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Herdersche Verlagshandlung zu Freiburg im Breisgau.
Nene Bearbeitung der Realien
aus dem
LeseLuch von Aumüller und Schuster.
Diese Bändchen eignen sich als Schulprämien und Festgeschenke, für Schüler- und Volksbibliotheken, sowie zur Einführung in höhere Mädchenschulen, Institute, Lehrer- und Lehrerinueu-Seminarien.
In der Hand des Lehrers können dieselben bei Erteilung des Unterrichts vortreffliche Dienste leisten.
Waturgeschichte im Anschluß an das Lesebuch von Dr. I. Bumüller
und Dr. I. Schuster. Neu bearbeitet von Dr. ZZ. FMß, Lehrer an der Realschule in Basel. Zweite, verbesserte Auflage. Mit 200 Holzschnitten. 12°. (X u. 304 S.) M. 1.60; geb. in Leder-Imitation M. 1.90.
"Plüß hat eine eigene ©aße, naturgeschichtliche Lehrmittel zu schreißen. Aßer von allen seinen Werken, wie .Leitfaden der Naturgeschichte', ,Naturgeschichtliche Bilder', ,Unsere Bäume und Sträucher', ,Unsere Getreidearten und Feldßlumen', von denen jedes vorzüglich ist, gefällt mir doch das vorliegende am Besten. Es verrät den Meister im Fach.
»Die Illustrationen sind ohne Ausnahme sehr passend gewählt, sein ausgeführt und eine wahre Zierde des Buches. Sie werden indes noch iiBertrofsen vom Text, der eine Fundgruße kurzer Lesestücke ans den Werken von Brehm, Gruße, Heinke, Jäger, Mastus, Schönte, Tschudi ic. enthält. Dazwischen sind hüßsche Gedichte, Sagen und Rätsel eingestreut. Neßen diesen finden fich interessante Zusammenstellungen, wie: Verkannte Tiere, Mäusevertilger, Pflanzen im und am Hause, Nestkünstler, scheinßare Haustiere, Weltßürger, Schmarotzer, Unkräuter, RainBlumen, Frnhlingsßoten, Baumverderßer, Baumßeschützer, Schutzsarßen, Giftpflanzen, Fischjäger, Pelztiere, Ölpflanzen re., die für Wiederholungen recht nützliche Winke und Anhaltspunkte geßen. Meine Schülerinnen haßen die .Naturgeschichte' im Geßrauch, und ich kenne sie also aus Erfahrung. Um so ruhiger und üßerzeugter empfehle ich sie Lehrern und Lehrerinnen, die in ihrem Unterricht die gemütliche und sinnige Naturßetrachtung zum Rechte kommen lassen möchten." (Schweizer, evang. Schulßlatt. Bern 1894. Nr. 36.)
WaLurlehre im Anschluß an das Lesebuch von Dr. I. Bumüller und Dr. I. Schuster. Von Professor Dr. Mar Witdermann. Mit 111 Abbildungen. Zweite, sehr veränderte Auflage. 12°. (VIII u. 120 S.) 80 Pf.; geb. in Halbleinwand mit Goldtitel M. 1.
„... Ter Verfasser ist ein Mann der Wissenschaft, der sicher manchem Leser als Herans-geßer des ,JahrßucheZ der Naturwissenschaften' Bekannt ist. Dieser hohen wissenschaftlichen Ußerstcht und Einsicht des Verfassers verdankt das Büchlein einen der Vorzüge, die es üßer em Dutzend ähnlicher Bücher erheßen. Es ist dies der wissenschaftliche Geist, der das Ganze durchweht, der ußerall den neuesten Standpunkt der Wissenschaft erkennen läßt, der LBerall das Wesentliche kurz und scharf an die Spitze stellt und das Unwesentliche zurücktreten läßt
unb bei aller Gründlichkeit boch ein außerorbentlich durchsichtiges Lehrgebäube herstellt. Aber der Verfasser ist auch ein praktischer Schulmann, unb baraus entspringen auch bie anbern Vorzüge bes Büchleins. Es sinb bies 1. bie einfache, elementare, anschauliche Sprache, welche sich bem kindlichen Fassungsvermögen durchaus anschmiegt und dabei doch wieder stilistisch schön ist, so daß ich nicht anstehe, sie als Muster einer guten Unterrichtssprache zu bezeichnen Diese Sprache macht das Büchlein zn einem naturkundlichen Lesebuche und zu einer Fundgrube sür naturkundliche Aussatzübungen. Zu ben bibaktischen Vorzügen bes Büchleins gehört 2. bie stetige Verbindung des Unterrichtes mit den Lebenserfahrungen des Kindes. Ich erkläre das Büchlein für das beste mir bekannte Lehrbuch ber Naturlehre für höhere Töchterschulen. Seit 12 Jahren erteile ich biefen Unterricht an zwei solchen Anstalten, ^ch habe es in biefen 12 Jahren mit einem halben Dutzenb von Büchern versucht, auch mit solchen, welche ausbrücklich für höhere Töchterschulen geschrieben worben sind. Ich habe keines gesunden, das mir so zugesagt hätte wie das vorliegende, welches ich jetzt l'/2 Jahr Benutze. Selbst für Lehrerinnenseminare dürste es sich sehr eignen. . . . Mädchen, welche sich privatim zur Lehrerinuenprüsung vorbereiten, sollten zn keinem andern Buche greisen als zu dem vorliegenden " (Kathol. Zeitschrift sür Erziehung u. Unterricht. Düsseldorf 1891. 11. Heft.)
Erdkunde im Anschluß an das Lesebuch von Dr. I. Bumüller und Dr. I. Schuster. Neu bearbeitet. Mit 52 Abbildungen. 12°. (VIII u. 344 S.) M. 2; geb. in Halbleinwand mit Goldtitel M. 2.25.
„In streng methodischer Weise werden Weltlage, wagrechte unb senkrechte Glieberuug, Bewässerung, Klima und Nahrungsquellen, sodann die Verhältnisse der Bevölkerung, der politischen Verfassung und Einteilung und endlich der Topographie — unter außergewöhnlich pünktlicher Benutzung der neuesten Daten — Behandelt. Wir kennen kein Schulbuch von korrekterem Inhalte. Die Darstellung ist leicht faßlich unb babei — soweit dies der spröde Stoff gestattet — recht lebhaft. Sehr schöne Ausstattung und ein Anhang von besonders glücklich ausgewählten geographischen Lesestücken zeichnen diese Erdkunde vor den meisten Büchern ähnlicher Art sehr vorteilhaft ans."
(Zeitung für das höhere Unterrichtswesen Deutschlands. Leipzig 1888.)
Iveltkunde im Anschluß an das Lesebuch von Dr. I. Bumüller und Dr. I. Schuster. Für die reifere Jugend neu bearbeitet von A. Iakoö, kgl. Realschulrektor. Mit 55 Abbildungen. 12°. (IV u. 184 S.) M. 1; geb. in Halbleinwand mit Goldtitel M. 1.25.
„Ein alter, lieber Bekannter in frischem, neuem ©ewande! Wir wüßten auch zur ©tunbe noch kein anberes Büchlein, bas die reifere Jugend in und außer der Schule in so faßlicher unb anziehender Weife gerade in dies dem Auge vielfach entlegene und daher auch vielfach aBftrakte Gebiet der astronomischen und mathematischen Geographie einführt."
(Pros. I. S. ©erster im Litteraturblatt. Donauwörth 1887. Nr. 2.)
Weltgeschichte im Anschluß an das Lesebuch von Dr. I. Bumüller und Dr. I. Schuster. Zwölfte, verbesserte Auflage. Illustriert. 12°. (IV u. 208 S.)
Die vier Bändchen: Naturgeschichte, Naturlehre, Erdkunde uud Weltkunde, sind auch in einer Sammelausgabe unter dem Titel „Illustrierte Jugendbibliothek im Anschlnß ein das Lesebuch vou Dr. I. Bumüller und Dr. I. Schuster" erschienen; I. Band geb. in Halbleinwand mit Goldtitel und farbigem Umschlag M. 3; II. Band geb. M. 3.50.
In der Kerderlchen Merkagshandtung zu Freiburg im Breisgau erscheint und ist durch alle Buchhandlungen zu beziehen:
Dr. Johannes Lmnüllers
Lehrbuch der Weltgeschichte.
Siebente Auflage, in gänzlich neuer Bearbeitung
von
Direktor Dr. Simon ÜMinann.
/ Drei Teile.
Soeben ist erschienen:
I. Feit: Geschichte des Altertums, gr. 8°. (XVI u. 468 S.) M. 4.
Fortsetzung und Schluß (II. Geschichte des Mittelalters, III. Geschichte
der Neuzeit) werden 1896 erscheinen.
H5 o r rv o r t.
Was Goethe in anderem Sinne sagt: „Gern wär' ich Überlieferung los
und ganz original", diesen Wunsch hegt leicht jeder, welchem die Ausgabe
zufällt, das von einem andern verfaßte Werk umzuarbeiten; nicht als ob er der Ansicht wäre, es besser machen zu können, als jener es angelegt hat, sondern weil es leichter ist, etwas nach eigenem Plane auszuführen, als sich in einen fremden einzudenken und in dessen Geiste die Erneuerung vorzunehmen. Gerade weil er die Leistung des Vorgängers schätzt, fühlt er sich mitunter beengt. _ Er möchte bewahren, was sich bewährt hat, und kann darum nicht seinen eigenen Gedanken freien Lauf lassen. Wie ein Baumeister, welchem der Umbau eines den modernen Anforderungen nicht mehr entsprechenden Hauses übertragen wird, sieht er sich bald da bald dort — vielleicht zum Vorteile des Werkes — im freien Entwürfe gehemmt und muß, um etwaigem Einsturz vorzubeugen, vorsichtig abtragen, ersetzen, erneuern. Gelingt es ihm, dem neuen Gebäude die Vorzüge des alten zu sichern, Gediegenheit, zweckmäßige Einteilung, Wohnlichkeit, gefälliges Äußere und mit denselben die Errungenschaften der fortgeschrittenen Zeit zu verbinden, dann hat er sein Bestes ge= than, und wer die Räume bezieht, wird ihm Dank wissen, da er sich darin bald wieder heimisch und wohl fühlt.
®a§ Haus, dessen Umbau mir die Verlagshandlung übertrug, hat seine letzte Erneuerung vor drei Jahrzehnten erfahren. Noch waren die Grundmauern und das Gebälke gut; aber sonst bedurfte das Gebäude mannigfacher Änderungen. So wird es vielleicht den Eindruck eines völlig neuen machen. Möge es recht viele zum Besuche einladen und jeden, der sich einmal darin umgesehen hat, zum ständigen Gaste gewinnen! Der Bearbeiter der neuen «(lusgaoe wird zufrieden sein, wenn man recht gern und recht oft wieder beim „alten Bumüller" sitzt. Allen lieben alten Freunden und den neuen Besuchern em herzliches Willkommen! Dr. S. Widmaim.
der Kerderschen Merkagshandkung zu Freiburg im Breisgau sind
erschienen und durch alle Buchhandlungen zu beziehen:
Geschichte
der
icntfdp Rational-Littcratm.
Meöst kurzgefaßter Uoetik.
Für Schule und Selbstbelehrung.
Von G. Brugier.
Mit einem Titelbild, vielen Proben und einem Glossar, itfimtf, vermehrte und verbesserte Auflage, gr. 8°. (CIV, 698 S. u. 1 Tab.) M. 6; in Original-Halbfranzband M. 8. Für sich:
Kurzgefaßte Poetik, gr. 8°. (VI u. 74 S. u. 1 Tab.) M. 1.
Abriß
der
bentslni llntiontil-fittexatur.
Nach K. ZLrugier
zum Gebrauch an höheren Unterrichtsanstalten und zur Selbstbelehrung bearbeitet.
gr. 8°. (X u. 286 S.) M. 2.20; geb. in Leinwand mit Deckenpressung M. 2.90.
. Dieser Abriß erscheint nichts weniger als ein etwa bloß schablonenmäßiger, trockener Auszug aus dem größeren Werke; er lehnt sich wohl an dasselbe an, zeigt aber in der Auffassung und Darstellung vollständig eigenes Leben und große Selbständigkeit; daher die überraschende Klarheit und ansprechende Frische des Buches! — Mit scharfem, praktischem Blicke sind die gewaltigen Stoffe gesichtet und in edler, prägnanter Sprache vorgeführt, Epochen, litterarische Bestrebungen,,, Dichter und Dichtungen kurz und treffend charakterisiert und in deutlicher Übersichtlichkeit zum Vortrage gebracht, litterarische
Wende- und Höhepunkte eingehend gewürdigt Der ,Abriß' ist in allen seinen
Teilen ,ein vorzügliches Werk' und wird von den interessierten Kreisen, besonders in der katholischen Welt und in katholischen Anstalten, mit Freude begrüßt werden. Bei der schönen Ausstattung des Buches ist der Preis ein niedriger zu nennen." (Litteraturblatt s. kathol. Erzieher. Donauwörth 1895. Nr. 4.)
Mder aus der Weltgeschichte.
Bonisacius. Apostel der Deutsch!
Bilder aus der
Weltgeschichte
int Anschluß an tws MMch von Dr. 3. Snmüller und Dr. 3. Schuster.
Illustrierte Ausgabe. — Zwölfte VveLHefferte Jtuflffie.n
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Ireiöurg im Wreisgau.
Herdersche Verlagshandlung.
1895.
Zweigniederlassungen in Wien, Straßburg, München und St. Louis, Mo.
Das Recht der Übersetzung in fremde Sprachen wird vorbehalten.
Buchdruckerei der Herderschen Verlagshandlung in Freiburg.
Die ältesten heidnischen Völker.
Wabylonier und Assyrier.
Äls ein Werk der göttlichen Liebe stellt die Schöpfung der Welt sich dar, und der bevorzugte Pflegling dieser Liebe war der Mensch. Adam und Eva aber zerstörten durch ihren Ungehorsam gegen Gott ihr und ihrer Nachkommen Glück, sowie den Frieden auf Erden. Wohl wollte der Schöpfer in feiner unendlichen Güte und Barmherzigkeit den Menschen seine Gnade nicht entziehen, er tröstete sie vielmehr mit der Verheißung des Erlösers; aber leider wußte die Menschheit diese Güte nicht zu schätzen. Mit der Zahl der Menschen wuchs auch ihre Bosheit und Vermessenheit gegen die Gebote des Höchsten. Daher ließ Gott das undankbare Geschlecht durch die Sündflut (etwa 2242 nach Erschaffung der Welt) vertilgen. Nur der fromme Noe wurde mit seiner Familie in der Arche gerettet.
Als Noes Nachkommen zahlreicher wurden, wanderte ein Teil aus dem Gebirge Armeniens fort und kam, indem er dem Lauf der Flüffe Euphrat und Tigris folgte, in die Ebene Sinear. Diese liegt an und zwischen den beiden Flüssen bis an das Meer, in welches sich dieselben ergießen. In dieser Ebene, ungefähr 115 Stunden vom Meere entfernt, an dem Euphrat, bauten Nachkommen Noes die Stadt Babel (Babylon), von welcher das Land Sinear auch Babylonien genannt wurde. Babel war die älteste Stadt auf der Erde, denn sie wurde erbaut, als das Menschengeschlecht noch nicht zerstreut war. Als erster König in Babel wird Nimrod genannt, der nach der Heiligen Schrift ein starker Jäger vor dem
Bumüller u. Schuster, Weltgeschichte. 12. Aufl. 1
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Herrn war. Er und seine Nachkommen scheinen ihr Reich bis nach Assyrien am obern Tigris ausgedehnt zu haben. Aber allmählich gewann das stammverwandte Volk der Assyrier die Oberherrschaft über das altbabylonische Reich, so daß dieses zu einer Provinz des assyrischen Reiches herabsank. Jedenfalls waren ums Jahr 1000 v. Chr. Geb. die Assyrier die mächtigste Nation in Vorderasien und breiteten sich immer weiter aus. Aber es war ein hartes Joch, das sie den unterworfenen Völkern auflegten, und ihre Herrscher zeichneten sich ganz besonders durch ihre Grausamkeit aus. Wie aus zahlreichen Bildern hervorgeht, war es ein Hauptvergnügen assyrischer Könige, besiegten Fürsten die Augen ausznstechen. Die Hauptstadt Assyriens war bekanntlich Ninive, eine Stadt, die drei Tagereisen im Umfang hatte, wie wir außer andern Zeugnissen auch aus dem Propheten Jonas wissen. Aber schließlich kam auch über Ninive und ganz Assyrien das göttliche Strafgericht, das schon vom Propheten Nah um war verkündet worden. Ums Jahr 606 verbündeten sich Medien und Babylonien gegen Assyrien, rückten gegen die Stadt heran, und da der angeschwollene Tigris die Stadtmauern auf eine Strecke niederriß, drangen die Feinde ein, erschlugen alle Einwohner, die nicht entfliehen konnten, plünderten die Stadt und brannten sie nieder. Ihre Schutthaufen liegen der heutigen Stadt Mosul gegenüber; sie blieben unerforscht bis 1840, also etwa 2400 Jahre lang. Seitdem haben die französische und die englische Regierung durch gelehrte Männer Nachgrabungen anstellen lassen, wodurch eine Menge Gegenstände gefunden wurden, die in den Tagen Salmanassars und Sanheribs, in den Tagen der Propheten Jsaias, Ezechiel, Arnos, Jonas und Nahum die Vorhöfe und Hallen der Königspaläste zierten. Von einem solchen Palaste wurde das ganze untere Stockwerk bloßgelegt; er ist durch Feuer zerstört worden, das beweisen die Kohlen, die man im Schutte findet. Die herabstürzenden obern Stockwerke hatten das untere ausgefüllt und überdeckt, die ungebrannten Backsteine verwitterten durch Regen und Tau, so daß der Schutthügel von außen einem natürlichen Lehmhügel gleichsah. Die Mauern bestanden, wie in
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Babylon, aus ungebrannten Backsteinen, die Bekleidung ans gebrannten; überdies waren die Wände außen und innen mit durch kupferne Nägel befestigten Alabasterplatten geziert. Auf diesen Platten sind mannigfaltige Bilder gemeißelt und gemalt. Sie stellen z. B. den König dar, wie er auf dem Throne sitzt oder den Göttern
opfert, oder anf seinem Streitwagen in den Krieg zieht und in der Schlacht kämpft; man sieht, wie die assyrischen Krieger die
Sturmleitern an die Mauern einer feindlichen Stadt legen und
Hinansteigen, während Bogenschützen auf die Verteidiger der Mauern
mit Pfeilen schießen, wie der Sturmbock gegen die Mattem stößt (Fig- 1), wie Gefangene gefesselt, fortgeführt oder geköpft, auf-
3?ig. 1. Gemeißeltes Bild aus einem assyrischen Königspalast: Angriff der Assyrier ans eine
feindliche Festnng.
gepfählt, geblendet und auf andere Weise barbarisch gequält werden. Außerdem fand man mancherlei Waffen, Geräte und Gefäße aus Gold, Erz und Thon, Ringe; verschiedene aus Stein gehauene Bilder, z. B. Götterbilder, geflügelte Stiere mit Menschenköpsen, Löwen; solche kolossale Bilder sind zum Teil aus Kupfer gegossen. In den Altertumssälen zu London und Paris sind jetzt viele davon ausgestellt, ebenso fast zahllose ausgegrabene Backsteine, Thon- unb Alabasterplatten, die mit Inschriften versehen sind. Die Gelehrten können jedoch die assyrische Schrift noch nicht ganz lesen, so fleißig sie auch geforscht haben; die Schriftzeichen gleichen unfern eisernen Nägeln, die zu verschiedenen Gruppen zusammengestellt wurden.
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(Man nennt diese Schrift, welcher auch die Babylonier und Perser sich bedienten, Keilschrift; Fig. 2.)
Fig. 2. Keilschrift. -
Nach der Niederwerfung Assyriens kam Babylonien abermals empor. Der erste König dieses neu babylonischen Reiches war Nabopolassar; sein Sohn Nebukadnezar war ohne Zweifel der mächtigste König dieses Reiches. Er war es auch, der Jerusalem eroberte und zerstörte und das Volk des Reiches Juda in die sogen, babylonische Gefangenschaft führte. Um diese Zeit wurde auch Babylon selbst eine Stadt von wunderbarer Größe und Festigkeit. Sie lag auf beiden Seiten des 180 m breiten Euphrat und wurde von einer Mauer umschlossen, die ein Viereck bildete, von welchem jede Seite 6 Stunden lang war; das Viereck hatte also einen Umfang von 24 Stunden. Die Mauer war, wie ein Grieche erzählt, der Babylon besuchte, 120 m hoch, 30 m dick und mit vielen Wachttürmen gekrönt; jede Seite des Vierecks hatte 25 eherne Thore. Vor der Mauer befand sich ein tiefer, an beiden Seiten ausgemauerter Graben, der aus dem Flusse mit Wasser angefüllt wurde. Die Mauern bestanden aber nicht aus Bruchsteinen, deren Babylonien feine hat, sondern aus Backsteinen. Den Boden Babyloniens bildet nämlich hauptsächlich fette Thonerde; diese wurde ausgestochen, geformt, an der Sonne getrocknet oder gebrannt. Als Mörtel brauchte man Erdharz, das ungefähr 50 Stunden oberhalb Babylon bei einem Orte, der jetzt Hit heißt, in unerschöpflicher Menge aus der Erde quillt und schnell an der Luft verhärtet. Dieses Erdharz war auch das hauptsächlichste Brennmaterial der alten Babylonier, und als in neuester Zeit ein englisches Dampfschiff den Euphrat hinunterfuhr, heizte man den Dampfkessel mit diesem Harz. Die Babylonier brauchten gebrannte Backsteine hauptsächlich nur zur Bekleidung der Mauern, deren Inneres sie aus ungebrannten, nur an der Sonne getrockneten Backsteinen aufführten; sie verstanden aber nicht nur die
Backsteine zu Brennen, sondern sie auch in verschiedenen Farben zu glasieren und so den Außenwänden der Tempel und Paläste ein buntes, glänzendes Aussehen zu geben. Man darf jedoch nicht glauben, daß die babylonische Stadtmauer auf einmal in ihrer ganzen Höhe und Breite aufgeführt wurde, was geradezu unmöglich gewesen wäre; denn wenn wir auch annehmen, dem Griechen sei der Umfang, die Höhe und Dicke der Mauer um zwei Dritteile zu hoch angegeben worden, so bleibt diese Stadtmauer doch ein ungeheures Werk. Enthält ja eine Mauer auch nur von einer Stunde oder 3900 m Länge, 30 m Höhe und 7V2 m Dicke 3900 X 30 X 7^2 = 877 500 cbm Mauerwerk. Die Alten stimmen alle überein in ihrem Erstaunen über diese Mauern, und ein Prophet sagt: „Babylon hebt sich zum Himmel und macht die Höhe seiner Festung unüber-steiglich." Die Flußufer innerhalb der Stadt waren durch hohe Dämme aus Stein gesichert, auf vielen steinernen Treppen stieg man zum Strome hinab. Beide Stadtteile waren durch eine Brücke verbunden; die Straßen, welche die Stadt der Länge und Breite nach durchschnitten, liefen sämtlich schnurgerade. Übrigens war nicht der ganze Raum innerhalb der Stadtmauer mit Häusern bebaut, sondern den großem Teil desselben nahmen Felder, Gärten und öffentliche Plätze ein; wenn nun ein feindliches Kriegsheer in das Land kam, so konnte sich das ganze Volk in die Stadt flüchten; denn innerhalb der Mauern hatten Millionen Menschen Platz, und kein Feind konnte daran denken, solche Mauern mit Leitern zu ersteigen, zu untergraben oder mit Stoßbalken (Sturmböcken) zu durchbrechen.
In Babylonien giebt es keinen Winter, auch regnet es da sehr selten; daher verhärtet der Boden im Sommer zu einer Kruste, wo er nicht vom Euphrat oder Tigris überschwemmt wird. Diese Flüsse schwellen im Frühjahre bei der Schneeschmelze in dem armenischen Gebirge sehr an, treten über ihre Ufer und verwandeln so die tiefern Stellen der babylonischen Ebene in Sumpfland. Ehemals war dies anders; die Babylonier hatten nämlich die ganze Ebene zwischen den beiden Flüssen mit unzähligen großen und kleinen Grüben durch-
schnitten, in welchen sie den Wasserüberfluß verteilten; aus dem Euphrat hatten sie überdies 50 Stunden oberhalb Babylon einen schiffbaren Graben gezogen, welcher zwischen dem Euphrat uud dem Rande der Arabischen Wüste hinlief, mehrere Seen bildete und endlich in das Meer floß. Aus dem Flusse, den Gräben und Seeu pumpten und schöpften die Babylonier das Wasser zur Berieselung ihrer Äcker und Baumgärten; denn ohne Bewässerung gedeiht in einem so heißen Lande kein Halm, kein Kraut und fein Baum; die Babylonier verwandelten lediglich durch ihren Fleiß die ganze Ebene in einen großen Garten. Da standen an den Ufern der Flüsse und Gräben unabsehbare Reihen von hohen, schlanken, überaus nützlichen Dattelpalmen, und das Weizenforn gab mehr als hundertfältige Frucht. Die Babylouier waren aber nicht nur sehr fleißige und geschickte Ackerbauer, sondern betrieben auch viele Künste und Gewerbe. Die in Babylonien gewobenen und gefärbten Mäntel waren in Kanaan zu Jofues Zeit sehr begehrt; auch die babylonische Leinwand war berühmt, und aus edlem Metall, Glas und Edelstein
wurden mancherlei Schmucksachen verfertigt.
Die Babylonier waren jedoch leider auch durch Laster berüchtigt■; denn ihre Religion war Abgötterei und lehrte zum Tül Laster als den Göttern wohlthätige Werke anzusehen. Ihr höchster Gott war Bel, der Sonnengott; dieser hatte einen großen Tempel, in welchem ein goldener Altar und ein goldenes Riesenbild des Götzen stand. Bei dem Tempel erhob sich ein Turm, der aus Backsteinen massiv bis 180 in Höhe aufgeführt war, das höchste Bauwerk von Menschenhand. Er war viereckig und bestand aus acht Absätzen; der unterste hatte 180 m nach Länge und Breite; aus diesem Absatz stand der zweite, der nicht mehr 180 m lang und breit war, aus dem zweiten
ein dritter, noch schmälerer, und so fort bis zum obersten. Diesen
Turm, der ebenfalls als Tempel galt, besuchte, so sagten die Priester-aus, der Gott Bel in der Nacht. Außen lief um den Turm bis zum Hochtempel ein mit Absätzen und Ruhebänken versehener Weg (Rampe), so daß man den Turm besteigen und den Hochtempel besuchen kouute.
Auch Babylon entging dem Schicksale nicht, das ihm die Propheten als Strafe für seine Laster und seine Gewaltthaten gegen andere Völker verkündet hatten. Zuerst wurde es von dem Perserhelden Cyrus durch List erobert (538 v. Chr.), und weil es sich unter seinen Nachfolgern oft empörte, wurden seine Mauern auf weite Strecken niedergerissen und viele tausend Bürger umgebracht, so daß die Stadt allmählich verödete. Als vollends in ihrer Nähe die großen Städte Seleucia und Ktesiphon gebaut wurden, zogen die letzten Einwohner fort, Babylon wurde als Steinbruch benutzt und war zu Christi Zeit bereits in zahllose Schutthaufen verwandelt. Dieser Schutthaufen sind es so viele in der Ebene, daß man garnicht bestimmen kann, wo Babylon anfing und aufhörte. Zwei Stunden östlich von dem elenden Städtchen Hilleh ragt ein gewaltiger Ruinenbrocken aus der Ebene empor: das unterste Stockwerk des ehemaligen Gebäudes ist 78 m hoch, aber von einem Schuttmantel umhüllt; vom zweiten Stockwerk steht nur noch eine IOV2 m hohe Ecke aus gekannten Backsteinen; das sind die Überreste des Belturmes. Von dem Paläste Nebnkadnezars (604—561 v. Chr.) ist noch ein gewaltiger Schutthügel mit hervorragendem Mauerwerk übrig. Dieser Zerstörer Jerusalems hat ungeheuer viel gebaut, wie die Babylonier den Griechen erzählten; dies wird durch die gebrannten Backsteine, die man auf der Stätte Babylons findet, bezeugt, denn fast alle ohne Ausnahme sind mit dem Namenszuge Nebnkadnezars gestempelt.
Die Ägypter.
Zu den ältesten und merkwürdigsten Völkern der Alten Welt gehören außer dem assyrisch-babylonischen Volke die Ägypter und Phönizier. Das Land der Ägypter ist die nordöstliche Ecke Afrikas und hing früher mit Palästina und dem Peträischen Arabien durch die 30 Stunden breite Landenge von Suez zusammen, welche das Rote Meer von dem Mittelländischen Meere trennte. In jüngster Zeit wurde hauptsächlich auf Anregung Frankreichs und unter Leitung des berühmten Ingenieurs v. Leffeps (f 1894) diese Landenge durch-
stochen. Durch Vollendung dieses großartigen Werkes (Suezkanal, eröffnet 1869) ist der Seeweg von Europa nach Ostindien bedeutend verkürzt. Auf der Ostseite Ägyptens liegt das Rote Meer, auf der Westseite die große afrikanische Wüste, auf der Nordseite das Mittelländische Meer. Von Süden her kommt aus dem Innern Afrikas der Nilfluß und strömt in einem ungefähr 250 Stunden langen Thale dem Mittelländischen Meere zu. Dieses Nilthal ist das eigentliche Ägypten. Auf der Ostseite desselben zieht sich wie eine lange uud breite Mauer ein kahles Felsengebirge hin und scheidet das Flußthal von dem Thale, welches von dem Roten Meere ausgefüllt ist; auf der Westseite endet die afrikanische Wüste in einer 60—150 m hohen, schräg abfallenden Felsenwand; die Wüste liegt also höher als das Nilthal, das demnach auf zwei Seiten von kahlen Felsen eingefaßt ist. In Oberägypten verengt sich das Thal an zwei Stellen derart, daß nur der durchschnittlich 900 m breite Fluß Raum hat, im allgemeinen aber ist es 2—6 Stunden breit; 30 Stunden vom Meere enden die beiden Felsenwände, und von da au breitet sich das Land bis zum Meere als eine weite Fläche aus, durch welche der Nil, in sieben Hauptarme geteilt, dem Meere Zufließt. Das von dm Nilarmen eingefaßte Land sieht einem Dreieck ähnlich und wurde von den alten Griechen Delta genannt. Ohne den Nilfluß wäre das ganze Thal Ägyptens nur eine breite und sich lang erstreckende Spalte zwischen zwei Felsgebirgen, in welcher kein Baum und kein Halm wachsen könnte, denn der durch den Wind aus der Wüste herabgewehte Sand würde den Boden längst hoch überdeckt haben, durch den Fluß aber wird das Thal zu einem der fruchtbarsten Landstriche der ganzen Erde. In dem innern Afrika, woher die Flüsse kommen, die in einen Fluß vereinigt Nil heißen, fällt im Frühjahre und zu Anfang des Sommers ein gewaltiger, Monate hindurch andauernder Regen, durch welchen der Nil so anschwillt, daß er in Ägypten über seine Ufer tritt. Durch künstlich angelegte zahllose Gräben, welche das Land regelmäßig durchschneiden, wird die ganze Thalfläche unter Wasser gesetzt. Das geschieht im September. Das Wasser durchtränkt den Boden und läßt außer-
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dem eine zwar ganz dünne, aber vortrefflich düngende Schichte Schlammes znrück. Ist das Wasser abgelaufen (im November), so werden Weizen, Gerste, Erbsen rc. gesät, die in 3—4 Monaten reifen und einen außerordentlichen Ertrag geben. Daher versorgte Ägypten schon in alter Zeit andere Länder mit Getreide und hieß u. ct. die Kornkammer Roms. Erreicht jedoch die Nilüberschwemmung nicht die rechte Höhe, so kommt Ägypten selbst in Not. In seiner besten Zeit hatte das alte Ägypten 7 Millionen Einwohner und große Städte, z. B. Theben in Oberägypten und Memphis, der Spitze des Deltas gegenüber. Die alten Ägypter waren ein außerordentlich fleißiges Volk; sie trieben Ackerbau und Viehzucht auf eine musterhafte Weise, lieferten die feinste Leinwand, verfertigten schöne Glas- und Metallwaren, machten Papier aus den innern Rindenfasern der Papyruspflanze, eines 41/2 m hohen Sumpfgewächses, und arbeiteten sehr schön in Holz, Elfenbein und Leder. Ihre Pharaonen (Pharao heißt in der ägyptischen Sprache König) geboten über Land uud Leute wie über ihr Eigentum, und sehr viele dieser Herrscher suchten ihren Ruhm in ungeheuern Bau- und Bildwerken.
In den östlichen Felsgebirgen findet sich das vortrefflichste Banmaterial: Granit, Porphyr, fester Sand- und Kalkstein, Marmor, Alabaster; dieses benutzten nun baulustige Könige, um Werke aufzuführen, deren Größe und Pracht uns wahrhaft in Erstaunen setzen muß. Zwar liegen die meisten dieser ungeheuern Denkmäler des Altertums in Trümmern oder sind mit dem aus der Wüste hergewehten Sande bedeckt; viele jedoch stehen noch jetzt da als ehrwürdige Zeugen der Kunst und des ausdauernden Fleißes der Ägypter. Unter ihren Werken verdienen vorzüglich genannt zu werden:
1. Die Obelisken. Diese sind viereckige, oben spitzzulaufende Säulen (Fig. 3), haben ohne das Fußgestell eine Höhe von 15—54 m und sind unten l1^—7^2 m ins Gevierte breit. Bei all ihrer Höhe bestehen sie doch nur aus einem einzigen Steine von dem härtesten, meist rötlichen Granit ans dem östlichen Gebirge in Oberägypten. Sie sind auf das feinste poliert und haben auf ihren Seitenflächen
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hieroglyphische Bilder, d. i. Bilder, welche die Stelle unserer Buchstabenschrift vertreten. Zur Zeit der Überschwemmung wurden diese
Fig. 3. Ägyptischer Obelisk. (Jn Heliopolis bei Kairo.)
ungeheuern Steiumassen auf Nilflößen herübergeholt und durch neu gegrabene Kanäle weiter fortgeführt. Welch mühsames uud kost-
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spieliges Geschäft! Wie viele tausend Menschen mußten dabei thätig sein! Und ebenso mühsam wurden sie wieder abgeladen und aufgestellt. Sie wurden paarweise vor Tempeln errichtet und waren dem Sonnengotte geheiligt. Später dienten sie auch als Sonnenzeiger.
Kaiser Augustus und mehrere seiner Nachfolger ließen Obelisken nach Rom bringen und aufstellen, welche jedoch später durch Menschengewalt oder Erdbeben umgestürzt wurden. Vier hat Papst Sixtus V. im Jahre 1585 durch seinen großen Baumeister Fontana ausrichten lassen. Dieser gebrauchte hierzu die künstlichsten Maschinen, die durch 1200 Menschen und 160 Pferde in Bewegung gesetzt wurden. Und doch gingen mit der Aufrichtung vier volle Jahre hin. Der größte derselben, 144 römische Fuß (251/2 m) hoch, vor der Laterankirche, wiegt aber auch 650 000 kg. Auch in Paris, London und New Iork wurden in den letzten Jahren Obelisken aufgestellt, die mit großen Kosten zu diesen Städten überführt wurden.
2. Die Pyramiden. Diese sind noch bewunderungswürdiger als die Obelisken. Schon irrt Altertum wurden sie zu den Wundern der Welt gezählt. Die Pyramiden stehen in Mittelägypten, an der Westseite des Nil, in fünf Gruppen gesondert. Im ganzen sind ihrer 40. Große, viereckige Gebäude (Fig. 4), genau nach den vier Himmelsgegenden gerichtet, laufen sie von einer breiten Grundfläche nach oben immer schmäler zu und endigen in einer Platten Fläche. Sie sind aus Kalksteinen erbaut, die, übereinander gelegt, bloß durch ihre Schwere zusammenhalten; einige sind mit Granit oder Marmor bekleidet gewesen. Drei zeichnen sich durch ihren Riesenbau aus, unter diesen jene, welche nordwestlich von Memphis steht. Dieselbe ist 135 m hoch, steht auf einer Felsenhöhe von 60 m und hat einen Inhalt von mehr als 390 000 cbm. Hunderttausend Menschen sollen 20 Jahre ununterbrochen daran gebaut haben. Mit dem Material derselben könnte man nach neuerer Berechnung eine mäßige Mauer um das ganze Königreich Spanien ziehen. Alle Grabkammern in den Pyramiden sind längst erbrochen und ausgeraubt.
Die Pyramiden dienten nämlich zn Begräbnis Plätzen der Könige; so z. B. enthält die größte Pyramide ziemlich in der Mitte
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Zwei Grabkammern und 30 m tief in den Felsengrund eingehauen eine dritte. Kein Volk verwendete mehr Zeit und Fleiß auf seine Gräber als die Ägypter, und keines sorgte so sehr für die Erhaltung der Leichname. Sie bauten ihre Grabmäler auf die wüsten Berghöhen im Westen, oder gruben Höhlen in die Felswand, in welchen die Leichname noch jet^t zu Hunderttausenden liegen, obwohl
Fig. 4. Pyramide.
schon unzählige vernichtet worden sind. So hoch nun die Könige im Leben über ihren Mitmenschen standen, so hoch wollten sie auch nach ihrem ^ode in einer schönen und festen Wohnung hervorragen, bie das Andenken an sie ewig erhalte; darum türmten sie jene Riesendenkmäler auf. Um ben toten Körper vor aller Fäulnis zu bewahren, salbten bie Ägypter ihn mit wohlriechenden Spezereien sorg-
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faltig ein; äußerlich überzogen sie ihn mit einer härtenden, aber durchsichtigen Materie und setzten ihn dann bei; solche einbalsamierte Leichname nennt man Mumien (Fig. 5). In den Altertumssälen zu Bonn, Kassel, Berlin, Dresden und in andern Städten werden verschiedene vorgezeigt. Die Haut ist ganz schwarz und so von dem Gummi und Erdharze durchdrungen, daß sie steinhart ist; eine solche vertrocknete Leiche brennt wie Fichtenholz, daher machen die Hirten in
Ägypten mit ihnen Feuer an. Ihrer Ansicht von einem Leben nach dem Tode entsprechend nannten die alten Ägypter auch die Wohnungen der Lebendigen nur Herbergen, die Grabmäler der Verstorbenen hingegen ewige Wohnungen. Ob aber jemand des Begräbnisses würdig sei, darüber entschied ein sogenanntes Totengericht. Dieses bestand aus 40 Richtern^ welche zuvorden Lebenswandel ~ Fig. 5. MuE des Verstorbenen unter-
suchen uud danach entscheiden mußten. Selbst die Könige waren einem solchen Gerichte
unterworfen, und für manchen war dies gewiß kein geringer An-
trieb zu einer guten Regierung.
3. Das Labyrinth. Bei weitem nicht so alt, aber ebenso berühmt war das Labyrinth, ein großes Gebäude in Mittelägypten. Dasselbe bestand aus 12 Palästen, 6 gegen Norden und 6 gegen Süden, und zählte 3000 Zimmer, 1500 über der Erde und ebenso-
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viele unter der Erde. Diese Zimmer waren mit künstlichen Bildwerken und mit verschiedenfarbigen Steinen ausgeschmückt. Jetzt liegt das Labyrinth in Trümmern.
Fast ebenso wunderbar sind die steinernen Bilder, die einige Könige sich setzen ließen; so sieht man vor dem Eingänge eines 60 m tief in den Sandsteinselsen gegrabenen Tempels vier Bilder des Königs Ramses II., die 18 m hoch sind und auf 3 m hohen Thronen sitzen; die Schulterbreite jedes Bildes mißt bei l1km.
Sonderbar war die Einteilung des ganzen ägyptischen Volkes in erbliche Stände, nämlich in Priester, Krieger, Ackerleute, Handwerker und Hirten. War der Vater z. B. Priester oder Krieger oder Hirt, so mußte auch der Sohn wieder Priester, Krieger oder Hirt werden, wenn er auch gar keine Lust, gar kein Geschick dazu hatte. Eigentümlich waren auch die Götter der alten Ägypter und deren Wohnungen. Da gab es fast kein Tier, das man nicht anbetete, wenn es sich durch Nützlichkeit oder Schädlichkeit auszeichnete. Die nützlichsten Tiere verehrten die Ägypter aus Dankbarkeit, die schädlichen hingegen aus Furcht und um Unglück von sich abzuwenden. So verehrten sie den storchartigen Vogel Ibis, weil er die im Nilschlamm ausgekrochenen Schlangen wegfraß, das Krokodil aber aus Furcht. Der Feind dieses letztgenannten gefährlichen Tieres ist der Ichneumon, auch Pharaos-Ratte genannt. Dieser sucht die Krokodileier im Sande und verzehrt sie; außerdem vertilgt er vieles Ungeziefer. Die Ägypter verehren ihn deshalb aus Dankbarkeit. Einer ganz vorzüglichen Verehrung genossen die Katzen. Sie wurden auf das sorgfältigste gefüttert und bei einer Feuersbrunst vor Kindern und Geschwistern zuerst gerettet. Starb in einem Hause die Katze, so waren alle Hausgenossen in tiefster Trauer und schoren sich die Augenbrauen ab. Der Leichnam des heiligen Tieres wurde einbalsamiert, in köstliche Leinwand gewickelt und feierlich beigelegt. Wer eine Katze auch nur aus Versehen umbrachte, war des Todes. Einst hatte ein römischer Soldat in Ägypten zufälligerweise einen solchen Gott getötet. Sofort entstand ein Auflauf des Volkes um die Wohnung des Soldaten, und weder die Bitten der Priester noch
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die Furcht vor den Römern konnten es zur Ruhe bringen. Der Unglückliche mußte sein Vergehen mit dem Tode büßen. Am meisten wurde jedoch von den Ägyptern ein Stier, Apis genannt, verehrt. Er war ihnen ein Sinnbild des Gottes Osiris, welcher die Ägypter den Ackerbau gelehrt haben sollte. Dieser Stier mußte am ganzen Leibe schwarz sein und vor der Stirne einen weißen viereckigen Fleck haben; dann war der Gott echt. Sein Palast war in der Königsstadt Memphis; Priester bedienten ihn und reichten ihm kniebeugend die heiligen Speisen. Der feierlichste Tag war sein Geburtstag, der Tag nämlich, an welchem man so glücklich gewesen war, ihn zu finden. Sieben Tage dauerte das Fest und wurde durch die Anwesenheit des Gottes selbst verherrlicht. Bewaffnete zogen vor ihm her, um das von allen Seiten zuströmende Volk abzuwehren. Hinter ihnen ging er selbst, der gehörnte Gott, in aller Pracht und Herrlichkeit, von Priestern in feierlichem Aufzuge geleitet. Zwei Reihen Knaben gingen ihm zur Seite und sangen in Liedern sein Lob. Sein Tod dagegen versetzte ganz Ägypten in eine große Trauer. Diese Trauer währte, bis ein neuer Apis gefunden war. In diesen, glaubten sie, wäre die Seele des verstorbenen hinübergewandert und lebe in ihm wieder fort. Ganz Ägypten war dann wieder voll Jubel.
Die Geschichte des auserwählten Volkes Gottes weist schon frühzeitig auf das Volk der Ägypter hin. In Ägypten führte die göttliche Vorsehung den wunderbaren Plan aus, den sie mit Joseph und dessen Brüdern gefaßt, und hier erfüllte sie die Verheißung, die sie dem Abraham gegeben, daß feine Nachkommen zahlreich werden sollten, wie die Sterne des Himmels und der Sand am Meere. Dieses merkwürdige Reich wurde im Jahre 525 von Kambyses den Persern unterworfen und ist bis auf den heutigen Tag immer fremden Völkern (Persern, Macedoniern, Römern, Arabern, Türken, Franzosen, Engländern) unterworfen geblieben.
Die Phönizier.
Zeichneten sich die Ägypter durch die Größe und Pracht ihrer Bauwerke aus, so das Volk der Phönizier nicht minder durch seinen
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Hanbei unb feinen Kunstfleiß. Phönizien war ein kleines, nur 2—6 Stunben breites unb etwa 65 ©tunben langes Lanb am Mittelmeere, zur Seite von Kanaan; bie größten Stabte bes Lanbes waren Sibon unb Tyrus. Hanbel war bas Leben ber Phönizier, unb überall, wo etwas Brauchbares zu haben war, bahin gingen sie unb machten's sich zu nutze. Dazu biente ihnen insbesondre bie Schiffahrt, welche von ihnen außerorbentlich vervollkommnet würbe. Die Menschen mochten schon sehr früh auf biefe nützliche Erfinbung gekommen fein. Die erste Anleitung gab ihnen bie Natur selbst. Einer bemerkte, wie ein hohler Baumstamm auf bem Wasser schwamm, ohne unterzusinken. Das würbe benutzt. Man baute nach biesem Muster einen Kahn, ließ ihn aufs Wasser, unb siehe, auch bies Holz schwamm glücklich. Einer wagte es, sich hineinzusetzen, bann äwei zugleich, bann eine ganze Gesellschaft; ein jeber nahm, um bie Floßfebern ber Fische nachzuahmen, eine Schaufel zur Hanb, unb nun würbe frisch barauf los gerubert. So war bas Schiff erfunben. Aber, zumal bei Nacht, aufs hohe Meer zu steuern, bas wagten bie Menschen lange nicht. Dies unternahmen erst bie Phönizier, welche im Schiffbau, zu bem bie prachtvollen Gebern bes Libanon ihnen trefflich zu statten kamen, große Verbesserungen vornahmen (Fig. 6). Sie wagten sich kühn hinaus auf bas offen vor ihnen liegenbe Mittellänbifche Meer. Bei Tag biente ihnen ber Staub ber Sonne, bei Nacht ber gestirnte Himmel zum Wegweiser. Sie fuhren selbst bis nach Spanien, aus welchem sie sich viele teils kostbare teils nützliche Metalle holten; benn Spanien war bas Silber- unb Golb-lanb ber Alten Welt. Sogar bis nach Englanb unb Preußen sollen bie Phönizier gekommen fein; aus jenem holten sie Zinn, aus biesem Bernstein, ber in ber Alten Welt fast mehr galt als Golb.
Außer ber Vervollkommnung ber Schiffahrt kamen ben Phöniziern noch zwei merkwürbige Erfinbungen wohl zu statten. Einmal, heißt es, stiegen phönizische Schiffer an ber Küste aus, um sich ein Essen zu kochen. Ihr Feuerherb war ein Plätzchen am Ufer, wo schöner reiner Kieselsanb lag, unb einige Salpetersteine, bie gerabe in bet Nähe waren, bienten bem Herbe zur Unterlage. Die Schiffer
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setzten ihren Kessel darauf und machten Feuer darunter. Aber o Wunder! sowie die Speise im Kessel anfing zu kochen, ward es auch unter dem Kessel lebendig: die Salpetersteine zerschmolzen, vermischten sich mit der Asche und dem Sande, und als das Feuer ausgebrannt war, verhärtete sich der Brei zu einer schönen, blanken, durchsichtigen Masse und wurde — Glas.
Fig. 6. Phönizisches Handelsschiff.
Ein anderes Mal weidete ein phönizischer Hirt seine Herde nicht weit vom Meeresstrande. Sein Hund schnopert überall umher und kommt endlich zurück mit gerötetem Maule. Der Hirt will den Schaden besehen, wischt die Schnauze des Hundes mit einer Flocke Wolle, aber siehe da! es ist kein Blut, sondern ein Saft, und nach
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einigem Suchen findet der Hirt eine zerbissene Schnecke. Eine schönere Farbe hatte der Hirt nie gesehen; er macht die Sache bekannt, man versucht es, Zeuge mit diesem Safte zu färben, was vortrefflich gelingt. Diese Purpur kl ei der wurden im Altertum so kostbar geachtet, daß nur Könige und sonst sehr reiche Leute dergleichen tragen konnten. Der reiche Prasser im Evangelium z. B. kleidete sich in Purpur.
Das Glas hatte bei den Phöniziern weniger Nutzen als bei uns; sie brauchten es nur als Münze uud Putzwerk. Trinkgefäße verfertigten die Alten überhaupt aus Thon, Holz, Blech, Gold und Silber; Fensterscheiben hat man in dem warmen Morgenlande nicht notwendig; man schloß die Öffnungen höchstens durch Vorhänge, und statt der Spiegel, die erst später aufkamen, waren polierte Metallplatten im Gebrauch.
Noch wichtiger ist für uns die Buchstabenschrift, deren Erfindung ebenfalls den Phöniziern zugeschrieben wird. Die Phönizier hatten nur 16 Buchstaben und schrieben von der Rechten zur Linken, und alle, die von ihnen schreiben lernten, folgten ihrem Beispiele, z. B. die Israeliten, Chaldäer, Araber. Die Griechen schrieben nachher die erste Zeile nach der Rechten, die zweite nach der Linken, die dritte wieder nach der Rechten und so abwechselnd, ohne abzusetzen. Dies nannte man Bustrophedon, Ochsenwendung, weil die Ochsen beim Pflügen so gehen. Noch später schrieben die Griechen bloß nach der Rechten hin. Man schrieb auf gepreßte Palmblätter, auf feine Lindenrinde, auf Leinwand, auf ägyptischen Papyrus, auf Tierhäute, die nirgends so trefflich zubereitet wurden wie in Pergamus und daher Pergament hießen. Man hatte schwarze unb rote Tinte, Vornehme schrieben auch mit Purpur. Die Bücher waren gerollt, ähnlich wie bei uns ein Stück Tuch (Fig. 7). Doch war das Schreiben anfangs nur das Geschäft der Beamten und Priester; Briefe von Privatpersonen kommen erst viel später vor.
Durch manche nächtliche Seefahrt wurden die Phönizier auch auf die Beobachtung des gestirnten Himmels geleitet. Sie merkten
sich bald einzelne Sterne und Sterngruppen und gaben ihnen Namen, die sich zum Teil bis heute erhalten haben. Aus dieser
Beobachtung der Gestirne ging neichet eine sehr wichtige Wissenschaft hervor, die Astronomie oder Sternkunde. Dnrch sie haben später die Menschen erfahren, wie es zugeht, daß allemal nach
Schreibmaterialien der Alten.
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3G5 Tagen dieselbe Tageslange herrscht, daß Sonnen- und Mondfinsternisse entstehen und vorherberechnet werden können, und tausend andere sehr wissenswürdige Dinge.
Durch die Betrachtung der Gestirne wurden aber die Phönizier gleich andern alten Völkern auch zur Anbetung derselben, zum Sternendienste, verleitet. Die Tausende von Sternen mögen es wohl sein, dachten sie, die unserer Erde den Segen der Fruchtbarkeit schenken. Von der Göttlichkeit der Sonne waren sie zum voraus überzeugt; denn diese erleuchtet, erwärmt und belebt ja sichtbar die Welt mit jeder neuen Morgenröte. Die Phönizier beteten dieselbe unter dem Namen Baal oder Moloch an und errichteten ihr eine eherne, hohle Bildsäule, die einen Ochsenkops hatte. Diese wurde von unten glühend gemacht, daraus wurden ihr die zum Opfer bestimmten Kinder in die Arme gelegt. Das Jammergeschrei der armen Kleinen übertönte lärmendes Geräusch von Pauken und Trommeln. Wohin die Phönizier kamen, verbreiteten sie die schändlichsten Laster, die irrt Namen der Götter verübt wurden; auch trieben sie als ein Hauptgeschäft einen ausgebreiteten Menschenhandel. Darum wartete ihrer ein baldiger Untergang, den schon die Propheten vorhergesagt.
Die ölten Perser.
Iugendgeschichte des Kyrus.
Von der Geburt und Erziehung berühmter Männer erzählt die Sage gewöhnlich immer Wunderbares und Auffallendes, als hätte die Vorsehung schon dadurch die Menschen auf die wichtige Bestimmung derselben ausmerksam machen und vorbereiten wollen.
Astyages, ber letzte König von Medien, sah in einem Traum aus seiner Nachkommenschaft einen großen Baum hervorgehen, dessen Schatten ganz Asien und auch ihn überdeckte. Er ließ die Traumdeuter, aus welche man hier viel hielt, nach Hofe kommen und er-
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zählte ihnen seinen sonderbaren Traum. Diese deuteten ihn auf einen Sohn, den seine Tochter Mandane gebären und der einst Herr von ganz Asien sein werde. Hierüber erschrak der König. Aus Besorgnis entfernte er seine Tochter vom Hofe und schickte sie nach der kleinen Landschaft Persis. Dort verheiratete er sie an einen Perser von geringer Macht und stillem, friedlichem Charakter, mit Namen Kambyses. Von diesem glaubte er nichts befürchten zu dürfen. Nach Jahresfrist bekam Mandane einen Sohn, welcher den Namen Cyrus oder Kores, d. i. Sonne, erhielt. Nun erneuerte sich des Königs Traum, mit ihm auch die Angst. Sogleich ließ er das Kind vor sich bringen und gab es dem Harpagus, einem seiner Hofleute, mit dem Befehle, dasselbe im wildesten Gebirge dem Verhungern auszusetzen. Harpagus nahm das Kind, ging fort und weinte. Er konnte es nicht übers Herz bringen, das unschuldige Kind selbst zu töten. Doch fürchtete er den Zorn seines Königs und gab es einem Hirten zum Aussetzen. Auch der gute Hist konnte den grausamen Befehl nicht ausführen. Er nahm das schöne Knäblein mit sich nach Hause und gab es seiner Frau, dereu Kind gerade gestorben war. Und die Frau schmückte ihr totes Kind mit den schönen Kleidern des Cyrus und setzte es statt seiner
aus. Drei Tage nachher ging der Hirt in die Stadt und sprach
zum Harpagus, nun könne er ihm des Knaben Leiche zeigen. Da schickte Harpagus seine getreuesten Lanzenträger, ließ nachsehen und begraben — des Hirten Sohn.
