schaumburg, eroberten Stolzenau an der Weser, Lauenau am Deister und überzogen das Land zwischen Deister und Leine, das Fürstentum Kalenberg, mit Mord und Brand. Die Städte und Flecken Reh bürg, Wunstorf, Pattensen, Münder und Springe gingen in Flammen auf, Eldagsen wandte nur mit schweren Opfern seine vollständige Zerstörung ab. Was die Bauern und der landsässige Adel nicht nach Hannover oder auf den festen Kalenberg geflüchtet hatten, das verfiel der Vernichtung oder ward als Beute fortgeschleppt.
3. Die Fehde im Hildesheimischeu. Inzwischen hatten sich auch die Braunschweiger Herzoge gerüstet, erschienen mit stattlicher Kriegsmacht und hausten schrecklich im Hildesheimschen. Am Abend vor Himmelfahrt konnte man von Hildesheim aus elf Dörfer in der Runde brennen sehen. „Man hat etliche Tage nichts als Rauch und Dampf wahrgenommen und ein fast klägliches Zetergeschrei gehört." — Zu der nämlichen Zeit war Herzog Erich mit den Truppen, die er im Göttinger Lande gesammelt hatte, in die südlichen Teile des Stiftes eingebrochen, brannte Dassel aus, zog über Salzderhelden vor Bockenem und dann mit Heinrich von Wolfenbüttel gen Peine, das, durch dreifache Gräben und Wälle, besonders aber durch rings umgebeude Moräste geschützt, für einen der stärksten Plätze des ganzen Stiftes galt. Auf dem Wege dahin steckten sie alle Dörfer in Brand. Peine widerstand zwei Stürmen mit rühmlichem Mute, mußte aber beim dritten nachgeben. Die zurückweichenden Bürger und Landsknechte zündeten selber die Häuser der Stadt an, sodaß den Belagerern nur ein Trümmerhaufen blieb. Nur Schloß Peine widerstand.
4. Die Fehde im Lüneburgischen. Nun zogen die Braunschweiger in die Landschaften an der Aller, auf Gifhorn und Celle zu. Auf ihrem Wege sah man in den Pfingsttageu fünfzig Dörfer brennen; sie schonten keine Kirche; an ihres Vetters Schloß zu Gifhorn zerstörten sie das eigene welfische Wappen. „Sie waren von stolzem Mute", heißt es in einem Liede, „sie hatten Silber und rotes Gold, sie führten mit sich zweitausend Wagen." Am Donnerstag nach Exandi sank Schloß und Stadt Burgd orf, am Pfiugsttage Burgwedel in Asche. Der Papenteich wurde verwüstet, Campen und Gifhorn genommen und verbrannt. Über Wittin gen und Bodenteich, die gleichfalls in Asche sanken, ging es gegen Ülzen; das um 3000 Gulden gebrandschatzt wurde. Die Kirche zu Nettel-kamp zündete der Bischof von Minden mit eigener Hand an. Ans Lüne und Medingen flüchteten die Nonnen nach dem festen Lüneburg. Noch einmal machten die in Frankfurt zur Kaiserwahl ver-
17. Die Hildesheimer Stiftsfehde. 1619. 67
sammelten Kurfürsten den Versuch, Frieden zu stiften. Vergeblich! Die Braunfchweiger Fürsten vermeinten, mit ihrem Heere von der Elbe bis an den Rhein ziehen zu können, ohne von jemand ausgehalten zu werden.
5. Die Schlacht bei Soltau. 1519. Es war am 29. Juni 1519; da standen sich die Gegner zwischen den Dörfern Langeloh und Valenfen bei Soltau gegenüber. Heinrich von Lüneburg, der die Gegend ant genauesten kannte, hatte auch am glücklichsten die Örtlichkeit benutzt und einen Teil seines Heeres in einen Hinterhalt gelegt. Das Heer der Brannschweiger war in der Front durch einen Morast, in den Flanken durch seine Wagenburg und feilt Geschütz gedeckt. Ohne Zögern schritten die Lüneburger zur Schlacht. Herzog Heinrich kniete dreimal mit seinen Scharen zum Gebete nieder; dann ermahnte er sie, ritterlich für das Fürstentum zu streiten, und stellte sich nun mit dem Bischof Johann an die Spitze der Reiter. Mit ihrem Adel, 300 Pferden, dem Hauptbanner und 12 Fähnlein Knechten griffen sie den aus 2000 Knechten bestehenden verlorenen Haufen an. Tapfer widerstanden die Braunschweiger! Aber die Menge der Krämer und Kaufleute und die mitgeschleppte Beute verbreitete alsbald Verwirrung. Da brachen die geldrifchen Reiter aus dem Hinterhalt hervor und umzingelten das braunschweigische Geschütz; zugleich drang das inzwischen herangefommene Fußvolk in die Reihen der Feinde und brachte die 5000 Knechte des feindlichen Gewalthaufens zum Wanken. Hans von Steinberg, tief in ihre Reihen einsprengend, entriß dem Feinde das Hauptbanner, und weder Herzog Wilhelm, ein Bruder Heinrichs des Jüngern, noch der tapfere Erich vermochte die Fliehenden zum Widerstande zu bewegen. Nach dreistündigem Kampfe war der Sieg für Lüneburg entschieden, und nach allen Seiten verfolgten die hildesheimfchen und geldrifchen Reiter die flüchtigen Braunschweiger. 4000 Tote bedeckten die Walstatt. Heinrich und Franz eilten auf flüchtigen Rossen in das benachbarte Verdenfche und fanden auf dem festen Schlosse Rotenburg ihre Sicherheit. Nur Herzog Erich hielt festen Stand und wehrte mit kräftiger Faust den immer mächtiger werdenden Andrang ab. Schon bei Beginn der Schlacht hatte er zu Herzog Heinrich gesagt: „Vetter, reit, es ist Zeit; meine gelben Sporen wollen's nicht leiden, daß ich reite." Dieser war dann geflohen; aber Herzog Erich, „der schon mehr bei solchem Schimpf gewesen war," focht ritterlich, selbst als schon alles verloren war. Vom Pferde geworfen, ward er von seinem Getreuen, dem langen Heinz, wieder beritten gemacht. Ein lüneburgischer Ritter verwundete den Helden am Oberschenkel; doch er saß tapfer im Sattel und führte den verzweifelten Kampf noch eine Weile fort, bis das aus der Wunde strömende Blut die Kraft erschöpfte. Da sprengte der Herzog auf einen geldrischen Ritter an und reichte ihm das Schwert zum Zeichen, daß er sein Gefangener
68
17. Die Hildesheimer Stistsfehde. 1519.
fein Wolle. Wilhelm von Wolfenbüttel erhielt, nachdem er bis zur gänzlichen Ermattung gekämpft, einen Schlag mit dem schweren Streitkolben durch Harnisch und Panzer, sprengte in Valensen mit seinem edlen Roß über einen manneshohen Torweg in einen Bauernhof und mußte sich dort dem Ritter Lnbrecht von Wrisberg ergeben.
6. Sieg und Siegesfeier. Das war ein köstlicher Sieg für die Lüneburger! Zwei Fürsten, mehrere Grasen, 136 Ritter, mit ihnen 400 reisige Pferde gefangen! Der Rest des Heeres war versprengt. Sämtliches Geschütz und eine ungeheure Beute fielen in der Sieger Hände. „Es waren auch 1000 Wagen mit Raubgute beladen, der anderen Wagen waren auch wohl nicht weniger, dabei viele Kaufleute waren, die verkauften in der Eile ohne Geld." Zudem fielen 8000 Pferde und 16 000 Gulden in die Hände der Hildesheimer und Lüneburger. Alter Sitte gemäß lagerten die Sieger drei Tage lang auf dem blutig erstrittenen Schlachtfelde. Dann ging es an die Verteilung der Beute und der Gefangenen. Bischof Johann wünschte, von Celle aus sofort in das braunfchtoetgsche Land einzufallen. Aber
Heinrich von Lüneburg, der frühern Freundschaft mit dem Vetter
gedenkend, wehrte ihm. Dennoch würde der Bischof von seinem
Vorhaben nicht abgelassen haben, wenn nicht der Edle Hans von Steinberg dagegen ernste Vorstellungen gemacht und der Bürgermeister von Hildesheim, Heinrich Kettelrandt, gedroht hätte, für den Fall eines Angriffs auf Braunschweig dem Herrn alle Zufuhr zu versagen. Umsomehr rüstete der Bischof zu einem prunkenden Einzüge in Hildesheim. 14 Tage nach der Schlacht ritt er in voller Rüstung, in Begleitung der verbündeten Grafen, an der Spitze
seiner Reisigen, Bürger und Knechte in die alte Bischofsstadt ein, begleitet von dem langen Zuge der eroberten Geschütze. Hans von Steinberg führte die gewonnene Braunfchweiger Hauptfahne, trug sie in den Dom, und alle die Fürsten, Grafen und Herren samt einer unzähligen Menge Volks folgten. Dann erbrauste das Tedeum durch den Dom. Die Fahne und Erichs Schlachtschwert wurden zum Gedächtnis auf dem hohen Chore im Dome zu Hildesheim aufgehängt.
7. Die Sieger in der Reichsacht. Am Tage der Schlacht von Soltau erfolgte zu Frankfurt die Wahl des Kaisers Karl V. Das gab den Braunfchweiger Fürsten neuen Mut. Als Erich, noch als Gefangener zu Celle, von dem Ausfall der Wahl horte, rief er freudig aus: „Ist Karl von Gent zum Kaiser erkoren, so haben wir mehr gewonnen als verloren." Heinrich der Jüngere von Wolfenbüttel sprach in Hannover zum Bürgermeister Hans Blome: „Gib dich zufrieden! Wir haben einen Sattelriemen verloren und ein Fuder Heu umgeworfen; wir wollen ein gülden Schwert wiedergewinnen und einen güldenen Wagen wieder aufrichten." Erich
17. Die Hildesheimer Stiftsfehde. 1519.
69
Wurde durch die eifrigen Bemühungen seiner Gemahlin und durch die Opferwilligkeit der gbttingischen Stände, die ein schweres Lösegeld bezahlten, aus feiner Haft befreit Dann ober wandten sich Heinrich der Jüugere und Erichs Gemahlin an den Kaiser, und dieser bestimmte, daß Bischof Johann uud Heinrich von Lüneburg binnen 14 Tagen alle Gefangenen zur Verfügung des Kaisers stellen uud sich demnächst auf einem Reichstage persönlich vor dem Kaiser verantworten sollten. Das geschah im Jahre 1521 auf dem Reichstage zu Worms, der durch Luthers Auftreten feine weltgeschichtliche Berühmtheit erlangt hat. Der Kaiser gebot, alle eroberten Städte, Schlösser, Flecken und Güter in des Kaisers Hand zu überliefern, alle Gefangenen aber frei zu lassen. Doch die Sieger wollten sich diesem Urteil nicht fügen; nun wurde die Reichsacht über sie ausgesprochen. Erich und Heinrich d. I. sollten sie vollstrecken, und es entbrannte der unglückselige Krieg aufs neue. Wieder fielen die feindlichen Scharen raubend und plündernd in das Hochstift ein. Sarstedt fraßen die Flammen; Gronau fiel, die fliehenden Bewohner stieß man nieder, die Stadt wurde ausgeplündert und ausgebrannt. Alfeld mußte, um der Plünderung zu entgehen, 6000 Gulden Brandschatzung zahlen. Auch das tapfere So den ent kam durch Verrat in die Hände der Feinde. Nur „Peine was malet so tiefte, datt de Ule bleff fitten im Neste". Von hier rückten die Fürsten vor Hildesheim und befahlen, „man solle den Mönchen und Pfaffen fleißig mit Karthannen zur Messe läuten helfen." Vierzehn Tage und Nächte schossen sie vom Moritzberge aus in die Stadt, richteten aber wenig Schaden an.
8. Die Teilung des Bistums Hildesheim. Schließlich ging dennoch ein Ort nach dem andern dem Bischöfe verloren; die Lüneburger hatten feine Sache verlassen, Hildesheim selbst verarmte, und die Bürger waren des Kampfes überdrüssig. Man schloß daher endlich Frieden und stellte sich unter Erichs Schutz. Bischof Johann mußte das Land verlassen. Der größere Teil des Hildesheimer Landes wurde den Herzögen von Wolfenbüttel und Kalenberg überlassen; nur die Stadt Hildesheim nebst den Ämtern Peine, Steuerwald mtd Marienburg verblieben dem Bischöfe und führten den Namen „das kleine Stift". Erst später erhielt der Bifchof eilten Teil des Verlorenen wieder, während das übrige bei Wolfenbüttel und Kalenberg blieb, teilweise noch heute zum Herzogtum Brctunfchweig gehört und teilweise im heutigen Regierungsbezirk Hildesheim mit dem sog. kleinen Stift wieder vereinigt ist.
70
18. Die Einführung der Reformation.
v. Die Zeit der Reformation und des Dreissigjährigen Krieges.
18. Die Hinführung der Aeformaiion.
a. Das Fürstentum Lüneburg.
1. Anfänge der reformatorischen Bewegung. Unter den Ländern Niedersachsens ist das Fürstentum Lüneburg zuerst zu einer Neuordnung der kirchlichen Verhältnisse gekommen. Es ist dies das Verdienst des Herzogs Ernst, der sich, weil er die Augsburger Konfession mitunterzeichnete, den Ehrennamen „der Bekenner" erworben hat. Mit seinem Wissen und Willen ward bereits 1524 in seiner Residenz Celle lutherisch gepredigt. Auf mehreren Landtagen verlangte er, daß die Stifter und Klöster ein Verzeichnis ihrer Güter einreichen und evangelische Prediger berufen sollten, und mit voller Entschiedenheit trat er auf die Seite der evangelischen Fürsten. Nachdem er mit Luther selbst die kirchlichen Angelegenheiten besprochen, begann er seit 1526 in ruhiger und milder Weise die neue Lehre einzuführen. Er ließ trotz des Widerspruchs der Prälaten von den Predigern zu Celle ein Verzeichnis der kirchlichen Miß-bräuche zusammenstellen und Vorschläge zur Besserung machen. So entstand das „Artikelbuch," das, in niederdeutscher Sprache geschrieben, als erste lüneburgische Kirchenordnnug gedruckt ist. Dann setzte er auf einem wahrscheinlich zu Celles gehaltenen Landtage den Entschluß durch, „Gottes Wort überall in des Fürstentums Stiftern, Klöstern und Pfarren rein, klar und ohne menschlichen Zusatz predigen zu lassen." Mit den Zeremonien sollte es gehalten werden, wie man es „vor Gott und Kaiserlicher Majestät" verantworten könne. Herzog Ernst selbst sorgte nun dafür, daß die von ihm abhängigen Pfarren mit evangelischen Predigern besetzt wurden, und erließ für diese 1529 eine treffliche Anweisung: „Wie und was wir unsers Fürstentums Pfarrherreu zu predigen befehlen." Viele vom Adel folgten dem Beispiele des Herzogs. Einen schweren Stand hatte der Herzog den Klöstern gegenüber, trotzdem er sehr vorsichtig gegen sie vorging; besonders widerstrebend zeigten sich die Nonuert zu Lüne und Medingen, die Mönche zu St. Michaelis in Lüneburg und die Stifter Vardowiek und Ramelsloh. Auch der patrizische Rat zu Lüneburg, der mit dem Herzog nicht in gutem
!) Nicht schon zu Scharmbeck, wie gewöhnlich angegeben wird. Vergl. Wrede, Ernst der Bekenner, S. 51.
18. Die Einführung der Reformation.
71
Einvernehmen stand, verhielt sich völlig ablehnend; doch konnte er auf die Dauer den untern Volksschichten, die vom Luthertum ergriffen waren, nicht widerstehen.
2. Ausbau der kirchliche« Verhältuisse. Im Jahre 1530 gewann Ernst auf dem Reichstage zu Augsburg den Mann, der mit ihm in den Mittelpunkt des kirchlichen Lebens trat: Urb an ns Regius. Mit ihm hat der Herzog im Fürstentum Lüneburg die Reformation durchgeführte) Zunächst bedurften die Verhältnisse in der Stadt Lüneburg dringend der Regelung. Auf die Bitte des Rats, der sich der Bewegung nicht mehr entziehen konnte, wurde Re-gius vom Herzog auf einige Zeit nach Lüneburg gesandt. Regius wirkte durch Predigten und öffentliche Disputationen, und nach mancherlei Kämpfen stellte er eine Kirchen-und Schulordnung fertig, die 1531 in Kraft trat. Auch der Widerstand von St. Michaelis wurde gebrochen. Anfang Dezember 1532 feierte die Mehrzahl der Kon-ventualen das Abendmahl unter beiderlei Gestalt. Mit Bardowiek und Ramelsloh ward ebenfalls ein Ausgleich gefunden. Das Land wurde in Superintendenturen eingeteilt und besondere Sorgfalt auf die Bildung tüchtiger Prediger verwandt. Für sie schrieb Regius als ihr Generalsuperintendent die „Formulae caute loquendi“ oder „Wie man fürsichtiglich reden soll." Die weltlichen Rate wollten das Kirchengut zur Tilgung der Landesschulden verwenden. Regius wußte es zu verhindern, sodaß die Güter größtenteils für Schulzwecke blieben. Für den Herzog schrieb Regius das „Handbüchlein eines christlichen Fürsten." Unter ihm entstand auch der Anfang eines Konsistoriums, nämlich der Kirchenrat, der sich ans den Landessuperintendenten und den weltlichen Räten des Herzogs zusammensetzte. Die Einführung der Reformation im Lüneburgischen ist von besonderer Bedeutung, weil sie für die übrigen niedersächsischen Gebiete anregend und vorbildlich gewesen ist. Mit Recht hat man daher dem Resormations-denkmal vor der Marktkirche in Hannover auch das Standbild Herzog Ernst des Bekenners hinzugefügt.
b. Das Fürstentnm Grubenhagen.
1. Die Beweguug in Einbeck. Herzog Philipp der Ältere von Grubenhagen war ein Freund der informatorischen Bewegung, aber er war auch ein Feind alles Zwanges, griff daher nicht selbst ein, sondern ließ die Dinge sich entwickeln. Wie überall bie Bewegung von den größeren Städten ausging, so hier von Einbeck. Johann Ebbrecht, Pfarrer in Hullersen bei Einbeck, früher Augustinermönch, und sein Ordensbruder Dorenwelle in Einbeck fingen schon früh an, Wider den
Vergl. hierzu das Gemälde von Vogel im Provinzialmuseum zu Hannover: Regius reicht Ernst dem Bekenner das Abendmahl unter beiderlei Gestalt.
72
18. Die Einführung der Reformation.
Ablaß, die Messe und die Zeremonien zu predigen und hatten großen Zulauf. Aber Ebbrecht wurde gefangen gesetzt, und Dorenwelle sollte durchs Schwert zum Schweigen gebracht werden. Doch fand er kräftige Hülfe durch den Prior des Augustiner-Klosters zu Herford, Dr. Gotischalk Kropp, der nach Einbeck kam. Mit neuem Eifer fuhren beide fort, wurden aber auf Betreiben der Kanonikat-Stifter samt andern Mönchen 1525 aus der Stadt vertrieben.
2. Die Förderung durch den Herzog. Die Siegesfreude sollte jedoch nicht lange währen; denn gerade um diese Zeit verbündete sich Herzog Philipp d. A. mit den evangelischen Fürsten: Kurfürst Johann dem Beständigen von Sachsen, Landgraf Philipp von Heften, Ernst dem Bekenner von Lüneburg u. a. Offen bekundete Philipp hierdurch feine evangelische Gesinnung, und das förderte die Reformatorische Bewegung im Lande bedeutend. Die Evangelischen irr Einbeck traten wieder offen hervor, wählten mehrere Gesinnungsgenossen in den Rat und fetzten die Anstellung zweier evangelischer Prediger durch. Nicolaus Amsdorf wurde zur Aufstellung einer Kirchenordnung berufen. Die Stadt Einbeck und der Herzog traten nun 1531 dem Schmalkaldener Bunde bei, gerieten trotzdem noch in mancherlei Irrungen, und da das den übrigen Bundesgenossen unangenehm war. so wurde durch Vermittelung des-Kurfürsten Johann Friedrich von Sachsen im Jahre 1537 ein Vertrag geschlossen, wonach in Einbeck die Messe völlig abgetan und eine neue Kirchenordnung erlassen werden sollte. Infolge dieses Beschlusses vollzog sich nunmehr die Reformation ohne gewaltsame Maßregeln im ganzen Fürstentum. Der erste Prediger an der Agidienkirche zu Osterode wurde zum Land essn per inten deuten ernannt. Er visitierte 1543 alle Pfarren des Fürstentums. Im folgenden Jahre erließ alsdann der Herzog eine neue aus 44 Artikeln bestehende Kirchenordnung nach dem Muster der Braunschweiger Orduuug von Bugenhagen. — Die Klöster Katlenburg und Pöhlde waren bereits 1533 vom Herzog säkularisiert. — Für die Oberleitung der kirchlichen Angelegenheiten wurde ein Konsistorium eingesetzt, das seinen Sitz zuerst in Herzberg, der Residenz des Herzogs, hatte (1587—1596), später aber (1617) nach Osterode verlegt wurde.
c. Die Grafschaften Hoya nnd Diepholz.
1. Hoya wird evangelisch. Graf Jobst II. von Hoya studierte seit 1520 mit Eifer die Schriften Luthers. Das wurde für ihn die Veranlassung, die Reformation seines Landes auszuführen. Eine Reise zu seinem Lehnsherrn, dem Herzog Ernst dem Bekenner^ förderte sein Vorhaben. Er erbat von Luther einen gelehrten und tüchtigen Prediger. Luther sandte seinen Schüler Adrian Buxschot
18. Die Einführung der Reformation.
73
(Büchsenschütz) aus Antwerpen. Bnxschot war ein gelehrter und eifriger Mann; allein sein ausländischer Dialekt eignete sich nicht für die Hof- und Stadtkirche zu Nienburg. Als er daher die notwendigsten Vorkehrungen und Einrichtungen getroffen, die neue Kirchenordnung hergestellt und in Ehriacus Hesse einen tüchtigen Nachfolger erhalten hatte, wurde er zunächst nach Drakenburg und darnach an die Kirche zu Hoha versetzt. 30 Jahre hat Buxschot das Predigtamt in Hoya verwaltet; er blieb dem Grasen der beste Helfer am Werke der Reformation und wurde besonders zu Visitationsgeschäften in der Niedergrafschaft verwandt, so daß er neben seinem Pfanamte auch die Stelle eines gräflichen Superintendenten und geistlichen Rats bekleidete. ^eiit Ruf und seine Wirksamkeit gingen aber noch über die Grenzen der Grafschaft hinaus; denn er wurde auch der Reformator der Grafschaft Lippe, wohin er zweimal zu diesem Zwecke erbeten und gesandt wurde. — Die Güter der aufgehobenen Klöster gingen meistens in gräflichen Besitz über und wurden entweder dem Do manntm zugeschlagen oder zu Lehn vergeben.
2. Diepholz wird evangelisch. In den beiden großen Nachbarstädten der Grafschaft, in Bremen und Osnabrück, wagten schon nm 1521 verschiedene Mönche und Geistliche, im lutherischen Sinne gegen kirchliche Mißbräuche zu predigen. Das konnte nicht ohne Einfluß auf die Grafschaft Diepholz bleiben, umsomehr, als die junge Gräfin Eva bereits in ihrem heimatlichen Lande, der Grafschaft Regenstein, sür die evangelische Lehre gewonnen war. Sie veranlaßte ihren Gemahl, daß er den lutherisch gesinnten Franziskaner Patroklus Römeling aus Osnabrück zum Prediger nach Diepholz berief. Wenn der Graf selbst die Anhänglichkeit an den alten Glauben auch fernerhin bewahrte, so konnte doch Gräfin Eva die evangelische Sache weiter unterstützen und namentlich den Widerstand der Stiftsgeistlichen von Drebber beseitigen. Nach des Grafen Tode stellte Eva in Gemeinschaft mit ihren beiden Schwägern, die bereits der neuen Lehre zugetan waren, den Patroklus Römeling als ersten Superintendenten des Diepholzer Landes an. 1538 wurde das Nonnenkloster Burlage aufgehoben und daraus die dortige Pfarre und eine Schule in Diepholz gestiftet. Römeling und Eva hatten namentlich gegen das Kloster Mariendrebber zu kämpfen. Erst im Jahre 1572 konnte dort die evangelische Lehre — und zwar mit Gewalt — eingeführt werden. Von Bremen aus fand jedoch auch die Lehre Calvins Eingang in Diepholz; viele Prediger, selbst Römeling, hingen ihr an, und es entstand große Verwirrung. Nach Römelings Tode wurde 1566 durch den Einstuß des Herzogs Wilhelm von Lüneburg und seiner Räte die Reformationsangelegenheit wieder geordnet.. Auf einer 1571 zu Diepholz abgehaltenen Synode wurde sämtlichem
18. Die Einführung der Reformation.
Geistlichen anbefohlen, nur die lutherische Konfession nach Ler Lüneburger Kirchenordnung einzuführen.
d. Die Fürstentümer Kalenberg und Göttingen.
1. Erichs I. und Elisabeths Stellung. Herzog Erich der Ältere stand den religiösen Fragen seiner Zeit mit einer gewissen Gleichgültigkeit gegenüber. Von dieser Stellungnahme hing zum großen Teil die Verbreitung der evangelischen Lehre in seinen Landen ab. Hatte er auch auf dem Wormser Reichstage Luther durch eine Kanne -Einbecker Bieres erquickt, so galt dies nicht dem kühnen Reformator, sondern dem unerschrockenen Manne, der seine Sache vor Kaiser und Reich in so beredten Worten zu verteidigen wußte. Erich be-harrte bis an sein Lebensende im alten Glauben; aber er wollte keinen Zwang, und niemand hätte ihn bewegen können, das Volk zur lateinischen Messe zu zwingen oder die evangelischen Prädikanten mit Feuer und Schwert zu verfolgen. So begann sich die neue Lehre bald in beiden Fürstentümern auszubreiten, in Kalenberg unter Sem Einflüsse Lüneburgs, in Göttingen unter dem des benachbarten Hessen.
Herzog Erich wurde in Glaubenssachen noch nachsichtiger, als er sich irrt Jahre 1528 in zweiter Ehe mit Elisabeth, der Tochter des Kurfürsten Joachim I. von Brandenburg, vermählte. Die junge Herzogin war der lutherischen Lehre zugetan. Im Jahre 1538 ließ sie sich in Abwesenheit ihres Gemahls auf dem Schlosse zu Münden das Abendmahl in beiderlei Gestalt reichen. Als der Herzog zurückkehrte, zürnte er nicht, sondern sprach: „Weil unsre Gemahlin uns in unserm Glauben nicht hindert, so wollen wir sie auch in ihrem Glauben ungehindert lassen." Nun kam auf der Herzogin Wunsch -öfter der evangelische Prediger Anton Corvin aus dem benachbarten Witzenhausen nach Münden herüber und hielt evangelische Gottesdienste. Elisabeth trat auch in Briefwechsel mit Luther. Da Herzog Erich seine „herzliebe Ilse" gewähren ließ, so breitete sich Luthers Lehre bald im Lande aus. Vorher und nebenher gingen die selbständigen resormatorischen Bewegungen in den größeren Städten, veranlaßt durch das Drängen der Bürgerschaft und verquickt mit dem Kampf, den die aufstrebenden Gilden gegen die Patrizierherrschaft führten. — In Hannover und Göttingen kam es dabei zu Ausständen. Göttingen hatte bereits 1530 feine Kirchenordnung ; in Hannover erfolgte die endgültige Einführung 1534. Northeim folgte bald dem Beispiele Göttingens. Hameln nahm erst 1542, nach dem Tode Erichs, die lutherische Lehre an.
^ 2. Elisabeth führt das Reformationswerk durch. Nach dem
Tode Erichs führte Elisabeth die Regentschaft für ihren zwölfjährigen Sohn Erich den Jüngeren und leitete dessen Erziehung. Erich
18. Die Einführung der Reformation.
75
War aufgeweckt, lebhaften Temperaments, voll Verlangen nach Glanz, Ruhm und Erfolg. Die Mutter wollte nicht nur einen tüchtigen, evangelisch gesinnten Herrscher aus ihm bilden, sondern auch einen stillen, frommen, der Welt abgeneigten Mann. Um ihn vor sittlichen Gefahren zu schützen, vermählte sie ihn, als er erst 16 Jahre alt war, mit der um 10 Jahre älteren Prinzessin Sidonia von Sachsen. Bald danach sollte er die Regierung selbst übernehmen, und Elisabeth schrieb für ihn zu diesem Zwecke eine Art Regierungshandbuch, „Unterricht und Ordnung für den hochgeborenen Fürsten, Herrn Erich," daß er daraus lerne, wie er sich in seiner Regierung gegen Gott und jedermann verhalten sollte.1)
Die Zeit der Regentschaft wurde von der Herzogin benutzt, um die Reformation in ihren Landen völlig durchzuführen und die kirchlichen Angelegenheiten in eine bestimmte Ordnung zu bringen. Ihr bester Ratgeber und ihre ausführende Hand dabei wurde Anton Corvin, den sie zum Landessuperintendenten mit dem Sitz in Pattensen erhob. Von hier aus brachte er zunächst die Reformation in Northeim zum Abschluß, und Münden und Hameln erhielten durch ihn ihre ersten evangelischen Prediger. Dann bearbeitete er unter Zustimmung der Stände eine allgemeine Landeskirchen-ordnnng, die erste fürstliche in welfischen Landen überhaupt. Ursprünglich oberdeutsch geschrieben, wurde sie 1544 in plattdeutscher Sprache herausgegeben. Alsbald folgte eine Klosterordnung, durch welche die Kongregationen nicht aufgelöst, sondern mit neuem evangelischen Geiste erfüllt werden sollten. Niemand wurde aus dem Kloster vertrieben, niemand darin zurückgehalten. Wer blieb, sollte sich dem Predigtamte oder dem Studium widmen. Danach ordnete Elisabeth unter Corvins Leitung eine Generalvisitation der Städte und Klöster an, von der nur die vier größeren Städte Göttingen, Northeim, Hannover und Hameln ausgeschlossen waren, weil ihre kirchlichen Verhältnisse bereits geordnet erschienen. Das ganze Reformationswerk erhielt dann seinen Abschluß durch die im Sommer 1544 zu Pattensen für Kalenberg und 1545 zu Münden für das Fürstentum Göttingen abgehaltene Landessynode, wo den Predigern bei Strafe der Amtsentsetzung geboten wurde, sich an das Wort Gottes und die erlassenen fürstlichen Ordnuugen zu halten.
3. Gegenreformation und endlicher Sieg. Getrieben von Ehrgeiz und Hochmut, trat Erich, der als Achtzehnjähriger die Regieruug übernommen, im Schmalkaldischen Kriege ans die Seite des Kaisers und später zur katholischen Kirche zurück, trotzdem er
x) Die originale Handschrift dieses einzigartigen Buches, in dem die Fürstin ebenso sehr als besorgte, fromme Mutter und Lehrerin wie als praktische Regentin und gewandte Schriftstellerin erscheint, befindet sich jetzt in der sog. Silberbibliothek der Universität Königsberg.
76
18. Die Einführung der Reformation.
noch vor kurzem seiner Mutter am Altare gelobt, „alles, was er in Wams und Busen habe, für die Wahrheit der evangelischen Lehre einzusetzen". Der Kaiser übertrug ihm im Schmalkaldischen Kriege die Niederwerfung Niedersachsens. Zu dem Zwecke belagerte er Bremen, wurde aber von einem heranziehenden Ersatzheere bei Drakenburg geschlagen. In sein Land zurückgekehrt, versprach er, die evangelische Lehre nicht antasten zu wollen. Inzwischen hatte aber der Kaiser das Augsburger Interim verkündet (1548), durch das zwar Laienkelch und Priesterehe gestattet, alle anderen Abweichungen von der katholischen Weise jedoch verboten wurden. Dagegen erhob ßoröin auf Veranlassung Elisabeths warnend seine Stimme und veröffentlichte unerschrocken eine Widerlegung oder Konfutatiou des Interims. Herzog Erich forderte trotzdem Rückkehr zu den Satzungen der alten Kirche und begann das Interim mit Gewalt durchzuführen. Corvin ließ er samt dem Pfarrer Hocker in Pattensen von spanischen Söldnern gefangen nehmen und nach dem Kalenberge abführen, woselbst beide drei Jahre in strenger Haft gehalten wurden. Auch alle übrigen lutherischen Prädikanten wurden ihres Amtes entsetzt uud aus dem Laude vertrieben. Überall kehrten die katholischen Geistlichen unter dem Schutze spanischer und brabantischer Söldner Zurück. Vergebens waren alle Abmahnungen Elisabeths. „Wehe und immer wehe über dich" — so schrieb sie damals an Erich — „wenn du dich nicht besserst. Wie hast du uns so hart betrübet, daß wir darnieder liegen in Ohnmacht und Schmerzen." Nur die großen Städte blieben gegen Zahlung bedeutender Summen von dieser Gegenreformation verschont. Doch vermochte Göttingen nicht, seinen glaubenseifrigen Superintendenten Joachim Mörlin, der fortfuhr gegen das Interim zu predigen, vor der Ausweisung zu schützen. _ Erst als nach dem Passauer Vertrage Kurfürst Moritz von Sachsen mit seinem früheren Bundesgenossen Markgrafen Albrecht von Brandenburg im Streite lag und Erich durch seine Mutter auf Albrechts Seite gezogen wurde, gelang es den Bemühungen Elisabeths und der Stände, Erich zum Nachgeben zu zwingen. Er hob seine früheren Befehle auf und überließ feiner Mutter auch fernerhin die Ordnung der kirchlichen Dinge. 1555 stellte er zum Schutze der Evangelischen einen besonderen „Religions-Revers" aus.
e. Das Eichsfeld und die Grafschaften Hohn ft ein und Scharzfeld-Lauterberg.
1. Das Eichsfeld wird evangelisch. Heinrich Pfeiffer ans Mühlhausen, der spätere Genosse Münzers, war einer der ersten, die aus dem Eichsfelde „aus lutherisch" predigten und großen Anhang fanden. Er veranlaßte durch feine aufreizende Art einen Bauernaufstand, übernahm selbst die Führung der aufrührerischen Bauern-Haufen, erlitt mit ihnen die Niederlage bei Frankenhaufen und
18. Die Einführung der Reformation.
77
wurde alsdann in seiner Vaterstadt hingerichtet. Auch auf die Grafschaften Scharzfeld-Lauterberg, Hohnstein und Clettenberg verbreitete sich der Aufruhr und führte zur Zerstörung des berühmten Cisterzienser-Klosters Walkenried am Südrande des Harzes (1525). Der Bauernkrieg hemmte zwar etwas das Eindringen der Reformation auf dem Eichsfelde und in den benachbarten Grafschaften, aber bald nahm sich die Ritterschaft der evangelischen Sache an. Da Kurfürst Albrecht von Mainz, der Landesherr des Eichsfeldes, keine großen Hindernisse bereitete, so fand die evangelische Lehre fast überall auf dem Eichsfelde Eingang. Duderstadt, Heiligenstadt, Gieboldehausen, Lindau waren evangelisch, und die Adeligen beriefen in ihre Dörfer ungestört protestantische Prediger. Bald nach 1540 waren die meisten Orte des Eichsfeldes evangelisch. Unter den Förderern der Reformation ragt besonders die Familie von Haustein hervor. Christian von Haustein schied schon 1520 ans dem Dienste des Mainzer Kurfürsten und trat in hessische Dienste. Albrechts Nachfolger, Kurfürst Sebastian von Mainz, war weniger nachsichtig; auch hatte sich die allgemeine Lage infolge des Schmalkaldischen Krieges und der Schlacht bei Mühlberg für die Evangelischen verschlimmert. Das Augsburger Interim vom Jahre 1548 mit seinen zweideutigen Bestimmungen wurde vom Kurfürsten ohne Rücksicht durchgeführt. Er befahl z. B. allen Mitgliedern ier Familie von Hanstein, „die von ihnen innerhalb uud außerhalb ihres Gerichts angestellten Prädikanten fortzuschaffen, oder dieselben dahin zu bewegen, daß sie sich mit der altert Kirche versöhnten, ihn, ihren Erzbischof als Ordinarius anzuerkennen und ihm Gehorsam zu leisten." Doch hatten seine Bemühungen wenig Erfolg, und der Passauer Vertrag veranlaßte den Kurfürsten, seine gegenresormato-rischen Pläne auf dem Eichsfelde ganz einzustellen.
2. Tie Grafschaften Hohnstein und Scharzfeld werden evangelisch. St. Andreasberg, der Grafschaft Scharzfeld zugehörig, führte bereits 1535 evangelische Gottesdienste ein. Im übrigen hat in beiden Grafschaften vor 1552 die Reformation nur teilweife Eingang gefunden. Für die Verbreitung der lutherischen Lehre in diesen Gegenden ist Walkenried von besonderer Bedeutung geworden. Dorthin beorderte 1546 Graf Ernst V. von Hohnstein den Nordhauser Prediger Spangenberg, geboren zu Hardegsen im Fürstentum Göttingen, um den Gottesdienst im Kloster evangelisch einzurichten. Im übrigen blieb in der Grafschaft noch das katholische Bekenntnis Bestehen; der Graf selbst starb 1552 aus dem Schlosse Scharzfeld als Katholik. Seine Söhne aber waren der Reformation zugetan. Im Jahre 1556 versammelten sie die Ritterschaft und die Geistlichen in Walkenried, und hier wurde nun das evangelische Bekenntnis als Glaubensregel für die Untertanen angenommen. Am darauffolgenden Sonntage, es war der Palmsonntag, wurde in den Kirchen
78
18. Die Einführung der Reformation.
beider Grafschaften zum erstenmal evangelisch gepredigt und das-Abendmahl in evangelischer Weise gefeiert.
3. Die Gegenreformation auf dem Eichsfelde. Im Jahre 1555 bestieg Daniel Brendel von Hornburg den erzbischöflichen Stuhl von Mainz. In den ersten zehn Jahren schien es, als wolle auch er die Evangelischen nicht beschweren, sondern nur die Reste des Katholizismus auf dem Eichsfelde sammeln. Aber, gestutzt auf die Jesuiten, wußte er seine eigentliche Absicht zu verdecken. Im Jahre 1574 traf er selbst auf dem Eichsfelde ein. Zwar versprach er den Rittern, „die Gewissen frei und unbeschwert zu laffen," aber bald darauf verjagte er in Duderstadt schon einen evangelischen Prediger. Dann ordnete er eine Visitation an und ernannte eine Kommission, die nun gegen die Evangelischen vorging, ihre Geistlichen vertrieb und Jesuiten, die seit 1576 ein Kolleg in Heiligenstadt hatten, an ihre Stelle setzte. Man stellte sich auf den Augsburgischen Religionsfrieden: cujus regio, ejus religio. Vergebens berief sich der Adel des Landes auf die Deklaration Kaiser Ferdinands, wonach den Städten, Adligen und Gemeinden in den geistlichen Gebieten freie Religionsübung zugesichert ward, falls sie sich zur Zeit des Religionsfriedens in öffentlicher Ausübung ihres Bekenntnisses und der kirchlichen Ordnung befunden hätten. Der Regensburger Reichstag von 1575 verwarf das Dokument, weil es ohne Mit-
wirkung der Reichsstände gegeben, auch dem Reichskammergerichte nicht zur Nachachtung zugestellt sei. Beschwerdeführend und bittend wandte sich die Ritterschaft an den Kurfürsten, weil man der Meinung war, der Erzbischof wisse nichts von dem schroffen Vorgehen seiner Kommissionen. Die Ritter erhielten darauf eine ungnädige Antwort und den Bescheid, ihrem Landesherrn zu gehorchen. Auch der Rat von Duderstadt bekam auf feine mündliche und schriftliche Bitte um freie Religionsübung die Antwort: wer in einer andern
Religion leben wolle als der Landesherr, habe das Recht aus-
zuwandern. In ihrer Bedrängnis wandten sich Adelige und Bürgerschaft um Hülse an die evangelischen Fürsten. Diese hatten Wohl die Absicht, den bedrängten Glaubensgenossen zu helfen, namentlich der Landgraf von Hessen; aber sie ließen auf dem
nächsten Reichstage zu Regensburg 1576 die geeignete Gelegenheit vorübergehen. So nahm denn die Gegenreformation ihren Fortgang. Nach 20 Jahren war die Wiederherstellung des katholischen Glaubens auf dem Eichsfelde vollendet, und heute wohnen eifrige Katholiken dort, wo vordem schon deren Vorfahren um ihres evangelischen Glaubens willen Not und Bedrückung erlitten.
f. Hildesheim, Goslar, Brauns chweig-Wolf enbüttel.
1. Die Ansänge der evangelischen Bewegung. In Braun-schweig - Wolfenbüttel, dem damals auch die in der Stiftsfehde
18. Die Einführung der Reformation. 70
gewonnenen Gebiete mit den Städten Alfeld und Bockeneiw angehörten, in der Reichsstadt Goslar und in Stadt und Bistum
Hildes heim hängt die Einführung der Reformation eng mit der
Geschichte des Schmalkaldischen Bundes zusammen. Zwar wurden,
in Goslar schon 1528 alle Stadtkirchen den Evangelischen eingeräumt, uud Amsdorf stellte eine Kirchenordnung auf, aber erst nach heftigen Schwankungen vor und während des Schmalkaldischen Krieges festigte sich die evangelische Lehre. In Hildes he im war Bürgermeister Hans Wildefner ein unerbittlicher Gegner der Reformation, und jede evangelische Neguug wurde mit äußerster Strenge von Rat und Geistlichkeit niedergehalten. Nicht besser stand es im Herzogtum Brauuschweig, wo Herzog Heinrich der Jüngere namentlich aus politischen Gründen die Reformation aufs heftigste
bekämpfte. Die Stadt Braunschweig setzte allerdings auf Drängen der Bürgerschaft die Reformation durch uud berief Bugeuhagen, der durch die für ganz Norddeutschland maßgebend gewordene Braun-schweizer Kirchenordnung die kirchlichen Verhältnisse regelte.
2. Das Eingreifen des Schmalkaldischen Bundes. Als 1531 der Schmalkaldische Bund entstand, schlossen sich Braunschweig und Goslar sofort an, außer ihnen Lüneburg, Göttingen, Bremen,. Lübeck, Einbeck, Philipp von Grubenhagen u. a. Aber Heinrich d. I. von Braunschweig und mit ihm Erich d. I. von Kalenberg-Göttingen, sowie die niedersächsischen Bischöfe traten auf die Seite der Gegner, zur „Heiligen Liga" (1538). Die Seele war Heinrich d. I. von Braunschweig; der Kaiser ernannte ihn zum Buudeshauptmann für Norddeutschland. Er warb und rüstete mit Eifer und beschwerte namentlich die beiden Städte Goslar uud Brauuschweig wegen ihrer evangelischen Gesinnung. Beide wandten sich Beschwerdeführend an den Kaiser. Andere Anklagen kamen dazu,, sodaß der Kaiser, der wegen der Türkengefahr die protestantischen Fürsten nicht verletzen wollte, sich von Heinrich abwandte und auch die über Goslar verhängte Reichsacht, die Heinrich vollstrecken sollte, zurücknahm. Der Herzog kehrte sich jedoch nicht daran und setzte uach Schluß des Reichstags von Regensburg 1541 seine Feindseligkeiten gegen Goslar und Braunschweig fort. Nun rief Braunschweig die Hülfe des Schmalkaldischen Bundes au und sandte dem Herzoge den Absagebrief. Darauf war der Herzog nicht vorbereitet. Die Braunschweiger eröffneten sofort die Feindseligkeiten, zerstörten mehrere Klöster uud führten den evangelischen Gottesdienst ein. Dann rückten auch die schmalkaldischen Bundesgenossen heran. Der Herzog verließ das Laud, und in kurzer Zeit waren die Schmalkaldischen die Herren des Herzogtums. Sie setzten eine gemeinsame Bundesregierung ein, der sämtliche Untertanen Treue und Hulde schwören mußten, uud führten mit Hülfe Johaun Bugenhagens und Anton Corvins die Reformation im ganzen Lande durch. Auch
80
18. Die Einführung der Reformation.
sämtliche Klöster mußten sich der kirchlichen Neuordnung fügen.
Damit ging die Reformation der Stadt Hildesheim Hand in Hand. Die befreundeten Städte Goslar, Göttingen, Hannover, Einbeck,
Magdeburg u. a. betrieben den Anschluß der bischöflichen Stadt
den Schmalkaldischen Bund, uud der Rat gestattete nun die Berufung eines lutherischen Predigers an die Andreaskirche. Daun kamen Bngenhagen, Winkel und Corvin nach Hildesheim, und am 1. September 1542 hielt Bngenhagen in der Andreaskirche die -erste lutherische Predigt. Die andern Kirchen folgten.
3. Die Schlacht bei Northeim. 1545. Heinrich d. I., der trotz wiederholter Bitten bei Karl V. vorläufig in fein Herzog-
tum nicht wieder eingesetzt wurde, griff zur Selbsthülfe. Mit -französischem Gelde warb er ein ansehnliches Heer, durchzog die Berdenfchen und Lüneburgifchen Gebiete, bedrohte Hannover und zog vor Wolfenbuttel, um es den Schmalkaldischen zu entreißen. Während der Zeit sammelten sich die Streitkräfte des Bundes unter Philipp von Hessen bei Northeim. Auch Moritz Don Sachsen führte ein Heer herbei. Kaum horte Heinrich d. I. davon, als er fofort die Belagerung von Wolfenbüttel aufhob und über Bockenem und Gandersheim herbeieilte, um vor der völligen Vereinigung der bundesgenöffifchen Truppen nach Süden durchzubrechen. Er wurde aber bei Northeim aufgehalten, geschlagen (21. Oktober) und als Gefangener nach der Feste Ziegenhain gebracht. Nicht allzulange sollten sich die Evangelischen des Sieges von Northeim freuen. Nach ihrer Niederlage bei Mühlberg (1547) mußten sie den gefangenen Herzog freilassen. Dieser kehrte in sein Land zurück, mußte aber versprechen, niemand der Religion halber zu bedrängen, sonderlich auch die Städte Braunschweig, Hildesheim und Goslar nicht zu beschweren, nachdem diese für ihre Teilnahme am Schmalkaldischen Bunde bedeutende Summen gezahlt hatten. Heinrich hielt zwar seine Versprechungen nicht völlig, aber die evangelische Lehre vermochte er in feinem Lande nicht mehr zu unterdrücken.
g. Stadt und Stift Osnabrück, die Grafschaften Meppen und Bentheim.
1. Die Unruhen in Osnabrück. Osnabrück hat bie evangelische Lehre zuerst aus bem Murtbe von Luthers Lehrer, bes Augustiner - Provinzials Hecker, vernommen unb sich schon vor 1525 im größten Teile seiner Bürgerschaft ber Reformation angeschlossen. Da bie katholischen Geistlichen schroff gegen bie evangelisch Gesinnten vorgingen, so entstaub ein Aufruhr, unb ber widerstrebende Rat wurde gezwungen, die von den Bürgern aufgefetzten Artikel anzunehmen, bis der Bischof Erich von Gruben-Hagen vor die Stadt kam unb bie Bewegung unterbrückte. Jnbes
18. Die Einführung der Reformation.
81
durften die evangelischen Lehrer bleiben, und es trat eine kurze Zeit ruhiger Entwickelung ein. Da kam der begabte, aber leidenschaftliche Volksredner Dietrich Buthmann in die Stadt, fand großen Anhang beim Volke, wurde zum Prediger an St. Marien bestellt und erreichte, daß auch die andern Kirchen mit evangelischen Predigern besetzt wurden. Infolgedessen verbanden sich nach dem 1532 erfolgten Tode Bischof Erichs Rat uud Domkapitel zu gemeinsamer Unterdrückung der Reformation, und da der neugewählte Bischof, Franz v. Waldeck, die Dinge gewähren ließ, Buthmann aber das Volk aufreizte, so ward die Verkündigung der evangelischen Lehre gänzlich verboten, und die meisten Prediger verließen die Stadt. Zudem hemmte das Auftreten der Wiedertäufer in Münster, wovon auch Osnabrück nicht unberührt blieb, die Ausbreitung der Reformation, sodaß die katholische Geistlichkeit nach und nach ihre alte Stellung wiedergewann.
2. Rat und Bischof als Förderer der neuen Lehre. Verschiedene Umstände führten erst nach 1540 eine neue Wendung herbei. Steigende Unzufriedenheit unter den Evangelischen erschien dem Rat gefährlich, und als der katholische Klerus längst abgestellte Mißbrauche wieder einführen wollte, trat ihm der Rat entgegen und wandte sich an den Bischof in der Absicht, mit feiner Hülse der Reformation wieder mehr Raum zu gönnen. Bischof Franz war nicht abgeneigt. Veranlaßt durch das schroffe Vorgehen des katholischen Heinrich des Jüngern von Braunschweig gegen den evangelischen Philipp von Hessen, mit dem der Bischof Franz verwandt war, hatte sich dieser mit der Reformation immer mehr befreundet und erlaubte nun, daß die Augustiner und Franziskaner ihre Kloster an den Rat abtraten. Dann schlossen Bischof und Rat einen Vertrag, wonach die evangelische Lehre in der Stadt wieder verkündigt werden durfte. Hermann Bonnus aus Lübeck wurde zur Ordnung der kirchlichen Verhältnisse berufen, und der Rat erließ die von jenem verfaßte Osnabrücker Kirchenordnung. Auch das Stiftsgebiet wurde um diese Zeit evangelisch, und der Bischof ließ durch Bonnus eine Ordnung für die Landkirchen versassen. Infolge des Schmalkaldischen Krieges kam die Stadt in die Acht, mußte ein schweres Losegeld bezahlen und das Interim annehmen. Die evangelischen Prediger mußten abermals entlassen werden, wurden aber bald zurückgerufen, und noch vor dem Pafsaner Vertrage war der alte Zustand hergestellt. Da Bischof Franz ganz zur alten Kirche zurückgekehrt war, so blieb unter feinem Schutze die katholische Partei in ziemlichem Umfange bestehen, auch auf dem Lande.
3. Die Grafschaft Meppen. Die Niedergrafschaft Meppen begann 1538 zu reformieren unter der Forderung des Bischofs Franz von Osnabrück. Noch vor dem Pafsaner Vertrage war das
Tecklenburg u. Dageförde, Geschichte der Provinz Hannover. 6
82
18. Die Einführung der Reformation.
ganze Land lutherisch. Infolge der Ausführung des Westfälischen Friedens wurde die Grafschaft jedoch durch die 1650 zu Nürnberg zustande gekommene Capitulatio perpetua Osnabrugensis wieder ganz katholisch.
4. Die Grafschaft Bentheim. Die Reformation der Grafschaft Bentheim ist auf Veranlassung des Grafen Arnold erfolgt. Sem Hofprediger Johann Loen war der evangelischen Lehre zugetan und gewann auch seinen Herrn dafür. Der Graf ging in aller Ruhe vor; er versicherte sich der Zustimmung der Geistlichen und führte seit 1544 die Reformation nach dem lutherischen Bekenntnis ein. Später nahm die Grafschaft den Heidelberger Katechismus au, trat damit zum reformierten Bekenntnis über und erhielt 1613 in dem Oberkirchenrat zu Nordhorn an der Vechte eine reformierte Kirchenbehörde.
h. Die Herzogtümer Bremen und Verden.
1. Die Unterdrückung der Reformation in Verden. Zur
Zeit der Reformation herrschte in beiden Stiftern der Erz-
bischof Christoph von Braunschweig, ein Bruder Heinrichs d. I. uud wie dieser ein entschiedener Gegner der Reformation. Es gelang ihm, im Gerdener Gebiete bis zu seinem Tode 1558 die Reformation mit äußerster Strenge niederzuhalten. Christoph war ein leidenschaftlicher, rücksichtsloser Mann. Als er im Jahre 1519 im Dome zu Bremen seine erste Messe las, ahnte niemand, welche Fülle von Unruhe er seinem Lande bringen werde. Er schloß 1525 mit den Domkapiteln zu Verden und Minden ein Bündnis, worin man sich gegenseitig bei Treue und Ehre gelobte, die lutherische Ketzerei auszurotten. Christoph schritt sofort zur Tat. Der Pfarrer Johann Bornemacher zu St. Rembert vor Bremen war nach Wittenberg gewesen und kehrte von dort mit vielen lutherischen Schriften heim. Schon lange war Bornemacher dem Erzbischof ein Dorn im Auge. Jetzt ließ er ihn zu Verden greisen, auf die Folter spannen und verbrennen. Das Volk klagte und besang den Tod des Märtyrers für den evangelischen Glauben in Liedern; in einem
solchen heißt es zum Schluß:
„Wenn Christus nicht gestorben wär,
So möcht' er kommen zu Verden".
Im Jahre 1536 überfiel der Erzbischof mit Reitern und Knechten die Stadt Verden und zwang sie, durch einen Eid der protestantischen Lehre zu entsagen. Da auch die Domherren zur evangelischen Lehre neigten, so trieb er sie zur Flucht, bemächtigte sich der Geschütze und Urkunden, ließ 15 Häuser in der Stadt niederbrennen und eine Fronfeste erbauen.
18. Die Einführung der Reformation.
83
2. Die Einführung der Reformation im Verdenschen. Erzbischof Georg, Christophs Bruder und Nachfolger, hinderte die Einführung der Reformation nicht mehr, und dessen Nachfolger, Eberhard vou Halle, selbst lutherisch, schaffte überall die Messe ab und führte seit 1566 die Kirchenordnung der Stadt Braunschweig ein. Er gründete auch 1579 das Domgymnasium zu Verden.
3. Die Reformation in den Bremer Gebieten. Im Stifte Bremen reichte die Macht des Erzbischofs Christoph zur Unter-drückuug der Reformation nicht aus, trotzdem er auch hier einen lutherischen Prediger, Heinrich von Zütphen, als Ketzer hatte oerbrennen lassen. Die Stadt Bremen nahm uuter großen Stürmen 1530—32 die Reformation an, gab sich eine Kirchenordnung und trat 1618 samt den ihr zugehörigen Landgemeinden znr reformierten Kirche über. Nur der Dom blieb unter dem Schutze des Erzbischofs Friedrich von Dänemark lutherisch.
Das Land Wursteu trat trotz der Anfeindungen des Bremer Erzbischofs zur Reformation über und erhielt feine Kirchenordnuug 3 534 durch Hermann Ottinger. In Stade belehrte schon 1522 Johann Hollmann seine Gemeinde im evangelischen Sinne. 1537 waren alle Kirchen in den Händen der Evangelischen. An eine Regelung der kirchlichen Verhältnisse war jedoch erst zu denken, nachdem Erzbischof Christoph im Jahre 1558 auf der Heimreife von Berlin nach Verden gestorben war. Buxtehude wurde 1542 evangelisch.
4. Das Land Hadeln hatte sich unter den Schutz des Herzogs Magnus von Sachsen-Lanenburg begeben und erhielt von ihm eine evangelische Kirchenordnung, ohne daß der Bremer Erzbischof es hindern konnte. Auf des Herzogs Geheiß legte bereits 1521 Andreas Carding im Lande Hadeln die Heilige Schrift nach der Weise Luthers aus.
i. Ost friesland.
1. Die Brüder vom gemeinsamen Leben. Noch ehe Luthers oder Zwinglis Name in Ostfriesland genannt ward, kamen aus Holland zahlreiche Brüder vom gemeinsamen Leben und lehrten, predigten und wirkten im reformatorischen Sinne in Kirche, Schule und Staat. Graf Edzard I., 1494—1528, ließ es geschehen, forschte selbst fleißig in der Schrift, las Luthers Thesen und verglich mit ihnen die Antworten der Gegner. Dann berief er den protestantisch gesinnten Aportanus (van der Doore) aus Holland, der bei den Brüdern vom gemeinsamen Leben seine Bildung empfangen hatte, zum Lehrer seiner Kinder. Als dieser in Emden predigen wollte, weigerten ihm die Priester die Kanzel. Da predigte Aportanus auf offenem Felde. Die Bürger scharten sich um ihn und
6*
84
18. Die Einführung der Reformation.
setzten es durch, daß er auch in der Kirche predigen durfte. Um aller Unordnung zuvorzukommen, schickte Edzard einen Hauptmann mit einer Wache an die Kirchentür. Einer der Geistlichen eilte auf die Burg, um sich bei dem Grafen zu beklagen, aber dieser ließ ihn nicht vor. Zwei öffentliche Disputationen, die eine 1526 zu Oldersum von dem Häuptling Ulrich von Dornum veranstaltet, die andere im folgenden Jahre zu Norden, wo der Dominikanermönch Reese sich dem Evangelium zugewandt hatte — er legte vor versammelter Gemeinde aus der Kauzel Kappe und Mönchsgewand ab — gaben den Ausschlag. Die alten Prediger traten über, oder sie wurden durch evangelische ersetzt, und als Edzard I. im Jahre 1528 starb, war sein Land bereits evangelisch. Er hatte indes versäumt, dem Bekenntnis eine feste Form zu geben. Sein Sohn Enno löste die Klöster auf, nahm deren Schätze und Grundbesitz für sich in Anspruch und verschleuderte einen Teil davon durch Schenkung und Verkäufe. Aus dem Rest entstanden Domänen.
2. Gegensätze und Verwirrung. Aportanus und Reese lehrten Zwinglisch; andere Geistliche folgten Luther. So entstand von vornherein ein Zwiespalt. Graf Enno wollte zur Schlichtung Bugen-hagen herbeirufen; aber die Sache zerschlug sich. Inzwischen waren allerlei unruhige Köpfe ins Land gekommen, Wiedertäufer und Schwarmgeister, auch Karlstadt, der gegen Luther hetzte. Um der steigenden Verwirrung zu wehren, ließ Graf Enno durch zwei Bremer Prediger eine Kirchenordnung im Sinne des Marburger Religionsgesprächs von 1528 ausarbeiten. Im übrigen aber wurde das Kirchenwesen lutherisch geordnet. Doch kam es zu keiner dauernden Änderung. Selbst als 1534 Enno infolge eines Vertrags mit dem Herzog Karl von Geldern, dem er in einem Kriege gegen Balthasar von Wittmnnd und Esens Hülfe verdankte, von Ernst dem Bekenner von Lüneburg die Prediger Oudermark nnd Ginderich erbat, eine Kirchenordnnng, ähnlich der Lüneburger, bearbeiten ließ, sie einführte und eine Visitation anordnete, hatten diese Maßregeln feine nachhaltige Wirkung. Die viel angefeindeten Lüneburger verließen das Land, uud da ihre Kirchenordnnng bei Ennos Tode 1540 noch nicht durchgeführt war, so bestand die frühere Ungebundenheit und Verwirrung fort.
3. Befestigung des Calvinismus in Ostfriesland. Für die weitere Entwickelung der ostfriesischen Kirche tat die Gräfin Anna, die für ihre Sohne die vorrnuudschaftliche Regierung führte, einen bedeutungsvollen Schritt: sie berief 1543 den Polen Johannes a Lasco, der als Flüchtling in Emden angekommen war uud dort als eifriger Anhänger Zwinglis und Calvins bereits großes Ansehen genoß, zum Prediger in Emden uud zum Laudes-Superin t end ent en. Auf Lascos Verlangen wurden sofort alle Bilder aus den Kirchen Emdens entfernt trotz des Widerspruchs der
18. Die Einführung der Reformation.
85
Franziskaner, die dem Fremdlinge „mit dem langen Bart" nicht gehorchen wollten. Die Wiedertäufer mußten das Land verlassen. Lasco ließ sich besonders die bessere Ausbildung der Geistlichen
angelegen sein. Er richtete den Cötns ein, eine Versammlung von Geistlichen zur Wahrung der Reinheit in der Lehre und zur Prüfung der anzustellenden Prediger. Ju Emden wurde ein Kirchenrat eiugesetzt, der besonders die Kirchenzucht handhaben sollte. Lascos Pläne, die auf völlige Einführung des Calvinismus abzielten, erlitten durch deu Ausgang des Schmalkaldischen Krieges und den Erlaß des Augsburger Interims eine bedeutende Hemmung. Lasco mußte das Land verlassen und fand Aufnahme bei den Fremdlingsgemeinden in London. Gräfin Anna aber, die eine Zurücknahme des Interims für ihr Land nicht erreichen sonnte, schlug einen Mittelweg ein, indem sie eine Ordnung herstellte, die aus dem Interim und der Lüneburger Kirchenordnung zusammengesetzt war, das sog. Ostfriesische Juterim. Das genügte indes weder dem. Kaiser noch den ostfriesischen Geistlichen. Als Lasco 1553 von London zurückkehrte und nebst zahlreichen englischen und französischen Calvinisten, die durch die Königin Marie aus England vertrieben
waren, in Emden freundliche Ausnahme fand, da gewann er solchen Einfluß, daß Emden alsbald „das Genf des Nordens", die feste Burg des Calvinismus wurde. Infolge seines schroffen-
Auftretens verlor Lasco das Vertrauen der Gräfin Anna und mußte
1555 Ostfriesland für immer verlassen.
4. Spaltung und kirchlicher Friede. Auf dem Lande war statt
der schroffen Ansichten Lascos ein milderes Luthertum eingezogen. Beide Konfessionen lebten in wenig friedlichem Verhältnis. Als die Söhne der Gräfin Anna, Edzard und Johann, die Regierung de^ Landes antraten, sollte die Spaltung auch äußerlich vollzogen werden. Edzards Gemahlin, die lutherische Prinzessin Katharina von Schweden, arbeitete mit großem Eifer für die Verbreitung des lutherischen Bekenntnisses, veranlaßte auch ihren Gemahl, zum Luthertum überzutreten, und als 1575 eine Teilung Ostfrieslands stattfand, wurde
der östliche Teil unter Edzard lutherisch. Nach dem Tode Johannes erlangte Edzard die alleinige Herrschaft in Ostfriesland und begünstigte nun überall die lutherische Lehre. In Emden kam es daher 1595 zu einer förmlichen Revolution. Im Jahre 1599 schloß Enno III. mit den Landständen die „Konkordata" ab, wonach Reformierte und Lutheraner als Anhänger der Augsburgischen Konfession anerkannt, alle Gemeinden bei ihrem Bekenntnis gelassen und alle Feindseligkeiten verboten wurden. Dennoch dauerte es Jahrzehute, ehe der völlige Friede hergestellt war. Die eigenartigen kirchlichen Zustände, die noch heute in Ostsriesland herrschen, erklären sich ans diesen Vorgängen der Reformationszeit.
