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Prof. Ernst Retter.
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Freiüurg i. V.
^v. N)agner'sche Universitäts-Buchhandlung. 1891.
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Vorwort.
Bei der Umgestaltung des Mittelschulwesens -dürste dem Geschichts-Unterricht eine bedeutsame Aufgabe vorbehalten sein. Je mehr im Betriebe der alten Sprachen die formalen Übungen in den Hintergrund treten gegenüber dem Erkennen und Verarbeiten des Inhaltes der Schriftwerke, desto notwendiger wird die Geschichte, in Verbindung mit dein Deutschen, das geistige Band werden, welches die verschiedenen Zweige des Unterrichts zn geordneter Weiterbildung zusammenfügt.
Zu dieser Thätigkeit^muß die Geschichtsstunde schon auf der Unterstufe vorbereiten. Sie muß alle Geistesgaben im Kinde wecken und speisen, muß aber auch tausend Fäden anschlingen, ans denen die spätere Entwicklung ihr Gewebe nach allen Richtungen weiter zu flechten vermag.
Das vorliegende Buch bemüht sich, die Begebenheiten und Zustände vorübergegangener Zeiten möglichst zu Erlebnissen des Schülers zu erheben, durch welche dieser völlig in Anspruch genommen werde. Es will nicht allein das Gedächtnis, sondern in weit höherem Maße die Seelenkräfte des Denkens, der Phantasie, deö Gefühles beschäftigen, um dadurch auf deu Willen erfrischend und stärkend einzuwirken. Ich habe daher des öfteren, wenn ich ein beliebtes Stichwort gebrauchen darf, Zusammengehöriges auseinander gerissen, weil ich den Knaben (und Mädchen) die Freude nicht vorwegnehmen wollte, durch Anspannung von Verstand und Gemüt es selbst zusammen-
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zufinden und auch bei Wiederholungen eine gewisse Selbstthätigkeit zu entfalten. Hält man die jungen Geister an, den lehrreichen Belegen für die vormalige Zerrissenheit unseres Volkes nachzuspüren, sie mit ähnlichen Verhältnissen namentlich der griechischen Geschichte zusammenzustellen, welche der unsrigen so enge verwandt ist, so wird das Gesamtbild, zu dem sie gelangen, ihnen unvergeßlich werden. Bei dieser Behandlung wird der Geschichts-Unterricht einen Reiz, eine Lehrkraft gewinnen, die ihn fast ebenbürtig neben das Lesen der Klassiker stellt, ihn in der Hand eines gewandten uud liebevollen Lehrers jedenfalls zu einer wertvollen Vorschule desselben macht.
' Der Lehrer Beruhards von Weimar, der treffliche Hortleder, hat die Geschichte „das rechte Fürstenbuch" genannt. Wir dürfen sie heute als das Bürgerbuch bezeichnen. Aus ihm wird ein vernünftig geleiteter Unterricht die Grundlagen herstellen für die Erkenntnis des öffentlichen Lebens, in welchem unsere Schüler als Mitglieder der bürgerlichen Gesellschaft dereinst mitarbeiten sollen ant allgemeinen Wohle. Ich wüßte kein Mittel, durch welches das nationale Empfinden sicherer großgezogen, bessere Nahrung und ebenmäßigeres Wachstum gewinnen könnte, als die Geschichtsstnnde und die durch sie vorbereitete Aneignung der altklafsischeu wie der nationalen Litteratur. Der von den Schülern selbst erbrachte Nachweis, wie die Gegenwart die Frucht ist aller vorangegangener Zeiten mit allen Anstrengungen und Opfern einzelner Menschen und ganzer Geschlechter und mit all ihren verhängnisvollen Mißgriffen, wird den jugendlichen Sinn auf ein höheres Walten hinlenken und neben die stolze Frende über das unschätzbare Erbe, das uns zugefallen, das Verständnis stellen für die heilige Pflicht, das teuer Errungene festzuhalten und weiter zu entfalten. Darum habe ich (beiläufig) auch auf das Deutschtum in der Diaspora des öfteren aufmerksam gemacht.
Auch hoffe ich, der aus allerhöchstem Munde ergangenen ernsten Forderung, daß schon der Jugendunterricht die socialen Gegensätze umfassen, sie aufklärend und versöhnend darstellen solle, in ausreichendem Maß entsprochen zu haben, obgleich in meinem Buche das politische Parteigetriebe nicht berührt ist.
Überhaupt habe ich der Kulturgeschichte ausgiebigeu Raum zugewiesen, ohne jedoch die vielgeschmähte Kriegsgeschichte zu sehr einzuengen. Erziehend wirkt doch vor allem die Anschauung der sich bethätigenden sittlichen Kraft; und wo träte diese überzeugender, überwältigender in die Erscheinung als in einem Kriege, wo um der Menschheit höchste Gegenstände gestritten wird! Allerdings habe ich die Kriege fast noch ungleichmäßiger behandelt als die Friedenszeiten. Warum ich aber unter den Schlachten des Siebenjährigen Krieges nur Roßbach und Kunersdorf, unter den Kämpfen unseres Jahrhunderts besonders Königgrätz und Sedan mit einigen Einzelzügen ausgestattet, wird leicht zu erkeunen sein.
Unsere konfessionellen Unterschiede war ich bemüht, ohne Vorurteil und ohne Gehässigkeit zu erläutern. Wir haben genug und übergenug des Trennenden und müssen nachgerade darüber hinwegzukommen suchen. Um so sorgfältiger ist das Verbindende, Gemeinsame herangezogen worden, vor allem die Kunst. Von einem auSgebreiteteren Bilderschmucke zwar glaubte ich abstehen zu sollen, zumal billige Sammelwerke wie Hottingers Orbis pictus derartige Beigaben der Schulbücher entbehrlich machen und bie Lehmann'schen lind Langl'schen Bildertafeln hoffentlich Mb in keiner Schule mehr fehlen werben. Ausführlich habe ich bafür bie beutsche Kunst bes Mittelalters besprochen, um scheu bein Kinbe bie Herrlichkeit beutscher Ban-nnd Bildwerke verständlich zu machen, die vor aller Augen in unseren Städten stehen. Von der Anschauung des Vorhandenen aber mnß ein gesunder Unterricht immer ausgehen; dann wird bas Fernerstehende, namentlich das Hellenentum, vou selbst und um so rascher sich aneignen lassen.
Denn das wertvollste aller Erziehungsmittel bleibt doch immer das Leben. Alle Vorgänge der Geschichte, auch der alten, gewinnen Klarheit und Faßlichkeit nur durch die Vergleichung mit der Gegenwart, welche ihrerseits bei jeder dieser Zusammenstellungen in eine neue Beleuchtung tritt, ehe sie in all ihren verwickelte», vielfach noch uv' '•m'.chttidfu Erscheinungsformen nnd Strömuugeu selber der eigentliche Gegenstand der Betrachtung wird. Sedan und Thermopylä gehören
zu einander; aber Sedan fällt bei dein Bunde der größere Gewinn zu.
Dem Leben, dein handlichen Gebrauche znlieb habe ich denn mich von den g ri e chisch en Eigennamen die klassische Form zwar jedesmal angegeben, aber keineswegs ängstlich durchgeführt. Starre Konsequenz, deren Mangel nach Mommsen den Menschen allein erträglich macht, hat schon manches Schulbuch zu den Toten geworfen. An Gymnasien wird ja der Lehrer mit einem Worte der Begründung seinem Peisistratos und Alexandros zu ihrem Rechte verhelfen können. Verwirrung fürchte ich von den Doppelformen nicht bei geschickter Leitung des Unterrichtes. Im Gegenteil. Der Zusammenhang, der uns in Meinungen und Ausdrücken mit unserer Vorzeit, namentlich mit den deutschen Klassikern verbindet, bleibt dadurch vor einem weiteren Risse bewahrt. Übrigens sagt auch heute noch niemand Aischylos, und Kyros ist schließlich mich nicht viel richtiger als Cyrus. Vermieden habe ich willkürlich gemachte Namen, wie „Kostnitz" und „Badenser", bei fremden Namen aber Aussprache und Betonung dem Geschmacke des Lehrers überlassen.
Auch die Sage habe ich durchaus nicht mit strenger Wissenschaftlichkeit zu beseitigen gestrebt, obgleich ich sie mitunter ausdrücklich oder durch einen Wink gekennzeichnet und häufig nur andeutend behandelt habe. Was unsere Väter erfreut und gehoben, das wird auch uns und unseren Kindern nicht schädlich sein. Die Ideale müssen für Schule und Haus, für Gegenwart und Vorzeit im ganzen dieselben sein; sonst dürfte unsere höhere Bildung dem großen tiefen Leben unseres Volkes immer mehr entfremdet werden. Anregung und Begeisterung, welche eben doch den Kern aller Erziehung bilden, vermögen wir in der Schule nicht allseitig genug zu bieten. Das Elternhaus muß also helfen, und wir müssen es ihm erleichtern, in seiner Art nach Kräften mitzuwirken, wenn uns die ganze Aufgabe nicht mißlingen soll. —
Bei der Auswahl und Ordnung des Stoffes wie bei der Ausarbeitung ist mir beständig ein munterer Knabe, ein sinniges Mädchen von 12—15 Jahren vor dem geistigen Auge gestanden. Für sie habe ich meine Darstellung so reich und lebendig als
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möglich zu gestalten, ihrem Lernbedürfnis, ihrem Fassungsvermögen, die ich beide nach langjähriger Erfahrung in Schule und Haus viel höher anschlage als es gewöhnlich zu geschehen scheint, den Inhalt anzupassen gestrebt: die belehrenden und aneifernden Bilder aus der sorglich geprüften Vergangenheit besonders des griechischen und des deutschen Volkes, aber auch den Aufbau der römischen und mittelalterlichen Geschichte. Ich möchte meine jungen Freunde bei der Wanderung durch die weiten Ränme der Geschichte aus so manches Große und Gute aufmerksam machen, damit sie es für die Erkenntnis späterer reiferer Jahre einstweilen im Auge und den veredelnden Eindruck für immer in der Seele behalten. Ich möchte für sie diese Wanderung mit dem reinsten Genusse, mit dem nachhaltigsten Segen erfüllen. Daher habe ich sie mit allen irgendwie entbehrlichen Zahlen besonders in der Alten und Mittleren Geschichte verschont, aber die Namen von Personen und Örtlichkeiten nicht gespart. Ein gesunder Sinn will immer wissen, wer, welcher Mensch für eine Sache, eine Idee gehandelt oder gelitten, und wo es geschehen. Der Einzelinensch ist immer wichtiger, fesselnder als eilt leibloser Jemand oder ein nebelhaftes Passivum. Das Namenlose ist aus die Dauer langweilig oder unheimlich.
Voraussichtlich wird trotz all meiner Liebesmüh auch mein Buch mitunter aus der Hand eines entrüsteten Knaben an die Waud fliegen, dein man etwa zumutet, den ganzen Inhalt mit allen Einzelheiten seinem arme» Gedächtnis einzuverleiben, Wörter daraus zu lernen. Gewiß ist die Pflege des Gedächtnisses höchst wertvoll; sie mag in den letzten Jahrzehnten etwas vernachlässigt worden sein. Aber man muß den Teufel nicht durch Beelzebub ans traben wollen. Im Geschichts-Unterricht darf das Gedächtnis nur in höherem Sinne geübt und gestärkt werden. Was hier das junge Menschenkind behalten soll, das Muß ihm auswählend und verknüpfend, erläuternd und belebend dargeboten werden. Die Aufsätze, aus denen mein Buch besteht, wollen frisch, aber ja nicht hastig besprochen, die eingestreute» Andeutungen je nach der Fähigkeit und Lernlnst der Klasse oder nach den Neigungen des Lehrers ausgebeutet werden. Ist das Wesentliche herausgehoben, dann mag man es den
jungen Seilten getrost anheimgeben, was und wie viel sie von dem übrigen festhalten wollen oder können. Ich bin nach Maßgabe meiner Erfahrung überzeugt, daß immer noch etwas Erfreuliches haften bleibt.
Den Sehrer möchte ich bitten, daß er mein Buch ganz durcharbeite, ehe er nach demselben zu unterrichten beginnt. Als ein Ganzes, als ein Organismus ist es gedacht und geschrieben, als ein Ganzes sollte es behandelt werden.
Irrtümer und Mängel werde ich selbstverständlich mit redlichem Bemühen ausmerzen, falls auch meinem Buch eilt Schicksal vergönnt sein sollte.
Frei bürg i. 33., im Juli 1891.
Der Verfasser.
Büste, gefunden in ©tricoli. 4 (Vatikan, Rom.)
pf- Gcschich,., Absch».
Erster (Lcil.
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Lrster MWnitt.
Die Griechen.
I. Götter und Helden.
1. Götter und Göttersöhne.
Den Schauplatz der griechischen Geschichte bilden die buchtenreichen Küsten des Ägeischen Meeres, besonders die südöstlichen Gestade der Balkan-Halbinsel und der Westrand Kleinasiens nebst den unzählbaren Inseln des Archipels. Wogendes Meer, blauer Himmel, goldener Sonnenschein umflossen das gesegnete Land mit seinen fruchtbaren Ebenen, seinen schön geformten Gebirgszügen, und helle Lust zu Arbeit und Genuß beseelte das edle Volk der Hellenen.
Auch ihre Götter dachten sich die Griechen vorwiegend als schöne, glückliche Menschen, welche an den Freuden des Opfer-mahles ihren Anteil nahmen, aber auch an den Schicksalen des Einzelnen wie der Gemeinden und Völker. Auch sie waren nicht von Ewigkeit her. Ursprünglich Sinnbilder der in der Natur und im Menschengeiste waltenden Kräfte, waren sie Veränderungen unterworfen wie alles Irdische, das sie nur durch Glanz und ungetrübten Seelensrieden überstrahlten. So stellten die griechischen Künstler sie dar in säulengetragenen Marmortempeln, in Hallen und auf Plätzen: im Gemälde, in Marmor und Erz, in Gold Md Elfenbein; so schilderten sie die Dichter, namentlich Homer und Hesiod.
Aus der großen, finstern Kluft, dem nranfänglichen Chaos, entstammen Uranos nnd Ge oder Gaia: der Himmel und die Erde. Ge gebiert Uranos die Berge und das Meer nnd den Okeanos, den tiefrauschenden Strom, welcher die Erdscheibe umfließend in sich selber mündet.
Der jüngste Sprosse dieses Götterpaares, Kronos der Unerforschliche, beherrschte die Welt. Ihm verkündeten die
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Eltern sein Schicksal: eines seiner Kinder werde ihn vom Throne stoßen. Darum verschlang er die neugeborenen. Statt des jüngsten Sohnes aber reichte ihm seine Gattin Rhea einen in Windeln gewickelten Stein. Der Knabe wurde auf Kreta, der Insel seiner Geburt, von der Ziege Amalthea ernährt. Und als Zeus erwachsen war, entthronte er den Vater und teilte mit seinen befreiten Brüdern das Erbe.
Das Meer fiel Poseidon zu, dem Erdumgürter, der mit seinem Dreizack die Felsen zerschlägt. Hades oder Pluton erhielt die Unterwelt (den Orkus) samt dem Tartaros, dem Orte, wo die gestürzten Götter verwahrt wurden und die Titanen, welche in trotziger Empörung von Zeus überwunden waren. In das Reich der Toten werden die Seelen der Abgeschiedenen geleitet von Zeus' Sohn Hermes, dem Windgott mit goldenem Stabe. Den Eingang bewacht der Höllenhund Kerberos, mit drei oder gar mit fünfzig Köpfen, und der finstere Fährmann Charon rudert die Seelen über den Strom des Vergessens (Lethe). Unten aber im SD atmn erscheine thront an Hades' Seite seine düstere Gattin Persephone, welche er ihrer Mutter Demeter, der blonden Göttin des Getreides und des Ackerbaues, mit seinen schwarzen Rossen entführt hat.
Zeus selbst aber, der Vater der Götter und Menschen, ist der Herr der Erde und des Himmels, dessen Riesensäulen der kundige Atlas auf dem Haupt und den nimmermüden Schultern emporhält. Mit seiner Gattin Hera, der Schützerin der Frauen, wohnt er aus der schneebedeckten Kuppe des Berges Olymp, der am Nordrande Thessaliens weithin sichtbar aufsteigt, hart ant Meere. Sein Sohu, der hinkende Hep haistos, hat ihm einen lichten Palast erbaut, in welchem die Götter sich versammeln, um Rates zu pflegen oder Nektar und Ambrosia zu schmausen. Hephaistos' des Feuergottes Gesellen sind die wüsten Kyklopen, mit einem Auge mitten auf der Stirne; mit ihnen schmiedet er in den feuerspeienden Bergen der Inseln Lemnos (im nordöstlichen Archipel) oder ©kitten die Blitze und Donnerkeile, mit welchen Zeus feine Regengüsse begleitet und die Frevler züchtigt.
Sein Liebling ist die jungfräuliche Pallas Athene, die aus seinem eigenen Haupt entsprungen ist: die in funkelnden Panzer gehüllte Göttin der Weisheit, der Handfertigkeit und der Kriegskunst, die Feindin ihres Bruders Ares, dessen Lust das wüste Schlachtgetümmel ausmacht.
Den Sieg verleiht Zeus selbst wie die Macht: beim Nicken seiner Augenbrauen bebt der Olymp; von ihm stammen die Könige, er schirmt die Fremden. Auch das Schöne hat er den Menschen geschenkt: ant Nordabhang des Götterberges, unweit
der Midasgärten mit ihren wunderbaren Rosen, liegt die Landschaft Pierien, die Heimat der Musen, welche aus dem Berge Helikon in Böotien den anmutvollen Reigen tanzen um den veilchenduftigen Quell. Ihr Führer ist Zeus' Sohn Phoibos Apollon (Helios), der Ahnherr der Sänger und Spielleute, der schöne Sonnengott, der aus seinem Strahlenwagen mit feuerschnaubenden Rossen täglich den Himmel umfährt, um des Abends im kühlen Okeanos zurückzukehren zu seiner Burg im fernen Osten. Er ist allwissend wie Zeus; am Fuße des Parnaß in Phokis liegt seine Weissagestätte, das lorbeernmrauschte Orakel zu Delphi, bei welchem die Griechen weit häufiger sich Rats erholten als bei den heiligen Eichen des Zeus zu Dodoua im entlegenen Epeiros. Seine Zwillingsschwester Artemis ist die unnahbare Gottheit des Mondes, des Waldes, der Jagd; beide Geschwister senden die todbringenden Pfeile auf die Kinder Niobes, der thebäischen Königin, von welcher ihre Mutter Leto im Übermut beleidigt worden.
Über das Meer her ist die Göttin der Schönheit und Lust gekommen, bie schaumgeborene Aphrodite, die besonders aus den Inseln Cypern und Kythera verehrt wurde. Auch der sorgenlösende Weingott Bacchos (Dionysos) ist aus dem Morgenlande zugewandert.
Ganze Scharen göttlicher Wesen bevölkerten nach dein fröhlichen Glauben des Hellenen die Natur: in den Wäldern hausten die Nymphen, in den Quellen die Naiadeu; in den Bäumen lebten die Dryaden; im Meere spielten die Tritonen mit ihren Muscheln, und die fünfzig Töchter des Nereus, die Nereiden, umgaukelten in munteren Tänzen den Wagen ihrer Schwester Amphitrite und ihres Gatten Poseidon.
Ein ganzes Heldenheer bezeichnete das redefrohe Geschlecht als Abkömmlinge dieser großen und kleinen Götter.
So Herakles, welcher schon in der Wiege zwei Schlangen erwürgte. Die feindselige Hera, welche sie gesendet, verwickelte den Helden sein Leben lang in immer neue Kämpfe. Im Dienste des Königs Eurystheus von Argos mußte er die Wasserschlange (Hyder) von Lerne erlegen mit ihren neun Köpfen, die verdoppelt nachwuchsen, wenn man sie abschlug, mußte beu Gürtel der Amazonenkönigin Hippolyte holen, den Viehhof bes Königs Augeias in Elis reinigen, bie golbenen Äpfel ber Hesperiden entwenden. Zum Lohn für alle seine Thaten ward er zuletzt in den Olymp entrückt, und die Göttin ewiger Jugend, Hebe, wurde seine Gattin.
Wie Herakles war auch der König Minos von Kreta ein Sohn beS Zeus; dieser offenbarte ihm bie trefflichen Gesetze,
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die er seinem Volke gab. Er war der erste, der sich eine Flotte schuf und das Meer von Seeräubern säuberte. Wegen feiner Gerechtigkeit schaltete er nach dem Tode int Hades als • einer der drei Totenrichter mit dem Goldstab. Der ans Athen entwichene Baumeister Daidalos baute ihm das Labyrinth, ein ungeheures Schloß von so geheimnisvoller Anlage, daß niemand den Ausgang zu finden vermochte. Der Baumeister selbst wurde mit seinem Knaben darin eingesperrt; da entflog er dem König auf künstlichen Schwingen, Ikaros aber, welcher zur Sonne hinan -strebte, ertrank im Meere. Später barg das Labyrinth den Menschenstier Mino tau ros, welchem die von Minos bezwungenen Athener alle neun Jahre je sieben Jünglinge und Jungsrauen zum Fraße schicken mußten. Da erschien unter den Opfern Thesens, der Heldensohn des Athenerkönigs Aigens; Minos' Tochter Ariadne gab dein kühnen Jüngling einen Knäuel Faden, den er am Eingang befestigte und aufrollte, während er das Scheusal suchte; als ev es gefunden und erschlagen, leitete dev Faden ihn denselben Weg zurück. Ariadne sollte zum Danke seinen Thron mit ihm teilen; aber auf dem Heimweg mußte ev sie verlassen, weil Bacchus sie zu seiner Gattin ausersehen hatte. In der Erregung vevgaß ev, die schwarzen oegel, mit denen das Trauerschiff von Athen abgefahren war, durch weiße zu ersetzen; da meinte der sehnsüchtig harrende Agens, als ev vas (schiff sah, Thesens sei umgekommen, und warf sich verzweifelt in das Meer, welches das Ägeische heißt bis zum heutigen Tage.
2. Die Argonauten.
Weit früher als König Minos hatten feilte Nachbavn, die Phoinikev (Philister), Schiffe gebaut. In ihren Städten am syrischen Küstensaum blühte Handel und Gewerbe; ihre Karawanen holten die Gewebe Assyriens und Indiens, die Leinwand Ägyptens und die Wohlgerüche Arabiens. In Tyros und Sidon bereitete man Glas, welches damals dem Golde gleich geschätzt wurde, und färbte die eingeführten Gespinnste.mit Purpur, um sie dann mit reichem Gewinn wieder zu verkaufen. Auch fingen die Phönizier gelegentlich Menschen weg, die sie auf die Sklaven-markte des Ostens brachten.
Auch an den griechischen Küsten fischten sie die Purpur-schnecke und boten ihre Waren feil. Von ihnen haben die Griechen den Handel gelernt.
Das erste hellenische Volk, welches sich nächst den Kretern auf die See wagte, waren die Minyer in Thessalien südlich vom Olymp. Ihre Hauptstadt Jolkos lag am Pagasäischen
Meerbusen (Golf von Volos). Bon ihrer ersten Fahrt erzählt die Argonautensage:
Die beiden Kinder des Königs Athamas entflohen vor ihrer bösen Stiefmutter auf einem Widder mit goldenem Vlies, welchen ihre Mutter Nephele (die Wolke) ihnen gebracht. Auf dem Flug durch die Luft war Helle unachtsam und siel in den Meeresarm, welcher seither Helles Meer, Hellespontos heißt: die Straße der Dardanellen, ans welcher man ans dem Ägeischen ins Marmara-Meer fährt. Ihr Bruder Phrixos erreichte glücklich das ferne Land Aia am Ostufer des Schwarzen Meeres. Er opferte Aens den Widder und hängte das Vlies auf im Haine deS Ares, wo ein schlafloser Drache es hütete.
Viele Jahre später stieß Pelias seinen Bruder, deu Jolker-tonig, vom Thron und wollte dessen Sohne Jason, als dieser sein Erbe beanspruchte, das Land nur dann abtreten, wenn er ihm das goldene Vlies hole. Da eilten auf des Jünglings Rnf die gefeiertsten Helden herbei, das Wagnis zu teilen: Herakles und Thesens uud die beiden Söhne des Zeus (Dioskuren) Kastor und Polydeukes (Pollux). Unter Athenas Anleitung wurde das Schiff Argo erbaut und mit Rudern beflügelt. Glücklich überwanden die „Argofahrer" alle Schwierigkeiten; Hera half ihnen am Ausgang aus dem BoSporos durch die „Jrrfelsen" oder Symplegaden, welche bisher alles zerschmettert hatten, was zwischen ihnen durchwollte.
Die schlimmste Gefahr wartete ihrer in Aia (Kolchis). Wenn Jason feuerschnaubende Stiere einspanne unb in das mit ihnen gepflügte Land Drachenzähne säe, dann wollte der König des Landes ihm erlauben, dem Drachen das Vlies abzunehmen. Aber schon hatte des Königs Tochter Med eia den kühnen Fremdling mit dem stattlichen Wuchs und dem mähnengleichen Haar erschaut und den Wunsch gefaßt, im sonnigen Griechenlande als seine Gattin zu leben. Sic war eine kluge Zauberin und wußte Sprüche und Kräuter mit geheimnisvoller Krast. Sie machte die Stiere gefügig und unschädlich, und als ans den Drachenzähnen geharnischte Männer erwuchsen, ersann sie eine List, daß dieselben sich gegenseitig erschlugen. Den Drachen schläferte ihr Zaubergesang ein; und nun enteilte Jason mit dem Vlies und der barbarischen Königin über das unwirtliche Meer.
König Pelias Hielt dem Neffen sein Wort nicht. Da bethörte Med ca seiije Töchter, daß sie den eigenen Vater ermordeten, und Jason konnte unbehelligt die Minyerkrone tragen.
Aber sein Ehrgeiz flog höher. Er siedelte nach Korinth über und trachtete in der reichen Stadt König zu werden. Um
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die Hand der Königstochter zu erwerben, verstieß er Medea und ihre Kinder. Diesen niedrigen Undank formte die stolze Fürstin nicht verwinden, und sie übte furchtbare Rache. In erheuchelter Nachgiebigkeit sendete sie der Braut ihre Knaben mit Hochzeitsgeschenken, einem goldenen Kranz und einem kostbaren Gewände. Die Unglückliche legte alsbald das Kleid an und drückte sich beit Kranz in die Locken. Da begann das vergiftete Tuch ihren Leib zu zerfleischen, tmb ber Zauberkranz loderte in Flammen auf, so daß sie unter entsetzlichen Qualen den Geist aufgab. Als dann der unselige Jason zur Bestrafung dieses Frevels herbeikam, warf ihm Medeia die Leichen der eigenen Kinder vor die Füße und flog auf einem Drachemvagen durch die Lüfte davon.
3. Der Troerkrieg. Hektor.
Herakles hatte als Brautschmuck für Eurystheus' Tochter das Wehrgehänge der Amazonenkönigin erkämpfen müssen. Die
Amazonen waren ein Volk von lauter Frauen, bie ihr Leben
in Kriegen iinb kriegerischen Übungen verbrächten und jeden
Mann töteten, den sie besiegten. Der Heimweg führte beit Helbeit nach Troia oder Jlios, welches südöstlich vomHelles-pont, am Fuße des Jdagebirges lag, zwischen den Flüssen Ska-inandros und Simoeis, die sich westlich der Stadt vereinigten. Da sah er die Königstochter Hesione an einen Felsen geschmiedet, zur Bente für ein Meeresungeheuer, welches Poseidon geschickt, den wortbrüchigen König Laomedon zu züchtigen. Herakles erbot sich die Jungfrau zn retten, und der König verhieß ihm dafür die unsterblichen Rosse, welche Zeus dein König Tros geschenkt, als sein Adler den schönen Königssohit Ganymed es zum Olymp emportrng. Herakles tötete das Untier; aber der König brach abermals sein Wort. Grollend versammelte Herakles seine Freunde; mit nur sechs Schiffen landete er und zerstörte Troia.
Kaum war die Stadt wieber erbaut, als eine abermalige Untreue ihr beit Untergang brachte.
Die silberfüßige Nereide Thetis vermählte sich mit dem thematischen König Pelens in Phthia. Um die Braut zu ehren, erschienen sämtliche Götter und Göttinnen auf der Hochzeit. Eris, bie Göttin der Zwietracht, die allein nicht geladen worden, warf einen goldenen Apfel mit der Inschrift: „Der Schönsten" in den Hochzeitssaal. Um diesen stritt sich Her- mit Athen« und Aphrodite. Aus Zeus’ Geheiß führte sein Bote Hermes die drei zu einem Hirtenknaben, ber ant Iba seine Herbe weidete, damit bieser beu Zant schlichte. Es war Paris, ber Sohn
des Troerkönigs Priamos. Hera sicherte ihm das mächtigste Reich der Welt zu, wenn sie den Apfel erhalte, Athena die höchste Weisheit, Aphrodite die schönste Frau. Aphrodite siegte; und als Paris erwachsen war und aus einer Reise nach Griechenland kam, verleitete sie die Gattin seines Gastfreundes, deS Königs Meuelaos von Sparta, ihm nach Asien zu folgen.
Furchtbar entlud sich die Rache deS beschimpften Gatten über Troia. Als die Auslieferung der entführten Königin Helena verweigert wurde, scharten sich bicimiifen und P,Mörder „Achäer" nm Menelaos' Bruder Aaamemnon. den König von Mykenä in Araolis. den Itarken Sobn des Atreus.
Zehn Jahre lang lagen die Helden vor der Feste, welche vor allen Paris'Bruder, der helmbnsch-umwallte Hektor, mit Löwenmut verteidigte; ein Wahlspruch, sagte er, sei der beste: „Schirme das Vaterland!" Unverzagt stritt er für die Götter der Heimat, für sein Weib Andromache und seinen holden Knaben Astyanax. Als im zehnten Jahre Thetis' herrlicher Sohn, der Pelide Achilleus, wegen eines Zwistes mit dem Oberkönig voin Kanipse sich fernhielt, drang Hektor,^ungeachtet der Tapferkeit eines Ilias und Diomedes, bis zum Schiffslager der Achaier vor und erstach Patroklos, den Herzensfreund deo Achilleus, welchen dieser im eigenen Waffenschmuck zur Abwehr entsendet. In der erbeuteten Rüstung des Peleiaden zeigte sich der Held seinen jauchzenden Kampfgenossen. Jetzt überwand Achilleus im Schmerz um den Gefährten den Groll gegen den Atriden; anf seiner Mutter Bitte schuf ihm Hephästus eine neue kunstvolle Rüstung, und im Einzelkampfe fiel der strahlende Hektor unter den Mauern seiner Vaterstadt. Paris' tückischer Pfeilschuß sendete ihm Achilleus bald nach ius Totenreich; auch dort blieb er ein König, gewaltig vor allen.
Endlich besiegelte Odysseus' Verschlagenheit das Schicksal Troias. Auf seinen Rat wurde ein riesiges Pserd von Holz verfertigt, in dessen Bauch er sich verbarg mit den erprobtesten Helden, während die Achäer sich nach der nahen Insel ^enedos zurückzogen. Die Warnung des Priesters Laokoon vereitelte Athena: zwei Schlangen, mit blutroten Kämmen vom Meer aufsteigend, erwürgten Laokoon und seine beiden Knaben. Ein Sendling des Odvsseus beredete die Troer, das Pferd solle ein Ersatz sein für das Pallasbild, welches Odysseus und DiomedeS geraubt, weil Troia für uneinnehmbar galt, so lauge dies „Palladium" in seinen Mauern war. L>o schleppten die Thoren das hölzerne Pserd selbst auf ihre Burg Pergamon.
Während des Siegesrausches entstiegen die Helden ihrem Versteck, erschlugen die Wachen nnd öffneten den Achäern, die
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sie durch Feuerzeichen heranriefen, die Thore der Stadt. So stet Troia, wie es Hektor und seine Schwester Kassandra vorausgesagt. Wer dem Schwerte des Siegers entging, mußte als Sklave ins Elend wandern.
4. Odysseus.
Auch für die Achäerhelden hörte die Zeit schweren Unheils noch nicht aus.
Ungern harte Odysseus seine InselJthaka im Jonischen Meer und seine Angehörigen verlassen. Als er heim wollte, trieben ihn entsetzliche Stürme zehn Jahre lang umher auf dem fischreichen Meere; die Gefahren kamen über ihn so zahlreich wie Blätter und Blüten im Lenz.
Die Lotophagen gaben den Kundschaftern, die er zu ihnen geschickt, die honigsüße Lotosfrncht zn koste». Da vergaßen sie der Heimkehr; mit Gewalt mußte der König sie auf das Schiff schleppen und festbinden unter der Ruderbank.
Zu den Kyklopen, die in felsigen Bergschlüften ihre Herden weideten ohne Gesetz und Sitte, ging er selbst mit zwölf Gefährten auf Kundschaft. Der ungeschlachte Polyp hem, den er in seiner Höhle erwartete, ihn um ein Gastgeschenk zu bitten, zerschmetterte zwei seiner Leute, fraß sie samt Knochen und Eingeweiden ans wie ein Löwe des Berges und trank seine Abendmilch dazu. Am Morgen und Abend des folgenden Tages wiederholte er sein grausiges Mahl, die Fremden sorglich verwahrend, um sie nacheinander zu verspeisen. Da bot ihm der verschlagene Held zum Menschenfleisch einen Becher duftigen Rotweines, welchen er in einem Schlauche bei sich trug; der schmeckte dem Cyclopen trefflich, und er verlangte immer mehr von dem starken Tranke, bis er zuletzt in tiefen Schlaf verfiel. Jetzt machte Odysseus eine Olivenstange, die er vorher zugespitzt, im Feuer glühend und stieß sie mit Hülse der Gefährten dem Trunkenen ins Auge, daß der Augapfel zischte und prasselte. Grauenhaft scholl das Wutgeheul des Gepeinigten durch die göttliche Nacht, daß die anderen Kyklopen herbeikamen. Als sie aber von Polyphem hörten, „niemand" thue ihm etwas zu leide (denn als Herrn Niemand hatte Odyssens sich bezeichnet), gingen sie wieder zur Ruhe. Als nun der Cyclop sich winselnd unter den Eingang der Höhle setzte, mit die Fremden abzufangen, band Odysseus je drei der feisten Widder desselben zusammen und unter den mittleren einen der Gefährten. Er selbst klammerte sich unter den zottigen Bauch des stärksten Widders und lauschte, wie sein Herr ihn rachgierig betastete und bemitleidete, daß
— Iler heute so langsam und traurig einherschreite. Draußen jagten die Verwegenen die Tiere als Beute auf ihr Schiff, und Odysseus ließ sich nicht abhalten den Menschenfresser zu höhnen, welcher vergeblich abgerissene Bergspitzen nach den Wichten schlenderte.
Seither verfolgte Polyphems Vater Poseidon den Städtezerstörer mit unversöhnlichem Hasse.
Ein anderes Riesenvolk, die Lästrygoneu zertrümmerten die Griechenschiffe mit mächtigen Steinen, spießten die Schiffbrüchigen und trugen die zappelnden heim zum Mahle. Odysseus allein entkam mit seinem Schiffe, weil er es vorsichtig außerhalb des einladenden Hafens angebunden hatte.
Auf fernem Meereseiland wurden seine Leute vou der sangeskundigen Göttin Kirke durch einen Zaubertrauk in Schweine verwandelt, und der König bedurfte des Beistandes des Hermes und seiner ganzen Entschlossenheit, daß die Nymphe den Zauber wieder aufhob.
Auch das Wohlleben, das nun in Circes Palast begann, erstickte nicht das Heimweh in des Königs Brust. Drum fuhr er westwärts zur Grenze des „freudelosen Landes". Jenseits des Okeanos lag Persephoues Hain mit seinen Pappeln und Weiden. Da opferte "er ein Paar Schafe, und die körperlosen Schatten schwebten heraus über die Asphodeloswieseu; ein Schluck vom Opferblut gab ihnen das Bewußtsein wieder aus einen Augenblick. Da weissagte ihm der blinde Seher Teirefias von Theben seine Heimkehr und seiu späteres Schicksal, und seine Mutter berichtete ihm von der Treue seines, alten Vaters Laertes und seiner Gattin. Auch die toten Kampfgenossen kamen, um Blut zu trinken; nur Mas blieb fern in finsterem Grolle, weil nicht ihm, dem „Turm der Achäer", sondern Odysseus die Rüstung des toten Achill zugesprochen worden.
Nun begann die schreckensreiche Heimfahrt.
Auf einsamem Felsen inmitten der See saßen die Sirenen, die mit berückendem Sange den Seefahrer lockten, daß sein Schiff an den Riffen zerschellte.' Von Circe gewarnt, verstopfte Odysseus den Gefährten die Ohren mit Wachs; sich selbst ließ er, um an dein Liede der Jungfrauen sich zu ergötzen, weit vom Steuer an den Mastbaum binden. ^
Gleich nachher riß das sechsköpfige Ungeheuer Skylla sechs Gefährten vom Deck empor in seine Felsenhöhle und verschlang die jammernden vor des Königs Augen; die Überlebenden erzwangen die Landung an der Insel Trinakria und schlachteten in Odysseus' Abwesenheit trotz seines Verbotes Rinder ans den Herden des Helios, die aus der Insel weideten. Odysseus wußte von Tiresias, daß jetzt das Verderben unvermeidlich war.
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Das weitersegelnde Schiff wirbelte Zeus' Blitzstrahl in den Grund, daß die Männer wie Krähen in die Fluten flogen; kaum daß es dem König gelang, aus Kiel und Mast notdürftig ein Floß zusammenzufügen. Au seinem Entsetzen trieb der umspringende Wind ihn rückwärts; die Scylla vermeidend geriet er in die Eharybdis, einen Strudel, welcher die Wogen abwechselnd einschlürfte und ausspie. Das Fahrzeug wurde hinuntergerissen; an einem wilden Feigenbaum, der über dem Eingang in die Tiefe hing, krallte der Held sich feft wie eine Fledermaus, und als das Schifflein wieder heraufkam, sprang er geschickt hinein und ruderte weiter.
Wind nnd Wellen verschlugen ihn auf die liebliche Insel der Nymphe Kalypso, die ihn wie Kirke unsterblich machen und zu ihrem Gatten erheben wollte. Aber unwiderstehliche Sehnsucht füllte seine Seele; tagelang saß er weinend am Strande, bis endlich auf seinen Flügelschuhen Hermes kam, der Götterbote, mit dem Befehl des Zeus, Kalypso solle beit Helden in seine Heimat entsenden. Da zimmerte er sich ein Floß, und bie Göttin leistete ihm willige Handreichung.
Aber noch war Poseibons Rache nicht gesättigt. Ein wütender Sturm zerriß bas Fahrzeug. Nur ber Schleier, ben ihm bie Meergöttin Leukothea lieh., rettete ihn vom Untergang. Zwei Tage unb Nächte lang schüttelte ihn bas Meer umher unb zuletzt an bie Klippen, bis bem Tobntübeit bie Landung glückte. Er war ans ber Insel ber Phaiaken: von hier an war er nach bem Willen des Schicksals dem Zorn des Erder-schüiterers entzogen.
Aus tiefem Schlafe weckte ihn am folgenden Tag das lustige Treiben der Mädchen, mit welchen die holde Königstochter Nausikaa an der Düne Wasche hielt. Beseelt von Athenens Geiste, gab sie ihm Kleider und wies ihm den Weg zu ihres Vaters Schloß. Festlich empfingen und bewirteten ihn die Phäaken; und als er seinen ruhmvollen Namen nannte, rüsteten sie ein Schiff, das ihn an Jthakas Gestade brachte. Er schlummerte, während sie ihn ans Land trugen und die reichen Geschenke der Phäakensürsten in der nahen Nymphen-grotle bargen.
Athena geleitete ihn zn seinem wackeren Hirten Enmaios unb verwandelte ihn in einen Bettler. Unerkannt betrat er seine Burg unb war selbst Zeuge, wie seine Gattin Penelopeia ber Unterkönige sich erwehrte, bie sie aufdringlich umwarben und sein Gut verpraßten. Ihn selbst höhnten und mißhandelten die Freier. Endlich erhob er sich in seiner vollen Heldengröße: mit seinem Bogen, den keiner von ihnen zu spannen vermocht, schoß
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ev alle bie Frevler nieber ohne Erbarmen. Dann entsühnte ev sein Haus unb freute sich bes Wiebevsehens mit seinem trefflichen Sohn Telemachos uub seinem treuen Weibe. Penelope hatte es oevbient, baß ev sie zwei Göttinnen vovgezogen.
5. Die Tantalib en.
Die Halbinsel Morea, welche bev Korinthische unb ber Saronische Meerbusen von Mittelgriechenlanb scheibet, hieß im Altertume Peloponnes, Pelops-Insel. Pelops war aus Asien gekommen, um eine neue Heimat zu suchen. Seinen Vater, ben König Tantalos, hatte Zeus znm Mahle gelaben, aber bann, weil er ihm anvertraute Geheimnisse preisgab, in ben Tartaros verstoßen; bort staub ber Greis in einem spiegelklaren See, unb lcichenbe Äpfel unb Birnen, Feigen unb Oliven hingen ihm aufs Haupt; aber Trank unb Speise wichen zurück vor bem Munbe bes ewig Darbenben.
Pelops' Nachkommen, bie Tantaliben, erbten bie Herrschaft ber ganzen Halbinsel; aber sie erfüllten auch bie Welt mit bem Ruf entsetzlicher Greuelthaten. Au ihnen gehörten Agamemnon unb Menelaos, bie Atreus-Söhne. Im boiotischen Hasen von Aulis hatte Agamemnon, um für bie Achäerflotte zur Fahrt nach Troia günstigen Winb zu erlangen, ber zürneuben Artemis feine eigene Tochter Jphi gen eia zum Opfer gebracht. Das konnte feine Gattin Klytaimnestra nicht verwinben; unb als er rnhmbebeckt vom Troerkriege heimkehrte, überlieferte sie ihn bem jammervollen Tobe bttrch Meucheltnorb. Sein Sohn Orestes vollzog, zum Manne gereift, bie Blutrache an ber unseligen Mutter; aber seither hetzten ihn bie Rachegeister, bie Erinnyen (Furien), ruhelos von Laub zu Lanb. Enblich verhieß ihm der delphische Gott Heilung, wenn er bie Schwester in Tauris hole. Begleitet von seinem Freunbe Pylades befuhr er bie Bahn Jasons. Gleich nach ber Ankunft auf 'ber fernen Insel bes Schwarzen Meeres warb er ergriffen, um nach ber grausamen Sitte ber Seythen im Tempel ber Artemis geopfert zu werben. Da erkannte er in ber Priesterin feine Schwester Iphigenie. Vom Opferaltar in Aulis hatte bie Göttin sie in ihren Tempel am Schwarzen Meer entführt; zu ihr hatte Apollon ihn gesendet. Den göttlichen Geschwistern bankenb, kehvte sie mit bem geheilten Bruder heim, um das alte Königshaus in Mykenä zu entsühnen.
Aber schon war die Achäerherrschaft bem Untergange geweiht.
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II. Die Zonier und -ic Dorier.
1. Die Dorische Wanderung.
Zeus,hatte die in Frevel versunkene Menschheit durch eine allgemeine Überschwemmung, eine (Sintflut vertilgt. Nur das fromme Paar Deukalion und Pyrrha trug der rettende Kahn auf die tVtuppc des Parnaß. Als das Gewässer sich verlaufe» hatte, fragten die eilten Leute das Orakel, wie die Erde wieder zu bevölkern sei, und die weissagende Priesterin Apollons riet ihnen, die Gebeine der großen Mutter hinter sich zu werfen Den Sinn dieser Worte erriet die kluge Pyrrha: Steine, die Gebeine der großen Mutter Erde, warfen sie über ihre Schultern, und ans diesen wurden Männer unb Frauen.
Diesem harten Geschlechte gehörte Hellen an, der Ahnherr der hellenischen Stämme. Die wichtigsten derselben waren die Ionier und die Dorier. Erstere ließen sich für immer auf der östlichen Halbinsel Mittelgriechenlands, in Attika nieder dort gründeten sie ihre Hauptstadt und nannten sie Athen nach ihrer Gottheit; im Wettstreit mit Poseidon hatte Athena von Zeus das Land erhalten, weil sie ihm das kostbarere Geschenk darbrachte, den Olbaum. Unter ihrem Schutze gedieh das hochbegabte Völklein; sein Ackerbau gewann dem Felsenboden Korn ab und Ol und Wein; es leitete die anderen Stämme zu milderen Litten.
... Die Dorier wohnten anfangs im Mündungslande des theffa-Äschen Stromes Peneios, in dem vielgepriesenen Schale Tempe, welches Poseidons Dreizack zwischen Olymp und Ossa geöffnet. Da kamen von Westen her über den Pindos die Thessaler; vor ihnen räumten sie, nach Süden ziehend, das fruchtbare Land und eroberten nach mannigfachen Wechselfällen den Peloponnes. Dort schufen sie drei Staaten: Messenien, Lakonien, Argolis. Auch über den nördlichen Teil der Halbinsel bis nach Korinth, ja bis nach Megaris auf der Landenge (dem Zsthmos) und Agina breitete sich der dorische Stamm aus.
Auch Attika sollten sie einem Orakel zufolge ihrer Herrschaft einverleiben, wenn sie den König von Athen verschonten. Von dieser Weissagung erhielt der Athenerkönig Kodros Knnde. Als armer Holzhacker verkleidet, schlich er sich ins feindliche Lager, fing mit einigen Kriegern Streit an und wurde von ihnen erschlagen, wie er es^ gewünscht. Wie staunten die Dorier, als eine attische Gesandtschaft erschien mit der Bitte, die Leiche des
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Königs heimbringen zu dürfen! Sie zogen ab; Kodrus' Opfertod halte Athen gerettet.
Eines solchen Mannes Nachfolger zu werden, hielt sich niemand für würdig. Der Adel wählte daher statt eines Königs einen, dann drei Archonten, zuerst auf Lebensdauer, dann auf zehn Jahre, später neun Archonten auf ein Jahr. So wurde Athen eine Republik.
2. Lykurgos der Gesetzgeber Spartas.
Das Kernvolk des dorischen Stammes waren die Lake-daimonier oder Spartaner. In dem nicht sehr fruchtbaren Enrotas-Thale hatten sie sich niedergelassen, in den Ausläufern des TaygetoS-Gebirges ihre nicht sehr große Hauptstadt Sparta gegründet. Die älteren Einwohner deS Landes wurden teils Periöken, „Umwohner", persönlich freie Unterthanen, welchen Handwerk und Ackerbau oblag, teils Heloten, Sklaven des Staates.
Die Spartiaten (die dorischen Herren) gerieten mit der Zeit unter sich und mit ihren Periöken in Zerwürfnis. Insbesondere konnte der Streit zweier Königshäuser um den Vorrang leicht die Heloten zur Empörung verlocken. Da wurde ein vornehmer Spartiate, der Oheim und Vormund des jungen Königs Charilaos, zur Schaffung dauernder Zustände ausersehen. Auf weiten Reisen hatte Lykurgos reiche Kenntnisse und Erfahrungen gesammelt, hatte auf Kreta die Gesetze des Minos kennen gelernt; das Orakel zu Delphi bezeichnete ihn als einen Liebling des Zeus und der Götter. Er hat dem lacedämonischen Volke den Geist eingepflanzt, der es unsterblich gemacht hat.
Die beiden Königshäuser ließ er neben einander bestehen, gab aber den Königen einen Rat von 28 erprobten Männern von mindestens 60 Jahren (Geronten — Greise) an die Seite. Die Könige führten den Vorsitz in der „Gerüste" ititb den Oberbefehl im Kriege. Mit den Geronten berieten sie die Vorschläge, über welche dann die Volksversammlung ohne Besprechung mit Ja oder Nein abstimmte.
Die wichtigste Aufgabe der Lacedämonier (Spartiaten und Periöken) war die Führung der Waffen. Auf den Krieg wies den Spartiaten seine Erziehung hin, welche so ziemlich sein ganzes Leben in Anspruch nahm. Vom siebenten Jahr an wurden die Knaben gemeinsam erzogen. Den Tag füllten kriegerische Übungen, bei welche» sie Anstrengungen und Schmerzen lautlos ertragen mußten. Ihr Nachtlager war Schilf, welches sie selbst im Eurotas geholt. Der Anblick trunkener Heloten
war eine Mahnung zur Mäßigkeit, knappe Nahrung ein Antrieb zur Kriegslist, auch zum Diebstahl, soweit er zu jener gehörte. In der Leitung und Überwachung der Knaben bereiteten sich die Jünglinge zum Berufe des Befehlshabers vor, während
die Alten zusahen und durch Lob oder Tadel nachhalfen. In
der Schule lehrte man unter reichlich bemessenen Streichen ein
wenig Lesen uud Schreiben, Lykurgs Gesetze, die Gesäuqe
Homers, welche der Gesetzgeber selbst aus Asien heimgebracht, und Kriegslieder, welche aus Märschen und vor den Schlachten zum Flötenspiel gesungen wurden.
Die Schule der Lebensweisheit bot den Knaben der Umgang mit den Männern. Auch diese widmeten sich ausschließlich kriegerischen Übungen sowie der Jagd, während die Bestellung ihrer ziemlich gleich großen Landgüter den vom Staat entliehenen ^Heloten verblieb. Nur die Nacht verbrachten sie im eigenen Hause; dagegen speisten sie gemeinsam, und zwar in derselben Gesellschaft von je 15 Mann, der Syssitie, mit welcher sie in die Schlacht ziehen sollten. Zur gemeinsamen Küche Neuerte jeder monatlich seinen Anteil bei: Wein und Fleisch, Käse und Mehl. Die Hauptmahlzeit war die Schwarze Suppe,' welche sreilich nur dem mundete, der im Eurotas gebadet. Die beste Würze des Mahles fanden die Genossen in klugen treffenden Allssprüchen, die immer kurz fein mußten. Diese „lakonischen" Wechselreden dursten die Knaben mitunter anhören, aber nicht weiter erzählen: „Hier," sagte der Tischälteste ans die Thür zeigend, „geht kein Wort hinaus."
^ ©infach war auch Bau und Einrichtung des Hauses. Am ~uach durfte nur das Beil, an der Thür nur die Säge gebraucht werden. Ein Spartanerkönig fragte feinen Gastfreund in Korinth, auf die kunstvolle Arbeit feiner Zimmerdecke denkend: „Wachsen bei euch die Bäume viereckig?"
Um Üppigkeit und Verweichlichung fernzuhalten, gestattete Lykurg feiit anderes als eisernes Geld. Da hörte Diebstahl und Raub von selbst auf, aber auch Handel und Reichtum. Die Häfen uud Straßen verödeten, Künstler und Dichter mieden eilt Land, in welchem sie für ihre Werke feine Anerkennung und Belohnung fanden.
Dafür lenkten die Bürger ihren Sinn immer mehr vom häuslichen Leben ab und dem Vaterlande zu; wie die Bienen fanden sie nur im gemeinsamen Leben und Wirken ihr Behagen. Wohl waren die Reichen anfänglich aufgebracht über die Neuerung; Lykurg mußte einmal vor ihrem Zorn vom Markte fliehen, und der junge Alkandros stieß ihm ein Auge aus. Aber der Anblick feines blutüberströmten Gesichtes er-
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füllte die Bürger mit Scham, und sie lieferten ihm ben Übelthäter aus. Der große Gesetzgeber behielt ben Jüngling statt aller Strafe bei sich, unb seine Milde uitb Herzensgute verwandelten ihn bald in seinen feurigsten Anhänger.
Auch die Mädchen wurden durch Laufen und Werfen abgehärtet und durch Reigen, bei welchen sie fromme Lieder fangen, zu anmutiger Haltung gewöhnt. Die Spartanerin dachte und empfand wie ihr Gatte, wie ihre Söhne; sie war stolz, wenn einer der Ihrigen den Tod fand in ber Schlacht. Eine Mutter übergab ihrem Sohne, der auszog in den Krieg, seinen Schild mit dem lakonischen Wort: „Damit oder darauf!"
Demi für den Hopliten, den vollbewaffneten Kriegsmann mit Helm und Panzer, Beinschienen und Schild, Speer und kurzem Schwert, war die Schlacht ein Fest, dem er bekränzten Hauptes und mit frohem Gesang entgegenging. Wer entfloh oder gar den Schild wegwarf, der war entehrt für immer. Die Toten trug man auf dem Schilde heim, um sie im Schmuck bes roten Kriegermantels unb des Olivenkranzes ehrenvoll zu bestatten.
Diese Gesinnung machte Festnngsmanern unnötig. Besser als burch Backsteine, meinte Lykurg, sei Sparta durch seiner Bürger Tapferkeit geschützt.
Lykurgs Gesetze waren kurz und nicht zahlreich. Wer nicht viel Worte macht, bedarf auch nicht vieler Gesetze, sprach König Charilaos. Und Lykurg sorgte, daß seine Gesetze Bestaub hatten. Er nahm der Bürgerschaft einen Eid ab, an denselben nichts zu ändern, bevor er von Delphi zurückkomme, beste» Orakel er über ben Wert seiner Einrichtungen fragen wolle. Er kam nicht wieber; man weiß nicht, wo er gestorben. Die Freunde sollen seilte Asche ins Meer gestreut haben; die Lacedämonier blieben gebunden an ihren Eid. Jahrhunderte lang lebten sie nach Lykurgs Gesetzen; so wurden sie bie Herren bes Peloponnes, bie Kriegsfürsten aller Hellenen. Ihrer Kraft unb Kriegskunst erlag selbst bie opferfreudige Tapferkeit ihrer tneffenifchen Stammes-genofsen und ihrer Führer Aristomenes und Aristodemos.
In dem Land Elis aber riefen die Spartaner die Olympi-f chen Spiele ins Leben, feierliche Schaustellungen zur Verherrlichung des olympischen Zeus. Der Sieger im Wettlauf, dann im Pentathlon (Fünfkampf: Sprung, Wurf der Diskos-scheibe, Laufen, Ringen, Faustkampf oder Speerwurf), sowie in dem später aufkommenden Wagenrennen und in den Künsten der Musen wurden mit einem Ölzweige geschmückt. Ebenso wurden bei Korinth zu Ehren Poseidons die Jsthmischen, bei Delphi zum Ruhm Apolls die Pythischen Spiele ausgeführt; der Siegespreis
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war dort ein Fichten-, hier ein Lorbeerkranz. Zu diesem „Kamps der Wagen und Gesänge" luden eigene Behörden alle griechischen Gemeinden durch Festgesandtschasten ein. Während der Spiele waltete Waffenruhe, Gottessriedeu. Die Festbezirke füllten sich mit prangenden Tempeln und Standbildern. Nach den Olympischen Spielen, die alle vier Jahre wiederkehrten, rechnete 776 man die Jahre: mit dem Jahr 776, wo die Spiele nach' der v. si,r. frommen Sage erstmals durch Lykurg geordnet wurden, beginnt die erste „Olympiade".
3. Solon und seine Gesetzgebung.
Auch Athen verfiel schwerer Unordnung. Kriege und die Vorrechte des Adels stürzten die Bürger in Schulden und damit in die Knechtschaft harter Gläubiger. Die Unzufriedenheit wuchs noch, als Drakon die Gesetze niederschrieb, nach welchen von jeher Recht gesprochen wurde; mit „drakonischer Strenge" wurde Diebstahl von Obst oder Gemüse ebenso durch Hinrichtung gestraft wie Mord oder Tempelraub. Durch die Einführung der Volksversammlung, in welcher die vermögenderen Bürger stimmberechtigt waren, wurde er der Vorläufer Solous, welcher dreißig 594 Jahre später zum Ersten Archonten gewählt wurde mit der Ans-v. ei,r. gäbe, eine neue Verfassung zu schaffen.
Dem Hause des Kodrus entstammend, hatte Solon sich dem Handelsstande gewidmet, um die Mittel zum Wohlthun zu gewinnen und auf seinen Reisen fremde Länder zu sehen. Mit dem Blicke des Kaufmanns erkannte er die Bedeutung der Insel Salamis; im Kampf um dieses Eiland, welches vor den Häsen Athens lag, hatten die Athener von den dorischen Megarern so schwere Niederlagen erlitten, daß ein Gesetz seien Antrag, den Krieg zu erneuern, mit Todesstrafe bedrohte. Um diese Gefahr zn umgehen, ließ Solon aussprengen, er sei verrückt geworden, und trat, einen Hut auf dem Kopf unb einen Stab in der Hand wie ein Reisender, unter die zusaininenströmenbe Menge, bie ihm alsbalb zum Marktplatz folgte. Dort bestieg er beu Stein, von welchem fremde Gesandte zum Volke zn sprechen pflegten, unb trug ein Gebicht vor: als Herolb komm' ich von beut lieblichen Salamis, welches ihr so schnöbe preisgegeben beut Völklein von Megaris; auf, laßt uns biese Schmach abstoßen! — Die Mitbürger verstanden ihn. Solon selbst wurde zum Anführer gewählt für einen neuen Anschlag, unb es glückte seiner List, bie Insel zn gewinnen.
Mit erhöhtem Ansehen und mit dem Vertrauen aller Stände ging er an sein großes Werk.
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Zuerst wehrte er der dringenden Not. Er verbot, verschuldete Bürger zu Sklaven zu machen und zu verkaufen. Mancher wurde auf Staatskosten freigetauft aus fremder Knechtschaft, in welcher er die Sprache der Heimat bereits verlernt hatte. Zugleich führte der Gesetzgeber ein neues Geld ein, welches bei gleicher Geltung etwa ein Viertel weniger wert war als das alte; mit diesem neuen „Drachmen" (— 80 Pfennig) durften die Schulden bezahlt werden. Dieses wohlthätige Gesetz nannte man Seisachtheia, d.i. Last-abschüttelung. Zugleich wurden Drakons Blutgesetze aufgehoben.
Nun regelte Solon die staatsbürgerlichen (politischen) Rechte und Pflichten. Nach dem Vermögen zerfiel die Bürgerschaft in vier Klaffen, welche je mindestens 500, 300, 200 oder weniger Scheffel (Korn, Wein,Öl) einheimsten. Die„Fiinfhundertfcheffler" der ersten Klaffe hatten in Kriegszeiten ein dem Staat gehöriges Kriegsschiff (eine Triere) auf eigene Kosten auszurüsten, zu bemannen und zu leiten ; der „Ritter" der zweiten Klasse diente zu Pferde, der „Zengite" der dritten, der ein eigenes Gespann Maultiere hielt, als Schwerbewaffneter (Hoplite). Die vierte Klaffe, Theten genannt, stellte nur bei einem feindlichen Einfall leichte Truppen; sie bestand aus kleinen Bauern, Kauf- und Geschäftsleuten ohne Grundbesitz oder freigelassenen Sklaven. An der Volksversammlung, welcher alle Gesetze zur Genehmigung vorgelegt wurden, nahmen jetzt alle Bürger teil. Aber nur aus der ersten Klasse gingen anfänglich die Archonten, aus den drei ersten die anderen Behörden, aus allen vier Klassen die Richter hervor.
Den neun Archonten, welchen die Leitung der Gerichte zustand, stellte Solon einen doppelten Rat zur Seite, wie zwei Anker, an welchen das Staatsschiff in Sturm und Wogendrang sicher ruhen sollte: den Areopag, welcher, aus gewesenen Ar-chonten bestehend, auf dem Areshügel, nordwestlich des Burgfelsens, sich versammelte, um neue Gesetze zu prüfen und schwere Verbrechen zu richten; und den Rat der Vierhundert, später Fünfhundert, eilten Staatsrat, welcher unter dem Vorsitze des Ersten Archonten, wie die Gerüste in Sparta, die neuen Gesetze zu beraten hatte, ehe sie der Volksversammlung zur Erörterung und Beschlußfassung vorgelegt wurden.
Am politischen Leben sollte, wie in Sparta, jeder Bürger teilnehmen; wer zu keiner Partei hielt, sollte ehrlos sein. Ehr- -los war aber auch, wer nicht arbeitete; denn anders als in Sparta wurde Arbeit und Gewerbe geehrt. Keinem Menschen durfte seine Beschäftigung zum Vorwurf gemacht werden; ein Mann, der feinen Sohn fein Handwerk erlernen ließ, hatte keinen Anspruch, von diesem im Aller unterstützt zu werden. In Sparta wurden Fremde abgewiesen; Athen stand Einwanderern
offen, wenn sie als Metöken, Hintersassen, durch Vermögen oder Kenntnisse sich nützlich machen konnten.
So wurde Athen eine Gemerbestadt und bald auch ein Handelsplatz ersten Ranges. Der wachsende Wohlstand führte zu edler Gesittung, Solon verbot in kluger Voraussicht über-iriebenen Prunk, zumal bei Begräbnissen, er verbot aber auch, über Verstorbene anderes als Gutes zu reden.
Die solonischen Gesetze wurden ans große drehbare Holz-pyramiden eingetragen und öffentlich aufgestellt; sie wurden aus hundert Jahre angenommen und beschworen. Der Gesetzgeber selbst entzog sich der Zudringlichkeit von Verehrern und Tadlern durch eine zehnjährige Reise nach Ägypten und Asien; er wollte seinen Landsleuten Zeit gönnen, sich an die neue Ordnung zu gewöhnen.
4. Die Tyrannen. Peisistratos.
Wie in Athen vor Solon waren auch in anderen Städten die Reichen und Vornehmen im Besitz aller Macht. Allein durch Handel und Gewerbe, die sich immer weiter entwickelten, gewannen auch die anderen Stände Reichtum und Bildung und strebten
nach Gleichstellung mit dem Adel. Ehrgeizige Männer, in der Regel selbst den herrschende» Häusern angehörend, traten au die Spitz- der Unzufriedenen; sie stürzten die Macht der Vornehmen (die Aristokratie) und wurden mit der Einwilligung des Volkes
dann selber Fürsten. Diese „Tyrannen" waren meist kluge
und wohlmeinende Männer, welche ihre Stellung durch gemietete Krieger (Söldner), aber auch durch einen glänzenden Hofhalt zu behaupte,, suchten. Darum fanden Künste und Wissenschaften au ihnen eifrige Förderer.
Periandros von Korinth z. B- wurde wie Solon unter bie sieben Weisen gerechnet. Sein Freund war der gefeierte Dichter und Citherspieler Arion. Rur ungern entließ er den Künstler von seinem Hos, als dieser in den üppigen Griechen-itädten Unteritaliens durch sein Spiel und seinen Gesang Ruhm und Gold gewinnen wollte. Seine Hoffnung erfüllte sich. Zn Tarent mietete er zur Heimfahrt ein korinthisches Schiff. Lüstern nach seinen, Gelde, beschlossen die Seelente ihn zu ermorden, gestatteten ihm jedoch ans sein Flehen, in einem Lied Abschied zu nehmen vom Leben. Da hüllte er sich in den wallenden Pnrpur-Talar der Künstler und sang zur Cither seinen Schwanengesang; dann sprang er in die Flut. Aber die süßen Klänge hatten eine Schar wohllautsroher Delphine angelockt; einer nahm den Sänger auf den Rücken und trug ihn zum nahen Vorgebirge Tainaron (Malapan). Dort, am Südfuße des Tay-
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ijetoä, ließ er später ein kleines Erzdenkmal errichte», einen Mann darstellend, der aus einem Delphine ritt. König Periander aber hielt _ den Sänger in seinem Palaste verborgen, und als die Schiffer landeten und ihm ans seine Frage von betn Wohlbefinden des Freundes erzählen wollten, trat der Totgeglaubte unter sie in demselben Schmucke, in welchem sie ihn zuletzt gesehen. Sie gestanden ihre Unthat und erhielten die verdiente Strafe.
Auch Polykrates von SamoS umgab sich mit Dichtern und mit Künstlern, durch welche er der Himmelskönigin Hera den größten Tempel Griechenlands erbauen ließ.
Auch in Athen entbrannte bald nach Solons Verfassungswerk der Parteizwist von neuem. Die armen Hirten des Gebirges fanden in einem Verwandten Solons, dm • kühnen Peisistratos, einen Führer- Wegen seiner Kriegsthaten ein Liebling des Volkes, kam er eines Tages blutend auf den Markt gefahren; seilte Gegner, behauptete er, hätten ihn meuchlings überfallen. Solon durchschaute die List, konnte aber nicht hindern, daß das aufgeregte Volk dem ehrsüchtigen Herrn eine Leibwache von Keulenträgern bewilligte. Mit dieser Truppe besetzte er die Akropolis (den Burgfelsen); er war der Herr Athens. Der greise Solon legte seine Waffen vor sein Hans auf die Dtraße; nach Möglichkeit hatte er Freiheit und Verfassung verfochten; jetzt verlebte er den Abend seines Lebens in heiterer Zurückgezogenheit, lernend und dichtend, von allen hochgeehrt, auch von Pisistratus.
Ohne au Solons Staatseinrichtung etwas zn ändern, führte der Tyrann ein glänzendes Regiment. Zweimal vertrieben, wußte er durch List oder Gewalt immer wieder ans Ruder zu gelangen und durch Schonung der Besiegten seine Stellung zu befestigen. Er schmückte Stadt und Land durch prächtige Bauten und Straßen; er gründete eine große Büchersammlung, die jedermann offenstehen sollte, und .ließ durch Gelehrte seines Hofes die zerstreuten Gesänge Homers für dieselbe sammeln und ordnen. Die Kosten seiner Verwaltung deckte er durch den Zehnten vom Ertrage des Grundbesitzes.
Er starb als Herrscher Athens, dessen Betriebsamkeit und Wohlstand sich immer glänzender entfaltete. Sein Sohn Hippias v setzte mit Gerechtigkeit und Verständnis wie sein Vater die Regie-ning fort. Da ließ sich sein Bruder Hipparchos durch kleinliche Empfindlichkeit zu einem verhängnisvollen Schritte verleiten.
Alle vier Jahre feierte man in Athen ein Fest der Athena, Panathenäen genannt, weil alles, was Athener hieß, von nah und fern zusammenströmte, um an dem Festzug aus den Burgselsen zum Tempel der Athena sich zu beteiligen. Alle Feft-
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genossen erschienen bekränzt, die Jünglinge zu Pferde, die edlen Jungfrauen trugen Körbchen mit Früchte». Ein junges Mädchen wurde von Hipparch abgewiesen, weil ihr Brnder Harmodios ihn beleidigt hatte. Tiefgekränkt durch diesen Schimpf verband sich der Jüngling mit seinem Freunde Aristogeito», um noch am Feste die Tyrannen ;u vernichten. Mit Dolchen, welche sie unter den Myrtenzweigen versteckt trugen, stießen sie Hipparch nieder; Hippias rettete durch Umsicht und Entschlossenheit sich und seine Herrschaft. Aber der Verlust des Bruders verbitterte beit milden Mann; grausam strafte er bie Teilnehmer bei- Verschwörung unb behanbelte bte Bürger mit blutiger Strenge. Nach einigen Jahren verbanb sich Volk unb Abel gegen ihn; mit spartanischer Hülfe warb er nach heftigem Kampfe vertrieben. In Athen evftnnb zum erstenmal eine vollständige Volksherrschaft (Demokratie) mit gleichem Recht für alle.
Der alle Hippias aber ging nach Asien; der Perserkönig sollte Athen unterjochen imb ihn zn seinem Statthalter machen.
III. Tic Heldenzeit der Perserkriege.
1. König Kroisos unb bie jonischen Kolonien.
Bei beut Eindringen der Dorier hatten viele der achäischen Einwohner des Peloponnes in der Küstenlandschaft Achaia am Korinthischen Meerbusen oder drüben in Attika eine Zuflucht der Freiheit gesucht und gefunden. Da aber diese Gebiete nicht alle ernährten, zogen Einheimische und Zugewanderte an die reich gegliederte Westküste Kleinasiens und die ihr vorgelagerten Inseln. (selbst bte Dorier besiebelten, vorwiegenb mit Periöken, einige Lanbstriche und Inselgruppen im ©üben; aus einer ihrer totäbte, Halikarnassos, stammte „der Vater der Geschichte" Herodotos, der jedoch in jonischer Mundart geschrieben hat. Im Norden tmb auf bev Insel Lesbos ließen die Aoler sich nieder. Am bebeutenbsteu würben bie Kolonien ber Ionier in der Mitte des Küstenrandes und ans den Inseln Ehios und Samos. Unter einem Himmelsstrich, welchen Herodot als bett glücklichsten ber bamals bekannten Erbe bezeichnet, blühten ein Dntzenb ber reichsten Hanbelsstäbte, Mittelpunkte hoch entwickelter Btlbuitg tmb Sitte; wird doch hier, in Smyrna, bie Heimat bes Dichterfürsten Horn er gesucht, währenb in Milet ber weise Thales zn Hanse war; unb in Ephesos erhob sich ber
prangende Tempel der Artemis (Diana), der unter die sieben Weltwunder gezählt wurde.
Diese griechischen Gemeinden vermochten freilich ihre Unabhängigkeit gegen den König Kroifos nicht zu wahren, dessen Reich, Lydien, ostwärts bis zum Halysstrome reichte. Aber Krösus war ihnen ein wohlwollender Gebieter, denn er wußte den hellenischen Geist zu schätzen.
So empfing er den athenischen Staatsmann Solon freundlich an seinem Hofe zu Sardes. Er ließ ihn durch seine Schatzkammern führen und fragte ihn dann, ob er einen Menschen lernte, der ganz glücklich sei. Unbefangen nannte der Weise den Athener Tellos, dessen Leben im Kreise wackerer und gesunder Kinder und Enkel verflossen und in siegreicher Schlacht für sein glückliches Vaterland zu neidenswertem Ende gelangt sei. Auf Krösus' weitere Frage wies er die zweite Stufe des Glückes dem argeischen Brüderpaare Kleobis und Biton zu: in den großen Festspielen mit Preisen gekrönt, spannten sie sich selbst vor den Wagen, auf welchem ihre Mutter am Herafeste zu dem 45 Stadien (1 Stadion — 200 Meter) entfernten Tempel der Göttin fuhr. Da flehte die Frau in mütterlichem Stolze ihre Göttin an, den Jünglingen zn gewähren, was für den Menschen das Beste sei. Nach dem Abendschmause legten sich beide im Tempel nieder, um nicht mehr aufzustehen, ein Beweis, fügte Solou hinzu, daß dem Menschen der Tod besser ist als das Leben. — Der König verhehlte seinen Unmut nicht, daß sein Gast ihn selbst in seinem Purpnrgewande voll Goldes und funkelnder Edelsteine nicht glücklich nennen wollte. Da sprach Solon: „O König, bedenke, wie lang das Leben ist und wie viel des Wechsels die Tage bringen! Niemand darf glücklich heißen, ehe die Gottheit ihm auch ein gutes Ende beschert hat. Bei jedem Dinge soll man auf das Ende schauen." Ungnädig entließ ihn Krösus.
Damals begründete im Innern Asiens König Kyros das persische Weltreich. Krösus gedachte einem Angriffe dieses KriegS-mannes zuvorzukommen. Er sendete dem delphischen Orakel einen Löwen von lauterem Gold und fragte, ob er Eyrns angreifen solle. Die Antwort der Pythia klang verheißungsvoll genug: „Wenn du über deu Halys gehst, wirst du ein großes Reich zerstören."
_ Frohen Mutes zog der Lyder zu Feld. Eine blutige Schlacht jenseits des Halys blieb ohne Entscheidung. Krösus zog heim, um seine Rüstungen zn erneuern; für den Winter entließ er sein Heer. Unvermutet erschien Eyrns, sein eigener Bote, vor Sardes. In einer letzten Schlacht fochten die Lyder trotz ihrer Verweichlichung nicht ohne Nu hm, aber ohne Erfolg.
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Der Burgfelsen ward erstiegen, auf den König selbst zückte ein Perser schon^ die Waffe; da rief sein taubstummer Sohn, vor Angst und schreck plötzlich die Sprache findend: „Mensch, töte Krösus nicht!"
Krösus ward gefangen: das eigene Reich hatte er zerstört.
Die^Sage erzählt, Cyrus habe ihn zum Fenertode verurteilt. L-chon stand der Unglückliche gebunden auf dein Scheiterhaufen ; da mußte er des Mannes gedenken, bem er einst gezürnt, weil er ihn an ben Wandel alles Irdischen erinnerte. Mit jammernder Stimme rief er breimal Solons Namen. Cyrus hörte bavon und ließ ihn nach dem Sinn dieses Wortes fragen. Die Warnung des großen Hellenen traf auch sein Gemüt. Er ließ Krösus von bem brennenden Holzstoß herunterholen und machte ihn zu seinem Freunde. So hat Solon lange nach seinem Tode einen König gerettet und den anderen belehrt.
Von den Griechenstädten der Küste wurde nur bas mächtige Milet zum Bünbnis mit Persien zugelassen. Cyrus haßte die Hellenen, „bie Leute, bie mitten in ber Stabt einen Platz abstecken, auf welchem sie alle einanber bttrch Schwüre betrügen". Einige Gemeinben wanberten ans; bie Mehrzahl mußte sich nach ehrenvoller Verteibigung bem König unterwerfen.
2. Kyros ber Perse r.
Zm Osten des Persischen Meerbusens zieht sich tief hinein ins Innere bie bergerfüllte Hochebene Iran. Von bem einzigen größeren Hafen ber Küste führt heute nur eine Karawaneu-ftraße nach bem märchenberühmten Schiras, ber Hauptstadt von Farsistan. Dies ist das Stammland der Perser, die in ihrem Glauben und ihren Sitten vielfach cm unsere germanischen Vorfahren erinnern.
Als Grünber ihrer Religion bezeichneten sie bamats oder doch bald nachher Zarathustra, welchen die Griechen Zoroaster nannten. Am höchsten verehrten sie die Gottheit der Sonne, des Feuers: Ormuzd. Ihm gegenüber steht ber arglistige Fürst ber Finsternis unb Lüge: Ahriman. In bem ewigen Kampfe beiber Gewalten soll ber Mensch Orinuzb beistehen bnrch Reinhaltung seiner Seele unb bnrch Verschönerung ber Erbe. Daher lehrten bie Perser ihre Kinber neben Reiten und Schießen vor allem bie Liebe zur Wahrheit unb ben Abscheu vor betn Schulbeninacheu, weil bies zur Lüge verleite; daher liebten und ehrten sie die Natur: sie legten weite Parte an, welche sie Paradiese nannten, unb beteten zu ihren Göttern nicht in Tempeln, die von Menschenhand gemacht sind, sondern nach Ger-
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manen-Art auf den waldgekrönten Gipfel» der Berge. Und wie die alten Deutschen übten sie unbeschränkte Gastfreuudschasl, huldigten aber auch, wie sie, der Trunksucht. Und wie ihre östlichen Nachbarn, die Inder, von der Priesterkaste der Brahminen, so ließen sich die Perser von den Magiern beherrschen durch eine Menge religiöser Formeln und Bräuche. Auch sonst waren sie wie alle Morgenländer ein knechtisches Volk; Höherstehende begrüßten sie durch einen Fußfall, während die Standesgenossen sich beim Gruße küßten. Noch mehr als dieser Mangel an Selbstgefühl würde unseren Voreltern die Vielweiberei der vornehmen Perser mißfallen haben.
Die große Menge des Volkes bestand aus schlichten Hirten und Bauern, bis ihr großer Fürst Kyros (Cyrns) sie von 558 den Medern unabhängig und ganz Vorderasien ihrem Schwerte lv et,r-dienstbar machte. Die Sage erblickte in dem hochsinnigen Helden den Enkel des Mederkönigs Astyages, welcher ihn, besorgt um seinen Thron, habe aussetzen lassen. Ein Hirte, welcher den grausamen Befehl vollstrecken sollte, habe sein eigenes totgeborenes Kind ausgesetzt und den schönen fürstlichen Knabeu als seinen Sohn erzogen, welcher dann in kindlichem Königspiel sich selbst verriet durch die Äußerung königlicher Gesinnung, wie er siejpater gegen den besiegten König Krösus bethätigte.
Schwieriger als die Unterwerfung Lydiens fiel dem großen Perser die Bezwingung Babylons, der gefeiertsten Stadt des Morgenlandes, seit Ninive, das stolze Denkmal des Königs Ninns und seiner gewaltigen Gattin Semiramis, in Staub gesunken war. Herodot, welcher Babylon selbst besucht, schätzt den Umfang der Stadt auf 480 Stadien (24 Stunden); zwischen den Tnrmpaaren, welche auf der 200 Ellen (100 Meter) hohen Stadtmauer einander gegenüber standen, hätte ein Viergespann bequem durchsahreu können! Nach langer Belagerung leitete Eyrus deu Euphrat ab, der mitten durch die Stadt strömte; in dem trocken gelegten Flußbett drangen seine Perser kühn in die Riesenstadt ein, ohne sie jedoch zu zerstören.
Auf einem Feldzuge gegen die Massageteu am Kaspischen Meer, deren Königin Tomyris ihn gereizt, sand Kyros der Perser seinen Tod. Sein Grabmal erhob sich im heimischen Parke von Pasargadä, in dessen Nähe er einst die Befreiungsschlacht gegen die Meder geschlagen.
3. Kambyses in Ägypten.
Auch Kyros' Sohn Kambyses wollte ein Mehrer des Reiches sein. Durch die arabische Wüste drang er »ach Ägypten
vor; König Amasis hatte ihn beleidigt. Dessen Sohn Psaininenit wurde am Eingang des Landes, unweit der östlichen Nilmündung, bei Pelusinm entscheidend geschlagen. Das Land der Pharaonen war eine Provinz seines Reiches, Psaininenit sein Gefangener. Ohne Thränen sah der edle König seinen Sohn zum Tode führen, seine Tochter entehrenden Mägdedienst verrichten.
Auch den (Sieger traf schweres Unglück zur Strafe für seine unersättliche Ländergier. Ein Heer, welches er gegen die Oase des Zeus Ammon schickte, verschwand spurlos ans dem Wüstenmarsch; ein anderes, das er selbst nilanfwärts führte gegen die Langlebigen Äthiopen, wurde durch eine grausige Hungersnot zur Umkehr genötigt. Mit welcher Wut mußte es nun den hochmütigen Sultan erfüllen, als er bei seinem schmählichen Rückzug Ägypten in hellem Festesjubel fand! Der Apis war geboren, ein schwarzer L>tier mit einer Blässe ans der Stirn und dem Bild eines Adlers auf dem Rücken, die Schwanzhaare schwarz und weiß gemischt, unter der Zunge eilt käferähnlicher Auswuchs. Das war die Gestalt, unter welcher der Sonnengott Osiris zu Zeiten auf Erden wandelte; Osiris aber und seine Gattin Isis (bie Erde) waren die einzigen Gottheiten, welche neben einer Menge von Stadtgöttern allgemein verehrt wurden. Ihr Sohn Horos wurde nach der frommen Sage alljährlich von dem bösen Typhon erschlagen, die üppige Landschaft, wie sie Lonne und Erde hervorgebracht, vom Wüstenwinde versengt.
Darstellungen dieser Götter, alle mit Tierköpfe», bedeckten zugleich mit heiligen Zuschriften (Hieroglyphen) die Wände der riesigen Tempel in Memphis und Theben und ihrer Pylonen, der mächtigen Eingangsmaueru, welche in reichem Wimpelschmucke turmartig nach oben sich verjüngten und über dem niedrigeren Eingang die geflügelte Sonnenscheibe trugen; ebenso die viereckigen, oben zugespitzten Sonnenzeiger (Obeliske) vor den Tempelbezirken, die Wände der Felsentempel, vor deren Eingang Könige und Königinnen ihr kolossales Bild, gewöhnlich mehrmals neben einander, ans dem lebenden Felsen auszuhallen liebten.
Die großartigsten Denkmale der Könige waren ihre Grabstätten, die P v ramiden: Mauerwerke von Bergesgröße, aus quadratischer Grundfläche in vier Dreiecken zu einer Spitze ansteigend. Alt der Pyramide des Cheops bei Memphis haben 100 000 Menschen dreißig Jahre lang gearbeitet! Mußten doch die ungeheuern Bausteine im Arabischen Gebirge östlich des Nils oder oben bei Syene (Syenit!) gebrochen und auf eigens erbauten Straßen mittels Walzen ans die Schiffe und von diesen wieder an ihren Bestimmungsort befördert werden.
Alle Leichen wurden mehr oder minder sorgfältig einbalsamiert
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und in den Felsenkammern des Libyschen Gebirges beigesetzt, wo sie im Laufe der Zeit zn Mumien vertrockneten. Denn die Ägypter glaubten au Unsterblichkeit der Seele, welche nach dem Tode 3000 Jahre lang sämtliche Tierformen zu durchlaufen habe, um am Ende dieser „Seeleuwanderung" in den ursprünglichen Leib zurückzukehren. — Einbalsamiert wurden auch die heiligen Tiere: Ibis und Falk, Hund und Katze.
Bei frohem Mahle wurden Holzbilder solcher Mumien herumgezeigt mit der Mahnung: „Hieher blicke, und so sei fröhlich!" Überhaupt waren die Ägypter ein ernstes Volk. Die Eltern wurden geehrt und die Wissenschaften gepflegt, namentlich die Medizin; für alle möglichen Krankheiten gab es besondere Ärzte; weithin gesucht waren die ägyptischen Augenärzte.
Die Hauptbeschäftigung der Ägypter war der Landban. Erhing völlig vom Nil ab. Alljährlich im Sommer schwillt er mächtig an und überflutet die ausgedörrte Ebene, am stärksten das gabelförmige Müiibirngslimd (das Delta), mit seinem . schlämme den Boden befruchtend. Nur die künstlich erhöhten Städte, deren Zahl in der Zeit der höchsten Blüte auf 20000 angegeben wird, ragten über den trüben Spiegel hervor. Der sagenberühmte König Sefostris ließ durch Gefangene, welche er von feinen Eroberungskriegen in Asien und Europa heimgebracht, zahlreiche Kanäle graben, welche die Segnung des heiligen Fluises in alle Teile des Landes leiteten; König Möris baute einen ungeheuern See, in welchem das überflüssige Wasser aufbewahrt werdeu konnte für Jahre mit unzulänglicher Überschwemmung.
Auf dem Nil bestand eine blühende Schiffahrt; die Schiffer bildeten eine besondere Kaste, eine eigene erbliche Gesellschaftsklasse wie die Priester, Krieger, Hirten, Kaufleute. König Necho begann sogar vom Nil zum Roten Meer einen Kanal, welcher dann durch Kambyses' Nachfolger Darms vollendet wurde und viele Jahrhunderte im Gebrauche blieb. Derselbe Pharao soll auch phönizische Seefahrer ausgesaudt haben, welche in drei Jahren, zum ersten Mal, Afrika umsegelten.
Einige Zeit vor Necho hatten zwölf Könige geherrscht, welche am Mörissee eine gemeinsame Königsburg bauten: das Labyrinth mit zwölf Säulenhöfen und angeblich 3000 zum Teil unterirdischen Räumen. Schließlich wurde Psammetich der einzige Pharao mit Hülse jonischer Söldner; zum Dank öffnete er dem griechischen Kaufmann sein Land. Seither entwickelte sich noch eine sechste Kaste: die Dolmetscher.
Wie die Israeliten, die mehrere Jahrhunderte im Delta-laute gewohnt hatten, haben die Griechen von den Ägyptern
viel gelernt. Diese selbst aber ließen sich durch nichts irre machen an ihren Jahrtausende alten Anschauungen. Die Geburt eines Apis feierten sie mit der gleichen Begeisterung wie ihre Vorfahren; in goldenen Gesäßen reichten die Priester kniend dem heiligen Tiere seine Nahrung. Als daher der erbitterte Kambyses sich hinreißen ließ, den Apis aus den Tod zu verwunden, ersaßte gefährliche Aufregung das geduldige Volk. In diesem Augenblick wurde der König in die Heimat gerufen. Ein kecker Magier hatte sich des Thrones bemächtigt unter dem Namen des Königssohnes Smerdis, welcher der Eisersucht seines BrnderS Kambyses längst. zum Opfer gefallen war. Auf dem Heiinweg starb er an beit Folgen einer Verletzung, die er sich durch Unvorsichtigkeit beigebracht au derselben Körperstelle, au welcher er den heiligen Stier getroffen!
4. Dareios und die Skythen.
Kambvses starb kinderlos. Sein nächster Verwandter Dareios I. übernahm nach dem Sturze des Thronräubers die Regierung. Er teilte das ungeheure Reich in zwanzig Statthalterschaften (Satrapien) und bestimmte die Höhe der Abgaben an Silber und Gold, auch Goldstaub und weißen Rossen, welche jeder Latrap jährlich einzusenden hatte. Bisher waren die Kosten des Hofhaltes und der Regierung lediglich durch freiwillige Gaben bestritten worden. Die Perser im Stammlande blieben frei von allen Auslagen.
Darius strebte das Reich nach Norden auszudehnen; die Skythen, ein Nomadenvolk zwischen Donau und Don, sollten unterworfen werden. Mit einem Heere von 700 000 Mann überschritt der Großkönig den Thracischen Bosporus (die Straße von Konstantinopel) und dann die Donau auf Brücken, welche griechische Baumeister geschlagen.
Der Stammvater des Scythenvolkes entsprang der Sage nach von einem Gotte, welche» Herodot Zeus oder Herakles nennt, uud der Tochter des Flußgottes Borysthenes (Dniepr). Er hatte drei Söhne, welche allein die ungeheure Ebene des heutigen Rußland bewohnten. 'Da siel vorn Himmel ein Pflug und ein Joch, ein Beil und ein Topf, alles von Gold. In den Händen der älteren Brüder glühte dasselbe; nur der jüngste, KalaxaiS oder Skythes, tonnte es fassen. Er wurde der Stammherr der Königsskythen, welche Ackerban trieben unb eine gewisse Bildung erreichten; schon damals wurde aus den Ebenen des heutigen Rußlands Getreide ausgeführt. Die Nachkommen ber älteren Brüber blieben ein Wanbervolk, welches seine Herden und seine
Wohnungen mit sich umherschleppend für jeden Feind unerreichbar war.
Daher erging es Darms nicht viel besser als später auf demselben Boden Napoleon I.: die Scythen wichen ihm aus, nachdem sie die Vorräte zerstört, die Brunnen verschüttet. Da mag mancher Scythe den sorglich gegerbten Skalp eines Persers, den er aus dem Hinterhalt erlegt, am Zügel seines Rosses mitgeführt oder aus weiter Perserhaut sich eine Hülse um seinen Köcher, aus weichem Perserschädel einen reichvergoldeten Prunkpokal für die großen Kriegerfeste gefertigt haben.
Nach monatelangem Vormarsch verfiel das Heer der bittersten Not. Der König begriff endlich den Sinn eines Geschenkes, welches die Feinde ihm geschickt, Vogel, Maus, Frosch und Pfeil: weitn ihr nicht fliegt wie ein Vogel, euch in der Erde oder im Wasser bergt wie Maus und Frosch, so werden die Pfeile der Scythen euch die Heimkehr wehren. Da trat er den Rückzug au.
Den Fürsten, welche er in den jonischen Städten als eine Art Unterkönige eingesetzt, hatte Darins die Obhut über die Donaubrücke übertragen; wenn er nach sechzig 'Tagen nicht zurückkomme, möchten sie heimfahren. Die Frist war abgelaufen, und scythische Boten meldeten die Bedrängnis der Perser. Da riet der Tyrann des Thracischen Chersonnes Miltiades, der Sprößling eines vornehmen Athenerhauses: machen wir die Griechen Asiens frei, brechen wir die Brücke ab; das andere werden die Scythen besorgen! Daö^ Schicksal des Perserreiches stand auf dem Spiel; aber die L-tandesgenossen des großen Atheners wollten die Freiheit nicht, weil der Zusammenbruch des Großkönigs auch ihre Throne zertrümmern mußte.
Diese Selbstsucht rettete das Heer und den König. Ja erließ sogar starke^Truppenabteilungen in Europa zurück; sie sollten die Küste Thraciens unterwerfen und Magazine anlegen für den großen Feldzug gegen Griechenland, welchen er im Schilde führte.
Zu spät schritten die jonischen Städte zum Aufstand. Die herrlich ausblühende Stadt Athen sendete den Stammesgenossen zwanzig, Eretria auf der Insel Euböa fünf Dreidecker zu Hülfe. Die Zonier nahmen und verbrannten Sardes; aber bald übten Zwietracht und Verrat ihr trauriges Werk. Sie mußten zurück; «ach hartnäckiger Verteidigung ging das glänzende Milet in Flammen auf; die Einwohner wurden, soweit sie nicht gefallen waren, am fernen Tigris angesiedelt. In den Griechenstädten Asiens und am Hellespont schaltete der Perser mit Feuer und Schwert.
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Den König aber mußte ein Sklave täglich beim Mahl an die Athener erinnern. Sie vor allem sollten seine Rache fühlen.
5. Athos und Marathon.
Den eigenen Schwiegersohn stellte der Großkönig an die Spitze der stolzen Streitmacht zu Wasser und zu Laude, welche er gegen Eretria und Athen, aber auch gegen alle anderen Hellenen entsendete. Schon stand der junge Mardonios, die früheren Eroberungen benützend und ausdehnend, in Maceboniett; da zerschmetterte ein furchtbarer Sturm einige Huuberte seiner Galeere» an dem Vorgebirg Athos, welches als Ostsinger der chalkidischen Halbinsel, bis »ach Asien sichtbar, vorspringt ins Ägeische Meer; und das Landheer erlitt im Kampfe mit einem thracischen Volk empfindliche Verluste. Verwundet kehrte 492 Marbonins um; ber erste Perserzug hat Griechenland gar v- Chr. nicht erreicht.
Aber König Darius rüstete ein zweites Heer. Unter seinem Neffen ArtaphemeS, welchem ein älterer Feldherr Datis beigegeben war, fuhren 600 Kriegsschiffe, die Felsen des Athos meidend, von Samos aus quer durch den Archipel. Eretria siel durch Verrat. Die Einwohner wurden nach Asien mitgenommen; Darms siedelte sie mit derselben Milde wie die Milesier unweit seiner Hauptstadt Susa an. Sie haben noch lange festgehalten an Sprache und Sitten der Heimat.
Don Eretria führte Hippias die Perser hinüber- auf attischen Bodeu. Auf der Ebene von Marathon landeten sie am Ostabhang des Pentelikos. Athen war in der äußersten Gefahr und ganz auf die eigene Kraft angewiesen. Die Spartaner bürsten ans religiösen Grünben vor bem Vollmond nicht ausrücken. Nur aus der böotischeu Grenzstadt Plat-ää kamen 1000 Hopliten.
Begreiflich, daß bie athenischen Felbherrn unschlüssig waren. Die Hälfte wollte die Schlacht aufschieben. Aber der größte unter ihnen, Miltiades, setzte im Kriegsrat bie Schlacht bnrch. Er kannte von bem Chersonnes her bie Männer in Hosen und Turban und wußte, wie sie zu besiegen seien. An dem Tage, 490 wo er das Kommando führte, fiel die Entscheidung. In vollem
v. Chr. Laufe sahen die Barbaren die Hopliten herankommen und lachten
über ihre geringe Anzahl. Sie lachten nicht lange. Nack tapferer Gegenwehr wich die zehnfache Überzahl in „panischem Schreck" auf die Schiffe. Die Athener hatten 192 Mann verloren, die Perser 6400.
Einen Handstreich der feindlichen Flotte ans bie Hauptstadt
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vereitelte Miltiades durch raschen Rückmarsch an den Saronischen Busen. An dem Ruhmestage bei Marathon hat er Athen und damit die europäische Bildung gerettet.
6. Terxes und Leoni das.
Die Kunde von Marathon versetzte Darius in helle Wut. Jahrelang arbeitete er unausgesetzt an den Vorbereitungen zu einem neuen Zug. Da ereilte ihu der Tod. Sein Sohn und Nachfolger Xerxes setzte, von dem ehrgeizigen Mardonius aus-gestachelt, die Rüstungen fort. _ In' maßloser Herrschsucht träumte der königliche Jüngling schon von einer Unterwerfnng ganz Europas, von der Knechtung des ganzen Erdbodens. So sammelte er ein Heer, mie es die Welt noch nicht gesehen; die 480 Flüsse versiegte», ans denen es trank. Um den Athos nicht » Chr. umfahren zu müssen, ließ er durch den Hals der Athos-Halbinsel einen breiten Kanal ziehen; Magazine wurden angelegt und Brücken gebaut. Eine doppelte Schiffbrücke schlugen phöniciscke und ägyptische Bauleute über den Hellespo,tt; als der Sturm sie zerriß, gebot er die Baumeister zu enthaupte» und dem „bitteren Wasser" 300 Geißelhiebe geben.
^ Als der König, _ von Troia kommend, auf marmornem L.hron an der Meeresstraße platznahm, sah er die See weithin von seinen Schiffen, das Land von seinen Heerscharen bedeckt, sieben Lage und sieben Nächte lang marschierten sie ohne Unterbrechung, die besten Abteilungen bekränzt, über die neuerstellten Brücken; in der Mitte der König selbst ans prächtigem Wagen, der mit heiligen Schimmeln nisäischer Rasse bespannt war. 170 Myriaden (1700000 Mann) soll allein das Landheer gezählt habe». Und welch ein Vielerlei von Völkerschaften, von Trachte» und Waffen! Turban u»d Mütze wechselten mit ehernen und ledernen, hölzernen und geflochtenen Helmen, mit Pferdeköpfen und Fuchspelzen, Kaftan und Panzer mit Löwen-uud Pantherfelle», Lanze »nd Böge» mit Ke»le nnd Art, mit Schwert nnd Dolch. Nomadische Reiter waren mit Scklingen bewaffnet; indische Hunde und Wildesel-Gespaime fehlten so wenig wie arabische Kamel-Reiterei. Die Flotte bestand, die kleineren Fahrzeuge gar nicht mitgerechnet, aus mehr als 1200 Segeln, bemannt mit Phönizier», Ägyptern, asiatischen Griechen, darunter die männlich kühne Königin Artemisia von Halikarnaß. Bis zur Ankunft an der Grenze Griechenlands schmoll diese Heeres-macht durch Zuzug thracischer Abteilungen immer noch an, so da|5 sie zuletzt mit Einschluß der Dienerschaft weit über fünf Millionen Köpfe betragen haben muß. Wohl mochte frohe Zu-
OWWWWUWWS
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verficht das Herz des Königs schwellen, als er, selbst vielleicht der größte und schönste Mann seines Heeres, zu Wagen durch die Reihen snhr und dann ans einer sidonischen Prachtgaleere unter goldenem Zelte thronend seine stolze Flotte musterte! Es war eine furchtbare Heimsuchung, die sich gegen das schöne Griechenland heranwälzte. Aber die Hansen des Sultans wurden durch Peitschenhiebe zum Marsch und in die Schlacht getrieben; die Hellenen stritten für ihre Freiheit und ihre Gesetze. Und zwar waren es Sparta und besonders Athen fast allein, welche den ruhmvollen Kampf nm Hellas' Fortbestand durchfochten ; die anderen Staaten schwankten und lauerten, bis die Entscheidung fiel, oder sie schickten dem Könige Erde und Wasser als Zeichen ihrer Unterthänigkeit.
Nordgriechenland, das thessalische. Kesselland mußte preisgegeben werden; aber der Engpaß, der aus dem kleinthessalischen Lpercheios-Thal nach Hellas führte, kaum breit genug für einen Wagen und durch eine halbverfallene Mauer abgeschlossen, bot eine günstige Stellung zur Abwehr. Von den warmen Quellen, welche hier am Abhange des Öta entsprangen, hieß die Stelle Thermopylä, Warmthor. Hier erwartete der junge Spartanerkönig Leoni das mit 300 Hopliten uud 5000 Bundesgenossen den übermächtigen Feind, während in den nordeuböischen Gewässern, beim Vorgebirg Artemision, die Flotte ihm die Flanke deckte.
Terxes lachte, als er die Anzahl der Griechen erfuhr und wie sie das Haupt schmückten zur Schlacht. Kerntruppen gingen vor gegen den Paß; am Abend kamen sie zurück ohne Erfolg, mit schwerem Verlust; es waren „viele Leute, aber wenig Männer". Unter des Königs eigenen Augen griffen am folgenden Tag seine „Unsterblichen" an, eine goldstrotzende Gardetruppe von 10000 Mann, die mit Wagen und reichlicher Bedienung ins Feld rückten. Die Griechen lockten sie durch verstellte Flucht in den Engweg, um sie dann unversehens zu fassen uud in unwiderstehlichem Anprall über den Haufen zn werfen. Schon war der König in Sorgen um sein ganzes Heer; da erbot sich ein Eingeborener, Ephialtes hieß der Elende, um schnödes Geld einen halbverschollenen Fußpfad über das Gebirge zu zeigen. In einem Nachtmarsch führte er die „Unsterblichen" durch den Eichwald auf den Kamm, welchen tausend Phoker besetzt hielten; denn nach ihrem Lande Phokis mündete der Pfad. Sie wurden geworfen. Im Morgengrauen erfuhren die Hellenen durch Vorposten und Versprengte ihr Verhängnis. Angesichts des sicheren Unterganges entließ Leonidas die Bundesgenossen; nur die Thebaner hielt er zurück aus Mißtrauen, »nd die
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Thespier, die würdigen Nachbarn Platääs, teilten freiwillig das L-chicksal der Spartaner.
Um die Mittagszeit eröffneten die Perser in Front und Rücken den Ansturm aus die todesfreudige Heldenschar. In so wuchtigen Massen wurden sie vorgetrieben, daß sie einander im Getümmel zertraten oder ins Meer drückten. Grimmen Mutes fochten Spartaner und Thespier; als die Lanzen zersplitterten, schwangen sie Schwerter und Messer, ja mit Steinen und Zähnen tobten sie gegen den Feind. Da starb König Leonidaö den seligsten Mannestod; über seiner Leiche sielen zwei Brüder des Großkönigs. Auf einem Hügel im Passe drängte sich das Häuflein der ©einigen zusammen, förmlich überschattet von den Perserpfeilen, wie es einer von ihnen vor der Schlacht ausgesprochen. Mann für Mann sanken sie in ihr Blut. Mit dem Tode des letzten Griechen endete das Würgen.
Die unverwelkliche Ehre der gefallenen Helden pries ein steinerner Löwe und die schlichte Inschrift auf ihrem gemeinsamen Grabe:
Wanderer, kommst du nach Sparta, verkündige dorten, du habest Uns hier liegen gesehn, wie baS Gesetz es befahl!
20000 Tote zählten die Perser! Drum ließ König Xerxes in ohnmächtiger Rachgier, die edle Sitte seines Volkes verleugnend, Leonidas' Leiche verstümmeln und ans Kreuz schlagen. Den Thebanern aber, die während der Schlacht zu ihm übergetreten, ließ er sein Zeichen in die Haut brennen, wie man es Sklaven zu thun psiegte.
7. Themistokles und die Seeschlacht bet Salamis.
Den entscheidenden Schlag aber in dem folgenschweren Zusammenstoß hat Atheu geführt. Die wackere Gemeinde setzte in unvergeßlicher Selbstaufopferung alles an die Erhaltung des griechischen Volkes. Das Orakel weissagte die gänzliche Vernichtung der im vollen Gedeihen wachsenden Stadt; Rettung verhieß es nur hinter hölzernen Mauern. Themistokles war der Staatsmann, welcher diese Mauern geschaffen hatte, die Flotte. Freilich mußte sein Gegner, der edle, bedächtige Aristeides, durch eine Abstimmung des Volkes, ein „Scherbengericht", verbannt werden, ehe sein wohlerwogener Rat dnrchdrang. Schon war der Ausbruch des Perserkrieges in Sicht, da bewog er die Bürger, 200 Trieren zu erbauen und den Ertrag der Bergwerke des Launon-Gebirges, welchen sie sonst alljährlich unter sich verteilten, aus diesen Schutz des Landes zu verwenden.
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So wurde Themistokles der Gründer der athenischen Seemacht. Einen namhaften Teil derselben hatte er bereits am Artemision befehligt, aber das Oberkommando über die gesamte Hellenen-stoltc^der Eintracht zuliebe den Lacedämoniern überlassen. In den Tagen der Thermopylenschlacht fochten die attischen Schisse mit Stuhln und Glück wider die persische Überzahl: „Wir lassen keinen durch nach Hellas!" lautete die' Losung hier wie dort. Erst als die Trauerkunde kam vom Untergange der Helden, verstand sich Themistokles zum Rückzug.
Während nun der persische Heeresstrom durch Phokis und Böotien heranflutete, während Platää und Thespiä in Flammen ausgingen, brachten die attischen Galeeren die Einwohner Athens hinüber uach der Stadt Trotzen in Argolis und auf die Inseln Aigina und L>alamis. Mit welchen Gefühlen mögen sie ans die Feuersäulen geblickt haben, welche von ihrer geliebten L>tadt aufstiegen und von der Burg mit allen ihren Tempeln!
Die Hellenen standen am Scheidewege: schmähliche Unterwerfung oder ruhmvolle Gegenwehr, die gar wohl zum Untergänge führen konnte. Angesichts der rauchenden Trümmer Athens wollten die Peloponnesier in ihre Heimat ziehen und hinter einer Mauer Deckung suchen, die sie quer durch den Jfthmos legten. Gegen diesen selbstsüchtigen Kleinmut verfing keine Beredsamkeit, kein Hinweis auf die Bedeutung, die Hingebung Athens. Da griff Themistokles zu einem verzweifelten Mittel. In der Nacht, in welcher die Pelopouuesier abzusegeln gedachten, sendete er einen zuverlässigen Sklaven, den Hauslehrer seiner Kinder, insgeheim an Terxes mit der Meldung: er wünsche den Lieg des Königs und bitte ihn daher, die Hellenen zu umstellen, damit sie ihm nicht entweichen könnten.
Noch vor Tagesanbruch kam Aristides von Ägina, um trotz der Verbannung in der Treue gegen das Vaterland mit Themistokles zu wetteifern. Er^überraschte den Kriegsrat mit der Nachricht, man werde die Schlacht annehmen müssen, weil man von der persischen Flotte umringt sei. Jetzt blieb keine Wahl. In geschlossener Ordnung gingen die hellenischen Trieren in der schmalen Meerstraße zwischen Elensis und Salamis auf den Feind. Mut und gelenke Kraft auf beiden Seiten; Schiff rannte gegen Schiff, mit dem unterseeischen Erzschnabel eS in den Grnnd bohrend. Aber die persischen Galeeren schädigte am meisten die eigene Menge; im Eifer des Vorstoßes oder in der Hitze der Flncht Überrannte eines das andere.
Von der Höhe des attischen KüstenbergeS Aigialos beobachtete König Lerxes selbst das furchtbar schöne Schauspiel; zu seiner Seite standen Schreiber, die jede Großthat seiner Flotte
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sofort aufzeichneten. Aber was half alle Tapferkeit gegen den Todesmut der Hellenen! Unwiderstehlich trieben die attischen Trieren die Perserschiffe vor sich her, den Agineten in die Hände, welche am östlichen Ausgange der MeereSenge lauerten; und wer sich auf die kleine Insel mitten in der Wasserstraße flüchtete, fand dort Aristides mit attischen Hopliten bereit zu blutigem Empfang.
Im Perserlande folgte dem Jubel über die Einnahme und Einäscherung Athens schmerzliche Enttäuschung. Und in welchem Zustande brachte der König sein stolzes Heer zurück! Vom Gras auf dem Felde, vom Laub und Bast der Bäume hatten die Truppen sich nähren müssen, entsetzlich hatte die Ruhr unter ihnen aufgeräumt.
Ganz Griechenland aber feierte den Heldennamen des ThemistokleS und den hohen Sinn seiner heimatlosen Athener, die einem Persergesandten die Antwort gaben: „So lange noch ein Athener am Leben ist, wird es keine Verständigung geben zwischen uns und Xerxes." Ein Vorbild leuchtender Vaterlandsliebe, haben sie mit ihren alten Feinden, den Agineten, sich versöhnt und so Griechenland gerettet, ein Beweis, daß ein gesittetes Volk nimmer zn besiegen ist, wenn es nur einig handelt.
8. Platää und Mykale.
M a r d o n i u s war mit 300 000 Mann der besten Truppen zurückgeblieben, um die Knechtung Griechenlands nochmals zu versuchen. Er verbrannte abermals das kaum wieder erbaute Athen; kein Stein blieb auf dem andern. Endlich kamen die längst erwarteten Spartaner unter Paufanias' Befehl, der für seinen Vetter, den jungen Sohn des Königs Leonidas, die Vormundschaft führte. Vor deu vereinten Lacedämoniern und Athenern wichen die Perser nach Böotien zurück. Die Verbündeten überschritten den Kithäron, und am Westsaum dieses Grenzgebirges rang nochmals, von den kleinen Stämmen außer Tegea nächtlicher Weile im Stich gelassen, die Freiheitsliebe der hellenischen Großmächte in heißer Doppelschlacht bei Platää 479 gegen den Nationalfeind. Dieser leistete entschlossenen Wider- »• <%. stand, bis Mardonius, auf leuchtendem Schimmel an der Spitze von 1000 erlesenen Helden fechtend, durch die Hand eines Spartaners fiel. Das war Spartas Ehrentag; aber die Athener, von Aristides geführt, stürmten das persische Lager, in dessen goldstrotzenden Zelten eine unermeßliche Beute an Teppichen und Pokalen, an goldenen Säbeln und kostbaren Geräten den Sieger lohnte. Das schöne Perserheer war fast völlig aufgerieben.
Unter den Griechenleichen war AristodemoS, der einzige Spartaner, welcher bei Thermopylä sich dem Tod entzogen halte; hier hatte er ihn reuig gesucht, um seine Schande zu sühnen. In großem Sinne verschmähte Pausanias, an Mardonius' Leichnam die Schändung seines OheimS Leonidas zu rächen.
JMm nämlichen Tage stand eine spartanisch-athenische Flotte bei Samos im Begriff, die beim gegenüberliegenden Vorgebirg M ykale verschanzten Perser anzugreifen. Im Augenblick der Landung gewahrten die Griechen einen Heroldsstab am Ufer, und das Gerücht flog durch das Heer, Mardonius sei in Böotien vernichtet. Da war kein Halten mehr. Die feindliche Stellung ward erstiegen, die athenische Tapferkeit erschütterte die persischen Linien, und die später eingreifenden Spartaner vollendeten die Niederlage. Die Ionier im Perserlager traten ans die Seite ihrer Stammesgenossen.
Im Ringen mit dem kleinen Griechenvolk war der persische Koloß zuschanden geworden. Wohl erneuerten sich die Feld-züge noch drei Jahrzehnte lang in immer größeren Zwischenräumen; aber die Barbaren ernteten wenig Ruhm. Ohne eigentlichen Friedensschluß erlosch der Krieg wie ein ausgebranntes Feuer. Kein Perserschiff ließ sich mehr blicken in den hellenischen Gewässern. Das Perserreich reifte langsam seinem Verfall entgegen, während daS freie Griechenland, vorab Athen, sich jetzt erst zu voller Blüte entfalten sollte.
IV. Der Peloporrnesische Krieg.
1. Perikles und die Glanzzeit Athens.
Bisher hatte Sparta als Griechenlands Vormacht gegolten. Im Kampf mit Persien zeigte es sich dieser Stellung nicht immer gewachsen; durch engherzige Selbstsucht trübten seine Staatsmänner mehr als einmal den Glanz seiner Waffen. König Pausanias geriet sogar in den Verdacht, mit dem Großkönig in geheimem Einverständnisse zu stehen, und die Ephoren, eine spartanische Aufsichtsbehörde, welche immer mehr alle Gewalt au sich brachte, rief ihn vom Kommando ab. Der Tempel, in welchem er nachmals eine Freistatt suchte, ward umstellt, und der gefeierte Sieger von Platää starb den Hungertod.
Um so ungeteilter war die Bewunderung, mit welcher die Hellenen zu dem hochsinnigen Opsermnte Athens emporblickten.
Eben damals hatle die Stadt Solons beim Heere von Byzanz zwei Feldherren, an denen kein Flecken haftete: Aristides, welchen Freund und Feind den Gerechten nannte, und MiltiadeS' 'cohii Kimon, dessen Herzensgute das ganze Volk erfuhr; denn er kleidete die Armen und lud die Hungrigen an seinen Tisch; der reiche Obstsegeu seiner Gärteu war jedermann zugänglich. Beide Männer begründeten ein Bündnis Athens mit den Inseln des Archipels, Aristides vereinbarte mit denselben die Höhe ihres Beitrages zur Bnndeskasse, deren Sitz die heilige Apollon-Insel Delos sein sollte.
Athen stand an der Spitze Griechenlands. Zetzt erst entfalteten seine Bürger in Handel uud Gewerbe, in Kunst und Wissenschaft ihre reichen Kräfte. Im Mittelpunkte dieses Aufschwunges stand der große Staatsmann Perikles.
Wie Solon stammte er aus einein der angesehensten Geschlechter; sein Vater Tanthippos hatte die Athener bei Mykale befehligt. Im frühen Umgang mit Künstlern und Gelehrten eignete er sich eine würdevolle Haltung an und die Kraft, in allen Lagen seine Seelenruhe zu wahren. Zuerst zeichnete er sich im Felde aus durch Mut und Besonnenheit. In der Volksversammlung stieß^er anfänglich auf Mißtrauen, weil sich ältere Leute durch die Schönheit seiner Gestalt, seine Stimme und Vortragsweise an den Tyrannen Pisistratus erinnert fühlten. Daher redete er nur selten, aber immer ruhig und klar und ohne das lebendige Geberdenspiel, durch welches andere Redner die Aufmerksamkeit des Volkes zu fesseln suchten; niemals bestieg er die Rednerbühne, ohne im stillen die Götter anzurufen, daß kein unpassendes Wort ihm entschlüpfen möge. Und nie hatte ein Redner daS Volk beherrscht wie er, der „Olympier", der Blitz nnd Donnerkeil im Munde zu führen schien. Schmeichelei und andere Künste verschmähend, wußte er durch Belehrung auf seine Zuhörer zu wirken, aber auch kraftvoll sie zu meistern, wenn sie in Verblendung seinen hohen Gedanken widerstrebten. Den Eindruck seiner Persönlichkeit erhöhte die allgemeine Überzeugung von seiner Vaterlandsliebe und seiner Uneigennützigkeit. Rie hat er sich bereichern mögen. Zwar vermied er unnötige Ausgaben und ließ sein Vermögen durch einen Irenen Sklaven sorgsam verwalten; aber im rechten Angenblicke gab er mit vollen Händen unb hinterließ nicht mehr Vermögen, als er von seinem Vater geerbt hatte.
Ein Tyrann wollte er nicht sein; Athen blieb frei, so lang er es beriet. Es war, wie der große Geschichtschreiber Thukv-bides sagt, dem Namen nach eine Demokratie, in Wahrheit die Monarchie des besten Mannes.
Unter dem Verwände, Delos sei nicht sicher vor persischen Überfällen, verbrachte er die Bundeskasse nach Athen. Auf seinen Rat wurden die Bundesgenossen von jeder kriegerischen Hülseleistung entbunden und nur zu regelmäßigen Geldzahlungen verpflichtet. Dafür warb Athen die erforderlichen Söldner, und seine Flotte deckte den bnndesgenössischen Handel. Es war nicht mehr ein Bundesgenoß wie die anderen; es war die Hauptstadt des Bundes, dessen Glieder vor den attischen Gerichten die Entscheidung ihrer Streitigkeiten holten.
L-o blühte der Fremdenverkehr auf und belebte den Handel und das Gewerbe Athens. Jeder fand Arbeit genug? Der Hafen Peiraieus, welchen ThemistokleS angelegt, wuchs zn einer geräuschvollen Handelsstadt heran; nach "Thracien und Italien wurden Kolonien entsendet. Allenthalben erhoben sich Prachtbauten von Marmor, der auf dem nahen Pentelikos gegraben wurde; die Plätze füllten sich mit Standbildern, die Hallen mit Gemälden; die Erzeugnisse des attischen Kunstgewerbes, namentlich der Kunsttöpferei, verführten athenische Kaufleute und Schiffer in alle bekannten Länder und brachten dafür die Ernten der ganzen Erde auf den Markt der Heimatstadt.
Die Tempel und öffentlichen Gebäude, welche die Perser zerstört, ließ Perikles schöner und größer wieder ausrichten. Sein Freund Pheidias, Bildhauer und Baumeister, Maler und Erzgießer, überwachte die Arbeiten. Der jungfräulichen Stadtgöltin Athena baute man auf der Akropolis den herrlichsten aller Tempel, den Parthenon; eine Marmorhalle umgab ihn, Bildwerke in erhabener Arbeit schmückten die Giebel und die Friese der Wände; im Jnnenraum erhob sich Phidias' Meisterwerk, ein Standbild der Göttin: Gesicht, Arme und Hände von Elfenbein, das Gewand von lauterem Golde, über zwei Millionen Mark an Wert. Ein ehernes Athenabild desselben Meisters ragte neben dem Tempel empor; seine funkelnde Lanzenspitze war das Wahrzeichen Athens, welches weithin den Seefahrer grüßte. Den Ausstieg aus den Burgfelsen krönten die Propyläen, eine aus mehreren Säulenstellungen gebildete Halle. Zu musikalischen Aufführungen diente in der Stadt der Rundbau des Odeions mit seinen zahllosen Sänken und Bildwerken.
Durch den täglichen Anblick dieser Schöpfungen wollte Perikles sein Volk erziehen, es besser und edler machen. Dem gleichen Zwecke war seine Anordnung gewidmet, daß den Bürgern das Eintrittsgeld ins Theater aus der Staatskasse vergütet wurde. Denn die größte» Schauspieldichter des Altertums wirkten damals in Athen und lehrten das Volk an großen
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Vorbildern die Gottheit ehren und in edlem Mute seine Pflicht uud sein Schicksal tragen: der ernste Äschy los, der bei Marathon und bei Salamis mitgesochten, der fromme Sophokles, der als fünfzehnjähriger Knabe nach der Schlacht bei Salamis den Reigen angeführt, und der leidenschaftliche Euripides, der auf Lalamis während der Schlacht geboren sein soll.
In allen diesen Bestrebungen hatte der große Mann die Ehrenpflicht im Auge, nichts einzubüßeu von dem, was die Vorfahren errungen, sondern das Erbe zu vergrößern. Für den Bestand und die Größe Athens schrak er auch vor Kriegen nicht zurück; auch als Feldherr gewann er hohe Ehren. Neunmal hat er die Genugthuung erlebt, ein Siegeszeichen aufzustellen. Aber er legte ans diese Fügung des Glückes weniger Wert als auf seine bürgerliche Friedfertigkeit und Versöhnlichkeit; daß um seinetwillen kein Athener das Trauergewand getragen, rühmte er noch auf dem Todbett als fein schönstes Verdienst.