Cyrus aber wuchs in voller Schönheit in des Hirten Hütte heran.' Fröhlich wie das Lämmchen auf der Weide hüpfte er umher und spielte mit den andern Kindern. Gewiß ahnte keiner, daß das muntere Knäblein in seinem Schäferröckchen einst noch der mächtigste König in ganz Asien sein werde. Die Kinder hatten ihn alle sehr lieb, weil er so munter und verständig war. Bei ihren Spielen mußte er immer König sein. Einst spielte auch der Sohn eines vornehmen Meders mit ihnen. Cyrus war wieder Köuig und
wies jedem seinen Posten an. Das vornehme Söhnchen aber wollte
sich von dem Hirtenknaben nicht befehlen lassen. Da half nichts,
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es wurde für feinen Ungehorsam von dem Hirtenknaben mit recht derben Schlägen gezüchtigt. Nun lief es weinend nach Haufe und klagte es feinem Vater, was Cyrus ihm gethan habe. Der Vater ging alsbald zum König und forderte, daß der freche Hirtenknabe bestraft werde.
Der König war zornig und ließ den Hirten rufen samt feinem Sohne. „Wie hast du dich unterstehen können," fuhr er den Cyrus an, „so schmählich den Sohn eines Mannes zu behandeln, der bei mir in großen Ehren steht?" — „O Herr," antwortete Cyrus freimütig, „dem ist nichts als fein Recht geschehen. Die Knaben des Ortes, unter welchen auch dieser war, hatten mich bei ihrem Spiel zum Könige ernannt. Die andern alle thaten, was ihnen geboten war; der aber war ungehorsam und machte sich gar nichts aus mir. Dafür hat er feinen Lohn empfangen. Hab' ich darum Strafe verdient, wohlan, hier steh’ ich."
Als der Knabe so sprach, schöpfte Astyages sogleich Verdacht. Die edle Haltung, die Gesichtszüge, welche die auffallendste Ähnlichkeit mit denen feiner Tochter hatten, alles verriet dem Könige die königliche Abkunft. „Wer hat dir den Knaben gegeben?" fuhr erden Hirten an. Der gestand vor Angst alles. Jetzt zürnte der König dem Harpagus und gebot den Lanzenträgern, diesen zu rufen. Und als Harpagus vor ihm stand, fragte ihn Astyages mit anscheinender Freundlichkeit: „Lieber Harpagus, auf welche Art hast du doch meiner Tochter Sohn, den ich dir damals übergab, ums Leben gebracht?" Harpagus erschrak, und als er auch den Hirten daselbst gewahrte, konnte er nicht mehr zweifeln, daß das Geheimnis verraten fei, und erzählte aus Furcht die Sache gerade heraus. Astyages verbarg feinen Zorn. Er stellte sich, als wäre er froh Über die glückliche Erhaltung des Knaben, und gab ein Freudenfest. „Auch du mußt mit mir zu Tische fein," sprach er zu Harpagus; „zuvor aber schicke dein Söhnchen her, daß es mit dein Cyrus spiele."
Da freute sich Harpagus und schickte fein Söhnchen hin. Das arme Kind! Die Diener nahmen es auf Befehl des Königs, fchlach-
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teten und kochten es und setzten es dem Vater zur Speise vor. Der wußte von allem nichts und aß vergnügt von dem schrecklichen Gerichte. Nach der Mahlzeit fragte ihn Astyages: „Nun, wie hat dir das Gericht geschmeckt?" — „Ganz vortrefflich!" erwiderte der fröhliche Vater. — „Weißt du aber auch," fuhr Astyages mit bitterem Hohne fort, „von welchem Wildbret du gegessen hast?" und siehe! auf des Königs Wink bringen die Diener dem Harpagus in einem verdeckten Korbe den Kopf, die Arme und die Seine seines Sohnes. Das Vaterherz blutete bei diesem Anblicke; vor dem Angesichte des Wüterichs aber durste sein Ingrimm nicht laut werden. Er stellte sich gefaßt und verschloß seinen Kummer in der Brust, schwur aber zugleich dem Astyages Rache.
Der König wurde indes von den Tranmdeutern über die Erhaltung des Eyrus beruhigt. Sie sagten: „Dein Traum, o König,
ist jetzt erfüllt, da er von den Knaben bereits zum Könige erwählt ist und alles so gemacht hat wie die wirklichen Könige. Sei nur
getrost, er wird nicht zum zweitenmal regieren!" Jetzt freute sich
Astyages, ließ den Eyrus kommen uud sprach: „Mein Sohn, ich habe dir großes Unrecht angethan, durch ein trügerisches Traum-gesicht verführt; doch ein gutes Glück hat dich erhalten. Jetzt gehe freudigen Mutes nach dem Perserlande, ich werde dich geleiten lassen. Dort wirst du einen ganz andern Vater und eine ganz andere Mutter finden als den Hirten und seine Frau." Hierauf entließ er den Eyrus.
Einige Zeit nachher ließ Astyages den Eyrus, welchen er unterdessen liebgewonnen hatte, mit der Mutter desselben zu sich nach Hofe kommen. Der Knabe war in der strengen, kriegerischen Lebensweise der Perser auferzogen und machte große Augen, als er hier alles so fein geputzt uud geschminkt fand. Selbst der König auf seinem Throne war tüchtig geschminkt an Augenbrauen, an Stirne und Wangen. Eyrus sprang, als er in das Zimmer trat, auf den geputzten König zu, fiel ihm um den Hals und rief: „O was ich für einen schönen Großvater habe!" — „Ist er denn schöner als dein Vater?" fragte lächelnd die Mutter. •— „Unter den Persern",
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antwortete Cyrus, „ist mein Vater der schönste; aber unter den Medern giebt es keinen schönern als den Großvater." Dem alten Manne gefiel die Antwort; er beschenkte den Kleinen reichlich, und dieser mußte bei Tische immer neben ihm sitzen. Hier verwunderte sich Cyrus über die Menge Gerichte, mit welchen die Tische von oben bis unten besetzt wurden. „Großvater," rief er, „du hast doch viele Mühe, satt zu werden, wenn du von allem dem essen mußt!" Astyages lachte und sprach: „Jst's denn hier nicht besser als bei euch in
Persien?" — „Ich weiß nicht," antwortete der Knabe, „aber wir
werden viel geschwinder und leichter satt. Uns ist Brot und Fleisch genug, um satt zu werden; ihr aber, ach, was braucht ihr für
Arbeiten und Umschweife, bis ihr so weit kommt!"
Wegen solcher und ähnlicher munterer Einfälle gewann Astyages seinen Enkel immer lieber. Er ließ ihn reiten lernen, schenkte ihm die schönsten Reitpferde, nahm ihn mit sich auf die Jagd, kurz, er machte ihm allerlei Vergnügen, um ihn nur recht lange bei sich zu behalten.
Cyrus kehrte endlich nach Persien zurück und erwuchs zum angesehensten und rüstigsten Manne im ganzen Lande. Eines Tages erhielt er von Harpagus einen Hasen zum Geschenke. „Du mögest ihn", sagte der Bote leise und mit geheimnisvoller Miene, „allein, ohne daß jemand zugegen ist, aufschneiden." Er that das und fand zu seinem Erstaunen in dem Bauche einen Brief. Harpagus ermunterte ihn hierin, die Perser zum Abfalle von der medischen Herrschaft zu bewegen und dann feinen tyrannischen Großvater selbst mit Krieg zu überziehen. Der treulose Vorschlag gefiel ihm. Mit dem Briefe in der Hand trat Cyrus unter das versammelte Volk und sprach: „Kraft dieses Briefes hat mich Astyages zu eurem Heerführer ernannt, und nun befehle ich euch, daß morgen ein jeder mit der Sichel erscheine." In aller Frühe fanden sie sich mit der Sichel ein. Den ganzen Tag mußten sie die schwerste Arbeit verrichten, ein wüstes Dornfeld reinigen und umarbeiten. Am Abende des schwülen Tages befahl er ihnen, den folgenden Tag abermals und wohlgeschmückt zu erscheinen. Diesmal lud er sie ein, im weichen Grase sich zu lagern. Er gab ihnen eine Menge Vieh, Früchte und
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Wein zum besten. Es wurde geschlachtet, gekocht, gebraten, alles war froh und schmauste nach Herzenslust.
„Nun, liebe Landsleute," sprach Cyrus, „welcher Tag gefällt euch besser, der gestrige oder der heutige?" — „Wie du doch fragst!" riefen alle verwundert; „gestern waren wir ja Sklaven, heute aber sind wir Herren." — „Und solche Herren werdet ihr immer sein," fuhr Cyrus fort, „wenn ihr das Joch der Meder abwerfet; Sklaven aber, wie gestern, solange der Wüterich Astyages euer Herr ist. Wohlan denn, folget mir und feid frei!"
Die Perser waren schon längst unwillig über den harten Druck der Meder. Nun aber empörten sie sich und riefen Cyrus zu ihrem Könige aus. Das hörte Astyages und schickte den Harpagns mit einem Heere gegen die Empörer ab. Harpagus aber ging mit dem Heere zu Cyrus über. Da geriet der König in Wut und ließ alle Traumdeuter auf das jämmerlichste kreuzigen. Er selbst zog dann mit einem zweiten Heere gegen Cyrus.
Bei Pasargadä, dem uralten Sitze persischer Fürsten, kam es (um 558 v. Chr.) zur Schlacht. Astyages wurde geschlagen und gefangen. Harpagus war kleindenkend genug, den Astyages in seinem Unglück noch zu verhöhnen; Cyrus aber suchte seine Empörung wenigstens dadurch gutzumachen, daß er den Astyages bis zu dessen Tod bei sich behielt und ihn mit Achtung und Liebe behandelte.
Gyrus, Krösus und Kokon.
Durch die Meder verstärkt, setzte Cyrus seine Eroberungen fort und zwang alle Nachbarkönige, sich den Persern zu unterwerfen. Der mächtigste derselben war der durch seine Reichtümer sprichwörtlich gewordene Krösus, König der Lyder in Kleinasien. Dieser, eifersüchtig auf des Cyrus wachsende Macht, stellte sich ihm entgegen, wurde aber geschlagen und gefangen (546 v. Chr.). Auf Cyrus' Befehl errichtete man einen Scheiterhaufen und setzte den König mit 14 der vornehmsten Lyder darauf. Als das Feuer den Scheiterhaufen ergriff, schrie der Unglückliche in den Flammen: „O Solon! Solon! Solon!" — Begierig, den Sinn dieser Worte
Bumüller u. Schuster, Weltgeschichte. 12. Aufl. 2
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äu vernehmen, befahl Cyrus, den Scheiterhaufen zu löschen und den Krösus vorzuführen (Fig. 8). Dieser sprach, nachdem er sich ein wtuig erholt hatte: „O (5t)ru§! es werdeu wenige Menschen sein, die vom Glück so hoch erhoben und von ihm wieder so tief gestürzt morden sind als ich. Wenn bu willst, daß ich länger leben soll, so wird der heutige Tag vielleicht in mir gutmachen, was ein allzu glückliches hebert verdorben hat. Ich habe ein großes Reich beherrscht, und wenn du meine Schütze wirst gesehen haben, so wirst bu be= kennen, baß ich gestern noch ber reichste König von ganz Asien war. ^ch glaubte auch, ich wäre ber glücklichste. Einst kam ein weiser Mann aus Griechenlanb mit Namen Solon zu mir. Ich ließ ihm alle meine Schätze zeigen unb mar eitel genug, zu glauben, er werbe über meine Reichtümer erstaunen unb mich als ben glückseligsten aller Menschen preisen. Als er jeboch schwieg unb bas alles nur ansah wie Sanb unb Kieselsteine, sagte ich zu ihm: ,Solon, bu bist so weit in ber Welt herumgereist unb hast so viele Menschen gesehen; sage mir, wen hältst bu für ben Glücklichsten?' Solon antwortete: ,Einen Bürger von Athen, Tellus.' Ich wunberte mich, baß er mir einen gemeinen Bürger vorzog, unb fragte weiter, weshalb er biefen für glücklich hielte. Er sprach: ,Dieser Tellus lebte Zu Athen, als bie Stabt in einem blühenben Zustande war. Er hatte wohlgeratene Kinder und Kinbeskinber, bie alle am Leben blieben. Er selbst war tugenbhaft unb in ber Stabt geehrt; auch hatte er ein genügenbes Auskommen. Auf biefe Weise glücklich unb zufrieden, gelangte er zu einem hohen Alter, starb in einem siegreichen Treffen für fein Vaterland, und dieses setzte ihm aus Dankbarkeit ein Denkmal seiner Thaten? ,Aber wen', fragte ich, ,hältst du nach diesem für den Glücklichsten?' ,Zwei griechische Jünglinge,' antwortete er, ,Kleobis und Biton. Sie waren Brüder, besaßen eine außerordentliche Leibesstärke und errangen in den öffentlichen Kampf-spielen den Preis. Als ihre Mutter einst zu dem Opfer einer Göttin fahren wollte, die Zugochsen aber ausblieben, spannten sich die guten Söhne selbst vor den Wagen und zogen die Mutter bis zum Tempel. Als die Griechen bewundernd umherstanden, die Männer die Tugend
•grtlfl.iy qutt -g -Biß
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der Jünglinge erhoben, die Frauen aber das Weib glücklich priesen, das solche Söhne geboren hatte, wurde die also geehrte Mutter so gerührt, daß sie vor dem Altare der Göttin betete, sie möchte ihren Kindern geben, was für sie das Beste wäre. Nach dem Opfer legten sich die Jünglinge in den Vorhof des Tempels nieder, um zu schlafen, und erwachten nicht wieder. Die Götter zeigten dadurch, es sei das schönste Los des Menschen, nach einer edeln That zu sterben?
„Als ich dies hörte," fuhr Krösus fort, „sonnte ich meinen Un-
willen nicht länger verbergen, sondern sagte: ,Athenischer Fremdling, so sehr verachtest du meine Glückseligkeit, daß du mich diesen nicht
einmal gleichstellest?' Und Solon antwortete mir: ,0 Krösus! in
einer langen Zeit muß der Mensch vieles sehen, was er nicht zu
sehen wünscht, und vieles leiden, was er gerne abwenden möchte. Du, o König, bist ein Herr vieler Güter und vieler Völker; aber ich werde dich nicht eher glücklich nennen, als bis ich weiß, daß du dein Leben auch glücklich beschlossen hast. Zudem giebt es viele
Menschen, die bei allem Überflüsse nicht glücklich sind, und wieder andere, die bei geringem Auskommen des höchsten Glückes genießen. Denn wer keinen Mangel leidet, kann in stiller Niedrigkeit gesunder sein, weniger Böses leiden, mehr Kräfte besitzen und seine Kinder
besser erziehen; und kommt dann noch ein gutes Ende hinzu, so ist
er, was du suchest: ein glücklicher Mann. Die Götter überhäufen viele mit Wohlthaten; aber ehe man es sich versieht, nehmen sie
ihnen alles hinweg und stürzen sie tiefer, als sie dieselben zuvor
erhöhten? — Wie schön und wie wahr sprach dieser weise Mann! Aber ich verachtete ihn und ließ ihn nie wieder vor mich. Von dieser Zeit an ging mir alles übel. Mein ältester Sohn war stumm, mein zweiter wurde auf der Jagd getötet; alle Städte, Länder,
Völker und Schätze habe ich verloren und bin jetzt selbst in deiner
Gewalt. Nun weißt du, warum ich den Namen Solon rief; mache jetzt mit mir, was dir gut scheint."
Cyrus wurde tief gerührt, schenkte, an den möglichen Wechsel des eigenen Glückes erinnert, dem Krösus großmütig das Leben und behielt ihn als Freund und Ratgeber bei sich.
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Zuletzt verließ auch den Cyrus das Glück. Er fing mit den Massageten Krieg an, einem wilden Volke in der heutigen Tatarei, und verlor in einer Schlacht das Leben im Jahre 529 v. Chr. Sein Sohn und Nachfolger Kambyses eroberte Ägypten; aber unter Darius, dem dritten Könige der Perser (521—485), unter dessen Regierung Persien den Höhepunkt seiner Macht erlangte, begannen die Kriege gegen das Volk der Griechen, welche mit dem Untergänge des großen von Cyrus gestifteten Reiches endigten.
Die alten Griechen und Konter.
Wekigion und Sitten der Kriechen.
Die Griechen waren das gebildetste Volk des Altertums. In der Bildhauerkunst und Malerei hatten sie die größten Meister, z. B. einen Phidias, Zeuxis und Parrhasius. Die zwei letztem stellten einst einen Wettkampf in ihrer Kunst an. Zeuxis malte Weintrauben so natürlich, daß die Vögel nach denselben flogen und daran pickten. Nun brachte auch Parrhasius sein Stück, das mit einem schönen Vorhänge bedeckt war. „Ziehe doch den Vorhang hinweg," sagte Zeuxis. Da lachte Parrhasius; denn der Vorhang war gemalt, also das Bild selbst. So täuschte der eine Vögel, der andere dagegen einen großen Künstler. Wo möglich wurden diese Kunstschöpfungen der Griechen von den Werken ihrer Dichter, Redner und Geschichtschreiber noch übertroffen. Werden doch diese auch jetzt noch mit großem Fleiße gelesen und als Muster nachgeahmt. Die hervorragendsten Dichter sind Homer, Äschylus, Sophokles und Euripides; als bedeutende Geschichtschreiber gelten Herodot, Thucydides und Xenophon, als großer Redner Demosthenes. Die größten Denker (Philosophen) waren Sokrates (vgl. S. 39 ff.) und sein Schüler Plato.
Bei all dem standen die Griechen aber in religiöser Beziehung teilweise noch tiefer als manche ungebildete Völker, weil sie, stolz auf ihre Leistungen, nur den Gebilden ihrer sinnlichen Einbildungskraft
Fig. 9. Tempel der Stadtgöttin zu Athen, wie er war.
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folgten. Sie verehrten eine Menge von Göttern und Göttinnen, dachten sich aber dieselben als beschränkte Wesen mit allen Schwächen, Leidenschaften nnd Lastern gewöhnlicher Menschen. Sie erwiesen ihnen daher durch Tänze und durch Ausschweifungen aller Art, in ältester Zeit sogar durch Menschenopfer, die vermeintliche göttliche Ehre. Doch war der Glaube an die Unsterblichkeit der Seele, an Belohnung und Bestrafung nach dem Tode allgemein unter ihnen verbreitet, weshalb sie den Tod den Bruder des Schlafes nannten und als einen schönen Jüngling vorstellten, der in der Rechten eine verlöschende Fackel umkehrt und in der Linken einen Kranz hält, oder auf einen Schmetterling, der zu seinen Füßen sitzt, mit Ernst herabschaut. Der Fromme, glaubten sie, komme nach dem Tode in die Elysischen Gefilde, wo er eine unaussprechliche Glückseligkeit, jedoch in irdischer Art, genieße; die Bösen dagegen würden in den Tartarus, die Unterwelt, verstoßen, wo Qualen aller Art ihrer warteten.
Eine schöne Lehre liegt auch in jener griechischen Sage von dem Halbgott Herkules, der einst als Jüngling an einen Scheideweg kam. Als er sich daselbst niedergesetzt, traten zwei Gestalten vor ihn. „Ich bin", sprach die eine, „die Lust. Ich verspreche dir, Jüngling, eine Jugend voll Freude und Müßiggang, aber ein unrühmliches und kraftloses Alter, wenn du mir auf diesem Wege folgen willst." — „Und wohin führt dieser andere Weg?" fragte der Jüngling. — „Das ist mein Weg," erwiderte die andere Erscheinung, „ich heiße die Tugend. Hier wirst du wenig Ruheplätze finden, denn ich lege meinen Freunden Enthaltsamkeit. Arbeit und mühevolle Tage auf; aber endlich führe ich sie zum Ruhme und zur Unsterblichkeit." — „Deinen Weg will ich gehen!" ries Herkules entschlossen; „mag er immerhin mühevoll sein, wenn er mich nur zur Unsterblichkeit führt."
Gesetze und Einrichtungen der Spartaner und Athener.
Die zwei berühmtesten Völker des alten Griechenland unterschieden sich in Bildung und Lebensart in hohem Grade, was eine Folge ihrer verschiedenen Gesetzgebung war.
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Die Spartaner erhielten ihre Staatseinrichtungen durch Lykurg, der ein freies kräftiges Volk zu bilden im Sinne hatte (um 820 v. Chr.). Für diesen Zweck verbot er Luxus und Weichlichkeit aufs strengste und ließ statt des Goldes und Silbers Geld von großen Eisenstücken schlagen. Selbst die Häuser durften nur vermittelst Axt und Säge verfertigt werden. Damit keiner köstlicher esse als der andere, mußten die Bürger ihre Mahlzeiten gemeinschaftlich in großen Speisehäusern einnehmen. Ihr tägliches Gericht war die sogenannte schwarze Suppe, vermutlich ein Gemisch von Schweinefleisch, Blut, Essig und Salz. Ein König von Pontus, der viel von dieser Nationalsuppe gehört hatte, ließ sich einmal ausdrücklich deswegen einen spartanischen Koch kommen. Er fand das Gericht sehr unschmackhaft. „Ich glaube es wohl," sagte der Koch; „unsere Suppe schmeckt nur denen gut, die tüchtig gearbeitet und gehungert haben."
Damit die Spartaner sich nicht von ausländischer Üppigkeit anstecken ließen, war ihnen das Reisen selbst in benachbarte Länder nur in seltenen Fällen erlaubt und den Fremden der Aufenthalt in Sparta sehr erschwert. Die Stadt sollte keine Mauern haben; „denn", sagte Lykurg, „die Tapferkeit unserer Bürger soll unsere Mauer sein." Die einzige Beschäftigung der Spartaner bestand in Jagd und kriegerischen Übungen. Fröhlich und mit Festkleidern geschmückt zogen sie in die Schlacht. Dem Ganzen entsprechend war die Erziehung der Kinder sehr strenge. Mit dem angetretenen achten Jahre kamen dieselben in ein öffentliches Erziehungshaus, wo sie an Mäßigkeit, Ordnung und Gehorsam gewöhnt wurden. Sie wurden gegen Hunger und Durst, Hitze und Frost, ja selbst gegen empfindliche Körperschmerzen abgehärtet. Zu diesem Zwecke wurden die spartanischen Knaben jährlich einmal, am Feste der Göttin Artemis, öffentlich mit Geißeln blutig gepeitscht, und keiner durfte nur eine Miene des Schmerzes zeigen. Alle Knaben und Jünglinge gingen barfuß. Bei Tische bekamen sie nur mäßige Portionen. Besonders wurde auch auf die Ehrfurcht der Jugend gegen das Alter gesehen; jeder Jüngling mußte auf der Straße einem Alten auf dessen
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Fragen Rede stehen und durfte in Gesellschaft von Alten nichts sprechen, als wonach er gefragt wurde. Unüberlegtes und leeres Geschwätz wurde gar nicht geduldet, kurze und vielsagende Antworten dagegen wurden mit Beifall belohnt. So gelang es Lykurg, aus den Spartanern ein furchtbares Heldenvolk zu bilden. Dabei ward aber fast jede edlere Geistesbildung und jedes sanftere Gefühl vernichtet. So wurde ein Kind, wenn es schwach oder verkrüppelt war, zum Verhungern ausgesetzt; denn Lykurg wollte nur gesunde und starke Bürger haben. Besonders hart waren die Spartaner gegen ihre Sklaven, die Heloten, welche den Ackerbau besorgen und alle Handarbeiten treiben mußten. Diese Heloten wurden öfters, wenn sie sich zu stark vermehrten, von ihnen zu Hunderten niedergemetzelt.
Eine ganz andere Richtung hatten die Athener durch die weisen und menschenfreundlichen Bestimmungen ihres Gesetzgebers Solon (594 v. Chr.). Zwar wurden auch Leibesübungen nicht vernachlässigt, und es fehlte ihnen keineswegs an Mut und Tapferkeit. Dabei wurden aber auch Künste und Wissenschaften hochgeschätzt und aufs eifrigste gepflegt. Der athenische Jüngling mußte überhaupt ausgebreitete Kenntnisse besitzen und sich besonders üben, seine Gedanken schön und richtig auszudrücken, um einst als Mann in der Volksversammlung für das Wohl des Vaterlandes auftreten zu können. Er hatte sich deshalb mit den Schriften der Dichter und berühmten Redner bekannt zu machen, an welchen Athen einen Reichtum wie kein anderes Volk der Welt besaß. Außerdem wirkte Solon durch eine Reihe einzelner Gesetze für Fleiß, Sittlichkeit und edle.Herzensbildung. Jeder Bürger mußte ein Gewerbe oder eine Kunst treiben. Wer dreimal des Müßiggangs überführt wurde, ward für ehrlos erklärt; desgleichen diejenigen, welche ihr väterliches Erbgut verschwendeten. Dieselbe Strafe traf den Sohn, der seine Eltern nicht im Alter ernährte. Wer des Nachts stahl oder aus den öffentlichen Schulen auch nur eine Kleinigkeit entwendete, wurde mit dem Tode bestraft. Indes verleiteten der Reichtum und Stolz auf ihre Kunstwerke die Athener bald zu Verschwendung und schändlichen Ausschweifungen, und so wurde dieses Volk zum sprechend-
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ftert Beweise dafür, daß hohe Geistesbildung so wenig als äußerliche strenge Zucht die bleibende Sittlichkeit eines Volkes begründet,
wenn sie nicht aus der Quelle wahrer Religiosität geschöpft ist.
Kodrus. Mttiades. Leonidas. Hhemikokkes.
Die Geschichte der Griechen bietet uns viele Züge hoher Tapferkeit und Vaterlandsliebe. Schon aus der frühesten Zeit werden solche berichtet. So soll sich z. B. Kodrus zu Athen, als diese Stadt einst von einem Feinde belagert war und eine Prophezeiung
jenem Volke den Sieg verhieß, dessen König umkäme, in das tiefste
Gewühl der Schlacht gestürzt haben, um durch seinen Tod das Vaterland zu retten. Aber die Feinde, die ihn erkannten, schonten seiner. Da kehrte er zurück, legte alle Zeichen der königlichen Würde ab und kleidete sich in das ärmliche Gewand eines Landmannes. So vermummt kam er in das feindliche Lager, fing mit den Soldaten Streit an und ließ sich von ihnen erschlagen. Sterbend rief er aus: „Ich bin Kodrus, König von Athen!" Da entsank dem Feinde der Mut, und er ergriff vor den Athenern eine schimpfliche Flucht.
Den schönsten Heldenkampf aber kämpften die Griechen gegen die furchtbare Macht der Perser. Griechen, welche sich in Kleinasien angesiedelt, hatten sich nämlich, von den Athenern unterstützt, wider den Perserkönig Darius empört (500 v. Chr.). Darüber entrüstet, schwor Darius ganz Griechenland Rache und sandte gegen dasselbe eine Flotte und ein Landheer (493). Allein ehe sie Griechenland erreichten, wurde das Heer in kleinen Treffen geschlagen und die Flotte durch einen Sturm fast ganz vernichtet. Drei Jahre später segelte eine noch furchtbarere Flotte daher; da ihre Macht unwiderstehlich schien, hatten sich die Perser mit vielen Ketten versehen, um die große Menge von Gefangenen, die sie machen würden, zu fesseln, ferner mit dem schönsten weißen Marmor, um auf den Schlachtfeldern gleich ein Denkmal des Sieges errichten zu können. Vergebens rief das bedrängte Athen, in dessen Nähe das feindliche Heer gelandet, die andern Griechen um Beistand an. Nur eine kleine Stadt, Platää, schickte 1000 Mann zu Hilfe. Die Athener
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selbst stellten 9000 Bürger und bewaffneten in der Not ihre Sklaven. Dies Häufchen war freilich nur klein gegen die 100 000 Perser, aber fest entschlossen, für sein Vaterland alles zu wagen, geübt in Kampfspielen aller Art, einig unter sich, voll Vertrauen zu seinen Anführern, endlich mit weit bequemern Waffen uud weit festem Rüstungen versehen als die Feinde. Sie zogen diesen mutig einige Meilen in die Ebene bei Marathon entgegen (490 v. Chr.). Als sie aber hier die unübersehbare Schar der Perser erblickten, da befiel selbst die Tapfersten Furcht, und einige fingen schon an, vom Rückzüge zu reden. Nur ein Mann hielt die Verzagten, Mil-tiades. „Zeigen wir uns jetzt nicht als tapfere Männer," rief er, „räumen wir hier gleich das erste Mal schimpflich dem Feinde das Feld, dann wird er, kühn gemacht durch unsere Flucht, uns verfolgen, angreifen, schlagen; unsere Stadt wird ein Raub des wilden Asiaten, und wir werden dann Sklaven seiner Diener werden. Griechen, zaudert nicht, lasset uns einig sein, einig zur Schlacht! Dieser Entschluß rettet uns, rettet Griechenlands Freiheit und Ruhm." Da folgten alle in die Schlacht. Anfangs lachten die Perser und sandten einen Hagel von Pfeilen auf die Heraustürzenden. Bald aber entstand ein wütender Kampf; die Perser durchbrachen die aus den Sklaven bestellende Mitte der griechischen Schlachtordnung, indes ihre beiden Flügel von den Griechen in die Flucht geschlagen wurden. Nun wandten sich die griechischen Schwerter nach der Mitte, den weichenden Sklaven beizustehen, und die Flucht der Perser ward allgemein. In der größten Verwirrung eilten diese zu ihren Schiffen, verfolgt von den jubelnden Haufen, und ihr ganzes Lager mit allen Kostbarkeiten, samt den Fesseln für die Griechen und dem prächtigen Marmorblock zum Siegesdenkmal, wurde eine Beute der Sieger. Noch lange nachher feierten die Athener den glorreichen Tag. Der Name Miltiades aber war Kindern und Greisen eine Losung zur Freude, und das ganze Volk empfing den Sieger mit Jubelliedern als feinen Retter in der Not.
Darius ließ indes durch sein ganzes unermeßliches Reich neue Werbungen anstellen und an allen Küsten Schiffe erbauen. Als
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er starb, setzte sein Sohn Xerxes die furchtbaren Rüstungen fort und brachte endlich ein Heer von einigen Millionen zusammen, das größte, das bisher die Welt gesehen hat, dazu eine Flotte von 1200 Kriegsschiffen und 3000 Proviantschiffen. Wie eine Sündflut überschwemmten jetzt die wilden Asiaten alle Länder nordwärts von Griechenland. Alles schien verloren. Da rettete des Themistokles feurige Beredsamkeit das bedrängte Vaterland: er, der schon als Knabe sich sehr wißbegierig und nie müßig zeigte und sich gerne in der Einsamkeit mit sich selbst unterhielt; der als Jüngling einst in einer fröhlichen Gesellschaft, wo die Zither herumging, damit jeder ein Liedchen darauf spielte und dazu sänge, das Instrument weitergab mit den Worten: „Spielen und singen kann ich nicht, aber eine Stadt berühmt und groß zu machen, die Kunst glaube ich zu wissen." Dieser Themistokles. den die Siegeszeichen des Miltiades nicht ruhig schlafen ließen und der in kluger Voraussicht den Bau vieler Kriegsschiffe betrieben hatte, reiste und schickte überall im ganzen Griechenlande umher, betrieb die feste Verbindung unter den einzelnen Staaten und belebte den oft schon sinkenden Mut seiner Mitbürger durch Wort und That.
Zwischen Nord- und Mittelgriechenland bildet ein hohes und steiles Gebirge die Grenze, das sich ganz nahe bis zum Meer hinzieht und zwischen diesem und dem Gebirge nur einen schmalen Durchgang gestattet. In diesem Engpaß, Thermopylä genannt, stellten sich ca. 6000 Griechen unter dem spartanischen Könige Leonidas dem Feinde entgegen, der sich wie eine gewaltige Wolke heranwagte. Xerxes schickte, voll Erstaunen, daß man es wagen könne, sich ihm zu widersetzen, einen Kundschafter ab, die Größe des griechischen Heeres zu erforschen. Dieser brachte die Nachricht, es sei ein kleines Häuflein, einige davon schmückten sich und kämmten ihre langen Haare, andere sängen, noch andere stellten Kampsspiele an. Der König, verwundert über die fast unglaubliche Nachricht, schickte einen Herold und ließ ihnen die Waffen abfordern. „Hole sie!" antwortete der Spartaner.
Er schickte abermals und versprach dem Leonidas die Statthalterschaft über ganz Griechenland, wenn er zu ihm überginge. „Die Spartaner
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sind nicht gewohnt, Ehre durch Verrat zu erkaufen," war die Antwort. Ein Grieche, der die unübersehbare Reihe der Perser in der
Ferne erblickt hatte, kam erschrocken zurück und rief: „Die Menge
ihrer Pfeile verfinstert die Sonne!" Ein Spartaner erwiderte gelassen: „Desto besser, so fechten wir im Schatten!" Schar auf Schar stürmten nun die Perser zwei Tage lang heran, zuletzt auch
ihre Tapfersten, die sogenannten Unsterblichen. Sie fielen aber zu
Tausenden irrt vergeblichen Kampfe. Da endlich fand sich ein Verräter, der den Persern einen Fußpfad seitwärts über das Gebirge zeigte. Noch war es Zeit, sich schnell zu retten; allein Leonidas wollte den ihm anvertrauten Posten nicht verlassen. Er sandte darum das Heer bis auf 1000 Mann, die freiwillig bei ihm blieben, fort, und nachdem er den Persern noch eine blutige Niederlage beigebracht hatte, fiel er mit seinen Helden nach Wundern der Tapferkeit, im Tode noch unbesiegt.
Nun drangen die Perser unaufhaltsam sengend und mordend in Griechenland ein und brannten auch das von seinen Einwohnern verlassene Athen nieder. Zu gleicher Zeit kam die persische Flotte heran. Als die Griechen das ganze Meer mit persischen Segeln bedeckt sahen, wollten sie bis auf die Athener in der folgenden Nacht mit ihren Schiffen wegsteuern. Da ergriff Themistokles das äußerste Mittel; er ließ die Perser insgeheim auffordern, die Griechen noch um Mitternacht zu umzingeln. Sein Zweck war erreicht; bei Einbruch der Dunkelheit bewegten sich die grauen Segel alle in die Meeresbucht von Salamis (480) heran, die Griechen einzuschließen. Die Perser, welche das Gewässer nicht kannten, liefen aber im Finstern auf manche Klippe, und die Menge ihrer Schiffe häufte sich bald so sehr, daß sie weder vor- noch rückwärts konnten. Kaum graute der nächste Tag, so griffen die Griechen, die nun keine andere Wahl als glorreichen Sieg oder schmähliche Gefangenschaft vor sich hatten, mit Ungestüm die feindlichen Schiffe an. Bald entstand eine greuliche Verwirrung, in der die Griechen eine große Anzahl der feindlichen Schiffe eroberten und zerstörten; die ganze Meeresbucht füllte sich mit Schiffstrümmern und Leichnamen der Perser. Was von
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Flotte entkommen konnte, floh in größter Eile. Auch Xerxes entwich eiligst nach Hause. Doch ließ er die Trümmer seines Heeres, 300 000 Mann, zurück. Diese wurden aber im nächsten Jahre (479) bet Platää so entschieden geschlagen, daß es der stolze Perserkönig nie mehr wagte, die Griechen in ihrem Lande anzugreifen. Griechenland erkannte, daß es seine Rettung vor allem dem Themistokles verdanke. Die Spartaner führten ihn triumphierend nach ihrer Hauptstadt, gaben ihm einen Olivenkranz als Preis der Weisheit, schenkten ihm den schönsten Wagen, der in ihrer Stadt zu finden war, und ließen ihn feierlich durch 300 Jünglinge bis an die Grenze geleiten. Als er einige Zeit darauf bei den Kampfspielen zu Olympia erschien, vergaßen alle Zuschauer der Kämpfenden uud richteten bewunderungsvoll die Augen nur auf ihn. Einer zeigte ihn dem andern voll Bewunderung und Frende, sein Name tönte von allen Lippen, und innigst gerührt sprach Themistokles zu seinen Freunden: „Das ist der glücklichste Tag meines Lebens!"
Athens Köhe und Sturz. Sokrates.
Athen hatte sich während der Perserkriege so große Verdienste 11111 ganz Griechenland erworben, daß die meisten Staaten und Inseln freiwillig ein Bündnis mit dieser Stadt schlossen, um in Verbindung mit ihr gemeinsam die Gefahr, die von Persien drohte, abzuwehren. So erhielt Athen die größte Macht und den Vorrang (Hegemonie) unter allen Staaten Griechenlands zum großen Arger der Spartaner, die bisher das größte Ansehen in Griechenland gehabt hatten. Vorläufig konnten sie freilich nichts machen. Zudem hatte Athen das Glück, einen Staatsmann zu besitzen, der im stände war, die Stadt zum höchsten Glanz und Ruhm zu führen. Dos war Perifles. Vor allem hat er Athen durch die herrlich,ten Banwerke verschönert, deren Trümmer noch jetzt unsere Bewunderung erregen. So erbaute er auf dem Burgberge (Akropolis) einen herrlichen Stempel zu Ehren der Athene, der Schutzgöttiu der '^tadt (Parthenon), in dem die hochberühmte, von dem ausgezeichneten Künstler Phidias aus Gold und Elsenbein verfertigte Statue
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der Athene stand. Den Marktplatz umgab er mit schönen Hallen und führte noch viele andere Gebäude auf. Künstler und Dichter zeichnete er aus und auch dem Volke verschaffte er viele Rechte: so gelaugte Athen unter ihm zur höchsten Blüte.
Indessen dauerte diese nicht lange. Sparta wurde immer eifersüchtiger auf Athen, und schließlich kam es zwischen beiden Staaten zu dem sogen, peloponnesischen Krieg, der nahezu 30 Jahre dauerte (431—404 v. Chr.) und mit einer völligen Besiegung Athens endigte. Das schlimmste dabei ist aber das, daß während des Krieges in Athen eine Sittenverderbnis einriß, die leider immer weiter um sich griff. Inmitten dieses allgemeinen Verderbnisses erweckte die göttliche Vorsehung wie bei andern Völkern so auch unter den Griechen einzelne erleuchtete und tugendhafte Männer, welche das Dasein des einen wahren Gottes wenigstens ahnten und sich der Tugend redlich beflissen, welche sich mit aller Macht den Greueln des Heidentums entgegensetzten, wieder reinere Begriffe von Gott verbreiteten und durch ihr Vorbild manche zu einem tugendhaften Lebenswandel ermunterten, noch mehrere wenigstens von einem tiefern Falle in Sünde und Laster zurückhielten. Unter diesen Männern nimmt Sokrates (s. S. 29) eine der ersten Stellen ein. Er war der Sohn eines Bildhauers und lernte diese Kunst bei seinem Vater, versäumte aber auch die kriegerischen Übungen nicht und focht mehrmals mit Mut und Tapferkeit für feine Vaterstadt Athen. Seine liebste Beschäftigung jedoch war, sich der stillen Betrachtung und der Bildung begabter Jünglinge zu widmen. Er erteilte keinen förmlichen Schulunterricht, sondern seine noch unerreichte Kunst bestand darin, gesprächsweise auf Spaziergäugen oder auf einem öffentlichen Platze seine jungen Freuude durch allerlei geschickte Fragen zum Nachdenken Über sich selbst und ihre Pflichten zu erwecken und ihnen den Grundsatz eigen zu machen, daß unter allen Kenntnissen die Kenntnis unserer Pflichten die erste sei. Hiermit verband er eine große Reinheit und Untadelhaftigfeit des Wandels. Unter seinen ausgearteten Mitbürgern, die sich allerlei sinnlichen Lüsten und einem ausgesuchten Luxus ergaben, erschien er selbst in größter Einfachheit. Seine Klei-
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düng bestand in einem unansehnlichen Mantel, er aß nur das Allergewöhnlichste und führte den Grundsatz im Munde: „Man muß so wenig bedürfen als möglich." Den Körper härtete er auf alle Weise ab, weshalb er auch außerordentlich viel auszuhalten vermochte. Ohne Beschwerde konnte er eine Nacht durchwachen und den folgenden Tag ebenso kraftvoll ringen und sich ebenso lebhaft unterhalten, als ob er die Nacht hindurch geschlafen hätte.
Einer seiner Neider, der sich große Reichtümer erworben hatte und üppig lebte, sagte einst spöttisch zu Sokrates: „Man sollte
Fig. 10. Sokrates.
meinen, die Weisheit müßte auch glücklich machen; du aber siehst wahrlich nicht danach aus. Du führst ja ein wahrhaft hündisches Leben!" — „Laß doch sehen," erwiderte Sokrates, „ob ich wirklich so unglücklich bin! Glaubst du, daß meine einfache Kost mich weniger gesund und stark erhalte ? Weißt du nicht, daß es denen am besten schmeckt, die am wenigsten haben ? Und wenn ich im Sommer und Winter gleich gekleidet gehe, wodurch mein Körper gegen jede Witterung abgehärtet wird, so kann dir doch das nicht
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tadelnswert erscheinen? Dem Bauche, dem Schlafe, der Weichlichkeit sich nicht zu ergeben, was könnte klüger sein als dies, da man das Wohlleben doch nicht immer haben kann! Wie würde bei solcher Verwöhnung der Ackersmann, der Schiffer fahren? Wer würde geschickter sein, dem Staate oder einem Freunde zu dienen: ein Mann wie ich ober einer von denen, die du glücklich nennst? Wer würde die Strapazen eines Feldzuges leichter ertragen? Du scheinst mir deine Glückseligkeit in Überfluß und Wohlleben zu setzen; ich aber glaube, daß nichts bedürfen göttlich ist und am wenigsten bedürfen der Gottheit am meisten nähert."
Die Mäßigung und Enthaltsamkeit suchte er auch seinen Mitbürgern bei jeder Gelegenheit zu empfehlen. Einst beklagte sich ein Athener bei ihm über die Mühseligkeiten einer Fußreise, die er soeben zurückgelegt hatte. „Hat dir dein Sklave folgen können?"
fragte Sokrates. — „O ja." — „Trug er etwas?" — „Ein
großes Bündel." — „Der ist wohl recht müde?" — „Nein; ich habe ihn gleich wieder mit einem Aufträge weithin in die Stadt geschickt." — „Sieh," sagte Sokrates, „du hast vor deinem Sklaven Vorzüge des Geistes; er hat vor dir Vorzüge der Natur. Du bist reich und frei, aber schwach und weichlich; er ist arm und leibeigen, aber gesund und stark. Sage selbst, wer der Glücklichere ist."
Ein anderer that einst mit seinen Gütern und Landhäusern sehr groß. Sokrates führte ihn hierauf zu einer Landkarte hin, auf
welcher Griechenland abgebildet war. „Zeige mir hier doch das Land der Athener," sagte er. Der andere that es. „Und wo sind deine Landgüter?" — „Ich sehe sie hier nicht." -— „Und du bist stolz auf einen Daumen breit Erde, den man nicht wert gehalten hat, mit einem Striche anzudeuten?"
Solcher Weisheitssprüche hat uns die Geschichte noch sehr viele von ihm aufbewahrt. „Die Götter", sagte er z. B. einst, „bedürfen unserer Reichtümer nicht. Die einfachsten Opfer sind ihnen die angenehmsten, wenn sie nur von reinen Händen dargebracht werden. Gefielen ihnen die Gaben der Üppigkeit, so würden sie nur von den Bösen verehrt."
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"Das einzige," Pflegte er zu sagen, „was ich mit Gewißheit weiß, ist das, daß ich nichts weiß, und dies allein unterscheidet mich Don andern, die sich Weise nennen lassen. Sie wissen auch nichts, aber sie glauben doch etwas zu wissen." Man fragte ihn, wie man
einen dauerhaften Ruf erlangen sönne? „Wenn man das ist, was
man scheinen will," antwortete er.
Kein Wunder, wenn Sokrates durch solche Reden viele Jünglinge unwiderstehlich an sich zog und sie für immer an seine Person feffelte. Ein hoffnungsvoller Jüngling wünschte sehnlichst, sein Schüler zu werden, fürchtete aber, wegen seiner Armut nicht angenommen zu werden. „Ei," sagte Sokrates, der seine Wünsche entdeckte, „schützest du dich so gering? Rechnest du das Geschenk
für nichts, das du mir mit dir selber machst?" Von diesem Augen-
blicke an wurde der Jüngling ein eifriger Schüler des Sokrates.
Ein anderer feiner Schüler ging sogar täglich eine halbe Meile nach der Stadt, um ihn zu hören. Ja ein dritter kam sehr oft des Abends verkleidet von Megara, einer Stadt vier Meilen von Athen, um nur einen Tag den Umgang des Sokrates zu genießen, obwohl die Athener aus Erbitterung gegen Megara die Verordnung gemacht hatten, daß kein Megaraer bei Lebensstrafe nach Athen kommen sollte.
Es konnte indes bei diesem großen Ansehen des Sokrates auch nicht an vielen Neidern und Gegnern fehlen, welche ihn lächerlich und verhaßt zu machen suchten und ihn endlich anklagten, daß er die Götter des Vaterlandes verachte und die Jugend durch frevelhafte Grundsätze verderbe. Sokrates, bereits ein Greis von 70 Jahren, fand es feiner unwürdig, sich gegen solche Anklagen vor Gericht weitläufig zu verteidigen. Er berief sich kurz auf fein öffentliches Leben und versicherte, daß es feit 30 Jahren fein einziges Bestreben gewesen sei, feine Mitbürger tugendhafter und glücklicher zu machen. „Zu dieser Beschäftigung", schloß er, „hielt ich mich von Gott berufen, dessen Urteil ich ungleich höher ehre, ihr Athener, als das eurige." Trotz seiner ebeln Verteidigung wurde er durch die Überzahl von nur drei Stimmen zum Tode verurteilt. Er hörte das
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Urteil mit der größten Ruhe an, nahm Abschied von den Richtern, die für ihn gestimmt hatten, versicherte, daß er denjenigen, die ihn verurteilt hätten, gerne verzeihe, und daß er sich freue, zu den Geistern der edeln Männer ber Vorzeit hinüberzugehen, und schloß mit den Worten: „Dies haltet fest unb uubezweifelt im Herzen, baß bem guten Manne nichts Böses begegnet Weber im Leben noch im Tobe; bie Augen ber Götter stehen unverwandt über ihm unb seinem Schicksale offen. Auch mir ist bies baher nicht von ungefähr widerfahren, sonbern ich weiß gewiß, baß jetzt zu sterben unb von bem Joche erlöst zu werben besser für mich gewesen ist. Deswegen habe ich auch euch, meinen Verurteilern unb Anklägern, nicht zu zürnen. Zwar habet ihr in ber Absicht mich nicht angeklagt unb verurteilt, sonbern ihr gebachtet mir zu schaben unb berbienet beswegen allerdings getadelt zu werden. Darum nur bitte ich euch noch: Wenn meine Söhne heranwachsen und sie euch nach Reichtum oder sonst etwas mehr als nach Tugend zu streben scheinen, so züchtiget sie und thut ihnen wehe, wie ich euch wehe gethan habe, und wenn sie sich dünken, etwas zu sein, da sie nichts sind, so scheltet sie, wie ich euch gescholten habe. Wenn ihr das thut, so werdet ihr thun, was recht ist, an mir und meinen Kindern auch. Aber es ist Zeit, daß wir von hier gehen: ich, um zu sterben, ihr, um zu leben. Wer von uns zum Bessern hingehe, weiß niemand als Gott allein."
So kehrte er mit ruhiger Würde in das Gefängnis zurück. Seine Freunde, die von nun an täglich bet ihm waren, trafen Anstalt , ihn zu retten. Der Wächter war bestochen, die Thüre des Gefängnisses stand offen, Sokrates sollte entfliehen. „D meine Freunde!" erwiderte aber der Greis, „in welchem Lande könnte ich dem Tode entrinnen?" Sie meinten, er wäre es seinen Kindern schuldig, den Verfügungen einer ungerechten Regierung zuvorzukommen ; allein Sokrates erklärte, daß keine Ungerechtigkeit uns berechtigen könne, den Gesetzen des Vaterlandes ungehorsam zu sein. Beschämt und wehmütig verließ ihn die treue Schar, um am folgenden Tage früh wiederzukommen. Als sie eben eintraten, fanden sie die Gerichtsdiener, die dem Sokrates anzeigten, daß er noch vor Sonnen-
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Untergang den Giftbecher trinken müsse. „Ach," schluchzte einer der Freunde, „wenn du nur nicht so ganz unschuldig stürbest!" — „Und wolltest du denn lieber," erwiderte Sokrates mit Lächeln, „daß ich schuldig stürbe?" Darauf sprach er mit ihnen von der Unsterblichkeit der Seele und von dem Wiedersehen nach dem Tode bis zum Abend. Dann nahm er den Becher, betete, daß sein Ausgang von hinnen glücklich sein möchte, und leerte den Becher mit unverändertem, ruhigem Gesichte. Als das Gift zu wirken anfing, legte er sich nieder und hüllte sich in seinen Mantel ein. Man fragte ihn, ob er noch etwas verlange, aber er antwortete nicht mehr. Weinend drückten ihm die Freunde die Augen zu. Mit solcher Gelassenheit und Würde starb der weise Sokrates als ein Opfer der Bosheit und des Neides (399 v. Chr.). Erst nach seinem Tode erkannten die Athener ihr Unrecht. Die ganze Stadt legte Trauer an, als würde in jedem Hause ein Toter beweint. Seine Hauptankläger verurteilten sie zum Tode, die übrigen straften sie mit Landesverweisung. Ihm selbst errichteten sie eine prächtige Bildsäule und verehrten ihn fast wie einen Gott. Seine Lehren aber pflanzten sich durch seine Schüler fort und waren noch lange für viele eine reiche Quelle reinerer Sittlichkeit und Tugend, ohne daß sie jedoch den immer tiefern Verfall des griechischen Volkes im ganzen aufzuhalten vermochten.
Alexander.
Seit dem Ende des peloponnesischen Krieges war es aus mit dem Ruhme des griechischen Volkes, ja es hatte nachgerade die Ehre seines Namens so sehr vergessen, daß Griechen gegen Griechen von ihren Erbfeinden, den Persern, Unterstützung annahmen. Darum wurden sie auch in Bälde die Beute eines schlauen Eroberers, des Königs Philipp von Macedonien, dessen Sohn Alexander ihn noch an Größe und Ruhm überstrahlte.
Mit ausgezeichneten Anlagen ausgerüstet, erhielt Alexander den größten Weisen damaliger Zeit, Aristoteles, zum Erzieher, den er auch anfangs so sehr liebte, daß er oft sagte: „Meinem Vater ver-
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iSÄEli!
Fig. 11. Philipp und der junge Alexander.
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banse ich nur, baß ich lebe; meinem Lehrer, baß ich gut lebe." Seiber machten ihn aber bie unerhörten Schmeicheleien seiner Umgebung balb gleichgültig gegen ben ernsten Lehrer nüchterner Weisheit unb bescheibener Tugenb, unb seine Augen waren frühe auf bie glänzenben Thaten gerichtet, bie sein Vater in Griechenlanb vollführte. „Ach, mein Vater wirb mir nichts mehr zu thun übrig lassen!" hörte man ihn oft schmerzlich ausrufen. Jemanb, ber feine ungeheure Schnelligkeit im Laufen bewunberte, fragte ihn, ob er sich nicht in Olympia sehen lassen wolle. „Ja, wenn ich mit Königen um bie Wette laufen könnte!" entgegnete er. Die Gesänge bes alten griechischen Dichters Homer trug er immer bei sich unb hatte sie selbst bes Nachts unter seinem Kopfkiffen liegen; beim Homer hat ja besonbers Krieg unb große Helben besungen. Einmal würbe feinem Vater ein wilbes Pferb um ben ungeheuern Preis von 13 Talenten (über 16 000 Thaler) angeboten. Die besten Reiter versuchten ihre Kunst an ihm; allein es ließ keinen aufsitzen, unb Philipp befahl enblich, es wegzuführen, ba es kein Mensch brauchen könne. Da bat Alexanber seinen Vater, ihm bas Pferb einmal anzuvertrauen. Er ergriff basselbe beim Zügel, führte es gegen bie Sonne, ba er bemerkt hatte, baß es sich vor feinem eigenen Schatten fürchtete, streichelte es eine Zeitlang, ließ bann unvermerkt feinen Mantel fallen unb schwang sich plötzlich hinauf. Alsbalb flog bas Tier mit ihm blitzschnell bavon, unb alle Zuschauer zitterten für ihn. Als sie aber sahen, baß er wieber umlenkte unb bas Roß nach Willkür balb links balb rechts tummelte, bet erstaunten sie alle, unb Phitipp rief mit Freubenthränen, inbent er ihn umarmte: „Lieber Sohn! suche bir ein anberes Königreich; Macebonien ist zu klein für bich" (Fig. 11).
Achtzehn Jahre alt, kämpfte Alexanber bereits in ber Schlacht bei Chäronea (338 v. Chr.) mit, butch welche fein Vater sich Griechenlanb unterthänig machte, unb im 21. Jahre war er König von Mace-bonien (336). Nachbem er mehrere unruhige Nachbarn bezwungen, trat er (334) feinen ungeheuern Eroberungszug an, ber in wenigen Jahren bas große persische Reich zerstörte. Er setzte mit nur
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35 000 Mann nach Kleinasien über die Meerenge, damals Helles-pont genannt, fand aber gleich an dem nicht weit von der Küste strömenden kleinen Fluß Granicns ein persisches Heer versammelt. Um es anzugreifen, mußte man durch den Fluß. Erfahrene Feldherren widerrieten dies dem Alexander. Doch er rief: „Der Helles-pont würde sich ja schämen, wenn wir dies Flüßchen fürchteten!" stürzte mit seinen Soldaten hinein, watete glücklich hinüber, griff an, schlug die Feinde und erbeutete ihr Lager. Aber bald wäre der allzu mutige Führer selbst ums Leben gekommen. Zwei persische Generale sprengten auf ihn los — denn der hohe Federbusch auf spiegelblankem Helme machte ihn kenntlich —; der eine gab ihm einen Hieb auf den Kopf, daß der Helm zersprang, und als er sich zu diesem Gegner wandte, hob schon der zweite Perser den Arm zum Todesstreiche auf. In diesem Augenblicke eilte Klitus, ein braver Macedonier, herbei und schlug dem Perser mit einem fürchterlichen Hiebe von hinten Arm und Schwert zur Erde, indes Alexander den andern Perser erlegte.