86
19. Reformationskämpfe in Niedersachsen.
19. WeformalionsKämpfe in Wedersachjen.
1. Die Wirkungen des Schmalkaldischen Krieges. Nach der Gefangennahme Heinrichs d. I. in der Schlacht bei Northeim wurde Erich II. von Kalenberg-Göttingen zum kaiserlichen Obersten für Norddeutschland ernannt. Er sollte in Gemeinschaft mit Christoph vou Wrisberg die Hansastädte, namentlich Bremen, und die Protestantischen Fürsten Norddeutschlands so lange beschäftigen, bis der Kaiser die Hauptmacht des Schmalkaldischen Bundes niedergeworfen hatte. Während dies in der Schlacht bei Mühlberg geschah, sammelten Erich II. uud Christoph von Wrisberg ein Söldnerheer, zogen über Minden und Stolzenau vor Bremen und belagerten die Stadt. Allein weder die Prahlereien der Kaiserlichen, noch die Nachricht von der Niederlage der Protestanten bei Mühlberg vermochten die Bürger Bremens einzuschüchtern. Als bann die Städte Hamburg, Li'mebnrg, Braunschweig, Goslar, Hildesheim uud Magdeburg unter Führung des Grafen von
Mansfeld den Bremern ein Entsatzheer sandten und dieses durch Erichs II. Fürstentümer brandschatzend und verwüstend heranzog, hob der Herzog die Belagerung Bremens auf, damit er fernem bedrängten Lande Hülfe brächte.
2. Die Schlacht bei Drakenburg. 1547. Erich selbst zog von Bremen aus am linken, Wrisberg am rechten Weserufer hinauf. Aber die grundlosen Wege verzögerten Wrisbergs Marsch. So geschah es, daß Erich, als er Drakenburg nördlich von
Nienburg, erreichte, sich allein der gesamten protestantischen Macht gegenübersah. Die Schlacht war unvermeidlich. Dreimal knieten bie evangelischen Knechte nieder und sangen „Ein feste Burg ist
unser Gott." Dann stürmten Fußvolk und Reiterei den Herzoglichen entgegen. Der Feind ward umgangen, seine Reihen wurden durchbrochen. Nur mit Mühe rettete Erich seine eigene Person; er durchschwamm beit breiten Weserstrom und entkam nach Nienburg. Sein Streitroß und alles Geschütz fielen den Siegern in die Hände. Wrisberg, der zu spät eintraf, konnte der Schlacht keine andere Wendung mehr geben. Er überfiel das nur schwach gedeckte Lager des Feindes bei Hassel, nahm das Gepäck, die Kriegskasse und
die in Erichs Ländern zilsammeugeplünderten Brandschatzungsgelder und zog damit nach Ostfriesland. Hinter ihm aber fangen die Landsknechte spöttisch:
„Wir han das Feld,
Wrisberg das Geld; wir Han das Land, er hat die Schand."
19. Reformationskämpfe in Niedersachsen.
87
Leider konnte dieser Erfolg den Verlust bei Mühlberg nicht mehr gut machen, und die niedersächsischen Städte mußten für ihre Teilnahme am Schmalkaldischen Kriege an den Kaiser schwere Lösegelder zahlen; den meisten wurde das Augsburger Juterim aufgedrängt.
3. Albrecht von Brandenburg in Niedersachsen. Markgraf Albrecht von Brandenburg-Knlmbach war mit den Vestimmuugeu des Passauer Vertrags nicht einverstanden. Er entließ sein Heer nicht, vergrößerte es vielmehr uud ließ „in aller Ergetzlichkeit die Kriegsfurie spielen," indem er 17 Städte, 34 Klöster und 250 Dörfer im Bambergifchen, Würzburgischen und Fuldaischeu ausraubte und verbrannte. Auch in das Gebiet Heinrichs d. I. von Braunschweig drang er schonungslos ein. Um diesen Greueln Einhalt zu tun, vereinigten sich Moritz von Sachsen, die fränkischen Bischöfe n. a. mit dem Herzog Heinrich d. I. von Braunschweig. Die Adeligen seines eigenen Landes, die Stadt Braunschweig und die Herzogin Elisabeth von Kalenberg-Göttingen nebst ihrem Sohn Erich II. stellten sich jedoch auf des Brandenburgers Seite. Schnell warf nun Albrecht von Brandenburg seinHeer nach Niedersachsen. Hunderte von beutebeladenen Wagen zogen vorauf. An der Spitze ritt der Markgraf im Harnisch, den mit spanischen Federn geschmückten Hut auf dem Haupte, drei Faust-rohre und zwei Streithämmer am Sattel. Im Halberstädtischen vereinigte er sich mit den niedersächsischen Hilfstruppen und brach in das Braunschweiger Land ein, ließ über 20 Dörfer in Flammen aufgehen, ritt, jubelnd empfangen, in Braunschweig ein, zog die Söldner der Stadt und des braunschweigischen Adels an sein Heer, besetzte Hannover und brandschatzte von hier aus das Bistum Minden.
4. Die Schlacht bei Sievershausen. 1553. Indessen sammelten sich Kurfürst Moritz und seine Bundesgenossen zwischen Harz und Weser auf der Linie Osterode, Einbeck, Holzminden. Von Osterode ans sandte Moritz seinen Absagebrief an den Markgrafen und zog über Alfeld, Gronau, Elze das Leinetal hinunter nach Sarstedt. Jenseits der Leine, auf deu Höhen bei dem Kalenberge, stand der Markgraf; er hatte die Brücken über die Leine abbrechen lassen, sodaß hier ein Zusammenstoß nicht erfolgen konnte. Der Markgraf verließ seine Stellung, um über Pattensen, Hannover und Burgdors zurück nach Braunschweig zu gelangen, wo er hinter den starken Mauern in Sicherheit gewesen wäre. Kurfürst Moritz eilte von Sarstedt in gerader Linie auf Peine zu und traf am 9. Jnli des Markgrafen Truppen auf der Dolger Heide bei Sievershausen. Dort kam es zu einer Schlacht, wie sie mörde-rWj; *n dieser Zeit nicht gesehen ward. Kurfürst Moritz wurde tödlich verwundet; Friedrich, der Sohn Ernst des Bekenners, und die röhrte Heinrichs des Jüngeren sielen. Durch das erbitterte Vor-
88
19. Reformationskämpse in Niedersachsen.
gehen des Braunschweiger Herzogs wurde der Markgraf völlig geschlagen und mußte fliehen. Der verwundete Kurfürst starb nach zwei Tagen. Seine Eingeweide begrub man unter dem Taufsteine der Kirche zu Sievershausen, seine Leiche ward nach Freibera in Sachsen gebracht1)
5. Endlicher Friede. Nachdem Herzog Heinrich der Jüngere den Markgrafen noch einmal bei Steterburg iu der Nähe von Braunschweig geschlagen, gelang es ihm auch, endlich die Stadt Braunschweig zu erobern. Die Stadt gelobte Gehorsam, und der Herzog gewährte ihr freie Religionsübung. So fanden die langwierigen Religionskampfe in Niedersachsen, die durch den Streit Heinrichs d. I. mit Braunschweig zum Ausbruch gekommen waren, durch die Aussöhnung des Herzogs mit dieser Stadt ihren Abschluß. Der Augsburger Religioussriede vom Jahre 1555, in dem die Augsburgischen Konfefsionsverwandten als berechtigte Religionsgesellschaft anerkannt wurden, legte endlich die langjährigen Reliaions-streitigkeiten vorläufig bei.
20. ILedeutung der Aeformation für Wedersachsen.
1. Die konfessionelle Einheit. Trotz der Gespaltenheit des
Landes und trotz der zeitlichen Verschiedenheit bei der Einführung der Reformation verlief diese innerlich insofern gleichartig, als fast ganz Niedersachsen vom Geiste Luthers erfaßt wurde. „Trotz der
politischen Zersplitterung ein konfessionell einheitliches Land. Welche merkwürdige Erscheinung! Der Sachsenstamm, welcher seit Heinrich I. bis zu den Tagen Heinrichs des
Löwen ethnographisch und politisch eine kompakte Einheit dargestellt, sie in den Schicksalen Deutschlands jahrhundertelang schwer in die Wagschale geworfen, dann aber durch die Schuld seines Herzogs sie verloren hatte, dieser Stamm der zähen Ausdauer, er hat sich auf dem Gebiete des religiösen Lebens seine Einheit gewahrt, indem er geschlossen der deutschen Reformation Luthers zufiel; ihr konservativ-kirchlicher Geist war den Niedersachsen kongenial und ist es geblieben bis zur Gegenwart." (Tschackert).
2. Die Landeskirchen und die fürstliche Gewalt. Durch die
Reformation sind in Niedersachsen die evangelischen Landeskirchen begründet worden, und da die ganze folgende Kirchengeschichte unseres Landes sich auf diesem Boden weiter bewegt, so sind es seit
*) Am 9. Juli 1853, dem 300. Gedenktage der Schlacht von Sievershausen, hat man dem Kurfürsten aus dem Schlachtfelde ein Denkmal errichtet.
20. Bedeutung der Reformation für Niedersachsen.
89'
der Reformation nicht mehr die Bistümer, sondern die Landeskirchen^ die unsere kirchliche Entwickelung bestimmen; denn der Umstand, daß im Bereiche Niedersachsens zwei Bistümer, Hildesheim und Osnabrück, katholisch blieben, hat die Kirchengeschichte des ganzen Landes wenig, beeinflußt. Infolge der Reformation hörten die Exemtionen, d. i. das Ausgenommensein der Stifter und Klöster von der weltlichen Gerichtsbarkeit, sowie der unmittelbare Einfluß des Papstes in unsern Landen auf. Die oberste Gewalt in kirchlichen Dingen fiel der weltlichen Obrigkeit zu. Der Landesherr hatte allein die Kirchengewalt; er war summus episcopus und richtete zur Ausübung seiner Macht einen Kirchenrat oder ein Konsistorium ein. Dadurch wurde die Macht und der Einfluß der Fürsten bedeutend gesteigert und ihr wachsendes Übergewicht über die Städte und die Ritterschaft merklich fühlbar. Hier und da mußten auch die geistlichen Güter zur Verstärknng der Fürstenmacht dienen; denn nicht überall wurden sie geschont und ihrem ursprünglichen Zwecke gemäß verwendet.
3. Die kirchlichen Güter und die Schulen. Ein großer Teil dieser Güter biente dazu, die Geistlichen zu besolden, Schulen zu gründen, Stipendien für arme Studierende zu stiften, oder auch Armen- und Krankenhäuser zu errichten und zu erweitern. Namentlich verwandte man in den meisten Städten die verlassenen Klostergebäude als Räume für die Lateinschulen. Im Jahre 1629 schenkte Friedrich Ulrich von Brannschweig die Klöster Weende, Hilwartshausen und Mariengarten im Fürstentum Göttingen der Universität Helmstedt. Nach dem Jahre 1650 aber wurden diese Kloster von der Herrschaft gegen jährliche Zahlung einer gewissen Summe zurückgenommen und aus ihrem Ertrage, sowie dem mehrerer anderer Klöster, die später hinzukamen, die Klosterkasse in Hannover gegründet. Heute noch dient diese Kasse zur Unterstützung von Kirchen und Schulen, namentlich liefert sie den größten Beitrag zur Unterhaltung der Universität Göttingen. Da die Klostergüter unter die Regierung kamen, so setzte diese für die Verwaltung der Güter sowohl wie der Klosterkasse unter dem Namen Klosterkammer eine besondere Behörde ein, die noch heute besteht.
Viele Klöster blieben auch nach der Reformation als Versorgung^ und Erziehungsanstalten bestehen, z. B. Lüne, Isenhagen,. Ebstorf u. a. Lokknm und einige andere bewahrten eine größere Unabhängigkeit. Im Norden, in Lüneburg, Hoya und Bremen, wurdeu die Kloster und Stifter größtenteils von dem Landesherrn oder der Ritterschaft eingezogen. Schulen wurden. rtach und nach in allen Städten und auch in volkreicheren Dörfern ins Leben gerufen. Herzog Julius betrachtete dies als „ein christliches, hochnotwendiges Werk" und hoffte, daß auch „seine Land-
,90 21. Beginnende Einigung der niedersächsischen Ländergebiete.
fassen und lieben getreuen Untertanen von der Ritterschaft und Landschaft ihre Kinder daselbst zur Lehre und Zucht hinschicken würden." — Im geistlichen Fürstentum Hildesheim bestanden alle geistlichen Korporationen bis znm Anfang des 19. Jahrhunderts.
21. Weginnende Einigung der niedersächstschen ^ländergeöiete.
1. Hoya-Diepholz fällt an Brannschweig-Lüneburg. 1583.
Die Fürsten hatten das Bestreben, ihre Gebiete abzurunden und zu vergrößern und damit die kleineren selbständigen Gebiete aufzusaugen. Bereits im Jahre 1510 hatten die Lüneburger Herzöge die Grafschaft Diepholz als Leheu übernommen; später fiel sie ihnen ganz zu. 1526 wurde dem gesamten Vrannschweigisch-Lüneburgischen Hanse die Lehensherrschaft über die Grafschaft Hoya zugesprochen, und als dann der letzte Sproß des alten Grafengeschlechts von Hoya und Bruchhausen, Otto VIII., 1582 auf dem Schlosse zu Hoya starb und die Grafschaft dadurch ein eröffnetes Lehen wurde, teilte man sie in der Weise, daß die Ämter Stolzenau, Syke, Ehrenburg, Steyerberg, Diepenau, Siedenburg, Bahrenburg und Harpstedt unter dem Namen der Obergrafschaft an die Kalenbergische und Wolfenbüttelfche Linie, die Ämter Hoya, Nienburg, Liebenau, Drakenburg, Alt- und Nen-Brnchhausen unter dem Titel der Niedergrafschaft an die Lüneburgische Linie fielen. Die Obergrafschaft kam 1584 ganz an Wolfenbüttel, dann nach dem Tode Friedrich Ulrichs 1636 an die Harbnrgische Linie der Herzoge von Lüneburg, bis sie nach deren Aussterben 1643 unter Herzog Friedrich mit Lüneburg-Celle und somit wieder mit der Niedergrasschaft zu einem Lande vereinigt wurde.
2. Kalenberg-Göttingen und Ober-Hoya werden mit Wolfenbüttel vereinigt. 1584. Erich II. von Kalenberg-Göttingen starb im Jahre 1584 auf feinen unaufhörlichen Fahrten außer Landes in Pavia ohne Erben. Der nächste Erbberechtigte war Herzog Julius von Vrannschweig-Wolfenbüttel. Dieser übernahm das Land und damit eine schwere Last. Das Kammergut war verpfändet, die Verwaltung verwildert, die Rechtspflege unsicher und die Kirche in Verwirrung. Mißtrauisch kamen die Stände dem neuen Herrn entgegen; aber das Land stand sich gut unter ihm. Julius war ein ausgezeichneter Regent. Für die vereinigten Landschaften richtete er einen gemeinsamen Landtag zu Gandersheim ein nnd begann mit Reformen, die sich in Wolfenbüttel bereits bewährt Hatten. Zunächst ordnete er die kirchlichen Verhältnisse. Dann
21. Beginnende Einigung der niedersächsischen Ländergebiete.
91
übertrug der Herzog die bewährten Grundsätze seiner Verwaltung und Rechtspflege auf die Landschaften Kalenberg — Göttingen — Hoya; namentlich bahnte er die Einheit des Rechts in seinen Ländern an. Auch gelang es ihm in die finanziellen Verhältnisse einige Ordnung zu bringen, obwohl er die Steuerfreiheit der Prälaten und Ritterschaft nicht beseitigen konnte.
3. Grnbenhageu fällt an Wolfenbüttel. 1596. Im Jahre 1571 waren die Edelherren von Pleffe ausgestorben. Begründete Ansprüche auf die Grafschaft hatte Erich II. von Kalenberg-Göttingen. Da er aber wie immer außer Landes war, so wurde das Plessische Gebiet vom Landgrafen von Hessen in Besitz genommen und ging damit zunächst dem Hause Vraunschweig-Lüneburg verloren. Die Landgrafen von Hessen führten in der Grafschaft die reformierte Lehre ein. Aus der Plessischen Erbschaft fiel nur das Amt Radolfs-haufeu an das benachbarte Grubenhagen. Im Jahre 1593 erwarb Grubenhagen auch die Grafschaft Scharzfeld-Lauterberg. Doch schon 1596 starb die Grubenhagener Herzogslinie selbst aus, und ihr Fürstentum wurde nun auch mit Braunschweig-Wolfenbüttel vereinigt, sodaß um 1600 fast die gauze Südhälfte Niedersachsens in einer Hand vereinigt war. Grubenhagen fiel jedoch 1617 au Lüneburg, dem es durch eine Reichsgerichtsentscheidung nach längerem Erb-fchaftsstreit zugesprochen wurde. Die Verbindung blieb aber nur sehr locker und hat für Grubenhagen keine einschneidende Folgen gehabt.
4. Der Lnueburgische Erbfolgevertrag. 1610. Herzog Wilhelm von Lüneburg hatte sieben Söhne. Das Land war arg verschuldet und nicht imstande, sieben selbständige Hofhaltungen zu bestreiten. Daher schloffen kurz nach dem Tode des Vaters die sieben Söhne in ihrem und im Gesamtinteresse des Landes einen Vertrag, wonach der älteste, Ernst II., vorläufig die Regierung allein übernahm und die übrigen Brüder mit Jahrgehalt abfand. Die Vorteile dieses Vertrags waren so auffällig, daß die Brüder unter Zustimmung der Stände am 3. Dezember 1610 zu Celle einen endgültigen Erbfolgevertrag schloffen, wonach „das Fürstentum Lünebnrg mit allen Landen, die später etwa noch dazu kommen würden, nngetrennt und ungeteilt bei Herzog Ernst und dessen Nachkommen bleiben sollte. Damit war die Unteilbarkeit und das Erstgeburtsrecht auch im Lüneburger Lande eingeführt, wie es bereits 75 Jahre früher durch das Paktum Henrico-Wilhelminum im Wolsenbüttel-jcheit zustande gekommen war. Die Lüneburger Brüder erlangten für ihr Übereinkommen die kaiserliche Bestätigung. Um aber den Fortbestand des Vertrags für alle Zeiten und unter allen Umständen ZU sichern, beschlossen sie, daß nur einer von ihnen sich verheiraten und den ruhmreichen Stamm fortpflanzen sollte. Das Los mußte entscheiden und traf Georg, den zweitjüngsten der Brüder, der da-
92
22. Volkswirtschaftliches.
mals im kräftigsten Mannesalter stand. Er vermählte sich mit einer Tochter des Landgrafen von Hessen und bezog mit ihr das Schloß Herzberg am Südwestrande des Harzes, das gerade damals (1617) mit dem Grubenhagener Lande von Wolfenbüttel an Lüneburg abgetreten werden mußte. Georg ist der Stammvater der Kurfürsten von Hannover und der späteren Könige von England und Hannover geworden. Auf Schloß Herzberg verlebte er glückliche Jahre, bis er iu das Getümmel des 30jährigen Krieges hineingezogen wurde.
22. Aolksrvirtschaftliches.
1. Bergbau und Hüttenwesen im Harz. a. Unter Herzog Heinrich d. I. Schon Heinrich d. I. von Braunschweig-Wolfenbüttel (gest. 1568) war ein eifriger Förderer des oberharzischen Bergbaus. Ihm verdankt die Vergstadt Wildemann an der Innerste
ihren Ursprung. Heinrich gab den Harzern die erste Berg-
freiheit: freie Straße und Wohnung, freies Geleit, Backen, Brauen und Schlachten, Freiheit von Hofdienst, Zoll, Steuer und Accise, sowie die Abhaltung von freien Wochenmärkten. Holz sollte ohne Zins zu den Gruben geliefert werden; nur den Vorkauf des gewonnenen Erzes behielt sich der Herzog vor. Infolge dieses Freibriefes strömten Bergleute und 5) and Werker von allen Seiten nach dem Oberharze. Besonderen Zuwachs erhielt die Bevölkerung des Harzes aus den fränkischen Landen und aus dem Erzgebirge, und noch heute erinnern die Oberharzer mit ihrer oberdeutschen Mundart, die wie eine einsame Sprachinsel im Gebiete der niederdeutschen Sprache hervorragt, an das Stammland ihrer Väter. Namentlich widmete man sich dem Abbau eisenhaltiger Erze. Die Bevölkerung ans dem Oberharze nahm derart zu, daß neue Gotteshäuser erbaut, wie in Zellerfeld und Wildemann, oder die alten er-
weitert werden mußten, wie in Andreasberg, das damals freilich noch hohensteinisch war.
b. Unter Herzog Julius. Herzog Julius, seit 1568 Herr von Braunschweig - Wolfenbüttel, seit 1584 auch von Kalenberg-Göttingen und Oberhoya, baute auf den gegebenen Grundlagen weiter, zugleich als Bergherr, Fabrikbesitzer und Kaufmann. Er ließ durch sachkundige Männer eine geognostische Untersuchung des Harzes anstellen, berief tüchtige Bergmeister, ließ nach ihren Vorschlägen neue Stollen treiben, wie den „getrosten Juliusstollen" und den „tiefen Stollen" am Rammelsberge, verfallene Schachte, wie den „zum Hahnenklee", wieder herstellen, überflüssigen Wassern den leichteren und bequemeren Abfluß schaffen. Auch
22. Volkswirtschaftliches.
93
bie Eisensteinbergwerke zu Gittelde und Osterode, sowie die Kupferbergwerke förderte der Herzog aufs eifrigste. Mit der Verbesserung und Erweiterung des Bergbaus ging ein bedeutender Aufschwung des Hüttenwesens Hand in Hand. Zu Bündheim unter der Harzburg wurde eine Messinghütte angelegt. Bedeutend war die Verhüttung und Verarbeitung des in den Goslar-schen Bergwerken gewonnenen Bleies und Kupfers. Wasserspritzen mit Pumpen, Kugeln und Fenerbälle, Kronleuchter, Wasserbassins, auch Geschütze, „Grasbänke und allerhand gegossene vernünftige Historien nach der Vernunft uud den Tugenden und Lastern für die Lustgärten" wurden daraus hergestellt, meistens nach eigener Angabe des Herzogs. Am großartigsten jedoch entwickelte sich die Eisenindustrie. Um hier die Konkurrenz zu beseitigen, brachte er die Eisenfaktorei von Goslar an sich und ließ dort Harnische, Fäustel, Radschienen, Blech, Draht, Egge- und Pflugeisen herstellen. In Gittelde wurde 1578 ein Zainhammer errichtet, und nun begann hier eine bedeutende Geschützfabrikation. Zahlreiche Feldschlangen der verschiedensten Größe — darunter schon Hinterlader — sind hier geschmiedet worden. Die Zeughäuser von Berlin und Hannover bewahren davon noch bemerkenswerte „Stücke", von denen das in Hannover den Namen eines „eisernen Wildemanns" trägt. Außer dem groben Geschütz wurden in Gittelde auch Handbüchsen hergestellt, mit denen der Herzog die von ihm ins Leben gerufene Volkswehr bewaffnete. Daneben erreichte der Kunstguß eine hohe Vollendung, wovon zahlreiche vorhandene Ofenplatten mit historischen, biblischen und mythologischen Darstellungen noch heute Zeugnis ablegen. Auch die mineralischen Schätze seines Landes suchte der Herzog nutzbar zu machen; er ließ ein Steinkohlenlager bei Hohenbüchen am Hils erschließen, Steinbrüche anlegen, vor allen Dingen aber die Salzwerke heben und verwerten. Für die bessere Bewirtschaftung des Waldes erließ er eine besondere Forstordnung.
2. Der privilegierte Grundbesitz. Als die ritterlichen Lehensaufgebote nicht mehr den Kriegsdienst versahen und die Söldner-und Landsknechtsheere auskamen, wuchs die Staatslast bedeutend. Zn gleicher Zeit sank der Wert des Geldes infolge der Edelmetall-produktion der neuen Welt und infolge der Münzverschlechterungen. Die Fürsten suchten daher ihre Einkünfte zu steigern. Sie erhöhten zunächst bie Steuern; dann bauten sie an den Amtssitzen in der Nähe der alten Burgen Okonomiegebäude, legten einige Meierhöfe nieder und richteten auf den so entstandenen Domänen eigene Landwirtschaft ein, zu der die im Bezirk eingesessenen Meier Frondienste leisten mußten. Ähnlich machten es die Pfandinhaber landesherrlicher Ämter und die Ritter. Der Meierhof, den der Ritter selbst bewohnte, wurde dienst-und steuerfrei; denn dieser durfte das zugehörige Land als Rittergut gebrauchen. So ward ans dem schatzpflichtigen Meierhof ein st euer-
94
22. Volkswirtschaftliches.
freies Rittergut. Die herrschaftlichen, d.h. landesfürstlich e n G ü t e r oder Domänen und die Ritter- und Kloster-güter bildeten beit bevorrechteten oder privilegierten Grundbesitz. Außer in der Freiheit von der Kontribution und von den übrigen öffentlichen Lasten bestanden die Vorrechte in der Exemtion aller Bewohner der Gntshofe von den Gerichten erster Instanz, den Amts- oder Patrimouialgerichteu, und in dem Rechte, im Landtage Sitz und Stimme zu führen. Mit diesen Berechtigungen war bei vielen Gütern die Grundherrschaft über Meier-hofe und Grundzins-, Dienst- oder Zehnteurechte und über Bauerngüter verbunden. Es gab in Hannover etwa 900 Domänen-, Kloster-und Rittergüter und 3800 Ortschaften. Auf jedes vierte bis fünfte Dorf kam also ein Gut. Im Herzogtum Bremen waren die Rittergüter fast ausschließlich, in Hoya zum größten Teil freies Eigentum. In den übrigen Gebieten überwog der Lehensbesitz. Auch Bürgerliche konnten Lehnrittergüter erwerben. Naturalteilung des Lehns war gestattet, doch hatte man durch Familienstatut vielfach Majorate, unteilbare Güter, die stets auf das älteste männliche Familienmitglied übergingen, errichtet, auch bei den allodialen Rittergütern in Bremen.
3. Das erbliche Meiergut. Die Adeligen waren stets darauf bedacht, den Meierzins zu steigern. Die Landesfürsteu aber suchten die Meier möglichst steiterkrästig zn erhalten; sie verboten daher die Erhöhung des Meierzinses und beschränkten das Recht, den Meier nach Willkür abzumeiern. Das geschah zuerst in Kalenberg, Wolfeubüttel und den mit diesen verbundenen Hildesheiinschen Landesteilen. Hier blieben von nun an die Meierhofe in dauerndem Besitz des Meiers, und dieser begann, das Meiergut wie Erbland zu behandeln, gab Stücke davon als Brautschatz mit und versetzte oder verpfändete zugehörige Ländereien. Zwar wurde ihm dies auf Verlangen der Grundherren verboten; aber ums Jahr 1585 wurde unter dem Herzog Julius für Kalenberg (ohne Göttingen) und Br aunschw eig-W olfenbüttel endgültig bestimmt, daß der Meier, der sich wohl gehalten habe, nach Ausgang der Meierzeit nicht abgemeiert werden könne. Nur bei Zinssäumnis, Gutsverwüstung und unberechtigten Verfügungen dürfe der Meier bei laufender Meierzeit nach vorher geschehener Kündigung abgesetzt werden. Dann könne jeder Grundherr das Gut an sich nehmen und selbst bewirtschaften, aber er müsse auch sämtliche dem Gut obliegenden Lasten unweigerlich übernehmen. Diese Gesetze begründeten im größten Teile des südlichen Niedersachsens die Erblichkeit des Meierrechts. Nur im Göttingischen blieb der Meier Zeitpächter wie zuvor, weil hier Haus und Gebäude auf dem Meiergut Eigentum des Grundherrn geblieben waren, und das Gesetz betonte ausdrücklich, daß die Erblichkeit nur
23. Unsere Heimatlande während des Dreißigjährigen Krieges.
95-
da eintreten sollte, wo die Gebände den Meiern und Kötern eigentümlich gehörten. Im nördlichen Niedersachsen, im Fürstentum Lüne-bürg, in den Herzogtümern Bremen und Verden, war die Staatslast und der Meierzins geringer als im Süden, der Boden meist weniger ertragsfähig. Daher griffen die Landesherren hier später und weniger energisch mit gesetzgeberischen Maßnahmen ein. Für Lünebnrg und Grubeuhagen erging 1618 die Polizeiordnung des Herzogs Christian; sie bestimmte die Erblichkeit und Unteilbar^ feit der Meiergüter. In Bremen und Verden bildete sich Erblichkeit heraus ohne bestimmte Gesetzgebung. Aber hier wie irrt Süden war das Bestreben der Grundherren zunächst darauf gerichtet,, sich schatzfreie adelige Sitze zu schaffen, die sie vor der Mitte des 16. Jahrh, überhaupt nicht besessen hatten. Die Regierung stellte sich dem entgegen, uud so ist es dem Staate gelungen — im Gegensatz zu Ostdeutschland — das Rittergut in der Hauptsache auf den Ländereibestand zu beschränken, der aus dem zum adeligen Sitze verwandten Meierhofe herrührte.
23. Unsere Keimatkande während des Dreißigjährigen
Krieges.
1. Christian von Braunschweig. Infolge der Ereignisse in Böhmen und in der Pfalz hatten die niedersächsischen Kreisstände 1619 zu Braunschweig beschlossen, sich in Verteidigungsstand zu setzen. Die Zersplitteruug des nieder)ächsischeu Gebietes und das Mißtrauen der Fürsten gegeneinander ließen es jedoch zu einem energischen nnd einheitlichen Handeln nicht kommen. Erst als nach dem kriegerischen Vorgehen Christians von Braunschweig und Mansfelds der Krieg sich immer mehr den Grenzen Niedersachsens -näherte, raffte man sich wenigstens soweit auf, daß man unter dem Oberbefehle des Herzogs Georg von Lüneburg eine Streitmacht von etwa 18 OOO Mann aufstellte; aber diese sollte auch nur zur Aufrechterhaltung der Neutralität im nieder sächsischen Kreise dienen, auf keinen Fall gegen die Kaiserlichen kämpfen. Bei einer Zusammenkunft auf dem Kalenberge gelang es sogar, den kriegslustigen Christian für diese Neutralität zu gewinnen und ihn zu veranlassen, in den Dienst seines Bruders, des Herzogs Friedrich Ulrich von Wolsenbüttel-Kalenberg-Gottingen-Oberhopa, zu treten, der eine völlige Aussöhnung mit dem Kaiser herbeiführen wollte. Trotzdem warb und rüstete Christian aufs neue und brachte dadurch die niedersächsischen Fürsten in große Verlegenheit. Tilly rückte drohend näher. Man verlangte daher von Christian, er solle sofort sein Heer abdanken oder den Kreis verlassen. Christian zog ab.
96 23. Unsere Heimatlande während des Dreißigjährigen Krieges.
Bei Bodenwerder überschritt er die Weser, durchzog Westfalen, wurde von Tilly verfolgt und bei Stadtlohn völlig besiegt; kaum daß er selbst sich nach Holland retten konnte. Nach dem Abzüge Christians ward die Lage in Niedersachsen keineswegs besser. Die Neutralität ward nicht anerkannt. Schon hatte Tilly die wichtigsten Weserübergänge besetzt. Dennoch blieben die Rüstungen völlig unzureichend. Es fehlte an Geld, gutem Willen und an Eintracht. Da legte Georg von Lüneburg den Oberbefehl über die Kreistruppen nieder und zog sich in sein Stillleben auf das Schloß Herzberg zurück.
2. Das Einrücken der Dänen und der Kaiserlichen. Am 6.
Dezember 1625 kam im Haag ein Bündnis zustande zwischen England, Dänemark und den Generalstaaten zur Abwehr der kaiserlichen Übergriffe in Norddeutschland und zur Verteidigung des niedersächsischen Kreises. König Christian von Dänemark übernahm es, ein Heer zu werben und die Tillyschen Truppen von Niedersachsen zurückzuhalten. Er wurde in Lüneburg von den niedersächsischen Ständen zum Kreisobersten erwählt und ihm die Führung einer Kreisarmee von 13000 Mann übertragen. Der Kaiser durchschaute das „Defensionswerk" und stellte unter Wallenstein gegen die nordisch-protestantische Koalition ein eigenes Heer auf. So standen zwei feindliche Heere gegen Niedersachsen und Norddeutschland in Waffen. Christian von Dänemark war inzwischen in Niedersachsen eingerückt, hatte bei Stade die Elbe überschritten, war über Verden und Nienburg an der Weser aufwärts gezogen, hatte auf der Lokkumer Heide seine Streitmacht gemustert, die Truppen des niedersächsischen Kreises aufgenommen und am 24. Juli 1625 seinen Einzug in Hameln gehalten. Nun ging Tilly bei Höxter über die Weser und nahm sein Hauptquartier in Holzminden. Damit war der Krieg erklärt. Christian von Dänemark war inzwischen bei Besichtigung der Wälle in Hameln mit feinem Pserde in eine Grube gestürzt und sprach- und bewußtlos hervorgezogen. Der Unfall lähmte das weitere Vorgehen des dänischen Heeres; es zog zurück. Sogleich ging Tilly vor, besetzte Hameln und Stolzenau und lagerte sich vor Nienburg. Da der nahende Winter weitere Operationen verbot, so trat ein Waffenstillstand ein.
3. Der kleine Krieg. Die Lüneburger Herzöge sahen nach wie vor in einer strengen Neutralität das einzige Heil für sich und ihr Land. Georg trat sogar in den Dienst des Kaisers, für den er ein Regiment zu Fuß und eins zu Pferde anwerben wollte. Auch Friedrich Ulrich von Wolfenbüttel-Kalenberg-Göttingen wollte in feiner Neutralität beharren. Aber er wurde durch List und Gewalt gezwungen, alle wichtigen Ortschaften und festen Plätze feines Landes den Dänen
23. Unsere Heimattande während des Dreißigjährigen Krieges. 97
auszuliefern und seinen Bruder, den Herzog Christian, als Statthalter in seinem Lande zu dulden. Die beiden Christiane waren nun unumschränkte Gebieter über das südliche Niedersachsen, und da dieses Gebiet auch von Tillyschen Trnppen besetzt war, so hatte es die Schrecken des kleinen Krieges, noch ehe die großen Operationen begannen, bis zur Neige auszukosten. Es bildeten sich zahlreiche Banden; sie sammelten sich in Grund und führten unter dem Namen "Harzschützen" einen unerbittlichen Kamps gegen die kleineren Abteilungen des Tillyschen Heeres. Tilly legte daher die Stadt Grund in Asche. Die Flammen brennender Dörfer, das Elend der geflüchteten Bauern verkündeten die auf beiden Seiten wachsende Roheit und Verwilderung.
4. Die Schlacht bei Lutter am Barenberge. 27. August 1626.
^m Frühling des Jahres 1626 entschloß sich der Dänenkönig zu einer Angriffsbewegung gegen Süden. Tilly aber rückte
zur selben Zeit von Süden her in das Fürstentum Göttingen ein
erstürmte unter großem Blutvergießen das tapfer verteidigte Münden und nötigte Göttingen nach sechswöchentlicher harter Belagerung zur Übergabe. Mit Göttingen hielt Tilly den Schlüssel zum Leinetal in der Hand. Northeim dagegen war inzwischen von den Dänen besetzt, und diese versuchten, von hier aus über das Eichsfeld nach Thüringen vorzudringen. Allein Tilly schnitt ihnen bei Duderstadt den Weg ab und zwang sie zum Rückzüge. Über Osterode und Seejen wichen die Dänen zurück, um Wolfenbüttel zu erreichen. Unterwegs bei Lutter am Barenberge, am nordwestlichen Rande des Harzes, hielt Tilly den Dänenkönig fest, und es kam zur Schlacht. Sie dauerte von Mittag bis Abend und endete mit der A?. .geu Niederlage des dänisch-niedersächsischen Heeres. König Christian entging mit genauer Not der Gefangenschaft. Ohne Hut bis zum Tode abgehetzt, erreichte er am späten Abend auf dem -pferoe seines Stallmeisters mit wenigen Begleitern Wolfenbüttel, indem er klagte. „ Ach, wie wird mein liebes armes Volk niedergehauen werden!" 4000 Tote deckten das Schlachtfeld; 3000 Mann waren gefangen, dazu 60 Fahnen und 22 Kanonen verloren gegangen.
rrr -i* Niedersachsen in der Gewalt der Kaiserlichen. Friedrich Ulrich trat nun von dem erzwungenen Bündnisse mit Dänemark zuruck und hielt sein Land mit Städten und Festen den Kaiserlichen
offen. Nach kurzer Zeit befand es sich ganz in der
Gewalt Tillys. Alle festen Plätze erhielten kaiserliche Besatzung, und monatlich mußte eine Kriegssteuer von 80000 Talern bezahlt werden. Tilly sollte mit Kalenberg. Pappen heim mit Wolfenbüttel beschenkt werden. Christian von Dänemark wurde immer weiter nach Norden zuruckgedrängt, und schon Ende des Jahres 1627 war die ganze Mische Halbinsel in der Gewalt Tillys. Da auch Wallenstein
Tecklenburg u. Dageförde. Geschichte der Provinz Hannover. 7
98 23. Unsere Heimatlande während des Dreißigjährigen Krieges.
sein Ziel, die Ostsee, erreicht hatte, so mußte sich der Dänenkönig am 12. Mai 1629 zum Frieden von Lübeck bequemen; er verzichtete auf die niedersächsischen Stifter und Bistümer und auf jede fernere Einmischung in die deutscheu Angelegenheiten. Außerdem wurde Friedrich Ulrich gezwungen, das Hildesheimer Land, das ihm seit der Stiftsfehde gehörte, abzutreten. Infolge des Restitutionsediktes von 1629 mußten auch die Klöster und Abteien mit ihrem reichen Grundbesitz und andere ursprünglich der katholischen Kirche gehörende Güter zurückgegeben werden. Die Drangsale des Krieges, die schon jahrelang das Land zerrüttet, nahmen nunmehr überhand. Reiche Klöster, blühende Städte, Hunderte von Dörfern lagen in Schult und Asche; mehr als die Hälfte der Untertanen war bereits ums Leben gekommen. Herzog Christian von Lüneburg-Celle, obschon er auf Seiten des Kaisers gestanden, veranschlagte den Schaden, den sein Land genommen, auf acht Millionen Taler, Friedrich Ulrich den [einigen auf das Zehnfache.
6. Georg von Lüneburg-Grubenhagen in schwedischen Diensten, a. Georgs Operationen an der mittleren Weser. Georg verfolgte unablässig nur ein Ziel: die Erhaltung und Wiederherstellung der Macht seines Hauses, zu dessen alleinigem Stammhalter er bestimmt war. Als er einsah, in welch rücksichtsloser Weise der Kaiser gegen sein Haus und die wel-sischen Lande vorging, trat er in den Dienst des Schwedenkönigs Gustav-Adolf, der eben an der pommerschen Küste gelandet war. Nach dessen Tode übertrug Oxenstierna ihm den Oberbefehl über das schwedisch-deutsche Heer in Niedersachsen und Westfalen. Um den Kaiserlichen die beiden wichtigen Weserübergänge Hameln und Minden zu entreißen, ging Georg von Westfalen aus zunächst gegen Hameln vor. Bei Rinteln zeigte ihm ein Bauer eine Furt durch die Weser. Der Durchgang ward mit Büschen bezeichnet. Die Infanteristen mußten hinter den am besten berittenen Kavalleristen aufsitzen, und nun gings frühmorgens 2 Uhr in Kolonnen von je 100 Mann durch die Weser. An der Spitze ritt der Herzog selbst, den Bauern als Wegweiser zur Seite. So gelangte Georg in den Rücken der Kaiserlichen, trieb sie in der Richtung auf Minden in die Flucht und schritt zur Belagerung von Hameln, die jedoch aus Mangel an Geschützen, Munition, Kriegsvorräten und Unterstützung nicht recht vorwärts wollte.
b. Georgs Sieg bei Hessisch-Oldendorf. 1633. Georg erfuhr, daß bei Rinteln feindliche Korps über bte Weser gegangen, gegen Hessisch-Oldendorf vorgerückt waren und zwischen den Dörfern Rhoden und Welsede ein Lager bezogen hatten. Unverweilt besetzte er nun die für einen solchen Fall im voraus schon ausgesuchte Stellung bei Hessisch-Oldendorf (1633), die sich links an dies Dorf und rechts an-die Abfälle des Süntelgebirges lehnte. Infolge eines kühnen Flanken?-
23. Unsere Heimatlande während des Dreißigjährigen Krieges. 99
angriffs der Reiter Georgs unter dem geländekundigen Rittmeister Cord Meyer aus Segel hör st mußten die Kaiserlichen weichen. Die nächste Folge dieses Sieges war, daß am 3. Juli die Übergabe von Hameln erfolgte, wobei die „Garnison mit allen Individuen, die ihr freiwillig folgen würden", freien Abzug erhielt. Der tapfere Kommandant, Oberstleutnant von Schellhammer, „zog mit Sack und Pack, klingendem Spiele, fliegenden Fahnen, brennenden Lunten, Kugeln im Munde," aus Hameln ab, ritt zum Herzoge, dankte wegen erwiesener Konrtoisie und entschuldigte sich, „daß er als rechtschaffenerKavallier sich Seiner Fürstlichen Gnaden so lange habe widersetzen müssen." Georg wollte jetzt gegen Minden ziehen. Allein der Neid seines Wolsenbütteler Vetters Friedrich Ulrich und die Mißgunst des schwedischen Kanzlers Oxenstierna vereitelten Georgs Vorhaben und führten sogar die Auflösung des siegreichen Heeres herbei.
c. Georg als siegreicher General der niedersächsischen Kreisarmee. Im folgenden Jahre wurde Georg zum General der niedersächsischen Kreisarmee ernannt, und es gelang ihm, verbündet mit dem schwedischen Feldmarschall Baner, Hildesheim, Höxter und daun auch das heißbegehrte Minden den Kaiserlichen zu entreißen. Bald darauf fielen auch Nienburg, Stolzenau und Neustadt a. R. in feine Gewalt, fodaß er die ganze Weser bis nach Bremen hinab beherrschte. Leider sollte Georg die Früchte seiner Bestrebungen nicht ernten. Er starb bereits im Jahre 1641, viel Au früh für fein Land und fein Haus; denn mit ihm ging der einzige Mann dahin, der in den kommenden Jahren und bei den beginnenden Friedensverhandlungen die Rechte und Ansprüche seines Hauses mit Nachdruck hätte geltend machen können.
7. Der Sonderfriede zu Goslar. 1642. Der Nachfolger
Georgs und seine Vettern hielten nicht fest an dem, was Georg
mit schwerer Mühe und kluger Politik gewonnen. Schon vor
feinem Tode hatte der Wolfenbütteler Vetter Friedensverhand-
luugen mit dem Kaiser angeknüpft; Friedrich von Celle schloß sich an, und Christian Ludwig von Kalenberg, der Sohn Georgs, erst neunzehnjährig, ging mit ihnen. Sie machten am 16. Jan. 1642 zu Goslar ihren Sonderfrieden mit dem Kaiser und traten dabei das reiche Stift Hildesheim ab, nachdem es hundertundzwanzig Jahre in ihrem Besitz gewesen war. Siebzig Jahre sollten die Adligen, vierzig Jahre die übrigen evangelischen Bewohner freie Religionsübung haben. Das schlimmste aber war, daß die drei Vettern auf Drängen des Kaisers die von Georg geworbenen und hinterlassenen Regimenter bedeutend verkleinerten und den zwischen ihnen bestehenden Militärverband auflösten. Sie vernichteten damit das Lebenswerk Georgs und gaben kurzsichtig die Waffe aus der Hand, mit der allein es möglich war, bei einem
7*
100 24. Das Herzogtum Hannover. 1635.
künftigen allgemeinen Friedensschlüsse die berechtigten Entschädigungsansprüche durchzusetzen.
8. Der Friede zu Osnabrück. 1648. Nach langen Vorverhandlungen trat endlich 1645 zu Osnabrück und Münster der große Friedenskongreß zusammen. Zu Osnabrück verhandelte der Kaiser mit Schweden und den protestantischen Fürsten Norddeutschlands. Dort erschienen auch die Abgesandten der Fürsten Niedersachsens; aber sie vermochten trotz aller Beweise und Gründe nichts auszurichten. Es fehlte der Nachdruck des Schwertes. Der Friede war ungünstig. Die Herzogtümer Bremen und Verden und damit die Mündungen der Elbe und Weser fielen den Schweden zu, die diese wichtigen Strommündungen fast ein Jahrhundert zum Schaden unseres Vaterlandes besaßen. Die welfischen Erblande wurden dadurch vom Meere abgeschnitten nnd in ihrer freien Bewegung gehemmt. Das einzige, was Brauuschweig-Lünebnrg erlangte, war die Zusage, daß das Bistum Osnabrück abwechselnd von einem Fürsten des Welsenhanses und einem katholischen, gewählten Bischöfe regiert werden sollte. Der erste protestantische Fürstbischof von Osnabrück wurde im Jahre 1661 Ernst August, der jüngste Sohn des Herzogs Georg von Hannover. Außerdem erhielt das welfische Haus die Abtei Walkenried. — Dennoch war das Volk des Friedens froh, und als 1648 inOsnabrück von der mit Scharlachtüchern belegten Rathaustreppe herab der Frieden verkündigt wurde, und die Spielleute vom benachbarten Turme der Marienkirche das Lob- und Danklied anstimmten, da fiel das versammelte Volk ein und sang bewegten Herzens: „Nun lob', mein Seel', den Herren, was in mir ist, den Namen fein!"
VI. Die Zeit der absoluten Titrstenmacbt.
24. Aas Kerzogtum Kanrrover. 1635.
1. Die letzte Erbteilung der welfischen Lande. 1635. Während des Krieges gingen in den niedersächsischen Gebieten auch politische Ereignisse vor sich, die für die Gestaltung unsers Heimatlandes von größter Bedeutung waren und an denen Georg von Lüneburg, der bedeutende General des 30 jährigen Krieges, den größten Anteil hatte. Als Herzog Friedrich Ulrich von Wolfenbüttel im Jahre 1634 ohne Erben starb, entstanden zwischen der Lüneburger undderDannenbergerLinieErbfolgestreitigkeiten,dieder
24. Das Herzogtum Hannover. 1635.
101
Kaiser dadurch zu schlichten suchte, daß er das Erbe, die Lande Wolfenbüttel- Kalenberg -Göttingen- Hoya -Diepholz, für ein eröffnetes Reichslehen erklärte und in Wolfenbüttel einen kaiserlichen Statthalter einsetzte. Da vertrugen sich die Hadernden, nahmen das Land gemeinsam in Besitz und stellten die Truppen unter den Befehl des Herzogs Georg von Lüneburg. Als aber Kursachfen 1635 mit dem Kaiser den Sonderfrieden zu Prag schloß, nahmen auch die welfischen Fürsten den Prager Frieden an, weil sie eine neue Einmischung des Kaisers in ihre Erbangelegenheit fürchteten. Nur Georg zögerte noch; er meinte: man müsse alle Kräfte aufbieten, die Armee in die stärkste Verfassung zu setzen; dies sei das sicherste und einzige Mittel, dem Vaterlande sowie dem ganzen Deutschland einen guten und dauernden Frieden zu verschaffen. Doch auch er erklärte endlich, um sein Erbe zu retten, seinen Beitritt zum Prager Frieden und betrieb mit allem Eifer die Beilegung der Erbstreitigkeiten. Am 14. Dezember 1635 kam zu Braunfchweig der Erbvergleich zustande, der bis in die neueste Zeit die Grundlage für die territoriale Gestaltung der Provinz Hannover und des Herzogtums Braunschweig gebildet hat. Kalenberg-Göttingen, Grubenhagen und Hoya-Diepholz kamen an die Lüneburger Brüder, während Braunschweig-Wolfenbi'ütel an die Dannenberger Linie fiel. Dieser Teil ist bis heute ziemlich genau in denselben Grenzen verblieben und bildet das jetzige Herzogtum Braunschweig. Die Stadt Braunschweig, der Harz und die Universität Helmstedt sollten gemeinschaftlicher Besitz bleiben.
2. Georg von Lüneburg wird Herzog von Hannover. Kalenberg-Gottingen hätte nun mit Lüneburg zu einem „ungetrennten und ungeteilten" Besitze vereinigt werden müssen. In Rücksicht auf die widerstrebenden Landstände geschah dies jedoch nicht. August d. Ä. von Lüneburg-Celle trat vielmehr Kalenberg-Göttingen als ein selbständiges, von Lüneburg durchaus getrenntes Land an seinen jüngsten Bruder Georg ab. Da dieser aber nach dem Erbfolgevertrage von 1610 (S. 91) allein erbberechtigt war, so knüpfte sich nunmehr in Zukunft die weitere Erbfolge in den kalenbergisch-lüneburgischen Landen an ihn, den Herzog von Kalenberg. Georg erhob die Stadt Hannover zur Residenz seines Landes, verlegte dahin das fürstliche Konsistorium und die Kanzlei, verstärkte gegen den Willen der Stadt die Festungswerke und fing an, daselbst an der Leine ein neues fürstliches Schloß zu erbauen an der Stelle des niedergerissenen Minoritenklosters. Georg hat dadurch den Grund zu der jetzigen Größe der Stadt Hannover gelegt und damit veranlaßt, daß der Name Hannover nach und nach aus bie Gebiete der heutigen Provinz Hannover übertragen ist.
102
24. Das Herzogtum Hannover. 1635.
3. Anfänge des hannoverschen Heeres. Georg verbesserte das veraltete Kriegswesen und ward dadurch der Schöpfer des späteren hannoverschen Heeres Es gelang ihm, die damals bestehenden sechs Regimenter, bestehend aus 3000 Mann Kavallerie und 6000 Mann Fußvolk, zur gemeinsamen Kriegsmacht des welfischen Gesamthauses zu machen; er übernahm den Oberbefehl und entwarf die nötigen Kriegsartikel, die lange Zeit nach ihm in dem hannoverschen Heere in Geltung gewesen sind. Die Regimenter waren uniformiert und wurden nach der Farbe ihrer Uniformen als gelbes, rotes, blaues usw. bezeichnet. Jedem Kavallerie-Regiment war ein bestimmtes Fürstentum als Quartierstand zugewiesen. Zu festgesetzten Zeiten rückten die Regimenter in ihre Quartiere ab und hatten beim Bauersmann Quartier und Verpflegung. In großen Getreidemagazinen zu Hildesheim, Göttingen, Hameln und Hannover ließ er bedeutende Vorräte von einer Ernte bis zur andern aufspeichern, um seine Truppen sicher verpflegen zu können. Die alte Lehensmiliz wurde 1639 zum letzten Male zum Roßdienst aufgeboten. Seitdem übernahm die Ritterschaft statt dieses Dienstes den Schaf-, Scheffel- und Zehntschatz. Der alte Heerbann aber ward von Georg zu einer Art Landesmiliz umgebildet, damit sie den Dienst im Innern des Landes und in den festen Plätzen versehe, wenn die regulären Truppen im Felde ständen. Aus deu Söhnen der großen Bauernhöfe errichtete er ein Dragonerkorps, das sich auf eigene Kosten mit Pferden versehen mußte. Die übrigen dienstfähigen Landbewohner waren in Ausschuß-Kompagnien eingeteilt, die Sonntags zum Exerzieren zusammengezogen wurden, aber weder militärische Kleidung noch Sold erhielten. Musketen, Feuerrohre und Piken mußten die Gemeinden, die Gutsherren oder die „Ausschüssen selbst liefern. Die Frei-schießen und Schützen Hose, die noch vielfach in unserm Lande bestehen, haben in dieser Einrichtung ihren Ursprung.
4. Herzog Johann Friedrich von Hannover. Er war der dritte Sohn des Herzogs Georg, trat in Rom zur katholischen Kirche über, und keine Vorstellung seiner Familie vermochte, ihn von seinem Entschlüsse abzubringen. Jahrelang noch hielt er sich an katholischen Höfen, namentlich in Wien, auf. Da starb in Celle sein ältester Bruder Christian Ludwig ohne Erben, und schnell nahm er von dessen Landen Besitz. Darüber geriet er zwar in Streit mit seinem Bruder Georg Wilhelm, aber mit Hülfe der kaleubergischen Stände einigten sich beide dahin, daß Georg Wilhelm Lüneburg mit Hoya und Diepholz, Johann Friedrich aber Kalenberg-Göttingen mit Grubenhagen erhielt. Gleichzeitig wurde bestimmt, daß fürderhin keine „Division und Option" mehr zu Recht bestehen sollte. Dies ist denn auch die letzte Läuderteilung im jüngeren Hause
24. Das Herzogtum Hannover. 1635.
103
Johann Friedrich begann in Hannover der fürstliche Absolutismus. Der Herzog selbst war ein stattlicher Mann mit vornehmherablassender Haltung, gemessen und würdig in seinen Bewegungen. Die Land stände wurden als eine veraltete Einrichtung beiseite geschoben. Der Herzog hörte nicht mehr ihren Rat und ihre Meinung; von Bündnissen und wichtigen Staatsverträgen wurde ihnen nur noch Mitteilung gemacht; dann traten an die Stelle der alten Landtagsabschiede dieMandate der herzoglichen Regierung; selbst das Steuerbewilligungsrecht wurde den Ständen genommen. Als die Landstände versuchten, sich aus eigener Machtvollkommenheit zu versammeln, wurde ihnen dies einfach verboten. Die gesamte Landesverwaltung wurde dann durch Johann Friedrich in vier Abteilungen gegliedert und unter die einheitliche Leitung des „Geheimen Rats" gestellt. So ward die Regierung zu einer festen Maschinerie. Aber der Herzog leitete sie selbst und hielt sie im Gange. Alle Berichte gingen durch seine Hand, allen Beratungen wohnte er persönlich bei, in allen zweifelhaften Fragen gab er selbst die Entscheidung. Mit den Ständen verkehrte er nur noch durch seinen Kanzler.
5. Die Gründung des stehenden Heeres in Hannover. Johann Friedrich war ein ausgesprochener Anhänger der Politik Ludwigs XIV. Um sie unterstützen und dadurch eine bedeutende Rolle spielen zu können, bedurfte er eines ansehnlichen, stets schlagfertigen Heeres; er bedurfte eines solchen ferner, um feine unumschränkte Herrschaft im Innern zu sichern und zu befestigen. Zu einem stehenden Heere reichten aber seine und des Landes Geldmittel nicht aus. Da befchritt Johann Friedrich einen eigentümlichen Weg: er ließ Abteilungen feiner Truppen bei den Benetianern in Sold treten und diese in ihren Kriegen mit den Türken unterstützen. Damals haben hannoversche Truppen auf Kandia und auf Morea mehrfach so ruhmvoll mitgekämpft, daß der Name Brauuschweig-Lüneburg mit großen Ehren genannt wurde. Außerdem ließ sich Johann Friedrich von Ludwig XIV. Hülfsgelder in der Höhe von 240 000 Talern zahlen und verpflichtete sich, dafür die französischen Interessen in Deutschland zu vertreten. So war es dem Herzoge möglich, ein Heer von 14 000 Mann aufzustellen und dauernd zu unterhalten. Er ließ sie nach französischem Muster kleiden, bewaffnen und einüben. Johann Friedrich trachtete danach, sein Gebiet zu erweitern. Das veranlaßte ihn auch, in den Raubkriegen Ludwigs XIV. eine zweideutige Rolle zu spielen, um so fein Bündnis mit Frankreich möglichst auszubeuten. — Im Gegensatz zu diesem undeutschen Verhalten Johann Friedrichs stand allerdings das feines älteren Bruders Georg Wilhelm und feines jüngeren Bruders Ernst August, der damals noch Bischof von Osnabrück war. Beide führten 1674 und 1675 persönlich ein Heer von 12 000 Mann an den Rhein, um mit dem Kaiser die Übermacht Frankreichs zu
104
24. Das Herzogtum Hannover. 1635.
bekämpfen. Ihrem energischen Eingreifen verdankte man den Sieg an der Conzer Brücke über den französischen Marschall von Crequi, sowie die darauf folgende Einnahme von Trier.
6. A la mode in Hannover. Der Hof Ludwigs XIV. von Frankreich und die eleganten Lebensformen der Italiener galten auch in Hannover als Vorbild. Das trat besonders hervor seit der Verheiratung Johann Friedrichs mit der Tochter des Pfalzgrafen zu Simmern, einer Enkelin des Herzogs von Navarra, die zu Paris erzogen war. Als die Prinzessin heimgeholt wurde, begleitete sie ein ganzer Troß von Hofbediensteten, ein Geistlicher, Pagen, Lakaien, Silberdiener, Reiseköche, Hoffonriere, Mägde und Jungen, ein Gefolge von über 50 Personen in einem Dutzend Wagen. Der Herzog ritt seiner Braut eine Strecke entgegen. Der Wagen, den sie nun bestieg, kostete mehr als 20000 Taler. Eine lange Reihe von Staatswagen, darunter allein 17 herzogliche, die vornehmsten Hofkavaliere, die Leibgarde und eine Truppenabteilung folgten dem Zuge. Nach der Einsegnung durch den katholischen Vikar in der Schloßkirche folgten Festlichkeiten, die eine Woche dauerten: offene Tafel bei Hofe, Ballett uud französische Komödie, Violinkonzert und Feuerwerk -— alles Dinge, die man bis dahin in Hannover nicht kannte. Seit dieser Hochzeit wimmelte es in Hannover von Franzosen und Italienern. Die Stadt gewann immer mehr an Glanz und Größe. Herrenhausen erhielt ein großes Lustschloß. Italienische Baumeister entwarfen dazu den Plan, italienische Maler zierten es mit Gemälden, und französische Gärtner legten um das Schloß nach französischen Vorbildern einen prachtvollen Lustgarten an. Kunstsammlungen, Oper und Musikkapellen wurden eingerichtet. Hofadel, Offiziere, Gelehrte sowie zahlreiche Beamte sammelten sich daselbst. Auch das Hofleben nahm eine andere Gestalt an. Ein steifes französisches Zeremoniell wurde eingeführt. Sprache, Kleider, Speisen, Hausrat, Tänze, Musik — alles mußte französisch sein. Es wurde eine übertriebene Pracht bei Festlichkeiten, Gastmählern und Gelagen entfaltet, und mit der französischen Sitte nahm auch französische Unsitte ant Hofe zu Hannover überhand.
7. Leibniz in Hannover. Es ist ein Verdienst des Herzogs Johann Friedrich, daß er Leibniz, den größten Gelehrten seiner Zeit, im Jahre 1673 als Rat mit 400 Talern Gehalt nach Hannover berief. Leibniz war 26 Jahre alt, als er nach Hannover kam.
Er war in Leipzig geboren und gebildet, hielt sich, bevor er
nach Hannover kam, in Nürnberg, Mainz, Paris und London
auf, war unverheiratet und wohnte in dem nach ihm benannten
Haufe an der Schmiedestraße. Herzog Johann Friedrich unterhielt sich ant liebsten mit ihm über Alchemie und Theologie. Leibniz war ein vortrefflicher Jurist, Philosoph, Mathematiker, Psycholog, Mechaniker und Politiker und würde in jedem andern Lande zugleich ein
24. Das Herzogtum Hannover. 1635.
105-
großer Staatsmann geworden sein. In Hannover fühlte er sich vereinsamt; am liebsten hätte er in Paris oder London gelebt. Angenehmer wurde der Aufenthalt in Haimotier für ihn, als im Jahre 1679 Ernst August in Hannover einzog und mit ihm seine geistreiche Gemahlin Sophie. Diese saß gern zu den Füßen des „deutschen Aristoteles" und lauschte seinen beredten und geistreichen
Worten. Der geistige Verkehr miteinander war beiden Bedürfniss Mit der Tochter Sophiens, der Kurfürstin Charlotte von Brandenburg und späteren Königin von Preußen, führte der Gelehrte, der sich auch einige Jahre in Berlin aufhielt, einen ausge-^ dehnten Briefwechsel. Der Hof bedurfte seiner in großen wie in kleinen Dingen. Bald mußte er Rat in Staatsangelegenheiten erteilen, bald den Censor abgeben, bald beschäftigte er sich mit dem Modell zu einer einfacheren und leichteren Schiebkarre; dann wieder schwang sich fein Geist in die Sphären der Unendlichkeit; heute
forschte er in alten vergilbten Chroniken nach Quellen über das welsische Herrscherhaus, und morgen schrieb er ein gelehrtes theologisches Werk oder machte den Plan zu den Wasserkünsten in
Herrenhausen. Als Georg I. als König nach London zog, wäre Leibitiz gern mitgegangen. Einsam mußte er jedoch in Hannover zurückbleiben, verkannt nicht nur vom Hose, sondern auch vom Volke, das ihn den alten „Löwenix" (Glaubenichts) nannte, weil er keine Kirche besuchte; einsam starb er auch in Hannover und wurde, weil er in den Ruf der Freigeisterei gekommen
war, ganz in der Stille am 14. Nov. 1716 in der Neustädter Kirche beigesetzt. Auch die deutschen Gelehrten schwiegen bei seinem Tode;, nur die französische Akademie gedachte seiner in einer Lobrede. Ein Stein mit der einfachen Inschrift: Ossa Leibnitii bezeichnet seine lange vergeblich gesuchte Ruhestätte. Im Jahre 1790 ist ihm am späteren Waterlooplatze in Hannover ein Denkmal errichtet. Ein von 9 Säulen getragener Rundtempel birgt seine Marmorbüste mit der Inschrift: Genio Leibnitii.