Dem erfahrenen Staatsmann konnte die Eifersucht nicht entgehen, mit welcher Sparta die Fortschritte Athens beobachtete-Er sah den Krieg kommen und betrieb mit größtem Eifer die Rüstungen; er vollendete die Befestigung der Stadt und ihres Hafens Piräus, die von Themistokles unb Kimon begonnen war; er vermehrte unb verstärkte bie athenische Flotte. So waren Schilb unb Schwert bereit für bie große Abrechnung.
2. Der Ansbrnch bes Krieges.
Neben Athen war Korinth bie reichste Hanbelsstabt Griechen-lanbs. Zwischen bem Korinthischen unb Saronischm Meerbusen gelegen, besaß sie au jebem einen geräumigen Hafen; zahlreiche Kolonien an ben Küsten bes Ägeischen wie des Jonischen Meeres erhöhten ben Glanz ber Jsthmnsstadt. Nur eine, die bedeutendste darunter, stand ihr längst mit Trotz gegenüber: Kerkyra (Korfu). Ein Zerwürfnis beider Dorierstäbte warf ben Funken in beit Brennstoff, bei' in Hellas aufgehäuft lag.
An ber epirvtischen Küste hatten beibe gemeinsam bie Kolonie Epibamnos gegründet. Dort waren bie herrschsüchtigen Abelsgeschlechter verjagt worden unb belagerten bie Stadt mit barbarischen Streitkräften. Der bedrängten Volks-gemeinbe gewährte Korinth bie Unterstützung, bie Eorcyra versagte. Pocheub auf ihre 120 Trieren widersetzten sich bie Kerkyräer beut Eingreifen Korinths unb schlugen eine Flotte, welche basselbe in bie epirvtischen Gewässer sanbte. Da rief Korinth bie Hülfe bes Pelopoimestschen Bundes an, welchen Sparta gegen den attischen Seehund gegrünbet, und Eorcyra
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wendete sich Beistand heischend an Athen. Nach langem Bedenken schloß Athen mit der Insel ein Bündnis zu gegenseitigem Schutze und sicherte sich dadurch die Verfügung über'die Flotte derselben, die zweitgrößte von Hellas.
Bei der Inselgruppe Sybota unweit Corcyras lieferten sich Mutter- und Tochterstadt eine grimmige Seeschlacht, die größte, die man bisher erlebt. 70 Corcyräerschiffe wurden in den Grund gebohrt; aber eine Landung der Korinther an der Küste der Insel wurde dem Vertrage gemäß von einer attischen Flottenabteilung verhindert.
Jetzt berief Sparta feine Verbündeten zur Tagsatzung. Da erschollen laute Klagen wider den Übermut und den Einfluß Athens, aber auch über seinen wachsenden Handel, welchem die anderen überall das Feld räumen mußten. Der Falkenblick des Atheners durchschaute überall die Mängel des Bestehenden, an welchem die Peloponnesier, besonders die Spartaner, zäh festhielten, und er wußte sie in raschem, selbstbewußtem Handeln auszubeuten. Während die anderen daheim saßen, zog er kühnen Mntes in die Ferne, um zu lernen und zn erwerben; Mißerfolge waren ihm nur Anregung zu erneutem Versuch. Dabei vertrat er, fleißig und unternehmend, mäßig und gebildet, mit der eigene» Sache immer auch die Ehre feiner Stadt: ein recht unbequemer Nachbar für feine Nebenbuhler.
431 Die Peloponnesische Tagsatzung beschloß den Krieg, welchen ^ Chr. Perikles entschlossen aufnahm; er glaubte des wohlverdienten Vertrauens feiner Mitbürger sicher zu sein.
Aber selbst in dieser entscheidenden Zeit regten sich die kleinen Geister, denen der große Mann im Lichte stand. Um ihm wehe zu thun, erhoben sie die Klage der Gotteslästerung gegen feinen Freund Phidias, der soeben fein wunderbarstes Werk vollendet hatte: das Riefenbild des fitzenden Zeus im Tempel zu Olympia, in goldenem Gewände, die Siegesgöttin auf der ausgestreckten Rechten. Und als der größte aller Künstler Griechenlands vor Gram und Alter im Gefängnis gestorben war, richtete sich die Bosheit der Unversöhnlichen gegen Perikles' zweite Gemahlin, die Milesierin Afpafia. Die Ehe galt nicht als vollgültig, weil Aspasia keine geborene Athenerin war; aber als eine der edelsten und gebildetsten Frauen achteten sie selbst Männer wie Sokrates. Perikles erwirkte durch eine rührende Verteidigung ein freisprechendes Urteil.
Neue Nahrung fanden die Angriffe gegen den bewährten Staatsmann durch die weisen, aber lästigen Maßregeln, welche er für die Kriegführung traf. Die Athener sollten, das offene Land den einbrechenden Feinden preisgebend, allein auf die
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wohlbefestigte Stadt sich verlassen und ihr eigentliches Herrschgebiet, das Meer. Als nun die Peloponnesier unter dem greisen Spartanerkönig Archidamos eindrangen, flüchteten die Landleute in hellen Haufen nach Athen. Von den Fesiuugsmauern aus mußten sie Aahr für Jahr unthätig zusehen, wie der Feind ihre wogenden Ährenfelder, ihre gesegneten Weinberge verwüstete, ihre wohlgepflegten Höfe verbrannte.
Und nun kam noch ein völlig unerwartetes Unheil, eine Pestartige Krankheit, die Taufende hinraffte. Auch für dieses Elend sollte Perikles verantwortlich sein. Unter nichtigem Vorwand entsetzte man ihn seines Feldherrnamtes und verurteilte ihn zu schwerer Geldstrafe. Endlich mußte der alternde Manu auch von seinen Sieben eins nach dem anderen, darunter seinen ältesten Sohn, ins Grab sinken sehen. Er trug alles standhaft und ohne Murreu. Aber als er auch seinem zweiten Sohne, seinem Liebling Paralos, den Totenkranz aus die Stirne legte, brach er laut weinend zusammen.
Wohl stellte ihn das Volk, seinen Undank bereuend, wieder an die Spitze des Staates, und das Kriegsglück lächelte seinen Unternehmungen. Aber seine Kraft war dahin. Im dritten Jahre des Krieges erlag auch er in seinem verödeten Hause der schleichenden Krankheit.
Damit war das Schicksal des Krieges und der Stadt Athen besiegelt.
3. Alkibiades der Unstern Athens.
Die gegenseitige Erbitterung prägte dem Peloponnesischen Krieg von Anfang an das Merkmal tückischer Grausamkeit aus. Noch ehe der Krieg erklärt war, überfielen einige hundert Thebauer in stürmischer Regennacht die verhaßte Nachbarstadt Platää. Aber sie wurden gesangen und Mann für Mann umgebracht; Perikles' Warnung kam zu spät. Während die Spartaner die Stadt belagerten, glückte einem Teil der Besatzung das unglaublich kühne Wagnis, inmitten eines nächtlichen Gewitters sich über die Mauer zu schleichen; die andern wurden nach hartnäckiger Gegenwehr zur Ergebung gezwungen, unter dem empörenden Schein einer Gerichtsverhandlung zum Tod verurteilt und ermordet.
Seit Perikles' Tode machten es die Athener nicht besser als die anderen. Die Stadt Mytilene auf Lesbos hatte sich aus dem Seebunde losgerissen; als sie nach langer Verteidigung die Waffen streckte, beredete der „Gerber" Kleon, dessen Wort damals am meisten galt, die Volksversammlung zu dem entsetz-
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lichen Beschluß, alle waffenfähigen Gefangenen hinrichten zu lassen. Nur mit Mühe gelang es einigen besonnenen Männern, am solgenden Tag diesen Blutbefehl umzustoßen, und mit genauer Not wurde die Galeere, welche nach der ersten Versammlung abgegangen war, von einer andern mit der Botschaft der Gnade überholt. Je mehr die Athener solchen Rednern Gehör schenkten, welche der Raub- und Rachgier der Menge huldigten, um so grausamer wurde der Krieg. Verwüstung und Massenmord waren alltäglich; die Frauen und Kinder eroberter Ortschaften füllten die Sklavenmärkte Griechenlands und Asiens.
Unter den gewissenlosen Verführern des Volkes war Alkibiades der begabteste und verderblichste. Aias sollte sein Ahnherr sein; Perikles war sein Vormund gewesen. Ganz Athen wetteiferte, den schönen und reichen Knaben zu verziehen; das gedankenlose Volk hat sich die Zuchtrute selber gebunden. Er weigerte sich das Flötenspiel zu' lernen: es verzerre das Gesicht nnd hindere Rede und Gesang, tauge also höchstens für Thebaner, welche doch nicht zu reden wüßten; nnd alsbald kam in Athen die Flöte aus der Mode. Alles beugte sich seinem Eigensinn; der Frachtfuhrmann hemmte die Pferde, damit der ans der Straße würfelnde Knabe erst seinen Wurf thun und nachzählen konnte.
Nur der weise Sokrates hielt nach Penkles' Tode den übermütigen Jüngling im Zügel. Allein schon war der Ehrgeiz mächtiger als die Liebe zur Weisheit und Tugend; im Beifall des Volkes fand Alcibiades mehr und mehr das Ziel seines Lebens. Zunächst bemühte er sich, durch tolle Streiche die Aufmerksamkeit aus sich zu lenken, dann durch die kostbarsten Pferde, die er für den Wettlauf in den Olympischen Spielen einfahren ließ; einmal liefen sieben Wagen, die sein Eigentum waren, um den Preis des Olivenkranzes. Da feierte ihn ganz Griechenland; Ephesos, Ehios, Lesbos sandten Geschenke. Nunmehr strebte er nach Ruhm und Macht, wie sie Perikles besessen. Wie ein Herr trat er aus; in schleppendem Pupurgewand erschien er aus dem Markte, sein goldener Schild zeigte den Liebesgott mit dem Blitz, andeutend, daß er der allgemeine Liebling sei. Der Lustspieldichter Aristophanes rief den Athenern zu: „Einen Löwen hättet ihr nicht großziehen sollen in der Stadt; nachdem ihr eS gethan, fügt euch seinen Launen!"
Da kamen Gesandte der sizilischen Stadt Segesta, hülse-snchend gegen die Eroberungslust der aus ihrer Insel ansässigen Dorier. Alcibiades' Ehrsucht ersah die Gelegenheit, die glanzvollste Kolonie Korinths, Syrakus, zu unterwerfen und von Sizilien aus ein großes Mittelmeerreich zu gründen. Seine Beredsamkeit vermochte die Athener zur Hülfeleistung. Als
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Admiral einer stolzen Flotte von 140 Segeln fuhr er aus dem 415 Piräus westwärts nach der schönen Insel. *. Chr.
Aber mitten ans seiner Siegesbahn holte das Staatsschiff Salaminia ihn heim, damit er sich verantworte wegen des Hermensrevels, den man ihm uud seinen leichtfertigen Freunden schuldgab; in einer Nacht waren die heiligen Hermesbilder, welche die Straßen einfaßten, fast alle verstümmelt und nmge-worsen worden. Unterwegs entwich Alcibiades in . den Peloponnes, tief gekränkt, daß seine Athener ihn zum Tode verurteilten: „Ich will ihnen zeigen, daß ich noch lebe," rief er aus. Er ging nach Sparta und erteilte dem Feinde Ratschläge znm Verderben seines eigenen Vaterlandes! Sein Werk war es, daß Flotte und Heer vor Syrakns schmachvoll untergingen und Athen an den Rand des Abgrundes geriet.
Bald jedoch tränten auch die Feinde dem wankelmütigen Manne nicht, obgleich er Schwarze Suppe aß und im kalten Strome badete wie ein geborener Spartaner. Besorgt um sein Leben, reiste er an den Hof eines Satrapen nach Kleinasien.
Im Unglück begann er seine Verblendung einzusehen und sich seiner tiefgebeugten Vaterstadt wieder zu nähern. Die attische Flotte, die ihn mit Ehren zu sich rief, führte er, seit vielen Jahren zum ersten Mal wieder, znm Sieg; in einem Feldzug unterwarf er die Plätze am Hellespont. Als er auf beutebeladener Flotte mit den Wappenbildern von 200 eroberten oder versenkten Feindesschiffen im Piräus erschien, empfing ihn sein Volk mit rauschendem Jubel und goldenen Kränzen; man hob die Kinder empor, ihnen den Retter zu zeigen.
Es waren kurze Tage des Glückes. Alcibiades konnte unmöglich alles erfüllen, was Athen von ihm erwartete. Der Oberbefehl wurde ihm abgenommen; ja er mußte erleben, daß athenische Feldherren seine kundigen Ratschläge hochmütig abwiesen. Das Unglück kam, wie er es mit tiefem Kummer voraussah. Am Ziegenfluß (Aigospotamoi) auf dem Cher- 405 sonnes wurde die Flotte von dem Spartaner 8 t) fand er vernichtet,
3000 Gefangene abgeschlachtet. Ein halbes Jahr später mußte die etndt des Perifies sich ergeben. Unter Flötenschall wurden die Festungsmauern niedergerissen, eine spartanisch gesinnte Regierung, die Dreißig Tyrannen, wüteten Jahr und Tag mit Mord und Gütereinziehung in der unglücklichen Stadt.
Für Alcibiades war es eine traurige Genugthuung, daß er jetzt die einzige Hoffnung seines Volkes war. Diese verspätete Einsicht Athens kostete ihm das Leben. Auf Anstiften der mißtrauischen Tyrannen forderte Lysander den Satrapen, bei welchem der Flüchtling weilte, zur Ermordung seines Gastes
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auf. Niemand wagte den Helden anzugreifen. Da schichtete man in der Nacht einen Holzstoß ringS um sein Haus; geweckt von der aufschlagenden Flamme, warf er in rascher Geistesgegenwart Kleidungsstücke und Teppiche über das Feuer und eilte über diese Brücke, den Dolch schwingend, ins Freie. Die Meuchelmörder entliefen; aber ihre nachgesendeten Pseile und Speere töteten den Unseligen. Wie ein gehetztes Wild endigte der Mann, dessen Leben so vielverheißend begonnen hatte.
4. Sokrates der Philosoph.
Noch thörichter und undankbarer als gegen Alcibiabes handelten die Athener gegen den weisen Sokrates, der sein ganzes Leben der Belehrung und Besserung seiner Mitbürger gewidmet hatte.
Ursprünglich wie sein Vater als Bildhauer thätig, gab eisern Gewerbe aus, um einem inneren Triebe folgend seine Bildung zu erweitern. Damals wirkten in Athen eine Anzahl Männer, welche sich selbst als die Weisen bezeichneten und daher den Namen Sophisten erhielten; einige waren auch tiefgelehrt. Die Sophisten maßten sich jedoch an/ alle Wissenschaften und Künste,^anch die Staatskuusi, lehren zu können. Dafür nahmen sie hohen Sold und verschmähten kein Mittel, um zu ihren Lehrverträgen die Jugend anzulocken, welche sie bann unter dem Schein gründlicher Aufklärung dem alten Götterglauben und den alten guten Sitten entfremdeten.
Sokrates durchschaute die Hohlheit ihres Wissens und die Gefährlichkeit ihres Treibens. Er trat ihnen daher entgegen in der- hohen Überzeugung von dem ewigen Werte der Religion und der Tugend, welche allein die rechten Grundlagen des Wissens feien. Auch er wirkte unter den Leuten; aber im Gegensatze zu den anspruchsvollen Sophisten ging er still und bedürfnislos dahin, barfuß, Sommer und Winter in demselben Gewände, ausdauernd in aller Mühsal und mäßig in allen Genüssen; denn in der Mäßigkeit sah er die Stütze aller Tugend. Diese Eigenschaften legte er auch seinen Mitbürgern ans Herz. Insbesondere leitete er sie an, bie Spnren Gottes zu erkennen in bet1 Natur wie in ber Obhut über die Menschheit und beit einzelnen Menschen. Er lehrte sie das Edle vom Niedrigen unterscheiden unb letzteres verachte», mochte es auch noch so blenbenb auftreten. Er verlangte, baß ben Frauen mehr Rücksicht unb Wertschätzung gezollt werbe als bisher; den Segen eines reinen Familienlebens hat der heidnische Weise wenigstens geahnt. Als sein heranwachsender Sohn der Mutter unehrerbietig
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begegnete, leitete er ihn durch zweckmäßige Fragen zn der Einsicht, daß Undankbarkeit ein Unrecht sei, zumal wenn sie an der Mutter begangen werde, deren Liebe uns beim Eintritt iu& Leben empfange und in unablässiger Aufopferung durch das ganze Leben, begleite.
Überhaupt suchte Sokrates bei seinen Mitbürgern das Pflichtgefühl wieder zu wecken, wie es Perikles ihnen eingepflanzt, die Liebe zum Vaterland und den Sinn für die Ehre der Stadt. Indes auch über Fragen des Alltagslebens wußte er vernünftigen Anschauungen Eingang zu schaffen, namentlich durch sein eigenes Vorbild. Wie er selbst täglich ein Bad nahm, so drang er bei seinen Freunden ans sorgsame Körperpflege; denn Gefnndheit des Leibes sei zu allen Dingen gut und notwendig, auch zum richtigen Gebrauch der Geiftesgaben. Eindringlich wußte er vor Verweichlickmug zn warnen. Als ein Bekannter über die Beschwerden einer Wanderung klagte, die er soeben gemacht, fragte Sokrates, ob er auch etwas getragen. „Nein," war die Antwort. „Da hattest du wohl einen Sklaven bei dir?" „Ja." „Ging er leer?" „O nein, er trug Teppiche und das andere Gepäck." „Und wie ist ihm der Ausflug bekommen?" „Besser als mir." So mußte der Müde das für einen freien Manu beschämende Geständnis thun, daß er weniger ausdauernd sei als ein Sklave! — Auch auf den Haushalt erstreckten sich die weisen Lehren des Sokrates. Durch sein eigenes Beispiel lehrte er die Kunst, mit wenigem zufrieden zu sein. Besonders empfahl er genaue Ordnung im Haufe; da müsse jedes Ding seinen festen Platz haben wie jede Person im Reigen, wie jeder Mann im Heere und jeder Ruderer aus dem -schiffe.
So war er thätig vom frühen Morgen bis in die späte Nacht. Auf den Straßen und Ringplätzen, in Hallen und Läden wies er die Bürger durch wohlerwogene Fragen auf die Erkenntnis des wahren Wesens der Dinge. Eines jeden Pflicht sei es, sich selbst und seine Fähigkeiten genau zu prüfen, wie es die Inschrift auf dem Tempel zu Delphi gebot: „Lerne dich selbst kennen!" Wie viel Unheil und Schande werde von einzelnen Leuten und Völkern angestiftet, wenn sie Dinge unternehmen, die sie nicht verstehen! Er selbst kannte sich genau und pflegte zu sagen, eine Gottesstimme im Innern, ein „Daimonion ", warne ihn vor jedem Schritte, der ihm nicht anstehe.
Um unter seiner Leitung die Wahrheit suchen zu lernen, schlossen sich ältere und jüngere Männer ihm an, andere zog er selbst an sich. Von keinem nahm er eine Bezahlung an; aber alle vergalten ihm mit Liebe und Hingebung. In einem Zerwürfnis mit dem kleinen Isthmusstaate Megaris, welches dem
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Peloponnesischen Kriege voranging, bedrohte Athen jeden Me-garer, den man in der <-tadt betrete, mit dem Tode. Dennoch wagte sich der jugendliche Enkleides allabendlich in Verkleidung zu Sokrates, um sich morgens wieder nach Hause zu schleichen.
selbst den jungen Alcibiades fesselte die Macht seines Gespräches und seiner Persönlichkeit; innige Liebe verband den schönen, stolzen, unermeßlich reichen Jüngling mit dem häßlichen, bescheidenen, armen Greise. In einer Schlacht aus der Chal-kidike rettete der Weise seinem Liebling das Leben, und dieser rettete seinen Meister aus einem L-chlachtfelde Böotiens.
Denn seinen militärischen Pflichten kam Sokrates gewissenhaft und mutvoll nach. Dem politischen Treiben hielt er sich fern, weil eS die Rechtschaffenheit untergrabe; wo aber sein Pflichtgefühl ihn zur Anteilnahme zwang, da trat er ohne Schen für seine Überzeugung ein. Nach dem Sturze des Alcibiades hatte Athen die Seeschlacht bei den Arginnsen, einer Inselgruppe hinter LesboS, gewonnen; aber die siegreichen Feldherren wurden ans Leben und Tod angeklagt, weil sie die Leichen der Gefallenen zur Bestattung uicht aufgefischt. Da war Sokrates der einzige, welcher den Drohungen der wütenden Volksversammlung entgegen für die Unschuldigen sich erhob. Er allein wagte- den Blutbefehlen der Dreißig den Gehorsam zu versagen. Denn er fürchtete den Tod nicht: kein Mensch wisse, ob der Tod ein Übel sei oder ein Gut; dagegen wisse er ganz genan, daß Unrechtthun ein Übel sei; in der Wahl zwischen Unrechtthun und Sterben ziehe er daher letzteres vor.
Dieser Gesinnung entsprach seine Handlungsweise, als seine Mitbürger ihn zuletzt vor Gericht luden. Denn die Sophisten, deren habsüchtiges Scheinwissen er schonungslos enthüllte, haßten ihn tödlich, andere verschrieen ihn als einen gottvergessenen Zauberer, nnd den Bürgern mochten die unerbittlichen Mahnungen und Rügen des wunderlichen Mannes vielfach lästig fallen, obgleich er die feinen Formen attischer Höflichkeit niemals verletzte. So beschuldigten ihn einige der Männer, welche nach der Vertreibung der Dreißig ans Ruder kamen, er führe neue Götter ein und verderbe die Jugend-
Sokrates verzichtete darauf, durch glänzende Beredsamkeit oder dnrch^Thränen nnd Klagen die Richter zu erweichen. In heiterster Seelenruhe, nicht ohne seinen Spott, wies er nach, wie wenig die Gegner wüßten, was er gewollt. Das delphische Orakel, so erzählte er, habe ans eine Anfrage seines Freundes Chairephon ihn für den weisesten aller Menschen erklärt. Um den Sinn dieses Orakels zu ergründen, habe er in zahlreichen Unterredungen die Staatsmänner, Dichter, Handwerker geprüft
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und herausgefunden, daß er nur in einem Punkte mehr wisse als alle anderen: „Ich weiß, daß ich nichts weiß; ihr wißt auch nichts, bildet euch aber ein, etwas zu wissen. Diese Einbildung hält euch ab, wahres Wisseu zu erwerben, und ich habe darum aus jenem Orakelspruch die heilige Verpflichtung entnommen, gleichgültig gegen alle Verkennung und Empfindlichkeit euch von diesem Vorurteil, als wüßtet ihr etwas, zu befreien und euch zum Streben nach wahrer Weisheit und Tugend aufzumuntern, wie eine Bremse ein edles, aber schwerfälliges Roß." So habe er sie zur Tugend und zum Glück hinleiten, sie „schön und gut" machen wollen; und diese Arbeit habe sein eigenes Leben so glücklich und gut gestaltet, wie es nur wenigen Menschen Geschieden sei. Er mochte gar nicht leben ohne diese Prüfung an sich und anderen.
Mit geringer Mehrheit sprachen die Geschworenen das Schuldig aus. Der Augeklagte hatte das Recht, selbst eine Strafe in Vorschlag zu bringen. Da beantragte Sokrates, ans Staatskosten im Rathause (Prytaneion) gespeist zu werden, weil er ein Wohlthäter der Stadt sei. Diese Speisung war die höchste Ehre, welche Athen erwies. Viele Richter nahmen diesen Anspruch als eine Verhöhnung aus, und so wurde nunmehr mit großer Mehrheit die Todesstrafe verhängt. Sokrates nahm das Urteil mit größter Gelassenheit hin; in einem kurzen Abschiedsworte verzieh er den Richtern, die ihn Verurteilt, und dankte denen, die ihn freigesprochen; dann gab er seiner Zuversicht Ausdruck, bald in eine andere Welt zu reisen, dort mit den Seelen der alten Helden zu verkehren und mit ihnen gemeinsam die Wahrheit zu suchen.
Am Tage der Verurteilung war das „heilige Schiff" uach Delos abgesegelt zum Apollonfeste; bis zu seiner Rückkehr durfte kein Todesurteil vollstreckt werden. So wurde die Hinrichtung dreißig Tage aufgeschoben, und Sokrates genoß in seiner Zelle den Umgang mit den ©einigen. Seiner Gattin Xanthippe sprach kr liebevoll Trost ein, und mit seinen Jüngern forschte er als „Freund der Weisheit" (Philosoph) uach Wahrheit bis zum Grabe. Klagen ließ er nicht auskommen. Als einer ausrief: «Ach, daß du so unschuldig sterben mußt," entgegnete er: „Wäre es dir lieber, wenn ich schuldig stürbe?" Die Freunde wollten ihn befreien; er lehnte dies ab. Es sei besser, er sterbe mit Unrecht, als daß die Gesetze verletzt würden, deren Befolgung er sein ganzes Leben lang, wie Lykurg, als die höchste Bürgerpflicht empfohlen habe; den Gesetzen verdanke jeder Einzelne so viel, baß er lieber einmal von ihnen Unrecht erleiden, als sie antasten seile.
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Umringt von seinen weinenden Freunden trank er in uner-399 schütterlichem Gleichmut den Schierlingsbecher. Als er den Tod v. Chr. na(je fühlte, bat er, dem Heilgott Asklepios einen Hahn zu opfern, wie es die fromme Sitte dem Genesenden vorschrieb.
Wie Jesus Christus, dessen göttlicher Lehre er in gewissem .Sinne die Bahn geebnet, hat er selbst nichts Geschriebenes hinterlassen. Aber wir lernen den hohen Mann und seinen edlen Geist kennen aus den Schriften seiner Jünger Platon und £enophmt.
5. Kyros und Tcnophon.
Lenophons Name ist mit einer der denkwürdigsten Leistungen hellenischer Unerschrockenheit und Ausdauer unvergänglich verbunden.
Der Großkönig Artaxerxes hatte seinen Bruder Kyro s aus Mißtrauen eingekerkert. Da sammelte der Gekränkte in seiner kleinasiatischen Satrapie ein Heer, um Rache zu nehmen. Auch aus Hellas strömten zahllose Söldner ihm zu. Denn die Griechen liebten den schönen Fürstensohn, der ihre Sprache und Bildung ehrte, der niemals sein Wort brach und seine Götter anflehte, ihn solange leben zu lassen, bis er im Kriege wie im Wohlthun alle Nebenbuhler überwinde. Den fleißigen Athenern gefiel seine Vorliebe für Gartenbau und Baumzucht und sein Grundsatz, sich nicht zu Tisch zu setzen, ehe er im Schweiße seines Angesichtes gearbeitet.
Jeder Zoll ein König! Und der ehrgeizige Jüngling faßte den verwegenen Gedanken, dem Bruder die Krone zu entreißen.
An der^Spitze von 10 000 Hopliten und 100000 Barbaren nebst 20 Sichelwagen zog er auf der trefflichen Königsstraße von Sardes nach Phrygien und durch die Tauruspässe in daö üppige Kilikerland, von da durch die Kilikische Pforte am West-rande des Amanus-Gebirges nach Syrien und an den Euphrat. Erst hier erfuhren die Hellenen, daß es dem Könige gelte; aber sie konnten nicht mehr zurück, wollten auch den geliebten Prinzen nicht verlassen. Den Euphrat zur Rechten ging es nunmehr durch die baumlose Heide Mesopotamiens mit ihren Wohlgerüchen, ihren zahllosen Wildeseln und Gazellen, ihren Straußen uitd Trappen, weiterhin durch kahle Steppen, wo Korn und Mehl ausging und die Söldner — mit Fleisch vorlieb nehmen mußten, bis sich Gelegenheit gab, Palmwein und Hirsebrot zu kaufen. Nirgends jedoch stieß man auf Widerstand. Das Weltreich, das bis zu den Wüsten der heißen wie der kalten Zone zu reichen schien, stand einem entschlossenen Feinde offen!
Hart vor den Mauern Babylons trat König Artaxerxes dem
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Bruder entgegen. In der Abendschlacht bei Kunaxa warfen 401 die Griechen auf dem rechten Flügel den Feind ohne Verlust ». §hr. Mück. Cyrus selbst sprengte entblößten Hauptes auf den König los; seine gepanzerte Garde ^vermochte auf ihren gewappneten Rossen ihm nicht zu folgen. Schon war Artaxerxes verwundet; da fuhr dem Empörer eine Lanze in die Stirn. Über dem Leichnam ihres geliebten Herrn starben feine Getreuen, feine Tischgenossen, eines freiwilligen Heldentodes.
Den siegreichen Griechen gewährte man eine Waffenruhe.
Aber sie standen mitten im Feindesland, ohne Reiterei, ohne Wegweiser, durch breite Ströme und unabsehbare Einöden von der Heimat getrennt. In dem Spartaner Klearchos besaßen sie zwar einen bewährten Führer von eiserner Willenskraft; aber der ehrliche Hellene wurde durch den persischen Feldhauptmaun Tisfaphernes samt seinem Stabe in eine Falle gelockt und auf Befehl des Königs enthauptet.
In der Schreckensnacht, welche diesem Trenbrnch folgte, fuhr dem jungen Xeuophon, der in Begleitung eines der verratenen Offiziere den Feldzug mitgemacht, wie ein Blitz der rettende Gedanke durch den Kopf. „Gottlob, daß die Feinde den Eid gebrochen, der uns abhielt, Lebensmittel zu nehmen, wo wir sie finden!" sprach er zu einigen vertrauten Hauptleuten, die er geweckt; „raffen wir nus auf, ehe auch wir in die Hände des Königs fallen!" In mitternächtlicher Stunde versammelten sich erst die Offiziere, dann die Söldner und wählten neue Feldherren. Teiwphon übernahm die gefährlichste und schwierigste Aufgabe, die Führung der Nachhut. „Wer leben will und die Seinen wiedersehen, der helfe siegen!" rief er den Kriegern zu, die feine schlagende Beredsamkeit mit fröhlicher Zuversicht erfüllt hatte.
Nun begann jener wunderbare Rückzug der Zehu-tausend aus dem Lande der Dattelpalmen durch die Schneeberge Armeniens ans Schwarze Meer. Xeuophoit war der Trost, die Seele des Heeres. Sein Vorbild schlichter Frömmigkeit und freudiger Hingebung scheuchte allen Kleinmut hinweg. „Wo man den Göttern Ehrfurcht zollt, in den Waffen sich übt und strenge Kriegszucht hält, wie sollte da nicht alles guter Hoffnungen voll sein!" schrieb er einmal. Er schuf eine kleine Reiterschar, um nachdrängende Feinde abzuwehren, und aus Rhodieru und Kreteru einen Schwarm Schleudern-, deren Bleikugeln selten ihren Mann fehlten. Wo es galt, in schwierigem Gelände die Ordnung ausrecht zu erhalten, den Durchgang durch einen Paß oder über eine Brücke zu erzwingen, eine Felsenfeste zu stürmen: überall war Tenophon an der entscheidenden Stelle, überall wußte er
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guten Rat und war bev evfte, ihn auszuführen; unb bev Spartaner Eheirisophos leistete ihm als Befehlshaber ber Vorhut rechtschaffen Vorspann.
So zogen sie burch bie himmelhohen Berge Kurdistans unter Beständigen Kämpfen mit ben toilben Karbuchen; in Armenien kreuzten sie in klaftertiefem Schnee bie Quellbäche des Tigris unb Euphrat. Da wollten manche, in Gefahr zu erfrieren ober zu verhungern, verzweiflungsvoll liegen bleiben; aber der nachruckenbe Athener las alle treulich auf unb brachte sie in bie teilweis unterirdischen Winterdövfev bev Avmeniev, wo allev Avt Fleisch unb „Gerftenwein" sie balb wiebev auf bie Beine bvachten. Endlich fühvte ein Eingebovenev bie Griechen über einen Berg. Da hörte man von der Vorhut hev lautes Geschrei; alles drängte nach vorn; einen Überfall vermutend, wivft sich Teuophon aufs Pfevd; als ev nähev kommt, unterscheidet er den jauchzenden Ruf: „Thalatta, Thalatta" (daöMeer)! Offiziere und Soldaten umarmten sich unter Frendenthränen, in der Ferne l'liipte dev Spiegel des Meeres! Aus zusammengetragenen Steinen schichteten die 'Söldner eine Pyramide auf, die sie» mit Häuten, Stöcken und erbeuteten Schilden behängten. Den Wegweiser entließen sie reich beschenkt. Das Meer war des Griechen Freund; bas Schlimmste war übevstanben.
Nur eilt Stamm versuchte noch, ben Durchmarsch zu wehren. „Diesen Feinb müßt ihr auffressen mit Haut uub Haav," sagte Xeuophoir ben Soldaten. Das half. Noch wenige Tage, unb bie »ackeren Zehntausend fanden in dev hellenischen Stadt Tvapeznnt die wohlverdiente Evholuug von ihvem halbjährigen Mavsch. Sie bvachten dem Rettev Zeus und den andeven Göttevn Dankopfev und feierten ein lustiges Festfpiel mit Wettlauf und Ringkampf; sogar ein Wettrennen wurde vevanftaltet.
Noch blieben dem Heev mancherlei Fehden an dev Küste des ^chwavzen Meeves und mit den thvacifchen Stämmen vovbehalteu. Aber .^euophou blieb fein zuvevlässigstev Bevatev, fein umsichtigster-Fühvev, wenn ev auch die Ehre des Obevbesehls, bescheiden wie fein Lehvev Sokrates, feinem lacedäinonifcheir Fvennde Chei-visophos zuwandte.
6. Agesilaos und bev Friede des Autalkidas.
Der Schreckensherrschaft der Dreißig machte der redliche Thrasybulos bald ein Ende. Aber nur langsam erholte sich Athen von den Wunden, welche der lange Krieg feiner Machtstellung und feinem Wohlstände geschlagen. Sparta dagegen war wieder unbestritten die Herrin der hellenische» Welt. „Alle Städte
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Griechenlands gehorchten, wenn ein lacedämonischer Mann gebot," sagt Lenophon.
An diese Vormacht wendeten sich die Jonierstädte Kleinasiens, als Tissaphernes sie hart bedrückte. Wirklich landete ein spartanisches Hilfsheer, zu welchem dann anch die Zehntausend stießen, und der hinkende König Agesilaos übernahm den Oberbefehl. So erfolgreich war seine Kriegführung, daß der treulose Tissaphernes in Ungnade siel und der Großkönig ihm den Kopf vor die Füße legen ließ.
Ein Aufstand der Städte Athen und Theben, Argos und Korinth gegen die spartanische Zwingherrschaft machte den Persern Luft. Die Lacedämouier hatten die Einfachheit der Sitten und die Unbestechlichkeit des Handelns längst abgelegt, welche Lykurg sie gelehrt; die Verwaltung ihrer Vögte war verhaßter, als es je die athenische gewesen. Von neuem flammte der Bürgerkrieg empor, und beide Parteien standen insgeheim im Solde Persiens.
In einer Schlacht gegen die Thebaner fiel Lysander. Jetzt riefen die Ephoren den König Agesilaus zurück. Aus dem Wege des Xerxes von Norden kommend, erfocht er bei Koroneia am Nordfuße des Helikon einen glänzenden Sieg. Er selbst war mit Wunden bedeckt, ein echter Spartaner von alter Schlichtheit in Kleidung und Wohnung, der mit seinen Kriegern im Kleeacker Mittagsruhe hielt und nur an Mühsal und Entbehrung mehr beanspruchte als andere Leute. Unter Flötenschall, mit Kränzen geschmückt, errichtete sein Heer ein Denkmal des Sieges (Tropaion, Trophäe), des letzten, welchen Sparta errang. Er entschied nichts. Der Athener Konon baute als persischer Admiral die Mauern seiner Vaterstadt wieder auf. Spartas Vorherrschaft war gefährdet; es suchte den Frieden mit dem König. Anch die Verbündeten waren erschöpft und nahmen den Frieden an, wie er vom Großkönig „heruntergeschickt" wurde.
Ein halbes Jahrhundert hatten die Griechen im Bruderkriege sich zerfleischt, bis ihr Erbfeind ihnen die Friedensbedin-guiigen vorschrieb!
„König Artaxerxes," so lautete die Friedensbotschaft, „hält für recht, daß die Städte in Asien ihm gehören und die übrigen Griechenstädte groß und klein unabhängig seien. Wer diesen Frieden nicht annimmt, den werde ich bekriege» mit denen, die meines Sinnes sind, zu Land und zur See, mit Schiffen nnd mit Geld."
Ohne Widerrede fügten sich die Hellenen in diesen Frieden, der nach dem spartanischen Unterhändler der Antalkidische 387 heißt. Er brachte Sparta mehr Vorteil als Ehre. Es überließ »• die Städte Kleinasiens dem Großkönig, wie es vor den Perser-
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kriegen gewesen war, und Hellas zerfiel unter dem Namen der Unabhängigkeit in eine zahllose Menge kleiner Staaten, die zu keiner gemeinsamen Unternehmung mehr verbunden werden konnten. Das Volk der Hellenen war reif zum Untergange.
V. Das makedonische Weltreich.
1. Epameinondas.
Trotz des Antalkidischen Friedens rieben die besten Kräfte sich aus im Bürgerkriege. „Weh Hellas!" klagte Agesilauö nach einer gewonnenen Schlacht, „wenn doch die heute Gefallenen noch lebten! Wie könnten wir sie brauchen, um die Barbaren insgesamt zu schlagen!"
, Das schwergereizte Theben erhob sich wider Spartas Übergewicht. In Epameinondas, dem philosophischen Sonderling, und dem reiche», lebensfrohen Pelopidas besaß die Stadt zwei Männer, wie sie selten sich zusammenfinden. Beide von gleicher Hingebung für das Vaterland beseelt, aber auch für alles Gute und Schöne, waren sie durch innige Freundschaft unlöslich verbunden seit einer Schlacht, in welcher der jugendliche Pelopidas aus sieben Wunden blutend zusammenbrach und Epa-minondas gegen den andrängenden Feind unerschütterlich die vermeinte Leiche und die Waffen seines Kriegskameraden verteidigte, bis Hülfe kam und.beide rettete.
Ein spartanischer Heerführer hatte sich durch Verrat der Burg Thebens bemächtigt, welche nach der Sage der phöniciscke Königssohn Kadmos gegründet. Die angesehensten Gegner Spartas wurdeu vertrieben, ihre Führer hingerichtet. Die Verbannten fanden eine Zuflucht in Athen, wie vor zwanzig Jahren die Opfer der Dreißig Tyrannen sie in Theben gefunden. Als zur Befreiung der Vaterstadt alles reiflich vorbereitet war, schlichen sich eines Abends zwölf Jünglinge, als Jäger verkleidet,' in Theben ein, ermordeten bei einem Gastmahl die Häupter der spartanischen Partei und zwangen die Besatzung der Kadmeia zum Abzug.
Damit begann zwischen Theben und Sparta ein langjähriger Krieg. Böotien wurde schwer verwüstet; aber Sparta büßte den letzten Nest seines Ansehens ein, und die Thebaner lernten von ihren Gegnern die Kriegführung. Mußte doch Agesilaus, als er verwundet vom Kriegsschauplatz heimkam, sich von Kallikratidas höhnen lassen ob des Schulgeldes, welches die Böoter für seinen aufgenötigten Unterricht ihm bezahlt hätten.
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Bei dem Dorfe Leuktra östlich vom Helikon bestand Epaminondas' Erfindung, die schräge Schlachtordnung, ihre Feuerprobe.^ Während sein rechter Flügel den Feind beschäftigte, stellte er auf dem linken seine Hopliten zu einer 50 Mann tiefen Heersäule auf, deren Stoße selbst spartanische Tapferkeit nicht zu widerstehen vermochte; und Pelopidas, der mit seiner „Heiligen Lchar" von 300 erlesenen Jünglingen hervorbrach, deckte die bedrohte Flanke der Angreifer. König Kleombrotos fiel; Sparta war zum ersten Mal in offener Feldschlacht geschlagen.
Sofort fielen Arkadien und Messenien ab. Die Thebaner erschienen im Eurotas-Thale; seugend und brennend zogen sie bis zum Lakonischen Meerbusen hinunter. Zum ersten Male bekamen die Spartanerinnen Feinde zu Gesicht. Nur die Geistesgegenwart des greifen Agefilaus rettete die offene Hauptstadt, und die Rüstungen Athens, welches den Waffenbruder aus der Heldenzeit der Perferkriege nicht untergehen lassen wollte, nötigte Epaminondas, den Peloponnes zu räumen.
Zwanzig Jahre nach dem Überfalle der Kadmea zog ' er nochmals über den Isthmus; nms Haar hätte er Sparta überrascht wie ein leeres Vogelnest. Die Schlacht bei Leuktra, welche der unvermählte Epaminondas feine Tochter nannte, erhielt eine Schwester bei Mautin eia in Arkadien; aber dieser Sieg kostete das Leben des Feldherrn und Staatsmannes, dessen Größe durch die schönen Tugenden der Selbstbeherrschung und des Hochsinnes, der Rechtschaffenheit und Herzensgüte verklärt würbe. Er hatte nie eine Unwahrheit gesagt sein Leben lang; wie Aristides starb er so arm als er geboren war; seine ganze Kraft hatte er seiner Vaterstabt gewibmet, bie nur burcb ihn zu Macht und Ruhm gelangte. — Dem sterbenden Helden brachte man feilten Schild und die Nachricht, daß die Schlacht gewonnen fei. Da zog der Niebesiegte getrost die Lanzenspitze ans der Brust und gab. während er verblutete, feinen Freunden den Rat, Frieden zu machen. Ohne ihn und Pelopidas, der schon vorher gefallen, konnte Theben feine große Stellung nicht behaupten.
2. Philippos und Demosthenes.
Die Schlacht bei Leuktra hatte Thebens Ansehen rasch gehoben. Wiederholt rief das nördliche Nachbarland Thessalien seinen Beistand an gegen einen ruchlosen Tyrannen. Pelopidas fiel in siegreicher Schlacht als Schirmer der Freiheit. Da schich-Aen die Thessaler auf der Walstatt rings um seine Leiche die Rüstungen erschlagener Feinbe und trauerten die Nacht hittburch
371
v. Chr.
362
Chr.
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schweigend ohne Licht und Speise; im Schmucke zahlloser Kränze und goldener Waffen bestatteten sie den edeln Toten.
Nordwärts Thessaliens, vom Olympus bis zum Strymon-flnsfe, das fruchtbare Hinterland der chalcidifchen Halbinsel 11111= fassend, wohnte das schlichte starke Banernvolk der Makedonier. Auch hier hatte Pelopidas innere Zwistigkeiten niedergeschlagen und von einem Feldzuge den Königssohn Philippos als Geisel mit heimgebracht. In Theben heranwachsend, eignete sich der kluge Knabe die Staats- und Kriegskunst des Epaminondas an; er wußte sie trefflich zu benutzen, als er durch den unerwarteten Tod seiner Brüder zwei Jahre nach der Schlacht bei Mantinea König wurde.
Zunächst säuberte er mit wuchtiger Hand Macedonien von den wilden Grenzvölkern, die eingedrungen waren, und dehnte das Land nach allen Seiten ans. Er eroberte die hellenische Handelsstadt Amphipolis an der Strymon-Mündung und gründete bei dem metallreichen Pangäon-Gebirge die Stadt Philippoi. Die dortigen Bergwerke lieferten für seine Kriege das nötige Geld, die Wälder Makedoniens das Holz für seine Kriegsflotte, welche im nördlichen Becken des Ägeischen Meeres erschien, sobald die Kolonien am Thermäischen Meerbusen (dem Golfe von Thefsalonich) das Schicksal von Amphipolis geteilt hatten.'
Schon war auch das unruhige Reitervolk der Thessaler, die Kentauren der Sage, dem unaufhaltsam um sich greifenden Reiche einverleibt. Nun sollte Hellas selbst an die Reihe kommen. Die ungeheure Gefahr erkannte nur ein Mann, der letzte große Staatsmann Athens und der größte Redner des Altertums: Demosthenes.
Sein Vater, der eine Waffenfabrik besessen, starb, als der Knabe sieben Jahre zählte. Gewissenlose Vormünder entwendeten und verschleuderten das ansehnliche Vermögen. Der kränkliche, von der Mutter ängstlich gehütete Knabe hatte eine freudlose Jugend; die Mitschüler verfolgten ihn mit Necknamen und Bosheiten. Aber in dem unscheinbaren Körper schlummerte ein Geist, der aus hohe Dinge gerichtet war.
Als er die gewaltige Verteidigungsrede eines Staatsmannes hörte, welcher des Verrates bezichtigt ward, reifte in dem Jüngling der Entschluß, als Redner und Staatsmann seinem Vaterlande zu dienen. Der teuer bezahlte Unterricht eines hervorragenden Redners sollte zur Rache an den Vormündern helfen. Doch gewann er nur einen geringen Teil seines Erbes zurück. Auch seine erste Rede in der Volksversammlung endete mit einem Mißerfolg; seine 'Sprechweise war matt und undeutlich; er konnte den Anfangsbuchstaben
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seiner Kunst nicht aussprechen und verschluckte manche Silben, zumal als das Hohngelächter der Zuhörer seine Verwirrung noch steigerte. Aber ein alter Bürger, der in seiner Beredsamkeit eine Verwandtschaft mit Perikles erkannte, sprach ihm Mut eilt, und ein Schauspieler soll ihn die Knnst richtigen Atemholens und gefälligen Vortrages gelehrt haben. Das Beste jedoch that der feste Wille und der unermüdliche Fleiß des jungen Mannes.
Nach langer Zeit trat er wieder aus die Reduerbühne, so ganz ein anderer in Haltung und Rede, daß die Athener, um seine wunderbaren Fortschritte zu erklären, sich allerhand närrische Dinge erzählten von Demosthenes' Deklamierübnngeu am brausenden Meer oder in unterirdischem Kämmerlein. Immer williger lauschte das Volk dem ernsten, tiefdurchdachten Worte des Redners, der stets das Wohl des Vaterlandes, niemals persönlichen Vorteil im Auge hatte. „Über das Leben geht die Ehre!" Diese Wahrheit legte er immer wieder seinem Volke dar; „wahrhaft nützlich kann nichts sein, was der Ehre zuwiderläuft."
Dieser herrliche Mann hat Athen geleitet in dem Kampfe gegen Philipp, in welchem es schließlich in vollen Ehren unterlag.
Vierzehn Jahre lang stand Demosthenes aus der Hochwacht gegen den falschen Macedonier; immer mehr gelang es ihm, seine Mitbürger zur höchsten Anspannung ihrer Kräfte anzuspornen^ Auf sein Drängen verjagten sie von der Insel Euböa einige ^tadttyraunen, welche in verräterischem Einverständnis mit Philipp waren, und sendeten den Städten Perinth am Mannara-Meer und Byzanz Hülfe, als sie von Philipp belagert wurden. Denn wie aus Euböa bezog Athen aus den Küstenländern deS Schwarzen Meeres und des Hellespontes seinen Bedarf an Brotkorn, soweit ihn der Felsenboden Attikas nicht selber deckte, während die Erzeugnisse seines Gewerbfleißes, besonders seine Töpferwaren, in jenen nordischen Landen bis zu den Steppen am Ural ein Absatzgebiet fanden, zn welchem Perinth nnd Bvzanz den Schlüssel bildeten.
Wo Philipps Macht versagte, mußte List und Lüge eintreten. Es sei keine Burg so fest und hoch, pflegte er zu sagen, daß nicht ein mit Gold beladener Esel hineinkäme. Auch nach Athen fand sein Gold den Weg. Eine einflußreiche Partei wirkte für ihn und setzte durch, daß er mit der Züchtigung einer Phoker-stadt beauftragt wurde, welcher man einen Tempelraub schuld-gab. Statt der verklagten Stadt besetzte der tückische König die Gebirgspässe, die nach Böotien und Attika führten.
Es war eine Abendstunde voll lähmenden Schreckens, als
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die Botschaft eintraf: „Elateia ist besetzt." Die Buden auf dem Markte wurden zusammengeworfen und angezündet; das Feuerzeichen gebot den Umwohnern schleunige Rüstung und rief sie zur Volksversammlung für den nächsten Morgen- Alle kamen. Aber so oft auch der Herold rief, niemand ergriff das Wort. In dieser peinlichen Ratlosigkeit erhob sich Demosthenes. Er hatte das alles längst kommen sehen; er kannte Philipp und den einzigen Weg ihm zu begegnen: „Versöhnt, verbündet euch mit Theben, ehe es auch hiefür zu spät ist!" Er selbst Übernahm die Gesandtschaft an die bisher feindselige etadt, und seine hinreißende Rede erfüllte mich die Thebaner mit festem Todesmute; an der Seite der Athener wollten sie leben und. sterben für das gemeinsame Vaterland.
338 Auf böotischem Boden, bei Chaironeia, erfolgte die un= »- Ehr. glückliche Ruhmesschlacht. Die Bäche flössen rot von Blut; Thebens Heilige Schar lag hingemäht Mann für Mann. Griechenlands Freiheit war verloren, aber seine Ehre strahlte so hell wie je.
Mit heldenmütiger Fassung trug das Volk von Athen sein Schicksal. Jetzt verstand es seinen viel angefeindeten Staatsmann; es erwies ihm die Auszeichnung, daß er ans die Gefallenen die Trauerrede halten durfte wie einst Perikles — die Grabrede ans das unvergleichliche Volk der Hellenen.
3. Der junge Alexander.
Zwei Jahre nach dem Siege bei Chäronea siel König 336 Philipp durch Meuchelmord. Die Zügel ergriff mit fester Hand v. «St- yein zwanzigjähriger Sohn Alexander.
Die Geburt dieses Sohnes war mit mehreren» -^iegesnach-richten zusammengefallen. In derselben Nacht steckte Herostraios aus elender Ehrsucht den berühmten Artemis-Tempel zu Ephesus in Brand, und die Weissager verkündeten, ein Licht sei ausgegangen, das ganze Morgenland zu erleuchten. Philippus ließ seinen hoffnungsvollen Kronprinzen mit einigen anderen vornehmen Knaben gemeinsam aufs beste erziehen; in eigenhändigem Schreiben bat er den Philosophen Aristoteles, Platons großen Schüler, seine Ausbildung zn vollenden. Alexander verehrte seinen Lehrer sein Leben lang; er ließ dessen thracische Heimatstadt StageiroS, als sie zerstört war, ihm zuliebe wieder aufbauen. Frühzeitig entfaltete der Knabe körperliche Kraft und Gewandtheit, wie er sie bei der Bändigung des wilden Hengstes Bnke-phalas bewies, aber auch einen weltumspannenden Ehrgeiz. „Mein Vater wird alles vorweg erobern und mir nichts übrig
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lassen," klagte er nach dem Eingang einer Siegesnachricht. Bei Chäronea gab er den Ausschlag.
Sofort nach beS Vaters Tob eilte er, sich von bett Griechen als obersten Kriegsherrn gegen den Perser ausrufen zu lassen. Nur die Lacedämonier schlossen sich aus; sie seien gewohnt, andere zu führen, nicht sich führen zu lassen, meinten sie. Zunächst jedoch galt es, die Grenzen des eigenen Lanbes zu sichern.
So zog der königliche Jüngling gegen die nordischen Barbarenstämme. In den Pässen des Balkan sammelten sich die Thraker; Wagen stauben bereit, auf bie anrütfettben Mace-bcnier niederzurasseln. Auf des Königs Weisung jedoch sprangen die Hopliten zur Seite oder legten sich truppweise glatt aus den Boden, mit ihren Schilden sich sorgfältig beckend, so daß bie Fuhrwerke unschädlich über sie hinrollten wie über eine Schildkröte. Alsbald wurde bie Paßhöhe erstürmt und bann bie Tribokker im heutigen Bulgarien unterworfen.
Auch bie breite Donau überschritt das Heer in einer Nacht. Die Hopliten in ihren Lederkollern und runden Filzhüten ordneten sich, 12 bis 16 Glieder tief, in lange, festgeschlossene Linien; die lange Stoßlanze (Sarise) gefällt, ging diese mächtige Pha-lanx durch das wallende Korn gegen die Goten vor, welche sofort bie Flucht ergriffen.
Auf bas rechte Ufer zurückkehrenb, trug der König beit Krieg in bte Berge Jllyriens. Inzwischen verleiteten unruhige Köpfe unter bem Vorgeben, der König sei gefallen, Theben zur Empörung. Blitzschnell stand Alexander vor der verblendeten Stadt. Nachdem die Frist zu freiwilliger Übergabe verstrichen, mußte er, der Ungeduld des Heeres ungern nachgebend, den Sturm anbefehlen. Entsetzlich war das Schicksal Thebens, gleichsam eine späte Vergeltung, weil es einst auf der Seite des Persers gestanden, die gefangenen Platäer abgeschlachtet und die völlige Zerstörung des von Lysanber bezwungenen Athens gefordert hatte. Auf bes Königs Anordnung bestimmten seine griechischen Verbündeten die Strafe seines Abfalles. Die Mauern und Häuser würben geschleift, bie Einwohner, soweit sie nicht beim Sturme gefallen, in bie Sklaverei verkauft. Noch feine Hellenenstadt von dieser Größe hatte so geendet. Verschont blieben nur die Kabine« unb bie Tempel, bas Hans uub die Nachkommen Pindars, welcher zur Zeit ber Perserkriege bie Siegerin den Festspielen durch seine Gesänge verherrlicht hatte.
Griechenland war zahm und mürbe. Unbesorgt konnte ber König seinen nationalen Rachezug gegen Persien antreten.
4. Vom Ltrymon bis in die Sahara.
„3L4 •• bein ^"bruch des Frühjahrs 334 verließ der junge
' König fein Reich, in welchem er Antipatros als Statthalter zurückließ. An der Spitze von 30 000 Mann zu Fuß und 5000 Reitern zog er am Nordrande des Thraciermeeres hin über Stry-mon und Hebros (Maritza). Zwischen SestoS und Abydos, wo ^"^.^erxes seine Brücken geschlagen, wurde der Hellespont zu schiff überschritten; mitten im Meeresarm opferte Alexander Poseidon und den Nereiden einen Stier und einen Weiheguß aus goldener schale. Und wie Xeixes pilgerte er nach Jlinm • er bekränzte das Grab Achills, welchen das Königshaus seinen Ahnen zuzählte wie Herakles, und pries den Helden selig, der in Homer den Herold seiner Thaten gefunden.
Mittlerweile sammelte sich hinter dem Granikos, der zum Marmara-Meere fließt, ein Heer persischer Reiter und griechischer Söldner. Vergebens warnten die Getreuen den König • weithin kenntlich an der glänzenden Rüstung, stürzte sich der Held, seinen Reitern nach, in das „Wässerlein" und erklomm nach hitzigem Handgemenge das Felsenufer. Einen Schwiegersohn des Königs Dareios III., Mithridates, der seinem Reiterkeil unerschrocken voranssprengte, tötete er selbst durch einen Lanzenstich ins Gesicht; über seinem eigenen Haupte schwang ein persischer Großer schon den Säbel, als ihm der wackere Kleitos den Arm samt der Schulter weghieb. Da, wo der König focht, wich der Feind zuerst, und bald war alles in regelloser Flucht. Die erste Schlacht war gewonnen; der persische Feldherr gab sich aus Scham den Tod.
Am anderen Tag begrub Alexander, wie er es fortan immer that, seine Toten im Schmuck ihrer Waffen; ihren Eltern und Kindern verlieh er Steuerfreiheit. Die Verwundeten besuchte er und sprach ihnen Trost ein. Auch die gefallenen Feinde bestattete er mit Ehren. Die gefangenen. Hellenen schickte er gefesselt nach Macedonien zur Zwangsarbeit, weil sie für die Barbaren gegen Hellenen gefochten.
Auf betn Weitennarsch an der Meeresküste hinunter leistete nur Halikarnaß entschlossenen Widerstand; Alexander zerstörte es, übte jedoch Milde gegen die Einwohner wie überall. Die jungvermählten Offiziere und Soldaten durften den Winter in der Heimat verleben, ^ie holten ihn dann ein im Herzen Kleinasiens, auf dem Wege nach der phrygischen Stadt Gordion. Dort stand in der Königsburg der altertümliche Gordios-Wagen, der einer Weissagung gemäß den hadernden Phrygern einst einen
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König gebracht, den Streit zu schlichten: Midas, den Sohn des Bauers Gordioö. An das Gefährte des königlichen Friedensstifters knüpfte sich das Orakel, wer dessen verschlungene Baststricke löse, werde König von Asien. Da durchhieb Alexander den „gordischen Knoten" mit dem Schwerte.
Dieselbe Straße, auf welcher vor siebzig Jahren Cyrus gen Babylon zog, führte das Heer eilig über den Taurus nach Ci-licien. Heiß vom Marsche, stürzte sich der König unweit Tarsus in den klaren kalten Cydnnsfluß; Plötzlich sank er unter, bewußtlos wurde er herausgetragen. Angst und Jammer erfüllte das Heer. Der Arzt Philippus aber erbot sich, in wenig Tagen die Genesung zu bewirke». Alexander vertraute ihm und trank seine Mischung, während er ihm ein Schreiben seines getreuen Parmenion überreichte, welches vor demselben warnte. Der Arzt bestand glänzend; nach wenigen Tagen trat Alexander wieder vor seine jubelnden Truppen. Es war die höchste Zeit!
Denn mit gewaltigen Heeresmassen näherte sich König Dareios III. der Syrischen Pforte. Bei Jssus, im Winkel zwischen Kleinasien und Syrien, zwischen Gebirg und Meer griff ihn Alexander an. Mit seinem rechten Flügel schlug er den Feind; seine Thessaler zersprengten die überlegene persische Reiterei. Noch war die Phalanx nicht im Feuer, welche durch ihren wuchtigen Stoß den Ausschlag geben sollte, wie jene Heersäule in Epaminondas' Schlachten; da entfloh Darms, seinen Wagen zurücklassend samt Purpurmantel, Bogen und Schild. In seinem Zelte fand man seine Mutter und Gemahlin, zwei Töchter und einen unerwachsenen Sohn. Alexander ließ die Frauen über das Schicksal des Großkönigs beruhige»; am nächsten Tage soll erste selbst besucht haben. Die greise Königin warf sich vor seinem Begleiter nieder, dem hochgewachsenen Hephästion, den sie für den König hielt; als sie wegen dieses Versehens sich entschuldigen wollte, tröstete sie der König: „Du hast nicht geirrt," sprach er, „auch er ist Alexander." Der bewährte Freund seiner Jugend war sein zweites Ich.
Bereitwillig öffneten die Küstenstädte Syriens und Phöniciers ihre Thore. Neu-Tyrus aber auf seiner schroffen Klippeninsel wollte dem Sieger wehren, dem Stadtgotte Herakles in seinem Tempel zu opfern. Da ließ er aus L>tein und Holz einen Datum aufschütten quer durch den Meeresarm und ihn der Festungsmauer gegenüber durch zwei Türme krönen; auf diesen standen, durch aufgehängte Häute vor den lyrischen Galeeren und Feuerpfeilen gedeckt, die Geschütze, welche Steine und Balken schlenderten auf die feindliche Stadt und Flotte. In einer Sturmnacht aber füllten die Belagerten ein Schiff mit Schwefel,
333 v. Chr.
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Pech und Reisig, führten diesen „Brander" leise bis an den Damni und zündeten ihn an; rasch ergriff die Flamme vor den Augen der Belagerer Damm, Türme und Maschinen. Alsbald baute der König unverdrossen einen neuen Damm, zu welchem der ferne Libanon seine Gedern beisteuern mußte; er selbst holte von toidon Schiffe herbei, denen immer mehr phönicische und griechische Segel sich anschlossen, je weiter die Kunde von der Schlacht bei Zssus drang. Diese neugeschaffene Flotte führte er gegen^ bie hartnäckige Stadt; von ihrem Verdeck wie von den neuen Türmen aus siel ein Hagel von Geschossen auf bie Stadtmauer. Als feinbliche Schiffe unb Taucher bie Ankertaue durchschnitten, wurden sie aus Eisen erneuert. Ein Versuch der lyrischen Fünf-, Vier- unb Dreibecker, den ehernen Ring der Einschließung zu durchbrechen, scheiterte an Alexanders Wachsamkeit. Dennoch kostete es noch große Mühe, bis die 150 Fuß hohe, festgefügte Mauer auch nur an einer Stelle den Stößen des „Widders' nachgab. Sobalb bies geschah, wurden Brücken und Leitern angelegt; Alexander selbst war einer der ersten, welche die Lücke erstiegen. Gleichzeitig liefen feine Schisse in den nördlichen und südlichen Hasen ein. Unter den Tyriern, welche ben Ruhm ihrer Verteidigung burch Grausamkeiten getrübt hatten, wütete, lmgebänbigt bas Schwert bes Siegers. 30 000 Menschen wnnberten auf ben Sklavenmarkt.
. Ägypten unterwarf sich ohne Schwertstreich. Alexanber opferte dem Apis unb grünbete westlich ber Nilgabel Alexandrien. Die 'Stadt wurde an Tprns' Stelle der herrschende Handelsplatz des Ostens und eine der gesegnetsten Pslegestätten hellenischen Geistes. Von dort zog der König in die Wüste zur Oase^des Zeus Ammon, einem lachenden Fleckchen Erde mitten nn oaitbmeer, mit üppigen Oliven und Dattelpalmen um einen Wunderquell, dessen Wasser mittags kalt und um Mitternacht heiß war. Zwei sprechende Schlangen oder zwei Raben sollen ihm den vom Wüstenwinde (Samum) verwehten Pfad gezeigt, bas Orakel ihn als einen Sohn bes Zeus begrüßt haben.
Eine Siegesbahn ohnegleichen lag hinter bem vienind-zwanzigjährigen Jüngling. Vom heimischen Strymon bis zur Sahara hatte er beit ganzen Saum bes östlichen Mittelmeeres umschritten und erworben. Persien war vom Westmeere völlig abgeschnitten; seine Flotte ergab sich freiwillig bem maeebonischen Heldenkönig, der sich nunmehr anschickte, dem Perserreich den Gnadenstoß zn versehen.
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5. Das Ende des Perserreiches.
Hülflos hatte Darms III. dem Siegeszug Alexanders zugesehen. Briese, in welchen er für die Freilassung seiner Angehörigen große Summen, zuletzt sogar alles Laud vom Euphrat bis zum Meer anbot, fanden eine stolze Ablehnung. Zugleich erfuhr jedoch der Großkönig, wie gütig und rücksichtsvoll der Grieche die königlichen Frauen behandle, und mit erhobenen Händen flehte er zu seinem Gotte, wenn er selbst nicht König über Asien bleiben solle, diese Herrschaft niemand anders als Alexander zu verleihen. Das Königsgebet ging rasch in Erfüllung.
Mit 7000 Reitern und 40000 Mann zu Fuß kam der Eroberer von Ägypten herauf. Ungehemmt ging er über Euphrat und Tigris. Der Großkönig erwartete ihn mit 40 000 Reitern und einer Million zu Fuß nebst 200 Sichelwagen und 15 Elefanten. Einen nächtlichen Überfall, welchen Parmenion empfahl, verschmähte Alexander: er wolle den Sieg nicht stehlen. In der weiten Ebene bei dem Dorfe Gangamela ordnete er sein Heer in zwei Treffen, zum Angriff und zur Abwehr, falls der Feind eine Umgehung versuche. An der Spitze seines rechten Flügels schlug er selbst nach mörderischem Kampfe den Gegner in die Flucht und hieb alsdann den bedrängten linken Flügel unter Parmenion heraus. Er hatte schwere Verluste; von seiner Gardereiterei war die Hälfte tot oder verwundet. Dafür war er der Herr Asiens.
Sofort ergaben sich die Hauptstädte Babylon und Susa, wo man unermeßliche Beute sand; ebenso Persien und Medien. Der unglückliche Darms flüchtete sich nach Baktrien am Kaspischen Meer; der baktrische Statthalter Bessos, der selbst König werden wollte, nahm ihn gefangen. Tag und Nacht setzte Alexander den Empörern nach; als er sie eben einholte, erschlugen sie ihren Gefangenen und entwichen. Mit tiefer Bewegung stand Alexander vor dem Wagen mit der Königsleiche. Er ließ den Unglücklichen in der Gruft seiner Ahnen beisetzen in der persischen Heimat und den Kindern eine königliche Erziehung geben; die Großen, die ihrem König treu geblieben, hielt auch er in hohen Ehren.
Östlich des Elbnrs-Gebirges erreichte er die uralte Handelsstraße, welche von Indien über den Kaspi-See nach Kolchis ging. Ihr eine Strecke folgend, unterwarf er die Völker wie im Flug; er gelangte bis ins fernste Afghanistan und über die schneebedeckten Pässe des Hindu-Kusch nach Turan. Auf strohgefüllten Ledersäcken fuhr er über den mächtigen Oxns (Amu). Dort
endlich gelang es dem vorausgesendeten Ptolemäns, mit seinen Reitern Bessns einzufangen. Auf Alexanders Weisung wurde der Königsmörder mit einem Halseisen gefesselt an den Weg gestellt; Alexander ritt an ihn heran, um ihm sein Verbrechen vorzuhalten, ließ ihn dann auspeitschen uud zur Hinrichtung nach Baktra bringen.
Über den Hindu-Kusch zurückkehrend, zog der König am Kabul-Fluß hinunter an den Indus. Er stand im Wunderlande Indien, in welches einst Bacchus gekommen war, die Weinrebe und den Epheu zu verbreiten; dort, so erzählten die Griechen, hüteten Greife das Gold, welches Ameisen zusammengetragen. Von den Fürsten des Landes schloß sich ein Teil dem König freiwillig an; aber die Furten des Hydaspes, der zum Indus strömt, hütete Porus mit zahlreichem Heer. Es kostete Mühe, ihn zu überlisten und an unbewachter Stelle den Fluß zu überschreiten. Zu spät eilte des Nabobs junger Sohn herbei; er verwundete den König und tötete sein Leibroß Bukephalas; aber er selbst siel, sein Heer wurde geworfen; und als sein Vater heranzog, vor der ganzen Front seine 300 Elefanten verteilend, um die macedonischen Pferde scheu zu machen, faßte ihn Alexander in beiden Flanken, und reitende Schützen trieben die Elefanten auf die eigenen Leute. Am Abend war das ganze schöne Heer zersprengt, zwei Söhne des Fürsten lagen unter den Tausenden von Toten, Porus selbst, der auf einem Elefanten bis zuletzt sich unerschrocken gewehrt, war verwundet und gefangen. Voller Hochachtung ritt ihm Alexander entgegen; er begrüßte ihn mit der Frage, ob er etwas wünsche. „Königliche Behandlung," erwiderte der Inder. „Gewiß," versicherte der König, „die sollst du genießen schon um meinetwillen; aber was weiter?" „Das Wort sagt alles." Alexander bewunderte den hohen Sinn, die Schönheit und Körpergröße des Besiegten, wie die Macedonier die Wucht seines Panzers. Er gab ihm sein Reich zurück und andere Länder dazu, und Porus rechtfertigte Alexanders Vertrauen „königlich".
Der Indus erhält in jener Gegend vier wasserreiche Zuflüsse, alle vom Himalaya niederrauschend durch üppige Thäler, in denen man zweimal des Jahres erntet: erst Reis, 'Mais und Hirse, im Winter unsere Getreidearten. Hier begannen die Wohnsitze der Hindus, schöner Menschen kaukasischer Rasse, toie verehren ihren Gott in dreifacher Gestalt: als Brahma ist er der Schöpfer der Gesetze, des Ackerbaues, der Bildung; als Wischn», der grüne oder blaue Gott-Erhalter, bedeutet er die Sonne in der befruchtenden Regenzeit, wenn die tropischen Sommer-Monsnne von Westen her die Wolken bringen; endlich
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als Siwah ist er der weiße Gott der Zerstörung, die Sonne in der Glühhitze des Maies. In phantastischen „Pagoden" (Türmen) und ungeheuern Felsentempeln wurde diese Dreieinigkeit angebetet. Während jedoch die Brahminen-Priester die Menschen in fünf streng gesonderte Kasten gliedern, lehrte der Königssohn B ud d h a, alle Menschen seien gleich und die höchste Seligkeit sei Nirwana, das Aufgehen ins Nichts; daher suchen zahlreiche Buddhisten mitten in der Herrlichkeit der Natur den Tod in dem heiligen Strome Ganges oder unter den breiten Rädern des Götterwagens von Dschagarnath am Bengalischen Meerbusen.
Das „Fünfstromland" (Pendschab) mit seinen Banianen und Mangobäumen genügte Alexander noch nicht. Sein Sinn stand nach dem Gangesgebiet und dem Ostmeer; von dort gedachte er westwärts zu fahren bis zu den „Säulen des Herakles"; wie Asien sollte auch Afrika ihm Unterthan werden. Aber das erschöpfte Heer weigerte sich weiterzuziehen. Vergebens bot der König drei Tage nacheinander seine ganze Beredsamkeit ^aus; er mußte umkehre». Mit Freudenthränen und heißen Segenswünschen begrüßten die abgehetzten Krieger den Entschluß ihres geliebten Führers. Bereitwillig errichteten sie zwölf turmhohe Altäre, die er als sein Denkmal und zum Danke gegen die Götter ain Endpunkte seiner Thaten hinterlassen wollte.
Der Rückweg sollte zu weiterer Erforschung von Land und Meer benutzt werden. Zunächst galt es deni Indus. War er der Oberlauf des Nils, wie Alexander wegen der Krokodile vermutete, oder floß er in den Okeanos? Tausende vou Fahrzeugen wurden erbaut; Nearchos als Admiral dieser Flotte fuhr in bester Ordnung, mit taktfestem Ruderschlag die Ströme herunter, und die Eingeborenen eilten in Scharen herbei, die unerhörte Fahrt mir ihren Liedern nnd Reigen zu begleiten. Nach mancherlei Kämpfen und Gefahren erreichten die Schiffe und das am Ufer hinziehende Heer den Indischen Ozean, dessen mächtige Ebbe nnd Flut großen Schrecken verursachte. Alexander opferte Poseidon einen Stier, eine Schale und Krüge von Gold, damit er seine Flotte unversehrt durch den Persischen Meerbusen heimbringe. Dann fuhr er auch den östlichen Arm der Indus-gabel forschend hinunter.
Er selbst wollte für Nearch Hafenplätze, Brunnen und Lebensrnittel an der Küste ausmitteln. Darum zog er zu Lande durch die Wüste Gedrosieu im heutigen Balntschistan. Anfangs ergötzten sich die Krieger an einer Riesenart von Bärenklau, an welcher die Häslein hangen blieben, und die phönizischen Händler, welche dem Heere folgten, sammelten Gummiharz, das von den Myrten niederrann. Aber bald hörte aller Pflanzenwuchs aus.
Monatelang zog das Heer, meist in Nachtmärschen, durch den tiefen, heißen Sand. Viele erlagen der Ermattung, dem Durfte; zuletzt verloren die Wegweiser die Richtung. Da sprengte der König mit geringern 'Gefolge zur Linken voraus. Nach mühevollem Ritte erblickte man in der Ferne das Meer, um es nun nicht mehr aus den Augen zu lassen.
Endlich gelangte Alexander in das fruchtbarere Karmanien. Andere Heeresteile stießen zu ihm; Nearch brachte die Kunde, daß seine Umfahrt geglückt. Der König begab sich nach Pafargadä, um König Cyrus' Grabstätte zu besuchen und herzustellen, des Grüuders des großen Reiches, dessen Grenzen er unmittelbar nach der Eroberung umzogen und erweitert hatte.
6, Der Herr der Welt.
Das arme Hirtenvolk der Macedonier hatte unter König Philipp die Wilds chm- mit Leibrock und Mantel vertauscht und war von seinen rauhen Bergen herabgestiegen in die fruchtbaren Niederungen am Axios (Wardar) und Haliakmon (Wistritza). Es hatte die Griechen am Meer, die es bisher ausgebeutet hatten, die barbarischen Nachbarn, vor deren Raubeinfällen es gezittert, nacheinander unterworfen; die militärische Oberleitung und damit die Herrschaft Griechenlands lag in der Hand seines Königs.
Nun hatte Alexander das Perserreich zerschmettert. Aber er begann auch sofort auf den Trümmern ein neues Reich aufzurichten. Das üppige Morgenland wollte er mit dem Griechentum, dessen Geist auch seine Macedonier erfüllte, zu einer neuen Welt verschmelzen. Aus seinen Märschen wie durch seine Flotte suchte er gründliche Kenntnis der eroberten Länder zu erlangen. Seinen Weg bezeichneten als Mittelpunkte der Bildung und des neugeweckten Verkehrs eine Reihe von Städtegrüudungen, welche zum guten Teil lange bestanden, mit Häfen und Schiffswerften.
Er wollte nicht nur ein König der Macedonier, sondern auch der Perser sein. Darum strafte er unnachsichtig selbst die höchsten Würdenträger, wenn sie über seine neuen Unterthanen ungerecht richteten oder ihre religiösen Gefühle verletzten. Um das Perfervolk zu gewinnen, nahm er seine Sitten und Tracht an. Er vermählte sich mit Darius' Tochter Barsiue und verband an demselben Tage einige seiner Freunde nach ^persischer Form mit anderen Fürstentöchtern des Landes; 10 000 Soldaten, die sich mit Perserinnen verheirateten, stattete er aus. Seine macedonischen Heerführer und Helden ehrte er durch goldene Kränze, die tüchtigsten und schönsten Perser reihte er ein in feine Garde.
Die Macedonier, die ihren König nur für sich haben wollten, wurden eifersüchtig auf die Perser. Sie sträubten sich gegen die Vorschrift, den König nach morgenländischem Knechtsgebrauch kniend zu begrüßen; mehrfach sah sich der König sogar von Verschwörungen bedroht, die er dann wohl mit blutiger Strenge niederschlug. Selbst die älteren Feldherren und Kriegsleute verhehlten nicht immer ihren Groll. K l e i t o s (Clitus) büßte seinen Freimut mit dem Tode; bei einem Dionysosfeste stach der truukeue Alexander seinen Lebensretter nieder, als dieser in seiner Erbitterung die Thaten und Pläne des Königs herabsetzte. Was half es, daß der jähzornige Jüngling alsbald sein gräßliches Unrecht einsah und sich drei Tage und Nächte lang einschloß ohne Speise und Trank, laut jammernd um den ermordeten Freund!
Trotz aller Veränderung war ihm doch die ferne Heimat unvergessen. Als er in Indien viele Tausende von Rindern erbeutete ungewöhnlich schönen und großen Schlages, wählte er die schönsten aus, um sie nach Hause zu schicken. Und wie sorgte er sür seine Macedonier! Nach der Rückkehr aus Indien zahlte er ihnen alle Schulden, die sie angaben; 20 000 Talente, 100 Millionen Mark, soll ihn diese „Lastabschüttelung" gekostet haben. Beim Übergang über einen schneebedeckten Paß sah er einen älteren Kriegsmann vor Müdigkeit und Kälte zusammenbrechen; da sprang er auf und trug ihn aus den Armen zu seinem
eigenen Sitz am Feuer.
Die Soldaten hingen denn auch mit unverwüstlicher Treue au ihrem Heldenkönig. Bei der Erstürmung einer Stadt im Osten machten sie nieder, was ihnen in die Hände siel, weil ihn bei der Berennung ein Pfeilschuß getroffen. In Tapferkeit und Hingebung wetteiferten sie mit ihm, er mit ihnen. Mühen und Gefahren teilte er mit dem Geringsten, wie den Ruhm und die Beute. Auf dem gedrosischen Wüstenmarsch ging zev zu Fuß, um nichts vorauszuhaben vor den anderen; und einen Trunk
Wassers, den eine Streifwache fand und im Helm ihm zutrug, schüttete er aus, weil es nicht für alle reiche. Er konnte sich rühmen, daß auf der Vorderseite seines Körpers kein Fleckchen sei ohne Wunden. Beim Sturm war er regelmäßig unter den vordersten im Hagel der Geschosse. Im Kampfe mit den Mallern in Indien sprengte er allen voran über einen Fluß und erwehrte sich lediglich durch seine Reiterkünste der zahllosen Scharen, die auf ihn eindrangen. Als Hülse kam, verfolgte er die Fliehenden nach ihrer Stadt, zerschmetterte mit Axthieben das Thor, nnd wie die Feinde sich in die Burg flüchteten, legte er
eine Leiter an, stieg unter den Schild geduckt hinauf und stieß
die Feinde von der Mauer. Unter der Last seiner Getreuen
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brach die Setter; nun stand er droben, abgeschnitten von allen, im Schimmer seiner Rüstung für alle Schüsse und Würfe ein willkommenes Ziel. Da sprang er hinunter in die Burg, mitten unter die verblüfften Feinde; an die Mauer angelehnt,' hielt er sich mit Steinwürfen und Schwertstreichen die immer vorsichtiger andringenden Maller vom Leibe. Von den zwei Freunden, die ihm zur Seite fochten, starb einer den Heldentod. Ihn selbst traf ein Pfeil in die Brust, daß er ohnmächtig auf feinen Schild sank. Inzwischen kletterten seine Tapferen in der Herzensangst um ihren König, einer auf des anderen Schulter steigend oder mittels Haken und Tane sich emporwindend, über die Zinnen, während andere die Thore erbrachen. Die Maller wurden allesamt erschlagen; aber den König, welchem Perdikkas den Pfeil herausgeschnitten, trug man halbtot auf feinem Schilde aus der eroberten Feste. Heer und Flotte wollten nicht glauben, daß er gerettet sei. Sobald es anging, fuhr er daher in einem Kahn durch die Schiffe; alles jauchzte und weinte vor Freude; beim Aus-steigen küßten sie sein Gewand und überschütteten ihn mit Bändern und Blumen.
Mit solchen Soldaten war ihm nichts unmöglich.
Baktrische Fürsten hatten sich mit ihren Angehörigen und Kostbarkeiten in eine Felsenfeste geflüchtet, welche, am Abhang eines tief verschneiten Steilberges gelegen, für uneinnehmbar galt. Als Alexander sie zur Ergebung aufforderte, bekam er als Antwort die Frage, ob feine Soldaten auf den Berg fliegen könnten. Eine ausgesetzte Belohnung und kriegerischer Ehrgei'z lockten die Kühnsten zu dem Wagestück. An der schroffsten Senke des Berges, wo feine Wache stand, bohrten sie eiserne Haken, die sie an langen Tauen schwangen, in den Boden oder in den hartgefrorenen Schnee und zogen sich an den Tauen empor. Etwa dreißig stürzten ab; die anderen erreichten die Kuppe und gaben dem König das vereinbarte Zeichen mit einer Fahne. Nun forderte er nochmals die Übergabe, da feine Soldaten die Höhe ersteren hätten. Bestürzt über das vermeinte Wunder ergaben sich die Flüchtlinge. Unter den Gefangenen war die holde Fürstentochter Roxane, welche Alexander zu seiner Gattin wählte.
Am innigsten hing der große König an seinen Freunden. Hephästions Tod erschütterte ihn aufs tiefste. Er dachte ihm Totenehren zu, wie sie noch keinem Menschen erwiesen worden. Aber die Festspiele, die er zum Gedächtnis des Lieblings anordnete, wurden an seinem eigenen Begräbnis abgehalten!
Auf der Höhe des Ruhmes und der Liebe seiner Unterthanen, unter großen Entwürfen ereilte den König ein früher Tod. Sprachlos lag er im Fieber; als er hörte, seine Soldaten bäten,
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ihn noch einmal sehen zu dürfen, ließ er das ganze Heer an seinem Sterbelager vorüberziehen; mühsam das glühende Haupt erhebend, nieste er seinen weinenden Treuen seinen Abschiedsgruß zu. Er starb im 33. Jahr seines Lebens in Babylon. Die Weissagung indischer Derwische, die ihn auf die Vergänglichkeit alles Irdischen aufmerksam gemacht, war schnell in Erfüllung gegangen: „Du bist ei» Mensch wie andere und willst so viel Land" einnehmen und machst dir Unmuße und anderen. Bald wirst dn davon nicht mehr besitzen, als nötig ist zu einem Grabe."
7. Demosthenes' Ausgang und der Diadochen-Krieg.
Alexanders Nachlaß, sein ungeheures Reich und Heer, verglich ein Grieche dem Cyclopen Polyp hem, nachdem „Niemand" ihn geblendet. Das Auge fehlte, die Leitung.
Die Auflösung begann zuerst m Europa; die Griechen empörten sich wider den macedonischen Statthalter Antipatros. Im Kampf um die Thermopylen fochten sie gegen ihn nicht un-wert ihrer ruhmvollen Ahnen. Aber immer neue Scharen, welche Antipater aus Asien zu Hülfe kamen, brachten sie zum Weichen. Mit der Siegeshoffnung entsank ihnen der Mut. Athen lud in seiger Angst vor Antipaters Rache die Verantwortung des Aus-standes auf einzelne Wortführer, welche zum Tod verurteilt wurden. Unter diesen war Demosthenes, den sein Volk kurz zuvor aus unverschuldeter Verbannung ehrenvoll zurückgerufen nnd nach der Landung im Piräus ebenso festlich abgeholt hatte wie einstmals Alcibiades.
Jetzt verließ er mit seinen Freunden die Vaterstadt, für welche er sein Lebenlang gekämpft und gelitten. Im Asklepios-Tempel auf dem Jnselchen Kalanria unweit Äginas entdeckte ihn der „Flüchtlingsjäger" Archias, ein verkommener Schauspieler. Unter dem Vorgeben, der Statthalter werde ihm kein Leid zufügen, suchte er ihn ans seinem Asyl zu locken. „Archias," entgegnete der Redner, „deine Schauspielerei hat mich nie berückt; deine Botschaft berückt mich auch nicht." Als der Häscher sich aufs Drohen verlegte, nahm Demosthenes unbemerkt Gift, das er seit langem bei sich trug. Sterbend bat er, ihn hinauszuführen, damit sein Tod das Heiligtum nicht entweihe. So endete der letzte große Grieche. Sein Volk, welches ihn schon vw Jahren mit dem goldenen Ehrenkranze geschmückt, errichtete ihm ein Standbild und gewährte dem Ältesten seines Hauses für immer die Speisung im Prytaneion.
Inzwischen rief das makedonische Heer in Asien Alexanders schwachsinnigen Bruder Philipp zum König auS. Die wirkliche
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Herrschaft übte Perdikkas, der General der Garde, welchem der große König kurz vor seinem Tode seinen Siegelring geschenkt. Leine zuverlässigste Stütze war Eumenes, ein Grieche ans dem Chersvnnes, welcher seit jungen Jahren Philipps, dann Alexanders Kanzler gewesen war. Mit derselben unentwegten ^reue stand er Perdikkas zur Seite im Kampfe für des Reiches Einheit. Als Antipater und andere Feldherren sich Kleinasiens bemustern wollten, eilte Eumenes auf Schleichwegen ihnen entgegen; ehe seine Truppen erfuhren, daß es gegen die gefürchteten Macedonier gehe, hatte er mit seinen Reitern den Feind zerstreut Aber inzwischen siel Perdikkas auf dem Zuge gegen Ptolemäu« der sich in Ägypten festgesetzt, durch Meuchelmord, und Antipater warf sich zum Reichsverweser auf. Eumenes, den er vor allem zu beseitigen trachtete, entzog sich klüglich alleu seinen Nachstellungen. Jahrelang war er der Schrecken seiner Feinde. Aber inmitten siegreicher Unternehmungen lieferten ihn seine treulosen Loldaten einem anderen Feldherrn aus. Wie ein wilder Löwe ward er verwahrt und dann im Gefängnis umgebracht.
Erst jetzt entfaltete der Krieg alle seine Greuel. Roxaue und ihr Sohn Alexander wurden ermordet. Mehrere Feldherren nahmen den Königstitel an. Vierzig Jahre dauerten die Kämpfe der „Nachfolger" des großen Königs, der Diadochen: auch Athen ertrug wiederholt die Seide» einer Belagerung und Eroberung. Endlich bildete sich eine Reihe von Sonderreichen, unter welchen neben Macedonien besonders Syrien und Ägypten zu hoher^ Blüte gelangten. In all diesen Ländern, welche das östliche Becken des Mittelmeeres umgürteten, herrschte griechische Lprache und Bildung. Nach dem Untergange der hellenischen Freiheit hat der hellenische Geist die Welt durchdrungen. Mit den Reichen des Ostens eigneten sich die Römer auch die edle Litte und die geistige Hoheit des reichbegabteu Volkes au, um diest Lchätze für die Völker des Abendlandes, namentlich die Deutschen aufzubewahren.
Zweiter Abschnitt.
Die Römer.
I. Die Könige von Rom.
1. Romulus.
3n_ unvordenklicher Zeit entstand an der Nordgrenze der Landschaft Latium am linken Tiber-Ufer die Stadt Rom. Ihre Gründung schreibt die Sage dem Zwillingspaare Romulus und Reinu s zu, Söhnen des Kriegsgottes Mars s— Ares) und ber 'Rfjea Silvia. Rheas Vater Numitor sei König der Latiuer-l'tabt Alba Longa gewesen und ein Abkömmling des Helden Aneas, des Sohnes der Venns (— Aphrobite), welcher aus TroiaS Untergang nach Italien sich gerettet. Numitor ward vou seinem Bruder Amulius entthront, seine Tochter zur Priesterin der Herd- itnb Stadtgöttin Vesta (Vestalin) gemacht, damit sie unvermählt bleibe; ihre neugeborenen Knaben ließ der Kronenräuber in die Tiber werfen. Aber ber Korb, in welchem sie lagen, blieb an einem Feigenbaum hangen; bort fand sie der Hirte Mustulus, wie sie von einer Wölfin gesäugt wurden, und brachte sie seiner Gattin Larentia.
Wie sie heranwuchsen, wurden sie die Führer ber Hirten auf ber Jagb liitb im Kampfe mit Räubern. Ein Streit mit Numitors Knechten führte sie vor beu Großvater, welcher in den königlichen Gestalten seine totgeglanbten Enkel erkannte.
Sie erschlugen Amulius iiub gaben den Thron dem rechtmäßigen König zurück.
König Numitor erlaubte ihnen, auf dem Schauplatz ihrer Angeblich Kindheit, dem Berge Palatin, eine eigene Stadt anzulegen. Nomulus nannte sie nach seinem Namen Rom, und als der gekränkte Remus höhnenb über Wall und Graben setzte, erschlug ihn da- Bruder: „co ende, wer über meine Mauer springt!"
Fortan trug König Romulus purpurnes Gewand; zwölf
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S. Chr.
Diener (Liktoren) schritten vor ihm her, Rutenbündel tragend in welchen Beile staken, ein Zeichen seiner Gewalt, Ungehorsam mit Stäupung und Enthauptung zu strafen. Auf dem nahm ^er3e, Kapitol eröffnete er eine Freistatt für Heimatlose, unb als die Bürger der Nachbarstädte sich weigerten, den Seinen ihre Töchter zu vermählen, lud sie der König'samt ihren Angehörigen zu einem Zeitspiele ein, und dabei raubten die Römer auf ein verabredetes Zeichen bie arglos zuschauenden Mäbchen.
Der Rache ber Städte kam Roimilus' rasche Tapferkeit zuvor. Aber die Sabiuer aus dem Appennin, dessen L-chlnchten die Tiber entströmt, bemächtigten -sich der Burg die auf dem Kapitol angelegt war. Tarpeia/des Burgvogts Tochter öffnete ihnen bas Thor; aber statt ber golbenen Spangen, welche sie ihr versprochen, warfen sie bie schweren Schilbe auf bie betrogene Verräterin. Das Römerheer (bie Legion) bestürmte beit Berg -auf dem Felde zwischen Kapitol unb Palatin tobte unentschieben bei Kampf. Plötzlich warfen sich bie geraubten Sabinerinnen »wischen ihre Gatten und Väter, und ihren flehentlichen Bitten gelang die Versöhnung. — Die L>abiner, mit gleichem Recht in den Römerstaat aufgenommen, bauten nordöstlich des Kapitols auf dem Ouirinalischeu Hügel ihre strohaedeckteu Hütten.
Rach ruhmvoller Regierung wurde Nomulus während einer Heerschau tn einer Gewitterwolke unter die Götter entrückt, und sein Volk verehrte ihn neben Jupiter (= Zeus) unb Mars unter bem Namen Quirinus als Stabtgott. Der Senat, 100 vornehme Greise, welche er zu seinem Rat erlesen wahlie ben weisen Sabiner Numa zu seinem Nachfolger. Der gewöhnte in langem Frieden bas kriegslustige Rom an Gottes-bienst unb an bie Gesetze, welche eine Fee, bie Nymphe ©geriet, tut Vvalbesbuntel am heiligen Quell ihm offenbarte.
2. Die Horatier und Curiatier.
Um so kampflustiger unb herrschsüchtiger war ber dritte König ^ulluö Hostilins. selbst mit Roms Miilterstadt l b a scheute er beit Krieg nicht, ochou nahten sich die herausgeforderten Albaner der Tiberstadt; nur der Vorschlag ihres Feldherrn, ben Krieg burch einen Eiuzelkamps beizulegen, vereitelte^ größeres Blutvergießen.
.In beiben Heeren standen Drillingsbrüder; sie f an ben sich bereit, den etreit auszutragen. Die Heere bildeten einen Ring und verpflichteten sich burch feierliches Opfer, daß der besiegte Lei! sich dem Sieger willig unterwerfe. Zwei Römer lagen
bereits im Blute; die drei Albaner waren verwundet. Da wendete sich der noch unversehrte Horatius arglistig zur Flucht, und als die drei Curiatier in großen Abständen ihm nachsetzten, stach er sie einzeln nieder. Die Römer jubelten; Alba war ihnen Unterthan.
An des Königs Seite, beladen mit den Rüstungen seiner Gegner, schritt Horatius dem heimkehrenden Heere voran. Am Kapener Thor empfingen festlich geschmückte Jungfrauen die Lieger. Horatius' Schwester jedoch, die mit einem der Curiatier verlobt gewesen, brach in laute Klage aus beim Anblicke des Waffenrockes, welchen sie selbst dem Bräutigam gestickt. Entrüstet stieß sie der Bruder nieder: „L>o fahre jede Römerin hin, die einen Feind betrauert!"
Das war ein jähes Ende der Siegesfreude. König Tullus gebot den „Zweimännern" zu richten nach altem Gesetz; aber das Volk, welchem er die letzte Entscheidung anheimgab, begnadigte den jungen Helden, hauptsächlich aus Mitleid mit dem greisen Vater.
Als aber der albanische Feldherr Rom die Treue brach, ließ ihn der König von Pferden zerreißen und Alba dem Erdboden gleich machen; nur die Tempel blieben stehen. Die Einwohner mußten nach Rom übersiedeln aus den Berg Cälius, der vom Palatin ostwärts lag. Die vornehmsten wurden dem Adel eingereiht, den von den ursprünglichen Ansiedlern stammenden Patriziern, aus welchen der König feinen Rat bildete und fein Heer; der Rest vermehrte die Plebs, die zugewanderten Familien; sie genossen nur Duldung unter dem Rechtsschutz patrizischer Patrone, welchen die Plebejer dafür als Klienten in Hans und Feld Ehrerbietung und Dienstleistung schuldig waren.
3. Servius Tullitts. Der Sturz des Königtums.
Während der friedfertigen Regierung des vierten Königs Ancus Marcitts fuhr ein vornehmes Ehepaar aus der Etrus-kerstadt Tarquinii der Tiber zu. Ein Adler nahm dem Manne den Hut weg, um ihn dann hoch aus der Lust ihm zurückzubringen. Die Frau war, wie alle Etruskerinnen, solcher Zeichen kundig und weissagte ihrem Gatten eine große Zukunft. Nun blieb er' in Rom und gewann die Freundschaft des Königs, der ihn zum Vormund seiner Söhne bestimmte. Nach der Heimat feiner Gattin Tanaquil nannte er sich Lucius Tarquinius.
Nach Ankns' Tode schickte er seine Mündel auf die Jagd und beredete das Volk, ihn selbst zum König zu wählen. Zum
Danke schmückte er Rom mit einem festen Schangerüste für die öffentlichen Spiele, dem Circus Maximus, zwischen den Bergen Palatin und Aventin, welchen Ancns überbaut hatte; er legte Abzugskanäle an (Kloaken), welche die Feuchtigkeit der Niederung zwischen Palatin und Kapitol in die Tiber leiteten, und schuf aus dem entwässerten Raume den Markt (das Forum). Ihm folgte nicht sein Sohn auf dem Thron, sondern Servius TulliuS, den eine kriegsgefangene Fürstin in Tarquinius' Hause geboren. Einst umspielte im Mittagsschlummer eine Flamme seine Locken. Daraus erkannte Tanaquil seine hohe Bestimmung und ließ ihn mit ihren eigenen Kindern erziehen. Als der König von zwei Mordgesellen erschlagen wurde, welcke Ancus' Söhne gedungen, verschaffte sie ihm die Krone.
Servius zog noch zwei Hügel zur Stadt, so daß sie über sieben Hügel sich dehnte, und umgab sie mit einer festen Mauer. 33or allem aber gilt er als der Schöpfer der Servianischen Verfassung.
Bisher hatten die Patrizier allein das Aufgebot der Legion (die Klasse classis) gebildet. Diese Ehre wurde mehr und mehr eine Last. König Servins nahm auch die Plebejer ins Heer, soweit sie reich genug waren, Ausrüstung und Verköstigung im Felde zu bestreiten. Ähnlich wie Solon teilte er die Bürgerschaft nach dem Vermögen ein. Die erste „Klasse", in 80 Centurien (Hundertschaften) geteilt, diente in voller Erzrüstung, mit Helm und Rundschild, Panzer und Beinschienen, mit Schwert unb Lanze. Die zweite führte den viereckigen Langschild von Holz, ^ aber feine Beinschienen, die dritte auch keinen Panzer, die vierte nur Lanze _ und Spieß; die fünfte focht nur mit Schleudern. Die zweite, dritte und vierte Klasse umfaßten je 20, die fünfte 30 Centurien; die vermögenslose sechste Klasse (eine Centurie) fand Verwendung als Ersatzmannschaft. Dazu kamen 18 Centurien Reiter und je 2 Centurien Werk- und Spielleute, zusammen 193 Centurien.
Den Leistungen im Krieg entsprachen die Rechte in der Volksversammlung, den Centuriatkomitieu, deren Schauplatz dann das Marsfeld war, der Raum zwischen dem Kapitol und der Tiber. Wie zum Kampfe, wurden zur Abstimmung über Krieg und Frieden, über Wahlen und Gesetze zunächst die Reiter und die erste Klasse aufgerufen; einhellige Abstimmung dieser 98 Centurien ergab einen Mehrheitsbeschluß. So gelangten die minder begüterten Klassen nur selten an bie Urne.
Nach segensreicher Regierung stürzte ben alten König der eigene Eidam, Tarquinius, und dessen Gattin Tullia soll ihren Wagen über die Leiche des ermordeten Vaters getrieben
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haben. Mir^ blutiger Härte herrschte Tarquinius II. „der Stolze" (Superbus) über Rom uud Latium. Bis hinunter zu dm Volskern am Liris reichte sein Reich. In Friedenszeilen ließ er durch etruskische Werkleute zum Ruhm seines Geschlechtes den von seinem Vater begonnenen Jupitertempel auf dem Kapitol vollenden. Schwer lasteten Frohnden und Abgaben aus den Bürgern und Nachbargemeinden.
Schließlich empörte sich die Stadt Ardea; und als während der Belagerung die edle Lucretia, von des Königs Sohn Sextns schnöde beschimpft, sich den Dolch in die Brust stieß, ergriff der Aufstand die Hauptstadt und das Heer. Tarquinius und sein Haus wurden des Landes verwiesen; Rom ward eine Republik. Alljährlich wählten die Centnriatkomitien zwei 509 „Konsuln", welche im Senat wie in der Volksversammlung den utr. Vorsitz führten und das Heer befehligten. Der Führer der Staatsumwälzung, L. Jnnius Brutus und der Gatte der unglücklichen Lucretia waren die ersten Konsuln.
Brutus sollte die Freiheit Romö teuer bezahlen. Er mußte die eigenen Söhne als Hochverräter richten sehen, weil sie mit anderen jungen Patriziern gegen die Republik sich verschworen; dann warf er sich dem Heere entgegen, mit welchem der entthronte König rachedürstend ans Etrurien heranzog, und fand im Reiterkampf am Walde Arsia den Tod fürs Vaterland. Ein Jahr lang trauerten die Frauen RomS um den Vater der Freiheit.
II. Die Entwickelung der Republik.
1. Porsena.
Noch einmal sand Tarquinius in Etrurien einen Verfechter seiner Ansprüche: König Porsena von Clusium besetzte in unerwartetem Ansturm den Berg Janiculus und wollte schon über die Tiber in Rom einbringen, als Horatius Eocles erst mit zwei Genossen, dann allein die feindlichen Scharen aufhielt, bis hinter ihm die Pfahlbrücke abgebrochen war. Dann sprang der junge Held mit frommem Gebet in den Fluß und erreichte unversehrt das linke Ufer.
Nun ließen die Belagerer kein Schiff und keinen Wagen mit Lebensrnitteln in bie Stabt. Schon trat Mangel ein: da schlich sich Ga ins Mucius ins feindliche Lager, um Porsena inmitten feiner Krieger zu ermorden, erstach aber ans Irrtum
einen reichgekleideten Beamten. Als der König den Frevler mit schweren Martern bedrohte, hielt der Jüngling rnhig die rechte Hand in die Opferflamme, die im Königszelte loderte: „Du siehst," sprach er, „wie wenig Leib und Leben einem Manne gilt, der hohen Zielen nachstrebt." Überwältigt von solcher Leelengröße, schenkte ihm der Fürst das Leben, und der Römer, dessen Nachkommen zum Andenken an seine Verstümmelung den Namen ^>cävola (Linkhaud) führten, erzählte ihm wie zum Dank, es seien mit ihm noch dreihundert junge Männer zu seiner Ermordung verschworen.
Jetzt schloß der getäuschte Etrusker, unbekümmert um Tar-quinius, Frieden und Freundschaft mit Rom. In der Nacht aber entwich die edle Clolia, welche ihm als Unterpfand der Treue mit anderen Jungfrauen ausgeliefert worden war, und schwamm mit einigen Gefährtinnen heim über den reißenden Fluß. Allein der Senat, nicht gewillt sein Wort zu brechen, schickte die Geiseln sofort zurück. Mit nicht geringerem Edelsinne gab Porsena die tapferen Mädchen srei unb hinterließ seinen neuen Freunden fein Lager, dessen große Vorräte ihnen trefflich zustatten kamen.
Fast noch gefährlicher war der letzte Feinb, welchen Tar-quinius' Herrschsucht ins Felb brachte. Die latinischeu Bundesgenossen aus breißig Städten erklärten Rom ben Krieg. In bieser Gefahr ernannten auf Geheiß bes Senates bie Konsuln aus ben Reihen ihrer Amtsvorgänger zum ersten Male einen Diktator, welcher jeweils, von seinem Reiterhauptmann (magister equitum) unterstützt, höchstes ein halbes Jahr lang mit unumschränkter Herrschergewalt das Heer führte ober stäbtische Unruhen beimpfte. Nach heißer Schlacht am See Regillus siegten bie Römer. Die Götterzwillinge Kastor unb Pollur sollen ans glanzenden Schimmeln ben Kamps entfchieben unb zu derselben Stunde in Rout ben Sieg . verküubet haben. Neben beut Brunnenteich am Markte, aus" welchem bie „Dioskuren" ihre Rosse getränkt, erhob sich späterhin ber schöne Kastorteinpel.
2. Das Botkstribunat. Der Kamps ber Stäube.
Die unaufhörlichen Kriege lasteten besonbers schwer , ans betn Plebejer. Währenb er im Felde staub, blieben seine Äcker unbebaut; unb für bie verwüsteten Saaten unb bie geraubten Riitber warb ihm trotz aller Tapferkeit keine Entschäbignng. Denn die Beute, namentlich der Genuß eroberten Landes, der Allmend (ager publicus) kam nur den Patriziern zu. Der Krieg stürzte ihn in Schulden und in die Willkürgewalt des
Gläubigers, der ihn wie einen Sklaven behandeln, ihn einsperren und blutig züchtigen konnte.
Bei einem unerwarteten Angriff der südlatinischen Volsker versagte daher die Plebs den Kriegsdienst, bis ihr die Abstellung ihrer Beschwerden zugesagt wurde. Zweimal beschwichtigt und zweimal betrogen, wanderte sie militärisch geordnet ostwärts über den Anio und nahm aus dem Heiligen Berg (Mons sacer) eine feste Stellung. Die Spaltung drohte dauernd zu werden, und ringsum lauerten die auswärtigen Feinde. Darum ließ sich der Adel zu Verhandlungen herbei. Sein Abgesandter Menen ins Agrippa machte durch die Fabel von den Gliedern, welche den nichts arbeitenden Magen aushungerten und darüber selbst kraftlos wurden, den Plebejern begreiflich, daß auch sie ohne die „Geschlechter" verloren seien.
Als Preis der Rückkehr erhielt die Plebs zwei unverletzliche Beamte, welche sie in eigenen Versammlungen, den Tributkomitieil, aus ihrer eigenen Mitte alljährlich wählen durste. Diese Volkstribunen hatten die Gemeindegenossen gegen patrizische Übergriffe zu schützen; dann konnte ihr Einspruch, das „Veto", volksfeindliche Maßregeln unb Gesetze hintertreiben; ja sie luden Senatoren unb Beamte, welche bie Rechte bes Volkes zu schmälern suchten, zur Verantwortung vor bie Plebejergemeinbe.
Kein Wnnber, baß ben Patriziern bas Tribunat sehr-lästig war. Als währenb einer Hungersnot etliche Schiffslabungen Korn eintrafen, riet ber Patrizier Coriolanns beut Senate, basselbe nicht eher zu verteilen, als bis bas Volk aus die Tribunen verzichte. Furchtbar war die Ausregung der Plebejer über einen Antrag, der ihnen nur zwischen Tod oder Knechtschaft die Wahl lasse, und die Tribunen luden Coriolan vor das Volksgericht. Da entfloh der stolze Mann rachgierig zu den Volskern. Sie erhoben ihn zum Feldherrn ihres Heeres, welches er auf ber Latinerstraße unaufhaltsam bis unter bie Mauern ber erschreckten Vaterstadt heranführte. Mehrere Gesandtschaften, welche um Schonung der Stadt baten, wies er schroff zurück; ebenso unzugänglich fand ihn eine Abordnung römischer Frauen. Da bemerkte er unter ihnen seine Mutter, die mit seiner Gattin und seinen Knaben den Flehenden sich angeschlossen. Die Greisin lehnte seine Umarmung ab mit ber Frage: „Ist es ein Feind oder mein Sohn, vor dem ich stehe?" Vor dem herzlichen Mutterworte schmolz sein Groll; er zog ab, um sein Leben im Elenb zu beschließen.
Ein anderer Patrizier, der Konsul Sp. Cassius, der ein Stück neu eroberten Allmendlandes zu gleichen Teilen der
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Plebs und den Latinern zuteilen wollte, büßte seine volksfreundliche Gesinnung mit dem Tode, unter der Anschuldigung, daß er nach der Krone trachte. Der eigene Vater soll Anklage und Hinrichtung angeordnet haben kraft der väterlichen Gewalt über Leben und Tod. Die „Ackergesetze" aber sollten noch manches Mal den Staat erschüttern.
Im Gegensatz zu diesen Gehässigkeiten gab das hoch angesehene Geschlecht der Fabier ein ruhmvolles Beispiel des Opfermutes. In allgemeiner Kriegsnot nahmen sie die Fehde mit der Nachbarstadt Veji auf sich. 306 Mann stark rückten sie unter den Segenswünschen des dankbaren Volkes durch das Karmentalische Thor am Westfuße des Kapitols. Jahrelang kämpften sie in ehrenvollem Kleinkrieg gegen die Etruskerfeste, um zuletzt am Bache Kremera, der an Veji vorbei zur Tiber fließt, durch einen Hinterhalt aufgerieben zu werden. Ein zurückgebliebener Knabe wurde der Ahnherr der späteren Fabier.
3. Die Gesetzgebung der Zwölf Tafeln. Virginia.
Der Plebejer kannte die Gesetze nicht, nach denen er gerichtet wurde. Denn die Patrizier betrachteten die Kenntnis derselben als ihr Lrtandeseigentnin. Die Tribunen forderten die Aufzeichnung des Rechtes und überwanden nach jahrelangem Kampfe den hartnäckigen Widerstand des Adels.
Drei sachkundige Männer wurden nach Griechenland entsendet, um vor allem Solons Gesetzgebung genau kennen zu lernen, welche dem Werk als Vorbild dienen sollte. Nach ihrer Heimkehr wurden ihnen sieben weitere Patrizier beigegeben, 451 und diesem „Zehner-Ausschuß" (decemviri) sollte neben der ».Chr. Sammlung der Gesetze zugleich die Verwaltung des Staates und die unbeschränkte Rechtspflege obliegen; wie die Konsuln kamen die Tribunen in Wegfall.
Nach bestem Wissen faßten die Decemvirn die geltenden Gesetze auf zehn Tafeln zusammen, und die Ceuturiatkomitien sprachen ihre Gutheißung ans. Zum Abschlüsse des ganzen Werkes wurde für das nächste Jahr ein neuer Ausschuß gewählt. Von Appius Claudius geleitet wie der erste, fügte er noch pei_ Tafeln hinzu, strebte aber zugleich nach dauernder Herrschaft. Jeder von 12 Liktoren umgeben, schalteten die Zehnmänner wie zehn Könige und handhabten das Recht mit blutiger Willkür.
Der Fortbestand der Republik war in Gefahr. Zugleich brachen die Sabiner und 21 quer herein; flüchtend kamen die Landleute mit ihrer beweglichen Habe nach Rom. Vor zehn
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Jahren halte der ehrwürdige T. Quinctius Cincinnatus, welchen man vom Pfluge weg holte und zum Diktator machte, dieselben „Feinde zurückgeschlagen; jetzt führte der Decemvirn eigener Übermut eine innere Wandlung herbei. Auf ihr Anstiften ward ein bekannter Volksmann ermordet; einen andern, der als Centurio (Hauptmann) gegen die Äquer im Felde ftgnd, suchte Appius Claudius der Tochter zu berauben.
Einer seiner Klienten mußte die blühende Virginia vor seinen Richterstuhl schleppen mit der Anklage, sie sei als seine Sklavin geboren und von Virginins ihm entwendet. Der entschlossene Widerstand ihres Bräutigams und die drohende Haltung des gereizten Volkes zwangen den argen Richter, sein "Urteil auf den folgenden Tag zu verschieben. Inzwischen eilte der Vater herbei, und als Appius das Mädchen zu Knechtschaft und Schmach verdammte, griff der Biedermann in seinem Jammer von einer der Fleischerbuden des Forums ein Messer und stieß es seinem Liebling ins Herz.
In wildem Grimme besetzten die Plebejer den Aventin und zogen dann kampfgerüstet auf den Heiligen Berg. Die Zehnmänner legten ihr Amt nieder, und die volksfreundlichen Patrizier Valerius und Horatius vermittelten eine Versöhnung. Appius Claudius starb durch eigene Hand; sein Werk jedoch, die Zwölftafelge fetze, blieben die Grundlage deö römischen Rechtes.
4. Veji und die Gallier.
Unter beständigen Kriegen drang Roms Herrschaft südwärts bis an die Volskerküste, im Osten bis an die Sabinerberge. Zehn Jahre lang wurde der Vorort Etruriens, die Felsenfeste Veji, Sommer und Winter hindurch von mehreren „Legionen" belagert. Zuletzt kam der Mann des Schicksals. Der Diktator M. Fnrius Camillus grub einen Minengang bis auf die Burg Vejis. Aus der eroberten Stadt wanderte die Göttin Juno in ihren neuen Tempel auf dem Aventin. In prächtigem Triumph, den Wagen mit strahlenden Schimmeln bespannt, hielt der siegreiche Feldherr seinen Einzng in Rom.
Als Camillns auch Vejis Nachbarfeste Falerii belagerte, wurden ihm die Kinder der vornehmen Falisker von ihrem gemeinsamen Lehrer als Geiseln zugeführt. Aber er wollte keiner Niedrigkeit den Sieg verdanken. Mit Ruten mußten die Knaben den gefesselten Verräter in die Stadt zurückjagen, und Falerii ergab sich freiwillig dem edelmütigen Römer.
Dennoch trieben die Tribunen den vielbeneideten Mann in
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bie Verbannung, kurz bevor ein neuer Feinb heranzog, ber sich rühmte, nichts zu fürchten als bes Himmels Einsturz.
Die Kelten ober Gallier hatten sich von ihren ursprünglichen Sitzen am Rhein über bas heutige Frankreich ausgebreitet unb noch zur Zeit ber Könige bie Alpenjoche überstiegen. In ber Po.-Ebene reichte damals die Macht der Etrusker von Meer zu Meer. — Die Gallier nahmen ihnen Mediolanum unb Bononia (Mailand und Bologna) weg und erschienen, den Appennin überschreitend, vor Clnsium; vor ihren hochgewachsenen Gestalten, ihrer stürmischen Kampfweise erzitterte das Land.
Eine römische Gesandtschaft, die für Clnsium eintreten sollte, erhielt von dem keltischen Heerführer, Brennus geheißen, den trotzigen Bescheid, die Gallier trügen ihr Recht ans der Spitze des Schwertes, denn dem Kühnen gehöre bie Welt. Nun beteiligten sich bie Gesandten, drei Brüder aus dem fabischen Hanse, gegen das Völkerrecht am Kampfe. Die Gallier verlangten ihre Auslieferung, und als diese vom Volke verweigert
wurde, zogen sie wütend gegen die Stadt.
Am elften Meilensteine östlich von Nom, wo der Bach 390 Allia in die Tiber mündet, stob das eilig zusammengeraffte
».Ehr. Römerheer vor dem Schlachtgeheul der Barbaren auseinander.
Rom stand ihnen offen. Die Einwohner hatten sich mit ihren Heiligtümern und Kostbarkeiten in Sicherheit gebracht; nur wenige silberbärtige Senatoren saßen im Schmuck ihres Amtes in den Hallen ihrer Häuser, um mit Rom unterzugehen; und während bie Stabt mit Raub unb Branb sich füllte, hütete eine Handvoll Bewaffneter unverzagt bas Kapitol mit seinen Tempeln; einer schritt, um ein fälliges Familienopfer zu vollziehen, mitten durch bie Feinbe zum Quirinal unb wieder zurück.
Einmal erklommen bie Gallier bes Nachts die Felsen. Wachen und Hunde schliefen. Da erhoben Junos heilige Gänse, welche man trotz der Hungersnot am Kefren gelassen, ein lautes Geschrei. Der Altkonsiil M. M a u l i u s erwachte davon; rasch herbeieilend, stieß er den vordersten Gallier hinab, welcher dann die anderen mitriß. Dafür erhielt Manlius den Ehrennamen Eapitoliiius.
Zuletzt bezwang ber Hunger die Heldenschar. Edle Frauen brachten die 1000 Pfund (Selbes zusammen, um welche man den Abzug des Feindes erkaufte. Aber die Kelten brauchten unehrliches Gewicht, und als die Römer sich beschwerten, warf der Brennus mit dem Rufe vae victis (wehe den Besiegten) sein Schwert in die Wagschale. In diesem Augenblick traf das römische Heer ein, welches Eainillus nach der Unglücksschlacht an ber Allia neu geordnet; die Barbaren wurden wieder-
holt geschlagen, den Brennus erlegte Eamillus mit bem Anruf vae victls.
In Jahresfrist war Rom neu erbaut. Aber die Kriegesnot hatte die Bürger wieder in Schulden gebracht. Treulich schirmte Manlins seine alten Krieger gegen die Gläubiger; er versteigerte sogar ein Erbgut seines Hauses. „So lang ich etwas habe," sprach er, „soll niemand in Schuldhaft schmachten."
Dem Senate ward um seine Herrschaft bang, und die Tribunen verklagten Maulius, er strebe nach der Köuigswürde. Der gefeierte Held wurde vom Tarpeischen Felsen herabgestürzt, von -welchem er den stürmenden Feind in die Tiefe geworfen.
Endlich erfochten die beiden Tribunen C. Liciuius und L. Sextius dem Volke nach zehnjährigem erbittertem Ringen einen Zinsnachlaß und einigen Anteil am Allmendland; ihr wichtigster Erfolg aber war das Gesetz, daß mindestens ein Konsul aus der Plebs sein müsse. L. Sextius wurde der erste plebeische Konsul. In wenig Jahren wurden sämtliche Ämter, sogar die Diktatur, den Plebejern zugänglich; erst jetzt waren die Römer ein einziges, in sich geschlossenes Volk.
III. Das Zeitalter des römischen Heldentums.
1. Die Samniterkriege.
In deu Abruzzen saß das Bauern- und Hirtenvolk der <5 aliunten. Nahrungsmangel und Wanderlust trieben häufig ganze Schwärme junger Seilte aus den Bergdörfern und Waldhöfen hinunter in das fruchtbare Gefilde am Volturuus. In den blühenden Städten schwand ihre kriegerische Kraft, und sie riefen gegen neue Answandererscharen die Hülfe Roms an, welches soeben seinen Bürgerzwist beigelegt hatte. Die Legionen erschienen im Süden der Volskerberge, geführt von dem jugendlichen Konsul M. Valerius. Zu dem alten Ehrentitel seines Hauses: Publicola, Volksfreund, hatte er den Beinamen Corvns, der Rabe, gefügt, weil bei einem Zweikampf mit einem riesigen Gallier ein Rabe sich ihm auf den Helm gesetzt und dem Gegner das Gesicht zerhackt hatte. Die Tapferkeit der Römer fand erfolgreichen Widerstand. Einst war sogar ein Heer in einer Abruzzenschlucht umstellt. Da erstieg der plebeische Centurio P. De aus Mus mit erlesenen Truppen eine beherrschende Höhe und hielt den Feind im Zanm, bis der Konsul unbehelligt
abgezogen war. Dann schlich sich das Häuflein, ähnlich den Platäern im Peloponnesischen Kriege, nachts durch die schlafenden Feinde, welche sofort vom ganzen Heer überfallen wurden. Der Konsul verehrte dein Helden einen goldenen Kranz, die geretteten Krieger eine Graskrone.