Nun drang Alexander unaufhaltsam in Kleinasien vor. Darius erwartete ihn bei Jssus mit einem Heere von 600000 Mann. Aber wie eine schwere Gewitterwolke kamen die Scharen Alexanders unverzagt heran, so daß die Perser trotz ihrer Überzahl ein Grauen überfiel. Sie wichen zurück; bald löste sich das ganze Heer in wilde Flucht auf. Schrecklich war das Gemetzel; über 100 000 Perser blieben anf dem Platze. Darius' Wagen konnte wegen der Menge der um ihn aufgehäuften Leichen nicht von der Stelle gerückt werden. Der Perserkönig sprang hinaus, ließ Mantel, Schild und Bogen zurück, warf sich auf sein Pferd und jagte, ohne anzuhalten, Tag und Nacht fort. Seine Mutter, feine Frau, zwei Töchter und ein unmündiger Sohn sielen dem Sieger in die Hände. Sie brachen in lautes Wehklagen aus, weil sie glaubten, Darius sei erschlagen. Alexander aber tröstete sie und gab ihnen die Versicherung, daß Darius noch lebe. Er behandelte die hohen Gefangenen mit der größten Achtung und Ergebenheit, gerade als wäre die Familie eines Freundes zu ihm auf Besuch gekommen. Als später Darius hiervon
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glaubhafte Nachricht erhielt, streckte er voll Erstaunen seine Hände zum Himmel aus und rief: „Götter, erhaltet mir mein Reich, um mich dankbar bezeigen zu können; habt ihr aber den Untergang desselben beschlossen, so gebet es keinem andern als dem Könige von Macedonien!"
Nachdem Alexander Phönizien, Palästina und Ägypten erobert, wandte er sich wieder nach Asien, um Darius im Innern seines Reiches aufzusuchen. Vergebens ließ ihm dieser die Abtretung aller Eroberungen, die Hand seiner Tochter und 21 Millionen Gulden anbieten. Alexander wies den Friedeusantrag mit stolzer Verachtung zurück; doch versprach er dem Könige eine ehrenvolle Behandlung, wenn er zu ihm käme, sonst würde er ihn aufsuchen. Da wollte Darius noch einmal sein Glück versuchen; bei Arbela (331) erwartete er den Gegner mit einem ungeheuern Heere. Doch umsonst fochten die Perser wie Verzweifelte: Alexanders Kriegskunst siegte. Der unglückliche Darius floh und wurde von Alexander durch glühende Sandwüsten verfolgt. Das macedonische Heer verschmachtete hier fast vor Durst. Endlich hatte ein Soldat etwas Wasser aufgefunden
und brachte es dem König in seinem Helme. Als dieser aber sah,
daß seine Soldaten ebenso wie er vor Durst lechzten, sprach er:
„Soll ich denn der einzige sein, der trinkt?" und goß das Wasser
auf die Erde. Diese Enthaltsamkeit des Königs erfüllte alle mit solcher Bewunderung, daß sie ausriesen: „Auf, führe uns weiter; wir sind nicht müde, wir sind nicht durstig, wir halten uns nicht für sterblich, wenn ein solcher König uns führt!"
Der flüchtige Darius ward endlich von feinem eigenen Statthalter von Baktrien, Befsus, gefangen genommen und fortgeführt. Dieser Elende ließ sich sogar zum König ausrufen. Das hörte Alexander und jagte mit einem Trupp Reiter dem Verräter nach. Als dieser seine Verfolger in der Nahe witterte, versetzte er seinem Könige mehrere Dolchstiche und eilte dann mit seinen Leuten auf raschen Pferden davon. Alexanders Reiter fanden den Unglücklichen mit Blut und Staub bedeckt in den letzten Zügen liegen. Er bat sie um einen Trunk Wassers, und ein Macedonier brachte ihm etwas
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in seinem Helme. Erquickt sprach der Sterbende: „Freund, das ist das höchste meiner Leiden, daß ich dir die Wohlthat nicht vergelten kann; doch Alexander wird sie dir vergelten. Ihn mögen die Götter für die Großmut belohnen, die er meiner Mutter, meiner Gemahlin und meinen Kindern erwiesen hat. Hier reiche ich ihm durch dich meine Hand." Nach diesen Worten verschied er. Eben jetzt kam Alexander selbst herangesprengt. Gerührt betrachtete er die Leiche des Mannes, den er, ohne ihn zu hassen, so eifrig verfolgt hatte. Er breitete seinen Mantel über den Leichnam aus und ließ ihn nach Persepolis bringen, wo er in der königlichen Gruft feierlich beigesetzt wurde. Dann brach Alexander schnell wieder ans, um den schändlichen Mörder zu verfolgen, und ruhte nicht eher, bis er denselben eingeholt und grausam hatte hinrichten lassen.
Jetzt eilte Alexander mit seinem jubelnden Heere von Stadt zu Stadt, von Land zu Land. Die Beute war unermeßlich; die Soldaten schwelgten im Überflüsse. Doch bald änderte sich der Sinn der Macedonier, als ihr König selbst persische Sitten annahm und sogar verlangte, daß seine Soldaten und Freunde nach morgenländischer Manier vor ihm niederknieen sollten. Sein Stolz kannte keine Grenzen mehr und machte ihn gegen seine besten Freunde grausam. Bei einem Gelage erstach er einst in der Hitze der Trunkenheit seinen Lebensretter Klitus, weil dieser nicht in die Schmeicheleien gegen ihn eingestimmt hatte. Als er zur Besinnung kam, erstarrte er fast vor Schrecken über diese That. Drei Tage und drei Nächte brachte er weinend ohne Speise und Trank auf feinem Lager zu und rief unaufhörlich den Namen Klitus. Doch hatte auch diese bittere Reue feinen übermütigen Stolz nicht gebändigt. Er wollte nach wie vor als ein Gott verehrt sein und ließ einen seiner mace-dänischen Feldherren, der sich dessen weigerte, hinrichten. In seinem unersättlichen Ehrgeize faßte er den ungeheuern Plan, auch die mittägigen und abendländischen Erdgegenden seinem Scepter zu unterwerfen , als ihn infolge feiner Anstrengungen, zum Teil auch der Schwelgerei, der er sich ergeben hatte, ein hitziges Fieber im 33. Jahre
JBuntiiller u. Schuster, Weltgeschichte. 12. Aufl. 3
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seines Lebens plötzlich hinwegraffte (323 v. Chr.). Sein Tod war das Losungswort zu den blutigsten Kämpfen unter seinen Feldherren, und das unermeßliche Reich sank in Trümmer.
Das römische Reich.
Wom unter den Königen.
Das bedeutendste aller Reiche des Altertums ist ohne Zweifel das römisch e. Und doch wissen wir von den Anfängen Roms so gut wie gar nichts. Was uns hierüber überliefert wird, ist sagenhaft. So sollen die zwei Brüder Romulus und Remus (ums Jahr 753 v. Chr.) die Stadt erbaut haben. Hierauf hätten sie wegen der Benennung derselben Streit miteinander bekommen, und Romulus soll dabei seinen Bruder getötet und die Stadt nach seinem Namen genannt haben. Sicher ist aber das, daß Rom wirklich in der Mitte zwischen 800—700 v. Chr. entstanden ist und zunächst über 200 Jahre lang von Königen regiert wurde. Die Sage führt deren sieben ans: Romulus, Numa Pom-pilius,TullusHostilius,AncusMarcius,Tarquinius Priscus, Servius Tullius und Tarquinius Superbus. Letzterer soll durch unmenschliche Grausamkeit sich so verhaßt gemacht haben, daß man ihn wegen eines Verbrechens, das nicht er, sondern ein königlicher Prinz begangen hatte, absetzte und Rom als einen Freistaat (Republik) erkürte (510 v. Chr.).
Wom als Ireistaat.
Der junge Freistaat war ringsum von Feinden umgeben und hatte die schwersten Kämpfe um seine Existenz zu bestehen, von denen wir freilich nicht viel wissen. Um so mehr weiß die Sage zu berichten: ein Horatius Co cles verteidigt allein den Zugang zu einer Brücke, die hinter ihm abgebrochen wird; ein Mu cius Scä-vola wagt es sogar, dem feindlichen König Porsena im eigenen
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Lager nachzustellen, wird aber ertappt und streckt seine rechte Hand in die lodernde Flamme des Opferherdes. Diese und ähnliche Erzählungen sind sicher keine wirklichen Thatsachen; aber eines ist wahr: die Römer ruhten nicht, bis sie zunächst ihre unmittelbaren Nachbarn überwunden hatten. Aber damit hatten sie noch keine Ruhe. Neue Staaten erhoben sich gegen sie. So insbesondere die mächtige Handelsstadt Tarent in Unteritalien, die den kriegslustigen und eroberungssüchtigen König Pyrrhus von Epirus (in Griechenland) zu Hilfe rief (Krieg mit Tarent und Pyrrhus 282—272). Dieser kam gerne und siegte auch gleich in der ersten Schlacht über die Römer, hauptsächlich mit Hilfe seiner Elefanten, die seinen Feinden ein ungewöhnlicher Anblick waren und daher Verwirrung unter ihnen anrichteten (Fig. 12). Die Römer schickten nun einen der Ihrigen, namens Fabricins, an Pyrrhus, um wegen Auslösung der Gefangenen zu unterhandeln. Fabricius lebte zufrieden in der größten Armut, obschon er die höchsten Stellen im Staate bekleidet hatte; sein ganzes Silbergeschirr bestand aus einem einzigen kleinen Becher. Pyrrhus, der hiervon gehört, bot ihm als Zeichen seiner Hochachtung und Gastfreundschaft reiche Geschenke an. Fabricius nahm dieselben aber nicht an. Tags darauf wollte Pyrrhus seine Unerschrockenheit, die ihm gerühmt worden war, auf die Probe stellen. Er ließ daher seinen größten Elefanten, ein gewaltiges Tier, wie Fabricius noch keines gesehen hatte, vor der Audienz hinter einen Vorhang führen. Mitten im Gespräche gab er ein Zeichen, der Vorhang ward weggezogen und das Ungeheuer streckte mit einem furchtbaren Gebrüll seinen Rüssel über des Römers Kopf hin. Pyrrhus beobachtete neugierig die Mienen des Fabricius; aber dieser verzog keine Miene, machte nicht die geringste ängstliche Bewegung, sondern sagte ganz ruhig zu Pyrrhus: „So wenig mich gestern dein Gold gereizt hat, so wenig schreckt mich heute dein Elefant!" Pyrrhus trug ihm darauf an, als sein Freund und erster Feldherr bei ihm zu bleiben, aber umsonst. Um ihm einen Beweis seiner Achtung zu geben, erlaubte Pyrrhus allen römischen fnngenen zu einem gerade stattfindenden Volksfeste nach
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gehen, dort mit den Ihrigen fröhlich zu sein und sich nachher wieder in seinem Lager als Gefangene einzustellen. Sie gingen und kamen nach dem Feste auch richtig wieder; ja der Senat setzte Todesstrafe darauf, wenn einer von ihnen zurückbliebe. Man sieht, Römer und Griechen suchten hier durch Edelmut einander zu übertreffen.
Pyrrhus siegte durch seine Elefanten und durch die vorteilhafte Stellung, die er genommen, in einer zweiten Schlacht, verlor aber so viele Soldaten, daß er bestürzt ausrief: „Noch ein solcher Sieg, und ich bin verloren!" Im folgenden Jahre führte Fabricius selbst die römischen Heerscharen gegen Pyrrhns an. Da schlich sich ein griechischer Überläufer ins römische Lager uud brachte dem Fabricius einen Brief von Pyrrhus' Leibarzte, in welchem dieser sich erbot, gegen eine angemessene Belohnung den König zu vergiften und so die Römer von ihrem furchtbarsten Feinde zu befreien. Voll gerechten Unwillens sandte Fabricius den nichtswürdigen Brief sogleich an Pyrrhus, damit er erfahre, welch treulosem Verräter er sein Leben anvertraut habe. Gerührt über solchen Edelmut des Feindes, rief der König aus: „Eher könnte die Sonne aus ihrem Laufe als dieser Römer von dem Wege der Redlichkeit abgelenkt werden!" Er strafte deu Arzt, wie er's verdiente, und sandte den Römern zum Danke alle ihre Gefangenen ohne Lösegeld zurück. Sofort erhielt er aber eine ebenso große Anzahl von Gefangenen zurück, denn die Römer wollten an Großmut ihm nicht nachstehen.
Gerne benutzte Pyrrhus eine Einladung der Bewohner der Insel Sicilien, ihnen gegen ihre Feinde beizustehen, weil er den Edelmnt der Römer gebührend schätzte, auch nicht leicht eine jener fürchterlichen Schlachten wagen wollte, die gleich ein halbes Heer wegrafften. Nach zwei Jahren aber kehrte er auf vieles Bitten der Bewohner der Stadt Tarent, die von den Römern sehr bedrängt wurden, zurück. Da wurde ihm Curius Dentatus entgegengestellt, ein Mann, an Edelmut und Genügsamkeit dem Fabricius gleich. Als er das erste Mal das oberste Staatsamt eines Konsuls bekleidete, schickten die Samniter, die mit den Römern im Krieg lagen, Gesandte an ihn ab, damit er einen Frieden vermitteln helfe. Sie
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Fig. 12. Kriegselefant des Königs Phrrhus.
fanden den Konsul auf einer hölzernen Bank am Feuer sitzen und aus einer hölzernen Schüssel ein Gericht Rüben essen, welches er so-
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eben sich selbst gekocht hatte. Die Gesandten trugen ihm ihr Anliegen vor und boten ihm große Geschenke an. Er aber wies diese lächelnd von sich mit den Worten: „Ich will lieber über Reiche herrschen, als selbst reich sein!" Dieser Eurius also war jetzt Feldherr gegen Pyrrhus, und nun verlor dieser eine Schlacht. Die Römer hatten ein Mittel gegen die Elefanten erfunden; sie warfen mit einem furchtbaren Geschrei brennende Fackeln und Pechkränze zwischen die Untiere, so daß sie scheu und wild umkehrten, ihre eigenen Herren zertraten und das Heer in Unordnung brachten. Pyrrhus wurde so vollständig geschlagen, daß er sich nach Hause machte, um nie nach Italien wiederzukehreu (275 v. Chr.).
pte punischen Kriege.
Anfangs hatten die Römer nicht an Eroberungen gedacht; aber sie haben alle Kriege, zu denen sie von äußern Feinden gezwungen wurden, mit Mut und Beharrlichkeit zu Ende geführt, fo daß es bei ihnen zu einem Grundsatz wurde, mit keinem Feinde Frieden zu schließen, ehe er vollständig besiegt sei. So haben sie es schon im Kriege mit Pyrrhus gemacht, und bald darauf wurden sie Herren von ganz Mittel- und Unteritalien. Durch solche Erfolge wurden sie zu weitern Eroberungen angespornt, und die Gelegenheit dazu ließ nicht lange auf sich warten.
Damals war Karthago eine der mächtigsten Handelsstädte der Welt. Es war ungeheuer reich und hatte auch durch Gründung von Kolonien sein Gebiet bedeutend erweitert. Auch in Sicilien hatte es bereits ein großes Gebiet erworben, und es konnte kein Zweifel sein, daß die Erwerbung der ganzen reichen Insel das Ziel Karthagos war. Da aber der Besitz dieser Insel auch für die Römer von höchstem Werte war, so kam es hierüber zu einem Kriege zwischen den beiden Mächten (erster punischer Krieg, 264—241), der mit einer vollständigen Niederlage der Karthager endigte. Aber schon nach etwa 20 Jahren erneuerten die Punier (so wurdeu die Karthager als Nachkommen der Phönizier genannt) unter ihrem ebenso tapfern als klugen und listigen Feldherrn Hannibal den
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Krieg (zweiter panischer Krieg, 218—201), in dem die Römer anfangs nichts als Niederlagen, eine schrecklicher als die andere, erlitten. So sollen in der furchtbaren Schlacht bei Cannä (216) über 70 000 Mann gefallen sein, und Rom war in der bedingtesten Lage. Aber die Römer verzweifelten nicht; solange Hannibal in Italien stand, war nach ihrem Grundsätze an einen Friedensschluß gar nicht zu deuten uud so führten sie den Krieg noch volle 15 Jahre fort; das Ergebnis war eine vollständige Unterwerfung der Feinde.
Die Ruhe, die nun Rom vor Karthago hatte, benutzte es zur Unterwerfung von Syrien (189) uud Macedonien (168). Inzwischen war aber in Karthago der Handel wieder aufs neue aufgeblüht , was man in Rom sehr ungern sah. Namentlich war es der alte, strenge Ratsherr Cato, der jede Rede, die er im Senat hielt, mit den Worten schloß: „Und endlich sage ich noch, Karthago muß zerstört werden." Aber Karthago trieb ruhig seinen Handel und hütete sich wohl, die Römer zu beleidigen.
Da mußte es nun geschehen, daß Massinissa, der König des benachbarten Numidiens, ein Freund unb Bundesgenosse der Römer, ohne alles Recht in das Gebiet der Karthager einfiel. Zu den Waffen durften diese nicht greisen, das wußte Massiuissa wohl; vielleicht war er selbst von den Römern zu seinem widerrechtlichen Vorgehen aufgehetzt worden, damit sie eine Veranlassung zu dem Vertilgungskriege gegen Karthago fänden. Daher benahm er sich auch mit jedem Tage übermütiger und setzte seinen Neckereien keine Grenze. Die bedrängten Karthager erhoben hierüber bittere Klagen in Rom, wurden aber kaum angehört. Da endlich gebrauchten sie das Recht der Notwehr und ergriffen gegen den übermütigen Nachbar bie Waffen. Zn gleicher Zeit aber schickten sie schleunigst Gesandte nach Rom, um wegen biefer Notwehr um Verzeihung zu Bitten unb Laub unb Volk ben Römern zu unterwerfen. So gewaltig wirkte ber Schrecken bes römischen Namens ober bas Gefühl eigener Schwäche unb Wehrlosigkeit! Die Römer forberten 300 ber vornehmsten Jünglinge als Unterpfanb ihrer Unterwerfung. Sie würben ihnen ausgeliefert. Jetzt forberten bie Römer bie Auslieferung ber Schiffe.
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Auel) diese wurden ausgeliefert; die Römer verbraunten dieselben mit höhnendem Übermute vor den Augen des zitternden Volkes. „Auslieferung aller Waffen und Kriegsvorräte!" lautete da wieder der Befehl. Mit schweigender Angst gaben die Karthager auch diese hin. Nachdem sie so entwaffnet und aller Verteidiguugsmittel beraubt waren, kam der letzte und furchtbarste Befehl: „auszuziehen mit Weib und Kind von der Heimat, zu zerstören mit eigener Hand die Stadt und einige Meilen von der Küste sich neue Hütten zu bauen"!
Jetzt aber ergriff die Karthager die Wut der Verzweiflung; alles verwünschte und verfluchte den römischen Namen. Sie schworen, mit ihrer Stadt unterzugehen. Sofort begannen die Notanstalten der Gegenwehr. Die Thore wurden tierrammt, der Hafen mit einer langen Zugkette gesperrt, die Giebel der Häuser abgetragen, um das Holz zum Schiffbau zu gebrauchen. Ganz Karthago glich einer großen Werkstätte; in allen Straßen wurde gehämmert, gehobelt, geschmolzen. Die Weiber schnitten ihr langes Haar ab, um Taue und Sehnen zu flechten, eine halbe Million Menschen wetteiferte in Darbringung freiwilliger Gaben und Opfer. Vor den Thoren stand Karthagos Feldherr Hasdrubal mit einem Heere. Zwei Jahre lang schlugen die Verzweifelnden alle Angriffe der Belagerer siegreich zurück; da schickten die Römer den Konsul Scipio Ämilianus dahin. Dieser berühmte Kriegsheld erstürmte endlich im dritten Jahre der Belagerung, im Jahre 146 v. Chr., die Mauern, und die Römer drangen in die Stadt (Fig. 13). Ein furchtbares Gemetzel begann jetzt in den Straßen, in den Häusern, sechs Tage lang, mitten zwischen den Trümmern und Flammen der angezündeten Stadt. Siebenzehn Tage hindurch stand sie in heller Lohe. Was des Römers Schwert nicht traf, gab sich selbst den Tod; Tausende stürzten sich in die Flammen. Scipio selbst vergoß bei dem Anblicke des namenlosen Elendes, unter düsterer Ahnung des künftigen Schicksals seiner eigenen Vaterstadt, Thränen der Wehmut. Nach der mörderischen Verteidigung waren kaum noch 50 000 Unglückliche Übrig, die zu Sklaven gemacht wurden. So sank Karthago,
Fig. 13. Scipio erstürmt Karthago.
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die Handelskönigin der Welt, in Schutt und Asche! Wilde Tiere und barbarische Völker hausen heutzutage auf der Stätte, wo Karthago 700 Jahre lang in regem Kunstfleiße stand und blühte.
Werderönis Worns.
Mit den ungeheuern Eroberungen verbreitete sich in Rom ein immer größeres Sittenverderbnis. Die vielen Siege hatten daselbst
Fig. 14. Das Kolosseum in Rom.
unermeßliche Reichtümer aufgehäuft und zu grenzenloser Üppigkeit und allen Lastern, die im Gefolge derselben sind, geführt. Der Römer liebstes Vergnügen wurde, Menschen aus Leben und Tod
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gegeneinander kämpfen zu sehen. Dies geschah in den Amphitheatern, deren größtes in Rom, von Vespasian erbaut, zum ^eil noch steht und Kolosseum genannt wird; es faßte 80 000 Zuschauer (Fig. 14). Das immerwährende Leben in Feldschlachten und ihre unerhörten Ausschweifungen hatten die Herzen der Römer so schrecklich abgestumpft und verwildert, daß sie am Ende kein Spiel mehr sehen mochten, wobei nicht gemordet wurde. Schreckliche Bürgerkriege lösten einander beständig ab; das ganze Reich teilte sich in Parteien, die mit Vermögenseinziehungen, Ächtungen, Hinwürgen von sausenden gegeneinander wüteten. Als z. B. einst Sulla als Sieger über die Partei des Marius in Rom eingezogen war, ließ er 6000 Mann, die auf das Versprechen der Begnadigung sich ihm ergeben hatten, mit gebuudenen Händen in einen Kreis zusammentreiben. Auf einen Wink von ihm fielen seine Soldaten über die 6000 Unglücklichen her und hackten sie nieder, wie man trockenes Gesträuch niederhaut, machten zuweilen ermattet eine Pause und setzten dann nach kurzer Erholung ihre Blutarbeit wieder fort.
Ähnliche Zustände herrschten in allen dem römischen Scepter unterworfenen Ländern. Jetzt, da alle Religion verfallen und die ganze Menschheit in greuliche Sittenlosigkeit und in das tiefste Elend versunken war, da war die Fülle der Zeiten gekommen, wo erscheinen sollte der Gottessohn Jesus Christus, hochgelobt in Ewigkeit! Dies trostreiche Ereignis fällt in die Regierungszeit des Kaisers Angnstus, der die römische Republik gestürzt und sie in ein Kaiserreich umgewandelt hatte.
Die wichtigsten Ereignisse aus der Ieit nach Christi Geburt.
Gründung und Ausbreitung der christlichen Kirche.
Zu Bethlehem, in Davids Vaterstadt, kam Jesns Christus gemäß der alten Verheißung, aus der seligsten Jungsrau geboren, zur Welt unter der Regierung des römischen Kaisers Augustus,
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beffen Schwiegersohn unb Felbherr Agrippa gerabe um biefe Zeit aßen Göttern zu Rom einen Tempel (Pantheon) Baute. Bis zu
[einem dreißigsten Jahre lebte Jesus in stiller Verborgenheit unb
nahm zu, wie an Alter, so an Weisheit unb ©nabe vor Gott unb
ben Menschen. Dann zog er brei Jahre lang wunberbar lehrenb unb heilenb in ben Stabten unb Flecken Palästinas umher unb verkündete Worte bes ewigen Lebens. Er bezeichnete jeben seiner Schritte burch Wohlthun unb Segen, unb burch ihn kam vom Fimmel herniebcr Friebe unb Freube. Weil aber seine einfach
großen Lehren ben Satzungen ber stolzen, heuchlerischen Pharisäer unb ungläubigen Sabbucäer wibersprachen, so würbe er aufs grimmigste verfolgt unb starb zuletzt ben schmählichsten Tob am Kreuze, um uns burch ben unenblichen Wert seines Blutes von ber Sünde unb bem ewigen Tobe zu erlösen unb uns Gottes heiligmachenbe Gnade wieber zu erwerben. Aber am brilten Tage erstand er glor-reich aus bem Grabe, zeigte sich seinen betrübten Jüngern, tröstete unb stärkte sie unb fuhr bann hinauf gen Himmel, wo er jetzt sitzet zur Rechten seines Vaters.
Am Tage ber Pfingsten, an welchem seit uralten Zeiten ganz Israel bie Gesetzgebung bes Alten Bundes auf Sinai feierte, fanbte jesus Christus unter Zeichen unb Wunbern ben verheißenen Heiligen Geist über bie versammelten Jünger unb rüstete sie mit besten ©nabengaben zur Verkünbigung bes Gesetzes bes Neuen Bunbes aus. Auf bie erste Rebe, bie Petrus noch an bemselben Tage hielt, ließen sich breitausenb Juben taufen. Balb barauf aber gingen bie heiligen Apostel in alle Länber bes römischen Erbkreises, warfen burch ihre gottbegeisterte Predigt überall bie heibnischen Götzenbilber nieber und steckten bie siegreiche Fahne bes Evangeliums auf. Von ber Westküste Griechenland bis zum Persischen Meerbusen, von bort bis zum Hellespont unb von bem Hellespont bis zu ben Ufern ber Tiber ertönte jetzt ber Name unb bie Lehre Jesu. Beinahe in allen großem Stabten würben von ben Aposteln unb Apostelschülern Gemeinden gegrünbet. Über jebe einzelne Geineinbe war ein Vorsteher gesetzt. Man nannte biesen mit einem griechischen Worte
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Episcopus, d. i. Aufseher, unb hiervon stammt unser Wort Bischof. Ihm zur Seite stauben Gehilfen, bie gewöhnlich aus ben Ältesten ber Gemeinbe gewählt würben unb bähet Presbyter! (Alte) hießen, woher unser Wort Priester. Unter ben Bischöfen, die als Nachfolger der Apostel bie oberste Leitung bet Kirche hatten, galten als bie angesehensten bie in ben biet Hauptstäbten bes römischen Reiches, in Rom, Alexandria, Antiochia unb Jerusalem, zu benen später noch der von Konst ant in op el kam. Der erste aller Bischöfe war jedoch der Bischof von Rom, der Nachfolger des hl. Petrus, der dort seinen bleibenden Sitz gegrünbet hatte. Man nennt ihn von seinem Oberhirtenamte Papst, d. i. Vater, ober Heiliger Vater. Von Rom aus strömte bas Licht bes Evangeliums nach unb nach in alle Welt, unb die Stadt des Romulus ward zur ewigen Stadt der Kirche.
Bald hatte sich, wo immer die heiligen Sendboten ihren Fuß hinsetzten, alles verändert. Die Schwelgerei, die Unzucht, die Grausamkeit, die Ehr- und Geldgier verschwand; an die Stelle der schändlichen Götzenopfer und der übrigen Greuel der Abgötterei war die Anbetung Gottes im Geiste und in der Wahrheit, war Sittenreinheit und Heiligkeit des Wandels getreten. Das Wort vom Kreuze, von der Selbstverleugnung, der Demut, Keuschheit rc., das dem Ohre des irdischen Menschen so hart klingt — es hatte dennoch bei den Rohen und Abergläubischen, bei den Jrdischgesinnten und Ungläubigen, bei Ungelehrten und Gelehrten freudigen Glauben und treuen Gehorsam gefunden, und hatte sich als die Kraft Gottes erwiesen, selig zu machen alle, die daran glauben. Vereint in hei-liger Liebe, glücklich in der Hoffnung der himmlischen Güter, stellten sich die Christen dar als eine heilige Familie, die leiblich noch auf Erden, dem Geiste nach bereits im Himmel lebte. „Bei den Christen", schreibt von dieser Zeit der heilige Bischof Theophilus, „wohnt die Mäßigkeit, blüht die Enthaltsamkeit, wird die Ehe heilig gehalten, die Keuschheit bewahrt, die Unzucht verbannt, die Sünde ausgerottet, die Gerechtigkeit ausgeübt, das Gesetz beobachtet, die Verehrung Gottes gehandhabt, Gott einmütig bekannt; die Wahrheit führt, die
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Gnade beschirmt, der Friede behütet, das heilige Wort leitet, die Weisheit belehrt, das Leben regiert sie: — der in ihnen königlich gebeut, ist Gott selber." Solche wunderbare Veränderung hatten einige wenige Männer ohne Weltweisheit, ohne irdische Macht, lediglich durch die Waffe des Evangeliums und die Kraft des Heiligen Geistes vollbracht, damit sich das Christentum vor aller Augen als göttliches Werk offenbare.
Are alten Deutschen.
Inzwischen hatte noch ein anderes, wenn auch weit minder bedeutsames Ereignis die Aufmerksamkeit der ganzen römischen Welt auf sich gelenkt — wir meinen die Niederlage der römischen Waffen in unserem deutschen Vaterlande, das jetzt erst bestimmter auf dem Schauplatze der Geschichte auftrat und eine nähere Schilderung verdient.
Das alte Deutschland, vou den Römern Germania genannt, erstreckte sich vom Rhein bis zur Weichsel uud von der Donau bis zur Nord- und Ostsee. Dichte Wälder, weite Sümpfe und Steppen bedeckten das Land. An Getreide konnte man nur Gerste und Haber bauen, doch die Weiden waren schön. Statt edler Obstbäume kannte man nur einige Arten wilder Beeren und Baumfrüchte. Dennoch war dieses Land seinen starken, in Felle gekleideten Bewohnern (Fig. 15), die sich namentlich durch blaue Augen und gelbe Haare von andern Völkern unterschieden, unendlich teuer; denn sie liebten die Freiheit über alles. Sie besaßen weder Städte noch Dörfer; ihre Wohnungen waren einzelstehende und eingehegte Hütten, deren eine Anzahl eine Mark oder einen Gau bildete. Ihre Lieblings-beschäftigung war nebst dem Kriege die Jagd und diese selbst ein Krieg, da sie nicht nur gewöhnlichem Wilde, sondern auch grimmigen Wölfen, Bären und Auerochsen galt. Der Ackerbau und die häuslichen Arbeiten wurden den Frauen und Knechten überlassen und schienen den freien Männern schimpflich. Mit Recht wurden an den Deutschen Zucht, Keuschheit, Treue und edle Gastfreundschaft gerühmt. Was ein Deutscher versprochen hatte, das hielt er unver-
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brnchlich, weshalb deutsche Redlichkeit sprichwörtlich geworden ist, und ein deutscher Mann ebensoviel heißt als ein Mann, auf den
Fig. 15. Ein ©ermatte.
man fest vertrauen darf. Diese Tugenden wurden aber durch Nei-guug zu Trunk uud Würfelspiel verdunkelt, bei dem der Deutsche zuweilen selbst die teure Freiheit einsetzte.
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Die Religion der Deutschen war im Verhältnis zn dem Götzendienste anderer Völker weit reiner, doch nicht ohne Menschenopfer. Sie bauten keine Tempel und hatten keine Götzenbilder, sondern verehrten ihre Gottheiten in Hainen und Wäldern. Götter und Göttinnen waren kriegerischer Natur. Wodan oder Odin war der Weltbeherrscher oder Schlachtengott; ihm zur Seite stand seine Gemahlin, die Jägerin Hulda. Deren Hof, der Himmel, hieß Walhalla, der Aufenthalt der Helden. Hela, die Hölle, war der Strafort der Feigen und Bösen. Sehr eigentümlich und ihren Sitten entsprechend waren die Vorstellungen der alten Deutschen von dem Zustande jenseits. Nach diesen belustigten sich dort die Helden mit Gefecht, tranken köstliches Bier aus großen Hörnern oder wohl gar aus den Hirnschädeln erschlagener Feinde, wie sie es oft auch im Leben thaten. Daher wurden bei Begräbnissen dem Toten seine Waffen mitgegeben, man verbrannte sein Pferd und seine Hunde, auch manchmal Knechte mit dem Leichname des Herrn, damit er sich deren auch in der andern Welt bediene. Vornehmen Männern schüttete man große Grabhügel auf, deren man noch da und dort in den Wäldern sieht.
Das ganze Volk bestand aus Freien und Knechten; letztere empfingen Haus und Hof und ein Stück Land gegen eine Abgabe an Getreide, Vieh oder gewebtem Zeuge. Nur die Freien durften Waffen führen und teilten sich in edle und gemeine Freie: Adel und Volk. Aus jenen wurden die Könige, die Häuptlinge des Volkes, erwählt; die Herzoge, Anführer, wurden nach Mannestugenden aus dem Adel erkoren. Jeder Freie war Mitglied der Volksversammlung, welche am Neu- und Vollmond zur Entscheidung aller wichtigen Angelegenheiten gehalten ward. Jeder, der Ansehen, Alter, Erfahrung und Tugenden besaß, redete einfach und kurz, Gründe bringend, nicht befehlend. Mißfiel der Vorschlag, so ward er durch Zischen und Gemurmel verworfen; gefiel er, so schlugen die Anwesenden klirrend die Waffen zusammen. Der Gemeinde standen Priester vor; diese erhielten durch das Ansehen der allein gefürchteten Gottheiten Ruhe und Ordnung unter der Menge.
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Bei großer Gefahr wurden alle freien Männer aufgeboten, das hieß der Heerbann. Er zog aus unter dem von den Priestern getragenen Banner der Gottheit. Ging der Zug in ein fremdes Land, so folgten auch die Weiber und Kinder; erstere standen an Tapferkeit den Männern nicht nach und begeisterten sie zum Streite. Oft versammelten sich kriegslustige Jünglinge um einen bewährten Anführer und schwuren ihm Treue bis in den Tod; diese Waffenfreundschaft nannte man das Gefolge. Befand sich das Vaterland im Frieden, so zogen die Deutschen oft in ganzen Scharen aus und suchten draußen Kampf und Beute.
Der Jüngling empfing die Waffen in der Volksversammlung mit großer Feierlichkeit und wurde hierdurch für einen Mann und ein Glied des Volkes erklärt; dies nannte man wehrhaft machen. Von diesem Augenblicke an legte er die Waffen nie mehr ab. Zn Hause und auf dem Felde führte ein jeder seine Waffen bei sich; mit ihnen ging er zu Tisch, zu öffentlichen Gastmählern, in die Versammlungen des Volkes, vor Gericht; mit ihnen legte er sich schlafen, und selbst den Toten wurden, wie bemerkt, Waffen mit ins Grab gegeben. Diese bestanden in Schild und Speer. Aus Mangel an Eisen trugen nur wenige Panzer oder Helme, selten Schwerter. Die Schilde waren von Holz oder Weidengeflecht. Wer seinen Schild im Stiche ließ, war ehrlos; er wurde von dem Gottesdienste und der Volksversammlung ausgeschlossen. Die Stärke der Deutschen bestand im Fußvolke, und dieses war mitunter so behende, daß es mit den Reitern Schritt hielt; im Vordertreffen standen daher Reiter und Fußkämpfer in vermischten Reihen. Die Schlachtordnung war meistens keilförmig. Vor der Schlacht wurde ein Schlachtgesang angestimmt.
Die deutsche Nation zerfiel in verschiedene Völkerschaften. Die hauptsächlichsten derselben waren die Cherusker am Harz und an der Oberweser; die Friesen an der Nordsee; die Sachsen zwischen Elbe, Weser und Rhein; die Langobarden am rechten Elbe-Ufer; die Franken, die am Niederrhein und um den Main wohnten und sich später über ganz Frankreich verbreiteten; die Alemannen
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zwischen der Donau, dem Lech und der Alb, und die Bavciren (Bayern) born Lech bis zur Enns.
Wegen der Tapferkeit der Deutscheu suchten die Römer nicht bloß eine Menge derselben in ihrem Dienste zu haben, sondern bertranten ihnen zuletzt die Führnug ihrer eigenen Heere an. Die römischen Kaiser hörten es gerne bon sich rühmen, daß sie Deutschland besiegt hätten, und hielten in Rom öfters Triumphzüge. Deutschland war und blieb aber thatsächlich uubezwungen. Auch wagten sich die Römer nur einigemal über den Rhein; nachher blieben sie gerne jenseits, befestigten die Ufer des Rheins und der Donau, legten mehrere Burgen au, aus denen zum Teil Städte geworden sind, wie Augsburg, Regensburg, Köln, Mainz, Speier, Worms. Hier hielten sie ihre stärksten und tapfersten Kriegsheere, um den Deutschen den Übergang in römisches Gebiet zu wehren.
Die Kermannsschkacht.
Ein Stiefsohn des Kaisers Augustus war so glücklich gewesen, bis an die Elbe borzudringen, so daß die Römer die Gegenden des heutigen Westfalen schon ganz als unterjochtes Land glaubten behandeln zu können. Barns, welchen Augustus später als Feldherrn abgeschickt, bersuchte sofort, die römische Sprache, Gesetze und Sitten den Deutschen aufzudringen. Zum Zeichen seiner Richtergewalt uud seines Rechtes über Leben und Tod ließ er auch gemäß der Sitte Roms Ruten unb Beile bor sich hertragen. Dies empörte den deutschen Freiheitssinn. In kurzem war die Gärung der Gemüter allgemein, und zum Ausbruche derselben fehlte nur ein entschlossener Anführer. Auch dieser fand sich in Hermann ober, wie ihn die Römer nannten, Armintus, dem Sohne eines Fürsten der Cherusker. Er war, wie diele andere deutsche Jünglinge, in Rom als Geisel erzogen worden und hatte sich in den Heeren ausgezeichnet. Ergrimmt über die Schmach seines Volkes, entwarf er mit den Edelsten der Stämme einen großen Rettungsplan. Dem wohl überlegten Entschlüsse folgte bie rasche That. Um Barus born Rheine weg in bas innere Deutschlanb zu locken, melbet man ihm,
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Fig. 16. Die Hermannsschlacht.
cs sei ein Aufstand unter ben Völkern an ber Weser ausgebrochen. Die beutjchen Fürsten raten ihm, hinzuziehen unb bie Empörung zu bämpfen; sie selbst versprechen, mit ihren Völkern zu ihm zu stoßeu. Varus geht in alle Schlingen, welche ihm gelegt werben. Er bricht mit 40 000 Mann Kerntruppen auf unb bringt in bett Teutoburger Walb. Nirgenbs sinbet er gebahnte Wege, überall bicht verwachsenes Gehölz. Heftig herabströmenber Regen, schlüpfriger, sumpfiger Bobeit hemmen bie Schritte seiner schwer bewaffneten Krieger. Fürchterliche Stürme heulen in ben Gipfeln ber Bäume unb vermehren bett Schrecken. Da brechen bie Verbünbeten plötzlich von allen Seiten aus bem Hinterhalte hervor unb schleuberu von ber Höhe ihre Geschosse herab. Drei Tage unb brei Nächte kämpft ber Überlistete mit seinen ermatteten Solbaten gegen Feinb unb Ungewitter; nirgenbs erscheint Rettung, nirgenbs ein Strahl von Hoffnung. Da stürzt er sich verzweifelnb itt sein Schwert; bas ganze schöne Heer wirb gefangen genommen ober niebergehctuen. Viele Gefangene werben ben Göttern geopfert; mancher Vornehme, betn in Rom sogar ber Senat offen stctnb, würbe Leibeigener im unwirtlichen Deutschland
Diesem Siege verbankte Deutschlanb (im Jahre 9 n. Chr.) seine Rettung unb Freiheit. In Rom verbreitete bie Nachricht von bem furchtbaren Geschicke bes stolzen Heeres Schrecken unb Entsetzen. Augustus ließ Bart unb Haupthaare wachsen, rannte wie ein Wahnsinniger mit bem Kopfe gegen bie Wanb unb rief: „Varus, Varus, gieb mir meine Legionen wieber!" Als brohte bereits bem ganzen römischen Reiche ber Einsturz, eilten alle verfügbaren Truppen an bett Rhein. Da sie aber ankamen, fanbett sie keinen Feinb; bettn bie Deutschen wollten keineswegs Eroberttttgett machen, sonbern nur ihre Freiheit retten.
Zerstörung Jerusalems.
Siegreicher als in Deutschlanb kämpften bie römischen Waffen in einem weit entfernten Erbteile, in bem Laube ber Juben. Nachbetn biefes Volk an bett Gottessohn, ber vor allem ihm geschenkt war, bie mörberifche Hand gelegt hatte, blieb ihm noch eine Frist,
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durch bußfertige Annahme des Christentums die Blutschuld zu tilgen und die Liebe Gottes, die so sichtbar von ihm gewichen, sich wieder zu verdienen. Als aber auch diese letzte Frist nutzlos verstrichen war und das unselige Volk in hartnäckiger Verblendung sich noch mit der Hoffnung trug, daß einer aus seiner Mitte die Welt beherrschen werde, nahte der Tag heran, an welchem das entsetzliche Wehe, welches der Heiland unter Thränen vorherverkündet hatte, über Jerusalem hereinbrechen, das Blut des Gottmenschen über die Kinder des verworfenen Israel kommen sollte.
Die Juden wurden durch manche Vorzeichen auf das drohende Strafgericht aufmerksam gemacht, nach dem Worte Jesu: „Es werden Zeichen sein" (Luk. 22, 25). An Ostern wurde auch des Nachts Gottesdienst gehalten. Da geschah es, bevor der jüdische Krieg anfing, daß nachts um 9 Uhr, als das Volk im Tempel versammelt war, auf einmal eine große, sonderbare Helle, so stark wie die Tageshelle, am Altar und im Tempel eine halbe Stunde
lang strahlte. Das Thor zum Vorhofe des Tempels war von Erz
und so schwer, daß 20 Männer gebraucht werden mußten, die es jeden Abend mit Mühe verschlossen; dasselbe wurde dann mit eisenbeschlagenen Balken verwahrt. Dieses Thor ging mitten in der Nacht im Angesichte der Tempelwache von selbst auf. In der Nacht vor
dem Pfingstfeste hörten die Priester im Tempel ein Rauschen uud
Getös und dann viele Stimmen rufen: „Lasset uns von dannen ziehen!" Am Himmel aber sah man einmal vor Sonnenuntergang Erscheinungen, wie große Kriegsscharen miteinander streiten, nnd einen brennenden Tempel.
Bald darauf fingen die Juden einen Aufruhr und Krieg gegen die Römer an. Weil sie das schon öfters zuvor gethan hatten, so ward der Sohn des Kaisers, Titus, als Feldherr gegen sie gesandt, um diesmal mit der größten Strenge wider sie zu verfahren. Es war im Februar des Jahres 70 n. Chr., als Titus mit einem auserlesenen Heere bis auf geringe Entfernung vor Jerusalem heranrückte. Dieses hatte von Natur eine sehr vorteilhafte Lage, da es ans Bergen an jähen Abgründen erbaut war, und durch Kunst
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war es zu einer der festesten Städte des Altertums gemacht worden; starke Mauern und feste Türme sicherten die Stadt gegen Bestürmung.
Unter den Türmen zeichneten sich vier durch ihre Pracht und Größe besonders aus; jeder von ihnen war ein Palast und ein Bollwerk. Alle Pracht und Größe der Gebäude aber, mit welchen Jerusalem geschmückt war, schwand dahin vor der Herrlichkeit des Tempels, der hoch über der Stadt emporragte und, aus ungeheuern Steinen geglätteten Marmors erbaut, von weitem wie ein blendender weißer Berg erschien. Nach einem vergeblichen Versuche, den Juden friedliche Gesinnungen einzuflößen, befahl Titus, Erdwülle auszuwerfen. Als diese vollendet waren und nun auf einmal an drei Orten die Mauer der Neustadt mit krachendem Getöse von ungeheuern Mauerbrechern getroffen ward, da erhoben die Einwohner ein lautes Geschrei, und Schrecken ergriff selbst die Beherztesten. Trotz tapferer Gegenwehr fiel die Mauer am 15. Tage der Belagerung, nnd Titus begann sogleich den Angriff auf die zweite Mauer. Drei Tage darauf durchbrach er auch diese und warf sich mit deu Tapfersten seines Heeres in die niedere Stadt. Die Juden überfielen ihn indes von allen Seiten, aus den Gassen, deren genaue Kenntnis sie begünstigte, von den Dächern und von den Mauern. Drei Tage wehrten sie den Römern den Eingang; den heftigern Angriffen des vierten Tages mußten sie weichen. Da sann Titus auf den Sturm der dritten Mauer und ließ, um den Juden jeden Ausgang abzuschneiden und jede Hoffnung auf Rettung zu benehmen, einen Wall rings um die Stadt aufwerfen. So ward erfüllt, was der Sohn Gottes mit Thränen gesagt hatte: „Es werden Tage über dich kommen, da deine Feinde mit einem Walle dich umgeben, dich ringsum einschließen und von allen Seiten dich beängstigen werden" (Luk. 19, 43). Es riß jetzt eine Hungersnot ein, die von einem Tage zum andern fürchterlicher wütete und deren Elend durch tödliche Seuchen noch vermehrt wurde. Was die elendesten Tiere nicht fressen, wurde begierig von den Menschen verschlungen: Schuhe, altes Leder, selbst verdorbenes Heu, ja Kot der Tiere. Männer
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entrissen den Weibern, Weiber den Männern, Kinder den Eltern lind Mütter ihren zarten Kleinen den Bissen, ja Mütter schlachteten schließlich sogar ihre kleinen Kinder nnd nährten sich vom Fleische derselben. Ganze Häuser, ganze Geschlechter wurden von der Hungersnot hinweggerafft. Die flachen Dächer waren bedeckt mit verschmachteten Weibern und Kindern, die Gassen mit abgezehrten Greisen; Jünglinge und Männer wankten nur noch umher und sanken endlich tot nieder. Manche schlichen, um nicht unbegraben zu bleiben, zu den Gräbern, ehe ihre Stunde gekommen war. Kein Jammer erscholl, man vernahm feine Klage; langsam Sterbende sahen mit starren Blicken auf die schon Toten. Nächtliche Stille herrschte ringsumher über Sterbenden und Toten, außer wo sie gestört ward durch das Geräusch der Waffen. Vom 24. April bis zum 1. Juli wurden zu einem einzigen Thore bei 116 000 Leichen hinausgeschafft, und da die Hände zum Begräbnis so vieler Leichen fehlten, dieselben kurzweg über die Mauern hinabgeworfen. So ging das weitere Wort in Erfüllung: „Es wird alsdann eine große Trübsal sein, dergleichen von Anfang der Welt bis jetzt nicht gewesen ist, noch fernerhin fein wird" (Matth. 24, 21). Den größten Vorschub that den Römern der Umstand, daß die Inden untereinander selbst in Parteien zerfallen waren, die noch ärger als der Feind gegeneinander wüteten. „Die unselige Stadt", bemerkt der jüdische Geschichtschreiber Josephus, „sah einem rasenden wilden Tiere gleich, welches in Ermangelung anderer Nahrung wider sein eigenes Fleisch wütet."
So gelang es Titus, bis gegen den Tempel heranzurücken. Obwohl er die Juden bereits wiederholt, aber vergeblich mit milden Worten zur friedlichen Übergabe hatte auffordern lassen, so erneuerte er feinen Antrag doch noch einmal. „Ich rufe," so ließ er ihnen sagen, „ich rufe die Götter meines Vaterlandes, und wofern je ein Gott auf diese Stätte herabsah — denn ich glaube nicht, daß er es jetzt noch thue —, so rufe ich auch den, sowie mein Heer und die Juden, die bei mir sind, zu Zeugen an, daß ich euch nicht nötige, den Tempel zu beflecken. Wofern ihr euch nur unterwerfet, so wird kein Römer dem Heiligtume sich nahen. Den Tempel werde
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ich erhalten, auch wenn ihr es nicht wollet!" — Allein die Juden legten seine Großmut für Furcht aus uud verwarfen seine Ermahnungen mit Hohn. Da begann Titus ungesäumt die Erstürmung des Tempels. Sechs Tage lang ließ er ungeheure Mauerbrecher gegen den Tempel spielen, ohne aber auch nur dessen Erschütterung bewirken zu sönnen. Auch ein Sturm, den er wagte, wurde mit großem Verluste abgeschlagen. Da ließ er Feuer an die Thore des innern Hofes anlegen, welches das Silber, mit dem sie belegt waren, schmolz, daß Holz anzündete und bald in den Säulengängen um sich griff. Die Glut dauerte den Tag und die ganze Nacht hindurch. Am folgenden Tage befahl Titus, das Feuer zu loschen. Während aber seine Soldaten diesem Befehle nachkamen, begannen die Juden mit ihnen ein neues Gefecht, wurden jedoch zurückgetrieben und bis an den innern Tempel verfolgt. Da ergriff ein römischer Soldat in dem allgemeinen Getümmel und Handgemenge einen lodernden Brand, ließ sich von einem seiner Genossen emporheben und warf ihn durch ein Fenster der nördlichen Seite in einen Gang, welcher in Verbindung stand mit den Gemächern, die das Heiligtum umgaben. Vergebens eilte Titus mit allen seinen Unterfeldherren herbei, rief und winkte mit der Hand, abzulassen vom Kampfe, zu löschen die Glut. Das wilde Ungestüm der Soldaten, welche, weil sie ringsumher Gold schimmern sahen, glaubten, der Tempel verberge ungeheure Schätze Goldes, war nicht mehr zu hemmen. Sie stießen die Juden, welche sich ihnen verzweifelnd in den Weg stellten, wütend nieder; aufgehäuft lagen um den Brandopferaltar die Toten, und Blut floß herab von des Tempels Stufen. Da Titus für dieseu keine Rettung mehr sah, eilte er in das Heilige und in das Aller-heiligste und überzeugte sich hier staunend von der Herrlichkeit dieses Tempels, dessen innere Pracht und Schönheit der äußern Größe und Hoheit vollkommen entsprach. Bald ward er von der zunehmenden Glut genötigt, das Allerheiligste wieder zu verlassen, und der Tempel sank in Trümmer. Da pflanzten die Römer ihre Adler auf an der heiligen Stätte und brachten ihren Göttern Opfer. Auch die Mauern auf dem Berge Sion und die königliche Burg wurden nun
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bald erstürmt. Jetzt, da ihr Sieg vollendet mar, ergossen sich die römischen Soldaten mit dem Schwerte in die Straßen, sättigten sich im Morde aller, bie in ihre Hände sielen, und verbrannten viele Häuser mit allen Menschen, welche sich hineingeflüchtet hatten. Andere Häuser erbrachen sie in der Hoffnung auf Raub, fanden aber nur Leichen in den Gemächern und gauze Familien, die verhungert dalagen, und eilten entsetzt davon, um auss neue zu morden. Erst am Abende hörten sie mit dem Blutbade auf; das Feuer loderte die ganze Nacht.
Als Titus in die Stadt einzog, bewunderte er die Festigkeit ihrer Mauern, besonders der drei Haupttürme, und sagte: „Mit Gottes Hilfe haben wir Krieg geführt. Gott ist es, der die Juden aus diesen Festen gezogen hat, denn was würden Menschenhände und Werkzeuge wider solche Türme vermocht haben?" Über eine Million Menschen war bei der Belagerung umgekommen; die Zahl der Gefangenen belief sich auf 97 000. Zuletzt ließ Titus alles, was von der Stadt oder dem Tempel noch zu sehen war, völlig der Erde gleich machen, ja sogar die Grundsteine ans dem Boden heben und die Pflugschar über die Stätte ziehen, wo einst Jerusalem gestanden. So erfüllte sich auch das Wort: „Sie werden dich und deine Kinder, die in dir sind, zu Boden schmettern und in dir keinen Stein auf dem andern lassen" (Luk. 19, 44). Die noch übrigen Juden wurden größtenteils als Sklaven verkauft und in fremde Länder abgeführt. Zerbrochen war nun der Scepter von Juda, die Reste der Nation aber leben in alle Welt zerstreut bis auf den heutigen Tag. Heimatlos irren sie seitdem über die Länder der Erde, ein bleibendes Denkmal der Gerechtigkeit Gottes, der Wahrheit unserer heiligen Religion und ihrer göttlichen Verheißungen.
Die Khrislenverfokgungen.
Während sich solches an den entferntesten Grenzen des römischen Reiches begab, hatte sich bereits in seinem Innern ein anderes Wort des Herrn zu erfüllen begonnen. Nachdem zuerst der hl. Stephanus und darauf Jakobus der Ältere im jüdischen Lande ihren Glauben
Bumiiller u. Schuster, Weltgeschichte. 12. Aufl. 4
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mit ihrem Blute besiegelt, übernahmen die römischen Kaiser die Rolle von heftigen Christenverfolgern. Die Lehre vom Kreuze, von Buße und Besserung war der heidnischen Welt ein Ärgernis, und wer immer von Lastern umstrickt oder ein eifriger Verehrer der Götzen war, rief den weltlichen Arm wider das Christenvolk aus, dessen himmlischer Wandel ihn beständig mit lauter Stimme seiner tiefen Versunkenheit überführte. Sodann meinten manche sonst gute Kaiser, daß der Götzendienst von der Verfassung des Staates nicht getrennt werden könne, und daß ein allgemeiner Übertritt zum Christentum deshalb auch den Umsturz des Reiches nach sich ziehen müsse. Auch ließen sich mehrere Kaiser göttlich verehren; ihre Bilder wurden in den Tempeln ausgestellt, uud die Unterthanen mußten vor ihnen fnieen und ihnen räuchern. Da sich die Christen dessen weigerten uud nur den einen wahren Gott anbeten wollten, wurden sie der Widersetzlichkeit und des Aufruhrs beschuldigt, um so mehr, als man sie anfangs für eine jüdische Sekte hielt und die Juden als Unruhestifter verrufen waren. Endlich dichtete man den Christen allerlei Verbrechen an. Weil sie bei ihrem Gottesdienste, besonders wenn die heiligen Sakramente gespendet wurden, keinem Ungetausten gegenwärtig zu seiu erlaubten, damit das Heilige nicht lächerlich gemacht würde, so verbreiteten die unwissenden Heiden über ihre geheimen Versammluugeu die wunderlichsten und schändlichsten Gerüchte. Die Christen, hieß es z. B., schlachteten ein Kind, äßen dessen Fleisch uud tränken sein Blut —- eine Beschuldigung, die ebenso lächerlich als für uns ein sprechendes Zeugnis der beständigen Feier des heiligen Abendmahles ist.