8. Die braunschweigisch-lüueburgische Landespost. 1640. Kaus-mannsboten durchzogen schon zur Zeit der Hansa unser Land. Die Herzöge Heinrich d. I. und Julius von Brannschweig-Wolsenbüttel richteten landesherrliche Botengänge und reitende Posten ein. Daneben bestanden als Haiiptocrkehrs-mittel die städtischen Botenanstalten. 1616 gestattete Herzog Christian von Lüneburg der Taxisschen Reichspost zum ersten Male den freien Durchgang für eine reitende Briefpost von Minden über Nienburg nach Hamburg. Indes hatten es die braunfchweigisch-lüneburgischen Herzöge auf Errichtung, eigener Landesposten abgesehen. Mit ihrer Genehmigung richtete daher im Jahre 1640 der reiche Frachtsuhrherr Nötiger Hinüber in Hildesheim aus eigenem Vermögen mit einem Kosten-
406
25. Das Kurfürstentum Hannover. 1692.
aufwande von 40 000 Talern eine Landespost ein, zunächst die reitende Post von Bremen-Hamburg nach Cassel. Alle Nebenposten wurden unterdrückt; die neue Landespost erhielt Freiheit von allen Abgaben und die Befugnis, auf gelegenen, jedoch den Festungsgebäuden nicht schädlichen Plätzen eigene Posthäuser zu erbauen. Hinüber wurde zum herzoglichen Postmeister ernannt. Freilich wurde die neue Landespost von der Reichspost angefochten, aber die nieder-sächsischen Fürsten gestatteten dieser nach wie vor nur den Durchgang. Im Jahre 1678 belohnte das Gesamthaus Braunschweig-Lüneburg deu Italiener Stechinelli, der in Venedig dem Herzog Georg Wilhelm von Hannover das Leben gerettet hatte, mit dem General-Erb-Postmeisteramte; er fuhr fort für eigene Rechnung neue Landesposten einzurichten. Allein Stechinelli wurde bald gezwungen, das Postlehen an den Grasen von Pl aten-H aller mund zu verkaufen, weil das Amt eines Generalpostmeisters nur einem einheimischen Adelsgefchlechte gebühre. Auch als Postmeister und Postverwalter sollten nur Einheimische genommen werden, die der Augsburgischen Konfession zugetan und mit Kaution genügend versehen seien. Die Postillone trugen rote und gelbe Farben und ein Brustschild mit Wappen und Posthorn. Die Posthäuser hatten das weiße Roß „zum absonderlichen Jnsiegel".
25. Aas Kurfürstentum Kannover. 1692.
1. Die Primogenitur und der Knrvertrag. Im Jahre 1679 tüitrde Ernst August, der bis dahin das Bistum Osnabrück verwaltet hatte, Herzog von Hannover. Sein und seiner Gemahlin Sophie Bestreben ging dahin, die Kurwürde zu erlangen. Gemäß der Goldenen Bulle dursten die Länder der Kurfürsten nicht durch Erbteilung zerstückelt werden. Ernst August mußte daher zunächst ein Hausgesetz geben, wonach künftig feine Länder ungeteilt auf den erstgebornen Sohn übergehen sollten. Darin widerstrebten ihm aber sowohl feine jungem Söhne wie feine braunschweigischen Bettern, und nur mit großer Mühe brachte der Herzog 1683 ein solches Primogenitur-Gesetz zustande. Einer der Sohne zettelte sogar eine Verschwörung gegen seinen Vater an; er ward ins Gefängnis geworfen, und sein Helfershelfer, der Obersägermeister von Moltke, hingerichtet. Um die Zustimmung des Kaisers zu erwerben, unterstützte Ernst August den Kaiser mit Soldaten, Pferden und Geld in den Kriegen gegen Türken und Franzosen. Drei seiner Sohne sind in diesen Kriegen gefallen. Zum Danke dafür erhob ihn der Kaiser im Jahre 1692 zum Kurfürsten von Braun sch w ei g-Lüneburg. Diese Bezeichnung wurde indes nicht
25. Das Kurfürstentum Hannover. 1692.
107
gebräuchlich, sondern es kam der Name Kurfürstentum Hannover auf, weil die Stadt Hannover die Residenz des Kurfürsten war.
' 2. Hannover als kurfürstliche Residenz. Hannover war um 1700 eine bescheidene Landstadt von nicht 20 000 Einwohnern. Der ehrwürdige Marktturm mit seinem grünen Kupferdach, den vier Giebeln, sowie das alte Rathaus erinnern noch an die Zeit, in der das ganze Stadtgebiet sich um diesen Mittelpunkt gruppierte und innerhalb der Ringmauer von der Lein-, Marstall-, Packhof-, Oster-uud Köbelingerstraße begrenzt wurde. Damals bildete im§_ „Hans der Väter" den Hauptschmuck der Leinstraße, und an der Osterjtraße entstand der hohe, breite Giebelbau des Leibnizhauses. Die Kalenberger Nenstadt auf dem linken Leineufer wurde in die Umwallung eingeschlossen. Doch wurde der begreuzende Festungsgürtel bald durchbrochen. Mitte des 18. Jahrhunderts gewann man den Raum für die Ägidieu-Neustadt durch Niederlegen der Wälle und Ausfüllung der Festuugsgräbeu. Die geradlinig angelegten Straßen bildeten damals das vornehmste Viertel der Stadt. Bald nach dem Ende des Siebenjährigen Krieges trug man auch die Befestigungen hinter dem Schlosse ab und legte vor dem „neuen Leintor" die „Esplanade" an. Im übrigen bepflanzte man die alten Stadtwälle mit Bäumen und verwandelte sie in Promenaden. Die vier Stadttore, die jetzt verschwunden sind, wurden jedoch nach wie vor mit Einbruch der Dunkelheit und an Sonn- und Festtagen während des Gottesdienstes „gesperrt." Alsdann mußte jeder, der aus- oder einpassieren wollte, Sperrgeld bezahlen: Fußgänger einen, Reiter zwei und besetzte Wagen drei Mariengroschen. Nachts aber wurde uiemaud ein- und ausgelassen. Hinter dem Marstalle war der innere Raum eines Ravelins zu einer offenen Reitbahn umgewandelt, und oben auf dem ausspringenden Winkel des Walles stand ein kleiner Pavillon. Dort wurde am 10. März 1776 die Königin Luise vou Preußen und zwei Jahre später die nachherige Königin Friederike von Hmt-nover geboren. An der Stelle, wo sich heute der imposante Bau des Hoftheaters erhebt, drehte auf dem hohen Georgenwall eine Windmühle ihre Flügel; der steile Abhang war einer der beliebteren Spielplätze für die Kiuder. Da aber, wo jetzt das prachtvolle Bahnhofsgebäude steht, wechselte noch um 1800 grüner Weide-Anger mit großen Gemüsegärten ab, die von hohen Hecken umschlossen waren. Die alten Warttürme innerhalb der Eilenriede wurden zu Vergnügungsorten umgewandelt. Das alte Residenzschloß an der Leine ward vielfach umgebaut. Es beherbergte zu kurfürstlicher Zeit die „Geheimrats-Stube", die „Königliche Kammer", die „Kriegs-Kanzlei", das „Oberhofmarschall-Amt" und das „Hoftheater". In der Schloßkapelle wurden jene uuübertrefflicheu Meisterstücke byzantinischer Goldschmiedekunst aufbewahrt, die Heinrich der Löwe aus Konstantinopel mitgebracht hatte. Sie waren infolge
108
25. Das Kurfürstentum Hannover. 1692.
ei?Ir Knegshillfe die Herzog Johann Friedrich seinem braunschweigischen Vetter geleistet hatte, aus dem Dome zu Braunschweia in me lLchloßkapelle zu Hannover übergegangen und bildeten dort den wertvollsten, fast unschätzbaren Teil des Welfenschatzes.
3. Verwaltung und Gericht. Alle Landesangeleaenheiten sollten von Hannover aus geleitet werden. Dem Geheimen Ratskolleqium wurden daher alle Staats-, Militär-, Universitäts-, Polizei- und Gnadensachen zugewiesen. Die Kammer verwaltete die Einkünfte des Landes. Die unterste Verwaltungsinstanz waren die Ämter. Diese.waren also nicht nur eine Verwaltungsstelle des landes-furstltcheu Domanialvermögens, sondern gleichzeitig Organ der Rechtsprechung und der Verwaltung auf dem platten Lande. Auch die meisten Ritter- und Klostergüter übten Rechtsprechung und Verwaltung in ihrem Gebiete. Diese Amts- und Patrimonialaerichts-Verfassung herrschte fast in allen fürstlichen Gebieten Niedersachsens. Ämter und Gerichte übten auch die Polizei im Amtsund Gerichtsbezirke. Neben Gefundheits- und Sicherheitspolizei S?ötton Vr r?ie Wgabe, gemeinsam mit Kommissaren und Offizieren Landsoldaten oder „Ausschüsser" (S. 102) auszuheben, auch waren sie für den Zustand der Wege, Stege und Brücken in ihrem Bezirk verantwortlich. Sie mußten über rechtes Maß und Gewicht wachen nteüten bte Erlaubnis zur Anlage von Mühlen, Wirtshäusern und Brennereien und beaufsichtigten diese Gewerbebetriebe. Sie hatten die Wiederbesetzung wüster Höfe zu veranlassen; sie beaufsichtigten die ganze Verwaltung der Landgemeinde und regelten mit dieser die Armenpflege, das Feuerlöschwesen und Bau und Unterhaltung der Gememdewege. Jnbezng auf die Verwaltung unterstanden die meisten adeligen Gerichte den Ämtern, und inbezug auf Gerichtsbarkeit kamen der Mehrzahl von ihnen nur die geringeren Fälle zu. Der erste mit der Leitung aller Amtsgeschäfte betraute Beamte war der Amtmann oder Oberamtmann, der den Titel Drost oder Oberhauptmann sührte, wenn er vom Adel war. Unter ihm stand der Amtsschreiber, dem insbesondere die Verwaltung der grundherrlichen Domanial-geralle oblag. Außerdem mußte der Amtmann ihn zu allen Amtshandlungen zuziehen, er unterschrieb die Kontrakte des Amtes mit H, führte bei Gericht das Protokoll. Die Amtssitze waren kleinere _ Domänen, die man den Amtmännern statt des Gehalts zu billigen Pachtpreisen überließ, um sie möglichst unabhängig zu stellen. Die Amtshaushalte wurden mit Frondiensten der Bauern oder Amtsmeier bewirtschaftet; die Pächter hatten kein eignes Spannwerk, Gesinde und Tagelöhner. Noch heute erinnern zahlreiche, von schönen Gärten umgebene, rittergutähnliche Wohngebäude an die Zeit, wo die ersten Beamten hier ihr gastfreies Haus öffneten und oft auch der Bevölkerung durch ihren Landwirtschaftsbetrieb ein Vorbild gaben. Überall wurden die Ämter in kleine
25. Das Kurfürstentum Hannover. 1692.
109
Unterbezirke, Vogteien, Gohen ober Sorben eingeteilt. An ihrer Spitze stauben bte Vogte ober Gogreven, bas waren bie Amts-unt er beamten, bie anch zahlreiche polizeiliche Befugnisse ausübten. In ben adeligen Gerichten war ber abelige Gerichtsherr entweder selber ber Amtmann, ober er bestellte einen Gerichtshalter. Die Einkünfte ber Amtsbedienten itnb Gerichtshalter bestanden in Gebühren unb Sporteln,, bte sie für bie einzelnen Amtshandlungen bezogen. Die Ämter hingen von der Rentkammer in Hannover ab. Nur die Städte hatten eigene Gerichte und Polizei. Der Harz hatte feine besondere Verwaltung, das Bergamt, dem ein adeliger Berg-hauptmann mit einer Anzahl Bergamtsbebiensteten „von ber Feber" unb „vom Leber" vorstand.
4. Das Oberappellationsgericht zu Celle. Jedes Fürstentum hatte ein Hofgericht mit besonderer Hofgerichtsordnung. Die höchste Instanz in Rechtssachen bildete zunächst das Hofgericht in Hannover. Damit fanb bas römische Recht völligen Eingang in unsere Heimatlanbe. Nur unbedeutende Strafsachen, Wege-, Feld-marks- und Forstsachen blieben den alten Volksgerichten. Schließlich verschwanden sie ganz, und der fürstliche Vogt oder Amtmann ordnete auch diese Sachen. Mit der Erhebung in den Kurfürstenstand hatte Ernst August auch das Recht erhalten, in seinem Lande einen obersten Gerichtshof einzusetzen, der alle Streitigkeiten endgültig erledigen konnte, von dem aus es also eine Berufung an das Reichskammergericht nicht mehr gab. Das war das Oberappellationsgericht. Es wurde erst nach dem Tode Ernst Augusts im Jahre 1711 errichtet und erhielt seinen Sitz zu Celle. Eine besondere Ordnung regelte seinen Geschäftsgang. Die Hofgerichte, die in ben einzelnen Landesteilen Bestauben, wurden baburch aufgehoben unb meistens in Justizkanzleien verwanbelt, benen bie Amts- unb Stabtgerichte unter* georbnet würben. Sie alle erhielten eine verbesserte Orbnnng mit dem bestimmten Hinweise, bie Prozesse nicht unnötigerweise in bie Lange zu ziehen. 1739 bekam Hannover seine erste Gesetzsammlung.
5. Die Landespolizei. Auch bas Polizeiwesen, bas man bis bahirt kaum beachtet hatte, erfuhr besonbere Aufmerksamkeit. Von Lanbes wegen beachtete man alle bie Dinge, bie bes öffentlichen Schutzes bebursteu, ober bie für Laub unb Volk besonbere Gefahren in sich bargen. So würbe für die Küstengegenden unb bie Marsch-Xanber an ben großen Strömen eine Deichorbnnng unb für die Stäbte eine Feuerorbnung erlassen, um bie Einwohner vor Wassers- unb Feuersgefahr zu schützen. Anbere Vorschriften nahmen sich ber gefährbeten Gefunbheit bes Volkes an. Die Häuser unb Straßen in ben Stäbten sollten so angelegt werben, baß tierheerenbe Seuchen sich nicht so schnell verbreiteten. Man sorgte für Reinlichkeit in den Städten, schleifte die unnötigen Festungswerke,
110 25. Das Kurfürstentum Hannover. 1692.
trocknete die Festungsgräben aus und verschaffte dem Lich'e und der Luft mehr freien Zutritt. Statt der Schäfer und Hirten, die m Stadt und Land quacksalberten, übernahmen immer mehr die Ärzte die Sorge für die Gesundheit des Einzelnen wie der Gesamtheit. Apotheken „wurden eingerichtet; Stadt- und Laudphysikate dienten zur Überwachung der gesundheitlichen Einrichtungen. Die öffentliche Sicherheit auf Wegen und Stegen wurde gleichfalls ein Gegenstand der Fürsorge der Landesverwaltung. Alle dazu nötigen Vorschriften wurden durch besondere Polizeigesetze gegeben. Polizeibeamte achteten auf deren Befolgung und zogen den Übertreter zur Strafe. So sorgte die kurfürstliche Regierung immer mehr dafür, daß die Untertanen unter ihrem Schutze ein sicheres und ruhiges Leben führen konnten.
6. Das Stcncrwcfcn. Die wichtigste Verwaltungsaufgabe der Ämter und größeren adeligen Gerichte war die Steuerverwaltung. Die öffentlichen Leistungen bestanden in Stenern im engern Sinne, Geldabgaben, und in Naturalleistung, nämlich Naturalien, Quartier und Dienste. Domänen und Rittergüter waren steuerfrei (S. 93 s.). Die G e l d a b g a b e n bestanden in Schatzgefällen, Kontribution und Konfumtionslizent. Die beiden ersten gab es in den meisten niedersächsischen Gebieten; nur in Göttingen, Grubenhagen und Kalenberg hatte man statt der Kontribution den Lizent, in Bremen-Verden fehlten die Schatzgefälle. Die Sch atz gefalle waren um 1600 dadurch entstanden, daß die Landstände fürstliche Schulden zur Tilgung Übernahmen. Als die Schulden getilgt waren, wurden andere Ausgaben davon bestritten; so wurden die Schatzgefälle eine dauernde Abgabe. Die Kontribution war die Kriegssteuer des Dreißigjährigen Krieges; sie war zur Erhaltung der eigenen, oft genug auch fremder Heere aufgelegt wordeu. Da man nach dem Friedensschluß die stehenden Heere beibehielt, so blieb auch die Kontribution bestehen und wurde sogar noch bedeutend erhöht. In Kalenberg-Göttingen und Grubeuhagen hatte man die Kontribution im Jahre 1676 abgeschafft und statt dessen den Lizent eingeführt, eine Konsumsteuer von den verschiedenartigsten Verbrauchsgegenständen, besonders von den notwendigen Lebensbedürfnissen: Brotkorn, Fleisch und Kleidung. Auf dem platten Lande wurde der Lizent von dem Konsumenten direkt erhoben, z. B. der Brot-kornlizent dann, wenn der Bauer das Korn zur Mühle brachte. Die Rittergutsbesitzer waren für die Produkte, die sie auf ihren Gütern zu eigenem Gebrauch zogen, von dieser Abgabe frei. — Die Steuern wurden durch Einnehmer direkt von den Gemeinden erhoben und an die ständische Centralkasse der betreffenden Landschaft oder direkt an die Regierung (Kriegskanzlei) abgeliefert. Die Verwaltung des Lizents beruhte dagegen auf der Amts- und Gerichtsverfassung und geschah durch den Lizenteinnehmer und die Lizentschreiber. Die
25. Das Kurfürstentum Hannover. 1692.
111
Steuern schrieben die Stände selbst aus uud wählten zu deren Ver-teilung und Erhebung Landräte, die anfangs vom Fürsten ganz, unabhängig waren, in späterer Zeit aber von ihm bestätigt werden mußten und dann den Namen Schatzrat empfingen, eine Bezeichnung, die in unserer heutigen Provinzialverwaltung noch fortbesteht. Die gesamten Landeseinkünfte verwaltete die kurfürstliche Kammer in Hannover.
7. Vereinigung von Lüneburg-Celle mit Hannover. 1705.
Bald nach dem Tode des Kurfürsten Ernst August sollte sich der Umfang des Kurfürstentums Hannover noch weiter ausdehnen. Im Jahre 1704 starb zu Celle ohne Erben der letzte Herzog von Lüneburg-Celle, Georg Wilhelm. Gemäß den früheren Verträgen fiel nunmehr das Fürstentum Lüneburg an das Kurfürstentum Hannover, sodaß die Teilfürstentümer Kalenberg, Göttingen, Grubenhagen und Lüneburg dauernd in einer Hand vereinigt wurden, ein Ziel^ wonach Erust August jahrelang mit Aufbietung aller Kräfte geruugen hatte. Mit dem Fürstentum Lüneburg kam auch das Land Hudeln an Hannover, das früher den Herzogen von Sachsen-Lauenbnrg gehörte, 1689 aber als Erbschaft an Lüneburg gefallen war.
8. Hannoversche Truppen im Spanischen Erbfolgekriege. Seit dem Ryswicker Frieden bestand zwischen Holland und dem jüngeren Zweige des Welfenhaufes ein „Defensiv - Allianz - Traktat", der im Falle der Gefahr dem bedrohten Teile eine Hülfe von 2000 Mann zusicherte. Die freundschaftlichen Beziehuugeu, in denen Kurfürst Georg Ludwig vou Hannover und Herzog Georg Wilhelm von Celle zu dem Erbstatthalter der Niederlande standen, führten beim Ausbruch des Spanischen Erbfolgekrieges 1701 nicht nur die ungesäumte Erfüllung des Traktats, sondern auch das Anerbieten herbei, die gesamte hauuoversch-cellesche Truppenmacht gegen Frankreich zur Versüguug zu stellen. Die hannoverschen Hülss-truppen,etwa 3000 Mann Infanterie und 1O5O Mann Kavallerie, gingen bereits im März 1701 von der Weser aus nach Holland ab. Da mit England eine ähnliche Übereinkunft getroffen wurde, so wuchs die Zahl der Hülfstruppeu, die zur Unterstützung der Seemächte abgesandt wurden, auf 16000 Mann — bei dem geringen Länderumfang eine bedeutende Leistung. Im Juli 1702 stießen die Truppen jenseit der Vaal zu der großen englisch-holländischen Armee unter dem Grasen von Marlborough. In diesem Kriege haben die hannoverschen Truppen an allen bedeutenden Schlachten hervorragenden Anteil genommen und dafür die besondere Anerkennung des Kaisers und der Anführer gefunden. Sie kämpften am Niederrhein, fochten unter dem Prinzen Eugen bei Höchstedt 1704, bei Ramilies 1706, bei Oudeuarde 1708, nahmen teil an der Belagerung von Lille und zeichneten sich aus in der Schlacht bei Malplaquet 1709, abgesehen.
^2________________ 25. Das Kurfürstentum Hannover. 1692.
Don einer Anzahl fernerer Expeditionen, die sie mit Erfolg ausgeführt haben. Gegen Ende des Krieges wurde aber die Lage der Truppen immer trauriger. Sle mußten Hunger und Kummer erleiden, kochten aßen emtge Zeit Eicheln, weil es an Brot gebrach und fdbft ^ur Geld nichts mehr zu bekommen war. Die Zahl der Kranken PP”. 9 3U ^a3e» dazu verweigerten die oberrheinischen Städte die Einrichtung eines Hospitals. Die Infanterie lern monatelang in _ Zelten, die zuletzt mit Schnee bedeckt waren, und die Kavallerie war gezwungen, „sich cavalierement und ohne Zeremonie" in Städten und Dörfern einzuquartieren. Die Truppen waren daher Iroh als mit dem Monat November 1713 der Subsidien-Bertraa Zu Ende ging. Da die kaiserlichen Kassen zu sehr erschöpft waren, auch Fürsten und Stande des Reichs wenig Eifer an den Tag legten und „lieber einen schimpflichen Frieden als diesen verdrießlichen Krieg" wollten, so wurden die hannoverschen Truppen mit besonderem Lob durch den Prinzen Eugen entlassen.
, . 0. Hannover in Personalunion mit England. 1714. Durch
seine Gemahlin Sophie von der Pfalz war Kurfürst Ernst August mit dem englischen Königshause verwandt. Als nun der König 4>on England 1714 ohne leibliche Erben starb, galt die Kurfürstin Sophie als nächste Erbin, und ihr Sohn, der Kurfürst Georg I wurde zum englischen Könige gewählt. Dieser wohnte von nun an m London. In Hannover aber besorgten „die zur Regierung zurückgelassenen Geheimen Räte" die Verwaltung Je» itefteatA Zwar ordnete Georg durch eine besondere Vorschrift die Regierungsgeschäfte der Geheimen Räte und ließ sich alle wichtigen Vorkommnisse nach London berichten, dennoch konnte es nicht ausbleiben, daß im Lande vielfach Willkür herrschte und die hohen Beamten m Einverständnisse mit den vornehmen Familien Aach Gutdünken walteten. Oft und gern kehrte Georg I. in seine
!r.mü^an^e Auch Georg II. ist nicht weniger als elfmal
uach dem geliebten Herrenhausen zurückgekehrt. Einmal blieb er fast gwet^öolle ^ahre in seinem Kurlande. Aber seit jenem Sommertage des wahres 1755, als die Hannoveraner sich um seine Reisekutsche drängten, um ihm ein letztes Lebewohl zu sagen, blieben die Schlosser und Gärten von Herrenhausen volle achtzig ^ahre verwaist; denn Georg III. ist nie in Hannover gewesen, und semen Nachfolger, Georg IV., hat Hannover nur einmal wahrend eines kurzen Besuchs gesehen. Zwar pilgerten die ehrsamen Burger allsonntäglich durch die schöne Herrenhäuser Allee hinaus um die Wasserwerke springen zu sehen, aber einsam umstanden die steinernen, nackten Götter und Göttinnen die große Fontaine. Die schattigen Hetfengänge waren nicht mehr belebt von lustwandelnden, festlich geschmückten Paaren, und das Naturtheater, einst der Schau-glänzender Maskenbälle, wurde nur noch von Neugierigen be-
25. Das Kurfürstentum Hannover. 1692.
113
sucht. 200 Pferde füllten jedoch wie sonst die kurfürstlichen Mar-ftälle, und die prachtvoll aufgeschirrten Weißgeborenen und Isabellen erregten die Bewunderung der Fremden. Alle Tage zog eine Kompagnie Leibgarde auf die Schloßwache. Jeden Sonntag war Assemblee der Hofgesellschaft in den Sälen des Residenzschlosses, wobei der Hofmarschall mit einem zahlreichen Stabe von Kammerherren und Karnmerjunkeru die Honneurs machte und die beiden jungeu lebenslustigen Brüder der Königin, die Prinzen Karl und Ernst von Mecklenbnrg-Strelitz, den abwesenden Monarchen vertraten. Die goldbetreßten Scharlachlivreen der Dienerschaft waren genau dieselben lute am Hofe zu England, und wie dort, so ging es auch in Hannover bei den Hoffesten feierlich, zeremoniell, steif und langweilig zu. Während dieser Zeit herrschte ein eigentümliches Stillleben im hannoverschen Lande. Immer mehr wurde es als ein Anhängsel, ja als eine Provinz Englands betrachtet, und nur wenn England in Kriege verwickelt wurde, schlugen die Wellen europäischer Politik ihre Kreise auch bis ins hannoversche Land.
10. Die Erwerbung der Herzogtümer Bremen und Verden. 1715. Im Nordischen Kriege bot sich für Hannover die Gelegenheit, die Herzogtümer Bremen nnd Verden, die ihm im Westfälischen Frieden entgangen waren, zu erwerben. Nach dem Siege Peters des Großen bei Pultawa (1709) über Karl XII. von Schweden besetzte König Friedrich IV. von Dänemark die damals schwedischen Herzogtümer Bremen-Verden, um eine frühere Niederlage wett zu machen, rückte dann nach Pommern vor und stieß zu den verbündeten Nusseu und Sachsen. Es konnte dem Kurfürsten von Hannover nicht gleichgültig sein, wenn sich die Dänen dauernd in den Herzogtümern festsetzten. Er verließ daher den Kriegsschauplatz am Rhein, besetzte Verden, schloß sich 1714 den Gegnern Schwedens an, ließ seine Truppen ebenfalls in Pommern einrücken und suchte durch Verträge und Darlehen sich den künftigen Besitz der Herzogtümer zu sichern. Dann wurde 1715 zwischen Kurhannover und Dänemark ein Bündnis geschlossen zur Vertreibung der Schweden aus ihren bisherigen deutschen Provinzen. Gegen eine Summe von 695 000 Talern wollte Dänemark die eroberten Herzogtümer an Hannover abtreten. Nun entband der König von Dänemark die Einwohner ihres geleisteten Eides, es erfolgte am 14. Oktober zu Stade die Huldigung der Stände, und die hannoverschen Regimenter nahmen das Land für ihren Herrn in Besitz. Zwar legte Schweden Verwahrung ein; aber bei dem ungünstigen Verlause des Nordischen Krieges seit dem Tode Karls XII. mußten die Schweden 1719 int Stockholmer Frieden auf die Herzogtümer verzichten und traten sie endgültig gegen eine Entschädigung von 1185476 Talern an Hannover ab. Mit dieser bedeutsamen Erwerbung gewann Hannover nicht nur die
Tecklenburg u. Dageförde, Geschichte der Provinz Hannover. 8
114
25. Das Kurfürstentum Hannover. 1692.
Küste des Meeres, sondern auch die Mündung von zwei großen deutschen Strömen, ein Gewinn, der nicht nur Hannover, sondern dem ganzen deutschen Vaterlande zugute kommen mußte. Freilich gehörte diesem Gebiete die Stadt Bremen nicht mehr an; sie war während des Dreißigjährigen Krieges, im Jahre 1641, reichsfrei geworden und hat sich seitdem in selbständiger Entwickelung zu ihrer heutigen Bedeutung emporgearbeitet. Genau hundert Jahre später, 1741, trat Bremen infolge eines Vertrags das Amt Blumental an Hannover ab.
11. Die Universität Göttingen. 1737. König und Kurfürst Georg II., der noch mit voller Liebe an seinem hannoverschen Stammlande hing, schenkte diesem in der Universität Göttin gen die höchste Landes schule. Die Einrichtung und Leitung der Universität wurde dem Minister Freiherrn von Münchhausen übertragen, der diese Aufgabe mit unermüdlichem Eifer durch sein gauzes Leben verfolgte. Schon 1734 langten Professoren und Studenten in Göttingen an. Die feierliche Einweihuug der Universität geschah jedoch erst 1737, nachdem durch kaiserlichen Erlaß die Genehmigung gegeben war. Bei der Einweihung erhielt die Universität nach ihrem Stifter den Namen Georgia Augusta. Der König übernahm selber das Rektorat, während ein Prorektor, der alljährlich aus der Reihe der Professoren erwählt werden sollte, in Übereinstimmung mit der Professoreuschaft die Angelegenheiten der Universität verwalten sollte. Als Vertreter des Staates wurde ein Kurator eingesetzt. Der erste Kurator war der Minister Münchhausen. Die Georgia Augusta war eine Staatsanstalt; der König und sein Minister mußten daher sorgen, daß sie die nötigen Einrichtungen, Anstalten und Institute erhielt. Anfangs machte sich mancher Mangel fühlbar. So wurden z. B. die Anatomie und die Sternwarte zuerst in alten Stadttürmen untergebracht, bis sie in späterer Zeit ein besseres Unterkommen fanden; auch fehlten Wohnungen für Professoren und Studenten. Aber alle Schwierigkeiten wurden überwunden. Das Gymnasium wurde in das Barfüßerkloster verlegt, damit das Paulinerkloster für die Universität eingerichtet werden konnte. Die Bibliothek des Gymnasiums bildete mit ihren 708 Bänden den Anfang der Universitätsbibliothek, die gegenwärtig über 500000 Bände zählt. Der König ließ ein stattliches Reithaus und dahinter eine offene Reitbahn anlegen. Keine andere Universität hatte ein solches Institut. Für bedürftige Studenten stiftete der König sechzig Freitische, die durch andere Stiftungen noch bedeutend vermehrt wurden. Es wurde die Universitätsapotheke erbaut, für Buchdruckereien und Buchhandel gesorgt, der botanische Garten angelegt, die Frauenklinik eingerichtet und das Waisenhaus begründet. Göttingen sollte aber nicht nur eine beschränkte Landesuniversität sein,, sondern auch eine
25. Das Kurfürstentum Hannover. 1692.
115
Weltuniversität werden. Daher berief Münchhausen tüchtige Gelehrte,
vorzüglich solche, die schon einen berühmten Namen hatten.
Schnell verbreitete sich der Ruhm der Universität über ganz Deutschland bis ins Ausland. Als der König Gottingen im Jahre 1748 besuchte, sah er mit Befriedigung und Stolz die Fortschritte der Georgia Augusta. Fürsten, Grafen und Prinzen studierten damals mit Borliebe in Gottingen. Znr Zeit der Fremdherrschaft wurde die alte von Herzog Jnlius gegründete Universität Helmstedt auf-gehoben und mit Göttin gen vereinigt. Seit der Zeit ist Göttingen Landesnniversität für Hannover und Braunschweig.
12. Die Anfänge der hannoverschen Volksschule und das Seminar zu Hannover. Zwar waren nach der Reformation hier und da anf dem Lande und in kleinen Städten sog. Küsterschulen entstanden; aber diese befanden sich in einem änßerst mangelhaften Zustande. König und Kurfürst Georg II. erneuerte daher auf Veranlassung des Konsistoriums die alte falenb er gische Schulordnung von 1681 und ergänzte sie durch neue Bestimmungen. Danach sollte die Schulpflicht vom 6. bis 14. Jahre dauern. Häuslingen und Unvermögenden wurde die Zahlung des Schulgeldes erleichtert. Auch im Sommer sollte täglich Schule gehalten
werden, nur zwischen Johannis und Michaelis durfte sich der
Unterricht auf zwei oder drei Tage in der Woche beschränken; meistens fiel er trotzdem ganz aus. Rechnen und Schreiben zählten noch nicht zu den gewöhnlichen Unterrichtsfächern. Wo es an einem geeigneten Schulhause fehlte, unterrichtete der Lehrer abwechselnd auf den verschiedenen Höfen des Dorfes. Das war die Reiheschule. Später unterstützte die Regierung jeden Schulbau mit 50 Talern, wenn die Gemeinde oder der Gutsherr sich verpflichtete, dabei Hand-und Spanndienste zu leisten, das Schulhaus in Ban und Besserung zu erhalten und etwas Gartenland der Schule beizulegen. Dennoch wollte es mit den Volksschulen nicht vorwärts, und einer späteren Zeit war es vorbehalten, hier Besserung zn schaffen. — Der größte Mangel lag noch immer darin, daß für das Volksschulamt vorgebildete Lehrer fehlten; denn noch hatte das Kurfürstentum keine Lehrerbildungsanstalt. Der Ruhm, die Gründung des ersten hannoverschen Seminars veranlaßt zn haben, gebührt dem K aufm an ne Böttcher in Hannover. Er stellte dem Konsistorium drei Häuser znr Verfügung und richtete sie mit Unterstützung dieser Behörde (1751) zn einem Semin ar ein. Später nahm sich die Landesregierung der Ausbildung der Lehrer an, und heute haben wir in unserer Provinz dreizehn solcher Anstalten.
13. Die hannoversche Post. Der Sohn und Nachfolger des General-Erb-Postmeisters v. Plate» geriet in Schulden, verpachtete die Dienststellen der Post an die Meistbietenden und ließ sich das Pachtgeld
8*
116
25- Das Kurfürstentum Hannover. 1692.
auf viele Jahre vorausbezahlen. Diesem Unwesen machte Georg II. ein Ende, indem er im Jahre 1735 das Postwesen für 450000 ialer von der Platenschen Familie kaufte. Von nun an erhielt das Geheime Ratskollegium in Hannover die Leitung des Postwesens. Es änderte die Taxen und richtete neue Postkurse ein, und neben den reitenden Posten wurden auch die fahrenden eingerichtet. Trotz der schlechten Wege war der Postverkehr schon ziemlich lebhaft.' Briefe wurden noch immer durch „reitende Posten" besorgt, die fast täglich von der Hauptstadt abgefertigt wurden. Die „englische Post" ging regelmäßig Sonntag und Donnerstag morgen von Hannover über Nienburg und Bremen nach Cuxhaven. Das Porto war nach den Entfernungen verschieden. Ein Brief von Hannover nach Celle kostete 8 Pfennig, nach Göttingen 1 guten Groschen (Ggr.), nach Cassel 2 Ggr., nach Frankfurt 3 Ggr. und nach Amsterdam 5 Ggr. Außer den Briefen beförderten die fahrenden Posten zweimal wöchentlich Reisende nach allen Richtungen. Besonders eilige Staatsdepeschen wnrden durch Estafetten befördert.
14. Landstraßen und Wege. Im Interesse des Postverkehrs wurde im Jahre 1738 eine Hauptwegeordnnng erlassen; die alten Heerstraßen sollten gebessert und neue Landstraßen angelegt werden. Bis zum Siebenjährigen Kriege kannte man allerdings keine gepflasterten Straßen oder Chausseen. Erst im Jahre 1768 nahm man von der Residenz ans nach vier Richtungen den Ban von solchen Kunststraßen in Angriff. Zwar waren die Mittel, die man dazu verwandte, nicht unerheblich; allein im Anfange des 19. Jahrhunderts lagen dennoch große Strecken unvollendet da, obgleich die anliegenden Gemeinden verpflichtet waren, beim Bau Hand- und Spanndienste zu tun. In den südlichen, gut bevölkerten Landesteilen ging der Bau einigermaßen rasch vorwärts. Die Chaussee, die längs der alten Handelsstraße im Leinetale hinauf über Elze, Alfeld, Einbeck, Northeim und Göttingen nach Cassel und Frankfurt am Main ging, war ums Jahr 1800 vollendet, und man baute schon Zweigstraßen von Northeim nach Osterode und von Göttingen bis an die Grenze des Eichsfeldes. Auch die Festung Hameln war mit der Hauptstadt durch eine Kuuststraße verbunden. Schlimmer sah es in den menschenleeren Heide- und Moorniedernngen des Fürstentums Lüneburg und der Grafschaften _ Hoya und Diepholz aus. Schon das Heranschaffen des nötigen Steinmaterials verursachte dort ungewöhnliche Schwierigkeiten. So kam es, daß nicht einmal die Chaussee von Hannover nach Celle, deren Anfang noch heute in der Stadt Hannover durch die „Alte Celler Heerstraße" bezeichnet wird, fertig gestellt werden konnte und daß der Weiterbau in den Richtungen nach Lüneburg, Harburg und nach Brann-schweig kaum über die ersten Ansänge hinaus kam. Von der Kunst-straße endlich, die von Hannover über Nienburg nach Os-
26. Die niedersächsischen Dörfer im 18. Jahrhundert. 117
nabrück führt, scheint um 1800 wenig mehr als der mit zwei Reihen weißstämmiger Birken eingefaßte Erddamm vollendet gewesen zu sein; denn noch um 1850 harrten zwischen Nienburg und Diepholz lange Strecken des Steinpflasters. Der ganze übrige Verkehr war auf die schlechten sogenannten „Poststraßen" und die noch schlechteren Vizinal-Wege angewiesen. Sogar der alte Handelsweg, der von Lünebnrg in gerader Richtung nach Lübeck führte und bei Artlen-bnrg die Elbe passierte, war nur streckenweise mit einem holprigen Steindamm versehen. In den Herzogtümern Bremen und Verden aber gab es nicht eine einzige gepflasterte Straße. Die schöne breite Chaussee von Bremen nach Hamburg ist erst später durch Rapo^ leons Willen entstanden. In den Marschen hörte mit Eintritt der nassen Jahreszeit jede Verbindung auf. Selbst Fußgänger konnten nur mit Mühe in dem zähen Schlamm auf den Deichen fortkommen, bis man vor etwa 50 Jahren längs derselben Pfade von hartgebrannten Ziegelsteinen oder Klinkern anlegte. In den endlosen ungeteilten Heideflächen des Lüneburgischen und Bremischen gab es nicht einmal begrenzte Wege. Ähnlich war es in den ausgedehnten Waldungen des Harzes und des Sollings. Auf vielbefahrenen „Heerstraßen" liefen daher oft Hunderte von Geleisen nebeneinander her, deren zugewachsene Spuren man heute noch hier und da erkennen kann.
26. Die niederjachstschen Dörfer im 18. Jahrhundert.
1. Die Banernklafsen. Im 18. Jahrhundert zeigte die ländliche Bevölkerung Niedersachsens nach der Beschaffenheit ihres Grundbesitzes folgende Struktur: es gab Meier, Köter, Brinksitzer und Häuslin ge.
a. Die Meier wurden in Lüneburg Höfner oder Hufner, in Braunschweig-Wolfenbüttel, Hildesheim und Göttingen-Grubenhagen auch Ackerleute genannt; diese Klasse gliederte sich wieder in Unterabteilungen, von denen die häufigsten die der Voll-, Dreiviertel-, £mlb- und Viertelmeier waren, die in den südlichen Gebieten auch Dreiviertel-, Halb- und Viertelfpänner genannt wurden. Sie bildeten die erste Banernklasse. Der Meier oder Ackermann besaß das höchst berechtigte und höchst verpflichtete Bauerngut. Es bestand aus der Hofstätte mit Haus und Hausgarteu im Dorfe, dem Ackerlande auf der Flur, den außerhalb der offenen Flur belegeneu Feldgärten oder Kämpen und den Gemeinheitsberechtigungen, d. h. Nutzuugeu auf Gemeindeland und fremdem Grund und Boden, Echtwort genannt. Da Niedersachsen zum größten Teile dorfweise besiedelt war, so lagen die zum Meiergut gehörigen Ländereien in der Flur unter-
118 26. Die niedersächsischen Dörfer im 18. Jahrhundert.
einander im Gemenge. Mit Ausnahme der Heidegegenden (hohe Geest) in Lüneburg, Bremen und Hotjn, wo mehrjähriger, mit Buchweizen wechselnder oder ewiger Noggenbau, und der Marschen, wo Feldgraswirtschaft üblich war, betrieb man in ganz Niedersachsen den Ackerbau in der Form der Dreifelderwirtschaft. Die ganze Flur war daher in drei wirtschaftlich gleich große Abschnitte geteilt, in deren jedem das Meiergut einen ebenfalls gleich großen Ackerbesitz hatte. Jeder Hof hatte Dienste, Steuern und Kommunalabgaben zu leisten. Der Dienst bestand im Landwirtschaftsfrondienst an den Grund- oder Gerichtsherrn oder an das landesfürstliche Amt (als Gerichtsherrn), ferner in dem sog. allgemeinen Landesdienst, wie Landfolge, Kriegerfuhren, Jagd-, Wacht- und Gerichtsdienste für deu Landesherrn, und schließlich in dem Gemeindedienst, dem sog. Reihewerk. Sämtliche Angehörige der ersten Bauernklasse leisteten diese Dienste als Spanndienste mit Pferden.
b. Die Köter, auch Kötner oder Kotsassen, d. i. Bewohner einer Kate oder Kote. Sie bildeten neben den Meiern den wichtigsten Bestandteil der bäuerlichen Bevölkerung und teilten sich, besonders im Süden, in Groß- oder Pflugkötner und Halb- oder Kleinkötner. An Zahl übertrafen sie in den meisten Teilen Kurhannovers, in Hildesheim und in Braunschweig die Ackerleute bei weitem. In Hoha-Diepholz, Lüneburg und auf der bremen-verdeu-schen Geest war ihre Zahl geringer, nnd im östlichen Teile Lüneburgs verschwanden sie fast ganz gegenüber den Ackerhöfen. In den bremischen Marschen bildeten sie, da ihr Grundbesitz nur gering war, einen völlig untergeordneten Teil der Bevölkerung. Die Großköter hatten einen Landbesitz von 4 bis 20 Morgen und betrieben ihren Ackerbau mit 1 oder 2 Pferden. Die Kleinkötner hatten höchstens 4 Morgen und besaßen keine Pferde, wenn sie nicht Land hinzugepachtet hatten. In Lüneburg besaßen die Köter 6 bis 10 Morgen, im bremischen Marschlande höchstens 3 oder 4 Marschmorgen (der Marschmorgen zu 4 kaleuberger Morgen) und trieben ihre Wirtschaft mit einem oder überhaupt ohne Pferde. Der Großköter des südlichen Niedersachsens und auch die Mehrzahl der Köter der nord-niedersächsischen Geest waren noch ausschließlich Landwirte. Nur der Kleinköter und der Köter der bremischen Marschen verdienten ihren Lebensunterhalt wenigstens zum Teil als Tagelöhner und Handwerker. Das Kothaus mit dazu gehörigem Garten besaß der Köter im größten Teile Niedersachsens zu Meierrecht; nur in Göt-tingen-Grubenhagen und in den Marschen war das Kothaus sein Eigentum. Der Köter verrichtete seine Dienstpflicht grundsätzlich als Hauddieust. Hielt er Pferde und trieb diese auf die Gemeiudeweide, so mußte er auch Spanndienste verrichten. Auch war der Köter kontributiouspslichtig. Er war Gemeindemitglied mit vollem, Stimmrecht und nahm teil an der Gemeinheitsnutzung. Die Äcker des
26. Die niedersächsischen Dörfer im 18. Jahrhundert.
119
Köters, selbst wenn er deren mehr als 30 Morgen hatte, bildeten nie eine Hufe.
c. Die Brinksitzer, in Kalenberg auch Büdener, Beibauern oder Kätener, in Bremen Brinkköter genannt, und die Anbauer. Ihr Besitztum bestand aus einem kleinen Hause, dem „Brinkkaten", mit dazu gehörigem Hof- und Gartenranm. Das Ganze war selten über 2 Morgen groß. Sie wohnten in der Regel nicht im Dorfe, sondern außerhalb der Gemeinheit, anf dem sog. Anger oder Bauernbrink. Sie waren Neuansiedler. Die Zahl der Brinksitzer war in allen Teilen Niedersachsens bedeutend. Am stärksten waren sie in Hoya-Diepholz, Bremen-Verden und Lüneburg vertreten, während sie in den südlichen Landesteilen wegen dichterer Besiedelung und häufigerer Teilung der Köterklasse an Zahl und Bedeutung zurücktraten. Sie hatten fast überall Gemeindeberechtigung erhalten, nur in Braun-schweig und Hildesheim nicht; in Lüneburg und Hoya besaßen ihre Güter völlig den Charakter von Reihestellen und bildeten neben Ackerhösen und Kotercicn Kontributionseinheiten. Hier trieben sie häufig eine kleine Ackerwirtschaft auf ihrem etwas größeren Rodlands-besitz oder aus gepachteten Bauernäckern. Im übrigen aber beschränkte sich die landwirtschaftliche Tätigkeit der Brinksitzer aus den sehr intensiven Anbau ihres Gartenlandes, wo sie vielfach Hanf und Flachs zogen, den sie im Winter verspannen. Den größten Teil ihres Lebensunterhaltes erwarben sie dnrch Arbeit im Tagelohn, Handwerk, Frachtfahren und durch sonstige gewerbliche Tätigkeit.
d. Die Häuslinge und die Abbauer. Unter Häusling ober Einlieger verstand man den nicht angesessenen Bewohner eines Dorfes, der in der Regel bei einem Bauern im Hause zur Miete wohnte oder eine verlassene Hütte, z. B. eine Altenteilskate auf einem Bauernhöfe gepachtet hatte und mit feiner Familie darin hauste. Ein Abbauer war ein Ansiedler, dem aus dem Hofplatze oder im Garten eines Bauern- ober Edelhofes ein Stück Land als Wohnstelle zu Meier- oder Erbzinsrecht ausgewiesen worden war. Weder Häusling noch Abbaner waren Gemeinbemitglieber. Der Häusling hatte bie Nutzung ber Gemeinbe gemietet; ber Abbaner nahm teil an ber Nutzung bes Mutterhofes. In Göüingen-Grubenhagen aber, wo bie reihepflichtige Köterstelle frei teilbar war, würbe ber burch bie Teilung entstanbene Neubau nicht als Abbau, sondern als neue Reihestelle betrachtet. Ihren Unterhalt verdienten sich die Häuslinge und Abbauer als Tagelöhner, Handwerker oder Garnspinner. Meistens hatten sie auch einen bestimmten Arbeitsvertrag mit dem Bauer oder Rittergutsbesitzer, auf dessen Hofe sie wohnten, abgeschlossen, wonach sie Handdienste leisteten für die Miete oder für Spannhilfe, bie ihnen ber Hofbesitzer leistete. Denn sie hielten wohl eine Kuh, einige Schweine ober mehrere Ziegen unb ernteten Brotkorn
120
26- Die niedersächsischen Dörfer im 18. Jahrhundert.
für sich und Stroh für das Vieh auf gepachteten Bauernäckern, selten auf eigenen Grundstücken.
2. Das bäuerliche Besitzrecht. Die weitaus meisten Bauern besaßen ihr Gut meiersweise. Fast ausschließlich herrschte das Meierrecht im Fürstentum Lüneburg, auf der Geest der Herzogtümer Bremen und Verden, in den Grafschaften Hoya und Diepholz und im Fürstentum Kalenberg. In diesen Gebieten gab es nur kleine Bezirke wie das lüneburgische Amt Ilten oder das kalenbergische Amt Lauenstein, wo eine größere Zahl von Bauerngütern zu einem andern Recht besessen wurde. Dagegen war in den Fürstentümern Hildesheim und Brauuschweig-Wolfeubüttel zinspflichtiges Eigeutum und Erbzinsrecht neben dem Meierrecht sehr verbreitet; in Göttin gen und Gruben ha gen Überwogen Eigentum, Erbzinsrecht und Bauernlehn das Meierrecht bei weitem; auf den Marschen von Bremen, Lüneburg und Hoya verschwand das Meierrecht gänzlich gegenüber dem hier allgemein herrschenden zinspflichtigen Eigentum und Erbzinsrecht. Auf dem zu Eigentum besessenen Lande lagen häufig Grundzinsen und Dienste als Reallasten. Beim Erbzinsrecht und Bauern lehn hatte der Besitzer weitgehende erbliche Nutznngs- und Verfügungsrechte am Gute. Der bäuerliche Lehnsmann leistete seinem Lehnsherrn den Treueid. Erbzins- und Lehnsmann gaben beim Besitzwechsel Landemien oder den Weinkauf; die sonstigen Leistungen bestanden meist in kleinen Geldbeträgen, selten in größeren Naturalabgaben. Im nördlichen Niedersachsen mußten die Erbzius> und Lehnsleute auch Frondienste an ihren Grund- und Lehnsherrn leisten. Alle diese Besitzrechte gleichen mehr oder weniger dem Meierrecht.
3. Die bäuerlichen Verhältnisse in den bremischen Marschen.
In den gesegneten Elb- und Wesermarschen bestanden sehr eigenartige und verschiedene Verhältnisse. Freies und zinspflichtiges Eigentum an Höfen war die Regel. Frondienste an dritte Berechtigte kamen nicht vor; die Kontribution war eine reine Grundsteuer. Überall waren die Höfe teilbar. Trotzdem wurden die Höfe nur in wenigen Gebieten im Erbgange geteilt kraft lokalen Erbrechts und aus landwirtschaftstechnischen Gründen. Die Angehörigen der ersten Bauernklasse hießen hier Hausleute oder Erbexen. Die Ackerhufen waren viel größer als in den übrigen Teilen Niedersachsens. Sie lagen bald, wie im Binnenlande auf einer Flur in Gemenglage, bald in langen Streifen und ziemlich arrondiert vor uud hinter dem Hofe. In der Marsch hat es nie Hörige, nie jagd- und gutspflichtige Meier gegeben. Wohl gab und und gibt es in den Marschgegenden an Weser und Elbe adelige Gutsbesitzer, aber diese sind teils erst nach dem Kreuzzuge des Erzbischofs Gerhard II. vou Bremen gegen die Stedinger (1233) eingewandert, teils stammen sie von Rittern ab, denen der Erzbischof Gieselbert die Höfe besiegter und erschlagener
27. Ostfriesland kommt an Preußen. 1744.
121
Bauern geschenkt hat (1300). Der ärmste Tagelöhner wie der
reichste Bauer war hier gleich frei und unabhängig und brauchte sich, wenn er nur dem Staate seine Steuern entrichtete, um keinen Menschen weiter zu kümmern. Fast überall galt noch das alte im „Rustringer Asega-Bnch" enthaltene Landrecht, und trotz vieler Stürme und Veränderungen gilt noch vieles davon bis auf den heutigen Tag. Ein echter Marschbauer ist ebenso stolz auf seinen Stammbaum wie ein Edelmann, dessen Ahnen aus den Mauern von Jerusalem gekämpft haben. Einzelne von ihnen führen in ihrem Wappen einen halben Reichsadler und leiten das Recht dazu von Friedrich Barbarossa her, der es ihren Vorfahren dafür verliehen haben soll, daß sie ihm bei seinen Römerzügen getreue Lehnsfolge geleistet hätten.
4. Die Dorfgemeinde. An dem Gemeindegebiet — oder der Gemarkung — waren nur die Reiheleute vollberechtigt und vollverpflichtet. Es gab also in jedem Dorfe zwei Gruppen von Bewohnern: Berechtigte und Nichtberechtigte. Die Organe der Gemeinde waren die Gemeindeversammlung und die Gemeindebeamten-An der Spitze stand der Bauermeister. Das Amt des Bauermeisters ging alljährlich im Reihedienst um. Nach dem Bauermeister waren die Feuer-, Feld- und Holzgeschworenen die wichtigsten Gemeindebeamten. Die in der Gemeindeversammlung beschlossenen Anordnungen und Vorschriften für die Gemeinde hießen Banern-willküren, die aufgezeichnet und als bäuerliche Weistümer auch vom Amte anerkannt wurden. Die Steuererhebung hatte der Staat der Gemeinde ganz anvertraut. Zur Unterhaltung der Pferde der in den Dörfern einquartierten Kavallerie mußten die Gemeinden das Heu in natura liefern. Sie hatten zu diesem Zwecke Gemeindewiesen, die sog. Reuteränger. Trotz der Verschiedenheit im Besitz waren die großen und größten Bauern und die kleinen Stellenbesitzer und Häusliuge wirtschaftlich aufeinander angewiesen. Der Großbauer hatte zur Zeit der Ernte die Arbeitskraft des Brinksitzers, des Artbauers und des Häuslings noch mehr nötig als die letzteren bei der Bestellung ihres eigenen oder gepachteten Ackers der Spannhilfe des größeren Besitzers bedurften. Daher suchte der Großbauer den kleinen, nicht berechtigten Dorfbewohner zu stützen, ließ ihn auch die Gemeinheit mit benutzen. So rückten sich die sozial und wirtschaftlich so weit von einander entfernten Klassen näher.
27. Hstfriesland kommt an Kreutzen. 1744.
1. Die Bürgerkriege in Ostfriesland. Unter den schwachen Nachfolgern Edzards des Großen wurde Oftsriesland nicht nur durch die Streitigkeiten zwischen Reformierten und Lutheranern, sondern auch durch die Auflehnung der Stände gegen das Herrscher-
122 27. Ostfriesland kommt an Preußen. 1744.
Haus arg zerrüttet. Emden, mächtig durch die Verbindung mit Holland, stand an der Spitze der Gegner. Wenn auch diese Streitigkeiten durch den Vertrag zu Osterhusen vorlänfig beigelegt wurden, so litt doch das Land unter den Verheerungen des Dreißigjährigen Krieges unsäglich. Danach aber begann der alte Hader mit den Ständen und dem trotzigen Emden von neuem, und Fürst Georg Albrecht hatte mit seinem Kanzler Brenneisen, unterstützt durch kaiserliche Dekrete und Truppen, seit 1720 einen Kampf gegen die Landstände und die Stadt Emden aufgenommen, der sich wiederholt in blutigen Zusammenstößen entlud. Sem Sohn und Nachfolger hatte gar nicht gewagt, sich huldigen zu lassen. In Emden und aus Greetsiel lagen Preußen, in Emden uud aus Leerort Holländer, im Reiderland Dänen, in Leer und Norden die kaiserliche „Salvegarde" und in Aurich, Berum, Friedeburg und Stickhauseu die Miliz des Fürsten. So zerrütteten Bürgerkriege, Anarchie und Mißverwaltung das Land.
2. Tie Besitzergreifung durch Preußen. Mit dem Tode des jugendlichen Fürsten Karl Edzard war am 25. Mai 1744 in Ostfriesland der Mannesstamm des Hauses Cirksena nach etwa dreihundertjährigem Bestände erloschen und damit ein Besitztum erledigt, auf das unter verschiedenen Bewerbern nur einer ein klares und anerkanntes Recht hatte. Dies war nicht der König von England als Kurfürst von Hannover, der 1691 mit Ostfriesland einen Erbvertrag geschlossen hatte, sondern der König von Preußeu als Kurfürst vou Brandenburg. Dem Kurfürsten Friedrich III. war in Erfüllung eines schon seinem Vater 1675 durch feierlichen Reichsbeschluß erteilten Entschädigungsversprechens im Jahre 1694 durch Kaiser Leopold die Anwartschaft auf Ostfriesland verliehen worden. Diese Verleihung hatten die Kaiser Joseph und Karl VI. 1707 uud 1715 feierlich bestätigt und zwar unter Zustimmung der Kurfürsten, die zur Zeit der Verleihung im Kurfürstenkollegium Sitz uud Stimme hatten. Der Klarheit dieses Rechtes entsprach die Raschheit, mit der der Besitz ergriffen ward. In den Stunden, da sich die Kunde von dem Ableben des Fürsten verbreitete, erschienen, wie von Geisterhänden hervorgezaubert, die preußischen Adler uud Patente au den Wachthäusern, Toren und Postämtern erst der Stadt Emden, dann des ganzen Landes. Als Friedrich der Große 1751 zum ersten Male Ostsriesland besuchte, ward er mit großem Jubel aufgenommen. Große Hoffnungen erfüllten ihn, als er bei dieser Gelegenheit den Hafen vou Emdeu zum Freihafeu erklärte. Leider zerschlug der Siebenjährige Krieg seine Hoffnungen. Aber was Friedrich damals gehofft, was schon der Große Kurfürst gedacht, das ist unter ihren Ilrenkeln in Erfüllung gegangen uud wird sich uoch immer mehr verwirklichen.
28. Hannover während des Siebenjährigen Krieges.
123
28. Kamiover während des Siebenjährigen Krieges.
1. Die Schlacht bei Hastenbeck. 1757. Frankreich sandte nach Eröffnung des Krieges ein Heer von mehr als 100000 Mann über den Rhein und bedrohte Ostfriesland und Hannover. Nun wurde in Hannover aus hannoverschen, braunschweigischen, gothaischen und Lückeburgischen Regimentern eine Observationsarmee von etwa 50 000 Mann gebildet, deren Führung dem Herzoge von Cnm-Lerland, dem Sohne König Georgs II., übertragen wurde. Cum-berlaud zog die längs der Weser zerstreuten Truppen zusammen, nahm Stellung an den Hängen des Teutoburger Waldes, zog sich aber bald auf das rechte Weserufer zurück, gab damit Hessen und Ostfriesland dem Feinde Preis, gefährdete seine Flanken und veranlaßte die Franzosen, ihn im Zentrum anzugreifen. Gestützt auf die Festung Hameln, nahm Cumberland bei dem Dorfe Hastenbeck seine Verteidigungsstellung, die auf dem rechten Flügel durch einen morastigen Anger, auf dem linken durch die bewaldete Obeusburg und im Zentrum durch eine starke Batterie von schweren Geschützen gedeckt war. Die Franzosen, die ungestört die Weser überschritten hatten, griffen am 26. Juli an, bemächtigten sich nach tapferer Gegenwehr der Obensburger Höhe, nahmen mich Hastenbeck und die beim Dorfe stehende Batterie. Während aber der Herzog voreilig den Rückzug befahl, entriß der tapfere Oberst von Vreidenbach die Obeusburg dem Feinde wieder und trieb ihn in völliger Auflösung die Höhe hinab; zugleich eroberte der Erbprinz Wilhelm Ferdinand von Braunschweig die verlassene Batterie im Zentrum wieder zurück. Die Schlacht war gewonnen, die Franzosen in vollem Rückzüge, den sie erst hemmten, als gemeldet wurde, daß der Sieger selbst die Schlacht für verloren halte. So blieben sie, behaupteten das Schlachtfeld und erhielten den Sieg geschenkt, während des Herzogs Truppen nur unwillig den Rückzug fortsetzten. Kein Feldzeichen, kein Geschütz hatten sie verloren; Vreidenbach hatte sogar 300 Gefangene gemacht uud etue Anzahl Geschütze erobert.
2. Die Konvention von Zeven. Cumberland zog sich mit seinem noch immer kampflustigen Heere über die Aller ius Stadische zurück, ohne auch uur einen Versuch zu machen, den nachfolgenden Feind aufzuhalten. So sah sich das Land bis an die untere Elbe der Gnade des Feindes preisgegeben. Von der Zaghaftigkeit des Herzogs angesteckt, dachte niemand an Widerstand. Die Festungen, darunter das wichtige Hameln, -ergaben sich; die Städte, selbst Hau-nover, beeilten sich, den Franzosen ihre Schlüssel zu überreichen. Am 3. September siel auch Harburg. Dadurch wurde die Lage de» Buudesheeres, das bei Bremervörde fast umzingelt war, unhaltbar; es hatte nur die Wahl zwischen Untergang oder schimpflicher
124___________28. Hannover während des Siebenjährigen Krieges.
Kapitulation. Da kam es im Kloster Zeven zu einer Übereinkunft, der Konvention von Zeven. Alle nichthannoverschen Truppen sollten in ihre Heimat entlassen werden; den Hannoveranern wurde Stade und Ilmgegend, sowie das Herzogtum Lauenburg eingeräumt^ die Franzosen dagegen sollten alle von ihnen eroberten und besetzten Landstriche, auch die Herzogtümer Bremen und Verden, behalten. Somit ward das ganze Kurlaud nebst dem Herzogtum Vrauuschweig der Willkür des Feindes ausgeliefert. Die Konvention rief allgemeinen Unwillen hervor. Georg II. wollte sie nicht bestätigen, nannte sie ein mißfälliges und unglückliches Ereignis, rief feinen Sohn vom Oberbefehl zurück und empfing ihn mit den Worten: „Das ist mein Sohn, der mich zugrunde gerichtet und sich entehrt hat".
