Rufsland beim Tode Iwans II. 1584. Rufsland beim Tode Peters d. Gr. 1725. Rufsland beim Tode Katharinas II. 1796. Nr. 4. Rufslands Entwicklung. A. 862 Das russische Reich, 862 in Nowgorod von den nor¬ mannischen Warägern begründet, hatte sich den Dniepr 1000 abwärts ausgedehnt und deshalb von Constantinopel die Kultur (Schriftsprache), namentlich aber auch unter Wladimir d. Gr. den griech.-katholischen Glauben erhalten. Infolge dieser Entwicklung war auch der Schwerpunkt des Reiches südwärts zunächst nach Smolensk und später noch weiter nach Kiew verlegt. Dieses altrussische Reich war dann aber durch endlose Teilungen (1 Grofsfürstentum, 50 Teilfürsten¬ tümer) immer mehr geschwächt und endlich 1224 an der Kalka durch die Mongolen überwunden und zum Tribut genötigt worden. 1386 Als dann Polen durch die Verbindung mit dem Grofs¬ fürstentum Litauen übermächtig wurde, 1410 den Deutschen Orden bezwang und auch Kl.-Rufsland (Smolensk, Kiew) an sich rifs, ging die Führung der russischen Länder auf das diesem Feinde ferner liegende Teilfürstentum Moskau über. Jetzt wurde dieses Grofsfürstentum und konnte, als Timur die Goldene Horde von Kaptschak schlug, den Tribut, den die Russen sonst so demütig dem Chan dieser Goldenen Horde hatten darbringen müssen, sogar sich selber zuwenden. Von Bedeutung aber wurde Rufsland durch Iwan I. (3) und ganz besonders durch Iwan II. (4), den Schrecklichen. Sie begründeten die Politik, die Peter der Grofse und Katharina II. später so glänzend weiterführten und die im wesentlichen drei Ziele ver¬ folgte: Steigerung der absoluten Macht des Herrschers, Förderung des Eindringens westeuropäischer Kultur und Ausdehnung des Gebietes, dem Laufe der grofsen Ströme folgend, bis an das Meer. Aber auf diesem Wege gelangte Rufsland schliefslich doch nur an Binnen¬ meere, die entweder wie die Ostsee fast ganz von den Schweden und Polen, oder wie das Schwarze Meei ganz von den Türken beherrscht wurden. So mufste Rufsland schon im Interesse seiner freien Bewegung ein Gegner dieser Völker werden. Die Bekämpfung und Unterwerfung wurde ihm aufserdem durch den Umstand nahe gelegt, dafs sie bereits den Höhe¬ punkt ihrer Entwicklung überschritten hatten. Es ist ein besonderes Glück für Rufsland, dafs es seitdem ununterbrochen in der Lage ist, wie damals im Westen und Süden, so später im Südosten und neuerdings- auch im Osten zurückgehende Völker in sein endlos wachsendes Gebiet aufzunehmen. B. Schon Iwan I. (3) 1462/1505 förderte das Reich gewaltig durch die völlige Befreiung von den Mongolen und durch die Unterwerfung benachbarter russischer Länder (Nowgorod), sowie durch den Ausbau Moskaus. (Kreml.) Noch mehr leistete in seiner langen Regierungs- 1534/84 zeit Iwan II. (4) oder Schreckliche. Er nahm, da das Reich der byzantinischen Kaiser 1453 eingegangen war, jetzt den Titel derselben Czar (Kaiser) und als Reichswappen auch den zweiköpfigen Adler an. Die Heeresmacht förderte er durch Einrichtung einer stehenden Miliz (Strelitzen); mit ihr unterwarf er von den drei noch bestehenden Chanaten der Tataren zwei, Kasän und Astrachan, während das dritte, das Chanat der Krim, sich unter türkischer Oberhoheit noch einige Zeit halten konnte. Auch gelang ihm die Erwerbung des von dem flüchtigen Kosaken Jermak eroberten Sibiriens; in diesem Lande entstand 1587 Tobolsk. — Seine Furchtbarkeit empfand nicht blofs das aufständische Nowgorod, in welcher Stadt er 60000 Menschen erbarmungslos morden liefs, sondern auch der eigene Sohn, den er gewaltsam beseitigte. Die Beziehungen zu Westeuropa hätte er statt von Archangel auch von Ingerman¬ land und Karelien aus pflegen können; diese wichtigen Provinzen wurden indes damals weniger beachtet und gingen unter seinem Nachfolger an Schweden verloren. Den Verlust rückgängig zu machen, war nahezu die Pflicht der nachfolgenden Herrscher. 1598 Beim Aussterben des Hauses Rurik folgten arge Wirren. Drei falsche Demetrius. Die Polen herrschten vorübergehend sogar in Moskau! 