Man zählt zehn große Christenverfolgungen bis zum Jahre 312. Zieht man aber in Betracht, daß, wenn auch einzelne Kaiser beim Antritte ihrer Regierung die Erlasse gegen die Christen nicht erneuerten, manche Statthalter in den Provinzen dennoch ihre Verfolgungen gegen die Christen fortsetzten, so kann man über 240 Jahre einer unaufhörlichen Christenverfolgung rechnen. Der erste der christenfeindlichen Kaiser war Nero. Unter der Regierung dieses Wüterichs brach in Rom eine furchtbare Feuersbrunst aus, welche einen
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großen Teil der.Stadt zerstörte (64 n. Chr.). Im Volke verbreitete sich alsbald das Gerücht, der Kaiser selbst habe die Stadt anzünden lassen, um sich an den lodernden Flammen wie an einem Schauspiele zu ergötzen und um seinen Plan, ein neues Rom erstehen zu lassen, ausführen zu können. Da das Gerücht Glauben fand, ließ der Kaiser, vor der Rache des erbitterten Volkes zitternd, durch einen Haufen bezahlter Angeber die Christen der That anklagen und diese mit unmenschlicher Grausamkeit hinrichten. Man nähte sie in härene Säcke ein, die man mit Werg ausstopfte, begoß sie vou außen mit Pech, grub sie dann gleich Pfählen in die Erde, zündete sie an und ließ sie wie Fackeln in langen Reihen zu nächtlichem Rennspiele leuchten. Im Laufe dieser schrecklichen Verfolgung empfingen auch die heiligen Apostelfürsten Petrus und Paulus die Marterkrone, Petrus am Kreuze und Paulus durchs Schwert (67 n. Chr.).
Noch ausgebreiteter und andauernder waren die Verfolgungen der Kaiser Domitian, Trajan, Mark Aurel u. s. w. Im Jahre 107, als der sonst edle Kaiser Trajan auf seinem Heerzuge gegen die Parther nach Antiochien kam, ließ er den Hirten der christlichen Gemeinde daselbst, den hl. Ignatius, vor sich bringen und suchte ihn zum Abfalle zu bereden. Alles aber prallte ab an der hohen Glaubenskraft des frommen Greises. Und als Trajan ihn zuletzt verurteilte, in Rom zur Lust des Volkes dm wilden Tieren vorgeworfen zu werden, da jauchzte das Herz des Bekenners über das Glück, für Jesus Christus zu sterben. „Ich bitte euch," schrieb er an die Glaubensgenossen zu Rom, „zeiget keine unzeitige Geneigtheit für mich. Lasset mich vielmehr den Tieren zur Speise werden, da ich dadurch zu Gott gelangen kann. Ich bin Gottes Weizen uud soll gemahlen werden von den Zähnen der Tiere, ans daß ich als ein reines Brot Christi erfunden werde. O daß ich den Tieren, die mir bestimmt sind, schon vorgeworfen wäre! Ich wünschte, sie grimmig zu finden und möchte ihnen schmeicheln, daß sie desto gewisser mich verschlingen und mir nicht begegne, was einigen widerfahren ist, vor denen die Tiere bange wnrden und sich, ohne sie zu
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berühren, ruhig niederlegten. Verzeihet mir; ich weiß, was mir nützt. Ich frage nichts nach dem Sichtbaren und nichts nach dem Unsichtbaren, wenn ich nur Jesu Christi teilhaftig werde. Feuer, Kreuz, Haufen wilder Tiere, Zerstreuung meiner Gebeine, Zermalmung des ganzen Leibes, Qualen vom Teufel mögen über mich kommen, wenn ich nnr Jesu Christi teilhaftig werde." An Soldaten angefesselt, die wie grimmige Leoparden ihn behandelten, wurde er nach Rom geschleppt; haufenweise kamen die Christen ihm entgegen, und sie beteten miteinander für den Frieden der Kirche. Als die Stunde gekommen, wurde Ignatius vor die Versammlung des heidnischen Pöbels in die Rennbahn geführt, und während er betete, wurden hungrige Löwen auf ihn losgelassen (Fig. 17), die von ihm nichts als die gröbern Knochen übrig ließen. Diese wurden von den Gläubigen freudig nach Antiochien gebracht und als ein kostbarer Schatz sorgfältig aufbewahrt.
Selbst christliche Knaben und Jungfrauen gingen für den Namen Jefu freudig in Not und Tod. Der bloße Name „Christ" galt schon als Verbrechen, für welches kein Tod zu grausam schien. Jedes Unglück, welches über das Reich hereinbrach, sollten die Christen verschuldet haben. War der Tiber ausgetreten, hatte die Erde gebebt, wütete Hunger und Pest, so hieß es: „Daran sind die Christen schuld". Alle Martern, alle erdenklichen Todesstrafen wurden dann gegen sie ausgeübt. Man ließ den angeklagten Christen die Wahl, ihren Glauben abzuschwören oder zu sterben. Aber sie, die das irdische Leben gering achteten gegen das höhere, himmlische Leben, litten freudig alle Qualen und den Tod, und unter dem Schwerte, in den Flammen, auf den Foltern priesen sie noch Jesum, der sie gewürdigt hatte, ihm in Leiden zu folgen, nnd sangen Psalmen zn seinem Ruhme. Bewunderung ergriff die Heiden. Die letzten Gebete der frommen Gotteshelden, ihre beispiellose Geduld und Standhaftigkeit, die freudige Zuversicht, mit der sie von dieser Welt schieden, alles dieses wirkte begeisternd auf die Umstehenden, und nicht selten ließen sich Tausende bei der Hinrichtung eines Märtyrers taufen. So ward das Blut der Märtyrer der Same
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Fig. 17. Martertod beä Hl. Ignatius.
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neuer Christen, bald standen die heidnischen Tempel fast leer, und es wurde in allen Ständen, selbst am kaiserlichen Hofe, eine Menge Christen gefunden. Gelehrte Männer schlossen sich dem Christentume an, verteidigten dasselbe mit aller Kraft der Beredsamkeit und guten Sache und besiegelten dann oft, wie z. B. der Hl. Justin der Märtyrer, was sie mit der Feder bekannt, mit ihrem Blute unter dem Beile des Henkers, unter den Zähnen und Krallen wütender Tiere, auf dem Scheiterhaufen, auf glühendem Roste, in Meeres-tiesen, ober unter Zerfleischnng mit Glasscherben, eisernen Krallen, oder was sonst ein satanischer Erfinbnngsgeist ben kaiserlichen Beamten und Henkern eingab.
Konstantin der Oroße.
Erst Kaiser Konstantin der Große (306—337) machte den Verfolgungen ein Ende. Schon sein Bater Konstantins hatte nur einen Gott angebetet und die standhaften Christen in ihren Ämtern gelassen, während er abtrünnige bon sich entfernte, da diese, mie er richtig bemerkte, ihm wohl noch weit weniger als Christo treu sein würben. Konstantin, Don seiner christlichen Mutter Helena in solchen Gesinnungen noch mehr bestärkt, verlieh bereits 306 ben Christen Schutz, trat aber erst infolge eines wunberbaren Ereignisses als offener Berteibiger ber christlichen Religion auf. Als er nämlich im Jahre 313 gegen feinen Gegner Maxentius, ber ihm bie Herrschaft entreißen wollte unb ihm an Heeresmacht weit überlegen war, heranzog, sah er eines Tages Plötzlich am Himmel über ber Sonne ein leuchtenbes Kreuz mit ber Überschrift: „In diesem Zei= chen wirst bu siegen!" Staunen ergriff ihn unb bas ganze Heer, welches mit ihm bie wunberlmre Erscheinung sah. In ber folgen-ben Nacht würbe er in einem Traumgesichte aufs neue an bie Erscheinung bes vorausgegangenen Tages gemahnt. In erster Frühe staub Konstantin von feinem Lager auf unb ließ statt ber Haupt-sahne, bie bis bahin mit Bildern der Götter geschmückt gewesen, eine Kreuzfahne fertigen. Es war ein langer vergolbeter Lanzenschaft, burch besten obern Teil eine mit einem kostbaren purpurnen Tuche
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begangene Querstange ging, die ihm die Gestalt eines Kreuzes gab. Am obersten Ende dieses Kreuzes war ein aus Gold und Edelsteinen zusammengesetzter Kranz, welcher den aus zwei griechischen Buchstaben X (CH) und P (R) bestehenden Namenszug von Christus umschlang (Fig. 18). Wirklich gewann Konstantin die berühmte Schlacht an der Milvischen Brücke wider Maxentius, der auf der Flucht in dem Tiber ertrank. Zum Danke dafür ließ sich Konstantin in einer Bildsäule zu Rom mit einem Kreuze iu der Hand und mit folgender Inschrift vorstellen: „Durch dieses heilsame Zeichen, das echte Wahrzeichen der Tapferkeit, habe ich eure Stadt von dem tyrannischen Joche befreit, dem Senat und dem römischen Volke die alte Würde und den vorigen Glanz wiederhergestellt." Von nun an führte Konstantin auch die Kreuzfahne in allen seinen Feldzügen mit sich und ließ sie, wo er eine seiner Scharen im Gedränge gefährdet sah, dorthin tragen und that es immer mit dem gewünschten Erfolge. Er bezeugte selbst, daß denjenigen, der die Krenzsahne getragen, noch nie ein feindliches Geschoß getroffen habe.
Nach dem Siege über Maxentius erteilte Konstantin den Christen vollkommene Religionsfreiheit, stellte ihnen die früher eingezogenen Güter zurück, befähigte sie zu allen Staatsämtern und erbaute ihnen sogar prächtige Kirchen. Zu Rom wurde die Kirche des Hl. Johannes im Lateran eingerichtet, die noch jetzt als die Hauptkirche der Christenheit gilt, und als die hl. Helena auf Golgatha das wahre Kreuz des Heilandes entdeckte, wurde auch dort über dem Grabe des Erlösers eine prachtvolle Kirche aufgeführt. Als aber auch der letzte Nebenbuhler, Licinius, von Konstantin überwunden wurde (324), erbaute Konstantin die nach ihm benannte Stadt Konstantinopel, schmückte sie mit lauter christlichen Kirchen und setzte das Kreuz oben auf seinen Palast. Noch im Jahre 337 feierte er das Osterfest in vollkommenem Wohlsein und durchwachte mit den Gläubigen die Nacht im Gebete. Bald darauf ward er aber unwohl und ließ sich bei zunehmender Krankheit durch den Bischof Eusebius von Nikomedien die Taufe erteilen, worauf er sich in weißem Gewände auf fein Bett legen ließ und am Pfingstfeste gegen Mittag, im
Fig- 18. Konstantin sieht das Kreuz am Himmel.
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64. Lebensjahre und im 31. seiner Herrschaft, den Geist in die Hände des Schöpfers aufgab.
Allgemein war die Trauer der Christen bei seinem Tode. Durch ihn war ja der christliche Name in der ganzen Welt zu Ehren gekommen; durch ihn war der Schrecken der blutdürstigen Verfolgung von der heiligen Braut des Herrn, der Kirche, genommen, und war es dieser vergönnt worden, sich mit dem Gewände der Freude und Herrlichkeit zu schmücken, zur Ehre dessen, der gesagt hatte: „Vertrauet, ich habe die Welt überwunden" (Joh. 16, 33).
Die Völkerwanderung. Der Kunnenkönig Attita und Wapst Leo der Oroße.
Im Ansang des fünften Jahrhunderts begann in Europa jene gewaltige Bewegung, welche diesen Erdteil zum Schauplatze furchtbarer Kämpfe machte und für viele Jahrhunderte Wissenschaft und Bildung durch wilde Barbarei verdrängte. Man nennt dieselbe die große Völkerwanderung. Sie wurde von den Hunnen, einem Volke aus der heutigen Mongolei, veranlaßt, die sich in Scharen von Hunderttausenden gleich einer ungeheuern Flut über die Wolga nach Europa wälzten und die hier wohnenden Völker aus ihren Wohnsitzen vertrieben. Ein alter Schriftsteller schildert die Hunnen als ein Reitervolk von fürchterlicher Wildheit und gräßlichem Aussehen. Sie zerschneiden sich, erzählt er, in ihrer Kindheit mit unzähligen Rissen Kinn und Wangen, um durch die dichten Narben das Wachsen der Haare zu unterdrücken. Sie sind klein und dick, mit fleischigem Halse, breiten Schultern, einem übermäßig großen Kopse und breiten Gesichte, aus welchem kleine Augen wild hervorschauen. Ihre Speisen erfordern kein Feuer und kein Gewürz; sie leben von wilden Wurzeln und rohem Fleische, welches sie unter den Sattel auf das Pferd legen und mürbe reiten. Häuser, ja Hütten kennen sie nicht. Von Kindesbeinen an streifen sie auf Bergen und in Steppen umher und lernen Kälte und Hunger ertragen. Ihre Kleidung sind leinene Kittel, auch Pelze von Waldmäusen, die Beine umwickeln sie mit Bocksfellen. Von ihren Pserden
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sind sie unzertrennlich; sie essen, trinken und schlafen darauf. Ackerbau und Handwerke kennen sie nicht; Religion und Gesetze sind ihnen fremd. Treue und Glauben sind bei ihnen unbekannte Dinge; wie die unvernünftigen Tiere wissen sie nichts von Recht und Unrecht. Der Krieg ist ihr Leben, und es folgen ihnen in demselben ihre schmutzigen Weiber und ungestalteten Kinder auf zahllosen, mit Fellen überzogenen Wagen. Die Schlacht beginnen sie mit einem fürchterlichen Geheule. Wie der Blitz fliegen sie herbei, aber in demselben Augenblicke verschwinden sie auch schon wieder, um schnell zurückzukehren; und kaum ist man ihrer gewahr geworden, so erstürmen sie auch schon die Verschanzungen oder plündern das Lager.
Nachdem diese Raubhorden anfangs bis nach Ungarn vorgedrungen waren, blieben sie daselbst gegen 50 Jahre, ohne sich um andere Völker viel zu bekümmern. Dann erhoben sie sich miss neue unter ihrem Könige Attila (Fig. 19). Von ihm rühmten die Hunnen, daß, wenn er sein Schwert in die Erde stoße, hundert Völker zittern und Rom und Konstantinopel erbeben. Er war klein von Körper, hatte einen großen Kopf, tiefliegende, kleine, doch feurige Augen, die er stolz umherwarf, und nannte sich selbst am liebsten Geißel Gottes. Er selbst lebte einfach, aß wenig und aus hölzernen Geschirren; aber seine Gäste speisten auf Silber und Gold. Dieser fürchterliche Mann kam mit 700 000 Streitern nach Deutschland und drang unter schrecklichen Verwüstungen über den Rhein in Frankreich ein; mit Feuer und Schwert bahnte er sich den Weg; die blühendsten Städte wurden zerstört. In dieser Not verbanden sich die Römer und viele deutsche Volksstämme gegen den gemeinsamen Feind und stellten sich dem Attila bei der Stadt Chalons (Schalon) an der Marne entgegen. Hier (ans den Katalannischen Gefilden) kam es im Jahre 451 zur Schlacht, vielleicht der blutigsten, die je in Europa geliefert wurde; gegen 200 000 Leichen bedeckten die Walstatt. Bei einbrechender Nacht zog sich Attila zurück, verschanzte sich hinter unzähligen Pferdesätteln, ließ die ganze Nacht einen fürchterlichen Lärm machen und zog, da er sich nicht länger halten konnte, über den Rhein zurück.
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Allein schon im nächsten Jahre brung er tuieber nach Italien vor unb näherte sich, nachbetn er hunbert unglückliche Stäbte verbrannt, bereits ber Hauptstabt Rom. Da geschah es, baß plötzlich
Fig. 19. König Attila.
eine Gesanbtschast frieblicher Männer in betn hunnischen Lager erschien unb ben furchtbaren König zu sprechet! wünschte. Es waren eble Römer, an ihrer Spitze Papst Leo, mit betn Beinamen bes
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Großen, im Morgen- wie im Abendlande hoch verehrt, ein Besieger hartnäckiger Sekten, welche kaum weniger furchtbar die Kirche als Attilas Scharen das Reich von allen Seiten bedroht hatten. Als alles die Hauptstadt des Reiches verzweifelnd aufgab, als kein Heer, keine Festung, keine weltliche Macht Schutz und Rettung verlieh, da machte der oberste Hirt der Christenheit sich auf, sein Leben für seine Herde einzusetzen. Den Hirtenstab in der Hand, in die päpstlichen Gewänder gekleidet, tritt er dein Schrecklichen mit hehrer Macht entgegen, bittet mit rührenden Worten für Rom und droht ihm mit der Rache der Apostel, der Beschützer der christlichen Hauptstadt. Was den Barbaren kaum auf den Gefilden von Chalons angewandelt, der Schrecken des Todes, befällt jetzt Attila bei den Worten des unbewaffneten Priesters; umgewandelt kehrt er mit allen seinen Scharen um und geht nach Ungarn zurück. Hier starb er bald nachher plötzlich. Die Hunnen legten ihn in einen goldenen Sarg, diesen in einen silbernen und beide in einen eisernen. Dann wurde er unter kriegerischen Gesängen mit Pferdezeug und Waffen begraben, und alle, welche am Grabe gearbeitet hatten, umgebracht, damit niemand erfahre, wo der große Hunnenkönig ruhe.
Mohammed und seine Wekigion.
Gleich dem Westen wurde auch der Osten bald der Schauplatz einer großen Umwälzung, die von Arabien ihren Ausgang nahm. Dieses ist eine große Halbinsel Asiens, welche brennende Sandwüsten, steile Gebirge und wasserlose Steppen, aber nur wenige ganz fruchtbare Landschaften enthält. Ihre Bewohner sind ein uraltes Volk, welches selbst den Jsmael seinen Stammvater nennt. Sie sind in Stämme geteilt und ziehen mit ihren Herden umher, sind vortreffliche Reiter unb wohnen in Zelten, welche bie Weiber aus Kamelhaaren verfertigen; wegen dieser Lebensweise werden sie Beduinen (d. i. Wüstenbewohner) genannt. Ihr Körper ist stark und geschmeidig, ihr Ansehen offen und heiter, und außerordentlich die Lebhaftigkeit ihres Geistes. Sie sind bei ihrer Armut sehr genügsam und gast-
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freundlich, halten jedoch den Straßenraub und die Blutrache für erlaubt und sind der Sinnlichkeit sehr ergeben.
Unter diesem Volke ward 571 Mohammed in der Stadt Mekka geboren. Da seine Eltern frühzeitig starben, nahm ihn sein Oheim zu sich, der ihn zum Handelsstaude erziehen ließ und mit seinen Karawanen in ferne Länder schickte. Des Lesens und Schreibens unkundig, aber von hervorragenden Geistesgaben und sehr einnehmender Gestalt, dabei wohlgeübt im Waffenwerke, trieb Mohammed, als er herangewachsen war, das einträgliche Geschäft des Handels für eine reiche Witwe, welche ihn später heiratete. Bis in sein 40. Jahr lebte er zurückgezogen, zeigte aber schon von Jugend aus eine große Neigung zur Schwärmerei und brachte oft ganze Nächte in einer Höhle zu. In dem genannten Jahre teilte er seinen Verwandten mit, es sei ihm der Engel Gabriel erschienen und habe ihm geoffenbart, daß er zum Propheten Gottes bestimmt sei. Nachdem er sich in der Stille nach uud nach einigen Anhang verschafft hatte, trat er mit seiner Lehre öffentlich auf und berief sich hierbei besonders auf eine Reise, die er in der Nacht anf einem Pferde nach Jerusalem und von da auf einer Leiter in den Himmel gemacht haben wollte. Aber viele seines Stammes glaubten ihm nicht und verschworen sich gegen sein Leben. Deshalb floh er 622 ans Mekka nach Medina (Fig. 20), dessen Bewohner ihn ans alter Feindschaft gegen Mekka jubelnd aufnahmen. Diese Flucht bildet als der Wendepunkt zu Mohammeds Herrschaft den Anfang der mohammedanischen Zeitrechnung (Hedschra); Medina aber wurde der Sitz seiner Religion und Partei; dort ward das erste Bethaus (Moschee) erbaut. Von nun an führte Mohammed, wie er sagte, im göttlichen Aufträge einen Raubkrieg gegen alle, die seinen Glauben nicht annahmen, eroberte Mekka und bedrohte sogar den König von Persien und den morgenländischen Kaiser, starb aber plötzlich, im Jahre 632, zu Medina. Bald nach seinem Tode ward es Sitte und später Pflicht eines rechtgläubigen Mohammedaners, wenigstens einmal in seinem Leben zum Grabe des Propheten nach Medina oder nach Mekka eine Wallfahrt anzustellen.
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Fig. 20. Mohammeds Flucht nach Medina.
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Seine Lehre trug Mohammed in einzelnen mündlichen Sprüchen vor, denn er zeichnete nichts auf. Nach seinem Tode wurde sie in ein Buch, Koran (die Lesung), gesammelt. Islam heißt der Inbegriff seiner Religion, Moslemin (Muselmänner) deren Bekenner. Der Hauptinhalt seiner Lehre lautet: „Es ist nur ein Gott und Mohammed sein Prophet", welche Worte von einem Turme herabgerufen die Stelle der christlichen Glocken vertreten. Moses und Christus erkannte er zwar auch als göttliche Gesandte an, stellte sich aber selbst hoch über beide. Außer dem täglichen fünfmaligen Gebete gebot er öftere Reinigungen, Fasten, Almosengeben, die Beschneidung und die Enthaltung vom Weine. Dagegen lehrte er ein unabwendbares Schicksal, dem sich der Mensch blindlings ergeben müsse, und verhieß im Paradies namentlich jenen den ausschweifendsten Sinnengenuß, welche im heiligen Kampfe gegen die Ungläubigen fielen.
Diese Lehre war es, welche seine Anhänger am meisten zum Vertilgungskampfe gegen die Christen, zum Weltsturme entflammte. Wie der brennende Sand aus der Wüste verbreitete sich unter seinen Nachfolgern, den Kalifen, die Herrschaft und Religion der Araber, die sie mit dem Schwerte in der Faust verkündeten. Ein Heer des griechischen Kaisers ward geschlagen und mit unglaublicher Schnelligkeit Syrien, Palästina, Neupersien und ganz Ägypten erobert. Nicht lange darauf unterwarfen die Kalifen die Küste von Afrika bis zur Meerenge von Gibraltar, und dehnten auf der andern Seite ihr Reich weit nach Asien hin aus. Später setzten sie Über die Meerenge von Gibraltar, eroberten in wenigen Jahren ganz Spanien und drangen tief in Frankreich ein. Hier aber trafen sie auf den tapfern Anführer der Franken, Karl, von seiner zermalmenden Tapferkeit Martell (d. i. Hammer) genannt, der sie 732 nach siebentägigem Kampfe bei der Stadt Tours vollständig schlug und dadurch Frankreich und Deutschland vor den Greueln des Mohammedanismus rettete und diese Länder der beseligenden Lehre der christlichen Religion erhielt.
Wonifacius und die übrigen Apostel Deutschlands.
Das Licht des Christentums war von Italien aus schon im zweiten und den folgenden Jahrhunderten nach Süddeutschland gedrungen, wie der Martertod des Hl. Florian, eines römischen Kriegsobersten zu Lorch an der Donau, der Hl. Afra zu Augsburg (304) und anderer standhaften Bekenner Jesu Christi, sowie die Wirksamkeit der Glaubensprediger Valentin zu Passau und des Hl. Severin in Österreich (455) beweisen. Das mittlere und nördliche Deutschland dagegen war noch ganz den Finsternissen des Heidentums ergeben, und auch Süddeutschland war durch
die Völkerwanderung, welche neue heidnische Stämme ins Land
brachte, wieder in die frühere Wildheit zurückgesunken. Da erweckte Gott in Irland, wo das Christentum durch den hl. Patricias schon tiefe Wurzeln geschlagen hatte, fromme Mäuner, welche den heidnischen Deutschen die frohe Botschaft des Heils bringen sollten. Es ist rührend zu lesen, wie diese gottseligen Männer mitten im kriegerischen Gewühle der Völker still und friedlich, das Kreuz in der Hand, durch das Dickicht der deutschen Wälder wanderten und unentmutigt durch tausenderlei Gefahren und Mühen allent-
halben mit rastlosem Eifer das Evangelium verkündeten, um so viele teure Seelen dem Himmel zu gewinnen; wie sie die schauerlichsten Wildnisse, die vordem nur der Fuß eines Raubtieres be-
treten, zu einem friedlichen Aufenthalte der Menschen umschufen und iu deren verwilderte Herzen die Segnungen der göttlichen Religion Jesu verpflanzten.
Einer der ersten Glaubensboten war der hl. Fridolin, der aus einem berühmten adeligen Geschlechte Irlands stammte. Vom Geiste Gottes wundervoll angeweht, entschloß er sich, ganz dem
Dienste des Herrn sich zu widmen, verließ irdischen Reichtum, um andere geistig zu bereichern, ging übers Meer nach Frankreich, das er in verschiedener Richtung als wandernder Apostel durchstreifte, und von da nach Süddeutschland, wo er, besonders auf dem
Schwarzwald, das göttliche Wort mit wunderbarem Erfolge pre-
bigte unb zur Sicherung bes Christentums Überall Kirchen unb Klöster grünbete, so namentlich in Gückingen.
Ungefähr ein Jahrhunbert später ergriff ben Hl. Kolumban unb bessen Schüler, ben Hl. Gallus, bie fromme Sehnsucht, ben Samen bes Christentums in fernen Gegenben auszustreuen. Nach-bem sie mit zehn anbern Gefährten Frankreich burchzogen, kamen sie gegen bas Jahr 610 in bie heutige Schweiz. Hier fanben sie schon einen christlichen Priester mit Namen Willimar zu Arbon, einer alten Stabt am mittägigen User bes Bobensees. Willimar nahm sie sehr liebreich auf unb wies sie, nachbem sie sieben Tage bei ihm verweilt unb ihm bie leibliche Nahrung mit geistiger Speisung vergolten hatten, nach Bregenz. Hier sanben sie ein altes, ber hl. Aurelia geweihtes Kirchlein, bas in einen heibnischen Tempel verwanbelt unb burch Götzenbilber berunehrt war. Die Einwohner bieser Gegenben feierten zu eben biefer Zeit ein großes Fest, unb ba sie hörten, baß zwei frembe Männer erschienen seien, bersammelte sich eine große Menge Volkes beiberlei Geschlechtes. Da fing Gallus an zu prebigen bon betn wahren, mächtigen unb einzigen Gott unb bon seinem Sohne, auf welchem bas Heil unb unsere Hoffnung bes ewigen Lebens beruhe, zerschlug, um ben Anwesenheit ben kräftigsten Beweis bon ber Nichtigkeit bet Götzen zu geben, voll feurigen Eifers bie Götzenbilber unb warf sie in ben nahen See. Hierauf reinigte ber hl. Kolumban bie Kapelle mit geweihtem Wasser unb weihte sie unter Gebet wieber zum christlichen Gottesbienste ein. An biefem Orte verweilten sie gegen bret Jahre, bauten sich Zellen, legten einen Garten an, pflanzten fruchtbare Bäume, nährten sich wie bie ersten Apostel großenteils vom Fischfang, übten Gastfreunbschaft gegen Frembe unb fuhren fort in ihrer Prebigt bes Evangeliums. In-bessen traten bie noch übrigen Heiben, erbittert über bie Fortschritte ber christlichen Missionäre, vor ben Herzog Gnnzo, ber in jenem Laube regierte, unb führten Klage wiber bie Fremblinge. Darüber warb ber Herzog unwillig unb verwies bie Mouche aus bem Laube; nur Gallus blieb wegen Krankheit mit einigen Gefährten. Als er wieber genesen, fuhr er über ben See, um in ber Einobe eine sichere
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Wohnung zu finden. An dem Flüßchen Steinach, zwischen hohen Bergen und engen Thälern, mitten in einem dichten Forste fand er diese, pflanzte ein hölzernes Kreuz dahin, fällte die Bäume, baute eine Hütte und legte den Grund zu dem nachmals berühmten Kloster St. Galleu (613). Von hier dehnte Gallus seine heilige Wirksamkeit über ganz Schwaben aus, das ihm seinen Dank noch jetzt durch viele Kirchen, die ihm geweiht sind, darbringt.
Später predigten in Schwaben die Irländer Trudpert und Pirmin mit großem Segen. Gleichzeitig verbreiteten die beseligende Lehre des Evangeliums der hl. Emme ran zu Regensburg, der hl. Kilian zu Würzburg, der hl. Willibald zu Eichstätt, der hl. Korbinian zu Freising, der hl. Rupert zu Salzburg und der hl. Willebrord an der Mündung des Rheins. Die meisten besiegelten ihr begeistertes Wort mit einem ruhmvollen Martertode.
Der ausgezeichnetste Glaubensbote aber war der fromme englische Mönch Winfried, der wegen seiner außerordentlichen Verdienste um die feste Begründung des Christentums in Deutschland nachher den Namen Bonisacius, d. i. Wohlthäter, und den gleich ehrenvollen Beinamen „Apostel der Deutschen" erhielt. Schon in früher Jugend erfüllte seine Seele der feurige Wunsch, den Heiden das Brot des Lebens zu brechen. In der Abgeschiedenheit eines Klosters bereitete er sich zu dem heiligen Geschäfte vor. Dann pilgerte er nach Rom, um sich vom Papste Auftrag und den Segen zu seinem edeln Werke geben zu lassen. Nun reiste er nach Friesland an der Nordsee und arbeitete an der Bekehrung der heidnischen Landesbewohner drei Jahre lang. Von hier wandte er sich nach Hessen und Thüringen und bekehrte, unterstützt von einer Anzahl frommer Männer und Frauen aus England, diese Landstriche (s. das Titelbild). Aus allen Gegenden drängten sich die Heiden zu ihm, um seine ergreifende Predigt des göttlichen Wortes zu hören und sich taufen zu lassen. Auch legte er daselbst Kirchen und Klöster an, damit sich von ihnen aus nach und nach christliche Bildung über das rohe Deutschland verbreite. Als er darauf das zweite Mal nach Rom kam, ernannte ihn der Papst zur Belohnung seines aposto-
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lischen Eifers zum Erzbischof in Deutschland. Dahin zurückgekehrt, verkündete er das Wart Gottes mit neuem Eifer (s. das Titelbild) unb zertrümmerte überall die Götzenbilder. Bei Geismar in Hessen stand eine uralte, dem Donnergotte gewidmete Eiche, unter welcher die heidnischen Bewohner dieser Gegend zu opfern pflegten. Als nun der heilige Mann erfuhr, daß der Baum für unverletzlich gehalten werde, legte er, um den Aberglauben zu zerstören, die Axt an denselben (Fig. 21). Erschrocken standen die Heiden umher und blickten bald nach dem Apostel bald nach der Eiche, ob ihre Götter keine Blitze auf den Frevler herabschleudern würden; aber der Baum fiel, und der Mann Gottes stand unverletzt. Da entsagten die Heiden solchen unmächtigen Göttern, welche ihr Heiligtum nicht einmal vor schwachen Menschenhänden schützen konnten, und ließen sich taufen. Bonifacius aber baute aus dem Holze des gefällten Baumes eine kleine Kapelle. Nach einer dritten Reise nach Rom gründete Bonifacius allenthalben neue Bistümer unb traf weise Verorbnungen. Enblich wählte er Mainz zu seinem bestänbigen Sitze.
Dennoch wollte er auch in seinem hohen Alter von 75 Jahren ber Ruhe nicht genießen unb begab sich 755 noch einmal zu ben Friesen. Sein abermaliges Erscheinen reizte bie Wut ber bortigen Feinbe bes Christentums berart, baß sie einen Anschlag gegen sein Leben faßten. Bonifacius war schon bis in die Nähe des nördlichen Meeres vorgebrungen. Bei Dockum, welches zum Ostgau gehörte, hatte er Zelte aufschlagen lassen. benn er dachte langer dort zu weilen und die auf diesem Boden nie gesehene Firmung zu halten. Die Neugetaufteu hatte er vorher in ihre Heimat gehen lassen, damit sie sich zum Empfange dieses Sakramentes vorbereiteten uud wenige Tage nach dem Pfingstseste, welches in diesem Jahre auf den 25. Mai fiel, wieber zu ihm nach Dockum kämen, um bie heilige Firmung zu empfangen. Seine Schüler unb Mitarbeiter waren wegen ber bevorstehenben Feier um ihn versammelt. An bem festgesetzten Tage, ben 5. Juni 755, erwartete Bonifacius mit ihnen bie Ankunft ber Neugetauften. Er, ber Friebensbote unb Segenbringer, wollte bes Herrn Heilmittel fpenben; als aber früh am morgen bie Sonne sich
Fig. 21. Der Hl. Bonifacius füllt die Donnereiche.
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über das Land erhob und höher des Bonifaeins Dankgebete gen Himmel stiegen für den Segen des Herrn, der sichtbar mit ihm gewesen war, da vernahm sein Ohr statt der Hymnen und Loblieder, mit welchen manches Jahr ans deutschem Boden die Scharen der Firmlinge ihm entgegengezogen waren, wildes Kriegsgeschrei. Statt der Neugetauften, die er erwartete, sah er eine Rotte blutdürstiger Feinde nahen. Mit Schild und Speer bewaffnet drangen sie auf seinen Lagerplatz. Die um Bonifacins versammelten Diener gedachten Gewalt mit Gewalt abzuwehren, suchten sich zu bewaffnen, so gut sie konnten, und stürzten aus dem Zelte dem Feinde entgegen. Bonifacius aber hatte kaum den Waffenlärm vernommen, so hing er statt der Rüstung die Reliquien der Heiligen, welche er stets bei sich führte, um, trat aus dem Zelte, versammelte seine Geistlichen um sich und redete also zu den Dienern: „Lasset ab, meine Kinder, ich bitte euch, lasset ab vom Streite, und ferne sei aller Kampf und Krieg gegen unsere Feinde! Lehrt uns doch die Heilige Schrift, daß wir nicht Böses mit Bösem vergelten, sondern Gutes erweisen sollen für das Böse. Der lang ersehnte Tag ist da, und die Zeit ist gekommen, wo wir von den Mühsalen und Leiden dieses Lebens zu den Freuden der ewigen Seligkeit abberufen werden. Warum wollet ihr so hohe Guade, so hohen Ruhm uns nicht gönnen, sondern rauben? Nein, lasset uns stark werden in dem Herrn, lasset uns willig aufnehmen, was er gnädig über uns verhängt. Nur auf Gott vertraut, er wird unsere Seelen retten!" So hielt er die Diener vom Kampfe zurück. Dann wandte er sich zu deu um ihn versammelten Priestern, Diakonen und Ordensgeistlichen nnd redete in seiner Landessprache also zu ihnen: „O meine vielgeliebten Brüder! wenn an der Liebe Gottes euch irgend gelegen ist, wenn die Erinnerung an alle meine väterlichen Ermahnungen etwas bei euch vermag, so zeiget es jetzt in dieser Stunde. Bedenket, was der Herr spricht: Fürchtet euch nicht vor denen, welche den Leib töten, die Seele aber nicht töten können. Den Anker eurer Hoffnung werfet auf Gott! Nach dem Augenblicke dieser Zeit wird er euch die Krone der ewigen Vergeltung in dem Reiche der seligen
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Geister verleihen. Verlieret, ich bitte euch, verlieret in diesem knrzen Stündlein nicht den Lohn aller Mühen und Kämpfe eures Lebens, die ihr mit unwandelbarem Mute bestanden habt. Gedenket nicht, wie die Heiden, der nichtigen Freuden dieser Welt! Nein, mutig und männlich gehet jetzt mit mir in den Tod. Aus Liebe zu Dem, der für uns gelitten hat, gehet, damit wir mit ihm eingehen in die ewigen Freuden!"
Während Bonifacins also redete, stürmte die wilde Rotte wütend auf sie ein. Der erste, der unter den Hieben der Feinde niedersank, war ein Laie Namens Hiltibrand, dem die Sorge für den Tisch oblag und der kaum angekleidet mit bloßen Füßen dem Feinde entgegenstürzte. Seinen Bruder, den Diakon Hamuut, traf das feindliche Schwert, als er eben aus dem Zelte hervorgetreten war; darauf fiel einer nach dem andern, so daß 52 an der Zahl mit unserem Apostel den Martertod litten. Bonifacius empfing den Todesstreich stehend, betend und das Evaugelienbuch über sein Haupt haltend.
So starb der große hl. Bonifacius im Jahre 755, wie er gelebt hatte, für das Heil der Seelen und wurde seinem letzten Willen gemäß in Fulda beigesetzt. Die Kirche feiert fein Andenken am 5. Juni, an seinem Todestage.
Indessen ging das von ihm angefangene Werk nicht mit ihm unter, sondern lebte fort und trug herrliche Früchte. Die vielen neu entstandenen Kirchen und Klöster verbreiteten ringsumher Licht. In den Klosterschulen lernten die Kinder lesen, schreiben, rechnen, singen. Es trieben die Mönche Handwerke und verfertigten allerlei Hausgeräte und Werkzeuge. Von ihnen lernten auch die Umwohner solche Arbeiten und erweiterten, durch das Beispiel der Mönche erweckt, ihre Besitzungen. Wälder wurden gelichtet, pesthauchende Sümpse ausgetrocknet, unfruchtbare Gegeudeu in blühende Felder umgeschaffen. Von den Mönchen bekamen die Landleute Sämereien, Kornarten und Bäume und lernten von ihnen nützliche Kräuter kennen. So veränderte sich allmählich die ganze Gestalt des vordem so wilden Landes. Dort, wo sonst die Altäre der finstern Götzen gestanden, erhob sich jetzt siegreich das Kreuz Christi; heilige
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Lieder erschollen zu des wahren Gottes Ehre. Von allen Seiten tönten feierlich die Glöcklein durch Wald und Flur und riefen die Neubekehrten zu gemeinsamem Gottesdienste. Um die Kirchen, die man mit aller Pracht, ihre Häupter majestätisch gegen den Himmel anstrebend, baute, lagerten sich demütig die niedrigen Hütten und erweiterten sich allmählich zu Dörfern und Städten. So wuchs in Deutschland unter der Pflege weiser Bischöfe überall das Christentum herrlich empor und fuhr fort, seine Früchte aufs reichste zu entfalten. Nun begann aber unser Vaterland besonders durch einen ruhmvollen Herrscher auch in Bezug auf weltliche Macht der merkwürdigste Schauplatz der Geschichte zu werden — dieser Herrscher heißt Karl mit dem Beinamen der Große.
Das römisch-deutsche Kaisertum.
Karl der Oroße und seine Krönung in Wom.
Karl, der Enkel Karl Martells und der Sohn Pipirts, der sich zum König der Franken emporgeschwungen, wurde am 2. April 742, wahrscheinlich zu Aachen, geboren. Ausgewachsen wie andere junge Franken, fand er an des Krieges Vorspielen: der Jagd, an Roß und Waffen, feine Freude. Im 19. Jahre zog er bereits mit zu Felde, im 26. bestieg er den Thron. Von da an war sein ganzes Leben zwischen beständigen Kriegen geteilt, so daß von 46 Jahren nur ein einziges ohne Feldzug verstrich.
Am meisten machten ihm die Sachsen zu thun, die oft den kaum geschlossenen Frieden brachen und neue Unthaten verübten. Dieses kriegerische Volk bewohnte damals die weite Ebene zwischen der Elbe, dem Niederrhein uud der Nordsee. Geschützt durch unermeßliche Wälder und Sümpfe, mehr aber noch durch angestammte Tapferkeit, hielt das Sachsenvolk unter allen deutschen Stämmen noch allein an den alten heidnischen Sitten fest, lebte mit den Franken, denen es sich nicht unterwerfen mochte, fast immer in Feindschaft
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und scheute sich nicht, wiederholt raubend und mordend in fränkisches Gebiet einzufallen. Erst nach 21jährigem harten Kampfe gelang es Karl, dieses kriegerische Volk zu besiegen und damit auch dem Christentums unter demselben Eingang zu verschaffen. Wittekind und Alboin, die Anführer der Sachsen, ließen sich mit vielen andern taufen (Fig. 22); Bistümer, Kirchen und Klöster zu Osnabrück, Paderborn, Münster, Bremen, Minden und Halberstadt, ferner zu Hildesheim, Hamburg und Magdeburg verbreiteten allenthalben das Evangelium. Einen zweiten Feind fand Karl in dem Langobardenkönig Desiderius in Italien, der dem Papste das von Karls Vater geschenkte Ländergebiet — den heutigen Kirchenstaat — widerrechtlich entreißen wollte. Karl ging über die Alpen, eroberte Oberitalien, setzte Desiderius ab und nannte sich nun König der Franken und Langobarden. Auf die Bitte arabischer Statthalter in Spanien, welche ihn gegen ihren Kalifen um Hilfe anflehten, brach er auch nach Spanien auf und eroberte alles Land bis an den Ebro. Er bezwang ferner den widerspenstigen Bayernherzog Thassilo, die räuberischen Avalen in Ungarn, die Slaven, die um die Havel und Spree wohnten; sein Name scheuchte ferner die Normannen zurück, die von dem heutigen Dänemark und Norwegen ans verheerende Einfälle in den Norden Deutschlands machen wollten. Der Ruf so vieler und so großer Siegesthaten verbreitete sich weit über die Grenzen Europas hinaus. Überall wurde Karls Name mit Ehrfurcht und Bewunderung genannt. Fremde, weit entfernte Könige suchten seine Freundschaft, schickten Gesandte an ihn und ehrten ihn mit Geschenken. Das größte Aufsehen erregte die Gesandtschaft, welche der mächtige und weise Kalif von Bagdad, Harun al Ra-schid, an Karl schickte. Unter den vielen und kostbaren Geschenken, welche die Morgenländer von ihrem Herrn mitbrachten, befand sich auch eine messingene Wasseruhr, wahrscheinlich die erste, welche nach Europa kam. Diese Uhr zeigte die Stunden durch den Fall eherner Kügelchen auf ein metallenes Becken an. Waren alle zwölf Stunden abgelaufen, so öffneten sich an der einen Seite zwölf Thüren, aus denselben ritten zwölf Reiter hervor, und an der andern Seite
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Bumüller u. Schuster, Weltgeschichte. 12. Aufl.
;ig. 22. Taufe des Sachseuherzogs Wittekind.
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wieder hinein. Wie ein Wunderwerk wurde diese künstliche Uhr von allen angestaunt.
Im Jahre 800 zog Karl nach Rom, um Leo III. gegen einige Verruchte, die an das Oberhaupt der Kirche ihre frevelnden Hünde gelegt hatten, zu beschützen. Die Ruhe ward bald hergestellt, ungestört konnte man jetzt das Weihnachtsfest feiern. Die Anwesenheit des mächtigen Fürsten erhöhte den Glanz des Festes und zog eine außerordentliche Menge nach Rom. Römer und Franken drängten sich am ersten Feiertage in die große Peterskirche, dem Gottesdienste beizuwohnen und des Heiligen Vaters Segen zu empfangen. Da trat auch Karl in die Kirche, ging zum Hochaltar und kniete nach seiner gewöhnlichen frommen Weise an der untern Stufe nieder, um sein Gebet zn verrichten. Als er hier in tiefer Andacht versunken ist, stehe da naht sich ihm der Papst in feierlichem Gefolge der hohen Geistlichkeit mit einer goldenen Krone in der Hand, setzt sie dem Könige auf das Haupt und falbt ihn zum römischen Kaiser. Das Volk aber ruft dreimal: „Leben und Sieg Karl dem Großen,
dem von Gott gekrönten, frommen, friedbringenden Kaiser von
Rom!" Sogleich schmettern die Trompeten, helle Musik ertönt in den tausendfachen Jubel des Volkes, ein zahlreicher Chor stimmt den Krönungsgesang an. Von nun an blieb der Kaisertitel als Auszeichnung bei dem Oberhaupte des Deutschen Reiches.
So war Karl zu einer kaum geahnten Macht emporgestiegen. Sein Kaiserreich erstreckte sich jetzt von den Pyrenäen bis zur Oder, von der Nord- und Ostsee bis zur Südküste Italiens. Diese gewaltige Masse von Ländern wußte seine Hand ebenso gut zu lenken, als sie das Schwert zu führen gewohnt war. Aus allen mußten
ihm fortwährend Berichte eingeschickt werden; nach allen Seiten
sandte er Befehle, und diesen wußte er Nachdruck zu verschaffen. Sein Petschaft war in seinem Schwertknopfe eingegraben. Hatte er nun einen Befehl an einen widerspenstigen Herzog untersiegelt, so pflegte er wohl zu sagen: „Hier ist mein Befehl, und hier" — das Schwert schüttelnd — „der, welcher ihm Gehorsam verschaffen soll." — Dabei verwandte er auf die Rechtspflege eine ganz besondere Sorg-
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fält, um überall in seinem Reiche Recht und Gerechtigkeit zu handhaben. — Karl liebte auch die Baukunst und ließ zahlreiche und Prächtige Bauten aufführen, wie zu Aachen, wo er, gleichsam Zum Beweise, daß er vor allem Deutschland angehöre, am liebsten verweilte.
Über alles aber ging dem großen Kaiser christliche Bildung, und er erwarb sich unsterbliche Verdienste um Religion nnd Gesittung der Völker. Überall wurden neue Bistümer, Kirchen
und Klöster gegründet unb reichlich ausgestattet. Zur Verherrlichung des Gottesdienstes ließ er Sänger unb Orgelspieler aus
Italien kommen unb führte einen neuen bessern Kirchengesang unter seinen Franken ein. Er vergnügte sich gerne an frommen, geistreichen Büchern und hegte eine besondere Vorliebe für die heiligen Kirchenväter. Latein sprach er fertig, Griechisch verstand er wenigstens. Er entwarf, wie Einhard sagt, selbst eine deutsche Sprachlehre, d. H. wohl, er gab die Anregung dazu, unb sammelte bie ur-
alten Lieber von ben -thaten ber Helden. Sehr wichtig waren ihm auch bie Schulen. Er grünbete solche auf allen feinen Hofgütern. Bei einer Prüfung, bie er einstens selbst anstellte, lobte er bie fleißigen Kinber ungemein; boch fürchterlich ließ er die faulen an, obwohl diese meistens vornehmen Geschlechtes waren, und drohte ihnen mit seinem ganzen Zorne.
Karl war von starkem Körperbau und erhabener Gestalt. Er hatte eine hohe klare Stirne und große, lebhafte Augen, die bem Freunde fröhlich, bem Feinbe aber furchtbar leuchteten. Im Reiten, Fechten unb Schwimmen war er sehr geschickt; jagenb trieb er sich nt ben Wäldern umher und kämpfte mit Wölfen, Bären und Auer-ochsen. Im Essen und Trinken war er höchst mäßig. Die Pracht m Kleidern liebte er nicht; er ging im einfachen deutschen Anznge. Nur an Reichstagen und hohen Festen erschien er in voller Majestät mit einer goldenen, von Diamanten strahlenden Krone aus dem Haupte, angethan mit einem langen, herabwallenden Mantel (Fig. 23). Er sprach viel und gerne und drückte sich über alles gut aus. Mild und bescheiden, war er gegen alle herablassend und gnädig.
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Fig. 23. Karl der Große. wurde er in vollem Kai-
serschmucke, mit Krone
und Schwert, ein goldenes Evangelienbuch auf den Knieen, ein Stück des heiligen Kreuzes auf seinem Haupte und die goldene Pilgertasche um die Hüfte, in aufrechter Stellung auf einem goldenen Stuhle sitzeud, in die Gruft der Marienkirche zu Aachen hinab-
Die Religion ehrte er tief im Herzen. Jeden Morgen wohnte er der heiligen Messe bei, besuchte regelmäßig auch nachmittags die Kirche und oft auch noch am Abend. Sein Almosen ging nach allen Weltteilen, namentlich zum Besten notleidender und bedrängter Christen.
In seinem 72. Jahre befiel Karl ein heftiges Fieber. Da er sein Ende herankommen sah, empfing er die heiligen Sterbsakramente mit rührender Andacht, hob noch knrz vor seinem Tode mit der letzten Kraft seine Rechte auf, drückte auf die Stirne und Brust das Zeichen des heiligen Kreuzes, faltete daun die Häude über der Brust unb sprach mit leiser Stimme und geschlossenen Augen: „In deine Hände, o Herr, befehle ich meinen Geist!" So entschlief Karl fanft und selig im Herrn am 28. Jannar814. Noch am nämlichen Tage
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gelassen. Sein Andenken erhielt sich noch lange in Sagen und Liedern des Volkes, und Jahrhunderte hindurch wurde alles Große und Schöne an seinen Namen geknüpft.
Keiurich I. und Htto I. Die Schlachten bei Merseburg und Augsburg.
Das große Reich Karls erlitt bald nach seinem Tode eine Teilung unter seine Enkel, bei welcher Deutschland Ludwig dem Deutschen zufiel. Leider besaßen aber die folgenden deutschen Könige nicht den starken Geist Karls, um die innern und äußern Feinde des Reiches niederzuhalten und namentlich dem wilden Volke der Magyaren oder Ungarn, die damals unser Vaterland heimzusuchen begannen, kräftigen Widerstand zu leisten. Sie waren den Hunnen vergleichbar wie an Gestalt und an Roheit der Sitten, so auch an Furchtbarkeit. Ihr dicker Kopf war geschoren, braungelb die Farbe des Gesichtes, die Nase platt; aus tiefen Höhlungen blitzten kleine Augen wild hervor. Schon von weitem erregte ihr Anblick Entsetzen. Früher hatten die Ungarn am Ural gewohnt, dann aber das Land an der mittlern Donau in Besitz genommen, welches von nun an Ungarn genannt wurde. Unstät und den Ackerbau fliehend, lebten sie unter Zelten von Tierhäuten, kleideten sich in Pelze, nährten sich vom Fleische und der Milch ihrer Pferde und tranken das Herzblut ihrer Feinde. Von Jugend auf saßen sie beständig auf den Pferden, schossen Pfeile mit hornenen Bogen und waren ebenso schnell im Überfalle als in der verstellten Flucht. In unermeßlichen Schwärmen kam jährlich dieses Volk auf seinen kleinen, raschen Pferden über Deutschland, das, zumal als gerade Ludwig das Kind ans dem Throne saß, zu unmächtig zum Widerstande war. Wo sie immer hinkamen, wurden die unerhörtesten Grausamkeiten verübt, alles Tragbare als Beute fortgenommen und viele taufend Männer, Weikr und Kinder an den Haaren zusammengebunden und in die Knechtschaft der Barbaren fortgeführt.
Da wurde endlich ein thatkräftiger, dabei weiser und gerechter Mann, Heinrich, Herzog von Sachsen, zum Könige der Deutschen
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erwählt (Fig. 24) (919—936). Um sich der gefürchteten Ungarn zu entledigen, wandte er einen neunjährigen Waffenstillstand, den er erkaufte, dazu an, seine Deutschen in der Kampfweise der Feinde einzuüben, lehrte sie in geschlossenen Reihen fechten, schnelle Schwenkungen machen rc. Ferner ließ et, da es damals in Deutschland noch an großen Festungen fehlte und die Städte noch nicht mit Mauern und Wällen umgeben waren, alte Städte befestigen und mehrere Burgen bauen. Der neunte Mann vom Lande mußte in
die Stadt ziehen und die übrigen acht für ihn das Feld mitbauen. Auch der dritte Teil des Getreides wurde in die festen Plätze geschafft und in Vorratskammern für die Zeit der Not und Gefahr für alle aufbewahrt. Um das Stadtleben auch angenehm zu machen, verlegte Heinrich Märkte in die Städte, veranstaltete Waffenübungen für die Einwohner und schuf fo den Anfang des Bürgerstandes, der seinen Namen von der Verteidigung der Burgen hat. Bald blühten manche Städte empor, wurden reich und mächtig, und viele bildeten zuletzt kleine Staaten, welche nur den Kaiser als ihren Herrn anerkannten; man nannte letztere freie Reichsstädte.
Unterdessen war die Zeit des Waffenstillstandes mit Ungarn abgelaufen. Da kam ihre Gesandtschaft und forderte den jährlichen Tribut. Statt dessen ließ ihnen Heinrich einen räudigen Hund
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Fig. 24. König Heinrich I.
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überreichen und dabei sagen, wenn sie einen andern Tribut wollten, so möchten sie nur kommen und denselben holen. Racheschnaubend brachen nun die Ungarn wie ein Heuschreckenschwarm über Deutschland ein; aber Heinrich und seinen Deutschen war nicht bange. Das große Banner mit dem Bilde des Erzengels Michael an der Spitze, rückten sie bei Merseburg (933) gegen die Ungarn gepanzert in regelmäßigen Reihen an. Das waren die Scharen nicht, die ehemals den Ungarn zum Gespötte gedient hatten; mit Bestürzung sahen diese ein ganz verwandeltes Heer vor sich und flohen entsetzt, als die Deutschen mit entschlossenem Mute heranstürmten. Heinrich setzte ihnen auf dem Fuße nach, ließ alle, welche Widerstand leisteten, niederhauen, die Gefangenen aber als Räuber und Mordbrenner größtenteils an die Bäume knüpfen. Es war eine glorreiche Schlacht, der Hermannsschlacht ähnlich. Noch auf dem Schlachtfelde kniete Heinrich nieder und dankte Gott für die Befreiung des Vaterlandes von seinen grausamsten Feinden.