3. Die erste Frulzoseiiherrschaft in unserem Lande. Der Tag
von Hastenbeck und die Konvention von Zeven hatten für die nächste Zeit das Schicksal Hannovers und Braunschweigs entschieden. Der Herzog vou Richelieu, der inzwischen den Oberbefehl über die französischen Truppen erhalten hatte, legte es darauf an, alle Hilfsmittel auszubeuten. Das prächtige Lusthaus, das er später in PariK sich aus hannoverschem Gelde erbaute, naimten die Pariser bezeichnend „Pavillon de Hanovre“. Bou Bremen bis Münden, von der Elbe bis an den Harz lag das Land voller Franzosen. Alle öffentlichen Kassen waren mit Beschlag belegt; Kontributionen und unerschwingliche Lieferungen wurden ausgeschrieben. Dörfer und kleine Städte wurden verheert, Brandschatzungen rücksichtslos beigetrieben, wohlhabende und angesehene Personen ohne Grund verhaftet und oft ^ gröblich mißhandelt. Richelieu selbst lebte wie ein türkischer Pascha. Bälle, Maskeraden, Opern, Konzerte, Pantomimen folgten in seinem Hauptquartier einander in ununterbrochener Reihe. Am schlimmsten hat in diesem Kriege das Fürstentum Göttin gen gelitten; es hat auch nach der Befreiung des Landes durch Ferdinand von Braunschweig fast ununterbrochen französische Besatzung gehabt, die von Hessen her einfiel. Des Fürstentums Wohlstand wurde gänzlich vernichtet. Die Sommerfrüchte dienten den Feinden als Pferdefutter oder blieben unabgeerntet stehen, da sie in der Scheuer doch nicht des Landmanns Eigentum waren. Der Krieg hatte das Fürstentum mit einer Staatsschuld von fast l1^ Millionen Talern belastet. Um sie zn tilgen, wurde eine allgemeine Besteuerung, das Kopfgeld, eingeführt und auch auf das Kaleubergifche ausgedehnt. Da das Kopfgeld zwischen Reich und Arm keinen Unterschied machte, so drückte es mit besonderer Härte die niederen Klassen des Volkes; trotzdem bestand es bis 1793 fort; dann wurde es durch eine klassifizierte Personalsteuer ersetzt.
4. Die Befreiung durch Ferdinand von Braunschweig. Um
sein Land von dem Drucke der Fremdherrschaft zu befreien, schloß
28. Hannover während des Siebenjährigen Krieges.
125
sich Georg II. gänzlich an Preußen an und beschloß, die Konvention von Zeven zu verwerfen. Als Grund diente der Umstand, daß französische Soldaten den Waffenstillstand gebrochen, indem sie das Schloß Scharzfeld am Südharz erstiegen, ausgeplündert und die ans Invaliden bestehende Besatzung gefaugen genommen hatten. Georg II. brach die Verhandlungen mit den Franzosen ab und bat Friedrich d. Gr., den Herzog Ferdinand von Braunschweig, einen der tüchtigsten Offiziere Preußens, zum Oberbefehlshaber der hannoverschen Armee zu ernennen. Schon am 23. November übernahm Ferdinand zu Stade das Kommando und benachrichtigte Richelieu, daß er die Operationen gegen ihn beginnen werde. Er nahm Harburg, Buxtehude und zog über Ebstorf gegen Celle, wo Richelieu sein Heer hinter der Aller aufgestellt hatte. Da aber der Winter eintrat, so bezog Ferdinand Winterquartiere längs der Ilmenau, zwischen Ebstorf und Bodenteich, mit dem Zentrum in Ülzen. Der harte Winter tat dem französischen Heere großen Schaden; es starben während des Monats Januar 10 000 Mann; wenig mehr als die Hälfte blieb diensttauglich. Ferdinand dagegen sorgte unablässig für tüchtige Ausbildung, gute Ausrüstung und Verpflegung, sodaß feilte Truppen mit frischen Kräften und gutem Mute gegen den Feind ausrückten, der sich schleunig hinter die Weser zurückzog, auch Bremen räumte. In zwei Monaten waren alle befestigten Plätze, auch Hannover und Minden, von den Franzosen geräumt, und das Land atmete erleichtert auf. Die ordnungsmäßigen Behörden traten wieder in Tätigkeit; mit Jubel begrüßte man die erbeuteten Standarten und Fahnen des Feindes, die Herzog Ferdinand als Zeichen der Befreiung nach Hannover sandte. Auch in den folgenden Jahren hat Ferdinand von Braunschweig das westliche Deutschland, besonders Hannoverland und Braunschweig, vom Feinde freigehalten und es dadurch Friedrich d. Gr. ermöglicht, seinen gewaltigen Kampf gegen halb Europa glücklich zu Ende zu führen. Bei Krefeld und vor allem am 1. August 1759 bei Minden zeigte er, was er mit feiner verbündeten Armee zu leisten vermochte. Zwar drangen von Hessen aus mehrere Male französische Heere in das südliche Hannover ein, besetzten wiederholt Münden, Göttingen und Northeim, durchstreiften den Harz und den Solling; aber Ferdinand drängte sie bis gegen den Main zurück. Selbst die größere Unternehmung des Jahres 1761, die eine abermalige Besetzung Hannovers und Bramtschweigs bezweckte, vereitelte Ferdinand durch geschickte Züge. Von allen Städten des Landes blieben nur Göttin gen und Münden in der Gewalt der Franzosen, bis auch sie im August 1762 von ihnen geräumt wurden.
5. Ter Friede von Paris. 1763. England und Frankreich neigten zum Frieden, dessen Präliminarien 1762, zwei Jahre nach dem Tode Georgs II., eröffnet wurden. Er kam am 10. Februar 1763
126
29. Hannover nach dem Siebenjährigen Kriege.
zu Paris zum Abschluß und bestimmte iubezug auf bie deutschen Angelegenheiten, daß die deutschen Gebiete „mit aller Beschleunigung, welche die Umstände gestatten", von Truppen geräumt werden sollten; aber die englische Regierung setzte es nicht durch, daß Hannover, Hessen und Braunschweig in dem Zustaube zurückgegeben wurden, der vor der ersten Eroberuug geherrscht hatte. Die hannoverschen Truppeu zogen auf Hameln zurück, die englischen schifften sich von Holland aus nach England ein. Ferdinand vou Brauuschweig legte den Oberbefehl nieder und verließ das Heer. — Hannover war bei den Friedensverhandlungen sehr schlecht weggekommen. Sechs Jahre laug hatte es nur um Englands willen die unerhörtesten Drangsale erduldet; mit dem Aufgebot aller Kräfte hatte es während sechs wechselvoller Feldzüge die gewaltigsten französischen Heere von den Grenzen Preußens ferngehalten. Während Großbritannien, das in der Lage war, dem besiegten Gegner die Bedingungen vorzuschreiben, beim Friedensschluß große Gebiete in Amerika gewann, während Friedrich der Große die Eroberungen des ersten Schlesischen Krieges behauptete, erhielt Hannover nicht den geringsten Gebietszuwachs. Es wurden nicht einmal die beträchtlichen Geldforderungen der hannoverschen Kassen nnb Untertanen von Englanb berichtigt. Hannover war am Enbe bes Krieges finanziell erschöpft, bas Land teilweise verwüstet uud der Grundbesitz entwertet. Von 700 000 Einwohnern vor dem Kriege waren 600 000 übrig geblieben. Und das alles für England!
29. Hannover nach dem Siebenjährigen Kriege.
1. Die Königliche Landwirtschnftsgesellschast zu Celle. Georg III. nahm den lebhaftesten Anteil an der Entwickelung der Landwirtschaft in seinen deutschen Erblanden. Er versuchte, die hannoversche Landwirtschaft auf die Höhe der englischen zu heben. Zu diesem Zwecke wurde auf seine Anregung nach englischem Muster beim Schlüsse des Siebenjährigen Krieges 1764 die Landwirtschaftsgesellschaft in Celle gegründet. Sie sollte sich „ein freiwilliges Geschäft daraus macheu, den Flor der Landwirtschaft und was damit verbunden ist, zu befördern." Der König begünstigte die Gesellschaft auf alle Weise und trat als Protektor an ihre Spitze. Die Absicht der Gesellschaft ging auf die Verbesserung der Landwirtschaft, der Manufakturen, der Künste uud des Handels. Die Glieder der Gesellschaft wollten selber Versuche machen, oder andere dazn ermuntern, wollten durch regelmäßige Preisaufgaben anregen, wollten nicht nur theoretische Erörterungen geben, sondern praktische Vorschläge machen. Die Gesellschaft gliederte sich in land- und forstwirtschaftliche Pro-
29. Hannover nach dem Siebenjährigen Kriege. 121
vinzial-Vereine, die in den einzelnen Fürstentümern des Kurstaats ihren Sitz hatten. Sie richtete ihr Angenmerk namentlich ans die Vervollkommnung der Agrargesetzgebung. Ihre erste Aufgabe erblickte sie darin, die Teilung der Gemeinheiten, und die Beseitigung der Froudienste zu veranlassen und die Hemmnisse, die dem Anbau der Futtergewächse in den bestehenden Zehnt- und Weideberechtigungen entgegenstanden, zu beseitigen. Dann wirkte sie aus die Verkoppelungen der Feldmarken hin und auf die Aufhebung der Grundherrschaft. Noch heute ist die Gesellschaft im ganzen wie in ihren einzelnen Zweigvereinen für Hebung und Förderung der Landwirtschaft tätig.
2. Albrecht Daniel Thaer. Unter den Männern, die an der Spitze der Gesellschaft gestanden haben, ist besonders Albrecht Daniel Thaer hervorzuheben, der große Lehrer der hannoverschen und deutschen Landwirte. Er ist 1752 zu Celle als Sohn eines Arztes geboren, studierte in Göttingen Medizin und Philosophie, ließ sich in Celle als Arzt nieder und wandte sich neben seiner ärztlichen Praxis mit regem Interesse erst der Gärtnerei, dann der Landwirtschaft zu, indem er soviel Grund und Boden erwarb, daß er eine kleine,, aber vollständige Ackerwirtschast führen konnte. „Also ward ich Landwirt in den Stunden meiner Muße und ruhete hinter dem Pfluge aus von meinen Arbeiten." Er trat alsbald als Mitglied in die Landwirtschaftsgesellschaft und gab und erhielt dort soviel Anregung, daß er nach kurzer Zeit bereits in den engeren Ausschuß aufgenommen wurde. Von der Gesellschaft angeregt, verfaßte er seine erste landwirtschaftliche Schrift: „Unterricht über den Kleebau und die Stallfütterung in Fragen und Antworten für den Lüneburgischen Landmann", sodann seine „Einleitung der Kenntnis der englischen Landwirtschaft." Im Aufträge der Gesellschaft gab er die „Annalen der Medersächsischen Landwirtschaft" heraus. In allen Zweigen der Landwirtschaft gab Thaer erprobte Anregungen; er legte auch selbst eine Baumschule an. Bei der zweiten Besetzung Hannovers durch die Franzosen sah sich Thaer veranlaßt, seine Vaterstadt zu verlassen, um auf einem größeren Arbeitsfelde in Preußen feine Tätigkeit zu entfalten und zum Lehrer der deutschen Landwirtschaft zu werden. Er ward Direktor der landwirtschaftlichen Lehr- und Versuchsanstalt zu Mögelin. Mit der Landwirtschaftsgesellschaft zu Celle blieb er jedoch in dauernder Verbindung. Sie hat sein Andenken durch ein einfaches, mit feinem Bilde geziertes Denkmal geehrt, das in den Parkanlagen des Französischen Schloßgartens zu Celle errichtet ist und die Inschrift trägt: Vater Albrecht: Thaer.
3. Die Abstellung der Frondienste. 1775. Der Freiherr und Geheimrat Gerlach Adolf von Münchhausen hatte klar erkannt, daß unter allen bäuerlichen Lasten der Frondienst tue drückendste sei. Sein Strebeu ging daher auf Abstellung dieser Dienste. Er setzte zunächst eine Kommission ein zur Untersuchung des Dienstwesens im Amte Kalenberg. Diese stellte den Dienst von sieben Dörsern, die bei der Amtspachtung Pattensen dienstpflichtig waren, ab und vereinbarte mit dem Pächter, daß er die Pachtung mit Tagelöhnern und mit eigenem Gespann führen solle. Der Versuch gelang. Nach Münchhausens Tode wurde das von ihm angefangene Werk durch den König selbst fortgesetzt. Von nun an wurde bei allen frei werdenden Amtspachtungen das Dienstwesen zunächst untersucht unb>
128
29. Hannover nach dem Siebenjährigen Kriege.
dann abgestellt. Für die durch Wegfall der Dienste entstehenden Verluste, z. B. Rückgang der Pachtpreise, mußten die Untertanen durch Zahlung eiues erhöhten Dieustgeldes Ersatz leisten. Seit dem 1. Mai 1775 sind die Abstellungen fortlaufend betrieben. Am Ende des 18. Jahrhunderts war die Dieustabstellung bis ans kleine Überbleibsel vollendet. An die Stelle der Hand- und Spanndienste traten nun auf deu Ämtern eigene Spannhaltung, Gesinde, freie Tagelöhner und gebundene Gutstagelöhner. Die allzugroßen Amtspachtungen mußten verkleinert werden. Kleinköter, Brinksitzer und Altbauer* fanden als freie Tagelöhner ihren Verdienst auf den Amts* läitdereien. Den Pflichtigen brachte die Dieustabstellung bedeutende Vorteile, und die Vanerhöfe sind seit jener Zeit immer mehr im Werte gestiegen. Wie auf deu Domänen, so wurden auch auf den Rittergütern die Dienste nach und nach abgestellt.
4. Anfang der Gemeinheitsteilung. Es war ein Lieblingsgedanke Georgs III., die unabsehbaren Heideflachen des Fürstentums Lüneburg anzubauen. Kein Mittel schien ihm hierzu geeigneter als die Ansetzung neuer Anbauer und die Teilung der Gemeinheiten. Schwierigkeiten aller Art stellten sich diesem Unternehmen in den Weg; Verordnungen, gütliche Zurede und Vereinbarung führten nicht zum Ziele; es fehlte die gesetzliche Grundlage. Diese wurde im Jahre 1802 mit der Lüneburgischen Gern ein heits-Teilnngs-Ordnnng gegeben. Dieses Gesetz war das erste seiner Art in Deutschland und wurde das Muster für alle späteren Teilungsgesetze. Auf Grund dieses Gesetzes machten die Gemeinheitsteilung und die Verkoppelung im Lüneburgischen bedeutende Fortschritte. Als die Landwirte in den übrigen Fürstentümern die Vorteile erkannten, mehrten sich die Anträge auf Teilung, und es wurden nun auch für diese Gebiete ähnliche Gesetze erlassen.1) Um den Lau dienten das für Teilung und Verkoppelung nötige Geld zu verschaffen, wurde 1790 die Landeskreditanstalt gegründet.
5. Landeskulturen. Im Bremischen hatte man seit 1750 begonnen, die weiten Moorgebiete auszutrocknen. Nach zwanzig Jahren schon waren durch die Moorkulturen 40000 Morgen Land gewonnen uud 36 Dörfer angelegt. Das war ein glücklicher Anfang, dem ein guter Fortgang nicht gefehlt hat. Jahr um Jahr ftnb dem Moore nene Äcker abgerungen. In den Forsten pflanzte man seit dieser Zeit mehr Föhren, Fichten und Ulmen an. Um das Brennholz aus den großen Forsten des Harzes und Sollings besser zu ver-
J) 1824 für Kalenberg, Hildesheim und Hoya, 1825 für Bremen-Verden, 1832 für Osnabrück, 1835 für Arenberg-Meppen, 1838 für Singen unb Bentheim. Die letzteren, deren Vorbild die „Osnabrücksche Martenteilungs-Ordnung" ist, weichen von der Lüneburger Ordnung in betn Maße ab, als die Verhältnisse anbere sinb. Für Ostfrieslanb ist eine befonbere Gemeinheits-teilungs-Orbnung nicht erlassen, weil bort nach bem Preußischen Lanbrecht verfahren werben konnte, sowie nach bem Urbarmachungsebikte Friebrichs II. von Preußen vom Jahre 1765.
29. Hannover nach dem Siebenjährigen Kriege.
129
werten, legte man auf der Leine besondere Flöß an st alten an, durch die das Holz nach Hannover befördert wurde. Landeskornmagazine sorgten für die Unterstützung der Landleute in Zeiten der Teuerung und des Mißwachses. — Zur Förderung des Flachsbaues und der Leinenindustrie wurden
1774 die Liitnenkggert eingerichtet. — In den einzelnen Landschaften entstanden Brandkassen, die jetzt noch unter dem Namen „Vereinigte landschaftliche Brandkasse" zu Hannover als eine gemeinsame Versicherungsanstalt für die Provinz Hannover fortbesteht.
6. Hannoveraner in Gibraltar. 1775—1784. Als im Jahre
1775 der Unabhängigkeitskampf der nordamerikanischen Kolonien gegen ihr englisches Mutterland begann, kam es König Georg III. darauf an, möglichst zahlreiche Truppen nach Amerika entsenden zu können. Er nahm daher fünf seiner kurhannoverschen Bataillone in Sold, bestimmte sie für Gibraltar und ließ ebenso viele englische Regimenter von dort nach Amerika einschiffen. Die für Gibraltar bestimmten hannoverschen Truppen waren den Regimentern v. Reden, v. Hardenberg und La Motte entnommen. Die Spanier, unterstützt von Frankreich, setzten alles daran, Gibraltar zu gewinnen und die Engländer für immer von ihrer Halbinsel zu vertreiben. Da man der Festung von der Landseite nicht beikommen konnte, so sollte ein Angriff von der See erfolgen. Zu diesem Zwecke wurde eine ganze Anzahl von Schiffen abgetakelt und zu schwimmenden Batterien mit eisernen Schutzdächern eingerichtet,- sie galten als unzerstörbar. Außerdem boten die Spanier 330 Fahrzeuge auf und bereiteten einen gleichzeitigen Angriff von der Landseite vor. 32000 Mann, 200 Geschütze auf dem Lande, 212 auf den schwimmenden Batterien, dazu 500 Schiffe standen jetzt gegen Gibraltar. Gibraltar galt in ganz Europa für verloren. Aber die Verteidiger-verzagten nicht. Ihre Losung war: siegen oder mit Ehren untergehen. Am 18. September 1782 sollte die Festung fallen. Zehn schwimmende Batterien kamen heran, gingen dicht vor der Festung vor Anker, und alsbald richteten sowohl von der See- als auch von der Landseite her 330 Geschütze schwersten Kalibers ein überaus heftiges Feuer gegen die Festung. Die Belagerer antworteten mit nur 92 Geschützen. Doch die gewöhnlichen Kugeln und Bomben erwiesen sich als unzulänglich. Da wandte General Elliot ausschließlich glühende Kugeln an. Nach mehrstündigem, in seiner Eigenart einzigem Geschützkampfe stieg aus alleu schwimmenden Batterien Rauch auf, und in der Nacht standen ihrer sieben in Flammen. Die brennenden Batterien verbreiteten Tageshelle. Am anderen Tage flogen sieben schwimmende Batterien in die Luft, die anderen brannten bis auf den Wasserspiegel ab. 2000 Menschen kamen dabei um. Das ganze riesenhafte Unternehmen der Angreifer war fehlgeschlagen. Zwar setzten die Spanier die Belagerung noch monatelang fort, doch ohne Erfolg, bis endlich im Februar 1783 die Friedensnachrichten eintrafen. Die Hannoveraner kehrten zurück und landeten am
Tecklenburg u. Dageförde, Geschichte der Provinz Hannover. 9
130 Die Teilnahme Hannovers am ersten Koalitionskriege.
28. September 1784 bei Geesteudorf an der Wesermündung. In ihren Garnisonen Ber den, Nienburg und Hameln wurden sie ehrenvoll empfangen und erhielten als besondere Auszeichnung den Ehrennamen „Gibraltar-Bataillone." Als äußeres Zeichen trugen sie an der Bärenmütze ein Blechschild und auf dem rechten Ärmel ein blaues Band mit der Inschrift „Gibraltar."^
7. Die Teilung des Ober-Harzes. 1788. Durch den Erbvertrag von 1635 war die Verwaltung des Harzes in dem ungeteilten Besitze des Gesamthauses Braunschweig-Lüneburg geblieben. In der Folge stellten sich bei dieser gemeinsamen Verwaltung doch manche ubelstände und Unzuträglichkeiten heraus, die zu allerhand Streitigkeiten zwischen Braunschweig und Hannover führten. Daher teilten im Jahre 1788 beide Länder den Oberharz in der Weise, daß Hannover vier, Braunschweig drei Siebentel erhielt. An Hannover sielen die Städte Zellerfeld, Grund, Wildemann und Lautental mit dem dort betriebenen Bergbau; Braunschweig bekam meist herrlichen und wertvollen Waldbestand. Nur der Unterharz, d. i. das ganze Bergregal im Rammelsberge, die Silber- und Eisenhütten, sowie die Saline Juliushall blieben vorläufig noch unter der Bezeichnung Kommunion harz im Gesamtbesitz und der gemeinsamen Verwaltung beider Länder.
vii. Die Zeit der Trewdbemcbafi und der freibeitskriege.
30. Die Teilnahme Kannovers am ersten Koatitionskriege.
1. Das hannoversche Hülfskorps. Als im Februar 1793 die erste Koalition der französischen Republik den Krieg erklärte, ließ die hannoversche Regierung trotz bestehender Verpflichtung ihr Reichskontingent nicht mit der Reichsarmee marschieren, sondern sandte es Ende März mit dem von England angeworbenen hannoverschen Hülfskorps, 12—13000 Mann, nach Holland und zahlte dafür an
*) Infolge kaiserlichen Erlasses führen die jetzigen hannoverschen Jnsanterie-^egimcnter Nr. 73 (Hannover), Nr. 79 (Hildesheim) und das hannoversche Jägerbataillon Nr. 10 (früher Goslar, jetzt Bitsch) die Tradition der ehemaligen Gibraltar-Bataillone fort. Demgemäß tragen auch sie an Helm und Ärmel i>ie Inschrift „Gibraltar."
30. Die Teilnahme Hannovers am ersten Koalilionskriege. 131
die Reichsoperationskasse die Summe von 77 000 Gulden. Das Volk wünschte jedoch, daß Hannover als selbständiger Reichsstand am Kriege teilnehme; daher ries dies Vorgehen der Regierung im Laude große Entrüstung hervor, und bei der Mobilisierung der Truppen mußte man zu deu gewaltsamsten Maßregeln schreiten. 4000 junge Leute sollen damals über die Grenze entwichen sein. In Holland bildeten die Hannoveraner mit einem englischen Korps und den im britischen Solde stehenden Hessen die „englisch-kombinierte Armee." Die Verpflegung der Truppen war schlecht; die Hannoveraner mußten sich sogar mit einem geringeren Solde begnügen als die Engländer. Trotzdem fochten die Hannoveraner tapfer in den verschiedensten Gefechten, namentlich zeichnete sich die Leibgarde bei Famars durch einen glänzenden Reiterangriff aus. Namenlose Leiden und Entbehrungen hatten die Truppen während des Winters 1793/94 in Flandern zu ertragen. Tausende von Kranken füllten die Hospitäler. Kein Wunder daher, wenn nach einigen leichten Gefechten die eng-lisch-kombinierte Armee den Rückzug antrat, um hinter der Ems uud im Münsterschen Stellung zu nehmen — aber in welchem Zustande! Von den 12 000 Hannoveranern befanden sich nur noch 4600 bei deu Fahnen, 2400 lagen in den Hospitälern, 5000 schmachteten in französischer Gefangenschaft. Da wuchs die Furcht im Lande vor dem heranziehenden Feinde. Mit Gewaltmaßregeln mußten aufs neue Mannschaften ausgehoben werden. Je 14 Feuerstellen sollten einen Mann liefern. Die Landschaft des Herzogtums Bremen erbot sich, 2 Provinzial-Regimenter zu 5 Kompagnien ä 150 Mann zu errichten, um die Mündungen der Weser und Elbe gegen kleine feindliche Unternehmungen zu sichern. Ant schlimmsten aber wurde es, als man für den Felbzug bes Jahres 1794 nicht nur bie großen Lücken wieber ausfüllen mußte, fonbern auch noch eine Verstärkung von 5000 Mann ausbringen sollte. Da griff man zu dem entsetzlichen Mittel, von den Karrengefangenen alle diejenigen loszulassen, die sich freiwillig zum Dienste meldeten. Es bildeten sich nun förmlich Spitzbubeubanden, die lange eine Plage der Regimenter und des Landes blieben.
2. Die Selbstbefreiung der hannoverschen Garnison in Menin. 1794. Die glänzendste Waffentat in diesem Feldzuge war der Ausfall von Menin in Belgien. Der Befehlshaber dieses Platzes war der hannoversche Generalmajor von Hammer st ein, sein Adjutant der Hauptmann Scharnhorst. Mit 2100 Mann, worunter etwa 1700 Hannoveraner unb 400 ausgewanberte Franzosen waren, sollte Hammerslein bie Stabt Menin halten, so lange er könnte. Am 26. April 1794 stand ein französisches Heer von 21 OOO Mann vor ber Stabt. Der Feinb beschoß bie Stabt; in allen Gassen burchkreuzteu sich bie Kugeln; aus ben Häusern schlug bie Lohe empor; aber alle Stürme würben tapfer zurückgeschlagen.
132 30. Die Teilnahme Hannovers am ersten Koalitionskriege.
Abermals liefe ber französische Felbherr „sein Heer gegen bie Stabt vorrücken unb forberte Hammerstein zur Übergabe auf. „Ich kenne meine Pflicht unb werbe mich nicht ergeben!" war bie Antwort bes mutigen Greises. Dazu bebachte er, baß es seiner französischen Schar übel ergehen würbe, wenn sie in bie Hänbe ihrer Lanbsleute fiele. Der Feiitb verboppelte seine Angriffe; immer mehr Häuser gerieten in Branb. Das Pulver war verschossen; bie letzten Lebensmittel lagen unter bem Schutt ber eingeäscherten Häuser begraben, unb bie Solbaten waren burch beit unausgesetzten Dienst bei Tag unb Nacht bis auf ben, Tob erschöpft. Auf bie Vorstellung etlicher Offiziere, bie zur Übergabe rieten, erwiberte Hammerstein: „Wir stehen hier für bie Ehre Hannovers." Halten konnte er sich jeboch nicht länger in ber Stabt; so beschloß er, bas ungeheure Wagestück auszuführen, an bas er schon vorher gebacht hatte: sich burchzu-schlagen. Scharnhorst entwarf ben Plan bazu. In ber Nacht
vom 29. auf beit 30. April versammelte Hammerstein bie Offiziere in einem Gebäube, bas burch bie Feuersbrunft erhellt unb von Kugeln burchlöchert war. Dort erteilte er ihnen ben Befehl zum Durchschlagen, unb bie tobmüben Männer burdjbrmtg frischer Mut. Die Compagnien orbneten sich, unb als ber General zu ihnen trat unb auch ihnen sagte, baß er sich burchschlagen wolle, jubelten bie Krieger laut auf. Beim Austritt aus bem Tore würben sie von einem lebhaften Feuer empfangen. Da rief Hammerstein feilten Grenabieren zu: „Wenn Ihr mit bem Bajonett einbringt, so ist ber Sieg unser." Balb entstaub ein furchtbares Hanbgemenge, Mann gegen Mamt. Wo bie Offiziere gefallen waren, folgten bie Soldaten willig bem Befehle eines vortretenben Unteroffiziers. So brachen sie sich Bahn. Die ausgewanberteu Franzosen, bie Wohl wußten, baß ber General um ihres Lebens willen bas eigene nicht geschont hatte, waren bis zu Tränen bewegt. Die kleine Schar wanbte sich zunächst nach ber Stabt Brügge. Diese verschloß ben Ermatteten bie Tore. Da sagte Hammerstein zu ben Abgesanbten des Rats: „Ich bitte nicht um Quartier, ich nehme es, unb wehe bent, ber sich wibersetzt." Nun ließ man ihn einziehen. Hammer-stein unb Scharnhorst erhielten für ihre Helbeutat ben Ehrenbegen. Diese Waffentat steht einzig unb unübertroffen ba in ber Kriegsgeschichte.
3. Gerhard David Scharnhorst. Scharnhorst, der tapfere Verteidiger von Menin, der Waffenschmied der deutschen Freiheit, ist ein Sohn des hannoverschen Bauernstandes. Er ist int Jahre 1755 zu Bordenau an der Leine bei Neustadt a. R. geboren. Sein Vater hatte als junger Manu freiwillig bei der hannoverschen Reiterei gedient, hatte einen Feldzug mitgemacht und war als Quartiermeister zurückgekehrt. Von ihm erbte der Sohn die Lust zum Soldatenstande. In feinen Knabenjahren besuchte Gerhard die Dorfschule, hütete wie andere Dorf-kiuder Kühe und Schafe, fischte oder trieb sich auf dem Felde umher. Erst als der Vater durch Erbschaft itt den Besitz eines Freihofes kam, konnte er seinen Sohn in die Militärakademie schicken, die der Graf von Schaumburg-Lippe
30. Die Teilnahme Hannovers am ersten Koalitionskriege.
133
auf bem Wilhelinsstein im Steinhuber-Meere eingerichtet hatte. Gerharbt war so eifrig, bas; er einer ber besten Zöglinge ber Anstalt würbe. Mit bem einnnbzwanzigsten Jahre würbe Scharnhorst Fähnrich im Dragonerregiment zu Northeim. Seine strenge Pünktlichkeit unb unwanbelbare Pflichttreue, seine Anspruchslosigkeit unb sein ausgeprägter Sinn für Wahrheit unb Recht verschafften ihm balb bie Achtung unb Liebe seiner Vorgesetzten, Kameraben unb Untergebenen. Nach wenigen Jahren schon würbe er zum Lehrer an bie neu gegrünbete Artillerieschule zu Hannover berufen unb balb barauf zum Hauptmann ernannt. Als solcher nahm er teil an ben Kämpfen gegen Frankreich, namentlich an ber Selbstbefreiung ber hannoverschen Garnison in Menin. Dann würbe er Leiter bes hannoverschen Generalstabes. Scharnhorst hatte inbes, ba er nicht abliger Herkunft war, in Hannover kaum Aussicht ans weitere Beförberung. Dazu kam, baß bie^hannoversche Regierung seine Vorschläge zur Beseitigung vieler Mängel unb Schaben in ber hannoverschen Armee nicht beachtete. Daher trat er im Jahre 1801 in ben Dienst Preußens, bessen König seine Tüchtigkeit besser zu würbigen wußte. Unausgesetzt beschäftigte sich nun' Scharnhorst, berauch Lehrer au ber Berliner Militär-Akabemie war, mit ber Verbesserung bes preußischen Heerwesens, erläuterte ben Offizieren bie neue, burch Napoleon aufgekommene Kriegführung unb ftubierte mit ihnen bie Kriegsweise Friebrichs bes Großen. Als Oberst nahm er an ben Schlachten ber Jahre 1806 und 1807 teil. Bei Jena unb Auei'stäbt würbe er verwunbet, rettete sich aber in ber Verkleibung eines Musketiers. Nach bem Frieben von Tilsit begann Scharnhorst als Leiter bes gesamten preußischen Kriegswesens sein größtes Werk: bie Heraus-bilbung ber öligem einen Wehrpflicht. Beim Beginn bes Freiheitskrieges richtete er bie preußische Lanbwehr nnd bie freiwilligen Jäger korps ein unb sorgte für tüchtige Ausrüstung bes preußischen Heeres. So schuf er bas Volk in Waffen, unb mit Recht trägt er ben Ehrennahmen „ber beutschen Freiheit Waffenschmieb". Er selbst sollte leider bie Freiheit nicht mehr schauen. Am 28. Juni 1818 starb er in Prag infolge einer Verwunbimg, bie er in ber Schlacht bei Gr.-Görschen erhalten hatte. — Zu seiner Ehre trägt jetzt das hannoversche Feld-Artillerie-Regiment Nr. 10 (Hannover) den Namen „Scharnhorst". *)
4. Der Friede zu Basel und die Demarkationslinie. 1795.
Als Preußen im Jahre 1795 im Frieden zu Basel von dem Kriege gegen Frankreich zurückgetreten war, und Hannover, Brannschweig, Hessen-Kassel und andere norddeutsche Reichsstände sich diesem Frieden angeschlossen hatten, beschloß es, zur Aufrechterhaltung seiner Neutralität unter dem Herzog von Brannschweig eine Observationsarmee an der Weser zusammenzuziehen, und die Demarkationslinie, die das neutrale norddeutsche Gebiet von dem süddeutschen, das mit Österreich ging, trennte, zu besetzen. Hannover mußte dazu ein Truppenaufgebot von 11000 Mann stellen, das nach wenigen Monaten bis auf 15000 Mann verstärkt wurde. Volle fünf Jahre hatte das Kurfürstentum Hannover diese Streitmacht mit Aufbietung seiner letzten finanziellen Kräfte ans dem Kriegsfuße zu unterhalten, und die Last war um so schwerer, als die durch den Krieg verwilderten Soldaten die Einwohner mit unerhörten Anforderungen nnd allen Arten von Gewalttaten bedrückten. Die endliche Auf-
. 1) Äm 12. November 1905, bem 150. Geburtstage Scharnhorsts, ist in
seinem Heimatorte Borbenau sein Denkmal enthüllt.
31. Hannover unter der Fremdherrschaft.
lösung der Observationsarmee im Jahre 1801 wurde daher von der Bevölkerung wie die Erlösung von einem unerträglichen Druck empfunden. — In demselben Jahre mußte Preußen, gezwungen durch,, Frankreich und Rußland, mit denen es ein Bündnis gegen die Übergriffe des englischen Handels geschlossen hatte, das Kurfürstentum Hannover besetzen, und preußische Truppen rückten auf sieben Monate ins Land.
31. Hannover unter der Iremdöerrschast.
1. Der Reichsdeputationshauptschluß. 1803. Nach dem Frieden zu Lüneville, der das linke Rheinufer an Frankreich auslieferte, war zu Regensburg der Beschluß gefaßt, durch eine besondere Reichsdeputation die Verhandlungen über die Entschädigungen für die am linken Rheinufer abgetretenen Besitzungen zu Ende zu führen. Die Deputation trat 1801 zusammen, stand aber völlig unter dem Einflüsse Frankreichs und Rußlands und vollendete durch ihre Arbeit die Auflösung des alten Reichskörpers. Bei der Verteilung der Territorien sielen von niedersächsischen Gebieten das Bistum Hildesheim, das Untereichsfeld mit Dnderstadt, das bisher mainzisch war, sowie die Reichsstadt Goslar an Preußen. Die Überführung Goslars in den preußischen Staatsverband leitete der Geh. Legationsrat v. Dohm und entwickelte dabei eine für Goslar überaus segensreiche Tätigkeit. Hannover gelangte dagegen in den vollständigen Besitz des Stiftes Osnabrück, mußte aber dafür das Amt Wildeshausen an Oldenburg abtreten, auf die Stadtvogtei und einige andere Rechte in den Städten und Gebieten von Hamburg und Bremen, auf die Schutzherrschaft über Hildesheim, Corvey und Höxter verzichten und seine Anrechte auf die säkularisierten Stifter Gandersheim und Helmstedt an Brauufchweig überlassen.
2. Rückzug und Auflösung der hannoverschen Armee. 1803.
Trotz des Friedens zu Amiens, den England am 27. März 1802 mit Frankreich geschlossen hatte, sah es sich im Mai des Jahres 1803 wegen des Besitzes von Malta aufs ueue genötigt, gegen Frankreich das Schwert zu ergreifen. Weil aber Napoleon sich auf einen Seekrieg nicht einlassen konnte, so beabsichtigte er, England durch die Besetzung des Kurfürstentums Hannover zu schädigen, unbekümmert darum, daß Hannover ein deutsches Reichsland war. Großer Schrecken bemächtigte sich der Bewohner, als ein französisches Korps von Holland her durch die Grafschaft Bentheim in das Kurfürstentum einrückte. Trotz der Gefahr wurden die Rüstungen in Hannover sehr saumselig betrieben. Als sich das hannoversche Heer bei der Weserfestung Nienburg gesammelt hatte, standen die Franzosen,
31. Hannover unter der Fremdherrschaft.
135
14000 Mann stark, unter dem General Mortier bereits an der Grenze von Osnabrück, und als es endlich in der Nähe der Hase dem Feinde gegenüberstand, erhielt der Feldmarschall Graf Wallmoden von Hannover aus die Weisung „alles zu vermeiden, was Aufsehen erregen könne, nicht zu schießen und von dem Bajonett nur mäßigen Gebrauch zu machen." Somit waren die hannoverschen Soldaten lahm gelegt und mußten sich trotz ihrer Kampfeslust hinter die Weser zurückziehen, ohne auch nur einen Schuß getan zu haben. Inzwischen schloß man zu Sulingen mit Mortier einen Vertrag, die Konvention von Sulingen. Danach wurde das Kurfürstentum von den Franzosen besetzt, die hannoverschen Truppen sollten sich hinter die Elbe zurückziehen und in diesem Kriege nicht mehr gegen Frankreich kämpfen. Die Truppen glaubten, daß sie den Feind hinter der Weser oder hinter der Aller in fester Stellung erwarten sollten; aber immer weiter ging ihr Rückmarsch durch die Lüneburger Heide, über Lüneburg hinaus an die Elbe ins Lauen-burgische, und hinter ihnen her kamen einzelne französische Abteilungen, während die andern das Land besetzten. Die Truppen grollten und glaubten, sie seien verraten. Da die Konvention von Sulingen Napoleons Zustimmung nicht erhielt, so wurde zu Artlenburg eine neue bereinfunft geschlossen, die Elbkonvention. Die hannoversche Armee mußte die Waffen niederlegen, die Geschütze, Artillerie- und Kavalleriepferde den Franzosen überliefern, wurde ausgelost und sollte über die Elbe in ihre Heimat zurückkehren.
3. Die zweite Besetzung Hannovers dnrch die Franzosen. 1803—1805. Nach der Konvention von Artlenburg verbreiteten sich die Franzosen in alle Teile des Landes. Nur die Stadt Göttingen blieb wegen der Universität und der Harz wegen Mangels an Lebensmitteln von Einquartierung frei. Sonst waren alle Städte, Flecken und die reichen Dörfer mit französischen Truppen belegt. Die Franzosen setzten unter dem Namen Exekutiv-Kommission eine eigene Regierung ein, die alle Gesetze und Verordnungen im Namen des französischen Obergenerals erließ. Dafür, daß alle Lasten möglichst gleichmäßig ans das ganze Land verteilt wurden, sorgte das von der alten Regierung eingesetzte Landes-Deputations-Kollegium. Es bestand aus Mitgliedern sämtlicher Landschaften und hatte die Requisitionen und Ausschreibungen zu besorgen und die vielen nötig werdenden Anleihen auf den Kredit des Landes zu eröffnen. Die Einquartierungslasten betrugen bei jedem Soldaten täglich 8—10 Gutegroschen, beim Offizier jährlich 300 Taler, überhaupt im Monat 100000 Taler. General Mortier verlangte gleich nach seiner Ankunft 21/«, Millionen Franken für Gratifikationen. Außerdem erhielt er von den Ständen ein „douceur gratuite" von 100000 Frcs. und ein weißgeborenes Pferd — das ihn aber sofort abwarf. Auch fein Nachfolger, Murschall Vernabotte, bekam 300 000 Frcs. an
136
31. Hannover unter der Fremdherrschaft.
Geschenken, wahrend Mortrers Schwager sich mit einem Rinqe im
Wertevon 29 0°° Z\x^ begnügte. Sogar die Frau des ftanzösischen
Ministers Talleyrand ließ sich 6 Gedecke feines Tischzeug schenken.
Die (Ltadt Hannover mußte für die Zeit vom 1. Juli bis 1. De-
zember 1803 für die Gastereien des Generals 65000 Tlr. bezahlen Neunzehn Fahnen und sechzehn Standarten, die von den Hannoveranern im Siebenjährigen Kriege erbeutet waren, nahm Mortier aus dem Zeughause und schickte sie nach Paris. Auch die weißaeborenen Pferde des Herrenhäuser Marstalles mußten nach Paris wandern um den Krönungswagen des Kaisers Napoleon zu riehen. Bei einer großen Jagd im Deister, zu der die Bauern schon tagelang vorher das Wild zusammengetrieben hatten, wurden 16 Hirsche lebendig angefangen und in eigens dazu erbauten Wagen nach Paris stände 500 Thaler hergeben mußten. Große Äaldbestande des Sollings und Deisters wurden von den Franzosen abgetrieben und verkauft. Handwerker, Kaufleute, Beamte litten Mangel und Not; der Bauer wurde fortwährend mit Lieferungen von Korn und Fourage und mit Reisefuhren bedrückt; die kok der meierpflichtigeu Bauern, die ihre Gefälle nicht entrichten konnten und daher abgemeiert wurden, war in einem Jahre viel größer als sonst in 12 wahren. Scharnhorst, der im Juni 1805 eine Rekognoszierungsreise in _ den Harz machte, war von Schmerz erfüllt, als er )ah, tote in seinem Heimatlande die Armut immer allgemeiner ^urde .Während der kurzen Okkupationszeit", so schreibt er, „ist die Schuldenlast um volle 25 Millionen Franken gestiegen. Das Holr will niemand mehr kaufen, die Invaliden verhungern; die Reichen wandern aus, und die Armen bitten um Hilfe." Durch die Sperruna der Weser und Elbe wurde der Handel arg geschädigt. Posten und Frachtwagen wurden nach britischen Waren durchsucht, Markt- und Meßverkehr gestört.
, , r f: Hannover kommt an Preußen. 1806. Im Jahre 1805 schlossen England, Rußland uud Österreich eine neue Koali-tion gegen Napoleon. Infolgedessen verließen die französischen Truppen das Kurfürstentum und zogen nach Süddeutschland dem Kriegsschauplätze zu. Nur die Weserfestuug Hameln blieb noch im besitze der Franzosen. Die alte kurfürstliche Regierung wurde nun wieder hergestellt. Allein durch die Künste Napoleons, der Preußen in einen Krieg mit England verwickeln wollte, und durch die Nachgiebigkeit des Ministers Hangwitz, der gerade Feindseligkeit mit den Franzosen fürchtete, wurde Preußen am 15. Dezember 1805 zu dem -o er trage von Schonbrunn gedrängt, in dem u. a. bestimmt ?urcm» Preußen das Kurfürstentum Hannover in Besitz nehmen,
. Mündungen der Elbe und Weser gegen England sperren und mit Frankreich ein Bündnis schließen sollte. So sehr sich Könia Friedrich Wilhelm III. auch gegen die Annahme des Vertrages
31. Hannover unter der Fremdherrschaft.
137
sträubte, die Übermacht Napoleons zwang ihn, dem Bertrage zuzustimmen. So rückten denn im Anfang des Jahres 1806 preußische Truppen in das Kurfürstentum ein und bald darauf nahm die Preußische Regierung durch ein öffentliches Patent förmlich Besitz von Hannover. Napoleon betrachtete Hannover nun als eine preußische Proviuz.
5. Die hannoverschen Landschaften als westfälische und französische Provinzen. 1807—1813. Als Napoleon auch mit Preußen gebrochen und es 1806 in der Schlacht bei Jena geschlagen hatte, nahm er Hannover als preußische Provinz ohne {imstande wieder in Besitz, und im Frieden zu Tilsit wurde bestimmt, daß die hannoverschen Landschaften an Frankreich und das neu zu gründende Königreich Westfalen fallen sollten. Am 18. August 1807 rief Napoleon das Königreich Westfalen ins Leben und gab es seinem Bruder Hieronymus. Osnabrück, Hildesheim, Braunschweig, Göttingen, Grubenhagen und den Harz legte er zu Westfalen und machte Kassel zur Hauptstadt. 1810 tat er auch fast alle übrigen Landesteile hinzu, trennte aber noch in demselben Jahre Ostfriesland, Osnabrück, Hoya, Diepholz, Bremen, Verden und das nördliche Lüneburg wieder davon ab und schlug diese Landschaften^ rum französischen Reiche. Nun kamen alle bedeutenderen Ämter in uie Hände der Franzosen. Hannover wurde nach französischem Muster in Departements, Distrikte und Kantone eingeteilt, an deren Spitze Beamte mit französischem Titel standen. Gesetze, Gerichtsund Militärwesen — alles wurde französisch; im amtlichen Verkehr sprach man französisch, und Zeituugeu wandten neben der deutschen auch die französische Sprache an. Ungeheure Kontributionen mußte das Land aufbringen; hannoversche Domänen gab Napoleon als-Geschenke an seine Günstlinge. Klagte jemand über den Druck der Fremdherrschaft, so büßte er die Klage mit schwerer Haft. Besoldete Knechte belauschten die Gesinnungen des Volks. Die Guillotine war in manchen Städten öffentlich zur Abschreckung aufgestellt, und mit ängstlichem Blicke betrachtete der gutgesinnte Bürger das schwarze Gespenst. Die jungen Leute wurden ausgehoben, um den Feinden gegen andere Deutsche zu dienen; die Siege der fremden Bedrücker mußten mit Orgel- uud Glockenklang gefeiert werden. So stand Hannover denn wieder völlig unter der Fremdherrschaft, und diese ist nirgend härter, rücksichtsloser und raubsüchtiger aufgetreten als in
hannoverschen Kurlanden und im Herzogtum Braunschweig.
6. Die königlich deutsche Legion. Nach Auflösung der hannoverschen Armee infolge der Konvention von Artlenburg wollte König Georg III. seinen Truppen Gelegenheit geben, auch fernerhin gegen i??0* zu kämpfen. Daher erhielten alle längs der deutschen Küste kreuzenden Schiffe Befehl, diejenigen hannoverschen Offiziere,.-
138 32. Hannovers Teilnahme am Freiheitskampf.
Unteroffiziere und Soldaten, die nach England übersetzen wollten, an Bord zn nehmen und in britische Häfen zu bringen. Den in den Dienst Englands eintretenden Truppen wurden besondere Vorteile zugesichert, und die hannoverschen Offiziere verbreiteten die Nachricht davon, wo sie konnten. Bald strömten denn auch die Rekruteu in solcher Zahl herbei, daß die Franzosen auf die zunehmende Auswanderung der hannoverschen Truppen aufmerksam wurden. Nun wurde jeder, der andere zum Eintritt in englische Dienste verleitete, mit der Todesstrafe bedroht. Das wurde an drei aufeinander folgenden Sonntagen in allen Kirchen des Landes öffentlich verlesen. Allein es hatte keinen Erfolg. Nicht bloß der gemeine Mann und junge, tatendurstige Offiziere verließen das Land, sondern auch ältere und erfahrene Männer. Bald waren schon soviel Hannoveraner in England wieder vereinigt, daß man daraus acht Schwadronen Dragoner, mehrere Bataillone Infanterie und zwei Batterien formieren konnte. Das war der Anfang der so berühmt gewordenen königlich deutschen Legion. Sie stieg int Lause der Jahre auf mehr als 12000 Mann, war also ebenso stark wie die kurhannoversche Armee. Zwöls Jahre hindurch hat l)ie Legion unter den Fahnen Englands in allen Teilen Europas Gneist siegreich, niemals ruhmlos gefochten; zwölf Jahre lang haben die Söhne Hannovers unentwegt gegen die Heere des großen Soldatenkaisers gekämpft. Sie haben Stralsund an der Seite der Schweden gegen die Franzosen verteidigt, waren dabei, als Kopenhagen zur Kapitulation gezwungen und die dänische Flotte nach England weggeführt wurde, und nahmen teil an der unglücklichen Expedition nach der Schelde, die Großbritannien beinahe die Hälfte einer der schönsten Armeen kostete. Sie haben den verlustreichen Rückzug des Generals Sir John Moore nach Corunna gedeckt. Sie haben ruhmvoll an der Seite ihrer britischen $3 affen-Gefährten bei Talavera, bei Salamanca, bei Albuera, bei Vittoria und bei Toulouse gefochten und sind an der Spitze der britisch-alliierten Armee triumphierend in Madrid eingezogen. Sie haben die Insel Sizilien siegreich gegen den König Murat verteidigt, Genua zur Kapitulation zwingen helfen und sich zum Schluß in ber Entscheidungsschlacht von Waterloo unsterblichen Ruhm erworben. 1816 kehrte die Legion in die Heimat zurück, wurde -ausgelöst und bildete den Kern der neuen hannoverschen Armee.
32. Kannovers Teilnahme am Ireiheitskampf.
1. Die Märztage. Gleich nach der Vernichtung des französischen Heeres im Jahre 1812 rief der russische Oberbefehlshaber Graf Wittgenstein die Bewohner Hannovers zum allgemeinen
32. Hannovers Teilnahme am Freiheitskampf.
139
Aufstande. Allein die Macht Napoleons war in den hannoverschen Kurlanden noch ungebrochen; mehr als 30000 Franzosen hielten es besetzt, und der Tod drohte jedem, der gegen Napoleon etwas unternahm. Bremische und Hamburger Bürger hatten derartige Versuche schwer gebüßt. Großer Jubel herrschte daher, als Tettenborn mit 1500 Reitern am 15. März in Lauenburg einzog und sich am Tage darauf gegen Morand den Weg nach Hamburg bahnte, wo er am 17. März unter Glockengeläut, Freudenschüssen und begeisterten Jubelrufen als Befreier einzog. In Lübeck, Harburg, Stade wurden die französischen Adler abgerissen und die alten Behörden wieder eingesetzt. In Bremen-Verden erließ mau einen Aufruf und begann eine Volkswehr einzurichten. Auch an anderen Orten regte fs sich. Ein allgemeiner Aufstaud war freilich vorläufig noch unmöglich. Hannoversche Offiziere betrieben jedoch jenseits der Elbe Rüstungen, sammelten Bataillone von Freiwilligen, besonders Husaren und Jäger. In Hamburg war ein Werbebureau errichtet, das trug die Inschrift:
„Hier wirbt Georg Soldaten,
Für seine deutschen Staaten".
Von allen Seiten drängten die jungen Leute zum Eintritt. In manchen Städten schlossen sich die Bürger zusammen und trieben kriegerische Übungen unter dem Vorwande, das Land gegen feindlichen Einfall zu verteidigen.
2. Das Gefecht bei Lüneburg. 2. April 1813. General Morand hatte sich in Lüneburg festgesetzt und sich so vollkommen der Ruhe überlassen, daß er nicht einmal äußere Posten aufgestellt hatte. Daher nahm er die Meldung eines Adjutanten, daß sich Kosacken vor der Stadt zeigten, mit der größten Gleichgültigkeit auf und befahl, wie im Scherze, sie ihm zum Frühstück einzufangen. Aber bald zeigte sich zu fernem Erstaunen, daß die Stadt von mehr als einzelnen Kosacken angegriffen wurde unter dem Befehle des Obersten von Dörnberg. So entspann sich das Gefecht bei und in Lüneburg, die erste glänzende Waffentat im ganzen Befreiungskriege. Der Kamps war darin ungleich, daß die Stärke der Angreifer größtenteils nur in leichter Reiterei, die Morands dagegen in einem wohlgeübten Fußvolke bestand, daß jene weit schwächer an Artillerie waren als dieser, und daß Morand eine Stadt besetzt hielt, die, mit Wall und Graben umgeben, bedeutende Mittel zur Verteidigung darbot. Aber Bürger und Krieger wetteiferten an jenem schönen Tage in mutiger Hingebung, und selbst das Dienstmädchen Johanna Steaen bekundete seine Unerschrockenheit, indem es im dichten Kugelregen den Preußen aus einem umgestürzten feindlichen Pulverwagen den mangelnden Schießbedarf zutrug. Immer heftiger entbrannte der Kampf. General Morand und sein Adjutant wurden
140
32. Hannovers Teilnahme am Freiheitskamps.
schwer verwundet. Als dann die russische Reiterei die schon ermatteten Feinde im Rücken und auf den Seiten angriff, da streckten? sie größtenteils die Waffen, und nur sehr wenige entkamen. Gegen 2200 Franzosen und Sachsen wurden gefangen genommen; 8 Kanonen, 3 Fahnen, alles Gepäck und 30 Fässer Pulver wurden erbeutet. — Bald nach der Befreiung Lüneburgs erhielt das Fürstentum eine provisorische Regierung, die sofort alle waffenfähigen Männer und Jünglinge zu den Waffen rief, um sie mit den Befreiern zu vereinigen. Freilich dauerte die Siegesfreude in Lüneburg nicht lange. Der heranrückende Marschall Davoust vertrieb die Befreier aus der Stadt, ließ 100 der angesehensten Bürger als Rebellen einziehen und wollte „je den Zehnten erschießen lassen. Oberst Dörnberg
wandte das Äußerste ab, indem er drohte, an den französischen Ge»
fangenen Vergeltung üben zu wollen.
3. Die Schlacht an der Göhrde. 16. Sept. 1813. General
Pecheux wollte von Hamburg aus zu der französischen Haupt-armee in Sachsen stoßen, wurde aber von dem hannoverschen General Wallmoden in die Hügel des Göhrdewaldes gelockt und dort am 16. September angegriffen. Auf dem Steinkerhügel, einer Höhe, die vom Walde durch eine Tiefe geschieden und zur Linken durch einen Sumpf gedeckt war, hatte sich des Feindes gesamte Macht aufgestellt und empfing die aus dem Walde hervorbrechende Mannschaft mit einem mörderischen Kugelregen. Zwei französische Vierecke hatten die Höhe besetzt. Zwischen beiden stand auf einem Vorsprunge eine feindliche Haubitze, die großen Schaden anrichtete. Da heißt es: „Freiwillige vor!" Bergenroth, Regierungsrat ans Königsberg, und Schöne mann mit sieben andern Jagern treten vor, laufen gegen die Haubitze an und erobern sie. Schönemann schlägt Feuer an und brennt das noch geladene Geschütz mit Glück gegen die Vierecke ab; dann wird die Beute den Berg hinabgezogen und drunten jubelnd überliefert. Nun dringen die Franzosen grimmig nach; aber Sieg und Beute werden behauptet. Schönemann und Bergeuroth werden mit dem eisernen Kreuze geschmückt, und General Tettenborn hängt letzterem den eigenen Degen über die Achsel. Während die Geschütze von beiden Seiten donnern, laufen die Schützen gegen die zugängliche rechte Seite der Höhe Sturm. Jahn mit den hurtigen Turnern ist voran; aber das mörderische Feuer der Schanzen und Vierecke schmettert sie wieder bergab. Auch die preußische Heldin Eleonore Prohaska, die unter dem Namen August Renz in der Lützower Frei schar diente, ward hier von einer Kugel tödlich getroffen, als sie eben einen schwer verwundeten Kampfgenossen in Sicherheit bringen wollte. Sie starb am 5. Oktober in Dannenberg. Trotz großer Verluste blieb der Sieg auf Seiten der Verbündeten.
4. Hannovers Erhebung. Nach der Schlacht an der Göhrde fielen Celle, Hannover, Hildesheim, Göttingen nacheinander den
32. Hannovers Teilnahme am Freiheitskampf. 141
Siegern in die Hände. Bereits am 1. Oktober rückten sie in Kassel cm, verjagten Jerome und erklärten das Königreich Westfalen für aufgehoben. Die hannoverschen Länder kamen wieder in die Hände ihrer rechtmäßigen Regierung. Nun rief der Prinz re gent Georg von London aus die Hannoveraner zu den Waffen, und General Wallmoden sagte in seinem Aufrufe: „Kommt, eilt herbei zur Befreiung des Vaterlandes! Schüttelt das Joch ab, unter dem ihr nur zu lauge seufzet!" Dem Rufe folgten Scharen von Freiwilligen. Als dann die Schlacht bei Leipzig geschlagen war, richtete Hannover nach dem Beispiele Preußens eine allgemeine Landwehr und einen Landsturm ein, 30 Bataillone, die ihren Namen je nach der Landschaft erhielten, ans der sie entstammten. Herzog Ernst August von Cumberland erschien in Hannover und leitete selbst die militärischen Organisationen und Rüstungen. An den Kämpfen des Jahres 1814 konnten die hannoverschen Truppen freilich nicht mehr teilnehmen.
5. Hannoveraner in der Schlacht bei Waterloo. 18. Juni 1815. Als Napoleon von Elba zurückkehrte, standen in den Niederlanden und am Unterrhein noch ziemlich bedeutende Streitkräfte der Verbündeten: unter Blücher ein preußisches Heer, unter Wellington Engländer, Hannoveraner, darunter die zurückgekehrten Legionäre, Braunschweiger, mit dem Herzog Friedrich Wilhelm an der Spitze, und Nassauer. Diese vorgeschobenen Heeresmassen wollte Napoleon vernichten, ehe die großen sich sammelnden Armeen herankamen. Das führte am 16.Jnni zu der Schlacht bei Ligny gegen Blücher und zu der Schlacht bei Quatrebras gegen Wellington. Napoleons Zweck, die beiden Heere zu trennen, wurde durch Wellingtons Sieg bei Quatrebras vereitelt, ein Erfolg, der mit dem Tode des Herzogs Friedrich Wilhelm von Brauu-schweig bezahlt wurde. Nun kam es am 18. Juui bei Waterloo zur Entscheidungsschlacht auf einer weiten Ebene, die hin und wieder von sausten Anschwellungen durchzogen ist. Vor den englischen Linien lagen gleich vorgeschobenen Außenwerken links das Gehöft Papelotte, rechts das Schlößchen Hongomont, im Zentrum ber Pachthof La Haye Sainte in einer Vertiefung zwischen Belle Alliance und Waterloo. Hier _ stand unter Major von Bäring ein Bataillon der deutschen Legion, während Hougomoitt von englischen Garden, einem Bataillon Nassauer und einer Abteilung Hannoveraner besetzt war. Stundenlang wogte um diese in der Eile befestigten Stellungen ein mörderischer, erbitterter Kamps, nur zeitweilig durch die gewaltigen Reiterangriffe unterbrochen, die Na-sürC05 zwischen den Gehöften hindurch gegen die Stellung Wellingtons schleuderte. Ganz besondere Bedeutung gewann der Hof La Haye Salnte. Ehe er nicht gefallen, konnte der Hauptangriff nicht unternommen werden. Daher richtete Napoleon gegen den dort stehenden
142
32. Hannovers Teilnahme am Freiheilskampf.
Major Baring Sturm auf Sturm. Aber die 400 kampferprobten Legionäre haben sich fest eingenistet. Als der Obstgarten vor dem übermächtigen Feinde nicht mehr gehalten werden kann, verteidigen sie nur noch die Scheune. Ein neuer Sturm! Keine Kugel fehlt ihren Mann; trotzdem kommt der Feind keck bis an das Scheunentor. Bajonette starren ihm entgegen. Mann kämpft gegen Mann. Die Leichen der Erschlagenen türmen sich zu Barrikaden. Der Feind setzt die Scheune in Brand; das gibt zunächst Bestürzung unter der kleinen Schar. Aber Baring weiß Rat. Wer nur irgend abkömmlich, muß im Feldkessel vom Hofe Wasser herbeiholen; das Feuer wird glücklich gelöscht. Weiter geht der Kampf; Baring mit heldenmütigem Beispiel voran! Doch der Zeitpunkt naht, wo an eine erfolgreiche Verteidigung nicht mehr gedacht werden kann; die Munition geht zu Ende; nur drei bis vier Stück Patronen für den Mann sind noch vorhanden, und schon zieht der Feind in neuen Hausen heran. Baring ermahnt seine Tapfern zu männlicher Ausdauer. Als Antwort schallt ihm der einstimmige Ruf entgegen: „Keiner von uns wird Sie verlassen, wir wollen mit Ihnen fechten und sterben!" Wieder umbraust den Pachthof das Schlachtgetümmel, wiederum wird die Scheune in Brand gesteckt, und abermals wird das Feuer gelöscht. Doch jetzt hat einer nach dem anderen seine letzte Kugel verschossen. Der so lange glücklich verteidigte Posten bleibt dem Feinde. Durch einen engen Gang des Wohnhauses ziehen sich die Braven nach dem Gemüsegarten und weiter nach der Hauptstellung zurück. Aufs höchste erbittert, stürzen die Franzosen nach und holen die letzten des Zuges noch ein. Der Weg zur englischen Hauptstellung ist frei, und nun erfolgt Angriff auf Angriff und Zurückdrängen auf Zurückdrängen. Die Reihen der Verbündeten werden furchtbar gelichtet. Es naht die Krisis der Schlacht. Wellingtons Truppen sind auf 30 000 Mann zusammengeschmolzen, seine letzten Kräfte erschöpft. Da — zur rechten Zeit — greifen die Preußen ein und ringen im Rücken der französischen Stellung um das Dorf Planchenot %. Schließlich wagt Napoleon das äußerste: vier Bataillone seiner Garde und eine Division des Korps Erlon richtet er zu einem letzten mächtigen Sturmangriff gegen die Mitte der feindlichen Schlachtordnung. Unerschüttert durch den Kugelregen, der sie umpfängt, steigen die sieggewohnten Krieger zu den Höhen hinauf. „Vive l’einpereur“ erschallt es tausendstimmig aus ihren Kehlen. Aber oben angelangt, wirst sich ihnen die englische Gardebrigade Maitland entgegen. Hannoveraner, Braunschweiger, Nassauer, der Rest der deutschen Legion schließen sich an, und in blutigem Ringen werden die Trümmer der stolzen Armee den Abhang hinabgetrieben, den preußischen Waffenbrüdern entgegen. Der herrlichste Sieg ist erfochten, den eine unvergleichliche Verfolgung durch die Preußen vervollständigt. — Zur Erinnerung an diesen Sieg ist in Hannover auf dem Waterlooplatze die „Waterloofäule" errichtet. Sie tragt die
33. Das Königr. Hannover während seiner Verbindung mit England. 143
Namen der Hannoveraner, die bei Waterloo gefallen sind. Am Waterlooplatze steht auch das Denkmal des Generals v. Alten, des Oberbefehlshabers der hannoverschen Truppen bei Quatrebras und Waterloo.