Endlich baten die Samniten um Freundschaft mit Rom und erhielten sie. Alsbald verlangten die Latiner gleiche Rechte mit den Römern; ein Konsul und die Hälfte der Senatoren müßten jeweils Latiner sein. Die Antwort des Senates war der Krieg. Bisher standen in jeder der vier Legionen neben 4—5000 Römern jeweils ebensoviele latinische Bundesgenossen. Sie hatten dieselbe Übung und Bewaffnung wie die Bürger und in der Schlacht dieselbe Aufstellung in drei Staffeln, so daß die zweite und dritte durch die Zwischenräume der ersten und zweiten vorbrechen konnten. Gegen einen solchen Feind that die strengste Mannszucht not. Der Konsul Manlius Tor-quatus, dessen Sohn bei einem Ausritte, den Heerbefehl mißachtend, eine Ausforderung zum Zweikampf mit glücklichem Erfolg annahm, ließ den Ungehorsamen sogleich enthaupte». Fortan nannte man ihn schaudernd Jmperiosns, den Gestrengen. Vor der Entscheidung träumten beide Konsuln, dasjenige Volk werde siegen, dessen Feldherr sich selbst samt den feindlichen Legionen den Göttern der Unterwelt angelobe; beide zogen, bereit zum Opfertode, in die Schlacht am Vesuv. Als nun der linke Flügel in Unordnung geriet, umhüllte der Konsul P. Decius Mus sein Haupt mit einem Tuche, der Toga, und sprach, auf einer Lanze stehend, mit erhobenen Händen die Verwünschungsformel, wie sie der Priester ihm vorsagte; dann schürzte er die Toga und sprengte mitten unter die erschreckt zurückweichenden Feinde, bis er siel. Begeistert folgten seine Truppen ihm ins Gewühl der verwirrten und weichenden Feinde. Latium streckte die Waffen; zuletzt die Felsenfeste Antinnt ant Meer. Mit den Schnäbeln der hier erbeuteten Schiffe schmückten die Römer die Rednerbühne auf dem Forum.
Angesichts solcher Heldenthaten erlangten die Plebejer damals den Zutritt zur Censur, dem höchsten Amte, welchem die Einschätzung des Vermögens und die Aufsicht über die Sitten der Bürger oblag. Ihre Tributkomitien durften von dieser Zeit an dem Senate so gut wie die Eenturiatkomitien Gesetze zur Genehmigung unterbreiten lassen.
Den früheren Kämpfen ebenbürtig war der neuerdings aufflammende Samnilenkrieg. Der Diktator L. Papirius Cursor war nach Rom gereist, um Auspicieu einzuholen, d. h. um aus dem Vogelflug den Willen der Götter zu erkunden. Entgegen
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seinem scharfen Verbot ergriff inzwischen sein Reiteroberst Q. Fab ins Maximus die Gelegenheit zur Schlacht. Sein Sieg milderte den Zorn des Diktators nicht. In offener Heeresversammlung würde sein Haupt gefallen sein, hätte ihm nicht die Erregung der Soldaten die Flucht ermöglicht. Der Feldherr folgte ihm nach Rom; auf deni Forum wollte er seine Unbotmäßigkeit züchtigen. Der Einspruch des 'Senates und der Tribunen blieben ebenso wirkungslos, wie die Stimme des Volkes, welches der greise Vater des Angeklagten anrief. „Wohin kommt Zucht und Ordnung im Heere, weun der Ungehorsam des höchsten Führers straflos bleibt?" rief der Diktator. ^ Erst als Fabius mit seinen Fürsprechern sich bittend vor ihm niederwarf, begnadigte er ihn, weil er sein Unrecht eingestehe. Und derselbe Feldherr ging nach einer Schlacht von Zelt zu Zelt, um freundlich nach den Verwundeten zu sehen!
Schon schienen die Samniten überwunden; da lockte ihr Feldherr Gavius Pontius ein Doppelheer in die Kaudini-schen Gäbelchen (furculae Caudinae), einen grünen Thalkessel zwischen zwei Engpässen, welche er vor und dann hinter der römischen Marschsäule durch Verhaue sperrte. Sein hochbetagter Vater riet, die Feinde sämtlich ohne Kränkung zu entlassen oder ohne Gnade niederzumachen, Rom entweder durch eine hochherzige Gutthat für immer zum Freunde zu gewinnen oder auf lange Jahre unschädlich zu machen. Gavius aber schickte die Römer unter das Joch, eine Lanze, die in halber Mannshöhe quer au zwei im Boden steckenden Lanzen befestigt war; paarweise hindurchkriechend, legten sie unter dem blutigen Hohne der Sieger die Waffen und Oberkleider ab. Schamerfüllt kamen sie nach Rom. Dort verlangte der Konsul Postumius, man solle ihn nebst seinem Kollegen dem Feind ausliefern. Um ihrem Vaterlande die Demütigung des Friedens zu ersparen, für welchen sie sich hatten verbürgen müssen, nahmen beide Männer den Zorn der Samniten auf sich. Pontius wies das Opfer entrüstet zurück; aber ehe ein Jahr verging, war Schmach und Niederlage wettgemacht. _
Als die Samniten dann in Etrurien Hülfe fanden, durchschritt Q. Fabius Maximus, jetzt als Konsul, den bisher undurchdringlichen Eiminischen Wald uud zwang den überraschten Etruskern den Frieden auf. Gleichzeitig wurden auf der großen Heerstraße, welche der Censor Appins Claudius in jenen 312 Tagen erbaute, der Via Appia, immer neue Truppen- ».einlassen in die Gebirge geworfen. So tapfer die Samniten fochten, ihr Widerstand war gebrochen. Machtvoll herrschte Rom; seine Waffen züchtigten die Räuber in den Klüften der
Abruzzen und die griechischen Freibeuter, die in Unteritalien landeten.
Da riefen die Lukanier am Golf von Tarent um Hülfe. Auf ihren Fluren suchten die eingeengten Samniten jetu die Winterweide für ihre Herden. Bier tapfere Völker verbanden sich im Todhalse wider Rom: die Samniten und Etrusker, die Umbrier und die Gallier am Adriatischen Meere. In dieser Gefahr nötigte das Volk den greisen Q. Fabins Maximus, nochmals das Konsulat zu übernehmen, und er erbat sich als Amtsgenossen seinen alten Waffenbruder P. De eins Mus, den Sohn des Helden vom Vesuv. Als sie gegen die Appenuinen-pässe im Umbrierlande vorrückten, sprengten ihnen schon gallische Reiter entgegen, Römerköpfe am «Lattelkiiopf und auf den Lan-295 zenspitzen führend. Ingrimmig warfen sich die Römer bei v.Chr. Senlinnm auf den Feind. Die gallischen Streitwagen, plötzlich vorbrechend, machten die Pferde scheu, zermalmten die Leute. Kein Befehl, kein Zuspruch ward gehört. Nur ein Mittel half. Dedns weihte sich, wie vor fast 50 Jahren sein Vater, dem Opfertode. Fabins hielt mittlerweile seine Scharen zurück, wohl wissend, daß die Gallier beim ersten Anprall mehr als Männer, nachher weniger als Weiber leisteten. Jetzt raffte er alle Kräfte zusammen zu furchtbarem Stoß. Die* Feinde flohen, ihr Lager ward erstürmt. Erst am folgenden Tag wurde der tote Decius unter einem Hügel von Feindesleichen gefunden und mit allen Kriegerehren bestattet.
Noch gingen mehrere Jahre hin, bis der Kampf erlosch. Nun aber war Rom die Herrin Mittelitaliens; auch die Gallier wurden unterworfen. Das eroberte Gebiet sicherten Kolonien, Städte, in welchen streitbare römische Bürger mit ihren Angehörigen angesiedelt wurden.
2. König Pyrrhus von Epirus.
Mit steigender Mißgunst und Sorge beobachteten die Griechen, deren Städte Unteritalien (Großgriechenland) bedeckte», die Fortschritte Roms. Als römische ' Schiffe im Hafen von Tarent vor dem Sturme Zuflucht suchten', stürzte die aufgehetzte Menge sich auf die Bemannung und machte sie nieder. Ein Abgesandter des Senates, der Genugthuung forderte, wurde öffentlich beschimpft.
Der Einmarsch eines Römerheeres dämpfte rasch den Übermut. Unfähig, den Krieg selbst zu führen, rief das entartete Volk den König Pyrrhus von Epirus übers Meer. Der
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„Adler" aus beut Lande der Eichen von Dodona war ber fähigste der Diadochen, ein unerschrockener Kriegsmann, der wohl dem stärksten Feinde mit wuchtigern Schwerthieb den Kopf spaltete. Mit 30000 Mann unb zwanzig Elefanten landete er nach stürmischer Fahrt, um ein großes Westreich zu begrünben, wie es Alkibiabes vorgeschwebt hatte. In Tarent schloß er als-balb bie Bäber unb Ringschulen unb reihte bie schwatzenden Weichlinge ohne viel Feberlesens in sein Heer ein.
Der Kampf sollte schwer genug werben. „So ziehen Barbaren nicht zu Felbe," rief Pyrrhus, als er bas Römerlager mit seiner klaren Anlage unb seinen geregelten Wachen besichtigte.
In heißer Schlacht siegte er bei Heraklea westwärts von Tarent.
Die immer noch unruhigen Samniten fielen ihm zu; sein Ab-gesanbter Kineas sanb ben Senat seinen Friebensanträgen geneigt.
Da ließ sich ber im Alter erblindete Appins Elandius (Cäcus „der Blinde" zubenannt) in das Sitznngsgebände, die Kurie tragen, und seine ehrenfeste Rebegewalt vereitelte ben Friedensschluß. Ehe Pyrrhus Italien geräumt, so lautete der stolze Bescheid, könne von Frieden und Freundschaft keine Rede sein.
Und wie Porseua staunte Pyrrhus über die Rechtschaffenheit der Römer. Die Gefangenen, welche der König zu dem fröhlichen Familien- und Sklavenfeste der Satnrnalien in die Heimat beurlaubte, kamen alle pünktlich zurück; Genus Fabri-cius, welcher bei ihm die Auslösung der Kriegsgefangenen betrieb, erwies sich unnahbar für Pyrrhus' Gold und furchtlos gegen den Elefanten, welchen er über seinem Haupte auftauchen ließ; bald darauf übermittelte er ihm einen Brief, worin sich des Königs Leibarzt erbot, feinen Herrn zu erworben.
Jetzt entließ Pyrrhus bie römischen Gefangenen ohne Lösegelb, unb ber Senat erwiderte sofort diese Artigkeit, ohne doch
den abermals angebotenen Frieben anzunehmen. Eine zweite
Schlacht, bei Aseulum unweit bes apnlischen Flusses Aufidus, gewann Pyrrhus wieder nur mit schwerem Berlnste. „Noch ein solcher Römersieg," seufzte er, „dann bin ich verloren."
Um so willkommener war ihm die Bitte der sicilischen
Griechen, im Kriege gegen Karthago ihr Führer zu sein. Er
warf die afrikanischen Söldner bis zur Westspitze der Insel zurück; aber die Helleiten entzogen sich bald seiner straffen Säbelherrschaft. Als er über die Straße von Messina zurückkam, hatten die Römer bereits ganz Samnium zurückgewonnen. In dem Abruzzenpasse bei Ben event an einem Nebenflüsse des 275
Nolturnus siel die Entscheidung. Die römischen Schützen scheuchten ul,r'
bie Elefanten, vor deren Witterung sonst die Pferde ausrissen,
flllf die eigenen Leute. Pyrrhus war geschlagen, sein Zuknnfts-
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f. Shr.
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reich vernichtet. Ungebeugten Mutes verließ er ben Schauplatz seines Ruhmes unb seiner Entwürfe.
Nach einem wilben Erobererleben fanb er in Argos ein unkönigliches Ende. Ein armes Weib, mit bereit Sohn er im Straßenkampfe rang, zerschmetterte ihm bnrck einen Steinwurf vom Dache herab bas Haupt.
Großgriechenland war römisch. Die Via Appia, „bie Königin ber Straßen", erstreckte sich über Benevent bis nach Tarent unb Brunbisium am Jonischen Meer. Die ganze Halbinsel war unterworfen.
3. Die Karthager unb ber Kampf um Sicilien.
Lange vor beit Griechen hatten bie Phönizier bas Mittelmeer mit ihren Hanbelsnieberlaffungen umsäumt. Die tiedeu-tenbfte ihrer Kolonien war Karthago. Die tyrifche Fürstin Dido, bereit Gatte von ihrem eigenen Brnber Pygmalion erschlagen war, lanbete mit ihrem Anhang an ber afrikanischen Landzunge, welche Sicilien gegenüber ins Meer ragt. Die Eingeborenen bewilligten ihr so viel Laitb, als sich mit einer Rinds-hant umspannen laste. Listig schnitt sie bie Haut in einen dünnen Riemen unb umspannte bamit bie Höhe, auf welcher sich seither bie Burg Karthagos erhob. Balb wimmelten bie beibeit schönen Hafen von Fahrzeugen, auf welchen bie unerschrockenen Seefahrer^ das westliche Meer durchkreuzten. Ja sie brattgen über die „L-äulen des Herakles" hinaus südwärts bis 3ul" „Insel der toeligeit", nördlich bis zur Zinn-Insel (England) und bis ans Ende der Welt zur sagenhaften Insel Thule. Aber den Ruhm ihrer Kühnheit trübte blutige Grausamkeit. Ihrem Gotte Melkart opferten sie Meitscheit, und die karthagische „Gerüste" ließ Truppen, welche meuternd den rückständigen Sold verlangten, auf einer Felseninsel aussetzen und verhungern.
Die Herrschaft über die Inseln des Mittelmeeres machten ihnen zuerst die Etrusker (Tyrrhener, hauptsächlich im heutigen Toskana), dann in jahrhundertelangem Ringen die Hellenen streitig. Pyrrhns verließ die Insel Sicilien mit dem prophetischen Ausruf: „Welch eilten Ringplatz wird das abgeben für Römer und Karthager!" Wenige Jahre nach seinem Tod eröffnete Rom den Krieg um Sicilien, den Ersten p nuischen (phönizifchen oder karthagischen) Krieg.
Eine Schar entlassener Söldner, die sich Mars-Söhne oder Mamertiner nannten, besetzten mit blutiger Gewalt Messana. Der junge Syrakuser-König Hierott wollte sie für ihre Räubereien züchtigen. Aber das römische Volk sendete ihnen Hülfe,
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damit die wichtige Grenzstadt nicht an die anrückenden Karthager falle. Punier und Syraknser wurden aus dem Felde geschlagen; der kluge Hieron schloß sich den Römern an.
Noch blieben die Karthager Meister der See. Da bauten die Römer, angeblich nach dem Muster eines gestrandeten Karthagerschiffes, in einem Sommer 100 Penteren, und ein findiger Griechenkopf ersann den „Raben", eine drehbare Zugbrücke, welche au einem Mastbaum auf dem Vorderdeck mittels einer Rolle emporgezogen war; fuhr ein feindliches Schiff heran, um der Römergaleere in rascher Vorüberfahrt die Ruber abzufegen oder mit seinem Erzschnabel ein Leck in bie Planken zu stoßen, so schmetterte bie Brücke nieder unb bohrte sich mittels eines unter bem vorbern Rande stehenden Schnabels ins Deck desselben ein; durch ein Gitter geschützt, drangen dann die kriegsgeübten Römer hinüber, um Mann an Mann zu kämpfen wie in einer Landschlacht. Mit diesen Schiffen schlug der Konsnl Gaius Duilius bei Mylä nordwestlich von Messina die niebesiegte Karthagerflotte. Unter den erbeuteten Galeeren war auch das feindliche Admiralschiff, ein Siebeudecker (Heptere), der einst König Pyrrhus gehört hatte.
Dieser überraschende Erfolg machte die Römer kühn. Ein zweiter Seekrieg in der Riesenschlacht beim Berge Eknomos an der Südseite Siciliens eröffnete dem Konsul Atilius Regulus den Weg nach Afrika. Schon stand er, die prunkvollen Landhäuser der punischen Hanbelsherren verbreunenb, unter beu Mauern Karthagos. In bieser Not machte der Rat einen spartanischen Söldner Xauthippos zum Feldherrn. Der Kriegskunst dieses Griechen erlag die römische Tapferkeit bei Tunes; haufenweise wurden die Legionäre von den Elefanten zertreten. Das Heer war vernichtet, der Konsul gefangen.
Außerdem scheiterten mehrere große Flotten der Römer, weil ihren Admiralen die Erfahrung mangelte; die Feste Lily-bäum an der Westspitze Siciliens belagerten sie jahrelang vergebens. Damals vermutlich sendeten die Karthager den gefangenen Regulus nach Rom, um ihn gegen eigene Kriegsgefangene auszutauschen. Allein der Held widerriet im Senate die Freilassung der gefangenen Feinde, weil Karthago ebenso erschöpft sei wie Rom. Ohne die ©einigen zn sehen, kehrte er freiwillig in die Heist zurück, um den Feind nicht zu betrügen, eine Biederkeit, für welche er grausam gebüßt haben soll.
Unweit Lilybäums setzten sich die Römer ans dem Berg Eryx fest. Aber mit Kühnheit und Glück verschanzte sich der junge Karthager Hamilkar Barkas ihnen gegenüber auf betn Eivtte (Monte Pellegrino bei Palermo); er verwüstete die
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Küsten Italiens und drohte schließlich die Römer selbst vom Eryx zu verdrängen.
Endlich machten die Römer diesem Todeskampf zweier Adler ein Ende. Die letzte Kraft zusammenraffend, bauten sie aus freiwilligen Gaben der wohlhabendsten Bürger 200 wohlausgerüstete Kriegsschiffe. Bei den Ägatischen Inseln westlich von Lilybäuin griff der Konsul Q. Lutatius Catulus mit Wrgüch eingeübter Mannschaft eine große Flotte an, welche mit Nahrungsmitteln und Kriegsbedarf für Hamilkar schwer beladen war. Dein glänzender öieg beschloß den Krieg, den langwierigsten, welchen Rom je geführt. Es hatte in seinem Verlauf 700 Karthago 500 Galeeren eingebüßt.
Die Gern sie sendete Hamilkar Vollmacht, den Frieden abzuschließen. Mit schwerem Herzen willigte er in eilte große Geldzahlung und in die Abtretung der schönen Insel, welche er so ruhmvoll verteidigt, eicilieit wurde die erste römische Provinz, ein Grenz- oder Markland, welches ein Prätor (Statthalter und Oberrichter) mit einem Quästor (Finanzdirektor) int Rauten des Senates verwaltete.
Und während Hamilkar einen grauenvollen Aufstand seiner buntzusammengewürfelten Söldner mit unerbittlicher Strenge niederschlug, nahm Rom den Pitnient auch das fruchtbare Sardinien.
4. Haunibal und der Kampf um die Weltherrschaft.
Um für die erlittenen Einbußen an Land und Reichtum Ersatz zu schassen, gründete Hamilkar auf der Iberischen Halbinsel, im Tiefland am Bätis (Quadalquivir) ein punisches Kolonialreich, sein Nachfolger Hasdrubal eine Hauptstadt für dasselbe. Neu-Karthago (Cartagena). Als auch ihn ein blutiger ^od ereilte, wählte das Söldnerheer Hamilkars Sohn lind GOenbtlb^ ben 25jcifyvi(jen «£) ctnni b ct I, ginn §etbhei*i*nz beit größten oohit Afrikas, vielleicht den größten Heerführer des Altertums. Sein kühner Mut riß die Krieger hin, durch kaltblütige Umsicht gewann er ihr Vertrauen. Mäßig und anspruchslos m Kleidung und Lebensweise, aß und trank er stehend vder auf dem Pferde und schlief, in seinen schmucklosen Mantel gehüllt, auf kahler Erbe; er war bei* Erste unb bei* Letzte in der Schlacht. Als Staatsmann und als Feldherr gebrauchte er unbedenklich alle Mittel der Güte, der List und Gewalt.
Der Leitstern seines Handelns war der Haß gegen Rom welchen er als neunjähriger Knabe seinem Vater geschworen, ehe er mit ihm ausführen durfte nach Spanien. Durch einen
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Vorstoß auf die kastilische Hochebene, bis au ben Duero, sicherte er die karthagischen Besitzungen vor dem Mischvolk der Keltiberer. Dam: warf er sich auf die griechische Pflanzstadt Sagn nt, die unter römischem Schutze stand, und eroberte sie nach heldenmütiger Gegenwehr. Jetzt war der Krieg mit Rom unausbleiblich, und der Rat der Alten nahm ihn festen Mutes auf, wie eine römische Gesandtschaft ihn antrug. °
Wohlvorbereitet überschritt Hannibal den Ebro und die Pyrenäen, die Rhone und die Alpen, vermutlich durch den 218 Paß des Kleinen St. Bernhard im Süden des Montblanc. ”•6I,r' Die himmelansteigenden Zinken und die unabsehbaren Schnee-felder schreckten feine Tapferen nicht; durch die offenen und versteckten Feindseligkeiten der Älpler brachen sie sich ihren Weg.
Nach neun unsäglich mühevollen Tagen war der Kamm erreicht; von einer Felsenzinne zeigte der Feldherr den Kleinmütigen die lachenden Fluren am Po. Aber die höchste Not brachte erst der Abstieg. Auf dem frischgefallenen tochnee glitten Menschen und Tiere ans; die Zugtiere brachen durch die Eisdecke und blieben stecken; die Elefanten stürzten samt ihrer Last in die Abgründe. Kaum die Hälfte des Heeres erreichte halb verhungert und erfroren die Ebene.
Dafür schlossen sich ihm die „cisalpinischen" Gallier an, die eben erst von Rom niedergeworfen waren. In raschem Siegeslaufe schlug er den Konsul Scipio an der Sesia und dessen Kollegen Sempronius an der winterlich angeschwollenen Trebia, welche bei der jungen Kolonie Placentia in den Po mündete. Im nächsten Zahre überschritt er den Appennin. Der Konsul Gaius Flamin ins vermochte ihn nicht zu hindern; er ging sogar in eilte Falle. Hinter den Höhen, welche den Nordrand des Trasimenuer Sees umgürteten, lauerten die Punier unter dem Schutz eines dichten Nebels auf das achtlos hinziehende Römerheer. Gegen ihren jähen Überfall verfing Mut und Tapferkeit so wenig als die Geistesgegenwart des Konsuls. Ein gallischer Reiter stach ihn nieder. Man erblickte in seinem Untergänge eine Strafe der Götter, weil er die ungünstigen Vorzeichen mißachtet hatte. Sein Heer wurde vernichtet.
Im ersten Schrecken fürchtete man in Rom Hannibals Anmarsch. Der Diktator Q. Fabius Maximus sollte die otstfct decken. Er erwarb sich den Beinamen Eunctalor, der Zauderer, weil er jeder Schlacht auswich. Einmal hatte er Hannibal sogar im Gebirg umstellt. Aber in der Nacht ließ der Punier zahllose Rinder mit brennenden Reisigbündeln zwischen den Hörnern gegen eine Anhöhe treiben; in der Meinung,
der Feind suche dort bei Fackelschein zu entrinnen, eilten die Römer herbei und entblößten den seither besetzten Paß, durch welchen Hannibal nunmehr unbehelligt abzog.
Schonungslos Heerte er in Apulien und Kampanien, dem „Garten Italiens", um Roms Bundesgenossen zum Absall zu bewegen. Aber sie blieben den besseren Herrn treu. Um so mehr fühlte das sich zu ihrem Schutze verpflichtet. Es wählte neben dem bewährten Patrizier L. Ämilins Panllns den redegewandten Volksmann C. Ter ent ins Varro zum Konsul und wies beide an, zeitgemäß und des Vaterlandes würdig zu handeln. Alsbald suchten sie Hannibal am Aufidus in Apulien auf. „Sie rüsten uns den Sieg," rief Hannibal, als er das Doppelheer, 80000 Mann und 6000 Pferde, unter Varro beim Dorfe Caunä Stellung nehmen sah. Mit seinem Fußvolk, halbnackten Galliern mit wuchtigen Hauschwertern und Keltiberern in roten Linnenröcken, griff er das römische Gentrum an, ließ sich aber geflissentlich zurückschieben; als dann die Römer ihm nachdrängten, klappten die beiden nach rückwärts stehenden Flügel seiner halbmondförmigen Schlachtordnung zusammen, und seine überlegene Reiterei, die inzwischen die feindliche geworfen, vollendete die Einschließung. Etwa 50000 Römer sind in dem gräßlichen Morden niedergehauen worden; noch heute heißt die Walstatt im Volksmunde Campo del sanguine, das Blutfeld. Mit wenigen Tausenden entkam Varro; Paullus siel, ein ihm angebotenes Pferd ablehnend, in der Schlacht, die gegen seinen Rat an dieser Stelle geliefert worden war.
Italien schien zu Hannibals Füßen zu liegen. „In fünf Tagen wirst du auf dem Kapitole speisen," rief ihm fein Reiter-general Maharbal zu. In Mittel- und Unteritalien begann die Treue der Bundesgenossen zu wanken. Der Senat allein, welchen Kineas vorlängst eine Gesellschaft von Königen genannt hatte, rettete den Staat. Um der maßlosen Angst zu begegnen, sorgte er zunächst für sichere Nachrichten über das Geschehene. Eine Abordnung, durch welche die Gefangenen um ihren Loskauf baten, wies er trotz aller Thränen der Angehörigen mitleidslos ab. Der sie begleitende Karthager, der einen' Frieden einleiten sollte, durste die ^tadt nicht betreten. Blutjunge Bursche wurden mit den Waffen bewehrt, die als Beutestücke in den Hallen und Tempeln hingen, 8000 Sklaven wurden freigekauft und -bewaffnet und der erprobte Kriegsmann M. Claudius Marcellus mit der Führung des Heeres betraut.
Glücklich wies er einen Anschlag Hannibals auf die kam-panische Stadt Nola zurück und eroberte nach zweijähriger Be-
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lagerung die herrliche Stadt Syrakus, welche nach dem Tode des treuen Hieron zu Hannibal übergegangen war. Beim Sturme ward ihr Verteidiger, der große Naturforscher Archimedes, von einem Soldaten erschlagen, während er geometrische Figuren in den Sand zeichnete. Nun legten sich mehrere Römerheere vor Capua, die zweitgrößte Stadt Italiens,'.welche Hauuibals Heer in ihre üppigen Quartiere aufgenommen hatte. Um ihr Luft zu machen, drang Hannibal tollkühn bis an den Anio vor; seine numidischen Reiter streiften bis unter die Mauern Roms, welches er selbst in einer Mondnacht überblickt haben soll. Allein der Schreckensruf: „Hannibal vor den Thoren!" (Han-nibäl ante portas!) verstummte bald angesichts der thatkräftigen Maßregeln des Senates. Capua fiel und wurde grausam gestraft. Die vornehmsten Bürger wurden enthauptet oder verkauft, vielen die Hand abgehackt. So vertrieb man den Bundesgenossen die Lust, zu einem Feind abzufallen, welcher sie nicht zu schützen vermochte.
Mit dem Ansehen uud dem Glücke Hannibals ging es schnell bergab. Zwar führte sein Bruder Hasdrubal 40000 Mann ans Spanien über die Alpen, und Rom schwebte noch einmal in äußerster Gefahr. Aber ein aufgefangener Brief an den Bruder belehrte beit Eroberer Capnas, den Konsul C. Claudius Nero, ber in Unteritalien Hannibal gegenüberstaub, über beit Felbzugsplan ber „Löweubrut" bes Barkas. In Gewaltmärschen eilte er mit seinen besten Truppen seinem Kollegen Livius Salinator zu Hülse, welcher Hasbrubal aushalten sollte. In ungleicher Schlacht bei der gallischen Kolonie L-ena siel der unglückliche Karthager, und Nero ließ den Kopf desselben in das Lager Hannibals werfen, der noch vor kurzem die Leiche des in einem Vorpostengefecht gebliebenen Marcellus mit allen Ehren verbrannt und die Asche dem Sohn des toten Helden zugesendet hatte. Mit kummervoller Seele erkannte Hannibal das Schicksal Karthagos.
Bald nachher landete der junge Konsul P. Cornelius Scipio in Afrika, und Hannibal mußte, um sein eigenes Vaterland zu verteidigen, blutenden Herzens den Schauplatz einer sechzehnjährigen Ruhmesarbeit räumen. Sein Stern war im Erbleichen. Bei Zanta entschied das Kriegsglück gegen ihn, zum ersten und fetzten Mal. Er selbst mußte in Karthago, welches er seit seiner Kinderzeit nicht mehr gesehen, zum Frieden raten. Er siel hart genug ans. Das schöne Nebenreich in Spanien mit seinen Dattelpalmen, Kornfelbern unb Silbergruben wurde in zwei Provinzen umgewandelt, die stolze Flotte vor den Augen der Bürger verbrannt; Karthago mußte eine
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ungeheure Geldsumme erlegen uud geloben, keinen Krieg mehr zu führen ohne die Erlaubnis Roms.
Das war der Zw eite punische oder der Kannibalische Krieg. Durch ihn ist Rom zur Weltherrschaft gelangt.
5. Die letzten Schicksale Hannibals und Karthagos.
Erst im Unglück würdigten die Karthager Hannibals Größe. Sie wählten ihn zu einem der beiden Suffeten, welche jeweils aus ein Jahr den Vorsitz in der Gentsie führten. Seiner klugen Verwaltung gelang es, die Kriegsschuld rasch abzutragen und Geld, Truppen, Schiffe für einen neuen Krieg bereitzustellen. Roms Argwohn wurde wach. Eine Gesandtschaft erschien; Hannibal wußte, daß sie seine Auslieferung verlangen werde, und verließ heimlich seine Vaterstadt, um zum König von Syrien zu gehen.
Antiochus strebte in maßlosem Ehrgeiz, das ungeheure Reich, das sein Ahnherr Seleukos ans Alexanders Erbe gewonnen, nach allen Seiten zu erweitern. Hannibal unterbreitete ihm einen großartigen Kriegsplan. Mit 10000 Mann möge der König ihn nach Italien schicken; dann werde von Karthago Hülfe kommen und das immer noch geschwächte Rom bald unterliegen. Allein der „große" Antiochus war ein kleiner Mensch. Er verwarf den Plan, damit nicht Hannibal allen Ruhm davontrage, und fuhr hinüber nach Euböa, um in Griechenland Verbündete zu suchen.
Während er zu Ehren seiner jungen Gattin, einer Griechin aus Ehalkis, prunkende Feste feierte, landeten die Römer in Epirus. Er erwartete sie in den Thermopylen; aber M. Porcius Cato umging ihn auf dein Wege des Ephialtes, und Antiochus mußte in die Heimat entweichen. Auf dem Landweg durch Makedonien und Thracien folgten ihm die Römer. In der Entscheidungsschlacht bei Magnesia am Berge Sipylos westwärts von Sardes stand die syrische Phalanx'wie eine Mauer, die Elefanten wie Türme; aber die römische Kriegskunst brachte sie dennoch ins Wanken. Antiochus mußte im Frieden alles Land bis zum Taurus abtreten, und die Römer schenkten es ihrem treuen Verbündeten, König EumenesvonPergamos, dessen Reich der Insel Lesbos gegenüberlag.
Mit der unermeßlichen Beute, welche die Soldaten aus Asien heimbrachten, zog Verschwendung und Genußsucht in Rom ein; mit der alten Einfachheit erlosch die Ehrenfestigkeit auch aus der Führung der Staatsgeschäfte.' Als der Senat erfuhr, Hannibal verweile in Bithynien, dem Küstenland am Marmara-
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und am Schwarzen Meer, forderte er vom König Prnsias seine Auslieferung. Der weigerte sich, seinen Gast zu verraten, hinderte aber nicht, daß Bewaffnete das Wohnhaus Hannibals umstellten. Rettung war unmöglich. Da trank der greise Feldherr das Gift, welches er stets bei sich trug, und starb unter Verwünschungen gegen Rom.
In demselben Jahre starb auch sein großer Gegner Scipio, der „Afrikaner" (Africanus), im Mißmut über die Undankbarkeit seiner Mitbürger.
Auch Macedonien und Griechenland fiel dem rücksichtslosen Mißtrauen Roms zum Opfer. L. Ämilius Paullus, der Sohn des unglücklichen Helden von Cannä, schlug König Perseus in der Schlacht bei Pydna und brachte ihn im Triumph nach Rom. Fanfarenbläser voraus und Wagen voller Beute, Abbildungen der eroberten Städte, der Schlachten und Gefechte; dann 100 weiße Stiere, die anf dem Kapitol geopfert werden sollten; darauf der unglückliche König selbst mit seinen beiden Knaben. Ihm folgte, umringt von Stabträgern im Purpurgewand, auf reichgeschmücktem Wagen stehend, welchen Musiker und Sänger im Tanzschritt umschwärmten, der Triumphator in goldener, sternenbesetzter Toga, den elfenbeinernen Stab in der Hand, auf dem Haupte den Lorbeerkranz, umgeben von seinen Kindern und Verwandten, begrüßt von dem raufc6enden Jubel des Volkes, welches die festlich geschmückte Heilige Straße zum Kapitol in dichtem Gedränge durchwogte. Brennendes Räucherwerk wurde dem Triumphwagen vorangetragen, dahinter schritt in Marschordnung das festlich bekränzte Heer, lustige Lieder singend, in welchen der Feldherr gepriesen, auch wohl geneckt wurde. Ämilius wurde sein Ehrentag bitter vergällt. Von vier liebevoll erzogenen Söhnen hatte er zwei an kinderlose Familien abgetreten; die beiden anderen starben ihm um die Zeit des Triumphes. Da trat der tiefgebeugte Greis vor das Volk: in seiner Siegeslaufbahn habe er, besorgt um den Neid des Schicksals, die Götter angerufen, wenn auf all sein Glück ein Unheil kommen müsse, möge es ihn treffen, nicht sein Volk. Jetzt danke er der Gottheit, die sein Gebet erhört habe. Bald nachher folgte er seinen Söhnen ins Grab.
Einer seiner Söhne, welchen Scipio Africanus’ Sohn an Kindesstatt angenommen (adoptiert) hatte, wurde der Zerstörer Karthagos.
Eifersüchtig verfolgte Rom den neuen Aufschwung Karthagos. Der finstere Cato, wegen feiner Strenge in der^Censur (Jen-s o ri»s genannt, schloß jede seiner Reden im Senat mit dem Satze: „Im übrigen ist meine Meinung: zerstöret Karthago!"
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In hohem Alter erlebte er noch die Kriegserklärung. Beide Konsuln fuhren mit großer Heeresmacht in den Dritten puni-sch en Krieg. In toicilieit forderten sie den jammernden Karthagern 300 vomehme Knaben als Geiseln, nach der Landung in Afrika ihre Schiffe und Waffen ab. Lange Wagenreihen brachten Rüstungen, Schwerter, Geschosse, auch grobes Geschütz, Balliften und Katapulte, mit welchen große Steiue und Balken geschleudert wurden.
Erst jetzt verlautete die wichtigste Forderung: vier Stunden vom Meere sollten die Karthager sich ansiedeln, da ihre Stadt der Vernichtung geweiht sei. Diese schnöde Zumutung weckte nach kurzem Entsetzen die entschlossenste Thatkraft. Man erklärte die Sklaven für frei und bewaffnete sie; Tag und Nacht ward an neuen Waffen aller Art gearbeitet; aus ihren eigenen Haaren drehten die Frauen die Stränge für die Wurfgeschosse. “ Drei Jahre lang wehrte sich die Stadt in verzweifeltem Heldenmut. Endlich erhielt der junge P. Cornelius Scipio Amilianu§ den Oberbefehl über die Belagerer. Nach schrecklichen Kämpfen zu Wasser und zu Lande drang er in die Stadt ein; aber noch viele Tage lang dauerte das schauerliche Würgen auf den Straßen und Dächern, bis die Burg erobert war und der Oberfeldherr sich dem Sieger ergab. Seine Gattin stürzte sich samt ihren Kindern und mit Hunderten von Menschen in die Flammen des Asklepios-Tempels. Viele Tausende ließ der menschenfreundliche Römer durch ein Pförtchen entwischen.
Beim Anblick der Feuersäulen, welche die stolze MeereS-fürstin verschlangen, mußte Scipio au Hektor denken: wie diesen beschlich ihn aus der Höhe des Ruhmes die Ahnung, daß auch über die Vaterstadt der Untergang heraufziehen werde.
IV. Die großen Staatsrill,Wälzungen.
1. Die Brüder Gracchus.
In demselben Jahr wie Karthago zerstörten die Römer auch die Perle Griechenlands, Korinth, und wie Afrika wurde Macedonien samt Achaia (d. H. Hellas) als Provinz eingerichtet. Ohne Widerspruch beherrschte Rom die Userläuder des Mittelmeeres. Aber seine Statthalter verwalteten die Provinzen mit grausamem Eigennutz ; mit der Beute, die sie heimschleppten, veranstalteten sie im Circus öffentliche Spiele voll Prunk und
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Aufregung, Kämpfe wilder Tiere und als Fechter eingeübter Lklaven (Gladiatoren). Dafür erhob das Volk seine Spender, oder auch ihre Söhne, zu immer neuen, immer einträglicheren „Ehrenämtern". Die riesigen Landgüter (Latifundien) dieser „Nobilität" (des Amtsadels) zogen sich mit ihren Parkanlagen und Weidetriften durch ganz Italien; sie wimmelten von frechem Sklavenvolk, während der ehrbare Bauernstand seit den Verheerungen des Hannibalischen Krieges immer mehr ausstarb.
Diesen Versall suchten zwei edle Jünglinge aus der „No-bilität" aufzuhalten: die Enkel des älteren Scipio Asricanus, Tiberius und Gains Gracchus. Ihre früh verwitwete Mutter, die treffliche Cornelia, lehnte die Hand des Königs von Ägypten ab, um nur für ihre „Edelsteine", ihre Kinder zu leben. Rechtschaffenheit, Einfachheit, Mut war der Schmuck, den sie ihren Lieblingen mitgab. Unter seinem Schwager, dem jüngeren Asricanus, diente Tiberius im dritten Punierkrieg; er war unter den Ersten, welche die Mauer Karthagos bestiegen. Darauf begleitete er als Quästor ein Heer nach Spanien, wo die Bergfeste Numautia am oberen Duero den Römern hartnäckig widerstand.
Auf der Reife durch Etrurien sah er statt der Bauern nur Scharen ausländischer (barbarischer) Sklaven bei der Feldarbeit. Mit dein Vorsatze, den freien Bauernstand zu erneuen, bewarb er sich ums Tribunal und beantragte nach dem Antritte des Amtes alsbald ein Gesetz, daß jeder Besitzer von Allmendland 500 Morgen als Eigentum behalten dürfe, der Überschuß jedoch gegen Entschädigung abgetreten und unter die besitzlosen Bürger verteilt werdeii solle. Wie drängte sich das Volk um seinen jungen Anwalt, wenn er in seiner sanften^ ruhigen Art die Not des armen Mannes schilderte, der keine Scholle Ackers, nicht einmal, wie das Tier des Feldes, einen Unterschlupf besitze; dem nichts gehöre als Licht und Lust! Die „Optimalen" (Aristokraten) widerstrebten heftig diesem Umsturz. Die Staatsländereien, welche Tiberius antastete, hatten ihre Familien seit Jahrhunderten als Eigentum behandelt, Schlösser und Tempel, Gärten und Ahnengräber darauf angelegt. Wirklich drohte die Reform durch das Veto des Tribuns M. Octavius zu scheitern. Daher schritt Tiberius zu einem verfassungswidrigen Mittel: er ließ den Tribun durch das Volk absetzen. Jetzt ging das Gesetz durch; aber die erbitterten Optimalen überfielen mit Knütteln eine Volksversammlung auf dem Kapitol, Tiberius wurde im Gedränge mit 300 Anhängern totgeschlagen und die Leichen in 133 die Tiber geworfen. _ r* ^
Der Fortsetzer seines Werkes und sein Rächer ward sein
neun Jahre jüngerer Bruder Gaius Gracchus. Auch er erstritt die ersten Lorbeeren unter seinem Schwager Scipio, der in Tiberins' Todesjahr Nnmantia bezwang. Dann gewann er durch die zornige Kraft seiner Rede, allen Vorkehrungen des «Lenates znm Trotze, das Tribunal. Er erleichterte den Kriegsdienst und verschaffte den Armen ans Staatskosten billiges Brot; er gründete schnurgerade Handelsstraßen ans glatten Steinen und festgestampftem^ Sande; durch Überbrückungen (Viadukte) leitete er sie über Ströme und Abgründe hinweg und faßte sie mit Meilenzeigern und Aufsteigsteinen für die Reiter ein. Nach Capna und Tarent führte er Kolonien, zu welchen er auch Latiner^ zuließ, und suchte letzteren das volle Bürgerrecht zu verschaffen. Er war der mächtigste Mann im Staate; ein Schwarm von Handwerkern und Ingenieuren, von Künstlern und Gelehrten, von Offizieren und Gesandten umgab ihn wie einen Fürsten.
Dieser Glanz bot dem Senate die Handhabe, um gegen den hochfligenden Ehrgeiz des Tribuns den Argwohn des Volkes zu erregen. Während er in eigener Person an der Stelle Karthagos, welches Scipios Fluch zur Schafweide bestimmt hatte, eine neue große Kolonie Jnnonia einrichtete, sprengte man unheimliche Gerüchte aus: Winde hätten die Flaggenzeichen zerfetzt, Wölfe die Grenzpfähle ansgerissen. Der Senat hintertrieb GaiuS' Wiederwahl. Als mau sich anschickte, auch seine Gesetze abzuschaffen, entspann sich zwischen beiden Parteien ein blutiger Kamps. Das Volk ließ seinen Wohlthäter im Stich; er bekam kein Pferd zur Flucht. Da ließ er sich im Hain der Furien jenseits der Tiber von einem treuen Sklaven ermorden. Seinen Kopf wog der Konsul Opiinius mit Gold ans; die Leiche ward
mit Tausenden seiner Anhänger in den Fluß geschleift; seiner
Mutter und Gattin verbot man zu trauern. Jetzt freilich weihte das Volk seine Todesstätte und schmückte sie mit Blumen und Früchten.
Die ehrwürdige Cornelia verbrachte den Abend ihres Lebens am schönen Golf von Neapel, von griechischen Künstlern und Denkern umgeben, mit Königen Geschenke tauschend. J„ heiterer Ruhe erzählte sie ihren Gästen von ihrem großen Vater und ihren großen Söhnen. Ihr Grabstein zeigte ihren Namen mit dem Zusatze: „Die Mutter der Gracchen."
2. Marius und Sulla.
Während schwere innere Wirren das Reich bis in seine
Grundfesten erschütterten, rieben die germanischen Stämme der
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Ciinbern und Teutonen ein Römerheer uach dem andern auf, und der verschlagene König Jugurtha in Numidieu (Algerien) bestach einen Feldherrn des Senates nach dem andern; der unheimliche Mann sprach unverholen aus, ganz Rom sei feil, wenn ein Käufer komme. ^
Ein Bauernsohn tilgte diese Schmach, Gaius Marius. Aus einem Gebirgsdorf unweit der Volskerstadt Arpinum gebürtig, zeichnete auch er sich unter Scipio vor Numantia aus. Als 'eilt Neuling (homo novus), den kein Ahnenbild, wohl aber eine Brust voll Narben empfahl, errang er das Konsulat. Er vertrieb Jugurtha von Land und Leuten; König Bocchus von Mauretanien, zu welchem der König sich geflüchtet, lieferte ihn dem von Marius entsendeten Quästor toufia aus. Am Anfangstage feines zweiten Konsulates hielt Marius seinen Triumpheinzug. Der heißblütige Afrikaner wurde in die Kellerräume des Staatsgefängnisses am Forum (Tullianum) hinabgestoßen und verhungerte in der kalten „Badestube".
Immer wieder zum Konsul gewählt, bannte Marius in zwei glanzvollen Feldzügen den „Kimbernschreck". Man nannte ihn den zweiten Camillus, den dritten Gründer Roms. Auf der Höhe dieses Ruhmes blieb er, wie ein Römer der alten ^eit,$ eilt Verächter der feineren Bildung, welche damals in Rom eifrige Pflege fand; die Sprache der Griechen zu lernen, dieser Unterthanen Roms, deuchte ihn eine Lächerlichkeit. Um so mehr Hingen die Soldaten an ihm, deren Brot er aß, an deren Schanzarbeiten er Hand anlegte und in deren Glieder er jeden Tapfern aufnahm, auch weitn es ein wklave war.
Aber in betn unersättlichen Ehrgeiz, Roms mächtigster Mann zu werde», hörte er auf der beste zu sein. In seinem sechsten Konsulat ließ er sich mit deu^„Volksverhetzern" (Demagogen) ein, um sie dann wieder dem 'Senate preiszugeben. So verdarb er es mit allen unb ging mißmutig nach Asien. Bald kam der ersehnte Anlaß, wo man sein Schwert wieder brauchte.
Die Mars er und andere „Bundesgenossen" im Gebirg empörten sich, um das volle Bürgerrecht zu erkämpfen. In diesem Marsischen Bundesgenossenkrieg erhielt auch Marius ein Kommando. Aber ehe der alte und gebrechliche Mann neue Lorbeeren erntete, übertrug ihm das Volk als Stellvertreter des Konsuls („Prokonsul") die Führung des großen Krieges gegen König Mithridates in Asien, welche der Senat bereits dem Konsul Sulla zugesprochen hatte. Es geschah das Unerhörte. Sulla führte sein Heer wider Rom! Die Herrschaft des Senates und der Optimaten ward wieder hergestellt. Der Retter Roms war vogelfrei. Ein alter Laudmaun verbarg ihn
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im Schlamme der Poniptinischm Sümpfe an der Liris-Mündung die Verfolger zogen ihn heraus und brachten ihn nach Min-tnrnä. Ein kimbrischer Sklave sollte ihn töten; aber die stin-kelnden Augen des Alten schreckten ihn und der zornige Ruf: „Mensch, du unterfängst dich, Marius zu morden?" Er stürzte heraus mit dem Geschrei: „Ich kann Marius nicht morden." :»tun schämten sich doch die Ratsherren, die ihn gesendet, und verhalten dem Helden zur Flucht. Heimatlos hauste er an der afrikanischen Küste, auf dem Schutte Karthagos, bis sich seine Anhänger in Rom mit den immer noch aussätzigen Buudes-genoffen gegen die Optimalen verbanden. Jetzt kam seine «eit In geringem Gewände, das Haar seit seiner Ächtung nicht mehr geschnitten, ^jog er zu in Rom ein. Eine Bande zusammengelaufener Sklaven umgab den rachgierigen Mann und nmcbte jtben nieder, dessen Grutz er nicht erwiderte. Das gräßliche Mord entnahm kein Ende, bis der edelste Führer der Volkspartei, Sertorius, die Mordgesellen umringen und niederstechen ließ Manns wurde zum siebten Mal, wie es ihm in der Kinderzeit verheißen worden, Konsul. Aber nach wenigen Tagen 36 starb er. Schlaflos vor Aufregung und Gewissensangst hatte
" e6r- er Ruhe gesucht im Truuk; dem erlag sein siebzigjähriger Körper
Ein Opfer der nngezähmten Ehrsucht, die im Kriege den Feinden, im frieden den Bürgern verderblich geworden, gina der einst wackere Mann zu Grunde.
Rom atmete auf, nur für kurze Zeit.
Am Ostrande des Schwarzen Meeres hatte König Mithri-
dates sein Stammland Pontus bis über das alte Kolchis aus-
gebreitet. Bedroht von der Tücke seiner Verwandten, hatte der frnhverwaiste Jüngling sieben Jahre lang kein Hans betreten und an den Genuß aller Gifte sich gewöhnt. Kein Roß war -hm zu feurig. Im Schnellauf ereilte er die Tiere des WaldeS, um |ie mit dein Drucke seiner Arme zu erwürgen. Leiter und Vorbild seines Heeres, konnte er mit sämtlichen 22 Völkern seines Reiches in der eigenen Sprache sich verständigen Er war als Staatsmann und Feldherr nicht unwert des großen Karthagers, de,sen Kraft und Rötnerhaß er in sich trug.
An der Westgreuze seines Machtgebietes hatten die Römer aus dem Duidochenreiche Pergamns, welches der letzte König Attaliis III. ihnen vermacht, die Provinz Asien gebildet. Die Beamten des Senates plünderten in dem üppigen Krösus-Lande; mcht minder die Beamten der „Ritter", der reichen Steuerpächter, welche die Staatsgefälle in den Provinzen (Zölle von ibaren, den Zehnten von Feld-, den Fünften von Baumfrüchten) den Staatskassen vorausbezahlten, um sie dann doppelt und drei-
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facf). einzutreiben. Als Mithridates noch während des Bundesgenoffenkrieges in die Provinz einrückte, loderte der Fremdenhaß mächtig empor. Beamte, Zöllner, italische Kaufleute, alles was über dem Leibrock, der Tunika, den weißwollenen Überwurf des Römers, die Toga trug, augeblid) 80000 Menschen, wurden an einem Tag erschlagen. Es hieß, der Großkönig habe von Ephesus aus diesen Blutbefehl an alle Städte gesendet. Ungehemmt erschienen seine Heere in Griechenland. Endlich kam L. Cornelius Sulla und schlug sie beiCharonea und in der heißen 86 Schlacht bei Orchomenos. Darauf ging er nach Asien hin- »• ®r-über und erzwang den Frieden, in welchen: der König alle Eroberungen, alle Kriegsgefangenen ausliefern mußte.
Jetzt erst wendete sich Sulla gegen die Marianer. Bei Brundisium (Brindisi) landend, zersprengte er im Fluge die Heere der Volkspartei. Die „neuen Bürger", die Bundesgenossen, welche Pontius von Telefia aus den samnitischen Bergen vor Rom führte, um den Wald auszurotten, in welchem die Wölfe wohnten, wurden in hitziger Schlacht am Kollinischen Thore vernid)tet.
Sulla war Herr in Rom. Er nahm den Beinamen Felix (der Glücklid)e) an und ließ sich zum Diktator ernennen. Mit kaltem Blut übte er Vergeltung an der marianischen Partei.
Lange Verzeichnisse gaben diejenigen bekannt, deren Leben verwirkt war. Ihre Mörder erhielten eine ansehnlid)e Belohnung, das Vermögen der Geäd)teten (Proskribierten) wurde eingezogen. Während diese „Proskriptionslisten" unter den Häuptern entsetzlich aufräumten, wurden ganze Stämme Mittelitaliens, die als Neubürger für Marius gefochten hatten, völlig ausgerottet und in ihren Wohnsitzen Sullas alte Soldaten (Veteranen) angesiedelt. Doch behielten die Ztaliker das Bürgerrecht. Alle Macht aber wurde in die Hände des Senates gelegt, welchem alle vom Volke gewählten höheren („ kurulischen ") Beamten (Quästor,
Ädil, Prätor, Konsul) angehörten.
Fern von Marius' Herrschsucht, legte Lulla sein Amt freiwillig nieder und zog sich in eine der prad)tvollen Villen bei Bajä unweit N-eapels zurück. Seine Leiche wurde nad) Rom überführt und auf dem Marsfeld mit königlichen Ehren verbrannt.
3. Pompejus.
Durch Sullas Tod wurde Guäns Pompejus der mäd)= tigste Mauu in Rom. Mit dreiundzwanzig Jahren hatte er für den heimkehrenden Sulla auf feinen weitgedehnten Erbgütern drei Legionen gesammelt, und der Diktator hatte ihn für
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seine erfolgreichen Züge nach Sicilien und Afrika mit dem Bei-namen Magnus (der Große) und einem Triumphe belohnt. Mehrere Jahre stand er in Spanien den Überresten der mariani-schen Partei gegenüber; aber erst als deren großer Führer Sertorins ermordet war, gelang ihm die Bezwingung der Halbinfel. Ein anderer Glücksfall begegnete ihm auf dem Heimwege.
Die Sklaven einer Fechterfchnle in Capua waren infolge grober Mißhandlung ausgebrochen. An den Abbeingen des Vesuvs errichteten sie ein Standlager, welchem Tausende unglücklicher Sklaven und verarmter Banern zuströmten. Spartacns, der als Kriegsgefangener die Freiheit verloren, fchnf aus diesen Räuberbanden ein Kriegsheer, und der Sklaven krieg wälzte sich durch ganz Italien; Rom zitterte vor den entfesselten Mordbrennern- Endlich drängte der Proprätor Marcus Crassus die immer bedrohlicher anschwellenden Scharen nach der Fußspitze Italiens, nach Bruttium, wo er sie durch einen von Meer zu Meere reichenden Graben einschloß, und als sie durchbrachen, schlug er sie in einer großen Schlacht. Spartacns starb den Tod des Helden. 6000 Mann wurden an der Appischen Straße von Capua bis Rom ans Kreuz geschlagen. 5000 Versprengte liefen in den Alpenthäleru Pompejus in die Hände. Noch im Ritterkleide mit purpurnem Doppelsanm feierte Pompejus seine» zweiten Triumph uud wurde mit Crassus zum Konsul erwählt.
Einige Zahre später säuberte er in fröhlicher Treibjagd binnen dreier Monate das Mittelineer von beit frechen Seeräuber«, welche feit dem Beginne der Staatsnmwälzungen „auf dem Meere ernteten", Hunderte von Küstenstädten brandschatzten und durch Wegnahme der Kornschisse Rom selbst in Hungersnot stürzten. Er zerstörte ihre „Mauskähne" und ihre Atlseirnester in Jsaurien und Cilicien und suchte aus den Räubern durch Ansiedelung in Städten wieder ordentliche Bürger zu machen.
Noch damit beschäftigt, erhielt er den unumschränkten Oberbefehl in dem erneuten Kriege mit Mithridates. Der trotzige Barbar wollte fein Nachbarland Bithynieu, welches König Niko-medes III. den Römern vermacht hatte, nicht in den Händen seiner- Erbfeinde sehen. L. Lukullus warf ihn zurück und drang kühn in Armenien ein, dessen stolzer König Ti graues der Schwiegersohn des politischen Großherrn war. Die Römer, „zu wenig für ein Heer, zu viel für eine Gesandtschaft", schlugen die armenischen Massen, die sich bei ihrer neuen Hauptstadt Tigrano-kerta ausgestellt hatten, schmählich in die Flucht. Aber als Lukull
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auf ben Spuren Xenophons ruhmvoll vorbrang in bie Berge Armeniens, zwangen ihn bie zuchtlosen L>olbaten, bas Laub ber Kastanien, Manbeln unb Wallnüsse, ber Pfirsiche unb Kirschen zu verlassen. Aber auch Mithribates war aufs äußerste erschöpft.
Pompejus brängte ihn benn auch bis auf bie ferne Taurische Halbinsel (Krim), wo er sich verzweislungsvoll bas Leben 6:1 nahm. " Tigranes legte sein königliches Stirnbanb (Diabem) ”• 66t-Pompejus zu Füßen unb erhielt es zurück als ein Schützling (Vasall) ber Republik.
Nun schaltete ber römische Felbherr wie ein König im Morgenlanbe. Er orbnete bie Provinzen Bithynien unb Cilicien unb begrünbete nach beut Sturze ber Seleueiben bie Provinz Syrien. Er unterwarf Palästina, bas einzige Sanb, welches nach ben Vorschriften seines großen Gesetzgebers Moses ben Glauben an einen Gott (Monotheismus) festgehalten hatte.
Das „auserwählte Volk" war nach beut Tobe seiner großen v 6bt Könige Davib unb Salomo in bie beiben Reiche Israel (im Rorben) imb Juba (im Süben) zerfallen. Israel zerstörten bie Assyrer, Jnba ber Babylonierkönig Nebiikabnezar. Cyrns ber Perser erlaubte ben Juben bie Heimkehr ans ber „Babylonischen Gefangenschaft"; Jerusalem und ber Tempel Jehovahs wurden wieder ausgebaut. Trotz der Warnungen ber Propheten immer wieder von Gott abfallend, gerieten sie aus der persischen unter die mcicedouische, bann unter bie syrische Herrschaft. Von letzterer hatte sie ber Helbenkampf ber Makkabäer wieder befreit.
Aber innerer Zwiespalt wurde ihr Verberben. Die oeften ber Sabbucäer unb Pharisäer tagen' in bitterem Streite, unb bie beiben um bie Herrschaft habernben SBmber Hyrkanus unb Ari-stobulus riefen Pompejus' Entscheidung an; Aristobulns schenkte beut Schiebsrichter bas kostbarste Weihestück des Tempels, den goldenen Weinstock, welcher fortan den Jupitertempel auf dem Kapitole schmückte. Dennoch sprach Pompejus dem Pharisäer-fchützling Hyrkanos bie Krone zu unb erstürmte den todesmutig ? verteidigten Tempel. Am Altare ließen die Priester sich niederhauen, während sie mitten im Kampfe dem Gottesbieust oblagen. Pompejus betrat bas Allerheiligste, ohne ben Tempelschatz zu berühren. Von nun an harrten bie Juben sehnsüchtig bes Messias, welcher sie befreien unb bas Reich Davibs wieder ausrichten werbe.
Pompejus aber feierte in Rom seinen britten Triumph, diesmal über Asien, wie früher über Afrika unb Spanien. Er war ber „große" Besieger ber Welt.
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, 4. Cicero und Catilina.
Während im Osten Pompejns die Römergrenze bis an das vermeinte Ende der Welt vorschob, rettete ein Mann in der Toga daheim die Verfassung. Es war Roms größter Redner M. Tnllius Cicero aus Arpinnm. Die feine Bildung, welche er sich in Ron, erworben, hatte er in Athen und auf der Insel Rhodos erweitert. Als mutiger und geschickter Sachwalter gewann er das Vertrauen des Volkes, welches den ahnenlosen Landsmann des Marius zu allen Ehrenämtern erhob. Er entlarvte den wahnsinnigsten Blutsauger unter den Statthaltern, den Proprätor Verres, von dessen Erpressungen au Geld und Kunstschätzen, von dessen Schwelgerei und Rechtsmißbrauch sicilieu sich nie ganz erholt hat. Noch ruhmvoller war der 63 Kampf, welchen er als Konsul gegen Catilina führte.
Der hatte in Sullas Tagen eine Anzahl Geächteter um der ausgesetzten Belohnung willen ermordet. Eine Anklage, die er sich durch seine Verwaltung der Provinz Afrika zugezogen, machte es ihm eine Zeitlang unmöglich, in der blendendweißen Toga (toga candida) sich ums Konsulat zu bewerben. Dann fiel er unter Ciceros Konsulate durch; die Schar junger Ritter, welche in Waffen den wahlleitenden Konsul umgab, der Harnisch,' der unter des letzteren Toga sichtbar wurde, machte die' Bürger-auf die Gefährlichkeit dieses „Kandidaten" aufmerksam. Zum äußersten entschlossen, schritt Catilina zur Verschwörung. ~ Er versprach den Kindern der von Sulla Geächteten die Rückgabe des eingezogenen Vermögens ihrer Väter, andern Bedrängten ^chulderleichterung und Grundbesitz; die in den Händen weniger Reichen aufgehäuften Güter müßten aufgeteilt werden. Bei Fäfnlä im Arno-Thale (Fiesole bei Florenz) sammelte ihm der alte Sullaner-Hanptmann Manlius ein Heer, bei welchem er selbst sich einfand mit den Liktoren des Konsuls. Rom sollte bei seinem Anmarsch an zwölf Ecken angezündet, Konsul und Senat ermordet werden. Das alles erfuhr Cicero, doch ohne es beweisen zu können.
_ Da ließ sich eine Gesandtschaft der Allobroger, eines zwischen Rhone und Jsöre wohnenden Gallierstammes, auf Ciceros Wunsch in die Verschwörung ziehen; dann ließ er ihnen die Briese an Catilina, welche sie von den Rädelsführern in Rom erhielten, bei ihrer nächtlichen Abreise an der Milvischm Brücke abnehmen und brachte sie sofort dem Senate zur Kenntnis. Die Catilinarier, deren Schuld erwiesen war, wurden im Staatsgefängnis erdrosselt. „Sie haben gelebt!" rief Cicero dem dichtgedrängten
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Volke zu. Im Senat und in der Volksversammlung wurde er als Vater des Vaterlandes begrüßt. Das war der Höhepunkt seines Lebens.
Wenige Wochen später sielen Catilina und Manlius in heißer Schlacht bei Pistoria in den etrurischen Appennmenpüssen.
Die Herrschaft des Senates war noch einmal gerettet; die „versammelten Väter" wagten sogar zähen Widerstand gegen die Ansprüche deS heimkehrenden Pompejus.
5. Gaius Julius Cäsar.
C. Julius Cäsar entstammte dem Jnlierhause, als dessen Ahnherr ÄneaS' Sohn Julus (Askanius) galt; seines Vaters Schwester Julia war Marius' Gattin. Von seiner Mutter Anrelia trefflich erzogen, that er zu Sullas Zeit die erste» Kriegsdienste in Kleinasien. Später ging er nach Rhodns, um bei Ciceros Lehrern sich in der Redekunst zu vervollkommnen.
Er siel Seeräubern in die Hände. Sie verlangten ein Lösegeld von 20 Talenten (100 000 Mk.); er schalt, sie wüßten ihn nicht zu schätzen, und bot ihnen fünfzig, die ein Diener in Milet holen mußte. Nach der Freilassung verschaffte er sich Schiffe, fing die Räuber und ließ sie kreuzigen, wie er es ihnen oft verheißen, wenn sie seinen Schlummer störten oder seine Verse nicht lobten.
Als Ädil ließ er die umgestürzten Denkmäler und Siegeszeichen seines Oheims Manns wieder ausrichten und veranstaltete Spiele von nie gesehener Pracht; 320 Fechterpaare traten ans in silbernen Rüstungen. Das Volk vergötterte ihn und wählte ihn zum Oberpriester (Pontifex maximus), zum Leiter des ganzen Gottesdienstes. Nach der Prätur verwaltete er das Jenseitige Spanien. Bis in die Sierra da Estrella (bei Lissabon) und in die galicischen Berge trug er die Adler Roms. Die Beute genügte reichlich, die Gläubiger zu be-friedigeu. Um höher zu steigen, schloß er mit dem gekränkten Pompejus und mit Crassus einen beschworenen Dreibund (Triumvirat).. Durch ihre politische Klugheit, ihr Ansehen und ihren Reichtum wollten sie einander unterstützen in der Gewinnung und Ausnutzung der Herrschaft.
Cäsar wurde Konsul. Seinen Kollegen BibuluS schüchterte 59 er vollständig ein; der Volkswitz sprach vorn Konsulate Julius Ehr, und Cäsar. Er sorgte, daß Pompejus' Anordnungen im Morgenlande bestätigt, den pornpejanischen Veteranen die Landgüter, welche ihr Feldherr ihnen versprochen hatte, zugeteilt wurden.
Ihm selbst übertrugen Volk und Senat die beiden gallischen
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Provinzen diesseits und jenseits der Alpen, die Gebiete des Pos und der Rhone („Provence")- Von dort aus eroberte er ganz Gallien von den Pyrenäen bis zur Nordsee.
Die keltischen Helvetier, welche aus ihrer engen Heimat in das lachende Gelände an der Garonne einwandern wollten, schlug er bei Bibrakte (Autuu) am Westfuße der Goldhügel (Cöte d'or) und schickte sie nach furchtbaren Verlusten heim in ihre Berge. Im nämlichen Jahre trieb er den germanischen Heerkönig Ariovist über den Rhein zurück. Zum ersten Mal erschien eine Römerflotte im Ozean; zum Erstaunen seiner Lands-lente ging Cäsar über den Rhein und das Ärmelmeer.
Das Galliervolk fand sich schwer in die Knechtschaft. Anf-ftände der Eburouen in den Ardennen und der halbgermanischen Trevirer (bei Trier) mußten gezüchtigt werden. Die umfassende Empörung, welche der Arverner Vercingetorix anschürte, wurde nur durch Cäsars Schnelligkeit und unerschütterlichen Mut, sowie durch die treue Hingebung seiner geschulten Krieger und die Uneinigkeit der Gallier bewältigt. In dem fürchterlichen Ringen bei der Bergfeste Alesia (westlich von Dijon), in welche sich Vercingetorix geworfen, griff Cäsar wiederholt persönlich ein. Endlich warf sich Galliens größter Sohn seinem Überwinder zu Füßen.
Ein halbes Jahrtausend blieben die gallischen Provinzen ein Hauptsitz römischer Bildung und eine starke Schutzmauer des Reiches gegen die gefürchteten Germanen.
6. Die Begründung der Monarchie.
In Rom hatte der Senat alle Macht verloren. Der freche Bandenführer P. Clodins füllte ungestraft Plätze und Straßen mit schrecken und Verwüstung. Cicero mußte, weil er römische Bürger ohne richterliches Urteil hingerichtet, blutenden Herzens in die Verbannung gehen; die Trennung vom Vaterlande empfand der Römer bitter wie den Tod. Auch nach seiner Rückberufung dauerte Mord und Brand fort, bis der Optimat Milo eine andere Bande von Knüttelträgern anwarb und ClodinS totschlug.
Während dieser allgemeinen Meisterlosigkeit starb Pom-pejus' geliebte Gattin, Cäsars einziges Kind Julia; auf einem übermütigen Feldzuge gegen die Parther in der Wüste Mesopotamiens fand Crassns mit sieben Legionen den Untergang. Pompejns machte wieder Freundschaft mit dem Senate, um Cäsar ;n beseitigen. Hochmütig prahlte er, er könne überall Legionen aus dem Boden stampfen. So sollte denn der Nebenbuhler Cäsar aus Gallien abgerufen und durch eine Anklage vernichtet werden.
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Zwei Tribunen, welche mit ihrem Veto für ihn eintraten, wurden bedroht. Sie flüchteten in sein Lager, „ec falle der Würfel! rief er aus und überschritt den Rubiko, den Grenzfluß der diesseitigen Provinz.
Binnen sechzig Tagen war Italien samt der Hauptstadt, in menig Tagen Spanien seist ohne Schwertstreich in (Sä)(tu8 Hand. Sorgsam schonte er Blut und Eigentum der Bürger-aus seiner glänzenden Siegesbahn.
Mit genauer Not war Pompejus über Brundismm ent-koinmen. Zn Griechenland sammelte er zahlreiche, buntscheckige Streitkräfte" ehe Cäsar auf einer zusammengerafften Flotte in Epirus landete. In den Kämpfen bei Dyrrhachinm, dem alten Epidamnos, sah sich dieser von seinem Glücke oerfassen._ Er änderte dabei" seinen Kriegsplan. Nach Thessalien ziehend, schlug er den ihm nachfolgenden Pompejus in der L-chlacht beiPhar-falus. Germanen sollen es gewesen sein, die, aus Cäsars Ne- >-serve vorbrechend, Pompejus' überlegene Reiterei über den Hausen warfen, als sie Cäsars rechten Flügel umgehen wollte.^ Feige preisgegeben von seinen Führern, deren üppige Zelte den Liegern zusielen, mußte das Senatsheer die Waffen strecken. Es wurde begnadigt. Bei der Landung an der ägyptischen Küste wurde Pompejus ermordet vor den Augen seiner jungen Gattin, der hochgebildeten Cornelia, die er auf der Flucht in Mytilene abgeholt. Cäsar wendete sich mit Thränen ab, als man ihm bet seiner Ankunft das blutige Haupt seines einstigen Freundes zeigre.
Ein Aufruhr der Ägypter gegen die stets gehaßten Fremden brachte ihn in die größte Gefahr. Bei einem Gefecht am Hasen zu Alexandria rettete er sich durch Schwimmen; seinen Mantel erbeutete der Feind. Mit der ägyptischen Flotte, die er verbrannte, ging die ptolemäische Bibliothek, die größte und werlvollste der Welt, in Flammen auf. Endlich kam Hülfe und mit ihr der Sieg. Ägypten wurde unter der jungen Königin Kleo-patra ein Vasallenstaat Roms und ein Lieblingsziel der Reisenden.
Rascher verlief der Feldzug gegen Mithridates' Sohn Pharnakes, welcher das väterliche Reich herzustellen versuchte. ,,Veni, vidi, vici“ (Ich kam, sah, siegte) schrieb Casar nach
dem fünftägigen Feldzuge. _ .
Während dieser Kämpfe im Osten zogen die Pompesaner in der Provinz Afrika ein Heer zusammen, über welches der hod)-mütige Numidierkönig Juba den Oberbefehl beausprudste. Cäsars abgehetzte Soldaten' wollten nickt nochmals übers Meer. Mit scheinbarer Nachgiebigkeit redete er sie „Quirlten" (Bürger) an nicht (Kommilitonen (Kameraden) wie sonst. Das eine V-'Ort brach die Widerspenstigkeit. In erneuter Treue ersochten sie
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. Chr.
chm den Sieg in ber großen Morbschlacht bei Thapsus süb-wärts Karthagos. Mit ber Republik war es aus. Der jüngere Cato, ihr eifrigster unb charakterreinster Vorkämpfer, gab sich in Utika mit eigener Hanb ben Tob. Seither ßeifit er ber Helb von Utika (Cato Uticensis).
x Der unterwürfige Senat ernannte Cäsar znrn Diktator unb Imperator (Kriegsherrn) auf Lebenszeit und überschüttete ihn mit Ehren, welche er nur zum Teil annahm. Er feierte einen viertägigen Triumph über Gallien, Ägypten, Pontus unb Afrika bewirtete bas Volk an 22000 reichbesetzten Tischen unb veranstaltete zum Anbeuten an seine Julia großartige Festspiele bei welchen Theateraufführungen abwechselten mit Gladiatorenkämpfen, Tierhetzen und sogar einer künstlichen Seeschlacht. Die erprobten Soldaten erhielten reichlich Lohn unb Ehren.
Aber nochmals mußte er zu Felbe ziehen. In Spanien entriß er tu seiner schwersten Schlacht bei Muuba (Montilla südlich von Corbova) ben betben „Knaben" bes Pompejns ben Sieg, ben seine Lieblingslegion, bie zehnte, entschieb.
Inmitten biefer Kette von Kriegen blieb beut Imperator nur wenig Zeit, bie inneren tochäben abzustellen. Doch min-bcrte er _ bie Zahl ber Müßiggänger in Rom, welche auf -Staatskosten ernährt würben, burch eine strengere Armenpolizei unb burch bie Neugrünbung Karthagos unb Korinths, wo er Tausenbe anfiebelte. Er schützte bie Provinzen vor der Räuberei der Statthalter unb nahm bie tüchtigsten Männer aus allen Parteien in ben Dienst bes Staates. Er führte ben verbesserten „juliamschen" Kalenber ein mit 365 Tagen unb einem Schalttag auf jebes vierte Jahr. Er verwenbete seine unumschränkte Macht nur zum Heile bes Ganzen. Aber bie Großen sonnten sich in bie neue Orbnung nicht sinbeit. Daß Cäsar sein Bilb aus die Münzen prägen, baß er bas Trinmphalgewanb (Purpur-meintet, Vor&eevfranj unb rote Schuhe) beständig tragen bürste baß man ihn wie einen Gott verehrte, konnten ihm bie Anhänger ber republikanischen Freiheit nicht verzeihen. Vergeblich gewarnt in seiner hochherzigen Sicherheit, erlag ber erste '„Kaiser" genau ein Jahr nach ber Schlacht bei Muuba an ben Iben bes Marken Dolchstößen ber Verschwörer.
7. Das zweite Triumvirat. C. Cäsar Octavianus.
Cäsar hatte in seinem Testamente viele seiner Mörder unb jeden Bürger bebacht unb bem Volke seinen herrlichen, mit Hallen nnb Kunstwerken reichgeschmückten Garten am rechten Tiberufer zugewiesen. Die ergreifende Leichenrebe seines Ver-
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trauten M. Antonius trieb die Mörder in die Flucht, während das Volk die Leiche seines Wohlthäters auf dem Forum verbrannte.
M. Antonius riß alle Gewalt an sich; des Diktators Reiteroberst M. Ämilius Lepidus war ihm mit seinen Truppen behülslich. Mit ihnen schloß Cäsars Großneffe C. Octavius, welchen der kinderlose Imperator in seinem Testament adoptiert hatte, nach längeren Kämpfen das zweite Triumvirat. Cäsar Octavianns, wie er nunmehr hieß, war von seiner Mutter sorgfältig erzogen. Er stand den Lastern seiner Zeitgenossen ferne; aber die Mörder feines Vaters hat er ohne Erbarmen ausgerottet. Die Trinmvirn gaben gemeinsam Gesetze, teilten die Provinzen und Legionen unter sich und achteten ihre Feinde und die angesehensten Senatoren; an der Spitze ber Proskriptionslifte stauben ein Bruder bes Lepibns unb ein Oheim bes Antonius, bie inbes beibe entkamen. Das beben-tenbfte Opfer war der greife Cicero. Nur nach langem Wider, streben gab ihn Octaviau der Rache Mark Antons preis, dessen Tyrannei er als Wortführer des Senates mutvoll bekämpft hatte. Auf seinem Lcmdgnte Formianum bei Cajeta (Gaeta) ward er von Soldaten erstochen, fein Haupt auf der Redner-bühne aufgesteckt, von welcher herab der Wohllaut und die Kraft seines Wortes so oft die Quinten bezaubert hatte. Mitten in einer schlimmen Zeit war er ein uneigennütziger Patriot und ein guter liebenswerter Mann geblieben.
' Im Rücken gesichert, unternahmen Antonius und Octavianus den Krieg gegen die Cäsarmörder M. Brutus und C. Cassius, welche auf Anordnung des Senates die Provinzen des Ostens verwalteten. Kurz vor dem Zusammenstoße erschien dem nachts im Zelt arbeitenden Brutus der Sage nach sein böser Dämon und" verkündete, er werde ihn wiedersehen bei Philipp!, und in der Schlackt bei den Goldgruben König Philipps soll der ermordete Imperator selbst im purpurnen Feldherrnmantel aus -Cassius losgesprengt sein. Von Antonius in verwegenem Angriff geschlagen, tötete sich Cassius mit dem Dolche, der Cäsars Herz getroffen. In einer zweiten Schlacht erlag Brutus nach heldenmütiger Gegenwehr. Der hochgebildete Man», welchen Cäsar geliebt hatte wie sein eigenes Kind, stürzte sich in fein Schwert. Der Sohn Catos von Utita siel; den Helm abnehmend, rief er den Verfolgern feinen Namen zu. Seine mit Brutus vermählte Schwester Porcia entleibte sich durck Verschlucken glühender Kohlen. So endeten die letzten Republikaner.
Der kränkliche Octaviau ging _ nach Rom. Die Bürger von nahezu zwanzig blühenden Städten Italiens, wie Capua unb Ben event, Venusia und Cremona, mußten nach Beschluß
der Triumvirn ihre Häuser und Felder den Veteranen einräumen. Zu all diesem blutigen Elend sperrte Sextns Pom-pejus von Sicilien aus mit seiner mächtigen Flotte die Kornzufuhr. Aber Octavians Jugendfreund M. Agrippa baute im Arverner und Lnkriuer See bei Neapel eine Flotte mit sorglich eingeübten Ruderern, vernichtete unweit Myläs unter Octavians Augen die Flotte des Räuberkönigs, der auf weiterer Abenteurerfahrt in Milet hingerichtet wurde. Lepidns war Octavian zn Hülfe gekommen; von seinen Truppen verlassen, mußte er demselben seine Provinzen abtreten. Die ganze Bürgerschaft Roms zog mit Kränzen geschmückt dem heimkehrenden Sieger entgegen.
Antonius verkam unterdessen in der üppigen, musikerfüllten Stadt Alexandria am schwelgerischen Hofe der Königin Kleo-patra. Um sich mit ihr zu vermählen, verstieß er seine edle Gattin Octavia, Octavians Schwester. Als er daun Kleopatras Kinder mit römischen Provinzen beschenkte, erklärte der Senat der Königin den Krieg. Mitten zwischen Rom und Alexandria, beiActium an der griechischen Westküste, fiel die Entscheidung. Im Toben der Schlacht fuhr die Ägypterin auf ihrem filber-strotzenden Admiralschiff durch die Kämpfenden heimwärts; Antonius folgte ibr verwirrten Sinnes. Die ganze Nacht durch brannte seine Flotte; sein großes, verlassenes Heer streckte die Waffen. Als Octavian Ägypten eroberte, endeten Antonius und daun Kleopatra durch eigene Hand. Ein gemeinsames Grab nahm sie auf. Ihre Kinder verherrlichten den Triumph des Cäsar Octaviauus.
V. Die Karserzeit.
1. Cäsar Augustus und das Haus der Julier.
Octavian war Alleinherrscher (Monarch). Der Senat häufte Würden und Rechte ans ihn; Cäsar Augustus (der Ehrwürdige, Majestät) wurde der Titel aller Kaiser Roms. Doch ließ Augustus die republikanischen Ämter weiter bestehen und lebte selbst so einfach wie vorher; seine Töchter uud Enkelinnen mußten selber spinnen und weben.
Das Kaiserreich brachte Italien ein Jahrhundert des Friedens und Glückes. Wiederholt schloß Augustus den alten Janustempel, was nur in vollkommen friedlichen Verhältnissen geschah. Die Reichshauptstadt wurde der Mittelpunkt des Welthandels.
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Menschen aller Farben und Zunge», vom Mohrensklaven, der seinen Elefanten sührte, bis zum blonden Germanen der Garde, drängten sich zwischen den Läden und Buden, in welche» die Güter der gan;en Erde zum Kause lockten: Perlen des Roten Meeres und Diamanten Indiens, Bernstein von der Ostsee und Teppiche Babylons.
Mit deu wachsenden Staatseinnahmen bestritt der Kaiser die Kosten der großartigen Bauten, durch welche er Rom aus einer Backstein- in eine'Marmorstadt umwandelte. Einen Gedanken Cäsars verwirklichend, gründete er die ersten öffentlichen Büchersammlungen. Die Großen, deren Landgüter in allen drei Erdteilen sich dehnten wie Königreiche und deren Landhäuser Städten gleichkamen, folgten dem kaiserlichen Beispiel. Man begann die Marmorbrüche von Carrara im Ligurischen Appennin auszubeuten. Auf Straßen und Plätzen, in Tempeln und Hallen gewahrte der staunende Fremde ein ganzes Volk von Erz- und Marmorbildern, die aus den Künsilerhänden griechischer Sklaven hervorgegangen waren; er überblickte die ungeheuren Bogen-reihen, welche aus den Quelle» der Gebirge meilenweit das Trinkwasser i» die Stadt leitete»;^die Röhren mündeten in künstlichen Grotten und mächtigen Springbrunnen, sie speisten Fischteiche und die öffentlichen Badeanstalten (Thermen), in deren Erbauung und prunkvoller Ausstattung die Kaiser mit einander wetteiferten, und brachten den schattenreichen Anlagen mit ihren Platanen, Lotosbäumen, Pinien und Cypressen, mit ihrem Blumeuschmelz und Vogelgesange Kühlung und Feuchtigkeit. Wie die erste Wasserleitung (Aquädukt) war der unvergleichliche Rundbau des Pantheons (Tempel aller Götter) mit seiner noch heute erhaltenen fassettierten Kuppelwölbung und seinen von Säulen eingefaßten Nischen eilte Schöpfung Agrippas. Ein anderer treuer Di euer (Minister) des Kaisers, Mä cen as, sammelte in seinem Palaste die Dichter, welche seinen kaiserlichen Freund und das Fürstenhaus verherrlichten: Virgil besang neben den Freuden des Hirten- und Landlebens in,seiner „Aneide" die Schicksale und Thaten des frommen Aueas; MäcenaS’ Herzensfreund Horaz aus Venusia im Quellgebiete des Ausidus pries iit seinen Liedern voll Geist und Anmut (Oden), wie in seinen launigen Betrachtungen (Satiren) und poetischen Briefen (Episteln) die Frömmigkeit und Sitteneinfalt der alten Zeit, wie sie Augustus wieder herzustellen strebte, aber auch "den Genuß der Natur und den Segen feiner und gemütvoller Geselligkeit, wie sie in MäcenaS’ Kreise heimisch war. Qvid, der Sohn eines Abrnzzeustädtchens, erzählte in lebensvoller Darstellung die alten Zaubermärchen (Metamorphosen)
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Griechenlands und Italiens. Sie alle, und nicht minder RomS
Geschichtschreiber Titus Livins aus Padua, wurden gelesen
vom Aufgang bis zum Niedergang und solange eine Vestalin mit
dem Oberpriester Hinanstieg zum Kapitol.
Das war das goldene Zeitalter der römischen Litteratur, der edeln Bildung und Sitte, die sich immer mehr auch den Provinzen mitteilte. Überall verstand man die lateinische und griechische Sprache, errichtete man Theater und Wasserwerke, Knnstwerkstätten und Rednerschulen, und mit den Lustgärten
voll Rosen, Lilien und Veilchen verbreitete sich der Weinbau in Gallien und am Rhein, bald auch in Ungarn.
Denn Rhein und Donau bildeten die Grenze des Weltreiches.^ Als jedoch die Römerherrschaft auch im Innern Deutsch: 9 lands Fuß fassen wollte, bereitete ihr der Cheniskerfürst A r m i -
»' Chr. nins ein Ende mit Schrecken. Dieses Unglück trübte den
Lebensabend des Kaisers. 77 Jahre alt, starb er in seiner
Geburtsstadt Nola am Vesuv.
Sein Adoptivsohn und Nachfolger Tiberius war eilt stolzer, strenger, aber auch mildthätiger Herrscher, ber am liebsten fern von Rom auf ber Felseninsel Capri am Golfe von Neapel weilte. Die von ihm bei Rom zusammengezogene Leibwache der „Prätorianer" erschlug seinen Nachfolger, ben wahnwitzigen Knaben GaiuS, Caligula (Stieselcheu) geheißen, der sein Rennpferd zum Konsul machen wollte und seinen Gästen den Fuß zum Kusse reichte. Der junge Nero, den die Garde später auf den Thron setzte, ließ seine eigene Mutter Agrippitta ermorden, nnd man glaubte, eine Feuersbrunst, welche das halbe Rom einäscherte, habe er angestiftet, um sich bei dem schauerlich schönen Anblick die Zerstörung Troias zu veranschaulichen. Da schob er die schuld auf die „Nazarener" und veranlaßte so die erste Christenverfolgung. Statt der engen winkligen Straßen jedoch, in bereit sinnbetäubenbem Gemühte Bäcker ltitb Metzger, Wirte unb Barbiere ihr Gewerbe trieben, baute er breite, luftige Straßen und fein Goldenes Haus: ba waren bie Wäitbe mit vergoldeten Marmorplatten bekleidet, ganze Gemächer mit Perlen tapeziert -bie Säle, Hatten, Gärten wimmelten von Kunstwerken, bie er im ganzen Reiche zusammengeraubt.
Von Kind auf mit Malen unb Mobcllieren beschäftigt, glaubte Nero ein großer Künstler zn sein. Er umgab sich mit Dichtern unb Gauklern, er trat als Tänzer unb Wagenlenker im Circus, sogar als länger in Konzerten und auf den Bühnen Italiens und ^Griechenlands auf; und wehe dem, der ihn nicht bewunderte! Seinen ©ruber Britanniens, auf besten Gesang er eifersüchtig war, ließ er an seiner eigenen Tafel vergiften. End-
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lief) rückte Galba, der Statthalter Spaniens, welchen seine Legionen zum Cäsar ausgerufen, über die Alpen heran. Ohne Widerstand zu versuchen, ließ sich Nero ermorden. „Welch ein Künstler geht da zu Grunde!" rief er sterbend. Mit ihm erlosch das Haus der Julier.
2. Die Flavier. Pompeji und das Kolosseum.
Noch einmal erlebte Rom und Italien ein Jahr voll schrecklichen Bürgerkrieges. Endlich siel die Krone Titns Flavins Vespasianus zu, welchen die syrischen Legionen vor Jerusalem zum Imperator ausgerufen. Ein schlichter Kriegsmann ans dem Sabinerlande, der einst bei Neros Gesang eingeschlafen war, verwaltete er das Reich wie ein sparsamer Hausvater seinen Haushalt. Er gewöhnte durch eigenes Beispiel die Bürger wieder an Ordnung unb Arbeit, bie Solbaten an Zucht unb Gehorsam; als bie Marinetruppen ein „Schuhgelb" verlangten, mußten sie ihre Dienstmärsche von bem Tiberhafen Ostia ober bem Welthafen Puteoli bei Neapel in bie Hauptstadt barfuß zurücklegen. Erstellte öffentliche Lehrer an unb unterstützte bie Dichter burch Geldgeschenke; für bie unverschulbete Armut wie bei großen Unglücksfallen war seine Kasse immer offen.
Noch gutherziger war sein Sohn Titus,^„der Liebling der Menschheit", der Schöpfer der prachtvollen Titusbäder. Er meinte, niemand dürfe traurig vom Kaiser weggehen, und nannte einen Tag verloren, an bem er keine That der Menschenliebe vollbracht. Seine Milde fand ein weites Wirkungsfeld durch den Ausbruch des Vesuvs, der nach jahrhundertelanger Ruhe die blühenden Stäbte Pompeji unb Herculaneum unter Asche unb Lava begrub. Die ausgebehnten Überreste beider Landstädte, welche seit dem Ansauge des 18. Jahrhunderts ausgegraben werden, enthüllen uns das ganze Leben der Alten bis herab auf die Puppen der Kinder. Die Zimmerwänbe ftnb durch gemalte Patinen unb Kränze tu verschiedene Flächen abgeteilt,' in welchen auf heute noch helleuchtenbem Hintergründe (beut Poinpejanifchen Rot) reizenbe Bilder von Kindern (Genien) bei Spiel und Arbeit, von Tänzerinnen, von Vorgängen des All-taglebenS, der Geschichte oder der religiösen Sage (Mythologie) dargestellt sind. Die Fußböden sind „mit Steinen bemalt": eiit Pflaster von farbigen Sternchen (Mosaik) bildet unter der Hausthüre einen Hund an der Kette, im hallenartigeil^Hose (Atrium) eines vornehmen Hauses die Aleranberschlacht. L-elbst die Sklavenstübchen sind mit kleinen Bildern oder Figuren freundlich ausgestattet.
68 n. Chr.
79 n. Chr.
Während man an den aufgefundenen Hausgeräten mehrfach das Kreuz oder andere Sinnbilder des Christentums wahrnimmt, erinnern zwei Deukmäler des Flavischeu Hauses in Rom an das Judentum, dessen Hauptstadt Jerusalem uach verzweiflungsvoller Verteidigung durch Titus zerstört worden war. Im Triumphbogen des Titus bemerkt man noch heute jüdische Gefangene, welche den siebenarmigen Leuchter und andere Tempelschätze tragen; und in den Trümmern des großartigsten Bauwerkes der alten Siebenhügelstadt, des Kolosseums (Coliseo) will die Sage in gewissen Nächten noch jetzt die unglücklichen Juden sronen sehen, durch welche beide Kaiser dieses ungeheure Rundtheater (Amphitheater) au der Stelle des niedergerissenen Goldenen Hauses ausführen ließen. Auf achtzig Bogen erhob sich dies Wunder Roms, von welchem die Rede ging, so lang es stehe, werde Rom stehen; jedes der vier Stockwerke war mit Säulen anderer Art geschmückt; seine himmelan wachsenden Marmorsitze faßten weit über 80000 Menschen. Tausende von Gladiatoren fochten hier gegeneinander auf Leben und Sterben; lautlos harrte der Unterliegende, ob die Zuschauer durch Umwenden des Daumens dem Sieger gebieten würden, ihn zu töten. Auch in den Seeschlachten, welche in der überschwemmten Arena (Bodenfläche) des Kolosseums veranstaltet wurden, floß das Blut in Strömen. Gleich bei der Einweihung des Theaters ließ Titus an einem Tage 5000 wilde Tiere vorführen und abstechen. Nicht minder entsetzlich waren die Wagenrennen und Faustkämpfe im Circus.
Und solche empörenden Belustigungen forderte und genoß das Volk in allen größeren Städten des Reiches. Billiges oder uueutgeltliches Brot und möglichst blutige Circusspiele (panis et circenses) bildeten den Inhalt seines Lebens und Strebens-Wahrlich, es that not, daß eine edlere Gesittung sich Bahn brach und die Menschheit emporhob!
3. Das Christentum und d er Untergang des Reiches.
Unter Tiberius'Regierung war der Heiland der Welt, Jesus von Nazareth, ans der Schädelstätte bei Golgatha den Kreuzestod gestorben. Aber seine göttliche Lehre war nicht auszurotten. Begeistert gingen seine Jünger als Sendboten (Apostel) hinaus in alle Welt, um alle Völker zu uuterweisen. Petrus und Paulus fanden in der ersten Christeuverfolguug unter Nero den Tod. Zahlreiche Christen ließ der entmenschte Despot mit Werg überziehen und mit Pech und Öl beträufelt; diese lebenden „Fackeln Neros" leuchteten, während er sich bei einem
seiner üppigen Nachtfeste in seinen Gärten vom Volk als Wagen-lenker bewundern ließ! Das Volk aber haßte die Christen ebenso wie die Juden, welche schon vor der Zerstörung Jerusalems im ganzen Reiche verbreitet waren.
Auch nach dem milden Titus kam noch mancher treffliche Kaiser. Trajanus, dessen siegreiche Feldzüge an der unteren Donau, im heutigen Bulgarien, der Senat durch die Ausrichtung der riesigen Trajanssäule auf dem glanzvollen Trajansplatz ehrte, hat überall Straßen und Häfen, Wasserwerke und Brücken angelegt, die Wissenschaft gefördert, in feinem Palaste hoch und niedrig mit gleicher Güte empfangen und angehört und durch ganz Italien Stiftungen begründet zur Erziehung armer Kinder (eine Art Waisenhäuser) unb zu anderen wohlthätigen Zwecken. Sein Nachfolger, der feinsinnige Hadrianus, gleich ihm ein Spanier von Geburt, durchwanderte alle Teile seines Reiches, um seine Unterthanen kennen zu lernen unb seine Beamten zu überwachen; in zahlreichen Stäbten verewigte er sich durch große Bauten; daneben bewunderte er in Ägypten das wundersame Klingen der Memnonssteine und aus dem Ätna die Pracht eines Sonnenaufganges. A n t o n in n s P i n S hütete sorgsam den Frieden, weil es besser fei, einen Bürger zu retten, als taufend Feinde zu töten, und M arcus AureliuS der Philosoph schrieb im Feldlager an ber Donau beit Grnnbfatz nieber, es fei Menfchenpflicht, unablässig für das Wohl der Mitmenschen thätig 'zu feilt ohne Rücksicht auf Lohn und Tadel.
Unb beitnoch galten auch in biefeu glücklichen Zeiten die Christen als staatsgesährlich. Denn sie versagten den Kaiserbildern göttliche Verehrung, unb weil sie überhaupt aus ihrem Abscheu gegen bie Götter kein Hehl machten, hielt man sie für Gottesleugner (Atheisten). Gar oft erscholl ber fürchterliche Ruf: „Die Christen vor bie Soweit!" unb gar manche Märtyrergeschichte spielt sich in ber Arena ab. Unter Trojan wurden sie gefoltert und mit halbgefchorenem Kopfe tu die Steinbrüche und Bergwerke geschickt.
So konnten sie ihren Gottesdienst nur verstohlen abhalten in ihren unterirdischen Grabkammern bei Rom und Neapels den Katakomben. Aber die Verfolgungen mehrten ihre Zahl. Fand ihre Lehre anfänglich nur bei den „Mühseligen und Beladenen" Eingang, so wendeten sich seit den Tagen Mark Aurels zunächst auch vornehme Frauen dem Erlöserglauben zu, darunter die Blutzengin Cäcilia, iit welcher die Kirche die Erfinderin der Orgel verehrt.
Die schwerste Verfolgung war die letzte unter D io cletian, der sich ans niederem Stande zum Throne emporgeschwungen
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hatte und ihn nach zwanzig Jahren freiwillig ausgab, um den Lebensabend in seiner illyrischen Heimat zu verbringen. Aus dem nunmehr beginnenden Verfall des Reiches erwuchs der Sieg des Christentums. Constantinus, der Cäsar Galliens, Spaniens und Britanniens, sah aus dem Feldzuge gegen den Herrscher Italiens, Maxentius, am Himmel ein Kreuz mit der Umschrift: „Damit siege!" Und wie es ihm Christus selbst im Traume der nächsten Nacht gebot, ließ er auf der Spitze seiueS goldenen Banners das Kreuz anbringen und auf dein seidenen Fahnentuch die Ansangsbuchstaben (das Monogramin) des Namens Christi einsticken. Dies Banner, das Labarum, wehte 312 in der Siegesschlacht au der Milvischen Brücke n. Chr. (Ponte Molle >. Maxentius ertrank in der Tiber.
Mit Konstantin „dem Großen" gelangte das Christentum zur Herrschaft im Abendlande und, als Konstantin auch den Kaiser des Ostens überwältigte, in dem ganzen ungeheuern Reiche. Byzanz wurde die Hauptstadt der Christenkaiser; sie trägt bis heute den Namen Konstantins-Stadt, Koustantinopel.
Konstantins Neffe Julianus „der Abtrünnige" bemühte sich, den alten Götterglauben noch einmal zu beleben. Aber er fiel nach kurzer Regierung im Kriege gegen die Perser, deren Reich an Stelle der Partherherrschaft durch das Haus der Sassa-niden neu aufgerichtet worden war. Von jetzt an drängte sich alles in die neue Kirche, ja man verfolgte wohl gar die Anhänger des alten Glaubens, welcher nur noch auf abgelegenen Heiden als Bauernreligion (Heidentum) sein Dasein fristete.
Von dem Volke (den Laien) schied sich als auserlesener Stand der Priester-KleruL, die Geistlichkeit, welche von den Priestern der Hauptstädte, den Bischöfen, geleitet wurde. Zu den gefeiertsten gehörte der heilige Ambrosius von Mailand, von welchem der Ambrosianische Lobgesang herrührt. Er untersagte dem Kaiser Theodosius dem Großen, dessen Hände durch ungerecht vergossenes Blut befleckt waren, den Eintritt in seine Bischosskirche (Kathedrale), bis er öffentlich Buße that.
Theodosius teilte daö Reich unter seine beiden Söhne. 476 Das Westreich ging bald durch die Germanen zu Gruude, welche n. Ehr. auf seinem Boden Barbarenreiche gründeten. Unter dem Drucke der neuen Machthaber erblickten die Bürger des untergegangenen Reiches in dem Bischof von Rom das Oberhaupt der gebildeten Welt, den Vater (papa Papst) der rechtgläubigen Christenheit.
<£. Kelter, Geschichte 2. 2t b sch it.
r. • ■ ■
Zweiter Teil.
GelWtr des Mitlrlalters.
I. Die Germanen.
1. Land und Leute.
Vor zwei Jahrtausenden war unser Vaterland bedeutend kälter und feuchter als heutzutage. Den größten Teil desselben bedeckten düstere Moore und Wälder mit so ungeheuern Eichen, als wären sie zugleich mit der Welt erschaffen worden. Vereinzelt lagen an gerodeten Strecken dazwischen die Höfe an Quellen uud Bächen. Außer Flachs baute mau Roggen, Hafer und Gerste, um Brot, Hafermns und den beliebten „Gerstenwein" (Bier) zu gewinnen; deu süßen Met lieferten die Waben der Bienen. Obst und Gemüse gab es so gut wie gar nicht, wohl aber Rüben und große Rettiche, die sich Kaiser Tiberins regelmäßig aus Germanien kommen ließ. Der größte Teil des urbaren Bodens war Weideland; die Herden unscheinbarer Rinder, die Schafe, Schweine, Gänse bildeten des Mannes Reichtum; seine Freude waren die kleinen, aber dauerhafte» Pferde. Salz lieferten Quellen oder das Meer. Erst allmählich kam bei den östlichen Stämmen die Kunst auf, Eisen zu graben und zu stählen.
Die Germanen fielen den Römern auf durch hohen, kraftvollen Wuchs, helle Hautfarbe, blaue trotzige Augen; in mächtigen Strähnen fielen die goldfarbigen Haare nieder; die Germanenkinder mit ihren Flachsköpfen kamen den dunkelfarbigen Südländern wie Greise vor.
Jung und alt, Männer uud Frauen kleideten sich in kurze, enganliegende Leinenröcke und Mäntel, welche eine Schnalle oder auch ein Dorn auf der Schulter zusammenhielt. Die Frauen, welche mit eigenen Händen den Flachs spannen und das Linnen
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woben, kannten kaum einen anderen Schmuck als den schmalen Purpursanm um ihre Kleider. Des Mannes Zierat waren die Waffen: Schilde, in der Regel bemalt, und Speere, die sie gramen nannten, mit kleiner Eisenspitze, auch Messer, Doppelart und Wurfkeule. Selten fand man Panzer und Eiseuhelm, Schwert und Lanze.
Das hölzerne Wohnhaus, von einem geräumigen Hof umgeben, war mit farbigem Thon nicht ohne Geschmack verziert. Im Norden lagen, wie noch jetzt in Westfalen, Wohnraum, Stallung und Sckeune unter demselben Dach, im Süden getrennt.
Haus und Hos mit umzäuinteni Garten machten das ganze persönliche Eigentum ans. Die Flur (Gemarkung) gehörte als Gemeinbesitz der aus mehreren Höfen bestehenden Dorfgemeinde, welche die Bodennutzung (Allmend) zu Anbau und SBeide verteilte und bie Ernten regelte. Jeder freie Mann erhielt eine Hufe, beren Ertrag er zu „heben" hatte: etwa 30 Morgen oder Tagewerke, in Winterfelb, Sommerfelb unb Brachfelb zerteilt. Desgleichen hatte jeber „Hofmann" ben Mitgenuß ber „Mark", des Waldes, welcher die Flur umgrenzte und ihm Holz, Streu unb Weibe lieferte.
Das Haus bewohnte der Gutsherr mit seinen Angehörigen und seinen Gasten, bie er jeberzeit freundlich aufnahm und mit Kampfspielen und Waffentänzen ehrte. Die Unfreien („Hörigen") besaßen, ähnlich den Tagelöhnern aus den Rittergütern des heutigen Mecklenburgs, eigene Hütten und eigene Häuslichkeit; dafür mußten sie ihrem Herrn Vieh unb Getreide ober als Hanbwerfer Kleidungsstücke liefern, sowie Geräte für Jagb unb Krieg. Die Hörigen unb Knechte würben im Krieg erbeutet ober gekauft, aber weit menschlicher behanbelt als bie Sklaven in Griechenlanb und Rom.
Herren- und Sklavenkinder wuchsen ohne Unterschied in der freien Natur auf. Für Reinlichkeit und Abhärtung sorgten tägliche Flußbäder. Erst die Erwachsene» trennten sich nach Ständen.
Der freie Jüngling erhielt in feierlicher Versammlung, welche der Häuptling berief, aus der Hand seines Vaters, eines Fürsten ober Verwanbten bie Waffen unb bamit bas Recht, an Kriegszügen unb Volksversammlungen teilzunehmen. Fortan blieb es seine Hauptaufgabe, hoch zu Roß, mit Rüben und Falken ben Wolf, ben Scheich zu jagen, bie zahlreich in den Wäldern hausten. Stolz brachte er die Bärenfelle, die Hörner deö Auerochsen, die man in Gold faßte zum Gebrauch bei den großen Trinkgelagen in der hohen Halle, und das Fleisch des Wildbretes heim, welches neben Milch und Käse das beliebteste Nahrungsmittel war.
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Aber des freien Germanen höchste Freude war der Krieg. Im Lederkoller oder im geflochtenen Kettenhemd, unter dem Helm von Leder oder Blech zog der Heerbann der waffenfähigen Männer des Gaues oder des Stammes aus, die Grenzen zu verteidigen oder bessere Wohnsitze zu erobern. Nach Geschlechtern (Sippschaften) keilförmig geordnet, unter dem Vortritt des Familienhauptes, schritten sie festlich geschmückt in den Kamps; in weihevoller Stimmung sangen sie zum Preise ihrer Götter und Helden den „Schildgesang", durch den gewölbten Schild vor dem Munde den Ton verstärkend zum sicheren Zeichen des Sieges. Ähnliche Lieder sangen sie daheim beim schäumenden Met.
' Die Führung des Heerbannes stand dem Herzoge zu, welcher in der Volksversammlung, auf heiliger „Malstatt" von den Freien erwählt und auf dem Schilde emporgehoben wurde zur Schau. Um den Herzog, aber auch um andere Vornehme schlossen sich Jünglinge zusammen zn einer Gefolgschaft, „Gesinde" genannt, einem freiwilligen, unverbrüchlichen Treubund auf Leben und Tod. Ohne den Fürsten oder ohne den Schild heimzukehren, galt als die tiefste Schmach; nie ließ der Fürst sein Gesinde im Stich.
Überhaupt war die Treue der höchste Ehrenschmuck unseres Volkes. Sie bildete die unerschütterliche Grundlage der Ehe, des Familienlebens. In der Frau verehrte der Germaue ein heiliges, die Zukunft ahnendes Wesen. An ihr haftete kein Tadel, während der Mann, auf der Bärenhaut liegend, durch Trunksucht und Spielwut nur zu oft sich verunzierte.
Schon die Schließung der Ehe versinnlichte die innigste Lebensgemeinschaft in allen Lagen. Der Mann bot seiner Braut in Gegenwart der Ihrigen ein Rindergespann, Lchlachtroß, Schild und Speer als Morgeugabe uud erhielt von ihr ein Waffenstück, das er zeitlebens in Ehren hielt. Seiner Frau (d. i. Herrin) überließ er vertrauensvoll die Erziehung der Kinder und die Obhut deS Gesindes in Haus und Feld. Und zog der Heerbann aus, eine neue Heimat zu erobern, so begleiteten ihn" die Frauen, um von den Wagen ans, die hinter den Heerteilen zur Wagenburg aufgefahren wurden, Gatten und Söhne durch tapferen Zuruf zu ermuntern und im schlimmsten Falle mit ihnen zu sterben.
2. Germanischer Götterglaube.
Dein Germanen war es am wohlsten in der heimischen Natur. Seinem frommen Auge und Herzen wurde» Tiere uud Bäche, Wolken uud Sonne zu holden oder unholden Menschen-
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wesen; und wie bie anderen Völker des Altertums bachte er sich bie treibenden Naturkräfte als mächtige Götter. Aber erschuf keine Silber von ihnen und mochte sie nicht in Tempel-mauern einschließen. Der tauschende Wald, der lebendige Qnell im Schatten uralter Linden oder Eichen schien ihm für Gottesdienst und Opfer der würdigste Ramm Dort suchten bie Priester auch ben Willen bei' Gottheit zu erfnnben aus bcm Wiehern heiliger Ro|je, ans dem rauchenden Opferblnte, ans der Lage von Buchenstäbchen, die man mit Runen (Geheimzeichen) versehen über Leinwand „entwarf". Einen eigenen Priesterstand, wie das keltische Druibentum, kannte man jedoch nicht; jeder Hausvater war der Priester seines Hanfes.
Den höchsten Gott, den „Allvater", verehrten die Germanen in Wodan. Sie stellten ihn sich vor als ehrwürdigen Greis in blauem Sturmmantel und grauem Wolkenhut, der rief iu, das einäugige^Gesicht hineinhing. So saust er auf bem acht-beinigen Rosse Sleipnir, ben siegspenbenben Speer Gungner in ber Faust, in ben zwölf heiligen Rächten, umkreist von ben Raben Httgin und Munin, als „wilder Jäger" durch die Luft. Im „Bodensee", im „Odenwalde" lebt sein Name fort. Als Gattin steht ihm Frigg zur Seite, die Schützern: der Frauen. Sein ^Lohn ist Donar, ber Gott bes vom Gewitter geförderten Erntesegeiis. Wenn er auf seinem mit Ziegen bespannten Wagen dahinfährt, sprühen die Blitze ans seinem roten Barte. Mit seinem Hammer zerschmettert er bie Fesseln, welche bie Riesen die Frostinächte ber lieblichen Erdgöttin Nerthns (Hertha' Gerda) umgelegt. Der Gott der Sonne und des Lichtes ist Fr« oderFreyr; seine Schwester Frouw a (= Frau, auch Freya genannt) ist die Schützerin ber Ehe, bie Spenderin der Anmut und Lust. Fro ähnlich ist Balder, der jugendschöne Gott des Rechtes und der Weisheit. Er wird von dem bösen Feuergotte Loki ermordet, und seiner Gattin Nanna zerspringt vor Wehmut das Herz; sie ist eine Frühlings- und Blütengöttin gleich ber goldbeschnhten Ostara (der Osterfee). In der Tiefe der ©een und Brunnen wohnt Frau Holda (Holle) mit ihren Kobolden, Wichten und Heinzelmännchen.
Diese Götterfamilie der „Äsen" wohnt in ihrer eigenen Welt Asgard, welche durch ben Regenbogen mit Mittelgarb, ber Erbe, verbnnben ist. Uber biefe Brücke reiten Wobans Schlacht-jungfrauen, bie Walküren, auf bas Schlachtfeld, die Walstatt; bort wählen (küren) sie die sterbenden Helden durch einen Kuß und geleiten sie in Wobans Götterburg Walhalla. Wer im Bette beit „Strohtod" stirbt, verfällt Hel, der düsteren Gebieterin der Unterwelt; wem aber die Lust des Speertodes
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beschieden, der übt sich unter Wodans Leitung als einherischer Held täglich auf die letzte, schwerste Schlacht: die am Ende der Tage einbrechende Götterdämmerung.
Um die Erde her windet sich die Midgardschlange (das Meer), und im fernen Norden lauert der Fenriswolf, zwei Schreckenskinder des entarteten Loki, die immer größer werden, je entsetzlicher unter den Menschen Mord und Meineid wüten. Anletzt sprengen sie die Fesseln, in welche Donar sie geschlagen. Da rasen sie heran; die aufgerissenen Kiefer reichen vom Boden bis zum Himmelsgewölbe. Im strahlenden Goldhelm reitet nun Wodan über den Regenbogen an der Spitze der kampfgerüfteten Götter und Einherier auf die Ebene Wigrid in die fürchterliche Schlacht. Alle Götter kommen um, die Sterne fallen vom Himmel, Flammen verzehren die Erde.
Nach langer Zeit wird dann aus dem Meer in ewig grünender Schönheit eine neue Welt emporsteigen; neue, friedliche Götter werden sie segnen, neue Menschen sie bewo.huLU..-lchuL-Snndenschuld und Tod.
3. D ie erste» Römer kämpfe.
Während in Rom die Revolution begann, betraten die ersten Germanenstämme den Schauplatz der Geschichte: die Kimbern und Teutonen, die in dem heutigen Jütland, Schleswig-Holstein und Mecklenburg saßen. Sie hatten aus dem Jäger-lind Nomadenleben sich bereits zu Ackerbau und festem Grundbesitz emporgearbeitet, als sie vermutlich durch ungeheure Springfluten fortgetrieben wurden. Durch die endlosen Wälder und Sümpfe, welche damals unser Vaterland bedeckten, zogen sie südwärts, um neue Äcker zu suchen. Frauen und Kinder fuhren auf Wagen, die zugleich den dürftigen Hausrat bargen; nebenher schritten die Herden, ihr kostbarster Besitz.
Die Römer erkannten in der heranziehenden Völkerwolke gefährliche Feinde und suchten sie durch Gewalt oder Tücke zu vernichten. Die Bedrohten antworteten mit grauenvollen Niederlagen, welche sie mehreren Römerheeren in der Alpengegend beibrachten. Die stolze Tiberstadt zitterte vor den unwiderstehlichen Riesengestalten mit Beilen und Lanzen, mit weißen Lindenschilden und dräuenden Helmen, die aus der Kopfhaut wilder Tiere gefertigt waren. Äber die Germanen scheuten sich vor dem volkreichen Italien. Jahrelang durchstreiften sie verwüstend die schönen Landschaften Südfrankreichs und Spaniens.
Unterdessen schuf Marius ein tüchtiges Söldnerheer, mit welchem er zwischen Rhone und Westalpen die Rückkunft der
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blonden Barbaren erwartete. Wirklich gedachten diese nunmehr in zwei Heersäulen in Italien einzubrechen. Die Kimbern sollten durch die steirischen und Tiroler Alpenthäler vorrücken, die Teutonen schlugen die Straße ein, die am Südsuße der Seealpeu ins Welschland führte. Hier stießen sie auf Marius. Unbekümmert um ihre Herausforderungen, ließ er sie an seinem wohl-verschanzten Lager sechs Tage lang vorüberziehen; erst als sein Heer an den Anblick der Reckenleiber und ihres fremdartigen Treibens sich gewöhnt hatte, ereilte er sie bei Aquä Sextiä (Sextiusbad, jetzt Aix in der Provence). Die Germanen wurden samt ihren Weibern, die tapfer mitfochten, fast völlig aufgerieben.
Vom Schlachtfeld hinweg zog der- Konsul gegen die Kimbern, welche mittlerweile, auf ihren Holzschilden in heller Lust die fürchterlichen Schneehalden hinuntersausend, ins Etschthal nnd in die Po-Ebene vordrangen. An glühendem Sommertage lieferte er die von ihnen selbst geforderte Entscheidungsschlacht auf 101 dem Raudischeu Felde unweit der Mündung der Sesia. v. Chr. Wieder erlagen die Germanen; ihre Frauen entzogen sich und ihre Kinder der Knechtschaft durch freiwilligen Tod.
So endete der erste großartige Vorstoß unseres Volkes gegen das römische Weltreich. All die Hunderttausende heldenmütiger Männer und Frauen moderten unter der Scholle oder fronten im Sklavenjoch.
Aber schon ein Menschenalter später wurde Rom aufs neue von den Germanen beunruhigt. Das große Volk der Sueben im Innern Deutschlands scheuchte die Stämme am Ober- und Unterrhein aus ihren Sitzen. Da wählten sich ungefähr 15000 Männer verschiedenen Stammes einen Heerkönig: Ariovist; der führte sie über den Rhein unb verhalf dem Keltenvolke der toequüner (um Dijou) zum Sieg über bie Äbuer (ostwärts der Loire). Im fruchtbaren Saüuethal behagte es den nordischen Kriegern; Ariovist nahm seinen Freunden, den Sequauern, zwei £>ritteile ihres Gebietes, um darin die zahlreichen Germanen-schwärme anzusiedeln, die ihm aus der Heimat nachfolgten. An der Grenze der gallischen Provinz drohte durch fortgesetzte Einwanderung ein gefährliches Barbareiireich zn entstehen.
Den erneuten „Kimbernschreck" zu zerstreuen, übernahm Marius' Neffe Julius Cäsar, der im Jahr 58 Statthalter der „Provinz" wurde. Angeknüpfte Unterhandlungen scheiterten an dein Mißtrauen des Barbarenhäuptliugs. Abermals sollten die Waffen entscheiden. Nicht ohne Mühe gelang es betn Römer, bie Festung Vesontio (Bisanz) am Doubs zu erreichen, welche den Zugang zur Provinz, die Burgundische Pforte beherrschte,
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und die Angst seiner Soldaten vor den grimmigen Germanen zu bannen.
An der Doller, die unweit Mühlhausens in die Jll 58 mündet, siegte Cäsar in erbitterter Schlacht. Ariovists Gallier- "•e6r" reich brach zusammen. Der unglückliche Held sank in ein frühes Grab. Der Sieger dehnte die gallische Provinz bis an den Rhein, eine starke Schutzmauer gegen die Germanen. Ja, Cäsar ging — der erste Römer — zweimal über ben Rhein, um die ewig unruhigen Sueben einzuschüchtern. Vom Glanze der römischen Massen gelockt, traten zahlreiche Germanen in des Feindes Dienste; sie lernten seine Kriegskunst, um ihn in späteren Kämpsen zu überwinden.
4. Arminius und die Teutoburger Schlacht.
Ernstlich bedroht wurde die Unabhängigkeit Germaniens erst von dem römischen Kaiserreich. Augustus' Stiefsöhne Drusus und Tiberius bezwangen^in mehreren Feldzügen die Alpenvölker bis zur Donau und die Stämme der niederdeutschen Ebene. Durch feste Plätze suchten sie ihre Eroberung zu sichern.
Da sah das freiheitgewohnte Volk römische Kriegsmänner im Land und mußte vor römischem Richterstuhl in fremder Sprache sein Recht nehmen. Aufs höchste aber stieg die Erbitterung, als Quinctilius Varus Statthalter wurde. Mit hochmütiger Grausamkeit mißhandelte er die Germanen, au welchen er außer Sprache und Gliedmaßen nichts Menschliches zn finden behauptete.
Nördlich vom Suebenlande, an der Weser und bis zur Saale und Elbe, lagen die Höfe der Cherusker. Aus einem Fürstengeschlechte dieses Stammes ist der erste große Mann verdeutschen Geschichte entsprossen.
Arminius, Segimers Sohn, hatte im römischen Heerdienste die Würde eines Ritters errungen, war aber trotzdem in die geliebte Heimat zurückgekehrt. Während er nun den Prokonsul mit ausgesuchter Freundlichkeit täuschte, wußte er insgeheim seine Landsleute zum Befreiungskampf um^fich zu sammeln.
Die Warnungen des Cheniskersürsten regest es mißachtend, ging Varus blindlings in die Falle. Armin lockte ihn ins Osning-Gebirg, welches die römischen Geschichtswerke Teutoburger Wald benennen. Dort im unheimlichen Urwald, ans Wegen, die anhaltender Regenguß schlüpfrig und grundlos gemacht, erlagen drei stolze Bürgerlegionen den sicheren Pfeilen und Lanzen der Cherusker. Nur wenige entkamen; Varus 9 selbst ließ sich verzweifelnd durch einen seiner Offiziere töten. L. Ehr.
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Germanien war frei bis zum Rheine; in Italien fürchtete man einen neuen Einbruch des schrecklichen Volkes.
Aber der Sinn des jungen Arminius stand nicht auf Eroberung. Zufrieden, die erstrittene Freiheit zu wahren, lebte er mit seinem Volke, bis Augustus' Enkel Germaniens ihn reizte.
Wider Segestes' Willen hatte seine Tochter Thusnelda mit Armin sich vermählt. Der Vater raubte sie dem Gatten, wurde aber in seinem Gehöfte von ihm belagert. Da rief er Germanicus zu Hülfe. Vor der römischen Übermacht mußte Armin weichen; Thusnelda siel in römische Gefangenschaft. Sie hat ihre Heimat und ihren Herrn nicht wiedergesehen. Aber selbst die Feinde zollten der deutschen Frau ihre Bewunderung, als sie einige Jahre später, ihren in der Gefangenschaft geborenen Knaben Thumelicus an der Hand, vor Germaniens' Triumphwagen durch die Straßen Roms schritt, ohne Thränen, stolz ausgerichtet, eine echte Königin!
