94 VII. v. Treitschke, Anfänge der Eisenbahnen in Deutschland. Dies widersprach allen Vorhersagungen; hatte doch selbst der berühmte Arago versichert, eine Eisenbahn könne vielleicht Personen, doch un¬ möglich große Gütermassen befördern. Leider erlebte List an diesem Triumphe seiner Ideen wenig Freude. Es giebt einsame Genies, die wohl Durch schöpferische Ge¬ danken ihre Natiou erwecken und erheben können, aber nicht fähig sind, mit ihrer vollsaftigen ursprünglichen Kraft in dem alltäglichen kleinen Getriebe des öffentlichen Lebens mitteninne zu wirken. Ihnen fällt meist ein tragisches Los. Wie einst seinen Genossen in der Württembergischen Kammer, so wurde List auch dem Leipziger Eiseubahu- Komitee bald lästig. Die Männer des Komitees waren durchweg tüchtige und keineswegs engherzige Geschäftsleute, aber sie dachten zunächst an die Interessen ihrer guten Stadt, und wenn List in den Generalversammlungen von der großen Eisenbahn Prag-Hamburg zu reden begann, so befürchteten sie, nicht mit Unrecht, er werde die ängstlichen Philister abschrecken. Der frohmutige Mann bot, wenn er mit mächtigem Lachen seinen Löwenkopf schüttelte, ein Bild ur- kräftigeu Behagens; doch zuweilen überfiel ihn eine furchtbare Hypo¬ chondrie, und dann war mit seiner unbändigen Grobheit kaum auszu¬ kommen. Also schob man ihn leise zur Seite und fand ihn ab mit einem Ehrengeschenke von etwa 4000 Thaler, ohne ihm auch nur erneu Anteil an den Aktien zu gewähren. Die braven Leipziger Kauf¬ leute glaubten damit durchaus nicht kleinlich zu handeln; verfuhren sie doch selber höchst uneigennützig, ihre vier Direktoren bezogen 750 Thaler Gehalt, ihr Präsident 1500. Jenem Engländer freilich, der ihnen den Weg durch die Ebene empfahl, zahlten sie für feine kurze Reise fast 7000 Thaler; denn daß eine Brite höher gelohnt werden müsse als ein Dentscher, bezweifelte in diesen fremdbrüderlichen Tagen niemand. Wie viel Unfug stiftete doch die deutsche Ausländerei auch im Eisenbahnwesen an. Nur aus Nachahmungslust wurde die allzu schmale Spurweite der Stephensonschen Bahn von der Leipzig- Dresdener Gesellschaft und nachher, zum Schaden für die Nerven der Reifenden, auch von den anderen deutschen Bahnen angenommen. Und welche Flut von französischen oder französisch klingenden Wort¬ ungetümen drang jetzt in uusere Sprache ein, die doch gerade hier ihre schöpferische Kraft erproben konnte. Die Deutschen hatten im Eisenbahnwesen von den Franzosen nichts zu lernen, sondern schritten ihnen voran; und doch redeten sie von der Compagnie, ihren Billet- Expeditionen und Kondukteuren, von Perrons, Waggons, Eoupss