VIII. Die Zeit des Ringens nach freibeit und Einheit.
33. Das Königreich Kannover während seiner Aeröindnng mit England 1814—1837.
1. Erhebung zum Königreich. Nach den Bestimmungen des
Pariser Friedens sollte die Verfassung des ehemaligen Deutschen
Reiches nicht wieder hergestellt, an seiner Stelle vielmehr der Deutsche Bund eingerichtet werden. Damit hatte der Titel eines Kurfürsten feine Bedeutung verloren. Die Folge davon
war, daß der Prinzregent Georg am 26. Oktober 1814 feine deutschen Staaten zu einem Königreich erhob und für sich den Titel eines Königs von Hannover annahm, indem er sagte: „Bei der Wahl des Titels haben Wir in Erwägung gezogen, daß die Kurfürsten des Heiligen Römischen Reichs gesetzlich den Königen gleich geachtet wurden und daß sie königliche Ehren geuossen, daß ferner nicht nur alle übrigbleibenden alt-kursürst-lichen Häuser, sondern selbst eins der neuern, welches im Range Unserm Hanse nachstand, die königliche Würde angenommen haben' daß Wir endlich in Unsern deutschen Verhältnissen um so weniger dem Glanze Unsers königlichen Hauses etwas zu vergeben geneigt sein können, als dasselbe seit mehr als einem Jahrhundert einen der größten Throne der Welt bestiegen und durch diese Verbindung dem deutschen Vaterlande vielfältig Schutz und Unterstützung hat angedeihen lassen." Die Verbindung des Königreichs Hannover mit England blieb also bestehen. Hannover erhielt im Deutschen Buude cänen öleich nach dem Königreich Bayern und führte im
Plenum gleich andern deutschen Königreichen 4 Stimmen.
2. Gebietserweiterungen. Am 1. November 1814 trat in Wien
Kongreß zusammen, der über die Neugestaltung Deutschlands
beschließen sollte. Hannover war auf dieser Versammlung durch deu Grasen Münster vertreten. Da schon vorher zwischen Preußen und Hannover, Österreich und Rußland Abmachungen stattgefunden hatten, so wurde es dem Grafen Münster nicht schwer, Hannovers anj^ritche aus Entschädigungen und Gebietserweiterungen durchzusetzen.
144 33. Das Königr. Hannover während seiner Verbindung mit England.
Gegen Abtretung des Herzogtums Lauenburg mit Ausnahme des Amtes Neu haus a. E. an Preußen erhielt es das Stift Hildesheim, die ehemals münsterschen Ämter Meppen und Emsbühren, die Niedergrafschaft Lin gen, Stadt und Gebiet Goslar, das Fürstentum Ostfriesland nebst dem Harlingerlande. Dazu kamen die ehemals mainzischen Rechte an Nörten, die eichsfeldischen Ämter Lindau und Gieboldehausen mit dem Gerichte Duder-stad t; ferner als Abrundung die früher hessischen Ämter Uchte, Freudenburg und Auburg, sowie die Grafschaft Plesse mit Neuen gleichen bei Göttingen und dem Kloster Höckelheim bei Northeim. Die Einwohnerzahl Hannovers war um etwa 250 000 Seelen vermehrt. Hannover hatte mit diesen Gebietserweiterungen den größten Teil des alten Sachsenlandes unter seinem Zepter "vereinigt und die Größe und Gestalt erhalten, die die Provinz Hannover noch heute besitzt. — Das Herzogtum Braun-schweig ward genau in seinen alten Grenzen wiederhergestellt, da der Herzog sich zu einem Gebietsaustausch ebensowenig entschließen wollte wie zn einer Änderung seines „uralten Familien- und Regententitels."
3. Die königlich hannoversche Armee. 1816. Nach der Rückkehr aus den Freiheitskriegen war es eine der ersten Aufgaben des Königs, eine neue Armee zu organisieren. Das geschah im Jahre 1816, indem die in den vorhergehenden Jahren entstandenen Neuformationen mit bert Bataillonen und Schwadronen der englischdeutschen Legion, die aus englischen in hannoversche Dienste übertrat, verschmolzen wurden. Durch die alten Legionäre erhielt die Armee ihr eigentümliches Gepräge. Die Erinnerungen an die glorreichen Feldzüge im Anfange des Jahrhunderts hielten sich in ihr lebendig; denn noch lange lebten Augenzeugen aus jener Zeit und erzählten von ihren Fahrten zur See, von ihren Erlebnissen in fernen Landen, die dem jüngeren Geschlechte säst wie Märchen klangen. Die Abteilungen, die aus der Legion hervorgegangen waren, trugen die Bezeichnung „Peninsula" an ihrer Kopfbedeckung, und mit Stolz führten einige außerdem noch die klangvollen Namen der Gefechte, in denen sie sich besonders hervorgetan hatten. Fast alle Regimenter und Bataillone der neuen Armee hatten bei Waterloo mitgesochten; daher war bei ihnen allen die Kopfbedeckung mit der Inschrift „Waterloo" geschmückt.x) Die Uniformierung der Truppen war reich und kleidsam. Die Rocke, frackartig geschnitten, bei der Infanterie rot, bei der Kavallerie blau,
, *) Durch Erlaß vom 24. Jan. 1901 hat Kaiser Wilhelm II. auch die Bezeichnung „Peninsula" und „Waterloo" Mieder ausleben lassen, indem er mehreren Regimentern des jetzigen 10. Armeekorps die Auszeichnung verlieh, jene Bezeichnungen ebenfalls am Helm zu tragen und damit die althannoverschen Traditionen fortzusetzen.
33. Das Königr. Hannover wahrend seiner Verbindung mit England. 145
bei der Artillerie hell, ließen sich über der Brust nicht vollständig schließen und hatten Schoßumschlag mit weißem Unterfutter. Aus dem Spalt auf der Brust sah die Weiße Weste hervor. Die Oberschenkel steckten bei der Infanterie in engen weißen, bei der Kavallerie in ledernen Beinkleidern, die bis unter das Knie herabreichten. Daran schlossen sich bei der Infanterie schwarze tuchene Halbga-
maschen, bei der Kavallerie halbhohe Stiefel. Ein schwarzer Filzhut mit weißem Federbusch deckte den Kopf; die Grenadiere trugen hohe Mützen. Patronentasche und Säbel hingen an zwei gekreuzten schmalen Riemen über der Schulter. Während die Infanterie
und Artillerie in ihren Garnisonstädten in Bürger-Ouartieren oder Baracken lagen, zog die Kavallerie auf dem platten Lande umher. Jeder Schwadron war eine Anzahl Ämter als ihr
„Quartierstand" überwiesen, dessen Ortschaften nach einer gewissen Reihenfolge belegt wurden. Dieses System hat bis
zum Ende der hannoverschen Armee bestanden, und noch heute erinnert in den älteren Bauernhäusern die ausnahmslos vorhandene „Reutersammer" an diese Einrichtung. Einzig in ihrer Art war die Beurlaubung der Kavalleristen, die samt ihren Dienstpferden auf Urlaub zogen. Die Militär - Verwaltung ersparte dabei die reiche Fourage, die die Beurlaubten selbst beschaffen mußten. Mit welchem Stolze und welcher Sorgfalt nahm sich der Reiter daheim seines Pferdes an! Denn es war sein Stolz, mit einem wohlgepflegten Pferde in die Garnison zurückzukehren.
4. Verfassungs - und Verwaltungsreformen. Nur äußerlich bildete das junge Königreich einen’ einheitlichen Staat. Noch immer bestanden die einzelnen Landschaften wie einzelne Staaten für sich. Selbst Zollschranken hemmten Handel und Verkehr. Nur die Person des Königs, das Militärwesen, das oberste Gericht und die oberste Kammer gaben eine lockere Verbindung. Nun waren dem Königreiche neue Provinzen mit andern Einrichtungen einverleibt, und mit den neuen Landesteilen hatte es, bis dahin vorwiegend lutherisch, eine aus allen drei Konfessionen stark gemischte Bevölkerung bekommen. Es war eine schwere Ausgabe, dieses krause, zerstückelte und verwickelte Staatswesen neu zu ordnen. Die Ausgabe fiel dem Minister Grafen Münster und dem Ka-binettsrat Rehberg zu. Der König berief die Landstände aus den einzelnen Provinzen zu einer allgemeinen Stände Versammlung in das Schloß nach Hannover. Sie sollte „das Alte im Geiste der neuen Zeit vernünftig modifizieren, auf dem sichern Grunde alter, rechtmäßiger Verhältnisse ein neues, den Umständen angemessenes Gebäude ausführen". Die Ritter hatten in der Versammlung 43, die Städte 39, die Stifter und Klöster 7, der nichtadelige freie Grundbesitz der bremischen Marschländer, des Landes Hadeln und der Grafschaft Hoya 3 Vertreter; außerdem waren darin die Äbte von Soccum, von.
Tecklenburg u. Dageförde, Geschichte der Provinz Hannover. 10
146 33. Das Königr. Hannover während seiner Verbindung mit England.
St. Michaelis in Hildesheim und der Klosterdirektor von Neuenwalde. Von einer Vertretung des Bauernstandes war damals noch feme Rede. Fünf Jahre wirkte diese Provisorische Ständeversammlung. Sie begnügte sich im wesentlichen damit, die alten Zustände wiederherzustellen. Als einzige bedeutsame Reform kam die Einrichtung einer ständischen Generalsteuerkasse zustande, indem 1815 sämtliche Schulden und Steuern der einzelnen Landschaften in eine Masse zusammengeworfen wurden. Daneben verwaltete die Domänenkasse das überaus reiche Domanium, das etwa Vs des gesamten Grundbesitzes betrug. Die Arbeiten des Landtages kamen auch nicht weiter, als der Prinz-Regent 1816 seinen jüngsten Bruder, den Herzog von Cambridge, als Generalstatt-halternach Hannoversandte. Namentlich widerstrebte die mächtige Adelspartei, und sie setzte es durch, daß der Kabinettsrat Rehberg wegen feiner bescheidenen Reformbestrebungen den Abschied nahm. Nun wurden in einzelnen Landschaften die Provinzialstände wieder hergestellt, und diese sollten neben der allgemeinen Ständeversammlung ihre Tätigkeit fortsetzen. Da bestimmte der König 1819 gegen den Wil len der Stände selb st die endgültigeZnsammensetzungund Gliederung des Landtages. Er sollte aus zwei Kammern bestehen. In der ersten Kammer sollten nur die vornehmsten Prälaten, die Standesherren und die Vertreter der Ritterschaft sitzen, in der zweiten Kammer sollte neben den Städten auch der freie ländliche Grundbesitz durch 20 Abgeordnete vertreten fein. Wegen des dauernden Widerstandes der Adelskammer leistete auch dieser Landtag wenig; es ge-lang nur, das Be amten wesen neu zu ordnen, die Folter abzuschaffen und die Wehrpflicht zu regeln.
5. Neue Landeseinteilung. 1822. Das Wichtigste, was der neue Landtag leistete, war die Einteilung des Landes in sechs Land-drosteien: Hannover, Hildesheim, Lüneburg, Stade, Osnabrücks Aurich und in die Berghauptmannschaft Clausthal. Der Land-drostei Hannover wurden das Fürstentum Kalenberg und die Grafschaften Hoya und Diepholz zugewiesen. H il d esh eim erhielt die Fürstentümer Hildesheim, Grubeuhageu, Gottingen und die Grafschaften Hohnstein und Plesse. Lüneburg umfaßte im wesentlichen das alte Fürstentum Lüneburg. Stade wurde gebildet aus dem Herzogtum Bremen mit Wursten, Kehdingen und dem Alten Lande, aus dem Herzogtum Verden und dem Lande Hadeln. Osnabrück sollte bestehen aus den: Fürstentum Osnabrück, der Niedergrafschaft Singen, der Grafschaft Bentheim und dem Herzogtum Arenberg-Meppen. Aurich umfaßte im wesentlichen das alte Ostfriesland, und die Berghauptmann sch äst Clausthal die sieben Bergstädte des Oberharzes. Damit waren die alten Landschaftsregierungen aufgehoben, und es konnte eine einheitlichere Verwaltung eingerichtet werden. Daneben blieben allerdings gewisse Rechte der alten Land-
33. Das Königr. Hannover während seiner Verbindung mit England. 147
schäften bestehen, z. B. inbezug auf kirchliche Verwaltung, Fortführung alter Stiftungen, wie Freitische an der Universität Göttingen, Unterstützung von Witwen und Waisen it. a. Manche dieser Rechte Hafen sich bis heute erhalten und werden von den Vertretern der einzelnen Landschaften verwaltet. Auch im Volksmunde hat sich die Bezeichnung der einzelnen Landschaften bis heute lebendig erhalten. — Die Landdrosteien bildeten nun die Mittelpunkte der gesamten Landesverwaltung, an deren Spitze das Ministerium des Innern stand. Dieses sorgte dafür, daß alle Regierungsvorschriften einheitlick erteilt und ausgeführt wurden. Die einzelnen Ämter, von denen kleinere zu einem größern zusammengelegt wurden, standen unter den Landdrosteien, und der Amtmann führte sein Regiment wie früher. Die Landdrosteien bestehen nach Größe und Grenzen in den heutigen sechs Regierungsbezirken der Provinz Hannover fort.
6. Das hannoversche Staatsgrundgesetz. 1833. “ Die wenigen Reformen genügten dem hannoverschen Volke nicht. Es hatte gehofft, größeren Anteil an der Gesetzgebung zu bekommen; auch wollte der Bauernstand von alten, drückenden Lasten befreit sein. Daher breitete sich große Mißstimmung in Hannover aus und wuchs besonders im Bauernstande bedenklich an. Da fand dieser einen beredten Anwalt in dem Abgeordneten Or. Bertram Stüve, dem Bürgermeister von Osnabrück. Er drang darauf, daß nicht nur bie Grundsteuer besser verteilt werde, sondern forderte vor allem, daß der Bauernstand durch Ablösung der Herrendienste, Zehnten und Meiergefälle aus seiner Abhängigkeit befreit werde und dadurch die Stellung erhalte, die ihm im Staatsverbande gebühre. Die erste Kammer wollte davon nichts wissen.,, Aber Stüve ruhte nicht. 1829 veröffentlichte er eine Schrift „Über die Lasten des Grundeigentums in Hannover" und wies Notwendigkeit und Wege der Besserung nach, so daß die erste Kammer sich wenigstens bereit erklärte, die wichtige Frage zu besprechen. Stüve sah ein, daß die Ablösung nur durch die Beseitigung der grundherrlichen Verfassung herbeigeführt werden könne. Immer wieder wies er daher aus die Notwendigkeit einer Verfassungsänderung hin. Da bahnten 1830 zwei Ereignisse eine durchgreifende Veränderung an: der Tod des Königs Georg IV. und der Ausbruch der Julirevolution in Frankreich. Diese zitterte auch in Hannover nach, und es kam an verschiedenen Orten des Königreichs, besonders in Lüneburg, Ülzen, Hildesheim, Osterode und Göttingen zu Unruhen, die deutlich die Unzufriedenheit der Bevölkerung anzeigten. Das bestimmte den neuen König Wilhelm IV., den Minister Grafen Münster zu entlassen und seinen Bruder, den Generalstatthalter Herzog von Cambridge, mit erweiterten Vollmachten zum Vizekönig von Hannover zu ernennen, sodaß der Schwerpunkt der Regierung fortan nicht mehr in London, sondern in Hannover lag. Als dann der neue Landtag
148 33. Das Königr. Hannover während seiner Verbindung mit England.
zusammentrat, stellte Stüve den Antrag auf eine neue Verfassung. Dem Antrage wurde stattgegeben, und nach einem Jahre legte das Ministerium den vom Kabinettsrat Rose und von dem Göttinger Staatsrechtslehrer Dahlmann stammenden Entwurf eines neuen Staatsgrundgesetzes dem Landtage vor, der inzwischen durch 15 Vertreter des Bauernstandes vermehrt war. Nach Jahresfrist war das Staatsgrundgesetz fertig und erhielt am 26. Sept. 1833 die königliche Bestätigung. ^ Waren darin auch nicht alle Wünsche erfüllt, so entsprach die Verfassung doch den veränderten Zeitforderungen in maßvoller Weise. Man rühmte von ihr, daß sie, „ruhend auf dem Grunde des bestehenden Rechts, dieses ergänze, dem Bedürfnis gemäß verbessere und durch klare Gesetzesworte vor Zweifel und Angriffen sicher stelle." Die Stände erlangten nun Teilnahme an der Gesetzgebung und das Recht der Steuerbewilligung, die Minister sollten dem Landtage verantwortlich sein. Der Bauernstand erhielt die Zusicherung der baldigen Ablösung der Zehnten, Dienste und Meiergefälle. Auf das neue Staatsgrundgesetz wurden alle Beamten vereidigt.
7. Die Ablösung der Grundlasten. 1833. Ihrem Versprechen gemäß hatte die Regierung inzwischen den Entwurf eines Ablösungsgesetzes vorgelegt. Eine ständische Kommission, deren Seele Stüve war, hatte den Entwurf bedeutend zu guusteu des Bauernstandes geändert. Schon am 10. November 1831 war das Ablösungsgesetz publiziert worden, und am 22. Juli 1833 folgte auch die Ablösungsordnung; damit war die Ablösungsgesetzgebung vollendet. Nun konnte man alle grundherrlichen Verhältnisse, wie Meier-Eigenbehörigkeits-, Meierdings- und Hägerverbände, Erbzins- und Erbpachtverhältnisse, alle Zinsen, Zehnten und sonstige Reallasten und endlich Abgaben, die von lehnbaren Grundstücken an den Lehnsherrn geleistet wurden, gegen den 25 fachen Betrag des ermittelten Geldwertes lösen, jedoch nur, wenn dem Bauer an seinem Grundbesitz ein erbliches Recht zustand. Damit waren allerdings die Zeitpachtmeier, wie sie in Göttingen und Grubenhagen vorkamen, von der Ablösung ausgeschlossen. Zu gleicher Zeit wurden durch eine Verordnung die Veräußerung von Grundstücken geschlossener Güter und die Rechtsverhältnisse der frei gewordenen Höfe geregelt. Letztere sollten vor Zersplitterung geschützt werden. Danach sollten die Erbfolge im Gut, die Bevorzugung des Anerben, die Bestimmung der Brautschätze der abgehenden Kinder, das eheliche Güterrecht, die Leibzuchten, Jnterimswirtsch aften, die Bestimmungen üb er die Wiederverheiratung der Ehegatten u. a. bestehen bleiben wie unter der Herrschaft des Meierrechts. So wurden alle Institute des Meierrechts als bäuerliches Privatrecht wieder eingeführt, und der Staat übte kraft öffentlichen Rechts eine gewisse Grundherrschaft über die Bauernhöfe aus. Ämter und
34. König Ernst Angnst von Hannover. 1887—1851.
149
Gerichte erhielten daher Aussichtsrechte über die Höfe. Insbesondere war ihre Einwilligung erforderlich, wenn einzelne Stücke von Höfen veräußert werdeu sollten. So hat der hannoversche Staat durch die Ablösungsgesetzgebung zwar die Aufhebung der Privatgrundherrschaft ermöglicht, aber zugleich die durch diese geschaffene ländliche Verfassung auf das strengste aufrecht erhalten. Erst nach dem Untergange des hannoverschen Staates ist dieser merkwürdige Rechtszustand beseitigt worden. Die Verhältnisse widersprachen dem Geiste der Zeit. Daher hob der preußische Staat durch das Gesetz über das Gr und buch Wesen vom 28. Mai 1873 auch die staatliche Grundherrschaft auf und führte durch Gesetz vom 2. Juni 1874 in der Provinz Hannover das Höferecht als fakultatives Bauern recht in Gestalt der Höferolle ein. Eine Abänderung desselben erfolgte am 24. Januar 1880. Auch in Göttingen und Grubenhagen ist später unter preußischer Regierung bestimmt, daß die Höfe den Pächtern gegen Erlegung des 25 sachen Betrages des Pachtgeldes als Eigentum überlassen werden sollen. Alle fiskalischen und klösterlichen Meierhöfe sind alsdann in Göttingen-Grubenhagen verkauft, und nur die Zeitpachtmeier der Privatgrundherrn bestehen heute noch als letztes Überbleibsel der alten grundherrlichen Verfassung Niedersachsens.
34. König Ernst August von Hannover.
1837—1851. r
1. Trennung Hannovers von England. 1837. Im Jahre 183 7 starb König Wilhelm IV. Mit seinem Tode löste sich die unnatürliche Verbindung zwischen England und Hannover. Viktoria, die Nichte und Nachfolgerin Wilhelms IV. auf dem englischen Throne, war nicht zur Erbfolge in Hannover berechtigt, weil nach deutschem Recht der Mannesstamm vorgeht. So ward denn Ernst August, Herzog von Cumberland, der fünfte Sohn Georgs III., König von Hannover, und das Land konnte nun einer selbständigen, von England unabhängigen Entwickelung entgegensehen. Hannover empfand daher die Trennung als eine Wohltat. Ernst August war schon früher in Hannover gewesen, er hatte auf der Universität Göttingen studiert, hatte bei einem hannoverschen Kavallerieregiment gestanden und in den Niederlanden an der Spitze dieses Regiments mitgefochten und sich durch persönliche Tapferkeit ausgezeichnet. Seit 1795 hatte er seinen Wohnsitz in Hannover als Generalleutnant, wohnte später abwechselnd in London und Berlin und vermählte sich 1815 mit Friederike von Mecklenburg, der
150
34. König Ernst August von Hannover. 1837—1851.
Schwester von Preußens Königin Luise. Die Hannoveraner setzten große Hoffnungen auf ihn. Als er nach Hannover kam, sprach er zu den Vertretern der Stadt: „Ich will Ihnen ein gerechter und gnädiger König sein."
2. Die Aufhebung des Staatsgruudgesetzes. Schon am Tage nach seiner Ankunft in Hannover vertagte der König die Stände auf unbestimmte Zeit, machte nach wenigen Tagen bekannt, daß er sich an das Staatsgrnndgesetz von 1833 nicht gebunden halte, löste Ende Oktober die Ständeversammlung auf, entließ die Minister, hob am 1. November das Staatsgrundgesetz auf, stellte die alte Verfassung von 1819 wieder her und entband sämtliche Beamte des Eides, den sie auf die Verfassung geleistet hatten. Diese Maßregeln erregten weit über die Grenzen Hannovers und Deutschlands hinaus großes Aussehen. Im Lande selbst blieb es zunächst im allgemeinen still. Nur sieben Professoren der Universität Göttingen — Dahlmann, Albrecht, Jakob und Wilhelm Grimm, Weber, Gervmus und Ewald — erklärten, daß sie sich nach wie vor durch ihr Gewissen und durch die Rücksicht auf ihre Schüler an ihren Verfassungseid gebunden fühlten. Sofort entsetzte der König die „Göttinger Sieben" ihres Amtes; dazu wurden Dahlmann, Jakob Grimm und Gervmus, weil sie die Erklärung einigen Freunden gezeigt, sofort des Landes verwiesen. Göttinger Studenten geleiteten die Vertriebenen bis Witzeithansett, auf hessisches Gebiet. Auch die meisten Mitglieder der Ständeversammlung wollten die Verfassung nicht anerkennen und brachten die Sache an den Bundestag. Dasselbe tat auch Osnabrück, dessen Bürgermeister Stüve der eifrigste Gegner des Königs war. Andere Städte legten Protest ein. Der Bundestag verschleppte die Angelegenheit. Schon nach kurzer Zeit veröffentlichte Ernst August das neue Staatsgrundgesetz: die Befugnisse der Stände waren beschränkt, die Minister den Ständen gegenüber der Verantwortlichkeit entzogen; die Thr onfolge wurde so geordnet, daß „eine Regentschaft nur eintreten sollte, wenn der König minderjährig sei oder in einem solchen Zustande sich beffnde, der ihn zur Führung der Regierung unfähig mache". Bei dem körperlichen Leiden des Kronprinzen Georg war diese letzte Bestimmung für die Zukunft von besonderer Bedeutung.
3. Heeresreform. Alsbald nach seiner Thronbesteigung unternahm der König durchgreifende Veränderungen im Militärwesen. Er schaffte die alten roten Uniformröcke der Infanterie, die in so manchen Schlachten geglänzt hatten, ab und ersetzte sie durch andere, die in Schnitt, Farbe und Muster den preußischen Uniformen nachgebildet waren, also im Typus dunkelblau. Nur die leichte Infanterie bekam grüne Waffenröcke, die nachher auf die Jägerbataillone übergegangen sind. Die Hosen wurden dunkelgrau. Auch in andern Dingen nahm Ernst August sich die preußische Heeres-
34. König Ernst August von Hannover. 1837—1851.
151
Hinrichtung zum Muster. Die Reiterei, der Stolz der Hannoveraner, von seiner Jugend her dem König besonders vertraut, vermehrte er und scheute selbst persönliche Opfer nicht, um die beabsichtigte Zahl zu erreichen. Aus sein Betreiben wurde das zehnte Bundesarmeekorps im Jahre 1843 bei Lüneburg zu größeren Übungen zusammengezogen.
4. Hannover als Königsstadt. Seitdem die Stadt Hannover wieder Wohnsitz des residierenden Fürsten geworden, genoß sie große Vorzüge. Durch die königliche Hofhaltung, durch die zahlreichen Behörden, die starke Garnison und die großartigen Bauten, für die der König während seiner Regierung Millionen aus eigenen Mitteln anweisen ließ, hatten alle Klassen des Gewerbe- und Handelsstandes unberechenbare Vorteile, und die arbeitende Klasse fand reichlich Verdienst. In wenigen Jahren entstand ein ganz neuer Stadtteil, die Ernst August-Stadt zwischen Bahnhof und Georgswall. Mit Recht trägt der Ernst August-Platz des Königs Namen und sein Denkmal. Auf königliche Kosten wurde der Schloßbau zum größten Teil ausgeführt, der Friederikeuplatz angelegt, das Ernst August-Palais ausgebaut, die Jägerkaserne, das Meßhaus, die Kommandantur, die Artilleriekaserne, das Zeughaus, das Kadetteuhaus, das Bliuden-Institut, das neue Regierungsgebäude, die polytechnische Hochschule, der Bahnhof und das Schauspielhaus errichtet, das zu den schönsten in Deutschland gehört. Die Schlösser in Monbrillant, Georgsgarten, Herrenhausen wurden verschönert und neu eingerichtet, fast alle Treibhäuser erneuert und fünf oder sechs ganz neu gebaut, unter ihnen das Palmenhaus, das einen Ruf in Deutschland hat. Die Wasserkünste wurden verbessert, die Gärten erweitert, neu angelegt, und in dem Berggarten schuf er das Mausoleum mit königlicher Pracht zu seiner und seiner Gemahlin letzten Ruhestätte. 1844 kaufte er das Leibniz-Hans, um es vor Verfall zu schützen und es zum Gedächtnis des großen Gelehrten zu erhalten. Die neue Gemälde-Sammlung im Residenzschlosse, die sämtlichen neueren plastischen Kunstwerke, die im Palais des Georgengartens und des Residenzschlosses aufbewahrt werden, die königliche Bibliothek, das Münzkabinett, den Reichtum der Silberkammer u. a. verdankt Hannover dem Könige Ernst August.
5. Gememheitsteilung und Verkoppelung. 1842. Obgleich die hannoversche Landwirtschaftsgesellschaft verschiedentlich auf den Nutzen der Gemeinheitsteilung und Verkoppelung hingewiesen hatte, und obgleich für Lüueburg bereits 1802 eine Ordnung für die Gemeinheits-leilung erlassen und in Celle ein Landes-Ökonomie-Kollegium eingesetzt worden war, das die Verteilung zu leiten hatte, so wurde doch erst durch das Gesetz vom 30. Juni 1842 die Verteilung und Verkoppelung allgemein erlaubt. Das Landes-Ökonomie-
152 34. König Ernst August von Hannover. 1837—1851.
Kollegium wurde als General-Kommission nach Hannover verlegt und der Geschäftskreis auf ganz Hannoverland ausgedehnt. Das Verkoppelungsgesetz ist durch Gesetz vom 8. Nov. 1856 in einigen Punkten abgeändert. Mit der Verkoppelung sind auch die Weiderechte auf Feldern und Wiesen aufgehoben worden; nur in einzelnen Gegenden, z. B. am Harz sind die Verhältnisse unverändert geblieben. — Auch die Abstellung oder Ablösung der Weiderechte uud Streugewinnungsrechte in Forsten ist erfolgt auf Grund besonderer Gesetzesvorschriften.
6. Eisenbahnen in Hannover. 1843. Ein großes Verdienst hat sich König Ernst August erworben durch die energische Förderung des Eisenbahnbaues in unserm Lande. Die meisten Strecken wurden auf Kosten des Staates gebaut und gingen als Staatsbahnen in staatliche Verwaltung über. Auch Privatbahnen entstanden, sind aber nach und nach in den Besitz des Staates übergegangen. Am 22. Oktober 1843 wurde die erste hannoversche Eisenbahnstrecke, Hannover-Lehrte, eröffnet. Der Bahnhof in Hannover bestand aus Brettern, und in Lehrte war zum Empfange ein leinenes Zelt errichtet. Im Frühling 1844 fuhr der erste Eisenbahnzug,, festlich geschmückt, von Hannover nach Braunschweig. 1845 waren Hildesheim und Celle über Lehrte hinweg mit Hannover verbunden, zwei Jahre später auch Uelzen, Lüneburg und Harburg. Gleichzeitig folgte die Anlage der Bahn über Wunstorf nach Minden, Bielefeld und Hamm und daran anschließend der Bau der Strecke Wunstorf-Nienburg-Verden-Bremen. Die Fortsetzung dieser Eisenbahnlinien ließ nicht lange auf sich warten. 1854 wurde die Linie Hannover-Alseld-Northeim-Göttingen und zwei Jahre später ihre Fortsetzung über Münden nach Cassel dem Verkehr übergeben. Andere Strecken kamen bald hinzu, z. B. die von Hannover nach Hameln-Altenbeken. Eisenbahnen durchkreuzten unser Heimatland nach wenigen Jahrzehnten nach allen Himmelsrichtungen und verbanden es mit den Nachbarländern. Die Stadt Hannover lag im Mittelpunkte des entstehenden Eisenbahnnetzes und wurde nunmehr zu einem der wichtigsten Knotenpunkte des Eisenbahnverkehrs in Norddeutschland. Handel, Verkehr und Industrie der Stadt nahmen bedeutend zu. In der Nähe des Bahnhofes entstanden in kurzer Zeit ganz neue Stadtteile; der Bahnhof selbst genügte bald nicht mehr und wurde 1876/79 umgebaut, so daß er jetzt einer der größten und schönsten Deutschlands ist. Ähnlichen Einstuß, wenn auch in geringerm Maße, haben die Eisenbahnen auch in andern Städten Niedersachsens ausgeübt, namentlich haben sich einzelne Orte, die zu Eisenbahnknotenpunkten wurden, bedeutend gehoben. Gegenwärtig gibt es bei uns kaum noch eine Stadt, die nicht durch eine Bahnlinie an das große Verkehrsnetz angeschlossen wäre. — Die Bahnstrecken, die sich gegenwärtig in Hannover nnd den angrenzenden Gebieten befinden, stehen
34. König Ernst August von Hannover. 1837—1851.
15$
unter der Verwaltung der Eisenbahn - Direktionen zu Hannover, Cassel, Münster, Altona und Magdebnrg.— Mit der Eröffnung des Eisenbahnbetriebes war den Personenposten mit Schirrmeister und Postillon, mit denen unsere Vorfahren reisten, das Todesurteil gesprochen. Die Lokomotive trat an die Stelle der mit Pferden bespannten Postkutsche, und statt des frohen Hornsignals des Postillons bei Abfahrt und Ankunft der Post erklang der schrille Pfiff der Lokomotive.
7. Begründung der hannoverschen Volksschule. 1845. Das hannoversche Volksschulwesen war noch durch kein Gesetz geregelt. Ueberall bestanden in den einzelnen alten Landschaften Sonderbestimmungen, die einer gedeihlichen Entwickelung nicht förderlich waren.. Ernst August erließ daher im Jahre 1845 ein Gesetz, welches das christliche Volksschulwesen Hannovers betraf. Es führte den Schulzwang ein, stellte Schulverbände her, regelte das Einkommen der Lehrer, das Schulgeld u. a. m. Ein anderes Gesetz vom Jahre 1848 bestimmte, daß für jeden Schulverband ein Schulvorstand bestellt oder der Kirchenvorstand unter Hinzuziehung des Lehrers-zum Schulvorstande ernannt werden solle. Für die Städte wurden jedoch Abweichungen von dieser Regel gestattet. Der Schulvorstand vertritt die Schulgemeinde, verwaltet das Schnlvermögen nnd wirft mit bei der Aufsicht über die Schule. Beide Gesetze sind der Hauptsache nach noch heute gültig, haben jedoch durch neuere Bestimmungen manche Veränderungen erfahren.
8. Die Bewegung des Jahres 1848. a. Die Wiederherstell uug der Verfassung. Als die revolutionäre Bewegung von 1848 durch die deutschen Länder ging, blieb es in Hannover verhältnismäßig ruhig. Zwar zeigte sich in den größeren Städten des Landes eine gewisse Erregung; aber die Landbevölkerung kümmerte sich wenig darum, ja, sah sogar mißtrauisch zu. Ihre materielle Lage war seit 1830 wesentlich verbessert, Lasten und Dienste waren verringert, und von der Bedeutung der „Deutschen Frage" uud einer Volksvertretung beim Bundestage hatten die meisten keinen Begriff. Die Städte wandten sich mit Petitionen an den König; der König lehnte sie ab. Dann wies er in einer Proklamation die Forderung einer Volksvertretung zurück, versprach aber, „alle seine Kräfte aufbieten zu wollen, damit die deutsche Bundesversammlung mit mehr Fleiß und größerer Energie in den deutschen Angelegenheiten handele als bisher". Darauf kam es zu einer großen Volks an sammlung vor dem königlichen Schlosse in Hannover, die dem Könige zwölf Forderungen übermittelte, von denen er einige sogleich erfüllte;, außerdem versprach er, sofort die Stände einberufen zu wollen. Als nun rasch hintereinander die Kunde von den Ereignissen in Berlin und Wien eintraf, änderte der König fing und entschlossen sofort seine Haltung und lenkte ohne Zaudern in die neue, un--
154
34. König Ernst August von Hannover. 1837—1851.
widerstehlich gewordene Strömung ein. Schon am 20. März machte er aus eigenster Entschließung bekannt, daß er die Anträge auf Verfassungsänderung, Ministerverantwortlichkeit, Vereinigung der königlichen und der Landeskasse den bereits von ihm berufenen Ständen vorlegen werde. An demselben Tage erging außerdem noch eine Botschaft an Stüve in Osnabrück mit der Aufforderung, ein neues Ministerium zu bilden und darin die Verwaltung des Innern zu übernehmen. Das neue Ministerium legte sein Programm vor, und der König gab ihm seine volle Zustimmung nur mit dem Vorbehalt, daß der verfassungsmäßige Weg nicht verlassen werde. Am 28. März schon traten die Stände zusammen. Am 5. September erhielt die neue Verfassung die königliche Bestätigung. Sie bedeutete im wesentlichen eine Wiederherstellung des Staatsgrundgesetzes von 1833, nur daß ihm noch eine Anzahl neuer Verbesserungen hinzugefügt waren.
b. Verhältnis zur Reform des Deutschen Bundes. Die Beratungen der Nationalversammlung zu Frankfurt a. M. und der Gang der deutschen Ereignisse sollten auf die hannoversche Ver-fassung nicht ohne Einfluß bleiben. Die Kaiserdeputation, die am 30. März durch Hannover kam, wurde begeistert begrüßt. Die Vei> treter sämtlicher hannoverscher Vereine beschlossen, gemeinsam eine Adresse an König Friedrich Wilhelm IV. von Preußen zu richten, in der er beschworen ward, „die erbliche Würde eines deutschen Kaisers anzunehmen uud damit ein Band zu knüpfen, das alle deutschen Herzen auf ewig verbinden, das Deutschland zu bauernder Einheit, Macht und Ehre erheben werde." Ernst August uud seine Räte widerstrebten den Beschlüssen der Nationalversammlung. Mit Geringschätzung sah der König aus diese „Versammlung von Professoren, Advokaten, Schriftstellern uud Poeten" herab. Lieber wolle -er das Land verlassen, als sich einer Beschränkung seiner königlichen Machtvollkommenheit unterwerfen. Da sandten 70 hannoversche Vereine eine Deputation an den König mit der Bitte, das Ministerium Stüve-Bennigsen zu entlassen, weil es undeutsch, partikula-ristisch und unkonstitutionell sei uud kein Vertrauen im Lande habe. Der König tat es nicht, kümmerte sich auch nicht um die Frankfurter Beschlüsse uud nahm die dort beratene Reichsverfassung nicht an, wie sehr sich die Nationalversammlung auch darüber ereiferte. Als dann die ganze Bundesreform in Frankfurt kläglich scheiterte, trat Ernst August zwar dem Dreikönigsbündnis (Preußen, Hannover, Sachsen) bei, und Preußen trat auf Grund dieser Abmachungen an die Reform des Deutschen Bundes heran, indem es zu diesem Zwecke unter seiner Leitung ein Parlament nach Erfurt berief. Aber Hannover hielt sich fern, und Ernst August trat mit Sachsen vom Dreikönigsbündnis zurück. Der Abfall der Bundesgenossen zwang Preußen, seine Einigungspläne aufzugeben und führte
34. König Ernst August von Hannover. 1837—1851.
155
es schließlich zu der Demütigung von Olmütz, wo die österreichische Politik im Bunde mit den deutschen Mittelstaaten den entscheidenden Sieg über die preußische davontrug. — Nachdem die Gefahr vorüber war, schlug die Stimmung Ernst Augusts plötzlich um; die alten schroffen Ansichten machten sich geltend, und da Stüve trotz aller Versuche nicht dafür zu gewinnen war, der König auch zögerte, die Neuordnung auf dem Gebiete der Justiz und der Verwaltung, Stüves ureigenstes Werk, zu bestätigen, so nahm Stüve und mit ihm das Gesamtministerium seine Entlassung.
9. Trennung der Verwaltung von der Justiz. In den Jahren 1848 und 1850 erhielt Hannover eine neue Gerichtsverfassung, die wegen ihrer Vortrefflichkeit der gegenwärtig geltenden deutschen Gerichtsverfassung zum Muster gedieuthat. Alle städtischen und adligen Gerichte wurden dadurch aufgehoben und in königliche verwandelt. Alle Verhandlungen in Strafsachen sowohl wie in Zivilprozesseu sollten von nun an wieder wie in alter Zeit öffentlich und mündlich geführt und das lästige und übermäßige Schreibwerk, das im Laufe der Zeit immer mehr überhand genommen hatte, sollte vermindert werden. Auch der befreite Gerichtsstand wurde beseitigt. Den Amtmännern blieben nur noch die Verwaltungssachen. Jeder Amtsbezirk erhielt ein Amtsgericht mit den nötigen Gerichts-Beamten. Die Amtsgerichte wurden'den Landgerichten unterstellt und bei diesen Schwurgerichte eingesetzt. Das Oberappellationsgericht zu Celle blieb in seiner Eigenschaft als oberster Gerichtshof des Landes bestehen. Die Gerichtsverfassung für das Deutsche Reich von 1879 hat die alten hannoverschen Gerichte sämtlich bestehen lassen. Gegenwärtig zählt unsre Provinz 103 Amtsgerichte, 8 Landgerichte und 1 Oberlandesgericht. Landgerichte befinden sich zu Aurich, Göttingen, Hannover, Hildesheim, Lüneburg, Osnabrück, Stade und Verden; das Oberlandesgericht hat seinen Sitz zu Celle. Über ihm steht wie über allen deutschen Oberlandesgerichten das Reichsgericht zu Leipzig.
10. Ernst Angnsts Persönlichkeit und Tod. Der König war ein durchaus selbständiger Charakter, während seiner ganzen Regierung bemüht, selbst zu sehen, zu prüfen, anzuordnen und im persönlichsten Sinne die Regierung zu beeinflussen. Unter Engländern aufgewachsen und nach englischem Muster erzogen, blieb er freilich seinem Wesen und seiner äußeren Erscheinung nach ein Engländer; er beherrschte nicht einmal die deutsche Sprache vollständig. Aber er hatte aus England eine klare Einsicht in politische Verhältnisse mitgebracht, und ein scharfer Mick, ein eiserner Wille, eine auffallende Menschenkenntnis halfen sie ihm in den schwierigsten Lagen anwenden. Wo er seiner raschen Natur nach zn schroff gewesen, da wußte er zur rechten Zeit einzulenken und ein etwaiges Verschulden gut zu machen. Er hatte eine hohe Meinung von seiner königlichen Würde, die sremden Ein-
156
35. Das Ende des Königreichs Hannover.
fluß nicht zuließ; daher herrschte an seinem Hofe keine Günstlingswirtschaft. Er machte seinem Volke große Zugeständnisse, aber aus-eigenem Antriebe, und dann erklärte er: „ Soweit gehe ich und weiter nicht; ist man damit nicht zufrieden, so bin ich bereit, mein Königreich zu verlassen." Seine politische Voraussicht ließ ihu im Jahre 1848 den Ausspruch tun: „Was die Deutschen glauben, sie können die Einheit machen auf dem Papier, wenn sie wollen, haben sie die Einheit; dann müssen sie gehen durch Blut bis an die Brust." Achtzig Jahre war der König alt geworden am 5. Juni 1851. Noch immer war er körperlich und geistig frisch. Ant 18. November 1851 starb er, ohne daß eine eigentliche Krankheit vorausgegangen war. Im Mausoleum zu Herrenhausen, das er für sich und seine Gemahlin hatte erbauen lassen, ruht er an ihrer Seite. Das hannoversche Land ehrte sein Andenken durch ein Reiterstandbild, das vor dem Bahnhöfe auf dem Ernst August-Platze in Hannover errichtet ist und die Inschrift trägt: „Dem Landesvater sein treues Volk." — Auch den großen Minister des Königs, Dr. Karl Bertram Stüve, hat man nicht vergessen. In Osnabrück, wohin er nach dem Verlassen seines Ministerpostens zurückkehrte, ist ihm vor dem Rathanse ein Denkmal errichtet.
35. Aas Ende des Königreichs Kannover.
1. König Georg V. 1851—1866. Der Sohn und Nachfolger Ernst Augusts, Georg V., ant 27. Mai 1819 zu Berlin geboren, hatte bereits in seiner Kindheit die Sehkraft des einen Auges und dann infolge einer Unvorsichtigkeit auch die des andern verloren, sodaß völlige Blindheit eintrat. Nach dem Staatsgrundgesetze von 1833 machte ihn sein Gebrechen zur Regierung unfähig, aber die Aufhebung dieses Gesetzes hatte alle Zweifel an seiner Thronfolge beseitigt; denn das Landesverfassungsgesetz von 1840 ordnete an, daß nur Minderjährigkeit und geistige Unfähigkeit von der Thronfolge ausschließen sollten. So bestieg denn ein blinder König den Thron Hannovers. Trotz reicher geistiger Gaben konnte es nicht ausbleiben, „daß sich in dem Könige eilte Gedankenwelt ausbildete, die nicht immer mit der Wirklichkeit in Einklang stand. Phantastische Träume von der Größe der welfifchen Macht, wie sie einst unter Heinrich dem Löwen bestanden hatte, beschäftigte nicht selten seinen Sinn. Er hatte von der Bedeutung seines Landes, von der historischen Mission seines Hauses, von der eigenen königlichen Wurde die höchste Meinung." (O. v. Heinemann.) Seine Erblindung hinderte die gleichmäßige Ausbildung seiner geistigen Kräfte, sie hinderte auch die volle Ausübung seines königlichen Berufs und machte ihn in vielen
35. Das Ende des Königreichs Hannover.
157
Dingen abhängig von seiner Umgebung. Beim Antritt seiner Regierung sprach er die Worte: „Ich erflehe täglich von Gott und wünsche nichts mehr, als daß alle meine Untertanen ihre Gebete mit den meinigen vereinigen, damit er mir Kraft und Licht gebe, mein schweres Amt zum Segen meines Volkes zu verwalten." In seiner Regierungstätigkeit neigte Georg V. dazu, die Zustände wiederherzustellen, wie sie vor 1848 bestanden hatten. Er wechselte zu diesem Zwecke mehrfach das Ministerium, löste die Stände auf, hob einzelne Bestimmungen der Verfassung auf oder änderte sie in reaktionärem Sinne und näherte dadurch das Staatsgrundgesetz wieder dem Landesverfassungsgesetz von 1840. Außerdem setzte er es durch, daß die Krondotation erhöht und aus den Domanialgrundstücken ausgeschieden wurde. Dann wurde die Städteordnuug im Jahre
1858 einer Revision unterzogen und in der Fassung festgestellt, die m wesentlichen noch heute in unserer Provinz gültig ist (S. 186).
1859 folgte die Landgemeindeordnung (S. 183). Auch auf kirchlichem Gebiete suchte Georg V. seine persönliche Meinnng zur Richtschnur für seine Untertanen zu machen. Er selbst war streng lutherisch ; das hinderte ihn jedoch nicht, in auffallender Weise Katholiken in seine nächste Umgebung oder in einflußreiche Ämter zu berufen. Als er an Stelle des hannoverschen Landeskatechismus von 1790 den schon früher von Justus Geseuius verfaßten Katechismus anführen wollte, entstand der sog. Katechismusstreit, der in weiten Kreisen der Bevölkerung eine lebhafte Gegenbewegung hervorrief, ,odaß der König von seinem Plane abstand und das Ministerium entließ. Das neue Ministerium von Hammerstein berief dann eine Vorsynode und beriet mit ihr eine Shnodalordnnng uud eine ihr entsprechende Kirchenvorstandsordnuug (S. 178), die den Rwecf hatte,^ die kirchlichen Gegensätze auszugleichen.
Hannovers Haltung in der Deutschen Frage. Die Reform
Deutschen Bundes war zwar gescheitert; aber die Überzeuauua von ihrer Notwendigkeit befestigte sich von Jahr zu Jahr. Die ^mguug Italiens, die sich damals anbahnte, belebte und stärkte die Honnung auf eine engere Vereinigung aller deutschen Stämme und auf eine Neugestaltung des nationalen Lebens. Es bildete sich der Natronalverein, der sich die Aufgabe stellte, für die Einiauua Deutschlands unter Preußens Führung zu wirken. Auch in Hannover fand der Nationalverein viele Anhänger, war doch sein agentlcher Begründer der Hannoveraner Rudolf von Bennigsen. Aber Georg V. war diesen Bestrebungen nicht geneigt; er fürchtete eine Schwächung seiner Souveränität. Bennigsen zog sich daher bte Ungnade des Königs zu, und die Ausbreitung des National-Vereins tu Hannover wurde mit strengen Maßregeln gehindert. Deimoch vermochte Georg V. den Gang der Ereignisse nicht aufzuhalten.
3eit drängte zur endlichen Lösung der „Deutschen Frage."
158
35. Das Ende des Königreichs Hannover.
Preußen stellte am 9. April 1866 den Antrag auf Bundesreform. Bei den Verwickelungen, die infolge dieses Antrags zwischen Österreich und Preußen entstanden, wollte es auch,, zwischen Hanuover und Preußen zu keiner Einigung kommen. Als Österreich den Antrag auf Mobilmachung aller nichtpreußischen Buudeskorps einbrachte, schloß Hannover sich dem vermittelnden Vorschlage Bayerns an, wonach nur die Mittel- und Kleinstaaten mobil machen sollten, um bei den drohenden Verhältnissen den Bundesfrieden aufrecht erhalten zu können. Darauf erhielt Hannover das Angebot, mit Preußen ein Bündnis zu schließen, aber König Georg V. wollte die dabei gestellten Bedingungen nicht annehmen, trotzdem er wußte, daß die Ablehnung den Krieg bedeute. Er erklärte, die von Preußen geforderte Einberufung des Parlaments zur Herbeiführung einer Bundesreform sei ihm ein unerträglicher Gedanke und käme einer Mediatisierung gleich, er ziehe einen ehrenvollen Untergang vor. Vergebens baten ihn die Vertreter der Stadt Hannover in einer Audienz, das Land nicht zu verlassen und ihm die Segnungen des Friedens zu erhalten. Es war das letzte Mal, daß Georg den Vertretern seiner Residenzstadt gegenüberstand. Er beharrte auf feinem verhängnisvollen Beschlusse und erklärte, er könne „als Christ, Monarch und Welf" nicht anders handeln. Genau zu derselben Stunde erschien Graf Platen, der Minister des Auswärtigen, in der Wohnung des preußischen Gesandten und teilte diesem zunächst mündlich mit, daß der König den Bündnisantrag ablehne. Darauf erwiderte der preußische Gesandte Graf Isenburg, daß er beauftragt sei, auf diese Ablehnung hin im Namen seines Königs an Hannover den Krieg zu erklären.
3. Der Heeresanfmarsch bei Göttingen. Sofort nach der Kriegserklärung verließ der König in Begleitung des Kronprinzen Ernst August Hannover und begab sich nach Göttingen, das seinen Truppen zum Sammelplatz dienen sollte. Die Armee war in völlig unfertigem Zustande. Trotzdem gelang es, sie bereits am 18. Juni um Göttingen bis auf kleine Reste zu vereinigen. Es waren etwa 19 000 Mann. Doch waren mehrere Tage nötig, um die Truppen feldmarschmäßig zu machen. Es fehlte an den notwendigsten Kriegsausrüstungen ; auch mußten 3000 Mann neu eingestellt, eingekleidet und bewaffnet werden. Das Zeughaus in Hannover konnte mit Hülfe der Eisenbahn noch alles Nötige liefern, und am 21. Juni war die Armee marschbereit. Dieser Erfolg konnte nur erreicht werden durch die größte Opferwilligkeit der Mannschaften und die volle Hingebung der Offiziere. Die oberste Führung wurde dem General von Arentsschild anvertraut. Da aber der König selbst sich beim Heere befand und auch persönlich eingriff, so traten teilweise Hemmungen ein, und der Durchbruch der hannoverschen Truppen nach Süden zur Verbindung mit den Bayern wurde immer schwieriger. Auch knüpfte der König
35. Das Ende des Königreichs Hannover. 159»
jetzt Wieder Verhandlungen mit Preußen an und verzögerte dadurch den Abmarsch. Am 21. Juni wurde bei Heiligenstadt die preußische Grenze überschritten, während preußische Truppen bereits ganz. Hannover bis hinauf nach Göttingen besetzt hatten. Als der letzte Nachtrab der hannoverschen Truppen, der noch bei Nörten die Bahn zerstört hatte, eben aus Göttingen fortzog, rückten bereits die ersten Preußen eiu.
4. Die Schlacht bei Langensalza. 27. Juni 1866. Am 24. Juni standen die hannoverschen Vortruppen nur wenige Stunden von Gotha und Eisenach bei Langensalza. Eisenach war garnicht, Gotha nur schwach von Preußen besetzt. Man brauchte nur vorwärts zu marschieren, uud die Armee war gerettet. Da begannen aufs neue Verhandlungen, die den Weitermarsch um zwei Tage verzögerten und den rechte« Augenblick verpassen ließen. Am 27. Juni, morgens gegen 10 Uhr, sahen sich die Hannoveraner in ihren Stellungen nordöstlich von Langensalza am linken Ufer der Unstrut von dem General von Flies angegriffen. Er verfügte über etwa 10000 Mann, war in der Meinung, die Gegner beabsichtigten, nach Osten hin auszuweichen. und suchte dies zu verhindern. Als General von Arentsschild int Laufe des Gefechts die Schwäche des Gegners erkannte, ging er, nachdem er vier Stunden lang alle Versuche der Preußen, die Unstrut zu überschreiten, vereitelt hatte, gegen zwei Uhr zum Angriff über. Trotz heldenmütigerGegenwehr wurBen den preußischen Truppen Langensalza, der Judenhügel und der Erbsberg entrissen, und sie mußte den Rückzug auf Gotha antreten. Nun ging die hannoversche Reiterei zur Verfolgung vor. In glänzenden, furchtbar verlustvollen Angriffen bestürmte sie — Cambridge-Dragoner, Gardekürassiere, Königin- und Gardehusaren — den langsam zurückweichenden, sich in feuerspeiende Vierecke zusammenballenden Feind, bis die allgemeine Erschöpfung dem Kampfe eine Meile vor Gotha ein Ende machte. Der errungene Sieg vermochte das Geschick Hannovers nicht mehr zu wenden. Ant folgenden Tage waren die Hannoveraner von einer doppelten Übermacht umringt; die Kapitulation war unvermeidlich. Sie wurde zwischen dem preußischen General Vogel von Falkenstein und dem Oberbefehlshaber General von Arentsschild unterzeichnet. Die Hannover che Armee mußte die Waffen strecken. Doch gewährte König Wilhelm von Preußen in Rücksicht auf den tapfern Widerstand der Hannoveraner solche Bedingungen, „daß dadurch für alle Zukunft der Stachel einer kränkenden Erinnerung entfernt würde". Die Mannschaften wurden nach Ablieferung der Waffen in die Heimat entlassen; die Offiziere behielten ihren Degen, verpflichteten sich aber, m W)m Kriege nicht gegen Preußen zu kämpfen. König Georg V. ging nach Wien, um dort den Ausgang des Krieges zu erwarten. £er d. x5iHt, der Tag von Königgrätz, entschied auch fein Schicksal. — Georg V. lebte seit 1874 dauernd in Frankreich. Er starb am
160
35. Das Ende des Königreichs Hannover.
12. Juni 1878 zu Paris und wurde in der St. Georgskapelle zu Windsor beigesetzt.
5. Hannover wird eine preußische Provinz. Durch den Frieden Don Prag erhielt König Wilhelm das Recht, Hannover, Hessen, Nassau, Frankfurt a. M.uud Schleswig-Holstein seiner Monarchie einzuverleiben. Dementsprechend wurde am 20. September mit Zustimmung des Landtages das Königreich Preußen durch die genannten Länder erweitert, und am 3. Oktober nahm König Wilhelm I. durch ein Patent öffentlich Besitz von dem hannoverschen Lande. Darin hieß es: „Wir nehmen durch gegenwärtiges Patent mit allen Rechten der Landeshoheit und Oberherrlichkeit in Besitz und einverleiben Unserer Monarchie mit sämtlichen Zubehorden und Ansprüchen die Länder, welche das vormalige Königreich Hannover gebildet haben. Wir befehlen, die preußischen Adler au den Grenzen zur Bezeichnung Unserer Landesherrlichkeit auszurichten, statt der bisher angehefteten Wappen Unser Königliches Wappen anzuschlagen und die öffentlichen Siegel mit dem preußischen Adler zu versehen. Wir gebieten allen Einwohnern des nunmehr mit Unserer Monarchie vereinigten 'ehemaligen Königreichs Hannover, fortan Uns als ihren rechtmäßigen König und Landesherrn zu erkennen und Unsern Gesetzen, Verordnungen und Befehlen mit pflichtmäßigem Gehorsam nachzuleben. Wir werden jedermann im Besitze und Genusse seiner wohlerworbenen Privatrechte schützen und die Beamten, welche für Ans in Eid und Pflicht zu nehmen sind, bei vorausgesetzter treuer Verwaltung im Genusse ihrer Diensteinkünfte belassen. Die gesetzgebende Gewalt werden Wir bis zur Einführung der preußischen Verfassung allein ausüben. Wir wollen die Gesetze und Einrichtungen der bisherigen hannoverschen Lande erhalten, soweit sie der Ausdruck berechtigter Eigentümlichkeiten sind und in Kraft bleiben können, ohne den durch die Einheit des Staats und seine Interessen bedingten Anforderungen Eintrag zu tun. Unser bisheriger General-Gouverneur ist von Uns angewiesen, hiernach die Besitznahme auszuführen. Hiernach geschieht Unser Wille." — An demselben Tage richtete König Wilhelm I. an die Einwohner Hannovers eine Proklamation, in der er beste landesväterliche Fürsorge unter dem starken Schutze Preußens zum Besten des deutschen Vaterlandes verhieß. — Hannover ist seitdem eine preußische Provinz und hat teilgenommen an allen Vorteilen, Segnungen und Wandlungen dieses großen Staatswesens.
6. Das X. preußische Armeekorps. Eine der ersten Neuerungen in der Provinz Hannover war die Einführung der Allgemeinen Wehrpflicht am 4. November 1866. Manche Begüterte Wehrpflichtige empfanden es zwar unangenehm, daß sie sich nicht mehr durch erkaufte Freiwillige vertreten lassen konnten. Dennoch war diese Vorschrift heilsam und notwendig, da für das Vaterland jeder sein
35. Das Ende des Königreichs Hannover. itzi
eigenes Leben einsetzen soll, wie es einst Scharnhorst, der Sohn unseres Heimatlandes, richtig erkannt hatte. Die alten hannoverschen Regimenter blieben bestehen, erhielten aber neue, den altpreußischen Regimentern entsprechende Bezeichnungen und Nummern und wurden damit in die preußische Armee eingereiht. Einzelne neue Regimenter wurden aus altpreußischen Bataillonen und Kompagnien gebildet und in die Provinz Hannover verlegt. Auf diese Weise entstanden damals die hannoverschen Jnfanterieregimenter 73, 74 (jetzt Hannover), 77 (jetzt Celle), 78 (ostfriesisches, zu Osnabrück und Anrieh), 79 (Hildesheim). Die Regimenter 73, 74, 77 kamen jedoch nicht gleich in hannoversche Garnisonen, sondern wurden zunächst durch einige westfälische Regimenter ersetzt (16, 17, 56, 57). Außerdem wurden diesen Trnppen das oldenburgische Infanterieregiment Nr. 91 und das braunschweigische Nr. 92 zugeordnet. An Kavallerie erhielten sie die beiden hannoverschen Dragonerregimenter 19 (Oldenburg und 16 (Northeim-Einbeck), das braunschweigische Husarenregiment Nr. 17 und die Ulanenregimenter 13 (Hannover), und 14 (Verden, jetzt St. Avold). Dazu kamen die Feldartillerieregimenter Nr. 10 (Hannover-Braunschweig-Celle) und Nr. 26 (Verden), das Jägerbataillon (Goslar), das Pionierbataillon (Minden) uud das Trainbataillon (Hannover), sämtlich mit der Zahl 10. Bei der Verkeilung der Regimenter im Lande fanden die alten hannoverschen Garnisonstädte, selbst wenn sie klein waren, in erster Linie Berücksichtigung. Die genannten Truppenteile bildeten zusammen das X. oder hannoversche Armeekorps. Es vereinigte in sich nach der üblichen Armeeeinteilung die 19. und 20. Infanterie-Division, uud innerhalb dieser die 37., 38., 39. und 40. Brigade. Der Generalgouverneur von Hannover, General von Voigts-Rhetz, aus Seesen im Herzogtum Braunschweig stammend, der während der ersten Jahre nach der Einverleibung die Regierung in Hannover leitete, wurde zum kommandierenden General des X. Armeekorps ernannt. — Gegenwärtig sind — mit kleinen Ausnahmen — alle hannoverschen Regimenter samt den braunschweigischen und oldenburgischen im X. Armeekorps vereinigt. Hinzugekommen sind noch das Infanterieregiment Nr. 164 (Hameln) das niedersächsische Feldartillerieregiment Nr. 46 (Wolffenbüttel-Celle) uud das 62. Artillerieregiment zu Oldenburg und Osnabrück. Die Garnisonen sind auf die großen und mittleren e>tädte der Provinz Hannover, des Herzogtums Braunschweig und des Großherzogtums Oldenburg beschränkt, sodaß der Regel nach ein Regiment auch in einer Garnison vereinigt ist.
Tecklenbur, u. Dageförde, Geschichte der Provinz Hannover.
11
] 62 36. Die Teilnahme niedersächsischer Soldaten am Kriege gegen Frankreich.