Indessen waren kaum ein paar Jahrzehnte abgelaufen, da faßten die Häuptlinge der Ungarn den Entschluß, ihre schimpfliche Niederlage zu rächen. In fünf Heersäulen geteilt, brach eine zahllose Menge derselben in Bayern ein. „Unsere Pferde", sprachen sie, voll Trotz auf ihre Macht, „werden die Ströme und die Seen austrinken, und stürzt nicht der Himmel ein, oder thut sich nicht die Erde auf, so wird uns kein Unfall widerfahren." Mit reißender Schnelligkeit breiteten sie sich auf beiden Seiten der Donau aus, verwüsteten das Land bis an den Lech und lagerten sich um Augsburg , wohin ängstliche Vorsicht die Schätze der ganzen Nachbarschaft geflüchtet hatte. Die Stadt war damals nur mit einer schwachen und niedrigen Mauer umgeben. Allein der heilige Bischof Ulrich wußte unter den Bürgern Mut und Zuversicht zu wecken uud Augsburg durch tapfern Widerstand so lange zu halten, bis der Sohn und Nachfolger Heinrichs, Otto I. (Fig. 25) (936—973), zum Entsätze herbeigeeilt kam. Eben zogen die Ungarn, von ihren mit Peitschen in der Hand sie kommandierenden Befehlshabern geführt, zum Sturme gegen die Stadt an, als die Kunde erscholl,
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daß die Hilfe nahe. Da wandte sich der Feind, um sich gegen den
Entsatz aufzustellen. Ulrich aber verließ in der Nacht mit einem
Teile feiner Streiter die so männlich verteidigte Stadt und schloß sich an das mit Freuden begrüßte Heer des Königs an. Durch
Gebet und Fasten, gebot dieser, sollten Befehlshaber uud Soldaten sich des göttlichen Beistandes im Kampfe gegen die Heiden würdig machen ; uud am folgenden Tage sollte das heiße, entscheidende Werk beginnen. Der Tag brach an; es war der Festtag des hl. Lorenz. In acht Heerhaufen geteilt rückten die Deutschen auf der weiten Ebene des Lechfeldes an, mit Vorsicht sich auf Nebenwegen und in Wäldern haltend, um nicht schon vor dem Angriffe von den Pfeilen der Feinde erreicht zu werben. Als die Ungarn die große Heeresmacht erblickten, setzten reitende Schwärme derselben über den Fluß, stürzten unter wildem Geschrei auf die Nachhut der Böhmen und Schwaben los und schütteten einen Hagel von Pfeilen über sie aus. Schon wurde die Hinterhut im harten Kampfe zum Weichen gebracht, als der Herzog Konrad mit seinen Franken dem Feinde
Fig. 25. König Otto ber Große.
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in den Rücken fiel und ihn zurückschlug. Nun stellte der König das Heer in Schlachtordnung, und nachdem er die Befehlshaber um sich versammelt, sprach er zu ihnen: „Der Feind ist uns zwar überlegen an Zahl, aber wir ihm an Tapferkeit. Seine Horden sind unbewehrt, wir führen mit geschickter Hand tüchtige Waffen. Er trotzt vermessen auf seine eigene Kraft, wir vertrauen dem Beistände Gottes. Darum werden wir ihn überwinden! Und wer ist unter euch, der es vorziehen sollte, den Ungläubigen als Sklave zu dienen, während wir im ritterlichen Kampfe sterben können? Doch die Rede ist nichts, Thaten sollen von uns zeugen." So sprach der König und führte das mutvoll in geschlossenen Gliedern anrückende Heer dem Feinde entgegen, der ihm gegenüber in einer uuabsehbareu Linie Tod und Schmach den Kommenden gelobte. Die Ungarn standen unerschütterlich gegen den gewaltigen Anstoß der Deutschen. Erst nach langem, starkem Widerstände brachen weite Lücken in ihre Reihen. Nun begann ein wilder, entsetzlicher Kampf. Hordenweise schlugeu sich die feindlichen Reiter mit großen Scharen und vergossen stromweise deutsches Blut. Allein die geordnete Kraft errang den Sieg über die ohne Einheit wirkende Menge, Schrecken und Zagen ergriff die trotzigen Barbaren; sie überließen sich einer allgemeinen Flucht. Zu Tausenden schwammen die Leichname der Erschlagenen und Ertrunkenen im Lech. Das ganze feindliche Lager ward erbeutet, alle von den Ungarn Gefangenen erlangten wiederum ihre Freiheit. Das siegende Heer eilte dem fliehenden Feinde nach und rieb alles, was standhielt, vollends ans. Nur wenige überlebende Zeugen dieser Niederlage kamen nach Ungarn zurück. Von nun an wagten die Barbaren keinen kräftigen Angriff mehr gegen Deutschland.
Übrigens hatte König Otto diesen herrlichen Sieg (955) mit vielem Blute erkauft. Unter den Toten, welche sür die Freiheit unseres Vaterlandes gestorben waren, befand sich auch der tapfere Herzog Konrad von Franken. Er hatte in der Hitze des Streites, um Luft ztt schöpfen, das Visier an seinem Helme geöffnet, und in diesem Augenblicke drang ein feindlicher Pfeil in seinen Hals. Sein Leich-
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nam Ward unter Feierlichkeiten, wie sie einem Helden gebühren, in Worms beigesetzt. Am Abend des blutigen und siegreichen Tages ritt der König, umgeben von den Großen des Reichs, in die über ihre Rettung frohlockende Stadt Augsburg ein. In allen Kirchen des Reiches ertönten der Gottheit, die ihren Schutz so herrlich erwiesen, Dank- und Loblieder. Ein großer Teil des erbeuteten Silbers und Goldes wurde zu kostbaren Kirchengefäßen verwendet. Dem König Otto aber verlieh die einmütige Stimme der Nation den Ehrennamen „Vater des Vaterlandes".
iUiit^cit des Mittelallers.
Igetex von Amiens und Mrßan II. zu Klerrnont.
Das Land und die Orte, wo der Gottessohn Jesus Christus geboren ward, wo er lehrte und zu unserem Heile starb, mußten allen Christen wohl heilig sein. Daher wallfahrteten schon sehr frühe fromme Pilger dahin, welche von heißer Sehnsucht brannten, die heilige Stätte zu besuchen, wo einst der Heiland in menschlicher Hülle wandelte. Als Kaiser Konstantin und seine Mutter die heiligen Orte reinigten und schmückten und über dem heiligen Grabe eine prachtvolle Kirche errichteten, mehrten sich die Waller nach dem heiligen Lande aus allen Gegenden der Erde, und sie fanden überall gastliche Aufnahme und Erquickung in zahlreichen Klöstern. Desto größer war der Schrecken durch ganz Europa, als Jerusalem in die Hände der ungläubigen Araber fiel; doch blieb unter ihrer Herrschaft der christliche Gottesdienst ohne äußerliches Gepränge noch erlaubt, auch war der Besuch des heiligen Grabes gestattet, und selten geschah den Pilgern ein Leid. Das aber wurde anders im Jahre 1076, wo die Pilger wehklagend zurückkamen; die seld-schukkischen Türken, ein wildes Volk, hatten nämlich das heilige Land erobert, die Christen aufs äußerste mißhandelt und selbst der Kirche und der Priester nicht geschont. Von den Pilgern selbst forderte
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man eine große Summe für die Erlaubnis, Jerusalem betreten zu dürfen, und Taufende derselben famen bor den Thoren bor junger und Blöße um.
Keiner wurde durch den Anblick dieser Jammers eenen mehr hingerissen als der Einsiedler und Priester P et er aus Amiens, einer Stadt in Frankreich. Mit einem Schreiben des Patriarchen bon Jerusalem berfehen und durch einen geheimnisbollen Traum begeistert, eilte Peter zu Papst Urban II. nach Rom und schilderte die Leiden, welche die Mutter aller Kirchen bon ihren Tyrannen erdulde, mit flammenden Worten. Staunend hörte Urban den beredten Mann an, lobte feinen Eifer und sagte ihm alle Unterstützung zu. „Geh hin, mein Sohn," sprach er, „wandle bon Dorf zu Dorf, bon Stadt zu Stadt, erzähle überall, was du im Gelobten Lande gesehen und gehört hast, erwärme die kalten Kerzen, und der Heiland wird feinen Segen zu deinen Bemühungen geben; das übrige soll meine Sache fein." Da fetzte sich Peter barfuß und mit entblößtem Haupte, in einem grauen Pilgerkleide, auf ein Maultier, umgürtete feinen abgezehrten Leib mit einem Stricke, nahm ein Kreuz in die Hand, durchzog, auf den Straßen, Kreuzwegen und in Kirchen predigend, fast zwei Jahre lang ganz Italien und Frankreich, und riß durch das Feuer feiner Rede alle Gemüter zur Trauer und Begeisterung hin.
Nach dieser Vorbereitung berief Urban 1095 eine Kirchenber-fammlung nach Clermont in Frankreich. Es erschienen auf derselben 213 Erzbifchöfe und Bischöfe, sowie eine unzählige Menge bon Geistlichen und Laien. In der Mitte der Versammlung, auf einem hohen Throne unter freiem Himmel, zeigte sich der Papst, umgeben bon feinen Kardinälen, ihm zur Seite Peter der Einsiedler. Dieser sprach so ergreifend bon dem Elende der Christen im heiligen Lande, daß alles Volk laut weinte und schluchzte. Dann erhob sich der Papst und begann mit lauter Stimme also: „Ich will sie nicht trocknen, die Thränen der Wehmut. Lasset uns weinen, meine Brüder! Aber wehe uns, wenn wir nichts als diese Thränen hätten, wenn wir den Gedanken ertragen könnten, das Erbe des
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Himmels noch länger in den Händen der Ruchlosen zn lassen. Jenes Land, das wir mit Recht das heilige nennen; jener Hügel, wo Christus für unsere Sünden blutete; jenes Grab, aus welchem er als Sieger des Todes erstand; jener Berg des Friedens, von dem er hinauf gen Himmel fuhr; jene heiligen Mauern, welche die Versammlung der Apostel umschlossen und wo das kostbare Blut der seligen Märtyrer vergossen wurde: sollen wir als Feige und Verworfene sie noch länger in den räuberischen Händen eines ruchlosen Volkes lassen? Von Sion ging das Wort des Herrn aus. Auf denn, ihr Bäche, die ihr von daher fließet, kehret zu eurer Quelle zurück! Oder soll sich Gott audere Krieger erwecken? Wollet ihr die Ehre, unter seiner Fahue zu streiten, andern Händen überlassen? Nein, erwachet aus eurer Trägheit! Auf, ihr tapfern Ritter! Dorthin ziehet, dort gegen Morgen, da sind gerechte Beleidigungen zu rächen! Eilet hin nach Palästinas Fluren und kämpfet wider den Feind des christlichen Namens! Wendet gegen ihn die Schwerter, bie ihr ohne Aufhören gegen euch schärft! Auf! der Weg ist kurz', die Mühe klein — aber sie bringt eine unverwelkliche Krone."
So unb noch mehreres sprach ber Oberhirte. Als er geenbet, ^scholl von allen Seiten der Ruf: „Gott will es! Gott will es!" Darauf traten mehrere Bischöfe und der größte Teil der anwesenden Geistlichen und Laien hervor und erboten sich freudig zum heiligen Kriege. Nachdem ber Papst allen Pilgern ben Segen erteilt hatte, heftete sich ein jeber ein rotes Kreuz auf bie rechte Schulter, zum Zeichen unb zur Weihe bes neuen christlichen Bunbes, woher auch ber Name Kreuzfahrer unb Kreuzzug. Frohlockend eilte man jetzt nach Hause, sich zu bem heiligen Kampfe zu rüsten. Überall prebigten bie Bischöfe bas Kreuz unb es entstaub eine allgemeine Bewegung. Kein Stand, fein Alter, fein Geschlecht wollte von dem großen Unternehmen ausgeschlossen sein.
Kroöerung von Zerusatern unter Gottfried von Wouisson.
Der Winter 'des Jahres 1095 und ein Teil des folgenden Sommers wurde von den Fürsten und Rittern zu Rüstungen aller
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Art verwendet. Es bildeten sich allmählich fünf große Gruppen von Kreuzfahrern.
An ihrer Spitze standen Männer wie Bohernund, Fürst von Tarent, und dessen berühmter Neffe Tankred; Robert, Herzog von der Normandie, Graf Raimnnd von Toulouse uud so viele andere. Doch unter allen diesen ragte hervor an ritterlicher Würde und frommem Sinne Gottfried, Herzog von Lothringen, nach dem Stammschlosse seines Geschlechtes von Bouillon genannt. Er stand gerade in der Blüte feiner Jahre, ausgezeichnet durch schöne, kräftige Gestalt, voll Anmut und Menschenfreundlichkeit. Im Gebrauche der Waffen und in allen ritterlichen Unternehmungen war er unvergleichlich und darum in der Schlacht stets der Schrecken seiner Feinde. Ihn begleiteten seine Brüder Euftach und Balduin.
Im Jahre 1096 brachen die Kreuzfahrer auf, nahmen ver-fchiedene Wege und kamen 1097 bei Konstantinopel zusammen. Das Heer bestand aus 100 000 Reitern, 300 000 Fußgängern und mit Inbegriff der Geistlichen, Weiber und Kinder aus einer halben Million Menschen. Doch fehlte dem Ganzen die Einheit, weil keiner den Oberbefehl hatte und unter den einzelnen Anführern öfters Streitigkeiten ausbracheu. Auch waren die Seld-fchukken ein ebenso tapferes als verschlagenes Volk, das den Kreuzfahrern jeden Fußbreit Landes streitig machte und alle Fluren verwüstet hatte, um das ganze Heer auszuhungern. Dazu kam unter jenem heißen Himmelsstriche die Qual der brennenden Sonnenstrahlen, sowie ein Heer ansteckender Krankheiten. Viele sanken in ihren schweren Rüstungen ermattet zu Boden, andere verloren von der Hitze sogar die Besinnung. Jede Tagreise kostete Hunderte von Menschen, und in sieben Monaten waren alle Pferde bis auf 2000 gefallen. Beinahe hätte das Heer auch seine Hauptstütze, den edeln Gottfried von Bouillon, selbst eingebüßt. Dem Hilferuf eines Pilgers folgend, war er in einem Walde auf einen furchtbaren Bäreu gestoßen, vor dem jener davonfloh. Sobald das wilde Tier des Herzogs ansichtig wurde, wandte es sich gegen ihn und verwundete sein Pferd so gefährlich, daß er zu Fuß mit dem Schwerte an-
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greifen mußte. Mit offenem Rachen stürzte sich die Bestie ihm entgegen, wich beut Hiebe aus unb umklammerte ben Ritter mit ihren Tatzen. Gottsrieb umfaßte bas Tier mit ber Linken unb stieß ihm mit starker Faust bas Schwert bis zum Griff in bie Kehle, so baß ev röchelnb aus ben Boben siel. Er selbst hatte sich aber am Fuße verletzt unb blutete aus mehreren Wunben. Auf ben Hilferuf bes Pilgers eilte man herbei und fanb ben Herzog blutenb unb sehr geschwächt, neben ihm ben erlegten Bären; unter allgemeinem Klagen unb Weinen würbe er auf einer Sänfte ins Lager getragen, wo er sich aber verhältnismäßig rasch erholte.
Am höchsten stieg bie Not, als bas christliche Heer in bem eroberten Antiochien von ben zahllosen Scharen ber Feinbe rings-uinher eingeschlossen warb. Es zog aber schließlich hinaus zur Schlacht, besiegte bie Türken unb eroberte bas feinbliche Lager mit allen Vorräten unb Kostbarkeiten.
Zum Fürsten von Antiochien würbe Bohemunb erwählt, ber mit einem Teile bes Heeres hier zurückblieb; schon früher war mit einem anbern Teile Gottfriebs Bruber Balbuin über ben Euphrat nach Edessa ben bortigen Christen zu Hilfe gezogen unb war ihr Fürst geworden. Daburch hatte bas Kreuzheer an Zahl wieberum beträchtlich verloren; boch nichts vermag mehr ben siegreichen Zug aufzuhalten, ber über Tyrus, Sibon, Acco unb ben Seehasen Joppe gelit unb sich ber heiligen Stabt, bem Ziele seiner kriegerischen Pilgerschaft, nähert. Tankreb eilt mit 100 Rittern voran nach
Bethlehem. Unter Jnbelgesängen ziehen bie hier wohnenbert Christen ihren Befreiern entgegen unb zeigen ihnen bie gesegnete Stätte, wo Gottes Sohn bas Licht ber Welt erblickt hatte. Das
ganze übrige Heer bringt die Nacht schlaflos zu und eilt bei ber
ersten Morgenbämmerung ohne Rast, wie in aufgelösten Reihen, vorwärts — auch ber Schwächste fühlt jetzt Kraft zu beflügeltem Schritte. Enblich ist bie letzte Höhe erstiegen, — ba liegt bie heilige Stabt vor aller Augen ausgebreitet! Staunen fesselt Blick unb Miene, ein lautes Schluchzen geht burch alle Reihen; vor
tyreube trunken werfen bie Krieger sich nieber unb küssen bie heilige
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Erde. Dann erheben sie sich und ziehen mit entblößten Füßen,
heilige Lieder singend, gen Jerusalem.
Trotzdem daß die Stadt durch ihre Lage wie durch die Kunst gut befestigt war und von 40 000 Mann verteidigt wurde, eröffneten die Kreuzfahrer, die nur noch 35 000 Bewaffnete zählten und keine Belagerungswerkzeuge hatten, sogleich die Belagerung. Die wieder angefachte heilige Begeisterung ersetzte alles, und das Feldgeschrei: „Gott will's haben!" schallte vor den Mauern Jerusalems ebenso feurig wie vor vier Jahren auf den Feldern von
Clermont, sonst hätten die Leiden noch den Tapfersten hier zurückschrecken müssen. Man fand nämlich gar kein Trinkwasser, und die Hitze war so unerträglich, daß manche in die Erde krochen und ihre Brust mit kühlem Rasen bedeckten. Andere schlichen sich nahe an die Stadt, küßten andächtig die heiligen Manern und starben dann vor Ermattung. In einem Wäldchen, mehrere Meilen von der Stadt, fand man mit genauer Not noch Bäume, um einige Türme zu bauen, die man auf Rädern an die Stadtmauer schob. Da alles fertig war, hielt man einen Bittgang; man beichtete und kommunizierte und ging in Prozession um die Stadt. Die Belagerten spotteten darüber und entflammten dadurch die Wut der Kreuzfahrer. Am folgenden Tage, den 14. Juli, wagten sie einen allgemeinen Sturm. aber umsonst. Die Mohammedaner warfen
ihnen Steine und Balken ans die Häupter, schütteten brennenden
Schwefel und siedendes Öl auf sie und schwächten die Kraft der Geschosse durch allerlei Flechtwerk, das sie von der Mauer herab-hängten. Mit Anbruch des folgenden Tages ward der Angriff noch heftiger erneuert; nach sieben Stunden begannen die Christen bereits zu weichen, als ein glänzender Ritter vom Ölberge herab mit seinem Schilde gegen die Stadt her winkte. Gottfried ließ von seinem Kriegsturme die Fallbrücke auf die Stadtmauer fallen und war der erste, der in die Stadt hinabsprang — am 15. Juli 1099, nachmittags 3 Uhr, an einem Freitage. Andere folgten dem tapfern Führer nach, öffneten die Thore, und Jerusalem war erobert. Mit der Wut hungriger Löwen stürzten die Soldaten in die Straßen,
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in die Häuser und entehrten ihren Sieg durch ein fürchterliches Blutbad. Kein Atter, kein Geschlecht ward verschont. In einer Moschee, in welche sich über 10000 Sarazenen geflüchtet, wateten die Sieger bis an die Knöchel im Blute der Erschlagenen.
Doch an solch unnatürlichen Greueln nahm Gottfried von Bouillon keinen Anteil; er wallte, von drei Rittern begleitet, im Pilgerhemd und mit entblößten Füßen zum heiligen Grabe und überließ sich dort der inbrünstigsten Andacht. Auch die Kreuzfahrer, der Grausamkeiten endlich müde, legten die blutigen Rüstungen ab, zogen büßend unter Gesängen zur Leidensstätte, bekannten weinend ihre Sünden, gelobten Besserung nnd konnten sich nicht satt sehen an den heiligen Orten. Darauf ward Gottfried einstimmig zum König von Jerusalem gewählt, schlug aber die königliche Würde demütig aus. Er wollte nur Beschützer des heiligen Grabes heißen und keine goldene Krone da tragen, wo einst der Heiland der Welt unter einer Dornenkrone geblutet hatte.
Iriedrich I. der Kohenstaufe.
In der Mitte des schwäbischen Landes erhebt sich der einsame und majestätische Berg Hohenstaufen und verkündet noch heute die Größe eines ehemaligen Geschlechtes. Da wo jetzt das Auge nur den kahlen Scheitel des himmelanstrebenden Berges erblickt, stand einst das Stammschloß der großen Kaiser, die fast 120 Jahre über alle Gauen Deutschlands und noch weit hinaus über seine Grenzen geboten. Da wo nun die Ziege und der Stier weidet, und in weitem Umkreis mir die Pfeife des Hirtenknaben klingt, hausten die ersten Edeln dev gewaltigen Reiches, um mit ihrem kaiserlichen Herrn über die Weltgeschicke zu beraten, und erdröhnte der Boden unter dem Tritte der Geharnischten.
Der berühmteste dieser hohenstaufischen oder schwäbischen Kaiser war Friedrich I. (Fig. 26). Er war hochgesinnt, tapfer, von eisernem Willen und trotziger Kraft. Von äußerer schöner Gestalt, war er freundlich, doch würdevoll, und seine ganze Haltung zeigte den Herrscher. Die Italiener nannten ihn von seinem rötlichen Barte
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Friedrich Barbarossa, d. i. Rotbart (1152—1190). Er sollte
aber wohl der Große heißen; denn er war einer der trefflichsten Herrscher des Mittelalters, nnd kein Kaiser nach ihm hat das Scepter mit solcher Gewalt geführt. In Pavia ließ er sich zum König der
Lombardei und in Rom zum Kaiser krönen. Nach zwei Jahren machte er einen zweiten Heereszug nach Italien und züchtigte das stolze Mailand, welches in seinem Übermute ein kaiserliches Schreiben mit Füßen getreten hatte; als diese Stadt sich abermals empörte, eroberte er sie nach verzweifelter Gegenwehr, ließ sie von Grund aus zerstören und Salz auf die Trümmer streuen (im Jahre 1162). Indessen wurden die italienischen Städte durch feine Statthalter hart gedrückt, und er selbst wollte im Herr-scherübermnte den rechtmäßigen Papst Alexander III. nicht anerkennen. Dies führte zu einem großen Bündnis gegen ihn, infolgedessen er, ungeachtet der heldenmütigsten Tapferkeit, aufs Haupt geschlagen wurde und sich mit dem Papste aussöhnte. Nach Deutschland zurückgekehrt, ließ er den ungehorsamen Heinrich den Löwen, Herzog von Bayern nnd Sachsen, seine schwere
Fig. 26. Kaiser Friedrich I.
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Haud fühlen und machte seinen Namen bei allen Vasallen geachtet und gefürchtet.
Indessen war es im Jahre 1187 dem Sultan Saladin durch die Uneinigkeit der Christen gelungen, Jerusalem wieder zu erobern. Als die Nachricht zu Friedrichs Ohren drang, beschloß er, obwohl bereits zum 67. Lebensjahre vorgerückt, seine großen Thaten durch einen heiligen Kreuzzug zu krönen, und brach mit einem Heere üon 150 000 Streitern durch Ungarn und das griechische Kaiserreich nach dem Morgenlande auf. Die treulosen Griechen verderbten die Wege, verrammelten die Pässe, vergifteten Mehl und Wein. Aber Kaiser Friedrich stürmte die Pässe und drang gegen Konstantinopel vor. Da fügten sich die Griechen und lieferten Schiffe und Lebensmittel. Sieben Tage lang dauerte die Überfahrt des kaiserlichen Heeres nach Kleinasien. Nun ging der Zug rasch vorwärts. Bald aber kamen die Kreuzfahrer in wüste, wasserlose Gegenden: es brach ein solcher Mangel ein, daß man sogar Pferdefleisch aß und Pserdeblut trank. Zudem umschwärmten leichte türkische Reiter das Heer Tag und Nacht. Nie hatten die Pilger Ruhe; sechs Wochen lang konnten sie die Rüstungen nicht ablegen. Ermattet stießen sie plötzlich auf ein türkisches Heer von wenigstens 200 000 Mann. Nur Friedrich verzagte nicht. Mit wenigen, aber kräftigen Worten sprach er den Seinigen Mut ein. Alle empfingen das heilige Abendmahl uud stürzten dann, im Vertrauen aus Gott, für dessen Ehre sie fochten, mit solcher Gewalt auf die Feinde, daß 10 000 von diesen erschlagen, die übrigen nach allen Seiten hin zerstreut wurden (Fig. 27). Bald darauf stürmte Friedrich das von 60000 Mann verteidigte Jkoninm (das heutige Koniah). Alle Feinde waren bezwungen, der Weg nach Syrien war frei und offen. Doch wer ergründet die ewigen Ratschlüsse Gottes? Als das Heer über eine schmale Brücke den Fluß Saleph überschritt, beschloß der Kaiser, um den Zug zu beschleunigen, den Fluß zu durchschwimmen. Zwar warnten ihn einige der Seinigen, er möchte sich nicht dem unbekannten Wasser anvertrauen; allein furchtlos, wie immer, sprengte er mit dem Pferde in den Strom.
Fig. 27. Friedrich Barbarossa in der Schlacht bei Jkonium.
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Der Greis hatte aber nicht mehr so viel jugendliche Kraft als jugendlichen Mut; die Wellen ergriffen ihn mit Macht und rissen ihn fort, und als man endlich zu Hilfe kam und ihn aufs Land brachte,' war er bereits entseelt. Die Bestürzung, der Jammer, die Ver-
zweiflung überstieg jedes Mnjj; nach Friedrich wandten sich alle Gemüter wie die Pflauzen nach der Sonne; der Kaiser, der Feldherr, der Vater sei verloren, nun könne, so klagten alle, ihnen kein Glück mehr aufblühen! In feierlicher Trauer geleiteten sie die teure Leiche nach Tyrus und setzten sie dort unter Wehklagen bei.
_ Das Kreuzheer vermochte Jerusalem wirklich nicht mehr zu befreien, obwohl die Könige von Frankreich und England mit ihrer besten Ritterschaft ausgezogen waren. Seitdem ging es mit der Sache der Christen im Morgenlande immer mehr rückwärts; Edessa und Antiochien war schon vor Jerusalem in die Hände der Mohammedaner gefallen, und 1291 entrissen diese den Christen die letzte Festung in Palästina, Acco oder Ptolemais (jetzt Acre genannt), durch einen wütenden Kampf, der über 50 000 Menschen das Leben kostete.
Äusgang des Mittelalters.
Konradiris Fob.
Friedrichs I. Nachkommen (Heinrich VI., Philipp von Schwaben, Friedrich II.) waren zwar thatkräftige Fürsten, haben aber leider Deutschland ziemlich vernachlässigt und ihre Kraft in Italien in mannigfaltigen Kämpfen sowohl gegen die Päpste als auch um die Erwerbung der Herrschaft von Neapel und Sicilien vergeudet. Nach dem Tode Friedrichs II. konnte dessen Sohn Konrad IV. in Deutschland gar nicht mehr aufkommen, da er durch die Kämpfe um fein Erbland in Unteritalien zu sehr in Anspruch genominen war. Schließlich bemächtigte sich alsbald nach Konrads IV. Tod Karl von Anjou der Herrschaft von Neapel und Sicilien. Da aber Karl das Volk
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mit Abgaben beschwerte und seine Krieger sich viele Frevel erlaubten, so wuchs die Liebe vieler Sicilier zu den Hohenstaufen bis zur heißen Sehnsucht, und Konrads IV. Sohn, der 16jährige Konradin, der bis dahin in Deutschland aufgewachsen und auferzogen war, wurde
von einer Gesandtschaft der Unzufriedenen eingeladen, fein reiches
Erbe in Besitz zu nehmen. Konradin willigte, mehr mutig als klug, trotz seiner Mutter Warnungen ein. In Begleitung seines
Freundes Friedrich von Baden brach er mit einer treuen Schar
deutscher Ritter nach Italien auf. Zahlreiche Anhänger strömten
hier unter seine Fahnen.
Die Römer führten ihn im Triumphe in ihre Stadt ein; bald stand er dem Gegner mit einem starken Heere bei Tagliacozzo (1268) in Unteritalien gegenüber. Auch in der Schlacht war ihm das Glück anfangs günstig, die Feinde wurden in die Flucht geschlagen. Allein bei der Verfolgung wich die Ordnung aus dem Heere, zu frühe fiel es über die Beute des feindlichen Lagers her; viele legten auch die Panzer und Waffen ab, um von den Anstrengungen des heißen
Sommertages auszuruhen. In diesem Augenblicke brach der Feind aus einem Hinterhalte auf die Plündernden hervor und verbreitete allgemeine Bestürzung und Verwirrung im deutschen Lager. Wer fliehen konnte, floh; nur wenige leisteten kurzen Widerstand. Konradin eilte mit seinem Freunde Friedrich, nachdem sie ritterlich gekämpft hatten, nach der Meeresküste, um zu Schiffe nach Sicilien
zu entkommen. Sie wurden aber erkannt und von einem undank-
baren Verräter an Karl von Anjou ausgeliefert. Dieser beschloß jetzt, blutige Rache an ihnen zu nehmen. Um dabei dem Verdachte der Ungerechtigkeit zu entgehen, setzte er ein Gericht nieder, welches über sie das Todesurteil fällen sollte. Aber unerschrocken sprach einer der versammelten Richter: „ Konradin frevelte nicht, indem er versuchte, sein angestammtes väterliches Reich durch einen Krieg wiederzugewinnen, und Gefangene schonend zu behandeln gebietet göttliches und menschliches Recht." Alle übrigen stimmten ihm bei bis ans einen Nichtswürdigen, und dies genügte dem Tyrannen, das Todesurteil zu sprechen.
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Ms Konradin diese Nachricht beim Schachspiele erhielt, verlor er die Fassung nicht, sondern benutzte gleich seinen Unglücksgefährten die wenige ihm übrige Zeit, um sein Testament zu machen und sich mit Gott durch Beichte und Gebet auszusöhnen. Am 29. Oktober 1268 wurden die Unglücklichen zum Richtplatze nahe vor einem Thore Neapels geführt, wo auf einem Blutgerüste der Scharfrichter schon mit aufgestreiften Ärmeln ihrer wartete. Jetzt trat jener ungerechte Richter auf und las der versammelten Menge das Urteil vor. Als die Anwesenden den Todesspruch hörten, entstand ein tiefes Gemurmel, welches die lebhafte Bewegung der Gemüter verkündete; alle aber beherrschte die Furcht, und nur Graf Robert von Flandern,' des Königs eigener Schwiegersohn, ein ebenso schöner als edler Mann, sprang, seinem gerechten Zorne freien Lauf lassend, hervor und sprach zu dem Richter: „Wie kannst du, frecher, ungerechter Schurke, einen so großen und herrlichen Ritter zum Tode verurteilen?" — und zu gleicher Zeit tras er ihn mit seinem Schwerte dergestalt, daß er für tot hinweggetragen wurde. Der König verbiß seinen Zorn, als ersah, daß die französischen Ritter des Grafen Vorgehen billigten; — das Urteil aber blieb uugeändert! Hierauf bat Konradin, daß man ihm noch einmal das Wort gestatte, und sprach mit großer Fassung: „Vor Gott habe ich als Sünder den Tod verdient, hier aber werde ich ungerecht verdammt. Ich srage alle die Getreuen, sür welche meine Vorfahren hier väterlich sorgten; ich frage alle Häupter und Fürsten dieser Erde, ob der des Todes schuldig ist, welcher seine und seiner Völker Rechte verteidigt? Und wenn ich anch schuldig wäre, wie darf man die Unschuldigen grausam strafen, welche, keinem andern verpflichtet, in löblicher Treue mir anhingen?" — Diese Worte brachten Rührung hervor, hatten aber keinen weitern Erfolg, und der, dessen Rührung allein hätte in Thaten übergehen können, blieb nicht bloß versteinert gegen die Gründe des Rechts, sondern auch gegen die Eindrücke, welche Stand, Jugend und Schönheit der Verurteilten auf jeden machten. Da warf Konradin seinen Handschuh vom Blutgerüste hinab, aus daß er dem Könige Peter von Aragonien gebracht werde, zum Zeichen, daß er ihm alle Rechte aus Apulien und
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©teilten übertrage. Ritter Heinrich Trnchseß von Waldburg nahm den Handschuh auf und erfüllte den letzten Wunsch seines Fürsten.
Dieser, aller Hoffnung einer Änderung des ungerechten Spruches beraubt, umarmte seine Todesgenossen, besonders Friedrich von Baden,
zog dann sein Oberkleid aus und sagte, Arme und Augen gen Himmel erhebend: „Jesus Christus, Herr aller Kreaturen, König der Ehren! Wenn dieser Kelch nicht vor mir vorübergehen soll, so befehle ich meinen Geist in deine Hände!" Jetzt kniete er nieder, richtete sich aber noch einmal empor, dabei ausrufend: „O Mutter,
welches Leiden bereite ich dir!" Nach diesen Worten empfing er den Todesstreich. Als Friedrich das Haupt seines Freundes fallen sah, schrie er in unermeßlichem Schmerze so gewaltsam auf, daß alle Umstehenden zu weinen anfingen. Dann fiel auch sein Haupt.
Fig. 28. Kaiser Rudolf von Habsburg.
Mudokf von Kabsburg.
Die Zeit nach Konradins Tod war eine sehr traurige, indem das Deutsche Reich sich ganz ohne Oberhaupt befand und das Faust-
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recht immer weiter um sich griff. Da versammelten sich die deutscheu Fürsten zu Frankfurt zur Wahl eines Königs; derselbe sollte stark und weise, aber auch nicht zu mächtig sein. Gott lenkte die schwierige Sache zn des Vaterlandes Bestem.
Bei Aaran in der Schweiz stehen auf einem Hügel die Überreste des Schlosses Habs bürg, weit in die Gegend hinausschauend. Hier war der Stammsitz der Grafen von Habsburg, welche ansehnliche Güter im Elsaß, in Schwaben und in der Schweiz besaßen und deren Haupt in der zweiten Hälfte des 13. Jahrhunderts Rudolf (Fig. 28) war. Diesen wählten die deutschen Fürsten zum Könige (1273), weil er, wie der Erzbischof von Köln sagte, „ein Verehrer der Kirche, ein Freund der Gerechtigkeit, ein Mann von klugen Ratschlägen und großer Frömmigkeit war, geliebt von Gott und Menschen". Rudolf, der gerade die Stadt Basel belagerte, empfing die Nachricht von seiner Wahl mit Verwunde-rung, schloß sogleich Frieden und eilte nach Aachen zur Krönung. Bei der Belehnung der Fürsten fehlte es an einem Scepter, da entstand Bedenken. Rudolf aber, schnell gefaßt, nahm ein Kruzifix vom Altare und sagte: „Dieses Kreuz, welches die Welt erlöset hat, wird ja wohl die Stelle eines Scepters vertreten" — eine Geistesgegenwart und religiöse Äußerung, die allen Anwesenden sehr gefiel. Noch höher stieg die Begeisterung für ihn, als beim Krönungsmahle eine fromme That desselben durch eines Sängers Mund besannt ward, was unser Schiller so schön besungen hat im folgenden Gedichte:
Zu Aachen in seiner Kaiserpracht,
Im altertümlichen Saale,
Saß König Rudolfs heilige Macht Beim festlichen Krönungsmahle.
Die Speisen trug der Pfalzgraf des Rheins,
Es schenkte der Böhme des perlenden Weins,
Und alle die Wähler, die sieben,
Wie der Sterne Chor um die Sonne sich stellt,
Umstanden geschäftig den Herrscher der Welt,
Die Würde des Amtes zu üben.
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Und rings erfüllte den hohen Balkon Das Volk in frend'gem Gedränge!
Laut mischte sich in der Posaunen Ton Das jauchzende Rufen der Menge;
Denn geendigt nach langem, verderblichem Streit War die kaiserlose, die schreckliche Zeit,
Und ein Richter war wieder auf Erden.
Nicht blind mehr waltet der eiserne Speer,
Nicht fürchtet der Schwache, der Friedliche mehr,
Des Mächtigen Beute zu werden.
Und der Kaiser ergreift den golbnen Pokal Und spricht mit zufriedenen Blicken:
„Wohl glänzet das Fest, wohl pranget das Mahl, Mein königlich Herz zn entzücken;
Doch den Sänger vermiss' ich, den Bringer der Lust, Der mit süßem Klang mir bewege die Brust Uud mit göttlich erhabenen Lehren.
So hab' ich's gehalten von Jugend an,
Und was ich als Ritter gepflegt und gethan,
Nicht will ich's als Kaiser entbehren."
Und sieh! in der Fürsten umgebenden Kreis Trat der Sänger im langen Talare;
Ihm glänzte die Locke silberweiß,
Gebleicht von der Fülle der Jahre.
Süßer Wohllaut schläft in der Saiten Gold,
Der Sänger fingt von der Minne Sold,
Er preiset das Höchste, bas Beste.
Was bas Herz sich wünscht, was ber Sinn begehrt; Doch sage, was ist bes Kaisers wert An seinem herrlichsten Feste?
„Nicht gebieten werb' ich bem Sänger," spricht Der Herrscher mit lächelnbem Munbe,
„Er steht in bes größeren Herren Pflicht,
Er gehorcht ber gebietenben Stunbe.
Wie in ben Lüften ber Sturmwinb saust,
Man weiß nicht, von wannen er kommt unb braust, Wie ber Quell aus verborgenen Tiefen,
So bes Sängers Lieb aus bem Innern schallt Unb wecket ber bunkeln Gefühle Gewalt,
Die im Herzen wunberbar schliefen."
Bumüller u. Schuster, Weltgeschichte. 12. Aufl. 6
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Und der Sänger rasch in die Saiten fällt Und beginnt sie mächtig zu schlagen:
„Aufs Weidwerk hinaus ritt ein edler Held, Den flüchtigen Gemsbock zu jagen.
Ihm folgte der Knapp' mit dem Jägergeschoß, Und als er auf seinem stattlichen Roß In eine Au kommt geritten,
Ein Glöcklein hört er erklingen fern —
Ein Priester war's mit dem Leib des Herrn;
Voran kam der Mesner geschritten.
„Und der Graf zur Erde sich neiget hin,
Das Haupt mit Demut entblößet,
Zu verehren mit gläubigem Christensinn,
Was alle Menschen erlöset.
Ein Bächlein aber rauschet durchs Feld,
Von des Gießbachs reißenden Fluten geschwellt, Das hemmte der Wanderer Tritte.
Und beiseit legt jener das Sakrament,
Von den Füßen zieht er die Schuhe behend, Damit er das Bächlein durchschritte.
„Mas schaffst du?' redet der Gras ihn an,
Der ihn verwundert betrachtet. —
,Herr, ich walle zu einem sterbenden Mann,
Der nach der Himmelskost schmachtet.
Und da ich mich nahe des Baches Steg,
Da hat ihn der strömende Gießbach hinweg Im Strudel der Wellen gerissen.
Drum daß dem Lechzenden werde sein Heil,
So will ich das Wässerlein jetzt in Eil' Durchwaten mit nackenden Füßen?
„Da setzt ihn der Graf auf sein ritterlich Pferd Und reicht ihm die prächtigen Zäume,
Daß er labe den Kranken, der fein begehrt,
Und die heilige Pflicht nicht versäume.
Und er selber auf seines Knappen Tier Vergnüget noch weiter des Jagens Begier;
Der andre die Reise vollführet.
Und am nächsten Morgen mit dankendem Blick Da bringt er dem Grasen sein Roß zurück, Bescheiden am Zügel gesühret.
Fig. 29. Rudolf von Habsburg bietet dem Priester sein Pserd an.
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Nicht wolle das Gott/ rief mit Demutsinn Der Graf, ,daß zum Streiten und Jagen Das Roß ich beschütte fürderhin,
Das meinen Schöpfer getragen!
Und magst du's nicht haben zu eignem Gewinst,
So bleibt es gewidmet dem göttlichen Dienst;
Denn ich hab' es dem ja gegeben,
Von dem ich Ehre und irdifches Gut Zu Sehen trage, und Leib und Blut Und Seele und Atem und Leben/ —
„,So mög' auch Gott, der allmächtige Hort,
Der das Flehen der Schwachen erhöret,
Zu Ehren Euch bringen hier und dort,
So wie Ihr jetzt ihn geehret.
Ihr seid ein mächtiger Graf, bekannt Durch ritterlich Walten im Schweizerland;
Euch blühen sechs liebliche Töchter.
So mögen sie/ rief er begeistert aus,
,Sechs Kronen Euch bringen in Euer Hans Und glänzen die spätsten Geschlechter!"'
Und mit sinnendem Haupt saß der Kaiser da,
Als dächt' er vergangener Zeiten;
Jetzt, da er dem Sänger ins Auge sah,
Da ergreift ihn der Worte Bedeuteu.
Die Züge des Priesters erkennt er schnell Und verbirgt der Thränen stürzenden Quell In des Mantels purpurnen Falten.
Und alles blickte den Kaiser an
Und erkannte den Grafen, der das gethan,
Und verehrte das göttliche Walten.
Die erste Handlung Rudolfs war, daß er in Frauken, Schwaben uud am Rheiu Ordnung und Recht wiederherstellte. Darauf zog er gegen deu stolzen Ottokar, König vou Böhmen, der ihm deu schuldigen Gehorsam verweigerte und alleu seinen Befehlen trotzte. Ottokar hatte sich am linken Ufer der Donau gelagert und glaubte hier in Sicherheit zu sein. Unversehens ließ aber Rudolf eine Brücke über den Strom schlagen und rückte hinüber. Da kam Bestürzung über Ottokar uud sein Heer; er bat um Frieden und mußte nicht
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bloß nach damaliger Sitte knieend dem Kaiser huldigen, sondern auch das eroberte Österreich abtreten. Von seiner stolzen Gemahlin aufgereizt, griff Ottokar, als die Reichsfürsten heimgezogen waren, jedoch neuerdings zu den Waffen. Auf dem Marchfelde, einige Meilen von Wien, kam es zu einer blutigen Schlacht, in der Rudolf selbst in Lebensgefahr geriet, aber endlich den Sieg errang. Ottokar hatte einen riesenmäßigen polnischen Ritter vermocht, den Kaiser-selbst aufzusuchen und zu töten. Der Pole erreichte diesen auch, griff wütend an und stieß sein Pferd nieder. Rudolf wäre verloren gewesen, hätte er sich durch seinen Schild nicht vor dem Zertreten geschützt. Endlich gelang es ihm, sich unter dem getöteten Pferde hervorzuarbeiten, und er kämpfte nun so lange mit dem Polen, bis ihm die ©einigen zu Hilfe kamen. So errettete die Vorsehung den braven Kaiser. Anders erging es Ottokar, der sich wie ein Löwe verteidigte, aber endlich verwundet vom Pferde geworfen und getötet wurde. Nach dem Siege fanden Rudolfs Leute unter den Leichen auch jenen Polen, zwar noch lebend, aber fürchterlich zugerichtet. Sie fragten Rudolf, ob sie den Schelm nicht vollends töten sollten. „Das wolle Gott verhüten!" antwortete der Kaiser, „es wäre doch schade, wenn ein so tapferer Ritter sterben sollte." Darauf ließ er
ihn sorgfältig Pflegen und schickte ihn nach seiner Genesung in sein
Vaterland zurück. Den Sohn Ottokars belehnte er mit dem Erb-reiche seines Vaters, die österreichischen Länder dagegen gab er
seinen eigenen Söhnen zum Lehen und gründete dadurch die Macht des habsburgischen Hauses, aus welchem die Kaiser von Österreich abstammen.
Nun wandte sich der thätige Kaiser wieder zur Zerstörung der Raubuester, faß überall zu Gericht und vernahm die Parteien, weshalb man ihn auch das lebendige Gesetz nannte. Jeder, ohne Unterschied des Standes, hatte freien Zutritt zu ihm. Einst, als die
Wache einen gemeinen Monn, der mit ihm zu sprechen wünschte, nicht hineinlassen wollte, rief er ihr zu: „So lasset ihn doch eintreten! Bin ich denn zum Kaiser erwählt, daß man mich einschließe?" Obgleich er den ersten Thron von Europa einnahm, so
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war er doch fern von Stolz, äußerst mild und leutselig. Als Kaiser besuchte er noch einen reichen Gerber in Basel, den er früher gekannt hatte, und nahm einen Bürger aus Zürich, der ihm einst Dienste geleistet, sehr freundlich in seinem Palaste auf. Wenn man ihm sagte, er fei zu gut, so erwiderte er: „Es hat mich oft gereut, wenn ich zuweilen streng gewesen bin; nimmer wird es mich reuen, mitleidig und gütig gewesen zu sein."
Als er hochbetagt fein nahes Ende fühlte, ritt er nach Speier, dem alten Begräbnisorte der Kaiser, und sagte scherzweise, er wolle jetzt seine Vorgänger besuchen. Er kam nur noch bis Germersheim; dort starb er im 74. Lebensjahre am 15. Juli 1291. Sein Leichnam ward in Speier beigesetzt. Er hatte im Leben stets großes Glück und verdiente solches durch ein kindliches Vertrauen auf Gott und durch feine Tugend. Seine Redlichkeit war noch lange nachher sprichwörtlich im Munde des Volkes.
Die wichtigsten Erfindungen des Wittekakters.
Im Mittelalter wurden mehrere für die menschliche Gesellschaft ebenso nützliche als der Wissenschaft förderliche Erfindungen gemacht, durch welche allmählich die meisten Verhältnisse umgestaltet und eine neue Zeit vorbereitet wurde. Zu diesen gehören zunächst:
1. Die Erfindung des Kompasses. — Die ganze Schiffahrt der alten Völker war fast nur Küstenschiffahrt; denn es fehlte ihnen noch an einem bestimmten Wegweiser durch die unermeßliche Wasser-wüste. Ihre einzigen Wegweiser waren die Sonne und die Sterne; aber durch die Nacht wird die Sonne, und durch den Wechsel der Witterung werden die Sterne dem Auge entzogen. Niemand fiel es ein, daß ein Stückchen schwarzes Eisen besser Bescheid am Himmel wissen könne als der Mensch, und daß man sich mit diesem, als dem untrüglichsten Wegweiser, auf alle auch noch so unbekannte Meere kühn hinauswagen dürfe. Es hat nämlich eine Nadel, die mit einem Magnete bestrichen wird, die wunderbare Eigenschaft, daß sie, sobald sie frei hängt, mit der einen Spitze immer nach Norden zeigt. Hiernach lassen sich denn alle übrigen Himmelsgegenden bei
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Tag und bei Nacht, bei heiterem und umwölktem Himmel mit Sicherheit bestimmen. Wem wir diese nützliche Entdeckung zu verdanken haben, ist unbekannt. Einige schreiben sie dem Fl ad io Gioj a, andere einem Giri aus Amalfi im Königreich Neapel, gegen Ansang des 14. Jahrhunderts, zu; noch andere behaupten, sie sei schon im 12. Jahrhundert gemacht worden; es ist aber gewiß, daß die Chinesen den Kompaß lange vorher kannten, und die Araber ihn zuerst auf dem Mittelmeere gebrauchten. Diese mit Magnet bestrichene Nadel wurde über eiu spitzes Stäbchen gelegt, so daß sie sich nach allen Seiten frei bewegen konnte, und in einem Kästchen untergebracht. Das nannte man einen Kompaß. Dieser wurde immer mehr vervollkommnet und ward der getreueste Gefährte des Seefahrers. Seitdem blieb der große Ocean kein verschlossenes Heiligtum mehr. Fortan war es möglich, weite Seefahrten zu unternehmen, neue, früher völlig unbekannte Länder uud Völker zu entdecken und mit diesen in vielfachen Verkehr zu treten.
2. Erfindung des Schießpulvers. — Wie der Kompaß in das Getriebe des Handels, so griff die Erfindung des Schießpulvers in das Kriegswesen ein. Die Chinesen geben das Pulver für eine alte Erfindung ihres Volkes aus und wollen es schon vor 1600 Jahren gekannt haben. Auch die Araber iu Spanien kannten es und bedienten sich häufig desselben zu Feuerwerken. Wahrscheinlich brachten sie die Kenntnis davon, wie die des Kompasses, ans dem Morgenlande mit. Im 12. Jahrhundert bereits soll das Pulver auch in den Bergwerken des Harzes zur Sprengung des Gesteins gebraucht worden sein. So läßt sich wenigstens nicht leugnen, daß die Europäer schon vor dem Jahre 1350 das Pulver gekannt und gebraucht haben. Damit war es aber noch nicht sür den Krieg erfunden uud also eigentlich auch noch nicht Schießpulver zu nennen. Als solches findet es sich erst um die Mitte des 14. Jahrhunderts, und die gewöhnliche Meinung schreibt diese Erfindung einem Franziskanermönche zu Freiburg in Baden, Berthold Schwarz, zu. Dieser, heißt es, stampfte einst Schwefel, Kohlen und Salpeter in einem Mörser und legte hierüber einen Stein. Zufällig entzündete ein
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Funke diese Masse, und augenblicklich flog der Stein mit einem fürchterlichen Knalle gegen die Decke. Erschrocken stand der Scheide-künstler da und staunte über das wunderbare Ereignis. Er wiederholte seine Versuche und immer ergab sich derselbe Erfolg. Jetzt machte er seine Erfindung weiter bekannt und zeigte, welchen Nutzen man ans derselben im Kriege znr Zerstörung der Stadtmauern, Brücken und anderer Festungswerke ziehen könne. Es wurden deshalb mörserähnliche Röhren gemacht, die daher auch den Namen Mörser behielten. In die Mündung derselben wurde jene Mischung und davor Steine geschoben, und hinten an dem geschlossenen Boden des Mörsers ein kleines Loch gebohrt, um dort das Pulver an-
zuzünden. Allmählich wurden die Mörser zu Kanonen verlängert. Diese Kanonen, Donnerbüchsen genannt, ans welchen zuerst Steine, später eiserne Kugeln geschleudert wurden, waren von außerordentlicher Größe, obwohl noch lange nicht so groß wie die Geschosse, deren man sich in dem Kriege von 1870—71 bediente. Im Jahre 1378 wurden zu Augsburg drei Kanonen gegossen, von denen die größte Kugeln von 137, die mittlere von 70, die kleinste von
50 Pfund 1000 Schritte weit schoß. Allmählich aber fand man das Unbequeme dieser Maschinen, die selbst durch die größte Anstrengung kaum von der Stelle zu bringen waren. Man machte sie deshalb immer kleiner, so daß man sich ihrer auch im freien Felde, und nicht bloß zu Belagerungen und Verteidigungen fester Plätze, bedienen konnte. Später goß man sogar Kanonen mit so
dünnen Röhren, daß der einzelne Mann sie bequem tragen und nach
Willkür regieren konnte. Diese tragbaren Feuergewehre, die man auch Büchsen oder Musketen nannte, wurden, wie die Mörser und Kanonen selbst, am Zündloche mit einer Lunte angezündet. Das älteste Zeugnis über den Gebrauch dieser Handbüchsen ist ans dem Jahre 1387, in welchem die Stadt Augsburg ihren Bundesgenossen 30 Büchsenschützen stellte; denn dort und in Nürnberg verfertigte man lange Zeit die besten Büchsen und Kanonen, und von diesen beiden Städten ging die Vervollkommnung der gedachten Erfindung aus. Namentlich erfand man im Jahre 1417 zu Nürnberg Flinten-
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schlösser mit Steinen, die durch ein Rad gespannt wurden, und bald verfielen auch die Franzosen auf das Flintenschloß. Weil der dazu gebrauchte Feuerstein auf slavisch Flins hieß, so bekam das ganze Gewehr hiervon den Namen Flinte. Um diese neue Waffe zugleich als Lauze zu gebrauchen, wurde an der Müudung derselben ein Seitengewehr angeschraubt, welches vou der Stadt Bayonne in Frankreich, wo diese neue Erfindung zuerst aufkam, den Namen Bajonett erhielt. Im Laufe dieses Jahrhunderts hat das Gewehr eine Reihe von Verbesserungen und Vervollkommnungen erfahren. Von der Flinte mit dem Feuerstein und Ladestock gelangte man nacheinander zum Perkussions-, Zündnadel- und endlich zum Magazin-Gewehr , das in den Händen des geschulten Soldaten eine furchtbare Waffe bildet. Noch beim Perkussionsgewehr erfolgte das Laden von vorne mittelst eines Ladestocks. Erst Dreyse, der Erfinder des Zündnadelgewehres, erschloß den Lauf am Schaftende uud führte von dort fertige Patronen ein, die mittelst einer Nadel, später eines Schlagbolzens, entzündet wurden. Neuerdings ist auch an die Stelle des frühern Bajonetts ein kurzes dolchartiges Messer getreten, das an der Mündung des Gewehrs befestigt wird.
Die neu eit Kriegsmaschinen wurden jedoch im Felde anfänglich wenig gebraucht. Sie galten für heimtückische Waffen, die sich für
einen ehrlichen Krieger gar nicht schickten. Besonders eiferten die
Ritter gegen die höllische Erfindung, wie sie dieselbe nannten. Denn was hals ihnen jetzt all ihre Kraft und Gewandtheit, was die trefflichsten Waffen und Rüstungen, da ein Fingerdruck des Feigsten aus weiter Ferne sie dahinstrecken konnte! Die Ritter legten Lanze und Schwert nieder, als gemeine Fußknechte mit Musketen und Kanonen sich ihnen entgegenstellten. Von nun an verrichteten besoldete Truppen, die deshalb auch den Namen Soldaten erhielten, den Waffendienst. Die Schlachten selbst wnrden im ganzen weniger blutig und mit weniger persönlicher Erbitterung geführt als in frühern Zeiten, wo Mann auf Mann grimmig einhieb. Die Entscheidung der
Schlacht hing jetzt nicht so sehr ab von der Anzahl der Streiter
und ihrer Körperkraft als von der Gewandtheit der Anführer. Die
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Kriegskunst wurde zu einer Wissenschaft, die viele Kenntnis und Erfahrung erfordert. So durchgreifend wirkte die Erfindung des Pulvers, deren Urheber wohl an nichts weniger als an Krieg und Schlachten gedacht hatte.