1613 Das Haus Romanow. Dem friedliebenden Michael folgt der streit¬ bare Alexei, der den allgemeinen Krieg gegen Polen (1655/60) geschickt benutzte, Smolensk, Kiew und Tschernigow zu gewinnen. Auch zwang er das Reitervolk der Kosaken in der Ukraine zur Unterwerfung. Nicht so umfangreich waren die Erwerbungen seines Sohnes Peter, und doch war dessen Regierung die folgen¬ reichste, denn 1689/1725 Peter der Grofse machte Rufsland zu einer europäischen Grofsmacht. Behülflich waren ihm dabei namentlich zwei Männer, Lefort und Gordon. Der gewandte und liebenswürdige Gesell¬ schaftsmann Lefort aus Genf flöfste ihm für die europäischen Verhältnisse ein warmes Interesse ein. Aber noch viel mehr geschah dies durch den ernsten und erfahrenen Jakobiten Gordon aus Schottland, der Peters ungewöhnliche Willenskraft, Wahrheits¬ liebe und Wifsbegier geschickt zum Besten zu leiten verstand und dabei in den praktischen Fragen des Kriegswesens und des Erwerbslebens die richtigen Wege wies. Unter Gordons Führung wurden zwei aus jungen Adeligen bestehende Kompanien in Preobraschenskoi kriegerisch ausgebildet. Dabei lenkte Gordon, wie er bei dieser Ausbildung seiner Liebe zur Heimat Ausdruck gab, auch Peters persönliche Sehnsucht nach dem Westen. Natürlich zog diese Geistesrichtung dem jungen Herrscher die Abneigung der Strelitzen und überhaupt der Altrussen zu, deren Führerin seine ehrgeizige Schwester Sophie wurde. Zum Ausdruck kam die Erbitterung während der zwei Reisen 1697/98 (Holland, England) und 1716/17 (Holland, Frankreich). Dadurch aber erhielt- Peter auch die Gelegenheit zu zeigen, wie furchtbar und mafslos er im Zorne war. Das erste Mal wendete sich dieser besonders gegen Sophie, die 1704 im Gefängnis endete, das zweite Mal gegen den eigenen Sohn Alex6i, der ebenfalls im Kerker „starb“. Nach aufsen gewann er diejenigen Länder, durch die allein die weltliche Kultur unmittelbar eingeführt werden konnte; er er¬ warb infolge des Nordischen Krieges (1700/21) von den Schweden Karelien, Ingermanland, Esthland und Livland und früher schon, wenn auch nur vorübergehend, von den Türken Asow (1696/1711). Nach innen richtete er an Stelle der patriarchalischen Behörden Gouvernements und Provinzen ein. Er förderte den Ackerbau teils mittelbar durch Heranziehen tüchtiger Kolonisten aus Holland, teils unmittelbar durch Verbreitung geeigneter Kultur¬ pflanzen und Külturtiere (Hanf, Flachs, Schafe). Auch be¬ gründete er bereits Wollspinnereien und Webereien, ebenso Bergwerke im Ural. Seine Umgestaltungen dehnte er sogar auch auf scheinbare Kleinigkeiten, wie auf die Be¬ seitigung des schlafrockartigen Kaftans und der langen Bärte atis, Trachten, die nicht ohne Grund als Ausdruck der Arbeitsscheu und des Schmutzes angesehen wurden. Seine persönliche unumschränkte Gewalt steigerte er noch dadurch, dafs er sich als dem „Kaiser aller Reufsen“ in weltlichen und geistlichen Fragen die höchste entscheidende Gewalt zuerkennen liefs; des Kaisers Anordnungen (Ukase) sind ohne weiteres Gesetze und gestatten ihm sogar, den jedesmaligen Nachfolger zu bestimmen. Das glänzendste Denkmal seiner Tätigkeit und der beste Beweis seines praktischen, nach Europa gerichteten Blickes ist der Bau Petersburgs. Immer noch weiter dehnt sich auch in der Folgezeit das russische Reich und sein Einflufs aus. Anna (1730/40) erwirbt das Kirgisengebiet u. Asow (1739). Elisabeth (1741/62) gewinnt das östliche Finnland. Unter ihr gelangen 1748 die ersten russischen Truppen an den Rhein und beschleunigen damit den Abschlufs des Aachener Friedens. Auch beteiligen sich die Russen am 7jährigen Kriege (1757/62). Zu besonderer Macht und Geltung indes gelangt das Reich unter 1762/96 Katharina II. Diese gewaltsame, rücksichtslose und sinnliche, aber auch äufserst kluge und tätige Frau hob Rufsland, indem sie nach aufsen Polen vernichtete und grofsenteils erwarb (1772, 1793, 1795) und den Türken die Küste des Schwarzen Meeres bis zum Dniestr und Kaukasus abnahm. An dieser Küste baute sie 1794 Odessa. Nach innen diente sie jedem Fortschritte. Das Rechtswesen trennte sie von der Verwaltung. Die Gouvernements verkleinerte sie und erleich¬ terte damit das Regieren. Die Städte baute sie aus (Twer, Jekaterinoslaw, Cherson), gab ihnen mehr Rechte und förderte den Gewerbefleifs, auch den Handel begünstigte sie (Kanäle; der Deutsche Sievers); ebenso den Bergbau im Ural und die Kolonisation (Deutsche an der Wolga). Ganz besonders aber suchte sie im Geiste der Auf¬ klärung (Voltaire, Diderot) die Bildung zu fördern (höhere und niedere Schulen, Akademie der Wissenschaften); auch sie geriet dadurch, wie früher Peter d. Gr., in einen Gegensatz zu den Altrussen, der furcht¬ bare Aufstände hervorrief. (Pugatschew f 1775.) Die Verwaltung überliefs sie in wesentlichen Fragen nie ihren Günstlingen (Gregof Orlow, Potemkin), konnte aber doch nicht hindern, dafs sie vielfach auf das gröbste getäuscht wurde (1787 taurische Reise) und dafs man die goldene Zeit ihrer Regierung nicht ganz ohne Grund auch als eine vergoldete bezeichnete. C. Jedenfalls hat Katharina II. nicht weniger wie Iwan II. und Peter der Grofse die staunenswerte Entwicklung Rufs¬ lands gläuzend weiter geführt.