36. Die Teilnahme niedersächfischer Soldaten am Kriege gegen Irankreich. 1870 u. 1871.
A. Beim VII. Armeekorps.
1. Tie Teilnahme der 3 hannoverschen Regimenter. Als der
Krieg gegen Frankreich begann, machten die drei hannoverschen Infanterie-regimenter 73 (Münster), 74 (Köln) und 77 (Wesel) diesen mit im Verbände des VII. oder westfälischen Armeekorps und nahmen teil an den Kämpfen der I. Armee unter General v. Steinmetz. Sie halfen am 6. August die Spicherer Höhen erstürmen, wobei die Füsiliere des 74. Regiments unter den schwierigsten Verhältnissen den Rotenberg, die Hauptstellung des Feindes, nahmen; sie waren bei der Belagerung von Metz, nahmen teil an der Schlacht bei Noisseville am 31. August und 1. September, eroberten in den Monaten Dezember und Januar die Grenzfestungen Thionville, Montm6dy, M^zisres und Rocroy an der belgischen Grenze und wurden dann der Südarmee zugeteilt, um mit ihr gegen Dijon und die Bour-bakische Armee vorzugehen. Sie waren dabei, als am 1. Februar die französische Armee über die Schweizer Grenze gedrängt wurde und hielten nach dem Waffenstillstände den Südosten Frankreichs besetzt. Am 1. Juni 1871 traten die drei hannoverschen Regimenter auf königlichen Befehl in den Verband des X, Armeekorps über. Der kommandierende General des VII. Korps, von Zastrow, entließ die scheidenden Regimenter, indem er sagte: „Heldenmütig im Gefecht, kaltblütig unter allen Wechselfällen des Schlachtfeldes, ausdauernd bis zum letzten Hauch,, bei unerhörten Anstrengungen gehorsam und pflichttreu, so haben die Regimenter hochwesentlich zu den ehrenvollen Erfolgen beigetragen, die das VII. Armeekorps errang." Das 2. Hannoversche Infanterie-Regiment Nr. 77 wurde der 20. Division zugeteilt, erhielt Celle als Garnison und konnte mit den Regimentern 92 (Braunschweig) und 79 (Hildesheim) Mitte Juni den Rückmarsch in die Heimat antreten. Die Regimenter 73 und 74 aber, die zur 19. Division kamen, mußten bei der Okkupationsarmee in Frankreich bleiben und sind erst in die Heimat zurückgekehrt, nachdem der letzte Rest der 5 Milliarden Franks bezahlt war. Die beiden Regimenter kamen alsdann nach Hannover in Garnison.
2. Die Erstürmung des Roteuberges in der Schlacht bei Spichern. Eine besonders schwere Aufgabe fiel beim Sturm auf die Spicherer Höhen den Füsilieren des 74. Regiments zu: sie sollten den stark verschanzten und dicht besetzten Notenberg erstürmen und den Feind aus seiner wichtigsten Stellung verjagen. Im dichtesten Kugelregen sind die Füsiliere über freies Feld laufend bis an den Fuß des Berges gelangt. Tote und Verwundete bezeichnen den Weg. Dichte weiße Rauchwolken verhüllen den Rotenberg; man fleht nur das Aufblitzen der feindlichen.
36. Die Teilnahme niedersächsischer Soldaten am Kriege gegen Frankreich. 163
Geschütze. Ihre Granaten reißen Lücken um Lücken. Dennoch klimmen die Füsiliere mutvoll den steilen Hang hinan; aber auf halber Höhe gerät ihr Angriff ins Stocken. Zu vernichtend ist die Wirkung des feindlichen Feuers. Mannschaften, die zu weit vorgedrungen, werfen sich an den Boden und lassen sich hinabrollen bis an den Fuß des Berges. Ist die Truppe erschöpft? Dicht an große Fels-blöcke geschmiegt, versuchen die Füsiliere zunächst keinen neuen Angriff. Aber sie warten nur auf eine günstige Gelegenheit zum Sturm.
Es ist 8 Uhr nachmittags. Das Feuer aus den französischen Schützengräben wird merklich schwächer. Unbeweglich liegen zahlreiche Gewehre auf der Brustwehr. Es scheint, als seien die französischen Schützen an dieser Stelle größtenteils gefallen. Da ertönt der Befehl zum Sturm! Von Absatz zu Absatz klimmen die Braven mühsam empor; die dünne Lehmschicht auf den steilen Felshängen ist von einem niedergegangenen Gewitter aufgeweicht. Immer wieder glitschen die Kletternden zurück. Aber sie sind fest entschlossen, den Gegner mit Bajonett und Kolben zu erreichen, und immer mehr nähern sie sich dem Höhenrande. Jetzt haben sie ihn erreicht. Die überraschten französischen Jäger leisten noch Widerstand. Mit großer Erbitterung wird auf beiden Seiten gestritten; Mann kämpft gegen Mann. Ein Unteroffizier der 12. Kompagnie wird von einem Granatsplitter am Oberschenkel getroffen. Er stürzt neben einem schwer verwundeten französischen Offizier zur Erde. Dieser hebt noch seinen Revolver und zerschmettert durch einen Schuß das rechte Kniegelenk seines deutschen Leidensgefährten. Das sieht ein Mann der 11. Kompagnie und macht dem Leben des französischen Leutnants durch einen Bajonettstoß ein Ende. Ein Unteroffizier und ein französischer Jäger durchbohren sich gegenseitig mit dem Bajonett, finden in dieser Stellung den Tod und werden so am Tage nach der Schlacht gefunden.
Nach kurzem Kamps weichen die französischen Jäger hinter eine höher liegende Bodenwelle zurück, setzen sich auf der obersten Stufe des Berges fest und überschütten von dort den mittleren Vorsprung mit einem Hagel von Geschossen. Unsere Füsiliere müssen sich am äußersten Rande des Vorsprungs einnisten. Der aber ist nur schmal, der feindlichen Feuerwirkung völlig ausgesetzt und daher nur schwer^ zu halten. Und keine Reserven find da! Aber die Franzosen haben noch fünf frische Bataillone zur Verfügung. Werden diese jetzt in den Kampf eingesetzt, so ist der ganze errungene Vorteil verloren!
Da trifft der Brigadekommandeur, General v. Francois, auf betn Roten-berge ein, um selbst die Leitung des Gefechts zu Übernehmen. Gleichzeitig und ganz überraschend brechen aber auch ans dem nahen Gifert-Walde neue französische Abteilungen vor. Trifft jetzt nicht Hülfe ein, so ist alles verloren! Siehe, da erscheint im Augenblick der höchsten Gefahr die 9. Kompagnie des 39. Regiments! Schon sind die Helfer am Fuße des Vorsprungs, legen ihr Gepäck ab und klimmen entschlossen zur Höhe empor. Nur noch mit Aufbietung aller Kräfte halten sich die tapfern 74er Füsiliere auf dem Rotenberge gegen den wütenden Ansturm des Gegners. Endlich, endlich sind die 39er am oberen Rande des steilen Hanges. Es ertönt das Signal: „Das Ganze avancieren!" Der General v. Francois stellt sich an die Spitze der Kompagnie. „Offiziere vor die Front!" erschallt laut sein Befehl, und mit dem Rufe: „Vorwärts, meine braven Neummddreißiger! Tambour schlagen!" führt er sie gegen den Feind. Dumpfer Trommelwirbel erdröhnt. Dahin stürmt die Kompagnie. Der General mit hochgeschwungenem Degen voran; unmittelbar neben ihm der Tambour. *) So stürmen sie vorwärts, mit ihnen die 74 er Füsiliere, fortgerissen
Augenblick ist von A. v. Werner auf einem Wandgemälde im Saale des Rathauses zu Saarbrücken dargestellt. Die Mannschaften des 74. Regiments sind an den Drillichhosen zu erkennen, die sie der Hitze wegen angelegt m 39er Tuchhosen trugen. Siehe auch Bildersaal Deutscher
Geschichte. Union, Stuttgart.
11*
164 86. Die Teilnahme niedersächsischer Soldaten am Kriege gegen Frankreich.
durch das Beispiel des heldenmütigen Führers. Aber plötzlich sinkt dieser zu Boden. Eine Kugel hat ihn unter den hocherhobenen rechten Arm getroffen. Noch vier Schüsse treffen ihn, und er stirbt auf der Stelle, wo er gefallen, den Heldentod mit den Worten: „Es ist doch ein schöner Tod auf dem Schlacht-felde; ich sterbe gern; da ich sehe, daß das Gefecht vorwärts geht."x) Und es geht vorwärts. Aber Verluste häufen sich auf Verluste! Denn geradezu überwältigend ist jetzt das Schnellfeuer der Franzosen.,, Vorwärts, Kameraden! wir wollen es machen wie Vater Blücher!" ruft der Füsilier Pahl von der 11. Kompagnie. In demselben Augenblick macht eine feindliche Kugel seinem Leben ein Ende. Immer ungünstiger gestaltet sich indes die Gefechtslage auf dem Rotenberge, Mangel an Munition macht sich fühlbar. Nur der musterhaften Ausdauer unserer Leute gelingt es, die gewonnenen Schützengräben zu halten. Noch immer wird die französische Infanterie durch zwei Batterien vorteilhaft unterstützt. Neue französische Kolonnen gehen auf dem Rotenberge zum Angriff über. Gleichzeitig brechen aus dem Gifert-Walde starke Schützenschwärme so unerwartet und mit solcher Wucht gegen den linken Flügel der 74er Füsiliere vor, daß ein Teil den halben Hang hinuntergedrängt wird. In diesem verhängnisvollen Augenblicke aber zeigt sich Manneszucht und moralischer Wert unserer Truppen im glänzendsten Lichte. Die meisten Offiziere sind außer Gefecht gesetzt; die Reihen der Mannschaften sind in dem stundenlangen Kampfe gelichtet; die Patronen mangeln: aber Mut und Zuversicht der Füsiliere sind unerschüttert. Mit wohlgezieltem Feuer empfangen sie die vorgehenden Franzosen. Etwa 20 Schritt vor der preußischen Linie wird der französische Führer zu Boden gestreckt. Zu scharf schießen die Füsiliere! Die Franzosen gehen zurück und suchen wieder Deckung im Walde. Sehnsüchtig schauen die Unsern nach neuen Verstärkungen aus, besonders die Schwerverwundeten, die immer noch dort liegen, wo sie gefallen sind. Der Weg, den die Füsiliere genommen, ist durch die Leichen der Gefallenen schon ans der Ferne erkennbar; es macht den Eindruck, als ob der Berg mit aufgelöster Infanterie besetzt sei. Endlich erscheinen fünf frische Bataillone des III. Armeekorps, die zur Unterstützung herangezogen sind. Im gemeinsamen Vorgehen mit diesen frischen Kräften und den im Gifert-Walde vorgehenden 4 Kompagnien des 74. Regiments gelang es, den Gegner allmählich zurückzudrücken, bis das überraschende Auftreten des 1. Bataillons vom Leib-Regiment in der feindlichen linken Flanke gegen 6 Uhr abends den Kampf um den Rotenberg endgültig zu Gunsten der deutschen Waffen entschied. — Auf andern Teilen des Schlachtfeldes wurde noch bis tief in den Abend hinein gefochten. Erst gegen 9 Uhr abends traten die letzten Franzosen den Rückmarsch an.
Das 74. Regiment hatte an diesem heißen Tage 36 Offiziere, 56 Unteroffiziere, 663 Mann verloren, woran das Füsilierbataillon allein mit 18 Offizieren, 32 Unteroffizieren und 429 Mann beteiligt war. Aber die Opfer waren nicht umsonst gebracht. Das Regiment, das aus den jüngsten Landeskindern gebildet war, hatte seine Feuertaufe ehrenvoll bestanden; es hatte bewiesen, daß die Hannoveraner, wie einst bei Waterloo, in altbekannter Tapferkeit, mit Mut, Unerschrockenheit und Ausdauer für die große deutsche Sache zu kämpfen verstanden.
B. Das X. Armeekorps.
1. Mars la Tour. 16. August. Unter der Führung des kommaudierenden Generals von Voigts-Rhetz trat das X. Korps in den Krieg gegen Frankreich ein. Das X Korps ge-
*) M erhebt sich jetzt an der Stelle ein einfacher Denkstein aus Granit, dessen Vorderseite die Worte trägt: „Hier fiel am 6. August 1870, 4 Uhr abends, General B. v. Francois."
86. Die Teilnahme niedersächsischer Soldaten am Kriege gegen Frankreich. 166
hörte zur 2. Armee unter dem Oberbefehle des Prinzen Friedrich Karl, marschierte auf Metz und nahm teil an den Kämpfen um Metz, namentlich an der Schlacht bei Vionville-Mars la Tour am 16. August, wo ihm mit dem brandenburgischeu Korps die Aufgabe zufiel, die feindliche Übermacht so lange aufzuhalten, bis die andern Teile der 2. Armee herbeikamen. Dabei hatten die 91er (Oldenburg), 78er (Osnabrück und Aurich) und 79er (Hildesheim und Einbeck) in den Tronviller Büschen einen besonders schweren Stand, und auf dem linken Flügel leisteten die Reiter des 19. (Oldenburg) und des 16. Dragoner- (damals Northeim-Einbeck, jetzt Lüneburg) und des 13. Ulanenregiments (Hannover) den andrängenden französischen Reiterscharen tapfern Widerstand und führten auf diesem Teile des Schlachtfeldes den vollständigen Sieg herbei. Der Tag von Mars la Tour gilt daher noch heute als ein Ehrentag für das X. Armeekorps.
2. Der Reitertampf bei Mars la Tour. Schon beginnt der Tag sich zu neigen, da tauchen hinter dem rechten französische,! Flügel bei Bille für Yron große feindliche Reitermassen auf. General von Rheinbaben erhält den Befehl, mit dem 1. hannov. Ulanenregiment Nr. 13, dem 4. Kürassier-, dem Oldenburger Dragonerregiment Nr. 19, dem 13. Dragoner-, dem 10. Husarenregiment und dem 2. hannov. Dragonerregiment Nr. 16 die rechte Flanke des Feindes zu umgehen^und alles niederzureiten, was sich in den Weg stellen würde. Im scharfen -trabe gehts nm das brennende Dorf Mars la Tour herum, voran die Oldenburger Dragoner (Nr. 19), dahinter die hannoverschen Ulanen (Nr. 13), dann die Kürassiere. Da heißt es: „Westlich der Straße Mars la Tour-Jarny fünf feindliche Reiterregimenter!" Das macht jedes Reiter herz höher schlagen, und lauter Jubel geht durch die Reihen, als man von der nächsten Anhöhe die glänzenden feindlichen Reitergeschwader erblickt. Husaren, Chasseurs, Garde-Lanciers und Kaiserin-Dragoner stehen in zwei Treffen: voran die Garde-Lanciers und Dragouer, dahinter die Kaiserin-Dragoner mit blinkenden, Roßschweif gezierten Stahlhelmen und die Chasseurs dMfrigue. Trompetensignal! Die Oldenburger brausen wie ein Ungeteilter auf den Feind. Welch glänzende Attacke! Sie bezahlen den Ruhm derselben mit 9 Offizieren, 104 Mann und 99 Pferden. Und nun ans zweite Treffen! Oberst von Schack, der Kommandeur der hannoverschen Ulanen, hält auf bereits verwundetem Pferde weit vor der Front seines Regiments, mit ihm sein Trompeter Behrens. Noch halten die Reiter. „Deployieren!" ruft die Trompete. In die Geschwader kommt Bewegung; sie ziehen sich auseinander, füllen den Raum zwischen Straße und ilronbach. Horch! Ein neues Signal: „Galopp!" Und über das Feld brausts wie ein Gewittersturm. Weit voran noch immer der Oberst von Schack mit seinem Trompeter. Immer näher kommen die feindlichen Reihen; und immer heftiger wird das schwerverwundete Pferd. Jetzt ist der rechte Augenblick. «Marsch, Marsch!" befiehlt der Oberst; und indem die schmetternden Töne der Trompete die Ulanen zum Sturmangriff anfeuern, stürmt der Oberst von Schack mit lautem Hurrah vorwärts, allen weit voraus, in die feindlichen Geschwader, hinter ihm sein Trompeter. Hindurch sagt er zwischen feindlichen Dragonern — dann aber entschwindet er den Blicken seines Begleiters — auf immer. Eine tödliche Kugel reißt das Pferd des Trompeters nieder, und es begräbt im Fallen fetneu Reiter unter sich. Mit begeistertem Hurrah folgen ihrem Führer jetzt fite Schwadronen, unb die Pferde, von gleichem Kampfesmut beseelt wie die Ulanen, tragen ihre Reiter frisch in den Feind. Da kracht eine Salve! Sie tst zu hoch gerichtet und geht über die Köpfe der Unsern hinweg. Als sich der
166 36. Die Teilnahme nicdersächsischer Soldaten am Kriege gegen Frankreich.
Pulverrauch verzogen, haben unsere Ulanen die französischen Kaiserin-Dragoner unmittelbar vor sich. Fast lauter hünenhafte Gestalten, durch Stahlhelm und Roßschweif vergrößert, auf schweren und ungeschickten Pferden. Noch am Morgen sind sie von Napoleon selbst zu größter Tapferkeit ermahnt. Als nun der Anprall unserer Ulanen erfolgt, da beginnt jenes Handgemenge, jene melee infernale, bei der die Dragoner, die meist sehr lose im Sattel sitzen, in Masse von den Pferden heruntergestochen werden. Die Lanze erweist sich dabei in den Händen der hannoverschen Ulanen als eine furchtbare Waffe. Während so auf dem äußersten linken Flügel durch das Eingreifen der Ulanen und Kürassiere das Gleichgewicht hergestellt wird, erfolgt auf die Mitte ein neuer Angriff. Ihm trat das 2. hannoversche Dragonerregiment Nr. 16 entgegen; es stürzte sich mit entfalteter Standarte auf den Feind. Mitten im Kampfgewühle hält der Oberst v. Waldow und neben ihm der Stabstrompeter Lichte. Plötzlich sprengt von der Seite heran, unbemerkt, ein französischer Offizier von den Chasseurs d'Afrique, hätt die Pistole gerade auf den Kommandeur gerichtet. Das sieht noch eben der Stabstrompeter, wirft mit Blitzesschnelle sein Pferd herum und schlägt mit raschem Säbelhieb den Arm des feindlichen Offiziers nieder. *) Der schon sich entladende Schnß verfehlt sein Ziel. Oberst v. Waldow ist gerettet. Und weiter reitet der Oberst in der Mitte seiner Dragoner hinein in das unbeschreibliche Durcheinander. 22 deutsche Eskadrons kämpfen gegen 25 französische. Immer tiefer sinkt die Sonne am westlichen Himmel und beleuchtet mit blutigen Strahlen das weite Feld. Jetzt lösen sich einzelne französische Reiter ab und fliehen nach Norbert; ihre Zahl wird größer und größer; die Reihen wanken und weichen, und die zurückflutende Welle reißt noch vier vordringende französische Eskadrons mit sich fort. Der Verfolgung durch unsere Reiter setzt französisches Infanterie- und Artilleriefeuer ein Ziel; aber die feindliche Kavalleriemafse ist vom Schlachtfelde gefegt, die Gefahr für den linken Flügel beseitigt, und der Sieg des Tages neigt sich unsern Fahnen zu.
3. Das X. Korps vor Metz. Um einen Dnrchbruch des Feindes auf dem linken Moselufer unter allen Umständen zu verhindern, sollte dort durch Verhaue, Schützengräben und Schanzen eine fortlaufend befestigte Linie hergestellt werden. Dem X. Korps wurde der linke, nördliche Flügel auf der Strecke von St. Privat bis zur Mosel zugewiesen; außerdem mußte es die Verbindung mit dem rechten Moselufer herstellen, Brücken bauen und für deren Sicherung Sorge tragen. Dementsprechend richtete sich das X. Korps so ein, daß die 19. Division die Linie von Norroy auf den Gravelotter Höhen bis zur Eisenbahn Metz-Diedenhofen, die 20. Division diejenige von der Bahn bis nach Olgy an der Mosel inne hatte. Eine Pontonbrücke verband diesen Ort mit dem andern Ufer. Auf hervorragenden Punkten, die einen Einblick ins Moseltal gewährten, wurden Beobachtungsposten eingerichtet, auf denen Offiziere durch Ferngläser jede Bewegung des Feindes verfolgten. Sämtliche Korps waren zur schnellsten Benachrichtigung in sich und untereinander durch Telegraphen verbunden; die Kavallerie hatte außerdem Relais gelegt. Vorhandene Straßen wurden gebessert, neue, gedeckte Wege angelegt und mit Wegweisern versehen. Hinter den einzelnen Jn-fanterie-Regimentern lagerte auf den Höhen die Divisions- und Korps-Artillerie. Die Kompagnien begannen nun sofort mit dem Bau Gemälde von Rocholl im Offizierskasino zu Lüneburg.
36. Die Teilnahme niedersächsischer Soldaten am Kriege gegen Frankreich. 167
von Mannschaftshütten; Stangen, Zweige und grünes Laub dienten als Baumaterial. Bretter waren nur sehr schwer zu beschaffen. Wohl gewährten diese Hütten Schutz gegen Tau und Sonnenstrahlen, aber nicht gegen stärkere Regengüsse; und da diese sehr bald eintraten, so wurde der Boden auch in den Hütten stets so stark aufgeweicht, daß man sie alle acht Tage verlegen mußte. Als Unterlage diente Stroh, der Tornister als Kopfkissen, der Mantel als Deckbett; an den Ästen fanden Seitengewehr, Feldflasche, Brotbeutel, Kochgeschirr und feuchte Wäsche ihren Platz; ein Brett auf einer Unterlage gab den Sitz, eine leere Zigarrenkiste das Schreibpult, eine Flasche den Leuchter ab. Mit der Zeit wurden die Hütten wohnlicher. Das Kochgeschirr diente als Kochtopf, Eß- und Waschgeschirr, und oft war Schmalhans Küchenmeister. Der Dienst wurde eingerichtet wie in der Garnison. Einen Jubel gab es jedesmal, wenn von daheim aus den Bezirken der einzelnen Regimenter die Liebesgaben eintrafen. Abwechselung in die Einförmigkeit des Lebens brachten einzelne Alarmierungen. Verschiedene Anzeichen ließen darauf schließen, daß der Feind einen Durchbruchsversuch in der Richtung auf Diedenhofen machen werde. Prinz Friedrich Karl ordnete daher an, daß das X. Korps auf das rechte Moselufer hinüberrücke und seine Stellung mit derjenigen der Landwehr-Division Kummer tausche. Der Stellungswechsel wurde am 1. Oktober vorgenommen. Der Platz war geändert; das Leben im Lager blieb dasselbe; nur, daß der Dienst und die Anstrengungen je länger desto mehr drückten.
Lagerleben. „Das Biwaks ist eigentlich ein Hüttenlager, worin die Leute, |e etwa 30, auf mäßig frischem Stroh an der Erde liegen; die Offiziere aber hausen unter französischen Beutezelten, die aus der Beute von St. Privat herrühren. Ich liege mit dem Bataillonskommandeur und dem Adjutanten unter einem großen, regenfesten Langzelte, natürlich auch auf Stroh, aber darüber auf einem erbeuteten zottigen Schaffelle. Mein Stuhl gehörte dem Herrn „Duheisme 3e dragons“, und wenn sich abends um den Holztisch das Häufchen Offiziere bei einem Talglicht auf einer leeren Flasche sammelt, so erscheinen alle Sorten von französischen Uniformen, von dem seidenen Regenmantel des Jnsanterieoffiziers bis zum roten Kaftan der Garde imperiale. Von dem Luxus der französischen Offiziere hat man gar keinen Begriff gehabt. Sie sind am 18. so gelaufen, daß sie das ganze Lager eines Korps zurückgelassen Haben; daraus hat sich denn alles versorgt, und es fehlt uns setzt weder an seidenen Plumeaux noch an Nagelschminke, wenn wir damit nur umzugehen wüßten. Dagegen sehen unsere eigenen Leute wie die Grasteufel aus. Als wir Ersatzleute ins Lager kamen, war es, wie wenn in den Reisebeschreibungen vor dem ankommenden Touristen ein Haufen Kalmücken aus Erdgruben auftaucht, solch ungewaschene und ungeputzte Schar kam auf uns zu. ... Uns Offizieren geht es bei dem heillosen Dreck ja noch leidlich. Wir haben unsere erbeuteten Zelte, in denen sich wenigstens Schutz gegen Regen und Wind findet, und unsere Lagerstätte behalt doch auch noch den Charakter eines Strohlagers. Die Leute aber unter ihren losen Hütten von Holz und Zweigen liegen effektiv in
Rindfleisch, Feldbriefe. Göttingen, Vandenhoeck u. Ruprecht. R., Ober-Herichtsrat in Celle, machte den Krieg als Reserveleutnant im Ersatzbataillon. §es damals zum X. Korps gehörigen 56. Regiments (Göttingen) mit.
168 36. Die Teilnahme nieder,'ächfischer Soldaten am Kriege gegen Frankreich,
einem jauchigen Miste, und gestern haben wir trotz strömenden Regens umbauen Ä -Urch «ne ganze Anzahl der Hütten das Wasser geradezu in m i!' Trotzdem und die Leute guter Dinge, sobald nur ein Augen-
blick des Aufatmens eintritt, sobald es lange genug Pause mit dem Regnen
SÄ ^ mit So.^e.n Zu machen, oder wenn ein paar Bund
$ ^schafft werden, um auf den Mist oben aufgeschmissen zu werden Mim*«. ?*,' £ ?n-^üb Statz geben kann, wie er mit einigen Karne-
, L i u"ter einigen gleich schmierigen Höhlenbewohnern
IV- ^^ällches Feuerchen hockt und sich IN die Zukunft von ein paar Kochgeschirren vertieft, m denen oft unaussprechliche Genüsse brodeln."
®*s°nders . schlimm war die Lage der Vorposten-Bataillone, die in den Biwaks keinerlei schütz gegen die Unbilden der rauben Jahreszeit fanden >bie ^QU-t' öoc SäIte Zitternd nnd ohne nächtlichen Schlaf,' ns9 I- lni .""gestrengten Dienste auf Posten, Feldwache oder Piket — wahrlich, es gehört ein kräftiger Körper und ein eiserner Wille dazu, solchen ^ unterliegen! Mancher hat sich in jenen Tagen und Wochen
SSJ rSlnTt nims3Us WtoeT Rankheit, zu dauerndem Siechtum, zu frühem Sode geholt. „Und dennoch, was für eine Armee! Kein Wort des Mißvergnügens, keine leise Regung von Jndiszip lin!" Mit solchen Truppen mußte das Werk gelingen, und als am Morgen des 28. Oktober den einzelnen Regimentern der Fall der gewaltigen, bis dahin nie bezwungenen Festung bekannt^ gemacht wurde, da stimmten die Tausende in ihrem Herzen
Sun Salt an. lottV der R.,imEop°ll-n, die da spi-l.-n:
Die Übergabe von Metz. Ein großes Ereignis aber stand noch bevor-blL Übernahme der gefangenen französischen Armee. (m'.T'rjberichtet darüber als Augenzeuge in seinen Feldbriefen folgendes: f ieV! der Hand gingen die französischen Truppen durch das Caudi-msche Joch das unsere Regimenter neben der Chaussee gebildet hatten. Es war ein scheußliches Regenwetter, und wir waren von morgens 7 bis abends v ra mett' a^er.tua^ waren alle solche Unbequemlichkeiten gegen
he Große des Momentes, den man miterlebte! Als es nach stundenlangem ®n^lch hleß: da kommen sie! und als sie dann angerückt kamen, mußte ich doch beinahe mit den aufsteigenden Tränen kämpfen. Es war ein zu überwältigender Gedanke, die stolzeste Armee der Welt, mit dem Gefühle der Unüberwindlichst vor wenig Wochen hinausgezogen, und nun gebrochen, hoff* nungslos auf dem Wege in die Gefangenschaft! Vielen unter der endlosen e?he schien auch der Todesgram im Herzen zu sitzen; es waren Gestalten darunter, an denen )tch die Phantasie eines Dichters hätte begeistern können, stolze baumlange Kerle mit fußlangen Bärten und die Brust voll Medaillen, die den (Stock, wie zum Trotze, gleich einem Gewehr trugen und die Reihen ihrer Sieger mit finsterer Rengnatwn musterten. Auch die Zuaven sahen zum Teil sehr romanttsch und phantastisch ans, und in der Artillerie war ein Anstrich von genülezza, gegen die unsere ehrliche derbe Arbeitskraft wunderbar absticht. Die große Ma„e aber war des Mitgefühls nicht wert, das sich unwillkürlich in betaust regen mußte; sie liefen plappernd und sorglos in die weite Welt hinaus, uud wo einige von unseren Truppen nahe genug an der Chaussee standen, entspann jich sogleich ern tolles Zigarrengeschäft mit wildem Kauderwelsch über: JNix Kozüeisch, Gamerad Prusse usw. So marschierte und schnurrte der Ruq Oiä zur sinkenden Nacht an uns vorüber, 40 000 Mann, wie man sagte, und doch nicht viel mehr als das Viertel derer, die sich uns ergeben Hatten!"
4. Der Marsch nach der Loire. Nach dem Falle von Metz aalt es, die bedeutenden französischen Heeresmassen, die sich an der Loire zum Entsatz von Paris sammelten, von jeder Störung der Belagerung
36. Die Teilnahme niedersächsischer Soldaten am Kriege gegen Frankreich. 169
von Paris abzuhalten, zu schlagen und möglichst zu vernichten. Die Aufgabe erhielt die freigewordene II. Armee; sie sollte von Metz aus in der Richtung auf Orleans vorgehen. Dabei sollte das X. Korps den linken Flügel bilden und nach rechts mit dem III. Korps Fühlung, behalten. Am 2. November war das X. Korps mit fliegenden Fahnen und klingendem Spiel durch das eroberte Metz marschiert und hatte von Pont ä Monsson aus seilten Marsch nach der Loire angetreten. Nach den schweren Tagen der Belagerung war den Mannschaften der Marsch wie eine Erlösung. Schon am zweiten Marschtage verschwanden die Spuren des Krieges; die Landschaft bot einen freundlichen, oft lieblichen Anblick; gute Verpflegung und nicht allzugroße Anstrengungen hoben den Gesundheitszustand von Tag zu Tag. Über Toni und das Plateau von Langres gings nach Chaumont an der Marne und Chatillon an der Seine. Doch die Bevölkerung wurde nach und nach widerspenstiger, die Verpflegung mangelhafter, der Marsch von Tag zu Tag schwieriger. In Chatillon wurden den Einwohnern sämtliche Waffen abgenommen und
vor dem Stadthause zerstört. Die rückwärtigen Verbindungen konnten nur noch mit Not aufrecht erhalten werden, und die Feldpost mußte ihre Tätigkeit einstellen. Franktireursbanden tauchten auf; an den wichtigsten Punkten waren die Wege zerstört; Wegweiser und Kilometersteine fand man schwarz überstrichen. Bei Joigny trat der
19. Division, die an der Spitze marschierte, sogar ein bewaffneter Volkshaufen entgegen. Trotz der Schwierigkeiten wurden aber die
Marschziele stets erreicht. Von Montargis ab machte sich die
Nähe der französischen Loire-Armee bemerkbar; sie suchte Me Vereinigung des X. Korps bei Veaune la Rolande zu verhindern. Bei Ladon, Maizi^res und Lorcy wurden daher einzelne Abteilungen in Gefechte verwickelt, die aber den Aufmarsch des X Korps in der Gegend Don Beanne nicht verhindern konnten, Eine besondere Gelegenheit, sich mit Ruhm zu bedecken, fand das 10. Jägerbataillon (Goslar) bei Lorcy. Es wurde viermal von feindlichen Vorposten angegriffen, und viermal schlug es den Feind zurück. Der kommandierende General erließ am 25. November von Beanne ans folgenden Armeebefehl:
cm- »Nachdem dps X. Korps seit der Einnahme von Metz in anstrengenden Marschen und tn steter Bereitschaft, mit dem Feinde zusammenzustoßen, fünfzig Metten zurückgelegt hat, hat es das Ziel dieser Leistung gestern durch eine Reihe ruhmvoller und glücklicher Gefechte erreicht. Das Korps hat im Verein mit der yesnichen Reiterbrigade durch einen schwierigen Flankenmarsch unmittelbar am 6emde lerne Wiedervereinigung mit den übrigen Seiner Königlichen Hoheit dem Prinzen Friedrich Karl unterstellten Armeekorps bewirkt und alle Versuche des Lindes, diese Bewegung zu stören, siegreich zurückgeschlagen. Indem ich Offizieren und Mann,chaften meinen Dank und meine volle Anerkennung ausspreche ^arle )ch, daß die Kriegsgeschichte auch ferner vom X. Armeekorps nur rühm--Lj o c -Cv ^zeichnen haben und daß es uns gelingen wird, uns auch weiter etc Zufriedenheit unseres Königs nnd Kriegsherrn zn erwerben."
170 36. Die Teilnahme niedersächfischer Soldaten am Kriege gegen Frankreich.
5. Die Schlacht bei Beaune la Rolande. 28. November. Die
-französische Loire-Armee (18. n. 20. Korps) unternahm am 28. November einen überraschenden Vorstoß gegen unser X. Korps, um dieses von der II. Armee abzudrängen und den Weg nach Paris zu gewinnen. So kam es zur Schlacht von Beaune la Rolande.
a. Die Schlacht auf dem linken Flügel. Beim Morgengrauen zeigte sich beim Feinde eine auffällige Bewegung, von den Vorposten der 79er, 56er und 10. Jäger, die in Juranville, Les Co-telles und Lorcy lagen, wohl bemerkt, aber kaum gewürdigt, weil man den Feind, der bislang wenig Widerstandslust gezeigt hatte, unterschätzte, und weil man durch die dauernden Erfolge ziemlich sorglos geworden war. Plötzlich stieg vor den Vorposten, weithin sichtbar, eine dichte dunkle Rauchwolke auf. An der Straße Ladon-Beanne ging ein alleinstehendes, verlassenes Haus in Flammen auf. War das ein Signal für deu Feind? Denn bald tauchten überall vor der Postenlinie lange Reihen französischer Tirailleure auf und näherten sich vorsichtig und langsam der Aufstellung der 39. Brigade. Lwar wurde sofort alarmiert und Meldung gemacht und Befehl erteilt, aber man war doch überrumpelt, und schon knallten vom Walde herüber die ersten feindlichen Schüsse, als 79er, 56er und 10. Jäger sich erst sammelten. „Als wir in Juranville", erzählt 'Rindfleisch, „auf die ersten Schüsse aus dem Walde her aus die Straße sprangen, fitschten die Kugeln schon ganz handfest auf die ©affe, und einer meiner Leute wurde schon durch den Fuß geschossen, ehe wir noch unsere Kompagnie rangiert hatten. Das ganze Bataillon, und was von Infanterie noch sonst zur Hand war, zog sich nun schnell aus dem rings vom Walde umgebenen und vom feindlichen Feuer erreichten Juranville zurück und sammelte sich zur Aufnahme der Vorpostenkompagnien nördlich Les Cotelles auf einer flachen Höhe, die mit Nußbäumen durch das ganze Feld hin besetzt und von Weinbeeten durchzogen war." Dort war der Alarmplatz der Brigade, und etwa eine halbe Stunde nach dem unerwarteten Angriff standen dort Musketiere, Füsiliere, Pioniere, Geschütze und Dragoner zur Abwehr bereit.
Indessen knatterte auf der ganzen Vorpostenlinie lebhaftes Gewehrfeuer, von Minute zu Minute stärker werdend. Kein Zweifel, der Feind griff auf der ganzen Linie ernsthaft an. Von Beaune herüber vernahm man Kanonendonner. Also auch dort hatte der Feind einen Angriff unternommen; es war das 20. französische Korps, das gegen unsere 38. Brigade vorging, mit immer neuen Regimentern gegen sie anstürmte und die 16er (damals Hannover) fast in die Stadt einschloß.
Unsere Vorpostenkompagnien vor Juranville (1. u. 2./79) und Lorcy (3. u. 4./79; 1. Komp. 10. Jäger) hatten einen schweren Stand; sie mußten zurück. In Juranville setzte der Feind sich fest und
Z6. Die Teilnahme niedersächsischer Soldaten am Kriege gegen Frankreich. 171
richtete den Ort nach seiner Gewohnheit schnell und mit dem ihm eigenen Geschick zur Verteidigung ein: die Eingänge wurden verbarrikadiert, die meist massiven Häuser mit Schießscharten versehen, auch der Kirchturm erhielt Besatzung. Schützenschwärme drangen über das Dors hinaus nach Norden gegen Les Cotelles vor, wo das Füsilierbataillon 79 stand. Da erhielt Bataillon I 56 den Befehl, Juran-Dille dem Feinde wieder zu entreißen. Zwar gelang es den 5Gern, die feindlichen Schützenschwärme auf Juranville zurückzudrängen; sie konnten aber den Feind nicht aus dem Dorfe vertreiben. Nachdem sie mehr als zwei Stunden vergeblich gerungen, große Verluste gehabt und fast alle Munition verschossen hatten, brachten um die Mittagszeit die oldenburgischeu Füsiliere (91er) die langerwartete Unterstützung. Während die 56er Füsiliere nun von Norden gegen das Dorf Vorgingen, griffen die Oldenburger von Westen an. Jetzt sind ihre Schützenlinien nahe genug an das Dorf herangekommen. Es entsteht rin kurzes, heftiges Gefecht. Dann der Befehl „Nasch avancieren!" Die Tambours schlagen. Mit Hurrah werfen sich die Kompagnien aus das Dorf, nehmen im ersten Anlauf dessen Umfassung, und die Schützen dringen in das Dorf ein. So auch gehen von der andern Seite die 56er vor. Aber der Feind leistet hartnäckigen Widerstand; aus Häusern, von den Barrikaden her, vom Kirchtürme herab fallen bie Schüsse; Haus für Haus muß erstürmt werden. Dennoch — das Dorf ist unser und 250 Gefangene dazu. Aber — von Lorch dringen neue, dichte Schützeuschwärme heran. Geschlossene Bataillone folgen. Vermögen die Unsern das Dorf dauernd zu behaupten? Hauptmann von Tayfen, der Führer der 91er, hält die Barrikaden besetzt und ist dazu fest entschlossen. Er bittet um Unterstützung. Sie kann nicht gewährt werden; es erfolgt vielmehr der Befehl, sich nach der Windmühle von Venouille zurückzuziehen. Hauptmam^ von Tahsen und manch bravem Oldenburger blutet das Herz. Doch der Befehl verlangt Gehorsam, und in Ruhe, geschlossen, in musterhafter Ordnung, die Gefangenen mit sich führend, treten bie Füsiliere im feinblichen Fener ben Rückzug an. Das imponiert bem Feinbe dermaßen, daß er es nicht wagt, über Juran-Dille hinaus zu folgen. Auch Corbeilles war inzwischen von dem Feinde genommen worden, und die Jäger waren aus Bordeaux zurückgegangen; doch wagte der Feind nicht, über Corbeilles hinaus zu folgen. Nur Les Cotelles war von den 79er Füsilieren vorläufig noch zu halten.
Als der^ kommandierende General das erneute Aufgeben von Juranville erfuhr, sanbte er gegen 2 Uhr ben Oberst Lehmann mit fl Kompagnien ber Ostsriesen (78er) unb bret Batterien vor, um Jbet Long Cour eine Ausnahmestellung zu beziehen.
Es nahte bie Krisis ber Schlacht.
Zwischen Juranville unb Lorch würben starke feinbliche Ab-
172 36. Die Teilnahme niedersächsischer Soldaten am Kriege gegen Frankreich.
leilungen sichtbar, die in der Richtung auf Long Cour vorgingen. Dort standen 4 Batterien. Schuß auf Schuß donnerte jetzt gegen den Feind, der auf die freie Ebene getreten war; Schuß auf Schuß hinweg über I 91^ Dennoch ging der Feind vor, und die 91er hörten schon die Lignale und das Geschrei von Taufenden von Stimmen: „En avant! ä droit! ä gauche!“ Und siehe, jetzt tauchen auf dem Kamm der vorliegenden Höhe auch schon die ersten Feinde auf. Inzwischen war auch Oberst Lehmann mit den Ostfriesen auf den Höhen von Long Cour angelangt und griff sofort ins Feuer ein; der Feind stutzte, stockte und ging in Unordnung auf Jurauville zurück. Auch die neu eingreifende französische Artillerie vermochte keinen Erfolg zu erringen.
Merkwürdigerweise war das vom Füsilierbataillon 79 (Einbeck) besetzte Dorf Les Cotelles bislang vom Feinde fast unbeachtet geblieben. Jetzt aber, nachdem der Angriff auf Long Cour zurückgeschlagen,, wandte sich der Feind von Jurauville aus zu einem ernstlichen Angriff gegen die 79er Füsiliere in Les Cotelles. Das Dorf war von dem Füsilierbataillon so gut es giug zur Verteidigung eingerichtete In die Maueru waren Schießscharten eingebrochen, öder vor den Mauern Trittstufen hergestellt und die Straßen durch Wagen, Strauchwerk und Hausgerät verbarrikadiert. Nach einem vergeblichen Versuche zog sich der Feind zunächst zurück, entwickelte aber alsbald einen neuen Angriff. Etwa 600 Mann und ein Geschütz rückten entschlossen heran. Eine Bodenwelle verdeckte den Anmarsch des Feindes; nur aus den Bodenfenstern der höchsten Häuser des Dorfes war er zu beobachten. Als der Feind die Höhe erreicht, empfängt ihn ein wirksames Feuer aus allen Gewehren von 3 Kompagnien. Er stutzt, wirft sich nieder nnd beantwortet das Feuer. Ein kurzes, heftiges Feuergefecht. Pulverdampf verhüllt jede Aussicht. Der Schleier zerreißt. Der Feind hat sich zur Flucht gewandt. Sein Angriff ist blutig abgewiesen. Mehr als 50 Leichen, über 100 Gewehre, auf dem Felde verstreut liegende Tornister zeigen, wo das Feuer der Füsiliere den Feind erreichte. Doch ber Feind ist zähe. Nach einer halben Stunde erneuert er seinen Angriff von ©üben Her. Mehrere feinbliche Geschütze eröffnen ihr Feuer gegen Les Cotelles. Darauf setzen sich
zwei feinbliche Kolonnen rechts unb links ber Chaussee von Bellegar de gegen Les Cotelles in Bewegung. Zur Unterstützung ber Füsiliere jagen jetzt zwei Geschütze unserer 3. schweren Batterie
heran. In ber Karriere geht s burch bas Dorf, vorwärts auf ber
Chaussee gegen ben Feinb; boch sie fahren zu weit, unb in betn
Augenblicke, als sie abprotzen wollen, überschüttet der Feinb beibe Geschütze mit einem Hagel von Geschossen. Zwei Pferde des einen Geschützes liegen tot, zwei sinb Verwundet, ein Teil ber Bedienungsmannschaft ist gefechtsuitfähig. In bem tief aufgeweichten Boden können die übrigen Pferde bas Geschütz nicht fortschleppen. Nur die
36. Die Teilnahme niedersächsischer Soldaten am Kriege gegen Frankreich. 173
Protze und das andere Geschütz sind zurückzuziehen. Vier frische Pferde werden herbeigeholt; Freiwillige von der Artillerie und von den Füsilieren erbieten sich, das Geschütz zu holen. Doch der Feind ist inzwischen zu nahe herangerückt und hält den ganzen Südrand des Dorfes unter so wirksamem Feuer, daß Major v. Steinäcker jeden weiteren Versuch zur Rettung des Geschützes untersagt. Nun versuchte der Feind, Les Cotelles auch von Westen zu umfassen. So war das Füsilierbataillon in beiden Flanken und in der Front bedroht. Oberst v. Valentini befahl daher, nunmehr das Dorf aufzugeben und sich auf den rechten Flügel der Hauptstellung, auf den Windmühlenberg hinter Venouille, zurückzuziehen. Das Signal zum Rückzug schmettert durch die Gassen des Dorfes. Die Füsiliere sammeln sich und treten in guter Ordnung den Rückzug an. Nur der 2. Zug der 9. Kompagnie hat sich etwas verspätet und wird durch eine feindliche Abteilung Lanciers, die durch die Obstgärten heransaust, überritten, wobei ein Teil dieses Zuges in Gefangenschaft gerät. Der Feind hatte nun zwar auch Les Cotelles rnne; aber darüber hinaus gegen unsere Hauptstellung wagte er sich nicht mehr vor. Er stellte nach und nach das Feuer ein, und gegen vier Uhr verstummte es ganz auf diesem Teile des Schlachtfeldes. Die Angriffskraft des französischen 18. Armeekorps schien erschöpft.
b. Auf dem rechten Flügel. Nur von Beaune la Rolande herüber grollte noch immer der Kanonendonner. Dort stand die 38. Brigade (damals 16er und 57er, Hannover) im heftigsten Feuer. Auch dort waren die Vorposten morgens angegriffen und auf die Hauptstellung in Beaune zurückgedrängt. Es gelang dem 20. französischen Korps und der 3. Division, gegen Mittag die Höhen östlich bei Beaune zu ersteigen und den Ort fast ganz zu umstellen. Heftiges Artilleriefeuer donnerte von den Höhen herab; viele Hauser standen bereits in Flammen; die Kirchhofsmauer, der wichtigste Stützpunkt der Verteidigung von Beaune, war an verschiedenen Stellen bereits von Granaten durchschlagen; aber die 16er und zwei Kompagien der 57er wichen und wankten nicht. Der Feind unternimmt zwei Sturmversuche; ein ruhiges und festes Feuer weist ihn zweimal zurück. Doch die Lage wird immer bedenklicher; die Patronenwagen sind bereits zurückgegangen, und nur die Taschenmunition ist noch zur Verfügung. Da heißt es sparen, ruhig Blut behalten, gut zielen und langsam feuern. Nachmittags gelingt es, an der Ost- und Nordseite von Beaune wieder festen Fuß zu fassen. Und stehe! jetzt kommen auch die Waffenbrüder von Mars-la-Tour, die Brandenburger. Die 5. Infanterie-Division greift von Norden her in das Gefecht ein. Der Kampf wogt hin und her. Der Franzose will durchaus Beaune in seine Gewalt haben; und in der Dunkelheit des Abends unternimmt er noch einen Sturm auf die Stadt und auf den zäh verteidigten Kirchhof. Jeder der Unfern hat im Durch-
174 36. Die Teilnahme niedersächsischer Soldaten am Kriege gegen Frankreich.
schnitt nur noch drei Patronen. Auch dieser Sturm scheitert. Am nächsten Morgen fand man vor dem Kirchhofe allein 700 tote Feinde. Der Feind sieht die Erfolglosigkeit seines Unternehmens-ein; er geht auf seine Stellungen bei Bellegarde und Boiscommun zurück. Es ist ihm nicht gelungen, das-X. Korps zu durchbrechen oder es von den übrigen Korp^ der II. Armee abzudrängen. So rasch hatte sich die vor drei Tagen ausgesprochene Erwartung des kommandierenden Generals-v. Voigts-Rhetz, daß die Kriegsgeschichte auch ferner rühmliche Taten des X. Armeekorps zu verzeichnen haben würde, erfüllt. „Die achtstündige Schlacht bei Beaune bildet ein Lorbeerblatt in dem Siegeskranze des X. Armeekorps, auf das es mit vollem Recht stolz sein darf."
6. Bor und in Le Mans. Nachdem der Vorstoß gegen das^ X. Korps mißlungen war, hatte der französische General Chanzy die Absicht, den Loir-Abschnitt bei Vendome zu verteidigen. Vendüme wurde jedoch genommen, und Chanzy trat seinen Rückmarsch auf Le Mans an. Um die Weihnachtszeit lag das Korps in und um Vendome und erlebte ähnliche trübe Tage wie vor Metz. Anfang Januar erhielt es den Befehl zum Marsch gegen Le Mans. Längs des Loir, eines rechten Nebenflusses der Loire, mußten die feindlichen Abteilungen verdrängt, eine Reihe von Engpässen durchschritten und vielfache Unterbrechungen der Straßen überwunden werden. Chanzy war entschlossen, in Le Mans ernsthaften Widerstand zu leisten. So kam es am 10., 11. und 12. Januar zur Schlacht bei Le Mans, an deren glücklichem Ausgange das X. Korps, von Süden heranrückend, einen entscheidenden Anteil hatte. Da ein weiteres Vordringen der zweiten Armee nicht in der Absicht des Oberfeldherrn lag, so wurde der Feind nur durch einige Detachements des X. Korps-verfolgt.
7. Die Hannoveraner in der Schlacht von Le Mans. Am 11. Januar sollte das X. Korps auf die Straße Tours-Le Mans übergehen und die feindliche Stellung von Süden aus angreifen. Die Brandenburger, die näher am Feinde sind, stehen schon im heißesten Kampfe. Sie machen Sturmlauf über Sturmlauf und gehen von Busch zu Busch, von Gehöft zu Gehöft in Einzel-kämpfen bis an den Abend. Da plötzlich Flankenstoß am äußersten linken Flügel! „Die Hannoveraner sind da!" Die Avantgarde des X. Korps greift ein, Teile der 40. und 39. Brigade, 92 er Füsiliere (Braunschweig), 17er und I 56. Auf der Höhe von Mortes-Aures bei La Tuilerie war eine befestigte Stellung, der Schlüsselpunkt der feindlichen Position. Nationalgarden hatten dort ein schlechtes Lager, das im Wasser schwamm. Sie kamen schon ermattet in die Front und hatten kaum Zeit gehabt, sich ans Feuer zu gewöhnen.
Als die Vorhut des X. Korps heranzieht, ist bereits alles in ein fahles Dämmerlicht gehüllt. An der Spitze marschiert das Göttinger Bataillon, I 56. Die Kugeln pfeifen schon die zur Höhe ansteigende Chaussee hinunter, und in dem matten Schneelicht wogen die aufgelösten Massen der Bataillone, die „nicht reüssiert hatten", auf beiden Seiten an den Bäumen und Gräben hin und her.
36. Die Teilnahme niedersächsischer Soldaten am Kriege gegen Frankreich. 175^
während in einem Halbkreise auf den Höhen die Tirailleurseuer leuchten. An einem kleinen Birkenwalde hält der Brigadestab. Da sprengt die Ordonnanz des kommandierenden Generals von Voigts-Rhetz an das Bataillon heran. „Welches Bataillon? Wo ist der Führer?" 56."" *) „Exzellenz lassen
fragen, ob Ihre Kerls noch etwas leisten können?" „Aber versteht sich!" versetzt der stellvertretende Bataillonskommandeur, Hauptmann v. Monbart. „Dann befiehlt Exzellenz, vorliegende Höhen mit dem Bajonett zu nehmen. Er verspricht sich alles von energischem Benutzen des Augenblicks. Der Feind drüben scheint nicht stark und etwas zaghaft." „Bestellen Sie Exzelleuz, die Sache wäre so gut wie geschehen. Bataillon tritt sofort an!" Der entschlossene Offizier ließ die berittenen Herren absteigen, um nicht mal durch Hufschlag oder höhere Gestaltumrisse den lautlosen Anmarsch in Frage zu stellen. „Dicht aufschlichen! Fahne und Spielleute an die Spitze!" In tiefer Stille bewegt sich die Sturmsäule vorwärts durch die tiefe Mulde, die fern am Horizonte ein dunkler Streifen abschließt: die feindlichen Höhen, von denen es in die Nacht hinausblitzt. Schützen vom 17. (damals Celle) und 92. Regiment bitten um Erlaubnis, sich anschließen zu dürfen. Es nebelt so dicht, daß es wie ein Nachtunternehmen scheint. Eine Patrouille kriecht heran: „Auf der Höhe drüben ein feindliches Lager!" Nur am Aufblitzen der Schüsse läßt sich des Feindes Nähe erkennen. Die Nationalgarden haben ihre Vorpostenlinie ganz zurückgezogen. Nun mit aller Vorsicht vorwärts; glücklich heran in der Dämmerung! Da plötzlich ein paar Kugeln, sie schlagen neben dem Kompagnieführer ein — eine-feindliche Vedette ist aufmerksam geworden — „Halte-lä! Qui vive!“ „Vorwärts Marsch Marsch!" Lautes, langes Hurrah! „L’ennerni est lä!“ Vollständige Überrumpelung! Die Nationalgarden waren gerade beim Suppekochen, sie hielten den Kampf für heute beendigt. „Sauve qui peut!“ Alles flieht davon. Von hinterher eilen neue Kompagnien zur Hilfe. Zu spät! Der Einbruch in die feindliche Kernstellung gelang vollständig, die Höhe von La Tuilerie mit einer Asphaltfabrik und einer Ziegelei ist genommen! Dort nisten die Unsern sich ein und warten, Gewehr in Hand, der Dinge, die da kommen sollen. Das überrumpelte Feldlager der Nationalgarden sah recht appetitlich aus: Pöckelsleisch, Biskuits, Kognaktonnen. Verlassene Gewehrpyramiden lagen am Boden. „Kolben abschlagen!" befahl Monbart, da man doch nicht wissen konnte, ob man diese isolierte Vorderstellung behaupten werde. Ebenso ließ er vorgefundene Munition in Tümpel werfen. „Haha, ein Generalsrock!" Als man die im Stich gelassenen Effekten verteilte, bekam Hauptmann v. Monbart den betreßten Rock des Generals Lalande, der in Hemdsärmeln das Weite gesucht hatte. Die Eroberung der Stellung von La Tuilerie war von entscheidender Bedeutung für den Erfolg des Tages. Dem X. Korps war damit der gerade Weg aus Le Maus eröffnet. Trotz der hereinbrechenden Nacht war der Kampf nicht zu Ende. Rechts von La Tuilerie starrte die Höhe von Les Epinettes von Schützen und Kanonen in Erdaufwürfen. „Es war tiefe Nacht, als der vorgerittene Major v. Przychowski, der Kommandeur des hannoverschen Jägerbataillons, zu erkennen glaubte, daß dort kein ordentlicher Wachtdienst sichere und daher Möglichkeit vorhanden sei, einen Überfall im Schutze der Nacht zu wagen. Die 10. Jäger und mit ihnen Ostfriesen des 78. Regiments vollbrachten auch dies. Ohne einen Laut von sich zu geben, ohne einen Schuß zu tun, wälzte sich um zwei Uhr nachts eine lange Linie wie mächtige Brandung heran, die plötzlich lautaufdröhnend an den Strand peitscht: hier lieh ein brüllendes Hurrah die donnernde Losung, daß die Höhe gewonnen, der Feind zersprengt, der Sieg errungen sei."
Prinz Friedrich Karl ahnte von diesen Glückserfolgen nicht das mindeste. Für den 12. Januar traf mit Tagesanbruch der Befehl ein, daß die Offensive
i) Teilweise nach Karl Bleibtreu, Le Mans, Stuttgart, Krabbe.
176 36. Die Teilnahme niedersächsischer Soldaten am Knege gegen Frankreich.
Dom IU. und X. Korps fortzusetzen sei. Es herrschte dichter Nebel. Jede Fernsicht war bis Mittag beschränkt. Die Wege waren wieder spiegelglatt gefroren. Im dichten Nebel rückte in der Morgensrühe das X. Korps von Süden heran und nahm die Höhen in Besitz. Die Artillerie sandte nach der Karte Schuß um Schuß in den Frühnebel hinein. Matte Kugeln fielen schon bis zur Vorstadt Pontlieu. Schrecke« verbreitet sich. Es ist Mittag. Pontlieu wird genommen. Mit erschrockenen Mienen stehen die Einwohner vor den Türen, bieten unsern Soldaten Brot und Wein und flehen um Schonung ihres Eigen-tums. Doch unaufhaltsam weiter. Der Nebel ist gesunken. Klar liegt jetzt Le Mans vor den Augen unserer Truppen, und von den Höhen, sicher gezielt, sausen nun auch die ersten Granaten in die Straßen der Stadt. Die Flammen schlagen empor. Die Sturmsäulen nahen sich dem eistreibenden Hnisnebach. Ueber ihn hinweg führt die Brücke nach der Stadt hinein. Hellblaues, kleines Wölkckien kräuselt empor; schnell folgt ein dumpfer Knall — gesprengt! doch nur unvollkommen. Wüstes Gedräuge daselbst! Über die nur halbzerstörte Brücke wagen -sich unsere Truppen nun in die brennende Stadt hinein. Die Franzosen haben ihren Rückzug bereits in der Nacht angetreten. Nur die Arriöregarde kämpft noch lebhaft hinter Barrikaden und Mauern; in Le Mans tobt ein wilder Straßenkampf, indes die Artillerie unablässig nach der Stadt hineinpfessert. Von den Bahnhöfen her hört man fortwährendes Rollen und Pfeifen abdampfender Züge. Was noch zu retten ist an Bagage, Proviant und Munition soll noch fort. Namenlose Verwirrung! Hornisten blasen unaufhörlich zur Attacke; Hurrah über Hurrah ertönt. Die Einwohner rüsten sich zur Verteidigung. Aus Fenstern, Kellerlöcher», Dachlucken fallen Schüsse. Doch vorwärts dicht an den Häusern entlang! Zwei Kompagnien der Oldenburger eilen zunächst nach dem Bahnhof. Die auf dem Perron stehenden Mobilgarden fliehen. Mit den abdampfenden Güterzügen laufen unsre Musketiere um die Wette, richten ihre Schüsse auf die Lokomotive und suchen die Züge zum Stehen zu bringen. Sechs Lokomotiven und 200 mit Kriegsgerät aller Art beladene Wagen fallen ihnen in die Hände, an der Hauptbrücke über die Sarthe außerdem noch 600 Proviantwagen, die eben der fliehenden Armee nachgeführt werden sollten. In der Stadt tobt indes der Straßenkampf fort. Eine drei Mann starke Patrouille der 91er kommt in eine Nebenstraße. Ein Haufe Franzosen stürzt aus den Häusern hervor nnd fällt über die drei Oldenburger her. Zwei davon entspringen geschwinden Laufs; der dritte, Musketier Wenk, ein entschlossener und baumstarker Mensch, sieht sich allein von 5 Feinden umringt und wird festgehalten. Doch der Kauf erscheint ihm zu billig. Mit kräftigem Ruck schüttelt er feine Gegner von sich ab, schlägt zwei mit dem Kolben nieder und bringt die drei andern als Gefangene mit zurück. Ein besonders hartnäckiger Kampf entspann sich auf der Place des Halles. Bürger und Soldaten leisteten verzweifelt Widerstand. Den Platz umschließen hohe Gebäude, namentlich Hotels und Cafss. Sämtliche Eingänge waren verrammelt, und aus den oberen Stockwerken und Dachluken sprühte ein Hagel von Geschossen auf die Angreifer. Nach und nach sammelten sich auf dem Platze Abteilungen der verschiedensten Regimenter des X. Korps. Dennoch gelang es nicht, sich jener Bollwerke zu bemächtigen. Erst als ein Geschütz einige Granaten in die Häuser warf, wurde es der Infanterie möglich, einzudringen. Etage für Etage, Keller und Bodenraum mußten einzeln erobert und gesäubert werden, wobei zahlreiche Gefangene gemacht wurden. Die Dunkelheit war längst hereingebrochen, als man endlich Herr des Platzes war. Ähnlich wie hier ging es auch an andern Plätzen und Straßen. Endlich legte sich der Kampf. Chanzys Armee war abgezogen; Le Maus mußte sich in sein Schicksal ergeben. Das Ziel langwieriger, siebentägiger Kämpfe war erreicht. Auch die II. französische Loire-Armee war endgültig von Paris abgedrängt. — Das X. Korps bezog nach der Schlacht in Le Mans Alarm-Quartier und erhielt Befehl, den fliehenden Feind zu verfolgen. Dabei kamen Teile des X. Korps bis Laval, dem westlichsten Punkte, der in diesem Kriege von deutschen Truppen erreicht wurde.