Das Unglück beugte Arminius nicht; trotz einiger Siege mußte Germanicus das ungastliche Land unter schweren Verlusten räumen. Kaiser Tiberins rief den ehrgeizigen Jüngling ab und schickte ihn ins Morgenland, wo ein beklagenswertes Ende seiner wartete. Die Macht der Deutschen aber wurde seither, wie der Kaiser es vorhersagte, durch eigene Uneinigkeit weit mehr geschwächt als durch das Schwert der Feinde.
Auch Armin verfiel diesem Unglück. Den ©nebentonig Marbod, der sein unruhiges Volk in Böhmen angesiedelt nnd zu hoher Kriegstüchtigkeit ausgebildet hatte, überwand er in heißem Bruderkampfe. Marbod suchte eine Zuflucht in Italien, wo er bis zu seinem Tode das römische Gnadenbrot genoß!■
Seither betrieb der große Befreier Deutschlands die dauernde Einigung der germanischen Stämme. Das erweckte den Neid der Fürsten. Zwölf Jahre nach seinem Nömersieg erlag er einer meuchelmörderischen Verschwörung, an welcher seinFelgenen Ser-waiidten"beteiligt waren. Das Volk aber feierte noch jahrhundertelang in seinen Schildgesängen den Heldennamen des Arminius, welchem auch Rom seine Ehrfurcht nicht versagte.
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II. Die Völkerwanderung.
1. D ie Völkerbünde und die Hunnen.
Die zahlreichen Stämme, in welche das germanische Volk nach Armins Tode neuerdings zerfiel, konnten die Lande am Oberrhein nicht schützen vor fremder Herrschaft. Seit den Tagen Hadrians deckten die Römer ihre Grenzprovinzen durch einen Wall, welcher, von der Mündung der Sieg und Lahn bis zur Altmühl und Douau sich erstreckend, den Schwarzwald samt seinen Pässen zu eittem abgabenpflichtigen Vorlande Roms, dem „Zehntlande" machte.
Erst jetzt, im Süden und Westen eingeengt, schlossen die Stämme sich zu Völkerbünden zusammen, welche nach Osten und Norden sich ausbreiteten. In Süddeutschland, am Grenzwall beginnend, bis zum Böhmischen Gebirge hausten die Alemannen; in ihnen waren Teile des Suebenvolkes ausgegangen, während andere sich mit den in und um Böhmen sitzenden Markomannen verbunden hatten. Der Norden, die Landschaft um Ems, Weser und Elbe, gehörte den Sachsen, die sich nach dem „Sachs", ihrem Schwertmesser, nannten. Zm Osten breitete sich von der Ostsee bis zum Schwarze» Meere das edle Volk der Goten aus. Wie diese durch ihre Wurfkeule (die Caia), so machten sich die Franken, d. H. die Freien, welche bald am Unterrhein erschienen, durch ihre Wurfaxt furchtbar. Dann finden wir das Fischervolk der Friesen und Bataver an der Nordsee, die Langobarden („Langbärte") ein der Elbe (um Bardewiek im Barden-Gan), die Burgunder an der Weichsel; zwischen Weichsel und Oder die Vandalen, endlich im Herzen Deutschlands, zwischen Weser und Mittelelbe, im Süden an die Alemannen, im Norden an die Langobarden grenzend, die Thüringer.
Alle diese Völker gewöhnten sich immer mehr an ein seßhaftes Leben, an Ackerbau und Viehzucht. Allein in jenen Friedenszeiten war der Unterhalt, welchen das rauhe Land bot, für die rasch zunehmende Bevölkerung nicht mehr hinreichend. Daher zogen größere oder geringere Volksscharen gen ^üden und Westen, um neues Ackerland zu erobern.
Gegen Ende des dritten Jahrhunderts gelang es den Alemannen, den Grenzwall zu durchbrechen und in den blühenden Städten und Fluren des Zehntlandes behagliche Wohnsitze zu gewinnen. Auch das überrheinische Land reizte ihre Begehrlichkeit. Sie er-
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warben den „Fremdsitz", das Elsaß hinzu und machten verheerende Raubzüge tief ins römische Gallien hinein.
Da stellte Kaiser Konstantins, der Sohn Konstantins des Großen, seinen Vetter Julian an die Spitze der gallischen Legionen. Der warf bei Straßburg die alemannischen Heerkeile trotz ihrer rasenden Tapferkeit und der Löwenstärk/ des Königs Chuodomar und seiner todesmutigen Gefolgschaft in den Rhein. Batavische Hülfstruppen im Solde Roms hatten die Schlacht entschieden; denn immer zahlreicher traten junge Germanen ins römische Heer.
Aber der Sieg Julians vermochte das Weltreich nicht mehr zu retten. Wenige Jahre später wälzte sich aus den germanischen Wäldern ein neuer Völkerstrom hervor, um die alte Welt hinwegzuschwemmen.
Den nächsten Anlaß zu dieser Völkerwanderung gaben die Hunnen.
Nach gotischer Sage stammte dieses fürchterliche Mongolenvolk aus einer Verbindung von Atomen (Hexen) mit unreinen Geistern. Von kleiner, aber gedrungener, starkknochiger Gestalt, entwickelten sie eine unerhörte Häßlichkeit. Die Goten erzählten, sie furchten ihren neugeborenen Knaben die Wangen mit einem Dolche, so daß wegen der Narben nie ein fröhlicher Bartwuchs gedeihe. Ihr dunkelfarbiges Gesicht verglich man mit Fleisch-klumpen, driii die Augen wie Leuchtkugeln glänzten, und der ganze Mann erinnerte an die roh ziibehanenen Holzsignren (Hermen) auf Brückengeländern.
Mit ihren Rößlein waren sie wie zusammengewachsen. Aus ihnen aßen, tranken, schliefen sie. Ihre Nahrung war Fleisch, das sie mürbe ritten und halbgar verzehrten ohne Gewürz. Gebäude mieden sie wie ein Grab; keiner wußte, wo er geboren war. Ihre Weiber führten sie auf Karren nach. Sie selbst trugen das Hanpt mit niederer Kappe, die Beine mit Ziegenfellen, den Leib mit einem Gewände von Linnen oder "Waldmausfellen umhüllt, das sie nicht ablegten, bis es in Fetzen hing. So zogen sie auf die Jagd, zum Raub, in die Schlacht. Hier waren sie gefährliche, unheimliche Gegner. Durch unerwarteten Angriff und flinkes Entweichen ermüdeten sie beit Feind, um ihn endlich durchs ihre geschickt gearbeiteten Knochenpfeile zu töten ober mit ber Schlinge zu fällen.
oie hatten eine Anzahl Häuptlinge, aber keinen König, kein Gesetz, keine Scham und kaum eine Religion. Voll Lüge und Tücke, achteten sie feinen Vertrag. Sie liebten nichts als das unersättlich begehrte Gold.
Dieses Volk kam jetzt aus seiner asiatischen Heimat west-
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wärts gezogen. Es überschritt die Wolga und geriet in die Weidegründe der Alanen. Diese wurden nach schweren Kämpfen genötigt, sich den Hunnen anzuschließen und mit ihnen den Don zn überschreiten. Dort prallte die schwellende Völkerwoge auf die Ostgoten. Der hundertjährige König Hermanrich aus dem Heldengeschlecht der Amelunger verzweifelte an wirksamer 375 Gegenwehr und tötete sich selbst, und sein Volk unterwarf sich den hunnischen Scharen. Diese stürzten sich nunmehr auf die Westgoten, denen 100 Jahre früher die Provinz Dacien (das heutige Rumänien) an der Donau eingeräumt worden war.
2. Die Westgoten. Alarich.
Vor allen Germanen hatten die Goten in Wodan ihren Stammvater verehrt, auf seinen Altären ihre Gefangenen geopfert, an seiner heiligen Eiche die Erstlinge der Beute aufgehängt. Schon damals jedoch begann das bildsame Volk dem blutigen Glauben zu entwachsen, namentlich die Westgoten, bei welchen das Christentum frühe Verbreitung fand.
Den schrecklichen Hunnen fühlten auch sie sich nicht gewachsen, und sie suchten Schutz hinter den breiten Fluten der Donau. Kaiser Valens nahm sie in der Provinz Mösim (Bulgarien) auf, und dafür versprachen sie ihm Beistand gegen die Neuperser:
In den neuen Wohnsitzen waren sie der schmutzigen Habgier römischer Beamten schutzlos preisgegeben; um den notwendigsten Unterhalt zu erschwingen, mußten sie Söhne und Töchter der Sklaverei ausliefern. Schließlich riß ihre Geduld.
Sie griffen zu deu Waffen und vernichteten das kaiserliche Heer in der großen Schlacht bei Adrianopel. Valens selbst kam um, angeblich in den Flammen einer Hütte, in welche er sich geflüchtet.
Seinem Nachfolger Theodosius gelang es durch freundliche Verhandlungen, die Westgoten dauernd in die Dienste des Reiches zu bringen. Aber nach dem frühen Tode des Kaisers zahlten die Minister seines im Ostreich regierenden Sohnes Arcadius den Goten den ausbedungenen Sold nicht mehr.
Da hob das stolze Volk den jugendliche» Alarich, den Balthen, ans den Schild. Mit Ranb und Verwüstungen durchzogen die Erzürnten die Balkan-Halbinsel bis Athen und Sparta. Die oströmische Regierung in ihrer Hülflosigkeit trat zuletzt dem Heerkönig das an der Grenze Italiens gelegene Jllyrien ab, damit er seine Plündernngszüge gegen das Westreich richte.
Hier saß Arcadius' Bruder Honorins auf dem Thron,
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unfähig und unthätig wie jener. Aber an feiner Seite waltete ber Vandale Stilicho der Herrschaft mit Kraft unb Einsicht. Er wies bie Einfälle ber Goten unb anderer Barbarenstämme siegreich zurück. Als er aber mit Alarich eine friedliche Verständigung suchte, schrieen seine zahlreichen N ei ber über Verrat; einer erstach den großen Staatsmann und Feldherrn in Ravenna, unb ber elende Kaiser belohnte den Mörder.
Jetzt hatte Alarich freie Bahn. j!ln Honorius' Hauptstadt Ravenna vorbei zog er, Burgen unb Städte brandschatzend, mit seinen Scharen vor Rom und schloß es ein. Bald wütete Hunger und Pest in der Millionenstadt. Eine Gesandtschaft suchte Alarich durch die Schilderung der ßahl und des Mutes ber Römer zu schrecken. Da lachte ber Balthenhelb höhnisch auf: „Je dichter das Gras, desto leichter das Mähen." Und nicht lange ließ bie Übergabe aus sich warten. Tausenbe von Pfunden Golbes und Silbers, auch Purpurfelle und Seidenwämser mußten die Besiegten ausliefern. Sämtlichen Sklaven barbarischen Ursprungs erwirkte das gotische Schwert bie Freiheit.
Trotzdem sträubte sich Honorius, ben Goten die verlangten Wohnstätten zu gewähren. Abermals zog Alarich vor Rom, 410 erstürmte die Stadt unb überließ sie, auch jetzt noch maßhaltend, einer dreitägigen Plünderung. Dabei schonten die frommen Gotenkrieger die Kirchen, sowie alle Menschen und Kostbarkeiten, die in denselben sich bargen.
Auf der Insel Sizilien ober gar an ber Nordküste Asrikas gebachte der junge König das erforderliche Ackerland zu erobern. Anf dem Marsche ereilte ihn zu Cosenza am Busento-slusse der Tod. Niemand weiß sein Grab. Die Goten leiteten den Busento ab; in der Tiefe des Flußbettes senkten sie ihren geliebten Fürsten ein in voller Rüstung und mit vielen Schätzen; dann ließen sie das Wasser wieder hinströmen über das Heldengrab.
Nach manchen Kämpsen mit Römern und Vandalen gründeten bie Westgoten im südlichen Gallien endlich unter römischer Hoheit ein Reich, welches sie bis an die Loire unb über beit größten Teil bev Pyrenäischen Halbinsel auSbehnten. Die Haupt-stabt war Tolosa (Toulouse).
3. Attila und die große Hunnenschlacht auf dem Katalaunischen Felde.
Unterdessen trieben sich die Hunnen in den weiten Niederungen nordwärts der untern Donau umher. Allmählich würben sie wieder kecker. Eine ihrer Scharen lieferte den Burgundern,
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die nach manchsachen Wanderungen sich um Worms niedergelassen hatten, eilte vernichtende Schlacht im Odenwalde; mit 20 000 Kriegern siel der sagenberühmte König Günther, und der Rest seines Volkes zog südwärts in die üppige Landschaft an Saöne und Rhone, die heute noch Burgund (Bourgogne) heißt. CHZ-lons wurde ihre Hauptstadt.
Den Gipfel ihrer Macht uud Furchtbarkeit erreichte» die Hunnen, seitdem ein König alle ihre Stämme von der Wolga bis zur Donau und Weichsel vereinigte. Man kennt ihn nur unter dem gotischen Namen Attila, d. i. Väterchen, oder Ezel.
Bei niedrigein Wüchse, mächtigem Kops, kleinen Augen, ausgestülpter Nase und spärlichem Bartwuchs im dunkeln Gesichte war er starken und herrischen Wesens; die eigenen Söhne wagten ihm nicht ins Angesicht zu sehen.
In weiter Grasfläche des heutigen Ungarlandes stand, von Türmen überragt und mit Lauben umgeben, seine hölzerne Königsburg. Dort lebte er mitten in prunkvoller Umgebung abgeschlossen und einfach; mäßig genoß er Speise und Trank aus hölzernen Geschirren; sein einziger Schmuck war die Sauberkeit seiner Kleidung.
Schon zitterten „bie Katzen von Byzanz" vor dem hunnischen Löwen, als er mit vielen Hnnderttauseuden von Hunnen, Germanen uttb Orientalen gegen das schwache Westreich zog. Plündernd, brennend, mordend wälzten sich seine Heeresmassen durch das südliche Deutschland und über beit Rhein; verloren war,- wer nicht entfloh ober ber „Gobegisel", ber Geißel Gottes, sich anschloß.
Angesichts ber gemeinsamen Gefahr rief der letzte große Feldherr bes Römerreiches, Aetins, bett Westgotenkönig Theoberich zur Hülseleistnng auf. Bereitwillig nahm bteser bas gebotene Waffenbünbnis an. „Uns dünkt kein Krieg gefährlich," so ließ er unter dem frohen Beifall seiner (Sbein und seines Volkes dem Kaiser schreiben, „es müßte bettn das Gefühl des Unrechts die Macht unserer Waffen lahmen." Auch die Franken und andere Germanen schlossen sich an die Römer und Westgoten, während leider andere Stämme, darunter die Ostgoten unter drei Brüdern des Amelmtger - Geschlechtes, auf Attilas Seite fochten.
Die Hunnen tränkten bereits ihre Rosse in der Loire. Aber vor dem Anrücken ber Völkermassen bes Aetius uttb Theoberich wichen sie von beit Mauern ber belagerten Stabt Orleans zurück m bas Katalaunische Felb, bas sich, trefflich geeignet zur Reiterschlacht, von ber Seine bis zur Marne hinstreckt.
Hier rang christliche Gesittung gegen bie tückische Wilbheit 451
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deS Morgenlandes in einer Völkerschlacht, wie die Weltgeschichte keine blutigere und in ihren Folgen segensreichere kennt. Bis tief in die Nacht hinein dauerte der entsetzliche Kampf; rotschäumend schwollen die Bäche an vom Blute. Schließlich erlagen die Hunnen. Zwischen den Karren seiner Wagenburg ließ Attila, so erzählt die Sage, am folgenden Morgen Sättel auftürmen, entschlossen, sich auf denselben verbrennen zu lassen, falls die Schlacht erneuert werde.
_ Es geschah nicht. Unter einem Haufen Toter hatten die Westgoten die Leiche ihres Königs aufgefunden und dem greisen Helden auf dem Schlachtfelde die wohlverdienten Totenehren erwiesen. Sein Sohn Thorismund, welchen sie alsbald auf den Schild hoben, führte auf Aetins' Rat fein Heer in die Heimat, um sich seines Vaters Thron und Hort zu sichern.
Aber noch war die Kraft des Eroberers nicht gebrochen. Im nächsten Zahre drang er in Italien ein, eroberte die Grenzfeste Aquileja und legte sie in Trümmer. Die Einwohner der ^tadt und der ganzen aufgeschreckten Ebene flüchteten in die Laguueu der nahen Küste und legten den Grund zu Venedig, der späteren Meereskonigin.
Attila wollte nach Rom. Am Mincio trat ihm als Haupt einer römischen Gesandtschaft der große Bischof Leo I. entgegen. Nach einer von der frommen Sage verklärten Zusammenkunft trat der Hunne, das Schicksal Alarichs fürchtend, ifett Heimzug an.
Unter neuen Rüstungen und Entwürfen ereilte ihn der Tod. Sein Reich zerfiel, die unterworfenen Völker machten sich wieder selbständig. Aber noch jahrhundertelang hat das deutsche Volk gesungen und gesagt von dem gewaltigen Kriegsmann, welcher die Welt bis in ihre Grundfesten erschüttert hatte.
4. Vandalen und Ostgoten. Theoderich.
Bald nach Attilas Tode wurde Aetins, verleumdet wie Stilicho, von dein undankbaren Kaiser Valentinian mit eigener Hand niedergestoßen.
Nun aber nahte unaufhaltsam das Verderben.
Die Vaudalen hatten in der Hunnenzeit den Rhein und die Pyrenäen überschritte». Dann führte sie ihr hinkender ./7vu König Geiserich übers Meer und gründete an der Nordküste / Afrikas ein Vandalenreich, dessen Hauptstadt das neu erblühende Karthago ward. Auch eine Flotte schuf er und unternahm Jahr für Jahr verheerende Raub fahrten gegen die Völker, „welchen Gott zürne".
Im Jahr 455 landete der Ränberkönig in Portus, der
Hafenstadt Noms. Auch ihm trat Leo der Große furchtlos entgegen, und wieder nicht ohne Erfolg; Geiserich versprach, mit Feuer, Schwert und Martern die 'Stadt zu verschonen. ^Dafür hat er sie vierzehn Tage lang geplündert und ganze Schiffsladungen voll Kunstwerke mitgenommen, keineswegs aber in rohem „Vandalismus" zerstört.
Mit Afrika war Roms Kornkammer verloren, der Weltstadt die Seele geraubt. Die letzte Stunde deö Reiches mußte kommen. Im Jahr 476 hat der deutsche Heerkönig Odoaker den letzten Feldherrn Roms geschlagen und enthauptet und dessen Sohn, den armen Kaiserknaben Romulus Augustulus entthront. Dann nahm er den Titel eines Königs von Italien an, der erste Germane, der über das schöne südland gebot. Aber nicht lange. Dem Volke der Ostgoten hatte der Kaiser in Byzanz die Landschaft Pannonien (vom Wiener Wald bis Donau und Save) zum Wohnsitz angewiesen. Als Geisel für die Treue sendete einer jener drei Amelungerkönige, welche auf dem Katalaumschen Felde gefochten, seinen siebenjährigen Sohn nach Byzanz. Dort eignete sich Theoderich in zehnjährigem Aufenthalte die römische Bildung an. Im Jünglingsalter zum Throne berufen, führte er seine Goten ans der Heimat, welche für das rasche Wachstum des Volkes und seiner Rinderherden nicht mehr ausreichte, über die Alpen; in schweren Kämpfen um Verona und Ravenna bewältigte er den tapfern Odoaker und erstach ihn beim Gast-mahl.
Theoderichs Reich umfaßte nunmehr außer Italien und feinen Inseln die schönen Alpenländer, welche im Osten und Norden die Donau von Regensburg bis Belgrad und im Westen das Adriatische Meer begrenzt. Hier schaltete er ein ganzes Menschenalter hindurch: „dem Namen nach ein Gewaltherrscher, in Wahrheit ein echter König", sagt ein feindlicher Geschichtschreiber. Während die Germanen sonst in erobertem Lande zwei ©ritteile des Grnnd und Bodens nahmen, begnügte sich Theoderich, wie vor ihm Odoaker, mit einem. Auf dem Neste des Landes durften die Römer ungekränkt nach ihren Sitten und ihrem Glauben leben. Die Friedensämter, auch die höchsten, vertraute er ihnen; nur für die Überwachung der Rechtspflege ernannte er feine Gotengrafen. Den Germanen behielt er Recht und Pflicht der Waffenführung vor, zu welcher sie Neigung und Fähigkeit befaßen. Daher sollten sie ihre Knaben nicht in die Schule schicken, damit den künftigen Kriegern nicht „die Riemen der Schulmeister die Tapferkeit herausschlügen". Dennoch eignete sich das reichbegabte Volk die edlere Gesittung Italiens an; es trieb den Ackerbau so eifrig, daß der König 1000 schiffe
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zimmern ließ, um die überflüssigen Erzeugnisse des Bodens in ärmere Länder zu schicken, und lernte Kunst und Gewerbe lieben und pflegen, ohne indes seiner Lebensweise und seiner nordischen Tracht (Pelze, Hosen, Stiefel) untren zu werden. Der König selbst nahm seinen neuen Unterthanen zuliebe römische Kleidung. Er schätzte die Denkmäler römischer Kunst und schützte sie vor den entarteten Römern. Dem Rechte war er ein starker und unparteiischer Schirmherr. Streng hielt er auf Ordnung und strebte namentlich zwischen den katholischen Römern und den ketzerischen Goten gegenseitige Duldung zu erhalten. Als gegen das Ende seiner Regierung im byzantinischen Reiche wie in Italien -grimmige Verfolgungssucht aufflammte, ließ er etliche Großen römischen Blutes hinrichten, um seinen eigenen bedrohten Glauben und seine Stellung zu schützen.
Die staatsmännische Fürsorge des großen Königs reichte weit über die Grenzen seines Reiches hinaus. Sein hohes Ansehen bei allen germanischen Völkern benützte er, um Frieden -und Bildung zu fördern. Mit allen bedeutenderen Herrscherhäusern war er verschwägert, und alle Könige hörten ehrerbietig ans den weisen Rat des Völkerfürsten.
Daher hat er auch in der deutschen Sage und Dichtung fortgelebt fast bis auf den heutigen Tag. Unter den Lieblingen des Volkes erscheint er als der stärkste und mildeste. Es nennt ihn Dietrich von Bern, nach der Stadt Verona („Welsch-Bern"), bei welcher er einst seinen ruhmvollsten Sieg errang. Sein mächtiges Grabmal steht in seiner Hauptstadt Ravenna, an welche die Sage von der Rabenschlacht erinnert.
526 Aber wenig Jahre nach Theoberichs Tode raffte sich das „Ostreich" noch einmal auf, um bie stets hochgehaltenen Ansprüche anf bas gesamte Römerreich zn verwirklichen unb bie Mittel-meerlänber zurückzugewinnen. —
Unter allen Germanen erwiesen sich nur bie ©anbaten ber römischen Bilbung uitb ber katholischen Kirche seinbselig. Sie bebrückten bie Einwohner, beiten sie allen fruchtbaren Acker-grunb genommen hatten; mitten in ber allgemeinen Not gingen sie in Golb unb Seibe; nur Raubzüge und Löweitjagben unterbrachen ihr zügelloses Wohlleben. Gegen sie richtete sich ber erste Ansturm bev byzantinischen Waffen.
Mit nur 5000 Reitern (anbete ber helbenmütige Feldherr Belisar und eroberte Karthago. Der letzte Vanbaleitköttig Gelinter warf sich in eine unzugängliche Felsenfeste im Atlasgebirge. Mit byzantinischen Truppen schloß ber Heruler Pharas ihn eilt tntb schnitt ihm alle Zufuhr ab. Zu ihm schickte ber gebengte Fürst unb bat um brei Dinge: ein Brot, einen Schwamm
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unb eine Zither; seinen Hunger zu stillen, bie heißgeweinten Augen zu kühlen unb bas Lieb seines Kummers zu singen.
Enblich ergab er sich Belisar, ber ihn im Triumphzug in Byzanz einführte. „Eitelkeit aller Eitelkeiten! alles ist eitel," rief ber unglückliche Greis, als er vor Zustinian, ben Herrscher beS Ostens, trat. Ans einem Lanbgul in Kleinasien schloß er sein Leben ohne Ruhm; rühm- unb spurlos ist sein Volk verschwunden.
Um so glanzvoller ist ber Stern ber Goten untergegangen.
Zn ihnen lebte noch immer Theoberichs hoher Geist; unter brei Heldenkönigen verteibigten sie fast zwei Jahrzehnte lang ben geliebten Boden Italiens. Der Vanbalensieger Belisar besetzte in überraschenbem Angriffe Sizilien, eroberte Neapel unb bas schlecht gerüstete Rom; heimtückisch nahm er in Ravenna ben wackeren König Vitigis gefangen und führte ihn nach Konstantinopel. Eine Zeitlang war fast bie ganze Germanenherrschaft durch bie Mauern Ticiimms (Pavias) nnischlossen.
Da richtete ber jugenbschöne König Totila in wunderbarem Siegeslaufe Gotenreich unb Gotenehre wieder auf. Nach entsetzlicher Belagerung, während- bereit bie Nachkommen bes Romnlus von Kleie und gekochten Nesseln sich nährten, gewann er Rom zurück. Der Kaiser zitterte vor Totilas Kühnheit, währeitb biesen Gerechtigkeit unb Großmut, besonbers aber die barmherzige Fürsorge für die Besiegten zum Lieblinge ganz
Italiens machten.
Ganz unerwartet kam von Nordosten her ein neues ost-römisches Heer; Narses führte es, ein kleiner, schwächlicher Mann, aber gewaltigen Geistes. Beim Übergang über beit App ernt in trat Totila ihm entgegen, unb die gotische Lanze erlag in der Entscheidungsschlacht bei Tagin ä der griechischen Kriegs- $>2 kunst. Totila überlebte seine Niederlage nicht. Sein Nachfolger, -o
der schwarze Teja, begeisterte die unvergleichlichen Krieger zu treuem Ausharren in dein hoffnungslosen Kriege. In der Schreckensschlacht ant Vesnv erstritt der Rest dieses edelsten Volkes deutscher Geschichte und sein wilder König unter der , schaudernden Bewunderung bes Feinbes einen ehrenvollen Unter- : *
Italien wurde eine Provinz bes griechischen Kaiserreiches, deren erster Exarch oder Statthalter Narses wurde. Aber schon nach wenig Jahren brach ein anderes Germanenvolk herein.
Narses selbst, beim Kaiser verleumdet, soll den Langobardeukömg ^ AUoitt herbeigerufen haben. Nach dreijähriger Belagerung fiel - 1 das feste Ticinum. Alboin machte, seinen Grimm bezähmend, die günstig gelegene Stadt zum Mittelpunkte seines nenen Reiches,
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welches sich bald über die fruchtbare Ebene am Po (die „Lombardei") und ben größeren Teil Mittelitaliens ausdehnte.
Alboins Nachfolger wehrten bie wiederholten Einfälle ber Franken unb Slaven erfolgreich ab, unb obgleich sie wie ihre Herzoge und Schultheißen vielfach Untreue und Gewaltthat begingen, gelangte doch unter ihrer zweckmäßig eingerichteten Verwaltung das durch den • langen Gotenkrieg verödete Land zu neuer Blüte.
Die Langobarden waren bei aller Wilbheit ein tüchtiges unb ebles Volk. Das beweisen seine Sagen von König Authari, der unerkannt seine bayerische Braut Thendelinde besuchte, oder von Leupichis, der, an^der untern Donau in avarischer Knechtschaft erwachsen, den Spuren eines Wolfes folgte, um sein verfallenes Vaterhaus in Friaul aufzufinden.
5. Die niederdeutschen Völker.
Weit weniger als die Ostgermanen wurden bie west- und norddeutschen Stämme von ber großen Völkerbewegung berührt. Nur aus ben Gegenbeu an der unteren Elbe geschah eine Aus-wanderung. Zum Schutz Italiens hatte Stilicho die römischen Legionen aus Britannien abgerufen. Da sahen sich beim bie unkriegerischen Briten beit Raubzügeu bev Pikten unb Skoten Jahr für Jahr preisgegeben und suchten Hülfe bei dem großen Volke ber Sachsen und ben Angeln.
Um bie Zeit ber großen Hunnenschlacht fuhren unter ben sagenhaften Königen Hengift und Horsa, angeblich auf nur drei Schiffen, einige Hundertschaften hinüber unb schlugen die Räuber in ihre schottischen Berge zurück. Aber nun blieben sie selbst im Laube, rotteten bas Christentum, welches schon zur Römerzeit Eingang gesunben, schonungslos aus unb verübten so schweren Druck, daß bie Eingeborenen entwichen und an der Küste Galliens, in der „Bretagne", eine neue Heimat gründeten. Anbete zogen sich in die Berge von Wales zurück und führten bort gegen die nachdrängenden Angelsachsen jene Heldenkämpfe, deren Erinnerung in den romantischen Sagen vom König Artus das Mittelalter erfreute.
Dafür erschienen immer neue Scharen von Angeln unb Sachsen in betn entvölkerten „Angellande", England, und grünbeten sieben Königreiche, bereu Namen noch heute an ihre Grün-ber (bie Sachsen) erinnern (Essex, Sussex, Messer; Ostaugeln). Auch die englische Sprache ist der Hauptsache nach aus ber altsächsischen hervorgegangen.
Wie die Angelsachsen wendeten sich die Germanen überall
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in den neuen Wohnsitzen dem Ackerbau zu. Auch die Stämme, welche in der Heimat verblieben, insbesondere die Franken, Alemannen, Bayern, hatten sich längst an seßhaftes Leben und mildere Sitten gewöhnt. Die immer noch herrschende Blutrache würde allmählich verdrängt durch das Wergeld, eine gesetzlich bestimmte Abfindung, welche an den Geschädigten oder dessen Angehörige, gewöhnlich in Rindern, entrichtet werden mußte.
Die freien Männer hatten sich neben ihrem Anteil an der Dorf-flur eigenen Grundbesitz erworben, welchen sie nach Bedarf in den Wald hinein erweiterten. _ _ _
Am frühesten entwickelte sich unter diesen Stämmen der fränkische. Er gründete den ersten völlig selbständigen Germanenstaat, den einzigen, welcher die Jahrhunderte überdauerte.
Die Franken trieben planmäßige Landwirtschaft mit Rind-vieh- und Schweinezucht, richteten Falken und Hirsche zur Jagd ab, einzelne Gewerbe kamen in Ausnahme, wie Mühlenbetrieb und Bearbeitung von Gold und Eisen. Ein wohlerwogenes Gesetz schützte Eigentum und Leben.
Unverkümmert aber blieb der kriegerische Geist. Alljährlich im März traten die Freien im Schmuck der Waffen zur Heeresversammlung auf dein „Märzfelde" zusammen, um Kriegszug oder Frieden zu beschließen. Die Beratung wie den Krieg leitete der König,' allen kenntlich an den blonden Locken,' welche niemals eine Schere berührte.
Seit dem dritten Jahrhundert hatten sich die Franken am Niederrhein ausgebreitet und im Katalanischen Feld au der Seite der Westgoten und Burgunder nicht unrühmlich gerechten.
Von ihren beiden bedeutendsten Stämmen wohnten die Salier von der Maas bis zur Somme, die Ripuarier oder Userfranken am Unterrhein. Doornik und Köln waren die Hauptstädte.
Der Begründer des Frankenreiches war Chlodwig, der . wenig Jahre' nach dem Untergange des weströmischen Reiches bei den' Saliern zur Herrschaft kam; ein Manu voll Kraft und großer Entwürfe, aber auch voll tückischer Rachsucht und Grausamkeit. Ein Kriegsmann zerschlug ihm böswillig eine Urne aus der Kriegsbeute, welche dem heiligen Remigius in Rheims für seine Kirche zugedacht war: der König sollte nichts haben, als was nach' dem Lose sein Recht sei. Chlodwig verhehlte seine Wut; aber bei der Heerschau des nächsten Märzseldes spaltete er dem Unglücklichen den Kopf mit der Streitaxt: „So thatest du mit dem Kruge von Soissons." ., .
Chlodwig unterwarf den letzten Rest des Römerreiches: das Land, das von der Somme über die Leine bis zur Loire reichte. Dann trat er den Alemannen entgegen, welche sich eben-
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496 das schöne Gallien aneignen wollten. In schwerer Schlacht wankten die Franken; und Chlodwig in seiner Not betete zum Gotte^der Christen und gelobte, sich taufen zn lassen, wenn er den Lieg erlange. Da wichen die Feinde und zogen sich hinter Rhein und Main zurück.
Am folgenden Weihnachtsfest empfing der König aus der Hand des Bischofs Remigius in Rheims'Taufe und Salbung Beuge in Demnt deinen Nacken, stolzer Sigamber," sprach der Heuige; „bete an, was du verbrannt, verbrenne, was du angebetet hast. Mit ihm traten 3000 Franken zum Christentum über.
Im Gegensatze zu den anderen Germanen, welcke einer abweichenden Lehre angehörten, trat Chlodwig der katholischen Kirche bei. Unter ihrem Namen führte er von jetzt ab seine Kriege mit der alten Härte und Gewissenlosigkeit.
_ So zog er gegen die westgotischen „Ketzer", und die fromme Sage hat den Lieg verherrlicht: eine Hirschkuh zeigte ihm auf sein Eebet eine /sUrt über die hochgeschwollene Bienue und wunderbares Leuchten begrüßte ihn beim Hilariuskloster zu Pottiers. Die Westgoten wurden besiegt, ihr König Alarich II. erjchlagen. Bis über die Garouue reichte das Land des fränkischen Glanbensstreiters. Eine weitere Ausnützung des SieaeS hintertrieb der Einspruch TheoderichS. '
Ohne den Vorwand des GlaubenseiserS, lediglich durch frechen Mord beseitigte Chlodwig die ihm verwandten Könige der anderen Frankenstämme, lim das ganze Frankenvolk unter seiner Herrschaft zu vereinigen.
Nach dreißigjähriger Regierung starb er. erst 45 Jahre all, zu Paris, das er zu seiner Hauptstadt erhoben hatte?
Er hinterließ vier Söhne, welche sich in die Herrschaft 5W Eilten L»e unterwarfen das burgundische Reich im' Süden das thüringische im Osten, auch die Alemannen und Bayern wurden abhängig. In den Tagen Alboius ging das Frankenreich von den Pyrenäen bis gegen die Saale und den Böhmerwald • nur die Friesen und Sachsen waren noch selbständig. In der Folge zerfiel die ungeheure Macht iu zwei Teile. 5)er'östliche hieß Australien oder Austrien, der südwestliche Neustrieu; die Grenzlinie bildete ungefähr die Wasserscheide zwischen Maas und Leine- Anstrien bewahrte deutsche Sitte und Sprache, während die nenstrischen Lande dem römischen Einfluß erlagen.
Wie die nenstrischen Frauken, haben sich auch alle anderen gennanijchcn Stämme, die sich in dem vormals römischen Gebiet angesiedelt, die Sprache und mancherlei politische Einrichtungen, vieles aus dem geistigen und gewerblichen Besitze der
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9tenter angeeignet. Aus biefev Vermischung ber^ Goten und Langobarden, der Franken und Burgunder, der Westgoten und Sueben mit den Nachkommen des römischen Weltvolkes sind die romanischen oder lateinischen Nationen hervorgegangen, deren Sprachen (das Italienische, Französische, spanische und Portugiesische) als Tochtersprachen des Lateinischen bezeichnet werden.
III. Das Christentum und das Kaiserreich.
1. Die Bekehrung der Germauenvölker.
Schon vor dem Beginne der Völkerwanderung hatten die Legionen und Kaufleute 'Roms das Christentum in einzelne Gegenden an Rhein und Donau verpflanzt. Der Apostel der Westgoten war Vulfila (Wölflein), der Sohn christlicher Eltern, welche eine gotische Räuberschar aus dem Halyslande nach Dänen entführt hatte. Als Christ und Gote wuchs er auf, erlernte aber auch die griechische und lateinische 'Sprache.
Schon mit 19 Jahren begleitete er als Dolmetscher eine Gotengesandtschaft zu Konstantin dem Großen- In Konstantinopel wurde er später zum Gotenbischof geweiht. Unermüdlich lehrte er den Christenglauben; er übersetzte mittels des vervollständigten Rnneu-Alphabetes die Bibel in die klang- und formenreiche Sprache seines Volkes. Wohl nötigten ihn die Gegner, mit seinen Anhängern über die Donau zu wandern. Aber als er, siebzig 381 Jahre alt, abgerufen tourte, war das Werk der Bekehrung so weit gediehen, daß seine Schüler es vollenden konnten.
Von den Westgoten wanderte die christliche Lehre zu den Ostgoten und Vandalen, dann zu den Burgundern und Langobarden. Alle diese Völker hingen der Lehmeinung des Presbyters Artus von Alexandrien an, welche damals das Morgenland beherrschte. Da der Heiland, so lehrte der Arianismus, ein Geschöpf Gottes fei, so könne er dem Vater nicht gleich, sondern nur ähnlich sein und nicht von Ewigkeit her bestehen.
Die Germanen mochten sich den lieben Gott als den^ König
der Welt, dem sie in Treue sich zu eigen schworen, und Christus
als den Königssohn vorstellen. Die großen Kirchenversamm- ^ •
hingen zuMicäa und Konstantinopel, von den Kaisern Konstantin r. ^ ,y : j
und Theodosius berufen, verwarfen die arianische Lehre, aber , ; n Wl
um so eifriger hielten die Germanen an ihr fest. Dadurch ge- (J J
rieten sie in einen unerfreulichen Gegensatz zu den Einwohnern der Provinzen, welche sie eroberten.
Seitdem jedoch die großen Päpste Leo l. und Gregor I. die Kirche machtvoll gehoben und ihre Lehrsätze und Einrichtungen endgültig festgestellt hatten, wendeten sich die Burgunder und Westgoten, schließlich mich die Langobarden ber katholi-
schen (b. H. allgemeinen) ober orthodoxen (d. H. rechtgläubigen) Lehre zu. Das Frankenvolk trat unmittelbar aus dem Heidentum zu ihr über und schloß sich eng an das Papsttum. *
Gregor der Große hatte, schon ehe er den Stuhl Petri bestieg, der Kirche noch eine andere Stütze bereitet. Blonblockige Angelnknabcn, die er auf dem Sklavenmarkt ausbieten sah, erweckten in ihm den mitleidvollen Entschluß, sie zu Engeln, zu Miterben des Himmelreiches zu machen. Als er bald nachher Papst würbe, entsandte er glanbenseifrige Männer, unb biesen gelang es, bas Jnselvolk zu bekehren. König Edwin von Nort-humberland »ahm mit seinem Volk die Taufe; auf bes Königs Hengst ansprengend, warf ber Hohepriester Lanze und Brandfackel in ben Götzentempel.
Anf ber ^grünen Insel" hatte im fünften Jahrhundert
Pa tri k mit heiligem Eifer baS Evangelium verkündet.
Hundert Jahre später wurde ein Kloster auf betn schottischen Jnselchen Jona ber Mittelpunkt ber irisch-schottischen Kirche.
Zur Zeit Gregors I. kam dann Kolumban ins Franken-
lanb. Ein strenger Mann ohne Menschenfurcht, wie alle „Schotten", wirkte er hier für seine heilige L-ache; er grünbete Klöster in ben Vogesen unb am Bobensee. Sein Schüler Gallus legte, in ber Alpenwildnis den Grund zu bem Kloster St. Gallen.
Diese Männer predigten unter dem Schutze der fränkischen Könige. Der heilige Rupert gehörte dem Königshause selber an; anfänglich Bischof ^von Worms, zog er um 700 in die Donaugegenden, wo in den Stürmen der Völkerwanderung der heilige / Severin seine mutige und segensreiche Wirksamkeit entfaltet hatte, nnd baute ans den walbbewachsenen Trümmern bei- Römerstabt Jiivavum an ber Salzach Kirche uiib Kloster von Salzburg. Im Südwesten Deutschlands hat eine Reihe schottischer lirib fränkischer Apostel gelehrt, an welche die Namen alter Kirchen gemahnen: Emmeram in Regensburg, Kilian in Würzburg unb Heilbronn, Pirmin in ber Pfalz und am Oberrhein (auf der Insel Reichenau). Vor dem christlichen Glockeuklang schwanden die Nixen unb Zwerge in finstere Nacht.
Unermeßlicher Segen ging von biesen Gottesmännern ans. Mit ber christlichen Lehre unb ihrem prächtigen Gottesdienste fand eine eblere Gesittung Eingang. In Kirchen unb Klöstern
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lehrten die Heidenbekehrer christliche Tugenden, leiteten aber mit derselben geduldigen Freundlichkeit auch au zu Verbesserungen in Feld- und Obstbau, in Fischfang und Handwerk, sowie zur Fürsorge für den Armen, Verlassenen. Die deutschen Klöster wurden die wichtigsten Pflegestätten der Wissenschaft und Kunst. Allgemeine Annahme und einheitliche Organisation jedoch schuf dem Christentum erst der „Apostel der Deutschen".
Winfried, mit lateinischem Namen Bonifatius, hat in Deutschland fast 40 Jahre lang mit freudiger Hingebung gewirkt. Mit einer Vollmacht des Papstes ausgestattet, predigte er abwechselnd in Friesland, Bayern, Thüringen, Hessen. Vor versammeltem Heidenvolke fällte er die alte Donar - Eiche bei Geismar in Hessen; und mit dem ehrwürdigen Baume stürzte der Glaube der entsetzten Heiden. In Hessen und Bayern errichtete er Klöster und Bistümer; er selbst wurde vom Papste zum Erzbischof ernannt; seine Metropole (Residenz) Mainz wurde fortan Deutschlands erster Bischofssitz.
Als 75jähriger Greis ging er abermals zu den Friesen, bei welchen er einst feine Lehrtätigkeit begonnen hatte. Schon hatte er viele getauft und die Neubekehrten auf einen Frühlings- 754 morgen in der Nähe von Dokkum im holländischen Westfriesland zur Firmung geladen. Statt der Anhänger des Apostels erschienen feindselige Scharen. Da verbot er seinen Gefährten die Gegenwehr und erlitt mit ihnen freudig den Tod des Blutzeugen.
Die Leiche wurde seiner Verfügung gemäß in seinem Lieblingskloster Fulda beigesetzt.
Im Geiste des Heiligen sorgten fortan zahlreiche L-chüler für die weitere Ausbreitung der christlichen Lehre. In manchen Zügen war sie dem tiefsinnigen alten Volksglauben (von Allvater und Walhall, vom Tode des lichten Balder u. s. w.) verwandt.
Das Gebot liebenden Erbarmens, rechtschaffenen und selbstlosen Handelns erschien dem edlen Geschlechte nicht fremd.
In der Überlieferung unseres Volkes aber lebt noch manches liebe Heidenmärchen fort. So ist die von den Reifriesen gefangene Erdgöttin Gerda zum holden Dornröschen geworden, welches der Prinz ans dem Zcmberschlafe weckt wie der Frühling die Erde.
2. Der Islam. Mohammed.
Die fast unzugängliche Halbinsel Arabien birgt im Innern unabsehbare Flngsandsteppen ohne Wasser und Pflanzenwuchs. Jahrelang fällt oft kein Regen; ein Brunnen ist ein kostbarer, mit Blnt verteidigter Besitz. Im Südwesten, da wo die Straße
Bab el-Mandeb (Thor der Gefahr) aus dem Roten ms Arabische Meer führt, liegt die einzige fruchtbare Landschaft mit Weihrauchstauden, mit Palmen- und Kaffeegärten: Jemen, im Altertume das Glückliche Arabien geheißen. Nordwärts folgt der Küstenstrich Hedschas, „das Steinige Arabien", das nur wenige Pflanzenreiche Thäler besitzt. Im Nordwesten, Arabien mit Ägypten verbindend, liegt die Sinai-Halbinsel, auf deren jetzt wüsten Triften das Volk Israel auf seiner Wanderung ins verheißene Land vierzig Jahre lang zeltete. Auf den Oasen des Binnenlandes weiden noch heute die nomadischen „Kinder der Wüste", die Beduinen, ihre Herden. Die Mühen des unstäten Hirtenlebens stählen ihren hageren Leib; der fast immerwährende Kampf mit den Raubtieren und feindlichen Stämmen macht den Geist selbständig und kühn. Die Erinnerung an die Fehden der Vorzeit hält den Sinn für Tapferkeit und Stammesehre lebendig. Diese Vorzüge werden durch Habgier und Grausamkeit verunziert. Wegen der großen Hitze des Tages wandern sie mit ihren Herden bei Nacht; und der Anblick des Himmelsgewölbes, das über der endlos bewegten Ebene sich ausspannt mit seinen „nie alternden" Sternen, lenkt ihre Einbildungskraft ins Unermeßliche; er macht sie zn Dichtern und trefflichen Märchenerzählern.
Auch ihre religiösen Vorstellungen wurden durch die Naturverhältnisse des Landes bestimmt. Neben einem höchsten Gotte, der sich im Sturm offenbarte wie in der Sonnenglut, und einer Göttin der Erde und ihrer Fruchtbarkeit bildete der Sterndienst und die Verehrung vom Himmel gefallener Steine (Meteore) den Inhalt ihres Glaubens^
Naturgemäß in zahllose Stämme zerspalten, hatte dieses groß veranlagte Volk Jahrtausende lang in denselben Lebensformen sich bewegt, bis sein größter Sohn seine ungebrochene Kraft vereinigte und es zu einem beispiellosen Siegesznge begeisterte.
Mohammed war zu Mekka in Hedschäs geboren. Dort war seinem Stamme, den Koreischiten, die Obhut über den Schwarzen Stein anvertraut, welcher, in das würfelförmige Tempelchen Kaaba eingemauert, das Ziel alljährlicher Pilgerfahrten und zugleich den Schauplatz eines zwanzigtägigen Marktes bildete. Dort fand der Knabe Gelegenheit, die Handelsleute des Küstenlandes wie die Beduinen zu beobachten.
In die Erziehung des Frühverwaisten teilte sich der Großvater mit einem Oheim. Der Jüngling widmete sich dem Kaufmannsstande und machte Handelsreisen mit seinen Verwandten. Dnrch Klugheit und Tüchtigkeit gewann er großes Ansehen und
die Hand der reichen Kaufherrnwitwe Kadidscha, deren Geschäft er verwaltet hatte.
Vierzig Jahre war er alt, da soll ihm der Erzengel Gabriel erschienen fein mit göttlicher Offenbarung. Nun zog er; sich in die Wüsteneinsamkeit zurück, um die Eindrücke seines Reiselebens zu überdenken. Er hatte das absterbende Heidentum, das^ erstarrende Judentum und das im Sektenstreit entartende Christentum Asiens geprüft, und in dem Geiste des stillen Träumers stieg der Gedanke auf, den reinen Glauben an einen Gott, welcher ihm aus der Welt verschwunden schien, seinem Volke wiederzugeben.
Die Grundlage dieses Glaubens, Islam d. i. Hingebung geheißen, bildete der Satz: „Es ist nur ein Gott, und
Mohammed ist sein Prophet." Ungeachtet seiner schwärmerischen Beredsamkeit trieben ihn die Verfolgungen der Stammesgenossen in den Norden, nach „Medina". Die mit Wundersagen ausgeschmückte Flucht (Hedschra) ist der Ausgangspunkt der mohammedanischen Zeitrechnung^
Einer der Glaubenssätze Mohammeds verhieß dem Moslim (Gläubigen), der im Kampse für den Islam falle, die höchsten Freuden des Paradieses. Diese Lehre führte ihm in Medina eine große Schar feuriger Anhänger zu. Mit Waffengewalt breitete er den Islam aus, und als er nach zehn Jahren starb, war fast das ganze Arabien unterworfen und bekehrt.
Um Erobern und Herrschen allein war es ihm jedoch nicht zu thun. Er wollte sein Volk zu edleren Sitten, zu reinerer Frömmigkeit erziehen. Er erhob es zum Glauben an die Unsterblichkeit; Fasten, Beten, Almosen öffnen die Pforten des Paradieses. Außerdem schrieb er regelmäßige Waschungen vor und verbot den Genuß des Weines. Er selbst gab ein Vorbild schlichter Einfachheit; Datteln und Gerstenbrot sollen seine Nahrung ausgemacht haben.
Die heiligste Pflicht, welcher jeder Muselmann mindestens einmal im Leben zu genügen sucht, bleibt eine Wallfahrt zum Grabe des Propheten nach Mekka. Die sieben Karawanenstraßen, welche dorthin führen, haben den Handel des ganzen Morgenlandes belebt.
Die Lehren des Propheten sind im Koran gesammelt; dessen Sprüche zieren, in wunderlich verschlungene Ornamente (Arabesken) eingeflochten, die Wände der Moscheen (Gebethäuser); die bildliche Darstellung des Menschenleibes ist untersagt. Zum Gebete wird von den hohen Minarets herab die Gemeinde zusammengerufen; Glocken sind unbekannt. Der wöchentliche Gottesdienst ist am Freitag, das heilige Zeichen der Moslemin der Halbmond, wie für die Christen das Kreuz.
Kreuz und Halbmond sollten bald genug ihre Kräfte messen.
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3. Leres und Tours.
Die geistliche und weltliche Leitung der mohammedanischen Welt führten nunmehr die Kalifen, d. H. Nachfolger des Propheten, welche den Sitz ihrer Herrschaft nach Damaskus, nachmals nach Bagdad verlegten, der Wunderstadt am Tigris, die Karls des Großen Zeitgenoß Harun al Raschid gegründet. Sie eroberten binnen weniger Jahrzehnte Syrien mit den Euphratländern, Persien, Ägypten; dem Islam gehörte das Mittelmeer. Nur Konstantinopel widerstand dem Fanatismus. Sieben Jahre nach einander wurden alle Angriffe durch Stürme und Mangel vereitelt, vor allem aber durch eine damals erfundene rätselhafte Mischung von Schwefel, Salpeter, Harz, Pech, Bergöl u. dgl., das „griechische Feuer", welches auch im Wasser nicht erlosch, so daß die arabischen Schiffe, auf welche es geschleudert wurde, rettungslos verbrannten.
Allenthalben aber belebten sich unter dem Zeichen des Halbmondes die verödeten Häfen und Märkte; unter einer Verwaltung, wie sie das Abendland nicht kannte, erhoben sich an den alten Römerstraßen gewerbliche Städte, zum Teil in der Nähe der verfallene» alten Hauptstädte: Kairo neben Memphis, Kair-wan neben Karthago. Und mit dem äußeren Aufschwung ging die Pflege der Kunst und Wissenschaft Hand in Hand.
Auch die alten Römerprovinzen Nuntidien und Mauretanien wurden unterworfen, und Tarik führte bei dem Felsenberge, der noch heute Berg des Tarik (Dschebel Tarik, Gibraltar) heißt, seine Krieger nach Spanien hinüber. In langem Frieden verweichlicht, erlagen die Westgoten den „Mauren" in der 711 siebentägigen Schlacht bei Leres. Ihr König Roderich verschwand nach heldenmütigen Thaten; seine Krone und sein Streitroß Orelia, seine reichverzierten Kleider und Stiesel fand man unweit des Flusses Guadalete, der bei Cadiz mündet. Von den Zinnen seines Königsschlosses zu Toledo wehte fortan die Fahne des Propheten. Die Goten unterwarfen sich bis aus eine kleine Heldenschar, die in den Bergen Asturiens ihren Freiheitssinn und ihren königlichen Stolz auf ihre Nachkommen vererbte.
Noch rastete das Schwert des Eroberers nicht. Der Emir d. h. Statthalter Abdurrahman wollte durch die Pforten der Pyrenäen und Alpen nach Italien bringen, um Mohammeds Namen am Vatikan ausrufen zu lassen. Schon stand er an der Loire, und das christliche Abendland schwebte in höchster Gefahr. Da raffte der fränkische Feldherr Karl Martel, d. H. der Hammer, alle Streitkräfte zusammen — und in der
heißen Völkerschlacht bei Tours erlag die arabische Rei- 732 terei der Eisenfaust der Austrasier.
In Spanien aber blieb die Macht der Araber ober Mauren unter bem Kalifen von Corbova lange unerschüttert. Auch hier entwickelte sich rasch ber Landban, bas Gewerbe, ber Handel, unb es erblühten bie schonen Kinder bes Reichtums, Kunst unb Wissenschaft. An den Schulen und Sternwarten der Araber suchte die vornehme Jugend der christlichen Nachbarländer Belehrung, und noch heute wird in dem als Moschee erbauten Dome zu Cordova und in ber noch in ihren Trümmern ergreisenb schönen Königsburg ber Alhambra bei Granäda bie wehmütige Seele bes Besuchers hinübergezaubert in bie Märchenpracht bes fernen Morgenlandes.
4. Pippin und Karl der Große.
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Wie Chlodwig, so schändeten bie nachfolgenden Merowinger ihren Namen durch rachgierige Grausamkeit. Der Königin Brun- /* • Hilde warf man vor, sie habe aus Herrschsucht zehn Frankenkönige, zum Teil ihre eigenen Söhne und Enkel, ans der Welt geräumt. Dem entsetzlichen Vorbilde des Königshauses folgten die weltlichen wie bie geistlichen Großen.
Der fortschreitenden Auflösung traten die Hausmeier entgegen. Ursprünglich die Befehlshaber des königlichen Gefolges und Haushaltes, gewannen die majores domus immer mehr Einfluß, je tiefer das Königtum sank. Der Maurensieger Karl Martel herrschte, wie fein Vater Pippin von Lanben, als Hansmeicr in Austrafien unb Neustrien mit gleicher Machtfülle. Der König pflegte nur einmal im Zahr auf einem mit Ochsen bespannten Wagen, ben weißen Herrscherstab in der Hand, der Heeresversammlnug des Märzfeldes sich zu zeigen.
Enblich legte Karl Martels ©ohn Pippin „der Kurze" durch eine Gesandtschaft bem Papste bie Frage vor „über bie Könige der Franken, welche in diesen Zeiten nicht die königliche Macht hätten, ob das gut sei". Die Antwort entsprach seinem Wunsche: wer bie Gewalt habe, dem gebühre die Ehre. Da ließ sich der Bauern-Enkel in der Neichsversammlnng zu Soissons 751 zum König wählen und nach alttestamentlichem Branche von den Bischöfen salben; dem letzten Merowinger schor man die Königslocken unb schickte ihn in ein Kloster.
König Pippin erwies sich nicht undankbar. Als die Lombarden Rom bedrohten, welches längst nur noch dem Namen nach zum oströmischen Kaiserreiche gehörte, kam der greise Papst Stephan hülsesucheud zu Pippin, und dieser führte aus „Ver-
ehrung für tot. Peter und wegen der Vergebung seiner Sünden" seinen Heerbann über die Alpen, nahm den Langobarden die Gegend um Ravenna (das Exarchat) und schenkte sie dem päpstlichen Stuhle, dessen weltliche Herrschaft damit ihren Anfang nahm.
Auch im Frankenlande gebot Pippin klug und kraftvoll.
Er schützte die Kirche gegen die Übergriffe seines widerspenstigen Adels und befestigte sein Reich gegen die Stammesherzoge, welche nach Unabhängigkeit strebten. Als er im Kloster des heiligen Dionysius (St. Denis bei Paris) starb, war Frankreich bis zur Garonne und Deutschland außer der niederdeutschen Ebene seiner Macht unterworfen. > \ , yUv)',
Er hatte sein Reich unter seine beiden Söhne geteilt. Nach j \ dem frühen Tode Karlmanns wurde Karl „der Große" zum Könige des ganzen Volkes erwählt. Als nun Karlmanns A-v Schwiegervater, der Langobardenkönig Desiderius, den Pavst zwingen wollte, seine Enkel als Frankenkönige zu salben, nahm V derselbe Karls Hülfe in Anspruch, und „der eiserne Karl" führte seine Scharen über den Mont Evnis und den Kleinen St. Bernhard, eroberte nach langer Belagerung Pavia und verwies Desiderius in ein Kloster. So endete das Reich der Langobarden. Noch lang aber erzählte die Sage von ihrem letzten König und seinem riesenstarken Sohn Adalgis oder Algis, der sich unerkannt an König Karls Tafel gesetzt, die Knochen von Hirschen, Bären, Ochsen wie Halme zerbrochen habe, um das Mark auszusaugen, und dann glücklich entkommen sei.
Schon vorher hatte Karl den langwierigsten und blutigsten seiner Kriege begonnen.
Über die norddeutsche Ebene zerstreut lageu die Höfe der wachsen. An der Ems saßen die Westfalen, an der Aller bis zur Elbe die Ostfalen, zwischen beiden, von der Hessengrenze bis zur Mündung der Elbe, die Engern, eine vierte Gruppe jenseits der Unterelbe. Vom Meere durch die Friesen und die an der holsteinischen Ostküste wohnenden Slaven säst völlig abgeschnitten, trieben die Sachsen ausschließlich Landbau und Viehzucht. Mit dem Heidenglauben hatten sie sich auch den germanischen Freiheitstrotz bewahrt. Noch gehorchten sie keinem Könige; für Raub- und Kriegszüge stellten sie einen Hlasord oder Trocht (Drost) an ihre Spitze. Sie zerfielen in Ethelinge (Edle), Frilinge (Gemeinfreie) und Liten oder Lazeu (Hörige); das Wergeld für einen erschlagenen Etheling kam dem für sechs Frilinge oder zwölf Lazen gleich.
Auf der Heerversammlung zu Worms nahm Karl die alten Grenzkriege zwischen Franken und Sachsen wieder auf. Trotz der Unzugänglichkeit des wildfremden Landes drang er an der
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Lippe aufwärts bis in ihre Quellgegend, zerstörte das Heiligtum Jrminsul und nahm als Pfand der Unterwerfung zwölf sächsische Geiseln mit in die Heimat.
Während des Langobardcnkrieges jedoch heerten die Sachsen im Hessenland. Jetzt schwor der König, das wilde Volk zu bekehren oder auszurotten. Bis ins Herz des feindlichen Landes drang er vor. Das Schicksal der Sachsen schien besiegelt. Scharenweise erschienen sie zu Paderborn vor Karl, um seine Verzeihung und die Taufe zu erlangen. Er errichtete allenthalben Kirchen unb gab strenge Gesetze zu ihrem Schutze.
Daun that er, bem Hülfegesuch bes Emirs von Saragossa solgenb, einen Kriegszug gegen ben Kalifen von Corbova. Auf . . ,y-bem Rückwege geriet seine Nachhut im Pyrenäenthale Ronces- ° valles (bei Pampelona) in einen Hinterhalt, bei welchem ber gefeierte Held Roland siel mit anderen „Paladinen".
Inzwischen streiften die Sachsen sengend und brennend bis zum Rhein. Ein fränkischer Heerhause, welcher durch daS scheinbar wieder beruhigte Land gegen die Wenden (Sorben) zog, wurde von-den sächsischen Hülsstruppen treulos verlassen und geschlagen.
Da hielt ber erzürnte Herrscher ein fürchterliches Strafgericht.
An einem Tage würben 4500 Sachsen, bie man ihm als bie Schuldigen ausgeliefert, zu Verben au ber Aller enthauptet.
Die Entrüstung über biese Blutthat entfachte neuen Aufruhr.
Aber Feuer unb Schwert wüteten in bem unseligen Laube, bis
ber uuüberwunbene Hlasorb Wibukind sich bem Christenkönig 885 '}7 '
ergab und in Attigny die Taufe empfing.
Spätere Aufstände wurden schonungslos niedergeschlagen,
Tausende von Sachseufamilieu am Neckar und Main angesiedelt.
Der dreißigjährige Glaubenskrieg erlosch. Karls Reich grenzte #3 an fünf Meere.
Nun ward überall im Sachsenlande mit Güte ober Gewalt bas Christentum eingebürgert. Zu beit schon früher errichteten Erzbistümern Mainz, Köln, Trier unb Metz tarnen Hamburg und Salzburg mit der Aufgabe, ben Wettben und Avaren (in Pannonien) bas Evangelium zu vermitteln; Als bie Heibeu-völker w!eberholt mit Raubetufälleu antworteten, schickte Karl den Bayernherzog Tassilo, welcher sie unterstützt hatte, in ein Kloster. Die gefährdeten Grenzlandschaften (M arke n) besiedelte er mit kriegswichtigen Scharen, welche bei feinblichen Vorstößen bem „Markgrafen" sofort zur Hanb sein mußten- So entstauben bamals als Nebeitlänber Bayerns die Ostmark (Oberösterreich), die pnnnonische und die sriaulische, sowie gegen die Mauren die spanische Mark zu beiden Seiten der Pyrenäen.
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5. Karl der Große als F r i e d e n s f ü r st.
Auch im Innern seines Reiches brachte der König seinen Willen kraftvoll zur Geltung.
Aus dem freien Bauer ruhte vorwiegend die Last des Kriegsdienstes. Er hatte sich für den Feldzug, der ihit bei: oommer hindurch seinem Beruf entzog, selbst auszurüsten und zu verpflegen. Zum Danke wahrte ihm der König das Recht, nur von seinesgleichen gerichtet zu werde» und in den Heeresversammlungen, die jetzt im Mai stattfanden, über Krieg und Frieden zu entscheiden. Dennoch trieb die Not zahlreiche Bauern, ihre Liegenschaften an einen Großen oder eine Kirche abzutreten und gegen jährlichen Zins als Lehen zurückzunehmen. Dann mußte der Lehensherr mit seinen Reisigen für ihn der Kriegspflicht genügen.
Den Heerbann jedes Gaues sammelte und fühlte ein Graf, welcher zugleich in des Königs Namen das Gaugericht leitete. Dafür erhielt er gegen den in des Königs Hand geleisteten Treueid ein königliches Gut zu Sehen. Die Amtsführung der Grafen wurde durch Königsboten oder Sendgrafen überwacht, welche Karl der Zahl feiner Bischöfe und Grafen entnahm.
Der König war der größte Grundbesitzer seines Reiches. Um den Herrenhos seiner Güter lagen ganze Dörfer, deren Höfe an freie oder hörige Meier oder an Knechte vergabt waren. Da bares Geld fast gar nicht im Umlauf war, zinsten die Meier-Schlachtvieh, Korn und Wein, die Knechte fronten als Handwerker oder Handlanger. Die Landwirtschaft auf den Pfalzgütern leitete der König selbst mit genauer Sachkenntnis. Unter seinen Augen entwickelten sich die Königshöfe mit ihren Hühnern und Schwänen, ihren Bienenstöcken unb schellenbehangenen Rindern, ihrem Obst- unb Gemüsebau zu Musteranstalten für ben Lanbbau, welcher immer tiefer einbrang in ben gerodeten Wald.
Karl hatte keine Hauptstadt. Abwechselnd hielt er Hof in den Herrenhäusern seiner Hofgüter, beit Pfalzen (palatium): Attiguy an ber Aisne, Herstal an ber Maas, am Rheine Nimwegen unb Ingelheim, Speier unb WormsJ Eine außergewöhnlich hohe Gestalt vou kraftvollem, ebenmäßigem Glieberbau, mit starker Nase unb hellen, freundlichen Augen, prächtigem Silberhaar um bas schöngeformte Haupt, in einfacher Kleibuug, welche bie eigenen Töchter gesponnen unb genäht, ein Feinb aller Unmäßigkeit unb Ziererei, die er wohl auf der Jagd im Arbeuner-walde rügte in Scherz oder Ernst: so lebte der Monarch in stetem Wechsel unermüdlicher Arbeit und behaglicher Ruhe.
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Ihn umgaben seine Angehörigen und Hofbeamten: Kämmerer und Truchseß, Schenk und Mareschalk (Stallmeister), Pfalzgraf und Kapellanns (Hofpfarrer), aber auch Künstler und Gelehrte, die er sogar aus Italien und England berief. Der gelehrte Einhard half ihm nach römischem Vorbilde Kirchen und Pfalzen bauen; den Gesang zu Laute und Harfenspiel übten seine Töchter Rotraut, Bertha und Gisela. Auch fröhlicher Scherz fand seine Stelle, wenn etwa ein riesiger Kriegsmann sich rühmte, wie er im Krieg mit den Böhmen sieben oder acht von dem „Wurmzeug" wie Lerchen auf die Lanze gespießt und herumgetragen: „weiß nicht, was sie dazu brummten". Selten versäumte er den Gottesdienst, und zu den persönlichen Freunden des Königs, den „Paladinen", zählten auch hervorragende Geistliche.
Und wie er selbst noch in späteren Jahren bemüht war, die Mängel seines Jugendunterrichtes nachzuholen, zumal im Rechnen und Schreiben, so sollte sein Volk höhere Bildung erwerben. Er hob die Bischofsschulen und gründete, zunächst für die Kinder seiner Beamten, unter Alkuins Leitung eine Hos-schule, an welcher besonders Latein gelehrt wurde. Jeder Unterthan sollte unter der Zucht seines Pfarrers das Vaterunser und Glaubensbekenntnis im lateinischen Wortlaut sich aneignen. Dabei blieb der große König durch und durch ein deutscher Mann: er ließ die schönen alten Heldenlieder sammeln und gab den Winden und Monaten deutsche Namen, die zum Teil heute noch fortleben.
Wie die Römersprache wollte der hochsinnige Herr auch das Nömerreich wieder zu Ehren bringen. Aus der Hand Papst Leos III., den er mit Waffengewalt zurückgeführt iu das empörte Rom, empfing er am Weihnachtsfeste 800, vor dem Altar 800 der St. Peterskirche kniend, die römische Kaiserkrone.
Immer weiter flog sein Ruhm. Fremde Fürsten suchten seine Gunst. Der Kaiser von Byzanz sendete ihm eine Orgel zum Geschenk, der Maurenkönig einen Löwen und numidische Bären, der große Kalif Harun al Raschid einen Elefanten und mehrere Affen, lauter seltene und wertvolle Dinge.
Bewundert von der Welt und von seinen Unterthanen geliebt, verbrachte der Kaiser seine letzten Jahre meist in der schönen Pfalz zu Aachen, die er selbst erbaut und mit dem aus Ravenna geholten Standbilde des großen Theoderich geschmückt hatte. Die warmen Bäder thaten dein greisen Helden wohl, und er hat mitunter seinen ganzen Hofstaat gutherzig au denselben teilnehmen lassen. In Aachen ist er nach kurzer Krankheit am 28. Januar 814 gestorben und in der von ihm gegründeten Marienkirche beigesetzt worden.
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6. Die Teilung des fränkischen Reiches.
Zwei Söhne waren vor dem Kaiser weggestorben; dem dritten, Ludwig dem Frommen, gebrach es an Kraft des Willens. Um die Einheit des Reiches zu sichern, bestimmte er frühzeitig seinen ältesten Sohn Lothar zum Nachfolger in der Kaiserwürde; unter seiner Oberhoheit sollten die jüngeren Brüder Pippin im Westen und Ludwig im Osten Sonderreiche erhalten. Das Bestreben des Kaisers, für seinen jüngsten, einer zweiten Ehe entstammenden Sohn Karl auf Kosten der Brüder ein weiteres Unterreich zu errichten, rief einen langwierigen Familienzwist hervor. Als schließlich die drei älteren toohne in Waffen dem Vater gegenüber standen, sah sich dieser von seinen Kriegern schnöde verlassen, und den Rest bat er selbst, den Söhnen sich anzuschließen, „denn ich will nicht, daß jemand meinetwegen an Leib oder Leben Schaden nehme". Das war auf dem Rotfeld unweit Kolmar, welches seither das Lügen-seld heißt.
Lothar zwang nun den gefangenen Vater zu öffentlicher Kirchenbnße; weitere Mißhandlung verhinderten Pippin und Ludwig. Dennoch wollte der Kaiser nach Pippins Tode bei einer neuen Teilung Ludwig sein Erbe nehmen bis auf Bayern, und als der Gekränkte sich zur Wehr setzte, rückte er ins Feld gegen seinen besten Sohn. Da ereilte ihn auf einer Rheiuinsel bei Ingelheim der Tod.
Aber nun wütete in dem ungeheuern Reich ein verheerender Bruderkrieg, bis der herrische Lothar trotz heldenhafter Tapferkeit den verbündeten Heeren Ludwigs und Karls erlag. Jetzt endlich willigte er in die endgültige Teilung des Reiches, 843 welche zu Verdun an der Maas vereinbart wurde. Lothar erhielt mit der Kaiserkrone das ehemalige Langobardenreich und das nach ihm benannte Lothringen: einen Landstreifen, der westwärts von der unteren Schelde, der mittleren Maas, der Saöue und deu Sevennen umschrieben wurde, während die östliche Grenzlinie von der Wesermündung, die Friesenküste einschließend, zum Rhein (unterhalb der Moselmündnng), dann an Rhein und Aar entlang zu den Alpen lief. Was von Lothars Reiche westlich lag, erhielt Karl „der Kahle"; das vorwiegend bäuerliche Ostland nebst der weinreichen Gegend um Speier, Worms und Mainz verblieb Ludwig dem Deutscheu. Von da an kann erst von einem französischen und einem deutschen Volke gesprochen werden.
Als nach wenig Jahrzehnten Lothars Haus in Deutschland
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ausstarb, teilten sich Ludwig und Karl in das Mittelreich. ^
Subteig erhielt die Landschaften deutscher Zunge, Karl die fran-zöfischen. Die Grenze bildete die Maas bis hinauf nach Lüttich, : dann deren Zufluß, die Ourthe, weiterhin die Mosel unb die obere L>aone, doch so, daß Metz an Deutschland, Bisanz an Frankreich fiel; im ganzen dieselbe Scheide zwischen beiden Völkern, die genau ein Jahrtausend später wieder hergestellt worden ist.
Es warm schlimme Zeiten damals. Während in Italien und Bnrgunb unabhängige Reiche sich bildeten, heerten bie Araber (Sarazenen) an beit Küsten Italiens und der Provence, und das heidnische Seeräubervolk der Normänner schleppte aus den Küstenstrichen von der Elbe bis zu der Garonne unschätzbare Beute in die dänische und skandinavische Heimat. Aus flinken Schiffen fuhren sie die Ströme hinauf;' Rouen und Hamburg,
Lüttich unb Trier sanken in Asche; bie tapfersten Grafeu'Deutsch-laubs fielen im Kampfe gegen bie urwüchsigen „Wikinger".
Selbst bie Küsten des sonnigen Mittelmeeres zitterten vor ihnen, unb nach bem nebligen Island unb bett Küsten Norbamerikas haben sie, beut Vordringen bes Christentums trotzig auSweicheitb, ohne Kompaß unb Seekarte beit Weg gesunden.”
Ein König von Frankreich nahm einige ihrer Scharen, damit sie sein Land schützen sollten, in das schöne Müiidungsland der Seine aus, das noch heute die Normandie heißt. Andere schlug verdeutsche König Arnulf bei Löwen so entscheidend, daß sie ihre 891 Plünderungszüge von da an meistens nach dem eben erst geeinten England richteten. Dort gelang es bem großen König Alfred, sie nach wechselvollen Kämpfen zur Annahme des Christentums zu Bewegen und zu friedlichen Bürgern des Landes zu machen, welchem er, als GesetzgeBer unb Lehrer seines Volkes ttttaBlässig wirkenb, bett Weg zur Größe geebnet hatt
Das unglückliche Deutschland aber begann mittlerweile, wiederum aus Asien kommend, ein neuer Feind zu peinigen: die Magyaren oder Ungarn. Mit bem teuflischen Rufe:
»Hui, hui!" stürmten ihre Reiterschwärme nnwiberstehlich heran; ganze Heere beutscher Grafen unb Krieger würben von ihnen niedergemäht; Sachsen, Bayern, Schwaben erlitten bie entsetzlichsten Heimsuchungen; selbst bas ferne Bremen warb verbrannt.
Da hat ber letzte König fränkischen Stammes, Kourab I., auf beut Sterbebette ben edelmütigen Rat gegeben, seinen persönlichen Todfeind, den Sachsenherzog Heinrich, zum deutschen König zu küren. Aus der blutig unterworfenen niederdeutsche» Ebene sollte unserem Volk eine neue Blüte erstehen.
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IV. Die Sachsen- und Frankenkaiser.
1. Heinrich I.
Heinrichs Vorfahren waren durch den erbitterten Grenzkrieg gegen die Wenden, welche alles Land östlich der Saale und Elbe besetzt hatten, zur Herzogswürde gelangt, aber dem Reiche fremd geworden. Heinrich selbst hatte dein Frankeuherzog Eberhard, König Konrads Bruder, eine Niederlage beigebracht, daß die fahrenden Sänger in ihren Liedern frugen, ob wohl der Höllen-fchlund weit genug fei, eine solche Menge Erschlagener zu fassen. Jetzt wählten ihn dieselben Franken und seine Sachsen zu Fritzlar unweit der Grenze beider Stämme zum König. Er soll auf einer feiner Pfalzen am Harz dem Vogelfang obgelegen haben, als ihm eine Gesandtschaft feilte Erhebung ankündigte. Eine schwere Last sank ans feine Schultern/
Unter den letzten Karolingern hatten sich die Stammesherzogtümer so gut wie unabhängig gemacht. Durch besonnene Verhandlungen mit den mißtrauischen Herzögen von Schwaben oder A lemannien (den Süden des Elsasses, Badens, Württembergs, Bayern bis zum Lech, die Ostschweiz und Tirol umfassend), von Bayern (mit seinen „Marken" an der Donau und in den Alpen) und von Lothringen (vom Kamme der Vogesen bis zur Wasserscheide zwischen Rhein und Seine, nordwärts bis zur scheide) erwirkte der König seine Anerkennung, durch welche ein Zerfallen des Reiches verhütet wurde!
Gleich daraus überschwemmten die Ungarn von neuem das eachfeiilaitd. verbrannten die Häuser, erschlugen die Männer; die Frauen und Kinder schleppten sie in die Knechtschaft. Nicht unterstützt von den Herzögen, mußte Heinrich gegen eine jährliche Geldzahlung Waffenruhe ersaufen. Er benützte sie, um eine wirksame Abwehr vorzubereiten.
Wie Alfred der Große im Kampfe gegen die Normannen schuf er ummauerte Wohuplätze, „Burgen", in denen die Landleute in Zeiten der Gefahr mit ihren Angehörigen, mit Haustieren und Hausrat sich „bergen" konnten. Alljährlich mußten die Bauern einen Teil ihres Ernteertrages in die Burg abliefern, und mancherlei Vorrechte führten den Burgen auch Ansiedler („Bürger") zu. Auf diese Weise sind in Sachsen mehrere Städte entstanden.!
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Aber Heinrich wollte den Magyaren auch in offener Feldschlacht entgegentreten. Bisher waren die Ethelinge und Fri-liiige, einzeln ihre schwerfälligen Rosse tummelnd, von den flinken Feinden leicht umzingelt und niedergeinacht worden. In sorgfältig geleiteten Übungen gewöhnte er sie an planvolle Bewegung in geschlossener Linie. Gleichsam zur Probe nahm er auf einem Kriegszug über die Elbe, das Eis der Havel überschreitend, die alte Wendenseste Brennabor (Brandenburg) und unterwarf sich das Land bis gegen die Oder.
Nun weigerte er im Einverständnis mit der sächsischen Heerversammlung den Tribut, und bald ergossen sich die Ungarn wieder, in zwei Hause» geteilt, über das flache Land. Den einen schlugen in der Nähe des Kvffhäusers die ergrimmten Bauern tot; dem andern begegnete König Heinrich selbst in der Heimat seines Geschlechtes, an der Unstrut. Mit dem Feldgeschrei 933 „Kyrie eleison" rückten die festen Geschwader der Sachsen-reiter in die Schlacht, von dem Könige geführt, welchem die Fahne mit dem Bilde des Erzengels Michael vorausgetrageu wurde.
Die Ungarn ergriff heller Schreck vor den unerschütterlichen Eisenreihen, au deren Schild und Helm die Pfeile wirkungslos niederprasselten; fast ohne Schwertstreich stoben sie auseinander. Unzählige Gefangene, welche sie mitgeschleppt, und die reiche Beute, welche sie zusammengeraubt, siel dem Sieger anheim.
Nach Sachsen kamen die Ungarn nicht wieder. Der fromme König Heinrich aber gab den Zins, welchen er ihnen bezahlt, fortan an die Kirche zur Verteilung unter die Armen.
2. Otto der Große.
Noch zu König Heinrichs Lebzeiten war die Erwählung seines Sohnes Otto bei den Großen des Reiches beschlossene Sache: Jetzt wurde der junge Fürst, ein Mann von gewaltiger Körpergestalt und königlicher Würde wie sein Vater, in der Marienkirche zu Aachen vom Erzbischof von Mainz feierlich gesalbt und gekrönt, und beim Festmahl reihten sich um ihn, als Träger der vier Hofämter Karls des Großen, die Herzöge von Lothringen (Erzkämmerer),' Franken (Truchseß), Schwaben (Mundschenk) und Bayer» (Marschall).
Aber von dem Kraftgefühle des neuen Herrschers besorgten die Herzöge eine Einschränkung ihrer Macht. Eberhard von Franken schürte den Ausstand, an dessen Spitze des Königs • eigene Brüder traten: erst der ältere, Thankmar, und nach dessen unrühmlichem Tode der jüngere, Heinrich. Wiederholte Niederlagen und die Begnadigung, welche der König in unerschöps-
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licher Großmut mehrmals gewährte, stachelten nur die Ehrsucht des verblendeten Jünglings; zuletzt trachtete er dem Bruder nach dem Leben. Der verruchte Anschlag wurde verraten. Jetzt erst besann sich Heinrich auf seine Pflicht und seine Ehre. Aus seiner Hast zu Ingelheim schlich er sich nach Frankfurt ans königliche Hoflager und warf sich am Weihnachtsmorgen im Dome mit reuevollen Thränen dem Bruder zu Füßen. Noch einmal verzieh ihm dieser und machte ihn nachmals zum Herzoge von Bayern. Und Heinrich hat dem hochsinnigen König in treuem Eifer gedient bis an seinen Tod.
Im Innern war Friede. Nun stellte Otto auch nach außen das Ansehen des Reiches wieder her. Nach dem Tode seiner Gattin vermählte er sich in Pavia mit der klugen Adelheid, der jugendlichen Witwe eines „Kaisers" Lothar, und gewann dadurch die Herrschaft in dem von blutigen Unruhen zerfleischten Oberitalien.
Bei der Neuordnung der Südgrenzen glaubte sich sein Sohn Ludolf, der Herzog in Schwaben, gegenüber seinem Oheim Heinrich verkürzt. Er verband sich mit dem Roten Konrad, welchem der König mit der Hand seiner Tochter das Herzogtum Lothringen gegeben hatte, zu einem neuen Aufstande, der erst nach zäher Gegenwehr bei Mainz und dann bei Regensburg bewältigt wurde. Es dauerte lange, bis der trotzige Ludolf seinen bekümmerten Vater in ben Wäldern Thüringens fußfällig um Verzeihung bat^
Während dieser Wirren brachen die Ungarn wieder herein; sie streiften bis Augsburg. Da brachte ihnen Otto auf dem Lech-955 feld eine Niederlage bei, welche ihnen das Wiederkommen für immer entleibete. Hier büßte Konrad feine Untreue durch den Heldentod. Die Magyaren wurden in den Ebenen der mittleren Donau seßhaft und wendeten sich unter ihrem Könige Stephan dem Heiligen dem Christentnme zu.
Jetzt begann für Deutschland eine gesegnete Zeit. Frieden und Recht herrschten bis ins abgelegenste Walddorf. Fröhlich gedieh der Ackerbau; denn nur in den seltensten Fällen mußte der Bauer mit in den Krieg, weil die Großen, namentlich die Bischöfe, ihre gepanzerten Lehensmänner (Vasallen) mit ihren Reisigen zn kriegerischem Reiterdienste dem Könige zuführtenl Unter dem Einflüsse des frommen Herrschers und seiner Angehörigen verdrängte mildere Gesittung in der deutschen Kirche den Überrest altgermanischer Roheit; ans den Klöstern und ihren Schulen ging ein gebildeter, treuer Priesterstand hervor. Die Wenden wurden durch Ottos Markgrafen bezwungen; um sie zn bekehren und beim Christentum festzuhalten, gründete Otto
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das Erzbistum Magdeburg mit beit Bistümern Havelberg, Brandenburg und Meißen.
Um seine Deutschen noch inniger mit der Kirche zu verbinden, zog Otto abermals über die Alpen Und empfing aus den Händen des Papstes, wie Karl der Große, in St. Peters Dom die Krone der Imperatoren. Bei einer dritten Romfahrt gelang es ihm, seinen Lrohn Otto mit der griechischen Kaisertochter Theoph^no zu verinählem
In all diesem Glanze blieb der deutsche Hos einfach und arbeitsam; sein höchster Schmuck war die Reinheit deutscher Sitten und schlichter Frömmigkeit. Der König wanderte, auch als das Alter seinen mähnenartigen Bart gebleicht hatte, ordnend und richtend von Pfalz zu Pfalz; ruheloser als er war niemand im Reiche. Seine einzige Erholung war die Jagd; da schritt er wohl allein, laut singend, durch den grünen Wald.
Auf der waldumringten Pfalz Memleben an der Unstrut ist ber große Kaiser auch gestorben. Im Dome seiner Lieblingsstabt Magbebnrg liegt er begraben.
p. Die romanische Kunst. Bernward von Hildesheim.
/Während der junge Kaiser Otto II. in nutzlosen Kämpfen mit den Griechen und den auf «Sizilien sitzenden Sarazenen seine Kraft verzehrte, vernichtete eine Erhebung der handels-kimdigen Wenben bas große Missionswerk Ottos I. Dafür erlebte bas eigentliche Deutschland zur Zeit ber Ottouen eine hohe Blüte ber Baukunst.!
Die alte christliche Basilika-Kirche hatte breite, slachgebeckte Räume unb ans ber Westseite eine weite Eingangshalle, in welcher Neubekehrte irnb Büßer bern Gottesbienst anwohnten. Aus ihr entwickelte sich jetzt bas majestätische Gotteshaus romanischen Stils. Man verlängerte ben östlichen Ausbau, bie muschelförmige Apsis, welche ben Chor enthielt, unb legte ihn höher, um für bie Krypta, ben dämmerigen Begräbnisraum für Fürsten ober Bischöfe, Ranm zu gewinnen. Das Langhaus würbe burch zwei Reihen regelmäßig wechselnber Säulen unb Pfeiler in zwei Seitenschiffe mit Emporen für bie Frauen unb ein boppelt so breites unb boppelt so hohes Mittelschiff gegliebert. Dem letzteren an Breite gleich war bas Querschiff, burch bessen Einschiebung zwischen Langhaus unb^Apsis bie Kirche bie Kreuzesform erhielt. Halbkreisförmige Scheibebogen (Archivolten) ver-banben bie Reihen ber Säulen unb Pfeiler, tutb bie Schiffe selbst witi'ben allmählich mit Tonnengewölben, bald auch, zuerst
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Krypta und Seitenschiffe, mit Kreuzgewölben überspannt; auch die schmalen, hohen Fenster, sowie die prächtigen Portale (Hauptthüren) krönte der Rundbogen.
Im Innern wurden hauptsächlich die Würfel- oder Kelchknäufe der Säulen mit Linien- und Pflanzen-Ornamenteu, mit seltsam verschlungenen Tier- und Menschengestalten reich und seltsam (phantastisch) ausgeschmückt. Die wesentlichste Außenzierde bildeten neben dem kurzen, dicken Turm über der „Vierung" (dem Quadrat über der Kreuzung des Mittel- und Querschiffes) die zwei meist ungleichen Westtürme beiderseits des Einganges, wozu die Folgezeit manchmal noch ein Turmpaar in den „Achseln" des Querschiffes fügte. Niemals fehlte der Bogenfries, eilte Kette regelmäßiger Halbkreise, die unter dem Dach, rote unter den Gesimsen der einzelnen Stockwerke des Turmes sich hinziehen.
Das älteste Baudenkmal dieses Stiles, welches die ursprüngliche Form bewahrt hat, ist Stiftskirche und Kloster Gent-robe am Harz, welche Ottos I. treuer Waffenbruder Markgraf Gero nach dem Tode seines letzten Sohnes als seine Grabstätte baute. Der greise Wendeusieger pilgerte selbst uach Rom, um seiner Kirche besondere Vorrechte zu erwirken. Auf dem Heimwege nahm er das Mönchskleid, sich zum Tode zu bereiten.j Die schönste aller romanischen Kirchen ist der von dem letzten Sachsenkaiser, Heinrich dem Heiligen, erbaute Dom zu Bamberg.s
-Die bedeutsamste Anregung gab der deutschen Kunst der Bischof Beritward von Hildesheim. Einem vornehmen Sachsengeschlecht angehörig, ward er auf der Hildesheimer Bifchofs-schule für den geistlichen Beruf vorgebildet. Erzbischof Willigis von Mainz, welchen die Sage zu einem Wagnerssohne macht, erteilte ihm bie Weihe, und er wurde Kaplau am Hof der feinsinnigen Kaiserinitroe Theophano, dann Lehrer des damals achtjährigen Kaisers Ottos III., welchen Bernwards Unterricht zum „Wunder der Welt" erzog.! Auch späterhin stand der weise Priester seinem Zögling ratend und mäßigend zur Seite, ja bei einem Sturm ans Rom trat er, die heilige Lanze in der Fanst, in die vorderste Reihe ber Verteibiger.
Als ihm ber Kaiser bas Bistum Hilbesheim verlieh, fanb er eilt weites Arbeitsselb. Zum Schutze bes Laubes legte er feste Burgen an ttnb umgab seine Hauptstadt mit Mauern und Türmen, daß inan nichts Schöneres sah im ganzen Sachsenlande. Er baute die Michaeliskirche, von bereit erster Gestalt nur noch wenige Säulen uttb Mauerstücke zu erkennen siitb. Nahe bei seiner Pfalz schuf er eine Werkstätte, iit welcher begabte Knaben unter bes Bischofs Obhut zu künstlerischer Bearbeitung ber Metalle
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angeleitet wurden. Wenige Tage vor seinem Ende nahm er das Orvensgewand der Benediktiner.
Eine stattliche Anzahl von Kunstschätzen aus der Werkstätte oder aus der eigenen Hand des Bischofs birgt die Stadt Hildesheim noch heute'. So im Domschatz einen Buchdeckel mit schöner Elfenbeinschnitzerei, den Heiland, seine Mutter und den Apostel Johannes darstellend; die goldene Einfassung, ausgefüllt mit prächtigen Zierlinien und Filigranfäden, zeigt an den Ecken in Rundschilden (Medaillons) die Evangelistenzeichen Engel, Adler, Löwe und Stier. Ferner aus dem Domplatz eine Erzsäule, wie die Trajanssäule mit schräg sich emporwindendem Band umschlungen, dessen Reliefs das Leben Jesu darstellen von der Taufe im Jordan bis zum Einzug in Jerusalem; das Kreuz, welches die Säule krönte, ist verschwunden. Ein unschätzbares Werk, zu welchem kein Vorbild benützt werden konnte, sind die ehernen Thürflügel am Doni. In ausdrucksvoll vortretenden Bildern (Reliefs), berat Gestalten fast durchweg beu deutschen Leibrock mit Schnltermantel tragen, bringt ber eine Flügel ben Snnbeufall, der andere die Erlösung zur Anschauung.
Auch die Malerei saud bei dem Kirchenbau jener Zeit ausgiebige Verwendung und Pflege, und die Ausstattung der Kirchen an Kanzeln, Altären, Reliquienschreineu bezeugt aufs beredteste den Kunstsinn wie die fromme Schenkungslust der Kaiser und Fürsten der Sachsenzeit.
4. Die Klöster.
Die wichtigsten Pflegestätten der Bildung jener Zeit waren die Klöster, wie sie schon von den Heidenbekehrern gegründet (die „Schottenklöster") und nachmals zumeist nach der Regel des hl. Benedikt von Nursia geordnet waren. 529
Gewöhnlich durch einen Fürsten oder einen Großen gestiftet und mit Besitz ausgestattet, umfaßte das Kloster eine Kirche und um diesen Mittelpunkt Speisesaal (Refektorium) und Abts-wohuung, Schlaf- und Fremdenhäuser mit Zellen, Schul- und Wirtschaftsgebäude, dazwischen Höfe und Gärten. Das Ganze war mit Mauer unb Wall umschlossen.
Hier vereinigten sich fromme Leute unter einem selbstgewählten Abt (Äbtissin) zu gemeinsamem, Gott wohlgefälligem Leben unb Wirken unter ben Gelübden Armut, Gehorsam, Ehelosigkeit. Was ber einzelne Bruber erwarb, siel dem Kloster zu, dessen Besitz Schenkungen erweiterten. Die Mönche pflegten Arme und Kranke und waren Lehrer und Vorbilder der schönen Christenpflicht, die Arbeit zu ehren. Sie rodeten den Wald
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P Acker- und Weinbau; in den Klostergärten reiften die ersten Pfirsiche und Aprikosen, blühten die ersten Edelrosen und Lilien in deutschen Landen. Auch im Fischfang, im Häuserban und Ge-werbeleben waren sie die Lehrer des Volkes. Die Beschäftigung wählte jeder nach Neigung und Geschick, Einer beaufsichtigte die Knechte und Handwerksleute, ein anderer schrieb für die Bücherei des Klosters oder auf Bestellung vornehmer Leute lateinische
oder griechische Werke mit kunstvoll gemalten Anfangsbuchstaben «Initialen), ein dritter -verlegte sich auf Malerei oder auf Schnitzerei in Holz oder Elfenbein, ein vierter anf Harfen- und Orgelspiel und leitete den damals erfundenen mehrstimmigen Gesang; andere zogen mit Spieß und Keule auf die Jagd oder auf den Räuberfang; und kam ein Feind ins Land — etwa die Ungarn —, so trug auch der ehrwürdige Pater den Panzer unter der gegürteten Kutte und führte Schwert und Speer in starker Faustl
Die segensreichste Einrichtung der Klöster waren die Schulen. In der „inneren" wurden die künftigen Mönche für ihre gewerbliche und wissenschaftliche Lebensarbeit, in der „äußeren", minder strengen, die Kinder vornehmer Häuser für
das weltliche Leben herangebildet. Zn beiden Schulen hatte die
Rute viel zu thun, wie denn auch für die Mönche jedes Kloster seine Geißelkammer bereit hielt. Neben der Anleitung zu den Andachtsübungen umfaßte der Unterricht Lesen, Schreiben, Rechnen. Den Verstand der Knaben übten wunderliche Rechnungsaufgaben uud Rätselfragen; auch lehrte man eine Zeichensprache, da zu gewissen Tageszeiten das Sprechen verboten war. Ein wichtiger Lehrgegenstand war das Latein, damals die Sprache der Gebildeten aller Völker, auch in Frauenklöstern. Mit lateinischen Versen wurden die Gönner und Schntzvögte der Klöster geehrt. Kaiserin Adelheid pflegte ihrem „Löwen", dem des Lesens unkundigen Kaiser Otto I., die einlaufenden lateinischen Briese vorzulesen; unterwiesen von Ottos Nichte Gerberga, der Äbtissin von Gandersheim (am Harz), dichtete die Nonne Hrosvitha lateinische Erzählungen, sogar Schauspiele nach dem Muster des Römers Terenz.
Im Verlaufe des Mittelalters entstanden neue Orden: die Cluniacenser, die Prämonstratenser und Cisterzienser. Sie alle strebten, das religiöse Leben der Geistlichen uud der Laie» zu veredeln, aber auch den Landban zu fördern. Die Bettel-orden der Dominikaner und Franziskaner widmeten sich neben der Predigt der Armen- und Krankenpflege in den emporstrebenden Städten. Auch die Frauenklöster fanden Verbreitung.
5. Konrad II. und Heinrich III.
Nach dem Aussterben des sächsischen Kaiserhauses ver- 1024 sammelten sich aus der weiten Ebene am Rhein gegenüber Oppenheim die Freien des deutschen Volkes zur Königswahl. Nach langem Schwanken zwischen zwei Urenkeln Konrads des Roten von Worms erkor man einhellig den ältern, und freudigen Herzens stimmte der jüngere zu.'
Konrad II. war nur gemeinfreien Standes und unkundig des Lesens und Schreibens, aber ein kluger und kraftvoller König.
Die Zeitgenossen sagten, an seinem Sattel hingen Karls des Großen Bügel. In des Reiches Namen erhob er Ansprüche auf Burgund; und als sein Stiessohn Herzog E r n st von Schwaben als nächster Verwandter des burgundischen Königs ff das Land für sich forderte, setzte er ihn gefangen auf die Feste Gibichenstein bei Halle und verhängte nach wiederholtem Empörungsversuch die Reichsacht über ihn. Aus der Burg Falkenstein im württembergischen Schwarzwalde vou des Königs Heer eingeschlossen, fand der unglückliche Jüngling bei einem Ausfall mit feinem treuen Freunde Werner von Kyburg gemeinsam den £ob:
Auch in den: unbotmäßigen Italien wahrte der König die deutsche Hoheit. „Stirbt der König, so bleibt doch das Reich," sagte er. Mit Nachdruck dämpfte er die Unruhe». „Wenn Italien nach Gesetzen dürstet, so will ich kommen, es zu tränken." Umgeben von Königen und Fürsten, empfing er in Rom die Kaiserkrone.' Seit ihm die burgundischen Großen in Peterlingen und Genf gehuldigt, bildete Burgund die bequeme Verbindung zwischen Italien und Deutschland. Daß die nördliche Schweiz in Sprache und Sitten deutsch geblieben, ist Kaiser Konrad zu danken?
Willig gehorchten die Großen des Reiches; vom Harz bis zum Appenniu zogen sich die Königspfalzen. Konrad II. starb 1039 in vollem Wirken zu Utrecht; seine Ruhestätte ist der schöne Doni, den er selbst im heimatlichen Speier begründet.!
Auch sein jugendlicher Sohn Heinrich III. war ein kraftvoller Kriegsmann. Der Herzog von Böhmen und der König von Ungarn mußten barfuß und kniend ihre Länder aus seiner Hand als Lehen nehmen; und als der König von Frankreich bei einer Zusammenkunft unweit der Stadt Sedan ihn unredlicher Gesinnung beschuldigte und Lothringen verlangte, warf er ihm als Herausforderung zum Zweikampf den Fehdehandschuh hin, woraus der Franzose nächtlicher Weile entwich.
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Zugleich beseelte den Herrscher tiefe Frömmigkeit. Nach siegreicher Schlacht sank er wohl im härenen Büßerhemde barfuß vor einem Reliquienschreine nieder zu brünstigem Gebet; daS ganze Heer folgte feinem Beispiel; „alle verziehen allen". Schwer lastete die zügellose Rauflust des Adels auf den Völkern. In Frankreich verboten darum die Bischöfe bei Strafe einer Pilgerfahrt nach Jerusalem die Fehden an den durch Christi Leiden und Auferstehung geheiligten Wochentagen (Mittwoch abends bis Montag früh), sowie in der Advents- und Fastenzeit. Mehr als dieser „Gottesfriede" (treuga des) wirkte in Deutschland König Heinrichs Vorbild. In Konstanz verkündigte er au einem Gründonnerstag von der Kanzel, daß er allen feinen Feinden verzeihe, und nach feinem Vorgänge stand jedermann ab von Kampf und Blutrache-
Auch gegen Anstößigkeiten in der Kirche schritt er entschlossen ein. Drei Päpste stritten um die Herrschaft der Christenheit. Da zog der König mit Heeresmacht blitzschnell über die
Alpen und ließ aus den Synoden zu Sutri und Rom alle drei
absetzen. Die Kirchenspaltung war beseitigt. Ein würdiger deutscher Bischof bestieg den Stuhl Petri und krönte seinen jungen Herrn znm Kaiser.
Konrad II. hatte von neu eingesetzten Bischöfen, gleichsam als Kaufpreis für ihre Würde, eine Steuer erhoben. Diese
„Simonie" schaffte Heinrich ab. Er bestritt die Kosten seines Hofhaltes mit den Silbererträgen seiner Bergwerke im Harz; denn immer mehr kam das bare Geld in Gebrauch.
Im Harze baute er sich eine Reihe fester Pfalzen; namentlich wurde Goslar mit seinen wildreichen Forsten sein Lieb-
lingssitz. An seinem Hoflager konnte sich jeder Deutsche bei Richtern des eigenen Standes Recht holen. Auf der Burg 1056 Bodfelv im Harze starb der kaum vierzigjährige Monarch in den Armen Papst Viktors II., des vierten Deutschen, der ihm seine Erhebung verdankte. Sein Sohn und Nachfolger Heinrich IV. war erst sechs Jahre alt.
6. Heinrich IV. und Gregor VII.
An der Spitze einer Verschwörung ehrgeiziger Großer entführte der strenge Erzbischof Anno von Mainz den Königsknaben Heinrich in Kaiserswerth am Rhein und übernahm. seine Erziehung und die Regierung des Reiches. Nach wenigen Jahren mußte er beides der allzu nachgiebigen Hand des Erzbischofs Adalbert von Bremen überlassen. Nachdem er wehrhaft gemacht, führte Heinrich IV. auf seinen Pfalzen im Harz
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eine üppige Hofhaltung, deren Aufwand schwer auf den Sachsen lastete.
Da führte der mächtigste Große des Landes, Otto von Nord heim, das nach Polen bestimmte Sachsenheer in siegreichem Aufstand gegen ihn; und der junge Fürst floh auf Waldpfaden, die ein treuer Jäger ihm wies, mit wenigen Begleitern an den Rhein. Dort in der alten Heimat feines Hauses sammelten die aufblühenden Städte ihm ein Heer, unb als bie Sachsen in seiner Lieblingspfalz, ber schönen Harzburg, Verwüstung und Grabschändung verübten, schlug er sie in furcht-
barer Schlacht an der Unstrut; sie mußten sich feierlich dem ' r‘
zürnenden Herrscher unterwerfen, welcher seine Burgen wieder , -.jin.
aufbaute;
Ebenbamals erstieg die Kirche die höchste Stufe von Macht
und Einfluß durch Papst Gregor VII., der sich vom einfachen 1073—85
Clnniaeeufer Hildebrand zur dreifachen Krone aufgeschwungen.
Er gebot den Priestern das ehelose Leben der Mönche (Cölibat) und verdammte bie Simonie, welche unter Heinrich IV. zu förmlichem Ämterschacher geworben war- Als er bas seit Karl beni Großen geübte Königsrecht, Bischöfe unb Äbte zu ernennen ober zu bestätigen (bie Laien-Jnvestilur), für unzulässig erklärte, sprachen 26 von Heinrich im Wormser Dom versammelte Bischöfe seine Absetzung aus, unb ber König kündigte sie ihm in einem verletzenden Schreiben an.t Als Antwort schlenberte Gregor ben . ,
Bannfluch gegen ihn. Jetzt schlossen sich bie Fürsten unb Großen, ' 4» welchen ber König zu mächtig würbe, betn Papst an unb drehten Heinrich abzusetzen, wenn er nicht, um in bie Kirche wieder ausgenommen zu werden, dem Papste sich füge, der in Augsburg über ihn richten sollten
Dieser Schmach zn begegnen, zog Heinrich in dem grimmigsten Winter des Jahrhunderts, von seiner treuen Gattin Bertha nebst seinem Söhncheu Konrad begleitet, über den eisigen Mont (Eenis. Gregor, der auf der Reise nach Deutschland bereits die Etschklausen erreicht hatte, warf sich erschreckt in bie Feste Canossa bei Reggio mit dem Vorsatze, den König nicht vor sich zu lassen. Allein Heinrich zwang ihn dazu. Drei kalte Januartage hin- 1077 durch sah man bje hohe Gestalt des deutschen Königs im Büßerhemde barfuß im Schloßhofe stehen, bis Gregor ihn vom Banne löste.
Dennoch setzten die Fürsten ihn ab und hoben seinen Schwager Rudolf von Schwaben auf ben Thron. Aber bie 3
schwäbischen Bauern unb bie Rhein- unb Donanstäbte blieben Heinrich treu, unb Rubels verblutete in ber Felbschlacht.
Um an Gregor Vergeltung zu üben, führte ber König einen Gegenpapst nach Rom unb ließ sich von ihm in ber Peterskirche
krönen. Gregor wurde in der Engelsburg eingeschlossen; der Normannenherzog Robert Guiscard rettete ihn in sein unteritalisches Land. In Salerno starb der große Papst. „Ich habe die Gerechtigkeit geliebt und das Unrecht gehaßt; darum sterbe ich in der Verbannung," soll er gesprochen haben!
Aber der Jnvestiturstreit dauerte an, und Deutschland schmachtete unter dem immer neu aufflackernden Bürgerkrieg. In Schwaben spannten die Bauern einander selbst vor den Pslng, weil sie keine Zugtiere mehr hatten. Aber Kaiser Heinrich schützte mit starker Hand die unteren Stände vor gewaltthätigem Übermut, den er mitunter, durch Stäupen, Abschlagen der Hand, barbarisch züchtigte. Der Gottesfriede zog vor ihm her wie der Morgenstern einer neuen Zeit/
Der Lebensabend sollte ihm noch die bittersten Schmerzen bringen. Sein ältester Sohn Konrad war im Ausruhr gegen ihn verdorben. Um den zweiten, Heinrich, scharte sich zu frevelhafter Empörung der mißvergnügte Adel, dessen zügelloses Leben mit Scharlachmantel und goldenen Sporen durch beit Königsfrieden ein Enbe nahm. Durch erheuchelte Reue verleitete ber ehrgeizige Jüngling ben Vater, sein Heer zu entlassen, und setzte ihn bann auf einer Burg bei Ingelheim gefangen. Zwar entkam ber Kaiser, aber während die Städte am Unterrhein eifrig für ihn rösteten, überraschte den vielgeprüften Mann in Lüttich der Tod. Er starb im Banne. Darum stand sein «Larg in der noch ungeweihten Afra-Kapelle des Salierdomes zu Speier fünf Jahre, ehe er beigesetzt werden durste.
Mit Heinrich V. schließt das fränkische Königsgeschlecht. Der kinderlose Kaiser beendete den Jnvestiturstreit und damit den fünfzigjährigen Bürgerkrieg durch einen Vergleich, welcher das Wormser Konkordat genannt wird.
V. Die Staufer lind die Krenzzüge.
1. Der erste Kreuzzug. /(Ti^6 '
Seit der Ottonenzeit zogen alljährlich große Schämt frommer Pilger nach Palästina, um sich durch Gebet an den Stätten des Lebens und Leidens Christi und durch ein Bad im Jordan von ihren Sünden zu reinigen. Die seldschnkischen Türken aber, welche seit einiger Zeit Syrien beherrschten, quälten die Wall-
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fahrer mit Erpressungen und Grausamkeiten. Briefe des griechische» Kaisers und der französische Einsiedler Peter von Amiens meldeten dies dem Abendlande.
Da hielt Papst Urban II. in der Ebene bei Clermont in . <—
der Auvergne eine große Kirchenversammlung und schilderte ^7 mit flammender Beredsamkeit die Not des heiligen Landes und den himmlischen Gnadenlohn, der hier winke; viele Tausende der Zuhörer brache» schluchzend in den Ruf aus: „Gott will es!" und hefteten sich ein rotes Kreuz auf die rechte Schulter zum Zeichen, daß sie Gottes Krieger sein wollten.'
Die Berichte der Augenzeugen und die Kreuzpredigten frommer Mönche erweckten in Frankreich und Italien, in England und der Normandie eine leidenschaftliche Erregung. Zunächst wanderten Tausende ungeduldiger Schwärmer und Aben- r-Q
teurer aus Frankreich und Lothringen, geführt von Ppter unb deut Ritter Waltber Seusaveir s^abenicktsV plündernd und ^ mordend an der Donau hinunter, um in Ungarn und im fernen Avv Griechenreiche ein klägliches Ende zu finden. Mittlerweile ,
rüsteten sich Ritter und Priester, Bürger und Bauern, Freie und Knechte zur heiligen Reise; in allen Kirchen und Kapellen wurden Schwerter und Pilgerkleider, Pilgerstäbe und Taschen geweiht. Viele Kreuzfahrer luden Franen und Kinder, fast wie in der Völkerwanderung, auf beit Ochsenwagen; auch sie sollten Anteil gewinnen an beut großen Heili c
Unter beut Herzog Gottfried von Bonillon/(in Nieber- 's lothringen), beut Grafen Raimunb von Toulouse, beitt Normannen <6v*w<iMilhu Boemnnb von Tarent unb fernem Neffett Tankred bewegte j
sich bas Kreuzheer bnrch Deutsch landein d Ungarn oder auf dem fcnnrrvu&x. Seeweg dem Gelobten Lande zu. FVlad) dreijährigem Mfthett und Ringen erreichten sie Jenisalem und eroberten es wenige 15. glni Tage vor dem Tod Urbans II. Gottfried war der erste, der 1099 mittels eines hölzernen Belagernngstnrmes auf die Mauer sprang.
Von etwa 300 000 Streitern hatten kaum 20 000 das Ziel ihrer Sehnsucht erreicht. Alle übrigen waren umgekehrt oder von Hunger und Seuchen ititd dem Schwerte der Feinde hingerafft. Dafür wurde jetzt fürchterliche Rache genommen an Türken unb Juden. Durch Ströme Blutes wateten die Kreuzfahrer zum Gebet itt bie Kirche bes Heiligen Grabes, welche Konstantins bes Großen Mutter Helena erbaute.
Aus beut eroberten Laube schuf man ein eigenes Reich, dessen Krone Gottfried angeboten ward. Der bescheidene Held , lehnte sie ab. Als er nach kurzer Zeit starb, wurde sein Bruder T'Hoff Balduin der erste König von Jerusalem.^ ^
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2. Konrad III. und sein Kreuzzug.
Heinrichs V. Nachfolger wurde nicht sein Neffe Friedrich //w von Hohenstaufen, der Sohn Friedrichs von Büren und der Kaisertochter Agnes, sondern der greise Herzog Lothar von Sachsen, einer der trefflichsten Kaiser unseres Reiches. Nach dessen Tod erhoben die Fürsten Friedrichs Bruder Konrad zum deutschen König. In schwerem Kampfe rang er mit Herzog Heinrich dem Stolzen von Bayern !(aus dem südschwäbischeii Welfenhause), welchem Lothar seine einzige Tochter Gertrud und auf dem Todbette die Reichskleinodien übergeben hattet In einer Schlacht bei Weinsberg am Neckar soll zum ersten "Male ,,,r _ y , der Ruf: hie Welf! hie Waibling! erschollen sein. Die nahe-
v -f-f j gelegene Burgruine Weibertreu erinnert an die schöne Sage
von den Frauen, die bei der Übergabe der Feste an den König 11 ^
ihre Männer auf dem Rücken hinausgetragen.
Ein Vergleich beendete den inneren Krieg, als eben die j Kunde das Abendland durchflog, der Sultan/bon Mossul (am
’ Tigris) habe das im ersten Kreuzzuge /gegründete christliche w
J Fürstentum Edessa vernichtet. Diesmal ergriff die religiöse Er-
1146 regung auch die Deutschen, und um die Weihnachtszeit 1146
nahm König Konrad nach langem Widerstreben aus der Hand des begeisterten Kreuzzugspredigers, desCisterzienser-Abtes Bernhard von Clairvaux weinend Kreuz und Fahne, f Unfern ( , ,,,*
seiner Hauptstadt Nürnberg sammelte er sein ungeheures Heer, welches aus allen Städten nnd Dörfern Zuzug erhielt, und führte es an der Donau abwärts, während Ludwig VII. von Frankreich den L-eeweg einschlug.
Um das Kreuzheer gegen seine eigenen Feinde zu benutzen, beredete der Griechenkaiser den König Konrad, mitten durch die Wüsten Kleinasiens vorzudringen. Aber Hunger und Krankheit und die Pfeile der unerreichbar flinken Türkenreiter zwangen ihn schließlich zur Umkehr. Ganze Haufen toter Menschen und Tiere bezeichneten seinen entsetzlichen Weg; er selbst kam schwer-verwundet nach Konstantinopel zurück.
Kaum genesen, ging er mit dem König von Frankreich zu Schiff nach Affen und ließ sich in Jerusalem zu einem Feldzuge gegen Damaskus verleiten. In den Gärten dieser Stadt trafen ihn enteute Verluste cm Menschen und Geld; die Untreue des jungen Königs von Jerusalem zwang ihn abzuziehen.
Auf diesem zweiten Krenzzng ist mindestens eine halbe Million Menschen nutzlos umgekommen. Es ist der furchtbarste Fehlschlag der deutschen Geschichte. Der König kam krank und tiefgebeugt nach Hanse und ist bald nachher gestorben, j" j
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3. Das Rittertu m.
Die Bauern hatten seit Karl dem Großen, in dessen Heeren sie den Kern bildeten, ihre Freiheit allmählich eingebüßt. Das letzte Bauernheer war von den Anhängern Rudolfs von Schwaben am Neckar zusammengehauen worden. Noch immer zwar trug der Bauer Waffen, selbst bei der Feldarbeit; aber die Kriege führten die Fürsten, Grafen, Freien (Freiherren) mit ihren reisigen Knechten. Wie die Gefolgschaften der Urzeit, hatten diese Reiter ihrem Herrn sich in Treue angelobt und erhielten dafür Landgüter zum Nießbrauch (Lehen). Aus ihnen erwuchs in der Ltauferzeit der Ritterstand, dessen eigenartige Anschauungen und Gebräuche sich auf den Römerfahrten und Kreuzzügen ausbildeten.
Der freie Knabe, der zum „Schildesamt" bestimmt war, erhielt im „Edeldienst" am Hof eines Fürsten oder Edeln, dem er bei Tisch und auf der Jagd als „Junker" aufwarten mußte, seine Erziehung zu Anstand und Reinlichkeit. Daraus wurde er als Edelknecht oder Edelknappe im Reiterdienst und im Gebrauch der Waffen, in den Regeln der Jagd und des Frauendienstes unterwiesen. Dann erst wurde er in den Ritterstand ausgenommen. Nach Fasten und Beten ward ihm der Rittergürtel mit dem zweischneidigen Ritterschwert umgethan und die Sporen angeschnallt, und gegen das Gelübde, die Frauen zu ehren, Witwen unb Waisen zu schützen, Ketzer und Ungläubige zu bekämpfen, erhielt er vom König oder einem Edeln feierlich den Ritterschlag.
Der Ritter trug seltener mehr den Schienenharnisch (die „Brünne") als den Ketten- oder Schuppenpanzer mit Halsberge und Kapuze, sowie Panzerstrümpfe (Eisenhosen). Den unförmlichen Helm zierten als „Helmzimierde" Federbusch, Goldblätter, Hörner, phantastische Figuren, auf dem dreieckigen, einwärts gebogenen Holzschilde prangte Wappen und Goldschmuck. Das Pserd umhüllte seiner ganzen Länge nach eine bis zum Boden reichende Decke, nachmals auch ein Eisenharnisch)
Jede Arbeit außer Landwirtschaft unb Pferdehandel war betn Ritter unziemlich. Seine Zeit füllten Trinkgelage, Jagd und vor allem die ritterlichen Waffenübungen. Bei fürstlichen Hochzeiten unb ähnlichen Anlässen, am liebsten um bie Psingst-zeit, versammelte sich bie Ritterschaft einer Gegenb, oft zu Tausenden, auf einem Festplatze, ber mit buntbewimpelten Speeren unb seibenen Schnüren eingegrenzt unb mit mächtigen Zuschauer-tribünen umschlossen war. Dem Turnier ging eine Messe, sowie bie Anmeldung der Teilnehmer mit „Wappenschan" voraus.
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Auf bie Tjost, beit Einzelkampf, in welchem je zwei Ritter in sausendem Anrennen sich mit ben Lanzen von beit Pferben zu stoßen suchten, folgte ber Buhurt: ba sprengten Gruppen gegen einanber, um sich, währenb bie Lanzen splitterten unb einzelne vom Pferbe flogen, zwischen einanber hinbnrchznwinben. Nun erst kam bie Krone bes Festes, bas Turney: Schar um Schar ritten in bie Schranken unb auf einanber los; bie Aufgabe war, bie Gegner im Vorbeisprengen vom Pferbe zu stoßen oder zu entwaffnen und Beim Zurückreiten an ben ursprünglichen Platz bie Wehrlosen mitzuziehen; um schweren Preis mußte der Gefangene Roß und Rüstung loskaufen. Oft folgte noch ein L-chwertkamps, bei welchem es galt, den Gegner unter Stoßen unb Würge» vom Pferbe zu reißen. Unter „Tamburieren, Flottieren unb Pfeifen" währte ein solches Turnier stunbeitlang; Roß unb Reiter unb Zuschauer in wilber Erregung. Am meisten lag den Rittern überall am Beifall der Damen; aus ihren Händen empfing der Sieger ben Turnierbank: eine golbene Kette, Waffen, ein Roß.
Diese ritterlichen Ehren wechselten ab mit Fehden gegen den Nachbar, mit Straßenraub und Erpressung. Darum waren auch die Wohltun gen der Ritter fest und unzugänglich, teils Höhen-, teils Wasserburgen. Oft bestanden sie nur aus ber Umfassungsmauer mit Graben unb einem unförmlichen Turm, bem Bergfried, in welchem bie Belagerten ben letzten Schutz suchten. Solch ein „Bürgstall" war Waiblingen, ber anfängliche Sitz ber Staufer. In beit größeren „Hofburgen" umfaßte der umfriedete Raunt außer dem Bergfried den Palas mit ber Halle, betn Festraume, sobanit bie Wohnräume, namentlich die Kemenate für die Burgfrau, die Kapelle und wohl auch einen zweiten Turm, von welchem der Türmer Ausschau hielt, gewöhnlich auch Brunnen und Burglinde. So auf der Wartburg. Den Eingang bildete ein gewölbter Gang mit Fallgitter und Pechnafe. Außerhalb der Zugbrücke lag eilt äußerer, mit Türmen und Zinnen befestigter Hos, von Wirtschaftsgebäuden und Gesinderäumen umgeben.
Während des Niederganges der Hohenstaufen ging das Rittertum völlig auf in wüster Trunksucht und Wegelagerei. Doch haben wir ihm auch die herrliche Dichtung des Mittelalters zu danken. Das Nibelungenlied unb bie Gudrtm sind von ritterliche« Spielleuteu versaßt und vorgetragen worden; die Dichter der höfischen Epen: Hart mann von Au, Wolfram von Eschenbach, Gottfried von Straßburg waren Ritter wie Walther von der Vogelweide, der an den Höfen der Fürsten und Edelit seine Lieder fang zum Preise Gottes
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und der Frauen, in voller Herzensfreude an der Natur und der Herrlichkeit des deutscheu Vaterlandes.