3. Erfindung der Buchdruckerkunst. — Unter allen Erfindungen ist diese die wichtigste und zugleich die schönste Zierde des deutschen Namens. Früher gab es nur geschriebene Bücher. Die Mönche vorzüglich beschäftigten sich mit dem Abschreiben, und es ist zum Erstaunen, wie weit sie es in der Schönschreibekunst gebracht hatten. Die großen Anfangsbuchstaben wurden sehr schön mit bunten Farben angemalt, auch wohl mit Gold ausgelegt, oft sogar mit kleinen, niedlichen Bildchen umgeben. Solche Abschriften kosteten außerordentlich viel Zeit und vielen Fleiß und waren deshalb auch sehr teuer. Eine einzige schöne Bibel kostete wohl 900 Mark. Darum konnten auch nur reiche und vornehme Leute Bücher kaufen. Am größten war dieser Nachteil für die Schulen, weil nicht jeder Schüler, wie jetzt, sein eigenes Buch hatte. Der Unterricht konnte deshalb auch nur höchst mangelhaft sein, weil er sich fast einzig auf den mündlichen Vortrag beschränken mußte.
Der Buchdruckerkunst ging die Formschneidekunst, die schon im Anfange des 14. Jahrhunderts erfunden worden, voraus und bereitete jene vor. Es wurden nämlich in hölzerne Täfelchen allerlei Bilder von Heiligen geschnitten, mit Farbe bestrichen und dann auf Pergament oder Papier abgedruckt. Diese Holzschnitte waren anfangs sehr roh, die Figuren kaum kenntlich. Um den Heiligen, der abgebildet sein sollte, kennbar zu machen, wurde der Name desselben beigesetzt. Bald schnitt man nicht nur einzelne Wörter bei, sondern auch ganze Bibelstellen; zuletzt schnitt man sogar ganze Seiten in Holz. Sollte nun ein geschriebenes Buch gedruckt werden, so mußten gerade so viele Holztafeln da sein, als das Buch Seiten hatte. Jede Seite wurde in die Holztafel geschnitten, mit Schwärze bestrichen und dann abgedruckt. Auf diese Weise konnte man dasselbe Buch möglichst vervielfältigen. Nach dem Abdruck aber hatten diese Tafeln, die so viele Mühe und Arbeit gekostet, keinen Wert mehr; denn
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für jedes andere Buch mußten auch andere Tafeln gemacht werden. Da kam ein deutscher Edelmann, Johann Gänsefleisch, ans der ritterlichen Familie Sorgen loch, der von seinem Hause zum guten Berg in Mainz, wo er zwischen 1397 und 1400 geboren war, Johann Gutenberg genannt wird, zu Straßburg auf den glücklichen Gedanken, lieber einzelne Schriftzeichen in buchenen Stäbchen — woher ihr Name Buchstaben — auszuschneiden, mit Fäden zn Zeilen aneinanderzureihen, mit Tinte und Lampenruß zu schwärzen und abzudrucken, damit man sie nachher wieder auseinandernehmen und zu jedem andern Drucke noch gebrauchen könne. Der erste Versuch gelang nicht nach Wunsch, weil die hölzernen Lettern leicht zersprangen. Daher nahm Gutenberg bleierne, dann zinnerne. Im Jahre 1439 wurde auch die Presse erfunden. Doch kam in Straßburg noch kein gelungener Abdruck eines ganzen Buches zu stände.
Im Jahre 1445 kehrte Gutenberg nach Mainz zurück und setzte seine Versuche fort. Hier trat er im Jahre 1450 mit Johann Fust oder Faust, einem reichen Goldschmiede, und mit Peter Schöffer, einem Schönschreiber aus Gernsheim, in Verbindung. Durch letztem insbesondere gewann die Kunst sehr an Vollendung, indem Schöffer den Rat gab, die Buchstaben einzeln zu gießen, statt sie mühsam zu schneiden; auch erfand er eine bessere Druckschwärze aus Kienruß und Leinöl. Von nun an schritt die Kunst rasch vorwärts; man war bald im stände, ein ganzes Werk zu drucken. Das erste war eine lateinische Bibel in drei Bänden, die wahrscheinlich 1456 vollendet wurde; dann 1457 die Psalmen, bei denen zuerst Drucker und Jahreszahl genannt sind (Fig. 30). Bald folgten vollständige Bibelübersetzungen, deren es schon vor Luther 14 in hochdeutscher und sechs in plattdeutscher Mundart gegeben hat. Dem edeln Erfinder der Kunst aber, welcher ihr sein ganzes Vermögen und alle Kräfte gewidmet hatte, ward nicht einmal die Freude, zur Vollendung derselben mitzuwirken. Faust hatte Gutenberg zu dem Unternehmen 2000 Gulden vorgestreckt, welche dieser ihm nicht sogleich zurückgeben konnte. Faust, der überhaupt ein habsüchtiger Mann
Fig. 30. Gutenberg in seiner Buchdruckerwerkstätte.
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war, verklagte ihn deshalb und bekam zum Ersätze für sein geliehenes Geld Gutenbergs Lettern und Gerätschaften; Gutenberg selbst wurde sogar vou dem Unternehmen ganz ausgeschlossen.
Diese ersten Werke setzten alle in beispielloses Erstaunen, denn sie hielten das Gedruckte für Geschriebenes und konnten nicht begreifen, wie man in so knrzer Zeit so unzählige Blätter auf einmal nnd fo ähnlich beschreiben konnte, daß nicht der mindeste Unterschied wahrzunehmen war. Manche hielten es sogar für Zauberei. Die Kunst selbst blieb ein Geheimnis, bis Mainz 1462 in einem Streite zweier Nebenbuhler um das Kurfürstentum erobert, geplündert und Fansts Werkstätte zerstört ward. Die Gehilfen, die vorher wie Gefangene eingeschlossen gewesen waren, damit die einträgliche Kunst ja nicht verraten würde, flohen jetzt nach allen Gegenden uud legten Druckereien an. So ward diese wichtige Erfindung noch vor dem Ende des Jahrhunderts nicht nur über ganz Deutschland verbreitet, sondern auch über die meisten europäischen Länder, namentlich über Italien. Hier änderte man zuerst die alte nachgeahmte Mönchsschrift, aus welcher unsere jetzige deutsche Druckschrift entstanden ist, in die einfachere und zierlichere, sogenannte lateinische Schrift um und führte auch fönst mancherlei Verbesserungen ein. Faust starb 1466 zu Paris an der Pest; zwei Jahre später starb auch Guteuberg zu Mainz, fast vergessen 1.
Die Buchdruckerkunst war gleichsam das Thor, durch welches Bildung und Aufklärung sich schnell nach allen Gegenden verbreitete. Alles Große und Schöne, das einzelne Männer gedacht nnd erfunden hatten, konnte durch sie in kurzer Zeit zu einem bleibenden Gemeingute aller Völker der Erde werden. Wurde in früherer Zeit eine Handschrift vernichtet, so war in der Regel das ganze Werk ver-
1 Im Jahre 1837 wurde dem edeln Erfinder der Buchdruckerkunst in seiner Vaterstadt Mainz ein von Thorwaldsen entworfenes kostbares Denkmal errichtet und zugleich beschlossen, daß mit jedem wiederkehrenden Jahre sein Andenken festlich gefeiert werden solle. Auch Straßburg hat ein Gntenberg-denkmal.
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loren; jetzt können mehrere hundert Exemplare zerstört werden, ohne daß darum das Werk vernichtet wäre. Jetzt war es möglich, Kenntnisse zu sammeln, auch ohne in dem Hörsaale eines Lehrers zu sitzen oder sich in den Bücherschatz eines Klosters zu vergraben. Gleichwie aber die Sonne neben dem guten Samen auch manches Unkraut aus dem Schoße der Erde hervortreibt, so hat die Buchdruckerkunst bis zur Stunde auch vieles Schädliche und Sittenverderbende zu Tage gefördert.
4. Erfindung der Uhren. — Auch diese auf das Leben wie auf die Wissenschaft gleich einflußreiche Erfindung fällt noch in das Mittelalter und erhielt in der neuern Zeit erst ihre hohe Vollendung. Die Mangelhaftigkeit der Sonnenuhren, welche nur bei Tage und heiterem Himmel brauchbar sind, machte, daß man schon im Altertum auf den Gedanken einer Wasseruhr geriet, die durch ein bestimmtes Maß abgeflossenen Wassers den Ablauf der Stunden anzeigt. Nach Christi Geburt ersetzte man hie und da den Gebrauch des Wassers durch die zuverlässigere Anwendung von trockenem Sande. Aber alle diese unbequemen und ungenauen Arten der Zeitmessung wurden in den letzten Jahrhunderten des Mittelalters durch Räderuhren verdrängt, die man vermittelst Gewichte oder elastischer Federn in Bewegung setzte. Die ersten Räderuhren waren schon um das Jahr 1000 bekannt. Der berühmte Gerbert von Auvergne (Owernn), der nachmals unter dem Namen Sylvester II. Papst war, verfertigte eine solche, doch fehlte derselben der Schlag. Wer diesen hinzugefügt hat, ist nicht bekannt. Schlaguhren scheinen überhaupt erst kurz vor 1300 verfertigt und in Gebrauch gekommen zu sein. In Deutschland hat wahrscheinlich das gewerbthätige Augsburg die ersten Schlaguhren gehabt. Ihrer eigentlichen Vollkommenheit und Sicherheit entbehrten aber alle diese Uhren noch, da ihnen der Pendel fehlte, den im 17. Jahrhundert der berühmte Florentiner Galilei und der Holländer Huygheus erfanden. Dagegen gab es noch vor Ablauf des Mittelalters künstliche Taschenuhren. Der Ruhm dieser Erfindung gebührt ebenfalls einem Deutschen, Peter Hele, der um das Jahr 1509 Uhrmacher zn Nürnberg war. Dieser ver-
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fertigte die ersten, in ihrer Form noch ziemlich ungeschickten, unter dem Namen der „Nürnberger Eierlein" bekannten Uhren. Bald nach ihm verbesserte sich auch die äußere Form der Taschenuhren, so daß man im stände war, außerordentlich kleine zu liefern.
Die neue Zeit.
Entdeckung Amerikas durch Kolumbus.
Schon im Altertum war Indien das begierig gesuchte Land der Schätze und Spezereien. Im Mittelalter wurde der Handel von dorther auf langen, beschwerlichen Wegen über Vorderasien und das Mittelmeer betrieben. Die Auffindung eines ununterbrochenen Weges zur See mußte daher die größten Vorteile gewähren und das stete Streben der europäischen Nationen sein. Besonders zeichneten sich hierin die Portugiesen aus, damals das erste seefahrende Volk der Welt. Nachdem sie an der Westküste Afrikas bereits bis an den Äquator gekommen waren, unternahm es ihr berühmter Seefahrer-Bartholomäus Diaz, so weit südlich zu fahren, bis er die Spitze von Afrika erreicht hätte. Als er, soviel es wegen der Stürme möglich war, den Lauf der Küste verfolgt hatte, erreichte er endlich eine Insel, wo er das heilige Kreuz aufpflanzen ließ, und nannte sie hiervon Santa Cruz. Das Murren und Klagen feines Schiffsvolkes verhinderte ihn, seine Fahrt weiter fortzusetzen, die ohne sein Wissen bereits über das Südende von Afrika hinausgegangen war. Auf der Rückkehr wurde er vom Sturme östlich getrieben, und hier fand er die gesuchte Spitze des Erdteils (1486). Er nannte sie wegen der heftigen Stürme, die dort hausten, das Vorgebirge der Stürme. Als aber sein König die Nachricht von dieser glücklichen Entdeckung erhielt, rief er freudig aus: „Nein, sie heiße das Vorgebirge der Guten Hoffnung; denn nun können wir hoffen, den Seeweg nach Indien zu finden."
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Nod) bor (Sntbedung bes Kops war in bet Seele eines onbetn Seefahrers bet Gebanke entstauben, burdj bas atlantische Weltmeer einen Weg nach Jnbien zu suchen. Von ber Kugelgestaltung ber Erbe Überzeugt, schloß er nämlich, baß bie hintersten Länber Asiens nicht gar ferne vorn westlichen Europa über bem Atlantischen Meere liegen müßten. Dieser Mann war Christophorus Kolumbus, bet Sohn eines Tuchmachers aus Genua. Schon im vierzehnten Sflhre begann er bas Seeleben unb biente seitbent betriebenen Mächten im Mittelmeere. Heimische Unruhen bercinlaßten ihn, sich in Lissabon häuslich niebetzulassen, von wo aus et Reisen nach Guinea, Spanien, Englanb unb nach ben Inseln bes westlichen Oceans unternahm. Diese Reisen waren eine wahre Schule für ihn, er stellte Vergleichungen an, zeichnete Karten unb machte Weltkugeln. Die Wahrnehmung, baß bei starkem Westwinbe bie Wellen unbekannte Erzeugnisse an bie Küste ber Azoren warfen, z. B. Fichten, Rohre unb kunstreich gearbeitete Stücke Holz, bestärkte ihn in ber Meinung, baß im nicht allzu fernen Westen ein bewohntes Laub sei.
Nochbem er sich entschlossen hatte, eine Entbeckungsfahrt in jene Gegenben zu unternehmen, teilte er feinen Plan zuerst seiner Vaterstabt Genua mit unb bat um einige Schisse; ober man wies ihn als einen Schwärmer ab. Darauf wanbte er sich nacheinanber an Venebig, Frankreich, Englanb unb Portugal, allein überall ber-geblid). Jetzt begab er sich nach Spanien, wo er mit bem Könige Ferbinanb unb ber Königin Jsabella llnterhanblungen anknüpfte. Nach beinahe sieben Jahren (1492) fanb er enblich Unterstützung.
Am 2. August 1492 empfing Kolumbus mit feiner ganzen Mannschaft bie heiligen Sakramente, empfahl sich bcm Schutze Gottes unb aller Heiligen unb berließ am 3. mit brci Schiffen, auf benen sich 90 bis 120 Mann befanben, ben kleinen Hofen bon Polos unweit Cobix. Auf ben Kanarischen Inseln berfah er sich mit Wasser; bann fuhr er getrost in bas weite, noch nie befahrene Meer. Seine feigen Begleiter aber, bereu auf bem Schiffe viele waren, bebten balb, ba sie nichts als Himmel unb Wasser sahen.
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Ein günstiger Ostwind trieb sie immer vorwärts, und nachdem sie in den Strich des Passatwindes gekommen waren, flogen die Schiffe wie Pfeile nach Westen Tag und Nacht. „Wie weit sind wir wohl schon von den Kanarischen Inseln?" fragten die Matrosen unaufhörlich. Kolumbus gab, um sie nicht gar zu ängstlich zu machen, ausweichende Antworten, waren es doch am 1. Oktober schon 660 deutsche Meilen oder 1320 Stunden Weges. Kolumbus wußte dies genau, er stand Tag nnd Nacht mit seinen Instrumenten auf dem Verdecke, schrieb jede kleine Beobachtung in sein Tagebnch und ruhte nur wenige Stunden. Mit jedem Tage minderte sich die Hoffnung und wuchs die Ungeduld der Matrosen. Endlich lag vor ihnen ein lachendes grünes Gefilde, aber — arme Schiffer! als man näher kam, waren es nur Seepflanzen, die, soweit das Auge reichte, das Meer bedeckten und die Schiffe fast in ihrem Laufe aufhielten. Nach einigen Tagen war man wieder auf dem Wasserspiegel; es erschienen Vögel. Neue Hoffnung, daß Land nahe fei. Aber die Vögel verschwinden, kein Land läßt sich sehen, die Schiffe fliegen noch immer unaufhaltsam nach Westen. Die Ungeduld der Mannschaft wird immer größer, den Beherztesten entsinkt der Mut. Die Erzählung, es sei zu einem offenen Aufstande gekommen, einige Matrosen hätten Kolumbus umringt uud angefaßt mit der Drohung, ihn über Bord zu werfen, wenn er nicht umkehre, ist allerdings nicht beglaubigt, wohl aber wurde das Drängen zur Umkehr immer stürmischer. Kolumbus aber blieb ruhig und unerschüttert nnter den Verzagenden und beteuerte ihnen, aus seinen Forschungen zu wissen, daß das Land ganz nahe sei; die feste Haltung seines Gesichtes bestätigte seine Worte. Um sie ganz zu beruhigen, versprach er ihnen, umzukehren, wenn innerhalb drei Tagen kein Land erscheine.
Am andern Tage erreichte das Senkblei schon den Grnnd; ein künstlich gearbeiteter Stock, eine Graspflanze und ein Zweig mit roten Beeren schwamm heran, und man bemerkte Landvögel auf den Masten. Nun zweifelte keiner mehr, daß man dem Ziele der Wünsche nahe sei. Die Sonne ging unter, noch sah man nichts; aber Kolumbus ließ die Segel einwickeln, um nicht etwa bei Nacht
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auf Klippen zu stoßen. Gegen Mitternacht erblickte man in der Ferne ein Licht, das sich hin und her bewegte, und plötzlich erscholl vom Mastkorbe herab der Ruf: „Land! Land!" Es war am 12. Oktober 1492. Da ertönten auf den Schiffen Freudenfchüsse, alle sanken sich weinend in die Arme und baten fußfällig Kolumbus um Verzeihung (Fig. 31). Darauf gingen sie in die Schiffskapelle und stimmten das Tedeum an. Als der Tag graute, lag vor ihren staunenden Augen eine liebliche grüne Insel, von den Strahlen der Morgensonne beleuchtet. Mit rauschender Musik und fliegenden Fahnen ruderten sie dem Ufer zu; Kolumbus stieg zuerst ans Land, in der Linken die spanische Fahne, in der Rechten sein blankes Schwert haltend. Darauf warf er sich mit feinen Gefährten zur Erde nieder, küßte den Boden unter Thränen und nahm durch Auspflanzung eines Kreuzes und der Fahne feierlichen Besitz von dem Eilande. Indessen wurden sie von den erstaunten Bewohnern umringt, die sich am User gesammelt und nie solche Menschen, nie solche Schiffe gesehen hatten. Die Eingeborenen waren fast unbekleidet, von kupferroter Farbe und bemalt. Viele trugen Goldbleche in Nase und Ohren. Durch Zeichen erfuhr man von ihnen, daß ihre Insel Gnanahani heiße; Kolumbus aber gab ihr aus Dank für die Rettung aus Todesgefahr den Namen San Salvador (d. i. heiliger Erlöser). Schon am zweiten Tage segelte Kolumbus weiter und entdeckte bald Cuba, eine Insel von großer Fruchtbarkeit, aber ohne Spuren von Anbau, mit nackten, umherschweifenden Bewohnern, die auf der Spanier Frage nach Gold gegen Westen zeigten. Diesem Winke folgend, langten die Seefahrer auf der berühmten Insel Haiti an. Diese war wirklich goldreich und wurde von Häuptlingen, Kaziken, beherrscht. Die Spanier gaben den Wilden Glaskorallen, Nadeln, kleine Spiegel und ähnliche Kleinigkeiten und erhielten dafür Gold in Menge. In der Christnacht scheiterte ein Schiff an einer Sandbank; doch wurde die Bemannung sowie die Ladung gerettet.
Jetzt wünschte Kolumbus nach Europa zurückzukehren, um seinem Könige die Nachricht von den glücklichen Entdeckungen zu über-
Fig. 31. Kolumbus entdeckt die Neue Welt.
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bringen. Es blieb ihm hierzu nur ein Schiff, indem das eine bei Haiti verunglückt, das andere aber heimlich mit seinem Befehlshaber weggefahren war. Auf die Bitte der guten Wilden beschloß er, 30 Mann zum Schutze gegen grausame Seeräuber zurückzulassen. Vor seinem Abgange wollte er ihnen noch einen hohen Begriff Don der Macht der Spanier beibringen; er ließ seine Leute im Feuer exerzieren und zuletzt eine Kanone nach dem gestrandeten Schiffe abbrennen. Da fielen die Indianer vor Schrecken zu Boden, und als sie vollends das Loch in dem beschossenen Wracke sahen, stieg ihr Erstaunen aufs höchste. Sie konnten nicht begreifen, wie die Kanone, die doch auf dem Lande blieb, dem Schiffe einen solchen Schaden zufügen könne, und hielten jetzt die Fremden für himmlische Wesen, weil dieselben mit Blitz und Donner bewaffnet wären.
Nachdem Kolumbus aus deu Bohlen des gestrandeten Schiffes eine kleine Festung erbaut hatte, trat er die Rückreise an. Sie war anfangs günstig, aber von den Azoren an hatte er mit den fürchterlichsten Stürmen zu kämpfen. Er selbst verzweifelte an der Möglichkeit einer Rettung, schrieb deshalb die Entdeckung kurz ans ein Pergament, legte die Schrift wohlverwahrt in eine Tonne und warf dieselbe ins Meer, in der Hoffnung, daß sie an eine der europäischen Küsten getrieben würde. Doch die Stürme legten sich, und Kolumbus lief endlich am 25. März 1493 unter dein Donner der Geschütze, unter dem feierlichen Gelänte der Glocken und dem tausendstimmigen Jubel der Volksmenge in den Hafen von Palos ein. Sein erster Gang, als er ans Land trat, war in ein nahe gelegenes Kloster, um dem allmächtigen Gott für feine wunderbare Rückkehr zu danken; dann begab er sich an den königlichen Hos zu Barcelona. Seine ganze Reise dahin war ein ununterbrochener Triumphzug. Als er aber in Barcelona selbst durch die Straßen zum königlichen Schlosse zog, die fremden Tiere, die mitgebrachten Edelsteine und Goldstücke sowie auch zwölf Indianer (so nannte man die Bewohner Amerikas, weil man es für die Ostküste Indiens hielt) in ihrer Bewaffnung vor ihm her, da kannte die Freude des
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Volkes fein Ziel mehr. Alles drängte sich begeistert heran, Väter hoben ihre Kinder empor und riefen: „Das ist Kolumbus!" Kolumbus trat ins Königsschloß, die Flügelthüren des Thronsaales wurden ihm geöffnet, und Ferdinand und Jsabella erhoben sich bei seinem Erscheinen von ihrem Throne und hießen ihn, da er nach dem Gebrauche vor ihnen fnieen wollte, neben ihrem Throne sich niedersetzen.
Noch dreimal segelte Kolumbus in die Neue Welt, die er aber noch immer für Indien hielt, und entdeckte noch verschiedene Inseln uud zuletzt auch das Festlaud des neuen Erdteils. Er ward aber für seine Verdienste schlecht belohnt; man schilderte ihn aus boshaftem Neide als einen gefährlichen Mann und schleppte ihn, den Weltentdecker, in Ketten nach Spanien zurück. Hier wurde freilich feine Unschuld glänzend erwiesen, und Ferdinand und Jsabella ließen ihm beschämt die Ketten abnehmen und gaben ihm Gnadenversicherungen. Bei diesen blieb es aber auch. Mancher am Hofe meinte jetzt sogar, die neuen Länder hätte wohl jeder finden können. Endlich erlöste der Tod den Vielgeprüften von seinem Kummer. Vom Gefühle des Undankes, von Krankheit und Armut niedergeschlagen, schied der große Mann, 59 Jahre alt, zu Valladolid (1506) mit Ergebung in Gottes heiligen Willen ans diesem Leben. Die Erzählung, die Ketten, mit welchen er nach Spanien zurückgebracht, seien auf seinen Wunsch mit ins Grab gelegt, verdient wenig Glauben. Kolumbus war eine zu edel augelegte Natur, als daß er in dieser Weise die Erinnerung an das ihm zugefügte Unrecht der Nachwelt hätte erhalten wollen. Leider wnrde ihm nicht einmal die wohlverdiente Ehre zu teil, der Neuen Welt seinen eigenen Namen zu hinterlassen. Diese wurde vielmehr nach dem Amerigo Vespucci, einem florentinischen Edelmanne, der einige weitere Entdeckungen machte und auch zuerst eine Beschreibung des Landes herausgab, Amerika benannt.
Wenige Jahre nach der Entdeckung Amerikas, im Jahr 1498, gelang es den Portugiesen, auf dem entdeckten Seeweg um Afrika Ostindien zu finden. Später, in der Mitte des 17. Jahrhunderts,
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entdeckten die Niederländer das Festland von Australien, das sie Neuholland nannten. Ein Jahrhundert danach entdeckte endlich der Engländer Cook (ermordet 14. Februar 1779 auf Owaihi) auf seinen drei Reisen um die Welt die vielen Inseln, die zu dem erwähnten Erdteile gehören.
Kirchentrennung durch Martin Luther.
Im Verlaufe der Zeiten hatten sich in den Gliedern der Kirche, die — an sich stets rein und unbefleckt — trotz ihres göttlichen Ursprungs und ihrer göttlichen Einrichtung doch immer eine Gesellschaft von Menschen war und ist, mancherlei Mißbräuche eingeschlichen. Diese betrafen aber keineswegs die göttliche Lehre, die heiligen Sakramente, das heilige Opfer und die von Christus der Kirche gegebene Verfassung, sondern das Leben der Menschen in der Kirche. Die Kirche, vom Heiligen Geiste geleitet, war stets, besonders auf ihren großen allgemeinen Versammlungen (Konzilien), eifrig bemüht, entstandene Mißbräuche abzustellen; außerdem erweckte Gott heilige Männer, die, nachdem sie die Verbesserung zuerst an sich selbst vollzogen hatten, mit Flammenworten die Gebrechen anderer Glieder der Kirche zu heilen suchten. So waren denn auch im 15. und zu Anfang des 16. Jahrhunderts mehrere große Kirchenversammlungen: zu Konstanz 1414—1418, zu Basel 1431, zu Ferrara und Floreuz 1439, im Lateran zu Rom 1512, damit beschäftigt, die Mißbrauche, die sich besonders gegen das Ende des Mittelalters eingeschlichen hatten, abzustellen, um eine Verbesserung in den Gliedern der Kirche vorzunehmen. Welch ein Gewinn wäre es nun nach menschlichem Urteile damals für die Kirche gewesen, wenn auch ein wahrer Reformator, wie ein hl. Bernhard, aufgestanden wäre, der, selbst ein treuer Sohn der Kirche, selbst ein Muster der Demut, der Selbstverlengnnng und des Gehorsams, den Päpsten und Bischöfen, Königen und Fürsten freimütig vors Angesicht getreten wäre, damit der Weltsinn und die Üppigkeit mancher hohem Geistlichen unterdrückt, und der Unwissenheit in göttlichen Dingen, sowie der sittlichen Versunkenheit, in der sich so
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manche Kirchendiener und Gläubige befanden, gesteuert würde! Wir denken so in unserem beschränkten menschlichen Verstände; vielleicht war aber das Übel schon zu tief gewurzelt, als daß ohne Absonderung einiger Teile die Heilung des kirchlichen Körpers geschehen konnte; genug, Gott ließ eine Spaltung zu. Es trat ein Mann auf, der mit seinen Talenten viel Gutes hätte wirken können, wenn er die Reformation zuerst bei sich selbst angefangen hätte — der Augustinermönch Martin Luther. Er trat als heftiger
Kämpfer in der Kirche auf, reformierte, verbesserte aber diese nicht, sondern verließ sie und riß einen großen Teil der Kirchenglieder mit sich in die Trennung.
Martin Luther war am 10. November 1483 zu Eisleben von unbemittelten, aber rechtschaffenen und ernst gesinnten Eltern geboren. Weil Martin in der Schule Talente verriet, so schickte sein Vater ihn zuerst auf die Gymnasien zu Magdeburg und Eisenach und später auf die Universität in Erfurt. Nach dem Willen seiner Eltern
sollte er sich der Rechtswissenschaft widmen. In einem Augenblicke heftiger Erschütterung — ein Freund soll an seiner Seite vom Blitz erschlagen worden sein — verpflichtete er sich aber durch ein Gelübde, Mönch zu werden. Nicht leicht möchte jemand weniger zu diesem Stande geeignet gewesen sein als gerade er; gleichwohl trat er, wider seines Vaters Willen und sein übereiltes Gelübde selbst halb bereuend, in das Augustinerkloster zu Erfurt. Drei Jahre darauf ward er zum Lehrer an der neu errichteten Universität Wittenberg ernannt.
Nun geschah es, daß der damalige Papst Leo X. denjenigen einen vollkommenen Ablaß verkünden ließ, welche zum Bau der Peterskirche in Rom einen Beitrag gäben. So zweckmäßig und heilsam dies auch war, so trieben doch einige Prediger dieses Ablasses durch ihre Art der Verkündigung einen ärgerlichen Mißbrauch, indem sie nicht strenge bei der kirchlichen Lehre vom Ablasse stehen blieben. Ganz unrichtig aber ist die vielfach verbreitete Ansicht, auch der vielgenannte Tetzel habe mit seinen Ablaßpredigten Mißbrauch getrieben. Da verfaßte Luther (1517) 95 kurze Lehrsätze über den
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Ablaß und sandte dieselben nicht nur dem Erzbischof bort Mainz zu, unter dem er stand, sondern schlug sie auch, ohne dessen Antwort abzuwarten, an die Kirchthüre an, berteidigte sie bon der Kanzel und Verbreitete sie durch den Druck. Schon in diesen Sätzen ließ er sich zu Behauptnngm fortreißen, die der reinen Kirchenlehre widersprachen. Und als nun Tetzel sowie andere Theologen gegen diese Thesen auftraten und in denselben Verstöße gegen die kirchliche Lehre nachwiesen, entbrannte ein heftiger Streit, im Verlaufe dessen Luther in feinen Behauptungen immer mehr mit der kirchlichen Lehre in
Widerspruch geriet. Der Papst ließ ihn durch seinen Gesandten zu Augsburg liebreich auffordern, feinen Irrtümern zu entsagen. Luther gelobte es auch, änderte aber plötzlich wieder seinen Sinn und trat, weil er die Zahl seiner Anhänget größer werden und bon seinem Kurfürsten sich geschützt sah, mit seinen Irrlehren nun immer offener Herbor. Im Jahre 1520 berlangte er in der Schrift „An den christlichen Adel deutscher Nation" den Sturz der Kirchenberfaffung, die Einziehung der Kirchengüter, die Aufhebung der Festtage und der Seelenmessen. Bald berwarf er auch die Firmung, Ölung,
Priesterweihe und Ehe als Sakramente. Damit war sein Abfall definitib entschieden. Leo X. erklärte daher in einer Bulle 41 Sätze Luthers für irrig, bewilligte ihm noch 60 Tage zum Widerrufe und sprach, als er diese Frist unbenutzt berstreichen ließ, den Bann über ihn aus. Hätte Luther dem Oberhaupte der Kirche gehorcht, so war Hoffnung da, alles bald wieder in Ordnung zu bringen. Allein Luthers stolzer Sinn blieb hartnäckig, und feine Wut gegen Kirche und Papst war fortan maßlos. Am 10. Dezember 1520 berfammelte er feine Anhänger bor den Thoren Wittenbergs, errichtete einen Scheiterhaufen und warf die päpstliche Bannbulle und das kirchliche Gesetzbuch mit den Worten in die Flammen: „Weil ihr betrübt
habt den Heiligen des Herrn, so betrübe und berzehre euch das
ewige Feuer!"
Weil das Auftreten Luthers überall große Verwirrung herbor-rief, beschloß Karl V. (Fig. 32), welcher kurz zubor zum deutschen Kaiser erwählt war, die Angelegenheit auf einem Reichstage zu
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Worms (1521) in der Versammlung aller deutschen Fürsten zur Sprache zit bringen und Luther selbst dahin zu berufen. Als man ihn auf dem Reichstage aufforderte, seine Irrtümer zu widerrufen, bat er sich verlegen Bedenkzeit aus. Seme Bitte ward ihm gewährt, doch nicht ohne die Bemerkung, daß er ja Zeit genug gehabt habe, zuvor darüber nachzudenken. Am folgenden Tage erklärte er nach mehreren Ausflüchten, er könne nicht widerrufen, solange man ihn nicht durch die Heilige Schrift widerlege. Das war aber zum voraus unmöglich, indem er die Heilige Schrift nur nach seiner Auslegung verstand und willkürlich einzelne Bücher verwarf, z. B. den Brief des heiligen Apostels Jakobus, den er, weil darin nicht bloß auf den Glauben, sondern mich auf die guten Werke gedrungenwird, einenStroh-brief nannte. Als Luther nun sogar dem Ausspruche einer allgemeinen Kirchenversammlung sich zu unterwerfen weigerte, wurde er abgewiesen und bald darauf die Reichsacht über ihn verhängt. Luther kehrte sich jedoch nicht viel hieran, indem der Kurfürst von Sachsen ihn beschützte. Nachdem er ein Jahr verborgen auf einem einsamen Bergschloß, der Wartburg, zugebracht, trat er wieder öffentlich auf und
Bu müller it. Schuster, Weltgeschichte. 12. Aufl. 7
Fig. 32. Kaiser Karl V.
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suchte seine Ansichten eifrig zu verbreiten, was ihm um so besser gelingen mußte, als er die dreifache böse Lust, deren Keim in jedem Menschen liegt und die damals in so vielen Seelen mächtig geworden war, auf seiner Seite hatte. Indem er die Gebote der Kirche aufhob und religiöse Ungebundenheit predigte, den Gemeinden das Recht zusprach, ihre Prediger selbst zu wählen und abzusetzen, den Fürsten aber, die Einkünfte der Klöster unb Stiftungen sich anzueignen; indem er bie Gelübbe als nichtig erklärte unb bie Mönche unb Nonnen aufforberte, zu heiraten — war es kein Wunber, baß aus allen Stäuben unb Klassen eine große Zahl ihm zufiel. Er selbst ging mit seinem Beispiele, soviel an ihm war, voraus, inbem er mit einer ehemaligen Nonne, Katharina von Bora, sich verheiratete.
Kurz nach Luthers öffentlichem Auftreten gegen bie Kirche wüteten jene fürchterlichen Bauernkriege in Deutschland butch bie an 100 000 Menschen ihr Leben verloren (1524—1525). Luthers Prebigt von ber christlichen Freiheit verstauben nämlich bie Bauern nach ihrer Weise; sie wollten von ben schweren Abgaben unb Fronbiensten frei fein, itnb als ihre Forberungen nicht sogleich bewilligt würben, rotteten sie sich in großen Haufen zusammen, brannten Schlösser unb Klöster nieber, plünbertert unb morbeten aller Orten. Luther hatte anfangs bie Forberungen ber Bauern verteibigt unb biefe feine lieben Brüber genannt; als sie sich aber empörten, änberte er feine Sprache unb ermahnte bie Fürsten, bie Bauern wie tolle Hunbe totzuschlagen. Itnb es konnte ben Fürsten nicht schwer fallen, bie im georbneten Kampfe ungeübten Bauern, wenn auch mit schrecklichem Blutvergießen, zu besiegen itnb ben Auf-ftanb zu unterbrücken.
Luther suchte von nun an besonbers bie Fürsten zu gewinnen unb that alles, um benen, bie ihm anhingen, zu willen zu sein. Die Folge war, baß bie Spaltung immer weiter um sich griff, unb daß Deutschland bald einem großen Schlachtfelde glich, auf dem sich zwei Parteien heimlich und öffentlich unaufhörlich bekämpften und in diesem Kampfe zur Freude aller Feinde des Vaterlandes dessen beste Kräfte vergeudeten. Der Stifter solch unheilvollen Zustandes
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überlebte ihn nicht lange. Nachdem Martin Luther schon seit längerer Zeit in Schwermut und harte Entzweiung mit sich selbst geraten, wurde er von heftigen Brustschmerzen und einer gefährlichen Schwäche überfallen und starb nach dreiwöchentlicher Krankheit in Eisleben (1546).
Der Dreißigjährige Krieg (1618—1648).
Die Religionsstreitigkeiten in Deutschland waren fast ein dolles Jahrhundert hindurch nur Vorspiele des langjährigen entsetzlichen Krieges, der unsägliches Elend über das Vaterland brachte. Die äußere Veranlassung dazu war folgende:
Durch einen kaiserlichen Majestätsbrief war es den protestantischen Stünden (das heißt dem Adel und den freien Städten) in Böhmen erlaubt worden, auf ihrem Gebiete neue Kirchen und Schulen ihres Glaubens zu errichten. Die Protestanten gingen aber noch weiter,
als ihnen hier gestattet worden. Die protestantischen Unterthanen
des Erzbischofs von Prag und des Abtes von Braunau erbauten eigenmächtig in den Städtchen Klostergrab und Braunau zwei Kirchen. Da wurde mit Genehmigung des kaiserlichen Hofes die Kirche zu Klostergrab niedergerissen, die zu Braunau gewaltsam gesperrt, die unruhigsten Bürger setzte man ins Gefängnis; denn durch deu Majestätsbrief, hieß es, sei ein solcher Bau nur den protestantischen Ständen auf ihrem Gebiete, keineswegs aber den protestantischen Unterthanen katholischer Stände bewilligt worden. Hierüber entstand eine allgemeine Bewegung unter den Protestanten. Sie beschuldigten den Kaiser Matthias öffentlich der Rechtsverletzung und richteten ein unangemessenes Schreiben an ihn. Als der Kaiser strenge antwortete, drangen Abgesandte der Protestanten bewaffnet in das Schloß zu Prag und warfen zwei kaiserliche Räte, den Grafen Martinitz und W. von Slawata, welche die Antwort des Kaisers
entworfen haben sollten, samt dem Geheimschreiber Fabricius Platter
durchs Fenster in den Schloßgraben hinab; die Hinabgeworfenen blieben aber wie durch ein Wunder unverletzt und entkamen, ob-
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wohl man fortwährend auf sie schoß, ziemlich unbeschädigt. Solche Mißhandlung der kaiserlichen Diener gab das Zeichen zur allgemeinen Empörung, welche längst vorbereitet war. Um sich zu
sichern, knüpften die Anführer mit mehreren protestantischen Fürsten Verbindungen an. Vergebens mahnte der Kaiser zum Frieden; die protestantischen Stände Böhmens wollten Krieg und sie begannen sonach den furchtbaren Dreißigjährigen Krieg (1618).
Da starb Matthias und es folgte ihm der thatkräftige Ferdinand II. (1619—1637). Die Empörer brachen aus Böhmen
hervor, überschwemmten Mähren und Österreich, belagerten Wien, und böhmische Kugeln Pfiffen schon durch die kaiserliche Burg. Aber Ferdinand verzagte nicht, auf feine gute Sache vertrauend, uud erhielt von einem treuen Regiments unerwartet Hilfe. Im Bunde
mit den katholischen Fürsten rückte er siegreich gegen die Böhmen
und deren Verbündete vor. Auf dem Weißen Berge bei Prag kam es endlich zur entscheidenden Schlacht; die Böhmen wurden vollständig geschlagen und mußten dem Kaiser huldigen. Schon schien der Streit für immer beendigt, als einige Abenteurer mutwillig denselben nach Deutschland versetzten, und Christian IV., König von Dänemark (1588—1648), eigennützig und unberufen sich in die deutschen Angelegenheiten mischte und mit den deutschen Protestanten, mit England, den Niederlanden und Frankreich ein Bündnis gegen den Kaiser schloß. Diesem fehlten die nötigen Mittel, um ein bedeutendes Heer ins Feld stellen zu können. Da erbot sich Albrecht von Wald stein, gewöhnlich Wallen st ein genannt, ein Mann von großen Geistesanlagen und unbegrenztem Ehrgeize, den der Kaiser für seine Dienste zum Herzog von Friedland erhoben hatte, fast ohne Kosten ein Heer zusammenzubringen, wenn man ihm den unbeschränkten Oberbefehl übertragen würde. Die Vollmacht ward erteilt, und in wenigen Monaten hatte Wallenstein ein großes Heer gesammelt, mit dem er in kurzem Christians Verbündete besiegte. Christian selbst ward bei Lutter (im Herzogtum Braunschweig) durch den tapfern bayerischen Grafen Tilly (Fig. 33) geschlagen und mußte um Frieden bitten.
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Doch bald stand ein neuer Feind auf Deutschlands Grund und Boden. Der kühne Gustav Adolf, König von Schweden, landete plötzlich (1630) unter dem Vorgeben, die Protestanten in Deutschland schützen zu wollen, mit 15 000 Mann Kerntruppen auf der Insel Rügen und drang siegreich nach der Stadt Magdeburg vor, die sich von jeher durch Haß gegen den Kaiser ausgezeichnet und den Schwedenlönig eingeladen hatte, dort seinen Wasfenplatz zu gründen. Lilly beschloß, den Schweden zuvorzukommen, indem er sich
Fig. 33 ©ras Tilly.
selbst des Besitzes dieser Stadt versicherte. Nachdem seine Aufforderung zur Übergabe wiederholt zurückgewiesen worden war, wagte er einen Hauptsturm. Nach hartnäckigem Widerstände der Magdeburger und ihrer schwedischen Anführer drangen die erbitterten Sturmhaufen von allen Seiten in die Stadt. Ihre Wut vergrößerte sich, als man aus allen Fenstern Widerstand leistete und jede Gasse einzeln eingenommen werden mußte. Umsonst suchte Tilly durch Bitten und Befehl dem wilden Kampfe und der Plünderung sowie der schrecklichen Feuersbrunst Einhalt zu thun, welche während des
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Kampfes plötzlich entstanden war und welche die Eroberer all ihrer Vorteile beraubte, indem die ganze Stadt niederbrannte. Wer die furchtbare Katastrophe verschuldet hat, ist noch immer nicht völlig aufgeklärt; wahrscheinlich aber hat, wie auch neuerdings der protestantische Geschichtsforscher Wittich annimmt, der schwedische Oberst und Vertraute Gustav Adolfs, D. v. Falkenberg, die Stadt zerstören lassen, um so dem Feinde den wichtigen Stützpunkt zu rauben. Daß den edlen Tilly keine Schuld trifft, ist klar erwiesen. Nack-kurzer Belagerung ergab sich auch Leipzig. Hier entschied sich aber das Glück zu Gunsten Gustav Adolfs, als Tilly, der zuvor Verstärkungen abwarten wollte, wider seinen Willen in einen ungleichen Kampf verwickelt wurde. Rasch draug nun Gustav Adolf in das Herz Deutschlands bis an den Rhein und von da bis nach Bayern vor und erzwang unter einem heftigen Geschützfeuer bei Rain den Übergang über den Lech. Tilly selbst wurde hier tödlich verwundet, konnte aber noch den Rückzug nach Ingolstadt und die Verteidigungsanstalten dieser Stadt gegen die stürmenden Schweden anordnen. Hier starb (30. April 1632) dieser fromme Held, der in 36 Schlachten gesiegt hatte, besten Namen so viele unverdiente Schmähung traf. Der Kaiser ßesanb sich in größter Not; er fürchtete sogar eine Belagerung Wiens. Da wanbte er sich an Wallenstein, ber früher wegen unerhörter Plünbernngen in Freunbes- wie in Feinbeslänbern entlassen worben war. In kurzem erschien Wallenstein abermals mit einem neuen Heere unb nötigte Gustav Adolf, Bayern zu verlassen. Die großen Gegner trafen sich bei Nürnberg, blieben aber viele Wochen unbeweglich in ihren verschanzten Lagern stehen. Ein Sturm, den die Schweden auf Wallensteins Lager unternahmen, mißlang gäuzlich. Bei Lützen dagegen kam es zu einer mörderischen Schlacht, in welcher der König den zweifelhaften Sieg mit seinem eigenen Leben erkaufte (16. Nov. 1632). Von nun an leitete der Kanzler Oxenstierna die Angelegenheiten der Schweden und ihrer protestantischen Verbündeten. Indessen fehlte die Einigkeit unter ihren Generalen, und Wallenstein hätte durch seinen überlegenen Geist leicht seinen kaiserlichen Herrn zum Sieger machen können.
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Statt dessen knüpfte er treuloserweise mit den Schweden und Franzosen geheime Unterhandlungen an und wurde deshalb, übrigens ohne Wissen und Willen des Kaisers, als Verräter in Eger ermordet. Der Kampf dauerte noch 14 Jahre, hauptsächlich durch Frankreichs Schuld, das nun auch seine Heere, nicht bloß seine Gelder, in das unglückliche Deutschland entsendete, mit wechselndem Glücke fort.
Endlich aber verlangte alles den lang entbehrten F r i e d e n, der 1648 zu Münster und Osnabrück zu stände kam und wegen der Lage der erstgenannten Stadt der westfälische genannt wird. Hinsichtlich der Religionsverhältnisse wurden die frühern Verträge erneuert, d. i. den Protestanten gleich den Katholiken freie Religionsübung eingeräumt und zugleich festgefetzt, daß sie alle Kirchen und Kirchengitter behalten sollten, welche sie feit dem Jahre 1624 befaßen. Schweden dagegen erhielt bedeutende Besitzungen in Deutschland, Sitz und Stimme auf dem Reichstage, und nach all den schrecklichen Verwüstungen, die feine beutefüchtigen Kriegsfcharen in Deutschland angerichtet und die ihren Namen noch setzt zum Schrecken jedes Freundes des Vaterlandes machen, auch noch 5 Millionen Thaler Kriegsentschädigung. Desgleichen bekam Frankreich außer einer Reihe deutscher Festungen das herrliche Elsaß. Das sonst so blühende Vaterland selbst aber bot einen entsetzenerregenden Anblick dar. Tausende von Dörfern und Städten lagen in Schutt und Asche, und heimatlos irrten die unglücklichen Bewohner umher. Ganze Gegenden waren in schauerliche Wüsten verwandelt. Felder lagen unangebaut, Handel und Gewerbe stockten. Dagegen vermehrten sich in den verödeten Landstrichen die wilden Tiere und drangen bis in die Städte. Fast die Hälfte der Einwohner Deutschlands war untergegangen; ansteckende Krankheiten, Hungersnot und Verzweiflung wüteten unter denen, welche dem Schwerte der Feinde entronnen waren. Dazu hatten die Greuel des Krieges und die furchtbare Not die Herzen der Menschen sehr verwildert und der Religion, der guten Sitte und Bildung auf lange hin entfremdet, so daß es in Wahrheit heißen konnte:
„Ach, Lieb und Treu ist hin, die Gottesfurcht erkaltet;
Der Glaub' ist abgethan, Beständigkeit veraltet.
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Aie Wrken vor Wien.
Seitdem die Türken durch die Eroberung Konstantinopels (19. Mai 1453) im Südosten Europas festen Fuß gefaßt, bedrohten sie über zwei Jahrhunderte lang Deutschland unaufhörlich. Doch die größte Gefahr erwuchs dem Vaterlande, ja dem ganzen christlichen Abendlande, als der Sultan Mohammed II. durch die Frauzoseu, welche Deutschland aufs neue bekriegten, aufgehetzt sich zum Krieg gegeu Kaiser Leopold I. entschloß. Sein Großvezier Kara Mnstapha brach im Frühjahr 1683 mit 200 000 Streitern auf und marschierte durch Ungarn geradeswegs aus Wien, den Schlüssel von Deutschland, los. Kaiser Leopold I. war nicht zu einem doppelten Kriege gerüstet und konnte dem furchtbaren Feinde kaum 30 000 Mann entgegenstellen. Der Marsch der Türken war so schnell, daß der Kaiser nur mit Mühe sich uach Liuz flüchten kouute und Herzog Karl von Lothringen kaum Zeit fand, 12 000 Mauu in die Kaiserstadt zu werfen. Er selbst zog mit den übrigen Truppeu seitwärts, um die versprochenen Verstärkungen aus Deutschland und Polen zu erwarten.
Inzwischen traf der tapfere Befehlshaber zu Wien, Graf von Starhemberg, alle Verteidigungsanstalteu und wurde hierbei von der ganzen Bürgerschaft eifrigst unterstützt. Am 14. Juli 1683 erschien der Vezier mit seinen Raubscharen vor der Stadt und schlug sein Lager vor deu Mauern derselben aus (Fig. 34). Ju einem Umkreise von sechs Stunden stand ein Zelt an dem andern, so daß die Gegend von den Höhen der Stadt aus wie ein wogendes Meer erschien. Aus der Mitte ragte das Prachtzelt des Veziers schimmernd empor. Schon nach zwei Tagen eröffnete er die Laufgräben. Die Besatzung und die Bürger setzten einen heldenmütigen Widerstand entgegen, die einzelnen Zünfte wetteiferten miteinander um den Preis der Tapferkeit und Ausdauer; was der Feiud den Tag über an den Festungswerken zerstört hatte, stellte man des Nachts wieder her. Dennoch wuchs die Gefahr von Tag zu Tag; immer wütender stürmten die Türken gegen die Wälle an. Während sie Wien mit einem Hagel von Kanonenkugeln überschütteten, legten sie unter der
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Die Türken vor Wien.
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Erde Minen an und sprengten die Mauern. Ende August setzten die Belagerer sich im Stadtgraben fest, und am 4. September flog der größte Teil der Burgbastei mit einem so schrecklichen Gekrache in die Luft, daß die Häuser erzitterten und die Fenster zersprangen. Unter fürchterlichem Allahgeschrei stürmten die Türken, vom Großvezier selbst mit dem Säbel angetrieben, über die zerwühlten Schanzen und geborstenen Mauertrümmer, unter Staub und Dampf und dem Donner der Geschütze wütend heran, um sich der Stadt zu bemächtigen. Da aber flog Starhemberg mit der Besatzung herbei und warf sich mit Löwenmut auf den Feind. Die verzweifelte Lage schien den Belagerten übermenschliche Kräfte zn geben, und es gelang ihnen, den Feind siegreich zurückzuschlagen. Am folgenden Tage wurde der Sturm erneuert, aber wieder abgeschlagen. Allein am 10. ward ber Riß in der Burgbastei durch eine neue Mine so erweitert, daß mehrere Feinde auf einmal einbringen konnten. Mit banger Sorge sahen bie burch Gefechte und Krankheiten zusammengeschmolzenen Verteidiger und Einwohner am 11. einem neuen Sturme entgegen. In diesem Augenblicke der höchsten Not aber gewahrten sie an den Bewegungen im feindlichen Lager, daß bie ersehnte Hilfe nahe sei, unb gegen Abenb erhielten sie burch brei Kanonenschüsse unb viele Raketen, bie auf bem Kahlenberge aufstiegen, Gewißheit hierüber. Blitzschnell eilte bie Freubenpost von Munb zu Munb, ein Augenblick verwanbelte bie allgemeine Verzweiflung in lauten Jubel. Kara Mu= stapha aber knirschte vor Wut unb ließ bie gefangenen Christen in seinem Lager hinschlachten. Doch balb schlug bie Stunbe ber Vergeltung.
Am 12. September, mit ben ersten Strahlen ber Morgensonne, stieg bas christliche Heer unter Anführung bes tapfern Polenkönigs Sobiesky in vier Linien, mit wehenben Fahnen unb flirtgenbem Spiele, von ben walbigen Anhöhen bes Kahlenberges in die Ebene herab und begann mutvoll den Angriff. Die christlichen Fürsten und ihre Völker stritten mit ungemeiner Tapferkeit, allen voran aber Sobiesky, der eigenhändig mehrere Türken erschlug und das Zeichen eines türkischen Großen, einen Roßschweif, eroberte. Doch tobte der wilde Kampf noch unentschieden eine Zeit lang fort, bis
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auch die Mitte ber feinblichen Schlachtordnung durchbrochen und die Janitscharen nach verzweifeltem Widerstände niedergemetzelt waren. Jetzt ergriff alles entsetzt in der wildesten Unordnung die Flucht. Über 20 000 Türken hatten in der Schlacht, während der Belagerung 30 000 den Tod gefunden; im Lager fanb man außer ben reichen gelten unb 300 Kanonen eine unermeßliche Beute, bereu Wert auf 10 Millionen geschätzt wurde. Frohlockend eilten die Wiener nach zwei schrecklichen Monaten unter dem Geläute aller Glocken aus den Thoren in bas Lager hinaus. Alles jauchzte betn Polenkönige als dem Retter Wiens zu und drängte sich um ihn vor Entzücken, seine Hand, seine Stiefel, seinen Mantel zu küssen. Ganz Europa mit Ausnahme des französischen Hofes nahm freudigen Anteil an dem herrlichen Siege, und Papst Jnnocenz XI. setzte ein eigenes Fest zur jährlichen Danksagung für diese große göttliche Wohlthat ein.
Absetzung und Kinrichtung Ludwigs XVI.
Die Geschichte liefert auf allen ihren Blättern den Beweis, daß nur Gottesfurcht und Tugend ein Volk glücklich machen, Gottvergeffen-heit unb Lasterhaftigkeit bagegen basselbe von Stufe zu Stufe in einen Abgrunb bes schrecklichsten Verberbens stürzen. Kein Volk bietet für biefe Wahrheit ein treueres unb zugleich abschreckenberes Bilb, als das französische zu Ausgang bes vorigen Jahrhunberts. Nachdem schon ein Jahrhundert früher in dem protestantischen England der Unglaube tiefe Wurzeln geschlagen hatte, verpflanzte er sich auch nach Frankreich. Bald würbe biefes Land burch eine Flut schlechter Bücher, welche ben glühenbsten Haß gegen Gott unb jebe von Gott gesetzte Orbnung, bie vollkommenste Freiheit und Gleichheit aller Menschen und den Aufruhr gegen die vorgebliche Tyrannei aller Fürsten predigten, überschwemmt. Dazu kam noch das schlechte Beispiel der hohem Stände, sowie der Umstand, daß infolge der beständigen Eroberungskriege, welche der Ruhmsucht der Franzosen schmeichelten, sowie durch die Verschwendung der Könige Luvwig XFV . und Ludwig XV. eine ungeheure Schuldenlast aufs Land gefallen
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trat, und Handel und Ackerbau schwer daniederlagen. Überdies ruhte fast die ganze Steuerlast auf den Bürgern und Bauern.