36. Die Teilnahme niedersächsischer Soldaten am Kriege gegen Frankreich. 177
8. Das Siegrsfrft üt Hannover. Am 1. Juli 1871 hielt die 20. Division als Vertreterin des X. Korps unter Führung des Kronprinzen Friedrich Wilhelm ihren feierlichen Einzug in Hannover. Scharen von Fremden, Landleute und Städter, waren herbeigeströmt, um den hochverehrten Königssohn, den sieggekrönten Helden, von Angesicht zu Angesicht zu sehen, um teilzuhaben an der hohen Ehre, die dem hannoverschen Armeekorps und dem hannoverschen Lande durch seine Anwesenheit erwiesen wurde. Die Stadt hatte ihr schönstes Festgewand angelegt, und eine frohbewegte Menge durchwogte die Straßen, all das Schöne, das sich dem Auge bot, musternd und bewundernd und der Stunde harrend, da der Erwartete eintreffen würde. Im Odeonsgarten wird der Kronprinz bei einem Ehrenmahle begrüßt durch die Landstände der Provinz; Graf Münster bringt ihm den Gruß der Hannoveraner. Bei Tafel erhebt sich der Kronprinz und spricht: „Ich bin beauftragt, dem Lande, dessen Vertreter uns heute zu sich geladen haben, zu sagen, daß Se. Majestät es tief in das Herz geschrieben haben, wie in dem jetzigen Kampfe Hannovers Söhne überall standen, wo es galt, mit deutschem Mute, deutscher Tapferkeit und deutscher Treue auszuhalten. Im Namen Sr. Majestät habe ich den tapferen Truppen zu sagen, daß sie mehr als ihre Schuldigkeit in diesem denkwürdigen und unvergeßlichen Kriege getan haben." Vom Georgengarten aus durch die Langelaube ging der Einzug vor sich. Der Kronprinz ritt an der Spitze. Mit klingendem Spiel und wehenden Fahnen bewegte sich der Zug durch die mächtige Ehrenpforte ant Königsworther Platz. Kranze, Blumen, Sträuße flogen aus Fenstern und von Balkons auf die einziehenden Sieger, und ehe noch der Kronprinz an der großen Ehrenpforte beim Steintor ankam, war sein Sattelknopf schwer behängt mit den grünenden und blühenden Siegeszeichen. Am Steintor begrüßte Syndikus Albrecht die heimkehrenden Krieger im Namen der Stadt Hannover. Darauf erwiderte der Kronprinz: „Unvergessen werden die Taten des X. Armeekorps sein, das heute mit seinen heldenmütigen Führern hier einzieht. Ehre denen, die nicht mehr unter uns sind — ihre Namen bleiben unvergeßlich, eingetragen in das Herz des Volkes, in das Buch der Geschichte ..." Als der Kronprinz zum Schluß seiner Rede namens des Kaisers und des gesamten deutschen Vaterlandes der Stadt und Provinz Hannover ein Hoch ausbrachte, erweckte es ein vieltausendstimmiges Echo. — Hinter dem glänzenden Gesolge des Kronprinzen kamen die Regimenter, die das X. Korps vertreten sollten: voran die Infanterie, dann die Jäger, darauf Kavallerie: Husaren, Dragoner, Ulanen — Enkel der Helden, die einst unter dem Herzog von Braun-jchweig gefochten; alles markige Gestalten, wettergebräunte, trotzige Gesichter. Dann folgte die Artillerie, und den Schluß bildeten die Gewerke der Stadt Hannover. Den Georgs- und Friedrichswall entlang bewegte
Tecklenburg u. Dageförde, Geschichte der Provinz Hannover. 12
178
37. Kirchliches.
sich der Zug zum Waterlooplatz. Dort war große Parade vor dem Kronprinzen. Dann erhielten die Truppen auf Kosten der Provinz ein Frühstück. — Dem Andenken der Soldaten aus der Provinz Hannover, die im Kriege gegen Frankreich so tapfer mitgefürten, ist in Hannover am Ausgange der Königsstraße zur Eilenriede ein prächtiges Denkmal errichtet. — Das schönste Ehrenmal aber hat fein Geringerer als Kaiser Wilhelm II. den tapfern Kämpfern unsers Heimatlandes gesetzt, als er in seinem Erlaß vom 24. Januar 1899 an das Generalkommando des X. Armeekorps in Hannover verschiedene Regimenter dieses Korps zu Trägern der Überlieferungen der althannoverschen Regimenter machte und dabei die denkwürdigen Worte sprach: „Als mein in Gott ruhender Herr Großvater im Jahre 1870 zur Abwehr feindlichen Anfalles das Schwert zog, standen Hannovers kriegerische Söhne treu zu ihrem neuen Könige und zu ihrem deutschen Baterlande. Auf blutigen Schlachtfeldern bewährten sie die alte hannoversche Tapferkeit, auf die unvergänglichen Ehrentafeln der Vergangenheit schrieben sie die Namen: Spichern, Metz, Scanne la Rolande, Le Mans. So zeigten sie sich der Ahnen wert, der Sieger von Krefeld, Minden und Waterloo, sowie der tapfern Streiter auf der Spanischen Halbinsel." — Möchten Hannovers Söhne auch in Zukunft dieser kaiserlichen Worte ein.-gedenk sein!
IX. flu$ der Gegenwart.
37. Kirchliches.
1. Die evangelisch-lutherische Landeskirche. Die Landeskirchen, die zur Zeit der Reformation entstanden waren, fügten sich zur Zeit des Kurfürstentums Hannover dem Namen nach immer mehr zu einer allgemeinen hannoverschen Landeskirche zusammen. In jedem kirchlich selbständigen Gebiete bestanden die alten Provinzialkonsistorien. Infolgedessen zeigte die innere Verwaltung manche Abweichungen, die in Gesangbüchern, Katechismen, in Liturgie und andern Dingen zum Ausdruck kam. Freilich bestand seit 1790 ein einheitlicher Landeskatechismus, auch hatte Ernst August eine Kirchenvorstandsordnung gegeben und damit die Verwaltungen der Kirchen-Gemeinden geregelt. Aber eine größere innere Einheit kam erst zustande, als im Jahre 1864 durch eine neue Kirchen-Vorstands- und Synodalordnung die Verfassung und Verwaltung der evangelisch-lutherischen Gebiete und Gemeinden
37. Kirchliches.
179
Hannovers einheitlich geregelt und infolge davon durch königliche Verordnung als oberste Kirchenbehörde im Jahre 1866 das hannoversche Landeskonsistorium eingerichtet wurde.
a. Der Kirchenvorstand. Jede Kirchengemeinde soll einen Vorstand haben. Dieser soll aus dem oder den Psarrgeist-lichen und vier von der Kirchengemeinde gewählten Vorsteher bestehen. Patrone sind berechtigt, ein Mitglied zu bestimmen. Wahlberechtigt sind alle volljährigen männlichen Mitglieder der Kirchengemeinde; wählbar sind diejenigen wahlberechtigten Mitglieder der Kirchengemeinde, die über 30 Jahre alt sind und als ehrbare, gottes-sürchtige Männer ein gutes Gerücht in der Gemeinde haben. Das Amt dauert 6 Jahre; von drei zu drei Jahren scheidet die Hälfte der Vorsteher aus. Der Kirchenvorstand hat die pfarramtliche Tätigkeit für Erweckung und Mehrung des christlichen Glaubens und Lebens, für Erhaltung von Zucht und Sitte in der Gemeinde zu unterstützen. Er hat für die äußere Ordnung beim Gottesdienste und bei sonstigen gottesdienstlichen Handlungen zu sorgen und der Förderung einer würdigen Sonntagsfeier sich anzunehmen. Er leitet die Armen- und Krankenpflege, soweit diese von der Kirchen-Gemeinde ausgehen und nimmt sich auch der Verwahrlosten und der entlassenen Sträflinge an. Der Kirchenvorstand wird in allen geeigneten Fällen, welche die Schule berühren, die betreffenden Lehrer oder wenigstens einen derselben um Unterstützung durch Teilnahme an der Beratung oder sonstige Hülfe angehen.
b. Die Bezirkssynode. Die zu demselben Aufsichtsbezirke (Inspektion) gehörenden Kirchengemeinden sollen den Verband einer Bezirkssynode bilden. Die Synode wird gebildet: durch den Superintendenten (Senior rc.), sämtliche geistliche Mitglieder der Kirchenvorstände, ebensoviel weltliche Abgeordnete der Kirchengemeinden, die von den weltlichen Mitgliedern der einzelnen Kirchenvorstände aus ihrer Mitte zu wählen sind, die sonstigen Pfarrgeistlichen des Bezirks, zwei Volksschullehrer im Alter von mindestens 30 Jahren, die von den im Bezirke angestellten evangelisch-lutherischen Volksschullehrern aus ihrer Mitte zu wählen sind, zwei von der Kirchenregierung zu benennende Mitglieder, die den zur Versetzung des weltlichen Kirchenkommissariats berufenen oder den in ähnlicher Stellung stehenden Ortsbeamten zu entnehmen sind. Die Bezirkssynode soll alljährlich oder alle 2 Jahre zur ordentlichen Versammlung berufen werden. Der Superintendent beruft, eröffnet und schließt sie im Aufträge der Kirchenregierung, bereitet sie vor und führt ihre Beschlüsse aus und wird dabei unterstützt durch den Synodal-Ausschuß, der aus dem Superintendenten und vier gewählten Mitgliedern besteht. Die Synode beachtet und erwägt die kirchlichen und sittlichen Zustände und Verhältnisse im Bezirke, stellt Anträge bei den Kirchenbehörden im Interesse des kirchlichen Lebens,
12*
180
37. Kirchliches.
berät bie von beit Kirchenbehörben gemachten Vorlagen, entscheibet über Streitigkeiten bei Kirchenvorstanbswahlen unb übt Disziplinargewalt über bie Kirchenvorsteher mit bem Recht, Erinnerungen unb Verweise zu erteilen unb Entlassung zu verfügen. Bei wichtigen Einrichtungen in einzelnen Bezirken soll bie Kirchenregierung erst bie Synobe ober wenigstens bereit Ausschuß hören.
c. Die Lanbessynobe. Für bie ganze Provinz besteht eine Lanbessynobe. Sie wirb gebilbet: burch 29 Geistliche uitb 29 weltliche Abgeorbnete, beit Präsibenten bes Lanbeskonsistorinrns, ben Abt zu Loccuttt, einen von ber theologischen Fakultät zu wählenden theologischen mtb einen vorn Könige zu ernenneitbeit juristischen Professor ber Universität Göttingen, 12 vorn Könige zn ernennenbe Mitglieber, Geistliche unb Weltliche in gleicher Zahl. Zur Wahl werben bie sämtlichen Bezirkssynoben ber Provinz in 29 Wahlkreise derart verteilt, baß für Kalenberg 4, Hoya unb Diepholz 2, Hildes-Heim 3, Göttingen 2, Grubenhagen mit bem Harze unb ber Grafschaft Hohenstein 2, Lüneburg 6, Bremen-Verben 4, Habeln 1, Osnabrück mit Arenberg-Meppen unb Lingen 2, Ostfrieslanb 3 Wahlkreise gebilbet werben. Die Lanbessynobe soll wenigstens je um bas sechste Jahr zu orbentlicher Versammlung berufen werben. Die Synobe beachtet uitb erwägt bie Zustänbe unb Verhältnisse ber Lanbeskirche, wozu bie Kirchenregierung einen amtlichen Bericht gibt, stellt Anträge zur Wahrung bes kirchlichen Interesses, bewilligt außerorbentliche kirchliche Ausgaben, senbet Abgeorbnete zu allgemeinen Kirchenversammlungen uitb bestellt einen Ausschuß von 3 geistlichen unb 3 weltlichen Mitgliebern zur Unterstützung bei ber Vorbereitung unb Ausführung ber Beschlüsse ber Lanbessynobe uitb zur Entscheibuug von Streitigkeiten in Sachen bes Glaubens unb der Lehre. Kirchengesetze werben unter Zustimmung ber Lanbessynobe erlassen, wieber aufgehoben, abgeändert unb authentisch interpretiert. Die Einführung neuer Katechismen, Gesangbücher mtb Agenben bars von ber Kirchenregierung nur angeorbnet werben, nachbem bie Lanbessynobe zu bereit Inhalt uitb Fassung ihre Zustimmung gegeben hat. Die Lehre selbst bilbet keinen Gegeitstanb ber Gesetzgebung ber Lanbessynobe.
d. Das Lanbeskonsistorinm. Es ist burch königliche Verorbnuttg vom 17. April 1866 errichtet, ist bie oberste Behörbe ber evangelisch-lutherischen Kirche Hannovers uitb hat seinen Sitz in ber Stabt Hannover. Es besteht aus orbentlichen unb außerordentlichen Mitgliebern. Ihm waren bie Provinzialkonsistorien zu Hannover, Aurich, Osnabrück, Stabe unb Otternbors untergeorbnet. Seinen Geschäftskreis bilben: a. bas Bekenntnis uitb bie Lehre ber Kirche, bie Seelsorge, ber Kultus uitb bie Kirchenzucht; b. bie Vor-bilbmtg, Prüfung unb Orbination für bas geistliche Amt; c. bie Anstellung uitb Entlassung ber Geistlichen, Superintendenten unb
37. Kirchliches. jgj
Generalsuperintendenten, deren Amtsführung, Fortbildung und Wandel. Es hat außerdem die kirchlichen Zustände und Interessen zu beachten und zu beraten. Das Landeskonsistorium ist dem Kultusministerium untergeordnet.; doch kann dieses in einzelnen Dingen nur im Einverständnis mit dem Konsistorium Verfügung treffen. Bei Streitigkeiten zwischen beiden entscheidet der König. Seine landesherrliche und oberbischöfliche Gewalt wird durch diese Verordnung nicht eingeschränkt. Unter dem Landeskonsistorium stehen gegenwärtig nur noch die Konsistorien zu Hannover, Stade und Aurich. Alle andern Provinzialkonsistorien sind in diesen dreien aufgegangen. Das hannoversche Konsistorium umfaßt die Bezirke Hannover, Hildesheim, Osnabrück und einen Teil von Li'mebnrg, das Konsistorium zu Stade die alten Herzogtümer Bremen und Verden, einen Teil von Lünebnrg und das Land Hadeln. Das Auricher Konsistorium besteht für die lutherischen Gemeinden Ostfrieslands nnd alle reformierten Gemeinden unserer Provinz. Die General-snperintendentnren für die althannoverschen Landschaften sind jetzt aufgehoben und am Sitze der Regierung unter einem Generalsuperintendenten vereinigt. — Der höchste Geistliche in der evangelischlutherischen Landeskirche Hannovers ist der Abt zu Loccum.
2. Die evangelisch-reformierle Kirche. Am 12. April 1882 verkündigte König Wilhelm I. von Preußen eine neue Kirchenverfassung für die evangelisch-reformierte Kirche Hannovers. Danach gehören zu dieser Kirche die reformierten Gemeinden im Fürstentum Ostfriesland, in der Grafschaft Bentheim, Niedergrafschaft Lingen und Stadt Papenburg, im Herzogtum Bremeu und ^ der Grafschaft Pleffe.i) Sie wird einer Kirchenbehörde mit kollegialifcher Verfassung unterstellt. Die Kirchengemeinden verwalten ihre Angelegenheiten selbständig. Organe dieser Selbstverwaltung sind die Kirchenräte und Gemeindevertretungen, die ähnliche Aufgaben haben wie die Kirchenvorstände in der lutherischen Landeskirche. Für die reformierte Kirche.Hannovers bestehen 9 Synodal-bezirke; für jeden ist eine Bezirkssynode gebildet nach dem Muster der lutherischen Kirche. Außerdem gibt es eine Gesamt-Synode, ähnlich der Landessynode in der lutherischen Kirche.
^raunschweig, Celle, Hannover, Güttingen, Münden und Bücke-Emigranten entstanden sind. Sie hat auf einer Versammlung zu Gottingen im ^ahre 1839 sich eine Kirchenordnung gegeben, die als Unions-Suriaw e ^ ^lrb‘ Danach werden die einzelnen Gemeinden von erwählten lönnho T A^bsbyterium) geleitet und unterstehen der
Synode als der obersten Behörde. Dle Synode wird durch abgesandte Pres-
fetMl m T mie °ma,un- 3m Ä
182
37. Kirchliches.
Sie besteht aus dem reformierten Generalsuperintendenten, aus den Abgeordneten der Bezirkssynoden und aus 5 von dem Landesherrn zu berufenden Mitgliedern. Die Synodalperiode dauert 6 Jahre. Die Bezirkssynoden wählen ihre Vertreter für die Gesamtsynode nach der Zahl der im Bezirke vorhandenen Reformierten, bis 5000 zwei, bis 10000 drei, darüber hinaus 4 Abgeordnete. Oberste Behörde ist das Konsistorium zu Aurich. Es hat einen simultanen Charakter; doch sind in rein lutherischen Angelegenheiten nur die lutherischen Mitglieder stimmberechtigt.
3. Die katholische Kirche in Hannover. Die katholischen Kirchengemeinden unserer Provinz, die sich namentlich im Hildesheimschen, Osnabrückschen und auf dem Eichsfelde finden, sind den Bischöfen von Hildesheim und Osnabrück unterstellt. Im Jahre 1824 erließ der Papst eine Bulle, die durch den König von Hannover als Landesgesetz veröffentlicht wurde. Danach sollten alle katholischen Pfarreien links der Weser zu Osnabrück, rechts derselben zu Hildesheim gehören. Das gilt noch heute. Damals wurde auch das Eichsfeld, das in kirchlicher Hinsicht noch immer zu Mainz gehörte, ebenfalls dem Bischöfe zu Hildesheim überwiesen. An beiden Bischofssitzen wurden auch katholische Konsistorien eingerichtet; doch sind diese jetzt aufgehoben, und ihre Befugnisse, welche die äußeru Kirchenangelegenheiten betreffen, sind auf die jetzigen königlichen Regierungen übergegangen. In den innern Angelegenheiten wird der Bischof in jeder Diözese durch das bischöfliche General-Vikariat vertreten. — In neuerer Zeit haben sich auch in fast allen Städten der Provinz katholische Gemeinden gebildet. Die Diözese Hildesheim umfaßt in zwölf Dekanaten 87 Pfarreien, 30 Filialkirchen und 19 Missionsstationen; die Diözese Osnabrück zählt 10 Dekanate mit 96 Pa-rochien.
4. Die Jnuere Mission iu Hannover. Die Anregung, im Hannoverschen innere Mission zu treiben, ging von Hamburg aus. Dort bildete sich 1832 ein „Weiblicher Verein für Armen- und Krankenpflege." Durch ihn wurden Franen in Celle, Lüneburg, Hannover, Göttingen und Hildesheim zur Gründung von Fr anen vereinen angeregt. Den Mittelpunkt des hannoverschen Vereins bildet seit 1843 das vom König Ernst August gegründete Friederikenstift. Die Frauenvereine wollen Arme und Kranke besuchen, unterstützen und beschäftigen. Daneben widmen sie ihre Fürsorge heranwachsenden jungen Mädchen, die in Handarbeiten unterwiesen und zum Dienen angeleitet werden sollen. Die Anregung zur Gründung von Rettnngs- und Brüderanstalten ging ebenfalls von Hamburg aus, wo Wichern im Rauhen Hause eine solche Anstalt ins Leben gerufen hatte. Er veranlaßte durch einen Vortrag in Celle 1843 die Gründung der ersten hannoverschen Rettungsanstalt, „Linerhans" bei Celle. Dieses ist Muster und Vorbild geworden für die jüngern
38. Die Landgemeinde.
183
Rettungshäuser in Ricklingen, Schladen, Hünenburg, Große-fehn und im Stephansstift. Ähnliche Zwecke wie die Rettungsanstalten verfolgt die 1846 ins Leben gerufene hannoversche Pesta-lozzi-Stiftung, die verwaiste und verwahrloste Kinder des ganzen Hannoverlandes in ländliche Familienpstege bringt. Die Arbeiten der innern Mission in Hannover sind in späteren Jahren eifrig fortgesetzt. Bedeutsam für die weitere Entwickelung wurde die Gründung der Diakonissenanstalt „Henriettenstift" in Hannover durch die Königin Marie im Jahre 1860, dann die Entstehung des Evangelischen Vereins zu Hannover im Jahre 1865, der sich nach und nach über das ganze Land ausdehnte. Seiner Tätigkeit verdanken wir energische Fortführung der alten Arbeiten und Anstalten, sowie die Gründung einer Reihe segensreich wirkender neuer Anstalten und Einrichtungen. Die Zahl der Rettungshäuser ist auf sieben gestiegen. Das Zwangserziehungsgesetz vom 13. März 1878 hat diese Arbeit besonders gefördert; noch mehr wird das geschehen durch das Fürsorgeerziehungs-gesetz vom 1. April 1901. Die Zahl der Herbergen zur Heimat stieg auf 28, dazu kamen die Verpflegungsstationen und 1883 die Arbeiterkolonie Kästorf bei Gifhorn. Im Jahre 1884 entstand das Frauenheim vor Hildesheim als Asyl für Obdach-, Arbeit- und Heimatlose. Das Henriettenstift dehnt seine Arbeit über die ganze Landeskirche aus. Im Jahre 1900 zählte es 371 Schwestern, die auf mannigfaltigen Gebieten tätig sind, darunter an 68 Orten in der Gemeindepflege. Ein Siechenhaus für weibliche Sieche wurde 1867 in Kirchrode, ein Magdalenenasyl 1870 ebendort eröffnet. Zu dem Diakonissenhaus kam 1869 eine Brüderanstalt, das Stephansstift vor Hannover. Der Pflege der Epileptischen nimmt sich seit 1880 die Anstalt in Rotenburg an. Für die Krüppel ist 1897 ein „Krüppelhaus" tu der Nähe des Stephansstiftes erbaut worden. Die Seemannsmission wurde von den verbündeten lutherischen Vereinen für Innere Mission unter Führung des Evangelischen Vereins in Hannover 1886 begonnen. Zu der ersten Station in Cardiff am Bristolkanal kamen nach und nach die Stationen in Kapstadt, Hamburg und Bremerhaven hinzu, wo seit 1900 ein stattliches Seemannsheim sich befindet. Von der Ktrchenregterung wird die Innere Mission heute kräftig unterstützt.
38. Aie Landgemeinde.
1. Die hannoversche Landgemeindeordnung vom 28. April 1859.
Schon bevor Hannover eine preußische Provinz wurde, erhielt es zwei Gesetze, nach denen sich die Verwaltung der Städte und Landgemeinden richten sollte. Das erste davon ist die revidierte
184
37. Die Landgemeinde.
Städteordnung vom 24. Juni 1858, das andere die Landgemeindeordnung vom 28. April 1859. Beide Gesetze sind zwar durch einzelne Bestimmungen hier und da geändert, bestehen aber heute uoch wegen ihrer Vortrefflichkeit zu Recht. Ihren Ursprung führen beide Gesetze auf den ehemaligen hannoverschen Minister Stüve zurück. Die hannoversche Landgemeindeordnung hat den Grundsatz freier Selbstverwaltung am vollständigsten zum Ausdruck gebracht. Gegenstand dieses Gesetzes sind die öffentlichen Verhältnisse der Landgemeinden. § 1. — Sie gilt auch für die Städte, Vorstädte und Flecken, auf welche die Städteordnung keine Anwendung findet. § 2.
2. Die Gemeindebeamten. (88 22—40 der Landgemeindeordnung und die entsprechenden Paragraphen der hannov. Kreisordnung von 1884.) Zur Verwaltung jeder Gemeinde muß ein Vorsteher oder Vallermeister und ein Beigeordneter zu seiner Unterstützung und Vertretung vorhanden sein. Vorsteher und Beigeordnete sind Gemeindebeamte. Die Wahl der Gemeindebeamten steht der Gemeindeversammlung zu, auch da, wv ein Gemeindeausschuß besteht. Beide bedürfen der Bestätigung durch den Landrat. Der Vorsteher ist die Obrigkeit des Gemeindebezirks und das Organ des Landrats für die Polizeiverwaltung. Er hat das Recht und die Pflicht, da, wo die Erhaltung der öffentlichen Ruhe, Ordnung und Sicherheit es fordert, sofort einzuschreiten und vorläufige Anordnungen zu treffen. Er hat insbesondere auch das Recht und die Pflicht, Personen nach den Vorschriften der Strafprozeßordnung für das Deutsche Reich vorläufig festzunehmen und zu verwahren, die unter Polizeiaufsicht stehenden Personen zu beaufsichtigen, ihm aufgetragene polizeiliche Maßregeln auszuführen und Verhandlungen aufzunehmen, die vorgeschriebenen Meldungen über neu anziehende Personen entgegenzunehmen u. a. Zur Wahrnehmung einzelner Geschäfte, wie Rechnungsführung, Forstverwaltung usw. können besondere Gemeindebeamte angestellt werden. Ferner sind Gemeindediener, wie Nachtwächter, Feldhüter, Boten, je nach Bedürfnis anzunehmen. Jedes Gemeindemitglied muß die Wahl zum Gemeindebeamten annehmen. Doch könneil bestimmte Personen, z. B. Geistliche, Lehrer, Militärpersonen, Arzte, u. a. die Wahl ablehnen. Die Gemeindebeamten haben ihre Ämter als Ehrenämter zu betrachten.
3. Die Gemeindeversammlung und der Gemeindeansschuß.
(§§ 41—59 und 3—21 der LGO. und die entsprechenden §§ des Gesetzes über die Zuständigkeit der Verwaltungs- und Gerichtsbehörden vom 1. August 1883.} Den Willen der Gemeinde bringt die Gemeindeversammlung zum Ausdruck. Sie setzt sich zusammen aus sämtlichen stimmberechtigten Gemeindegliedern. Das Stimmrecht haben alle, die in der Gemeinde ein Gut, einen Hof, oder ein für sich bestehendes Wohnhaus haben, ferner alle Männer, die in der Gemeinde ihren Wohnsitz haben, unbescholten und selbständig sind. Wer nicht zu
38. Die Landgemeinde.
185
den Gemeindelasten beiträgt, hat kein Stimmrecht. Ausmärker, das sind Auswärtige, die in einem Gemeindebezirke unbebaute Grundstücke besitzen, haben in den Angelegenheiten, in denen sie stimmberechtigt sind, ein Stimmrecht nach Höhe des Beitrages, den sie leisten. Die Gemeindeversammlung beschließt über das Gemeindevermögen, Einführung neuer Gemeindeabgaben oder Leistungen, Anstellung der Gemeindediener, Verpachtungen von Gemeindegrundstücken, Änderungen im Stimmrecht, Prozesse u. a. m. Gültige Beschlüsse können in der Gemeindeversammlung nur gefaßt werden, wenn sämtliche stimmberechtigte Gemeindemitglieder wirklich versammelt sind, oder wenn die Versammlung entweder zeitig Hans bei Haus angesagt oder in herkömmlicher Weise bekannt gemacht ist. Endgültige Beschlüsse können jedoch nur gefaßt werden, wenn mindestens ein Drittel der Stimmen in der Versammlung vertreten ist. Die Beschlüsse bedürfen in vielen Fällen der Bestätigung des Kreisausschnsses. In großem Gemeinden kann ein Gemeinde aus schuß gebildet werden. Dieser vertritt in der Regel die Stelle der Gemeindeversammlung. Die Mitglieder dieses Ausschusses werden von den stimmberechtigten Gemeindegliedern gewählt. Sie bedürfen weder der Bestätigung noch der Genehmigung der Obrigkeit und geloben dem Vorsteher in die Hand, daß sie das Beste der Gemeinde treu wahrnehmen wollen.
4. Gemeindevermögen und Gemeindelasten. (§s 60—68 d. LGO.) Zum Gemeindevermögen gehört alles, was der Gemeinde als solcher zusteht. Nicht dahin gehört das Vermögen einzelner Klassen der Gemeindeglieder oder sonstiger Genossenschaften, auch nicht das, was dem Einzelnen zusteht. Entstehen Streitigkeiten darüber, so entscheidet vorläufig die Verwaltungsbehörde, der alsdann die richterliche Entscheidung zu folgen hat. Gebäude und Grundstücke, die unmittelbar zu Zwecken des Staates, der Kirche oder der Schule dienen, sind, sofern nicht eine besondere Bestimmung vorliegt, zu Gemeindesteuern nicht pflichtig. Sind Wohnungen in solchen Gebäuden, so unterliegen sie der Gemeindebesteuerung nach Maßgabe der Wohnräume. Ausmärker siud zu den Lasten der betreffenden Gemeinde heranzuziehen. Rückständige Gemeindeabgaben sind int Verwaltungswege beizutreiben. Das geschieht auf Änordnuug des Gemeindevorstandes durch deu Gemeindedieuer.
5. Polizeiliche Rechte der Gemeinden. (§§ 69—81 d. LGO. und §§ 24, 34, 35 der hannoverschen Kreis-Ordnung; Reichsgewerbeordnung §§ 33 ff. Feld- und Forst-Polizeigesetz vom 1. April 1880 §§ 10—14, §§ 62—88.) Den Gemeinden steht die Teilnahme an der Orts- und Feldmarkspo liz ei zu. Sie wird ausgeübt durch die Gemeindebeamten mit Hülfe der dazu geeigneten Gemeindediener unter Mitwirkung der vom Staate angestellten Polizeibeamten und unter Aufsicht der Verwaltungsbehörden. Namentlich steht dem Vorsteher auch die Beobachtung des Schank- und Gastwirtschaftsbetriebes zu, er hat
186 39. Die Stadlgemeinde.
sich gutachtlich über Gesuche um Erlaubnis zur Eröffnung von Gastwirtschaften zu äußern; auf seine Klage können die Schankbetriebe untersucht und geschlossen werden. Dabei sind die Bestimmungen t)er Neichsgewerbeordnung maßgebend. Der Regelung durch die Ortspolizeibehörde unterliegt ferner die Unterhaltung des öffentlichen Verkehrs innerhalb der Orte durch Wagen aller Art, Gondeln, Sänften, Pferde und andere Transportmittel, sowie das Gewerbe derjenigen Personen, die auf öffentlichen Straßen oder Plätzen ihre Dienste anbieten.
Glaubt jemand im Sinne des Gesetzes über Feld- und Forst-polizei Anspruch auf Ersatzgeld erheben zu können, so hat er dies beim Gemeindevorsteher anzubringen. Dieser hat nach den erforderlichen Ermittelungen einen Bescheid zu erteilen. Werden Tiere gepfändet, so sind sie sofort freizugeben, wenn bei dem Gemeindeoder Gutsvorsteher ein Geldbetrag oder ein anderer Pfandgegenstand hinterlegt wird. Die Kosten für Einstellung, Wartung und Fütterung der gepfändeten Tiere werden von der Ortspolizeibehörde festgesetzt. Wer ein Tier gepfändet hat, muß binnen 24 Stunden dem Gemeindevorsteher Anzeige machen. Er bestimmt über die vorläufige Verwahrung der gepfändeten Tiere. Die nicht eingelösten Pfandstücke werden nach ortsüblicher Bekanntmachung öffentlich versteigert. Der Erlös dient zur Deckung aller entstandenen Kosten sowie der Ersatzgelder.
39. Die Sladtgemeinde.
1. Die hannoversche revidierte Städteordnung vom 24. Juni 1858. Wie die Landgemeindeordnung so besteht auch die hannoversche Städteordnung noch heute in der Provinz Hannover zu Recht. Die Städteordnung regelt die städtische Verfassung. Die kirchlichen und Schulverhältnisse werden dadurch nicht berührt. Sie findet Anwendung auf solche Städte uud Fleckeu bis auf 1500 Einwohner herab, denen die selbständige Verwaltung der allgemeinen Landesangelegenheiten zusteht, sofern sie die dafür erforderlichen Bedingungen erfüllen können. Andernfalls gilt für sie die Landgemeindeordnung. Alle Gemeinden, auf welche die Städteordnung Anwendung findet, sind selbständige Städte. Für die Städte Wunstors, Eldagsen, Neustadt a. R., Münder, Pattensen, Bodenwerder, Moringen, Burg-dorf, Gifhorn, Wiufeu a. d. L., Lüchow, Dannenberg, Otterndorf, Quakenbrück, Melle und Esens ist durch die Kreisordnung von 1884 trie Wahrnehmung der Geschäfte der allgemeinen Landesverwaltung dem Landrat übertragen. Im übrigen sind diese Städte selbständig, behalten auch die eigene Polizeiverwaltung unter Aufsicht des
39. Die Stadtgemeinde.
187
Landrats. Andere Städte über 10000 Einwohner: Hameln, Goslar, Leer, außerdem die Städte Nienburg, Peine, Ülzen, Buxtehude, Stade, Bremervörde, Einbeck, Verden, Papenburg. Münden, Northeim, Alfeld, Osterode, Duderstadt, Lingen, Norden und Aurich erledigen die Geschäfte der Landes- und Polizeiverwaltung selbst unter der unmittelbaren Aufsicht des Regierungspräsidenten. Sie haben ihre eigenen Polizeibeamten. Eine dritte Gruppe bilden die Städte Hannover, Osnabrück, Harburg, Hildesheim, Linden, Göttingen, Lüneburg, Celle und Emdeu. Sie sind aus den Landkreisen völlig ausgeschieden, bilden besondere Stadtkreise und regeln alle ihre Angelegenheiten selbst unter Aufsicht des Regierungspräsidenten. Die Stadtkreise Hannover und Celle stehen unter königlicher Polizeidirektion.
2. Das Stadtgebiet. (§§ 8—18 d. rev. StO.) Die städtische Verwaltung erstreckt sich auch auf den Gemeindebezirk außerhalb der Stadt, auf das äußere Stadtgebiet. In der Regel bildet die Feldmark die Grenze. Die wohnberechtigten Bewohner des Stadtgebiets bilden die Stadtgemeinde. Sie sind entweder Bürger oder Einwohner. Wer als Mitglied in die Stadtgemeinde eintritt, übernimmt damit die Pflicht, zu den städtischen Lasten beizutragen. Wer in der Gemeinde Grundeigentum hat, aber nicht darin wohnt, hat nur Zu den Leistungen, die auf dem Grundeigentum liegen, beizutragen. Gebäude und Grundstücke, die unmittelbar zu Zwecken des Staates, der Kirche und der Schule dienen, können in der Regel zu Gemeindeabgaben nicht herangezogen werden. Die Teilnahme der Geistlichen, Lehrer und Staatsbeamten an den persönlichen Gemeindeabgaben regelt sich nach der Verordnung vom 23. September 1867 betr. die Heranziehung der Staatsdiener zu den Kommunalauflagen in den neu erworbenen Landesteilen. Für die Real-Gemeinde-Ab-gatien kommt das Gesetz vom 5. Juli 1856 inbetracht betr. Heranziehung der Geistlichen und Lehrer zu Staats- und Gemeindelasten. Sämtliche Mitglieder der Stadtgemeinde sind der obrigkeitlichen Gewalt des Magistrats unterworfen.
3. Das Bürgerrecht. (§§ 19—38 b. StO., Reichs-Gew.-Ordn. § 23.) Wer in der Stadt nicht nur Einwohner sein, sondern die Rechte eines Bürgers haben will, muß das Bürgerrecht erwerben. Nur die Bürger nehmen teil an den Gemeindewahlen. Verpflichtet zur Erwerbung des Bürgerrechts sind die Mitglieder des Magistrats unb die im Dienst der Stadt dauernd und ohne Vorbehalt der Kündigung Angestellten, sowie diejenigen, bie innerhalb bes Stabtbezirks ein Wohnhaus eigentümlich erwerben ober brei Jahre lang in ber Stabt ein Gewerbe betrieben haben. Es bars jeboch von biefen letzteren das übliche Bürgerrechtsgeld nicht gefordert werden. Der Erwerber eines Wohnhauses ist nur dann zum Gewinn des Bürgerrechts verbunden, wenn er seinen Wohnsitz in dem Stadtbezirke
188
39. Die Stadtgemeinde.
nehmen will. Berechtigt zum Erwerbe des Bürgerrechts sind alle in der Stadt wohnberechtigten Einwohner, insofern sie von unbescholtenem Wandel sind. Personen, denen das Wohnrecht in der Stadt nicht zusteht, haben außerdem nachzuweisen, daß sie nach aller Wahrscheinlichkeit ihren Unterhalt in der Stadt nachhaltig finden können. Für die Gewinnung des Bürgerrechts ist eine Gebühr, das Bürgergewinngeld, in die Stadtkasse zu zahlen. Ausgenommen hiervon sind Geistliche, Lehrer und Staatsbeamte, sofern sie nicht ans besonderen Gründen zur Zahlung verpflichtet sind. Alle Bürger ohne Ausnahme haben vor dem Magistrate den Bürgereid zu leisten und zu versprechen, daß sie alle Bürgerpflichten gewissenhaft erfüllen und den vorgesetzten Behörden Gehorsam leisten wollen. Jeder Bürger ist verpflichtet, städtische Ehrenämter, wozu er durch Wahl berufen wird, zu übernehmen. Diese Verpflichtung besteht nicht für, die Staatsbeamten, Militärpersonen im Dienst, Geistliche Lehrer, Arzte, Apotheker und für alte oder gebrechliche Personen. Verloren wird das Bürgerrecht durch Wegzug aus dem Stadtgebiete und durch Verzicht. Als Zeichen der Ehre und Dankbarkeit kann von dem Magistrat und deu Bürgervorstehern das Ehrenbürgerrecht verliehen werden. Ehrenbürger haben den Bürgereid nicht zu leisten und sind als solche den Bürgerlasten nicht unterworfen.
4. Bon der Obrigkeit der Stadt. (§§ 38—79 d. StO.) Jede selbständige Stadt wird durch den Magistrat, der zugleich Organ der Staatsgewalt ist, verwaltet. Der Magistrat ist unmittelbar dem Regierungspräsidenten untergeben. Der Magistrat bildet ein Kollegium. Er besteht aus dem Bürgermeister, zwei oder mehreren Senatoren und sonstigen Mitgliedern, die durch das Ortsstatut bestimmt werden. Ein Teil der Senatoren muß der Klasse der Handel- und Gewerbetreibenden angehören. Den Bürgermeister vertritt ein Senator, in großem Städten ein rechtskundiger Syndikus. Nur der Bürgermeister, der Syndikus und die etwa vorhandenen rechtskundigen Senatoren werden besoldet, während die Senatoren sonst ihr Amt als Ehrenamt verwalten. Die Mitglieder des Magistrats sind auf Lebenszeit zu wählen, können jedoch nach zwölf Jahren in den Ruhestand versetzt werden. Die Magistratsmitglieder werden von den vorhandenen Magistratspersonen und einer gleichen Anzahl Bürgervorstehern in vereinigter Versammlung aus der Reihe der selbständigen, unbescholtenen Bürger, welche das fünfundzwanzigste Lebensjahr bereits erreicht haben, durch absolute Stimmenmehrheit gewählt. Der Regierungspräsident hat die Wahl zu bestätigen. In Städten von mehr als 10000 Einwohnern hat sich der König die Bestätigung des Bürgermeisters und seines Stellvertreters vorbehalten.
Der Magistrat ist in allen städtischen Angelegenheiten die einzige ausführende und verwaltende Behörde. Er vertritt die Stadt nach außen, namentlich vor Gericht. Alle Gemeindeurkunden werden von
39. Die Stadlgemeinde. itzA
ihm ausgeführt. Er versieht im Stadtgebiete die Polizei. Wer von den Mitgliedern des Magistrats die städtische Polizei besorgen soll, kann von der Regierung bestimmt werden. Auch kann sie, wo besondere Umstände solches erforderlich machen, eine eigene Polizeibehörde anordnen, und die Stadt kann mit Genehmigung der Regierung eine besondere städtische Polizeidirektion einsetzen. Der Magistrat verwaltet endlich die Landesangelegenheiten in der Stadt. Die Beschlüsse im Magistrat werden durch Stimmenmehrheit gefaßt. Bei Stimmengleichheit entscheidet die Stimme des Bürgermeisters. Der Magistrat ist befugt, unter Mitwirkung der Bürgervvrsteher für einzelne Geschäftszweige, z. B. für Armenpflege, Wegbau, Gemeinde-grundstücke, städtische Anstalten, Gewerbewesen n. a. besondere Ausschüsse zu bilden. Wo es das Bedürfnis erfordert, sind dem Magistrate Stadtsekretäre beizuordnen. In jeder Stadt ist ein Käm. in er er anzustellen. Dieser kann jedoch nicht Mitglied des Magistrates sein. Der Magistrat hat die für die Verwaltung erforderlichen technischen Beamten und Dienstuutergebenen anzustellen. Die Stadtsekretäre und der Kämmerer werden auf Lebenszeit ernannt und besoldet. Das Dienstverhältnis der technischen Beamten ist durch das Ortsstatut zu regeln. Die sonstigen Dienstuntergebenen sind auf Lebenszeit, jedoch unter Vorbehalt der Dienstkündigung anzustellen.
5. Von der Vertretung der Stadtgemeinde. (§§80—ii3d. @t£).) Die Stadtgemeinde wird durch gewählte Bürgervvrsteher vertreten, deren Amt gleichfalls ein unbesoldetes Ehrenamt ist. Die Zahl der Bürgervvrsteher darf nicht unter 4 und nicht über 24 betragen. Zum Zwecke ihrer Wahl wird die Stadt m Bezirke geteilt. Jeder selbständige Bürger ist stimmberechtigt und wählbar, wenn er 25 Jahre alt und unbescholten ist. Dienstuntergebene des Magistrats können nicht Bürgervvrsteher sein. Die Bürgervvrsteher werden auf mehrere Jahre gewählt. Die Gewählten werden vom Magistrate auf treue Erfüllung ihrer Pflichten vereidigt. Das Bürger vor-steher-Kollegium vertritt dem Magistrat gegenüber die Stadt in allen Angelegenheiten, gibt dabei bindende Erklärungen, bewilligt Äie erforderlichen Geldzuschüsse, Leistungen und Lasten und wirkt bei deren Verteilung mit. Ans ihrer Mitte erwählen die Bürgervorsteher einen Vorsitzenden oder Wortführer. Sie versammeln sich auf Einladung des Magistrats oder aus eigenem Antriebe. Auch steht ihnen zu, diejenigen Angelegenheiten, bei denen sie vorn Magistrat zugezogen werden, in Versammlungen unter sich vorläufig ZU beraten. Diese Versammlungen sind vom Worthalter zu berufen. Zu. den Versammlungen des Magistrats und der Bürgervvrsteher, jotote der^Bürgervorsteher „ unter sich können Zuhörer zugelasseu werden, jedoch kann die Öffentlichkeit vor oder während der Ver-?Eungeu ausgeschlossen werden. Beschlüsse des Magistrats und oe. Burgervvrsteher-Kollegiums (Städtische Kollegien) werden
190
40. Der Kreis.
der Regel nach in gemeinschaftlicher und öffentlicher Sitzung gefaßt. Entstehen Meinungsverschiedenheiten zwischen beiden, so entscheidet der Bezirksausschuß (S. 196).
6. Von der Vermögensverwaltung. (§§ 104—128 d. StO. u. d. Letr. §§ des Zuständigkeitsgesetzes.) Die Einkünfte des Stadtvermögens sind zur Bestreitung der städtischen Ausgaben bestimmt. Reichen sie hierzu nicht aus, so sind die Gemeindemitglieder zur Zahlung von Abgaben verpflichtet. Das sind die städtischen oder kommunalen Steuern. Sie werden nach bestimmtem Prozentsatz der Staatssteuern berechnet. Die Verwaltung muß auf Erhaltung, haushälterische Benutzung und Verbesserung des städtischen Vermögens, sowie auf die bestimmungsmäßige nützliche Verwendung der Einkünfte gerichtet sein. Im letzten Viertel eines jeden Rechnungsjahrs entwirft der Magistrat einen Haushaltsplan für das nächste Jahr. Hat der Plan die Genehmigung der Bürgervorsteher und danach die des Regierungspräsidenten gefunden, so gilt er als Vorschrift für die Verwaltung. Will der Magistrat Gerechtsame und Grundstücke veräußern, Geld anleihen, wodurch der Schuldenbestand vergrößert wird, und Gemeindeabgaben neu einführen oder verändern, so hat dazu der Bezirksausschuß die Genehmigung zu erteilen. Auch zur Veräußerung oder wesentlichen Veränderung von Sachen, die einen besondern wissenschaftlichen, historischen oder Kunstwert haben, insbesondere von Archiven oder deren Teilen bedarf es der Genehmigung. Diese steht jedoch dem Regierungspräsidenten zu. Die Rechnnngs- und Kaffenführnng wird unter Leitung des Magistrats von dem Kämmerer besorgt. Die Leitung liegt zunächst dem Bürgermeister ob. Außerdem ist der ganze Magistrat zur Aufsicht darüber und zur Haftung für Vernachlässigungen verpflichtet. Die Kaffen sind regelmäßig und mindestens einmal jährlich unerwartet zu untersuchen. Der Magistrat hat binnen 14 Tagen nach Eingang der Rechnung einen dem Haushaltspläne entsprechenden Auszug aus der Rechnung besannt zu machen. — Das Vermögen von Stiftungen und Anstalten, die zu frommen und nützlichen Zwecken bestimmt sind, bleiben vom Stadtvermögen gesondert. Alle besondern Angelegenheiten einer Stadt sind durch Ortsstatut geregelt.
40. Der Kreis.
(Kreisordnung für die Provinz Hannover vom 6. Mai 1884).
1. Die hannoverschen Kreise. Bis zum Jahre 1884 bildeten die alten hannoverschen Ämter die Grundlage für die staatliche und kommunale Verwaltung des betreffenden Gebiets; namentlich bildete jedes Amt seinen eigenen Wegeverband nach dem hannoverschen
40. Der Kreis.
Gesetz über Gemeindewege und Landstraßen vom 28. Juli 1851. Da indes die große Zahl der Ämter für eine einheitliche Verwaltung manche Schwierigkeiten mit sich brachte, so wurde die auch sonst im Königreich Preußen bestehende Kreiseinteilung durch Gesetz, Kreisordnung vom 6. Mai 1884, ans die Provinz Hannover übertragen. Die alten Amtsbezirke wurden aufgehoben, und es entstanden die Kreise. Dabei nahm man jedoch auf besondere Eigentümlichkeiten möglichst Rücksicht. Mehrfach ließ man die Amtsbezirke unangetastet und erhob sie einfach zu Kreisen, so Diepholz, Hannover, Hildesheim, Uslar, Isenhagen, Hadeln, Achim, Osnabrück, Wittlage, Emden, Weener und Zellerfeld. Jeder Kreis ist ein staatlicher Verwaltungsbezirk und daneben ein Verband zur Selbstverwaltung seiner Angelegenheiten. Solche Angelegenheiten sind Bau und Erhaltung von Landstraßen, Regulierung der Fluß-läuse, Verwaltung des Kreisvermögens u. a. Der Kreis besteht aus Stadtgemeinden, Landgemeinden und Gutsbezirken. Städte von mindestens 25000 Einwohnern bilden einen Kreis für sich, den Stadtkreis. Bei der Einführung der Kreisordnung sind die Städte Hannover, Osnabrück, Harburg, Hildesheim, Göttingen, Lüneburg, Celle und Emden zu Stadtkreisen erklärt, obgleich mehrere von ihnen noch nicht die erforderliche Einwohnerzahl hatten. Auf Grund besonderer Verhältnisse kann durch königliche Verordnung nach Anhörung des Provinziallandtages auch Städten von geringerer Einwohnerzahl gestattet werden, ans dem bisherigen Kreisverbande auszuscheiden und einen neuen Kreis zu bilden. Im Jahre 1886 ist auch die Stadt Linden, weil sie die erforderliche Einwohnerzahl hatte, ein Stadtkreis geworden. Im ganzen besteht die Provinz Hannover mit 114 Städten, 4019 Landgemeinden und 322 Gutsbezirken aus 78 Kreisen, unter denen sich 9 Stadtkreise befinden. Die Kreise sind genau abgegrenzt und können nur durch Gesetz verändert werden.
2. Die Kreisangehörigen. (§§ 6—19 d. KO., Gesetz über Grund-und Gebäudesteuer. Hannov. Gesetz über Gemeindewege und Landstraßen). Alle, die innerhalb des Kreises einen Wohnsitz haben, sind Angehörige des Kreises. Sie sind berechtigt, an der Verwaltung und Vertretung des Kreises teilzunehmen und dessen Einrichtungen und Anstalten mit zu benutzen. Daneben besteht die Pflicht, unbesoldete Ämter in der Verwaltung und Vertretung des Kreises zu übernehmen, und die Abgaben auszubringen, die zur Befriedigung der Bedürfnisse des Kreises nötig sind. Die Kreisabgaben werden als Zuschläge zu den direkten Staatssteuern erhoben. Die Wegeverbandslasten regeln sich nach den bisherigen gesetzlichen Bestimmungen. Wie die selbständigen Städte ihre Anteile an den Kreisabgaben ausbringen wollen, bleibt ihrer Beschlußfassung überlassen. Der Kreistag hat den Maßstab, nach dein die Kreisabgaben zu erteilen sind, festzusetzen und
192
40. Der Kreis.
kann ihn von fünf zu fünf Jahren einer Revision unterziehen. Diejenigen physischen Personen, bie, ohne in bem Kreise einen Wohnsitz zu haben, in bemselben Grunbeigentum besitzen, ober ein stehendes Gewerbe, ober außerhalb einer Gewerkschaft Bergbau betreiben, sinb verpflichtet, zu benjenigen Kreisabgaben beizutragen, bie auf ben Grunbbesitz, bas Gewerbe, ben Bergbau ober bas aus biesett Quellen fließenbe Einkommen gelegt werben. Dasselbe gilt von ben nicht im Kreise wohnenbett Gesellschaftern einer offenen Hanbelsgesellschaft ober einer Kommanbitgesellschaft, von ben juristischen Personen, Aktiengesellschaften unb Berggewerkschaften. Der Fiskus kann zu Len Kreisabgaben wegen seines aus Grunbbesitz, Gewerbe- ober Bergbaubetrieb fließenden Einkommens nicht herangezogen werben. Dagegen kann er zur Grunb- unb Gebüubesteuer stärker herangezogen werben. Befreit von ben Kreisabgaben sinb bie staatlichen zu einem öffentlichen Dienste ober Gebrauche Bestimmten Liegenschaften unb Gebäube, bie königlichen Schlosser unb bie sonst nach bem Gesetz von ber Steuer befreiten Grunbstücke unb Gebäube. Solche sind z. B. Gaffen, Plätze, Brucken, Wege, Kirchhöfe, Kanäle u. a., ferner Militär-, Regiernugs-, Justiz-, Polizei-, Postgebäube u. ct., sowie Bibliotheken, Museen, Universitäts- unb Schnlgebänbe u. ct. Auch bie Dienstgrunbstücke ber Geistlichen unb Lehrer sinb frei von Kreislasten.
3. Der Landrat. (§§ 21—32 d. KO., sowie hannov. Amtsordnung vom 10. Mai 1859.) An ber Spitze ber Verwaltung bes Kreises steht bet Lanbrat, an ber bes Stabtkreises ber Bürgermeister, ber gewöhnlich ben Titel Oberbürgermeister führt, in ber Stabt Hannover aber Stabtbirektor heißt. Der Lanbrat wirb vom Könige ernannt; iie Bürgermeister ber Stabtkreife müssen vom Könige bestätigt werben. Der Lanbrat führt als Organ ber Staatsregierung bie Geschäfte ber allgemeinen Lanbesverwaltung unb bie örtliche Polizeitier-waltung; außerbem leitet er als Borsitzenber bes Kreistages unb bes Kreisausschusses bie Kommunal- ober Selbstverwaltung bes Kreises. Zu bem Wirkungskreise bes Lanbrats gehören insbe-foitbere folgenbe Gegenstänbe: Hoheits-, Militär-, Steuer-, Kirchen-, Schul- unb Gemeinbesachen unb lanbwirtschaftliche Angelegenheiten. Die Pvlizeiverwaltung umfaßt bie Gewerbe-, Forst-, Jagb-, Fischerei-, Deich- unb Strombaupolizei, Feuer- unb Baupolizei, Gesunbheits-, Sicherheits-, Sitten- unb Orbnungspolizei. Der Lanbrat ist ben Königlichen Regierungen unterstellt, in einzelnen Fällen auch attbern Behörben. Damit er genaue Kenntnis ber Personen unb Sachen gewinne, soll sich ber Lanbrat nicht auf bie Kreistage unb bie regelmäßigen Sprechtage beschränken, sonbern ben Kreis oft bereisen uitb mit bett Kreiseingefeffeneit an Ort unb Stelle verhattbeln. Der Lanbrat muß in jeber Woche mindestens einen Sprechtag abhalten, aber soll auch außer ben Sprechtagen zugänglich sein. Er soll
40. Der Kreis. 193
überhaupt das Gemeindewohl des Kreises nach Kräften fördern. Für die ostfriesischen Inseln Borkum und Norderney und für das Jadegebiet, sowie für Teile der Kreise Ilfeld, Bleckede, Geestemünde, Osterholz und der Grafschaft Bentheim ist die örtliche Polizeiverwaltung besonderen Staatsbeamten — Hülfsbeamten des Landrats — übertragen. Diese haben auch die zum amtlichen Wirkungskreise des Landrats gehörenden Aufträge des letzteren zu erledigen. Der Kreistag ist befugt, für die Besetzung des erledigten Landratsamts geeignete Personen in Vorschlag zu bringen. Diese müssen jedoch seit mindestens einem Jahre dem Kreise durch Grundbesitz oder Wohnsitz angehören. Zur Stellvertretung des Landrats werden von dem Kreistage aus der Zahl der Kreisangehörigen zwei Kreisdeputierte auf sechs Jahre gewählt. Für kürzere Behinderung kann der Kreissekretär als Stellvertreter eintreten. Die Besorgung der schriftlichen Arbeiten liegt dem Kreissekretär und einer Anzahl Schreibern ob, doch werden die Steuersachen von einem Beamten, dem Steuersekretär, besonders bearbeitet. Bei der Polizeiverwaltung wird der Landrat von den Ortsvorstehern und Gendarmen unterstützt. Die Gendarmen sind so verteilt, daß jeder die Orte, die er zu überwachen hat, in einem Tage begehen kann.
4. Der Kreistag. (§§ 40—82 b. KO.) Damit die Kreisangehörigen Gelegenheit haben, sich an der Verwaltung des Kreises zu beteiligen besteht neben dem Landrate ein Kreistag, dessen Mitglieder von den Kreiseingesessenen erwählt sind. Der Kreistag besteht in Kreisen, die 20000 oder weniger Einwohner haben, aus 20 Mitgliedern; bis zu 50000 Einwohnern kommt für je 2500 Einwohner ein Vertreter hinzu, bei mehr als 50000 Einwohnern darf für je 5000 Einwohner noch ein Abgeordneter gewählt werden. Zum Zwecke der Kreistagswahl werden drei Wahlverbände gebildet: der Verband der größeren ländlichen Grundbesitzer, der Landgemeinden und der Verband der Stadtgemeinden. Im Wahlverbande der Städte wählen auch viele Flecken und kleinere Städte, die nach der Landgemeinde-ordnung verwaltet werden, z. V. Diepholz, Syke, Hoya, Stolzenau, Sulingen Springe, Sarstedt, Bockenem, Gronau, Dassel, Uslar-Dransfeld, Hardegsen u. a.
Die jedem Kreise zustehende Zahl von Kreistagsabaeordneten wird nach bestimmten Grundsätzen (§ 45) auf die drei Wahlverbände verteilt Zum Zwecke der Wahl wird der Verband der Landgemeinden in Wahlbezirke geteilt. In den Städten gelten, je nach der Seelenzahl, besondere Bestimmungen. Der Verband der größeren Grundbesitzer, Gewerbetreibenden und Bergwerksbesitzer tritt in der Kreisstadt unter Vorsitz des Landrats zur Wahl zusammen. In den Landgemeinden geschieht die Wahl der Kreistagsabgeordneten durch Wahlmanner. Gemeinden bis an 400 Einwohner stellen dazu emen, bis an 800 zwei, bis an 1200 drei, bis an 2000 vier, bis
Tecklenburg u. Dageförde, Geschichte der Provinz Hannover. 1Z
194 40. Der Kreis.
an 3000 fünf Wahlmänner. Jedes fernere volle Tausend wird durch einen neuen Wahlmann vertreten. Die Wahlmänner werden von der Gemeindeversammlung- oder der Gemeindevertretung ans der Zahl der stimmberechtigten Gemeindemitglieder gewählt. Die Wahlmänner, die Besitzer der selbständigen großen Güter usw. treten unter Leitung des Landrates an dem von dem Kreisausschusse zu bestimmend™ Wahlorte zur Wahl der Kreistagsabgeordneten zusammen. Die Wahl der städtischen Kreistagsabgeordneten erfolgt durch Magistrat und Bnrgervorsteher.
Der Kreistag hat die Aufgabe, den Kreiskommunal Verb and zn vertreten, über die Kreisangelegenheiten sowie über diejenigen Gegenstände, die ihm dnrch Gesetz oder königliche Verordnung überwiesen werden, zn beraten und zu beschließen. Insbesondere ist er befugt, Kreisstatuten und Reglements zu erlassen, Staatsforderungen auf den Kreis zu verteilen, über das dem Kreise gehörige Grund- und Kapitalvermögen zn verfügen, Anleihen aufzunehmen und Kreisabgaben einzuführen, den Kreishanshaltsetat festzustellen, den Rechnungsführer zu entlasten, die Einrichtung vou Kreisämtern zu beschließen, Zahl und Besoldung der Kreisbeamten zu bestimmen, die Wahlen zum Kreisausschusse sowohl wie für bestimmte Kommissionen vorzunehmen. Solche werden eingesetzt für einzelne Zweige der Landesverwaltung, z. V. für Steuereinschätzung, Kriegsentschädigung, Kriegsleistung, Militäraushebuug u. a. Daneben kann der Kreistag besondere Kommissionen für Kreiszwecke ernennen.
Der Landrat beruft den Kreistag alle Jahre mindestens einmal, führt den Vorsitz und leitet die Verhandlungen. Er wird dabei vertreten durch den ältesten Kreisdeputierten. Die Zusammenberufung des Kreistages muß erfolgen, sobald dies von einem Viertel der Kreistagsabgeordneten oder vom Kreisausschusse verlangt wird. Die Sitzungen des Kreistages sind öffentlich; doch kann für einzelne Gegenstände die Öffentlichkeit ausgeschlossen werden. Die Beschlüsse werden uach Stimmenmehrheit gefaßt. Über die Verhandlungen ist ein Protokoll aufzunehmen. Die gefaßten Beschlüsse sind zn veröffentlichen. Die Beschlüsse des Kreistages bedürfen, je nach der Sache, die sie betreffen, der Genehmigung des Königs, des Ministers des Innern und des Fiuauzmiuisters oder des Bezirksausschusses. Auf Antrag des Ministeriums kann ein Kreistag durch königliche Verordnung aufgelöst werden.
5. Der Kreisausschnß. (§§ 87—98 d. KO.) Zum Zwecke der Verwaltung der Angelegenheiten des Kreises uud der Wahrnehmung von Geschäften der allgemeinen Landesverwaltung wird ein Kreis-ausschuß bestellt. Dieser besteht ans dem Landrat und sechs Mitgliedern, die durch deu Kreistag aus der Zahl der Kreisangehörigen gewählt werden. Geistliche uud Lehrer können nicht Mitglieder des Kreisausschusses fein, richterliche Beamte nur mit Genehmigung des
41. Die Regierungsbezirke. 195
Ministers. Die Wahl erfolgt auf fechs Jahre. Alle zwei Jahre scheidet ein Drittel der Mitglieder aus. Der Ausschuß bereitet die Beschlüsse des Kreistages vor uud führt sie aus, besorgt die laufenden Geschäfte und schlichtet Streitigkeiten, die im Kreise in Verwaltungssachen entstehen. In diesem Falle bildet der Kreisausschuß das unterste Verwaltungsgericht, gegen dessen Urteil der Bezirksausschuß angerufen werden kann. Der Kreisausschuß ernennt die Beamten des Kreises, leitet und beaufsichtigt deren Geschäftsführung. Auch führt er diejenigen Geschäfte der allgemeinen Landesverwaltung, die ihm durch Gesetz übertragen werden. Der Landrat beruft den Kreisausschuß und führt in demselben den Vorsitz. Er führt die laufenden Geschäfte des Ausschusses und zeichnet alle Schriftstücke namens des Kreisausschusses. Die Kosten, welche die Geschäftsführung des Kreisausschusses verursacht, werden, wenn nötig, vom Kreise getragen. Für die Erledigung der Schreibarbeit stellt der Ausschuß einen Kreis aus schuß-Sekretär an.
6. Die Dotation der Kreisverbände. (§§ 109 u. 110 d. KO.) Für die Durchführung der Kreisordnung, insbesondere zur Bestreitung der Kosten des Kreisausschusses, hat der Provinzialverband von Hannover vom Tage des Inkrafttretens des Gesetzes ab die Jahressumme von rund 284000 o/Z auf die einzelnen Landkreise der Provinz zu verteilen und denselben in vierteljährlichen Teilzahlungen zu überreichen. Die Verteilung geschieht nach dem Maßstabe des Flächeninhalts und der Zahl der Zivilbevölkerung der einzelnen Kreise. Es erhalten danach die Kreise der einzelnen Regierungsbezirke folgende Summen: Hannover 45507 cU, Hildesheim 50416 o/Z, Lüneburg 68315 o/Z, Stade 50115 o/Z, Osnabrück 43038 o/Z und Aurich 26683 o#. Die Summen für die einzelnen Kreise sind vom Provinzialausschuß festgestellt und vom Oberpräsidenten veröffentlicht. — Die Aufsicht des Staates über die Verwaltung der Angelegenheiten der Landkreise wird von dem Regierungspräsidenten, in höherer und letzter Instanz von dem Oberpräsidenten geübt; die gesetzlich geordnete Mitwirkung des Bezirksausschusses und des Pro-vinzialrats wird dadurch nicht berührt.
41. Die Regierungsöezirke.
1. Die hannoverschen Regierungen. (Landes-Verw.-Ges. §§ 17-27.) £ Wundläge, für die Verwaltung des Preußischen Staates gibt das Us?.er allgemeine Landesverwaltung vom 30. Juli 1883."
Ly laßt die Einteilung des Staatsgebietes in Provinzen, Regierungsbezirk«. und Kreise bestehen und bestimmte, daß die 6 Landdrvsteien
nt Hannover ebenfalls als Regierungsbezirke angesehen werden
196 41. Die Regierungsbezirke.
sollten. So gab es von nun an in der Provinz die sechs Regierungen zu Hannover. Hildesheim, Lüneburg, Stade, Osnabrück und Aurich. Jede Regierung besteht der Regel nach aus dem Regierungspräsidenten und drei Abteilungen; davon bearbeitet die erste die Personalien und die Angelegenheiten der allgemeinen Landesverwaltung, die zweite die Kirchen- und Schulsachen^ die dritte Domänen- und Forstsachen, sowie die Angelegenheiten der direkten Steuern. Dem Regierungspräsidenten sind für die ihm persönlich übertragenen Angelegenheiten ein Oberregierun gsrat und die erforderliche Anzahl von Räten und Hülfsarbeitern, von denen mindestens einer die Befähigung zum Richteramte haben muß, beigegeben. Sie bearbeiten die Geschäfte nach des Präsidenten Anweisung, namentlich alle Angelegenheiten des Innern, wie Militär-, Polizei-, Gewerbe- und Handelssachen. Die Erledigung der Geschäfte in den beiden andern Abteilungen erfolgt ebenfalls durch besondere Räte unter Leitung eines Oberregierungsrats. Durch königliche Verordnung sind jedoch die beiden kleinsten hannoverschen Regierungen, die zu Osnabrück und Aurich, nach dem Vorbilde der Regierung zu Stralsund so organisiert, daß die kollegialischen Geschäfte nicht in verschiedenen Abteilungen, sondern in einem ungetrennten Kollegium wahrgenommen werden sollen. Durch das Landesverwaltungsgesetz wurde auch den Konsistorialbehörden in der Provinz Hannover die Verwaltung des Schulwesens abgenommen und den Regierungen überwiesen. Die katholischen Konsistorien zu Osnabrück und Hildesheim wurdeu aufgehoben und ihre Angelegenheiten ebenfalls den betreffenden Regierungen übergeben.