4. Kaiser Friedrich der Rotbart.
Ein schönes Arbeitsfeld fand der deutsche Ritterstand in r,L-,y
den Kämpfen gegen die heidnischen Wenden jenseits der Elbe,.,.. deren Land dann von tüchtigen deutschen Bauern in Anbau genommen wurde. Hier übernahm die Führung der Herzog von Sachsen und Baiern, Heinrichs des Stolzen jugendlicher Sohn Heinrich der L ö w e. fcMit der Zustimmung von Konrads III.
Neffen unb Nachfolger, König Friedrich I-, schuf er sich ein Reich, das von den Alpen bis zur Ostsee reichte. Er ist der
eigentliche Begründer Lübecks und Münchens wie des niederdeutschen Land- und Seehandels. _ '
Friedrich I., ein schöner und leutseliger Herr, ist die letzte unter den großen ritterlichen Kaisergestalten des Mittelalters. In gefahrvollen Kriegen um die Oberherrschaft in „
Italien bewährte sich die Treue seiner Ritter; als sich in der '
Nacht nach seiner Kaiserkrönung die Römer in furchtbarem Straßenkampf empörten, verdankte er sein Leben nur der Tapferkeit Heinrichs des Löwen; /auf dem Heimzuge rettete ihu in der Klause von Verona Pfalzgraf Otto von Wittelsbach, ein andermal der schwäbische Ritter Hermann von Siebeneichen, welcher, von einem nächtlichen Mordanschlag gegen seinen Herrn unterrichtet, sich selbst in dessen Bett legte, während der Kaiser entkam.
Die hartnäckigste Gegenwehr leisteten die lombardischen totädte, deren Handel und Gewerbe durch die Kreuzzüge mächtig ^ 'r >,
gefördert ward. Das stolze Mailand, damals die reichste Stadt der Welt, wollte keinen Herrn über sich bulben>_ Friedrich jedoch, entschlossen,^die Rechte des Reiches zu wahret^ ächtete die un- ' ‘
gehorsame Stadt, verbrannte ihre Saaten, sperrte die Straßen ■ >
und erzwang durch Hunger die Übergabe. In langem Aug er- 'v-V ... ,,vi schienen die Bürger vor dem „Ritterkaiser", mit Stricken um den ""n ' u
Hals; auch das Carroccio, den herrlichen Fahnenwagen, welchen einst Papst Gregor VII. ihnen verliehen, brachten sie mit unb senkten ben Flaggenmast mit bem Bilbe bes heiligen Ambrosius zum Zeichen willenloser Unterwerfung. Der erzürnte „Rotbart" gebot ihnen, ihre Stabt zu verlassen unb sich in vier bäuerlichen Gemeinden anzusiedeln. Am Palmsonntag wurden die Stadtmauern geschleift; die Reliquien der heiligen drei Könige schenkte Friedrich seinem Kanzler, dem Erzbischof Rainald von Köln.
Die „Blume Italiens" war geknickt.
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Auch die Krone Burgunds gewann der Kaiser durch seine Vermählung mit der burgundischen Fürstin Beatrix. Mit seinen tapfern Rittern und seinen Bischöfen, den „Stützen und Leuchten seiner Gewalt", legte er drei Reichen seine Gesetze auf. Die Bischöfe waren seine Berater, aber auch seine Krieger und Heerführer. Der fromme Erzbischof Christian von Mainz schlug an einem Tage mit seinem Streitkolben neun Lombarden nieder; und als er dem von römischen Rittern hart bedrängten Rainald Hülfe brachte, fiel der letztere mit der Fahne in der Faust dem Feind in den Rücken, und beide erfochten einen fast wunderbaren Sieg.
Aber unmittelbar nachher raffte eine fürchterliche Pest in Rom fast das ganze Heer hinweg. Die Lombarden empörten sich, stellten Mailand her und bildeten einen Städtebund, dessen Führung Papst Alexander III. übernahm. Friedrich gedachte die neu erbaute Bundesfestung Alessandria zu erobern, aber Heinrich der Löwe weigerte die heiß erflehte Hülfe. Als nun der Kaiser mit unzureichenden Kräften sich nordwärts Mailands auf die Lombarden warf, erlitt er die entscheidende Nied erläge bei Legn ein o.
Jetzt nahm Friedrich die Versöhnung an, zu welcher Papst Alexander längst bereit war. Die beiden Herren der Christenheit trafen sich in Venedig. In der Vorhalle des Markusdomes sank der stolze Kaiser nieder, dem Papste die Füße zu küssen; doch dieser hob ihn auf und bot ihm Friedensknß und Segen. Die beiden großen Männer schieden als Freunde.
Mit den Städten ward erst nach^Jahren Friede gemacht. In Konstanz erkannten sie den Kaiser als ihren Oberherrn an und zahlten ihm große Geldsummen; aber ihre Verwaltung ward wieder selbständig. (
Inzwischen rechnete Friedrich mit dem Welfen ab. Als Heinrich trotz kaiserlicher Ladung aus drei Reichstagen nicht erschien, sprach der Kaiser feierlich die Acht über ihn ans und zersplitterte seine Herzogtümer zu kleineren Staaten,/wie sie seitdem mehr und mehr sich bildeten. Der größte Teil Bayerns kam an Otto von Wittelsbach. Schon stand Friedrich am Harz. Da warf sich Heinrich in Erfurt ihm zu Füßen; der Kaiser umarmte ihn mit Thränen, ließ ihm Braunschweig und Lüneburg, verbannte ihn aber zu seinem Schwiegervater, König Heinrich II. von England, ,dem Begründer des Hauses Plantag enet.
Überhaupt hielt Friedrich mit unerbittlicher Strenge die Ordnung aufrecht. Er verbot den Bauern die Waffen, verurteilte aber auch Fürsten und Herren, wenn sie den Landfrieden brachen, unbarmherzig zur Strafe des Hundctragens. Die Ge-
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treuen belohnte er mit königlicher Huld. Er beschränkte die Zölle auf dem Main und Rhein, wie überhaupt Gewerbe und Handel unter seinem Schutze blühten. Neben seinen Pfalzen ^(Gelnhausen, Trifels u. a.) gründete er Märkte, ans denen zum Teil Städte erwachsen sind, und in einer Friedenszeit, wie sie noch nie erlebt war, wurde Deutschland das mächtigste Land Europas.'
Die gepriesene Schwertleite der beiden ältesten Kaisersöhne Heinrich und Friedrich in dem „goldenen" Mainz wurde fast noch überboten durch ein anderes Fest, zn dessen Abhaltung die Stadt Mailand als Zeichen ihrer Treue freiwillig sich erbot: die Vermählung König Heinrichs mit der normannischen Königstochter Konstanze, der Erbin Siziliens und Apuliens. Von Lübeck bis Palermo geboten die Staufer; die Zeitgenossen verglichen den greisen Rotbart mit Theoberich dem Großen.
5. Der britte Kreuzzug. Die Ritterorden.
Da kam, wie vor vierzig Jahren, eilte Schreckensbotschaft aus dem Morgenlande: der edle Sultan S a l a d i n hatte Jen:- V-» salem erobert. Alsbald berief der greise Kaiser einen „ Hoftag Jesu Christi" nach Mainz und nahm unter dem Jubel der Tausende, die herbeigeströmt waren, das Kreuz. Eine Gesandtschaft ging an Säladin, ihn zur Rückgabe Palästinas oder zu ritterlicher Fehde aufzufordern..
Um die Öfterzeit 1189 brach der Kaiser mit dem glänzendsten und tüchtigsten Heere des Mittelalters von Regensburg auf; niemand durfte mit, der sich nicht selbst verpflegen konnte. Trotz aller Griechentücke erreichte er den Boden Asiens, er selbst als der letzte Mann seines Heeres: „Seid getrost, meine Brüder! __ Gott ist mit uns!" rief er beim Landen. Auch in den unsäglichen Bedrängnissen der wasserlosen Einoden Kleinasiens hielt er den Mut der Seinen aufrecht. Bei Jkoninm warf sich der Heldengreis selbst mitten in ein feindliches Heer und erfocht seinen letzten glanzvollen Sieg, j Wenige Tage darauf badete er im Flusse Saleph. Da sah man ihn plötzlich sinken; zwei Ritter, 1190 die thut nachsprangen, brachten ihn als Leiche ans Land.
Das Leid des Heeres war grenzenlos. Viele kehrten verzweifelt um; die andern zogen unter des Kaisers Sohne, Herzog Friedrich von Schwaben, weiter und bestatteten ihren Kaiser in Autiochia.I
Vor Akten brach eine furchtbare Pest aus; ihr erlag auch der jugendliche Friedrich. Herzog Leopold von Österreich, der an seiner Stelle das Kreuzheer führte, ward von dem herrischen
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König von England, Richard Löwenherz, der zur See gekommen war, beleidigt und kehrte heim.
Als nun König Richard nach mancherlei Abenteuern, als Pilger verkleidet, sich durch Deutschland schleichen wollte, um die Empörung seines Schwagers Heinrichs des Löwen gegen den jungen Kaiser zu unterstützen, ließ ihn Leopold fassen. Heinrich VI. setzte ^ , ihn aus die Feste^-Trifels und erpreßte den Engländern ein un-
geheures Lösegeld.
Bald nachher starb der alte Löwe in Braunschweig, vou der Sage verherrlicht wie sein heldenmütiger Schwager und wie sein großer kaiserlicher Gegner, welchen die Liebe des Volkes unter seiner Bergpsal^ Kyffhausen im Zauberschlase fortleben ließ.
Friedrich von Schwaben hatte kurz vor seinem Tode noch einem deutschen Orden die päpstliche Bestätigung erwirkt. Aus den Brüderschaften vom heiligen Johannes und vom Tempel Lalomons, welche die Pilger aufnahmen und verpflegten, waren zwischen den zwei ersten Kreuzzügen zwei geistliche Ritterorden entstanden, welche zu den drei Mönchsgelübden des Hl. Benedikt noch ein viertes fügten, die Pflege der Siechen und die Verteidigung des heiligen Grabes: die Johanniter und die
Templer. Ebenso war nun ans der deutschen Bruderschaft des Hospitals „Unsrer lieben Frauen Maria" durch den Opfersinn bremischer und Wischer Kaufleute bei Akkon der Deutschherren-Orden erwachsen, welcher wie die beiden romanischen Körperschaften aus kämpfenden Rittern, ans Geistlichen und dienenden Brüdern (Krankenpflegern u. dgl.), sowie Knechten und Mägden bestand; auch er wurde durch fromme Stiftungen bereichert. I
Nach dem Verluste des Gelobten Landes siedelten sich die Johanniter auf Rhodus, dann auf Malta an. Die Templer gingen nach Cypern. Ihre großen Besitzungen in Frankreich reizten die Habsucht König Philipps IV. Unter nichtswürdigeu Vorwänden ließ er sie foltern und samt ihrem Hochmeister 'bei 1307* gelindem Feuer langsam verbrennen.
Die „Brüder vom deutschen Hause" aber widmeten sich unter ihrem großen Deutschmeister Hermann von Salza, dem Freunde Kaiser Friedrichs II., der Ausbreitung des Christentums unter den heidnischen Preußen, in deren Lande sie Ströme Blutes vergösse», aber auch zahlreiche Städte uud als Hauptort die schöne Feste Marienburg anlegten. Aus dem Ordenslande schuf im Zeitalter der Reformation der Hochmeister Prinz Albrecht von Brandenburg das Herzogtum Preußen.
Alle drei Orden führten als Abzeichen das Kreuz: die Johanniter auf schwarzem Mantel daö weiße Malteserkreuz mit
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Doppelzacken an jedem der vier gleich langen Arme, Templer und Deutschherrenritter trugen weiße Mäntel, jene mit rotem, diese mit schwarzem Kreuz, in dessen Mitte später auf goldenem Schildchen der schwarze Adler prangte.
6. Der Ausgang der Hohenstaufen und der Kreuzzüge.
Kaiser Heinrich VI. gebot in Deutschland wie in Italien mit Einsicht, ' aber auch mit grausamer Strenge. Sein
Gegen Barbarossas jüngsten Sohn Philipp erhob sich als Gegenkönig Otto IV., der L-ohu des Löwen. Der große Papst Jnnocens III. neigte zu Otto; dennoch mehrte sich allmählich der Anhang des „jungen süßen Mannes", für welchen Walther von der Vogelweide seine herrlichsten Sprüche dichtete, tochoit rüstete er zum entscheidenden Schlage, da wurde er auf seiner Pfalz bei Bamberg von dem rachsüchtigen Otto von Wittelsbach 1208 ermordet. Wenige Wochen später starb aus der Burg Hohenstaufen seine Witwe, die griechische Kaisertochter Irene, die „Rose ohne Dorn", die „Taube sonder Galle"!
Otto wurde allgemein anerkannt. Aber bald geriet auch er mit dem Papst in Streit, und Jnnocens sandte seinen Mündel, Heinrichs VI. jugendlichen Lohn über die Alpen. Als Friedrich II. wenige Stunden vor Ottos Ankunft in Konstanz einzog, 1212 wandte sich alles von dem finstern Welsen ab.
Es war gerade die Zeit des K i n d e r - K r e u z z u g e s. Ein Knabe aus Frankreich und einer aus dem kölnischen Gebiete wollten von Christus brieflich zur Befreiung des Heiligen Grabes aufgefordert sein. Viele Tausende von Knaben und Mädchen zogen mit ihnen singend durchs Land; sie hofften trockenen Fußes das Meer zu durchschreiten und im eroberten Jerusalem den - ewigen Frieden zu begründen. Statt dessen wurden sie in Italien von Sklavenhändlern aufgegriffen oder verkamen fönst im Elend,'
Friedrich II. war einer der klügsten und gebildetsten Fürsten aller Zeiten. „Er verstand zu lesen, zu schreiben, zu singen unb wußte Lieber unb Sangesweisen zu erfinben," sagt ein Zeitgenoß. Besoubers liebte er Natur- nnb Sternknnbe. Er war ber erste Kaiser, welcher bie Stäbte unb ihren aufblühenden Handel dauernd schützte, und der letzte, der einen Kreuzzug unternahm.
Durch Unterhandlungen gewann er die Königskrone des Heiligen Landes und die drei Orte Jerusalem, Bethlehem, Nazareth) Ant meisten hing jedoch sein Herz an seinem Geburtsland Apulien, dem er eine mustergültige Verwaltung gab. Darüber verfeindete
Tod verursachte in Deutschland einen verheerenden Bürge,
er sich mit dem Papste. In bei: langjährigen Kämpfen ber Ghibellinen und ber Gneisen erblich der totem der Hohenslausen. Friebrich mußte erleben, daß sein ältester Sohn Heinrich als deutscher König sich gegen ihn empörte; sein Lieblingssohn Enzio geriet in Gefangenschaft unb schmachtete 23 Jahre im Kerker zu Bologna.^ Mitten unter Rüstungen gegen ben Papst und die Lombarden ereilte den Kaiser ein frühzeitiger Tod. An der Seite seines Vaters ruht er im Dome zu Palermo. Sein Sohn, König Konrad IV., folgte ihm nach vier Jahren in den Tod.j
In Deutschland hatte schon unter Friedrichs Regierung vielfach Verwirrung geherrscht; durch schwärmende Mongolen-horden ward die schlesische Ritterschaft bei Wahlstadt an der Katzbach zusammengehauen. Jetzt griff allgemeine Auflösung platz. Kein deutscher Fürst fand sich bereit, die Königskrone anzunehmen. ^Zwei Fremde führten beit Königstitel. Straflos störten bie Ritter ben Landfrieden. Auf ihren Burgen unb Maut-Türmen erpreßten sie Zoll unb Geleitsgelb ober lauerten wie Strauchdiebe im Busch aus den Kaufmann, nahmen ihm „aus bent Stegreif" feinen Wagen, bent Bauer sein Gespann unb ängsteten ben Beraubten hohes Lösegeld ab, das sie dann bei schwelgerischen Gelagen in Schnabelschuhen und im geschlitzten Schellenwams verpraßten.!
Gegen die entsetzliche Not des Fanstrechtes schlossen die rheinischen und wetterauischen totädte auf ben Rat bes Mainzer Bürgers Arnold Walpot, ber ans eigenen Mitteln ben Dominikanern eine Kirche unb ein Kloster erbaut, nach lombarbischem Vorbilbe den ersten Städtebund zn gegenseitigem Schutze, und dieser, an Rhein und Donau bis Bremen und Regeusburg sich ausbreitend, schuf ein eigenes Heer, welches die Raubnester zerstörte und die Strauchritter hängte)
Im Wirrwar des „Interregnums" versuchte Kourads IV. Sohn Konrabin sein apulisches Erbreich zurückzugewinnen, mit welchem ber Papst ben französischen Ritter Karl von Aujou beschenkt hatte. Als ber Rächer seines Oheims Manfreb, ber in ber Schlacht gegen Karl gefallen, zog ber sechzehnjährige Jüngling über bie Alpen. Aber nach siegreicher Schlacht fiel er in die Hände seines tückischen Feindes unb starb in Neapel mit seinem Frennbe Friedrich von Baben bnrch bas Richtbeil. So endete bas Haus ber Hohenstaufen! !
Zwei Jahre später starb Karls Bruder, König Ludwig IX., der Heilige, auf dem letzten, dem siebten Kreuzzuge. Aus einer Anhöhe bei Tunis, das er erobern wollte, fand er sein Grab in der „Kapelle des heiligen Ludwig".
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VI. Fürsten und Städte.
1. Habsburg und Luxemburg.
Die Erwählung des angesehenen Schweizer Grafen Rudolf von Habs bürg machte zwar den Schrecken des Zwischenreiches ein Ende, vermochte aber die Auflösung des Reiches in unabhängige Fürstentümer und Städte nicht zu hemmen. Rudolf demütigte den hochfahrenden Böhmenkönig Ottokar, der in der Schlacht auf dem Marchfelde siel, und bildete aus den vier Herzogtümern Österreich und Steiermark, Kärnten und Krain, die er Ottokars Sohn abnahm, den Kern des österreichischen Staates. An der Spitze eines reisigen Heeres, welchem der greise König selbst das Vorbild genügsamer Lebensweise bot, schirmte er den Landfrieden bis nach Thüringen, wo er in einem Monate 66 Raubburgen einnahm und zerstörtes
Aber als er zu Speier starb, in demselben Jahr, in dem die 1291 letzte christliche Besitzung im Gelobten Land, Akkon, verloren ging, brach der Bürgerkrieg abermals aus. Den neuen König Adolf von Nassau beseitigte Rudolfs Sohn Albrecht I., und als / Z.Q 8 dieser kraftvolle Herrscher von seinem Neffen Johannes Parriclda an der Renß bei Baden ermordet war und sein Nachfolger, der halbfranzösische König Heinrich VII. von Lützelburg, iu Jta- JPO V lien einen rühmlosen Tod^fünden hatte, entbrannte ein langjähriges Ringen der Häuser Lützelburg und Wittelsbach gegen die aufstrebenden Habsburgers
Nach ritterlicher Gegenwehr siel Albrechts Sohn Friedrich der Schöne in der Schlacht bei Mühldorf am Inn seinem 1322 Gegenkönig Ludwig dem Bayern in die Hände. Der bürger-freundliche Ludwig ehrte seinen greisen Feldhauptmann, den unscheinbaren Nürnberger Seisried Schweppermann, mit dem Wort:
„jedem ein Ei, dem frommen Schweppermann zwei". Seinen ^ r Gefangenen ließ er auf die Burg Trausnitz bringen. Als die/' österreichische Partei den Kampf hartnäckig fortsetzte, entließ er denselben gegen das Versprechen freiwilliger Rückkehr, wenn er seinen Bruder, deu Herzog Leopold, nicht zur Anerkennung Ludwigs bestimmen könne.'
In deutscher Treue hat Friedrich sein Wort gehalten, trotz der Bitten seiner Gattin, die sich um ihn blind geweint, und obgleich der päpstliche Legat ihn seiner Verpflichtung ent-
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binden wollte. Solche Ehrenfestigkeit rührte Ludwig. Er nahm ihn vertrauensvoll zum Mitregenten an.»
Allein Friedrich starb bald, und Ludwig sah sich in schwere Kämpfe mit den Päpsten verwickelt, welche damals 70 Jahre lang in der „Babylonischen Gefangenschaft" in Aviguon wohnten und gänzlich unter dem Einflüsse der französischen Könige standen. Die deutschen Fürsten traten anfangs eifrig auf ihres Königs Seite. Als dieser gebannt wurde, stellten sie auf dem -7V5 yg „Kurverein" zu Reuse (oberhalb Koblenz) den Satz auf, der von ihnen erwählte König bedürfe keiner päpstlichen Bestätigung, und der Reichstag zu Frankfurt erklärte Bann uud Interdikt, durch welches der Papst jede kirchliche Handlung im Reiche verbot, für ungültig.!
Aber Ludwig wurde ihnen zu mächtig, als er seinem Hause ■fyM "kbeu Brandenburg, dessen askanische Herrscher ausgestorben
waren, auch noch Tirol und mehrere niederländische Provinzen zuwenden wollte. Sie erwählten den Erben Böhmens, Heinrichs VII. Enkel Karl IV. zum Deutschen König. 1 Ludwigs Tod auf der Bärenjagd verhinderte neuen Bürgerkrieg. Dafür brach über Deutschland eine fürchterliche Seuche herein, der Schwarze Tod, welcher z. B. in Danzig 13000, in Erfurt 16000 Menschenleben in einem Jahre hinraffte../
Der Lützelburger Karl war wie Friedrich II. mehr Staatsmann als Krieger. Er ging krumm, ohne Waffen uud in schmuckloser Kleidung; aber er hatte sich in seiner Jugend, die er am französischen Hofe verlebte, eine tiefere Bildung angeeignet. Er beherrschte sechs Sprachen und gründete in seiner Lieblingsstadt y-Q Prag, die er mit Kunstwerken füllte, die erste deutsche Uni-
versität.^ In Böhmen hob er die Landwirtschaft und namentlich den Weinbau und förderte den Handel in der Mark, welche er nach schwierigen Verhandlungen den Wittelsbachern abnahm./ Für die Entwickelung Deutschlands wirkte segensreich seine „Goldene Bnlle", ein Reichsgesetz, welches aus den Reichs-1356 tagen zu Regensburg und Metz im Jahr 1356 zur Annahme
gelangte. Darnach sollten fortan die drei rheinischen Erzbischöfe i von Mainz, Köln und Trier), sowie der König von Böhmen und der Pfalzgraf bei Rhein, der Herzog vou Sachsen-Wittenberg und der Markgraf von Brandenburg den König „küren". Dadurch wurde einer Erneuerung zwiespältiger Wahl vorgebeugt, aber mit der Machtstellung der „Kurfürsten" auch die Zersetzung des Reiches gefordert./' .
Fast hundert Jahre lang blieb die Krone beim lützelburgischen Hanse. Auf Xarl IV. folgte feilt unfähiger Sohn Wenzel, unb als dieser von den Fürsten abgesetzt wurde, gelaugte sein
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Bruder Sigismund auf den Thron. Nach dessen Tode fielen die lützelburgischen Länder samt der Kaiserkrone an den Habsburger' Albrecht II., der mit Sigismunds einziger Tochter vermählt war. Die Habsburger aber behaupteten sich drei Jahrhunderte ununterbrochen im Besitze der Kaiserwürde./
2. Die Bauern unb bie Schweizer Eidgenossenschaft.
Die beutsche Bauernschaft war längst in ben Stanb ber Hörigkeit herabgesunken. Der Lanbmann leistete dem benachbarten Grafen oder Kloster Frondienst und Abgabe und genoß dafür Schutz und milde Behandlung. Zinswein und Zinskorn waren mäßig berechnet, und selbst bei einer Pfändung mußte ihm genug gelassen werden zum Weihnachtskuchen^
Nur im äußersten Norden, am „Gestade" der unteren Weser, verfochten die St e ding er trotzig ihre Unabhängigkeit, bis in Kaiser Friedrichs II. Tagen die Grafen von Oldenburg mit einem Kreuzheer unter Strömen Blutes sie bewältigten; und au der Westküste Holsteins, in „Dietmars Gau", wußten die Ditmarschen ihre Bauernrepublik bis ins 16. Jahrhnn-bert gegen ben König von Dänemark unb bie holsteinischen Grafen zu behaupten./Auf bev „roten Erbe" Westfalens aber pflagen, unbekümmert um bie Fürstengerichte mit ihrem „peinlichen" Römerrecht unb ihren Folterwerkzeugen, bie Bauern als Freifchöffen ihres Femgerichtes. Unter bem Vorsitze bes aus ihrer Mitte gewählten Freigrafen, vor welchem der totrief lag unb bas Schwert mit bem Kreuzgriff, sprachen sie über tobes-würbige Verbrechen ihr Urteil, „welches schonungslos vollzogen würbe; neben der Leiche des Übelthäters stak regelmäßig das Messer, zum Zeichen, daß die Feme gerichtet./
Oben in ben Alpenthäleru am Vierwalbstätter See hatte gleich nach König Rubolss Tob ein tüchtiges Bauernvolk einen Ewigen Bunb ausgerichtet, um gemeinsam bie Ländergier der Habsburger abzuwehren. Dieser Bund würbe bald nachher, als König Albrecht I. bie reichsfreien Männer unter bie Gerichtsbarkeit seiner Vögte beugen wollte, burch Werner Stauffacher von Schwyz, Walther Fürst von Uri unb Arnolb Melchthal von Unterwalben in ber vielberufenen nächtlichen Verschwörung auf betn Rütli erneuert, unb ber grausamste ber königlichen ^anb-vögte, Geßler, erlag in ber hohlen Gasse bei Küßnacht bem Pfeilschusse bes Helben ber Schweizer Sage, Wilhelm Tell aus Bürgleu, welchen er in Altbvrf gezwungen, einen Apfel von bes eigenen Knaben Haupte zu schießen. Kaiser Albrechts Sohn Herzog Leopolb zog mit seinen Reisigen heran; aber die
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1315 handfesten Bauern schlugen ihn im Morgartenpaß am Egerisee und erweiterten gleich darauf den Ewigen Bund mit der Abrede, daß keines der drei Länder sich dürfe „beherren" lassen. Herzog Leopold der Jüngere verlor gegen ihren „Spitz", die altgermanische Schlachtstellnng in Keilen, bei Sempach Schlacht und
1386 Leben; in den Lanzenwald seiner schwergewappneten Ritter, welche nach ihrer Sitte zum Kampf mit den Bauern vom Pferde gestiegen, bahnte Arnold Winkelried in hochherzigem Opfertode den Seinen eine Gasse, welche sie zu Sieg und Freiheit führte.
Ein Jahrhundert später ist die Schweiz, nachdem ihr eine ganze Reihe von „Kantonen" beigetreten, von Kaiser Maximilian I. aus der Pflicht des Deutschen Reiches entlassen worden.
3. Handel und Gewerbe. Die Hansa.
1204 Im Jahr 1204 hatten die klugen Venetianer einen Kreuzzug wider Koustautiuopel geleitet und nach der blutigen Einnahme der Stadt aus dem griechischen Reich ein Lateinisches Kaisertum geschaffen. Obgleich letzteres bald wieder zu Grnnde ging, belebten sich doch seither die Handelswege nach dem Westen; nächst den lombardischen blühten die süd- und westdeutschen Städte auf. Diese schlossen, weil „dem Landfrieden nicht zu trauen", wiederholt Bündnisse zu • gegenseitigem Schutz ihrer Warenzüge und rangen namentlich im 14. und 15. Jahrhundert zäh mit den aufstrebenden Fürsten, einem Eberhard von Württemberg, welchen sie bei Reutlingen schlugen, um ein Jahrzehnt später ihm und der ritterlichen Brüderschaft der „Löwen" aus dem Döffinger Kirchhof zu erliegen.!
Die Kaufleute aus Ulm und Augsburg, Regensburg und Nürnberg, Wien und Prag besaßen in Venedig ein eigenes Handelshaus, den Foudaco bei Tedeschi oder das Deutsche Haus. Hier tauschten sie gegen die Erzeugnisse bes heimischen Ackerbaues unb Gewerbfleißes italienische Seibenstoffe und Harnische von Konstantinopel ein, um sie über Brenner, Septimer unb Gottharb in bie Hanbelsplätze an Rhein unb Donau zu verfrachten. Der steigenbe Wohlstanb brachte Segen über bas ganze Lanb. Die von Raubrittern bebrängten Lanbteute suchten als Pfahlbürger Schutz hinter ben stabtischen Wällen, unb bie Hörigen bes Saubabels würben, wenn sie Jahr unb Tag in ber Stabt gewohnt, bnrch die Stabtluft frei.!
Fast noch glänzenber entwickelten sich bie Stabte im Reiten.
Schon im zehnten Jahrhunbert hatten kölnische Handelsleute mitten in Lonbon einen eigenen Kaufhof gegvünbet, bie Gilb-
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halle ober ben Stahlhof. Gegen jährliche Abgabe einiger Stücke Tuch unb einiger Pftmbe Pfeffer führten sie Rheinwein ein unb englische Woll- unb Fettwaren aus. Auch anbere Stäbte beteiligten sich bann an biesem Hanbel unb behüten ihn ans auf anbere Plätze am Deutschen unb Baltischen Meere, wo sie Honig unb Fische, Pelzwaren unb Bernstein holten. >
Um bie Zeit ber großen Mongolennot verbanb sich Bremen mit Hamburg unb balb auch mit Rostock zu gemeinsamer Abwehr ber Räuber zu Sanb unb See unb zu frieblichem Austrag innerer Streitigkeiten. Diese kaufmännische Hansa, b. t. Gesellschaft, umfaßte nach wenigen Jahrzehnten etwa 80 Stäbte am Meer unb im Binnenlanbe. Heinrichs bes Löwen Schöpfung Lübeck würbe ber Vorort für bas wenbische, Köln für bas rheinische, Magbeburg für bas sächsische, Thorn unb nachmals Danzig für das preußische Quartier. Die Verbindung mit Venebig vermittelten Breslau und Erfurt, und in bem Welthafen von Brügge begegneten sich die hansischen mit den italienischen Schiffen. Die auswärtigen Kaufhöfe zählte man von Bergen an der Fjorden-küste bis Nowgorod (Neugarten) am Jlinensee^
Im einzelnen nach Gebräuchen unb Verfassung verschieben, Bitbeten biese Stäbte mancherlei (Sinzelbünbniffe. Aber gemeinsam beschickten sie den von Lübeck ausgeschriebenen Hansatag und entsendeten auf dessen Beschluß gemeinsam ihre Orlogs-schiffe, die hochgebordeten Koggen mit Bliden (Wurfgeschossen) und Bombcirden, aus welch letzteren die „Schiffskinder" ober „Wappner" mittels des „Büchsenkrautes" («Dchießpulvers) ihre Steinschüsse abgaben. So bemütigten bie Hansen ben rücksichtslosen Dänenkönig Walbeinar Atterbag, als er in ein Sanb einbrech enb, „wo bie Schweine aus silbernen Trögen fraßen", bie reiche Hansestadt WiSby auf Gotland zerstörte; sie machten Dänemark, Norwegen unb Schweben abhängig; bem Hauptmanne ber „Sifebeeler" (Gleichteiler), einer verwegenen Banbe Seeräuber, bie „Gottes Freund und aller Welt Feind" sein wollte, dem gefürchteten Klaus Störtebeker (Stürzebecher), legten sie den Kops vor bie Füße. Über ein Sanb, welches sich unfreundlich zeigte, wurde bie Handelssperre verhängt; eine Hansestadt, welche den gemeinsamen Satzungen und Beschlüssen nicht nachkam, verfiel der Verhanfung, dem Ausschluß aus dem Bunde. Machtvoll schützten die Städte ihre Angehörigen; aber sie hielten auch mit unnachsichtiger Strenge auf Rechtlichkeit im Handel unb Wandel: wer falsches Maß unb Gewicht gebrauchte, erlitt nach Schweriner Recht die Todesstrafe.!
Am Sund bei Skanör und Falsterbo, sowie bei Bergen und Drontheim fingen die Hansen den Häring unb schlugen bie
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Robbe, in Neugarten holten sie Korn und Pelze, in Brügge flandrische Tuche und die Arbeiten italienischer und niederländischer Goldschmiede; tief im Norden waren außer Wisby noch Riga, Reval, Dorpat die Stapelplätze des deutschen Handels.
Damals hat „der gemeine deutsche Kaufmann" eine Machl und einen Reichtum entfaltet wie nie seither. „Wer kann wider Gott und Groß-Nowgorod?" hieß ein weitbekanntes Sprichwort. Und das alles ohne den Beistand von Kaiser und Reich, welche sogar die Entwicklung der Hansa vielfach hemmten.>
Der wohlhabende Kaufmann hob auch den Handwerker, welcher für ihn Häuser unb Schiffe baute, ihm Kleider und Hausgerät anfertigte. Die Handwerker schloffen sich in Zünfte zusammen, bereit Mitglieber unter einem selbstgewählten Zunftmeister ein anbei' überwachten, ihre Waren schützten unb bie Marktpreise festsetzten, aber auch feste Hanbwerksgebränche entwickelten, vermöge bereit ihre wanbernben Gesellen Belehrung unb Unterstützung fanben, soweit die deutsche Zunge klang.
Aber bald genug suchten bie Zünftler bie bevorrechteten Häuser der Kaufherren von den Ratsstühlen zu verdrängen. Entsetzliche Bürgerkämpfe durchtobten die deutschen Städte, bis schließlich der Kaufmann in die städtische Verwaltung mit bem Hanbwerker sich teilte.
Seither erblich ber Glanz ber oberbeutschen wie ber Hansa-stäbte, von benen nur wenige bie alte Herrlichkeit bis jetzt zu bewahren vermochten.
4. Die gotische Baukunst. Erwin von Steinbach.
Im Verfalle bes Reiches würbe ber deutsche Kaufmann und Handwerker immer mehr ber Träger ber Bildung unb Sitte. Die Rat- unb Kaufhäuser, auch manches Bürgerhaus unb vor-allem bie Kirchen in altehrwürbigen Städten erinnern an den Wohlstand unb frommen Schönheitssinn ber Bürger, aber auch an die Begabung und den unermüdlichen Lerneifer der Künstler
jenes Geschlechtes.
Der Rundbogen genügte längst nicht mehr: von den Fran-zcjen holten deutsche Baumeister die Kunst des Spitzbogengewölbes, um sie zu ungeahnter Herrlichkeit zu erheben.
Als zur 5}eit des Interregnums der Dechant Richard zu Wimpfen im Thal seine Kirche erneuern wollte, berief er einen Künstler, welcher soeben aus Paris heimgekehrt war; unb dieser Schöpfer ber 'Kirche am Neckar scheint an beut Münster zu Freiburg i. B. den unvergleichlichen Turm erbaut zu haben. Von Freiburg aber ist vermutlich der große Meister geholt
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worden, welcher am Münster zu Straßburg die Stirnseite (Fassade) und die beiden Türme entworfen und zum Teil ausgeführt hat. Das war Erwin von Stei.nba.ch/ der 40 Jahre 1318 lang als Werkmeister den Münsterbau geleitet, und sein Amt auf seine Söhne Johannes und Erwin vererbt hat. Sonst wissen wir von seinem Leben so gut wie nichts; sicher ist nicht einmal seine Herkunft ans dem badischen Städtchen Steinbach, wo sein Standbild nach Straßburg hiuüberblickt. Sein herrlichstes Denkmal freilich ist das Münster, in dessen „Leichhöfle" die Gebeine des Meisters und seiner Gattin, der „Frau Hitsct", ihre Ruhestätte gesunden haben.
Auch in anderen Gegenden Deutschlands erhoben sich gleichzeitig Wimderbauten desselben Stils, vor allem „der hohe Dom zu Köln", wohl das schönste Bauwerk unseres Vaterlandes; dann die Dome zu Marburg, Oppenheim, Nürnberg, zu Lübeck und Danzig; unter den weltlichen Bauten sind neben einer Anzahl Rathäuser in deutschen und niederländischen Städten der Gürzenich in Köln und die prachtvolle Residenz des Deutschherrenordens, die Marieyburg in Preußen zu nennen.
/Das spitzbogige Kreuzgewölbe lastet weit mehr als das romanische ans seinen vier Ecken. Die einfache Verdickung der Mauer zu Streben und Strebepfeilern war dem Druck an diesen «stellen nicht mehr gewachsen. Aus der Außenmauer der Seitenschiffe traten daher massige Pfeiler hervor, um mittels schräg ansteigender „Strebebogen" das Mittelgewölbe zu stützen. Die Wände zwischen letzteren, die nun nichts mehr zu tragen hatten, ersetzte matt durch riesige Fenster, welche oben in einen Spitzbogen ausliefen; die dicken und dünnen („alten" und „jungen") „Pfosten", welche das Fenster senkrecht abteilten, wuchsen bis zu dem Bogen in zweigartig verschlungenen Steinstäbeu, dem Maßwerk, weiter; die Glasflächen zwischen Pfosten und Maßwerk wurden mit Figuren in köstlichen Farben bemalt, durch deren zauberhaften Glanz das Innere des Gotteshauses eine weihevolle Beleuchtung erhielt. Wie die Fenster gipfelt das in der Regel dreifach gegliederte Portal in spitzen Bögen; über dem Hauptportal ist das Mauerwerk durch ein mächtiges Fenster, in Straßburg durch die wundervolle Rose erleichtert. Darüber steigt der Hauptturnt oder zu beiden Seiten des Einganges das Turmpaar empor, um nach oben immer lustiger, immer schlanker zu werden und in einer ganz aus Maßwerk bestehenden Spitze, dein Helm (der Pyramide) zu endigen. Dem Hauptturm entsprechend fanden auch die Pfeiler der Strebebogen ihre Krönung durch feine Türmchen (Fialen), die Fenster durch ein spitz zulaufendes Dach zur Bergung vor Wind und Wetter
(Wimperg); zierliche Dächlein (Baldachine) schützen die Heiligenbildchen, welche an Turm und Langhaus die Mauer beleben. Und alle Teile sind „in ein ewiges Ganzes zusammengewachsen", welches die Seele nach oben weist, als gebe es keine Schwere, nichts Irdisches mehr.
Großartig wie der Bau war der Schmuck dieser Kirchen. Das hochragende Giebeldach, aus welchem ein schmales Türmchen, der „Dachreiter", saß, deckten farbig glasierte Ziegel; das ganze Portal war mit Darstellungen aus der Heiligen Geschichte überzogen und eingefaßt, ganze Reihen von Standbildern zierten die Seiteneingäuge; in den Schrecken der französischen Revolution wurden am Münster Erwins in zwei Tagen 235 steinerne Figuren zerstört! Am Dach und an den Strebebogen haften die mitunter höchst phantastischen „Wasserspeier"; kleine Auswüchse, die „Rasen", „Krabben" oder „Knollen", scheinen am Dach, an den Turmhelmen und Fialen emporzukriechen; den Chor umschließt oft ein förmlicher Wald von Türmchen und Figuren.
Im Innern tragen mächtige Pfeiler mit vorgelagerten „Diensten" die Gewölbegurten, welche kreuz- und später netzförmig in reichgezierten Schlußsteinen zusammenstoßen; Pfeiler-stellungen beleben die Wände, unschätzbare Holzschnitzereien die Chorstühle und Orgeln; Kanzeln, Altäre sind durch Reliefs und kostbare Gemälde geschmückt.
So sind diese Dome, und nicht minder die Rathäuser, die schönsten Ehrenmale für Gemeinsinn und Gottesfurcht jenes Geschlechtes. In Freiburg verpfändeten die Bürger manchmal ihre Häuser „für der lieben Frauen Bau" und widmeten zu demselben Zwecke regelmäßig das beste Kleidungsstück aus dem Nachlaß eines Angehörigen.
Obgleich diese Banart aus Frankreich zn uns kam, entstammte sie doch dem deutschen Geiste, der im ehemaligen Frankenvolke noch nicht erloschen war. Ans deutschem Boden ist sie ganz eingebürgert und durch Deutsche der höchsten Vollkommenheit zugeführt worden. Deutsche Meister haben die Kathedrale in Burgos und den Marmordom zu Mailand geschaffen, und die Italiener bezeichneten die fremde Bauweise, welche über die Alpeu zu ihnen kam wie die Heldenscharen des großen Theoberich, als den Gotischen Stil.
Freilich wnrbe mancher Domban unterbrochen durch den Eintritt einer netten Zeit, welche den Sinn aus andere Ziele lenkte. Den späteren Jahrhunderten ging das Verständnis für die Gotik völlig verloren, bis der jugendliche Wolfgang Göthe am Straßburger Münster die Gesetze ihrer Schönheit wieder ent-
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deckte und ben Zeitgenossen das Geheimnis unb ben Ruhm beS großen Erwin in glühender Begeisterung verkündete. Das jetzige Jahrhundert hat mit dem Ausbau der unvollendeten Gotteshäuser begonnen: den Dom zu Regensburg hat der kunstsinnige König Ludwig I. von Bayern, den zu Köln der erste Kaiser des wiedergeeinten deutschen Volkes, Wilhelm I., eingeweiht; und erst kürzlich ist mit der „Kreuzblume" des Ulmer Münsters die höchste Steinspitze Europas gekrönt worden.
5. Die Konstanzer Kirchenversammlnng und der Hussitenkrieg.
Der Ausenthalt der Päpste in Avignon hatte schließlich zu einer Kirchenspaltung geführt. Ein Papst wohnte in Rom, einer in Avignon, einer den anderen verfluchend; und eine Kirchen-versammlung, welche beide absetzte und einen dritten wählte, verschlimmerte das Ärgernis: neben dem neuen Papste regierten die abgesetzten weiter.'
Da vermochte König Sigismund den Römerpapst Johann XXIII., ein Konzil zu berufen, auf welchem das „Schisma' beseitigt und zugleich eilte „Reform ber Kirche an ■'?aupt ttnb Gliedern" in Angriff genommen werden sollte. Es war vielleicht die größte Versammlung des Mittelalters (angeblich 150000 Personen), welche in der alten Stadt Konstanz zusammenströmte. Persönlich erschienen Papst und Kaiser, sowie die bedeutendsten Kirchensürsten des römisch-katholischen Europas, manche mit einem nach Hunderten zählenden Gefolge!
Der Kaiser erstattete hier dem treuesten seiner Anhänger wohlverdienten Dank. Dem Burggrafen Friedrich von Nürnberg übertrug er die Mark Brandenburg mit der Kurwttrde. 1415 Kursurst Friedrich I. wurde der Ahnherr ber preußischen Könige unb ber Kaiser bes neuen beutsch eu Reiches.!
Die Kirchenspaltung wurde durch die Absetzung aller drei Papste beseitigt; die Kirchenreform aber unterblieb. Um so eifriger schritt das Konzil ein gegen die böhmischen Lehren.
Der Prager Professor Johannes Hus wollte nur die-jentgei, kirchlichen Satzungen gelten lassen, welche mit dem Wortlaute der Bibel in Einklänge ständen. Insbesondere verlangte er den Genuß des Abendmahls unter beiderlei Gestalt auch für die Laten und die freie Predigt des Evangeliums und drang aus Armut und Stlteiireinheit der Priestersckaft. Trotz eines Geleitsbriefes, welchen der König ihm ausgestellt, ließ ihn die
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Kirchenversammlung in Ketten schmieden und nach einem empörenden Prozeß an seinem Geburtstag als Erzketzer verbrennen. Die Asche des unerschrockenen Blutzeugen wurde in den Rhein gestreut.
Diese Hinrichtung machte Hus erst lebendig. Sie erweckte in Böhmen eine ungeheure Entrüstung gegen die römische Kirche und zugleich gegen alles Deutsche. Auf einem Berg an der Luschnitz, welchem der Name Tabor gegeben wurde, sammelte sich das Landvolk, um an einigen hundert Tischen das Abendmahl in hussitischer Weise zu empfangen, und in Prag wurden dreizehn deutsche Ratsherren zum Fenster hinaus in die Spieße der unten stehenden Hussiteu gestürzt. Papst Martin V. rief zum Kreuzzug wider sie auf. Da trat der einäugige alte Kriegs-mann Johann Ziska „vom Kelch" an die L-pitze der „Taborer" und schuf aus den tschechischen Bauern ein Fußvolk, wie noch keines dagewesen. Eisenbeschlagene Dreschflegel und Feuerhaken, mit welchen sie die feindlichen Reiter vom Pferde rissen, waren ihre ganze Bewaffnung; ihre ländlichen Wagen stellten sie des Nachts kunstvoll als Wagenburg um das unangreifbare Lager. Mit Feuer unb Schwert, mit Galgen und Richtbeil, mit Ertränken und Verbrennen wüteten Hussiteu .und Katholiken, Tschechen und Deutsche gegeneinander in dem unglücklichen Lande. Mehrere Kreuzheere wurden zurückgeschlagen; ja die größten Heeresmassen entwichen, wenn sie nur den Namen des zuletzt völlig blinden Ziska ober seines Nachfolgers, des „Großen Prokop" vernahmen. Einmal hat ein päpstlicher Legat, entrüstet über bie schimpfliche Flucht, bie beutfche Fahne in Fetzen gerissen unb bett anwesenden deutschen Fürsten vor die Füße geworfen ! Allmählich gingen die „Hussen" selbst zum Angriff über: bis zur Spree und Warte, bis zur Ostsee und zu den Karpaten gingen zuletzt ihre „rauchenden Spaziergänge"; länger als ein Jahrzehnt bluteten und zitterten bie Nachbarländer im Hnssitenschreck; bie Tage ber Hunnen unb Magyaren schienen wieder gekommen.
Mit großer Muhe löschte eitblich bas Basler Konzil bett entsetzlichen Kriegsbrand-. Es empfing beit Großen Prokop mit königlichen Ehren unb gewährte nach langen Verhandlungen den Böhmen den Kelch und bie freie Prebigt. Damit waren bie meisten Hussiteu zufrieben, ttttb bic letzten Taboriten verbluteten im Bruderkriege gegen die Gemäßigten.
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VII. Der Anbruch der neuen Zeit.
1. Die Jungfrau von Orleans.
Auch über Frankreich brachte das ausgehende Mittelalter schwere Heimsuchungen. Das Hans der Capetinger, welches mit Hugo Capet aus die Karolinger gefolgt war, starb mit den Söhnen Philipps IV. ans. Seinern Erben, dem Haufe Valois, machte das englische Köuigsgeschlecht Plantagenet die Krone streitig; denn sein Begründer Heinrich II., Richard Löwenherz' Vater, stammte aus Frankreich. Anderthalb Jahrhunderte wogte der verheerende Krieg, in dessen Schlachten und Belagerungen das angeblich von dein Franziskaner Berthold Schwarz in Freiburg i. B. erfundene Schießpnlver in grobem und kleinem Geschütz erstmals Verwendung fand.y
Zur Zeit der Hussitenkriege war mit Paris die Hälfte des schönen Landes in englischem Besitz. Den jungen König Karl VII. verließen seine Großen; der Herzog Philipp von Bnrgnnd schlug sich offe:t jum Feinde. Redegewaltige Mönche mahnten zur Bnße; die Schuld des Unglückes schoben sie auf die Verschwendung und Modetollheit der Reichen.
Frankreichs Schicksal hing an der Stadt Orleans, welche die Engländer den ganzen Winter eingeschlossen hatten. Schon wütete der Hunger unter den Waffenknechten und den tapferen Bürgern. Da erfüllte sich die alte Weissagung, daß ein Weib Frankreich retten solle./
Johanna d'Arc, ein achtzehnjähriges Bauernmädchen aus dem lothringischen Dorfe Domremy, fühlte sich durch häufige Heiligenerscheinungen zum Werkzeuge Gottes beruft». Vou einigen Rittern wurde die kluge und fromme Jungfrau, als Mann gekleidet, durch das von Feinden wimmelnde Land zum Könige geleitet, welchen sie nicht ohne Mühe vou ihrer göttlichen Sendung überzeugte. Durch Ermahnung und Beispiel stellte sie in dem gottlosen Heere Zucht und Anstand her; sie lehrte es, im Kriege die Menschlichkeit nicht zu vergessen.
Ju voller Rüstung ritt Johanna ans weißem Roß in Orleans ein. Durch Tapferkeit und Umsicht befreite sie die Stadt und gewann das Vertrauen der Söldner und ihrer Führer, denen ihre Erfolge als Wunder erschienen. Eine vor ihr aufspringende Hirschkuh, so erzählte man, verriet ihr die Stellung
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des lauernden Feindes, und um ihr Lilieubanner, welches sie statt der Lanze führte, um niemand zu töten, wollte man eine Menge weißer Schmetterlinge flattern sehen./
Glücklich führte sie den König in die alte Stadt Rheims zur Krönung. Sie stand mit ihrer Fahne neben dem Altar; vor dem Gekrönten warf sie sich nieder, unter Freudenthräuen seine Füße küssend. Noch ging sie mit ihm bis vor Paris; aber sie hielt ihre Aufgabe für gelöst. Nach einem mißlungenen Sturme hängte sie ihre weiße Rüstung und ihren Degen über dem Grabe des heiligen Dionysius auf, um heimzukehren zu ihren Herden. Man beredete sie zu bleiben; es war zu ihrem Verderben.
Sie hatte sich in die belagerte Feste Compiögue an der Aisne geworfen. Bei einem Ausfalle geriet sie nach tapferer Verteidigung in die Gefangenschaft der Burgunder; um 10000 Livres ward sie an ihre Todfeinde, die Engländer, verkauft. Es fand sich ein französischer Bischof, der in Rotten wider sie die Anklage auf Hexerei erhob. Nach einem schmachvollen Verfahren starb die Jungfrau von Orleans gottergeben, selbst von den Feinden beweint, den Feuertod. Ihre Asche wurde in die Seine geworfen.
Dieses edeln Opfers nicht unwert, begnadigte König Karl VII. alle Widersacher, die zu ihm übertraten, auch den Herzog von Bnrgnnd. Um in dem zerrütteten Lande die Ordnung wieder aufzurichten, bildete er 15 Kompagnien, jede 100 „Lanzen" (zu 6 Mann) stark, eine erlesene Kriegstruppe, welche er für immer in seine Dienste nahm und ans den Erträgen einer dauernd eingeführten Steuer regelmäßig besoldete. Es war das erste stehende Heer. Durch eine treffliche Artillerie, aber auch durch Manneszucht und Tapferkeit entriß es den Engländern alles französische Land wreder bis auf Calais.
So legte Karl VII. den Grund zur Einheit und Größe Frankreichs.
2. Die Magna" Charta ttitd die beiden Roseu.
In den Wohnsitzen an der unteren Seine, welche die schwachen Karolinger ihnen eingeräumt, hatten sich die Normannen mit dem Christentum und der französischen L-prache feinere Gesittung angeeignet, ohne die angestammte Tapferkeit einzubüßen. Aus dem tollkühne» Seeräubervolke wurden sie Beschützer der Päpste und die ruhmvollsten Kreuzztigsheldeu. Mit dem Segen der Kirche führte ihr riesenstarker Herzog Wilhelm seine Ritter über daö Ärmelmeer und machte sich
durch die Schlacht bei Hastings, wo der schöne Sachsenkönig Harald siel, zum Herrn Englands. Hart lastete dort sein Joch. Die Mehrzahl der Lehen und Bistümer verlieh er seinen Getreuen und schützte dieselben durch grausame Gesetze gegen den Haß der Eingeborenen, welche man durch Mißachtung anss äußerste reizte. „Ich will ein Engländer sein, wenn ich das thue!" so schwur der Normann.
Nur langsam verschmolz der angelsächsische mit dem normannischen Stamme zu einem Volke- Ihr erster gemeinsamer Schritt begründete die englische Freiheit. Sie zwangen Richard Löwenherz' Bruder, den wetterwendischen König Johann, die Magna Charta (Great Charter) zu unterzeichnen, durch welche den Großen und dem Volke Sicherheit der Person (vor willkürlicher Verhaftung) und des Eigentums verbürgt wurde. Später nötigte man die Könige, bei wichtigen Fragen der Gesetzgebung und Verwaltung den Rat der „Stände" (des Adels und der Geistlichkeit, sowie der Vertreter der Städte und Grafschaften) einzuholen/ Dafür halfen die Stände, das „Parlament", Irland,' dann Wales unterwerfen. Seither führte der Thronerbe den Titel: „Prinz von Wales". 1
Während des großen Krieges mit Frankreich wurde England reich. Seine Städte schmückten sich mit stolzen Kirchen und Rathäusern, seine Schulen blühten auf; Johann Wyclif wurde der Vorläufer des Johann Hus. Nun verlor der Adel durch den Friedensschluß die Gelegenheit zu Ruhm und Beute. Unfähig, dem üppigen Leben zu entsagen, wendete er die Waffen gegen sich selbst.' Unter der Führung zweier Zweige des Königshauses, Lancaster und York, rieben sich die Parteien der roten und der weißen Rose unter unerhörten Freveln gegenseitig auf. Endlich gelaugte mit Eduard IV. das Haus Aork auf den Thron. Aber als er frühzeitig starb, ließ sein Bruder Richard III. den Königsknaben Eduard V. und dessen Bruder erwürgen und griff selbst nach der Krone. In wahnsinnigem Mißtrauen opferte er Freund und Feind seiner unersättlichen Blutgier. Endlich sammelte eilt Verwandter der Lancaster, der junge Heinrich Tudor, alle Verfolgten um sich und zog an ihrer Spitze gegen Richard III. In offener Feldschlacht bei Bosworth in der Grafschaft Leicester verließ das Heer den Wüterich, welcher de» Tod suchte und fand.
3. Der Humanismus. Fraucesco Petrarca.
Das wachsende Ärgernis der Lehrstreitigkeiten entfremdete die Gemüter der Kirche und ihrer Sprache, dem „Mönchslatein". In den Tagen Ludwigs des Bayern dichtete der Florentiner
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Dante in der Sprache des Volkes seine „Göttliche Komödie"; und Franz Petrarca wendete sich mit voller Begeisterung den heidnischen Schriftwerken der Römer zu.
Der Wohllaut Ciceros hatte es dem hochbegabten Knaben angethan, wie die Lieder der Waldvögelein, denen er sein Lebenlang gerne lauschte. Statt auf des Vaters Geheiß die Rechtswissenschaft zu studieren, vertiefte er sich heimlich in die römischen Redner und Dichter, bis es der Vater entdeckte und die Bücher ins Feuer warf. Da weinte der Jüngling, als würde er selbst verbrannt, und der Vater ließ ihm einen Virgil und eineu Cicero übrig.
Die Bücher der Alten wurden seine besten Freunde, die Leuchten seines Lebens. Aus ihnen lernte er in unbeschreiblicher Freude den sinnigen Genuß der Natur und die Kunst freier Geistesarbeit. Mit Feuereifer suchte er in den modernden Klosterbüchereien Frankreichs, Deutschlands, Italiens nach Schriften Ciceros und drängte seine Freunde unablässig, ihm zu helfen. Einen Homer, welchen ein griechischer Gelehrter ihm geschenkt, umarmte,und küßte er zärtlich, obgleich er ihn nicht verstehen konnte. Über einen seiner Folianten gebeugt, wurde 1374 der siebzigjährige Greis vom Tode hingerafft./
Aus seinem Livins waren ihm die Gestalten der Fabier und Scipiouen mit handgreiflicher Deutlichkeit entgegengetreten. Die Sehnsucht nach Ruhm, die sie in ihm weckten, fand reiche Befriedigung. Die Großen seines Vaterlandes luden ihn im Wetteifer mit Kaiser Karl IV. an ihre Höfe; seine Landsleute verehrte» ihn wie einen Heiligen. Aus seiner Denkereinsam-keit am Fuße des Mont Ventoux in der Provence holten sie ihn nach Rom, um ihn auf dem Kapitole feierlich zum Dichter zu krönen. Sein greiser Lehrer redete nie anders von ihm als mit Thränen im Auge. Ein blinder Schulmeister aus Toskana wanderte ihm, auf seinen Sohn und einen Schüler gestützt, bis Neapel und von dort über den verschneiten Appennin bis Parma nach und küßte ihm, als er ihn gefunden, Haupt und Hände, um der süßen Gedanken willen, die von ihnen ausgegangen.
Diese Liebe zn Sprache und Bildung der Alten, die Begeisterung für griechische Schönheit, für römische Größe und Vaterlandsliebe nannte man Humanismus. Petrarcas Vaterstadt Florenz wurde die wichtigste Pflegestätte desselben; sie sollte auch der Herd werden für die Pflege der griechischen Sprache.
In Kleinasien hatte Osinan seine Knechte, wenn er mit ihnen pflügte, zum Mahl um seine Fahne gesammelt. Mit dieser Fahne führte er sie siegreich gegen den Feind. Sein Enkel Soliman setzte nach Europa über; von der neuen Haupt-
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stadt Adrianopel aus erweiterte sich das Osmanische Reich über die ganze Balkan-Halbinsel. Im Jahr 1453 eroberte der Sultan Mohammed II. Konstantiuopel. Der letzte Griechen -kaiser starb den Heldentod; die herrliche Sophienkirche wurde eine Moschee.
Italien füllte sich mehr und mehr mit griechischen (belehrten, bie beim Nahen der Türkengefahr sich und ihre Bücherrollen nach „Hesperien", dem Abendlande, flüchteten. Männer und Frauen, hoch und niedrig versenkten sich in die wunderbaren Verse Homers, in Platons Weisheit. Die reichen Städte und Fürstensike schmückten sich mit Büchersammlungen, mit Prachtbauten im Geschmacke des wieder auflebenden klassischen Altertums, der Renaissance. Wie ein Schatzgräber durchforschte der Florentiner Künstler Brun ellesco die Trümmerstätten Roms, um dann nach dem Muster- des Pantheons die Kuppel des heimatlichen Domes zu wölben, und biefe sollte für beit größten Sohn bet Arno-Stadt, Michel Angelo, das Vorbild werden für seinen Wunderban, bie Kuppel der St. Peterskirche in Rom.
Italiens neue Blüte in Wissenschaft unb Kunst lockte bnrd) ihren Zauberbnft auch bie Deutschen. Uber ben Alpen holten unsere Humanisten die Kenntnis eines geläuterten Lateins und des Griechischen und verbreiteten sie nach ber Heimkehr eifrig in Schulen unb Schriften; unsere Maler unb Baumeister gingen bei beit Italienern unb unter ihrer Anleitung bei ben Alten in bie Lehre.
4. Die Erfindung des Buchdruckes. Johann Gutenberg.
Wie die Chinesen feit Jahrtausenden, besaßen die Form-schneider von Ulm, Antwerpen, Venedig die Kunst, Figuren (Spielkarten, Heiligenbilder), oft mit Unterschriften von Rainen, Sprüchen u. dgl. aus einer Platte von Buchsbaumholz herauszuschneiden, so baß sie in umgekehrter Form hervorstanben, sie dann mit Farben zu überziehen und abzudrucken. Die Bücher dagegen wurden immer noch durch geschickte Mönche vervielfältigt, welche sie abschrieben und mit geschmackvollen Initialen, auch' wohl mit kleinen Bildern in Menigfarbe (Miniaturen) ausschmückten. Dadurch erzielten die Klöster eine hübsche Einnahme.
Da erfand ein Mainzer Bürger deu Buchdruck.
Heime oder beuchen Gänsfleifch, nach dem Heimathause seiner Mutter „Wsgcit" gewöhnlich zum Gutenberg geheißen, hatte infolge bürgerlicher Zwistigkeiten auswanbern müssen mit vielen „Geschlechtern". In Straßburg arbeitete er als Golbfchmieb, imb dies Gewerbe wird ihn ans den Gedanken
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gebracht haben, die Buchstabeuformen (Lettern) einzeln aus Erz zu bereiten, so daß man sie nach Belieben zusammensetzen konnte. Zunächst jedoch unterwies er einige Straßburger im Schleifen von Halbedelsteinen und in der Anfertigung gläserner Handspiegel, welche sie bei einer bevorstehenden großen Wallfahrt nach Aachen verkaufen wollten.
Auch die Waffen hat er geführt gegen die Armagnacs, eine Bande von 30 000 französischen Mordbrennern, welche unter einem Grafen Armagnac, dann unter ihrem Kronprinzen (Dauphin) das linksrheinische Land verheerten. 1500 Basler Helden waren bei St.Iakob an der Birs gegen sie gefallen; dann kam der Schwarm durch das Elsaß hinunter, nach welchem Frankreich schon damals die Hand ausstreckte. 110 Dörfer standen in Flammen; die Bauern wurden lebendig gebraten oder in Fässer gesperrt. Aber die Straßburger nahmen ihnen bei einem Ausfall die bei St. Jakob erbeutete Fahne ab, und das Elsäßer Landvolk zwang die „armen Gecken", mit blutigen Köpfen heimzuwandern.
/Erst nach seiner Rückkehr in die Vaterstadt hat Gutenberg 14&0 seine Erfindung ausgeführt. Im Jahr 1450, ein halbes Jahrhundert nachdem in Nürnberg die erste deutsche Papierfabrik entstanden, begann er den Druck des ersten Buches, einer lateinischen Bibel. Zur Verbesserung seiner Kunst, namentlich zur Herstellung kleinerer und haltbarerer Lettern, bedurfte er namhafter Geldmittel, und der Mainzer Bürger Johann Fust schoß ihm 800 Gulden vor gegen 6% Zins; die Druckerei sollte ihm als Unterpfand dienen. Sobald Fust von der Einträglichkeit des Unternehmens sich überzeugte, wurde er Teilnehmer. 300 Gulden wollte er jährlich zuschießen, den Betrag für Arbeitslöhne, Papier, Pergament, Druckfarbe unverzinslich vorstrecken; und Gntenberg in seinem Erfindereifer nahm das Anerbieten arglos und ohne Sicherheit an. Plötzlich verlangte Fust Darlehen und Zuschuß samt Zins und Zinseszins zurück, über 2000 Gulden, und bekräftigte vor Gericht feine Forderung mit einem Meineid, welchen sein junger Gehülfe Peter Schösser von Gernsheim bestätigte- So wurde Gutenberg verurteilt und um die Früchte seiner mühevollen Erfindung betrogen. Die ganze Druckerei wurde dein Wucherer zugesprochen.
Obgleich ein anderer reicher Mainzer zur Ausbildung der neuen Kunst die nötigen Mittel hergab, blieb Gutenberg doch zeitlebens in schweren Sorgen.
Dazu kam neue Kriegsnot. Erzbischof Dieter von Mainz wurde vom Papst abgesetzt. Der ihm verbündete Pfalzgraf Friedrich bei Rhein, „der böse Fritz", führte die gegnerischen
Fürsten nach glücklichem Überfall gefangen auf sein Schloß zu Heidelberg und züchtigte sie für die Verwüstung seines Landes durch ein Mahl ohne Brot. Der nengewählte Erzbischof jedoch, Graf Adolf von Nassau, überfiel Mainz bei Nacht. Dieter entkam; aber 400 Bürger wurden erschlagen, viele Hunderte mußten mit Verlust von Hab und Gut auswandern. Auch die Buchdruckergehülfen stoben auseinander und brachten ihre neue Kunst namentlich nach Köln und Basel.
/-Gutenberg selbst wurde in das Hofgesinde Erzbischof Adolfs aufgenommen. Er erhielt jährlich ein Kleid wie die Edeln, zwanzig Malter Korn und zwei Fuder Wein. Er blieb in Mainz. Dort ist der große Erfinder nach einem Leben voll Arbeit und Kummer gestorben. Er wurde in der Franziskanerkirche begraben ohne Sang und Klang. Die Grabstätte ist mit der Kirche verschwunden.
Seine Erfindung hat der neuen Zeit die Thore eröffnet; sie ist die wichtigste Trägerin der Bildung geworden, weil sich seither auch der Unbemittelte Bücher erwerben und sein Wissen erweitern kann. Rasch hat sich die segensreiche „deutsche Kunst" über die Länder verbreitet; selbst das ferne Asien schrieb, wie ein morgenländischer Dichter sagte, Gutenbergs Namen mit Goldbuchstaben ein in die,Wände seiner Tempel und Paläste.
5. Die Auffindung des Seeweges nach Indien.
Vasco da Gama.
„Wo der Türke den Fuß hinsetzt, wächst hundert Jahre lang kein Gras," sagte damals ein Sprichwort. Die Osmanen-herrschaft vernichtete de» blühenden Handel mit dem Morgenlande, welcher seit den Kreuzzügen sich entwickelt hatte. Um so besser gedieh der Verkehr mit Ägypten. Kairo zählte damals 12000 Wasserträger und 30000 Lasttierhalter.
Mit ungeheurem Gewinn lieferten die arabischen und italienischen Händler die Gewürze und Edelsteine Indiens nach Europa. Der Preis mußte in barem Gelde bezahlt werden, weil man nichts dagegen auszutauschen hatte. Es galt demnach, einen billigeren Handelsweg nach dem Osten zu finden.,,
Die Reise nach -Brügge führte die genuesischen Schisse längst über die Säulen des Herkules hinaus. Sicher geleitet durch den aus China überkommenen Kompaß^ bogen sie auch nach Süden. Die „Inseln der Seligen", die Kanari en, wurden wieder entdeckt, und portugiesische Karavelen, welche der Jnfant Heinrich der Seefahrer ausgerüstet, überwanden allmählich die Märchen von dem im Süden sich verdickenden
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und brodelnden Meere. Unerschrocken segelten sie um das Grüne Vorgebirg und über den Busen von Guinea, und endlich sah sich BartholomausLIias im Sturm um die Südspitze Afrikas getrieben, welche sein König das Vorgebirge der guten Hoffnung nannte.
Ein Jahrzehnt später lief Vasco da Gama mit vier Schiffen aus. Glücklich umfuhr er „das Kap" und sah an der Zambesi-Mündung in farbige Baumwollstoffe gekleidete Neger, welche Arabisch verstanden; Indien konnte nicht ferne sein. Das gab den Portugiesen, welche die Hälfte ihrer Leute am Skorbut verloren hatten, neuen Mut. Von Mombas und -Metinde (jetzt im englischen Ostafrika) trug sie der Südwest-Monsun über den Indischen Ozean/ Fast ein Jahr nach ihrer Abreise, am 20. Mai 1498 1498, landeten sie in Kalikut an der vorderindischen Küste Malabar. Aus den Barken, welche die kleine Flotte alsbald umschwärmten, erscholl in arabischer Sprache der Gruß: „Willkommen alle! Preiset Gott, der euch in das reichste Land der Welt geführt!" Schimmernd von Perlen und Juwelen empfing „der Herr des Hügels und der Welle" (der Kaiser) den Admiral/ Aber die arabischen.Kaufleute hetzten ihn auf gegen die Feringhi (Franken d. i. Abendländer), und Vaseo mußte froh sein, mit einer Ladnng von Gewürzen absegeln zu können.
Der Weg war gebahnt. Den Herren Ägyptens, den kriegerischen Mameluken und ihren Handelsfreunden, den Venetianern, entriß der erste portugiesische Vicekomg Almei da in großartigen Kämpfen den festen Hafen Diu. Sein Nachfolger, der große Seeheld Albuquerque besetzte und behauptete glanzvoll die Insel Ormus am Eingang in den Persischen Meerbusen. Das Eiland, in der Sprache des Morgenlandes als der Edelstein bezeichnet, welchen der Weltring halte, ward in seiner Hand zum Riegel, der ihnen den Zugang zu Indiens Schätzen sperrte. Indische und chinesische Waren fand man nur noch in Lissabon.
Auch nach Süden dehnte Albnquerque sein Reich. Im Kampfe mit den Dschonken der Malayen unb Chinesen eroberte er Malakka, den wimmelnden Stapelplatz für Kampfer und Gewürznägelein; auf den Banda-Inseln, der Heimat des Mus-katnnß-Baumes, erhoben sich die portugiesischen Wappensteine.
Das war das Heldenzeitalter der Portugiesen, welches ihr größter Dichter Eamo5s in seinen „Lusiadm" verewigt hat.
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6. Die Entdeckung Amerikas. Christoph Columbus.
Das Bestreben, den Seeweg nach Indien zu finden, leitete zur Entdeckung Amerikas, ein halbes Jahrtausend, nachdem die kühnen Wikinger von Island aus die ersten Ansiedlungen an der Ostküste gegründet.
/Christosoro^Colombo war ein Weberssohn aus Genua. Kaum erwachsen, ging er zur See. Mit einem Walsischsänger aus Bristol drang er bis über Island hinaus, mit einem portugiesischen Handelsschiffe bis in den Golf von Guinea. Mit Hülse eines italienischen Gelehrten kam er auf den Gedanken, in westlicher Richtung das Morgenland zu suchen, welches er durch eine Umfahrt um die Erdkugel rascher zu erreichen meinte, als durch eine Umsegelnng Afrikas.
Der König von Portugal versagte ihm die Mittel zur Aus-sührnng seines Planes. Aus dem Wege nach Frankreich bestimmten ihn zwei kastilische Große (Granden), in die Dienste ihres Landes zu treten. Die schöne und edle Königin Jsabella von Kastilien hatte durch ihre Vermählung mit König Ferdinand von Arragonien die Verschmelzung beider Länder zu einem Königreiche Spanien angebahnt. Das Königspaar zerstörte die Raubburgen, es reiste rechtsprechend von Stadt zu Stadt und gab das Vorbild einer christlichen Ehe; mit eigener Hand hat Jsabella ihres Gatten Gewänder geflickt. Eben standen beide mit Truppen uud Geschütz vor Granada, um dem achthundertjährigen Glaubenskriege gegen die Mauren ein Ende zu machen. Sobald diese letzte Burg des Islam gefallen, wies Jsabella dem ungeduldigen Genuesen Geld und Schisse an, die er brauchte.
Am 4. August segelte er mit drei Fahrzeugen aus dem anda-lusischen Hafen Pa los. Von den Kanarien ab fuhr er, das Schiffsvolk über die ungeheure Entfernung täuschend, immer nach Westen. Tag und Nacht stand die hohe Gestalt des früh ergrauten Helden, Sterne, Luft und Meer beobachtend, auf dem Verdeck. Endlich, am 12. Okt. morgens 2 Uhr, erscholl von einem seiner Schisse der Freudenruf: „Tierra, tierra!“ und die Kanonen begrüßten die W atlings-Insel (in der Bahama-Grnppe), welche Eolumbns in frommer Dankbarkeit Heilige Erlöser-Insel (San Salvador) taufte. Mit Fahne und Degen in der Hand betrat er im Morgengrauen das Ufer. Von diesem Angenblick au war er nach der Zusage der Königin Admiral und Vicekönig und führte den Adelsnamen Don Colon.
Die rothäutigen Menschen des Landes waren zutraulich wie Kinder. Als das Admiralsschiff an der Küste Kubas scheiterte, halfen sie die Schiffsgüter bergen; es fehlte kein Nagel. Sie
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wohnten in zeltartigen Hütten, die mit Stroh oder Palmblättern gedeckt waren; ans Mais, Maniok und'Namswurzeln bereiteten sie ihre Speise. Sie besaßen schon künstliche Wasserleitungen, kannten aber das Eisen noch nicht; mit Steinäxten und Messern aus Muschelschalen schnitzten sie sich Götzenbilder, Sessel und Hausrat. Gefäße machten sie aus Kürbissen, stricke aus Agavefasern. Durch Drehung eines Stabes zwischen zusammengebundenen Hölzern erzeugten sie Feuer, mit welchem sie die Spitzen ihrer Stäbe, der einzigen Waffe, härteten und Baumstämme zu Booten (Canoes) aushöhlten. Ihre Freude waren Waffentänze der Jugend und der mit großer List betriebene Fang von Enten und Papageien. Die höher entwickelten Kariben trieben Menschenraub und fraßen ihre Feinde im „kannibalischen" Zorn auf. — Colnmbus nannte die Eingeborenen Indianer; denn er glaubte bis zum Tode, Indien gesunden zu haben.
Nach einer Forschungsfahrt an den Küsten Kubas und Haytis, das er Espanola, Kleiu-Spauieu hieß, kehrte der Admiral heim. Sevilla empfing ihn mit Glockengeläute und Kanonendonner, das Königspaar mit ausgesuchten Ehrenbeweisen. In heller Entdeckerfreude schilderte er die Schönheit und Fülle der „Neuen Inseln , und zu Hunderten strömten golddurstige Abenteurer herbei, um an der zweiten Reise teilzunehmen. Halmfrüchte zur Aussaat, sowie Haustiere, namentlich Hunde uud Geflügel wurden mitgenommen. Aus dieser und aus zwei folgenden Reisen untersuchte Colon die Inseln und Küsten des Antillen-meeres, welche er zu Indien oder Japan (Zipangu) rechnete. Der Orinoko war ihm einer der vier Ströme des Paradieses, das man sich im Mittelalt et1 am Ostrand Asiens dachte, und in einer Schar von Gestalten, welche ein Bogenschütze auf Kuba gesehen, „alle in weißen Gewändern bis zum Knie, ähnlich dem Ordenskleide des Schiffskaplans", wollte er Chinesen erkennen, während es Flamingos waren./Bei der Befestigung ihrer Herrschaft begingen die verwildernden Spanier jene ungeheuren Heldenthaten und Verbrechen, deren Erinnerung in dem Namen der Konquistadoren (Eroberer) fortlebt. Die schwächlichen Indianer starben in harter Zwangsarbeit massenhaft hinweg. Voll Erbarmens mit diesen Opfern schmachvoller Habgier riet der Priester Laö Easas, die kräftigeren Neger Afrikas herbeizuholen ; er ahnte nicht, daß hieraus der scheußliche Sklavenfang entstehen würde, der erst jetzt durch die Bemühungen Englands und Deutschlands zu schwinden beginnt.
| Schmachvoll wurde auch der Admiral behandelt. Anklagen gegen seine Verwaltung wurden heimlich nach Spanien geschickt; ein Richter, welchen er selbst verlangt, führte den großen Ent-
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bedier in Ketten auf sein Schiff. Diesen Schimpf hat Columbus nie verwunben. Die Ketten hingen in seinem Zimmer, bis erstarb. Auf sein Grab im Karthäuserkloster zu Sevilla ließ Ferbirtanb bie Inschrift setzen:
A Castilla y Leon An Kastilien und Leon
Nuevo Mundo diö Colon. Gab eine neue Welt Colon.
Dreißig Jahre später brachte man seine Gebeine nach S. Domingo auf Hayti, wo sie heute noch ruhen.
Der neue Erbteil aber ist nicht nach seinem Entbecker benannt, sonbern nach betn Vornamen bes Florentiner Entbeckungs-reisenben Amerigo (—Amalrich, Emmerich) Vespucci, bes angeblichen Verfassers ber ersten Beschreibung ber „Neuen Welt".
7. Die erste Erbumfegetnng. Ferbinanb Magalhaes.
Columbus' Absicht, Asien auf westlicher Fahrt zu erreichen, verwirklichte ber Portugiese Fernao be MaAalH^es. Er hatte unter Almeiba unb Atbuquerque in Indien gefochten; ber Speerschuß eines Berbern in bie Kniekehle hatte ben unscheinbaren Mann hinkend gemacht. Infolge einer Kränkung durch ben Hof verließ er sein Vaterlanb. Eine Seekarte bes beutschen Ritters Martin Behaim ans Nürnberg, ber vor einiger Zeit in Pfnlug'ctT'gestorben, soll ihn auf ben Gebanken einer Um-fchiffung ber Erbe gebracht haben, unb ber spanische König Karl I. (ber beut)che Kaiser Karl V.) schenkte ihm trotz mancher Verdächtigung sein Vertrauen.
Vom Hasen Dan Lucar an ber Münbung bes Quabalquivir fuhr er nach Südamerika unb verbrachte jenseits bes Silber-stroms (Rio de la Plata) in bem neu eutbecfteu Patagonien, beffen stattliche Einwohner bctheim als Riesen geschilbert würben, bie schlechte Jahreszeit bes nächsten Sommers. Hatte er von Anfang an nur bnrch rücksichtslose Strenge seine unbotmäßigen Offiziere im Zaume gehalten, so beburfte es ber ganzen unbeugsamen Willenskraft bes großen Forschers, um bas Schiffsvolk burch bie'Magalhaes-Straße zu bringen. In bem unheimlichen Geroirre ber 7000 Fuß hohen Felsen, an bereu Seiten blaue Gletscher bis zit bem tintenschwarzen topiegel bes Meeres nieberhingen, konnte man sich an ben Eingang ber Unterwelt versetzt glauben. Die einzige menschliche Spur bildeten einzelne Feuer, die man aus den Inseln zur Linken, int „Feuertanbe", nächtlicher Weile gewahrte. Unter bem L-chrecken dieser Landschaft kehrte eines der Schisse nach Spanien zurück, und auf den drei andern wurde bie Besorgnis laut, auf ber
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weiteren Fahrt könnten die Lebensrnittel ausgehen. Da rief der ritterliche Mann: „Und wenn ich das Lederzeug am Tauwerke kauen müßte, wollte ich dennoch dem Kaiser mein Versprechen erfüllen." n _ .
Mutig steuerte er in die unbekannten Ränme des «stillen Ozeans und gelangte an die ostindische Inselgruppe, welcher die Seefahrer wegen der frechen Diebereien der olivenfarbigen Bevölkerung den Namen Ladronen (— Diebsinseln) gaben. Kokosnüsse, Aamswurzeln und Zuckerrohr boten erwünschtes Labsal nach monatelanger Entbehrung. Unter dem Eindruck einer Messe trat ein Radscha (Fürst) auf ben jetzigen Philippinen zum Christentum über, unb Magalhaes bemühte sich, bem neuen Freunde die Nachbarinseln zu unterwerfen. Dabei fand der 1521 allzukühne Seemann den Tod in der Schlacht, sechzehn Monate nach der Abfahrt aus Spanien.
Seine Gefährten erreichten die Molnkken, die Heimat des Gewürznelken-Banmes, unb unter Juan Sebastian Elcano liefen sie mit noch einem reich belabenen Schiff in ben Hafen San Lucar ein, ans welchem sie vor brei Jahren bie große Reise eingetreten. Die 13 Europäer, welche von 234 bie Heimat wiebersahen, zogen barfuß unb im Büßerhemd- in bie Kathe= brale von Sevilla, um Gott für bie wuuberbare Rettung zu danken. Der Kaiser belohnte sie reichlich. Elcano gab er die Erdkugel ins Wappen mit der Inschrift: priraus circum-dedisti me (du hast mich zuerst umfahren).
Der Beweis für die Kugelgestalt der Erde war unwider-sprechlich erbracht. Jetzt wurde die Menschheit erst heimisch auf ihrem Planeten.' Der'/Truthahn und der Mais wurden in Europa eingebürgert, später auch der Tabak und die Kartoffel. Portugiesen und Spanier wurden die ersten See- und Handelsvölker; sie teilten sich in die neu erschlossene Erdhälfte. Portugal nahm die Westküste Vorderindiens und Brasilien, welches ein portugiesischer Ostindienfahrer entdeckt hatte, und für Spanien eroberte Hern an Cortes im Todesjahre Magalhaes'das schöne Kaiserreich Mexico mit den himmelansteigenden Tempeln des blutigen Huitzilopochtl (Vitzlibutzli) und der uiebrig gesinnte jgranz Vizatvo bas Golblanb/Pent mit ben herrlichen/Jnka-straßen. Die zukunftsreichsten Länber Amerikas waren zwar burck englische Schiffe unter bem Veuetianer Cabot entbeckt, ber von ber „neu gefunbenen Insel" (New-Foundlanb) bis zum heutigen Karolina hinunterfuhr unb bem König Heinrich VII. wilde Katzen unb Papageien mit heimbrachte; aber sie wurden noch gar nicht beachtet, ihr Wert noch nicht geahnt.
8. Kaiser Max.
Zwischen dem zerfallenden Deutschland und dem mit England ringenden Frankreich entwickelte sich das Herzogtum Burgund. Philipps des Guten Sohn Karl der Kühne überbot seinen Vater noch an Hochmut und Pracht; burguudische Moden: hohe Federhüte der Männer, spitze türkische Mützen der Frauen mit langen Nackenschleiern, mit Turm- und Hornfrisuren, Puffärmel und Schnabelschuhe herrschten in ganz Europa.
Am Rhein aufwärts suchte Karl seine Herrschaft auszubreiten. Er zog sogar gegen die Schweizer, als sein zügelloser Vogt Peter von Hagenbach in Breisach von den Abgesandten schweizerischer und österreichischer Städte gerichtet ward. Wortbrüchig ließ er die Besatzung der Feste Gransen an Bäumen aufhängen oder im Neuenburger See ertränken. Darauf schlugen ihn die Schweizer und erbeuteten sein Lager mit seinem goldenen Thron und kostbaren Geräten; mit Hüten maßen sie sein Gold. Als er Murten berannte, jagten sie sein schönes Heer in den Murten er See. Dann eilten sie dem Herzoge von Lothringen zu Hülfe, dessen Hauptstadt Nanzig der Burgunder belagerte; dort drängten sie ben „Hasser gemeiner -Huscher Nation" in einen Sumpf, wo er erstickte./
Seine Tochter unb Erbin Maria wählte Maximilian, den Sohn des Kaisers, zum Gemahl. Freudig begrüßte sie das „edle deutsche Blut", das in goldfnnkelnder Rüstung, das lange Goldhaar mit Perlen unb Jnwelen burchftochten, in Gent ein-ritt. Den jungen Philipp, welchen sie ihm geboren, vermählte Max später mit Johanna, ber Erbtochter Ferdinands und Jsa-bellas. So kam die spanische Monarchie mit ihren ungeheueren Nebenländern an das Haus Habsburg.,
Aber Max blieb ein deutscher Mann. „Deutsche Ehr' ist meine Ehr', und meine Ehr' ist deutsche Ehr'," hieß sein Spruch. Man bezeichnet ihn als den letzten Ritter; riesige Körperkraft verband er mit Anmut und feiner Sitte. Im Turniere zu WormS streckte er einen frechen Franzosen in den Sand. Mit seiner Gattin ritt er gerne zu kühner Jagd; da holte sich Maria durch einen Sturz den frühen Tod, und Max verstieg sich bei Innsbruck auf der Martinswand, so daß er nur wie durch ein Wunder gerettet ward. Alles liebte den leutseligen Herrn, der in seiner Lieblingsstadt Augsburg mit den Kindern spielte, in Nürnberg mit den Jungfrauen tanzte und in Ulm auf dem Gesims des Munsterturmes dem Volke sich zeigte^
©eilte höchste Lust war der Krieg. Er hat zuerst sein Heer ans LaitdeSkiitdent gebildet; seine „Landsknechte (Spieß-
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und Büchsenknechte) nannten ihn ihren Vater. Er gab ihnen gleichartige und zweckmäßige Waffen, statt des Schildes den 18 Fuß langen Spieß und das Feuerrohr, und ordnete sie zu jenen geschlossenen Massen, welchen die Ritterheere nicht widerstanden. Seine ungeheuren Kanonen, den „Weckans" und den „Purlepaus", liebte er wie treue Haustiere und erfand die Kunst, sie zur Fortschaffung zu zerlegen./
Das zu diesen Rüstungen erforderliche Geld forderte er vom Reichstag. Es war die erste Reichssteuer, der „gemeine Pfennig". Da sie aber höchst mangelhaft einging, mißlangen die Unternehmungen gegen die italienischen Städte und gegen die Türken, die in den Grenzländern Kinder raubten, um sie zu Sklaven zu erziehen. Den Weg nach Rom verlegten ihm die Vene-tianer; daher nahm er den Titel eines „erwählten Kaisers" an.
Gelungen ist ihm die Aufrichtung eines ewigen Landfriedens und die Gründung eines ständigen höchsten Gerichtshofes, des Reichskammergerichtes. Graf Thurn und Taxis legte als erster Reichspostmeister die erste Postverbindung an von Wien nach Brüssel./
Damals wimmelten die Wege und Städte von „fahrenden Schülern", welche auf der Wanderung nach den lateinischen Schulen als „Bacchanten" mit ihren vielgepeinigten „Schützen" das Land durchstreiften./Auch Max war ein eifriger Freund der lateinischen Studien; Dichter und Künstler standen ihm nahe uud hofften von ihm die Erneuerung des römischen Reiches nnd seiner Herrlichkeit. Ulrich von Hutten ließ er mit dem Lorbeer zum Dichter krönen, und der größte Sohn Nürnbergs, Albrecht Dürer, hat ihn öfters malen dürfen./
Darüber vergaß er jedoch das Deutsche nicht. Er veranlaßte eine Sammlung alter Lieder und erzählte in einer eigenen Dichtung, dem Teuerdank, seine Brautfahrt zu Maria.
Er sollte auch den Ansang der folgenreichsten Bewegung noch erleben, die von Deutschland ausgegangen ist.
KenKmal öe,s Trotzen Kurfürsten
von AiibrraK Schlüter auf der Schloßbrücke in Berlin.
Keller, Geschichte, 3. Abschn.
i
Dritter xLcil
Midftr brr ilnnrit.
I. Die Reformation.
1. Martin Luther.
AuS einer Bauernfamilie, die vor kurzem nach Eislebeu zugewandert, wurde am 10. Nov. 1483 Martin Luther geboren. Seine Erziehung war äußerst streng; die Mutter hat ihn wohl wegen einer Nuß gezüchtigt bis aufs Blut, und der kluge Vater hielt ihn zu eifrigem Lernen an. Streng und klug ward er auch wie die Eltern, denen er zeitlebens eine dankbare Erinnerung bewahrt hat./
Unter schweren Entbehrungen besuchte der Knabe die Schule zu Mausfeld, daun die Armenschnle des Franziskauerklosters in Magdeburg, endlich die Lateinschule zu Eisenach, als hungernder und frierender „Kurrendschüler" fein Brot vor den Thüren er-singend. Auf der Universität Erfurt widmete er sich nach dem Wunsche des Vaters, der mittlerweile als mansfeldifcher Bergmann Vermögen und Ansehen gewonnen hatte, der Rechtswissenschaft. Hier erfrischte auch er seinen Geist au den Vorträgen und Gesprächen der Humanisten und an den Schriften des klassischen Altertums; aber die Sorge seines frommen Herzens ging auf das Heil seiner Seele. Eine schwere Krankheit, dann eine gefährliche Verwundung, die er sich mit seinem Studentendegen zufällig beigebracht, legten den Gedanken an den Tod und den Zweifel um seine Seligkeit furchtbar nahe: „Reiße dich los von der Welt und rette deine Seele!" Im Schrecken der Pest und eines entsetzlichen Gewitters, als dicht neben ihm der Blitz einschlug, reiste der laug erwogene Entschluß. Er gab die Rechtswissenschaft auf und trat ins Augustinerkloster zu Erfurt./ Redlich erfüllte er die Pflichten deS Mönches. Er fegte die Kirche und wanderte mit dem Bettelsack durch die Dörfer. Trotzdem zitterte er vor dem Zorne Gottes, der jeden Fehltritt strafe; das Gefühl menschlicher Sündenschwäche, die Angst, von Gott verworfen zu sein, ließ ihm feilte Ruhe. Nur aus geist-
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lichen Büchern und dem Ansprüche wohlmeinender Freunde schöpfte er Trost.
Auf den Vorschlag seines edeln Vorgesetzten, des Ordensvikars Johann von Staupitz, berief ihn Kurfürst Friedrich der Weise von Sachsen als Professor der Philosophie und Theologie an seine neue Universität Wittenberg. Die Thätigkeit des Lehrers und Predigers, der Umgang mit der lerneifrigen Jugend, mit dem gefeierten Maler und Bürgermeister Lukas Kran ach und anderen tüchtigen Bürgern bot ihm Befriedigung. Zugleich vertiefte er sich immer mehr in die Bibel. Durch sie erkannte er in Gott den Vater der Liebe und die Gewißheit der Erlösung.^
Noch stand ihm eilt schwerer Kampf bevor.
Papst Julius II., der große Freund und Kenner der Kunst, an dessen Hofe der Bildhauer Michel Angelo und der Maler Raffael Santi wirkten, faßte den Plan, die St. Peterskirche zu erneuern, und sein Nachfolger Leo X. schrieb einen Ablaß aus, mit dessen Ertrag der Bau vollendet werden sollte. Diesen Ablaß pries in Deutschland der Dominikaner Teyel als ein Mittel, die Seelen Lebender und Verstorbener von den -Qualen des Fegefeuers zu befreien. Unter Glockengeläute ritt er, von zahlreichen Mönchen begleitet, in die Städte ein, um in der Kirche unter wehenden Fahnen seine Ablaßzettel feilzubieten.
Luther klagte, niemand sei geneigt, „der Katze die Schellen umzubinden". Als aber seine eigenen Pfarrkinder dem Ablaßkrämer zuliefen, hielt er sich verpflichtet, gegen das allgemeine Ärgernis einzuschreiten. Am Vorabend deS Allerheiligenfestes, 1517 am 31. Okt. 1517, heftete er an die Thüre der Schloßkirche zu Wittenberg seine 95 Thesen, Lehrsätze, welche er nach damaliger Gelehrtensitte in öffentlicher Besprechung (Disputation) zu verteidigen gedachte. Der Ablaß sei nur ein Nachlaß der Kirchenstrafen; Vergebung der Sünden erreiche man nur diirck Zerknirschung des Herzens, wie er sie an sich selbst so qualvoll erfahren; das ganze Leben des Gläubigen müsse eine unaufhörliche Buße fein./
Mit diesem Schritte begann die Reformation der Kirche. Die Buchdruckerkunst verbreitete in wenig Wochen die Thesen über ganz Deutschland; allgemein war die Erbitterung gegen Tetzels Schacher mit dem Heiligsten. Vor dem Kar-dinal-Legaten Cajetauus, der auf Kaiser Maximilians letztem Reichstag in Augsburg erschien, weigerte Luther den geforderten Widerruf, wenn man ihn nicht widerlege; und der Kirchenfürst vermochte der „deutschen Bestie" kaum in die tiefliegenden Augen
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zu sehen. Der päpstliche Abgesandte Milti;, welcher den Llreit in Güte zu schlichten suchte, mußte Luther gestehen: „Bis ich einen finde auf des Papstes Seite, finde ich drei auf deiner."
Aber erst in Leipzig, wo er gegen den gefürchteten Dr. Eck disputierte, rüttelte er an der kirchlichen Lehre. Das Konzil zn Konstanz, sprach er, habe Sätze von Hus verdammt, die mit dem Evangelium im Einklänge stünden./
Da reiste Eck nach Rom und erwirkte die Bannbulle gegen den „Heiden und Ketzer". Umsonst. Luthers Überzeugung stand fest, „es ärgere sich daran die ganze oder halbe Welt". Vordem Elsterthor in Wittenberg hat er, einem alten Universitätsbrauche folgend, die Bulle feierlich verbrannt. An eine Versöhnung war nicht mehr zn denken.
2. Der Reichstag zu Worms. Luthers Lebensarbeit.
Während dieser Kämpfe starb Kaiser Max, und die Kurfürsten wählten aus das Betreiben Friedrichs des Weisen seinen Enkel, den König von Spanien, an seine Stelle. Im Frühjahr 1521 hielt Kaiser Karl V. in Worms seinen ersten Reichstag. 1521
Luther hatte inzwischen die Mißbrauche der Kirche schonungslos angegriffen. Die Mehrzahl des Volkes stand entschlossen auf seiner Seite, und Ritter Ulrich von Hutten schrieb ihm: „All meinen Dichterruhm will ich ablegen, um dir, o Mönch, treu nachzufolgen wie ein Schildknappe." Die Schriften des Reformators wurden auf den Jahrmärkten reißend gekauft, trotz des Verbotes, welches der Kaiser an die Kirchenthüren anschlagen ließ.
Auf Karls V. Ladung erschien Luther auf dem Reichstag.
„Und wenn so viel Tensel in Worms wären," sagte er, „als Ziegel auf den Dächern, ich wollte doch hinein." Unerschrockenen Herzens stand er vor Kaiser und Fürsten. Man verlangte den Widerruf seiner Schriften, und er gab zu, daß er gegen einzelne Gegner zu scharf gewesen; aber von seiner Lehre wich er nicht. „Wenn man," so erklärte er, „mich nicht durch Zeugnisse der Schrift oder mit klaren und hellen Gründen überweist, so kann und will ich nichts widerrufen, weil weder sicher noch geraten ist, etwas wider das Gewissen zu thun." Er soll geschlossen haben mit dem berühmten Wort: „Hier stehe ich, ich kann nicht anders; Gott helfe mir. Amen!"
Bürger und Bauern hatten ihn auf der Reise zu Tausenden begrüßt; jetzt bewunderten Freund und Feind den kühnen Mann, .welcher völlig allein für seine Überzeugung den Kampf aufnahm gegen die ganze Welt. Nur Kaiser Karl, „das teure
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junge Blut", sagte kalt: „Der hätte mich nicht zum Ketzer gemacht." Das freie Geleite, das er Luther gewährt, wurde nicht verletzt; aber noch ehe der Mönch abreiste, erging die Reichsacht über ihn, welche ihn schutzlos jedem Feinde preisgab.
Kurfürst Friedrich jedoch ließ ihn aus der Heimreise durch vermnmmte Reiter greifen und in aller Stille auf die Wartburg bringen. Als „Junker Georg" lebte dort der von Kirche und Staat ausgestoßene Mann ein Jahr lang. Als aber in Wittenberg übereifrige Anhänger die Bilder in den Kirchen zerschlugen und ein zusammengelaufener Pöbelhaufe empörenden Unfug trieb, eilte er unbekümmert um Acht und Bann auf seineu Posten rnid predigte Tag für Tag gegen die „Schwarm- und Rottengeister", bis die Ordnung wieder hergestellt war.
Im Waldfrieden der Wartburg begann Luther seine Bibelübersetzung. Jeder seiner „lieben Deutschen" sollte das Wort Gottes lesen und sich mit eigenen Augen von der Grundlage seines Glaubens überzeugen können. Luther verdeutschte das Neue, dann auch das Alte Testament nach der Sprache der Urschrift; er hatte von den Humanisten das Griechische, von seinem jungen Amtsgenossen Philipp Melanchthon (ans Breiten bei Karlsruhe) das Hebräische gelernt, dessen Oheim Johannes Reuchlin es aus Frankreich zuerst nach Deutschland gebracht hatte. Das Schwerste aber war, eine deutsche Sprache zu finden, welche nt allen Teilen unseres Vaterlandes verstanden wurde; denn jeder Gau hatte seine eigene Mundart, so daß der Plattdeutsche von der Nordsee-Ebene mit dem Manne vom Oberrhein sich höchstens auf lateinisch verständigen konnte. Da hat denn Luther mit unsäglichem Fleiße „der Mutter im Hause und den Kindern auf der Gasse" ans den Mund geschaut/ hat mühsam die allgemein geläufigen Ausdrücke aufgesucht und so die neuhochdeutsche Schriftsprache zu allgemeiner Geltung gebracht. ' .
Er hat auch unserer Volksschule den Weg geebnet. Vor allem vermahnte er die Ratsherren deutscher Städte, tüchtige christliche Schulmeister zu halten, welche „die liebe Jugend" im Glauben unterweisen sollten und in den Sprachen; denn diese seien die Scheide, in welcher das Wort Gottes stecke. Auch der Musik, welche er von Kind auf geliebt, wollte er in der Schule eine Pflegestätte bereiten. Er selbst dichtete eine Anzahl Kirchenlieder, unter welchen „Ein seste Bnrg ist unser Gott" fast zum Volksliede geworden ist; mit seiner Hansfrau „Käthe" (Katharina^ von Bora) und seinen Kindern, „unseres Herrgotts Närr-chen", hat er sich gern an Lied und Saitenspiel erfreut. Im Kreise seiner Hausgenossen war der im Kampfe manchmal un-
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holde Mann liebevoll und milde wie ein Kind; er las mit ihnen die Bibel und lehrte sie den lieben Gott in der Natur erkennen. „Gott versteht alle Handwerke," sagte er einmal: „in seiner Schneiderei macht er dem Hirsch einen Rock, der hundert Jahre hält; als ein Schuster gibt er ihm Schuhe an die Beine, und bei der lieben Sonne ist er ein Koch." Die schöne Tugend christlicher Pfarrhäuser, die Mildthätigkeit, übte er in einem Maße, welches seiner haushälterischen „Herrin" manche Lorge schuf; er hat das Patensilber seiner Kinder verpfändet, um Armen helfen zu können.
Sein frommes Gottvertrauen hielt ihn aufrecht in allem Kummer, der seinen Lebensabend trübte, namentlich über die wachsende Uneinigkeit in seinem Vaterlande, an welchem er mit ganzer Seele hing. Er hat den Ausbruch des inneren Krieges nicht mehr erlebt. Ein sanfter Tod rief auf einer Reise den müden Greis ab in feiner Heimatstadt Eisleben. Die Leiche wurde nach Wittenberg übergeführt. Auf dem Wege läuteten die Glocken in Stadt und Land; scharenweise eilte das schluchzende Volk herbei zum Abschiedsgrnß. In der Schloßkirche zu Wittenberg, an deren Thür er einst seine welterschütternden Thesen geschlagen, liegt der Leib des Reformators.
3. Der Bauernkrieg.
Der mächtige Strom der Reformation faßte auch die Bauern. Längst waren sie, bis auf wenig Ausnahmen, in eine Art Leibeigenschaft gesunken; dem Herrn oder dem Kloster, dessen Eigentum ihre Güter waren, fiel die dritte Garbe der Ernte und beim Tode des Bauers das „Besthaupt" oder der „Sterbfall", das beste Stück des Nachlasses zu. Schwer lastete die Fronarbeit in Hand- und Spanndienst, schwerer noch der Wildschaden: beim Jagen mußte der Bauer als Treiber helfen, aber er durfte fein Feld nicht selber schützen gegen das gefräßige Wild; der „Wilderer" wurde wohl auf einen Hirsch geschmiedet. Am meisten traf der Haß des „gemeinen Mannes" die Geistlichkeit, welcher er den Großen und den Kleinen Zehnten schuldete, jene» von Halmfrüchten, Wein und Heu, diesen von Vieh und Gartenfrüchten, Obst und Hanf.
Scho» früher hatte sich die oberdeutsche Bauernschaft gegen ihre Peiniger erhoben, oh»e Erfolg. Jetzt, wo der Haudel mit der »euen Welt de» Kaufmann bereicherte und der Landfriede dem Ritter feinen Räubererwerb verschloß, sogen Adel und Herren den Landmann ans, um an Glanz und Wohlleben hinter dem Bürger nicht zurückzustehen. „Der Bauer ist au Ochsen
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Statt, nur baß er keine Hörner hal", lautete ein hochmütiges Sprichwort. Die Sommernächte hindurch mußten die Ärmsten das Wasser in den Burggräben peitschen, damit das Quaken der Frösche die Herren nicht im Schlafe störe; in der Wutachgegend mußten sie einer Gräfin von Lupfen Schneckenhäuser suchen, au[ welche sie Garn winden wollte. Wie vertrug sich all dies „Schinden unb Schätzen" mit ber christlichen Gleichheit unb Freiheit, von welcher man in Luthers Übersetzung ber heiligen Schriften las?
Das Verlangen, ans bieser Dienstbarkeit loszukommen, schürten bie trotzigen Bauernsöhne, bie als Lanbsknechte die Welt gesehen, und leidenschaftliche Prediger, welche abweichend von Luther die evangelischen Lehren auch auf weltliche Dinge anwendeten. Zuerst gärte es auf österreichischem Boden am
iLÜdfuße des Schwarzwaldes; dann flammte der Aufruhr bis zum Böhmer und Thüringer Walb unb über bie Wasgauberge.
1525 Zwölf Artikel, welche sie auf geschmücktem Wagen unter wehendem Banner mitführten, enthielten ihre Forderungen: freie Wahl ihrer Prebiger, welche bas Evangelium rein nach ber Schrift lehren sollten; Freiheit ber Jagb, bes Vogel- unb Fischfanges; Abschaffung ber Leibeigenschaft, bes Kleinen Zehntens unb bes L-terbfalles;, aus bem Großen Zehnten sollten die Geistlichen besoldet, der Überschuß zunächst für bie Armen verwenbet werben. Diese Ansprüche leiteten sie aus der Bibel ab, bereit, jeden derselben auszugeben, wenn namentlich Dr. Luther ihnen einen Irrtum nachweise./
Luther antwortete alsbald. Mit furchtlos strengen Worten hielt er ben Fürsten utib Herren bie Mißachtung unb Bedrückung vor, bufch welche sie den gemeinen Mann gereizt; den Bauern redete er ins Gewissen, wie unchristlich die Auflehnung fei wider die von Gott gesetzte Obrigkeit.
Zu spät. Schon lockten die Kausmauusgüter in ben Stabten unb die Klosterschätze die Begehrlichkeit der Bauern. Viele Hunderte von Klöstern und Burgen plünderten und zerstörten sie. „Wir haben so lange hineingeführt, nun wollen wir auch herausführen." Als bei WeinSberg der Odenwälder Haufen während der Verhandlung treulos überfallen und auf seinen Herolb geschossen wurde, stürmte er bie Feste Weibertreu unb jagte siebzig Ritter nach Lanbsknechtsgebranch in bie Spieße, unb ber Pfeifer Melchior Nunnenmacher spielte auf bazu. Unb das alles geschah im Namen bes Evangeliums!/
Da erhob sich Luther. In einer zornigen Schrift forberte er bie Fürsten auf, die „ranbischen und mordischen Bauern" totzuschlagen wie tolle Hunde. Das harte Wort fand willige
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Hände. Schlag auf «schlag traf die uneinigen Bauern in Schwaben und im Taubergrunde. Mit Köpfen und Hängen, mit Fingerabhacken und Augenausstechen wüteten die Sieger. Ritter Götz von Berlichingen mit der eisernen Hand, welchem die Bauern ihre Führung anfgezwuugeu, schmachtete zwei Jahre zu Heilbronn im „Götzenturm", ein gebrochener Mann. Vor
Zabern wurden an 20000 Bauern, als sie vertragsmäßig ohne Waffen abzieheu wollten, von den Soldknechten Herzog Amons von Lothringen niedergehauen, denn Ketzern brauche man nicht
wortzuhalten. In Thüringen hatte ein ehemaliger Anhänger
Luthers, der kleine giftige Thomas Münzer, die Bauern und Bergleute aufgestachelt, alle Fürsten totzuschlagen: „Laßt euer Schwert nicht kalt werden von Blut!" predigte er und verhieß, die feindlichen Kugeln in den Ärmeln seines Mantels aufzufangen. Die bethörteu Leute wurden von den fürstlichen Landsknechten bei Frankenhausen an der Unstrut fast ohne Gegenwehr niedergemacht, Münzer selbst gefoltert und enthauptet, seine Leiche in eisernem Käfig aufgehängt.
Mindestens 100000 Bauern waren umgekommen, die anderen zerstreuten sich in ihre rauchenden Dörfer. Ihre Lage
wurde noch schlimmer als vorher; nur wenige Fürsten, wie der Landgraf Philipp von Hessen unb die Markgrafen von Baden, gewährten ihnen Erleichterungen. ES sollten noch manche Stürme über Deutschlaub hinbrausen, bis man einsah, baß ber Sauern-staub ber wichtigste ist von allen.
Etliche Jahre später errichtete bie Sekte ber „Wiedertäufer", welche sich für das auserwählte Volk Gottes hielten, zu Münster in Westfalen einen „christlichen Verband" mit Gütergemeinschaft und Vielweiberei. An ihrer Spitze stand, als „König des neuen Jerusalems" mit Krone unb Weltkugel geschmückt, ein wahnwitziger Bäckergeselle aus Harlem. Auch biefe Bewegung würbe nach hartnäckigem Wiberstanbe von den Fürsten erdrückt, ihre Häupter martervoll hingerichtet.
4. Karls V. Kriege unb bie Augsburger Konfession.
Den Wormser Reichstag hatte Karl V. berufen wegen /s^7 eines Krieges mit Frankreich, zu welchem er bie Beihülfe ber Staube gebrauchte. Der jugenbliche König Franz I. hatte unter bem Vorwanbe, von einer mailänbischen Fürstin abzustammen, bie reiche Hauptstabt ber Sombarbei weggenommen; ber Kaiser aber forderte sie als deutsches Sehen zurück. So zogen nun deutsche unb französische Ritter unb Söldner über die Alpen. Als Franz bie feste Stabt Pavia umschloß, stürm-
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ten die Kaiserlichen (Deutsche und Spanier) sein Heerlager im
1525 „Tiergarten bei Pavei". Wohl hießen seine Schweizer sie „gott-willkommen sein mit Kartaunen und mit Schlangen"; allein in zwei kurzen Morgenstunden war sein schönes Heer vernichtet, er selbst gefangen. „Alles ist verloren, nur die Ehre nicht," schrieb er seiner Mutter.
Karl V. besaß jetzt eine unerhörte Macht: Spanien mit Unteritalien und den amerikanischen Ländern, die eben jetzt unterworfen wurden; die Erbländer Habsburgs und Burgunds, die deutsche Kroue mit Mailand. Eben damals sollte noch Ungarn und Böhmen an sein Haus kommen. König Ludwig, der in einer Schlacht gegen die Türken fiel, war des Kaisers Schwager gewesen. Obgleich Sultan So lim an den größten Teil Ungarns eroberte, konnte Karl dennoch eines Reiches sich rühmen, in welchem die Sonne nicht unterging.
Darin lag aber eine Gefahr für die Nachbarn, namentlich für das rings von Karls Gebiet umschlossene Frankreich, welches seither Deutschlands Erbfeind geblieben ist. Mit einem Schlage sah sich der siegreiche Kaiser von Frankreich und dem Papst, von Mailand und Venedig, von Heinrich Tndors Sohn Heinrich VIII. und von den Türken angefallen.
Nun suchte er die Lutheraner durch Nachgiebigkeit zu ge-
1526 Winnen. Auf dem Reichstage zu Spei er erhielten die Stände die Erlaubnis, in Sachen des Glaubens es vorläufig so zu halten, wie sie es „vor Gott und Kaiserlicher Majestät" verantworten konnten. Alöbald traten unter Luthers und Melanch-thons Mitwirkung in Kursachsen und in der Landgrafschaft Hessen> in Lüneburg und Anhalt, ja bis nach Preußen und Livland hinein lutherische Landeskirchen ins Leben, deren Bischöfe die Landesherren waren. Auch eine Anzahl oberdeutscher Reichsstädte führten die neue Lehre ein und verwendeten das Vermögen der aufgehobenen Klöster zur Errichtung von Volksschulen. Auch Dänemark und Schweden schlossen sich an die neue Lehre,
Dafür strömten nun auch die Deutschen, vorab die Lutherischen, in hellen Haufen dem Kaiser zu. Sein Feldhauptmann Georg F rli n d s b e r g führte sie über die Alpen. Auf schmalem Saumpfad schritt er zwischen zwei Landsknechten, welche eine Lanze zur Stütze vorhielten, damit der dicke Herr nicht in den Abgrund stürze. Die Aufregung infolge einer Meuterei brachte dem alten Kriegsmanue bald nachher den Tod; aber die Kaiserlichen, Deutsche und Spanier, erstürmten Rom und füllten die „ewige Stadt" mit Mord und Verwüstung.
Triumphierend über alle Feinde ließ der Kaiser durch seinen Bruder Ferdinand auf dem zweiten Speierer Reichstag
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die neue Lehre wieder verbieten. Gegen diese Maßregel reichten 1529 die lutherischen Fürsten eine Rechtsverwahrung, einen „Protest" ein, von welchem sie die Bezeichnung Protestanten erhielten. Unbeirrt jedoch um die unfreundliche Haltung des Kaisers haben sie, als Solimau mit „Rennen und Brennen" vor Wien erschien,
Hülfe geleistet gemäß ihrer Pflicht, welche Martin Luther ihnen eindringlich vor Augen stellte./
Bald nachher kam ein allgemeiner Friede zustande, und Karl eilte von Bologna, wo der Papst ihm an seinem 30. Geburtstag die Römerkrone aufs Haupt fetzte, nach Augsburg.
Dort auf dem Reichstag ließ er sich das Augsburgische Glaubeusb e k eunt nis vorlesen. Aber dem Geiste milder 1530 Versöhnlichkeit, welcher Melanchthon bei der Abfaffnng dieser Urkunde geleitet, war er unzugänglich. Er forderte von den Protestanten bis zum Frühjahr die Unterwerfung unter ein Konzil. Da war der Zwiespalt unvermeidlich. Mit nassen Augen ritt der greise Kurfürst Johann der Beständige, Friedrichs des Weifen Bruder, von seinem Kaiser weg.
Nur die Besorgnis vor einem neuen Kriege mit Türken und Franzosen hinderte Karl, Gewalt anzuwenden. Die bedrohten protestantischen Fürsten aber schlossen zu Schmalkalden im Thüringer Walde zur Verteidigung ihres Glaubens ein Bündnis, welches nach dem Beitritte der großen Städte, wie Magdeburg und Lübeck, vom Bodensee bis zur Ostsee reichte.
So mußte der Kaiser endlich den Nürnberger Religionsfrieden gewähren, nach welchem bis zu einer allgemeinen Kirchenversammlung die Stände um des Glaubens willen einander nicht anfechten sollten.
Vor den Streitkräften, welche das wieder geeinte Deutsck-laud ins Feld stellte, reich der Sultan ohne Schlacht aus Österreich und Steiermark. Aber er führte 30000 Gefangene aus dem verheerten Lande mit in die Sklaverei.
5. Zwingli und Calvin.
In der Schweiz bekämpfte der Humanist und Theologe Hulbrich Zwingli die kirchlichen Mißbrauche. Von den italischen Kriegsfahrten, auf welchen er Schweizer Söldner als Feldprediger begleitete, verblieb ihm der Widerwille gegen bas „Reislaufen", die Unsitte feiner Landsleute, ihr Blut fremden Fürsten zu verkaufen. Als Pfarrhelfer in Einsiebeln wie als Leutpriester am Großmünster in Zürich predigte er gewaltig von Gottesfurcht, Gottesliebe, Unschuld als beut Kern aller Religion. Unter der Erregung über den Ablaßhandel beseitigte
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er im Einverständnis mit dem „Großen Rat" unb der Bevölkerung Zürichs alle kirchlichen Einrichtungen und Gebräuche, welche dem Wortlaute der Bibel widerstrebten. Diese Reform fand auch Eingang in Bern und St. Gallen, in Glarus und Schaff-hausen. Dagegen schlossen sich die „Fünskantone" Uri, Schwyz und Unterwalden, Zug und Lnzern eng an den alten Feind der Eidgenossen, an Österreich./
Angesichts des drohenden Kampfes wünschten die Schweizer „Reformierten" eine Verständigung mit den deutschen' Protestanten. Aber eine Unterredung Zwinglis mit Luther, welche Landgraf Philipp vonHessen ans seinem Schlosse zu Marburg veranstaltete, blieb erfolglos. Luther wich nicht von seiner Abendmahlslehre und verwarf den Krieg mit dem Kaiser. Als auf Zwinglis Betreiben Zürich und Bern den kleinen Fünfkantonen die Zufuhr an Korn, Wein und Salz abschnitten, brachen die Bedrängten hervor aus ihren Bergen; an der Zuger Grenze 1531 bei Kappel erlitten die Züricher eine schwere Niederlage. Zwingli, der als Feldprediger mitgegangen, lag unter den Toten. Der Ausbreitung der Reformation war eine Schranke gesetzt^ Dagegen erfolgte ein Zuwachs aus bem Boden romanischer Zunge. Gens wehrte sich seiner Unabhängigkeit gegen seinen Bischof ititb ben Herzog von Savoyen und trat, um Berns Hülfe zu gewinnen, der Eidgenossenschaft und der neuen Lehre bei.
Aber erst dem Franzosen Johannes Calvin gelang die sittliche Reform. Aus dem üppigen Genf machte er das Muster einer christlich frömmelt Stadt. Er selbst lebte trotz der großen 1564 Macht, die er bis zum Tode besaß, wie ein Einsiedler, streng gegen sich unb seine Mitbürger. Von ihm veranlaßte Gesetze beschränktes ben Aufwand in Kleidung und Mahlzeiten und verboten Tanz und Wirtshausleben, aber auch ben Bettel; Spieler würben mit ben Karten in ber Hattb an den Pranger gestellt. Denn die Erwachsenen sollten betend unb arbeitend Vorbilder sein für bie Kinder, bereit Erziehung Calvins wichtigste Sorge war. Das Elternhaus sollte sie an Bescheidenheit, die Schule an die Arbeit gewöhnen, von welcher allein die Wertschätzung eines Menschen abhangen dürfe. Darum sollte jedes Kind einem Handwerke sich widmen; ber Reformator selbst bemühte sich, die Sammt- und Uhrenfabrikation in Genf einzubürgern.
Auch eine Hochschule (Akademie ober Kollegium) hat Calvin ' >»s Leben gerufen; von ihr siitb bie Reformatoren Frankreichs unb Schottlands ausgegangen.
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6. Der Schmalkalden er Krieg. Moritz von Sachsen.
Kaiser Karl hatte ein rastloses Leben. Kriege gegen Franzosen und Türken wechselten mit Zügen gegen die „Barbaresken" Nordafrikas, welche durch frechen Seeraub den Handel Spaniens und Uuteritaliens lahmlegten. Inzwischen bildeten sich weitere Landeskirchen. Von den eigenen Unterthanen vertrieben, hatte der gewaltthätige Herzog Ulrich von Württemberg der neuen Lehre sich zugewendet unb brachte sie, als Landgraf Philipp ihn mit Waffengewalt wieder einsetzte, in seinem Lande zur Herrschaft; auch die neuen Herzoge von Sachsen und Braunschweig traten dem Schmalkalbener Bunbe bei; ber Übertritt bes jungen Kurfürsten Joachim II. von Branbenbnrg bereitete bem Protestantismus ben Sieg in ganz Norbbeuischlanb.
Kaum hatte daher der Kaiser Frieden nach außen, als er gegen die Schmalkalbener rüstete, um bie Glaubenseinheit im Reiche herzustellen- Päpstliche unb spanische Truppen waren im Anmarsch gegen bie zaudernben Protestanten; bie Reichsacht erging gegen Johanns bes Beständigen Sohn, ben Kurfürsten Johann Friebrich, unb ben Landgrafen; und während beibe Fürsten unthätig in Schwaben stauben, brach Herzog Moritz von Sachsen, trotz protestantischer Gesinnung betn Kaiser verbüubet, in Kursachsen eiu. Da eilte Johann Friebrich heim, bem ehrgeizigen Jüngling bie Beute zu entreißen, unb Oberdeutschland mit seinen blühen ben Stabten unterwarf sich ben Kaiserlichen.
Nur bas geächtete Konstanz hat sich in erfolglosem Helbenkarnps auf ber Rheinbrücke um feine Freiheit gewehrt. /
Im nächsten Frühjahr zog Karl an ber Elbe hinunter Moritz zu Hülfe. Während Kurfürst Johann Friebrich in Mühlberg beut Sonntagsgottesdienst anwohnte, schwammen zehn Spanier, den Degen zwischen beit Zähnen, über bie Elbe, mit bie zum Brückenbau erforderlichen Kähne auf bem rechten Ufer zu holen. Aus ber Kirche tretenb, sah ber Kurfürst sein Heer in voller Flucht. Der schwere Herr erstieg mittels einer Leiter alsbalb sein Schlachtroß, würbe aber gefangen unb blutend vor 1547 ben Kaiser geführt, ber ihn sehr nngnäbig empfing. Mit unerschütterlicher Seelenruhe nahm er, ber „Großmütige", sein Todesurteil, wie nachher dessen Umwandlung in „ewige Gefangenschaft" entgegen. Sein Land mit der Kurwürbe erhielt Moritz als Preis für seinen Verrat. Laub gras Philipp that in Halle Fußfall ititb Abbitte vor bem Kaiser, auf dessen Verzeihung er rechnete.
Auch er würbe in engem Gewahrsam gehalten zum tiefsten Verbrusse feines Schwiegersohnes Moritz, ber sich für feine Be-
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gnadlgung verbürgt hatte. Zugleich machte ihn Karls Gedanke ttatt seines Bruders Ferdinand seinen finsteren Sohn Philipp zum deutschen Könige wählen zu lassen, um den Fortbestand des Protestantismus wie um die Freiheit der deutschen Fürsten be-)orgt.^ Er entschloß sich beide zu retten.
, In größter L-tille verband er sich mit anderen Fürsten beider Konfessionen, auch mit König Heinrich II. von Frankreich. Wahrend dieser die lothringischen Städte Metz, To ul und Verdun mit treuloser Gewaltthat an sich riß, zog Moritz eilig durch die Ehrenberger Klause auf Innsbruck, um den alten Fuchs in feiner Höhle" zu fassen. Nur mit äußerster Muhe und Gefahr entrann der kranke Kaiser das Pustertbal hinunter nach Villach in Kärnten/
Der Protestantismus war gerettet. Mit Jubel begrüßte die Heimat die befreiten Fürsten. Das Ernestinische Haus erhielt statt der Kurlaiide, welche an den Albertiner Moritz sielen die Landschaften, ans welchen seither die sächsischen Herzogtümer erwachsen sind. An Johann Friedrichs Seite zog der hochbetagte LnkaS Kr an ach in Weimar ein. Die treue Künstlerseele hatte beit Kaiser erst um die Freilassung des geliebten Herrn gebeten und dann freiwillig dessen Haft geteilt.
r. S /»cm Reichstage zu Augsburg einigten sich schließlich Katholiken und Protestanten Augsburger Bekenntnisses ans einen Religionsfrieden, nach welchem sie einander wenigstens nicht mehr verbrennen wollten. Die weltlichen Fürsten erhielten die Befugnis, für sich und ihre Unterthanen die Glaubenssorm zil bestimmen (cuius regio, eins religio) • wer sich ibi ein Gebote nicht fügen wollte, durfte auswandern nach dem Rechte der Freizügigkeit; für Kirchenfürsten wurde katho-Iischerseits der „Geistliche Vorbehalt" verlangt, daß sie beim Übertritte zum Luthertum ihre Länder verlieren sollten. Lauter Grundsätze, welche neue Stürme entfesseln konnten.
7. Albrecht Dürer.
_ Der Humanismus und die Auffindung neuer Länder und vanbelswege brachte fremde Blumen bes Sübens nnb Ostens ^iilpeii unb Nelken, Flieber unb Hyacinthen, nach Europa: aber auch frische Bewegung, einen wahren Völkerfrühling. „Die Geister wachen auf, bie Wissenschaften blühen," schrieb Hutten-„es ist eine Lust zu leben." Die Poesie zwar hat nur auf einzelnen Gebieten Großes hervorgebracht; um so herrlicher entfaltete sich bie deutsch^ Kunst, ochort im 15. Jahrhundert war „bei- hohe Dom zu Köln" mit lebensvollen Bilbern geschmückt
worden; im sechzehnten trat die deutsche Kunst der italienischen ebenbürtig zur Seite. Städte wie Nürnberg, Augsburg, Rotenburg au der Tauber verkünden durch ihre Bauwerke noch heute den Kunstsinn jener großen Zeit der deutschen „Renaissance".
Der König der deutschen Maler war Albrecht Dürer. Sein Vater war als ungarischer Goldschmied aus die Wanderschaft gegangen, hatte lang in den Niederlanden gearbeitet, wo durch die Prachlliebe der burgundischen Herzöge eine üppige Kunstblüte gereift war, uud endlich iit Nürnberg.als Gatte einer-dortigen Goldschmiedstochter seine Werkstatt ausgeschlagen. Sein Sohn Albrecht erlernte zuerst das Gewerbe seines Vaters und Großvaters; aber schon als Lehrling zeichnete er. mit erstaunlich sicheren Strichen sich selbst „aus einem Spiegel". Der Vater gab ihn daher einem bedeutenden Maler in die Lehre. Als Malergeselle durchstreifte Albrecht sein Vaterland und wohl auch den Norden Italiens- Dabei hat er zuerst die Natur als große Malervorlage erkannt und neben dem Bildnis auch das Landschaftzeichnen geübt. Seine nach der Rückkehr geschlossene Ehe mit der Künstlertochter Agnes Frey blieb kinderlos; dafür ruhte seit dem frühen Tode des Vaters auf ihm die Sorge für sein Mütterlein und eine Schar Geschwister. Der junge Künstler hat seine Sohnes- und Bruderpflicht redlich erfüllt.
Unglaublich war seine Thätigkeit. „Ein guter Mater ist inwendig voller Figuren": diesen seinen Ausspruch bestätigten seine zahlreichen Bildnisse und Altargemälde, dann aber auch seine Holz- und Kupferstiche. Denn auch diese Künste hat er auf eine nie dagewesene Höhe emporgehoben.^ Seine Gemälde zählen heute noch zn den Perlen der großen Sammlungen ganz Europas; seine Stiche sind überall zu sehen: seine „Apokalypse" (Holzschnitte zur Offeubarung Johannis) mit den vier todbringenden Reitern, seine „Große" uud „Kleine Passion" (Leidensgeschichte Christi) und sein „Marienleben". Namentlich in der letztgenannten Bilderreihe hat er neben der ganzen Fülle landschaftlicher Schönheit all den Reichtum deutschen Geistes und Gemütes niedergelegt. Wer hätte nicht seine Lust an der „Ruhe in Ägypten", wo der heilige Joseph wie ein deutscher Zimmermann im Hof eines deutschen Hauses einen Trog behaut, während ein halbes Dutzend Engelsknaben mit drolligem Eifer die Späne zusammenlesen und nebenbei noch zu kindlich fröhlichem Dpiel Muße finden, die heilige Jungfrau aber im Schmuck ihrer hellen Locken recht wie eine deutsche Hausmutter am Spinnrade sitzt, die Wiege ihres göttlichen Kindes vor sich, umgeben von Schutzengeln, und hoch in den Lüsten schwebt Gott Vater im lang wallenden Mantel, die Weltkugel in der Linken, die Rechte zum Segnen
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erhoben, unb unter ihm bie lichtumflossene Taube deS heiligen
Geistes! — Der berühmteste Kupferstich Dürers ist ber geharnischte Ritter mit Hund unb Lanze, ber auf schwerern Rosse,
von seiner Burg herabkommend, durch ben felsichten Wald hinreitet seiner Pflicht nach, unbekümmert um Tob unb Teufel, bie ihn lauernb umgeben: ein echter deutscher Mann, wie Albrecht Dürer.
Denn der große Meister lebte unb wirkte wie bie Humanisten mitten in ber Welt; für bas Leben in Staat unb Kirche hatte er volles Verständnis. Auf mehreren seiner Silber bezeichnet er sich stolz: „ein Deutscher"; seine Frömmigkeit bekundet vor allem sein großartiger Holzschnitt eines ChristuS-kovses mit ber Dornenkrone (Ecce homo!). Dennoch Hielt er sich auch ein volles Jahr in Italien auf, wo er von ben Malern Venebigs hochgeehrt unb wohl auch beneibet würbe. Mächtig fesselte ihn bas schöne Lanb: „Wie wird mich nach der Sonnen frieren!" schrieb er einem Freunde. Eben so lang weilte er in den Niederlanden, als Kaiser Karl auf der Reise nach Worms bort hin kam.
Unter ben weltberühmten Männern, welche von ihm gemalt sein wollten, stand ihm Kaiser Max am nächsten; noch auf dem letzten Reichstag zu Augsburg saß ihm der „teure Fürst" zu einer Zeichnung. Die Vertiefung des religiösen Gefühles, welche die Reformation bei ihren Anhängern und Gegnern bewirkt hat, begeisterte ihn zu den „vier Aposteln": berrliche lebensgroße Gestalten auf zwei fchmaten_£afeln, Johannes und Petrus, Paulus und Markus. Dieser totolz der Alten Pinakothek (Gemäldesammlung) in München war des großen Malers letztes Werk.
1528 57 Jahre alt starb er im Jahr 1528 und ruht auf bem Jo-hanniskirchhof feiner Vaterstabt.
Mit- und Nachwelt stellten dem Nürnberger Meister höchstens den jüngeren Hans Holftein aus Augsburg an die Seite, der meist in Basel und in England thätig war. Es war überhaupt eine stattliche Anzahl namhafter Künstler, welche in jenem Jahrhundert wirkten. Denn mit der zunehmenden Sicherheit der Straßen gedieh in Deutschland Reichtum und Behagen wie nie zuvor, unb bie Prachtentfaltung ber Höfe und Städte ermunterte unb nährte die deutsche Kunst. In Nürnberg schuf der Steinmetz Adam Kraft das Sakramentshäuschen in der Lorenzkirche, ber Rotgießer Peter Bischer baS Sebalbusgrab. Durch sie stieg das Kunstgewerbe zu einem nie gesehenen Glanze. Gleichfalls in Nürnberg schuf der große Goldschmied Wemel ftamnitzer
1588 Werfe von ewig mustergültigem Geschmacke. Pokale und Tafelaufsätze, Schmuckkästchen und Standuhren (nebst »Nürnberger
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Eiern"), Kruzifixe unb Harnische: Kunstwerke, bie heute noch burch gebtegeiie Schönheit bie Bewnnberung ber Welt erregen im Grünen Gewölbe zu Dresben, in ber Kaiser!. Schatzkammer zu Wien, im Berliner Museum.
Unb biese Meister alle fanben bei ihren Mitbürgern 33er-stänbnis unb Anerkennung; bie höchsten Bürgerehren würben ihnen erwiesen. Ihre Werke schmückten bie Rathäuser unb Kirchen ber Stabte. Auch bie großen Hanbelshäuser waren Heimstätten ber Kunst unb ber feinsten Bilbung. Bei Fugger in Augsburg war Karl V. zu Gast, unb bessen Nesse Erzherzog Ferbinanb wählte bie Tochter eines Kaufherrn berselben Stabt, bie anmutige Philippine Welser, zu seiner Gemahlin.
Es war bie glücklichste Zeit, bie unser Vaterlanb bisher erlebt hatte.
II. Die Kämpfe der Gegenreformation.
J. Ignatius von Loyola.
Der siegreichen Ausbreitung ber protestantischen Lehre trat bie Gesellschaft Jesu entgegen.
Iuigo (Ignatius) von Loyöla, aus einem ber ersten Abelsgeschlechter ber baskischen Provinz Guipüzcoa am Fuße ber Pyrenäen, biente als Page am Hose Ferbinanbs von Arragonieu, bis Liebe zum Ruhm ihn in bie Armee führte, in welcher seine sieben Brüber mit Ehren bienten. Im Kriege gegen Franz I. hals er Pampelona »erteibigen; vor ber Bresche ber Citabelle, bie er nach bem Falle ber Stabt noch halten wollte, warb ihm ein Bein zerschmettert. Die Franzosen brachten ben tapferen Ritter voll Achtung auf sein väterliches Schloß Loyola.
Aus bem langwierigen Krankenlager las er Ritterromane unb vertiefte sich in Heiligengeschichten. Da reifte in ihm ber Entschluß, auch ein Streiter Christi zu werben; bie Heiligen Franciscus unb Dominikus würben feine Vorbilber. Er warf sich oft mitten in ber Nacht vor bem Bilbe ber Heiligen Jungfrau zum Gebete nieber. Leiblich hergestellt — er blieb hinfenb — hielt er in ber Beiiebiktiner-Abtei auf bem Berge Monserrat in Katalonien, wie ein Ritter vor ber Schwertleite, bie Nachtwache am Altar ber Jungfrau, betenb unb weiiienb, ben Pilger-stab in ber Hanb. Statt beS ritterlichen Gewanbes hüllte er
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sich fortan in einen Sack ober ein härenes Bußgewanb nnb gürtete sich mit einem bicfen Seil, auch wohl mit eiserner Kette. Dreimat täglich geißelte er sich, sieben Stuuben tag er im Gebete; seinen Unterhalt erbettelte er vor ben Thüren. Ab ertrotz alles Betens unb Fastens unb aller Selbstreinigung fanb er feine Ruhe; ja bie Seelenangst trieb ihn bis zu Selbstmorb-gebanfeu.
Enblich nach toieberhotten Wunbern gewann Ignatius bie Kraft, seine Zweifel zu übenninben. Er begann mit Erfolg Bußprebigten zu hatten unb Kinber zu unterweisen; er that eine Wallfahrt nach Jerusalem, um bie Christen im Gelobten Laube zu stärken unb bie Sarazenen zu bekehren. Aber bort untersagten ihm bie Kirchenoberen zu prebigen, weil er Weber Vor-fenntniffe noch Vollmacht besaß.
Er kehrte zurück unb verlegte sich eifrig auf bas gelehrte Stnbium. Obgleich schon tief in ben Dreißigen, setzte er sich in Barcelona, bann in Alcala bei Mabrib auf bie Schulbank, um Latein zu lernen. Er lebte vou Almosen; fein Leben wie seine Prebigten lenkten mehrmals ben Verbacht ber Ketzerei auf ihn. Sieben Jahre lang weilte er in Paris, um Philosophie unb Theologie zu stubieren. Dort verbaub er sich mit einigen jungen Spaniern unb Franzosen feierlich zu einer Be-kehrungs-Wallfahrt nach Palästina, _unb als in Venebig binnen Jahresfrist feine Gelegenheit zur Überfahrt sich bot, begaben sie sich nach Rom. Schon bamals bezeichneten sie sich als bie „Kompagnie Jesu"; beim als Solbateu, bereit höchste Tu-genb ber Gehorsam, wollten sie Christus bienen als bem Felb-hauptmann im Kampfe gegen ben bösen Feinb.
Auf ben Straßen Veuebigs unb Roms mahnten sie in feurigen Prebigten zur Buße; eine Hungersnot, welche ber ungewöhnlich harte Winter verfchulbet, gab ihnen Gelegenheit, ihre Nächstenliebe zu bethätigen. Sv gewannen sie bas Vertrauen bes Voltes wie bes Papstes Pauls III. „Der Himmel hat uns ben Eintritt in Palästina verschlossen, um uns bie Welt zu eröffnen," rief Loyola. Durch eilte feierliche Bulle gab ber 1540 Papst dem Jefuiten-.Dr b eit bie Genehmigung, welcher „unter Christi Fahnen Gott bienen" wollte unb bie Fürsorge für bas Seelenheil wie bie Ausbreitung bes wahren, b. h. katholischen Glaubens, bie Abhaltung geistlicher Übungen unb frommer Werke, bie unentgeltliche Erziehung ber Jugeitb, Beichtehören unb Krankenpflege als feine höchsten Ausgaben ansah. Neben ben gewöhnlichen Mönchsgelübben war ber Jesuit zu rückhaltlosem Gehorsam ausschließlich gegen bie Befehle seines Vorgesetzten unb bes Papstes verpflichtet, gleichviel ob er unter Türken
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und Heiden, zu Ketzern oder Katholiken geschickt wurde; ein strenger Dienst! Zumal da er inmitten der Anfechtungen der Welt verrichtet werden sollte. Denn die Jesuiten wurden bald von dem Zwange gemeinsamen Lebens wie auch eines gemeinsamen Ordenskleides entbunden. Mit vollem Rechte warnte die Bulle, dem Orden beizutreten, ehe man mit sich genau zu Rate gegangen; dem Orden wurde sorgfältige Prü-sung seiner Anwärter und Lehrlinge (Novizen) zur Pflicht gemacht. Denn die Ordenspflicht verlangte den ganzen Menschen; mit der Ausnahme lösten sich alle Bande der Familie wie des Staates.
Ignatius von Loyola wurde der erste „General" des Ordens; aus der Zahl seiner Freunde war der hochgebildete Spanier Franciscus 3: ct v e r ti: 8 damals bereits unterwegs nach dem portugiesischen Indien, dessen „Apostel" er werden sollte. In kurzem bedeckten sich die Appenninische und die Pyrenä-ische Halbinsel sowie die spanischen und portugiesischen Kolonien mit den Kollegien der „Gesellschaft Jesu".
2. Philipp II.
Karls V. Hoffnung, in Deutschland die Glaubenseinheit r ^ herzustellen, war durch den Augsburger Religionsfrieden end- " ' ~ gültig vereitelt. Krank und schwermütig legte er alle seine Kronen nieder. In Deutschland und Ungarn folgte ihm sein Bruder Ferdinand I.; Spanien nebst den Niederlanden nnd 5® ■ ^
den Besitzungen in Italien und Amerika übergab er seinem ^-ohne Philipp II. Er selbst verbrachte den kurzen Lebens- /fTv ■. > abend in einem bescheidenen Gartenhause, welches er neben dem Hieronymitenkloster San Inste in den Bergen Estremaduras hatte bauen lassen.,
Philipp II war der eifrigste Förderer der Gegenreformation, des von den Jesuiten entfachten Strebens, die Alleinherrschaft der alten Kirche zu erneuern nach den strengen Grundsätzen, die auf dem großen Konzil zu Trient eben-damals vereinbart wurden. Philipp war vielleicht der kenntnisreichste und fleißigste Mann in seinen weiten Reichen; er bezeichnete sein Königsamt als das mühevollste von allen; selbst auf den Spazierfahrten las er in den Papieren, die seinen Wagen füllten. Die einzige Erholung bot ihm der Aufenthalt in seinem Lustschloß Aranjnez (am Tajo)^ mit seinen schattigen Gärten oder in seinem Kloster-Palast Eskurial in der Sierra Guadarama, welchen er während einer siegreichen Schlacht des niederländischen Grafen Egmont gegen die Franzosen gelobt
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hatte. Aber auch hier war er verschlossen und schweigsam; er mißtraute seinen treuesten Dienern. Damit niemand seine Gedanken erlausche, umgab er sich mit einer streng abgemessenen Hofsitte (Etikette), welche bald, wie die spanische Hoftracht, an alleu Höfen Eingang fand. Widerspruch duldete er nie; sein unbotmäßiger Sohn, der Kronprinz Don Carlos, starb in der Haft, welche er über ihn verhängte.
„Die Kirche zu schirmen und ihre Widersacher zu züchtigen," galt dem finstern Monarchen, der keine Messe, keine Prozession versäumte, als die Hauptaufgabe seines Lebens. Ohne Schonung und Ansehen der Person verurteilte seine Inquisition die Ketzer, uud das königliche Gericht verbrannte sie in feierlicher ../ . „Glaubenshandlung" (Auto dt* fe). Einem vornehmen Spanier,
^J welcher zum Tode geführt wurde, rief er zu: „Ich würde Holz tragen zuin Scheiterhaufen meines eigenen Sohnes, wenn er ein arger Ketzer wäre wie du!"
Schwer litt das Volk unter dem Glaubenseifer des Königs. An den Hängen der Sierra Nevada und ihrer Ausläufer, der Alpujarras, bauten die Nachkommen der Mauren, die Moriskos , immer noch ihre Weinberge und Kornfelder, ihre Gärten voll Granaten, Myrten und Maulbeeren; fleißige, rechtliche Leute, welche freilich dem Christentum bis jetzt nur äußerlich angehörten. Da verbot ihnen ein Machtspruch des Herrschers ihre eigene Kleidung uud Sprache, ihre Bäder und Tänze. Verzweifelnd schmiedeten sie sich Waffen und wählten den schönen Jüngling Mutet), der einem alten Kalisenhans entstammte, zu ihrem Könige. Um die Weihnachtszeit überfielen sie plündernd die Kirchen, mordeten die Männer zu Tausenden und tauschten die Christenfrauen unb Kinder auf den Märkten Afrikas gegen Sklaven aus; Greuel, welche bie einbringenden spanischen Milizen (Bürgerheere) reichlich vergalten. Endlich übertrug Philipp die Leitung des Krieges seinem Halbbruder Don Johann von Österreich (Juan de Austria). Der jugendliche Prinz wußte den Mut der Truppen zu heben und die Plündernden zu beschämen durch machtvolles Wort: „Seid ihr Spanier und wißt nicht, was Ehre heißt?" Er stürmte die Felsennester der Empörer, allen voran die Höhen erklimmend; viele Feinbe gewann er durch Milbe. So würbe er endlich Herr des Aufstanbes. Aber ihm würbe weh ums Herz, als er bie Morisken in langem Zuge laut wehklagend» aus ber blühenben Heimat in bie neuen Wohnsitze ziehen sah, welche ber König ihnen anwies. Seither ist bie Vega (Ebene) von Granäda verödet.
Als Philipp II. gegen die immer noch vordringenden Türken gleich nachher mit bem Papst Gregor XIII. unb ben Seestäbten
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Venedig und 'Genua eine „Liga" schloß, wurde Don Johann zum „Generalissimus" der 200 Segel starken Bundesflotte ernannt. Hier hoffte er unter Gottes Beistand „ohne fremde Flügel zu fliegen". Am Eingänge des Korinthischen Meerbusens, unweit der Handelsstadt Lepanto, traf er an einem klaren 1571 Oktobersonntag die bedeutend überlegene Türkenflotte. Nach einer Musterung feiner Schiffe und einem allgemeinen Gebete gab der Kaiserssohn, im Schmucke seiner blonden Locken und in strahlender Rüstung auf dem Verdecke stehend, das Zeichen zur Schlacht gegen den Feind, der bisher auf dem Meere für unbesiegbar galt; und freudigen Mutes, „fertig zum Tode", wie er sagte, folgten Spanier und Italiener dem geliebten Admiral; alle faßte die grimmigste Mordlust. Der 24jährige Dichter Cervantes kam mit fieberglühenden Wangen vom Krankenbett auf das Deck, um mitzukämpfen, und als ihm die linke Hand zerschossen wurde, rief er: „Wunden find Sterne, die in den Himmel der Ehre geleiten". Einzelne Galeeren verloren ihre ganze Mannschaft; Don Juan selbst war verwundet. Aber schließlich wichen die Feinde; ihr Führer war wund ins Meer gestürzt; seine beiden Knaben sielen in des Prinzen Hand, der sie voll Güte tröstete und dem Papste schenkte. 12000 gefangene Christen, die man auf erbeuteten Schiffen fand, erhielten die Freiheit. Der Admiral räumte feinen Verwundeten die besten Kajüten ein und verteilte unter sie eine große Summe Geldes, welche die Stadt Messina ihm verehrte. Glücklich wurden die Toten gepriesen, die im Glaubenskriege verblutet.
König Philipp nahm die Siegesbotschaft ohne Erregung auf: „Don Inan hat viel gewagt," sprach er. Der greife Papst brach in Thränen aus. Ju Spanien meinte man schon, Konstantinopel und Jerusalem durch den deutschen Helden erobert zu sehe». Aber die selbstsüchtigen Venetianer machten Frieden, die Liga löste sich auf, und der größte Sieg des Jahrhunderts blieb ohne Folgen zum großen Schmerze Johanns, dessen ganze Hoffnung auf den Türkenkrieg gerichtet war.
3. Der Freiheitskampf der Niederländer.
Das schöne Erbe seiner Großmutter Maria von Burgund, die siebzehn Landschaften im Mündungsgebiete von Rhein, Maas und Schelde, hatte Karl V. iit feierlicher Versammlung zu Brüssel seinem Sohn übertragen. Es war seine Heimat, sein Lieblingsland. Philipps unnahbare Haltung entfremdete die Niederländer, sein herrisches Wesen verletzte ihren Freiheitsstolz. Zudem kränkte er die Rechte der Provinzen. Er ließ spanische
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Truppen im Land und vermehrte die Zahl der Bistümer von drei auf siebzehn. Der Adel machte der Regierung Vorstellungen; in den flandrischen Küstenstädten erschlug ein calvinistischer Pöbel-hanse die Priester und plünderte die Kirchen.
Da ersetzte der König die Statthalterin, seine Stiefschwester Margarets von Parma, durch den Herzog von Alba, seinen treuesten L-taatsmann und Feldherrn, der vor allem die Reinhaltung des Glaubens und die Bestrafung der Bilderstürmer anstrebte. „Gegen Ketzerei hilft nur Fener und Schwert," meinte er. Um seine gefürchteten Krieger zu löhnen, schrieb er unbefugt Stenern und Zölle ans; vor allein aber errichtete er zur Aufrechthaltuug der Ordnung einen „Rat der Unruhen", welcher vom Volke wegen seiner massenhaften Todesurteile der Blutrat geheißen wurde. Selbst der hochverdiente Graf Egmont •1568 mußte auf dem Marktplatze zu Brüssel das Schaffet besteigen, und Alba gestand, ehe Milde walten dürfe, müßten noch 800 Köpfe fallen..
Während nun der Adel, welchen die spanischen Räte wegen seiner Schulden höhnten, unter dem Namen Geusen (gueux Bettler) zu den Waffen griff, führte Graf Wilhelm von Oranien, der große „Schweiger", deutsche Söldner ins Land und entfesselte den 80jährigen Freiheitskampf der Niederländer. Zu spät wurde Herzog Alba abgerufen. Selbst der ruhmgekrönte Don Juan, der späterhin an seine Stelle trat, erschöpfte vergebens seine junge Kraft. Aus Mißtrauen gegen Spanien vereitelte Oranien die den „Staaten" angebotene Aussöhnung, und der Sieger von Lepanto starb gebrochenen Herzens an der Pest, die ihn erfaßte, als er seinen kranken Soldaten tröstend seine letzte Barschaft verteilte./
Seinem Nachfolger, Margaretas Sohu^Alexander Farnese von Parma, gelang es mit Mühe, das katholische Belgien zu behaupten und das glänzend verteidigte Antwerpen, damals die erste Handelsstadt Europas, zu erobern. Holland und die übrigen vorwiegend calviuistischeu Provinzen, welche heute das Königreich der Niederlande ausmachen, wahrten ihre Unabhängigkeit mit Hülfe der Königin von England.
4. Elisabeth von England und Maria Stuart.
Als der Papst sich weigerte, den zweiten Tudor H einrich VIII. von seiner spanischen Gemahlin zu scheiden, löste dieser eigenmächtig die Ehe und riß sich und sein Volk von Rom los. Aber erst unter Heinrichs jüngster Tochter Elisabeth wurde nach blutigen Kämpfen die Anglikanisch e Kirche endgültig begründ et.
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Ihr Oberhaupt war der Träger der Krone, von welchem die Lehre bestimmt, die Geistlichen ernannt wurden. Dem Glaubensgehalte nach gehörte die Kirche zum Calvinismus, behielt aber, in englischer Sprache, die alten Gebete sowie die bischöfliche Würde bei, doch ohne dieselbe als göttliche Einrichtung zu betrachten. Von der Prachtentfaltung und den symbolischen Handlungen des alten Glaubens eignete sie sich das Chorkleid des Priesters an und das Zeichen des heiligen Kreuzes. Die „Nonkonformisten": die Puritaner, die Anhänger des „lauteren" Evangeliums, und die Papisten (Katholiken) wurden alle mit derselben Härte verfolgt.
Aber auch von den Puritanern ward Elisabeth dankbar verehrt, weil sie nach innen und außen den Frieden wahrte, in dessen Schutze der englische Handel sich ausdehnte und der aufblühende Wohlstand die Bildung des Volkes hob. Als einem Puritaner vor Gericht eine Hand abgeschlagen wurde, schwang er mit der anderen den Hut und rief: „Gott erhalte die Königin !"
Dagegen galt sie den Katholiken nicht als rechtmäßige Herrscherin, weil Heinrich VIII. ihre Mutter ohne die Zustimmung der römischen Kirche geheiratet hatte. Dreißig Jahre lang machte die Erbin des schottischen Thrones, Maria Stuart, ihr die Krone Heinrichs VIII. streitig, dessen Schwester ihre Großmutter gewesen war. Nach dem frühen Tod ihres Gemahls, des Königs Franz II. von Frankreich, kehrte die jugendschöne Fürstin in ihre Heimat zurück. Dort hatte der Protestantismus bereits Wurzel gefaßt, während Maria am französischen Hofe katholisch erzogen war. Den rücksichtslosesten Prediger der neuen Lehre, John Knox, hatten ihre französischen Soldaten auf die Galeere geschmiedet. Er entkam und ward in Genf ein eifriger Schüler-Calvins; nach der Heimkehr riß er das Volk durch seine Predigten hin, daß es die Altäre umstürzte unb die Klöster zerstörte. Diese „Presbyterianer" begegneten Maria mit feindseligem Argwohn.
In ihrer Bedrängnis vermählte sie sich mit ihrem Vetter Heinrich Darnley. Eine Stütze sand sie an ihm nicht. Ans sein Anstiften ward ihr Sekretär, der Italiener David Riccio, an Marias Tische von einigen Großen niedergestoßen, welche sich von keinem „Dienstboten" beherrschen lassen wollten. Bald darauf flog das Landhaus bei Glasgow, in welchem Heinrich krank gelegen, in die Luft, und die verblendete Fürstin reichte dem mutmaßlichen Urheber dieses Verbrechens, dem gewaltthätigen Grafen Bothwell, die Hand. Entrüstet erhob sich der Adel gegen sie. Von ihren Truppen verlassen, ward sie gefangen auf ein Bergschloß gebracht. Als der herzhaften Frau auch ein zweiter Waffengang fehlschlug, ritt sie Tag und Nacht, nur mit
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Haferbrot sich nährend, durch Heiden und Wälder an die Küste und fuhr auf kleinem Boote nach England. Elisabeth sollte helfen gegen die Empörer.
Allein in England erblickte man in ihr die Thronbewerberin. Die Regierung ließ sie in Gewahrsam nehmen. Katholische Mitglieder des hohen Adels machten wiederholte Versuche, sie zu befreien und mit spanischer Hülfe aus den engliscken Thron zu setzen. Als dann trotz aller Bluturteile die Verschwörungen gegen die Sicherheit des Landes und der Königin nicht aufhören wollten, stellte das Parlament die unglückliche Fürstin selbst vor ein Gericht, welches sie wegen Hochverrates zum Tode verurteilte. Nach langem Sträuben unterzeichnete Elisabeth den entsetzlichen Spruch. Gottergeben legte Maria Stuart ihr Haupt auf den
1587 Richtblock.
5. Die Armada.
Längst waltete Feindschaft zwischen Spanien und England, weil Philipp die Anhänger Marias, Elisabeth die Niederländer unterstützte. Englische Seefahrer wie Francis Drake, der erste Erdumsegler Englands, fügten den spanischen Schiffen und Häfen grimmigen schaden zu. Die Hinrichtung Maria Stuarts brachte den alten Haß zum Austrag./
Philipp II. baute eine Kriegsflotte, wie noch keine europäische Macht sie ausgestellt. 130 spanische und italienische Riesen-schiffe, zum Teil Galeonen mit mehreren Verdecken, die auf allen Seiten mit Kanonen gespickt waren, führten 22000 der
1588 auserlesensten Krieger aus dein galicischen Hasen Cornna; eine noch zahlreichere Heerschar sollte Alexander Farnese von den Niederlanden ans auf derselben Flotte nach England und gegen London führen. Für das Gelingen des großen Unternehmens ließ der König Gebete und Bittgänge abhalten durch sein ganzes Reich.
In England ergriffen Katholiken und Protestanten mit gleicher Opferfreudigkeit die Waffeu, um die Selbständigkeit des Landes zu verteidigen. Hoch zu Roß, in zuversichtlicher Haltung erschien Elisabeth selbst im Lager an der Themse-Mündung, um, wie Philipp, Gottes Beistand anzuflehen und mit ihren Unterthanen zu leben uud zu sterben. Als nun die „u n -b e sieg l i ch e" Armada (— Armee, Rüstung) an der Küste des Kanals sichtbar wurde, eilten die schnell zusammengerafften englischen Segler keck an sie heran, sie belästigend und ihre Ordnung störend; mitten unter die ankernden Kolosse ruderten sie nächtlicher Weile acht Brander, mit Brennstoffen vollgestopfte
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alte Schiffe, und zündeten sie an; vor der Fenersgefahr wichen die Galeeren planlos auseinander und wurden einzeln von den englischen^Fahrzengen umschwärmt und geentert; etliche liefen auf den Sand nnd fielen den Holländern in die Hände. Die Rückkehr durch den Kanal wurde unmöglich. Um die klippenreichen Jnselküsten Schottlands mußte die stolze Armada den Heimweg suchen, wo sie von den Herbststürmen der Nordsee vernichtet wurde. Nur einen kleinen Teil brachte der Admiral, der Herzog von Medina Sidonia, zurück. Aber König Philipp empfing ihn ohne Vorwurf: „Ich habe euch gegen Menschen ausgesendet, nicht gegen Stürme und Klippen."
England-ivar gerettet, seine Selbständigkeit sichergestellt für immer. ^Während Spanien fortab sank, begann es sich zur ersten Seemacht der Welt zu erheben. Noch unter Elisabeth trat eine Handelsgesellschaft ins Leben, welche Ostindien unterworfen hat. Mit Englands Hülfe setzten die Niederländer ihren Freiheitskampf fort und entrissen den Spaniern zugleich Besitzungen in Afrika und Amerika. Auch sie gründeten eine ostindische Handelskompagnie, und die indischen Inseln, namentlich Java mit seiner neuen Hauptstadt Batavia, trugen dem Mutterlande unermeßlichen Gewinn.
Nach dem Sieg über Spanien regierte Elisabeth noch fünfzehn Jahre lang. Eine hohe, majestätische Erscheinung, liebte sie es, in glänzendem Aufzuge, während ihre Großen entblößten Hauptes ihr Scepter und Schwert vorantrugen, in edelsteinblitzendem Gewände sich zu zeigen. Ihr Hof war der Sammelpunkt aller hervorragenden Geister des Landes; der größte Dichter englischer Zunge, William Shakespeare, begann unter ihrem Beifall seine Laufbahn. In harter Jugend hatte sie eine umfassende Bildung sich angeeignet; zur Erholung las sie die alten Klassiker in der Urschrift. Ihr höchster Stolz war es, die jungfräuliche Königin zu heißen; sie sei mit ihrem Volke,; , *:■
vermählt, sagte sie; an ihrem Hofe solle es eine Herrin geben, keinen Herrn. ’ v>v ■
Auf ihrem Todbette bezeichnete sie als ihren Nachfolger den ^ohn ihrer Hingerichteten Nebenbuhlerin: den König Jakob von ig03.
Die Franzosen nannten die Anhänger der Lehre ihres Landsmannes Calvin Hugenotten — Eidgenossen, weil die Glaubensänderung aus der Schweiz zu ihnen kam. Non Frankreich ans verbreitete sie sich auch in den spanischen Niederlanden;
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Philipp II. drängte daher auch im Nachbarlande auf deren Bekämpfung. Die Abschlachtung einer Anzahl wehrloser Hugenotten, die in einer Scheune zum Gottesdienst versammelt waren, gab das Zeichen zu einem Bürgerkriege zwischen katholischen und hugenottischen Großen, welcher mehr als drei Jahrzehnte lang das schöne Frankreich verwüstete.
Zehn Jahre nach jener Blutthat sollte, um eine Anssöh-nnng anzubahnen, der junge Hugenottenführer König Heinrich von Navarra mit der Schwester des unmündigen Königs Karls IX. vermählt werden. In Scharen kamen seine Anhänger zur Hochzeit nach Paris. Auf den König machte der ehrwürdige Admiral Coliguy durch seine staatsmännischen Gedanken einen tiefen Eindruck, so daß die Königin Mutter Katharina von Medici um ihren Einfluß besorgt wurde. Sie dang einen Mörder gegen den Greis; und als der Schuß ihm nur den Arm zerschmetterte, beschloß sie aus Furcht vor Rache, die Hugenotten allesamt zu verderben. In der „Bartho-1572 lomäusnacht" wurde Coligny in seinem Bett ermordet und die Leiche aus dem Fenster geworfen; die anderen Hugenotten wurden wie wilde Tiere aufgescheucht und massenhaft umgebracht; der elende Königsknabe soll mit eigener Hand auf feine fliehenden Unterthanen geschossen haben. Die Greuel dieser „Pariser Bluthochzeit" wurden in anderen Städten Frankreichs nachgeahmt.
Mit erneuter Gewalt flammte der Krieg auf. Auch als Karl IX. in Gewissensqualen gestorben und sein Bruder-Heinrich III. ermordet war, wütete er noch fort. Der Thronerbe Heinrich von Navarra konnte nur durch seinen Übertritt zur katholischen Kirche sich und seinem Hause Bourbon die Anerkennung und seinem Lande den Frieden schaffen. Doch gewährte Heinrich IV. den Hugenotten durch das „Edikt von Nantes" freie Religionsübung und räumte ihnen zur Sicherstellung einige feste Plätze ein.
Obgleich ein großer Kriegsmann und Feldherr, welchen Alexander Farnese mit dem Adler verglich, suchte Heinrich mit Eifer- den Frieden zn wahren. „Frankreich und ich," sagte er, „wir bedürfen der Ruhe." Er stellte die im Kriege zerstörten Brücken und Straßen wieder her und beschäftigte die Arbeitslosen bei den großen Bauten, mit welchen er namentlich sein Paris verschönerte. Am Sonntag, meinte er, sollte jeder Bauer-sein Huhn im Topfe haben. Darum schützte er den Landban, sorgte aber auch für Handel und Gewerbe. Im Hafen von Marseille zählte man bis zu 300 Schiffen; in Südfrankreich wurde der Seidenbau eingeführt, welcher heute einer der wichtigsten Erwerbszweige des Landes ist.
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In seinen vertrauten Rat berief er die besten Männer seines Reiches, auch wenn sie gegen ihn gefochten hatten oder niederen Standes waren. Denn bei aller Strenge gegen unbotmäßige Gegner und Freunde verschmähte er die Rache ebenso wie leeres Formenwesen; auswärtige Gesandte trafen ihn wohl in fröhlichem Spiel mit seinen Kindern. Und wie er im Kriege sich gern zu seinen Soldaten ans Lagerfeuer setzte und von ihrem Schwarzbrot aß, so mengte er sich gern unter sein Volk, um unerkannt seine Beschwerden zu erfahren.
Wie Franz I. erblickte er in dem Hause Habsburg den
Erbfeind Frankreichs. Als daher der Kursürst von Brandenburg und der Pfalzgraf von Neuburg wegen der Erbfolge im Herzogtum Jülich-Kleve-Berg mit dem Kaiser in Krieg gerieten, rüstete er zu ihrem Beistand unb faßte weitausfehenbe Pläne, Österreich zu bemütigen und Frankreich zur leitenden Macht Europas zu erheben. Schon wollte er zu feinen Truppen ins Feld. Da traf ihn, als er durch die Straßen seiner
Hauptstadt fuhr, der Dolchstoß eines wilden Fanatikers, Franz 1610 Ravaillac. Dadurch wurde der Ausbruch des großen Krieges in Deutschland um einige Jahre verzögert.
III. Der Dreißigjährige Krieg.
1. Maximilian von Bayern.
Die Reformation machte unter Ferdinand I. unb seinem(i ''7 ", milben Sohne Maximilian II. große Fortschritte; kaum baf^/gy-ein Zehntel aller Deutschen noch zum alten Glauben sich bekannte. Allein die ärgerlichen Lehrkämpse, welche die protestantischen Theologen gegen einander anssochten, gaben den nnennüb-licheu Jesuiten Gelegenheit, bie „Abgefallenen" in beit echoß der katholischen Kirche zurückzuführen. Allseitige Unduldsamkeit schärfte den Zwiespalt von Tag zu Tag.
Die freie Reichsstabt Donauwörth hatte sich betn netten Bekenntnisse zugewenbet bis auf eilt Kloster. Eine Prozession, welche ein neuer Abt trotz ber Warnung ber stäbtischen Behörde veranstaltete, wurde von protestantischem Pöbel gestört. Die -'fo-zltn von Kaiser Rubolss II. Gericht ausgesprochene Reichsacht <5n /%/'v vollstreckte ber Herzog Maximilian von Bayern. Er
nahm die Stadt, welche bisher seinen ketzerischen Unterthanen Zuflucht gewährt, dauernd in seinen Besitz und ließ durch die Jesuiten die Gegenreformation durchführen.
Erschreckt durch die Unterdrückung einer Reichsstadt, schlossen die protestantischen Reichsstände zu gegenseitiger Verteidigung die Union, welcher die katholischen Fürsten des Südens die Liga gegenüberstellten. Beide Bündnisse leiteten Fürsten des Hauses Wittelsbach: die Liga Herzog Maximilian, die Union der Kurfürst vou der Pfalz. Beide Parteien standen schon bei dem Erbfolgestreit wegen der Herzogtümer Jülich-Kleve-Berg einander feindselig gegenüber und im Einverständnis mit auswärtigen Mächten; doch gelang nach Heinrichs IV. Tod ein Vergleich. Während Jülich mit Berg an den katholischen Pfalzgrafen von Neuburg kam, erhielt Brandenburg Kleve, Mark und Ravensberg, Landschaften, die vom Rhein über Ruhr und Ems bis zur Weser zerstreut lagen./
Wie Rudolf war sein Bruder und Nachfolger Mathias I. kinderlos. Die habsburgischen Lande mußten daher an das Haupt einer Seitenlinie fallen, an Erzherzog Ferdinand von Steiermark. - Mit seinem Vetter Maximilian von Bayern in Ingolstadt von den Jesuiten erzogen, hatte er in seinen Erb-landen die Gegenreformation schonungslos durchgesetzt. Im Vertrauen auf feinen bevorstehenden Regierungsantritt beging Regierung und Geistlichkeit in Böhmen Feindseligkeiten gegen die an Zahl weit überlegenen Protestanten. Trotz des Majestätsbriefes, durch welchen Kaiser Rudolf ihnen Religionsfreiheit bewilligt, wurde eine neue Kirche in Braunau geschlossen, eine andere in Klostergrab bei Teplitz geschleift. Auf Beschwerden antwortete die Regierung in Prag mit Drohungen. Da sammelte Graf Thurn eine Schar protestantischer Herren und stürzte mich Landesgebrauch die verhaßtesten Statthalter aus dem Fenster des Schlosses hinunter. / Daraus zogen die Empörer, im Einvernehmen mit den protestantisch gesinnten Ständen Niederösterreichs, vor Wien. Nur wie durch ein Wunder entging Ferdinand dem Tode. Aber während er in Frankfurt die Kaiserkrone empfing, wählten die Böhmen das Haupt der Union, den jungen Kurfürsten Friedrich V. von der Pfalz, zu ihrem König. /
Aiif die Bitte des hülflosen Kaisers übernahm Herzog Maximilian die Unterdrückung des böhmischen Ausstandes. Er war neben dem Kaiser der einzige Katholik unter den weltlichen Fürsten des Reiches. In seinem Herzogtum, dessen Regierung vor zwanzig Jahren in sehr zerrüttetem Zustand an ihn gekommen, hatte er eine treffliche Verwaltung eingerichtet, so daß er fast
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immer über Geld verfügte. Er warb Söldner an, und ehe die Union zu entschlossenem Handeln sich aufraffte, drang er donan-abwärts rückend in Böhmen ein. Durch die Predigt eines Karmelitermönches angefeuert, schlug sein Heer unter dem Grasen Tilly die zusammengelaufenen Streitkräfte Friedrichs in der Schlacht am Weißen Berge. Das nahe Prag schien ver- 1620 brat; fassungslos entfloh der arme „Winterkönig" mit seiner Gemahlin Elisabeth, der stolzen Enkelin Maria Stuarts.
Ferdinand II. belegte ihn mit der Reichsacht. Über seine Anhänger erging ein fürchterliches Strafgericht. Vielen wurde vor der Hinrichtung die Hand abgehackt oder die Zunge aus-gerissen. Die protestantischen Prediger wurden vertrieben, sowie die Bergleute, welche die Kunst des Bergbaues auf die Nordseite des Erzgebirges nach Sachsen übertrugen. Den Majestätsbrief zerschnitt Kaiser Ferdinand II. mit eigener Hand. Die Union löste sich auf unter allgemeinem Hohne.
Entsetzlich büßte die blühende Pfalz den Fehltritt ihres Fürsten. Links des Rheines hatten sich bereits die mit dem Kaiser verbündeten Spanier festgesetzt, das rechtsrheinische Land eroberte Maximilians Feldherr Tilly unter grimmigen Verheerungen. Markgraf Georg Friedrich von Baden-Dnrlach, der einzige Fürst, welcher dem unglücklichen Lande helfen wollte, erlag den Ligisten bei Wimpfen im Thäte; 400 Pforzheimei-Bürger sollen durch freiwilligen Opfertod ihn gerettet haben.
Die kostbare Heidelberger Bibliothek schenkte Maximilian dem Papste; 50 Frachtwagen schleppten das „Denkmal der besiegten Ketzerei" über die Alpen./ .
Auf dem Regensburger^Fürstentag übertrug Ferdinand II. 1623 dem klugen Bayernherzoge zum Lohne für seinen Beistand die Kurwürde nebst den rechtsrheinischen Landen Friedrichs V.,
Unter- und Oberpfalz. Die Gegenreformation schien auch in Deutschland einem vollen Sieg entgegenzugehen.
2. W allenst ein.
Die beunruhigten Protestanten Norddeutschlands fanden in dein neu erwählten „Kriegsobersten des niedersächsischen Kreises", König Christian IV. von Dänemark, einen ehrgeizigen Führer. Der junge König Karl I. von England, der „Winterkönigin" Bruder, unterstützte ihn mit Geld und Mannschaft, und der Bandenführer Graf Mansfeld, ein runzeliges Männlein mit einer Hasenscharte, führte ihm seine wilden Scharen zu, die sich verheerend wie ein Henschreckenschwarm durch die Länder ergossen.
Gegenüber solchen Streitkräften fühlte sich der Kaiser zu schwach trotz seines Bündnisses mit Spanien und der Liga. In dieser Not erbot sich ein böhmischer Edelmann, für ihn ein Heer von 15000 Mann zu Fuß und 5000 Reitern auf eigene Kosten zu werben und zu führen.
Albrecht von Wallenstein war nach dem frühen Tode seiner protestantischen Eltern auf die Anordnung eines Oheims von den Jesuiten zu Olmütz erzogen. Auf der nürnbergischen Universität Altdorf wegen leichtfertiger Streiche beinah ausgewiesen („relegiert"), studierte er in-Padna und focht dann unter Kaiser Mathias und Erzherzog Ferdinand von Steiermark gegen Türken und_ Venetsaner. Zu dem großen mährischen Grundbesitze, den seine erste Gemahlin ihm zugebracht, kaufte er um einen Spottpreis über 60 Landgüter, welche nach dem böhmischen Aufstand eingezogen (konfisziert) waren; der Kaiser erhob ihn Zum Herzog von Friedland. Die ungeheuern Einkünfte seiner trefflich verwalteten Besitzungen verwendete er nun zur Anwerbung des Heeres, dessen Verpflegung nach Mansfelds Vorbilde den Ländern aufgebürdet wurde, durch welche die Kriegsfurie hinzog./
An Tillys Seite erschien er im Felde. Mansfelds „Armada", welche König Christians linken Flügel bildete, wurde an der Elbbrücke bei Dessau „zertrennt und zerhackt" und dann durch Schlesien nach Ungarn verfolgt. Dennoch gelang es Mansfeld, sich mit den Türken und dem Fürsten von Siebenbürgen zu vereinigen; aber Wallenstein bewog die beiden Bundesgenossen zum Abzüge. Völlig verlassen, aber ungebeugt wollte Mansfelds in Venedig Hülfe suchen. Unterwegs überraschte ihn der Lod, welchen er stehend, auf zwei Offiziere gestützt, erwartete.,
SAsafytend Wallenstein die österreichische Monarchie rettete, schlug -ullt) den König Christian nordwestlich des Harzes bei Lutter am Barenberge. Die österreichischen Banner spiegelten sich in der Nord- und Ostsee, und der Friedländer führte schon den Titel eines Admirals des ozeanischen und baltischen Meeres. Dennoch scheiterte sein hochfliegender Plan, auf den nordischen Meeren eine weltbeherrschende kaiserliche Seemacht zu schaffen, an dem Widerstände der kleinen pommerischen Hasenstadt Stralsund. Er soll geschworen haben, sie zu erobern, unb wenn sie mit _ Ketten an den Himmel gebunden wäre. Nach furchtbarer Beschießung mußte er abziehen unter bem Jubel der Bürger, berat Helbenmut von ben Nachkommen bis heute alljährlich gefeiert wirb.,
Jetzt erhoben bie {yciitbe bes Herzogs kühner das Haupt.
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Die deutschen Fürsten, namentlich Kurfürst Maximilian, fühlten ihre „Libertät" gefährdet durch die Übermacht des Kaisers, welche auf Wallensteins „heroischem Valor" und Feldherrngeschick beruhte. Sie zürnten, daß der Kaiser seinen großen Feldhauptmann zum Neichsfürsten erhob und ihm das Herzogtum Mecklenburg verlieh. Im Bunde mit Frankreich, dessen großer Staatsmann, Kardinal Richelieu, aus die Entkräftung Deutschlands hinarbeitete, zwangen sie Ferdinand auf einem Fürstentage zu Regensburg, den General seines Kommandos zu entheben. Anscheinend gleichmütig zog sich Wallenstein auf seine böhmischen Schlösser zurück, den Zeitpunkt erharrend, wo man 1630 ihn wieder brauchen werde.
3. Gustav A d o l s.
Der Protestantismus in Deutschland schien vernichtet. Da landete, genau hundert Jahre nach der Überreichung der Augs- /fö(s bürg er Konfession, König Gustav Adolf von Schweden mit 15 000 Mann auf der pommerischen Insel Usedom. Willig nahm sein dünn bevölkertes, durch Kriege mit Rußland und Polen erschöpftes Land die Lasten des unabsehbaren Krieges auf sich. Denn durch die Gründung einer habsburgischen Seemacht ans der Ostsee, wie sie Wallenstein anstrebte, sah Schweden seinen Handel, durch die Gegenreformation, die in Deutschland schonungslos durchgeführt ward, seine Landeskirche bedroht, welche Gustav Adolfs Großvater, Gustav Wasa, vor hundert Jahren in protestantischem Geiste geschaffen.
Bedächtig setzte sich Gustav Adolf in Pommern fest. Die Kaiserlichen spotteten über den „Schneekönig", und die protestantischen Fürsten brachten ihm Mißtrauen entgegen. Trotz aller Erfolge seiner Waffen vermochte er nicht zu hindern, daß die reiche Stadt Magdeburg, die sich für ihn erklärt, von Tilly und seinem Reiterführer Pappenheim erstürmt und von den verzweifelnden Verteidigern verbrannt wurde. Erst sein glanzvoller Sieg bei Breitenfeld unweit Leipzigs änderte die 1631 Stimmung. Hülslos sah der greise Tilly, der nie besiegte, der jetzt auch die kaiserliche Armee befehligte, die phalanxartigen Vierecke seiner Landsknechte mit ihren wuchtigen Gabel-Musketen zersprengt von den schwedischen Bauernsöhnen, welche ihr erfinderischer König mit leichten Handrohren und kurzen Eisenkanonen ausgestattet und in leicht bewegliche Regimenter und Brigaden eingeteilt hatte. /
Wie ein Blitz zog Gustav, der Retter der protestantischen Kirche, durch die „Pfaffengasse", die fränkischen Bistümer Bam-
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berg und Würzburg, an den Rhein, und als die Verhandlungen wegen eines Friedens fehlschlugen, erschien er im folgenden Frühjahr, Donau und Lech trotz Tillys Abwehr überschreitend, im Bayernlande, das bisher vom Kriege verschont geblieben; er zog in München ein, und Kurfürst Maximilian war ein heimatloser Mann. Die Liga war vernichtet, der Kaiser zitterte.
Denn immer zahlreichere deutsche Fürsten untu Städte suchten das Bündnis des „Löwen aus Mitternacht". jjDaS Volk jubelte dein Nordlandskönige zu, dessen mächtige Gestalt mit dem blonden Haar und der hellen Gesichtsfarbe alle überragte, dessen Leutseligkeit alle Herzen gewann. Gustav Adolf machte die Kriegführung wieder menschlich. Ein herzlich frommer Mann, hielt er täglich morgens und abends, sowie vor jeder Schlacht Betstunde mit seinem Heer. Ein Verehrer der Knnst und Wissenschaft, der seine Erholung im Lautenspiel suchte und außer dem Schwedischen und Deutschen, seiner Muttersprache, ein halbes Dutzend Sprachen beherrschte, der im Thukydides und Lenophou seine Vorbilder suchte, haßte er die Roheit und bestrafte jede Ausschreitung seiner Soldaten mit unnachsichtiger Streuge. Unbeschadet seiner protestantischen Gesinnung gewahrte er auch dem katholischen Gottesdienste Schutz und Duldung. Unbestritten der größte Feldherr seines Jahrhunderts, führte er wohl auch, den Degen in der Faust, persönlich wie Alexander der Große seine Scharen ins Feuer; vor Ingolstadt wurde ihm sein Schimmel unter dem Leib erschossen, säst in derselben Stunde, als Tilly in Regensburg seinen Wunden erlag.
Dem Kaiser blieb keine andere Rettung mehr als Wallenstein. In stolzer Ruhe hatte der unergründliche Mann auf diesen Augenblick geharrt. Jetzt warb er, im Besitz unumschränkter Vollmacht, ein neues Heer uud führte es nach Bayern. Gustav Adolf mußte innehalten auf seiner Siegesbahn. Monatelang lag er in wohlverschanztem Lager bei Nürnberg den Friedländischen gegenüber, bis es an Brot fehlte unb an Totengräbern für die Soldaten unb Bürger, welche von Hunger unb Pest hingerafft würben. Endlich, nach einem furchtbaren Ansturm auf die „alte Veste", den Schlüsfelpunkt zu Walleiisteius unbezwingbarer Stellung auf den Höhen über der Regnitz, zog der Schwebe von bannen, um „ben Fuchs aus beut Loche zu kriegen".
Aber ber Generalissimus brach unter Morb unb Brand in Sachsen ein, unb Gustav Aböls eilte, feinem Verbünbete», '43 dem Kurfürsten, beizubringen. Bei Lützen unweit Breitenfeld maßen sich die beiden großen, Heerführer. Da traf den König mitten im Getümmel eine tödliche Kugel. Ein solches Ende mag er geahnt haben, als er die Heimat verließ, als er in
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Nürnberg von seinem Kanzler Oxenstierna, in Erfurt von seiner Gattin Abschied nahm, welche ihm ans Sehnsucht nachgereist war in den Krieg.
Mit Schweden weinte Deutschland um den toten Helden; selbst dem Kaiser wurden die Augen feucht, als man ihm das blutige Koller des edelsten seiner Feinde überbrachte; der Papst las für ihn eine Trauermesse.
Der schreckliche Krieg aber sollte um so länger dauern.
4. Bernhard von Weimar.
Die protestantischen Fürsten, welche sich dem Schwedenkönig angeschlossen, waren nach dessen Tod eine Herde ohne Hirten.
Nur wenige von ihnen vermochte der schwedische Kanzler Axel Oxenstierna, der für Gustav Adolfs Töchterlein Christine die Regierung führte, beim Bündnis festzuhalten. Dennoch drang der junge Herzog Bernhard von Weimar, Johann Friedrichs des Großmütigen Urenkel, an der Spitze des schwedischdeutschen Bundesheeres kühn gegen Wien vor. Regensbnrg, die reichste Stadt im Innern Deutschlands, fiel in seine Hand, ohne daß der getäuschte kaiserliche Feldherr es hinderte.
Wallenstein lag in dem armen Böhmen, tanb gegen alle Bitten und Vorstellungen des Kaisers, der nach dem Kommando-Vertrag in seinem eigenen Heere nichts zu befehlen hatte. Längst war eine große Partei am Hofe dem Friedländer feindselig, weil er in Glaubenssachen lau war und mitunter mehr protestantische als katholische Offiziere hatte. Jetzt hörte man von Verhandlungen, die er mit Sachsen und Brandenburg, ja mit Schweden und Frankreich führe. Er wollte dein Reiche den Frieden und sich selbst ein deutsches Fürstentum verschaffen. Als nun Herzog Bernhard an der Grenze der Erblande erschien, sprach der mißtrauische Kaiser über seinen General-Oberstfeldhauptmann heimlich die Reichsacht aus, weil derselbe ihn zu stürzen und sich selber „Krön und Scepter eidbrüchiger Weise zuzueignen Vorhabens gewesen". Wallenstein, welcher sich der Treue seiner Obersten und Generale schwarz auf weiß versichert hatte, wollte nunmehr sein Heer zu den Schweden führen, um seinen Herrn zum Frieden zu zwingen. Aber die Truppen sielen ab von dem Verräter; durch eigene Offiziere ward er im Schlöffe zu Eger 1634 niedergestoßen./
Die Führung seines Heeres übernahm des Kaisers Sohn, der König von Ungarn. Ihm erlag der ungestüme Bernhard in der Schlacht bei Nördlingen, und Ferdinand II. schloß /(kV mit Sachsen den Sonderfrieden zu Prag, welchem bald
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auch Brandenburg und andere Reichsstände, sowie die bedeutendsten Reichsstädte beitraten. Sie alle vereinigten ihre Truppen mit den kaiserlichen, um, wie es Wallensteins Absicht gewesen war, gemeinsam „die Schweden zu schmeißen" und den Franzosen, welche jetzt offen am Kriege teilnahmen, „den Weg wieder nach ihrem Königreiche zu weisen". /
Im Kampfe gegen des Kaisers wachsende Übermacht trat der unbeugsame Bernhard in ein Bundesverhältnis zu Frankreich, dessen großer Staatsmann, der Kardinal Richelieu, die Zwietracht der Deutschen zur Vergrößerung Frankreichs benutzte. Immerhin wahrte der protestantische Feldherr die Würde des deutschen Fürsten. Als König Ludwig XIII. ihn in Paris bedeckten Hauptes empfing, setzte auch er sofort den Hut wieder auf und nahm ihn erst ab, als es der König that; zur Zerstückelung seines geliebteu Vaterlandes hätte er nie die ■Hand' geboten. Unter den Feldherren jener schlimmen Jahre war er der einzige, der fromm, uneigennützig, nüchtern blieb; das war der Segen seiner guten Mutter. Auch seine Krieger waren zusammengelaufenes Gesindel wie alle anderen; „wenn der Teufel Sold ausschreibt," sagte ein Zeitgenoß, „so fleugt und schneit es zu wie die Fliegen in dem Sommer". Aber der Zauber seines Wesens hob sie empor. Sie verhungerten lieber, als daß sie den Feldherrn verließen, den sie auf seinem Rapphengst, in dunklem Harnisch, leuchtend nur durch die rote Feldherrnschärpe und den schmucklosen Helmbusch über den wehenden Locken, immer an die gefährlichste stelle sprengen sahen. Ans dem glänzend behaupteten Schlachtfeld bei Rheinfelden (unweit Basel) sangen sie das Lutherlied: „Ein feste Burg ist unser Gott." Das Höchste leisteten sie gleich nachher bei der Belagerung der noch nie bezwungenen Rheinseste Breisach, dem schrecklichsten Vorgang in dem ganzen Kriege. Zwei Monate lang trotzten die Belagerten der Hungersnot, auf Ersatz hoffend, den Bernhard stetÄ siegreich abschlug. Ein Ei kostete 5, eine Ratte 1 Gülden; mit goldenen Diamantringen zahlte man „ein klein Schüsselein voll Sauerkraut"; man kochte teuer bezahlte Pferdehufe und buk Brot von Heublumen und Nußschalen. „Wer Breisach possediert, hat den Schlüssel zum Friedenmachen," schrieb nach dem Falle der Festung ein Anhänger an Bernhard. Der Held sollte den Frieden nicht erleben. Im 35. Lebensjahr erlag sein 1639 zartgebanter Leib den Mühsalen und Kümmernissen seiner Stellung — ein Mann, „auf Erd nicht meines Gleichen", sang ein Volkslied./
Jetzt hielt kein Feldherr mehr die vertierten Soldaten im Zaum. Trotz aller Verschlechterung der Münze mangelte daö
öldner
Immer mehr wurden die
Geld, den
zu Räubern, die mit blntiger Hand selbst nahmen, waS sie brauchten, und das andere verdarben. Den Wein ließen sie ausfließen, in die Betten nähten sie die Scherben zerschlagener Töpfe; sie setzten den Bauern den „roten Hahn" aufs Dach, zwangen sie durch „Radeln" (Einklemmen der Finger unter den Hahn der Flinte), Zusammenpressen des Kopfes, Aufhängen im Rauch und andere Scheußlichkeiten, ihre vergrabenen Wertsachen auszuliefern. Was half es, daß der Profoß dann und wann einender „Crabaten und Schnapphanen durch das hänfene Fenster sehen ließ", „mit des Leiters Tochter kopulierte"! Ganze Landstriche lagen öde; auf den Dorfgassen wuchs GraS; in bett Kirchen hausten die Wölfe. Die Heere fanden keine Nahruug mehr; Huuberte sielender Pest ober ber rächenben Kugel des Bauern zum Opfer; Solbatenweiber warfen anf dem Marsch ihre Kinder weg, um ihnen die Qual des Verhungerns abzukürzen.
Endlich schloß man zu Osnabrück und Münster den „West -fälischen Frieden". Die drei Bekenntnisse (Katholiken, Lutheraner, Reformierte) wurden gleichberechtigt. Die deutschen Fürsten erhielten als unabhängige „Souveräne" das Recht, Bündnisse zu schließen und Krieg zu führen, mit wem sie wollten, nur nicht gegen den Kaiser. Letzterer hatte^ keinerlei Macht mehr; das deutsche Reich war nur uoch ein Schattenbild. Die eigentlichen Herren Deutschlands waren jetzt Frankreich und Schweden. Jenes erhielt fast das ganze Elsaß, dieses Vorpommern samt der Odermündung und das Erzstift Bremen, d. h. das Mündnngsland der Elbe und Weser. Die Schweiz und die Niederlande wurden ausdrücklich als selbständige Staaten anerkannt. Kein einziger unserer Ströme mündete mehr auf deutschem Boden. Der blühende Wohlstand, die geistige Kraft unseres Vaterlandes war geknickt auf Jahrhunderte.
1648
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IV. Ludwig XIV. und der Große Kurfürst.
1. Die englische Revolution. Oliver Cromwell.
Auch die durch Jakob I. vereinigten Königreiche England und Schottland (Großbritanni en) hatten schwere Stürme zu bestehen. Der stotternde, unmännliche König träumte und schrieb von einem göttlichen Königtnme, von welchem alles Recht und Gesetz ausgehen müsse; aber neben ihm griff die Lehre der Pnrl-taner immer mehr Platz^ welche die Gleichheit aller Menschen thatkräftig, anstrebten. Sie gaben ihren Kindern Namen aus dem Alten Testament und hielten das Weintrinken, den Tanz, das Tragen gestärkter Krägen für sündhaft. Mit ihnen geriet Jakobs Lohn in einen verhängnisvollen Kampf.
Unbekümmert um die Verfassung und seinen eigenen Königseid, regierte Karl I. elf Jahre lang ohne Parlament. Nach eigenem Gntdünken schrieb er Steuern aus, die mit aller Härte eingetrieben wurden. Ein stehendes Heer sollte allen Widerspruch niederhalten. Erbarmungslos verhängte die „Sternkammer" über die Vorkämpfer der Parlamentsrechte, die „Hohe Kommission" über die Dissenters, namentlich die Puritaner, Geldstrafen nnd Einkerkerung.
Lchließlich wollte der König in seinem Übermute den preS-byterianischen schotten die anglikanische Kirche aufzwingen. Aber als der erste Bischof in Edinbnrg ans die Kanzel trat, entbrannte ein furchtbarer Aufruhr, der bald zum Bürgerkrieg anwuchs. Die Empörer zu meistern, brauchte der König Geld. Die Volksvertretung, welche ihm dasselbe bewilligen sollte, forderte zunächst Rechenschaft über die ungesetzlichen Anordnungen der Regierung uud schickte deS Königs Ratgeber, deu Grasen jwitri1*, nach richterlichem Spruch aufs Schafsot. Als Karl I. persönlich im Parlament erschien, um trotz der Magna Charta die Führer seiner Gegnerschaft, der Opposition, als Hochverräter zu verhaften, toste eine ungeheure Aufregung, bis in die Gemächer- des Königöschlosses zu Westminster vernehmbar, durch die Ltadt und die benachbarten Grafschaften.
Da verließ König Karl seine Hauptstadt, entschlossen, durch Krieg die frühere Machtstellung zurückzugewinnen. Seine „Kava-
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liere" hieben ihre Eichenforsten um und ließen ihr Silber ein-schinelzen, um ihm zu helfen. Anfänglich waren sie auch im Vorteil gegen die puritanischen „Rundköpfe". Aber unter diesen gewannen bald die Independenten teilenden Einfluß, rücksichtslose Eiferer gegen jede weltliche und geistliche Obrigkeit. Ihr geistiges Haupt war Oliver C romwell.
Ein Landedelmann wie tausend andci'e, war er in seiner A Vaterstadt Huntingdon (südlich vom Wash-Bnsen) in der Landwirtschaft thätig, bis er im 40. Jahr ins „Lange Parlament" gewählt wurde. Er bildete ein Regiment, welches er mit hoher Begeisterung erfüllte, aber auch sorgsam in Übung und Zucht hielt. „Wer am besten betet und am besten predigt," sprach er,
„der wird auch am besten fechten." Mit seinen „gottseligen Dragonern" stellte er eine schon verlorene Schlacht wieder her, und bei Nafeby in der Grafschaft Northampton, westlich von > Huntingdon, erlagen die Kavaliere dem Parlaments Heere, welches Cromwell zu sittlichem Ernst und strengem Gehorsam erzogen hatte. Der König entfloh zn seinen schottischen Landsleuten, die ihn dann um Geld dem Parlament auslieferten. Noch verhan- / bette dieses über das Schicksal des Monarchen, da brachte ihn das Heer in seine Gewalt. Ein eigener Gerichtshof sprach Karl / des Todeö schuldig als öffentlichen Feind. Unter den Fenstern seines Schlosses Whitehall ward er enthauptet. 1649
England wurde eine Republik. Die royalistischen Erhebungen in Irland, dessen Bewältigung erst seit einem Menschenalter vollendet war, warf Cromwell mit grausamer Strenge nieder. Massenhaft wurden die Iren niedergehauen, in die Grafschaft Eonnaught westlich des Shannon - Flusses gescheucht oder nach Westindien verpflanzt, während englische Ansiedler ihre Güter in Ulster, Leinster, Munster sich aneigneten. Die Schotten schlug Oliver in zwei großen Schlachten; der junge König Karl II. entkam aus abenteuerlicher Flucht, in Bauernhöfen und WäldlerHütten sich verkriechend, nach Frankreich.
Oliver Cromwell war der Herr der drei Reiche. An dem republikanischen Eifer feines Heeres scheiterte zwar sein Streben nach der Krone; aber als Lord Hoch-Protektor wurde er in West-minster feierlich eingesetzt (inthronisiert) mit dem Staatsschwert und Purpurmantel; er erhielt daS Recht, seinen Nachfolger zu ernennen. Die Anhänger des Alten verfolgten ihn mit tngrimmu gern Hasse; nur mit einem starken Gefolge Bewaffneter ließ er sich auf der Straße sehen.
Unter seiner kraftvollen Obhut waltete Ordnung und Recht. Nirgends war so wenig Glaubeusversolgung wie in Groß-, britanuie»; in London durften sich die Juden sogar eine Svna-
goge bauen. Ebenso erfolgreich wahrte er Englands Stellung
nach außen. Mit Waffengewalt beugte er die Holländer, deren
Handel England im Wege stand. Er trieb die Barbaresken Afrikas zu Paaren und nahm den Spaniern die Insel Jamaika. Seine Fürsprache schützte die Waldenser in den Alpen und die Hugenotten in Südfrankreich. Er war der größte Fürst, der jemals England regierte. Seine Leiche wurde in der West-minster-Abtei beigesetzt mit nie gesehenen Totenehren; in Holland riefen die Kinder jauchzend, der Teufel sei gestorben, z c -seinen schwachen Sohn Richard stürzte eine Verschwörung
ehrgeiziger Offiziere. Unerträglich lastete die Säbelherrschaft auf England. Da rief man Karl II. zurück. Endloser Jubel, das Geläute aller Glocken, Freudenthränen der unzählbaren Zu-1660 schauer begrüßten ben jungen Fürsten, von welchem man bessere
Zeiten erhoffte.
2. Ludwig XIV. ber „Sonnenkönig".
-Ws Der Kardinal Richelieu, welcher Heinrichs IV. schwachen
Sohn Lubwig XIII. leitete, unterstützte alle Feiube bes Hauses /z yy-- 9-3 Habsburg ttitb räumte alle schranken hinweg, welche bie Königs-
gewalt einengten. Den Hugenotten nahm er ihre Festungen, /r/r- ohne jeboch an ihrer Glaubensfreiheit zu rütteln, und die ti'tats
generaux, bie schon von Philipp IV. eingeführte Volksvertretung, würben nicht mehr eingerufen.
_ So konnte ber Sohn Lubwigs XIII., Lubwig XIV., ber
^ scheu mit fünf Jahren aus ben Thron kam, als ein völlig nnum-
/schränktet-, „absoluter" Monarch regieren. Als bas Pariser " 4 f ' Parlament, ber höchste Gerichtshof bes Laubes, über bas Wohl
bes Staates beraten wollte, soll er ihm zugerufen haben: „Der Staat bin ich." Gleich beit mohatmnebantfchen Herrschern bes Morgenlandes wollte er einmal bas Eigentumsrecht aller Äcker im Lanb in Anspruch nehmen; er belegte bte Mttbthätigkeit mit Strafe, weil nur ber König ber Hort ber Armen fein bürfe.
eeinen Ehrgeiz verpflanzte er in bas Heer, welches er zum größten und glänzendsten machte feit den Römertagen. Die Sohne des Adels, der unter allen früheren Königen so widerspenstig gewesen war, bienten mit Stolz als königliche Offiziere. Lubwig bezauberte bas Volk durch Kriegsruhm, roährenb er es burch strenge Rechtspflege vor ben herkömmlichen Anmaßungen ber Großen schützte. "Erließ burch Richter bes PariferHarlaments in Elermont einen „großen Tag" abhalten, auf welchem ber angesehenste Abelige ber Auvergne zur Sühne grober Blutthat unerbittlich verurteilt unb hingerichtet würbe.
Nach den Gedanken seines Ministers Colbert förderte er eifrig den Gewerbefleiß. Die Strumpfwirkerei Englands wie die Tuchfabrikation Hollands half er einführen; aus Italien wurde die Seidenzncht und eine verbesserte Art der Lpitzen-klöppelei, durch heimliche Gewinnung einiger Glasarbeiter von der Lagunen-Jnsel Murano die Bereitung venetianischen Glases eingebürgert. Hohe Schutzzölle schlossen die Erzeugnisse des Auslandes vom französischen Gebiete ab; gesetzliche Niederhaltung der Kornpreise ermöglichte billige Arbeitslöhne, fügte aber der Landwirtschaft schweren Schaden zu. Um den Verkehr zu beleben, umspannte Colbert das Land mit einem Netz von Kanälen: „Der König sprach, die Berge reichen!" Der Südkanal (Canal du Midi), der von der Garonne ausgehend das Aquitanische mit dem Mittelmeer verband, kostete über 100 Millionen Franken. Die Gründung einer großen Handels- und Kriegsflotte und der ersten Seemannsschule der Welt diente gleichfalls den Zwecken des Handels.
Aufgeblasen durch diese Erfolge, betrachtete sich Ludwig XIV. als den größten Fürsten der Christenheit. Seine Hofgesellschaft umgab ihn mit förmlicher Anbetung vom „Lever“ bis zum Schlafengehen. Die höchsten Würdenträger priesen sich glücklich, wenn sie" ihm ein Kleidungsstück reichen oder abnehmen dursten. In der Messe, die er täglich besuchte, wandten die Höflinge das Gesicht dem im Chore knienden Könige, dem Altare den Rücken zu. Er speiste gewöhnlich allein; sein Bruder (Monsieur) reichte ihm das Mundtuch; seine Kinder und Enkel schauten ehrfurchtsvoll zu. Nach seinem Geschmacke trugen alle die gepuderte Allonge-Perücke, den schmalen Degen, den goldgestickten Sammtrock, seidene Strümpfe, Schuhe mit silbernen Schnallen; die Damen Reifröcke und Schönheitspflästerchen. Nur in einem unterschieden sie sich von dein rüstigen Könige' „die teutte hier sein so lam wie die gänße", schrieb eine ehrliche deutsche Beobachterin.
Gern hörte er sich feiern als den „König Sonne", der aus nichts eine Welt erschaffen habe wie Gott. In der ödesten und ungesundesten Gegend mußte der Baumeister Mansard mit unglaublichen Opfern an Geld und Menschenleben ihm das Lustschloß Versailles erbauen, dessen Gärten mit ihren abgezirkelten Blumenbeeten, ihren grausam verstümmelten Bäumen, ihren Wasserkünsten und Setup eichen ebenso Geschöpfe königlicher Laune waren wie die Marmorbilder und Gemälde, mit welchen er die Prunksäle und Hallen (Galerien) des Schlosses schmückte. In diesen Räumen waltete die feinste Geselligkeit, deren unerreichtes Muster der König selber war; nie redete er mit einer Dame
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bedeckten Hauptes. Auch die Dichtkunst, welche eben damals ihre höchste Blüte entfaltete, verherrlichte den Hof; Corneille, Racine, Moliere führten ihre klassischen Werke auf des Königs Bühne vor.
In der Weihrauchwolke, welche den „Sonnenkönig" beständig umfloß, verlernte er immer mehr, fremde Meinung zu dulden. Er trat herrisch gegen deu Papst auf und vernichtete die Hugenotten. Man schloß ihre Kirchen und nahm ihre Kinder weg, um sie katholisch zu erziehen; man versagte ihnen den Staatsdienst und legte ihnen die zügellosen Truppen der neuerrichteten Regimenter, für die noch keine Kasernen vorhanden waren, in die Häuser, bis die „Ketzer" durch diese „Dragonaden" mürbe wurden und zur Kirche des Königs übertraten. Jetzt 1685 hob Ludwig das auch von ihm feierlich bestätigte Edikt von Nantes auf, weil es keine Hugenotten mehr gebe. Aber die besten derselben blieben ihrem Glauben treu und wanderten aus trotz des königlichen Verbotes und der schwersten Gefahren. Mit offenen Armen empfing sie das Ausland, namentlich der einzige Mann, welcher Ludwig „dem Großen" beharxliL entgegenzutreten den Mut hatte:, der Große Kurfürst. / /
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3. Die Hohenzollern und die Mark Brandenburg.
Auf einem der kegelförmigen Berge der Ranhen Alp, wenige stunden vom Hohenstaufen entfernt, erhebt sich aus frischem Buchenwalde die Burg Hohenzollern. Viermal dreht sich der Thorweg im Kreise, bis man das prächtig erneute Schloß mit seinen Türmen und der Burglinde erreicht und deu wundervollen Blick genießt auf das schöne Schwabenland. Hier stand die sagenumsponnene Wiege der Hohenzollern, unseres deutschen Kaiserhauses.
Langsam wuchs das Gebiet der Zollern. Seit sie Burggrafen von Nürnberg geworden, war die ragende Burg am Nordrande der Stadt Albrecht Dürers ihr Wohnsitz. Dazu erwarben sie die Fürstentümer Onolzbach (Ansbach) an der Altmühl nnd Bayrent am oberen Main. Haushälterischer Sinn und Treue gegen den rechtmäßigen Kaiser bildeten den schmuck und die stärke des Geschlechtes. Friedrich III. hat Rudolf von Habsbnrg zur Krone, Friedrich IV. Ludwig dem Bauern zum Mühldorfer Siege verholfen. Kaiser Karl IV. erhob die Zollerngrafen in den Fürstenstand; dafür förderte Friedrich VI. eifrig die Erwählung Sigismunds, welchem er in fürchterlicher Türkenschlacht das Leben gerettet und allezeit „fleißig, treulich und frümblich gedient" hat. Der dankbare
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Kaiser schickte ihn als seinen Statthalter in die Mark Br an- / / // denburg.
Die von den ersten L-achsenkaisern jenseits der Elbe begründete christliche Gesittung war längst wieder vernichtet, als ,
Lothar von Sachsen seinen Freund Albrecht den Bären aus //&T /
dem Haus Askanien (Anhalt) mit der heutigen Altmark links der Elbe belehnte. Siegreich faßte dieser über dem Grenzstrome Fuß und nannte sich Markgraf von Brandenburg.
Schwert, Kreuz und Pflug wirkten zusammen. Unter der Leitung unermüdlicher, heldenmütiger Mönche nahmen westdeutsche «
Einwanderer die Ebene in Anbau. Um die Zeit, als die Deutsch- iJ‘
Herren und ihre Bauern das Land der Preußen von Wölfen und Bären säuberten und durch Deiche vor den Wellen der Weichsel und der Ostsee sicherten, entstand hier die Doppelstadl Berlin und Köln rechts und links der Spree.
Nach dem Aussterben der Assanier übertrug Ludwig der Bayer „die Marken" seinen Söhnen, und Karl IV. brachte sie 1Z Jj
als Kurfürstentum in seinen Besitz. Unter dem schwachen Wenzel riß der Adel alle Gewalt an sich, und das Land war in Gefahr, fin-Deutschland verloren zu gehen. Da kam Burggraf Friedrich und züchtigte die Raubritter, namentlich das trotzige Geschlecht der Quitzvws. Seine Riesenkanone „Faule Grete" zerschmetterte die 14 Fuß dicken Burgmauern und brach dem Landfrieden die Bahn.
Erst jetzt erfolgte anf dem Marktplatze zn Konstanz Fried-richs Belehnung mit der „Kurmark". Auf hoher Tribüne, 141' von vornehmen Geistlichen umringt, erwartete der Kaiser Sigismund seinen Freund. Während die Kurfürsten von der Pfalz und von Sachsen mit Scepter und Schwert an die Seite deS Thrones traten, schritt Friedrich, von weltlichen Herren aus seiner Wohnung abgeholt, zum Kaiser empor uud kniete nieder, ilutev feierlicher stille der Versammlung verlas der Kanzler die Rechte und Pflichten eines Kurfürsten, und der Kaiser fragte:
„Herr Kurfürst des heiligen römischen Reiches, lieber Oheim, wollt ihr das beschwören?" „Mächtiger König, gern," antwortete Friedrich. Nach dem Eide nahm Sigismund zwei Rittern, welche den Kurfürsten begleitet hatten, die Banner von Nürnberg und Brandenburg ab und übergab sie dem Kurfürsten, daun ebenso das Scepter des Erzkämmerers und den Reichsapfel
Nun schaltete Friedrich I. in der Mark als „Gottes slechter (schlichter) Amtinan an den Furstenthumen". Sein Sohn Albrecht, wegen seiner Tapferkeit Achilles geheißen, verordnete die Unteilbarkeit der Marken; deffen Enkel Jo achim I. führte in der Zeit des Humanismus eine bessere Rechtspflege
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ein und stiftete die Universität Frankfurt an der Oder, damit auch seine Unterthanen „das Kleinod der Wissenschaften" sich an-eignen könnten. Unter dem milden Jo ach im II. kam die Refor-y ' matten zur Einführung ohne Unruhe und Widerspruch. Johann
^ Sigismund rang mit Erfolg um die Jülich'sche Erbschaft.
Auch das Herzogtum Preußen fiel ihm, allerdings unter .^.„-.polnischer Oberhoheit, als Erbe seiner Gemahlin zu. Schon dehnte sich die Zollernmacht, wenn auch ohne Zusammenhang, vom Rheine bis zur Memel.
Furchtbar litt dann das Land im Dreißigjährigen Kriege. Kurfürst Georg Wilhelm wurde von seinem Schwager Gustav Adolf zum Bündnis gezwungen, toeit er dem Prager Frieden beigetreten, fielen die Schweden unter grimmigen Verwüstungen mehrmals in die Marken. Unter den trostlosesten Aussichten bestieg der 20jährige Kurfürst Friedrich Wilhelm den Thron der Hohenzollern.
4. Der Große Kurfürst. Ve’
Das Elend deö großen Krieges lastete noch lang auf unserem ganzen Volke. Es fehlte eine starke Hand, Ordnung zu schaffen. Mit den ausgedienten Soldaten' wetteiferte der verarmte Adel, die „Krippenreiter", in dem wüsten Stegreifleben und in der Bedrückung des Landmannes. Goldgräber und Goldmacher, Wunderdoktoren und Teufelsbeschwörer zehrten vom Aberglauben des gesunkenen Volkes. Die Gerichte boten dem Leben und Eigentum wenig Schutz, weil sich die Richter bestechen ließen, mitunter von beiden Parteien. „Selten fällt in einen offenen Beutel eiu schlimmes Urteil," lautete ein Sprichwort. Um so eifriger folterte und verbrannte man arme Frauen, d_[e für Hexen galten. Wackere Männer, wie der Jesuit Friedrich Lpee, der sich am Bett eines Pestkranken in seinem priester-lichen Berufe den Tod holte, erhoben vergeblich die Stimme der Menschenliebe. Die meisten Fürsten vergaßen der Pflichten ihrer Stellung. In verschwenderischer Baulust vergeudeten sie das Mark iljres Volkes; in gewissenloser Selbstüberhebung wollten auch sie Sonnenkönige sein. „Wenn Gott nicht Gott wäre, wer sollte billiger Gott sein als Ew. Hochfürstliche Durchlaucht?" so durste ein Schriftsteller einen deutschen Fürsten anreden.
Doch gab es auch deutsche Fürsten, welche mit voller Hingebung das Wohl ihrer Unterthanen zu fördern suchten; am kraftvollsten und erfolgreichsten that es der Große Kurfürst, Friedrich Wilhelm von Brandenburg. „Für Gott und das Volk!" war der Wahlspruch seines Lebens. Er hat eine Grün-
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düng für alle Zeiten geschaffen: den brand enbur gisch -
preußischen Ltaat, welcher dann mit Riesenschritten seiner Vergrößerung entgegenging, bis aus ihm unser neues deutsches Reich erwuchs.
Friedrich Wilhelins treffliche Erziehung war in Holland, vollendet worden, und die oranische Prinzessin LMe,wurde seine' erste Gemahlin. Den Niederlanden bewahrte er unverbrüchliche Zuneigung, aber auch dem Seewesen. Um so tiefer schmerzte ^ es den jungen Fürsten, daß beim Abschlüsse des Westfälischen Friedens aus dem Erbe der ausgestorbenen Pommernherzöge, das nach einem alten Vertrage ganz an Brandenburgs fallen sollte, Vorpommern mit Rügen und Der wichtigen Hafenstadt Stettin an Schweden, jffiö, welches dadurch ;urn Herrn des.
Baltischen Meeres wurde. Dennoch hat er in den hinter« pommerischen Häfen eine brandenbnrgische Marine geschaffen . und sogar an der Küste Guineas einige Niederlassungen (Groß- ' ^^ V Friedrichsburg, Dorotheenschanze) gegründet, die freilich wieder aufgegeben werden mußten. Zum Ersätze für Vorpommern wurden die Bistümer Halberftadt, Minden und Kam min, /. ^
sowie das Erzbistum Magdeburg sosort oder nach dem Ableben der Inhaber kurbrandenbnrgisch. Ans der Jülich'schen Erbschaft sicherte sich der Kurfürst Kleve, Mark (mit Soest) und Ravensberg (mit Bielefeld). Am Rheine, wie an der Weser v -
und Elbe, am Osuing wie am Harze hatte er sich festgesetzt; "
durch das Stift Kammin wurde Hinterpommern abgerundet.
Während eines Krieges zwischen Schweden und Polen gelang es ihm, durch Feldherrngeist unb staalsmännisches Geschick sein Herroatnm (Ost-'» Preußen aus ber polnischen,Lehensherrlichkeit zu losen, „souverän" zu machen. & * /;/, 1660
In allen seinen Landschastm beugte er bie „Stäube (ben Abel unb bie bevorrechteten (Stabte) unter seinen landesväterlichen Willen. Sie mußten ihm regelmäßige Abgaben, zunächst eine Verbrauchssteuer (Accise) bewilligen. Deren Ertrag verwandte er zum größeren Teil auf den Bau von Festungen und den Unterhalt eines stehenden Heeres mit welchem er den Frieden schirmte. Der Abel ließ von seinem Trotze; seine Söhne traten als Offiziere ins Heer. Noch früher versöhnten sich bie Stäbte mit bem neuen Zustande; ber Bürgermeister Magbeburgs,
Otto von Gnericke, ber Erfinder der Luftpumpe, wurde aus einem erbitterten Gegner ein warmer Anhänger des Monarchen.
Denn zusehends hob sich ber Wohlstandbie Trümmerhaufen fchwanben aus ben Stabten. Da bie Münbunq ber Ober in schwedischen Händen war, legte der Kurfürst ben „Neuen Graben änpben Friebrich-Wilbelms-Kaagl. durch welchen die Oderschiffe
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in die Spree nach Berlin und weiterhin durch Havel und Elbe nach Hamburg gelangen konnten. Und wie die Katholiken ungestörte Glaubensfreiheit genossen und das Gezänke lutherischer und reformierter Prediger durch scharfe Verbote gedämpft wurde, so fanden die Hugenotten fRefugies') in den Marken eilte sichere Heimat, in welcher diese unternehmenden und kenntnisreichen Geschäftsleute Fabriken für Tücher und Wollwaren, für Hüte und Mützen errichteten, als Goldschmiede, Uhrmacher, Bildhauer thätig waren, den Tabaksbau und edlere Obstsorten einführten. Auch die Landleute atmeten wieder auf,- seit Ordnung und Recht ins Land zurückgekehrt war. „Wir sind Bauern von geringem Gut und dienen unserm Kurfürsten mit unserm Blut," lautete die Inschrift auf der Fahne einer altmärkischen Landgemeinde.
Nach dem Vorbilde Friedrich Wilhelms wirkten auch andere Fürsten zum Segen für Bürger und Bauern. Neustadt an der Dosfe (einem rechten Zufluß des Rhins, der ostwärts Havelbergs in die Havel mündet) zählte sieben Bauernhöfe, als es durch Kauf in den Besitz des Prinzen Friedrich von Homburg kam, eines tapferen Kriegsmannes, dem in schwedischen Diensten vor Ko^enbaaen ein Bein weggeschossen worden war; er schnitt es mit einem Messer vollends ab und ließ es später durch ein silbernes ober versilbertes ersetzen. Der baute in Neustadt Dutzende neuer Höfe und eine stattliche Kirche, eine Glashütte und ein Eisenwerk, eine Ziegelei, eine Schneidemühle und eine Papierfabrik. Durch einen Kanal machte er bie Doste für bie gewerblichen Anlagen nutzbar und gewann fette Wiesen für feine Pferdezucht. Er verlieh ben Anfieblent große Vorrechte ; der Kurfürst gewährte dem aufblühenden Orte die Stadtgerechtigkeit und vermählte dem Prinzen seine Schwestertochter Luise Elisabeth von Kurland. In der Landgrasschaft Hessen-Homburg, die Friedrich nach dem Tode seiner Brüber und Neffen erbte, nahm auch er Hugenotten auf, bereit Nachkommen noch heute (in Friebrichsborf im TannnS) französisch sprechen.
Im Gegensatze zu westdeutschen Fürsten, welche mit Lub-wig XIV. ben Rheinbund schlossen, hielt Friebrich Wilhelm treu zum Kaiser. Nach Ferbinanbs III. Tobe verschaffte er besten Sohne LeopoldI. die Krone des Reiches. Der Habsburger hat seinem wackern Verbündeten dafür wenig Dank bewiesen.
5. Die Schlacht bei Fehrbellin.
Die Holländer hatten einen ruhmvollen Seekrieg mit Ettg-land geführt, welches kein Cromwell mehr leitete. Ihr wackerer
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Admiral be Riiyter, bev einst aus eines Seilers Lehre auf ein Schiff entlaufen war, vevbrannte bie englische Flotte im Hafen zu London; sein Kollege Tromp zeigte ben Englänbern, wenn er stolz an ihrer Küste vorüberfuhr, einen Besen am Mastbaum; beim er hatte sie in 32 Schlachten weggefegt vom Meere. Dann aber machten sie Frieden, um im Dreibünde (Tripel-Allianz) mit England und Schweden dem übermütigen Franzosenkönig ein Halt zuzurufen, als er unter nichtigem Vorwanbe die -
spanischen Niederlande zu erobern suchte.
Racheschnaubend trug nun Ludwig XIV. seine überlegenen Waffen in die freien Niederlande, diesen arbeitwimmelnden Bienenkorb voll Handels und Reichtums, mit unzählbaren Städten voller Tulpenbeete unb Gemälbesammlungen. Da war „Hollanb in Not". Friedrich Wilhelm allein wagte es, dem Statthalter Wilhelm III. von üranien, seinem jungen Neffen, beizubringen. Auch den Kaiser riß sein Beispiel mit. Allein das schmähliche Zaudern des kaiserlichen Felbhevvn vereitelte den großen Gedanken des Kuvfürsten, das Elsaß zurückzugewinnen und Straßburg zu sichern. ^ Inzwischen _ fielen die (Schweben, bereu Regierung von den Franzosen bestochen war, in bie Marken ein.
„Meinem unb meiner Lande Untergang zuzusehen,' schrieb der Kurfürst, „läuft wider mein Gewissen." J\n raschem
Marsche eilte er von Rhein zum Rhin, teein alter Feldmarschall Dersflinger, welchen die zeitgenössische Sage zu einem ehemaligen Schneidergesellen machte, nahm durch tollkühnen nächtlichen Überfall die Stadt Rathenow an der Havel. „Nun müssen sie Fell oder Federn lassen!"_ rief Friedrich Wilhelm, den weichenden Feind nordwärts verfolgend. Der „Landgraf mit dem silbernen Bein", der von seinem Wohnsitz in dem nahegelegenen Neustadt her das Labyrinth von Sümpfen am Rhin genau kannte, erhielt auf feine Bitte die Führung der Vorhut und war mit feinen Reitern bald „brav auf der Jagd mit den Herren Schweden". Unter strömendem Regen brachte er sie vor den Pässen bei Fehrbellin zum Stehen. Wiederholt warf er sie aus ihren Schanzen und besetzte am frühesten Morgen 2«. aimi ben ihre Linien beherrschenden „Kurfürstenberg". Der heran- 1675 kommende Kurfürst ließ von dort das Geschütz „überzwerch in die feindlichen Bataillone spielen, und als sie bei hervorbrechender Sonne die Batterie stürmen wollten, brach der Prinz mit seinen Schwabroiteu aus ben Dechtower Fichten in ihre Flanken unb warf sie zurück. Da ging es,_ wie er seiner „allerliebsten Frauen" schrieb, „recht luftig ein etuitbe 4 ober 5 zu". Den greisen Derfflinger hieb er im Hanbgemenge persönlich heraus; der
,Stallmeister Froben, im dichtesten Kugelregen vor dem Kurfürsten herreilend, sing mit seinem Leibe die tödliche Kugel auf, die letzterem gegolten. Endlich wich der Schwede über den Rhin zurück; auf der blutigen Walstatt hielten die Sieger ihr Mittagsmahl. Das war die erste selbständige .SMaüht der braudenburgisch-preußischen Truppen, ein Sieg der Reiter — das Fußvolk hatte nicht folgen können — gegen eine überlegene, gut ausgerüstete Armee.
Nun ging es mit Feuereifer vorwärts, der Kurfürst allezeit voran, allen Widerstand niederwerfend. „Man sieht," rief er in seiner Siegerfreude, „daß Gottes Hand mit uns ist." Er schlief auf Stroh; die Granaten schlugen neben ihm ein. Nach hartnäckiger Belagerung nahm er Stettin: er selbst war mit seiner Gemahlin in den Laufgräben erschienen. Stralsund, welches -Wallenslein) gerade vor fünfzig Jahren nicht bezwungen, mußte sich ergeben. Pommern huldigte seinem rechtmäßigen Herrn. Als die Schweden von Lievland aus, das ihnen gehörte, mitten im Winter in Preußen eindrangen, sauste er mit seinem Heer-auf Schlitten über das gefrorene Kurische Haff und jagte sie in wenig Wochen über die Grenze./
Mittlerweile ward Freiburg von den Franzosen erobert; Holland und der Kaiser hatten zu Nymwegen sich mit Frankreich verständigt ohne den Kurfürsten. Denn Leopold I. blickte längst mit Neid auf den emporstrebenden „Vandalenkönig an der Ostsee". Den französischen und schwedischen Waffen allein gegenüberstehend, mußte Friedrich Wilhelm Frieden machen um jeden Preis. Blutenden Herzens unterzeichnete er den Vertrag von St. Germain, in welchem er fast alle seine Eroberungen, namentlich das geliebte Stettin, herausgeben mußte.
Es war nicht sein letztes schmerzliches Erlebnis. Ludwig XIV. benutzte die Schwäche des deutschen Reiches, um alle Städte und Dörfer, Höfe und Wälder, welche jemals wirklich oder angeblich zu Frankreich oder einem seiner Landeöleile gehört hatten, mit demselben „wieder zu vereinigen". Nach dem Anösprnch eigens errichteter Rennions-Kammern nahm er mitten im Frieden zehn Reichsstädte im Elsaß weg, zuletzt sogar Straßburg, „die wunderschöne Stadt". Vanban, Ludwigs großer Festungsbaumeister, machte sie alsbald uneinnehmbar. Der König selbst hielt einen feierlichen Einzug. Aber länger als ein Jahrhundert hat die Bürgerschaft noch treu am Reiche gehangen.
Wenig Jahre später starb der Große Kurfürst, umgeben von der Liebe und Ehrfurcht seines Volkes und seiner Kinder. Denn er war nicht nur ein guter Fürst, sondern auch ein guter
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Hausvater, dem es wohl war im Kreise der Seinen, wenn er in Gartenarbeiten und in der Pflege seiner Singvögel Erholung sand. Vor allem aber lag ihm sein Heer am Herzen, auf
welches er zwei Dritteile seiner Einkünfte verwendete. Er
empfahl es feinem Nachfolger als seine eiserne Hand. Es erfüllte seine Seele mit Zuversicht in der letzten Stunde. Denn
er wußte, daß sein Neffe sich anschickte, mit dem Beistände brandeuburgifcher Truppen die Krone Englands zu erringen.
Wilhelm III. sollte Friedrich Wilhelms Lebenswerk weiter-führen: den Kampf gegen Frankreichs Herrschsucht.
6. Prinz Eugenins. DerPfälzerMordbrennerkrieg.
Der Kaiser sah dem Länderraube des Franzosenkönigs fast unthätig zu. Denn der Türke, mit welchem Ludwig XIV., der „ allerchristlichste König", heimlich im Einvernehmen stand, wagte eben damals den letzten großen Vorstoß gegen das Abend-land und die gesittete Welt. Weit und breit brannten Städte und Dörfer; die Bewohner wurden in die Sklaverei geschleppt, v-* * j.
Der Großvezier (Feldmarschall und Kanzler) erschien mit zahl-^«^ losem Heere vor Wien. Der herrliche StephanSdom sollte 1683 eine Moschee werden wie die Sophienkirche in Koustantinopel.
Aber Graf Rüdiger von Star Hemberg verteidigte die Kaiserstadt mit Löwenmut. Als er verwundet wurde, ließ er sich au die gefährdeten Stellen tragen, um anzufeuern und anzuleiten. Von Bürgern und Studenten wacker unterstützt, wies sein kleines Häuflein die fast täglich wiederholten Stürme der Ungläubigen zurück. Doch schließlich erlahmte die Kraft, die Lebensrnittel gingen ans; weit ins Land verkündete eine vom StephanS-turm aufsteigende Raketengarbe die höchste Not. Die Hülfe kam. Am Kablenberae. dein äußersten Ausläufer des Wiener Waldes, sammelte der kaiserliche Feldherr, Herzog Karl von Lothringen, ein stattliches Heer. Auch Kurmärker waren dabei. Hoch zu Roß war der Große Kurfürst trotz seines Alters im Lager bei Krossen erschienen, um ihnen mit ergreifenden Abschiedsworten den Waffenruhm der Brandenburger ans Herz zu legen. „Mit Geist und Gemüte werde ich allezeit in eurer Mitte sein." Die Kursürsteu von Bayern und Sachsen, sowie der Polenkönig Johann Sobieski führten ihre Regimenter persönlich gegen den immer noch vierfach überlegenen Feind. Nach heißem Kampfe wichen die Türken, ihre Gefangenen ermordend.
Dem Großvezier ließ der Sultan zu Belgrad den Kopf fchlagen.
Auf dem linken Flügel hatten dreiunddreißig Prinzen rühm-
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/(c(n '■ —-Ijf voll gefochten; darunter Eugen von Savoyen. Seine Eltern
lebten am französischen Hofe. Vier Söhne standen in Kaisers Dienst. Auch Eugen, der jüngste, zeigte trotz seiner schwächlichen Gestalt frühzeitig kriegerische Neigung. Alexander war sein Lieblingsheld, Mathematik seine Lieblingswissenschaft. Ludwig XIV. schenkte ihm die Einkünfte eines Klosters, versagte jedoch dem „kleinen Abt" die Aufnahme ins Heer. Da verließ er den Boden Frankreichs, entschlossen, ihn nur als feindlicher Feldherr wieder zu betreten, und nahm Dienst in dem Kreuzheere, welches wider den Halbmond zog. Nach dem Entsätze Wiens ward er Oberster eines Dragoner-Regimentes; bei der Belagerung Ofens,^dann beim Sturm auf Belgrad^ward er verwundet.
Es war eine glückliche Zeit für des Kaisers Waffen. Seine Verbündeten, die Venetianer, eroberten die Halbinsel Morea (Peloponnes) und rückten vor Athen. Dort sprengte eine von hessischen Söldnern abgefeuerte Bombe das Pulvermagazin im Parthenon in die Lnft samt dem glanzvollen Bauwerke des Phidias, ein unermeßlicher Verlust. In Ungarn selbst führten , , neben Herzog Karl der Kurfürst Max Emanuel von Bayern
und Markgraf L u d w i g von Baden-Baden, der „Türkenbändiger", die kaiserlichen Völker von Steg zn Sieg. Aber die Entscheidung brachte doch Eugen, sobald er ein eigenes Heer erhalten. Auf dem Marsche nach dem ihnen anhangenden Siebenbürgen holte er die Türken bei Zenta ein und jagte sie nach tapferer P Gegenwehr ihrer Kerntruppen, der Janitfcharen, in die Theiß, welche sie eben überschreiten wollten.
1699 Die Frucht dieses Sieges war der Friede zu Karlowitz. Österreichs Grenze wurde vou der Donau-Insel Schütt vorgeschoben bis an die Save. Abgesehen vom Temeswarer Banat zwischen Donau, Theiß und Marosch wurde ganz Ungarn nebst Siebenbürgen endgültig habsbnrgisches Land./
Um seinen guten Freunden Luft zu machen, hatte inzwischen Ludwig XIV. den nichtswürdigsten seiner Kriege geführt. Seiu Bruder, der Herzog von Orleans, war mit der Enkelin des Winterkönigs vermählt, der Pfälzer Prinzessin Elisabeth <^h a r l o t t e^Liselytte), einer trefflichen deutschen Frau, die sich von den „Ceremonien" und „Lappereien" am Hose des „großen Mannes" herzlich „tronblieret" und durch die Unwahrhaftigkeit und Leichtfertigkeit der Großen, auch ihres Gatten, unsäglich bekümmert fühlte. Als ihr Bruder, der Kurfürst, kinderlos starb, erhob Ludwig im Namen ihres GemaM^ aber sehr gegen ihren Willen, Ansprüche auf das schöne Land. Fast ohne 1688/ Schwertstreich besetzten seine Heere die festen Städte am Rhein.
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Im nämlichen Jahre vertrieben die Engländer Karls II. Bruder, den bigotten Jakob II., und Beriefen dessen Schwiegersohn Wilhelm III. auf den Thron. Als Oberhaupt des englischen wie des holländischen Volkes stand der Dränier zugleich mit seinem Vetter, dem Kurfürsten Friedrich III. von Brandenburg, mit Bayern und dem Kaiser im Bunde wider Ludwig, welcher den gestürzten König an seinem Hose aufnahm? „Heut ist der erste Tag meines Königtumes," ries Wilhelm, als er das Parlament zur Kriegserklärung vermocht hatte. In jenen Tagen zog endlich wieder* das Gefühl der Zusammengehörigkeit durch die Herzen der schwer gereizten Deutschen; in Schorndorf bei Stuttgart wollten sogar die Frauen sich wasfuen gegen den Mordbrenner Melac.
Die Franzosen mußten umkehren. Da gab ihr Kriegsminister Lonvois den teuflischen Befehl, den Einmarsch der Deutschen nach Frankreich zu hindern durch eine breite Wüste. Mit kaltblütiger Berechnung zerstörten sie Hunderte von Städten und Dörfern und stießen die Bewohner nackt und hülflos in die Winterkälte hinaus. Das Schloß zu Heidelberg, Deutschlands schönsten Burgbau aus der Renaissance-Zeit, sprengten sie in die Luft und verbrannten die Stadt; von Mannheim blieb kein Stein auf dem andern. Der Salier-Dom in 'opeier ging in Flammen auf, die Kaisergräber wurden geschändet. Tag und Nacht sah die arme Liselotte die Bilder der Verwüstung vor ihrem Auge, und sie verhehlte ihren Schmerz nicht, „sollte man mir das Leben darüber nehmen, so kann ich doch nicht lassen zu beweinen, daß ich sozusagen meines Vaterlandes Untergang bin," schrieb sie.
Auch Frankreich litt entsetzlich unter dem sinnlosen Kriege. Aus Geldnot errichtete der König die wunderlichsten Ämter, um sie zu verkaufen: Leichenbitter, Viehhändler, Fuhrleute; er zwang die wohlhabenden Hausstände, nach seinem Vorgänge ihr Gold-nnd Silbergeschirr," auch ihre silbernen Prunktische und Schränke in die Münze zu schicken. Handel und Gewerbe stockten, der Landbau verfiel. Jahre lang herrschte Teurung und Hungersnot; Eltern tötete» ihre Kinder, um sie nicht verhungern zu sehe». Man bezeichnete Frankreich als ein tröst- und brotloses Spital.
So bequemte sich der „Sonnenkönig" zum Frieden, der in dem Schlosse Ryswik beim Haag vereinbart wurde. Er behielt alle seine Rennionen, auch Straßburg, gab aber Freiburg, und Breisach an ^erreich zurücke Ein größerer Kampf stand bevor, aus welchen beide Großmächte ihre Kräfte sammeln wollten.
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im
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7. Der Spanische Erbfolgekrieg.
Mit Philipps II. Urenkel Karl II. starben die spanischen Habsburger aus. Nach manchen Verhandlungen und Schwan-kungen^ernannte er in seinem Letzten Willen den zweiten Enkel seines Schwagers Ludwigs XIV., den Herzog Philipp von Anjou ■ »u seinem Nachfolger. Spanien samt seinen Nebenlanden (den Niederlanden, Mailand, Neapel, Sizilien und Sardinien) und „beiden Indien" sollte an das bourbonische Haus, aber nie an Frankreich fallen. Wenige Tage nach Karls Tode stellte Ludwig im Vertrauen auf sein stattliches Heer von 200000 Mann den siebzehnjährigen Philipp V. seinem Hof als König von Spanien vor, und der spanische Gesandte rief, nun seien die Pyrenäen hinweggeschmolzen.
Am gleichen Tag unterzeichnete Kaiser Leopold, der ebenfalls Karls Schwager war, einen Vertrag, durch welchen er die Erhebung Brandenburgs zu einem Königreiche Preußen
guthieß. Demi Kurfürst Friedrich III. wollte weder hinter Wilhelm III. zurückstehen, noch hinter dem Kurfürsten August II. von wachsen, welcher um ungeheuere Summen und durch den Übertritt zur katholischen Kirche sich die Krone Polens erkauft hatte. Jetzt gründete er den Schwarzen Adler-Orden, und am 18. 1701 Januar 1701 setzte er in Königsberg sich und seiner Gemahlin die Krone aufs Haupt. Dafür stellte er dem Kaiser für die ganze Dauer des Krieges sein wohlgeschultes Heer zur Verfügung. Auch Holland verband sich wieder mit dem Kaiser,
' und Wilhelm III. erwirkte kurz vor seinem frühen Tod auch Englands Kriegserklärung. Dagegen stellte sich der bisher wackere Bauernknrfürst, weil ihn der Kaiser gekränkt, auf die L>eite der Franzosen. Die Spanier empfingen Philipp V. mit Jubel; in die Nebenländer rückten die Franzosen ein.
Allein Prinz Eugen führte auf Gebirgspfadeu, über
welche noch nie ein Wagen gefahren war, sein Heer über die
Alpen und holte den Marschall Villeroy als Gefangenen aus der Festung Cremona heraus. Unterdessen zog ein französisches Heer über den Rhein nach Bayern, und Max Emanuel drang in Tirol ein. Aber am Brenner-Paffe zwangen ihn die treuen Älpler unter Martin Sterzinger durch wohlgezielte Schüsse und herabgerollte Felsstücke zur Flucht, und der Kaiser stellte den Prinzen Engen au die spitze seiner Heeresleitung, des Hofkriegsrates. Entschlossen, an die Säuberung Bayerns den letzten Mann und den letzten Gulden zu wagen, stieß er zu dem großen englischen Feldherrn Earl (Graf), später Herzog von Marlborongh, welchen er ans den Niederlanden herbei-
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gerufen hatte. Selbstlos überließ er ihm den Oberbefehl. Bei Höchstädt oder Blind heim vernichteten sie das bayerisch-sran- 1704 zösische Heer durch einen ©ieg, wie er feit Jahrhunderten nicht mehr erlebt worden war. Geächtet von Leopolds Nachfolger, dem thatkräftigen Kaiser Joseph I., übernahm der Wittelsbacher die Statthalterschaft der Niederlande; aber MarlboronghS Sieg bei Ramillies trieb ihn abermals von Land und Leuten; 1706 und Eugen eilte feinem Vetter, dem Herzog Viktor Amadeus von Savoyen, zu Hülfe; denn die Franzosen belagerten seine Hauptstadt Turin, weil er von ihrem Bündnisse zurückgetreten war. „Italien ist unser!" rief er den „blauen Jungen", den Preußen zu, als sie unter Herzog Leopold von Anhalt-Dessau das feindliche Lager erobert hatten. Als die Franzosen gegen die verlorenen Niederlande noch einen Vorstoß machten, verband sich Eugen wieder mit seinem englischen Freunde. Bei ]708 Oudenarde war er unter den Ersten, welche die feindlichen Schanzen erstiegen, bei Malplaquet brachte er nach furcht- 1709 baren Verlusten, die eigene Kopfwunde nicht beachtend, die siegreiche Entscheidung.
Frankreich wurde jetzt der Kriegsschauplatz und kostete selber das Elend, welches es seit hundert Jahren über Deutschland ausgoß. Es war aufs äußerste erschöpft, die Steuerlast unerträglich. Die seltsamsten Ämter wurden verkauft: Butter-, Fleisch-, Perücken-Jnspektionen! Dennoch konnte man dem Heere den genügenden Schießbedarf nicht mehr liefern. Ein Zehntel des Volkes fei an den Bettelstab gekommen, schrieb damals der Marschall Vauban, und fünf Zehntel nicht imstande, jenen Almosen zu geben! Dazu kam noch der entsetzlich harte Winter 1708/9, in welchem alle Obstbäume erfroren und die Saat im Acker. Lndwig hatte Mühe, die eigene Tafel zu besetzen. Er war geneigt zum Frieden. Aber die Rückgabe des Elsaßes, auf welcher Engen bestand, und gar die Forderung der Verbündeten, er solle selbst zur Verjagung seines Enkels aus Spanien mitwirken, erschien ihm unvereinbar mit seiner und seines Landes Ehre.
Da starb Kaiser Joseph unerwartet an den Blattern. Sein Brnder Karl wurde Kaiser. Die „Seemächte" (England und Holland)'erschreckte der Gedanke, daß Spanien abermals mit dem Reich und den österreichischen Erblanden verbunden werde. Königin Anna, Jakobs II. jüngste Tochter, welche ihrem Schwager Wilhelm nachgefolgt war, entließ ihre Oberhofmeisterin und Freundin, Marlboroughs Gattin Sarah JenningS, und trennte sich von den Whigs (Demokraten), und ihr neues Ministerium, die Tories (Aristokraten) schlossen ohne Rücksicht auf die Ver-
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1713 bündeten beit Frieden zu Utrecht. Englanb erhielt von
Frankreich bie Länder an bei- Hnbsons-Bai, von Spanien bie Meeresfeste Gibraltar, welche eine englische Flotte um bie Zeit /r/i ber Blinbheimer Schlacht weggenommen unb ein bentscher Prinz,
Georg von Hessen, sieben Monate lang ruhmvoll verteidigt hatte. ^L-avoyen erhielt bie Insel Sizilien, bie es nachmals gegen Sardinien vertauschen mußte, unb ben Königstitel. Preußen fiel aus bem Nachlasse des orauischen Hauses nur die Herrschaft Obergeldern, die Grafschaften Meurs und Singen, sowie das Schweizer Landcheit Neuenburg zu. Völlig leer ging Holland aus; es wurde preisgegeben, wie es vor 35 Jahren den Großen Kurfürsten preisgegeben hatte. Philipp V. erhielt Spanien mit Indien, der Kaiser, als er zu Rastatt bem Frieden beitrat, die spanischen Nebenländer. Seine Herrschaft erstreckte sich vom Ätna bis zur Nordsee.
Das Reich mußte Landau an Frankreich abtreten! Es hatte durch ben Krieg bie schwerste Einbuße erlitten an Gut unb Blut, aber auch an Ehre. Kummer unb Scham über bie Reichsstände, welche kaum ein Viertel der versprochenen Streitkräfte sendeten, hatten dem Reichsfeldherrn, bem „Türkenlouis", das ^ Herz gebrochen. Nach seinem Tobe überschwemmten bie Fran-
’f■' .. zosen isubbeutschlanb unb schleppten in einem Jahr 9 Millionen
Gulben an Branbschatziingsgelbeni weg. Ein Drittel hätte genügt, die Grenze zu sichern.
Ludwig XIV. war ein gebrochener Mann. Sein Ansehen war dahin, sein Hans verödet. Binnen Jahresfrist waren sein Sohn, sein Enkel und Urenkel an Blattern und Röteln weggestorben. Außer dem König von Spanien überlebte ihn nur sein zweiter Enkel, ein schwächliches Kind, welches bie Wärterinnen ben mörderischen Hauben ber Ärzte gewaltsam entrissen. Alle, die er geliebt, verließen den sterbenden Greis; die Pariser warfen
1715 (Steine auf feinen Leichenwagen. Er hinterließ bem Laube eine Schulbenlast von zwei Milliarbeit Livres!
Die Vormundschaft über den fünfjährigen Ludwig XV. übernahm Liselottens mißratener Sohn, ber Herzog Philipp von Orleans. Er that bas Seine, um ben Haß unb bie Verachtung gegen bas Königtum noch zu verschärfen.
Um so stolzer erhob sich Englanb. Es staub als Großmacht ebenbürtig neben bem Kaiser und Frankreich. Im Zeitalter der Königin Anna erlebte es auch eine hohe Geistesblüte. Isaak Newton entdeckte die großen Naturgesetze des Falles und der Zerlegbarkeit des Lichtes. Daniel Desoe schrieb seinen „Robinson", Jottathatt Swift „Gullivers Reisen".
V. Preußen und Österreich.
1. 'Peter der Große.
Die unabsehbare Ebene Osteuropas, in welcher einst die Scythen ihre Herden weideten, bewohnte das slavische Volk der .. .
Russen, Das normannische (warägische) Hau- der Rurik führte feit dem nennten Jahrhundert Uri Nowgorod imb (am Dnjepr), später von Moskau aus die Herrschaft über baS ganze Lanb oder seine Sonberteile. Im Jahrhundert ber Reformation unterwarf Iwan ber Schreckliche bie Kaiserreiche Kasan imb Astrachan an ber Wolga imb erschloß Sibirien. Mit seinem ennorbeten Knaben Dmitrij (Demetrius) erlosch bas Hauö Rurik. Nach längeren Wirren gewann ein Romanow die Krone.
Der vierte Zar (Kaiser) dieses Hauses hat die Russen erst zn einem europäischen Volke gemacht. Schon als Knabe suchte sich der lerneifrige Peter in der „Deutschen Vorstadt" Moskaus, wo die abendländischen Handwerker wohnten, alle .Handfertigkeiten und Kenntnisse gesitteter Völker anzueignen. In Archangel, lvo seit Elisabeths Tagen die englischen Handelsschiffe anlegten,' ließ er sich im Schiffsbau unterweisen. Der Genfer Lefort ltiib der Schotte Gerben bildeten ihn mit einer Schar von Altersgenossen soldatisch ausser selbst'diente vom Gemeinen auf, wie er denn in allem burch bas Gehorchen bas Herrschen lernen wollte. Als er mündig geworden, reiste er ins Abendland, um sich mit dessen geistigen und gewerblichen Vorzügen noch vertranter zu machen. Aus ber Werft zu Zaanbam bei Amsterdam arbeitete er einige Zeit als SchiffSzimmennann, wie er es daheim so oft gethan. Auf dem Wege von England nach Venedig, in Wien, erreichte ihn die Kunde von einem Aufstande ber Strelitzen, einer abeligen Garbetruvve. die ähnlichen (FtnrhiH übte wie im alten Rom die Prätorianer. Er eilte nqch Moskau und wahrte bie neue Ordnung durch massenhafte Hin-richtiiitg der Strelitzen; seine Schwester nnb ehemalige Vormün-berin Sophie, welche "bte Empörung angestiftet, verbrachte beit Rest ihres Lebens im Kloster.
Vor allem galt eö, Rnßlanb beit Zugang zum offenen Meer zu gewinnen. Daher verbanb er sich mit Kaiser Leopolb I. mitnahm den Türken Asvw am gleichnaiitigeit Meere. Auf seiner
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Reise verabredete er dann mit den Königen von Polen nnd Dänemark einen Krieg gegen Schweden, welches seit Gustav Adolf fast die ganze Küste der Ostsee beherrschte. Allein der achtzehnjährige König Karl XII. erschien völlig unerwartet vor Kopenhagen nnd zwang die Dänen zum Frieden; darauf schlug er PeterS mehrfach überlegenes Heer vor der esthischen Grenzfestung Narwa und warf sich siegesberauscht auf deu dritten Feinds In allen Schlachten geschlagen, mußte sich August der Starke in seine Heimat zurückziehen, welche durch seine maßlose Prachtliebe schou so viel gelitten und für den Polenkrieg 60000 Menschen und über 100 Millionen Thaler geopfert hatte. Karl folgte ihm mitten durch Schlesien und nötigte ihn 1706 im Frieden zu Altranstädt, zugunsten seines Gegenkönigs Stanislaus Leszczinsky auf die polnische Krone zu verzichten.
Behaglich schaute Peter dem Kampfe Schwedens mit Polen zu, die ihm beide im Wege standen, und eroberte mittlerweile die Küstenländer am Finnischen und Rigischeu Meerbuseu: Jnger-mannland, Esthland, Livland. An der Newa-Mündnng ließ er durch Hunderttausende zusammengetriebener Bauern seine neue Hauptstadt St. Petersburg bauen, eine bequeme Pforte, durch welche die europäische Bildung ihren Einzug halten sollte in sein Reich. Zugleich bildete er immer neue Regimenter.
Als nun König Karl, durch den alten Kosaken-Hetman Mazeppa Bethört, einen tollkühnen Einfall in die Ukraine unternahm, konnte ihm Peter ein zahlreiches und im Kriege selbst 1709 eingeübtes Heer gegenüberstellen. Bei Pultawa östlich des Dnjeprs wurde der König entscheidend geschlagen. Es war der Todestag der Großmacht Schwedens und der Wohlfahrt des menschenarmen Landes. Karl XII. flüchtete zu den Türken; seine -Soldaten mußten Lehrmeister der Russen werden oder nach Sibirien wandern. Ein Krieg zwischen Rußland und der Türkei, welchen Karl hervorgerufen, kam durch den Frieden am Pruth zn raschem Ende. Peters klnge Gattin Katharina soll den Großvezier bestochen nnd dadurch den eingeschlossenen Zaren und sei» Heer gerettet haben.
Während Schwedens Länder über der Ostsee verloren gingen, blieb der König mit unglaublichem Starrsinn jahrelang in der Türkei, ja er wehrte sich in wahnwitzigem Trotze gegen ein Janitscharen-Heer, das ihn fortbringen sollte. Als er endlich heim eilte, war es zu spät. Rur Finnland und die Westspitze Pommerns nebst Rügen verblieb den Schweden. Vorpommern bis zur Peene fiel an Preußen, das Erzstift Bremen an Hannover, dessen Kurfürst seit Königin Annas Tode die Krone Englands trug. Karl selbst, ein anspruchsloser Soldat, fand
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seinen Tod unter den Mauern der norwegischen Festung Fredriks- 1718 hald, die er belagerte.
Von nun an steht Rußland in der Reihe der europäischen Großmächte. Mit Riesenschritten führte Peter sein Volk zu Wohlstand und Gesittung. Auf allen Gebieten griff er persönlich ein, belehrend und anordnend, tadelnd und strafend mit rastlosem Eifer; Zeitverlust sei dem Tode zu vergleichen, sagte er. Er zog auswärtige Handwerker und Beamte ins Land und sendete junge Russen zu ihrer Ausbildung nach Westeuropa.
Er Bemühte sich, den Popen (Geistlichen) besseren Unterricht zu verschaffen, und gründete zahlreiche Schulen; jeder sollte lesen lernen, damit ihn die Schreiber nicht gar so arg übers Ohr hauen könnten. Bestochene Richter und Beamte strafte er mit Strenge. Er bildete und übte ein starkes Heer und eine Kriegsflotte ; er baute Festungen, aber auch Häfen und Kanäle. Dabei watete er selbst durch die Moraste. Beim Bau des Newa-Wolchow-Kanales südlich des Ladoga-Sees schob er mit eigener Hand den ersten Karren Erde zum Damm; als er die vollendete Wasserstraße eröffnete, warf er jauchzend die Mütze in die Luft und umarmte den leitenden Baumeister. Er suchte die Russen an Ehrlichkeit im Handel zu gewöhnen und lehrte die Bauern neue Arten von Hacken und Sensen gebrauchen. Er förderte den Bergbau im Ural und schützte den Wald; von fünf zu fünf Werst (Kilometer) ließ er Galgen aufrichten für Waldsrevler. Er befahl, die Frauen in die Gesellschaften mitzunehmen, und besteuerte um der Reinlichkeit willen die langen Bärte, obgleich die Popen im Abscheeren derselben eine Verkümmerung der Gottähnlichkeit und damit einen Schaden für das Seelenheil erblicken wollten.
Allerdings blieb Peter selbst zeitlebens ein gewaltthätiger Despot. Durch Knute und Folter wollte er seine Russen zum Glucke führen, ihnen begreiflich machen, daß sie auch Menschen seien. Für sich wollte er nichts. So war sein Leben, so sein Tod.
Bei der Rettung eines Soldatenbootes im Finnischen Busen schritt er bis an den Gürtel ins Wasfer; darauf ergriff ihn eine Krankheit, welcher sein nicht sehr starker und nie geschonter 1725 Körper erlag.
2. König Friedrich Wilhelm I. und sein Sohn.
König Friedrich I. umgab seinen jungen Thron mit allem Glanze. In seinem Aufträge goß der Hamburger Künstler Andreas Schlüter das eherne Reiterstandbild des Großen Kurfürsten, welches bis auf den heutigen Tag das schönste Bildwerk ist diesseits der Alpen, und schuf aus dem alten Kur-
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fürstenschloß in bem prächtigen Barockstil jener Zeit, mit wuchtigen, mehrere^ Stockwerke überragenben Säulen unb reichem bilbneri-schem Schmucke, bas herrliche Bauwerk, in welchem heute ber brutsche Kaiser wohut.
Aber erst Friebrichs Sohn Fri ebrich Wilhelm I. erhob Preußen zu Macht unb Wohlstanb. Er entließ sofort bie überflüssige Dienerschaft unb bie gutbezahlten Müßiggänger bes Hofstaates. „Ein Fürst muß sparsam sein mit bem Gute wie mit bem Blute seiner Unterthanen," sagte er. Er fügte zur Steuerpflicht bie Schul- unb Wehrpflicht; auf biesen brei Pflichten ruht bis heute ber preußische unb alle beutfchen Staaten. Schon als Kronprinz für bie Errichtung von Volksschulen thätig, erließ er als König ein Gesetz, welches jeben Vater zwang, seine Kinber in bie schule zu schicken. Mit Leib mtb Seele war er Soldat. In seinem Heere waren bie Offiziersstelleu nicht käuflich wie in Frankreich; bie Söhne bes branbenburgischen .
Abels biente» pflichtgemäß iit bes Königs Rocke bem Vater-lanb. Von ben Soldaten war ein Teil angeworben, namentlich bie „Riesengarbe", an bereu Parademarsch ber „König Felb-webel" seine Herzensfrenbe hatte; vor ben preußischen Werbern war niemand sicher, ber mehr als sechs Fuß maß: „Wachse nicht, sonst fangen bich bie Werber!" riefen bie schwäbischen Mütter ihren Knaben zu. Deu Kern bes Heeres aber bilbeten
bie Bauernsöhne. Die alte märkische Treue unb Tapferkeit, welche sie mitbrachten, würbe burch eine strenge Zucht mit Stockst rügeln unb Gassenlaufen auch ben Angeworbenen eingebläut./''
Die Städter hatten an Stelle bes Kriegsdienstes eine Accise zu entrichten. Sie sollten bas „Bergwerk" des Volkswohlstandes ausbeuten, das Gewerbe und den Handel. Es verdroß den kerndeutschen Fürsten, daß man den „Blitz- unb Schelm fran-
jofen" so viel abkaufe. Im Unterschieb von seinen Stanbes-genojsen betrachtete ber König beit Staat nicht als sein Eigentum; er erkannte als seine königliche Gewissenspflicht, sein Volk, „so viel nur mensch unb möglich" zu „konservieren", es wohlhabend genug zu machen,bajj es die Abgaben nicht als Druck empfand.
Er verteilte die Steuern auf alle seine Unterthanen nach Maßgabe ihres Vermögens; sein eigener Hofhalt sollte nicht accisefrei sein. Er verwandelte die Leibeigenschaft in die Erbunterthänigkeit mit gemilderter Fronlast, um bie gänzliche Befreiung ber Bauern allmählich vorzubereiten, unb schützte letztere vor Mißhanblnng, ein König ber Bettler, wie bie Franzosen spotteten. In guten Jahren kaufte er Kornvorräte ein, um sie in teuern Zeiten billig abzulassen. So hat er, so später sein Sohn ber Hungersnot vorgebeugt. Fleißige Häitbe waren ihm immer willkommen.
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Den Protestanten, welche der Erzbischof von Salzburg auswies, /7J3
gewährte er Unterstützung und Wohnsitze im fernen Ostpreußen.
Er selbst war duldsam gegen Andersgläubige; als ein protestantischer Eiferer ihn fragte, warum er in seinen rheinischen Regimentern katholische Feldprediger dulde, gab er die schlichte Antwort: „Weil da katholische Soldaten sind." Fremdländische Erzeugnisse verteuerte er durch hohe Eingangszölle, damit die einheimischen mit ihnen den Markt halten könnten. Zur Ausführung all seiner Maßregeln bildete der königliche Zuchtmeisler einen gewissenhaften Beamtenstand heran, welchem er zuerst eine geachtete Stellung unb in seiner Person das Vorbild selbstvergessender Pflichttreue gewährte.
Ein solcher Mattn sollte sein einstiger Nachfolger auch werden, fein Weichling und Stubenhocker. Kronprinz Friedrich war am 24. Januar 1712 geboren, ein schöner Knabe mit 1712 großen dunkelblauen Augen. Der König gab ihm zum Lehrer dett besten Mann, den er sind eit konnte, den Sohn eines Re= fitgie, den hochgebildeten Duhau, welchen er selbst in den Laus-graben vor Stralsund als Kriegsfreiwilligen kennen gelernt, als er diese Festung dett Schweden entriß. Gang und Inhalt des Unterrichtes ordnete er selbst aufs genaueste. Latein und alte Geschickte blieben ausgeschlossen. Dagegen sollte der Prinz Französisch und Deutsch kurz und gefällig schreiben und sprechen, die »euere Geschichte, namentlich des Hauses Brandenburg, verstehen lernen; hauptsächlich aber beten sowie exercieren und andere körperliche Übungen machen, damit er ein guter Christ werde und eilt guter Soldat.
Aber auf den hochbegabten Jüngling übten bald genug Musik unb französische Litteratur größeren Reiz als das Soldatenhandwerk und bie berbett Spässe bes Tabakskollegiums, welches ber Vater abenbs um sich sammelte. Friebrich Wilhelm würbe ungeduldig über den „Querpfeifer und Poeten", ber sich bie Haare nicht verschneiben ließ unb „itit populär unb affabel" sei. Noch mehr schmerzte ihn, baß sein Sohn ihm nicht mit offenem Vertrauen entgegenkam. In feiner polteruben Heftigkeit schritt er dann wohl zu Vorwürfen und Thätlichkeiten. Einflüsterungen unbesonnener Freunde verleiteten den achtzehnjährigen Prinzen zu dem unseligen Gedanken, auf einer Reife an den i^fzt Rhein, welche der Vater mit ihm unternahm, feinem „Käsige" zu entfliehen. Der Anschlag wurde verraten. In furchtbarer Erregung stellte der König feinen Sohn vor ein Kriegsgericht.
Dieses weigerte sich ein Urteil zu fällen, weil Friedrichs Fehltritt keine Fahnenflucht sei. Der Vater gab nach; aber vor bem Feilster des Prinzen in Küstrin würbe sein Freund und Ver-
führer, der Lieutenant Katte hingerichtet. Den König selbst hatte der Kummer entsetzlich gequält. Zn den Nächten durch-iiTte er schlaflos sein Schloß, bis er zusammenbrach.
Nun mußte sein Sohn ihm einen Neuetb leisten und gleich in Küstrin im Dienste des Staates zu arbeiten ansangen. Er that es unverdrossen vom frühen Morgen bis in die Nacht. Das Unglück ward ihm eine lehrreiche Schule, wie es der Vater gewollt. „Er soll nur meinen Willen thun, das französische und englische Wesen aus dem Kopfe schlagen, und nichts als Preußisch, seinem Herrn Vater getreu fein und ein deutsches Herz haben." Nach Jahresfrist durfte er wieder vor den Vater treten. Er wurde Oberst eines Regimentes, das in Neu-Ruppiu lag. In dem schönen Schlosse Rheinsberg am Rhin hielt er Hof mit seiner jungen Gattin, durchforschte die Bücher deutscher Denker in französischen Übersetzungen, schrieb französische Aufsätze über bie Pflichten der Fürsten und schüttete seinen bitteren Hohn über die kleinen deutschen Fürsten, welche in Nachahmung des verschwenderischen und ausschweifenden Hofes zu Versailles ihre Länder zu Grunde richteten.
Mit Wohlgefallen sah Friedrich Wilhelm, wie sein Sohn immer mehr große Fähigkeiten und guten Willen entfaltete. Aus dein Tobbette pries er Gott, ber ihm einen so braven Sohn gegeben; und als Friedrich ihm weinend die Hand küßte, umschlang er seinen Hals und ries aus: „Mein Gott, ich sterbe zufrieden, da ich einen so würdigen Sohn und Nachfolger hinterlasse." Am 31. Mai 1740 starb er, 100 Jahre nach dem Regierungsantritte des Großen Kurfürsten. Seinen Eichen-
" " rt bestellt und seinem
'IjWMaxi II. war unter den spanischen, Karl VI. unter den österreichischen Habsburger» der letzte. Das ungeheure Reich, welches Prinz Eugen burch seinen Sieg bei Peterwardein und bie vom Volksliebe gefeierte Eroberung Belgrabs vorübergehenb bis tief nach Serbien imb Rumänien hinein ausgedehnt hatte, schien mit des. Kaisers Tod anseinanderzufallen. Darum erließ er ein Hausgesetz, die Pragmatische Sanktion, kraft welcher seine sämtlichen Erblande mangels eines Sohnes an seine älteste Tochter übergehen sollten, und suchte es mit schweren Opfern zur Anerkennung z» bringen. Als August II. starb, half er im Bunde mit Rußland beffen Sohne August III. auf beit polnischen Thron; den Gegenbewerber Stanislaus LeszcziuSky eut-
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schädigte er durch Lothringen, welches Herzog Franz Stephan mit dem Erbe des eben anssterbenden Mediceer-Hauses, dem Großherzogtnm Toskana, vertauschen mußte; nach Stanislaus'
Tode sollte das alte deutsche Land französisch werden, weil König Ludwig XV. mit Maria Leszczinska vermählt war. Einem spanischen Jnfanten trat Karl Neapel und Sizilien ab. Dafür wurde die Pragmatische Sanktion von Frankreich und Spanien, von Rußland, Polen und Sachsen anerkannt.
Alles vergeblich. Als der Kaiser die Augen schloß, sah 1740 sich seine Tochter Maria Theresia „ohne Geld, ohne Heer, ohne Erfahrung und ohne Rat" einer Welt von Feinden gegenüber. Friedrich II. ersah sofort den Augenblick, das alte Staatensystem völlig umzugestalten. Er erbot sich durch eine . Gesandtschaft, der jungen Habsburgerin gegen alle Gefahren beizustehen und die Erwählung ihres Gatten Franz Stephan zum Kaiser durchzusetzen, wenn sie ihm Schlesien abtrete, auf dessen Herzogtümer Liegnitz, Brieg und Wohlau sowie Jägerndorf sein Haus jahrhundertealte Ansprüche besaß. Er war gerüstet, die anderen nicht. Mit fliegenden Fahnen und klingendem Spiel überschritt er „den Rubiko", die Grenze Schlesiens, ehe noch die stolz ablehnende Antwort der Erzherzogin ihn erreichen konnte.
Die Schlesier, welche seit dem Dreißigjährigen Kriege durch die „Entketzerung" viel zu leiden gehabt, empfingen die Preußen mit offenen Armen, zumal dieselben musterhaste Mannszucht hielten. Ein österreichisches Heer, welches das Land zurückerobern sollte, wurde bei Mollwitz westlich von Brieg durch den Feldmarschall Schwerin geschlagen. Wie im Parademarsche 1741 schritt das preußische Fußvolk über das schuee- und blutbedeckte Schlachtfeld, um der feindlichen Reiterei den Siegeslorbeer wieder zu entreißen. Um dieselbe Zeit wurde Maria Theresia auch von Frankreich und Spanien, Bayern und Sachsen angefallen. Darum trat sie im Vertrage;u Breslau Schlesien 1742 bis an die Oppa nebst der Grafschaft Glatz vorläufig an Preußen ab. Der erste schlesische Krieg, der erste selbständige Krieg des jungen Königreiches, endete zugunsten Friedrichs, der bei beit Anstrengungen bes Marsches wie im Kampfgewühle stets mitten unter seinen Soldaten gestanden hatte.
Nach Friedrichs Rücktritt vom Kampfplatze zeigte sich Maria Theresia allen Gegnern gewachsen. Bei der Krönung zu Preß-burg riß ihr königlicher Geist und die überwältigende Kraft ihrer lateinischen Rebe die ritterlichen Ungarn hin, daß sie Blut und Leben zn opfern gelobten für sie. Erst durch die jugend-schöne Herrin lernten die Ungarn sich zu Österreich rechnen
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und die Völker Österreichs sich als ein Ganzes fühlen. Der äußere Erfolg kam bald. Zwar wurde der bayerische Kurfürst als Karl VII. in Frankfurt feierlich zum Kaiser gewählt, 'seit 300 Jahren der erste, der kein Habsburger war; aber fast ain Tage seiner Krönung öffnete München dem ungarischen Aufgebote seine Thore, den „Kroaten, Panduren und Tolpatschen", welche sengend und brennend aus den Steppen der Theiß-Ebene hervorbrachen. Auch England, Österreich und Sardinien traten in die Schranken für die heldenmütige Königin.
Bald stand Österreich wieder so mächtig da, daß Friedrich um den Besitz Schlesiens bange ward. Daher begann er den zw eiten schlesischen Krieg. Er fiel in Böhmen ein und er-
f iri oberte Prag. Allein die Franzosen, mit denen er sich notgedrungen " verbündet, ließen ihn im Stiche. Nun konnte er sich nicht halten im Feindesland. Über den ihm nachdringenden Schwager der Königin jedoch, den Herzog Karl von Lothringen, erfocht 1745 er bei Hohenfriedberg unweit der neu angelegten Festung Schweidnitz einen Sieg, „wie die alten Römer nichts Glänzenderes vollbracht". Und als Österreicher und Sachsen zu einem Einsall in die Mark sich anschickten, warf sie der „alte Dessauer" in seiner letzten Schlacht bei Kesselsdorf zurück. Alsbald zog Friedrich in Dresden ei». Dort schloß er am ersten Weihnachtstage den Frieden, durch welchen er Schlesien behielt. Dagegen gab er dem Gemahl Maria Theresias, welchen nach dem frühen Tode Karls VII. die anderen Kurfürsten bereits zum Kaiser gewählt hatten, seine Stimme als Kurfürst von Brandenburg. Unermeßlicher Jubel empfing den heimkehrenden Friedrich „den Großen". Der erste Gang führte den Helden an das Sterbelager seines alten Lehrers Duhan.
Noch drei Jahre rang die Kaiserin mit Frankreich und Spanien um ihr Erbe. Genau ein Jahrhundert nach dem Westfälischen Frieden kam endlich der Aachener Friede zustande, in welchem sie außer Schlesien und kleinen Verlusten in Italien all ihre Länder behauptete. Ihre männliche Festigkeit und ihr kindliches Gottvertrauen hatte Österreich gerettet und mit neuer Lebenskraft erfüllt. So hat sie schon damals ihr schönes Wort zur Wahrheit gemacht: „Ich bin nur eine schwache Königin, aber ich habe das Herz eines Königs."
4. Friedrich der Große im Siebenjährigen Kriege.
Durch die Eroberung und Behauptung Schlesiens war Friedrichs Staat tun ein Dritteil, sein Ansehen unermeßlich gewachsen. Auch Österreich war durch Maria Theresias That-
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kraft zu neuen Ehren gelangt, und die Kaiserin hoffte noch immer, ihrem hab sbnrg - loth rin gisch en Hause die Hegemonie über Deutschland zu sichern, welche in Schlesien, diesem „echten Edelstein" ihrer Krone, verkörpert schien. Darum traf sie mit Frankreich und der Kaiserin Elisabeth von Rußland, sogar mit Sachsen, Abrede zur Erniedrigung des „Markgrafen von Brandenburg", nach bessert Ländern die Nachbarmächte lüstern waren.
Österreichische und sächsische Verräter unterrichteten Friedrich von der Verschwörung, die einen Weltkrieg gegen ihn entfesseln wollte. Da überraschte er die Feinde durch kühnen Angriff, ehe ihre Rüstungen beendet waren. Ende August 1756 ging 1756 er über die sächsische Grenze. Das schlecht ausgerüstete sächsische Heer mußte bei Pirna die Waffen strecken. Sachsen wurde für die Dauer des Krieges eine preußische Provinz. Dagegen bot Frankreich starke Streitkräfte und Kriegsgelder (Subsidien) gegen ihn auf, Rußland, Schweden und sogar das Deutsche Reich traten in das Bündnis zur „Zergliederung der preußischen Monarchie".
Mit dem geheimen Befehl an seine Minister, wenn er falle oder gefangen werde, unbeirrt und ohne Rücksicht auf seine Person den Krieg fortzusetzen, rückte Friedrich durch die Pässe der Sudeten. Siegreich in der blutigen Schlacht bei Prag, 1757 in welcher der greise Feldmarschall Schwerin, mit der Fahne seines Regimentes seinen „Kindern" vorauseilend, von fünf Kugeln durchbohrt wurde, mußte er infolge der Niederlage bei Kolin an der Elbe Böhmen wieder räumen. Nun zog, mit den Franzosen vereinigt, die „eilende Reichsarmee" heran, Mannschaften und Offiziere bunt. zusammengewürfelt wie das Reick selbst. In einer schwäbischen Kompagnie stellte die Stadt Gmünd den Hauptmann, Rottweil den ersten, die Äbtissin von Roten-münster den zweiten Lieutenant, der Abt von Gengenbach den Fähndrich; beim Exerzieren konnte man die Leute Rechtsum und Linksum zugleich und nach allen Seiten Front machen sehen.
Am 5. November glaubten diese Helden Friedrich schon umgangen und gefangen zu haben. Da brauste General Seydlitz mit seinen Kürassieren bei Roßbach (westlich von Lützen) hinter dem Janusberg hervor wie ein Sturmwind. In einer halben Abendstunde war alles vorbei, die ganze Straße nach Erfurt mit den stolzen Stiefeln der französischen Gens d'armeö besät.
Unter hundert Flinten der „Reißausarmee" waren kaum zwanzig losgegangen. Seither sangen die Soldaten: „Und wenn der große Friedrich kommt und patscht nur auf die Hosen, dann läuft die ganze Reichsarmee, Panduren und Franzosen." In
Frankreich stellte man auf Flugblättern mit artigen Verslein den Herzog von Soubise dar, wie er mit einer Laterne sein Heer suchte, das er doch gestern noch gehabt: „Hat mir's jemand gestohlen oder hab' ich 's verlegt?" Auch die Deutscheu im Reiche freuten sich über diese „gemütliche Schlacht" (bataille en douceur), wie sie Friedrich nannte, und waren wo nicht preußisch, doch „fritzisch" gesinnt. Alsbald zog der Sieger wider die Österreicher, die inzwischen erobernd in Schlesien eingebrochen waren. Sie höhnten über die „Potsdamer Wachtparade", die bei Leut heu westwärts Breslaus heranrückte. Aber am Abend standen die Preußen siegreich aus der winterlichen Walstatt und sangen: „Nnn danket alle Gott!", während der Heerverderber Karl von Lothringen die Trümmer seiner dreifachen Übermacht schleunig heimwärts führte, um teilt Kommando mehr zu erhalteiv/
Friedrichs einziger mächtiger Verbündeter, Englalw, mit Frankreich wegen der Kolonien in Indien und Amerika verfeindet, griff jetzt entschiedener ein. Der große Minister Wilhelm Pitt stellte ein englisches Heer auf, welches unter Herzog Ferdinand von Braunschweig dem große» König jahraus jahrein die Franzosen vom Leibe hielt. Friedrich selbst wendete sich gegen die Russen, die mit unbeschreiblicher Grausamkeit in Preußen und der Mark wüteten, und schlug sie in der „zornigen Schlacht" bei Zorndorf unweit Küstrins. Mit Beschämung zeigte er einem Freunde gefangene Kosaken: „Sehe Er, mit solchem Lumpengesindel muß ich mich schlagen!" Eine ähnliche Geringschätzung gegen die Österreicher rächte sich bitter. In ungünstiger Stellung bei H o ch k i r ch (in der sächsischen Lausitz) überfiel ihn in finsterer Herbstnacht General Laudon und nahm ihm sein ganzes Geschütz. Auch hier hielten sich seine Truppen bewundernswürdig. Halb angekleidet eilten sie in den Kampf und zogen sich in guter Ordnung zurück mitten durch die Feinde.
Noch verhängnisvoller gestaltete sich das folgende Jahr. Mit den neuerdings anrückenden Rüsten verband sich ein österreichisches Heer unter Laudon. Dicht hinter Frankfurt an der Oder wurde Friedrich in seiner gräßlichsten Schlacht bei Kunersdorf vollständig geschlagen. Nach neunstündigem Marsch und sechsstündigem Kampf in glühender Augustsonne versagten seine Krieger. Den braven Seydlitz trug man schwer verwundet vom Schlachtfeld; dem Könige selbst, der dreimal die Flüchtlinge sammelte und wieder ins Fener führte, wurden zwei Pferde unter dein Leibe erschossen; seine Kleider waren von Kugeln durchlöchert; ein Schuß prallte ab an einem goldenen Tascheugeräte^ Wie . betäubt stand er auf dem Schlachtfelde; der Husarenrittmeister v. Prittwitz brachte.ihn fast mit Gewalt in Sicherheit. In einem
Fischerhause verlebte er eine schreckliche Nacht. „Ich halte alles für verloren," schrieb er unter Selbstmordgedanken an seinen Minister. „Den Untergang meines Vaterlandes überlebe ick' nicht. Lebet wohl, ans ewig!" Der russische Feldherr aber meinte: „Noch ein solcher Sieg, und ich werde die Botschaft selbst mit dem Stab in der Hand nach Petersburg bringen müssen"; und seiner Kaiserin schrieb er, um seine ungeheuern Verluste zu entschuldigen: „Ew. Majestät weiß, daß der König von Preußen feine Niederlagen sehr teuer zu verkaufen pflegt."
Auch in ihrem Liege fürchteten die Feinde den Feuergeist des großen Königs, der schon am nächsten Morgen sich wieder aufraffte und seine Truppen sammelte.
Trotz körperlichen Leidens flog er „auf den Flügeln der Vaterlandsliebe" vou einem Kriegsschauplatz und einem Siege zum anderen. Bei Liegnitz an der Katzbach zahlte er Laudon, 1760
der ihn abermals überrumpeln wollte, die Schlappe von Hoch-kirch, bei Torgau dem Feldmarschall Daun bie Niederlage vou Kolin mit Zinsen heim. Bei Torgan fielen drei Pferde unter ihm; er selbst sank, von einer matten Kugel getroffen, zu Boden. Endlich entschied Ziethen der Husar, „der Alte auS dem Busche", diese blutigste und letzte Schlacht des Königs.
Friedrichs Länder waren vollkommen erschöpft. Er verschlechterte die Münze», um seine Kassen, uud holte die sächsischen ß, und mecklenburgischen Bauernsöhne vom Pfluge weg, um seine Regimenter zu füllen. Zudem entließ der neue König von England feinen Minister Pitt, Friedrichs treuesten Freund, und zahlte „dem hochherzigsten Verbündeten, den sein Land je gehabt",
keine Subsidien mehr. Diese qualvolle Lage dauerte ein Viertel- ..............
jahr. Da rettete den König der Tod seiner erbittertsten Feindin, Z
der Zarin Elisabeth. Rasch wurde mit Rußland, dann anck mit Schweden Friede gemacht. Die allgemeine Ermattung führte schließlich zum allgemeinen Abschluß. In Paris verständigte 1763 sich England mit Frankreich und erhielt von ihm die Länder am Lvrenzstrome. „Amerika ist in Deutschland erobert worden," sprach Pitt. Fünf Tage spater wurde auf dein sächsischen Jagd^ schlosse H u b er tu sbu r g ber Friede für Deutschland unterzeichnet.
Alle kriegführenden Mächte behielten ihren Besitzstand, wie er vor dem Kriege gewesen (status quo ante bellum). Friedrich trat feinen Fußbreit Landes ab; doch sicherte er dem Sohne des Kaisers seine Kurstimme zu. Preußen hatte seine Lebenskraft aufs^ glänzendste erhärtet; es war eine Großmacht geworben. Sem König hatte lebiglich burch eigene Kraft gesiegt; er- stand als Feldherr ebenbürtig neben einem Alexander, .fwnibal,
Cäsar.
Ein „armer Greis" kehrte er heim zu neuer schwerer, aber auch segensreicher Arbeit.
5. Friedrichs des Großen FriedenSwerk.
Während des Krieges hat Friedrich einmal gesagt: „Es ist nicht nötig, daß ich lebe, wohl aber, daß ich meine Pflicht thue und für mein Vaterland kämpfe." Er hat sich gern als den ersten Diener des Staates bezeichnet und dem Heil und Glücke des Volkes, das ihm anvertraut sei, sein ganzes Leben gewidmet. So manche deutsche Fürsten nahmen die üppige Hofhaltung in Versailles zum Muster und verwandelten ihre Länder und Ländchen mit „zwölf Unterthanen und einem Juden" in Kasernen oder Tiergärten; Trommelwirbel und Paraden, Opern und Parforce-Jagden waren ihre höchste Lust. Friedrich lebte unendlich einfach. Trotz seines kaum mittelhohen Wuchses eine königliche Erscheinung mit dunkeln, sprühenden Augen und dunklem Haare, das gewöhnlich gepudert und in einen Zopf gebunden war, trug er die blaue Uniform, die sich nur durch den Ordensstern auszeichnete, und war vom Aufstehen, das im Sommer schon um vier Uhr erfolgte, bis zum Schlafengehen gestiefelt. Unermüdlich thätig, wollte er alles selber hören und sehen, prüfen und einordnen. Seine Erholung war die Musik und die Unterhaltung mit seinen Freunden und mit Denkern.
In dem hochgebildeten Frankreich verurteilte damals ein Gericht unter Gutheißung des höchsten Gerichtshofes im Lande, des Pariser Parlamentes, wegen eines geringen, kaum erweislichen Vergehens einen blutjungen Edelmann zu Folter und Enthauptung, einen anderen zu langsamem Feuertode, nachdem ihm die Zunge ausgerissen und die rechte Hand abgehackt worden. Friedrich schaffte schon am dritten Tage seiner Regierung die Folter ab. Und während noch Ludwig XVI. bei seiner Krönung schwören mußte, alle Ketzer gänzlich auszurotten, erließ Friedrich gleich in den ersten Monaten seiner Herrschaft die berühmte eigenhändige Verordnung: „Die Religionen Müsen alle Tolleriret werden und Mus der fiscal (Staatsanwalt) uuhr das auge daraus haben das Keine der andern abruch Tu he, den hier in u s ein jeder nach Seiner Fasson Selich werden."
Vor allem galt es, das schwer heimgesuchte Land wieder in Blüte zu bringen. Er verglich es selber nach dem Friedensschlüsse mit einem tödlich Verwundeten, dessen Heilung die höchste Weisheit des Arztes erheische. Er schenkte den Bauern zur Aussaat Korn aus seinen Magazinen und entbehrlich gewordene Kavalleriepferde; er ergänzte sein Heer zur Hälfte durch Werbungen,
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um dem Landbau bie nötigen Arbeitskräfte nicht zu entziehen, und beschränkte bie Fronarbeiten auf drei, höchstens vier Tage der Woche. Seine Hausgüter (Domänen) gestaltete er, wie Karl der Große, zu Musterwirtschaften; durch Vorschriften unb eigenen Vorgang bürgerte er unablässig neue Nutzpflanzen eilt: Kartoffeln unb Rüben, Luzernklee unb Esparsette, Hopfen und Waid. Mit großen Kosten legte er bas Oder- unb später bas Netze-Bruch trocken und siedelte auf bem so gewonnenen Gelänbe in Hunderten neuer Dörfer Einwanderer aus bem Reiche an. „Ohne Schwertstreich habe ick eine Provinz erobert!" sagte er voller Fratbe. Um für ausländische, namentlich Kolonialwaren möglichst wenig Gelb aus dem Lande gehen zu lassen, förderte er mit schweren Opfern Anlegung und Betrieb von Porzellan-, Zucker-, Sammt- und Seide-Fabriken. Wollspinnereien, Strumpfwirkereien unb bie schlesischen Leinewanb-Webereien erfreuten sich seiner sorglichen Obhut unb Beihülfe.
In den Kleinstaaten hielt man es für große NegierungS-wei8hett,yden Handel durch Zölle zu sperren und die Landstraßen verfallen zu lassen, damit die Wagner und Schmiebe, bie Wirte unb Wnnbärzte auch zu leben hätten; noch nach Friebrichs Tobe verlangten bie verschnlbeten Reichsstädte, bereit Gewerbeleben durch bie entarteten Zünfte längst verkommen war, bie Abschaffung ber Postwagen, butch welche bie „bürgerliche Nahrung" (ber Lanbbvten u. bgl.) beeinträchtigt werbe. Der große König erleichterte beit Handel nach Kräften. Er verbesserte Brücken unb Wege unb verband die Havel mit ber Mittelelbe burch ben Plauescheu, mit ber Ober burch bett Finow-Kanal. Ergründete den Hafen Swinemünbe auf der Insel Usedom unb nahm bie Post in staatlichen Betrieb.
Freilich machte er, um bie Staatseinnahmen zu erhöhen, auch bic Herstellung von Rauch- unb Schnupftabak zn einem ausschließlich staatlichen Unternehmen (Staatsmonopol), legte auf ben Kaffee einen hohen Eingaugszoll unb nahm nach französischem Muster bas Kaffeebmtneii in Staatsbetrieb (Regie), beit er durch französische Beamte überwachen ließ. Im Ärger über diese „Kaffeeschnüffler" haben die Berliner ihren König wohl mit der Kaffeemühle im Schoß abgebildet.
Friedrichs Staatsverwaltung unterschied sich von den meisten anderen durch Pünktlichkeit unb strenge Gerechtigkeit. „Gerabe durch!" war auch hier bes Königs Wahlspruch. Gleich nach beut Dresdener Friebeu gab er Befehl, für eine bessere unb billigere Rechtspflege zu sorgen. Ihr unterstellte er sich selbst, wie es sein Vater gethan; in zweifelhaften Fällen sollten bie Richter lieber ihm als anbeten Unrecht thun. Denn er wollte,
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wie ev gleich bei seinem Regierungsantritte den Ministern kundgab, keinen Vorteil als den des Staates. Indes sollte stets vor dem Beginn eines Rechtsstreites in mündlicher Verhandlung ein Ausgleich versucht werden. Besonders die Armen und Unmündigen hatten sich seines Schutzes zu erfreuen. Er setzte einen eigenen Armen-Anwalt ein; uud wehe beit Richtern, die gewagt hätten, bas Recht zu biegen zugunsten ber Großen! Seine Zölle verschonten bie Bebürsnisse ber unbemittelten Klassen,
■ Schweinefleisch, Korn unb Mehl. Er gründete unter königlicher Aussicht ftehenbe Krebitvereine für Sanbwirte, sowie Banken, Darlehenskassen zur Verhütung des Wuchers wie zur sicheren Verwahrung der Mündelgelder. Die Erbauung bes schönen Schlosses Sanssouci mit seinem herrlichen Park und bes Reuen Palais (Schloß Friebrichskrou), in welchem unser Kaiser Fried-rieh gestorben ist, sollte beit Armen Gelegenheit bieten zu Arbeit unb Verdienst. Bei Unglücksfällen war seine Hand stets geöffnet. Dank nahm er nicht an. Die Aborbnung einer schlesischen Stabt, bie er nach schwerer Feuersbrnnst mit großen Summen unterstützt hatte, wies er barsch ab: „Ihr braucht mir nicht zu bansen, bettn bavor bin ich da."
Auch ben Unterricht bes Volkes hat er nicht vergessen. Aus Sachsen brachte er nach beut Hubertsburger Frieden „Schulhalter" mit heim, welche bie Jugeitb vernünftig unb christlich unterweisen sollten „in wahrer Gottesfurcht unb anberen nützlichen Dingen". Unwissenheit hielt er nicht nur für schäblich, sonbent auch für unvereinbar mit bem Christentum. Um ihres Schulunterrichtes willen bulbete er in seinem Schlesien bie Jesuiten, deren Orden bamals wegen bes Abfalles von ben ursprünglichen Grtiud-sätzen allenthalben verfolgt unb vom Papste Clemens XIV. ^aufgehoben warb. Ost verwenbete er seine Invaliden als Schulmeister. Die Zöglinge ber Lehrerseminare ließ er nebenher im Seibenban unterweisen; beittt auch bie Erwachsenen sollten von ihnen lernen. Wie seine Beamten währenb bes großen Krieges sechs Jahre lang ohne Bezahlung ihre Pflicht thaten, so arbeiteten bie Lehrer bis hinauf zu den Professoren ber Hochschulen gegen äußerst kuappe Bezahlung. „In Preußen," schrieb einer, „hat ber Gelehrte Eselsarbeit unb Zeisigfutter."
Auch bas Volk hat, Treue um Treue gebend, alte Opfer willig getragen in Krieg unb Frieben, um bie errungene Machtstellung unb bie Aussicht auf eine bessere Zukunft zu behaupten. Das Auslaub spottete, Preußen habe sich großgehungert.
Drei Vierteile ber Staatseinnahmen mußten auf das Heer und seilte Ausrüstung verwendet werden. Auf ihm ruhte der Bestand des Staates; ihm galt die erste Sorge des Königs.
Er schuf jene Reiterei, die Seydlitz und Ziethen so ruhmvoll geführt haben. Noch mehr als sein Vater zog er den Adel zum Heeresdienst heran; ihm entnahm er ausschließlich feilte Offiziere, weil er in den eilten Geschlechtern strengeren Sinn für Ehre voraussetzte als in den bürgerlichen Häusern. Durch feilt eigenes leuchtendes Vorbild hat er allerdings nicht nur feinen Offizieren unb durch sie seinen Soldaten, sondern seinem ganzen Volke ein hohes Ehr- und Pflichtgefühl eingepflanzt. Er war ein Erzieher seines Volkes, wie es nur je ein großer König gewesen ist.
Auf seinem Heere beruhte sein Ansehen unb sein Erfolg gegenüber ben anderen Mächten. Die ehrgeizige Zarin Katharina II. gebachte Polen sich anzueignen. Dort hatten Abel unb Geistlichkeit burch ihre Vorrechte längst jede Verwaltung unmöglich gemacht und ben unwissenben Bauer niebergebrütft, ber in elenden ©rbhütten auf faulem Stroh bei Schnaps unb Kleienbrot verkam. Friebrich leitete geschickt eine Teilung ber Grenzgebiete Polens ein, bei welcher ihm selbst Westpreußen zufiel. Österreich erhielt Galizien, Rußlaub weite Laubstrtche an Düna unb Dnjepr. Durch diese Erwerbung war ein Jugenb-traiirn aus beit Küstriner Tagen verwirklicht, Preußen, bas alte Kernlanb bes Deutschorbeus, welches Deutsche aller Stämme in gemeinsamer Arbeit betn Anbau unb ber Gesittung erschlossen hatten, mit Preußen unb Dentschlaub unlöslich verbunben, bie beutsche Hanbelsvormacht auf ber Ostsee wieber angebahnt. Der Bromberger Kanal, welchen er von ber Netze zur Brahe, einem Nebenfluß ber Weichsel, ziehen ließ, verbnnb bas holz- unb kornreiche Weichselthal mit Ober unb Elbe. Gerabe in diesem verwahrlosten Laube fiebelte er württembergifche Bauern an, beren Nachkommen noch heute aus ber „Kürbe" (Kirchweih) schwäbische Lieber singen.
Lange vorher hatte er burch den Erbanfall OstsrieslandS (östlich ber Ems unb Dollart) auch an ber Norbfee Fuß gefaßt. Ant Abenb seines Lebens sollte ihm noch beschiebeit sein, im Herzen unseres Vaterlanbes ber Einigung bes deutschen Volkes vorzuarbeiten, bie ihm am Herzen lag: „Ich benfe," sagte er einmal, „wir Deutsche haben lange genug uittereinanber unser Blut vergossen; es ist ein Jammer, baß wir nicht zu einem besseren Verstänbnis kommen können."
6. Das Josephinische Zeitalter.
Friebrichs erhabenes Vorbilb fand Nacheiferung bei einer Anzahl trefflicher Fürsten. Der Mainzer Kurfürst Emmerich
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Joseph lebte nach dem Grundsätze, das Wohl des Volkes sei die erste Regentenpflicht. Er baute unermüdlich Straßen und Dämme, errichtete Schulen und besserte die Rechtspflege. Als Karl Friedrich von Baden-Durlach nach dem Tode des letzten 1771 Markgrafen von Baden-Baden dessen Land in Besitz nahm, verkündigte er als unumstößlichen Grundsatz für sich und seine Nachkommen, daß das Glück des Regenten von der Wohlfahrt seines Landes unzertrennlich sei. Er ermäßigte die Fronden und führte, um ungeschickte Bauern zu beschämen uud der Arbeit Ehre zu erweisen, mitunter selbst den Pflug. Aus eigenem Antriebe hob er die Leibeigenschaft auf, ohne dafür Dank au-zunehmeu. Lein Land, schrieb er, sei eine große Familie, die zu einem freien, opulenten, gesitteten, christlichen Volk immer mehr heranwachsen solle. Mit dem aufblühenden Handel wuchs überall in Deutschland die „Opulenz", Wohlstand und Behagen. Fensterscheiben und Gardinen, Teppiche und Polsterstühle kamen in Gebrauch. Auf Schränken und Tischen prangte glänzender Hausrat und Bildwerke von Porzellan, welches der „Adept" (Goldmacher) Bö ttger auf der schönen Albrechtsburg in Meißen erfunden hatte, und in demselben zierlichen Geschmacke des „Rokoko" statteten die Großen ihre Paläste und Parke mit anmutigem Muschel- und Rankenmerk, mit Grotten und Zwergsiguren ans.
Markgraf Karl Friedrich uud Herzog Karl August von Weimar liebten und hegten auch die deutsche Dichtkunst. Karl August schloß eine Lebensfreundschaft mit Wolfgang Göthe, „diesem herrlichen GotteSmenschen", wie ihn des Herzogs Erzieher Wieland nannte. „»Göthe kann nur eine Stellung haben," schrieb er an des Dichters Vater nach Frankfurt: „die meines Freundes. Alle andern sind unter seinem Wert." Dem murrenden Adel sagte der neunzehnjährige Fürst: „Einsichtsvolle wünschen mir Glück, diesen Mattn zu besitzen. — Die Welt urteilt nach Vorurteilen. Ich aber sorge und arbeite, wie jeder andere, der seine Pflicht thuu will, nicht um des Ruhmes, nicht um des Beifalls der Welt willen, sondern um mich vor Gott und meinem eigenen Gewissen rechtfertigen zn können."
. Auch Kaiser Joseph II. war in der Bewunderung des I großen Königs ausgewachsen und strebte seinem Vorbilde nach, ' so bitter a#Hj feine Mutter Maria Theresia diesen „Unmenschen" haßte. „Wir werden einesEages," schrieb er gleich nachdem J ‘ er Kaiser geworden,» „Rechenschaft abzulegen haben über das Gute, das wir hätten suchen und ergreifen sollen." Ohne großen Erfolg bemühte er sich, das Reichskammergericht in Wetzlar zu verbessern. Als ihm nach dem Tode seiner Mutter die österreichischen Erblande zufielen, begann er mit heiligem Eifer, sie
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zu bereisen und Mißstände abzustellen. Leider wollte er, was seine große Mutter besonnen zu bessern oder doch zu erleichtern gesucht, mit einem Schlage durch ein Machtwort umgestalten.
Ein Befehl jagte den andern. Aber zur Ausführung seiner Erlasse fehlte der tüchtige, pflichttreue Beamtenstand, wie ihn i Preußen besaß. Die großen Resormgedanken Josephs: die
Duldung der nichtkatholischen Christen, die rechtliche Gleichstellung der Juden mit den anderen Unterthanen, die Abschaffung der Leibeigenschaft, begriff das Volk nicht; von anderen, wie die Aufhebung derjenigen Klöster, welche nur dem beschaulichen Leben dienten, fühlte es sich verletzt. Diese Schwierigkeiten entmutigten den gutherzigen Monarchen; sie haben gewiß beigetragen zu seinem frühen Tode. - G
Außer der Besonnenheit ging dem unglücklichen Joseph ' auch die Beharrlichkeit ab, ohne die keine große Unternehmung ausführbar ist. Neben seinen menschenfreundlichen Bestrebungen beschäftigten ihn Pläne einer Gebietserweiterung. Als Kaiser - , '
Karls VII. Sohn kinderlos starb, wollte er das Kurfürstentum Bayern als ein erledigtes Lehen für das Reich einziehen. Dieser Absicht widersetzte sich Friedrich II. Der ehrgeizige Kaiser durfte nicht zn mächtig werden. So brach der Krieg ans um die bayerische Erbfolge; aber ein Handschreiben Maria Theresias au König Friedrich führte rasch zum Frieden.
Bayern kam au seinen rechtmäßigen Erben, den Kurfürsten Karl Theodor von der Pfalz. Diese Friedensstiftung war die letzte That der großen Kaiserin, die bald darauf starb. 1780
Nach einigen Jahren wollte der rastlose Kaiser Bayern . gegen seine Niederlande eintauschen, welche Karl Theodor mit r •/ ■'tV seinen Pfälzer Landen zu einem rheinischen Königreich Burgund, y Austrasieu oder Belgien zusammenzuschmelzen gedachte, liegen diese Eroberungsgelüste rief Friedrich den Fürstenbund ins / -
Leben. Die meisten nord- und mitteldeutschen Fürsten nebst dein Markgrafen Karl Friedrich von Baden stellten sich unter die Leitung Preußens, um vor Österreichs Übermacht sicher zu sein. Das war das erste Vorspiel zur Errichtung des neuen deutschen Reiches.
Mehr als je war „der alte Fritz" jetzt, am Rande des Grabes, der Held des deutschen Volkes. Als er starb, rief ein schwäbisches Bäuerlein: „Wer soll nun die Welt regieren?"
In den Hütten des bayerischen Hochgebirges wie in den Blockhäusern Amerikas hing das Bild des hagern Alten mit dem bi*eifpitzigen Hute. Er hatte zuerst wieder für eine deutsche Sache deutsche Hiebe ausgeteilt und bie Deutschen gelehrt, ans ihren Namen stolz zn sein. Er selber zwar schrieb und dichtete
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französisch, und sein Umgang bestand außer seinen Ministern und Generalen fast ausschließlich aus Franzosen, von denen einer meinte, das Deutsche sei nur für Soldaten und Pferde. Er beachtete die neu aufblühende Dichtkunst nicht und wollte das wiederentdeckle Nibelungenlied in seiner Bücherei nicht dulden, n „sondern herausschmeißen". Dennoch haben unsere großen Dichter seine weltgeschichtliche Bedeutung verstanden und verherrlicht. Klo pstock hatte die Ode: „Heinrich der Vogler" ursprünglich auf Friedrich gedichtet; L es sing zeigte in „Minna von Barnhelm" den großen und gerechten König, der seine Offiziere und Soldaten zu Ehrenmännern erzieht; Schiller, dessen Vater als württembergischer Offizier bei Lenthen gegen Friedrich hatte fechten müssen, gedachte ihn in einem Heldengedichte zu besingen; und sein Landsmann Schubart, welchen der Herzog Karl Eugen zehn Jahre lang aus dem Hohen-Asperg schmachten ließ, ersang sich die Freiheit durch eine Ode voll flammender Begeisterung für „deu einzigen, nie ausgesungenen Mann": „Er predigte Fürsten die Herrscherkunst; des Bettlers und des Prinzen Recht wurde von Friedrichs Hand auf gleicher Wage gewogen." (Sethe aber verglich ihn später mit dem Polarstern, „um den sich Deutschland, Europa, die Welt zu drehen schien".
Unvergänglich steht der wunderbare Mann, der größte, volkstümlichste der neueren Geschichte, in der Erinnerung des deutschen Volkes, wie ihn der Dauziger Künstler Daniel C h o d o w i e cf t wiederholt gezeichnet und gemalt hat. „Als König denken, leben, sterben," das war sein Wunsch und Vorsatz ge-wesen. Der 17. August 1786, in dessen Morgenfrühe er in 1786 seinem Lieblingsschlosse Sanssouci verschied, war der erste Ruhetag seines Lebens,
VI. Die französische Revolution. Napoleon I.
1. Der Freiheitskampf der Amerikaner.
Eine Woche nach der Schlacht bei Kolin schlug der jugendliche Robert Elive die zwanzigfache Übermacht des frechen Nabobs von Bengalen bei Plassey (Päläsi) am Hnghly und eroberte, der Cäsar Indiens, für die Englisch-ostindische Handelsgesellschaft das üppige Ganges-Land. ' Und einen Monat nach
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dem Schreckenstage bei Kunersdorf entrissen die Engländer durch den Sieg bei Quebeck, welchen der junge General Wolse
mit seinem Blute besiegelte, der Krone Frankreich das nordamerikanische Festland.
Erst unter Elisabeth waren die Engländer auf den Wert des Sandes, welches Sabot für sie entdeckt, aus seine schönen Häfen, seine Fruchtbarkeit aufmerksam geworden. Sir Walter Raleigh gab zu Ehren seiner jungfräulichen Königin der Ostküste den Namen Virginien; durch ihn fand die Tabakspflanze,
gleichzeitig mit der Kartoffel, Eingang in die Alte Welt. Im
Dienste der Holländisch-ostindischen Handelsgesellschaft^ suchte sein Landsmann Heinrich Hudson in dem Flusse, dann in dem Meerbusen, in welchem sein Name fortlebt, eine westliche Durchfahrt nach Indien. Aber die meuternden Matrosen fetzten den kühnen Forscher mit seinem Knaben in ein Boot, das sie dem Treibeise der Hndsons-Bai preisgaben. Die alte Sage will jetzt noch im Gewittersturm hören, wie Hudson Kegel schiebt.
Die erste dauernde Ansiedlung entstand unter König Jakob I. an der Chesapeake-Bai im heutigen Virginien. Lrtadt und Fluß erhielten den Namen des Königs (James-Town, James-River). Bald nachher gründeten puritanische „Pilger-Väter" die Kolonie Massachusetts. Unbeugsame Christen, waren sie der hochkirchlichen Verfolgung aus dem Wege gegangen; sie verboten das Tabakrauchen wie das Tragen langer Haare, tauchten keifende Weiber dreimal ins fließende Wasser, stellten Leute, die einen Monat lang nicht in die Kirche kamen, in hölzernem Käsige zur Schau und verbrannten zahlreiche Hexen, aber auch arme Quäker, in denen sie schlimme Ketzer erblickten. Dagegen sollte die An-siedlnng „Insel Rhodns" (Rhode Island), welche ein junger Geistlicher Roger Williams ins Leben rief, eine Zustuchtstälte fein für alle, die ihres Glaubens wegen verfolgt wurde«. Im Norden bildeten Weidetriften und der Pelzreichtnm der Wälder, in der Mitte der Weizenban, im Süden Tabak- unb Zuckerpflanzungen die wichtigsten Nahrungsquellen. Die blühenbsten dieser Gemeinwesen wurden Neu-Dork am Hubsou-Fluß und Pennsylvanien, welches König Karl II. dem Quäker Wilhelm Penn verliehen hatte. Derselbe gründete mit deutschen und englischen Einwanderern die Stadt Philadelphia, welche wie das Laub eine Freistatt werben sollte „für bas ganze Menschengeschlecht".
Mitunter in Freunbschaft, meist jeboch in blutigen Kämpfen mit bett Jnbianern^brangen bie „weißen Männer" immer tiefer in bett Urwald. L-o stießen sie mit den Franzosen zusammen, deren Niederlassungen, unter dem Namen Luifiana d. H. Lndwigslaud, sich durch das ganze Mississippi- und Qhio-Thal
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hinzogen. Die Nothäute, deren Wigwams und Jagdgründe zwischen beiden Machtgebieten lagen, kamen sich vor wie ein Tuch zwischen den Armen einer Schere. Langjährige Reibungen führten schließlich zu dem Kolonial- und Seekrieg, in welchem Frankreich unterlag.
Die dreizehn „Nen- Eng land -Staaten" gaben sich selber ihre Gesetze und zahlten fast nur sinnbildliche Abgaben, Pennsylvania jährlich zwei Biberfelle, Maryland zwei Indianer-pfeile. Um die Kosten der Verwaltung zu decken, schritt die englische Regierung zu einer Besteuerung. Sie verkaufte Stempelpapier, aus welches alle gerichtlichen und geschäftlichen Urkunden geschrieben, alle Zeitungen gedruckt werden sollten. Die Neuerung stieß auf heftigen Widerstand. Die amerikanischen Frauen kauften keine englischen Waren mehr, die Männer schleiften die Häuser der Stempel-Agenten. Die Stempel-Akte ward zurückgezogen; England wollte sich zuletzt mit einem kleinen Theezoll begnügen. Aber das „auf seine Freiheit eifersüchtige Volk" schmuggelte Thee ans Westindien ein oder behalf sich mit einem Absud von Salbei und Himbeerlaub. Endlich ankerten Ostindien-sichrer in den Häfen des Landes, um durch das Anbieten ihrer Theeladung zum Kaufe anzulocken. Da verkleideten sich Boston er Bürger als Mohawk-Jndianer und warfen sämtliche Theekisten ins Meer.
Die „Beftoner Hafenbill", durch welche die Regierung zur L-trafe den Bostoner Hafen schloß, führte den Ausbruch der Feindseligkeit herbei. Sie hat durch das allgemeine Mitgefühl mit den Gemaßregelten die Ansiedler der dreizehn Kolonien zu einer Nation gemacht. Scharen von Bürgersoldaten (Milizen), welche sich jede Minute zum Ausmarsche bereit hatten mußten (minute men), brachten mit ihren Vogelstinten den „Rotröcken" bei Concord und Lexingtou, dann unter den Mauern Bostons auf dein Bunkersbühl (Bunker’s Hill) schwere Verluste bei.
1776 Am 4. Juli 1776, welches seither der nationale Feiertag der 9)anf'ees ist, sprachen die Vertreter der dreizehn Staaten aus dem Kongresse zu Philadelphia die Unabhängigkeit der „Vereinigten Staaten (United States) Nordamerikas" aus.
England führte den Krieg mit geworbenen Truppen, großenteils mit Deutschen, welche von den eigenen Fürsten verschachert wurden. Es waren etwa 30000 Mann, die unter namenlosen Leiden unb Kränkungen auch hiev sich treu und tapfer erwiesen; besonders waren die Hessen/ wegen ihres blinden Losstürmens -gefürchtet. Die deutschen Offiziere lehnten jede besondere Belohnung ab; im Geiste Friedrichs des Großen wollten sie ans eigenem Antrieb ihre Pflicht thun als gute Soldaten.
Frankreich unterstützte die Amerikaner mit Geld und Schießbedarf. Auf eigene Kosten rüstete der junge Lafayette ein Schiff aus, mit dem er hinüberfuhr zu den Freiheitskämpfern. Nach dem ersten größeren Erfolge gelang es dem Abgesandten des Kongresses, dem alten Benjamin Franklin, den Versailler Hof zu einem Bündnisse zu bewegen. Der schlichte Greis, der sich vom Buchdruckerlehrling zum Staatsmann emporgearbeitet, der den Blitzableiter erfunden hatte, wurde in der Hauptstadt und an dem glänzenden Hofe wie ein höheres Wesen verehrt, wenn er einherschritt in fast bäuerlicher Kleidung und mit der Mütze auS Marderpelz, unter welcher sein volles, natürlich weißes Haar hervorquoll.
Ein nicht minder anspruchsloser Mann war der erfahrene Obergeneral der Amerikaner, Georg Washington, der mit unsäglicher Geduld und Geschicklichkeit seine ungeberdigen, hungernden, frierenden Milizen unter dem Sternenbanner zusammenhielt, bis endlich ein Überfall glückte auf die in ihr Weihnachtsfest versunkenen Hessen. Ein preußischer Offizier, von Steuben, übte die Leute ein, die bisher ihr Bajonett, allerdings nur bei gar-seltenen Gelegenheiten, als Bratspieß benutzten. Willig gehorchten alle dem deutschen Kommando des Schülers jenes großen Königs, dessen Name in aller Munde lebte. Auch die „Söhne der Freiheit" lernten die Kriegszucht schätzen. Eine französische Hülfstrnppe, bei welchem gleichfalls deutsche Söldner dienten, stieß zu Washington, und es gelang, ein englisches Heer, welches Savannah und Charleston genommen hatte, bei Jorktown am Dorkfluß (unweit JameStown) zur Ergebung zu zwiugeu. Beim Ausmarsch der Gefangenen fielen die_ Deutschen beider Heere einander weinend um den Hals. Schmach und Elend des Fremdendienstes mag ihre Gemüter bewegt haben.
Nunmehr gab England nach. Im Frieden zu Versailles bestätigte es die Unabhängigkeit der Republik der „Vereinigten Staaten". In edler Entrüstung wies Washington das Erbieten seines Heeres ab, ihn als Monarchen auszurufen, und kehrte auf sein Gut Mount Vernon in Virginien zurück in seine Häuslichkeit, die er nur ans Pflichtgefühl verlassen hatte. Aber nochmals rief ihn das Vertrauen seines Volkes ins öffentliche Leben. Als erster Präsident der „Union" wählte er den Platz auS für die neue Bundes-Hauptstadt, die mit seinem Namen geschmückt worden ist.
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2. D ie französische Revolution.
Die ungeheure Schuldenlast, welche Ludwig XIV. hinterlassen , war durch die Verschwendung seiner Nachfolger und durch die Teilnahme an fremden Kriegen ins Unermeßliche angeschwollen; ihre Zinsen verschlangen den größten Teil der Staatseinkünfte. Die Stenern, durch welche sie gedeckt werden sollten, lasteten fast allein auf der Bürgerschaft und dem Bauer, welcher zugleich noch seinem Gutsherrn den Lehenszins und der Geistlichkeit den Zehnten zu entrichten hatte; die Steuerpächter, durch welche sie eingetrieben wurde», verübten wie einst im Römerreiche die ärgsten Bedrückungen. Anständige Nahrung genossen die Bauern nur heimlich, um nicht von den Zöllnern um alles gebracht zu werden. Die beiden ersten Stände, Adel und Geistlichkeit, welche zwei Drittel des Grund und Bodens besaßen, waren fast gänzlich steuerfrei, glaubten aber, dem Volke dürfe man Steuern aller Art auflegen nach Belieben. Dabei hatte Ludwig XV. noch mehr als der Regent durch würdelose Haltung die Achtung seines Volkes verscherzt. Die Lieblingsbeschäftigung dieses Zeitgenossen des großen Friedrich war das Sticken, während seine Freundin, die Marquise von Pompadour, die Regierungsgeschäfte erledigte.
Da fanden denn die Freiheitslehren von Schriftstellern wie Voltaire und Rousseau eineu fruchtbaren Boden, und die beginnende Auflehnung der amerikanischen Hinterwäldler lockte zur
Nachahmung, eben als Ludwig XV. starb. Der neue König Ludwig XVI., sein zwanzigjähriger Enkel, warf sich mit seiner holden Gattin Marie Antonie, Maria Theresias Tochter, auf die Knie und betete um Kraft zu dem schweren Amte, das er viel zu jung auf sich nehmen müsse. Diese Krasl hat er nie
gewonnen, so gnt auch seine Absichten waren.
Bald nach seinem Regierungsantritte bat ihn einer seiner Intendanten (Statthalter) um Entlassung; er wolle das Volk nicht erdrücken durch weitere Steuern. Diesen Mann machte Ludwig zu seinem Finanzminister, und Turgot hielt ihn mit flammenden Worten zur Sparsamkeit an und zur Bezahlung der Staatsschulden; er dürfe auch die, welche er liebe, nicht bereichern auf des Volkes Kosten. Mit rücksichtslosem Feuereifer ging der Minister an die Beseitigung der Mißstände. „Der Haß der Schurken ist meine Ehre," sprach er, und Ludwig XVI. meinte: „Die einzigen Menschen, welche das Volk wahrhaft lieben, sind Turgot und ich." Aber Geistlichkeit und Adel waren entrüstet über Turgots Ansicht: da ihnen der Staat den größten
Vorteil biete, sollten sie eine Ehre drein setzen, nicht abgabenfrei zu sein, während dem Baner wegen rückständiger Steuer der Kochtops gepfändet werde; und auf das Drängen des Hofes und der übelberatenen Königin entließ Ludwig den edeln Manu mit allen Zeichen der Ungnade.
Turgots Gedanken nahm ein späterer Minister, der Genfer Bankier Necker, wieder auf: Sparsamkeit am Hof und Einberufung der Stände (Etats generaux), einer um das Jahr 1300 eingeführten Vertretung der Geistlichkeit, des Adels und der Städte, welche seit fast zwei Jahrhunderten kein König mehr versammelt hatte.
Schon belief sich das jährliche Desizit, der Fehlbetrag der Einnahmen gegenüber den Ausgaben, auf 140 Millionen Livres.
Ein Jahr des Mißwachses und strenger Winterkälte verursachte Unruhen unter dem hungernden Volk. Es blieb nichts übrig, ;; als die Wahl zu den Etats-genüraux auszuschreiben; sie sollten ein Heilmittel ausfindig machen gegen die Geldnot. Bei der glanzvollen Eröffnungsprozession entfaltete» die mittelalterlichen Formen nochmals ihre Herrlichkeit. Die Geistlichkeit voraus in Soutane und Kapuzenmantel, die Bischöfe in violettem Gewände mit Chorhemd; dann der Adel, schwarz gekleidet, Ärmelaufschlag und Weste mit Gold gestickt, mit Halskrausen von Spitzen, ausgefranstem Federhut und Degen. Zuletzt kam der Dritte Stand, an Zahl so. stark wie die beiden bevorrechteten Stände zusammen, in schwarzem Leibrock, kurzem Mantel; Hut und weiße Binde ohne Schmuck. Jeder Stand sollte auch nach dem alten Verfahren für sich beraten und abstimmen. Der Dritte' Stand aber verlangte, damit die anderen ihm nicht alle Lasten ausladen könnten, gemeinsame Sitzung unb Beschlußfassung nach Köpfeu. ^
Sechs Wochen lang wartete ber Dritte Stanb auf bie Mitwirkung bet Bevorrechteten. Dann erklärte er sich feierlich für bie Vertretung bes ganzen Volkes, bie Assemblce nationale.
Als ber Hof ben Sitzungssaal schloß, schworen bie Abgeorbneten im Ballspielhanse stehend mit erhobenen Händen und in heller Begeisterung ben Eid, nicht auseinander zu gehen, bis das Land eine Verfassung habe. Mehr uud mehr traten auch die Abgeordneten der ersten Stände der Versammlung bei.
Der Hof aber zog Truppen heran uud beredete den König,
Necker zu entlassen. Diese Nachricht erweckte gewaltige Aufregung in Paris. Jeder steckte als Abzeichen (Kokarde) ein grünes Blatt, später die Trikolore (das königliche Weiß zwischen den Pariser Farben rot und blau) auf ben Hut. Am 14. Juli J»n 1789 würbe bie Bastille, bie alte Zwingburg, in welcher früher 1789
mancher willkürlich Verhaftete verschwunden war, erobert und dem Erdboden gleichgemacht.
Durch dieses Beispiel gereizt, verwüsteten die Bauern die Schlösser ihrer Grundherren. Da hob die Nationalversammlung in der ruhmvollen Nachtsitzung vom 4. Anglist die bisherigen Vorrechte (Privilegien) auf Antrag der Besitzer selbst allesamt auf: Leibeigenschaft und Zehnten, Abgabenfreiheit, Jagdrecht und Zünfte. Damit war die rechtliche Gleichstellung aller'Fran-zofen ausgesprochen.
Bald nachher riefen erneute Truppen-Anhäufungen und Mangel an Mehl einen neuen Aufstand in der Hauptstadt hervor. Eine zahlreiche Weiberschar zog nach Versailles hinaus, um „den Bäcker und die Bäckerin" zu holen. Lafayette, welcher die neu geschaffene Pariser Miliz, die Nationalgarde, befehligte, vereitelte mit Mühe größeres Blutvergießen. Aber die königliche Familie mußte samt der National-Versammlung nach Paris übersiedeln, wo der Pöbel immer mehr Einfluß auf beide gewann.
| In Paris ward die Verfassung vollendet. Einer von Wahlmännern des Volkes gewählten Vertretung (Corps legis-latif), die in einer Versammlung (Kammer) beraten und abstimmen sollte, stand das Recht zu, Steuern zu bewilligen und Gesetze zu geben. Letztere konnte der König bestätigen oder durch Verweigerung seiner Unterschrift (sein Veto) hinausschieben.
Statt der alten Landschaften mit ihren Sonderrechten wurde das Land in 83 D epartements (Kreise) eingeteilt, deren Geistliche, Richter und Beamte das Volk wählte. Znr Zahlung der Staatsschulden wurden die ungeheuern Besitzungen der Kirche eingezogen, und der Staat übernahm die Besoldung der Priester, die Kosten des Gottesdienstes und der Spitäler. Schwurgerichte wurden eingeführt, wie sie nach altgermanischem Gebrauch in England bereits bestanden. Abelstitel, Wappen und Mönchsorden wurden abgeschafft. /
Am Jahrestage des Bastillensturmes feierte Paris ein Verbrüderungsfest, wie es noch keines erlebt hatte. Auf dem MarS-felbe, das in ein riesiges Amphitheater umgewandelt war, wurden die Fahnen der Departements eingesegnet, und die Abgesandten derselben huldigten dem Roy citoyen. Dieser, sowie Lafayette und der Vorsitzende ber Nationalversammlung leistete ben Eib aus bie Verfassung; bie Königin hob, gerade als die Sonne die Regenwolken durchbrach, beit Dauphin empor, um ihn bem jauchzenden Volke zu zeigen, während die Fahnen vor ihr gesenkt wurden. Das war für lange Zeit der letzte glückliche Tag Frankreichs.
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3. Die Herrschaft des Schreckens.
Bald genug erwachte das Mißtrauen aufs neue. Das Volk verhinderte den gewöhnlichen Osterausflug der königlichen Familie nach St. Clond. Da entfloh Ludwig XVI. mit den Seinen, um mit Hülfe des Generals SBouilie, der mit ansehnlichen 1791 Streitkräften in der Gegend von Sedan stand, die Revolution niederzuwerfen. Aber in den Argonnen ward er erkannt, und die Nationalgarde in Varennes an der Aisne nahm die Flüchtlinge fest. Mit der Rückkehr nach Paris verlor der unglückliche Monarch den letzten Rest von Macht und Ansehen.
Um so einflußreicher wurde §er Klub der Jakobiner, eine Gesellschaft von Abgeordneten und anderen „Bürgern", die sich in einem aufgehobenen Dominikanerkloster des hl. Jacobus zur Beratung politischer Fragen, aber auch zur Vorbereitung von Unruhen zn versammeln pflegten. In den andern Städten entstanden Tochterklubs, welche aus den damals rasch aufkommenden Zeitungen revolutionäre Ansichten einsogen und verbreiteten. In diesem Klub hetzte der Anwalt Robespierre aus Arras unablässig gegen den König und das Königtum.
Ludwig legte gegen ein Gesetz der Nationalversammlung sein Veto ein. Um ihn gefügig zu machen, stürzte ein jakobinischer Pöbelhanfe in die Tuilerien, ein prächtiges Schloß, welches frühere Könige an Stelle einer alten Ziegelei (tuilerios) erbaut hatten. Während Marie Antonie die Eindringlinge durch würdevolle Haltung mühsam von sich und ihren Kindern abwehrte, saß der König im dichtesten Gewühl auf einem Stuhle, deu man auf einen Tisch gestellt hatte, mit bewundernswerter toeeteiv ruhe ausharrend. Auf einer Lanzenspitze reichte man ihm das neue Sinnbild der Freiheit, eine rote, „phrygische" Mütze, bisher das Abzeichen der freigelassenen Galeerensträflinge; ruhig setzte er sie auf und trank aus dem Glas eines trunkenen Arbeiters.
Aber zum Nachgeben ließ er sich nicht bewegen. Da versuchte man es anders.
Am 10. August 1792 zog eine unabsehbare Menschen- ma,a. menge, bev „Vierte Stand", die'Arbeiterschaft, unter Trommel- 1792 wirbeln, Kanonendonner unb dem Geläute bev Stuvmglocken bewaffnet vor bas Schloß. Die Nationalgarde weigerte sich, beit König zn verteibigeu. So schritt ber unglückliche Monarch mit seinen Angehörigen burch bie wogenben Scharen in ben benachbarten Sitzungssaal ber Nationalversammlung. „Meine Herren," sprach er, • „ich bin gekommen, um ein großes Verbrechen zu verhüten." Vom Schlosse scholl Geschützbonnev unb Flinten-gekuatter herüber: bie Schweizer Sölbnev vevteibigten bie Resi-
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denz ihres Herrn, bis dieser in seiner Herzensgüte das Schießen verbieten ließ. Beim friedlichen Abzüge wurden die Getreuen von den verhetzten Massen niedergeschossen. Den Opfertod dieser letzten Reisläufer hat der große Isländer Bildhauer Bertel Thorwaldsen in dem Luzerner Löwen verewigt.
Der königlichen Familie wurde der „Tempel", die alte Burg der Tempelherren, als Wohnung oder vielmehr als Gefängnis angewiesen. Ein bisher unbekannter Anwalt, Danton, welcher den Aufstand hauptsächlich angestiftet, wurde Justizminister. „Es gilt den Royalisten Angst zu machen," sprach er; und es wurden in den Pariser Gefängnissen angeblich 12000 Anhänger des Königs, meist Geistliche und Adelige, welche die Jakobiner eingesperrt hatten, durch einige hundert Schergen, welche zugleich die Richter spielten, in kaltblütiger Frechheit umgebracht.
Unter dem Eindrücke dieser „Septembermorde" wurde eine
22.@ept.neue Versammlung gewählt, der Nationalkonvent. Am
1792 Tage nach der Eröffnung, am 22. September 1792, sprach erbte Absetzung bes Königs aus uub erklärte Frankreich zur Republik. Die gemäßigten „Girondisten", bie Abgeordneten ans dein Departement Gironde mit ihren Gesinnungsgenossen, wurden überschrien von den jakobinischen Vertretern der Stadl Paris, welche mit ihrem Anhang wegen ihrer hochgelegenen Plätze in bem amphitheatralisch gebauten Sitzungssaale bie Bergpartei hießen. Die Jakobiner setzten bie Anklage bes Königs durch, und „Lubwig Capet" würbe trotz seiner geschickten unb mut-vollen Verteibigung von bem fanatischen Konvente zum Tobe verurteilt. Nach Herzzerreißenbein Abschiebe von ben Seinen schlief er ruhig und bestieg am Morgen bes 21. Januar festen
1793 Schrittes das Schafott. „Sohn des heiligen Ludwig," sagte der Priester, der ihn begleitete, „steige auf zum Himmel!" Trommelwirbel verschlangen die Abschiedsworte des Sterbenden an fein verblenbetes Volk.
Berauscht vom Königsblute, erklärten bie Jakobiner den Nachbarvölkern den Krieg, um Gelegenheit zum Plünbern zu finden, und errichteten in Paris einen eigenen Gerichtshof des „Schreckens", das Revolutions - Tribunal, welches über alle wirklichen oder angeblichen Anschläge gegen die Republik nach dem persönlichen Ermessen der Richter unwiderruflich befinden sollte. Die Verurteilten wurden mittels einer Maschine enthauptet, welche nach ihrem Erfinder Guillotine genannt wurde.
Die Girondisten allein wagten im Vertrauen auf ihre ehrliche Vaterlandsliebe und die Gewalt ihrer Rede, sich der immer wilder tobenden Schreckensherrschaft zu widersetzen. Allein „der
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Berg" setzte sie mit Hülse des erregten Pöbels gefangen; ihre besten Männer wurden nach mannhafter Verteidigung hingerichtet.
Marat, sonst ein Kurpfuscher und Tierarzt, gab ein Blatt heraus, den „Bolksfreuud" (Ami du peuple), worin er täglich Plünderung und Ermordung der „Aristokraten und Verdächtigen" predigte. Da reifte eine Urenkelin Corneilles, Charlotte Cord ay, von den Reden flüchtiger Girondisten begeistert, nach Paris und erstach ihn, „die Bestie", wie sie vor dem Re-volutions-Tribunale sagte, „einen Menschen, um Hundert-tausende zu retten". Heiteren Gemütes, von ekeln Seelen bewundert und beweint, bestieg die anmutige Jungfrau das Blutgerüste.
Unter nichtswürdigen Vorwänden wurde auch die arme Königin Marie Antoinette nach scheußlichen Kränkungen hingerichtet. Mit hochherziger Fassung ertrug die Tochter Maria Theresias ein Schicksal, wie es erschütternder nicht gedacht werden kann.
Alle Macht des Konventes ruhte in den Händen des Wohlfahrts-Ausschusses, dessen Seele Robespierre' war. Der Ausschuss führte "in Münze, Maß und Gewicht das Dezimalsystem durch, wie es heute allenthalben in Geltung ist; er wendete es auch an in dem republikanischen Kalender, der an die Stelle des christlichen trat. Mit dein 22. September 1792 begann das Jahr I der Republik. Die zwölf Monate (Herbst: jßeubemiaire, Brumaire, Frimaire; Winter: Nivose, Plnviose, Ventöse; Frühling: Germinal, Florval, Prairial; Sommer: Messidor, Thermidor, Fructidor) umfaßten je 30 Tage in drei Dekaden, vom Primidi bis zum Dekadi, welcher den Sonntag vertrat. Fünf Schalttage wurden am Ende des Jahres als Sans-culottiben, als Feiertage des republikanischen Volkes, der Sansculotten begangen, welche statt ber Kniehose (culotte) mit Seibenstrümpfen die lange Hose (pantalon) trugen. Die völlig meisterlose (anarchistische) Stadtbehörde von Paris ersetzte sogar ben ganzen katholischen Gottesbienst unter gotteslästerlichen Festlichkeiten burch ben „Kultus ber Vernunft unb Natur".
Wie in Paris, erscholl bas Felbgeschrei: „Freiheit, Gleichheit, Brüberlichkeit" auch in ben Provinzen, welche, bainals wie immer, alle Tollheiten ber Pariser eifrig nachmachten. Der Gleichheit zuliebe sollten alle Munbarten abgeschafft, bie Kirchtürme, namentlich ber sehr aristokratische Turm bes Straßburger Münsters, niedergelegt werden.
Dieses Gebaren stieß selbsr bei ben Jakobinern auf Widerspruch. Danton wollte die Besonnenheit und Mäßigung wieder zu Ehren bringen. Man warnte ihn vor dem Neide Robes-
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pierres, der für seine Herrschaft fürchtete. Danton blieb fest. „Ich will lieber guillotiniert sein als guillotinieren", sprach er. „Kann man sein Vaterland mittragen an den Sohlen seiner Schuhe?" Noch auf der Anklagebank und auf den, Blutgerüste gab er seiner Verachtung Ausdruck gegen das Revolutions-Tribunal und den von Robespierre völlig eingeschüchterten Konvent. Sein Trost war: „Ich ziehe Robespierre nach." Nur mit einem Ltricke ließ er sich festbinden unter dem Fallbeil: „Den andern hebt auf für Robespierre!"
Prophetische Worte! Einige Wochen schwelgte Robespierre im Vollgenuffe der Alleinherrschaft, obgleich er in beständiger Angst. schwebte vor Meuchelmördern. Auf seinen Antrag be-,v schloß der Konvent den Glauben an die Unsterblichkeit der Seele
und an ein höchstes Wesen, und er stolzierte als dessen Hohepriester bei einem Festzng einher in lächerlichem Prunke, um sich jedoch sofort mit erneutem Eifer den Hinrichtungen zu widme». Wer wohlhabend war oder die Thaten der Blut-menschen nicht lobte, der war verdächtig und durfte einer Verurteilung gewärtig sein. Täglich wurden ganze Wagenladungen Verdächtiger auf die drei Guillotinen geschleppt, die in Paris „arbeiteten", und niemand fragte viel darnach, wenn an ihn die Reihe kam. So wertlos war das Leben geworden! In den Provinzen wurden die Gegner der Schreckensherrschaft zu Hunderten und Tausenden enthauptet, zusammengeschossen, ertränkt. In der Vendee, deren schlichte Einwohner unter der Führung ihres frommen Adels sich erhoben hatten für Thron und Altar, standen Dörfer und Höfe, Felder und Wälder in Flammen weit und breit.
Dieser blutige Aberwitz der Sansculotten mußte ein Ende 1794 finden. Am 9. Thermidor (27. Juli 1794) raffte der Konvent sich endlich auf. Er sprach die Verhaftung Robespierres aus. „Du erstickst im Blnte Dantons," rief ihm einer zu. Nach erbittertem Straßenkampfe zwischen den anständigen' Bürgern und der „Kanaille" wurde der Blutmensch samt seinen Werkzeugen der Guillotine übergeben. Er starb als Feigling. So erfüllte sich das Wort eines angeklagten Girondisten vor dem Revolutions-Tribunal: „Ich sterbe in einem Augenblicke, wo das Volk die Vernunft verloren hat; ihr werdet sterben an dem Tage, wo es sie wiederfindet."
Die „Thermidori an er", die nunmehr aus Ruder kamen, hatten Mühe, das Land vor Hungersnot zu schützen, da niemand mehr die Felder bestellen wollte und durch die Hinrichtung oder Auswanderung der „Reichen", der unternehmenden Geschäftsleute, aller Handel und Wandel stockte. Nur allmählich kehrte
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Ruhe und Ordnung zurück. Vornehme junge Leute prügelten die Jakobiner und ihre „Bürgerinnen". Die ärgsten Blut-hnnde wurden hingerichtet oder nach Cavenne gesandt (Deportiert); auch der scheußliche Schuster Simon bestieg das Blutgerüste, der Peiniger des armen Königsknaben Ludwig XVII., der, zehn Jahr alt, kurz nach seinem „Erzieher" starb.
4. Die erste Koalition. Napoleon Bonaparte.
Seit dem Bastillensturm und der Aufhebung der Sonderrechte waren Adelssamilieu und Geistliche in hellen Scharen ausgewandert. Diese „Emigranten" sammelten in Grenzstädten wie Koblenz und Worms, Turin und Brüssel Geld und Truppen gegen die Revolution und spornten die Regierungen zum Kriege. Die Gewalthaber in Paris machten den benachbarten Staaten aus der Aufnahme dieser Verräter einen Vorwurf, und die Minister entwanden dem König die Kriegserklärung an Österreich. Damit begann ein Vierteljahrhuudert europäischer 1792 Kriege und Leiden.
König Friedrich Wilhelm II. von Preußen, der rittet'- ■ siche Neffe Friedrichs des Großen, verband sich mit Kaiser Leopold II., um bem König von Frankreich die verlorenen Rechte //' wieber zu erkämpfen. Herzog^Ferdiuand von Brannschweig^ , besten gleichnamiger Oheim vor einem Menschenalter die Franzosen so oft geschlagen, befehligte das verbündete Heer, welchem Friedrich Wilhelm selber sich anschloß. Bereits schien der Weg offen für den militärischen Spaziergang nach Paris. Da warf sich General Dnmonriez in die Argonnen-Päffe, die er als Frankreichs Thermopylen bezeichnete, und brachte dem wohlgefchulteu deutschen Heer eilte Schlappe bei. Herbstregen veranlaßten den verlustreichen Rückzug der Verbündeten. Gleichzeitig nahm Gene- |y,, j , ral Custine Mainz weg, andere französische Streitkräfte eroberten Belgien, Savoyen und die Grafschaft Nizza.
Die Erfolge der Revolutionstruppen brachten eine große Völkerverbindung, die Koalition, deren Seele der englische Minister Wilhelm Pitt der Jüngere war, gegen Frankreich unter die Waffen. Zugleich reizte det^ Königsmord sechzig Departements zum Bürgerkriege gegen bie Sansculotten. Toulon öffnete sogar den Engländern Hasen und Mauern.
In dieser Gefahr ordnete der Wohlfahrts-Ausschuß eine Massenerhebung (levee en nmsse) an: alle Jünglinge von 18 bis 25 Jahren sollten zu den Fahnen eilen. Das Land verwandelte sich in ein großes Heerlager; alle Pferde wurden für die Reiterei und die Geschütze fortgenommen; die Schuh-
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wacher durften monatelang nur für das Heer arbeiten. In allen Kellern suchte man nach Salpeter, aus den Glocken goß man Kanonen.
Die Armeen, welche der Wohlfahrts-Ausschuß aus dem Boden stampfte, die „Blauröcke", fochten nicht ohne Ruhm, obgleich die alten Offiziere fast sämtlich als verdächtig entfernt waren und mitunter tüchtige Generale wegen eines Fehlfchlages ans die Guillotine wanderten. Das Zauberwort: „Friede den Hütten, Krieg den Palästen!" verblendete sogar einige Schweizer L-tädte und die erregbaren Mainzer, daß sie um den Freiheitsbaum tanzten und in einem Jakobinerklub an Reden und Redensarten sich ergötzten.
Den Verbündeten fehlte alle Begeisterung und aller Erfolg. Preußen zog sich völlig zurück. Es brauchte feine Kräfte im Osten. Jm^Jahre des Königsmordes teilte es mit Rußland die zweite Schichte polnischen Landes, wobei es Thoru und Dauzig gewann. Die Zustimmung des polnischen Reichstages wurde mit Waffengewalt erzwungen. Nun führte der edleKoS-ciusko, welcher vordem unter Washington gefochten, seine erbitterten Landsleute zum Verzweiflungskampfe. Als er in einer Schlacht verwundet vom Pferde sank, kam auch der Rest des 179d Landes zur Verteilung. Österreich erhielt daö obere Weichselland, Preußen Warschau, Rußland alles Übrige. Das war das Ende Polens (finis Poloniae).V
Auch der Konvent beschloß seine blutige Geschichte. Ein Direktorium von fünf Mitgliedern trat an die Spitze. Die Volksvertretung (Corps legislatif) bestand aus dein „Rate der (250) Alten" und dem „Rate der Fünfhundert". Den Widerstand der Pariser Bürgerschaft, die sich gegen diese Verfassung sträubte, brach ein junger Artillerie-Offizier durch wohlgezielten Kugelregen. Das war Napoleon Bonaparte. —
Die Republik Genua trat die aufständische Insel Korsika, nachdem sie sich vierzig Jahre lang bemüht sie zu bändigen, an das stärkere Frankreich ab, und diesein gelang es, die Ordnung 1769 herzustellen. Zwei Monate später, am 15. August 1769, wurde dem Anwalt Bonaparte in Ajaccio der zweite Sohn geboren. „Je naquis, quantl la patrie perissait,“ schrieb er später. Napoleon Bonaparte hat Frankreich nicht als sein Vaterland angesehen; die französische Sprache hat er nie völlig beherrscht.
Mit elf Jahren erhielt er eine Freistelle an der Kriegsschule zu Brienne; er vollendete feine militärische Ausbildung in Paris. Die Neigung des verschlossenen Knaben gehörte der Mathematik und Geschichte; am liebsten las er Plutarch und Cäsar. Auch als Lieutenant setzte er seine Studien fort. Aus
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Not und aus Menschenscheu mied er seine Kameraden und widmete sich der Erziehung seines Bruders Ludwig. Während der Revolution ging er nach Korsika, um als Kommandant der Nationalgarde in Ajaccio die Insel befreien zu Helsen. Es mißglückte; doch konnte er sein Verhalten in Paris rechtfertigen.
Die Reise zu den in Italien stehenden Truppen führte ihn zu der Armee, welche Toulon belagerte. Sofort erspähte er // die angreifbare Stelle in der Befestigung, und der Obergeneral, seines Zeichens ein Maler, unterstellte ihm die Artillerie. Unter feinem wohlgezielten Feuer räumten die Engländer die Forts, dann auch Stadt und Hafen. Die Einwohner, welche sie nicht mitnahmen, ließ der Konvents-Kommissär „zur Feier des Sieges" niederkartätschen.
Bonaparte wurde General der Artillerie. Dennoch entging er nach dem Sturze Robespierres, mit dessen Bruder er befreundet gewesen, nur mit genauer Not der Guillotine; der Wohlfahrts-Ausschuß strich ihn aus der Rangliste. Hatte er bisher seine Familie unterstützt, so geriet er jetzt selbst in Mangel.
Er mußte feine Bücher verkaufen und dachte daran, sich in die Türkei schicken zu lassen, um dieses Land durch Verbesserung seiner Festungen und Geschütze zu einem wertvollen Bundesgenossen zu machen wider Rußland oder Österreich.
Doch zog man ihn ins Topographische Bureau, in den Generalstab. Er entsetzte die Führer des Italienischen Heeres durch den Feldzugsplan, den er für sie ausarbeitete. „Der Mann ist reif fürs Irrenhaus," fand einer; der andere meinte, er möge selber kommen, den Plan auszuführen.
Und er kam, bald nach dem Aufstande gegen die Direktorial-Verfassung: ein kleiner, blasser, magerer, gebrechlicher Mann, dessen Körper verzehrt schien von seinem Feuergeiste. Aber durch die Sicherheit seiner Befehle, die Entschiedenheit seines Auftretens wußte er die ausgehungerten Krieger mit Zuversicht zu beseelen und zu fesseln durch das Wohlleben, welches er ihnen in Aussicht stellte. In zahllosen Gefechten nötigte er Sardinien 1796 zum Frieden. Die Österreicher warf er hinter den Tessin und nach der Erstürmung der Adda-Brücke bei Lodi hinter den Mincio zurück. Mailand fiel und zahlte eine Brandschatzung von 20 Millionen Franken. Die Soldaten machten reiche Beute; der General sandte viele Millionen und unschätzbare Kunstwerke, die er den Städten und Fürsten der Halbinsel abnahm, nach Paris.
Die Festung Mantua, die er einschloß, mußte sich ergeben, nachdem vier Entsatzheere geschlagen waren. Der junge Kaiser Franz schickte seinen besten Feldherrn nach Italien, seinen Bruder Karl. In Deutschland hatte der jugendliche Erzherzog
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Zwei feindliche Heere unter Jourdan und Moreau über den Rhein zurückgeworfen. Vor Bonaparte mußte er selber weicheu. Schott standen die Franzosen bei Klagenfurt in Kärnten. Aber hinter ihnen lag das schwergereizte Italien und die kaisertreuen Tiroler. Don den anderen Feldherren der Republik war keine Hülfe zu erhoffen, da Bonaparte ihr erneutes Vordringen nicht abgewartet hatte. Darum bot er den Frieden an, der nach
1797 langen Verhandlungen auf dem Schlosse Campo Form io in Friaul zum Abschlüsse gelangte.
Die altersschwache Republik Venedig mußte die Zeche bezahlen. Die Stadt mit ihrem festländischen Besitze bis zur Etsch kam an Österreich, die Jonischen Inseln sowie die österreichischen Niederlande an Frankreich. Alles Gebiet westwärts der Etsch j'is bildete nebst den eingezogenen Herzogtümern Parma und Modena und mit einigen bisher päpstlichen Landschaften die Cisalpi-nische, Genua die Liguriscke Republik. Ebenso wurde vorher Holland in eine Batavifche und später die Schweiz in eine Helvetische, der Kirchenstaat in eine Römische Republik umgewandelt. Der Kaiser zog seine Truppen vom linken Rhein-user zurück.
Frankreichs Herr und Gebieter aber war der General Bonaparte.
o. Ägypten und Marengo. Konsulat und Kaiserreich.
Um auch das unnahbare Englaud zu treffen, beschloß Bonaparte Ägypten zu erobern und von dort aus die ergiebigste Quelle des englischen Reichtums, Indien, zu bedrohen. Während geräuschvolle Anstalten in den nördlichen Häsen Frankreichs
1798 die Besorgnis erweckten, es sei eine Landuug an der britischen Küste im Werk, lief die Flotte mit dem ins Morgenland bestimmten Heere von Toulon und anderen Aasen des Mittelmeeres aus. Ohne Widerstreben ergab sich Malta. „Wie gut," meinte ein Franzose, „daß die Malteser zu Hause waren; sonst hätte uns niemand ausgemacht!"
Ägypten gehörte dem Namen nach der Türkei, in Wirklich -kett der ritterlichen Kaste der Mamelukeu. Nach einem Wüstenmarsche, dessen Mühen und Entbehrungen seine Truppe mit guter Laune ^überwand, stieß Bonaparte' bei Gizeh auf ihre Lcharen am Fuße der Pyramiden, von deren Höhe vierzig Jahrhunderte auf die Franzosen niederschauten. Er erfocht einett entscheidende« Sieg; Kairo war sein. Obgleich seine Flotte wenige Tage nachher von den Engländern unter dem einarmigen Admiral Nelson bei Abukir östlich von Alexandrien in nacht-
licher Seeschlacht vernichtet wurde, unterwarf sein Unterfeldherr Desaix, glücklicher als einst Kambyses, ganz Oberägypten, und als wider Erwarten die Türkei ;uin Schwerte griff für das Nilland, rang Bonaparte selbst aus dem Boden des Heiligen Landes ersolgreich mit dem Halbmond. Aber die Festung Akkon (St. Zean d'Acre) konnte er nicht bezwingen. Die Pest brach auö in seinem Heere, und Zeitungen aus Europa, die ihm ein englischer General höhnisch zusandte, bewogen ihn zur Heimkehr.
Noch schlug er bei Abukir ein türkisches Heer, das in seinem Rücken gelandet war; daun aber segelte er mit wenigen Begleitern unbemerkt ab, um Frankreich zu retten.
Die europäischen Mächte hatten die Koalition erneuert, welcher auch die Türkei und Rußland unter Katharinas Sohne Pauli, beitrat. Der Erzherzog Karl schlug die Franzosen ans Deutschland, der Feldmarschall Suwörow aus Italien hinaus.
Dann überstieg der alte Russe, um auch die Schweiz zu säubern, auf ungebahnten Wegen und mit fürchterlichen Opfern den St. Gotthard, fand aber die Franzosen siegreich am Vierwaldstätter.
See und erreichte in erneuter Mühsal das vordere Rheinthal.
Sonst waren alle Heere der Republik geschlagen, als der ersehnte Bonaparte ans Land stieg. Zunächst jagte er durch den L-taatsstreich vom 18. Brumaire, 9. Nov., den Rat der Fünfhundert im Schlosse St. Cloud auseinander ltiid ließ 1799 eine nette Verfassung ausarbeiten, welche statt des Direktoriums drei auf zehn Jahre gewählte Konsuln mit der Leitung des Staates betraute. Er selbst als Erster Konsul war thatsächlich unumschränkter Monarch; ihm stand die Besetzung der Ämter und die Entscheidung über Krieg und Frieden zu. Eine Volksvertretung gab es nur noch zum Scheine. Dafür machte er der blutgierige» Räuberei der Sansculotten ein gründliches Ende und sorgte für die lang entbehrte Sicherheit des Lebens und des Eigentums, wie für Freiheit der Glaubensübung. Ebenso nachdrücklich bemühte er sich für den Frieden, welchem Österreich nur noch entgegen war.
Darum ging er in meisterhaft geleitetem Zuge über den Großen St. Bernhard. In hohlen Baumstämmen schleppte er die Kanonenrohre hinüber und umging in stiller Nacht das Fort Bard, welches den südlichen Ausgang des Paffes sperrte. Wieder zog er in Mailand ein und stand im Rücken der Österreicher, welche durch die Einnahme Genuas soeben die Unterwerfung Oberitaliens vollendet hatten. Ihr greiser Feldherr Melas schlug das Heer des Konsuls unter den Mauern Alessan-drias bei dem Dorfe Marengo; aber noch rechtzeitig traf 1800 General Desaix auf dem Schlachtfelde ein. In sieghaftem Vor-
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stoße fiel er selber; die Schlacht jedoch war gewonnen und damit Italien. /
Aber erst als Moreau, der auf dem deutschen Kriegsschauplätze befehligte, des Kaisers blutjungen Bruder, Erzherzog Johann, bei^Hohenlinden zwischen München und dem Im? in dichtem -Schneegestöber geschlagen, verstand sich der Kaiserhof 1801 zum Frieden, der zu L u n e v i l l e in Lothringen vereinbart wurde. Der Rhein, die Etsch wurden die Ostgrenzen Frankreichs und seiner Tochter-Republiken.
Auch mit dem Sohne des ermordeten Paul I., dem jungen Zaren Alexander I., wurde Friede gemacht. Den Abschluß mit England verzögerte die ägyptische Frage.
Den Oberbefehl in Ägypten hatte Bonaparte dem General Kleber hinterlassen. Das war der schönste Mann seines Heeres, von unverkennbar deutschem Gepräge, ein Straßburger Maurerssohn, der als vierzigjähriger Ingenieur freiwillig ins Revolutionsheer eingetreten war und in Mainz wie in der Vendöe sich hervorgethan hatte. Mit kleinmütigem Widerwillen übernahm er sein schwieriges Amt; über laugen Verhandlungen mit Türken und Engländern ging fast das ganze Land verloren. Erst als er die Hinterlist der Engländer durchschaute, erwackte Verdeutsche Michel in ihm, der Löwe schüttelte die Mähne. „Soldaten," rief er in einer Proklamation, „ans ein solches Gebaren antwortet man nur durch Siege. Rüstet euch zum Kampf!" Bei Heliopolis dicht bei Kairo zersprengte er ein weit überlegenes Türkenheer. Kairo, Oberägypten und das Gabelland (Delta) gewann er zurück. Aber wenige Monate später, an dem Todestage seines Waffengefährten Desaix, siel er durch den Dolch eines fanatischen Muselmannes, ein böser Lohn für die zarte Schonung, welche er gegen die Gebräncbe und Anschauungen der Ägypter bethätigt hatte. Sein schwacher Nachfolger räumte das Land, dessen natürliche und geschichtliche Schätze französische Gelehrte, durch Bouaparte aufgemuntert, zu untersuchen begannen. England schloß mit dem Ersten Konsul den Frieden zu Amiens.
Nun sollten noch die deutschen Fürsten entschädigt werden, welche durch'deu Luueviller Frieden linksrheinisches Land verloren hatten. Eine Reichsd epntation, deren Hauptschluß 1803 dann der Regensburger Reichstag bestätigte, bestimmte die'Gebiete geistlicher Staaten zur Einziehung (Säkularisation), jene der kleinen Fürsten und der Reichsstädte (bis auf sechs) zur Unterordnung (Mediatisation) in größere Landesverbände. Preußen erhielt den Kern der jetzigen Provinz Westfalen und mehrere Stifter und Abteien in Sachsen. Hessen-Kassel, Württem-
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Berg und Baden wurden Kurfürstentümer. Baden erhielt aus Rücksicht auf den Zaren Alexander, der mit einer Enkelin Karl Friedrichs vermählt war, das Bistum Konstanz und die ^rechtsrheinischen Trümmer der Bistümer Basel, Straßburg und Speier, sowie die Pfalz, deren Herrscherhaus eben ausgestorben war, bis zum Neckar mit den arg darniederliegenden Städten Mannheim und Heidelberg. . ,
Eine glückliche Heit schien anzubrechen für Frankreich und Europa. In ben Tuilerien errichtete Bonaparte mit seiner schönen Gattin Josephine eine glänzende Hofhaltung. Er stiftete ben Orden der Ehrenlegion und umgab^sich mit Scharen von Höflingen und Marschällen. Er ries Schufen aller Art ins Leben und veranstaltete eine neue Gesetzessammlung, ben Code Napoleon. Durch einen Vertrag mit bein Papste (Konkordat) machte er die katholische Kirche wieder zur Staalsreligion und führte ben von Papst Gregor XIII. begrünbeten Gregorianischen ft'alenber roieber ein, zunächst neben betn republikanischen. Mord-anschläge gegen sein Leben boten ihm erwünschte Gelegenheit, sich burch' Volksabstimmung (Plebiszit) erst zum Konsul aus Lebenszeit, bann zum Kaiser ber Franzosen erheben zu 1804 lassen. In der gotischen Kathedrale Notre-Dcime zu Paris mußte Papst Pius VII. ihn feierlich salben; die Krone setzte er sich und Josephinen selber aufs Haupt. Die aus der Eisalpi-nischen erwachsene Italienische RepubM wandelte er um in ein Königreich Italien unb machte seinen Ltiessohn EngenBeau -Harnais zum Vizekönig.
6, Austerlitz, Jena, Kelberg.
Zwischen Frankreich unb England entbrannte der Krieg bald "aufs neue. Wieder nistete Napoleon zu einer Lanbnng in Großbritannien, unb bie Franzosen besetzten Hannover, plünderten es aus unb entwaffneten sein Heer. Der junge Preußen-könig Friedrich SBiUeint III. lehnte jebe Einmischung ab; er meinte seinem Volke ben Frieben wahren zu müssen um jeben Preis. Dagegen bilbete England mit Rußlanb und Österreich
eine brüte Koalition.
Unerwartet rasch erschien Napoleon in eiidbeutschland, bereit Fürsten er in ein ' Bündnis zog. Die _ österreichische Armee, welche unter dem eitelit General Mack bei IIIm staub, trieb er burch eine Reihe blutiger Gerechte in die Festung unb zwang sie zu schimpflicher Ergebung. Die vollständige Niederlage, welche Admiral Nelson in seiner letzten Seeschlacht beim Vorgebirge Trafalgar an ber Südspitze Spaniens der französi-
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scheu Flotte beibrachte, hinderte den Vormarsch des Kaisers auf Wien so wenig wie die drohende Haltung Preußens, welches durch die Verletzung seines Gebietes gekränkt war. In Mähren ,land ein starkes österreichisch-rnssisches Heer; voll" Übermutes drang Alexander auf eine Entscheidung. In der Dreikaiser-1605 schleicht bei Austerlitz erfocht Napoleon einen seiner glän-Mdsten Siege. Franz II. erhielt in Preßburg den Frieden, um welchen er persönlich im Feldlager Napoleons gebeten hatte. Er mußte Venetien an das Königreich Italien, Tirol au Bayern Vorderösterreich an Württemberg und Baden abtreten. Barern und Württemberg wurden Königreiche.
Preußen, welches den Angenblick zum Losschlagen versäumt hatte, mußte gegen die Abtretung anderer Gebiete Hannover annehmen, wenn es nicht den ganzen Grimm des Korsen auf sich laden wollte. Denn eben damals machte er durch eineu Federstrich den älteren seiner Brüder, Joseph, zum König von Neapel, den jüngeren, Ludwig, zum König von Holland.' Die sudwestdeutschen Fürsten vereinigte er zu einem Rheinbünde; ,kjc Eriege ihres „Protektors" hatten sie eine genau vorae-1 " " '/schriebene Truppenzahl (ein Kontingent) zu stellen. Damit war 1806 das Deutsche Reich aufgelöst, und Franz II. legte die deutsche Kaiserkrone nieder. Er und seine Nachfolger führen seit 1804 den Titel: Kaiser von Österreich.
Auch das verhaßte Preußen sollte gedemütigt werden. In neuen Verhandlungen bot Napoleon den Engländern die Rück-gäbe Hannovers an. Der Krieg war unvermeidlich, und die preußischen Offiziere prahlten, als wäre er schon gewonnen.
Aufs beste vorbereitet, zog Napoleon mit französischen und Rheinbuuds-Truppeu von Oberfranken aus die Saale hinunter. In einem Vorpostengefechte bei Saalfeld fiel der feurige Prinz 14.oft. -udwig Ferdinand, und nach einigen Tagen wurde das preußische 1806 Heer in der Doppelschlacht bei Jena und Anerstädt vollkommen zermalmt. „Lieber tausendmal sterben, als das noch einmal erleben," so schilderte später Gneisenan die Greuel jener L>chreckensnacht, in der sich die Trümmer der Armee, vom Feinde verfolgt, nordwärts wälzten, um in einzelnen Abteilungen rühmlos gefangen zu werden. Heldenmütig focht Blücher und fein Generalstabschef Scharnhorst; auch sie mußten sich ergeben.
Die kummervolle Flucht der Königsfamilie nach Königsberg und Tilsit hat der damals neunjährige zweite Sohn des Herrscherpaares sein Lebenlang nicht vergessen.
Vierzehn Tage nach der Schlacht zog Napoleon in Berlin ein. Nach dem Vorbild ihres Herrn, welcher den Degen Friedrichs des Großen und das von Gottfried Schadow' gegossene
Viergespann der Victoria vom Brandenburger Thor nach Paris schickte, haben Offiziere und Soldaten nach Kräften geraubt und geplündert.
Wahrhaft schmachvoll wurden die Festungen samt all ihren reichen Vorräten durch die meist steinalten Kommandanten, mitunter an die ersten besten französischen Reiter, ausgeliefert. „Preußen ist verschwunden," schrieb Napoleon an den Sultan.
Nur Danzig wurde mit wohlverdienten Kriegerehren übergeben- Graudenz hielt sich bis zum Frieden. Die Aufforderung zur Kapitulation beantwortete General (Sourbiere deutsch, und als der Unterhändler (Parlamentär) andeutete, es gebe keinen König von Preußen mehr, lautete sein Bescheid: „Gnt, dann bin ich König von Graudenz!"
Von Kolb erg aber, das sich schon im Siebenjährigen Kriege gegen die Russen wacker gewehrt, sollte der Morgenstrahl künftiger preußisch-deutscher Waffenehre ausgehen. Der stumpf gewordene Kommandant Oberst v. Lucadou wies die angebotene Mithülse der Bürgerschaft hochmütig ab, und der Dragoner-lieutenant Schill, der mit einem Freicorps dem Feinde zu schaffen machte, schien ihm unbequem. Noch mehr der alte Joachim Nettelbeck, der ihm landesverräterische Unterhandlungen zutraute. Einst schlugen Bomben auf dem Markt ein, als eben der Kommandant dort anwesend war. Da stotterte er verwirrt: „Meine Herren, wenn das so fortgeht, so werden wir doch noch müssen zu Kreuze kriechen." Da fuhr Nettelbeck mit entblößtem Degen auf de» Feigling los: „Halt! Der Erste, wer er auch sei, der das verdammte Wort wieder ausspricht, der stirbt des Todes von meiner Hand!" Botschaft über Botschaft schickte der alte treue Mann heimlich an den König mit der Bitte, einen anderen Kommandanten zu bestellen. Endlich kam Major v. Gneisenan. Nettelbeck stürzten die Thränen aus den alten Augen, als er ihn sah; er fiel auf die zitternden Knie und ries, ihn umklammernd: „Ich bitte Sie um Gotteswillen, verlassen Sie uns nicht; wir wollen Sie auch nicht verlassen, so lange wir noch einen warmen Blutstropfen in uns haben, sollten auch all unsere Häuser zu Schutthaufen werden! So denke ich nicht allein; in uns allen lebt ein Sinn und Gedanke: die Stadt darf und soll dem Feinde nicht übergeben werden!" „Ich nahm alles auf meine Hörner," erzählt Gneisenan, und Nettelbeck versichert, der Kommandant sei Wochen lang so wenig in ein Bett als aus den Kleidern gekommen. Bürger und Soldaten standen treu zusammen wie der geniale Kommandant und der wetterfeste Seemann. Trotz der verheerenden Beschießung, welche namentlich in den letzten Tagen die
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Stadt mit Entsetzen füllte, hielt sie sich unerschütterlich bis zum Frieden.
Diesem gingen zwei mörderische Schlachten zwischen Napoleon und den Russen voraus, die erst jetzt unter rühmlichem Beistände der Preußen in den Krieg eingriffen. In einem prächtigen Zelte, das auf einem Floß im Memelflusse errichtet war, saud eine heimliche Unterredung zwischen beiden Kaisern statt. Hingerissen von den Gedanken des Welteroberers, vergaß der junge Zar den Freundschastseid, welchen er mit Friedrich Wilhelm vor Jahresfrist am Sarge Friedrichs des Großen zit Potsdam geschworen. Dann ward auch Preußen der Friede 1807 zu Tilsit gewährt, dessen Härte die rührenden Bitten der schwergekränkten Königin Luise nicht zu mildern vermochten. Nur „aus Rücksicht auf den Herrscher aller Reußen" wurde dem Könige die Hälfte seines Landes zurückerstattet. Aus den Landschaften westwärts der Elbe und aus dem eingezogenen Kurfürstentum Hessen-Kassel machte Napoleon das Königreich Westfalen für seinen jüngsten Bruder Hieronymus (Jerome), belauf dem Schlosse Wilhelmshöhe bei Kassel Hof hielt; aus dem polnischen Besitze Preußens ein Herzogtum Warschau, mit dem er seinen neuesten Rheinbundfürsten bedachte, den zum König erhobenen Kurfürsten von Sachsen. Dazu mußte das ausgesogene Land eine schwere Entschädigung für die Kriegskosten bezahlen; und bis zu deren Tilgung blieben im ganzen Lande, später in den drei Oderfestungen Glogau, Küstrin und Stettin französische Besatzungen, die auf Preußens Kosten verpflegt werden mußten.
7. Preußens Wiedergeburt. Die Königin Luise.
Mit blutendem Herzen richtete König Friedrich Wilhelm ein Abschiedswort an die Bewohner der Landschaften, die er verlor. „Das Schicksal will es, der Vater scheidet von den Kindern. — En er Andenken kann kein Schicksal, feilte Macht ans meinem und der Meittigen Herzen reißen." Darauf scholl aus dem treuen Westfalen die Antwort: „Du mußt nicht zweifeln, daß in unsern Adern das Blut der alten Cherusker noch feurig fließt unb wir noch stolz darauf sind, Hermann und Wittekind unsere Landsleute zu nennen. — Lebe wohl, alter, guter König! Gott gebe, daß die Überreste Deines Landes Dich treuere Generale und klügere Minister finden lassen, als die waren, die Dich betrübten!" Dieser Wunsch sollte in Erfüllung gehen.
Preußen hatte durch die französische Besatzung unsäglich zu leiden. Machten sich doch die Franzosen schon im Freundes-
land unerträglich genug. Als ihnen Mainz eingeräumt war, haben sich, wie ein schlichter Turmwart erzählt, einige Einwohner „die Hälse abgeschnitten, andere sich ersäuft, noch andere ihre Häuser stehen lassen und sind davon gelaufen; denn das Militärmacht so viele Forderungen, daß die Leute sie nicht mehr befriedigen können." Der französische Oberintendant in Berlin sagte gelassen: „Man glaubt gar nicht, was ein Land alles aushalten kann." Über 1200 Millionen Franken sind binnen zweier Jahre erpreßt worden!
Dennoch raffte sich Preußen entschlossen aus. Die Bürger unterzogen sich willig allen Entbehrungen. Man entsagte dem Zucker, den eingemachten Früchten; geröstete Eicheln mußten den Kaffee, Huflattich den Tabak ersetzen. Der König überwand persönliche Abneigung und ernannte den Freiherrn vonrStein aus altem nassauischem Reichsritter-Geschlechte zu seinem ersten Ratgeber. Und der gewaltige Mann vergaß frühere Kränkung, um unter den schwersten Hindernissen durch kühne Gesetze Preußens Verjüngung vorzubereiten. Er gab dem Adel und dem Bürger gleiche Rechte. Im Dienste des Staates wie im Gewerbeleben sollten beide Stände gemeinsam arbeiten dürfen zum Heile des Vaterlandes. Die Bauern wurden durch völlige Aufhebung der Erbunterthänigkeit zu freien Menschen wie die andern; die Pflichten, die auf ihren Gütern lasteten, sollten allmählich durch Geld abgelöst werden. Die Städte wurden selbständige Körperschaften. Aus der ganzen Bürgerschaft freigewählte Stadtverordnete und Magistrate (Stadträte) verwalteten unter Oberaufsicht der Regierung den städtischen Haushalt, das Armen- und Schulwesen. So sollte jeder selbstthätig und mitverantwortlich sein für Wohl und Wehe der Gemeinde und damit des Staates, an dessen Regierung später gleichfalls Vertreter des Volkes beteiligt werden sollten. Stein wollte die Preußen mündig machen, damit sie später als ganze Männer dem großen Kampf entgegen gingen für Ehre und Freiheits-
Steins großer Gehülfe auf dem Gebiete des Heerwesens, Scharnhorst, war ebenfalls ein Fremder, ein hannoverischer Bauernsohn, ein anspruchsloser Mann sein Leben lang. Mit stiller Behutsamkeit ging er an seine schwierige Ausgabe, das preußische Heer zu vermehren und zu veredeln. Das ausschließliche Anrecht des Adels auf den Beruf des Offiziers ward aufgehoben ; aber alle Offiziere sollten vornehm sein durch Charakter und Bildung. Ausdrücklich machte sie der König aufmerksam, daß nur ein höfliches Betragen gegen jedermann, gegen Untergebene und Bürger, den Mann von Erziehung bezeichne. Die Zöpfe kamen iu Wegfall und die Körperstrafen. Den Antrieb
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zum Wohlverhalten sollte der preußische Soldat nicht mehr im Holze suchen, sondern im Ehrgefühl, meinte Gneisenau. Das Heer sollte alle Waffenfähigen umfassen, es sollte das Volk in Waffen sein, und Blücher schrieb an Scharnhorst: „Es muß zur Schande gereichen, wer nicht gedient hat."
Mit aller Wachsamkeit verhüllte Scharnhorst seine Gedanken und Absichten. Die Freunde fanden, feine Seele sei so faltenreich wie sein Gesicht. Dennoch wurde Napoleon aufmerksam und zwang Preußen die Verpflichtung auf, nie mehr als 42000 Mann unter den Waffen zu halten. Um trotzdem die all-genteilte Wehrpflicht durchzuführen, ersetzte Scharnhorst jeweils die Mannschaften nach notdürftiger Ausbildung geräuschlos durch neue; und wenn seine „Krümper" auch nicht allzu gerade marschirten, so hatte er doch in der heiß ersehnten Stunde der Abrechnung 150 000 Mann bereit, die alle von glühendem Hasse gegen die Fremdherrschaft erfüllt waren.
Auch Steins Arbeit wurde gestört. Schon glaubte er in seiner Ungeduld den Nationalkrieg gegen Napoleon entfachen zu können, da fiel ein unvorsichtiger 23rief des Ministers den zahllosen welschen Spähern in die Hände. Seinern Könige Verlegenheiten zu ersparen, nahm er seinen Abschied. Als Napoleon „den Mann Namens Stein", le nomme Stein voulant ex-citer troubles en Allemagne, als Reichsseind erklärte und seine Güter einzuziehen befahl, war der große Staatsmann schon auf dem Wege nach Österreich. Auf dem Grund aber, den er gelegt, „des Rechtes Grundstein, des Bösen Eckstein, der Deutschen 'Edelstein", baute fein Nachfolger, der Staatskanzler Hardenberg weiter. Er hob die Zünfte auf; jeder Unterthan sollte dem Gewerbe sich zuwenden dürfen, welches seinen Neigungen und Fähigkeiten entsprach. Und als er den Bauern das Necht sicherte, ihre Grundstücke nach eigenem Ermessen zu teilen oder zu verkaufen, da drückte König Friedrich Wilhelm seine Freude aus, „daß wir endlich dahin gekommen sind, alle Teile unserer getreuen Nation in einen freien Zustand zu versetzen und auch den geringsten Klassen die Aussicht auf Glück und Wohlstand eröffnen zu können".
Körperliche und geistige Bildung zugleich sollte die höchste und reinste Begeisterung entfesseln für den großen Befreiungskampf. Während daher für den Turnvater Iahn, den „Alten im Bart", ans der Hasenheide ein Turnplatz errichtet wurde, gründete Schillers und Göthes Freund Wilhelm von Humboldt, der Bruder des gefeierten Naturforschers, als Kultusminister die Universität Berlin, welche bald die weisesten und charaktervollsten Vertreter aller Wissenschaften in sich vereinigte.
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Alle diese Ratgeber des gewissenhaften, besonnenen wollten nicht nur Preußen mit neuem Geiste durchdringen, sie wollten ganz Deutschland erwecken, „so weit die deutsche Zunge klingt". „Es ist nur ein Vaterland, das heißt Deutschland, und ich bin nur ihm von ganzem Herzen ergeben," hat Stein einmal gesagt.
Unmerklich reifte die Saat. Das Gefühl der Zusammenhörigkeit des Fürsten und des Volkes wuchs mächtig im Unglück.
Um die Weihnachtszeit 1809 zog die KönigSfamilie unter dem 1809 Geläute der Glocken wieder in Berlin ein. Der König zu Roß; die schöne Königin weinend mit ihren jüngeren Kindern im Wagen, dann in Reih und Glied bei ihren Regimentern die jugendlichen Prinzen, und ringsum in dichten Scharen das Volk, erschüttert von der Erinnerung erlebter Qual und von der Ahnung der kommenden großen Zeit.