Der König Ludwig XVI., welcher im Jahre 1774 den Thron bestieg, war ein sehr wohlwollender Fürst, der dem Übel nach Kräften abzuhelfen suchte. Alle seine Bemühungen scheiterten aber anfangs an dem Widerstände der großen Herren und wurden zuletzt an der revolutionären Partei der Jakobiner zu schänden. Im Jahre 1789 brach nämlich die französische Revolution aus (Bastillensturm), der anfangs selbst ehrliche Freunde der Freiheit zujubelten, die aber in stürmischem Verlaufe nicht nur zur Umgestaltung des alten Frankreich, sondern zum Umstürze alles Bestehenden überhaupt führte, mochte dasselbe auch noch so gut unantastbar erscheinen. Mehr und mehr verlor das Königtum an Gewalt und Ansehen; Parteien beherrschten Frankreich, eine wütender und fanatischer als die andere, bis durch Mord und Aufruhr die ärgste von allen, die der sogenannten Jakobiner (Sansculotten = Ohnehosen), ihre Schreckensherrschaft begründete. Nachdem die Jakobiner nach und nach alle Gewalt au sich gerissen, faßten sie den Entschluß, durch einen Aufstand den König zu ermorden oder wenigstens abzusetzen. Zu diesem Zwecke hatten sie zur Verstärkung ihrer Anhänger noch einen Haufen nichtswürdigen Gesindels aus Marseille und andern Städten verschrieben. Der 10. August 1792 wurde zur Ausführung des Planes bestimmt. Am Morgen des verhängnisvollen Tages wurde die Sturmglocke geläutet, und auf dieses Zeichen wälzte sich das Gesindel aus den Vorstädten tobend und lärmend nach dem königlichen Schloß. Sofort traten die Schweizer und die übrigen treugebliebenen Garden uuters Gewehr, besetzten alle Posten in und vor dem Palaste und waren entschlossen, das Äußerste für den König zu wagen; dieser untersagte ihnen aber ans übertriebener Gutmütigkeit das Schießen und zog es vor, bei der sogenannten Nationalversammlung, d. i. den Volksvertretern, die aber größtenteils unter dem Einflüsse der Jakobiner gewählt worden waren, Schutz zu suchen. Unter den heftigsten Verwünschungen und Drohungen des Pöbels, der fortwährend schrie: „Nieder mit den Tyrannen!" langte die königliche
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Familie bleich und entstellt bei der Nationalversammlung an. Beim Eintritte sagte der König mit Würde: „Ich bin hierher gekommen, um Frankreich ein großes Verbrechen zu ersparen, und ich denke nirgends sicherer zu sein als in Ihrer Mitte, meine Herren!" Man empfing ihn kalt und wies ihn mit seiner Familie nach oben in einen für Zeitungsschreiber vorbehaltenen Platz. Dort mußte er zuhören, wie unten die Versammlung über seine Absetzung und die gänzliche Abschaffung der königlichen Regierung beratschlagte.
Unterdessen verkündete das Knallen der Gewehre und das Donnern der Kanonen, daß die Entfernung des Königs das Blutvergießen, welches dieser Monarch so sehr fürchtete, keineswegs abgewendet habe. Die Schweizergarde war nach der heldenmütigsten Gegenwehr größtenteils niedergemacht, das Schloß erstürmt worden. Hierauf begaben sich ganze Haufen des Pöbels, das Gesicht vom Pulverdampfe geschwärzt und die Hände mit Blut besudelt, in die Nationalversammlung und forderten die Absetzung des Königs. Die Versammlung erschrak und faßte eiligst den Beschluß, es solle durch das Volk ein Nationalkonvent gewählt werden; denn das Königtum tauge nicht für Frankreich. Der König wurde deshalb vorläufig feiner Würde verlustig erklärt und wie ein Missethäter mit seiner Familie nach dem sogenannten Tempel, einem alten, turmähnlichen Schlosse, gebracht. Am 21. September 1792 wurde der Nationalkonvent aus den wütendsten Jakobinern errichtet. Sofort hob dieser die Königswürde definitiv auf, verwandelte Frankreich, die älteste christliche Monarchie, in eine Republik und brachte mit dieser eine neue Zeitrechnung in Verbindung. Man zählte nach Jahren der Republik und fing den Anfang des ersten Jahres vom 21. September 1791 an. Auch die Namen der Monate wurden verändert und statt der Wochen Dekaden eingeführt, wovon jede 10 Tage enthielt. 36 heidnische Festtage traten an die Stelle von 52 christlichen Sonntagen. Mit der Abschaffung des Königtums wurden alle Wappen und Bildsäulen der Könige vom Pöbel zertrümmert; der Konvent richtete die Banden dazu ab. Ja sogar die königlichen Gräber zu St-Denis unweit der Hauptstadt wurden aufgewühlt, die Leichname ans den
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Särgen gerissen, ihre Gebeine zerstreut. Nichts sollte an die Zeit des Königtums erinnern. Endlich forderte die Partei der Wütenden das Blut des abgesetzten Königs und seiner Familie. Der schreckliche Robespierre schrie, schon die einzige Thatsache, daß Ludwig König gewesen, sei ein hinreichendes Verbrechen, welches augenblickliche Hinrichtung verdiene. Dagegen wehrten sich aber die gemäßigtem Girondisten (Schirondisten), welche zwar eine republikanische Verfassung, uicht aber die Hinrichtung des Königs gewünscht hatten, und bestanden darauf, daß Ludwig zuvor zur gerichtlichen Untersuchung gezogen würde. Bloß um den Schein zu bewahren, gab die andere Partei nach, und der Maire von Paris ward am 11. Dezember nach dem Gefängnisse geschickt, um den König abzuholen. Als der König in den Saal des Nationalkonvents trat, entstand eine tiefe Stille; alle Augen waren auf ihn gerichtet. Ruhig und ergeben, mit dem vollen Bewußtsein seiner Unschuld, trat der unglückliche Monarch vor die Schranken. Der Präsident redete ihn Ludwig Capet an und sagte, die französische Nation klage ihn an; die Nation wolle, daß Ludwig Capet durch den Konvent gerichtet werde; man werde ihm das Verzeichnis seiner Verbrechen vorlesen. Der König setzte sich, hörte ohne sichtbare Bewegung eine lange Anklage, in welcher er des heimlichen Einverständnisses mit Frankreichs Feinden beschuldigt, und alle durch die Revolution herbeigeführten Unglücksfälle ihm zur Last gelegt wurden; — die Ruhe und Klarheit, womit er jeden Punkt der Anklage beantwortete, setzte selbst seine ärgsten Gegner in Erstaunen. Hierauf wurde er unter den Drohungen und Beleidigungen desselben Gesindels, durch dessen Reihen er schon einmal gekommen war, ins Gefängnis zurückgebracht und nunmehr von seinen tenern Unglücksgenossen, seiner Gemahlin, seiner Schwester, seiner Tochter und seinem Sohne, völlig getrennt. Nach der Entfernung des Königs brach ein großer Lärm im Konvente ans. Die Jakobiner verlangten, man solle augenblicklich das Todesurteil über den Tyrannen aussprechen und dasselbe noch in dieser Nacht an ihm vollziehen; allein die Girondisten setzten es durch, daß wenigstens die bei jedem Verbrecher üblichen Formen beobachtet wurden.
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So wurde denn dem König erlaubt, sich einen Rat zu seiner Verteidigung zu wählen.
Am 26. Dezember wurde der König nebst seinen Sachwaltern vorgeladen. Ehe sie in dem Sitzungssaale erscheinen konnten, mußten sie eine Zeitlang im Vorzimmer warten; sie gingen in demselben auf uud ab. Ein Deputierter, der vorüberging, hörte gerade, daß einer der Verteidiger, Malesherbes, in der Unterredung mit seinem erhabenen Schützlinge sich der Titel: „Sire!" „Ew. Majestät!" bediente, und fragte finster: „Was macht Sie so verwegen, hier Worte auszusprechen, die der Konvent geächtet hat?" -— „Verachtung des Lebens!" antwortete der ehrwürdige Greis. — Endlich wurden sie in den Saal gelassen. Malesherbes konnte vor Rührung nicht sprechen, da trat der feurige Dessze (Desüß) auf und verteidigte seinen König mit so bewunderungswürdiger Kraft und Gewandtheit, daß, wäre nicht schon längst der Tod des Königs von der Rotte der Jakobiner beschlossen gewesen, jetzt bessert Rettung hätte erfolgen müssen. Rachbein Dessze geenbigt hatte, trat Subtüig selbst auf unb sprach mit vieler Fassung einige einbrtngliche Worte, bann würbe er ins Gefängnis zurückgebracht.
Jetzt entstaub abermals eine stürmische Bewegung im Konvente. Das Morbgefchrei der Jakobiner tönte rings um den Saal, an allen Thüren, an allen Fenstern; von der Galerie herunter brüllte das Gesindel nach: „Tod! Tot)!'' und funkelte jeden mit drohenden Augen an, der es wagte, für die Rettung bes Königs zn sprechen. Ein Jakobiner, ein ehemaliger Fleischer, verlangte sogar, ben König in Stücke zu hauen unb in jebes Departement ein Stück zu berfenben. Nach mehrtägiger Beratung würbe bas beftehenbe Gesetz, nach welchem ein Angeklagter nur burch zwei Drittel ber Stimmen zum Tobe verurteilt werben formte, aufgehoben unb bloße Stimmenmehrheit festgesetzt. Nach biefen unb ähnlichen Hanblungen ber empörenbften Ungerechtigkeit würbe ber König enblich am 17. Januar 1793 burch eine Mehrzahl von nur 5 Stimmen (von 366 gegen 361zum
1 So kündigte der Präsident der Versammlung das Ergebnis der Abstimmung an. Thatsächlich soll die Mehrheit nur eine Stimme (361 gegen
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Tode verurteilt. Malesherbes war der erste, welcher dem Könige die Trauerbotschaft überbrachte, indem er sich ihm unter einem Strome von Thränen zu Füßen warf. Ludwig aber blieb gefaßt und antwortete ruhig: „Nun gut, so bin ich doch nicht länger in Ungewißheit!" Nach kurzer Pause setzte er hinzu: „Seit zwei Stunden denke ich darüber nach, ob ich mir etwas gegen meine Unterthanen vorzuwerfen habe. Ich schwöre aber mit dem Gefühle eines Mannes, der im Begriffe ist, vor Gott zu treten, daß ich nie etwas anderes als das Glück meines Volkes gewollt habe!" Am 20. Januar verkündete der Konvent dem Könige das Mordurteil und bestimmte den unmittelbar darauf folgenden Tag zur Vollziehung desselben. Unter die wenigen Umstände, die sein Leben etwas versüßten, gehörte außer der Vergünstigung, sich einen Priester zn wählen, der ihm Trost und Stärkung zu dem letzten Gange des Lebens bringe, auch die, vou seiner Familie Abschied nehmen zu dürfen. Es war ein rührender Anblick, als der König nach langer, leidensvoller Trennung die lieben ©einigen wiedersah, um von ihnen für immer Abschied zu nehmen. Lange hielten sie einander in stummer Umarmung, bis endlich ein Strom von Thränen der bedrängten Brust Luft verschaffte. Nun ward das Schluchzen und Gewimmer des hoffnungslosesten Schmerzes so laut, daß es außerhalb des Turmes konnte vernommen werden. Endlich, als die Thränen versiegt waren, trat eine ruhige Unterredung ein, die fast eine Stunde währte. Dann entriß sich der König fast mit Gewalt ben Annen der ©einigen und ließ ihnen nur den letzten Trost zurück, sie am andern Morgen noch einmal zu besuchen.
Kaum dämmerte der Tag — es war der 21. Januar 1793 -—, als Ludwig von feinem Lager aufstand und seinen Beichtvater Edge-worth zu sich ries. Er hörte mit inbrünstiger Andacht die heilige
360) betragen haben. Für den Tod stimmte anch ein Verwandter des Königs, der Herzog von Orleans (Philipp Egalitv), der sich der Revolntion angeschlossen hatte mit der geheimen Hoffnung, durch den Pöbel aus den Thron zn gelangen. Er hat fein Ziel aber nicht erreicht, vielmehr ebenfalls das Blutgerüst ersteigen müssen.
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Messe und empfing ans der Hand des Priesters das heilige Abendmahl. Unterdessen wnrde es in den Straßen von Paris immer lebhafter. Der Generalmarsch wnrde geschlagen, die Kanonen aufgefahren; das Getöse der Menschen und Pferde drang schon bis zn dem Turme. Der König horchte und sprach gelassen: „Es scheint, sie nähern sich." Jetzt wollte er von den ©einigen Abschied nehmen; allein sein Beichtvater bat ihn dringend, diesen den Schmerz einer so schrecklichen Trennung zu ersparen. „9hm, so sei es denn," seufzte er; „aber ach, wie viel kostet es mich, zu scheiden, ohne sie zu sehen!" Um 9 Uhr nahm der Lärm zu, die Gefäuguisthüre ging auf, und Santerre, der traurige Held des Tages, trat mit der Wache ein, ihn abzuholen. „Einen Angenblick!" — sagte der König und trat zurück, sank betend in die Kniee und empfing von feinem Beichtvater den Segen. Dann erhob er sich und reichte einem neben ihm stehenden Mnnicipalbeanüen sein Testament; dieser aber wies es trotzig zurück. Ein anderer nahm es endlich sckiweigend hin. „Nun laßt uns gehen!" sagte Ludwig, und der ganze Haufen setzte sich in Bewegung. Der König stieg die Treppe hinab und blickte, während er über den Hof ging, oft nach den Zimmern zurück, in welchen seine Familie eingeschlossen saß. Dann bestieg er mit seiuem Beichtvater und zwei Gendarmen den bereitstehenden Wagen. Eine doppelte Reihe von Soldaten, welche vier Mann hoch standen, hatte ohne Unterbrechung die Straßen, durch welche der Wagen fuhr, besetzt, au allen Ecken waren Kanonen aufgefahreu, und eine Bedeckung Reiterei umringte den Wagen. Alles, was nicht zum Dienste befehligt war, und alle Einwohner von Paris hatten sich in ihre Häuser zurückgezogen, so daß eine fürchterliche Leere in den Straßen herrschte. Die Stadt war einige Stunden lang wie ansgestorben. Eine finstere Stille nnd ein trüber Himmel schienen die Tage des Mordes nnd des öffentlichen Elendes zu weissagen, welche diesem Tage der Trauer folgen sollten.
Um 10 Uhr langte der Wagen anf dem Platze Lndwigs XV. an, in dessen Mitte das Blutgerüst, die Guillotine, stand. Mehr als 15 000 Mann zu Roß uud zu Fuß bildeten einen großen Kreis
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um dieselbe. Während der Fahrt hatte der König im Gebete verweilt. Als er merkte, daß der Wagen hielt, sagte er leise zu Edge-worth: „Jetzt sind wir da, wenn ich nicht irre!" Sogleich wurde der Schlag geöffnet; der König stieg ans und betrat mit der Geduld eines Gerechten, der mit dem Himmel im Frieden lebt, die Stufen des Schafotts. Die Henker umringten ihn und wollten ihn ent-
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Fig. 35. Hinrichtung Ludwigs XVI.
kleiden; Ludwig aber wies sie mit Hoheit zurück, legte selbst das Kleid ab und entblößte seinen Hals. Dann umringten sie ihn aufs neue, um ihm die Hände auf den Rücken zu binden. „Was maßt ihr euch an?" rief er unwillig; „thut, was euch befohlen ist, nur binden lasse ich mich nicht." Schon wollten die Henker Gewalt anwenden, als der Beichtvater hinzutrat und ihn an das Beispiel
Jesu erinnerte (Fig. 35). Und gelassen streckte jetzt Ludwig seine Hände hin und sprach: „So bindet sie denn, damit ich den Kelch der Leiden bis auf die Neige trinke." Dann trat er auf die linke Seite des Gerüstes und rief: „Still, Trommelschläger!" Sie hielten ein, und er sprach nun mit vernehmbarer Stimme: „Franzosen! ich sterbe unschuldig an allen Verbrechen, deren man mich anklagt; ich verzeihe den Urhebern meines Todes und bitte Gott, daß das Blut, welches ihr jetzt vergießen wollet, nie über Frankreich komme. Und du, unglückliches Volk. . . !" Diese letzten Worte wurden von dem Getöse aller Trommeln verschlungen, die auf Santerres Gebrüll zu wirbeln begannen. Zugleich ergriffen die Henker ihr Opfer und führten es unter das Fallbeil. Der Beichtvater kniete neben ihn und rief ihm die Worte zu: „Sohn des hl. Ludwig, steige hinauf gen Himmel!" Da fiel das Beil, und das Haupt des unschuldigen Königs rollte über das Blutgerüst. Einer der Henkersknechte hob es triumphierend empor und zeigte es den Zuschauern, während von allen Seiten das Geschrei: „Es lebe die Nation! Es lebe die Freiheit!" ertönte. Hüte und Mützen flogen in die Höhe, und singend tanzte der Pöbel um das Blutgerüst. Der bessergesinnte Franzose aber verbarg aus Angst vor jener Rotte seinen tiefen Schmerz.
Die Schreckensherrschaft.
Mit Hilfe des bewaffneten Pöbels bemächtigten sich die wildesten Republikaner (die sogenannten Berg- oder Schreckensmänner) der Gewalt und ließen nicht nur alle Anhänger des Königtums und solche, die als Königlichgesinnte verdächtig wurden, unter der Guillotine bluten, sondern auch die gemäßigten Republikaner oder die sogenannten Girondisten.
Es entstand in Frankreich ein Bürgerkrieg, während es gleichzeitig mit Österreich, Preußen, den deutschen und italienischen Fürsten, mit England und Spanien Krieg angefangen hatte. Anfangs ging es den republikanischen Heeren schlecht, allein die Bergmänner stellten immer stärkere Heere auf, guillotinierten die Generale, die unglücklich fochten oder ihre Schuldigkeit nicht thaten, und der kriege-
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rische Geist des französischen Volkes, das seinen Boden immer als ein Heiligtum ansah, erwachte mächtig gegen die eindringenden viel-namigen Ausländer. Diese waren immer uneinig und ließen sich gegenseitig im Stiche, daher errangen die Franzosen allmählich das Übergewicht, und am Ende des Jahres 1794 hatten sie bereits alle feindlichen Armeen vom Boden der Republik vertrieben. Wie sich das Glück der Waffen auf ihre Seite gewendet hatte, wurden sie auch der Schreckensherrschaft, die Robespierre mit seinem Anhange ausübte, müde. Robespierre hatte selbst seine ehemaligen Genossen hinrichten lassen, weil sie ihm verdächtig waren, allein dadurch machte er alle Mitglieder des Kouvents um ihre Köpfe besorgt; daher vereinigte sich eine starke Partei gegen ihn, die bessern Bürger traten auf ihre Seite, schlugen den Pöbel zurück, und am 28. Juli 1794 führten die Todeskarren Robespierre mit 21 seiner Leute, am 30. noch 71 andere Schreckensmänner zur Guillotine; als Robespierres Kopf fiel, klatschte die zuschauende Menge mehrere Minuten laug.
Der Krieg gegen das Ausland dauerte uuterdesfen fort, obwohl die eine und die andere Macht mit der Republik Frieden schloß, und diese wäre am Ende doch unterlegen, wenn sich nicht ein Kriegsmeister ohnegleichen, Napoleon Bonaparte, erhoben hätte.
Wapoteon I. Sein Zug nach Wußkand 1812.
Napoleon Bonaparte, geboren am 15. August 1769 zu Ajaccio (Ajatschio) auf der ehemals genuesischen Insel Corsica, war von der Vorsehung erkoren, mit kräftiger Hand den Greueln der französischen Staatsumwälzung ein Ziel zu stecken. Er war es, der als 26jähriger General eine neue Revolution in Paris durch ein mörderisches Kartätschenfeuer zurückwies und im Innern Frankreichs wieder Ordnung und Ruhe herstellte, den vielen Ausgewanderten Rückkehr gestattete, die Freiheit des katholischen Glanbens wieder einführte und mit Papst Pins VII. sogar ein Konkordat abschloß. Er besiegte 1796 und 1800 die Österreicher, ließ sich 1804 zum Kaiser der Franzosen wählen, besiegte 1805 die Österreicher und
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Russen, 1806 die Preußen und Russen, 1809 abermals die Österreicher, mißbrauchte aber seine fast übermenschliche Geisteskraft und Kriegskunst, um voll unersättlichen Eroberungsdurstes nach der Herrschaft der Welt zu streben, und riß fremde Provinzen und Königreiche an sich. Seinen Bruder Ludwig, den Vater Napoleons III., machte er zum Könige von Holland, vertrieb ihn jedoch wieder von dem Throne, weil er sich sträubte, zu den Bedrückungen seines Volkes die Hand zu bieten, und vereinigte Holland mit Frankreich. Er ernannte seinen Bruder Joseph zum Könige von Spanien. Den König von Portugal vertrieb er, ebenso den König von Neapel, und gab dieses Königreich seinem Schwager und Reitergeneral Murat; aus Hessen-Kassel, Braunschweig, Hannover und andern norddeutschen Stücken Landes bildete er ein Königreich Westfalen, welches er seinem Bruder Hieronymus schenkte. Dann nahm er Besitz von dem ganzen nordwestlichen Deutschland an dem Ausflusse der Weser, Ems, Elbe, mit den alten Städten Bremen, Hamburg und Lübeck, wodurch die unglücklichen Deutschen ihre großen Ströme, ihre Küsten und ihren Seehandel verloren. Hierauf ließ er den Papst von Rom wegschleppen und vereinigte auch das römische Gebiet mit dem übermächtigen Frankreich, und zwar mit der Bestimmung, daß sein erstgeborener Sohn und der erstgeborene aller künftigen Regenten Frankreichs König von Rom heißen sollte. — Hätte Napoleon noch weiter gehen wollen, wer hätte es hindern können? Der Kaiser von Rußland war sein Bundesgenosse, Preußen und Österreich lagen entkräftet danieder, England vermochte nichts gegen ihn zu Land.
Zur See dagegen waren ihm die Engländer furchtbare Feiude; sie hatten seine ganze Marine, Frankreichs ganzen Seehandel vernichtet. Sobald ein Schiff aus seinen Häfen auslief, kamen sie und nahmen es weg. Sie unterstützten die Portugiesen und Spanier, welche sich gegen Napoleon empörten, nüt einem Heere. Dieses führte der General Wellington an, der die Franzosen aus Portugal vertrieb und in Spanien eindrang, ohne daß ihn die französischen Generale besiegen konnten, obwohl sie keine Menschenopfer scheuten; so blieb Spanien für Napoleon eine blntende Wunde. Die Briten und die
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Spanier schienen aber auch die einzigen Störer seines Glückes.
Darnm ließ er kein Mittel unversucht, England von seiner Höhe herabzuziehen. Dieses Land war vorzüglich mächtig durch den
Handel, darum wollte er denselben zerstören und den englischen
Schiffen alle Seehäfen von Europa verschließen. In Frankreich,
Italien, Holland und dem nördlichen Deutschland war es ihm auch schon gelungert. Wurden durch Schleichhandel englische Waren eingeschwärzt, so nötigte er die Fürsten, die unter seiner Botmäßigkeit standen, sie aufzusuchen und verbrennen zu lassen, wenn das Gut auch schon bezahlt war. So fielen die verderblichen Folgen seiner Maßregeln auf seine eigenen Völker sowie auf die Unterthanen der ihm befreundeten Fürsten zurück; die Engländer aber fanden neue Handelswege und lachten seines Zornes. Durch dieses greuliche sogenannte Kontinentalsystem verarmten viele tausend Menschen in und außer Deutschland, und Millionen hatten dabei zu leiden.
Diesem heillosen Systeme beizutreten ließ sich auch der Kaiser von Rußland bewegen, und Schweden wurde mit Waffengewalt genötigt, es anzunehmen. Bald aber lernte der russische Kaiser Alexander einsehen, welchen unermeßlichen Schaden er durch die Handelssperre gegen England seinen eigenen Unterthanen zufügte. Er ließ daher Milderung eintreten. Darüber, sowie über die Lande des Herzogs von Oldenburg, eines Verwandten des russischen Kaisers, die Napoleon an sich gerissen und nicht wieder herausgeben wollte, entstanden Mißhelligkeiten zwischen ihm und dem Kaiser Alexander. Napoleon, der keinen Krieg scheute, nahm sich vor, Schweden uud Rußland mit Gewalt zu zwingen, sich seinem Willen zu fügen. Zuerst ging er auf die Schweden los und nahm ihnen Schwedisch-Pommern weg. Noch viel empfindlicher aber sollten in dem Innern ihres großen Reiches die Russen gezüchtigt werden.
Alle Kräfte feiner Staaten bot Napoleon zu diesem Riesenkampfe auf. Polen wählte er zum Sammelplatze seiner Volker. Zu 480 000 eigenen Leuten ließ er noch 100 000 Mann deutscher Bundestruppen stoßen, und Preußen und Österreich mußten es sich gefallen lassen, jedes mit 30 000 Mann seine Flanken zu decken.
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So gerüstet ging er am 24. und 25. Juni 1812 mit mehr als einer halbeu Million Menschen und über 1200 Kanonen über den Niemen, den russischen Grenzfluß gegen Preußen und Polen, nachdem er in eigener Person die Ufer des Stromes, als polnischer Reiter gekleidet, untersucht hatte. Er teilte jetzt sein großes Heer in zwei Scharen. Die eine schickte er unter dem General Macdonald gegen Riga; die andere führte er selbst mit General Ney gegen Moskau.
Vergeblich bemühten sich die russischen Heere, die Feinde abzuhalten, wenigstens auf der einen Seite, die Moskau bedrohte. Napoleons Krieger trieben die Russen vor sich her, besiegten sie in den Schlachten von Smolensk und Mosaisk und kamen vor der alten, ehrwürdigen Stadt Moskau an; diese Stadt zu erreichen, war Napoleons Wunsch und Streben. Hier, im Herzen von Rußland, wollte er den Winter zubringen, wollte, wie einst zu Wien und Berlin, durch alle Provinzen des Reiches Brandschatzungen ausschreiben und sein zahlreiches Heer mit allen Bedürfnissen reichlich versehen lassen; im Frühjahre aber, wenn sich Kaiser Alexander nicht fügen würde, wollte Napoleon auch auf Petersburg losgehen und hier dem Zaren den Frieden diktieren. Diesen schönen Traum sah er schon halb verwirklicht, als er am 14. September 1812 die große und prächtige Kaiserstadt vor sich liegen sah und kein Feind sich zeigte, der ihm die Annäherung streitig machte. General Kutusow hatte sich mit seinen Russen entfernt, weil er sich zu schwach fühlte, dem großen französischen Heere zu widerstehen, zu dessen Vertilgung er jedoch andere Anstalten gemacht hatte.
Ungehindert konnte Napoleon seinen Einzug halten, die Thore waren unverschlossen, kein Schuß von den Manern geschah auf seine Leute, nirgends lauschte ein Feind. Aber zu seinem nicht geringen Befremden drängte sich auch nicht wie in andern eroberten Städten die neugierige Menge heran, ihn zu sehen und anzustaunen. Dumpfe Stille herrschte in allen Straßen wie auf einem Totenacker unter Gräbern. Fast alle Einwohner waren mit ihrer besten Habe entflohen , und die noch übrigen hielten sich in dem Innern ihrer Häuser verborgen. Diese gänzliche Verödung der großen Stadt
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wollte den Franzosen nicht gefallen. Sie schien ihnen an sich schon sehr bedenklich, und dann merkten sie wohl, daß ihnen in den menschenleeren Hänsern gar manches an ihrer Bequemlichkeit abgehen und die Küche schlecht bestellt sein würde. Doch trösteten sie sich mit der Aussicht auf eine unermeßliche Beute. Bald wurde ihnen auch dieser Trost geraubt. Auf einmal nämlich stieg an mehr als hundert Orten zugleich Feuer auf, Rauchwolken wirbelten in die Ln ft; bei einem heftigen Winde, der sich erhoben hatte, verbreitete sich der Brand wie ein Feuermeer über die ganze Stadt und wütete mehrere Tage lang fort. Bald war das prächtige Moskau nichts weiter als ein Schutthaufen. Nichts blieb verschont als der Kreml oder das kaiserliche Residenzschloß, welches nebst den dazu gehörigen Gebäudeu mit einer dreifachen Mauer und einem tiefen Graben umgeben war. Hier hatte Napoleon mit den vornehmsten Offizieren fein Quartier aufgeschlagen, indes von seiner Mannschaft vor der Stadt ein Lager bezogen worden war.
Durch die Einäscherung Moskaus war Napoleons ganzer Plan vereitelt worden. Von Feinden umgeben, ohne Lebensmittel, ohne Kleidung nnd Obdach für sein Heer, konnte er hier nicht überwintern. Die kleinsten wie die größten Bedürfnisse mußten erst erkämpft werden. Die Russen wagten sich immer näher. So oft ein Trupp französischer Reiter nach Lebensmitteln auszog, waren ihm die Kosaken auf dem Nacken. Noch furchtbarer als die Feinde näherte sich die schlimme Jahreszeit. Schon war die Hälfte des Oktobermonats verstrichen, nnd Napoleon saß noch immer in seinem Kreml, unschlüssig, was er beginnen sollte. Er hatte Friedensvorschläge gemacht, aber man antwortete zögernd und unbestimmt; denn alles war daran gelegen, ihn so lange als möglich auszuhalten. Endlich sah Napoleon die Notwendigkeit ein, die letzten erträglichen Herbsttage zu einem schleunigen Rückzüge zu benutzen.
Am 17. Oktober 1812 trat er diesen schauderhaften Rückzug an, mit reicher Bente beladen. Der russische Heerführer Kutufow folgte ihm auf dem Fuße nach und ließ ihm keine Ruhe. Unermüdet umschwärmten bie Kosaken seinen Rücken und feine Flanken, es
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folgten Anfälle auf Anfälle. Bald ließ sich drückender Mangel fühlen, nnd Hunger, Blöße, Ermattung wurden durch die eingetretene Winter-kälte noch empfindlicher. Die Wege waren mit Schnee uud Eis bedeckt, Menschen und Pferde fielen zu Tausenden und blieben liegen. Taufende von Soldaten erfroren an dem Feuer, das sie sich angezündet hatten, weil sie vor Mattigkeit nicht mehr aufstehen und es unterhalten konnten. Viele wurdeu von den Kosaken niedergestochen, ehe ihre erstarrten Hände erwärmt waren. Je weniger die Franzosen zu widerstehen vermochten, desto ungestümer uud hartnäckiger wurden die Anfälle von seiten der Russen. Halb vernichtet erreichte das fliehende Heer endlich die Stadt Smolensk, wo es Ruhe und in deren reichgefüllten Magazinen Nahrung und Kleidung zu finden hoffte. Allein umsonst; der russische General Tschitschakoff drohte, mit Wittgenstein vereinigt, den Franzosen an den Beresinastrom zuvorzueilen und sie gänzlich von ihrer Heimat abzuschneiden. Napoleon mußte daher Smolensk möglichst rasch verlassen, um einen Vorspruug vor den Feinden zu gewinnen. Hunger, Kälte, Krankheiten und Tod wüteten jetzt aufs neue unter seinen Scharen; ganze Züge wurden gefangen genommen und in das Innere von Rußland zurückgeschleppt.
Endlich erreichten die Trümmer dieses noch vor kurzem so zahlreichen und stolzen Heeres die Ufer der Berefina im russischen Gouvernement Minsk. Hier aber wartete ihrer noch die schwerste Prüfung. Am 27. November 1812 erfolgte auf zwei Brücken der Übergang. Kaum waren dieselben hergestellt, so entstand ein fürchterliches Gedränge, denn der Feind war in der Nähe uud feuerte Schuß auf Schuß mit Kartätschen unter die dichten Hausen. Jeder wollte der erste sein, der sich rettete, solange Rettung noch möglich war. Um schneller über die Brücke zu kommen, stieß einer den andern ins Wasser; manche stürzten nieder und wurden von den Rädern der Wagen und Kanonen zermalmt; andere suchten auf treibenden Eisschollen das jenseitige Ufer zu erreichen und fanden den Tod in den Fluten. Zu Taufenden wurden sie niedergeschossen. Fast alles Geschütz und Gepäck, auch 20 000 Gefangene fielen in die Hände
Bumüller u. Schuster, Weltgeschichte. 12. Aufl. §
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der Russen. Beinahe alle deutschen Soldaten fanden ans diesem Rückzüge ihren Untergang, und nie erfuhren ihre trostlosen Eltern, an welcher Stätte sie begraben liegen. Noch herber war den Vätern und Müttern ihr Verlust durch den Gedanken, daß ihre Söhne nicht für deutsche Ehre, sondern für die Ruhmsucht des tyrannischen Verderbers des Vaterlandes ihr Leben geopfert hatten.
Die traurigen Überreste des unglücklichen Heeres schleppten sich gegen Wilna. Acht Meilen von dieser Stadt bestieg Napoleon einen Schlitten und eilte über Dresden nach Paris zurück. Stolz uud trotzig war er ausgezogen an der Spitze einer halben Million Menschen; still und mit Schmach bedeckt kehrte er heim. Seine Entfernung war das Signal zur völligen Auflösung des Heeres. Im kläglichsten Zustande kamen die meisten zurück. Viele Tausende unterlagen noch uuterwegs ihren Leiden.
Die Völkerschlacht bei Leipzig.
Eine freudige Zuversicht auf den endlichen Sieg der guten Sache drang jetzt durch ganz Europa, und die bedrängten Völker erhoben sich kühn gegen ihren Unterdrücker. Preußen ging voran; bald folgte ihm auch Österreich, dessen edler Kaiser alle Vorteile, die ihm Napoleon anbot, ausschlug. Der große Tag brach au, da der Siegeskranz des Eroberers, der nun schon manches Blatt verloren hatte, von seinem Haupte gerissen werden sollte. Am 16. Oktober 1813 begann der Riesenkampf bei Leipzig. Mehr als 300 000 Mann Verbündete standen gegen 200 000 Mann Franzosen, und seit 8 Uhr des Morgens donnerten über 1000 Kanonen auf beiden Seiten, so daß die Erde bebte und viele Fenster in Leipzig zersprangen. Wild tobte der Kampf hin und her; Dörfer wurden gewonnen und wieder verloren. Napoleon errang auf der Seite, wo er selbst befehligte, solche Vorteile, daß er um 4 Uhr zu Leipzig ein Siegesgeläute veranstalten ließ. Der preußische Marschall Blücher dagegen siegte bei dem Dorfe Möckern, das er bereits viermal verloren hatte, während die Österreicher Dölitz erstürmten (Fig. 36). Am Abende des blutigen Tages hatten die Verbündeten alle ihre
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Stellungen wieder inne. Am 17. — es war Sonntag — war meistens Waffenruhe; am 18. aber erneuerte sich der schreckliche Kampf. Er blieb lange unentschieden; erst nach furchtbaren An-
Fig. 36. Erstürmung von Dölitz durch die Österreicher am 16. Oktober 1813.
strenguugen konnten die Franzosen zurückgedrängt werden, Napoleon selbst jedoch hielt sich in seiner Stellung bei Propstheida unerschütterlich. Wahrend des blutigen Kampfes gingen zwei Regimenter Württembergs unter Normann und 6000 Sachsen mit 30 Geschützen znr
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Sache des Vaterlandes über, und am Abende traf Napoleon seine Vorkehrungen zum Rückzüge. Auf einem nahegelegenen Hügel erhielten die drei verbündeten Monarchen die Siegesnachricht. Kaiser Franz kniete alsbald nieder, um Gott zu danken; Kaiser Alexander und König Friedrich Wilhelm folgten, nach ihnen alle anwesenden Führer. Im Heere der Verbündeten erschallte jetzt das Losuugswort: „Der Herr ist mit uus!" Während der Nacht räumte Napoleon seine Stellung. Mit dem anbrechenden Tage kam es zum Sturm auf Leipzig, wo alles voll Verwundeter lag. Zwei Marschülle sollten die offene Stadt so lange als möglich verteidigen und so den Rückzug des Heeres decken. Um 10 Uhr verließ Napoleon die Stadt, und bald darauf ward die Brücke über die Elster, wohl zu frühe, durch Pulver gesprengt. Dadurch wurden mehrere tausend Franzosen abgeschnitten. Viele, die sich durch Schwimmen retten wollten, ertranken, unter ihnen auch der tapfere Polenfürst Poniatowski.
Dieses war das Ende der berühmten Schlacht bei Leipzig, welche den beiden Parteien zusammen über 100 000 Menschen das Leben gekostet hatte. Die Schlacht war der Preis der Freiheit Deutschlands vom Joche Napoleons; ihr Jahrestag, der 18. Oktober, wurde längere Zeit hindurch festlich begangen.
Die französische Ieöruarrevokution (1848).
Nach 1815 erfreuten sich das französische und deutsche Volk wieder der Friedensruhe, uud nach wenigen Jahren hatten sich beide Völker von den Leiden des Krieges erholt. Der Deutsche Bund besaß die stärkste Kriegsmacht in ganz Europa; er war aber friedliebend, und kein Nachbarvolk hatte von ihm eine Feindseligkeit zu befürchten.
Frankreich war wieder wie vor der Revolution ein großes Königreich, über welches von 1815 bis 1824 Ludwig XVIII. regierte, welchem Karl X., gleichfalls ein Bruder Ludwigs XVI., bis 1830, dann Ludwig Philipp bis 1848 auf dem Throne folgte.
Während dieser Jahre gelangte Frankreich zu großem Wohlstände und hatte eine freie Verfassung; allein der Friede wurde den
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Franzosen langweilig; sie ärgerten sich darüber, daß Frankreich nicht das große Wort in Europa führen sollte, sondern andere Mächte ebensoviel zu sagen hatten; sie murrten, daß unter dem Bürgerkönigtum Frankreich ruhmlos dastehe. Weil der König sparsam war, hieß es, er sammle Schätze für sich und seine Familie, während die Minister und die hohen Staatsbeamten ihre Stellung mißbrauchten, um sich zu bereichern. Der letztere Vorwurf war auch nicht ganz grundlos. Zuletzt verlangte man mehr Freiheit; ehrgeizige Männer, welche gern selbst Minister geworden wären, griffen die Regierung an, und die Republikaner halfen nach Kräften mit. Nach und nach wuchs die Unzufriedenheit, der König gab jedoch nicht nach. Die Pariser Bürger gerieten hierüber in großen Unwillen, und daran hatten die Republikaner ihre Freude; sie stellten sich aber, als ob sie an keine Revolution dächten, und stimmten nur in den Ruf nach einer Reform der Staatsverfafsung ein. Die Führer der Unzufriedenen veranstalteten endlich in Paris eine Versammlung, in welcher sie ihre Forderungen an die Königliche Regierung feierlich aussprechen wollten; diese aber verbot die Versammlung. Von Revolution und Republik war öffentlich noch keine Rede, insgeheim aber bereiteten sich die Revolutionäre zu einem Streiche vor. Am 22. Februar 1848 durchzogen Volkshaufen unter dem Geschrei: „Es lebe die Reform!" die Straßen; einzelne Bataillone der Nationalgarde stimmten ein, andere sahen dem Treiben gleich-gültig zu, und bald war die halbe Bevölkerung der ungeheuern Stadt auf den Beinen. Der König wurde jetzt ernstlich besorgt und entließ seine Minister, ernannte aber nicht sofort andere. Die Soldaten uud die Stadtpolizisten zerstreuten am nächsten Tage (23. Febr.) bie lärmenden Volkshaufen, ohne von ihren Waffen Gebrauch zu machen; wenn aber ein Haufen auseinandergetrieben war, so sammelte er sich bald wieder und fing sein Unwesen von neuem' an. Ein solcher Haufen, welcher größtenteils mit Pistolen, Piken und Stöcken bewaffnet war, wälzte sich abends 9 Uhr gegen das Gebäude des Ministeriums des Auswärtigen, vor welchem ein Bataillon Linien-Jnfanterie aufgestellt war; plötzlich fiel ein Schuß, man weiß nicht,
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ob zufällig oder absichtlich; die Soldaten glaubten, sie würden angegriffen, gaben Feuer und streckten 16 Personen tot und noch mehrere verwundet nieder. Darauf erhob sich ein entsetzliches Geschrei; die Aufrührer hoben die Toten auf und führten sie auf Wagen in den Straßen herum unter dem Rufe: „Man ermordet unsere Brüder! Rache, Rache! Zu den Waffen! Zu den Barrikaden!" Entsetzen und Zorn bemächtigte sich des Volkes, denn es glaubte wirklich, der König habe befohlen, alles niederschießen zu lassen, was nach Reform rufe. Nun griffen viele Tausende zu den Waffen; das Straßenpflaster wurde aufgerissen, Barrikaden (Schanzen) errichtet und damit die Straßen verrammelt. Dies geschah in der Nacht; am 24. morgens wurde amtlich verkündet, der König habe ein neues Ministerium ernannt und willige in eine Reform der Staatsverfassung. Allein da die Leiter der Revolution sahen, daß die ausmarschierten Soldaten Befehl hatten, nicht zu feuern, und dem Tumulte ruhig zuschauten, so waren sie entschlossen, noch mehr zu wagen. Zwischen 10 und 11 Uhr drang ein Haufen in das Palais Royal, einen der Familie Orleans gehörigen Palast, und verwüstete ihn. Dann ging es gegen die Tuilerien, das königliche Residenzschloß, hier hatte der König seine Abdankungsurkunde unterzeichnet zu Gunsten seines 10jährigen Enkels, des Grafen von Paris, und entfernte sich in bürgerlicher Kleidung durch den Garten der Tuilerien mit der Königin, bestieg eine Mietkutsche und suhr nach dem Schlosse Dreux. Die Herzogin von Orleans, Mutter des Grasen von Pariv, hatte sich mit demselben in die Kammer der Abgeordneten begeben, ein Glück für beide, denn bald drang ein wilder Haufen in die Tuilerien, riß den Thron in Fetzen, warf diese zu den Fenstern hinaus und zertrümmerte die Geräte. Aber auch gegen die Abgeordnetenkammer zog eine revolutionäre Masse, draug mit wildem Geschrei iu den Saal und verjagte die Abgeordneten. Wie durch ein Wunder rettete sich die Herzogin mit dem Grafen von Pariv und ihrem jüngern Sohne aus dem Gedränge und flüchtete uach Deutschland. In Paris wurde die Republik ausgerufen und eine provisorische Regierung eingesetzt. Als der König dies hörte, verließ
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er mit der Königin das Schloß Dreux und begab sich nach der Normandie, um nach England überzuschiffen, wo nach und nach auch die andern Mitglieder seiner Familie eintrafen. Er bewohnte mit ihr das Schloß Claremont, in welchem er am 26. August 1850 in einem Alter von 77 Jahren starb. Ludwig Philipp hätte die Revolution niederschmettern können, allein er sah wohl ein, daß er nach einem Blutbade, wie es der Marschall Bugeaud, ein unerbittlicher Feind der Revolutionäre, ans seinen Befehl unter den Parisern angerichtet hätte, als Tyrann verflucht worden wäre und er mit feiner Familie keine ruhige Stunde mehr gehabt hätte. So geschah es, daß etwa 60 000 Pariser, mit wenigen Ausnahmen der untersten Volksklaffe angehörig, die Republik ausriefen und Paris mit ganz Frankreich sich's gefallen ließ.
Wapoleon III., Kaiser der Franzosen
(2. Dez. 1852 bis 4. Sept. 1870).
Die Regierung der französischen Republik war vom ersten Tage ein immer in schwerer Verlegenheit. Die Pariser Arbeiter wollten für weniger Arbeit hohem Lohn, sie verlangten von den Hauseigentümern die Herabsetzung der Wohnungsmiete und forderten endlich geradezu, man solle den Reichen einen Teil ihres Vermögens abnehmen und unter das arme Volk austeilen. Die Regierung üerorbnete hierauf, daß alle Arbeiter, die nicht in Paris daheim seien und von keinem Pariser Fabrikanten oder Meister beschäftigt würden, sich nach Haufe begeben sollten. Diese Maßregel gab den Anlaß zu einer neuen Revolution. Die Revolutionäre wollten diesmal gründlich zu Werke gehen: die Nationalversammlung auseinanderjagen, ihre bedeutendsten Gegner ermorden und eine Regierung nach ihrem Sinne einsetzen; dann sollte die Armee ausmarschieren, alle Monarchen verjagen, den Völkern die Freiheit bringen und alle Staaten Europas in Republiken nach dem französischen Muster verwandeln. Am 23. Juni 1848 schlugen sie los, aber die Regierung war vorbereitet. Sie hatte die Besatzung von Paris verstärkt und dem General Cavaignac den unbeschränkten Oberbefehl übergeben;
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auch die Nationalgarde trat unter das Gewehr. Vom 24. wütete die Straßenschlacht ununterbrochen fort bis zum 26.; die Revolutionäre verteidigten sich mit wütender Hartnäckigkeit. Der Erzbischof d'Affre, der vor eine Barrikade hingetreten war und Worte der Versöhnung sprach, erhielt einen Schuß, an dessen Folgen er nach einigen Tagen starb; es wurden mehr Generale getötet oder verwundet als in einer der großen Schlachten Napoleons I. Die
Aufrührer wurden endlich vollständig besiegt; aber wenigstens 10 000 Menschen hatten das Leben verloren, uud 4000 Gefangene wurden über das Meer nach verschiedenen als Verbannungsort dienenden Inseln gebracht.
Die Nationalversammlung gab hierauf Frankreich eine neue Verfassung. Das Land sollte eine Republik bleiben und an deren Spitze ein Präsident mit vierjähriger Amtsdauer gestellt werdeu.
Am 10. Dezember fand die Präsidentenwahl statt, bei welcher sich 1448 000 Stimmen für den General Cavaignac, 5 430 000 für den Prinzen Louis Napoleon Bonaparte ergaben. Dieser, Sohn Louis Napoleons (eines Bruders von Napoleon I.) uud der Horteuse Beauharnais, war am 20. April 1808 geboren. Er geriet bald mit der Nationalversammlung in Uneinigkeit, da sie nicht auf seinen Wunsch einging, ihm die Präsidentschaft von 4 auf 10 Jahre zu verlängern. Seitdem beschuldigte er sie bei dem Volke, sie ver-
schleudere die Zeit mit unnützem Gezänke, thue nichts zum Wohle des Volkes und vereitle die besten Absichten des Präsidenten. Er versicherte sich der Anhänglichkeit der Generale und Soldaten der in Paris garnisonierenden Regimenter und unternahm alsdann einen Staatsstreich, indem er in der Nacht vom 1. auf den 2. Dezember 1851 alle Männer von Bedeutung, welche gegen seine Erhebung gewirkt hatten, verhaften ließ; am 20. und 21. Dezember ließ er das Volk darüber abstimmen, ob seine Präsidentschaft auf 10 Jahre verlängert und ihm die Vollmacht übertragen werden solle, Frankreich eine neue Verfassung zu geben; es stimmten 7^2 Millionen Franzosen nach seinem Wunsche. Jetzt arbeitete er mit allen Mitteln auf die Wiederherstellung des Kaisertums hin. Am 21. November 1852 fand
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die allgemeine Abstimmung über die Wiederanfrichtung des Kaisertums statt, und 7 800 000 Franzosen erwählten gegen 253 000 den Prinz-Präsidenten Louis Napoleon Bonaparte zu ihrem Kaiser; am 2. Dezember bestieg er den Thron und nannte sich Napoleon III. Die zweite französische Republik hatte somit keine vier Jahre gedauert.
Napoleons III. Krieg gegen Asterreich (1859).
Aus den Antrieb Napoleons III., der Kriegsruhm erwerben wollte, that der Graf Eavour, Minister des Königs Viktor Emanuel von Sardinien, alles mögliche zur Beleidigung Österreichs und wiederholte unaufhörlich, die Italiener würden die Feinde Österreichs sein, solange noch ein österreichischer Soldat auf italienischem Boden stehe. Natürlich verstärkte Österreich seine Armee in Oberitalien, und nun ließen Napoleon III. und Viktor Emanuel ein gewaltiges Geschrei erheben, daß Österreich Krieg wolle. Dem Kaiser Franz Joseph blieb schließlich keine andere Wahl, er mußte zu den Waffen greifen, und am 29. April 1859 ging das österreichische Heer über den Grenzfluß Ticino. Es war stark uud mutig, wurde aber so ungeschickt angeführt wie vielleicht noch niemals ein anderes. Nach mehreren Gefechten wich der österreichische Oberbefehlshaber Graf Gyulai über den Ticino zurück, vereinigte aber unklugerweise nicht alle seine Streitkräfte. Infolgedessen wirkten, als es am 4. Juni zur blutigen und entscheidenden Schlacht bei Magenta kam, 30 000 Österreicher nicht mit. weil sie über einen Tagmarsch vom Schlacht-seide entfernt waren. Dennoch schwankte der Sieg lange, bis ihn der Marschall Mac Mahon für die Franzosen entschied. Das österreichische Heer zog nnverfolgt an den Mincio zurück und überließ die Lombardei mit Mailand den Franzosen und Sardiniern; nachdem er Verstärkungen erhalten hatte, übernahm Kaiser Franz Joseph in Person den Oberbefehl. Bei Solferino, wenige Stunden südwestlich von der Festung Peschiera, trafen die feindlichen Heere am 24. Juni aufeinander. Vom frühen Morgen bis nach Mittag wurde mit aller Anstrengung gefochten; endlich durchbrachen die
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Franzosen das Centrum der Österreicher, welche über den Mincio zurückwichen und im Festungsvierecke Stellung nahmen.
Napoleon III. trug schon am 6. Juli dem Kaiser Franz Joseph einen Waffenstillstand an, der am 9. abgeschlossen wurde; am 11. trafen beide Kaiser in Villafranca zusammen, wo sie über die Grundlagen (Präliminarien) des Friedensvertrags sich einigten, der später auf der Konferenz zu Zürich endgültig abgeschlossen wurde (10. Nov.). Österreich trat an König Viktor Emauuel die Lombardei mit Ausnahme der Festungen Mantua uud.Peschiera ab, und Napoleon III. ließ sich seine Hilfe von dem König mit den Provinzen Nizza und Savoyen bezahlen. Der Züricher Friedensvertrag wurde jedoch vou der sardinischen Regierung nicht erfüllt, denn sie behielt die revolutionierten Herzogtümer Parma und Modena, das Großherzogtum Toscana und den großem Teil des Kirchenstaats. Das Jahr darauf nahm sie einen weitern Teil des Kirchenstaates nnd das ganze Königreich Neapel-Sicilien weg, worauf Viktor Emauuel sich den Titel „König von Italien" beilegte. Am 20. September 1870 wurde dem Papste Pius IX. der letzte Rest des Kirchenstaates entrissen und Rom zur Haupt- und Residenzstadt Italiens erklärt.
Der deutsche Krieg (1866).
Napoleon III. stand nach dem Kriege von 1859 auf der Höhe seines Glücks; die Franzosen glaubten nun selbst, ihr Kaiser sei der klügste unter allen Monarchen, sie nannten sich wieder mit Stolz „die große Nation", „die an der Spitze der Civilisation marschiere", und Napoleon III. sprach: „Wenn Frankreich zufrieden ist, hat Europa Ruhe." Die andern Völker wußten aber, daß die Franzosen noch niemals längere Zeit zufrieden gewesen sind, und die Besorgnis war eine allgemeine, daß Napoleon III. wieder Krieg ansangen werde, und diesmal mit Deutschland, denn der Herzenswunsch der Franzosen ging auf die Rheingrenze, auf die Eroberung der auf dem linken Rheinufer gelegenen deutschen Länder: Rheinbayerns, Rheinhessens und Rheinpreußens.
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Die zwei Großmächte des Deutschen Bundes, nämlich Preußen und Österreich, waren immer eifersüchtig aufeinander, und 1859 entfremdeten sie sich vollständig. Österreich hatte den Beistand Preußens gegen Napoleon III., Preußen aber dafür als Gegendienst eine erhöhte Machtstellung in Deutschland verlangt, worein Österreich nicht willigte und lieber die Lombardei an Sardinien abtrat. Beide Mächte verhehlten ihren Groll nicht, verständigten sich aber doch noch einmal zu einem gemeinschaftlichen Kriege gegen das Königreich Dänemark. Der Dänenkönig war zugleich Herzog von Lauenburg, einem Ländchen an der Elbe unweit der Stadt Hamburg; ferner Herzog von Holstein, das zwischen der untern Elbe und der Eider, der Nordsee und Ostsee liegt; beide Herzogtümer gehörten zu dem Deutschen Bunde, nicht aber das nördlich von Holstein gelegene Herzogtum Schleswig, dessen Landesherr gleichfalls der Dänenkönig war. Schleswig und Holstein waren seit alter Zeit verbunden; die Dänen aber wollten vertragswidrig Schleswig abtrennen und mit Dänemark vereinigen, Holstein zwar eine eigene Verfassung geben, aber wie in einer Provinz Steuern einziehen und Soldaten für das dänische Heer ausheben. Dagegen sträubten sich die Holsteiner und die deutschen Schleswigs, und als die Dänen immer gewaltthätiger verfuhren, verlangte das deutsche Volk so stürmisch die Beschütznng der Holsteiner und Schleswiger gegen die dänischen Unterdrücker, daß die deutschen Regierungen einschreiten mußten. So kam es 1864 zum Kriege. Österreich und Preußen führten ihn allein; die Dänen wurden überall geschlagen und von dem Festlande auf ihre Inseln gejagt. Sie hatten auf Frankreich, England, Rußland und Schweden gerechnet, sahen sich aber getäuscht und nach mehreren blutigen Niederlagen (Översee, Düppel, Alsen) zum Frieden genötigt. Dieser wurde am 30. Oktober 1864 zu Wien abgeschlossen und von dem dänischen König Christian IX. Lauenburg, Holstein und Schleswig an Österreich und Preußen abgetreten. Jetzt fragte es sich, was mit den eroberten Herzogtümern geschehen solle. Die Holsteiner und Schleswiger wünschten den Herzog Friedrich von Augustenbnrg, einen Vetter des Dänenkönigs, zum Landesherrn. Österreich war geneigt,
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einzuwilligen, aber Preußen wollte die eroberten Herzogtümer au sich bringen. Es unterhandelte darüber viel mit Österreich, allein in Wien war mau gegen eine solche Vergrößerung des nebenbuhlerischen Staates. So mußte es zum Kriege kommen; der leitende preußische Minister Graf Otto von Bismarck-Schönhausen machte auch kein Geheimnis daraus, daß Preußen entschlossen sei, seine Ansprüche nötigenfalls mit Waffengewalt durchzusetzen, und ging am 10. April 1866 mit dem König von Italien ein Kriegsbündnis gegen Österreich ein. Napoleon III. wußte von allem, was vorging, und ein Krieg zwischen Preußen und Österreich war ihm höchst willkommen. Er rechnete nämlich darauf, nach Erschöpfung der preußischen und österreichischen Heere als Schiedsrichter aufzutreten und sich seinen Lohn in den deutschen Rheinlanden nehmen zu können.