2. Der Bezirksausschuß. (LLG. §§ 28—35). Jeder Regierung ist ein Bezirksausschuß beigegeben. Dieser besieht ans dem Regierungspräsidenten als Vorsitzenden und aus sechs Mitgliedern. Zwei dieser Mitglieder, von denen eins zum Richteramte, eins zur Bekleidung von höheren Verwaltungsämtern befähigt fein muß, werden vom Könige auf Lebenszeit ernannt. Von diesen beiden Mitgliedern ernennt der König gleichzeitig eins zum Stellvertreter des Regierungspräsidenten im Vorsitz mit dem Titel Verwaltnngsgerichts-direkt o r. Sie nehmen auch an den Plenarberatnngen der Regierung teil. Die vier andern Mitglieder des Bezirksausschusses und deren Stellvertreter werden aus den Einwohnern des Bezirks durch den Provinzialausschuß gewählt. Wählbar ist jeder, der für deu Provinziallandtag wählbar ist; jedoch können die Mitglieder des Provinzialrats nicht Mitglieder des Bezirksausschusses sein. Die gewählten Mitglieder werden durch den Vorsitzenden vereidigt. Sie erhalten Tagegelder und Reisekosten nach den Bestimmungen für Staatsbeamte der vierten Rangklasse. Der Bezirksausschuß bildet ein Verwaltungsgericht zweiter Stelle; er erledigt die Berufungen gegen die Erkenntnisse der Kreisausschüsse und die Verwaltnngs-
42. Die Provinz.
197
streitsachen der selbständigen Städte; er wirkt mit in der allgemeinen Landesverwaltung. Das Verfahren ist in besonders bezeichneten Fällen das Verwaltnngsstreitverfahren, im übrigen das Beschlußverfahren nach näherer Vorschrift des Landesverwaltungsgesetzes. Gegen die Entscheidung des Bezirksausschusses kann das Oberverwaltungsgericht in Berlin angerufen werden.
42. Die Urovinz.
1. Der Oberpräsident und der Provinzialrat. (Die staatliche Verwaltung.) (LVG. §§ 8—16.) An der Spitze der Verwaltung der Provinz steht der Oberpräsident. Er wohnt in Hannover. Ihm werden ein Oberpräsidialrat und die erforderliche Anzahl von Räten und Hülfsarbeitern beigegeben, welche die Geschäfte nach seinen Anweisungen bearbeiten. Der Oberpräsident wird vertreten durch den Oberpräsidialrat. Im Provinzial-Schulkollegium und Medizinal-Kollegium führt der Oberpräsident den Vorsitz. Er beaufsichtigt die Provinzialbehörden und vertritt innerhalb der Provinz die obersten Staatsbehörden. — Bei der Ausübung der allgemeinen Landesverwaltung wird der Oberpräsident unterstützt durch den Provinzialrat. Dieser besteht aus dem Oberpräsidenten als Vorsitzenden, einem vom Könige ernannten höheren Verwaltungsbeamten uud aus fünf Angehörigen der Provinz, die vom Provinzial-nusschuffe aus der Zahl der zum Provinziallandtage wählbaren Personen gewählt werden. Ihre Wahl gilt für sechs Jahre. Alle drei Jahre scheidet die Hälfte aus. Die Mitglieder des Provinzialrats werden vom Oberpräsidenten beeidigt.
2. Der hannoversche Provinzialverband. (Die kommunale Verwaltung.) Am 1. April 1885 trat für die Provinz die neue Provinzialordnung in Kraft. Danach bildet Hannover, wie die andern preußischen Provinzen, einen Provinzialverband zur Selbstverwaltung seiner Angelegenheiten. Alles, was bis dahin die alten Provinzialstände verwaltet hatten, ging nun in die Verwaltung be§ Provinzialverbandes über. Dieser muß innerhalb seines Bezirks die Staatschausfeen oder großen Heerstraßen verwalten und unterhalten, Landstraßen chausseemäßig ausbauen, den Ausbau von Gemeindewegen unterstützen, das Eigentum der Provinz an Forsten und Mooren verwalten und verbessern. Daneben hat die Provinz für Unterhaltung und Unterstützung der Heil- uud Pflegeanstalten zu Hildesheim, Göttingen, Osnabrück und Lüne-bnrg, der Taubstummenanstalten zu H'-wesheim, Stade und Osnabrück und der Blindenanstalt zu Hannover zu sorgen. Auch das Korrigenden- und Landarmenwefen, dem das Werkhaus
198
42. Die Provinz.
zu Moringen und die Korrektions- und Landarmenanstalten zu Himmelsthür und Wunstorf dienen, unterliegt der Fürsorge des Provinzialverbandes. Desgleichen unterstützt er Wohltätigkeitsanstalten, milde Stiftungen, Heil- und Pflegeanstalten für geistesschwache und Erziehungs- und Rettungsanstalten für verwahrloste Kinder. Auch die Landeskreditanstalt ist in die Verwaltung des Provinzialverbandes übergegangen. Zu Ebstorf besitzt die Provinz eine eigene Ackerbauschule. Die Landwirtschaftsschule zu Hildesheim und die landwirtschaftlichen Winterschulen unterstützt sie durch Zuschüsse. Zur Pflege von Kunst und Wissenschaft unterhält sie die Landesbibliothek, das Provinzialmuseum zu Hannover und unterstützt andere öffentliche Sammlungen, die der Kunst und Wissenschaft dienen. Schließlich bilden die landwirtschaftliche Berufsgenossenschaft, welche die in landwirtschaftlichen Betrieben sich ereignenden Unfälle versichert, und die Alters- und Jnvaliditätsversicherungsanstalt Hannover mit der Zahl X besondere Angelegenheiten der Provinz. Zur Bestreitung der Kosten erhält sie aus Staatsmitteln einen jährlichen Zuschuß von mehr als 3 Millionen Mark.
3. Der Provinziallandtag. (Prov.O. §§ 5—44.) Alle Angehörigen der hannoverschen Kreise sind auch Angehörige der Provinz Hannover. Sie sind berechtigt zur Teilnahme an ber Verwaltung uud Vertretung des Provinzialverbandes und zur Mitbenutzung ber öffentlichen Einrichtungen unb Anstalten bes Provinzialverbanbes; sie sittb verpflichtet, zu ben Provinziallasten beizutragen. Zur Regelung ber Angelegenheiten bes Provinzialverbanbes beruft ber König durch ben Oberpräsibeuten ben Provinziallanbtag. Dieser gibt Orbnnngen, Statuten unb Reglements für bie Provinzialanstalten, beschließt über Einnahme unb Ausgabe, erwählt unb bestellt bie erforderlichen Beamten. Dazu gehören bie Mitglieber bes Lanbesbirek-toriums unb bie ihnen zngeorbneten oberen Beamten, namentlich auch ber Direktor ber Lanbeskrebitanstalt. Anßerbem hat er über alle Gesetze, welche bie Provinz betreffen, sein Gutachten abzugeben. Der hannoversche Provinziallanbtag besteht z. Zt. aus 103 Abgeorbneten. Die Abgeorbneten ber Laubkreise werben von bem Kreistage, bie ber Stabtkreise vom Magistrat unb von ben Bürgervorstehern gewählt. Benachbarte Kreise können zu gemeinsamer Wahl zu Wahlbezirken vereinigt werben. Wählbar zum Provinziallanbtage ist jeber selbstänbige Angehörige bes Deutschen Reichs, welcher bas 30. Lebensjahr vollenbet hat, sich im Besitze ber bürgerlichen Ehrenrechte befinbet itnb seit rninbestens einem Jahre ber Provinz burch Grnnbbesitz ober Wohnsitz angehört. Die Abgeorbneten werden auf sechs Jahre gewählt. Der hannoversche Provinziallanbtag wirb jährlich berufen. Der Oberpräsibent eröffnet und schließt den Provinziallandtag und vermittelt alle Verhandlungen zwischen biesent unb beit Staatsbehörben.
42. Die Provinz.
199
Die Sitzungen des Landtags sind öffentlich und finden im Ständehause zu Hannover statt. — Zum Provinziallandtage werden für jeden Kreis mit weniger als 30 000 Einwohnern ein Abgeordneter, für jeden Kreis mit 30000 bis zu 80 000 Einwohnern zwei Abgeordnete und für jeden Kreis, der die Einwohnerzahl von 80 000 erreicht hat, drei Abgeordnete gewählt. Für jede fernere Vollzahl von 50 000 tritt ein Abgeordneter hinzu. Die Zahl der Abgeordneten kann sich also nach jeder Volkszählung verändern.
4. Der Provinzialausschuß. (Prov.O. §§ 45—61.) Zur Vorbereitung und Ausführung seiner Beschlüsse erwählt der Landtag den Provinzial aus schuß. Er besteht aus einem Vorsitzenden und zwölf Mitgliedern, die auf sechs Jahre gewählt werden. Der Ausschuß besorgt die dauernde Verwaltung der Provinzialangelegenheiten. Der Vorsitzende und die Mitglieder des Ausschusses werden vom Provinziallandtage gewählt. Alle drei Jahre scheidet die Halste der Mitglieder aus. Der Provinzialausschuß versammelt sich auf den Ruf des Vorsitzenden, so ost es die Geschäfte erfordern. Er erledigt folgende Angelegenheiten: er bereitet die Beschlüsse des Provinziallandtags vor und führt sie aus; er verwaltet die Angelegenheiten, besonders das Vermögen und die Anstalten des Provinzialverbandes, ernennt die Provinzialbeamten, soweit dies nicht dem Provinziallandtage vorbehalten ist, namentlich die leitenden Beamten in den einzelnen Verwaltungszweigen; er leitet und beaufsichtigt deren Geschäftsführung; er gibt sein Gutachten über alle Angelegenheiten, die ihm von den Ministern oder dem Oberpräsidenten überwiesen werden.
5. Die Provinzialbeamten. (Prov.O. §§ 87—89.) Zur Wahrnehmung der laufenden Geschäfte der kommunalen Provinzialverwaltung ist das Landesdirektorium bestellt. Es besteht aus drei Oberbeamten, dem Landesdirektor, dem ersten und dem zweite« Schatzrat und wird vonl Provinziallandtage erwählt. Der Landesdirektor bedarf der Bestätigung des Königs. Die Mitglieder des Landesdirektoriums werden vom Oberpräsidenten in ihr Amt eingeführt und vereidigt. Das Landesdirektorium bereitet die Beschlüsse des Provinziallandtags vor und trägt für deren Ausführung Sorge; es ist der Dienstvorgesetzte sämtlicher Provinzialbeamten; es vertritt den Provinzialverband nach außen und erledigt die Geschäfte solle-^talisch. Zur Vereinfachung der Geschäfte ist in dem Provinzial-statut für die Provinz Hannover bestimmt, daß Urkunden und Vollmachten, welche die Verwaltung der provinziellen Fonds, das Landesmeliorationswesen, die Forstverwaltung, das Landarmen- und Korrigendenwesen, einschließlich der Zwangserziehung für verwahrloste Kinder, das Wegewesen und die Prvvinzialanstalten betreffen, lediglich vom Landesdirektorium vollzogen werden; nur dürfen die Urkunden sich nicht auf den Verkauf solcher Grundstücke beziehen.
200
42. Die Provinz.
die eine größere Fläche als ein Hektar oder einen größeren Wert als 6000 Mk. haben. Dem Landesdirektorinm unserer Provinz sind für die Geschäfte der Banverwaltung und der Forstverwaltnng zwei höhere Baubeamte und ein höherer Forstbeamter zugeordnet. Sie haben beratende Stimme im Landesdirektorium. Zur Wahrnehmung der Bureau-, Kassen- und sonstigen Geschäfte der kommunalen Provinzialverwaltung werden vom Provinzialausschuß besondere Beamte eingesetzt, die dem Landesdirektor unterstellt sind. Für die einzelnen Provinzialinstitute und die Landesbausachen werden die Beamten je nach besonderm Reglement angestellt. Sämtliche Provinzialbeamte sind mittelbare Staatsbeamte. Die besonderen dienstlichen Verhältnisse regelt der Provinziallandtag. — Für die unmittelbare Verwaltung und Beaufsichtigung einzelner Anstalten sowie zur Wahrnehmung einzelner Angelegenheiten können besondere Kommissionen oder Kommissare eingesetzt werden. Der Provinziallandtag bestimmt sie; der Provinzialausschuß erwählt die Mitglieder und gibt ihnen Geschäftsanweisung.
6. Der Provinzialhaushalt. (Prov.O. §§ 101—113.) Über alle Einnahmen und Ausgaben entwirft der Provinzialausschuß einen Hanshaltsplan für ein oder mehrere Jahre. Er wird vom Provinziallandtag festgestellt und durch die Amtsblätter der Provinz veröffentlicht. Provinzialausschuß und Landesdirektorinm haben dafür zu sorgen, daß der Haushalt nach dem Plane geführt wird. Der Provinziallandtag kann besondere Provinzialabgaben ausschreiben. Sie werden auf die einzelnen Land- und Stadtkreise verteilt nach dem Maßstabe der direkten Staatssteuern. In den Landkreisen ist der auf sie entfallende Betrag durch Kreisabgaben, in den Stadtkreisen durch Gemeindesteuer aufzubringen. Kommt eine Provinzialeinrichtung einer Gegend besonders zu gute, so kann für diese eine Mehrbelastung, im entgegengesetzten Falle eine Minderbelastung eintreten. Die Mehrbelastung kann durch Naturalleistung ersetzt werden.
Literatur.
Gesamtdarstellungen, Landeskunde», Zeitschriften.
Heinemann, Otto v., Geschichte von Braunschweig und Hannover. 3 Bde. Gotha 1882—1892.
Havemann, Wilh., Geschichte der Lande Brauuschweig und Lüneburg. 3 Bde. Göttingen 1853—1857.
Schaumann, A. F. H., Handbuch der Geschichte der Lande Hannover und Braunschweig. Hannover 1864.
Bo lg er, W. F., Leitfaden bei dem Unterrichte in der Hannoverisch-Braunschweigischen Landesgeschichte. Hannover 1859.
Geschichte des Hannoverschen Landes von den ältesten Zeiten bis auf unsere Tage. 3. Aufl. Hannover 1844.
Görges, Wilh., Vaterländische Geschichten und Denkwürdigkeiten. 2. Aufl. von Ferd. Spehr. 3 Tle. Braunschweig 1881.
Hüne, Albert, Geschichte des Königreichs Hannover und des Herzogtums Braunschweig. 2 Tle. Hannover 1824, 1830.
Rehtmeier, Phil.Jul., Braunschweig-Lüneburgische Chronica. 3Bde. Braunschweig 1722. Fol.
Büutiug, Heinr., Newe Braunschweigische uud Lüneburgische Chronica. Verbessert und bis 1620 fortgeführt von Heinr. Meybanm. Magdeburg 1620. Fol.
De Krouika fan Sassen in Rimen, sau Wedekind went up Albregt fau Brunswyk 1279. Na der schrivt benotet) . . . dora K. F. Scheller. Brunswyk 1826.
Bennigerholz, Abriß der Gesch. der Welf. Fürsten und ihrer Lande. Northeim 1862.
Tecklenburg, Ang., Geschichte der Prov. Hannover. Hannover 1896.
Meyer, Johannes, Die Provinz Hannover in Geschichts-, Kultur-und Landschaftsbildern. In Verbindung mit Diercke, Ebert, Görges, Günther u. a. hg. 2. Aufl. Hannover 1882.
Guthe, Herm., Die Lande Braunschweig und Hannover. In geographisch-historischen Bildern dargestellt. 3. Ausg., bearb. vou A. Renner. Hannover 1884.
Bartholomäus, H. C. W., Zur Heimatkunde. Die Provinz Hannover in geschichtlichen und geogrophischen Bildern. Schleswig 1868.
202
Literatur.
Zeitschrift des historischen Vereins für Niedersachsen. Hannover. Jahrg. 1850—1904.
Archiv des historischen Vereins für Niedersachsen. Hannover. Jabra. 1845—1851.
Vaterländisches Archiv des historischen Vereins für Niedersachsen. Lüneburg n. Hannover. Jahrg. 1835—1845. Vaterländisches Archiv für Hannoverisch-Braunschweigische Geschichte. Hg. durch v. Spilcker it. Brönnenberg. Hannover und Lüneburg. Jahrg. 1833—1835.
Neues vaterländisches Archiv. Hg. von Spiel, fortgesetzt von Spangenberg. Lüneburg. Jahrg. 1822—1832. Vaterländisches Archiv oder Beiträge zur allseitigen Kenntniß des Königreichs Hannover, wie es war und ist. H)g. von Spiel. 1. Bd. Zelle 1819. Vd. 2—5. Hannover 1800 it. 1821.
Systematisches Repertorium der im „Vaterländischen Archiv," in der „Zeitschrift des historischen Vereins für Niedersachsen" und im „Hannoverschen Magazin" enthaltenen Abhandlungen. Hannover 1880.
Hannoversche Geschichtsblätter. Hg. von Fr. Tewes, fortg.
von O. Jürgens u. a. Hmmover. Jahrg. 1898—1905. Niedersachsen. Halbmonatsschrift für Geschichte, Landes- und Volkskunde, Sprache und Literatur Niedersachsens. Herausgeber Aug. u. Fr. Frendenthal it. Herrn. 25ns; jetzt Fr. Freudenthal u. Haus Pfeifer. Bremen. Jahrg. 1895—1905.
Mithoff, H. W., Kunstdenkmale und Altertümer im Hannoverschen. 7 Bde. Hannover 1871 — 1880.
(1. Kalenberg. 2. Göttingen - Grubenhagen - Harz - Hohnstein. 3. Hildesheim- Goslar. 4. Lüneburg. 5. Bremen-Verden-Hadeln - Hoya - Diepholz. 6. Osnabrück - Singen - Bentheim -Arenberg-Meppen. 7. Ostfriesland - Harlingerland.) Zeitschrift der Gesellschaft für niedersächsische Kirchengeschichte. 1896 ff. Hg. von K. Kayser. Göttingen.
Einzelne Perioden mtb Personen.
Bor- und frühgeschichtliche Altertümer aus der Provinz Hannover. Hg. von der Provinzialkommission z. Erforschung der Kunstdenkmäler in der Prot). Hannover. 1 Tafel mit 118 Abbild, it. erläuterndem Texte. Hannover 1896.
Müller, I. H., Vor- und frühgeschichtl. Altertümer der Provinz Hannover. Hg. von I. Reimers. Hannover 1893.
Tewes, Friedr., Unsere Vorzeit. Hannover 1888.
Literatur.
203
v. Erckert, Wanderungen und Siedelungen der germanischen Stämme. Berliu 1901.
Arnold, Wilh., Ansiedelungen und Wauderungen deutscher Stämme. Marburg 1875.
Knoke, F., Die Kriegszüge des Germanikus in Deutschland. Berlin 1887. Nachträge 1889, 1897.
— Das Varuslager im Habichtwalde bei Stift Leeden. Berlin 1896.
Bomers, F. L., Campus idisiavisus. 1866.
18 es fei, W., Die Schlacht am Lokkumer Berge. Göttingen 1857.
Böttger, Die Einführung des Christentums in Sachsen. Hannover 1859.
Uhlhorn, Bekämpfung der Sachsen. Ztschrft. d. hist. Vereins für Niederfachsen. 1894.
Hartmann, H. it. SB ebbt gen, O., Das Buch vom Sachsenherzog Wittekind. Minden.
Kenzler, Karls des Großen Sachsenkriege. Forschungen zur deutschen Geschichte XI. XII.
Köpke, Rnd., Die älteste deutsche Dichterin (Roswitha von Gandersheim). Berlin 1869.
— Ottonische Studien. Berlin 1869.
Widukind, Sächsische Geschichten (Geschichtsschreiber der deutschen Vorzeit).
Waitz, Jahrbücher des deutschen Reichs unter Heinrich I. Berlin 1863.
Weiland, Ludw., Das sächsische Herzogtum unter Lothar und Heinrich dem Löwen. Greifswald 1866.
v. Uslar-Gleichen, Die Abstammung der Grasen von Northeim und Katlenburg von den Grafen von Stade (Veröffentlichungen zur nieberfächsischen Geschichte). Hannover 1899.
schrader, Lubw., Die älteren Dynastenstämme zwischen Leine, Weser itnb Diemel. Bd. 1. Göttingen 1832.
Schaumann, A. F. H., Geschichte bes niebersächsischen Volkes bis znm Jahre 1180. Göttiugen 1839.
Philippfon, Gesch. Heiitrichs bes Löwen. 2 Bde. Leipzig 1867.
Böttiger, Heinrich der Löwe. Hannover 1819.
Prutz, Heinrich der Löwe. Leipzig 1865.
Hohnstein, O., Heinrich der Löwe. Seht Leben und feine Taten. Braunfchweig 1881.
Michels, Leben Ottos des Kindes. Einbeck 1891.
204
Literatur.
Havemann, W., Magnus II., Herzog zu Brannschweig-Lüneburg. Lüneburg 1836.
Lüntzel, Die Stiftsfehde, Erzählungen und Lieder. Hildesheim 1846.
Havemann, W., Herzogin Elisabeth von Brannschweig-Lünebura. Göttingeu 1839.
Tschackert, Herzogin Elisabeth. Leipzig 1899.
Spittler, L. T., Geschichte des Fürstentums Hannover seit den Zeiten der Reformation bis zu Ende des 17. Jahrh. 2 Tle. Hannover 1798.
Wrede, Ernst der Bekenner. Halle 1888.
Schmidt, E., Die Belagerung von Hameln und die Schlacht bei Hessisch-Oldendors 1633. Halle 1880.
Heimbürger, Georg Wilhelm, Herzog von Braunschw.-Lünebnrg. Ein Lebens- und Zeitbild. (Sette 1852.
Nöldecke, Kurfürstin Sophie von Hannover. Hannover 1864.
Seit mich, Über die Verbindung des Kurfürstentums Hauuover mit England und deren Folgen.
Schwende, A., Geschichte der hannoverschen Truppen im Spanischen Erbfolgekriege. Hannover 1862.
Hassel, W. v., Die Schlesischen Kriege und das Kurfürstentum Hannover. Hannover 1879.
Eelking, M. v., Die deutschen Hülfstruppen im nordamerikanischen Befreiungskriege 1776—1783. 2 Tle. Hannover 1863.
Die althannoverschen Überlieferungen des Füsilier-Regiments Prinz Albrecht von Preußen (Hannoversches, Nr. 73). Hannover 1901. (Belagerung von Gibraltar 1775 — 1783.)
v. ©ottBerg u. v. EschWege, Gesch. d. Hannov. Jägerbataillons Nr. 10. Berlin 1903. (Darin althannoversche Überlieferungen; Belagerung von Gibraltar.)
Scharnhorst, G. v., Die Verteidigung der Stadt Menin und die Selbstbefreiung der Garnison unter dem Generalmajor v. Hammer-stein. 1. Aufl. Hannover 1803.
Hassel, W. v., Das Kurfürstentum Hannover vom Baseler Frieden bis zur preußischen Occnpation im Jahre 1806. Hannover 1894.
Havemann, W., Das Kurfürstentum Hannover unter zehnjähriger Fremdherrschaft 1803—1813. Jena 1867.
Ompteda, F. ü., Die Überwältigung Hannovers durch die Franzosen. 2. Ausg. Hannover 1866.
Th im me, Fr., Die inneren Zustände des Kurfürstentums Hannover unter der französisch-westfälischen Herrschaft 1806. 2 Bde.
Hannover it. Leipzig 1893, 1895.
Literatur. 205
Bariii g, Verteidigung des Pachthofes von La Haye Samte in der Schlacht bei Waterloo. (Im Hannov. Militär-Journal von 1831.)
Malortie, C. E. v., König Ernst August. Hannover 1861.
Ompteda, F. v., Das hannoversche Regiment Fußgarde im Jahre 1803. Hannover 1861.
Jacobi, B., Hannovers Teilnahme an der deutschen Erhebung im Frühjahr 1813. Hannover 1863.
Hartmann, v., Sir Julius vou Hartmann. Erinnerungen aus den Feldzügen auf der Pyrenäifchen Halbinsel von 1808—1815. Hannover 1858.
Oppermann, H. A., Zur Geschichte des Königreichs Hannover. 2 Bde. Leipzig 1860, 1862.
Hassel, W. v., Geschichte des Königreichs Hannover. 2 Tle. Bremen 1898, 1899.
Wengen, Fr. v. d., Geschichte der Kriegsereignisse zwischen Hannover und Preußen im Juni 1866. 2 Tle. Gotha 1886.
v. Lettow-Vorbeck, Geschichte des Krieges von 1866 in Deutschland. 1. Bd. Berlin 1896.
Die Teilnahme der Regimenter des X. Armeekorps und der hannoverschen Regimenter des VII. Corps ant Kriege gegen Frankreich. Die Geschichten der verschiedenen Regimenter: zur Neddeu Nr. 74, v. Conrady Nr. 77, v. Hennings Nr. 78, v. Schmidt-Knobelsdorf Nr. 79, v. Finckh Nr. 91, v. Tappen Pioniere Nr. 10, v. Gottberg u. v. Eschwege Jager Nr. 10, v. Seydewitz 1. Hannov. Ulanen-Reg. Nr. 13 u. a.
Michelsen, Vom Pflug zum Schwert. Berlin 1879.
Hoenig, Der Volkskrieg an der Loire. 2 Bde. Berlin 1893.
Kortzfleifch, Der Feldzug gegen den Loir. Berlin 1892.
Rindfleisch, H., Feldbriefe. 3. Aufl. Göttingen 1891.
Bleib treu, K., Le Maus. Stuttgart. Ohne Jahreszahl.
Schreck, E., Lebensbilder aus Hannoverland. Hannover.
Einzelne Landesteile.
Wiarda, T. D., Ostfriesische Geschichte. 10 Bde. Aurich und Leer 1792—1817. ^
Klopp, Onno, Geschichte Ostfrieslands. 3 Bde. Hannover 1854 1856, 1858.
be Vries u. Focken, Ostfriesland, Land und Volk in Wort und Bild. Emden 1881.
Hoffmeyer u. Hering, Geschichte Ostfrieslands. Aurich 1883.
206
Bartels, Johannes a. Lasco. Elberfeld 1860.
Möser, Justus, Osnabrückische Geschichte. 3 Tle. Berlin und Stettin 1780—1824 (3. Tl. hg. von Stüve).
Stüve, C., Geschichte des Hochstifts Osnabrück bis 1648. 3 Tle., Osnabrück und Jena 1853—1882.
Diepen brock, I. B., Geschichte des vormaligen münsterschen Amts-Meppen oder des jetzigen hannoverschen Herzogtums Arenbera-Meppen. Münster 1838. J
Dehio, Geschichte des Erzbistums Hamburg-Bremen. 2 Bde. Berlin 1877.
Pratje, I. H., Die Herzogtümer Bremen und Verden. 6 Bde. Bremen 1757—1762.
Wiedemann, F. W., Geschichte des Herzogtums Bremen. 2 Bde., Stade 1864, 1866.
Pfannkuche, Ch. G., Die Geschichte des Herzogtums Verden.
2 Bde. Verden 1830, 1834.
Diercke u. Schröder, Heimatkunde der Herzogtümer Bremen und-Verden und des Landes Hadeln. Stade 1880.
Allmers, Herrn., Marschenbuch. Gotha 1858.
Chronik des Landes Hadeln nebst Auszügen aus der Geschichte der Ämter Ritzebüttel, Bederkesa und Neuhaus, des Landes Wursten uud des Landes Kehdingen. Otterndorf 1843.
Gerß, Herzog Magnns von Lauenburg. Ztschr. d. hist. Ver. f. Nieders. 1879.
Archiv für Geschichte und Verfassung des Fürstentums Lüneburg. Hg. von E. v. Lenthe. 9 Bde. Celle 1854—1863.
Wrede, Ad., Die Einführung der Reformation im Lüneburgischen durch Herzog Ernst d. Bekenner. Göttingen 1887.
Fiesel, K., Aus 18 Jahrhunderten. Geschichten und Bilder aus dem Papenteich. 2 Tle. Gifhorn 1897.
Das hannoversche Wendland. Festschrift. Lüchow 1862.
Freudenthal, A., Heidefahrten. 4 Bde. Bremen 1890—1897. Jürgens, O., Die Stände im Fürstentum Lüneburg in der Mitte des 14. Jahrh. Ztschrft. d. hist. Ber. f. Niedersachsen. 1892,1898.
Rath lef, E. L., Geschichte der Grafschaften Hoya uud Diepholz.
3 Tle. Bremeu 1766—1767.
Hüne, Alb., Geschichte der Grafen von Hoya. (Hannov. Magazin 1832.) G ade, Historisch - geogr. Beschreibung der Grafschaft Hoya uud Diepholz. Nienburg 1901.
— Die Geschichte des Fleckeus Hoya. Hoya 1866.
Literatur. 207
Gade, Die Geschichte der Stadt Nienburg an der Weser. Mit besonderer Berücksichtigung der Geschichte der Grafen von Hoya. Nienburg 1862.
Grupeu, Chr. lt., Histor. Nachricht 1. von der Stadt Hannover, 2. von den Altertümern der Kalenbergischen Lande zwischen Deister und Leine. Göttingen 1748.
Spittler, L. T., Geschichte des Fürstentums Hannover. Hannover 1798. Stedler, Wilh., Beiträge zur Geschichte des Fürstentums Kalenberg. 3 Hefte. Barsiughauseu und Hannover 1886, 1889.
Hugo, I. C. v., Die landschaftliche Verfassung des Fürstentums Kalenberg. Hannover 1790.
Meissel, F., Der Kreis Hameln. Beschreibung, Geschichte und Sage. Leipzig und Hameln 1897.
Hartmann, R., Geschichte der Residenzstadt Hannover. 2 Aufl. Hannover 1886.
Hoppe, R. L., Geschichte der Stadt Hannover. Hannover 1845. Lüntzel, H. A., Die ältere Diözese Hildesheim. Hildesheim 1837.
Geschichte der Diözese und Stadt Hildesheim. Ha. aus dessen Nachlasse. 2 Tle. Hildesheim 1858.
Wachsmuth, W., Geschichte vou Hochstift und Stadt Hildesbeim. Hildesheini 1863. V V
Bertram, A., Geschichte des Bistums Hildesheim. Bd. 1. Hildesheim 1899.
Ettling, K., Hildesheimer Land und Leute des 16. Jahrh, in der Chronik des Dechanten Joh. Oldecop. Hildesheim 1892.
Lüntzel, H. A., Der heilige Bernward, Bischof von Hildesheim. Hildesheim 1856.
Kassebeer, F., Hildesheimer Rosen. Hildesheim 1897.
Günther, Der Ambergau. Hannover 1887.
Crusius, G. F. Ed., Geschichte der vormals Kaiserl. freien Reichs-
stadt Goslar am Harze. Osterode 1834.
Wolfstieg, A., Geschichte der Stadt Goslar im 11. u. 12. Jahrh.
Neu-Nuppin 1883.
Hotzen, A., Das Kaiserhaus zu Goslar. Halle 1872.
Max, G., Geschichte des Fürstentums Grubeuhaaen 2 Tle. Hannover 1862, 1863.
Harland, H. L., Topographisch-statistische und historische Nachrichten über das königl. Schloß Rotenkirchen, die Burgeu Grubenhagen. Rotenkirchen und das ehemalige Fürstentum Grubeuhaaeu. Einbeck 1853. Ö
208 Literatur.
Letzner, Joh., Dasselische und Einbeckische Chronica. Erffurdt 1596.
Günther, F., Der Harz in Geschichts-, Kultur- und Landschaftsbildern. Hannover 1888.
Aus der Geschichte der Harzlande. 4 Bde. Hannover 1890, 1891.
Hoche, Joh. Gottsr., Vollständige Geschichte der Grafschaft Hohenstein, der Herrschaften Lohra und Kletteuberg. Halle 1790.
Wintzingerode-Knorr, v., Die Kämpfe und Leiden der Evangelischen auf dem Eichsfelde. Schriften f. Reform. Gesch Nr. 38, 42. Halle.
Wolf, Politische Geschichte des Eichsfeldes. 2 Bde. Göttinaen 1792, 1793.
Schräder, L., Die älteren Dynastenstämme zwischen Leine, Weser und Diemel und ihre Besitzungen. Bd. 1: Geschichte der Grafen von Northeim und Katlenburg. Göttingen 1832.
Uslar-Gleichen, E. Frhr. v., Die Abstammung der Grafen von Northeim und Katlenburg von den Grafen von Stade. Hannover 1900.
Protokolle über die Sitzungen des Vereins für die Geschichte Göttingens. Hg. von Aug. Tecklenburg. Göttingen 1893 — 1905.
Unger, Fr. Wilh., Göttingen und die Georgia-Augusta. Göttingen 1861.
Rößler, F. E., Die Gründung der Universität Göttingen. Göttingen 1858.
Tecklenburg, Aug., Geschichte von Göttingen und Umgegend. Hannover 1897.
Lotze, W., Geschichte von Münden. Münden 1878.
Einzelne Knlturgebiete.
Witt ich, Die Grundherrschaft in Nordwest-Deutschland. Leipzig 1896.
Das Hannoversche Höserecht, Gesetz vom 2. Juni 1874 mit kurzen Erläuterungen von L. W. Fricke. Hannover 1876.
Festschrift zur Säcnlarfeier der Königl. Landwirtschaftsgesellschaft in Celle am 4. Juni 1864. 3 Abtlgn. Hannover 1865.
Lüntzel, H. A., Die bäuerlichen Lasten im Fürstentum Hildesheim.
Stüve, K. 23., Über die Lasten des Grundeigentums in Hannover. Hannover 1830.
Hammer st ein, Chr. v., Über die Verbesserung des Zustandes des Landmanns im Fürstentum Lüneburg. Lüneburg 1832.
Patje, Kurzer Abriß des Fabriken-, Gewerbe- und Handlungszustandes in den Chur Braunschw.-Lüneb. Landen. Göttingen 1796.
Literatur.
209
Denkschrift über die Gewerbeverhältnisse Hannovers beim Eintritt in den Preußischen Staat. Hannover 1867. v. Sichart, Geschichte der Königlich-Hannoverschen Armee. 5 Bde.
Hannover 1866—1898. v. Rothenburg, Schlachten der Hannoveraner und Braunschweiger.
Mit 6 Plänen. Leipzig 1847.
Regimentsgeschichten des X. Armeecorps (Siehe oben), v. Diebitsch, Die Hannoversche Armee 1866. Hannover. Erinnerungen eines Legionärs der Deutschen Legion des Königs von England. Hannover 1826.
Schwende, A., Geschichte der hannoverschen Truppen im Spanischen Erbfolgekriege. Hannover, v. Berckefeldt, Geschichte des Königl. Hannov. Landwehrbataillons Münden. Hannover 1850.
Beamish, N. L., Geschichte der Königlich Deutschen Legion. 2 Bde.
Hannover 1832—1837.
Detter, Die Schlacht bei Hastenbeck 1757. Hannover 1878.
Sen ff, Die Schlacht bei Sievershausen 1553. Hannover 1880.
Meyer, E. v., Hannoversche Verfassnngs- und Verwaltungsgeschichte.
2 Bde. Leipzig 1898, 1899.
Brüning, H., Die Preußische Verwaltungsgesetzgebung in der Provinz Hannover. 2. Aufl. Hannover 1886.
Ebhardt, Chr. H., Hannoversche Gesetzsammlung: aus der Zeit von 1813, 3 Bde.; 1813—1839, 8 Bde.; 1840-1856, 7 Bde. — Die Staatsverfassung des Königreichs Hannover 1860. Grundgesetz für das Königreich Hannover. Hannover 1833. Richthofen, Untersuchungen zur friesischen Rechtsgeschichte. Berlin 1880.
Hahn, G., Das Deichrecht der Altendorfer Schonung. Stade 1886. Wiarda, T. D., Asega-Buch, altfriesisches Gesetzbuch der Rüstringer. Berlin 1805.
Kayser, K., Abriß der hannov.-braunschweigischen Kirchengeschichte. Zeitschr. f. niedersächs. Kirchengeschichte. III. u. IV.
Schlegel, I. K. F., Kii’chcn- und Reformationsgeschichte von Norddeutschland und den Hannov. Staaten. 3 Bde. Hannover 1828—1832.
Richter, evangelische Kirchenordnungen.
Uhlhorn, Hannoversche Kirchengerichte. Stuttgart 1902. Kayser, K., Die reformatorifchen Kirchenvisitationen in den wel-fischen Landen 1542—1544. Göttingen 1897.
Tecklenburg u. Dageförde, Geschichte der Provinz Hannover. 14
210
Literatur.
Friedberg, Die geltenden Verfassungsgesetze der evangelisch-deutschen Landeskirchen. I. Band 1885. (Darin die evangelischen Landeskirchen der Provinz Hannover.)
Wrede, Ernst der Bekenuer. Halle 1888.
Tschackert, Die Epochen der niedersächs. Kircheugeschichte. Ztschrft. f. niedersächs. Kirchengesch. I.
Havenuntn, Herzogin Elisabeth von Kalenberg-Göttiugen. Göttin gen
Tschackert, Herzogin Elisabeth. Leipzig 1899.
Uhlhorn, Urbanus Rhegius. Elberseld 1862.
— Anton Eorvin. Halle 1891. (In Schriften des Vereins für Reformationsgeschichte. Halle.)
Tschackert, Anton Corvinus Leben und Schriften. (Quellen und Darstellungen, Bd. 3.) Hannover 1900.
Erdmann, G., Reformation und Gegenreformation im Fürstentum Hildesheim. Hannover 1899. (Veröffentlichungen zur nieder-sächsischeu Geschichte.)
Rothert, W., Die innere Mission in Hannover. 2. Aufl. Stuttgart 1889.
Kirchenvorstands- und Shuodalordnuug für die evangelisch-lutherische Kirche des Königreichs Hannover vom 9. Okt. 1864. Hannover 1864.
Salseld, Gesch d. Schullehrerseminars zuHannover. .Hannover 1800.
H(inüber), G., Historische Nachrichten über den Anfang des Post-wesens im Stift Hildesheim, Brauuschweig usw. Frankfurt 1760.
Einige Nachrichten und Bemerkungen über Chausseebau im Königreich Hannover. Hannover 1831.
Ebert, A., Die Wegegesetzgebung in der Provinz Hannover und Zusammenstellung der Bestimmungen über das Kleinbahnweseii. Hannover 1897.
Iacobi, E., Die Königl. hannov. Eisenbahnen- irnd Telegraphen-Verwaltung.
Hannovers Eisenbahnen. Leipzig 1847.
Etiert, A., Geschichtliche Darstellung des Kohlenbergbaus im Fürstentum Calenberg. 1867.
Verlag von Carl Meyer (Gustav Prior) in Hannover u. Berlin W. 35
Zu Weigand u. Tecktenöurg)
„Deutsche Geschichte"
erschienen nach und nach stamme;- und helmatgeschichtliche €rgänzungshefte welche die Geschichte der preussischen Provinzen, der deutschen Staaten und einzelner Gaue oder Kreise in solcher Auswahl und Torrn enthalten, daß die betreffenden besondern Partien als organische Bestandteile In den Rahmen der „Deutschen Geschichte" eingefügt werden können.
Bis jetzt sind erschienen:
A. Folgende ftaminesgeschichtliche Lrgänzringshefter
Nr. 1. Für die Rheinprovinz, bearbeitet von Rektor Joh. Bengel in Stol-berg bei Aachen. Preis steifgeh. 20 Pfg.
9ir. 2. Für die Provinz Hannover, bearbeitet von Lehrer Aug. Tecklenburg in Göttingen. Preis steisgeh. 30 Pfg.
Nr. 3. Für die Provinz Sachsen, bearbeitet von Mittelschullehrer H. Heine in Nord hausen. Preis steifgeh. 20 Pfg.
Nr. 4. Für Ost- und Weftpreußen, bearbeitet von Hauptlehrer I. N. Pawlowski in Zoppot bei Danzig. Preis steisgeh. 25 Pfg.
Nr- 5. Für das Großherzogtum Hessen, bearbeitet von Rektor Philipp Hartleb in Mainz^ Preis steifgeh. 30 Pfg.
Nr. 6. Für die Provinz Posen, bearbeitet von Rektor H. Rösener in Kempen
in Posen. Preis steifgeh. 20 Pfg.
Nr. 7. Für die Provinz Brandenburg, bearbeitet von Mittelschullehrer A. Fels
in Frankfurt a. O. Preis steifgeh. 20 Pfg.
Nr. 8. Für die Provinz Schleswig-Holstein, bearbeitet von Mittelschullehrer T. H. Thomsen m Altona (Elbe). Preis steisgeh. 30 Pfg.
Nr. 9. Für die Provinz Schlesien, bearbeitet von Rektor Hantke in Breslau.
Preis steifgeh. BO Pfg.
Nr. 10. Für die Provinz Pommern, bearb. von Rektor A. Sielaff u. Mittelschullehrer K.Gresens in Stettin, steisgeh. 30 Pfg., von 50 Ex. ab je 25 Pfg.
B. Folgende heinratgeschi^tliche Lrgänzr»ngshefte:
Nr. 1. „Geschichte von Göttingen und Umgegend" von Aug. Tecklenburg,
Lehrer in Göttingen. Preis steisgeh. 50 Pfg.
Nr. 2. „Geschichte von Mainz und Umgegend" von Philipp Hartleb, Rektor
tn Mainz. Preis steisgeh. 50 Pfg.
Nr. 3. „Geschichte von Erfurt und Umgegend" von Adelbert Schiel, Lehrer in
Erfurt (jetzt Seminarlehrer in Montabaur). Preis steifgeh. 40 Pfg.
-fr. „Geschichte von Alzey und Umgegend" von Karl Backes, Oberlehrer
in Alzey (jetzt Kreisschnlinspektor). Preis steisgeh. 30 Pfg.
-fr- 5. „Geschichte von Nordhauseu und dem Kreise: Grafschaft Hoheusteiu"
von H. Heilte, Mittelschullehrer in Nordhausen. Preis steifgeh. 45 Pfg.
Nr. 6. „Geschichte des Kreises Pyritz" von R. Pelz, Lehrer in Sallentin.
(Kr. Pyritz) Preis steisgeh. 25 Pfg.
-'fr- 7- „Geschichte von Offenbach a. M. und Umgegend" von F. Jöst, Lehrer in Offenbach. Preis steisgeh. 40 Pfg.
Nr. 8. „Geschichte von Altona (Elbe) und Umgegend" von H. Ehlers, Rektor
in Altona. Preis steifgeh. 40 Pfg.
Verlag von Carl Meyer (Gustav Prior) in Hannover u. Berlins. 35.
Prüfungsexemplar steht bei beabsichtigter Einführung gratis zu Diensten von der
Verlagsbuchhandlung.
Um den Bedürfnissen der evangelischen Schulen zu genügen, ist bereits vor dem Erscheinen der 10. Auflage des vorstehenden Buches eine evangelische Ausgabe veranstaltet worden, die alle wesentlichen Eigenarten dieses Buches hat, nur kürzer gefaßt ist und die kirchliche Reformationsgeschichte vom evangelischen Standpunkte aus erweitert. Es ist dies die:
Deutsche Geschichte
für
evangelische Volksschulen.
Nach den Forderungen der Gegenwart
als Lern- und Lesebuch für die Hand des Schülers bearbeitet von
Zug. Hecklenöurg.
-----<>0------
Ausgabe für die des Lehrers
Mit einem begründeten Vorwort, einer Zeittafel und einer Inhaltsübersicht nach Längs- und Querschnitten.
— Preis geb. 90 Pfg. ■
Ausgabe für die Hand des Schülers.
■■■ Preis steifgeh. 50 Pfg., kart. mit Leinenr. 60 Pfg. —
Preußische Lehrerzeituug 1901. Pädag. Literatnrbericht. Das vorliegende Buch ist die von Tecklenburg besorgte Ausgabe der bekannten „Deutschen Geschichte" von Weigand und Tecklenburg. Die Einteilung nach 10 Perioden ist beibehalten. Um den Bedürfnissen der evangelischen Volksschulen zu genügen, sind manche Stoffe hinzugekommen, die wir in den früheren Ausgaben vermißt haben. Das Buch zeigt keine dürre Leitfadenmanier; Namen, Zahlen und politische Notizen sind auf das Notwendigste beschränkt worden; dagegen ist Kulturgeschichte ausgiebig berücksichtigt.
Schulpsiege 1903 Nr. 2. Das vorliegende Werkcheu lehnt sich an die „Deutsche Geschichte von Weigand u. Tecklenburg" an, erweitert das Konfessionelle durch die Einführung der Reformationsgeschichte. Die Bedeutung der Heimatsgeschichte für den Geschichtsunterricht wird mit Recht stark betont. Die Inhaltsübersicht nach Längs- und Querschnitten kann bei Wiederholungen gute Dienste leisten.
Monatsblatt des evangel. Lehrerbundes 1901, vom 1./10. Das vorliegende Buch will besonders in seinen rein kulturhistorischen Stücken die Ergebnisse der Unterrichtsarbeit dem Schüler in geeigneter Form zum Befestigen, Wiederholen und Üben darbieten. Es ist unseres Erachtens ein treffliches geschichtliches Lern- und Lesebuch, woran der Unterricht eine gute Stütze hat.
Verlag von Carl Meyer (Gustav Prior) in Hannover n. Berlins. 35.
— Zu beziehen durch alle Buchhandlungen. —
Wie die Stammes- und Heimatgeschichte in die Reichsgeschichte einzugliedern ftiti), zeigt:
Die organische 6ingüe9emng 9er Heimat- unö Sfammesgefchichfe
in 9ie Reichsgeschichte.
Eine methodische Anweisung.
ZTtit Stoffverteilungsplan und Unterrichtsbeispielen von
Aug. Tecklenburg.
=ä= Preis geh. 1 Mk. =====
Bayrische Lehrerzeitung. 1900. Nr. 35, Seite 624. . . . eine meisterhafte methodische Anweisung . . . Der detaillierte Stoffverteilungsplan dürste für den Geschichtsunterricht geradezu epochemachend werden . . . und scheint also darin für den Geschichtsunterricht das Problem der richtigen Verbindung von Fachwissenschaft uub Erziehungsprinzip gelöst zu fein; wir müssen deshalb Tecklenburgs Schrift den gemeinsamen Jahreskonferenzen der Fortbildnngsbezirke ebenso nachdrücklich empfehlen wie die Broschüre Schrneils; ans beide Theorien und ihre praktische Ausführung kann der Superlativ des Lobes in objektiver Geltung angewendet werden, da sie die Zustimmung aus allen Teilen des Deutschen Reiches gefunden haben.
Pädagogischer Jahresbericht. (Herausgeber Schulinspektor H. Scherer.) 1899. S. 291, 292. „Das Verhältnis ber Heimat- unb Stammesgeschichte zur bentschen Reichsgeschichte bis ins einzelne hinein gezeigt unb begrünbet zu haben, ist bas Verdienst vorliegenber methobischer Anweisung, bercn griinbliches Studium wir jebem, ber es ernst mit seiner Arbeit nimmt, angelegentlich empfehlen . . . Der lehrplanmäßige Ausbau der Geschichtsstoffe für baS 1.—8. Schuljahr ist es, was das Buch für ein daraus bezügliches Studium besonbers wertvoll macht . :
Päbagogische Zeitung. (Berlin.) „Das Wertvollste in der Schrift find aber die Untersuchungen über bie lehrplanmätzige Auorbnung ber in Frage kommenben Geschichtsstoffe, die meines Wissens so eingehend, klar unb überzeugend in keinem andern Buche sich finben ... So vereinigen sich in dem Buche Theorie und Praxis zu einem wohlgelungenen Ganzen."
Verlag von Carl Meyer (Gustav Prior) in Hannover u. Berlin W. 35.
— Zu beziehen durch alle Buchhandlungen. —
ein Beispiel, wie die tleimafgeschirhfe in Sie Reichsgefchichfe ein-^uglieäem in, gibt:
Der erste selbständige Geschichtsunterricht
auf heimatlicher Grundlage
— in Mheorie unü Praxis. ------------------------------------
In ausgeführten Lektionen und Lektionsentwürfen typisch dargestellt
von
^ug. Tecklenburg.
Preis brosch. 3,50 Mk., geb. in Gzl. 4 Mk.
Preutz. Schulzeitung. 1904. Nr. 69. Der Verfasser hat mit seinem vorliegenden Geschichtswerk für die Methodik des Geschichtsunterrichts eine beachtenswerte Arbeit geliefert ... Er hat die historischen Stoffe an die Heimat angeschlossen und so den psychologischen Gesetzen der inneren Anschauung Rechnung getragen. . . Die Bilder sind Typen. . . Sie verlangen vom Lehrer, daß er selbständig arbeitet, und daß er es lernt, unter Berücksichtigung der heimatlichen Grundlage für jede Schule einen habituellen Geschichtsunterricht zu erteilen. Gerade dieser Gesichtspunkt hat uns so außerordentlich gefallen. . . Wir erklären Tecklenburgs Geschichtswerk für eine der besten Darstellungen auf dem Gebiete der Geschichtsmethodik und wünschen der Arbeit allseitige Beachtung.
Sächsische Schulzeitung. 1904. Nr. 31. . . . Die Anschauungen des Verfassers über den Betrieb des ersten Geschichtsunterrichts decken sich mit den Forderungen der gewiegtesten Methodiker, und die praktische Durchführung, die sie in vorliegendem Werke erfahren haben, ist ein vollgültiger Beweis für die Richtigkeit des Weges, den der Verfasser beschritten hat, um endlich den Geschichtsunterricht auf dem kindlichen Anschaunngs- und Jdeenkreis aufzubauen. Möge das vorzügliche Bach viele Freunde finden.
Zweisprachige Volksschule. 1904. Nr. 6. Unter denen, die sich um den "Ausbau des Geschichtsunterrichts im Geiste der Gegenwart bemühen, nimmt Tecklenbnrg eine hervorragende, ja führende Stelle ein. . . Die vorliegende Schrift bezeichnet einen weiteren bedeutsamen Schritt in dem Bestreben, den Betrieb des Geschichtsunterrichts so fruchtbringend als möglich zu gestalten. . . eilt wohl einzig dastehendes Präparationswerk, das typisch genommen sein will . . . verrät nicht nur den strebenden und mit Begeisterung erfüllten Forscher, sondern auch den gewandten, praktischen Lehrer. Möge das Buch recht viele Kollegen zu ähnlichem Streben und Tun anspornen!
Preußische Lehrerzeitnng. (Pädag. Literaturblatt.) 1904. 14. 9. Das Werk ist eine bedeutsame Erscheinung auf dein Gebiet des Geschichtsunterrichts; es sei deshalb der Beachtung sehr empfohlen.
Elsaß-Lothringisches Schnlblatt. 1904. Nr. 12. Für den Geschichtsunterricht ist uns in letzter Zeit eine Hilse für die Gestaltung des Heimatprinzips erstanden in diesem vortrefflichen Buche. . . . Freilich kostet es Arbeit, dieses liebevolle Sichversenken in die vergangenen Tage und deren Zeugen. 'Aber die leuchtenden Augen unserer Kleinen sind der schönste Lohn. . . . Also mit Tecklev bürg : Für bett Geschichtsunterricht ist die intensivste Berück-
sichtigung der Heimat bei der Aufsuchung der Einzelerscheinung unabweislich methodische Pflicht.
Verlag von Carl Meyer (Gustav Prior) in Hannover u. Berlin W. 35.
= Zu beziehen durch alle Buchhandlungen. =
<><>-----------------
Jn Dielen Praparan3enanfla[fen, in Mittel- u. LanSmirttctiaffsIciiulen if! eingeführt:
* Schumann-Keinzes
Leitfaden der preußischen Geschichte.
----------- Fünfte Auflage.
bearbeitet von Aarl Dageförde,
Kgl. Seminarlehrer in Northeim.
—-■ 1904. Preis geb. Mk. 1.50.
- ---.pädagogische Blätter. 1902, Heit 8. Ter Herausgeber hat das bekannte Buch durch lorgsalttge Durchsicht noch wesentlich verbessert. Sv ist die früher als Anhang in sehr deinem Druck gegebene allere Geschichte der Preußen einverleibten Provinzen Hannover, Schleswig-Holstein 2C. in lesbarer Schrift der Geschichte selber eingefügt und dafür unter Anhang A und L das wesentlichste aus der Verfassung Preußens und des Deutschen Reiches ausgenommen worden. Auch 1 mel^ man vielfach die bessernde Hand. Einer Empfehlung bedarf das brauchbare Buch nicht mehr.
. . Preußische Lehrerzeitung 1901. Literaturblatt Nr. 7. Die Verfasser dieses Leitfadens
imo einander rasch im Tode gefolgt. Die neue Auflage ist von einem Schüler der Verfasser durchgesehen und bie auf die Gegenwart ergänzt worden. Die ältere Geschichte Brandenburgs bis auf -H°henzollern ,st mir kurz gegeben worden: dagegen ist die Geschichte des Herzogtums Preußens ausführlicher behandelt worden, der Bedeutung entsprechend, die dieses Land für die deutsche Kultur im Osten und für den Staat der Hohenzollern gewonnen Hot. Tie Kulturgeschichte ist besonders berücksichtigt worden. Die Merkzahlen, die dem Gedächtnis einzuprägen sind, sind an den Rand gedruckt worden. Überhaupt ist der Geschichtsstoff recht gut gegliedert: die Darstellung ist, wenn; auch kurz gehalten, doch nicht leitsodenanig abgerissen, sondern anschaulich und prägnant". Die Verdienste der hohenzollernschen Herrscher um das Wohl des Volke? und des Landes sind ein = gehend gewürdigt worben. Um die Forderung nach Quellenstudium im Geschichtsunterricht zu "^"stupen, sind in der neuen Auslage überall in den Fußnoten entsprechende Quellenslücke genannt. -Lieie Jtoten beziehen sich auf das in demselben Verlage erschienene Qnellenlesebuch für «jn,. er vaterländischen Geschichte von W. Heinze. Wir können den Schumann: i'tulprüsung nur empfehlen; besonders eignet er sich auch als Lernbnch für die Dlittel-
Sttilesische Schulzeitung. 1901, Nr. 37. Die ältere Geschichte bis auf die Hohenzollern 1 « IDOrbe!I' dagegen wird die Geschichte des Herzogtums Preußen aussührlicher
behandelt der Bedeutung entsprechend, die dieses Land für die deutsche Kultur im Osten und für L.IZVLvV-/ Hohenzollern gewannen hat. Tie kulturgeschichtlichen Abschnitte sind sorgfältig tim*mfchcnC @eschTchte' ift c,n fiUtc§ H'lssniittel für den Unterricht m der
Pädagogische Zeitung. 1901. August. Das vorliegende Buch behandelt in 4 Ab-‘u/1 m,42 Abfchnitle mit besonderen Abschnitten gliedern, die.preußische Ge-mJrfl» Hl ^ i Rl. ausgewählt und einfach und lebendig erzählt. Überall ist zu
merken, daß Verfasser ein be,o»deres Gewicht auf die Kulturgeschichte gelegt haben. An
hpffpr'hpm m h'n*t Ttrt 'ie "'chtigsten gegeben, die am Rande noch einmal gedruckt sind um sie
sä?«
«dtfabJfcf hlft'l90h9,r-1137' Der Herausgeber des'weltbekannten. wertvollen im rr t t ^ auf Grund einer reichen Uniernchtserfahrung die Neubearbeituna im Sinne der ^'*K"autoven vorgenommen. In musterhafter Darstellung werden darin ^ »'lch chll.chen Ereign,ste von den ältesten Zeiten der Mark Brandenburg bis zur Gegen
1 r fl namentlich wird aber die Entwicklung des brandenburg-preußischen Staates unter sind eingehend geschildert. Die kulturgeschichtlichen Abschnitte
ltno lorgraitig durchgearbeitet. Durch fortgesetzte Hinweise auf Quellenstücke wird ps hpv ^-nv
»»»•ÄSSar«- iJ
gründliche und eingehende Darlegung der geschichtlichen Vorgänge.
*) Prüfungsernplar steht gratis und postfrei zu Diensten von der Verlagsbuchhandlung.
Verlag von Carl Meyer (Gustav Prior) in Hannover u. Berlins. 35.
Tie „Deutsche Geschichte von H. Weigand u. A. Tecklenburg" führt sämtliche Lebenserscheinungen, die im Schulunterrichte zur Behandlung kommen, bis zu ihrer gegenwärtigen Form vor. Ta wir jetzt in einem Rechtsstaate leben, so sind diese gegenwärtigen Formen auch meistens durch Gesetze festgelegt. Es ist deshalb besonders für den Lehrer wünschenswert, auch den Wortlaut dieser Gesetze zu wissen. Diesen bietet:
Kesehes- und Staatenkunde
für das Königreich Preußen.
Vnthallend Reichs-- und Nandesgefetze.
Nach dem Wortlaute u. der Paragraphen - Einteilung der Gesetze
bearbeitet von Heinrich Weigand.
Mit Sachregister und WörlrrverMchins. gr. 8°, XX u. 318 S. Preis geh. 2 Mk., geb. in Gzl. 2,50 Mk.
Pädagogische Warte. In jedem Rechtsstaate wird das Leben des Einzelnen,
sein Tun und Lassen, jeder wichtige Schritt von Gesetzen geregelt; für den modernen Menschen ist es daher von der größten Bedeutung, daß er in jedem einzelnen Falle weiß, was das Gesetz darüber bestimmt, denn Unkenntnis der Gesetze schützt bekanntlich vor Strafe nicht. Nun sind ja freilich Rechtsanwälte da, bei denen man sich im Bedürfnisfalle erkundigen kann; aber im gewöhnlichen Leben sollte man sich selbst helfen können, das gehört mit zur allgemeinen Bildung. Allerdings ist es äußerst schwierig, sich in den verschiedenen Gesetzen zurechtzufinden, und vor allen Dingen sind die Gesetze nicht jedem sofort zugänglich. Diesem Mangel will das vorliegende Buch abhelfen Es enthält rund 80 Gesetze und Verordnungen im Auszuge; nicht sämtliche Gesetzesparagraphen sind aufgenommen, sondern nur die wichtigsten, die den Kernpunkt des Gesetzes enthalten. Dadurch wurde unnötige Breite vermieden und Raum geschaffen für eine so große Anzahl von Gesetzen, daß es kaum Verhältnisse gibt, die hier nicht berührt worden sind. Die betreffenden Bestimmungen sind mit den Worten des Gesetzes und mit Bezeichnung der bezüglichen Paragraphen gegeben. Ein eingehendes Sachregister erleichtert den Gebrauch des Buches sehr, und einige Stichproben zeigen sogleich, wie reichhaltig das Werk ist und
wie prägnant und dabei doch völlig erschöpfend der Gegenstand behandelt ist.
Dabei ist der Preis von 2,50 Mk. für das gut ausgestattete Buch so billig, daß sich jeder in den Besitz des Buches setzen kann. Für den Lehrer insbesondere ist es von großem Nutzen, denn er ist, namentlich auf dem Lande, die Instanz, an die man sich in den verschiedensten Lagen zunächst wendet, um Rat und Auskunft zu holen. Ich kann daher das Buch nicht dringend genug empfehlen.
Schulblatt der Provinz Sachsen. 1902. Nr. 18. Das Buch enthält eine Gesetzeskunde für Laien, d. H. es sind von den Gesetzen alle die Teile weggelassen, die nur für die ausführenden Beamten in Betracht kommen. Sonst hat der Herausgeber die Gesetze und Verordnungen — rund 80 — im Wortlaut dargeboten, nur im Notfälle eigene Erllärnngen als Fußnoten gegeben, im übrigen auch ein Quellenverzeichnis angefügt. Der Inhalt ist nach folgenden Kapiteln geordnet: 1. Personenrecht. 2. Sachenrecht. 3. Gewerbe- und Handelsrecht. 4. Gesellschaften und Genossenschaften. 5. Recht der Schuldverhältnisse. 6. Geld- und Geldersatzmittel. 7. Versicherungswesen. 8. Gerichtswesen. 9. Verkehrswesen. 10. Militär- und Marinewesen. 11. Staats-Verwaltungswesen. 12. Staats-Finanzwesen. Der Verfasser hat das Buch mit Hilfe eines erfahrenen Juristen herausgegeben. Es bildet einen zuverlässigen Berater im praktischen Leben; auch dem Lehrer würde es die besten Dienste leisten. Mg-.
77kN.'!W«Uiiii
ür.ü'.iiiii.: