14 Friedrich MeineZe. kommen treten, um solche neue Zustände zu schaffen und die inneren Wurzeln des alten Zustandes zu zerstören. Der alte Standesgeist war aber noch viel zu mächtig, als daß der durchschnittliche preußische Edel- mann schon daran hätte denken können, die Wohltat der freien Be- rnfswahl auszunützen. Damit behielt der Adel tatsächlich mehr von dem Wesen des alten „Standes" an sich, als die Gesetzgeber wünschten. Und während Bürger- und Bauernstand sich im Laufe des Jahrhunderts allerdings mehr zu Klassen umgewandelt haben, deren Grenzen sluk- tuierten und ineinander übergingen, blieb der Adel viel fester und be- harrlicher in seinem Bestände und in seiner alten Berufssphäre, die außer der Landwirtschaft nur den Staats- und Heeresdienst als standesgemäß anerkannte. Er gab selbst nur wenig Elemente aus seiner Mitte an die anderen Stände und Klassen ab, aber er empfing von ihnen umgekehrt Elemente, die seinen Bestand und seinen Einfluß noch verstärkten. Der Bürger, der sich fortan als Rittergutsbesitzer ankaufte, und der bürger- liche Offizier und Beamte, der das Adelsdiplom erhielt, wuchsen in der Regel, spätestens in der zweiten oder dritten Generation, in die Ge- sinnungen und Lebensziele des alten Adels hinein, der sie zwar nicht immer als voll ansah, aber ihre guten Dienste für feine Interessen sich gern gefallen lassen konnte. — Eine Nationalversammlung, ein preußischer Reichstag, sollte den Bau der Reformen krönen und die letzte Lücke zwischen Staat und Nation schließen. „Teilnahme der Nation an Gesetzgebung und Verwal- tnng", sagte Stein, „bildet Liebe zur Verfassung, eine öffentliche richtige Meinung über Nationalangelegenheiten und die Fähigkeit bei vielen einzelnen Bürgern, die Geschäfte zu verwalten." Auch diese letzte und höchste Reform sollte also nicht sowohl dazu dienen, der Nation ein politisches Machtmittel gegenüber der Regierung zu geben, sondern war ethisch gemeint und sollte Gesinnungen und Fähigkeiten der Nation entwickeln, Persönlichkeiten erwecken, die für das Ganze lebten, — denn er fuhr bezeichnend fort: „Die Geschichte lehrt, wie überwiegend größer die Anzahl großer Feldherren und Staatsmänner in freien als in despo- tischen Verfassungen war." Da er zwischen der Persönlichkeit und der Nation im ganzen auch immer die natürlichen Gliederungen der Gesell- schaft anerkannte, so ist es verständlich, daß er den Gedanken der fran- zösischen Revolution ablehnte, die Nationalvertretung schlechthin aus der ganzen Nation zu bilden. Sie sollte auf den Ständen und Berufs- klaffen beruhen, innerhalb deren die Masse der Eigentümer das freie Wahlrecht erhalten sollte. Auf das schärfste sprach er sich aber dagegen aus, dem preußischen Adel etwa ein politisches Übergewicht zu geben. Es ist höchst denkwürdig, daß er im Zusammenhange dieser Verfassungspläne vom Herbste 1808 auch eine radikalere Reform des Adels erwog. Er hielt ihn, so wie er war, und nach den trüben Erfahrungen, die er mit ihm gemacht hatte, für eine Last der Nation, weil er zahlreich, größtenteils