Preußen ging ungesäumt auf dem eingeschlagenen Wege voran. Seit dem Däuenkriege standen noch etwa 3000 Österreicher in Holstein; da rückten 20 000 Preußen ein, vor welchen sich die Österreicher nach Hannover zurückzogen. Nun erhob Österreich Klage bei dem Deutschen Bundestage in Frankfurt über Preußen und beantragte das schleunige Aufgebot des Bundesheeres, was auch mit Stimmenmehrheit beschlossen wurde (14. Juni). Sofort verlangte die preußische Regierung von den Königen von Hannover und Sachsen und dem Kurfürsten von Hessen die Entlassung ihrer Truppen, und als es nicht geschah, rückten 50 000 Preußen unter General Vogel von Falckenstein in Hannover ein unb zwangen 18 000 Hannoveraner, die sich am 27. Juni bei Langensalza auf das tapferste geschlagen hatten, zur Ergebung. Der gleiche Feldherr besiegte hierauf im Juli in verschiedenen Treffen die hessischen, nassamschen, badischen, Württembergischen und bayerischen Truppen, die ihm an Zahl weit überlegen waren und ausdauernden Mut bewiesen, aber niemals zu einem Heere bereinigt fochten. Der entscheidende Schlag siel in Böhmen, wohin sich der König von Sachsen mit 23 000 Mann begeben und die österreichische Armee verstärkt hatte. Dahin wandte sich König Wilhelm I. von Preußen mit ungefähr 246 000 Mann; unter ihm befehligten fein Sohn, der Kronprinz Friedrich,
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der Prinz Friedrich Karl, die Generale Herwarth von Bittenfeld, Steinmetz, Prinz August von Württemberg, Fransecky rc.; den Kriegsplan hatte der Chef des Generalstabs, Freiherr von Moltke, ein geborener Mecklenburger, entworfen. Die Hauptmacht drang am 23. Juni in drei Heeressäulen aus Sachsen und Schlesien in Böhmen ein gegen die österreichische Armee, die etwa 245 000 Mann stark war. Ihr Oberbefehlshaber, der Ungar Benedek, hatte sich in den italienischen Kriegen als ein trefflicher Corpsführer bewährt, aber noch niemals einen Feldzug geleitet. Seine Armee war in sieben Corps geteilt, von welchen bis Ende Juni bereits fünf in den Treffen bei Skalitz, Nachod, Trantenau, Gitschin rc. geschlagen waren und bei 30 000 Mann verloren hatten. Die Preußen waren vortrefflich geführt uud ihre Infanterie der österreichischen durch die Feuerwaffe (Zündnadel) weit überlegen. Da vereinigte Benedek alle seine Streitkräfte uud nahm unweit der Festung Königgrätz zwischen der Bistriz und Elbe Stellung; die Dörfer Benatek, Sadowa, Lippa und Chlum waren wichtige Punkte derselben; seine Armee war noch ungefähr 150 000 Mann stark, die augenblicklich heranziehende preußische etwa 170 000. Am 3. Juli morgens 8 Uhr begann die Schlacht; bis 1 Uhr waren die Österreicher im Vorteile, indem die Preußen nirgends durchbrechen konnten und durch das österreichische Geschütz sehr litten; ans jeder Seite waren ungefähr 500 Feuerschlünde in Thätigkeit. Um 1 Uhr traf endlich von der Armee des preußischen Kronprinzen eine Kolonne nach der andern ein, und jede ging sogleich zum Angriffe über; die wichtige Höhe von Chlum wurde erstürmt und die österreichische Stellung im Rücken gefaßt; um 41/2 Uhr wurde der letzte Angriff der Österreicher zurückgeschlagen und ihre Schlachtordnung durchbrochen. Ihre Reiterei warf sich dem Feinde entgegen, konnte aber dem Anpralle der preußischen nicht widerstehen; am längsten hielt die Artillerie aus, doch mußte auch sie schließlich, unter Zurücklassung von 174 Geschützen, den Rückzug antreten. Die Niederlage war vollständig, der Verlust ungeheuer.
Die preußische Hauptarmee drang nun rasch aus Böhmen durch Mähren gegen die Donau vor und am 20. Juli stand sie 240 000 Mann
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stark bor Wien und Preßburg. Kaiser Franz Joseph gab die Hoffnung einer günstigen Wendung des Kriegsglücks auf und schloß zuerst einen Waffenstillstand ab, auf welchen am 27. Juli der Prü-liminarfriede bon Nikolsburg folgte. Österreich anerkannte die Auflösung des bisherigen Deutschen Buudes und schied damit aus Deutschland aus, gab seine Zustimmung zur Bildung eines Norddeutschen Bundes unter der Führung Preußens, ferner zur Ein-berleibung bon Hannober, Kurhessen, Nassau, Frankfurt, Holstein und Schleswig in den preußischen Staat. Außerdem bezahlte Österreich an Preußen bar 35 Millionen Gulden als Kriegskostenentschädigung. Anfangs August kam auch der Friedensschluß Preußens mit Württemberg, Baden, Bayern und Hessen-Darm stadt zu stände, welche Staaten als Kriegskosteneutschüdiguug der Reihe nach 8, 6, 30, 3 Millionen Gulden entrichteten; überdies schlossen alle ein Schutz-und Trutzbündnis mit Preußen, mit der Bedingung, daß ihre Trnppen im Kriegsfälle unter dem Oberbefehle des Königs bon Preußen stehen sollten. Dies Bündnis blieb geheim bis zum März 1867, wo es anläßlich der Luxemburger Frage, welche einen Konflikt zwischen Preußen und Frankreich unbermeidlich zu machen schien, an die Öffentlichkeit kam.
Gleichzeitig mit den Preußen hatten auch die Italiener den Krieg gegen Österreich eröffnet. Trotzdem daß sie nur Schlüge erhalten hatten, mußte Österreich infolge seiner Niederlage in Deutschland doch Venetien abtreten und somit aus Italien weichen.
Der große Krieg zwischen Frankreich und Deutschland
(1870—1871).
Europa staunte über die Kraft, welche Preußen gezeigt hatte. Der Waffenruhm, den sich die Franzosen 1859 bei Magenta und Solferino erworben hatten, ward durch die Siege der Preußen ber-dunkelt, denn diese siegten rascher und bollständiger. Sie zogen auch ans dem Kriege größere Vorteile, denn Frankreich gewann nur das arme Saboyen und das kleine Nizza, Preußen aber bergrößerte sich um 1308 Quadratmeilen mit 4 800 000 Einwohnern, rundete sein
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Gebiet aus und wurde dadurch eine bedeutende Großmacht. Dies sahen bie Franzosen ein, und Napoleon mußte die bittersten Vorwürfe hinnehmen. Als nun auch eine Unternehmung Napoleons gegen Mexiko unglücklich ausfiel, wuchs in Frankreich die Zahl der Unzufriedenen unter Volk und Militär, und zugleich auch die Partei der Volksvertreter, welche eine freiere Verfassung verlangten, fast mit jedem Tage, und ihre Redner brachten die kaiserlichen Minister oft in die größte Verlegenheit.
Aus dieser schwierigen Lage glaubte sich Napoleon allein durch einen Eroberungskrieg retten zu können, und zwar gegen Deutschland. Der Vorwand dazu wurde, wie mau zu sagen pflegt, vom Zaune gebrochen. Die Königin Jsabella von Spanien war im September 1868 durch eine Verschwörung ihrer vornehmsten Generale vertrieben worden; diese suchten hierauf lange unter den katholischen Prinzen Europas für Spanien einen König, wurden aber überall abschlägig beschieden, bis endlich der Prinz Leopold von Hohenzollern-Sigmaringen, ein Verwandter des preußischen Königshauses, sich zur Annahme der spanischen Königskrone bereit erklärte (Ende Juni 1870). Auf die Anfrage eines Abgeordneten antwortete der Minister Gra-tnont, die französische Regierung werde nicht dulden, daß Preußen einen feiner Prinzen auf den spanischen Königsthron setze; sie vertraue der Einsicht des deutschen Volkes; sollte jedoch ihre Erwartung nicht erfüllt werden, so werde sie ihre Pflicht thun, das heißt einen Krieg anfangen (6. Juli). Damit begann der Kriegslärm in Frankreich. Am 12. Juli zeigte der Vater des Prinzen Leopold durch den Telegraphen an, daß fein Sohn aus die spanische Krone verzichte, der Vorwand zum Kriege siel also weg. Allein am 13. Juli, als König Wilhelm von Preußen im Badeorte Ems einen Morgenspaziergang machte, trat der französische Botschafter Benedetti vor ihn und verlangte, der König folle ganz bestimmt erklären, daß er niemals wieder seine Einwilligung geben werde, falls der hohen-zollernsche Prinz noch einmal zur Annahme der spanischen Krone ausgefordert werden sollte. Eine derartige Zumutung mußte der König natürlich ablehnen, und als daher der Botschafter abends
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6 Uhr nochmals um eine Audienz in dieser Sache nachsuchte, ließ ihm der Monarch durch einen Adjutanten erklären, er habe dem Botschafter weiter nichts mitzuteilen. Am 15. Juli erschien Napoleons Minister Ollivier vor den Abgeordneten und erklärte, die preußische Regierung habe durch eine Depesche alle Regierungen in Kenntnis gesetzt, wie der König den französischen Botschafter abgewiesen habe; dadurch sei Frankreich an den Pranger gestellt, der Kaiser und Frankreich beschimpft worden; das Land werde den Krieg, den man ihm bereitet habe, aufnehmen. Vergebens erhoben sich einige Abgeordnete gegen einen solchen mutwilligen Krieg, indem sie die Richtigkeit der Darstellung bezüglich der Emser Vorgänge bezweifelten und Vorlegung der angeblich beleidigenden Depesche verlangten; sie wurden von der Mehrheit überschrieen. Am 19. wurde die Kriegserklärung von dem französischen Geschäftsträger in Berlin übergeben, cm demselben Tage, an welchem König Wilhelm den Norddeutschen Reichstag eröffnete.
Napoleon hatte geglaubt, er werde es nur mit Preußen und den kleinern Nordbundsstaaten zu thun haben; die Süddeutschen meinte er, seien über Preußen noch wegen des Kriegs von 1866 erbittert und darum keineswegs geneigt, für Preußen in den Krieg gegen das furchtbare Frankreich einzutreten. Aber die Fürsten wie die Völker Süddeutschlands erkannten, daß, wenn Preußen gegen Frankreich unterliege, die Macht und Ehre des deutschen Volkes verloren sei, daß alsdann Napoleon III. die deutschen Rheinlande abreißen und mit Frankreich vereinigen und in Deutschland selbst den Meister spielen werde, wie vordem Napoleon I.; daher griffen die Hessen, Badener, Württembergs und Bayern mit dem gleichen Zorne gegen den eroberungssüchtigen Friedensstörer zu den Waffen wie die Norddeutschen, und die gleichen deutschen Krieger, welche 1866 einander im Feuer gegenübergestanden waren, vereinigten sich zu einer Waffenbrüderschaft, wie sie Deutschland seit Jahrhunderten nicht mehr erlebt hatte. Am 16. Juli begann die Mobilmachung in Nord-und Süddeutschland, nach 10 Tagen waren bereits 600 000 deutsche Krieger marschbereit und nach weitern 10 Tagen standen sie an der
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Grenze Frankreichs. Eine so rasche Sammlung der deutschen Streitkräfte hatte Napoleon nicht für möglich gehalten; sie vereitelte von vornherein den Plan, einen Einfall in Süddeutschland zu machen, wo er dann die Schwaben und Bayern durch das Versprechen einer freundlichen Behandlung zu gewinnen hoffte. Am 28. Juli ging er mit seinem 14jährigen Sohne zu der Armee ab und ließ denselben in dem Gefecht bei Saarbrücken am 3. August eine Mitrail-leuse, ein von Napoleon neu eingeführtes Geschütz, von dem man sich furchtbare Wirkungen versprach, abfeuern; die schwache preußische Abteilung zog ab, und die Franzosen besetzten die deutsche Grenzstadt. Darüber war ein Jubel in Paris, wie wenn ein großer Sieg erfochten worden wäre; die Stadt wiederhallte von dem Rufe: Nach Berlin! nach Berlin! und bereitete sich zur Feier entscheidender Siege vor. Sie wurde jedoch bald durch andere Botschaften aufgeschreckt.
Die deutsche Hauptmacht war in drei Armeen unweit der französischen Grenze vom Rhein bis an die Mosel aufgestellt; den Oberbefehl führte König Wilhelm (Fig. 37), unter ihm kommandierte der alte General Steinmetz die erste Armee, Prinz Friedrich Karl die zweite, der Kronprinz Friedrich die dritte; den Kriegsplan hatte der Generalstabschef Moltke entworfen, und bevor sich Napoleon und seine Marschälle besinnen konnten, traf sie Schlag auf Schlag, der eiue furchtbarer als der andere. Der Marschall Mac Mahon, welcher das Vertrauen und die Liebe der französischen Soldaten in hervorragendem Maße besaß, befehligte ein Heer von 80 000 Mann im untern Elsaß; es bestand aus Kerntruppen, unter welchen sich auch mehrere Regimenter Turcos befanden, nämlich afrikanische Mohammedaner. Araber und Kabylen aus Algier, welche sich für den französischen Kriegsdienst hatten anwerben lassen und durch wilden Kampfmut und Raublust berüchtigt waren. Gegen diese Armee zog der Kronprinz. Eine Division unter dem General A. Donay hatte Mac Mahon als Vorhut bei Weißenburg an der Lauter, welche das untere Elsaß von der bayerischen Rheinpfalz scheidet, ausgestellt. Am 4. August wurde sie von einem Corps Preußen und Bayern an-
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gegriffen, Weißenburg erstürmt und die starke Stellung auf dem dahinter liegenden Geisberge überwältigt, Donay getötet und seine Division zertrümmert. Nicht besser ging es dem Marschall selbst, welcher bei Wörth den Angriff der Armee des Kronprinzen erwartete; die Schlacht begann um 8 Uhr morgens; um 11 Uhr war
Wörth mit demBajonette genommen. Fröschweiler, wo Mac Ma-hon verzweifelten Widerstand leistete, wurdevonden Bayern und Württember-gern erstürmt, der Feind geschlagen und inwildeFlucht geworfen. Die Franzosen hatten sich sehr tapfer geschlagen ; ihre Ge-wehre(Chasse-pots) trugen weiter als die deutschen
Zündnadelgewehre, und ihre Mitrailleusen sprühten einen Hagel von Kugeln; doch der ungestüme, todverachtende Ansturm der Deutscheu brach überall durch. Mac Mahon flüchtete mit den Trümmern seines Heeres über die Vogesen nach Nancy, wohin der Kronprinz bald nachrückte.
Fig. 37. Kaiser Wilhelm I.
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An dem gleichen Tage, am 6. August, erlitt die Armee des Generals Frossard auf den Höhen von Spicheren bei Saarbrücken und bei dem Dorfe Stiring dasselbe Schicksal. Der Kampf wütete vom Morgen bis zu anbrechender Nacht. Anfangs waren die Deutschen in der Minderzahl, und ihre Angriffe wurden blutig zurückgewiesen; erst nachdem die Generale Göben und Steinmetz Verstärkungen herbeigeführt hatten, gelang der Sturm auf die Höhen, welche die Franzosen durch stufenförmig hintereinander ausgeworfene Schützengräben in eine Festung verwandelt hatten. Diese Schlacht ist eine der glänzendsten Heldenthaten aller Zeiten.
Tiefe Bestürzung ergriff ganz Frankreich; das Ministerium, welches den Krieg angefangen hatte, mußte einem andern Platz machen, der Kaiser, der Unfähigkeit beschuldigt, den Oberbefehl dein Marschall Bazaine überlassen, der über 200000 Mann in und bei Metz, der gewaltigen Festung in Lothringen, konzentrierte. Dorthin wandten sich die deutschen Heere; es galt, der französischen Armee den Rückzug nach Paris abzuschneiden und sie einzuschließen. Bazaine merkte diese Absicht zu spät; erst am 14. August trat er den Abmarsch an, die vorausgeschickten Corps wurden aber von dem Ge-
neral Steinmetz angegriffen und nach hartnäckigem Kampfe zurückgeworfen (Schlacht bei Courcelles). Am Morgen des 16. war
Bazaine auf dem Wege nach Verdun; er marschierte langsam, und
nun stellten sich 70 000 Preußen der doppelt so starken feindlichen Armee entgegen und zwangen sie zum Stehen. Die Schlacht war mörderisch, und nur der Aufopferung, mit welcher sich die Reiterei auf den immer von neuem mit Übermacht vordringenden Feind stürzte, war es zu danken, daß Bazaine nicht durchbrach (Schlacht bei Mars-la-Tour oder Vionville). Er nahm hierauf vor Metz eine vorteilhafte Stellung, indem er hoffte, den Angriff der Deutschen so abzuschlagen, daß sie genötigt würden, ihn abziehen zu lassen.
Am 18. August standen 200 000 Deutsche ebensovielen Franzosen gegenüber; es entbrannte die blutigste Schlacht des ganzen Krieges (nach einem in der Nähe gelegenen Dorfe Schlacht von Gravelotte genannt); beide Teile kämpften mit ausdauerndem
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Mute. Der Sieg wurde endlich von den Sachsen nnd der preußischen Garde durch den Sturm auf St-Privat-la-Montagne, den Schlüssel der französischen Schlachtlinie, entschieden. In wilder Flucht wälzte sich das französische Heer, das den ganzen Tag heldenmütig widerstanden hatte, in die Festung. Prinz Friedrich Karl blieb mit seiner Armee vor Metz und bewachte die dort eingeschlossene feindliche.
Schlacht bei Zedan (1. Sept.). Kapitulation (2. Sept.). Napoleon III.
gefangen.
Marschall Mac Mahon hatte bei Chalons die Trümmer seiner Armee gesammelt, bedeutende Verstärkungen an sich gezogen und wieder eine ansehnliche Macht gebildet. Er wartete aber bei Chalons den Angriff des heranziehenden deutschen Heeres nicht ab, sondern schlug den Weg nach Paris ein, um unter deu Mauern der Hauptstadt die entscheidende Schlacht zu wagen. Plötzlich jedoch erhielt er den Befehl, an der Flanke der deutschen Armee vorbeizumarschieren und dem in Metz eingeschlossenen Bazaine Hilfe zu bringen. Kaum hatten die deutschen Heerführer von dieser uuerwarteteu Abschwenkung der feindlichen Armee Kenntnis erhalten, als sie alle Anstalten trafen, daß ihnen Mac Mahon nicht entgehen konnte. In Gewaltmärschen eilte der Kronprinz von Preußen von der Marne nordwärts durch die Argonnen der Maas zu, während der König deu Weg an die Mosel nach Metz zu verlegte. Am 30. August wurde ein Teil von Mac Mahons Armee bei Beaumont überrascht und gesprengt, uud am 31. waren die beiden deutschen Heere gegen die Festung Sedan aufmarschiert, in deren Umgebung der französische Marschall seine Streitkräfte gesammelt und in Schlachtordnung ausgestellt hatte. Am 1. September wurde die entscheidende Schlacht geliefert. Sie begann mit einem fürchterlichen Kampfe um das Dorf Bazeilles, wo die Bayern sechs Stunden lang Hans um Haus erobern mußten. Unterdessen trafen die Preußen uud Sachsen im Norden von Sedan zusammen, und nun bildete die deutsche Schlachtordnung einen Kreis um Sedan, welcher im er-
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bitterten Kampfe um Höhen, Wälder und Dörfer immer mehr zusammengezogen wurde. Um 4 Uhr war die Schlacht zn Ende, die französische Armee in den Thalkessel von Sedan zusammengedrängt, von dessen Rändern über 500 deutsche Geschütze die Armee und die Stadt mit Vernichtung bedrohten. Um 5 Uhr wurde die weiße Fahne gehißt, zum Zeichen, daß die Armee sich ergebe. Den Tag
Fig. 38. Napoleon III. als Gefangener.
daraus (2. Sept.) streckten über 80 000 Mann die Waffen und wurden als Kriegsgefangene nach Deutschland abgeführt; Napoleon wurde, nachdem er König Wilhelm den Degen übergeben (Fig. 38), das Schloß Wilhelmshöhe bei Kaffel angewiesen, wo er bis zum Friedensschlüsse blieb; nach demselben nahm er seinen Aufenthalt in England.
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Dritte französische Republik (4. Sept.). Fortsetzung des Krieges, praliminarfriede
;u Versailles (26. Febr. 1871). Friedensschluß zu Frankfurt am Main (10. Mai 1871).
Am 3. September wurde die Unglücksbotschaft von der Niederlage bei Sedan in Paris bekannt. Tags darauf zog ein Volkshaufen vor den Palast, in welchem die ratlosen Abgeordneten versammelt waren; das Geschrei: „Absetzung! es lebe die Republik!" übertäubte die Abmahnungen einzelner Abgeordneten. Die Nationalgarden und Soldaten, welche den Palast bewachen sollten, fraternisierten mit dem Volke, die Abgeordneten verschwanden, die Volksmasse strömte vor das Stadthaus, wo von dem Abgeordneten ©am-betta die Republik ausgerufen wurde. Zugleich wurde eine „Regierung der nationalen Verteidigung" eingesetzt, deren Mitglieder fast lauter Pariser Advokaten und Abgeordnete waren. Einer derselben, I. Favre, der Minister des Auswärtigen, unterhandelte ant 18. und 19. September mit dem Grafen v. Bismarck wegen eines Friedensvertrags und bot eine große Kriegskostenentschädigung an; als aber Bismarck von Gebietsabtretung sprach, antwortete der republikanische Minister, daß kein Stein der französischen Festungen und kein Fnßbreit des französischen Bodens abgetreten werde. Damals war Paris bereits von den deutschen Armeen eingeschlossen, aber alle Franzosen glaubten, Paris mit seinem Gürtel von Forts und Schanzen und seinem bastionierten Walle sei nicht einzunehmen, zumal es wenigstens 150 000 Verteidiger zählte. Die große deutsche Armee hatte in der That eine schwere Aufgabe; sie sollte die ungeheure Stadt gänzlich absperren, so daß sie weder Verstärknngs-mannschaft noch Zufuhren von Lebensrnitteln erhielt, und zugleich die Ausfälle der in der Stadt eingeschlossenen Armee zurückschlagen; beides war nur möglich durch den Mut und die Ausdauer der deutschen Soldaten. Einen noch schwerern Dienst hatte die Armee des Prinzen Friedrich Karl vor Metz, wo Marschall Bazaine mit mehr als 150 000 geübten Soldaten lagerte und in wiederholten gewaltigen Ausfällen durchzubrechen versuchte. Um Paris und Metz zu entsetzen, bot die republikanische Regierung vier Heere auf, die
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natürlich zum größern Teile aus zusammengeraffter Mannschaft bestanden.
Am 27. Oktober war aber Bazaine durch Mangel an Lebensrnitteln zur Übergabe genötigt; so fiel Metz, die stärkste Festung Frankreichs, mit ihren Waffenvorräten in die Gewalt der Deutschen, und wurde eine französische Armee von mehr als 150 000 Mann kriegsgefangen nach Deutschland abgeführt. Einen Monat vorher, am 27. September, hatte sich Straßburg nach sechswöchentlicher Belagerung an den General Werder ergeben müssen, der hierauf bis Dijon in Burgund vordrang. Im November, Dezember und Januar wurden noch manche Schlacht und manches Treffen geliefert, die republikanischen Heere überall geschlagen, bei Orleans, bei Amiens, bei Le Mans, bei St-Queutin rc. rc., viele Festungen erobert und so viele Gefangene gemacht, daß Deutschland deren über 300 000 beherbergen mußte. Unterdessen verteidigte sich Paris auf das tapferste. Die Generale Trochn und Ducrot versuchten durch Ausfälle die Belagerungsarmee zu durchbrechen, namentlich wurde am 29. und 30. November und 2. Dezember zwischen Seine und Marne bei Champigny, Villiers und Brie mörderisch gekämpft, allein jeder Ausfall scheiterte an dem uubezwinglichen Widerstande der Deutschen. Die schweren Belagerungsgeschütze begannen am 27. Dezember die Beschießung einiger Forts, und seit dem 8. Januar 1871 schlugen die Granaten und Bomben bereits in Paris selbst ein; allein die Pariser hielten dennoch standhaft aus, bis sie endlich der Hunger zur Übergabe nötigte. Seit dem 12. November hatten sie fast kein anderes Fleisch mehr als das von geschlachteten Pferden, seit dem 14. Dezember wurde kaum genießbares Brot nur noch in kleinen, täglichen Rationen ausgeteilt, und als auch dieses auf der Neige war, wurde am 28. Januar eine Kapitulation und ein Waffenstillstand auf drei Wochen abgeschlossen. Alle Forts, von deren Geschützen Paris beherrscht wird, wurden den deutschen Truppen eingeräumt, uud die Stadt bezahlte 200 Millionen Franken; durch fernere Unterhandlungen sollte ein Friedensvertrag zu stände gebracht werden.
Frg. 39. Einzug der deutschen Truppe» in Paris.
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In den Waffenstillstand nicht eingeschlossen waren die Festung Belfort, an der südlichen Grenze des Elsaß, welche von den Deutschen seit dem 3. November belagert wurde, und die über 100 000 Mann starke Armee des Generals Bourbaki, der zu ihrem Entsätze herangezogen war. Vergebens bestürmte dieser am 16., 17. und 18. Januar unweit Belfort die trefflich gewählten Stellungen des mehr als um die Hälfte schwachem Corps des Generals Werder, das zum größten Teil aus Badenern bestand, und als er sich zum Rückzug entschloß, saß ihm schon der herbeigeeilte preußische General Manteuffel im Nacken; nur etwa 20 000 Mann konnten sich nach der Festung Besan^on retten, 84 000 Mann wurden über das tief eingeschneite Juragebirge in die Schweiz gejagt, wo sie in einem höchst traurigen Zustande die Waffen niederlegten und gastliche Aufnahme fanden. Darauf ergab sich auch (16. Februar) die tapfer verteidigte Festung Belfort.
Dieser furchtbare Schlag vernichtete die letzte Hoffnung der Franzosen. Sie hatten eine Nationalversammlung gewählt, die in Bordeaux tagte und eine provisorische Regierung einsetzte, mit dem alten Staatsmann Thiers an der Spitze. Dieser unterhandelte in Versailles, wo König Wilhelm während der Belagerung von Paris sein Hauptquartier hatte. Die Friedenspräliminarien wurden am 26. Februar unterzeichnet und am 1. März in der Nationalversammlung in Bordeaux bestätigt. Der definitive Friedensschluß erfolgte zu Frankfurt am Main, 10. Mai 1871. Frankreich hatte zufolge desselben an Deutschland in bestimmten Terminen fünf Milliarden Franken Kriegskostenentschädigung zu bezahlen und mußte die früher dem Deutschen Reiche durch Überrumpelung entrissenen Länder Elsaß und Deutsch-Lothringen zurückgeben.
Die pariser Kommunarden-Wevolulion
(26. Febr. bis 22. Mai 1871).
Bei den Unterhandlungen über die Präliminarfriedensbedingungen bestand Bismarck nicht auf der Entwaffnung der Stadt Paris, weil ihm I. Favre, der französische Bevollmächtigte, vorstellte, die Pariser Volksmasse könne dadurch bis zur Raserei erbittert werden und das
Bumüller u. Schuster, Weltgeschichte. 12. Aufl. g
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Schlimmste beginnen. Im deutschen Hauptquartier verzichtete man deshalb aus Schonung auf die Besetzung der Stadt und auf die Entwaffnung der Bürgerschaft, was die „Regierung der nationalen Verteidigung" bald bitter zu bereuen hatte. Denn kaum waren die deutschen Soldaten abgezogen, so that sich in Paris ein „Centralkomitee der Nationalgarde" auf, das über 400 Feuerschlünde auf die Höhe Montmartre schleppte und als Regierung der Stadt Paris zu schalten anfing. Am 18. März fraternisierten die Soldaten, welche diese Feuerschlünde wegführen sollten, mit den herbeigeeilten Arbeitern; am Abend wurden die zwei gefangenen Generale Lecomte und Thomas in einem Garten erschossen, und das Zentralkomitee hielt seinen Einzug in das Stadthaus, von welchem den folgenden Tag die rote Fahne wehte. Damit war die Revolution der Kommune (Gemeinde) Paris gegen die französische Regierung, die von Bordeaux nach Versailles übergesiedelt war, erklärt. Durch Proklamation vom 19. April 1871 wurde bekannt gemacht, daß Frankreich eine aus Städterepubliken bestehende Bundesrepublik sein uud die gemeinsame Regierung aus den Delegationen der freien Gemeinden bestehen werde. Die „Kommune" (die Pariser Regierung) befahl die Einreihung aller männlichen Einwohner vom 19. bis 40. Jahre in die.Nationalgarde, ließ die Thore schließen und die Häuser uach Waffenfähigen durchsuchen, welche sich nicht in die Nationalgarde stellten. Unterdessen hatte die Regierung in Versailles, welche von Thiers geleitet wurde, alle verfügbaren Truppen zusammengezogen und dem Marschall Mac Mahon den Oberbefehl übertragen. Derselbe eroberte in mörderischen Kämpfen bis zum 17. Mai die Ortschaften und Forts um Paris auf dem linken Ufer der Seine, während die Herren der Kommune die öffentlichen Kassen leerten, von der Bank, den Eisenbahngesellschaften und reichen Privaten Millionen erpreßten, Kirchen plünderten und schändeten, in die Klöster einbrachen, Priester (auch deu Erzbischof Darboy) verhafteten und mißhandelten, Häuser von sogen. Verrätern plünderten und zerstörten nnd um so wüster und toller hausten, je weiter die Regierungstruppen vordrangen. Am 16. Mai wurde Napoleons I. Sieges-
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denkmal, die eherne Vendomesäule, umgestürzt und das Andenken des Kaisers verflucht; zwei Tage nachher mußte aber der Oberbefehlshaber, der Pole Dombrowski, sich auf die Verteidigung der innern Stadt beschränken. In der Nacht vom 21. auf den 22. Mai verließen die Kommunarden ihre Posten bei dem Thore von St-Cloud, was ein städtischer Beamter den Belagerern meldete. Sofort drang das Corps des Generals Douay durch das Thor ein, und als später auch die Corps der Generale Cissey, Vinoy, Ladmirault, Clinchant anstürmten und die Kommunarden mit dem Bajonette vor sich hertrieben, begann ein furchtbarer Verzweiflungskampf der Aufständischen hinter den Barrikaden. Die Häuptlinge durften nicht auf Gnade hoffen, konnten auch nicht entfliehen, daher veranstalteten sie eine grauenhafte Leichenfeier. Eigens dazu bestellte Banden von Männern und Weibern steckten mit Petroleum die Häuser der Straßen in Brand, in welchen die Soldaten den Kommunarden nachdrangen. Am 23. Mai abends brannten die Tnilerien, der Louvre und das Palais Royal, die Gebäude des Staatsrats und der Ehrenlegion, verschiedene Magazine, Bahnhöfe, Kirchen und Klöster, während die Soldaten beim Scheine der Flammen Petroleurs und Petroleusen, Barrikadenkämpfer und Gefangene niederschössen und niederstachen und im Gefängnisse La Roquette der Erzbischof Darboy mit mehreren Geistlichen auf Befehl des Exekutivkomitees erschossen wurde. Endlich wurde am 28. Mai um die Mittagszeit das Quartier Belleville erstürmt, und damit hatte der Kampf, nachdem er vier Tage und Nächte gewütet, ein Ende. Hierauf begann die Thätigkeit der Kriegsgerichte; von den 38 000 Gefangenen und Verhafteten wurden 18 900 bald freigelassen, 11000 abgeurteilt, die des Mordes und der Mordbrennerei Überwiesenen erschossen, etwa 2000 nach Nenkaledonien deportiert und eine größere Anzahl zu Gefängnisstrafen verurteilt.
Die dritte französische Wepubkik.
Die französische Nationalversammlung, welche in Bordeaux den Versailler Präliminarfrieden ratifizierte, war eigentlich nur gewählt worden, um einen Friedensschluß möglich zu machen; später aber
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eignete sie sich auch das Recht zu, dem Lande eine Verfassung zu geben. Das hatte jedoch seine großen Schwierigkeiten, da die Versammlung aus zwei unversöhnlichen Parteien bestand, nämlich einer monarchischen und einer republikanischen. Die erstere war der Zahl nach viel stärker als die zweite, aber selbst wieder in drei Parteien gespalten: in die der Legitimisten, Orlea nisten und Bonapartisten. Die Legitimisten waren die treuen Anhänger des durch die Julirevolution 1830 vertriebenen rechtmäßigen Königsgeschlechts, als dessen einziger Sprößling der kinderlose Prinz Heinrich, der Enkel Karls X., geb. 13. Februar 1820, unter dem Titel Graf Chambord (gest. 24. August 1883) damals in Österreich lebte. Die Orleanisten sind Anhänger der Prinzen aus dem Geschlechte der Orleans, der jüngern Linie des königlichen Hauses, die beim Erlöschen der ältern das Recht auf den Königsthron zu beanspruchen hatte; aber schon nach der Julirevolution von 1830 hatte sich das Haupt dieser Familie, Herzog Louis Philipp, auf den Thron erheben lassen, den er auch bis zur Februarrevolution von 1848 innehatte. Deshalb machte diese Linie schon bei Lebzeiten des Grafen Chambord Ansprüche auf den erledigten Thron, die aber von Chambord und seinen Anhängern nicht anerkannt wurden. Die Bonapartisten endlich stellten den Sohn des gestürzten Kaisers Napoleon als Kandidaten auf. Diese drei monarchischen Parteien waren, wie sich schon aus dem Vorstehenden ergiebt, nur einig in ihrem Widerstreben gegen die republikanische Verfassung; aber die Bonapartisten wollten weder den Grafen Chambord noch einen Orleans zum König, und die Legitimisten noch weniger den Sohn Napoleons III. als Napoleon IV. zum Kaiser erheben helfen. Wegen dieser Spaltung der Anhänger der Monarchie oder der Gegner der Republik erklärte der alte Thiers die Wiederherstellung der Monarchie in Frankreich für unmöglich und die Erhaltung der Republik für notwendig. Aber die neue Republik müsse eine konservative sein, d. h. eine Republik der Versöhnung, des innern Friedens und der Ordnung.
Thiers war der Mann, in dessen Vaterlandsliebe und Staatsklugheit das französische Volk das größte Vertrauen setzte. Deswegen
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hatte ihn die Nationalversammlung zu Bordeaux an die Spitze der Regierung gestellt, und am 30. August 1871 ernannte sie ihn für drei Jahre zum Präsidenten der Republik Frankreich. Er hatte die Kommunardenrevolution bezwungen, und im Juni gelang es ihm, ein Anlehen von zwei Milliarden abzuschließen, mit denen ein Teil der Fünsmilliarden-Kontribution an Deutschland abbezahlt wurde, worauf ein beträchtliches Territorium von den deutschen Truppen geräumt wurde. Im Juli 1872 brachte er ein neues Anlehen von drei Milliarden zu stände und später einen Vertrag, demzufolge nach der letzten Zahlung die letzten deutschen Soldaten am 16. September 1873 den französischen Boden verließen. Jetzt fanden die monarchischen Parteien der Nationalversammlung den „unheilvollen Greis", wie sie Thiers wegen seiner republikanischen Entwürfe nannten, entbehrlich, und als er sich am 24. Mai 1873 noch einmal für die Notwendigkeit der Republik aussprach, wurde er gestürzt und statt seiner der Marschall Mac Mahon zum Präsidenten der Republik gewählt.
Dieser bestellte ein Ministerium aus Anhängern der Monarchie, und alle Welt erwartete die baldige Thronbesteigung des Grafen Chambord. Während der Verhandlungen aber entzweiten sich die Orleanisten und Bonapartisten in der Nationalversammlung; die Orleanisten traten zu den gemäßigten Republikanern über, und da auch ein Teil der demokratischen Republikaner unter dem Abgeordneten Gambetta sich den gemäßigten anschloß, erhielten die Republikaner das Übergewicht, und am 30. Januar 1875 wurde die Republik von der Mehrheit der Nationalversammlung als die gesetzmäßige Verfassung Frankreichs anerkannt. Zugleich wurde Mac Mahon auf sieben Jahre (bis 1880) zum Präsidenten der Republik erwählt und ein aus 300 Mitgliedern bestehender Senat als erste Kammer errichtet. Am 25. Februar wurden sämtliche neuen Verfassungsgesetze mit großer Mehrheit angenommen, und so trat die dritte französische Republik, mit einer Verfassung ausgestattet, ruhig und unangefochten in die Reihe der europäischen Staaten ein.
Die Nationalversammlung löste sich auf, und aus den Abgeordnetenwahlen am 20. Februar 1876 ging eine so starke republikanische
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Mehrheit Herbor, baß an ber republikanischen Gesinnung ber Mehrheit bes französischen Volkes nicht mehr zu zweifeln war. Ruhige Zeiten aber hat bas junge Staatswesen boch noch nicht gehabt. Je mehr bie Aussicht auf eine Wieberherstellung ber Monarchie schwanb, um so schärfer bisbete sich ber Parteigeist unter ben Republikanern selbst ans; heftige parlamentarische Kämpfe, häufige Ministerkrisen, welche eine ruhige, gleichmäßige Entwicklung hemmen, sinb bie Folgen. Die unter Führung Gambettas (gest. 1. Januar 1883) stehenben fortschrittlichen Republikaner erzwangen im Januar 1879 auch ben Rücktritt bes Präsibenten Mac Mcihon, an besten Stelle ber ehemalige Abvokat Jules Grsvy trat. Auch bieser würbe im November 1887 burch ben Parteikampf zur Amtsnieberiegung genötigt. Die Nationalversammlung wählte am 3. Dezember 1887 Sabi Carnot zum Präsibenten, ber im Juni 1894 meuchlings ermorbet würbe. Sein Nachfolger Casimir Perrier bankte schon nach kurzer Zeit wieber ab unb an seine Stelle würbe Fan re gewählt.
Das neue deutsche Kaisertum.
Währenb bie norbbeutfchen unb sübbeutschen Krieger in Frankreich kämpften unb siegten, reifte in ber Heimat ber Gebanke, Norb-itnb Sübbeutschlanb zu einem Reiche zu bereinigen. Die hierauf bezüglichen Verträge würben im November 1870 abgeschlossen, unb auf bie Anregung bes Königs Lubwig II. von Bayern ersuchten bie beutfchen Fürsten unb bie brei freien Stabte ben König Wilhelm von Preußen, ben Titel „Deutscher Kaiser" anzunehmen. Derselbe entsprach bent Wunsche unb verkünbete am 18. Januar 1871 von Versailles aus bem beutfchen Volke bie Annahme ber Kaiser-würbe. Der erste Kaiser bes neuen Deutschen Reiches war bemnach König Wilhelm von Preußen, geb. 22. März 1797, unter besten Führung bie Deutschen ber Welt gezeigt hatten, baß in ihnen bie kriegerische Kraft ihrer Ahnen nicht erloschen ist. Das Deutsche Reich von 1871 ist 9817 Quabratmeilen groß, zählt (nach ber Volkszählung vom 1. Dezember 1890) 49 428 470 Einwohner unb wirb unter ben europäischen Staaten nur von Rußlanb an Einwohnerzahl über-
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troffen. Das Reich besitzt die stärkste Militärmacht der Welt, denn fein Landheer beträgt nach dem Wehrgefetze vom Jahre 1893 auf dem Friedensfuße 479 229, auf dem Kriegsfuße über 2V2 Millionen Mann, die in kürzester Frist schlagfertig dastehen können. Außerdem verfügt das Reich über eine stattliche Kriegsflotte, die u. a. 20 Panzerschiffe , 13 Panzerkanonen-boote, 17 Kreuzer, 5 Kanonenboote rc. zählt. Das deutsche Volk ist aber nicht eroberungssüchtig, es liebt den Frieden und gönnt ihn den andern Völkern ; es wetteifert mit ihnen am liebsten in den Arbeiten des Friedens, in den Künsten, Wissenschaften und in den Gewerben.
Kaiser Wil-
Fig. 40. Kaiser Friedrich III. Helm, der 336-
gründer des
neuen Deutschen Reiches, starb hochbetagt, im fast vollendeten 91. Lebensjahre, am 9. März 1888; ihm folgte fein einziger Sohn Friedrich III. (Fig. 40), der aber schon nach einer Herrschaft von nur 99 Tagen am 15. Juni 1888 nach schweren, mit heroischer Geduld ertragenen Leiden einer heimtückischen Krankheit
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erlag. Die Kaiserwürde ging alsdann über auf seinen ältesten Sohn Wilhelm II. (Fig. 41), geb. am 27. Januar 1859, vermählt am 27. Februar 1881 mit der Prinzessin Augusta Viktoria, der Tochter des Herzogs Friedrich von Schleswig-Holstein-Augusten-burg. Dem noch jugendlichen Herrscher war sofort klar, daß der europäische Friede in erster Linie das Ideal sei, nach dem er zu streben habe, und er hat kein Opfer gescheut, dasselbe auch zu
verwirklichen, namentlich durch persönliche Besuche an den meisten Höfen Europas, und hierbei ist besonders hervorzuheben, daß er auchdemHeiligenVater Leo XIII., für den er eine ungeheuchelte Verehrung an den Tag legt, seine Aufwartung gemacht hat. Sehr am Herzen liegt ihm auch die Verbesserung der Lage der arbeitenden Klassen, wie er denn überhaupt für die sogenannte sociale Frage einen sehr offenen Blick hat. Freilich scheint es hauptsächlich diese Frage gewesen zu sein, in der ihm der eiserne Kanzler Bismarck entgegentrat; es mögen ja noch andere Dinge hinzugekommen sein; aber was niemand geglaubt hätte, trat wirklich ein: am 20. März 1890 schied Bismarck aus seinem Amte aus und wurde durch den General von Caprivi ersetzt. Dieser Ehrenmann, der in der Schulfrage seine Überzeugung kurz und bündig dahin ausgesprochen hatte, daß es sich um nichts Geringeres handle
Fig. 41. Kaiser Wilhelm II.
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als um Christentum oder Atheismus, mußte leider uur zu bald feinen Posten verlassen (25. Oktober 1894), und sein Nachfolger wurde der bisherige Statthalter von Elsaß-Lothringen, Fürst Chlodwig von Hohenlohe. Diese raschen Wechsel in dem höchsten Amte des Reiches zeigen, wie schwierig unsere Verhältnisse geworden sind: möge Gott den Kaiser und das ihm anvertraute Reich schützen und bewahren, zum Segen für Deutschland und ganz Europa!
Die wichtigsten Erfindungen der neuesten Zeit.
In keinem Zeitalter hat sich eine so große Anzahl hochbegabter Männer der Forschung in den Wissenschaften und in der Natur gewidmet wie in dem unsrigen, und niemals sind auch so viele Entdeckungen und Erfindungen gemacht worden. Alle Nationen wetteifern; doch haben die Deutschen, die Franzosen, die Engländer und neuestens die Nordamerikaner am meisten geleistet. Ackerbau und Gewerbe werden jetzt viel vollkommener als früher betrieben, und viele Dinge, welche früher als wertlos weggeworfen wurden, werden nunmehr nützlich verwendet. Von unberechenbarer Wichtig-feit sind die Dampfmaschinen. Dem Marburger Physiker Papin gebührt der Ruhm, die ersten gründlichen Versuche zur Anwendung der Dampfkraft gemacht zu haben (um 1707), den großen Aufschwung des Dampfmaschinenbaues verdankt man aber den Engländern Boulton (geb. 1728, gest. 1809) und Watt (geb. 1736, gest. 1819), und seitdem ist säst kein ^ahr vergangen, ohne daß die Dampsmaschinen verbessert wurden. Jetzt verrichten sie Arbeiten, zu welchen die Kräfte von vielen hundert Millionen Menschen oder Zugtieren erforderlich wären. Das erste zu dauernder Anwendung gekommene Dampfschiff baute 1807 Robert Fulton in New York, der damit regelmäßige Fahrten auf dem Hudson machte; erfolgreiche Versuche mit einem Dampfschiffe hatte aber schon 1783 der Franzose Marquis Claude de Jouffroy auf der Saone gemacht. Jetzt befahren Tausende größere und kleinere Dampfschiffe die Meere und Flüsse, und in 9—14 Tagen gelangt man von Deutschland nach Amerika, wozu früher 2 3 Monate erforderlich waren. (Zum erstenmal wurde der Atlantische
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Ocean im Jahre 1819 durch den kleinen amerikanischen Dampfer „Savannah" durchschnitten. Er gebrauchte zur Fahrt von New Iork nach Liverpool 22 Tage. Heute wird diese Strecke von Liverpooler Schnellfahrern bei günstigem Wetter in sechs Tagen zurückgelegt.) Der Dampfwagen (Lokomotive) zieht auf der eisenbeschieuteu Straße (Eisenbahn) Lasten von mehreren Tausend Centnern mit reißender Schnelligkeit durch weite Länder an ihre Bestimmungsorte und macht es möglich, daß in Kriegszeiten große Heere in einem Tage eine Strecke zurücklegen, die sie früher einen Marsch von 3—4 Wochen gekostet hatte. Kurze Schienenstraßen wurden schon in älterer Zeit namentlich zur Abfuhr in Bergwerken benutzt, die erste mit dem Dampfwagen befahrene war die von Stockton nach Darlington in England (1825). Als eigentlicher Anfangspunkt für die Entwicklung unseres jetzigen Eisenbahnwesens aber ist das Jahr 1829 anzusehen, da es in diesem Jahre dem Engländer Stephen son nach vielfachen Versuchen gelang, eine Lokomotive zu bauen, welche circa 31/2 deutsche Meilen pro Stunde durchlief. Die erste Lokomotiv-Eisenbahn in Deutschland wurde 1835 zwischen Fürth und Nürnberg eröffnet; jetzt sind die civilisierten Länder mit einem Netze von Eisenbahnen bedeckt, das noch immer vervollkommnet wird; in Nordamerika verbinden über 600 Meilen lange Eisenbahnen die Städte am Atlantischen Ocean, z. B. New Aork, mit San Francisco in Kalifornien am Stillen oder Großen Ocean. Durch Dampfschiffe und Eisenbahnen wird der Verkehr der fernsten Länder miteinander außerordentlich erleichtert und beschleunigt; wir haben es ja vor wenigen Jahren erlebt, wie wir vor einer Hungersnot dadurch gerettet wurden, weil die Eisenbahnen uns aus Ungarn Millionen Centner Mehlfrüchte zuführten. Eine andere großartige Erfindung ist der elektrische Telegraph. Der elektrische Funke, dessen Natur genauer erforscht wurde (von Galvani, Volta, Örsted, Fara-day), dient uns jetzt vermittelst Kupferdrähten als blitzschneller Bote. Versuche wurden schon vor 100 Jahren gemacht; den ersten brauchbaren Telegraphen stellte jedoch 1833 der große deutsche Astronom Gauß her, wesentliche Verbesserungen brachten der Engländer Wheat-
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stone und der Nordamerikaner Morse an. Seit 1843 wurden fast zahllose Telegraphenlinien angelegt, selbst auf dem Grunde der Meere, und Städte wie London, Paris rc. korrespondieren täglich mit Alexandrien, Algier, Bombay, selbst mit New Jork und andern amerikanischen Plätzen, denn seit 1866 sind vier von einer wasserdichten Umhüllung geschützte Drähte ans dem Grunde des Atlantischen Oceans nach Amerika gelegt worden. Neben dem Telegraphen gewinnt das Telephon (der Fernsprecher) eine immer größere Bedeutung im öffentlichen wie im privaten Leben. Deutlich und vernehmbar überträgt der elektrische Draht die menschliche Stimme nicht nur auf kurze Entfernungen, sondern meilenweit. Sind doch bereits die Städte des niederrheinischen Jndustriebezirks (Köln, Düsseldorf, Gladbach rc.), ferner Brüssel und Paris telephonisch miteinander verbunden. Eine weitere Vervollkommnung dieser wichtigen Erfindung, welche wir dem Elementarlehrer Reis in Frankfurt a. M. verdanken (erste Versuche 1860), stellt der Phonograph dar. Er bewahrt das gesprochene Wort gewissermaßen eine Zeitlang auf und giebt es dann noch weiter. Die neuesten, von Edison mit demselben unternommenen Versuche berechtigen zu weitgehenden Hoffnungen.
Möchte die Menschheit auch in Religiosität und guten Sitten so große Fortschritte machen wie in den Wissenschaften, Künsten und Gewerben!
Anliang.
Zeittafel der wichtigsten Daten.
Vor Christus:
ca. 3000—1500 altbabylonisches Reich, ca. 3000—525 das ägyptische Reich, ca. 1500—606 das assyrische Reich, ca. 820 Lykurg in Sparta, ca. 753 Gründung Roms.
ca. 606 Eroberung von Ninive. — Das neubabylonische Reich. 594 Solon in Athen.
560 Cyrus, Gründer des persischen Reiches.
546 Krösus von Lydien besiegt.
538 Babylon von Cyrus erobert.
510 Rom eine Republik.
480 Schlacht bei Salamis.
399 Tod des Sokrates.
336—323 Alexander der Große.
282—272 Krieg mit Tarent und Pyrrhus.
264—241 erster punischer Krieg.
218—201 zweiter punischer Krieg.
216 Schlacht bei Cannä.
146 Zerstörung von Karthago.
Nach Christus
9 Schlacht im Teutoburger Wald.
64 Brand in Rom. Nero. Erste Christenverfolgung.
70 Zerstörung Jerusalems.
313 Sieg Konstantins des Großen. Das Christentum anerkannt. 451 Attila auf den Katalannischen Feldern besiegt.
571 Mohammed.
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622 Hedschra.
800 Karl der Große, erster Kaiser des weströmischen Reiches. 919—936 Heinrich I.
936—973 Otto I.
1099 Eroberung Jerusalems durch die Kreuzfahrer.
1152—1190 Friedrich Barbarossa.
1268 Konradin hingerichtet.
1273 Rudolf von Habsburg.
1440 Erfindung der Buchdruckerkunst.
1492 Entdeckung von Amerika.
1517 Luther. Anfang der Reformation.
1524—1525 Bauernkrieg.
1618—1648 Dreißigjähriger Krieg.
1630 Gustav Adolf von Schweden in Deutschland.
1683 Die Türken vor Wien.
1774 König Ludwig XVI. von Frankreich.
1789 Ausbruch der ersten französischen Revolution.
1793 Ludwig XVI. hingerichtet.
1804 Napoleon, Kaiser der Franzosen.
1812 Napoleons Zug nach Rußland.
1813 Völkerschlacht bei Leipzig.
1848 Französische Februarrevolution.
1852 Napoleon III., Kaiser der Franzosen.
1859 Napoleons III. Krieg gegen Österreich.
1866 Der deutsche Bruderkrieg.
1870—1871 Krieg zwischen Frankreich und Deutschland.
1871 Deutsches Reich.
1888 Kaiser Friedrich III. Kaiser Wilhelm II.
Jirhaktsanzeige.
(Seite
Die ältesten heidnischen Völker.
Babylonier und Assyrier...............................................................
Die Ägypter....................................................................... 7
Die Phönizier.......................................................................
Die alten Perser.
Jugendgeschichte des Cyrus..................................................20
Cyrus, Krösus und Solon.....................................................25
Die alten Griechen und Römer.
Religion und Sitten der Griechen............................................29
Gesetze und Einrichtungen der Spartaner und Athener ... 31
Kodrus. Miltiades. Leonidas. Themistokles...................................34
Athens Höhe und Sturz. Sokrates.............................................38
Alexander............................................................. 44
Das römische Reich.
Rom unter den Königen................................................. 50
Rom als Freistaat .................................................................
Die puuischen Kriege................................................................
Verderbnis Roms.....................................................................
Die wichtigsten Ereignisse ans der Zeit nach Christi Geburt.
Gründung und Ausbreitung der christlichen Kirche .... 59
Die alten Deutschen.................................................................
Die Hermannsschlacht................................................................
Zerstörung Jerusalems.......................................................68
Die Christenverfolgungen....................................................73
Konstantin der Große................................................................
Die Völkerwanderung. Der Hunnenkönig Attila und Papst Leo der
Große..........................................................................
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Mohammed und seine Religion...............................................
Bonifacius und die übrigen Apostel Deutschlands ....
Das römisch-deutsche Kaisertum.
Karl der Große und seine Krönung in Rom...................................
Heinrich I. und Otto I. Die Schlachten bei Merseburg und Augsburg
Blütezeit des Mittelalters.
Peter von Amiens und Urban II. zu Clermont .
Eroberung von Jerusalem unter Gottfried von Bouillon Friedrich I. der Hohenstanse ............................................
Ausgang des Mittelalters.
Konradins Tod.............................................................
Rudolf von Habsburg.......................................................
Die wichtigsten Erfindungen des Mittelalters..............................
Die neue Zeit.
Entdeckung Amerikas durch Kolumbus .
Kircheutrennung durch Martin Luther .
Der Dreißigjährige Krieg ....
Die Türken vor Wien................................
Absetzung und Hinrichtung Ludwigs XVI.
Die Schreckensherrschaft...........................
Napoleon I. Sein Zug nach Rußland 1812 .
Die Völkerschlacht bei Leipzig Die französische Februarrevolution.
Napoleon III., Kaiser der Franzosen Napoleons III. Krieg gegen Österreich .
Der deutsche Krieg.......................................
Der große Krieg zwischen Frankreich und Deutschland Schlacht bei Sedan. Napoleon III. gefangen Dritte französische Republik. Fortsetzung des Krieges Präliminarfriede zu Versailles. Friedensschluß zu Frank furt am Main ....
Die Pariser Kommunarden-Revolntion .
Die dritte französische Republik Das neue deutsche Kaisertum ....
Die wichtigsten Erfindungen der neuesten Zeit Anhang.............................................
Bibliothek Cassianeum Donauwörth
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