Königin Luise war ihrem Gatten treu zur Seite gestanden. Kurz vor dem Tilsiter Frieden schrieb sie ihrem Vater, dem Herzoge von Mecklenburg-Strelitz: „Auf dem Wege des Rechtes lebe», sterben und, wenn es sein muß, Brot und Salz essen, das ist unser fester Vorsatz." Den Anbruch des neuen Tages sollte sie nicht mehr sehen. Bei einem Besuch ihres Vaters ist sie auf dem Schlosse Hohen-Zieritz in den Armen ihres 1810 / Gatten gestorben, nachdem sie von ihren Lieblingen Fritz und Wilhelm rührenden Abschied genommen. Sie ruht in dem stillen Mausoleum des Charlottenburger Parkes. Der gleiche heilige Raum umschließt die Marmor-Sarkophage ihres Gatten und ihres großen Sohnes, des Kaisers Wilhelms I., sowie in einer Urne das Herz Friedrich Wilhelms IV. Ihr ehemaliger Diener und Schützling Christian Rauch, Deutschlands größter Bildhauer, hat ihr ergreifendes Grabmal schaffen dürfen. Mutter-, Gatten- und Kindesliebe vereinen sich hiermit der edelsten Kunst und jenem tiefen Vaterlandsgefühl, in welchem die unglückliche Fürstin in einer ihrer schwersten Stunden, aus der Flucht nach Memel, die Worte ausgezeichnet hat:
„Wenngleich die Nachwelt meinen Namen nicht unter den Namen der berühmten Frauen nennen wird, so wird sie doch, weitn sie die Leiden dieser Zeit erfährt, wissen, was ich durch sie gelitten habe, und sie wird sagen: sie duldete viel und harrte ans im Duldeu. Dann wünsche ich nur, daß sie zugleich sagen möge: sie gab Kindern das Dasein, welche.besserer Zeiten würdig waren, sie herbeizuführen gestrebt und endlich errungen haben."
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8. Spanien. Der Krieg mit Österreich 1809.
Noch immer war England unerreicht von Napoleons Rache. Während der langen Kriegszeit nahm es Frankreich und Holland die wertvollsten Kolonien, den Dänen das holsteinische Eiland Helgoland weg, um es erst 1890 wieder herauszugeben, und zwar an den Deutschen Kaiser. So ordnete denn Napoleon von Berlin aus die Beschlagnahme aller englischen Waren innerhalb seines Machtbereiches. Englands Handel sollte vom ganzen Festland ausgeschlossen sein. Dieser Kontinentalsperre i3
mußte auch Rußland beitreten, und das kleine Portugal, welches die britischen Geschäftsleute von jeher beherrschten, ward von französischen Truppen besetzt. Der Hof flüchtete sich übers Meer in das große Nebenland Brasilien.
Um bie ganze Halbinsel völlig zu beherrschen,^nötigte Napoleon sowohl ben König von Spanien als seinen Sohn, auf bie Krone samt allen überseeischen Besitzungen zu verzichten, unb ernannte seinen Bruder Joseph zum König von Spanien, für welchen sein Schwager Joachim Murat, ein Wirtssohn, König von Neapel würbe. Diese Gewaltthat reizte bas immer noch ritterliche Spaniervolk zu einer furchtbaren Empörung, bie an allen Enden zugleich emporflammte. In Andalusien mußte ein ganzes französisches Heer bie Waffen strecken, währenb bie auch hier eingreifenden Englänber bie geschlagene Besatzung Portugals auf ihre Schisse luden unb heimbeförderten. König Joseph mußte Mabrib räumen. Napoleon selbst setzte ihn wieber ein; aber bie Spanier überfielen bie Fremben in ben zahllosen Schluchten unb Winkeln ihrer Halbinsel. In biesem Kleinkriege, ber Gue- j n rilla, erlag allenthalben die Trikolore.
Ermutigt durch biesen Vorgang, erschien Österreich nochmals aus dem Kampfplatze. Sein bester Felbherr, Erzherzog Karl, wußte bas Heer mit Zuversicht nnb nationaler Begeisterung zu erfüllen. Zugleich erhoben sich bie treuen Tiroler, welchen bie Bayernherrschaft unerträglich beuchte- Sie nahmen Innsbruck ein, nnb ein französischer Heeresteil mußte sich ben Älplern ergeben. Zwar würbe Erzherzog Karl trotz ber Tapferkeit seiner Offiziere uub Solbaten in einer Reihe von Gefechten in ber Umgebung Regensbnrgs geschlagen unb mußte sich gegen Böhmen zurückziehen. Aber als bie Franzosen von Wien ans bie Donau überschreiten wollten, warf er sie in ber zweitägigen 2i. Ti.mi Schlacht bei Aspern blutig zurück. Zum ersten Male war 1809 fcer Unübevroiiibliche. überwuiiben. Auch bie Tiroler gewannen das aufgegebene Innsbruck wieder bitrch bie Schlacht am Jfelberge.
Beim zweiten Versuche jeboch glückte Napoleon ber Donau-
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Übergang. Bei Wagram, gleichfalls auf dem Marchfelde, mußten die Österreicher einen ehrenvollen Rückzug antreten, und der kleinmütige Kaiser Franz bat abermals um Frieden. Mißmutig nahm der Erzherzog seine Entlassung. Die Tiroler aber setzten den Kampf noch fort, und ihr Oberanführer, der brave L>andwirt Andreas Hofer aus dem Pafferthal bei Meran, führte als „Oberkommandant von Diroll" eine wohlmeinende Bauernregierung in Innsbruck. Der Friede zn Schönbrunn, dem prächtigen Kaiferschloffe bei Wien, entfernte Österreich vom Adriatischen Meer. Ans Krain, Kärnten, Friaul sowie aus dem Tiroler Pusterthale schuf Napoleon den neuen Franzosenstaat der Jllyrischen Provinzen. Das Etschthal kam an daS Königreich Italien; nur das Innthal blieb bayerisch. So war Tirol in drei Teile zerrissen. Doch wurde dem verlassenen Völk-lein Vergeben und Vergessen (Amnestie) zugesichert. Da jeooch Andreas Hofer zum vierten Male für sein geliebtes Kaiserhaus den Kamps aufnahm, fetzte Napoleon einen Preis auf feinen Kopf unb ließ ihn, als ein Verräter fein Versteck anzeigte, in Mantun erschießen. Der fromme Mann gab selbst ben Befehl: „Feuer!" unb sah mit unverbundenen Augen stehend dein Tod entgegen.
Nicht viel besser war es dem preußischen Major Ferdinand von Schill ergangen. „Der Held von Kolberg" hatte nach dem Abzüge der Franzosen zuerst in Berlin einretten dürfen. Der Liebling des Volkes, wollte er sein Befreier werden. Gleich beim Ausbruche des Krieges führte er in der Hoffnung auf eine allgemeine Erhebung sein Husaren-Regimmt ins Feld. Der erwartete Zuzug blieb aus; doch bahnte sich die tapfere Schar an der Elbe hinunter eine rühmliche Bahn. Endlich warf sie sich in die Festung Stralsund. Dort fand Schill im Straßenkampfe mit Holländern und Dänen einen Reitertob. Elf seiner Offiziere würben gefangen unb in Wesel standrechtlich erschossen.
Jetzt kannte Napoleons frecher Übermut keine Grenzen mehr. Er ließ den Papst als Gefangenen ans Rom wegschleppen, unb ber ehrwürdige Greis ertrug mit unerschütterlicher Festigkeit all die Unbilden, denen er sich ausgesetzt sah. König Ludwig von Holland, der sich sträubte, sein Laub durch schroffe Handhabung der Kontinentalsperre zu Grunde zu richten, mußte die Krone niederlegen, und Holland wurde als eine Anschwem-. mutig französischer Flüsse Frankreich einverleibt. Auch der Kanton Wallis mit seinen Alpenpässen und die drei deutschen Hansastädte samt Oldenburg schlug ein Federstrich des gekrönten Korsen zum Kaiserreiche, das nunmehr bis an die Ostsee reichte und tief hinunter bis ans Adriatische Meer.
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Allein bev Kaiser hatte keinen Sohn, keinen Erben. Da opferte er bie Liebe seinem Ehrgeiz nnb verstieß bie arme Josephine, welche bem harten Mann eine rührenbe Anhänglichkeit bewahrte bis zum Tobe. Er vermählte sich mit Marie Luise, ber Tochter bes Kaisers Franz II. Dem Sohne, ben sie ihm schenkte, verlieh er in ber Wiege ben Titel eines Königs von Rom.
Unb währenb er so in unumschränkter Herrlichkeit ausbaute unb zerstörte, grollte hinten in Pommern ein preußischer Reitergeneral: „Er ist ein bummer Kerl." — Der alte Blücher hatte Recht.
9. Das Gottesgericht in Rußlaub 1812.
Napoleon hatte seinen Freunbschastsbuub mit Alexanber I. nur auf Schein uub Täuschung berechnet. Balb genug verletzte er be« Zaren burch bie willkürliche Vertreibung bes Herzogs von Olbenburg, welcher mit bem russischen Kaiserhause verwandt war. Die Kontinentalsperre erwies sich für Rußland unerträglich. Das fast nur ackerbauenbe Volk konnte bie englischen Waren, an welche es seit ben Zeiten ber Königin Elisabeth gewöhnt war, nicht entbehren. Daher erleichterte Alexander bie englische Einfuhr. Dies gab dem Despoten ben willkommenen Vorwanb zu einem Kriege, burch welchen er Nuß lau b bezwingen wollte, um von bort aus früher ober später gegen Indien zu ziehen wie Alexanber ber Große.
Im Triumphe burchzog bas riesige Heer, 600000 Mann mit 180000 Pserben, Frankreich unb Deutschland. Einen ganzen Monat dauerte der Durchmarsch von Truppen aller Waffengattungen, fast aller Völker Europas. Hoch und nieber, arm unb reich eilte herbei, ben gewaltigen Mann, bie neue Gottesgeißel zu sehen. In Dresden strömten bie deutschen Fürsten hulbi-genb zusammen. Nochmals sonnte er sich hier im Glanze seiner Macht, welche mehr uub mehr bie Welt umspannte.:
Am Johannistage frühmorgens ging er mit betn Hauptheer zwischen Grobuo und Kauen (Kowno) über den Niemen. Der russische Feldherr Barclay, ein Livländer, der inmitten seiner Soldaten zunächst dem Feinde am Biwachtfener zu lagern und sich zur Schlacht zu schmücken pflegte wie ein Spartaner, zog sich, sein schlecht vorbereitetes Heer schonend, unter zahlreichen Gefechten zurück. Schon vorher verließen die Einwohner ihre Dörfer und Städte; die Vorräte reichten kaum für die Russen. So geriet die „große Armee" in immer schlimmere Not. Die Wagen voll Lebensrnittel und die Herden von Schlachtvieh, welche nachgeschickt wurden, vermochten die rasch vorrückenden Marschsäulen
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nicht einzuholen. Raub und Plünderung ward allgemein; der Selbstmord nahm überhand. Am meisten litten die Rheinbündi-schen. 22000 Bayern hatten die Oder überschritten, 11000 erreichten die Düna.
Dennoch zog der Verblendete unaufhaltsam tiefer ins Innere wie Karl XII. Nur zweimal hielten die Russen ernsthaft stand: am Eingang ins eigentliche Rußland und dann bei Borodino an der Moskwa, an der Straße nach Moskau; .
aber nur, um nach zähestem Widerstand über Nacht zu entschlüpfen.
Endlich hielt der Kaiser auf einem Hügel vor Moskau und ergötzte sich am Anblicke der halbasiatischen Stadt, ihrer Kirchen mit ganzen Bündeln goldstrahlender Türme, den Prunkpalästen der Bojaren; alles überragt von der Kaiserburg auf felsiger Höhe, dem Areml. Aber die Einwohner hatten sich möglichst geflüchtet; durch entvölkerte Straßen ritt der Eroberer ein wie einst der Brennns in Rom.
In Moskau sollten die Winterquartiere genommen, vielleicht der Friede diktiert werden. Aber in der folgenden Nacht schlugen Flammen empor und wälzten sich mit rasender Schnelligkeit gerade auf den Kreml los; und als der Wind sich drehte und zum Sturm anschwoll, eilte das entfesselte Element von anderer Seite her demselben Ziele zu. Nach fünf entsetzlichen Tagen und Nächten lagen zwei Dritteile der wundervollen Stadt in Asche. Der Stadtkommandant, Fürst Rostopschin, hatte die Spritzen fortgeschafft und die Stadt durch freigelassene Verbrecher anzünden lassen, um den Feind zu vernichten.
Auf Friedenserbietungen, die Napoleon nach tot. Petersburg richtete, ging der Zar nur scheinbar und zögernd ein; Freiherr von Stein, unter den Gegnern des Korsen der gewaltigste, war an seinem Hofe der einflußreichste Mann. Einen vollen Monat ließ Napoleon sich hinhalten. Erst im Oktober trat er / den Rückzug an aus der leichenbesäten Straße, auf welcher er '
hergekommen, durch ein unabsehbares Land ohne Haus, ohne Nahrung. Er hatte noch etwa 100000 Mann, denen sich Tausende bisher in Moskau ansäßiger Franzosen anschlössen.
Kaum ein Dritteil des Weges war zurückgelegt, als der russische Winter hereinbrach. Der Schneesturm legte den schlecht gekleideten und schlecht genährten Soldaten eine Eishülle um die Glieder; der Hauch des Mundes fror fest am Bart, der eiserne Gewehrlauf in der Hand. Wer hinfiel oder zur Rast sich
niedersetzte, ward zugeschneit und erstarrte. Ein sterbendes Heer inmitten der abgestorbenen Natur! Um die Fetzen einer Pferdeleiche wurde gekämpft, um jedes Nachtlager hinter schützen-
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der Mauer oder am Feuer; am Morgen fand man wohl einen Kranz Erfrorener um die Lagerstelle. Und dazu die Verfolgung
der Russen, welche nur durch wenige Tapfere wie König Eugen und „den Helden aller Helden", ben Marschall Ney abgewehrt
wurden.
Eintretendes Tauwetter brachte neues Verhängnis. Über die reißende Beresina, die rechtsher zum Dnjepr geht, schlug der deutsche Ingenieur - Offizier Eble zwei Brücken unter Anstrengungen , die' nach kurzer Zeit sein Leben kosteten. Der Übermarsch artete bald ans in ein gräßliches Ringen um den Zugang zu den Brücken. Scharenweise wurden die Unglücklichen vom Ufer oder über das Geländer hinabgedrängt in bie eisigen Fluten; und in bieses zusammengepreßte heulende Elend hinein wütete ein entsetzlicher Sturmwind unb die Geschosse dreier russischer Heere. Die Artillerie-Brücke brach; die Vordersten wurden von den unaufhaltsam Nachdrängenden in bie Tiefe gestoßen.
Napoleon selbst eilte seinem Heere zu Schlitten voraus nach Frankreich. Lange nach ihm tarnen seine Opfer über die preußische Grenze, wankende, hohlwangige Jammergestalten, viele blind vom Schneeglanze, taub vor Kälte. In Frauenkleidern, Säcken, zerrissenen Teppichen, die Füße mit Stroh umhüllt, au Stöcken hinkend, so zogen sie einher, lautlos wie ein Leichenzug. Keiu Oseu vermochte sie zu wärmen und wenn sie ins Feuer hineinkrochen, keine Speise ihren Hunger zu stillen: die Strafe Gottes für den frechen Übermut, mit dem sie beim Ausmarsch die Weizengarben ins Feuer geworfen, ihre Offiziere armen Bäuerinnen zugemutet hatten, für sie Schinken in Rotwein zu kochen! In den preußischen Städten liefen bie Knaben vor ben Unglücklichen her mit Hohngesang: „ Ritter ohne
'Schwert, Reiter ohne Pferb, Flüchtling ohne Schuh, Nirgend Rast und Ruh. So hat sie Gott geschlagen Mit Mann unb Roß unb Wagen." Wenn sie ihnen bann nachriefen: „Der Kosak kommt!", humpelte der unheimliche Zug etwas rascher davon.
Die Österreicher und Preußen, welche die Flügel der großen Armee bildeten, blieben von dem llnheit verschont. Die Preußen belagerten Riga. Als nach dem Branbe Moskaus ber' Rückzug nötig fiel, stellte sie Marschall Macbonalb in seine Nachhut; ihr Untergang sollte seine Franzosen becken. Mit diesem Heere war Preußen verloren unb bie Hoffnung auf Preußens unb M.Dc,. Deutschlands Zukunft. Darum schloß General 2)orf am vor-1812 letzten Tage bes Unglücksjahres in einer Mühle bei Tauroggen nächst ber Grenze mit beut russischen General Diebitsch, einem geborenen Schlesier, einen Vertrag, durch welchen das preußische
Heer neutral erklärt wurde. Diese kühne That des „alten Isegrim" bildete den Anfang einer neuen schöneren Zeit für unser Vaterland. Das wußte er selber, als er in einem Berichte dem Könige seinen Kopf zu Füßen legte, wenn er gefehlt haben sollte, aber auch die Mahnung nicht zurückhielt: „Jetzt oder nie ist der Moment, Freiheit, Unabhängigkeit und Größe wiederzuerlangen. In dem Ausspruche Eurer Majestät liegt das Schicksal der Welt!"
10. Das Volk steht aus!
Seitdem von der Moskauer Feuersbrunst die leuchtende Botschaft der Befreiung durch die Lande ging, stand König Friedrich Wilhelm III. auf der Hochwacht mit seinen Freunden. Schon waren im stillen die Krümper eingerufen; da weckte die Nachricht vom Taurogger Vertrag in dem ganzen zertretenen Volke den heißen Entschluß, zu handeln wider den gewissenlosen Mörder der Hunderttauseude. „Der Mensch muß zu Boden!"
Ierntete die Losung. Strahlend stieg Deutschlands Sonne auf, welche Schill, der schöne Morgenstern, angekündigt hatte.
Ans eigenem Antriebe sammelten sich die Stände Ostpreußens um 2)orf, Stein und Arndt, den hohen Freiheilsänger, iind beschlossen die allgemeine Volksbewaffnung zum Schutze der Provinz, ehe sie von den Russen befreit werde; ans Kolberg schrieb General v. Borstell an de» König: „Ich bitte Ew. Majestät fußfällig: lassen Sie uns. los!" In der Umgebung des Monarchen aber wetterte Blücher, es sei Zeit, „alles Schelmen-franzosenzeug samt dem Musjö Napoleon vom deutschen Boden zu vertilgen".
Nach langem Sorgen und Zweifeln siedelte der immer bedächtige König von Potsdam, wo er nicht sicher war vor französischen, Anschlägen, nach Breslau über. Er schloß ein Bündnis ^ mit dem Zaren, erließ den Befehl zur Bildung freiwilliger Jägercorps und stiftete am Geburtstage der Heimgegangenen Königin Luise beit Orte» des Eisernen Kreuzes, welches statt aller Orden die Auszeichnung sein sollte in diesem „heiligen Kriege". An demselben 10. März zeigte ihm Scharnhorst vom Fenster des Schlosses ans mit stolzer Seele die Scharen der Freiwilligen, wie sie zu Fuß, zu Roß, zu Wagen in dichtem Gewimmel sich jubelnd vorüberdrängten. Thränen stürzten dem schwergeprüften Fürsten ans den Augen; und mit königlichem Vertrauen erließ er nach einigen Tagen den schlichten, herzergreifenden Aufruf: „Au mein Volk!" Darin standen die Königs-// Worte: „Es ist der letzte entscheidende Kampf, beit wir bestehen
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für unsere Existenz, unsere Unabhängigkeit, unseren Wohlstand; keinen andern Ausweg giebt es, als einen ehrenvollen Frieden oder einen ruhmvollen Untergang. Auch diesem würdet Ihr getrost entgegen gehen um der Ehre willen, weil ehrlos der Preuße und der Deutsche nicht zu leben vermag."
In die neu errichtete L andw ehr trat als erster Gemeiner ein Ostpreuße ein, der ehemalige Minister Alexander v. Dohna. Stand, Vermögen, Beruf machten keinen Unterschied. Wer die Waffen tragen konnte, verließ die gewohnte Beschäftigung, verließ Eltern und Braut, Weib nnd Kind, nm unter dem gemein-. samen Abzeichen, dem Blechkreuz mit der Inschrift: „Mit Gott für König und Vaterland" sein Leben zu wagen für das Ganze. Die Schulen leerten sich; in Berlin allein meldeten sich 370 Gymnasiasten bei den Jägern, und ihre Lehrer blieben nicht zurück; Universitäts-Professoren zogen mit ihren Hörern zum Werbeplatz. Die Beamten mußte der König durch gemessenen Befehl zurückhalten auf ihrem Posten. Die Werkstätten verödeten ebenso wie die Bauernhöfe, auf denen mau nur noch Frauen, Kinder und Greise fand; das letzte Pferd ritt der Landmann gegen den Feind, der ihm die anderen genommen. Hunderte von Brautpaaren empfingen den Segen des Priesters, und wenn der Neuvermählte vom Traualtare weg zu den Fahnen eilte, blickte ihm sein junges Weib nach mit verklärten Augen.
In tiefer, aber geräuschloser Begeisterung lernte das Volk verstehen, was ihm sein Schiller in der „Jungfrau" gepredigt und im „Tell":
„Nichtswürdig ist die Nation, die nicht Ihr Alles freudig setzt an ihre Ehre."
Ja der große Sänger schien in Fleisch und Blut wieder aufzuleben :
„Frischauf, mein Volk! Die Flammenzeichen rauchen;
Hell aus dem Norden bricht der Freiheit Sicht."
JCI /- / ' saug Theodor Körner, und er schrieb seinem Vater, dem Herzensfreunde Schillers, er wolle Soldat werden in der mächtigen Überzeugung, „daß kein Opfer zu groß sei für daö höchste menschliche Gut, für seines Volkes Freiheit. Zum Opfertode für die Freiheit und für die Ehre seiner Nation ist keiner zu gut, wohl aber sind viele zu schlecht dazu .. Soll ich in feiger Begeisterung meinen siegenden Brüdern meinen Jnbel nachleiern? Ich weiß, Du wirst manche Unruhe erleiden müssen, die Mutter wird weinen, Gott tröste sie! Ich kann's Euch nicht ersparen." Und ehe der Vater seine stolze Zustimmung aussprechen konnte, verließ der Jüngling schon Wien, dessen Lieblingsdichter er durch
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feine „Toni", seinen „Zriny" geworden war, und seine schöne edle Braut Toni. Adamberger, die er lieb gewonnen, weil sie so seelenvolle Lieder sang und seiner Mutter so ähnlich sah. Bei dem Lützow'schen Freicorps trat er ein, welches Preußen und Nichtpreußen vereinigte: jugendliche Reiter aus der Altmark, welche der Rittmeister a. D. v. Bismarck herangeführt, Tiroler Schützen und sogar einige Spanier, und bald sangen alle die _
kampfesfrohen Lieder des Dichters von Leier und Schwert.
Die Offiziere von der Linie blickten mit gelinder Verachtung auf diese Freiwilligen, von denen manche barfuß und nur mit einem Stecken bewaffnet auszogen; aber die Franzosen räumten das unheimlich gewordene Land, und nachdem die Jäger einmal die Feuertaufe empfangen, begrüßte sie selbst der eiserne Aork mit abgezogenem Hnte.
Die älteren Männer bildeten den Landsturm, deu „Sturm des Herrn". In Berlin exercierte der große Gottesgelehrte Schleiermacher neben dem griechischen Professor Buttmann, dem es als das Schwerste vorkam, Rechtsum und Linksum zu unterscheiden. Auch einige Mädchen zogen verkleidet mit hinaus auf „Lützows wilde verwegene Jagd", und ein armer Fabrikknabe trug beständig alle Taschen voller Steine den Franzosen zu Ehren.
Preußen ward ein großes Kriegslager. Ähnlich wie zwanzig Jahre früher in Frankreich arbeiteten die Schmiede, Schuster, Büchsenmacher Tage, monatelang für die Truppen ohne Bezahlung, bloß gegeu unzuverlässige Papierscheine, manchmal ohne zu wissen, wie sie den Rohstoff beschaffen und bezahlen sollten, und dennoch unverzagten Herzens, für König und Vaterland. Die Schullehrer verteilten alte Leinwand, die ihnen geschenkt worden, unter die Kinder, welche während des Unterrichtes Verbandfäden daraus zupfen durften; und wo ein Gefecht entbrannt war, da schleppten die Knaben furchtlos den Ermatteten oder Verwundeten einen Trunk zu oder holten die Patronen herab vom Munitionswagen. „Gott, was ist das für eine große, herrliche Zeit!" schrieb Körner seiner Braut.
Das Herrlichste aber wirkte Gott in den Schwachen. Wer nicht mit hinaus konnte in die „Donner des Todes", opferte seinen besten Besitz auf dem Altare des Vaterlandes. Geld war nicht mehr viel vorhanden nach der langen Franzosennot; dafür sendeten die Ehegatten ihre Trauringe, Bräute ihren Schmuck; auch der Ärmste steuerte sein Scherflein bei. „Alle Sparbüchsen müssen jetzt geleert werden," schrieb ein zehnjähriger Knabe; „die Jäger brauchen es notwendiger als ich", bemerkte eine alte Frau, als sie zehn Thaler ablieferte, welche sie sich abgekargt zu einem
neuen Kleide. Ein blinder Harfenspieler legte die Hälfte seines kümmerlichen Verdienstes zurück für einen erblindet 'heimkehrenden Krieger; ja, ein Fräulein von Schmettau schuitt sich die wunderschönen Goldlocken selber ab, weil es kein Friseur thun wollte, und der L>ammel-Ausschnß ließ daraus Ringe, Schnüre, Armbänder flechten, für welche er manch schweren Thaler erlöste.
Das freudige Geben und Helfen ermüdete nicht, so lange der Krieg im Lande war. Wie treu wurde für die Verwundeten gesorgt! Man trug sie in die Häuser, und die Hausfrau wich nicht von dem Schmerzenslager; was sie dem Fremden Liebes that, das mochte ja wohl draußen im Felde dem jungen Sohn oder Bruder von einer anderen Pflegerin geschehen. Selbst gegen den Feind bewährte sich das deutsche Herz. Wollten die Kosaken nicht dulden, daß ihre halb totgehetzten Gefangenen Erfrischungen erhielten, so mußten sich Kinder mit Körben und Krügen zu ihnen hindurchschleichen; ihnen konnten die gutmütigen Wildlinge nichts weigern. Kam eine L-iegesnachricht^ so strömte alles ht die Kirche, um Gott zu danken vor demselben Altare, vor welchem die ansziehenden Krieger die Todesweihe empfangen hatten; die Eltern im Trauergewande, die nunmehr „auch einen da drunten hatten", wurden fast beneidet. Abends stellte man Lichter ins Fenster in Leuchtern oder. in ausgehöhlten Kartoffeln, und ein armes Mütterchen hängte neben sein Licht die beiden Briefe^ die sein Sohn heimgeschrieben aus dem Kriege!
too hat das Volk Friedrichs des Großen sich des Sieges würdig erwiesen.
11. Der Sturm bricht los. — Blücher.
Über das Dork'sche Corps^hatte im Lustgarten beim Königs-schlossc der Feldprediger den Segen ausgesprochen. Eben als die Märzensonne die Wolken über dem Dom zerteilte, trat 2) o r k vor die Front. Die Hand am Schwertgriff, sprach er mit feierlich bewegter Stimme: „Soldaten, jetzt geht's in den Kampf. Von diesem Augenblick an gehört keinem von uns sein Leben mehr. Keiner möge daraus rechnen, das Ende des Krieges zu erlebeu. Unser Leben gehört dem Könige, dem Vaterlande. Thut eure Pflicht! Ihr werdet mich an eurer Spitze sehen. Ich schwöre euch,_ ein unglückliches Vaterland sieht mich niemals wieder." Erschüttert siel der JDbeijt v. Horn dem General »in den Hals und rief, mit dem toäbel auf sein Regiment weisend: „Ew. Excellenz, ich und diese, ja wir alle werden dem Beispiel unseres Führers folgen." „Das soll ein Wort sein," scholl eine Stimme aus dein Regiment, uud einstimmig wiederholten die
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Krieger alle diesen Treuschwur. Dann rückten sie aus; der König gab ihnen das Geleite.
Napoleon hatte die letzten Kräfte seines verödenden Landes anspannen müssen, um seine in Rußland verkommene Armee durch ein neues Heer, großenteils halbwüchsige Bursche, zu ersetzen; man hatte diese „enfanterie“ mitunter in Ketten zu den Regimentern schleifen müssen. Aber des Kaisers eigene Geisteskraft war noch ungeschwächt. Beim Vorrücken gegen die Elbe warfen sich die Verbündeten südwärts von dem alten Lützener Schlacht-' selbe bei Großgörschen seiner doppelten Übermacht in die rechte Flanke mit bem dröhnenden Hurrarufe, welchen bie Preußen von ben Russen gelernt hatten. Napoleon mußte sich selbst an die Spitze seiner Scharen stellen, um das Schlachtfeld zu behaupten;
„diese Tiere (animaux) haben etwas gelernt," urteilte er.
Der Rückzug verriet nichts von Niedergeschlagenheit. „Pa-scholl (vorwärts!), Franzos kapnt!" riefen die Kosaken in sröh=_ lichem Deutsch. Auch bei Bautzen an der Spree siegte Napoleon, aber mit ungeheuren Verlusten. Entsetzt fragte er: „Was?
Nach solcher Schlächterei keine Siegeszeichen, keine Gefangenen?"
Und als auch bie Verfolgung nichts eintrug als beutsche Hiebe, zürnte er: „Diese Leute werben mir nicht einen Naget lassen."
Nach einer gehörigen Schlappe, bie ihm Blücher auf schlesischem Boden versetzte, schlug er selbst einen Waffenstillstand vor, um neue Kräfte zu sammeln. Währenb desselben ließ er die Lützower, diese „schwarzen Räuber", westlich von Leipzig meineidig über- .
fallen und niedersäbeln; Lanbleute retteten ben Lieutenant Theobor .
Körner, „als er verwimbet im ^Gehölze lag".
Nach ber Großgörfchener Schlacht war Scharnhorst trotz seiner Wunde nach Wien abgereist, um ben immer noch schwan-kenben Kaiser zum Anschluß an ben Bunb zu bewegen. Aber unterwegs starb er in Prag. Er hatte seine Aussaat grünen sehen, wenn ihm auch sein höchster Wunsch versagt blieb: nur einen Tag seine Preußen unbehelligt von ben Russen zu kommandieren an Blüchers Seite. Sein Volk hat ihn nicht vergessen; Blücher hat nach jedem glücklichen Schlachttage seines großen Freundes gedacht.
Österreich schloß sich wirklich ben Verbünbeten an; ebenso Schweben, besten Kronprinz, ber ehemalige französische Marschall Bemabotte, ben Oberbefehl über die Nord arme e° erhielt.
Die Mitte der neuen Aufstellung nahm bie am wenigsten zahlreiche , bie Schlesische Armee ein unter Blücher^, welchem jetzt Gneis nt au als Chef des Generalstabeö zur Seite stand wie vorher Scharnhorst. Die Hauptmacht bildete die Böhmische Armee unter dem Feldinarschall Fürst Schwarzen-
berg. In seinem Hauptquartiere, fanden sich die drei Monarchen ein, deren Truppen in allen drei Heeren durch einander gemischt waren.
Die Seele des Krieges war aber nicht Schwarzenberg, sondern Blücher, dieser Inbegriff eines zornigen deutschen Mannes.
Gebhard Leberecht v. Blücher war in Rostock geboren, entstammte aber einem alten pommerischen Adelsgeschlechte. Bei einem Aufenthalt auf Rügen, der Heimat Arndts, sah er ein schwedisches Hnsaren-Regiment. Ähnlich dem jungen Parzival der mittelalterlichen Sage konnte er den Eindruck dieses Erlebnisses nicht bezwingen. Mit seinem Bruder entweichend, trat er als Freiwilliger in dasselbe Regiment ein. Preußische Reiter nahmen ihn gefangen, und ihr Führer, General Belling, erkannte, was in dem Jüngling schlummerte. Er nahm ihn zum Adjutanten; ihm hatte Blücher seine militärische Ausbildung zu danken. Nachdem er sich wiederholt ausgezeichnet, bat er infolge einer Zurücksetzung den großen König in schroffer Form um feinen Abschied. Friedrich gab ihm Arrest, bis er sich eines andern besinne, und als dies nichts hals, entließ er ihn nach neun Monaten mit seinem ungnädigen Abschied: „Rittmeister v. Blücher kann sich zum Teufel scheren." Nun kaufte sich Blücher in Pommern ein Landgut, das er mit seiner Gemahlin musterhaft verwaltete. Friedrich Wilhelm II. stellte ihn mit allen Ehren wieder in Dienst, und bald glaubten die Reiter den Husarenkönig Ziethen leibhaftig wieder zu haben. Nach der Unglücksschlacht bei Jena rettete er mit Scharnhorsts und j)ort's Hülfe die preußische Waffenehre. In den Jahren der Demütigung war er des unverwüstlichen Glaubens: „Der
deutsche Mut schläft nur; er wird fürchterlich erwachen." Jedem, auch dem König, sagte er seine Meinung ehrlich und derb ins Gesicht und stak doch voller Husareulist. Er fürchtete feilte Gefahr, ließ auch andere gerne gewähren in ihrer Art: „Dichten Sie man druff," sprach er zu einem Freiheitsänger; „in solchen Zeiten muß jeder singen, wie es ihm ums Herz ist, der eine mit dem «Schnabel, der andere mit dem Sabel." Deine Soldaten verstand er im Unglück immer mit einem Bibelwort oder einem treuherzigen Scherze zu trösten. Menschenfreundlichen Herzens hatte er lange vor Scharnhorsts Reformen bei seinen Roten Husaren die Prügelstrafe abgeschafft; väterlich sorgte er für seine Verwundeten. Der nachmalige König Friedrich Wilhelm IV. hat nie vergessen, wie ihn der alte Held bei der Hand auf ein Schlachtfeld führte und in tiefer Erregung ausrief: „Wehe dem Fürsten, der aus Eitelkeit und Übermut solches Elend über feine Brüder bringt."
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Blücher war siebzig Jahre alt, ein schöner hochgewachsener Greis mit funkelnden Ichwarzen Augen und einer Redegabe, der niemand widerstand in Scherz und Ernst.
Nach dem Ablaufe des Waffenstillstandes galt Napoleons %?■■- v"^
erster Stoß dein vieux renard Blücher. Dem Kriegsplane gemäß wich dieser nach Schlesien zurück, während Schwarzenberg über das Erzgebirg auf Dresden losging, den Mittelpunkt der französischen Stellung. Napoleon mußte umkehren; dem Marschall Macdonald aber, den er in Schlesien zurückließ, brachte Blücher auf dem alten Schlachtfeld an de^Katzb ach unweit Liegnitz eine vernichtende Niederlage bei. Seine Preußen und 8 Russen hatten unter strömendem Regen säst nur mit Bajonett und Gewehrkolben „gearbeitet".
Napoleon selbst zwar siegte zur gleichen Zeit über die Schwarzenberg'sche Armee und ließ sie durch General Vandamme in die böhmischen Berge verfolgen. Aber dessen Versuch, die Verbündeten zu umgehen, wurde durch die Russen des jungen
Prinzen Eugen von Württemberg und durch die persön-
lichen Bemühungen des Königs von Preußen vereitelt. General Kleist faßte, von den Nollendorfer Höhen heruntereilend, bei Kulm den Feind im Rücken; ein Rudel Kosaken packte Vandamme am Kragen und schleppte ihn aus der Jnsanterie-Kolonne heraus, in bereit Mitte er Schutz gesucht hatte. Von den Soldaten erfuhr er bitteren Hohn. Denn er war ein zweiter Melac; in Oldenburg hatte er ganze Bauernfamilien niederschießen lassen, weil sie ihrem Hernt treu blieben.
Bernadette hatte seinen Landsleuten nicht weh thun wollen.
Aber die ihm unterstellten preußischen Generale v. Bülow unb v. Borstell schlugen ihm zum Trotze zwei französische Heere, ^ .*„■
welche Berlin bedrohten, bei Großbeeren unb späterhin bei ''J c''
Bennewitz mit deutscher Gründlichkeit. _ /
Allerdings kosteten diese Kämpfe entsetzliche Opfer. Das kostbarste war, nächst Scharnhorst, dem Waffenschmiede _ber bputschen Freiheit, ihr Säuger Körner. In einem Gefechte bei Rosenhagen im westlichen Mecklenburg traf ihn am Tage der Katzbach-Schlacht eine französische Kugel in bie Brust, als er '
auf leuchtenbem Schimmel feinen Kamerabeit voransprengte gegen* ein Gehölz, in welches bie Feinde sich zurückgezogen. An beut-selben Morgen hatte er noch sein Schwertlied gedichtet. Unter einer Eiche bei Wöbbelin liegt er begraben.
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12. Leipzig und Waterloo.
• Ungeachtet seines Sieges bei Dresden war Napoleon auf
allen Seiten geschlagen. Die Böhmische und die Schlesische Armee setzten sich gegen Leipzig in Bewegung; seine Rückzngs-war gefährdet. Bei Wartenberg erzwang York den Übergang über die Elbe; der Weg zur Vereinigung stand ben bret Heeren offen. Auch Napoleon zog sich aus Leipzig. Am M Oktober würbe ber König von Neapel in einem großen Reitertreffen bei Wachau im Süden der Stadt von Preußen und Russen geworfen. Am 16. schlugen bie Franzosen in derselben Gegenb, bei Li^ebertwolkwitz, einen Angriff bes Böhmischen Heeres ab. Schon flogen Siegesboten nach Paris, unb in Leipzig lauteten bie Glocken Victoria. Aber im Norben, bei Möckern, hielt Blücher burch stürmische Angriffe bie Franzosen fest, baß sie ben anberen nicht helfen konnten zu eutschei-beiibem schlag, unb brängte sie in verlustreicher Schlacht allmählich zurück. 2)or£ hatte mit blitzendem Degen die Husaren selbst zum Siege geführt. Denn seine bestgezielten Schläge führte Blücher allemal durch sein Aork'sches Corps; auf die Russen war wenig Verlaß. Am folgenden Tag, einem Sonntag, drang er schon bis unter bie Mauern Leipzigs vor, während das Schwarzenberg'sche Hauptquartier mit Napoleon uuterhan-belte unb im Osten neue Heeresmaffen, bie Russen unb bas Norbheer, sich einfügten in beit eisernen Ring, welcher ben Korsen immer enger umklammerte, ls.ott. Am 18. Oktober raste bie Völkerschlacht runbitm. Im ©üben 1813 unb im Westen Leipzigs, bei Propst heiba unb Linbenau stritten bie Österreicher mit ben Russen zusammen tapfer wie immer, aber ohne Erfolg. Im Osten machten bie Russen unter dem wackeren Barclay, besonders aber im Norden bie Preußen siegreiche Fortschritte. Sächsische unb Württembergische Abteilungen traten mitten im Feuer zu ben Verbündeten über; ben Franzosen ging bas Pulver aus. Es hätte ihnen auch kein Pulver ber Welt mehr helfen können. Währenb ihr Rückzug begann, stiegen bie bvei Monarchen von bett Pferben unb bankten Gott auf ben Knien für ben Sieg, und bie Truppen stimmten fromme Lieber an. Am Morgen bes 19. Oktobers erkämpften bie Verbündeten sich ben Einzug burch das Grimmaische Thor. Inmitten bes Getümmels hielt Blücher; er war soeben Felb-marschall geworben. „Marschall Vorwärts," riesen seine Preußen, „Felbmarschall Pascholl" die Russen. Der endgültige Sieg war vor allem sein Werk.
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Mindestens 30000 Tote und zahllose Verwundete deckten das Schlachtfeld. Dafür war Deutschland frei bis zum Nheiue.
Auch die Rheinbundstaaten schlossen sich der guten Sache an, welche Preußen bis jetzt fast allein verfochten hatte unter unschätzbaren Opfern. Bei Hanau mußte sich Napoleon durch ein bayerisches Heer unter Wrede hindurchschlagen.
Nach dieser Siegeslaufbahn boten die Diplomaten, die „Federfuchser", wie sie Blücher schalt, in unbegreiflicher Gutmütigkeit den Franzosen einen Frieden an, durch welchen den- £ selben die Rheingrenze zugestanden werden sollte. Znm Glücke war Napoleon in seinem unheilbaren Hockmute damit nicht zufrieden. So überschritt denn Blücher, immer vorn dran, in der Neujahrsnacht bei Mannheim, Kaub und Koblenz den Rhein. 1814 ' u " Der Feldmarschall selber fuhr bei Kaub, sein König mit den —
Prinzen Fritz nnd Wilhelm bei Mannheim über den Strom.
Hier empfing der nachmalige Kaiser Wilhelm I. die Feuertaufe; er fand im Verlaufe des Feldzuges wiederholt Gelegenheit, seine Todesverachtung zu beweisen in königlicher Art.
Blücher drang an der Marne hinunter gegen Paris vor.
Wenn ihn auch „der Kerl, der Bonaparte" einmal überwältigte, er gab die Schläge allemal mit Zinsen zurück. Immer wieder wußte er den Mut seiner Truppen aufzurichten; drückte auch wohl ein Auge zu, wenn seine Pommern den Champagner treuherzig für Weißbier tranken. Blücher bahnte den Weg nach Paris, wie er ihn nach Leipzig gebahnt hatte. Nach einem hitzigen Gefecht am Montmartre wurde die weiße Fahne ans- ’y
gezogen. Alexander und Friedrich Wilhelm zogen in Paris ein. 'sf /■ '*< • Napoleon unterzeichnete einige Tage darauf seine Abdankung.
Er nahm ergreifenden Abschied von seiner Garde nnd reiste nach der Insel Elba, die man ihm als Wohnsitz angewiesen-^, ]yv; hatte.
Während die Staatsmänner auf dem Wiener Kongresse mit ber Aufteilung der zurückeroberten Gebiete beschäftigt waren, landete Napoleon völlig unerwartet mit 900 Mann an der provenyalischen Küste. Seine alten Marschälle unb Krieger eilten 1 unter seine Fahnen; ber neue Bourbonenkönig Ludwig XVIII., /Ti V- 2// Ludwigs XVI. Brnber, verließ schleunig bie Hauptstabt. 3n ^ /f V '''' wenigen Tagen war Napoleon wieber ber Kaiser ber Franzosen. ^ (■
Aber ber Kongreß erklärte ihn für einen Feinb unb Störer bei- Ruhe unb Ordnung ber Welt unb bot "bie Heere der vier Großmächte gegen ihn auf. Ehe jedoch die Österreicher und Russen ihren Aufmarsch vollendeten, bereiteten die Engländer unter dem Herzoge von Wellington, der sich auf dem spanischen Kriegsschauplätze an der spitze eines Hülfsheeres
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glänzend bewährt hatte, und die Preußen unter Blücher und Gneisenau dem Kaiserreich ein Ende mit Schrecken.
Napoleon wollte durch Belgien nach Deutschland Vordringen. „Pauvre Landwehr, demain tu ne seras plus!“ spottete er in altem Übermut, als er an der Sarnbre die Mützen mit dem 16.Zum Blechkreuz erkannte. Bei Ligny südwärts von Brüssel wars 1815 ev sjch auf die Preußen. Mann an Mann rangen die beiden Heere in den wogenden Kornfeldern. Die ersehnte Hülse kam nicht, die Preußen ermatteten- Gegen Abend des glühenden Tages, als eben ein Geroitter losbrach, führte der 72jährige Feldherr selbst einige Reiter-Regimenter gegen den Feind, ward aber zurückgeschlagen unb verfolgt. Sein verwnnbeter Schimmel brach unter ihm zusammen. „Nostiz, nun bin ich verloren," sagte er zu seinem Adjutanten, ber vom Pferbe sprang unb sich mit gezogenem Säbel neben ihn stellte. Die Franzosen jagten an ihnen vorbei; Kalb nachher sausten sie zurück, bie Preußen hinter ihnen her. Rasch fiel Nostiz dem ersten deutschen Reiter in die Zügel und forderte Hülfe für den Feldmarschall. Sechs Ulanen hoben den Greis halb bewußtlos unter bein toten Pserb hervor und retteten ihn, ehe bie Franzosen wieder kamen. Unter unerträglichen Schmerzen ritt er hinweg; gegen Roß und Reiter, die ihn fortgebracht, ist er dankbar geblieben.
Gneisenan führte unterdes das geschlagene Heer nordwärts, näher an die Engländer, denen Blücher zu helfen versprochen hatte, wenn an sie die Reihe komme. Nach langem Suchen fand er in einem Dorfe den totgeglanbten Freund, der schon wieder sein gewohntes Gutnachtpfeifchen schmauchte. „Wir haben Schläge gekriegt," rief ihm ber Alte zu, „bas müssen wir wieber ausbessern." Auch seinen Kriegern sprach er am anberen Tage Mut ein in einem Tagesbefehle, roelcher schloß: „Ich roei'be Euch wieber vorwärts führen; wir werben beit Feinb schlagen; bettn wir müssen."
Darüber sammelte unb orbnete sich bas Heer wieder. Die Nacht hindurch und den folgenden Sonntagmorgen, den 18.Juni 18. Juni, regnete es in Strömen. „Der alte Alliierte von der Katzbach!" sprach Blücher zu Gneisenau, als er zu Pferde stieg; „da spareit wir betn König wiederum das Pulver." Es wurde Blüchers schönster Ehrentag.
Wellington wußte, als Napoleon ihn angriff, baß Blücher ihn nicht im Stiche lassen werbe. Hartnäckig rangen Engländer und Franzosen den ganzen Tag um den Sieg bei Waterloo. Schon wankten die furchtbar- gelichteten Reihen des Herzogs. „Blücher oder die Nacht!" seufzte er. In der höchsten Not traf auf seinem schwachen linken Flügel die preußische Vorhut
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ein. Durch Hunger und Durst, durch Müdigkeit und aufgeweichte Wege ließen die Tapferen sich so wenig aufhalten als durch ein feindliches Armeecorps, das sie im Rücken bedrohte.
Mühsam schleppten sie ihre Kanonen durch den grundlosen Schlamm. Überall war der Feldherr gegenwärtig, obgleich die Quetschung ihn schmerzte; unablässig ermunterte sie sein Zuruf: „Vorwärts, Kinder, vorwärts!", bis sie am Feinde waren. Er süßte den angeschossenen Eber, der sich immer wieder auf Wellington stürzte, in der Flanke. Verzweifelt wehrte sich der Kaiser und seine Marschälle. Zu Fuß, den Degen in der Faust, ging Ney den Seinen voran zum letzten Sturm auf die Höhen von Mont St. Jean. Die matt hervorbrechende Abendsonne beleuchtete die wildverworrene Flucht der Franzosen. Sauve qui peut! war die Losung; nur die Garde rief: Sauvez les aigles!
Halb starr hielt Napoleon im ärgsten Getümmel. Zwei Generale brachten ihn von der gefährlichen Stelle. „A present,“ sprach er tonlos, „la piäce est finie; tont le monde en arriere!“
Das Stück war aus; hundert Tage hatte die Herrlichkeit gedauert.
Nach Einbruch der Nacht trafen sich beide siegreichen Feldherren vor dem Wirtshause la Belle Alliance, nach dessen Namen Blücher die Schlacht bezeichnet hat, und umarmten einander herzlich. Wellington wollte die Nacht in Napoleons gestrigem Hauptquartier verbringen; „und ich werde ihn aus dem heutigen sagen", sprach Blücher. Während der Engländer nach der snrchtbaren Arbeit des Tages die Ruhe suchte, versammelte der deutsche Held seine. Offiziere um sich und gab ihnen die Weisung: „Wir haben die Franzosen jetzt auf den Trab gebracht; man frisch hinterdrein, daß sie bis Paris nicht wieder zu Atem und Besinnung kommen!"
Die ganze Nacht hindurch leitete Gneisenau selber die Verfolgung. Napoleons Reise«agen mit seinem Dreispitzhut und Degen, seinen sämtlichen Orden und einer Menge Schmucksachen, Ringe, Dosen, auch seine Kassenwagen fielen in die Hände der Deutschen, die sich durch keinerlei Ausschreitung be-
fleckten. Blücher schloß am folgenden Morgen seinen Tagesbefehl mit dem stolzen Worte: „Nie wird Preußen untergehen, wenn Eure Söhne unb Enkel Euch gleichen."
In Eilmärschen ging es abermals nach Paris; abermals dankte Napoleon ab. Seine Flucht nach Amerika vereitelten die Engländer. Im Aufträge der Großmächte führten sie ihn aus die einsame Insel St. Helena, wo er den Rest seines Lebens vertrauerte. .... u i
Blücher war der Held der deutschen, auch der englischen ~ / "
Nation. Er lehnte bescheiden alle Bewunderung ab: „Was
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ist's, das ihr rühmt?" sagte er einmal. „Es ist meine Verwegenheit, Gneisenaus Besonnenheit und des großen Gottes Barmherzigkeit." Wenige Wochen vor seinem Tode, am sechsten Jahrestage der Schlacht an der Katzbach, enthüllte seine Vaterstadt sein Denkmal, das Schadow gegossen hatte; die Inschrift verfaßte kein Geringerer als Göthe:
„In Harren und Krieg,
In Sturz und Sieg Bewußt und groß;
So riß er uns ■ Vom Feinde los."
VII. Das Zeitalter Kaiser Wilhelms.
1. Der Wiener Kongreß 1814/15.
Frankreich hatte die Eroberungen Napoleons in den beiden Pariser Friedensschlüssen herausgeben müssen. Durch die Fürsten und Staatsmänner Europas wurden dieselbe» unter rauschenden Festen, in deren Veranstaltung der „gute Kaiser Franz" unerschöpflich war, auf dem Wiener Kongresse den Staaten zugewiesen. Die Landkarte Europas erhielt eine neue Gestalt.
Frankreich behielt die Gebiete, die vor dem Ausbruche der Revolution ihm zugehörteu, auch Elsaß und Lothringen. Nur einige Kolonien in Weftindien blieben bei England, welches auch das holländische Kapland und den westlichen Teil des holländischen Guyana mit seinen ausgiebigen Banmwoll-pflanzungen, sowie die Insel Malta und die Schutzherrschaft über die Jonischen Inseln behauptete.
Rußland gewann durch das den Schweden abgenommene Finnland eine festere Stellung an der Ostsee. AnS dem Herzog-:pp v y turne Wcnjcfrmt wurde ein Königreich Polen („Kongreß-Polen") gebildet und durch Personal-Union Rußland angegliedert. Unter derselben Form vereinigte Karl XIII. (Bernadette) das seither dänische Norwegen mit Schwede», welches dagegen den letzten Rest seiner überseeischen Besitzungen, Schwedisch Vorpommern
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(Neu-Vorpommern) an Preußen abgab. Von seinem -Anteil an Polen behielt Preußen nur Posen und Westpreußen mit Danzig und Thorn; es wurde wieder ein fast ganz deutscher Staat. Während es Bayern seine fränkischen Lande, Ostfriesland und seinen Anteil au der Nordsee Hannover überließ, wurden seine Gebiete am Rhein hergestellt und erweitert zu der Rheinprovinz und zu Westfalen. Dazu erlangte es nach hartem Kampfe die größere Hälfte Sachsens, dessen König bei Leipzig mit den Waffen in der Hand gefangen worden war. So kamen die Saalepässe und die Elbe'festuugen Torgau und Wittenberg nebst deit östlichen Teilen der Lausitz mit Görlitz an Preußen. Immerhin war die Monarchie in zwei Hälften zerrissen und mußte die schwere Aufgabe auf sich nehmen, die deutsche Grenze gegen Russen und Franzosen zu verteidigen. Ähnlich wurde Bayern für die Herausgabe Tirols durch die abgesonderte Rheinpfalz entschädigt, die einst Ludwig der Deutsche bei der Teilung sich ausbedungen. Mainz kam an Hessen, wurde aber zur Bundesfestung erklärt, in welcher Österreich und Preußen gemeinsam das Besatzungsrecht ausüben sollten.
Österreich verzichtete auf seine Vorlande, namentlich den Breisgau, und auf Belgien, welches mit Holland zu einem Vereinigten Königreiche der Niederlande unter dem Hause Orauien verknüpft wurde. Ebenso wie im Süden das durch Genua verstärkte Sardinien sollte es gegen Frankreichs Eroberungsgelüste als Vorhut und Puffer dienen, wahrend Österreich selbst mit seinem Erbfeinde gar keine unmittelbare Berührung mehr hatte. Seine anderen Gebietsteile gewann es alle zurück, und für die Abtretungen bot das Lombardisch-vene-tianische Königreich und damit die Vorherrschaft über die Appen-uinen-Halbmsel einen gewichtigen Ersatz.
Die Erneuerung der Kaiserwürde lehnte es ab, hinderte aber auch Preußen, einen bedeutsamen Einfluß auf „das Reich" zu erwerben. Auf Österreichs Vorschlag wurde Deutschland ein Staatenbund von einem Kaiserreich, den Königreichen Preußen, Bayern, Sachsen, Hannover, Württemberg, dem Kurfürstentum Hessen, den Großherzogtümern Baden, Hessen-Darmstadt, Mecklenburg-Schwerin und Mecklenburg-'L>trelitz, Sachsen-Weimar und Luxemburg, einer Anzahl Herzog- und Fürsten- _ tümern und den vier freien Städten Hamburg, Bremen, Lübeck, Frankfurt a. M. Luxemburg war mit der oranischen, Schleswig-Holstein mit der dänischen Krone verbunden; die preußischen Provinze» Ost- und Westpreußen und die österreichischen Grönländer jenseits der Leitha (zwischen Wien und Preßbnrg) gehörten dem Reichsverbaude nicht an.
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1815
Die Vertreter dieser 39 Staaten bildeten den Bundestag, der in Frankfurt a. M. tagte unter Österreichs Vorsitz. Von einer Vertretung des deutschen Volkes wär keine Rede; für das deutsche Reichsheer und damit für die Sicherheit Deutschlands wurden nach jahrelangen Beratungen ganz unzulängliche Anordnungen getroffen. Unter der Leitung des Bundestages wurde Deutschland ein Spott der Völker.
An demselben 8. Juni aber, an welchem diese traurige Bundes-Akte" unterzeichnet wurde, verlas in der Schloßkapelle zu Charlottenburg der am 22. März 1797 geborene Prinz Wilhelm von Preußen als Konfirmand^sein selbstverfaßtes Glaubensbekenntnis, aus welchem manche Sätze geradezu als Verheißung sich erwiesen haben für das deutsche Volk:
„Meine Kräfte gehören der Welt, dem Vater-laude. — Die will ich für meine wahren Freunde halten, die mir die Wahrheit sagen, wo sie mir mißfallen könnte. — Ich halte es viel höher, geliebt zu sein als gefürchtet zu werden. — Auf Gott will ich unerschütterlich vertrauen, chm alles auheimstellen und nur im Glauben an seine Vorsehung einen getrosten Mut zu erhalten suchen." —
dieser königliche Jüngling war bestimmt, das in der Bundes-Akte aufgerichtete Gebäude zu sprengen und eilt besseres, dauerhafteres an die Stelle zu setzen: das neue deutsche Kaiserreich.
2. Die orientalische Frage. Die Griechen.
Wie Prinz Wilhelm waren alle deutschen Freiwilligen auS dem Kriege heimgekehrt mit der Hoffnung auf ein einiges deutsches Reich/ ein' freies deutsches Volk, und mit dem Vorsatze, kräftig mitzuarbeiten au dem Glück ihres Volkes. Weitblickende Fürsten schufen auch in den Einzelstaaten landständische Verfassungen; dem Beispiel des alten Karl August, der seiner
Volksvertretung das Recht der Stenerbewilligung gewährte und den Zeitungen das Recht freier Meinungsäußerung, die Preßfreiheit/ folgten Bayern und Baden, Württemberg und £e|fen-Darmstadt. Aber eine Vertretung des ganze,n deutschen Volkes gab es nicht; der allmächtige Minister Österreichs, Fürst
Metternich, wollte keinen verruchteren Gedanken kennen als den einer Einigung der deutschen Völker. Er beschwor, auch in Preußen, eilte grausame Verfolgung herauf über die Studenten im Vollbart, welche Vaterlandslieder sangen und schwarz-rot-goldene Bänder um die Brust trugen. Wegen eines solchen
„Hochverrates" wurde der liebenswürdige Mecklenburger Fritz
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Reuter in Preußen zum Tode verurteilt und dann zu einer Festungshaft von dreißig Jahren „begnadigt", von welche» er sieben wirklich abgesessen hat. Dadurch war seine Laufbahn im Staatsdienste verdorben, und es blieb ihm nichts übrig, als — der plattdeutsche Dichter der „Lauschen und Rüuels", der „Stromlid" und „Franzoseutid" zu werden. In der „Festnngstid" hat er seine Leidensgeschichte ergreifend geschildert.
Viele dieser jungen Männer wendeten ihre Begeisterung und ihre Thatenlust den Nachkommen der Helden von Marathon und Salamis zu, welche um ihre Befreiung stritten von
empörender Zwingherrschaft.
Den Türken galten die unterworfenen Christen nur als eine willenlose Herde, die „Rajah". Unter dem Drucke schwerer Abgaben, von welchen neun Zehntel in den Taschen räuberischer Beamten verschwanden, baute der Landmann nur soviel an, als er notwendig brauchte; denn alles Weitere, das wnßte er nur zu gut, ward ihm doch abgenommen. Weder in seiner Hütte oder vielmehr Erdhöhle, die mit Zweigen gedeckt war, noch in seinem Ackerbau dachte er an zeitgemäße Verbesserungen- Kaum ei» Fünftel des Bodens war angebaut; vor den Thoren Konstantinopels breitete sich im gesegnetsten Gelände eine Einöde
ans. Ob einmal an Stelle der trägen Osmanli ein anderes
Volk die Schätze dieses fruchtbaren Landes heben soll und welches, das ist der Inhalt der Orientalischen Frage.
Unter tiefgehender Teilnahme Europas entbrannte der Aufstand der verzweifelnden Rajah gleichzeitig an der Donau und / ■' / •
im Peloponnes, in Hellas und auf den Inseln des Archipels.
Aus dem Herzen der deutschen Jugend heraus feierte der junge Dessauer Gymnasiallehrer Wilhelm Müller, ein Veteran aus den Freiheitskriegen, den unglücklichen Alexander Msilanti, der nach einem fehlgeschlagenen Feldzuge, von den Österreichern verhaftet, „auf Munkacs' hohem Turm" in elendem Verließe saß; und Vereine von Griechenfreunden (Philhellenen), welche Geld sendeten und Freiwillige, ermutigten die erbitterten Kriech eit zum Ausharren. Eine Flotte, welche die reichen Kaufherren von Hydra und Spezza ausgerüstet, beherrschte die See. In den Thermopylen rang Athanasios Diakos gegen hundertfache Überzahl mit wenig Gefährten, bis alle fielen. Und als der türkische Kapudan Pascha (der Großadmiral) trotz verheißener Amnestie die schöne Insel Chios verwüstete, daß von 100 000 Einwohnern nur 1800 übrig blieben, 50000 die Sklavenmärkte bevölkerten, sprengte ihn der verwegene Konstantin Las-karis auf dem festlich beleuchteten Admiralschiffe mit 2000 Gästen und Soldaten in die Lust. Heldenmütig widerstand die Festung
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Messolonghi im westlichen Hellas einer wiederholten Belagerung. Dort starb der erlauchteste aller Philhellenen, der junge englische Dichter Lord Byron, wenige Monate nach seiner Ankunft.
Die „Hohe Pforte" rief in ihrer Ratlosigkeit die Hülse eines trotzigen Vasallen an. Vom Büchseuspanner eines Paschas, der gegen Napoleon nach Ägypten gesendet wurde, hatte der kluge Arnant Mehemed Ali sich dort bis zum Pascha emporgearbeitet und seine Provinz säst unabhängig gemacht. In seinem Aufträge ließ nunmehr sein Adoptivsohn Ibrahim die Aufständischen in Kreta durch Stickdämpfe aus ihren Hohlen räuchern und im Peloponnes alle Obst- und Maulbeerbäume fällen. Verzweifelnd brachen die Verteidiger Meffolonghis aus mit Franen und Kindern, und ein kleiner Teil entkam nach fürchterlichem Blurbade; die Alten, Schwachen, Kampfunfähigen flogen tu der Patroneufabrik mit den eindringenden Feinden freiwillig in die Lust.
Dem blutigen Greuel schauten die Staatsmänner Europas thatlos zu. Erst als Alexander I. starb, verständigte sich England mit seinem Bruder Nikolaus I. und mit Frankreich, um die Türkenherrschaft einzuschränken. Die vereinigten Flotten der drei Mächte vernichteten in 36stündiger Seeschlacht bei Navarin die Seemacht Ibrahims. Der russische General Diebitsch überschritt den Balkan und bedrohte Stambul. Im Frieden zu 1829 Adrianopel mußte der Sultan die drei christlichen Donaufürstentümer Serbien; Walachei und Moldau als Tributstaaten anerkennen unter eigenen „Hospodareu", die freilich nach Rußlands Wünschen herrschten.
Die von den Großmächten veranstaltete Londoner Konferenz setzte dann auch die Unabhängigkeit Griechenlands durch, wenn auch ohue Kreta und Byzanz. Otto, der jngend-liche Sohn des kunstsinnigen Königs Ludwigs I. von Bayern, wurde zum König vou Griechenland erwählt, das sich unter seinem milden Scepter rasch entwickelte. Denn die Griechen sind eilt rühriges und sparsames Volk. Eine ans eigenen Mitteln erbaute und unterhaltene Schule ist der Stolz jeder griechischen Gemeinde.
Damals suchte der wohlmeinende Sultan Mahmud II. die Türkei für europäische Gesittung zugänglich zu machen. Zunächst ließ er die Janitscharen, welche genau so unbändig waren wie die Strelitzen vor Peter dem Großen, an einem Tage zusammen -hauen. Und während bisher der Türke ein Hasiß, ein Gelehrter war, wenn er lesen und schreiben konnte, holten jetzt junge Türken im Abendlande eine gründlichere Bildung; aus ihnen
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gedachte sich der Sultan späterhin einen uneigennützigen Beainten-stand heranzubilden. Preußische Offiziere arbeiteten an einer Verbesserung des Kriegswesens.
Die Schwäche, in welche das Reich während dieser Umwandlungen versank, gedachte Mehemed Ali zu Eroberungen auszunützen. Ibrahim drang über die Landenge von Snez durch Syrien und Kleinasien siegreich gegen Konstantinopel vor. Damit nicht der thatkräftige Ägypter sich des ganzen Ostens bemeistere, rettete Rußland die Türkei. Dafür erntete sein Handel reiche Vergünstigungen auf dem Schwarzen Meere. Als nach einigen Jahren Ibrahim seinen Angriff erneute, erlitt der türkische Feldherr bei Nisi bis am Euphrat eine schwere Niederlage; über 1837 den Einflüsterungen fanatischer Mollahs (Priester) hatte er den verständigen Rat des preußischen Hauptmanns Helmut v. Moltke vernachlässigt, der ihm unter halsbrechenden Schwierigkeiten Brücken über den Euphrat geschlagen hatte. Der Kapudan Pascha führte seine Flotte zu dem Ägypter hinüber. Sultan Mahmud starb im Gram über die Opfer des Krieges; die Türken hatten keinen Mann mehr, der sie leitete und spornte.
Der Padischah (Sultan), meinten sie in ihrer stumpfen Gleichgültigkeit. sei reich genug, um hin und wieder eine Schlacht und einige Provinzen zu verlieren.
Nikolaus schickte sich an, durch Einverleibung der wichtigsten Landschaften die Orientalische Frage zu lösen. List gegen List setzend, verband sich England, Österreich und Preußen mit ihm, um den Ägypter einzudämmen, aber auch dem Russen auf die Finger zn sehen. Gegen die Räumung der eroberten Provinzen erhielt Mehemed Ali Ägypten ,ats erbliches Paschalik (Vice-königreich). Der jetzige „Khedfte" Tewsik ist sein Enkel! /f>/
3. Die Juli- und die Februar-Revolution.
Unter Napoleon I. hatte das französische Volk die Beschränkung seiner Freiheit, die Reaktion, ebenso ruhig hingenommen wie die Zumutungen immer größerer Opfer an Gut und Blut.
Denn der Kriegsruhm und die Weltmacht seines Götzen schmei- 1830 chelte der Eitelkeit deS sonst vortrefflichen Volkes. Um so empfindlicher waren die Franzosen gegen die Bourbonen, die wenig Rühmliches thaten, namentlich seit auf den verständigen Ludwig XVIII. dessen Bruder Karl X. gefolgt war. Als dieser 1 ' - /
durch die fünf Ordonnanzen, die er am Sonntag den 25. ^uli 1830 in seinem Schlosse St. Elend unterzeichnete, die Preßfreiheit und das Wahlrecht antastete, brach in Paris alsbald ein heftiger Sturm los. Die Zeitungen schürten die Leiden-
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schäften, bis das Volk auf dem Stadthause die Trikolore der Revolution entfaltete und mit den Truppen handgemein wurde. Barrikaden, die aus umgestürzten Wagen und Schränken, aus Tischen und Fässern aufgeschichtet wurden, sperrten die Straßen, und die Soldaten mußten nach blutigen Kämpfen die Stadt räumen. Der König wollte die Ordonnanzen zurücknehmen; aber nun erscholl der Ruf: „Zu spät."
Um größerem Unheil vorzubeugen, erwirkten besonnene Männer die Ernennung des Herzogs Ludwig Philipp von Ipr-Z’- Orleans, des Enkels des „Regenten", zum Generalstatthalter des Reiches. Am Samstage der „großen Woche" zeigte sich der Prinz, die blauweißrote Fahne in der Hand, am Fenster des Stadthauses und umarmte unter dem Jubel des Volkes den alten Freiheitshelden Lasayette. Karl X. dankte ab zugunsten seines zehnjährigen Enkels, des Grasen Heinrich von Chambord, und reiste nach England; die Kammern der Abgeordneten und der Pairs wählten Ludwig Philipp zum König.
Die erfolgreiche Juli-Revolution riß auch die romanischen Belgier mit fort, welche sich von den vorwiegend germanischen und protestantischen Holländern zurückgesetzt fühlten. Erhitzt durch eine Aufführung der neuen Oper des Italieners Rossini: „Die Stumme vou Portici", iu welcher der neapolitanische Fischer Masaniello seine Landsleute zur Empörung aufruft gegen die spanische Herrschaft (1647), verübten die Brüsseler schweren Unfug gegen die Anhänger der holländischen Regierung. Einrückende holländische Truppen wurden ans dem Lande geschlagen, und die Londoner Konferenz willigte in die Trennung der beiden ungleichartigen Völker. Der belgische Nationalkongreß erkor einen Prinzen von Koburg zum Könige, und Leopold I. wendete den gewerblichen Anlagen seines kohlenreichen Landes, namentlich der Erbauung von Eisenbahnen, seine ganze Kraft und Fürsorge zu. Bei der 50jährigen Jubelfeier seiner Selbständigkeit konnte Belgien unter Leopolds gleichnamigem Sohne auf eilte großartige Entwicklung des Großgewerbes, der Industrie, zurückblicken, bei welcher allerdings die Bedachtnahme ans das Gedeihen der Arbeiter gröblich verabsäumt war.
Unglücklicher ging' es den Polen, als sie in derselben Zeit ihren wenig wohlwollenden König, den Zaren Nikolaus, für abgesetzt erklärten. Ein russisches Heer unter Diebitsch schlug 1831 sie bei Ostrvlenka au der Narew, und als der „Balkan-Uberwinder" (Sabalkanski) der Cholera erlag, ließ sein russischer Nachfolger die gefangenen Empörer reihenweise niederschießen. In frischer Erinnerung au den eigenen Freiheitskampf haben die Deutschen die mitleidswerten Polenflüchtlinge liebevoll auf-
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genommen und unterstützt, und statt der Griechenlieder wurden nunmehr Polenlieder gesungen.
Ludwig Philipp lebte auch als König am liebsten inmitten seiner zahlreichen^ Familie. Wie andere Bürger schickte er seine Söhne in die Schule und hals mit seinem großen Vermögen vielen Unglücklichen. Das Land blühte auf; der kühne Wagemut des Volkes fand genügende Nahrung im Kriege gegen Algerien, welchen noch Karl X. begonnen, weil der Dei feinen Gesandten im Zorne mit dem Fliegenwedel ins Gesicht geschlagen hatte. Erst nach zwölf Jahren hartnäckigen Widerstandes unterwarf sich der Jugurtha der Neuzeit, Abdel-Kader, der tapfere und verschmitzte Emir von Maskara.
Nach der von Ludwig XVIII. eingeführten Verfassung (ber Charte) besaßen nur bie vermögenden Klassen bas Recht, in bie Kammer zu wählen unb gewählt zu werden, das aktive und das passive Wahlrecht. Die Forderung der Presse, es aus alle Bürger auszudehnen, lehnte Ludwig Philipps Regierung beharrlich ab. Der König zwar gedachte einzulenken; da wurde im Februar 1848 durch Demagogen mutwillig ein Ausstand hervor- 1848 gerufen. Bei einem Zusammenstoße zwischen Soldaten und Pöbel floß Blut. In der Nacht wurden Barrikaden errichtet. Unter dem Lärm der in die Tuilerien eindringenden Volksmaffen verließ ber tiefgebeugte greife Monarch sein Schloß und feine unbankbare Hauptstabt. Seine verwitwete Schwiegertochter, bie mecklenburgische Prinzessin.Helen e, blieb zurück; sie wollte die Kammer bewegen, ihren Sohn, den Grasen von Paris, als König Ludwig Philipp II. anzuerkennen. Aber trunkene Blusenmänner drängten sich unter bem Rufe: „Niebet mit ben Bourbonen!" in den Sitzungssaal, die wackere Fürstin beschimpfend und bedrohend.
Sie verlor sogar im Gewühl ihre beiden Knaben, um den jüngeren erst nach einer kummervollen Nacht wiederzusehen. Die „provisorische Regierung" rief die Republik aus.
Die Februarrevolution war das Werk des Vierten Standes.
Bald nach dem Hubertsburger Frieden erfand der schottische Mechaniker James Watt die Dampfmaschine in ihrer heutigen Einrichtung. Ein anderer Mann aus dem Volke, ber junge Englänber George Step heuson, verbesserte sie unb erbaute 1812 bie erste Lokomotive. Unter seiner Leitung würbe bie erste Eisenbahn von Stockton nach Darlington begonnen unb 1825 vollenbet. Zehn Jahre später erlebte Deutschlanb bie erste Eisenbahn, von Nürnberg nach Fürth. Schon früher als 1835 Eisenbahnen gab es Dampsschisse, weil man für sie keine Schienen unb Tunnels zu ersinnen brauchte.
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Die Dampfmaschine hat das ganze Erwerbsleben umgestaltet. Tausende von Händen wurden arbeitslos, weil eine Maschine die Leistungen vieler Menschen ersetzte. An Orten, welche große Mengen von Rohstoffen zur Verarbeitung oder von Kohlen zum Dampfbetriebe boten oder wo bequeme Handelswege, Kanäle, Eisenbahnen, den Absatz der Erzeugnisse erleichterten, häuften sich die Fabriken und die Scharen von Arbeitern, welche ohne Grundbesitz, als Proletarier, vou der Hand in den Mund lebten. Durch den Telegraphen, wie ihn die deutschen Gelehrten Gauß und Weber zuerst zwischen dem Physikalischen 1837 Kabinet und der Sternwarte in Göttingen einrichteten und nach einigen Jahren der Amerikaner Morse zu seiner heutigen Verwendung entwickelte, wurde das Verkehrsleben beschleunigt, die Gewinnsucht erhöht. Um die Waren billiger als die „Konkurrenten" verkaufen zu können, sparten die Fabrikanten an den Arbeitslöhnen; die Proletarier mußten darben, wenn sie sich nicht entlassen und mit ihren Angehörigen dem Elende preisgegeben sehen wollten.
Erst nach Jahrzehnten wurde man auf die Notlage der Fabrik-Arbeiter aufmerksam. Die dritte französische Revolution brachte die „schwieligen Hände" zu Ehren. Ihrer provisorischen Regierung gehörte der Schlossergeselle Albert an; um die Arbeiter zu gewinnen, proklamierte die Republik das Recht auf Arbeit, den Anspruch jedes Bürgers, vom Staate beschäftigt und für seine Arbeit gelohnt zu werden. Man errichtete die „Nationalwerkstätten", in welchen der Staat nützliche, dann aber auch unnütze Arbeit anordnete, nur um sie zu bezahlen, die Arbeiter in Nahrung zu setzen. Zahllose Faulenzer, welche sich diese neuzeitliche Einrichtung zu nutze machten, steckten ohne alle Arbeit den Lohn ein. Als endlich die wachsenden Kosten die Aufhebung der Nationalwerkstätten nahe legten, empörten sich die Arbeiter im Vertrauen auf ihre große Masse. Aber der republikanische General Cavaignac ließ ihre Barrikaden erstürmen. Dieser dreitägige Straßenkampf, der blutigste, den Paris je erlebt, sollte nicht das einzige Nachspiel der Februar-Revolution bleiben.
4. Der deutsche Einheitstraum und „das tolle Jahr". -
In den Stürmen der Franzosenzeit entfaltete die deutsche Dichtung mit den Meisterwerken der „Weimarer Dioshireu" ihre schönste Blüte; während die „Reaktion" den Einheitsgedanken unterdrückte, reifte die deutsche Kunst. Neben den Bildhauer Christian Rauch trat der große Baumeister Karl
Friedrich Schinkel, welcher das Museum und das Königl. Schauspielhaus in Berlin, die Friedenskirche in Potsdam und das nahegelegene Schloß Babelsberg geschaffen hat. Der Maler Peter Cornelius schmückte König Ludwigs Glyptothek (Sammlung von Werken der Plastik) in München mit den Göttergestalten des Olymps und trat als Meister der Zeichenkunst in die Spuren Dürers und Holbeius.
Wie die Pflege der Kunst förderten kirchliche Bestrebungen langsam die Einigung unseres Volkes. Beim Jubelfeste der Reformation griff Friedrich Wilhelm III. den Gedanken auf, die beiden protestantischen Kirchen, die lutherische und die reformierte, zu verschmelzen. Sein Königswort rief die Union der evangelisch-protestantischen Kirche Preußens ins Leben, und andere Länder, wie Baden, folgten diesem Vorgänge.
Auch auf wirtschaftlichem Gebiete übernahm Preußen die Führung zur Einheit. Ein Zollverein, eine Verbindung deutscher Staaten zu zollfreiem Handelsverkehr mit einander, wie ihn Turgot für bie Provinzen Frankreichs erstrebt hatte, wurde balb nach bent Wiener Kongreß angebahnt unb umfaßte vor Friedrich Wilhelms Tobe schon mehr als vier Fünsteile bes heutigen Reiches.
Dem Verlangen ber Deutschen nach politischer Einigung würben zuerst in Baben Worte geliehen. Bald nach ber Juli-Revolution, in ben ersten Monaten bei Regierung bes Großherzogs Leopold, beantragte der Freiburger Professor Karl Welcker ' in der Zweiten Kammer die Berufung einer Nationalrepräsentation neben dem Bundestag. Im Ansange des „tollen Jahres" nahm der Mannheimer Abgeordnete Bassermann den Antrag wieder auf. Ju beit allgemeinen Freubenranfch über biesen kühnen Schritt fiel bie Kunde von ber Februar-Revolution. Sie entfachte in ben Herzen aller Gebilbeten bes ganzen Bürgerstanbes bie begeisterte Hoffnung, baß ein einiges Vater-lanb mit allgemeiner Volksvertretung erstehen werbe, wie es bie Franzosen soeben errungen. Währenb jedoch die Besonnenen jede Willkür verdammten, würben Stimmen laut, bie^ überhaupt keine Gesetze mehr wollten, weil^jedes Gesetz bie Freiheit beschränke. Massenversammlungen unb Sturmpetitionen ertrotzten bie Einsetzung sreiheitssreunblicher („liberaler") Minister, bie Preßfreiheit unb bas Versammlungsrecht. Lelbst der Bundestag pflanzte auf seinem Palast in der Eschenheimer Gasse die schwarz-rot-goldene Fahne auf und ersuchte die Regierungen, Vertrauensmänner nach' Frankfurt zu entsenden, welchen die Abänderung (Revision) der Bundesverfassung obliegen sollte.
Zu diesen „März-Errungenschaften" kamen andere, nicht
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1848
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minder aufregende Ereignisse. Unter dem Eindruck etlicher Straßenauflänse in Wien legte Fürst Metternich, der seit vierzig Jahren Österreich beherrscht hatte, ohne Widerstand seine Ämter nieder und reiste nach London ab. König Friedrich Wilhelm IV. hatte schon vor einem Jahre die sämtlichen Abgeordneten der seither bestehenden Provinziallandtage als Verei nigten Landtag in Berlin versammelt; angesichts der Märzbewegung erfüllte evjn seiner Herzensgüte bereitwillig die Wünsche seines Volkes. Während er dann ans dem Balkon seines Schlosses erschien, um die Danksagung seiner Unterthanen entgegenzunehmen, suchte eine Bande ins Schloß einzudringen, und als die Soldaten den Platz zu räumen begannen, sielen zwei Schüsse. Sie gingen in die Lust; aber die Menge stob auseinander unter dem entrüsteten Geschrei: „Verrat! 3u den Waffen!" Durch die Straßen in der Umgebung des Schlosses tobte ein blutiger Barrikadenkampf, bis der König, weinend über dieses Unglück, mitten aus siegreichem Vordringen seine Truppen zurückrief; eine Milde, welche dem bewaffneten Haufen als Schwäche erschien.
In ganz Deutschland war „das Volk" siegreich, und nach allgemeinem Stimmrecht wurden die Wahlen zum „Verfassunggebenden Parlament" angeordnet. Im Süden, an der Schweizer Grenze, wollten manche eine deutsche Republik, sogar „mit einem Kaiser au der Spitze"! Eine Freischar vou 52 Mann unter dem Mannheimer Advokaten Hecker durchzog von Konstanz aus das oberbadische Land, „die erste republikanische Armee in Deutschland seit 1800 Jahren", wie ein Führer prahlte. In einem Schwarzwald-Dorfe boten diese Helden, die zuletzt einige Hundert Streiter musterten, den Fürsten Deutschlands, welche binnen vierzehn Tagen ihre Kronen niederlegten, vollständige Amnestie an. Aber die „vertierte Soldateska" der „Royalisten" sprengte nach acht Tagen die todesmutigen schützen und Sensenmänner auseinander. Die Führer wußten sich jenseits der schweizer Grenze für bessere Tage zu erhalten.
Endlich versammelte sich das heißersehnte Parlament. Am 18. Mai schritten die 600 Abgeordneten unter Glockengeläut und Kanonendonner von dem Römer, dem alten Kaisersaale, unter dem brausenden Jubel dichtgedrängter Menschenmaffen durch die festlich geschmückten Straßen Frankfurts in die Paulskirche. Dort harrte ihrer die erhebende Ausgabe, dem Vaterlande Größe und Glück wiederzubringen durch eine feste Staatsordnung. Es war das Morgenrot des kommeudeu deutschen Reiches. Beim Kölner Dombanseste, welches der Vollendung des ehrwürdigen Kunstdenkmals die Wege öffnete, begrüßte Friedrich Wilhelm die Volksvertreter als die Baumeister am Dome der
deutschen Einheit. Sie wählten den Darmstädter Heinrich von Gagern zu ihrem Vorsitzenden und nach dessen Wunsche den Erzherzog Johann zum Reichsverweser. Daun berieten sie die „Grundrechte des deutschen Volkes".
Währenddessen kämpfte Österreich mit den Tschechen in Böhmen und den Magyaren in Ungarn um seinen Fortbestand; Feldmarschall Radetzky, Schwarzenbergs Generalstabschef im Freiheitskriege, wurde durch eine Empörung aus Mailand vertrieben. Aber in glänzendem Feldzuge, dessen Gipfelpunkt die Schlacht bei Custozza war, eroberte der hochbetagte Feldherr das Lombardisch-veuetianische Königreich zurück und zwang den Schirmherrn des Ausstandes, König Karl Albert von Sardinien, zu einem Waffenstillstand. Im Norden aber wehrten sich die Schleswig- Ho lsteiner gegen Dänemark, welches sie Deutschland entfremden wollte, um ihr gutes Recht.
Mit heiliger Begeisterung für das Vaterland widmete sich indes das Parlament dein Verfassungswerke. Seit 100 Jahren schwebte die Frage: Soll Österreich oder Preußen die Vormacht Deutschlands sein? Jetzt wollten die „Großdeutschen" Österreich an der Spitze Deutschlands erhalten, die „Klein-deutschen" das Reich unter PreußeuS Leitung aufrichten ohne Österreich. Österreichs Verlangen, seine 30 Millionen nichtdeutschen Blutes sollten auch zum Reiche gehören, schaffte der kleindeutschen Partei den Sieg. Friedrich Wilhelm IV. wurde zum Deutschen Kaiser gewählt. Aber der König selbst dachte großdeutsch; um jeden Preis wollte er Österreich an der Spitze Deutschlands sehen. So sträubte er sich, eine Krone anzunehmen, die für ihn „das Halsband des Leibeigenen im Dienste der Revolution" sein würde.
Der deutsche Einheitstraum war ausgeträumt. Noch einmal fiel Deutschland in die Ohnmacht zurück. Ohne Sang und Klaug endete die Nationalversammlung; die Volksführer aber entfachten noch einmal den Sturm der Revolution. In Rheinland und Schlesien, in Sachsen, der Pfalz und in Baden flammte der Aufstand wilder empor als je; leider nahmen auch Soldaten daran teil unter dem Bruch ihres Fahneneides. Preußische Truppen unter der zielbewußten Führung des Prinzen Wilhelm warfen die Freischaren nicht ohne tapferen Widerstand nieder; die Pfälzer jammerten, man sehe nichts als Himmel und Pickelhauben. Großherzog Leopold von Baden aber starb, erschüttert von den schmerzlichen Erlebnissen dieser Monate, im Jahr 1852; ihm folgte, zuerst als Regent für den erkrankten Bruder Ludwig, fein edler Sohn Friedrich.
In Italien führte nach viertägigem Feldzuge der rühm-
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volle Sieg des 83jährigen Radetzky bei Novara zur Abdankung Karl Alberts, zum Frieden mit seinem Sohne Viktor Emanue l. Die Ungarn^wurden mit russischer Hülfe bezwungen und grausam bestraft. Sonst blieb in Österreich alles beim alten; nur daß der hoffnungsvolle 18jährige Erzherzog Franz Joseph an Stelle seines unfähigen Oheims Ferdinand den Thron bestieg.
Auch in Frankfurt wurde alles wieder auf den alten Fuß eingerichtet. Der neu eingesetzte Bundestag lieferte Schleswig-Holstein den kleinen Dänen ans und ließ die neu geschaffene deutsche Flotte öffentlich versteigern. Wie einst Griechenland, geriet jetzt das deutsche Volk in fremde Abhängigkeit. Der Herr Deutschlands war der Zar Nikolaus.
5. Napoleon III. Die Einigung Italiens.
Napoleon II., der „König von Nom", starb in jungen Jahren unbemerkt in Wien. Seither galt sein Vetter Ludwig Napoleon, der Sohn König Ludwigs von Holland, als das Haupt der bonapartistischen oder kaiserlichen Partei. Er war wie sein Oheim kein Franzose. Erzogen aus dem Gymnasium in Augsburg, genoß er seine militärische Ausbildung in der Schweiz. Bei Unruhen in Italien, die nach der Juli-Revolution ausbrachen, suchte er sich, ohne viel Ruhm, hervorzuthun als Vorkämpfer des Volkes. Ebenso scheiterte sein Anschlag, das in Straßburg liegende Artillerie-Regiment, bei welchem sein Oheim die Bahn des Ruhmes begonnen hatte, zur Empörung zu verleiten; Ludwig Philipp schaffte ihn nach Amerika. Als dann die Regierung die Gebeine des großen Kaisers von 1840 St. Helena nach Paris holen ließ, um sie im Jnvaliden-Dome
beizusetzen, landete er in Boulogne, um die Begeisterung für
den Kaisernamen auszubeuten. Aber der kaiserliche Adlet,' den er mitgebracht, hatte kein Glück. Der Thronbewerber fiel ins Wasser. Triefend wurde er herausgezogen, entkam aber ans der lebenslänglichen Festungshaft, zu welcher er verurteilt war, als Maurer verkleidet nach England. Nach der Februar-Revo-lution wurde er in die National-Versammlung und dann durch Volksabstimmung zum Präsidenten der Republik gewählt. Nun wohnte er in dem Elysäischen Palast und schaffte Ordnung in dem aufgeregten Lande. Unbehelligt durch seinen Eid durchbrach er die Verfassung, um die Krone zu erlangen. Die Gegner, welche Barrikaden bauten, ließ er niederkartätschen, und das
1852 Volk, „der wahre Souverän", erhob ihn durch Plebiszit zum
Kaiser der Franzosen.
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Er umgab feine Krone mit allem Glanze. Eine große Weltausstellung lockte eine Menge Fremder in seine aufblühende Hauptstadt, bereit Umbau ben Arbeitermassen guten Verdienst abwarf. Kriegerischen Ruhm, bie ersehnte gloire, verhieß bie Orientalische Frag e.
Um dem „kranken Manne", ber Türkei, bas Sterben zu erleichtern, forberte ber hochmütige Zar Nikolaus bie Schutzherrschaft über bie ganze Rajah im Osmanenreiche. Diese Zumutung beantwortete ber Pabischah mit ber Kriegserklärung, unb bie Großmächte stauben ihm bei. Österreich besetzte bie Donan-Fürsteutümer, damit ber Unterlauf ber Donau, feiner wichtigsten Handelsstraße, nicht in russische Hände gerate; Engländer unb Franzosen fuhren mit Türken vereint ins Schwarze Meer, um mit der Seefestung Sebastopol aus der Halbinsel Krim ben russischen Seehanbel zn zerstören. Aber ein volles Jahr lang schlug ber Deutschrusse Totleben alle Stürme helben-mutig ab. Nach ungeheuren Mettschenverlustett burch Schlachten, Ruhr unb Cholera mußten bie Verbüubeteu beut kleinen Sar-biiüeit bankbar sein, bas ihnen ein Hülssheer seubete. Erst als General Mac Mahon ben Malakow-Ttirm wegnahm, zogen bie Russen ab. Der neue Zar A lexan d er II. bequemte sich zum Frieden von Paris. Der Sultau verbürgte der Rajah burch ein Resormqesetz größeren Schutz.
Napoleon III. aber war ber leitende Manu Europas. Die Welt lauschte, wenn „Er" sprach. Zunächst suchte er nach herkömmlicher Politik das Haus Habsburg zu schädigen.
Die harte Fremdherrschaft Österreichs steigerte die Sehnsucht aller Italiener nach politischer Vereinigung. Das Hans Savoyen war längst entschlossen, an die Spitze dieser Strömung zu treten, unb Napoleon führte im Frühjahr 1859, wie einst fein Oheim, ein Heer über bie Alpen, während» Garibalbi ant Norbranbe der^ Po-Ebene eine Freischar tummelte. Mac Mahon entschied die Schlacht bei Magenta ant linken User des Tessins gegen Österreich. Napoleon unb Viktor Emanuel zogen in Mailand ein. In Parma und Toskana, in Modena und dem päpstlichen Bologna vertrieb das Volk die bisherige Regierung. Als Kaiser Franz Joseph das Kommando seines Heeres selbst übernahm, ward auch er bei Solserino ant Mincio geschlagen. General Benebek riet, bie Schlacht ant anderen Morgen zu erneuern, ba bie Verbüubeteu noch größere Verluste hätten als bie Kaiserlichen. Aber Franz Joseph rief unter Thränen: „Lieber eine Provinz verlieren, als noch einmal so gräßliche Dinge erleben." Er schloß bei einer Zusammenkunft mit Napoleon einen Waffenstillstand, aus welchem bann ber
1856
1859
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Züricher Frieden erwuchs. Österreich trat die Lombardei an Napoleon ab, welcher sie gegen Savoyen und Nizza an Sardinien überließ. Dank der Kriegsbereitschaft Preußens, 1857 dessen Geschicke seit der Erkrankung des Königes der Prinz von Preußen leitete, verblieb Venetien bei Österreich.
Toskana und die aufständischen Provinzen der „Emilia" erklärten alsbald ihren Anschluß an Sardinien. Garibaldi fuhr mit 1000 Freiwilligen von Genua nach Sizilien, welches ihm sofort zufiel. Der „König beider Sizilien" verließ Neapel; Viktor Emanuel nahm den Titel: „König von Italien" an und verlegte nach einigen Jahren seine Residenz in den herrlichen Palazzo Pitti in Florenz; der Freischarenheld zog sich aus seine Felseninsel Caprera zurück. Bis auf Rom und Venetien war ganz Italien ein Reich.
Damals verbanden sich die Moldau mit der Walachei zu einem Fürstentume Rumänien. Heute trägt ein süddeutscher Prinz, Karl von Hohenzollern, die rumänische Königskrone. Seine Gemahlin Elisabeth ist eine gefeierte deutsche Dichterin (Carmen Sylva). Die Griechen dagegen vertrieben ihren König Otto, weil er sich weigerte, die griechisch redenden Landschaften der Türkei zu erobern. Seinem Nachfolger GeorgioS I., einem dänischen Prinzen, schenkte England seine Jonischen Inseln.
6. Der amerikanische Sklavenkrieg.
Die unabsehbaren Kolonien Spaniens rissen sich während des Franzosenkrieges unb bald nachher vom Mutterlande los. Aber all diese „Kteolen"-Republiken haben es bis zum heutigen Tage zu keiner dauernden Entfaltung gebracht.
Um so machtvoller blühten die „Vereinigten Staaten Amerikas" empor. Durch Länderkauf, einmal auch burch Krieg gegen bas in inneren Kämpfen verkommenbe Mexico, dehnte bie Republik ihr Gebiet stetig aus über ben Mississippi unb bie Eordilleren und bis ans Behrings-Meer. Seine wuuberbar au-wachsenben jungen Stäbte würben bie Mittelpunkte eines von Tag zu Tag' anschwelleuben Verkehrs unb bie Werkstätten großartiger Erfindungen, welche Gewerbe und Handel in völlig neue Formen gegossen haben. Von Franklins Blitzableiter unb ber Nähmaschine zu Edisons Telephon unb Phonograph, welch eine Kette von Geistesarbeit unb Erfolg!
Aber währenb bas ungeheuere Laub in einer „Entwicklung ohne gleichen" ber Gesittung erschlossen wurde vom Atlantischen zum Stillen Ozean, duldeten die Aaukees in ihrer eigenen Heimat die Negersklaverei. Unter Mord und Brand auf dem
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Boden Afrikas eingefangen wie Ranbtiere, bürsten bie Schwarzen von Hanblern unb Eigentümern gezüchtigt, getötet werben wie Haustiere; vorenthalten warb ihnen ber Trost des Familienlebens, bes Eigentums, sogar ber Unterricht; sie sollten unfähig bleiben zur Freiheit. In ben Kirchen hatten bie Neger geson-berte Abteilungen.
Im Bunde mit ebeln Männern unb Frauen hat William Lloyb Garrison aus Massachusetts für bie „Abolition", bie Befreiung ber Neger, seine ganze Arbeitskraft, sein Leben in bie Schanze geschlagen. Ursprünglich ein Bnchbruckergehülfe wie Franklin, prebigte er länger als ein Menschenalter in seiner Zeitung „Der Befreier" wie in Vorträgen, zum Teil unter freiem Himmel, bie Schädlichkeit ber Negersklaverei, um feine Landsleute aufzuwecken wie mit einem Trompetenstoß. Er legte sich unb ben Seinen bie härtesten Entbehrungen auf; mehr als einmal war sein Leben in Gefahr. Der Staat Georgia setzte einen Preis von 5000, sechs Mississippier einen von 20000 Dollars auf feinen Kopf; nichts machte ihn irre in feinem menschenfreundlichen Streben.
Seine Hoffnung schlug fehl, auf frieblichem Wege ben Satz ber Unabhängigkeitserklärung verwirklicht zu sehen: „baß alle Menschen gleich geschaffen unb von ihrem Schöpfer mit gewissen unveräußerlichen Rechten ausgestattet sinb; baß zu diesen Leben, Freiheit unb bas Streben nach Glückseligkeit gehöre". „Gottes Gerichtstag bricht herein über unser schulbiges Volk!" rief er aus, als Abraham Lincoln aus Illinois 1861 zum Präsidenten erwählt warb unb bie Sklavenländer des Südens ans der Union austraten, um eine eigene Republik der „Konföbericrten Staaten" zn bilden. Die Nordftaaten hielten die unlösbare Einheit der Union fest, und ber Bürgerkrieg begann.
Lincoln hatte sich vom Hiittemälbler Bootsmann unb Holzfäller emporgearbeitet durch eigene Kraft, fast ohne Unterricht.
Aber seiner schweren Aufgabe erwies sich der unerschütterliche Mann vollkommen gewachsen. Er rief 75 000 Freiwillige unter die Waffen und sorgte mit thatkräftiger Umsicht für ihre Ausstattung und Verpflegung. Zuletzt flatterte das Sternenbanner über einer halben Million Krieger, unter denen die Deutschen, auch viele „48er Freischärler", bims) Zahl unb kriegerische Tüchtigkeit hervorleuchteten. Auf 1. .Januar 1863 erklärte Lincoln burch eine Proklamation alle Sklaven für frei in beit aufständischen Staaten. Es würbe eine Anzahl „farbiger" Regimenter gebilbet, die sich tapfer schlugen. In einem diente Garrisons Sohn als Offizier. General Sherman unternahm im Rücken
1865
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der „Konföderierten" einen kühnen Marsch an die See, um Vorräte wegzunehmen, Brücken und Eisenbahnen zu zerstören. Vier Jahre "wütete der Krieg, bis im Frühjahr 1865 Richmond in Virginia, die Hauptstadt der Konföderation, sich an General Grant ergab und Lee, der letzte und tüchtigste Feldherr der Sklavenhalter-Partei („Demokraten"), die Waffen streckte.
An demselben Tage, wo befreite, ihren Eltern zurückgegebene Negerkinder in der Hafenstadt Charleston in Südkarolina Garrison mit Blumen überschütteten, wurde Lincoln im Theater zu Washington von einem rachgierigen Südländer erschossen. Alle Bürger, am wärmsten die Sieger, beweinten den anspruchslosen, rechtschaffenen Mann, der vor kurzem durch fast einstimmige Wahl zum zweiten Male Präsident geworden war.
Der Krieg hatte über eine halbe Million Menschenleben verschlungen. Auch die Frauen der „Republikaner" hatten sich durch aufopfernde Fürsorge für die Kranken und Verwundeten mit Ruhm bedeckt. Dafür stand aber auch die Unteilbarkeit der Union ebenso unumstößlich fest wie die Abolition.
Dem Beispiel Nordamerikas ist nach einem Vierteljahrhundert auch Brasilien gefolgt. Heute gibt es fein gesittetes Volk mehr, welches die Sklaverei treibt oder auch nur duldet.
7. Wilhelm I. Schleswig-Holsteiu.
Preußen und Deutschland emporzurichten zu nie gesehener Größe, war die Lebensaufgabe Wilhelms I. Seine Kraft gehörte vor allem dem Heere. Wie fchmnck stand der siebenjährige Willi vor den königlichen Eltern als Hnsar in Kalpak und Dol-man, die er unter dem Weihnachtsbaume fand! An seinem zehnten Geburtstage ward er Fähndrich in der Garde zu Fuß. Im Kugelregen der französischen Schlachtfelder verdiente er sich das Eiserne Kreuz erster Klasse. So eifrig er lernte in jungen und in alten Tagen, sein Herz und Sinn stand immer zuerst auf die Verbesserung des preußischen Heeres. Soldatisch einfach, schlief er auf eisernem Feldbette bis ins höchste Alter. Seinem Adlerblicke entging keine Unordnung; unermüdlich aber sorgte er auch für das Wohlbefinden der Truppen und für die Ehre ihres Standes.
Die bitteren Erfahrungen des tollen Jahres machten seine felsenfeste Zuversicht nicht wankend auf die Zukunft des deutschen Volkes. „Im gläubigen Vertrauen auf Gott," sagt ein Geschichtschreiber, „schritt er dnrch das Leben, niemals zagend, niemals prahlend"; ein rechtschaffener Mann, duldsam gegen fremde Meinung, unbeugsam festhaltend an seiner eigenen Überzeugung wie an
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den Männern, denen er nach reiflicher Erwägung sein Vertrauen zugewendet. Haß kannte er so wenig wie Furcht. „Alles vergeben und nichts vergessen" war sein Grundsatz. Der größte seiner Diener sagte von ihm: „Er hat nie in seinein Leben jemand Unrecht gethan, nie das Gefühl eines anbetn verletzt, nie sich einer Härte schuldig gemacht." Seit 1829 war er vermählt mit der schönen uitb feinsinnigen Prinzessin Auguste von Sachsen-Weimar, Karl Augusts Enkelin, bie unter ben Augen Göthes und Charlotte v. Schillers aufgewachsen war. Er weilte am liebsten ^ im häuslichen Kreise auf fernem Schlosse Babelsberg bei Potsbam. Jebes Jahr rüstete er für bie Seinen mit eigener Hand den Weihnachtstisch, auch für die Dienerschaft; zu Gastein im Bade breitete er an einem Regentage mit eigener Hand Teppiche über den Fußboden, damit der unter ihm wohnende kranke Badegast durch seine Schritte nicht gestört werde.
Mit feierlichem Ernste trat er in sein hohes Amt als Regent und König. Sein Leben war Arbeit, Arbeit in allen Verwaltungszweigen, Arbeit für das Glück der anderen. Noch auf dem Todbett erteilte er eifrig feine Anordnungen, und als ihn feine Tochter, die Großherzogin Luise von Baden, in treuer Kindesliebe bat, sich nicht zu ermüden, entgegnete der 91jährige Greis: „Ich habe keine Zeit müde zu sein."
Als Preußens Pflicht erschien ihm bie Obhut über die Schwachen und Bedrängten. „Die Welt muß wissen," sprach er, „daß Preußen überall das Recht zu schützen bereit ist." Der Ehre des ganzen deutschen Volkes wollte er ein treuer Wächter sein. „Niemals," sprach er aus einer Reise in der Saargegend öffentlich, „werde ich zugeben, daß eine Scholle deutscher Erde dem Vciterlanbe verloren gehe."
Darum wollte er zunächst bas Heer vermehren unb umgestalten. Die unverheirateten jungen Männer sollten alle dienen, die Familienväter geschont werden. Als der Landtag die hiefür nötigen Geldmittel hartnäckig weigerte, ernannte er den als „reaktionären Junker" verschrieenen Otto von Bis-marck- SchöitHansen zu seinem Ministerpräsidenten. Bis- 1862 ntarck vollzog unbekümmert um den Widerspruch des Abgeordneten-Hauses die militärischen Reformgedanken seines Königs.
Das erwies sich bald segensreich für Preußen und Deutschland.
Schleswig und Holstein waren seit dem fünfzehnten Jahrhundert durch Personalunion mit Dänemark verbunden; unter sich bildeten sie ein unteilbares Ganze. Doch gehörte nur Holstein zum Deutschen Bunde. Gereizt durch die laut verkündete Absicht des Dänenkönigs, die Lande zu einem Bestand-
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leite seines Staates zu machen, erhob sich im Jahr 1848 das ganze Völktein wie ein Mann; Preußen sendete Hülse. Aber infolge der inneren Zerwürfnisse unseres Vaterlandes und der Mißgunst der Fremden wurden die Elbherzogtümer schmachvoll preisgegeben. Hochmütig höhnte das Jnselvolk:,, „Wenn vier Preußen gegen einen Dänen stehen, so ist die Übermacht auf dänischer ©eite." Es mißachtete Recht und Gesetz^und suchte die deutsche Sprache auszurotten, ohne daß eine Stimme laut werden durfte gegen diesen Druck. Im Widersprüche zur Verfassung wurde Schleswig dem Königreich einverleibt, Holstein mußte' demselben zinsen und steuern.
Deutschland war entrüstet. Durch alle Gaue scholl das ^ Lied: „Schleswig-Holstein, meerumschlungen!" Da starb mit
]/U König Friedrich VIEL die männliche Linie des dänischen Königs-
hauses ans; die weibliche, die mit Christian IX. den Thron bestieg, war in Schleswig-Holstein nicht erbberechtigt. Sächsisch-hannöverische Truppen besetzten aus Befehl des Bundestages Holstein; 60000 Preußen und Österreicher rückten in Schleswig 1864 ein, um die Herstellung des alten Rechtes zu erzwingen. Nach dem Plane des Generals Helmut v. Moltke, des Chefs des Großen Generalstabes, umgingen die Verbündeten das feste Danewerk südwärts der tochlei, und nach fünf Tagen voll blutiger Gefechte räumte das Dänenheer die starke Schanzeu-tette. Seine neue Stellung, die Düppeler (Schanzen^ erstürmten die Preußen unter des Königs Neffen, Prinz Friedrich Karl; der Pionier Klinke sprengte durch einen Pulversack, den er selbst anzündete, eine Palissadenschanze und zugleich sich selber in die Lust. Der König eilte ins Lager, den Düp-pelstürmern persönlich zu danken. „Das ist," sprach er zu ihnen, „die Frucht des guten Geistes, der wie allbekannt die ganze preußische Armee beseelt und gewiß nie in derselben erlöschen wird."
Aus ihren Inseln glaubten sich die Dänen unangreifbar. Friedrich Karl zerstörte diesen Wahn. In stiller Nacht fuhren auf hinderten von Kähnen Brandenburger und Westfalen auf die Insel Atsen und erstiegen mit fröhlichem Hurra die Schanzen an der Küste. Binnen vier Stunden war alles vorbei- nach zwei Tagen stand kein dänischer Mann mehr aus der ^nset; aber 2000 Gefangene und über 100 Kanonen waren zurückgeblieben. Auf dem Skager Felsen ward angesichts eines dänischen Kriegsschiffes die preußische ultd die österreichische Fahne ausgepflanzt. So tief in den Norden waren die deutschen Waffen noch nie gedrungen.
Die Halsstarrigkeit der Dänen war gebrochen. Dem einigen
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Deutschland fiel feine Großmacht in den aufgehobenen Arm! Dänemark erhielt auf feine Bitten den Frieden zu Wien Lchleswig-Holstein, „np ewig ungedeelt", kam „los von Dänemark . Von der E'lbe bis zur Königsan waltete wieder beutscbe Sprache, deutsche Predigt, deutsche Schule. Ein alter Schimpf war getilgt vom deutschen Namen.
König Wilhelm aber sprach zu seinem Heere: „Somit hat sich die neue Organisation, welche Ich der Armee gegeben Babe, glanzend bewährt. Zn Stolz und Freude blicke Ich auf Meine ruhmreiche gesamte Kriegsmacht."
8. Der Deutsche Krieg 1866.
König Wilhelm war mit seinem Minister einig in dem Entschlüsse, die vorwiegend mit preußischem Gut und Blut eroberten Elbherzogtümer seinem Lande einzuverleiben (zu „annektieren ), sie zu einein Bollwerke gegen Dänemarks Rachsucht zu machen und zu einer Stütze seiner aufstrebenden Seemacht. Die Abrechnung mit Österreich bot zugleich den Anlaß, ein neues Deutschland zu schaffen unter Preußens Leitung, wie es schon das Frankfurter Parlament begehrt hatte. Durch Österreichs Widerstreben ließ sich Bismarck so wenig hemmen wie durch das Toben der Presse. Ich werde dereinst," sagte er, „der populärste Mann Deutschlands sein." Mit schmerzlichem Seelenkampfe jedoch schritt der greise König zum Kriege gegen das von Kind auf geschätzte Österreich, gegen seinen geliebten Neffen Franz ^oseph. Aber die Pflicht überwog bei ihm wie immer. Die treue Mahnung des Großherzogs Friedrich von Baden vermochte die Mittel- und Kleinstaaten nicht zur Neutralität zu bewegen; der Bundestag verfügte am 10. Juni auf Österreichs Antrag die Bundes - Exekution gegen Preußen und dieses antwortete mit der Erklärung seines Austrittes aus dem Deutschen Bunde.
sofort marschierten die Preußen in Sachsen, Kurhesfen, Hannover ein, nachdem die dortigen Höfe König Wilhelms Bündnis abgelehnt hatten. In drei Tagen waren drei der mächtigsten Staaten besetzt. Der blinde König Georg V. von Hannover gedachte mit feinen mangelhaft ausgerüsteten Truppen zu den Bayern zu stoßen. _ Die Leine hinauf, die Unstrut hinunter marschierend, geriet fein Heer zwischen die Preußen; es mußte »ach dem blutigen Gefechte bei Sanaenfaha bie Watten strecken unb sich auflösen.
Nicht viel besser ging es trotz aller Tapferkeit ben Italienern, bie sich mit Preußen »erbünbet hatten.
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Am Tage nach ihrem Einmarsch in das Festnngs-Viereck, welches aus Peschiera und Mantua ant Mincio, Verona und Legnago an der Etsch bestand, sprengte sie Erzherzog Albrecht, der Sohn des Siegers von Aspern, mit 80 000 Österreichern 24*3"nibei Custozza auseinander, auf dem Siegesfelde seines Lehr-J86G meisters Radetzky.
Die Entscheidung mußte in Böhmen fallen. Die österreichische Armee befehligte Feldzeugmeister B en ed ek. Ehe er gegen Schlesien oder Sachsen vorzubrechen vermochte, stiege» als Centrum und rechter Flügel der Preußen Prinz Friedrich Karl mit der Ersten und General Herwarth von Bitten-seld mit der Elb-Armee vom Grenzgebirge herab und drängten die Österreicher und Sachsen in blutigen Kämpfen über die Isar und aus Gitschin hinaus bis unter die Kanonen von Königgrätz. Gleichzeitig überschritt Kronprinz Friedrich Wilhelm mit der Zweiten Armee das Riesengebirge; bei Nachod und Trantenau, bei Skalitz und Burkersdorf erlag die österreichische Tapferkeit der guten Schulung und Führung der Preußen und dem Schnellfeuer ihres Zündnadelgewehres.
Am 30. Juni war die Verbindung beider Heeresmassen gesichert. König Wilhelm übernahm zu Gitschin persönlich den Oberbefehl. Benedek stellte sein zerrüttetes Heer auf den Höhen westlich von Königgrätz zur Schlacht aus in furchtbarer Stellung, 220000 Mann mit 770 Geschützen. Tief in der Nacht am 2. Juli erfuhr man dies im preußischen Hauptquartiere, und der König ordnete für de» folgenden Morgen die Schlacht an. Auf zwei verschiedenen Wegen flogen um Mitternacht Boten nordostwärts zum Kronprinzen, den Befehl zum Vormärsche zu überbringen.
3. Juli Morgens 2 Uhr begann die Erste Armee unter strömendem Regen, sich ans grundlosen Wegen oder durch mannshohes nasses Getreide vorwärts zu arbeiten. Um 6 Uhr war bei Sadowa der Bistritz-Bach erreicht, der vor der feindlichen Stellung nach Süden zur Elbe floß. Um Vz8 Uhr erschien der König nach dreistündiger Fahrt; eine feindliche Batterie begrüßte ihn mit Granaten. Sofort erteilte er den Befehl zum Angriff. Es galt den Feind festzuhalten, bis der Kronprinz eintraf. Da prasselte denn ans Hunderten feindlicher Feuerschlünde ein Granatenhagel nieder, gegen' welchen weder Bäume noch Hütten Schutz gewährten. Hier legten die Thüringer und Pommern die schwerste Probe männlichen Mntes ab, stilleznhalten zwischen dem rechts und links niederzischenden Tode! Im Norden aber, auf dem linken Flügel, kämpfte General v. Franse cky mit seinen anstelligen Altmärfern und Thüringern einen
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seist beispiellosen Kampf um die Felsbastionen des Swiep-Waldes. Mit einer Division machte er zwei Armeekorps, 38 Bataillone, nahem kampfunfähig, dieselben, welche Benedek für die Abwehr des Kronprinzen aufsparen wollte. „Kinder, hier müssen wir stehen oder sterben!", rief der General, und die Musketiere antworteten: „Keine Sorge, Excellenz! wir stehen oder sterben." Endlich erscholl der Ruf: „Der Kronprinz kommt, der Kronprinz ist da!"
Trotz Regens und schlechter Wege traf die Zweite Armee ein, wie es Moltke berechnet hatte. Mit blankem Degen wies der Kronprinz anf eine Batterie, die unter zwei weithin sichtbaren uralten Linden von dem Berge von Horscheniowes herunter Feuer spie. Alle Ermüdung war vergessen. Die Batterie ward genommen und nach gewaltigem Kampf auch der Schlüssel der österreichischen Stellung, die Höhe von Eh ln m. Im Augenblicke des Sieges, mit dem Freudenruf auf den Lippen: „Nun wird ja alles gut!" starb General Hiller v. Gärtringen den schönsten Heldentod.
Jetzt drangen auch Friedrich Karl und Herwarth siegreich vor. In Front und Flanke gefaßt, stand Benedek in Gefahr, abgeschnitten zu werden mit seinem ganzen Heere. Noch leisteten die Österreicher mutigen Widerstand, aber mit immer gräßlicheren Verlusten. Von 20000 Mann, die er zu einem letzten Schlage gesammelt, verlor Graf Gondrecourt 10000 in einer Viertelstunde ! In großartigem Vorstoße suchte die Reiterei den Rückzug zu decken, bis sie in wilder Flucht das eigene Fußvolk niederritt. Am längsten hielt die österreichische Artillerie stand, die sich mich hier mit Ruhm bedeckt hatte; als Kaiser Wilhelm Über die Walstatt ritt, schlugen die Granaten noch neben ihm ein; gewaltsam entfernte Bismarck feinen Herrn aus der Gefahr.
70000 Preußen waren gar nicht ins Gefecht gekommen; fünf Armeecorps hatten acht feindliche geschlagen.
Moltke hatte dies alles schon am Morgen gewußt. „Ew. Majestät werden heute nicht nur die Schlacht, sondern den Feldzug gewinnen!" sagte er. Bismarck aber sprach am Abend: „Die Streitfrage ist also entschieden; jetzt gilt es, die alte Freundschaft mit Österreich wieder zu gewinnen." In der größten„Schlacht des Jahrhunderts war die Zukunft Deutschlands, Österreichs und Italiens entschieden worden.
Unaufhaltsam vordringend, verlegten die Preußen dem unglücklichen Benedek den Weg nach Wien. Er mußte von der March ostwärts ausbiegen nach den Kleinen Karpaten. Dort bei Blumen an nahe bei Preßburg wurde das letzte Gefecht dieses dreißigtägigen Krieges unterbrochen durch einen Waffenöl «
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stillstand, den Österreich erbat, als die preußischen Marschsäulen bereits die Spitze des Stephansturmes im Gesichte hatten.
Die Verhandlungen über einen vorläufigen (Präliminar-) Frieden führte Bismarck auf Schloß Nikols bürg an der Südgrenze Mährens zu Ende, ehe fremde Mächte dreinreden konnten. Österreich schied aus dem Deutschen Reich aus und trat Venetien an Italien ab. Heute ist Österreich mächtiger als je und im Dr ei Kunde mit Deutschland und Italien ein Hort des europäischen Friedens.
Dieser Friede, der dann zn^Prag endgültig festgesetzt wurde, besiegelte auch den Feldzug in Lüddentfchland.
In rühmlichen Gefechten bei Kifsingen erlagen die Bayern, gleich nachher die Hessen im Spessart dem kühnen General Göben von der „Mainarmee". Am 16. Juli konnte der preußische Feldherr, General Vogel von Falckenstein, dem Könige melden: „Alles Land nördlich des Maines liegt zu den Füßen Ew. Majestät." Sein Nachfolger General v. Man-tenffel verfolgte die Bundestruppen durch den Odenwald in deir Taubergrund. An demselben Tage schlug er die Badener bei Werbach, die Württemberger und Nassauer bei BischofSheini. Die Friedenskunde beendete diesen peinlichen Krieg, den ersten und letzten, welchen der Bundestag zu führen gehabt hat.
Siegreich auf allen Kriegsschauplätzen zog König Wilhelm am 4. August unter dem grenzenlosen Jubel der Bevölkerung in Berlin ein. Als er am folgenden Tag, einem Sonntag, um s. Zug. die Mittagsstunde im Weißen Saale seines Schlosses den Landtag eröffnete und nach frommem Danke gegen Gottes gnädige Führung einen Ausgleich ankündigte mit der Volksvertretung, die seine Reformen so lange bekämpft hatte, da unterbrach eilt brausender Sturm begeisterte» Beifalles die Thronrede. Ein solcher König und ein solches Volk: wo war ein Feind stark genug, sie zu überwinden? Mit den Staaten nördlich des Maines ward alsbald der Norddeutsche Bund geschlossen, dessen Kriegsherr der König war. Schleswig-Holstein, Hannover, Hessen-Nassau mit Frankfurt a. M. wurden preußische Provinzen. Die süddeutschen Staaten, welche Napoleon III. heimlich als neuen Rheinbund an Frankreich zu ketten hoffte, verblieben im Zollverein und erlangten bei den Friedensverhandlungen in Berlin ein geheimes Schutz- und Trutzbündnis. Nur der Abschluß mit Bayern ward erschwert, weil König Wilhelm den Landstrich bis zum Maine verlangte. Endlich lud Bismarck den bayerischen Minister v. d. Pfordten zu sich und vertraute ihm, wie Frankreich während der Nikolsbnrger
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Verhandlungen Rheinbayern und Rheinhessen gefordert und Preußen dies abgeschlagen auf die Gefahr eines Krieges hin. „Seid ihr nun bereit," fragte er den erstaunten Kollegen, „im Kampse gegen auswärtige Feinde fest und treu mit Preußen zusammenzustehen , der Deutsche mit dem Deutschen?" Da fiel ihm Psordten in die Arme, und der junge König Ludwig II. bot in einem Handschreiben dem König Wilhelm die ehrwürdige Burg der Hohenzollern zu Nürnberg an zu gemeinsamem Besitze: „Wenn von den Zinnen dieser gemeinschaftlichen Ahnenburg die Banner von Hohenzollern und Wittelsbach vereinigt wehen, möge darin ein Symbol erkannt werden, daß Preußen und Bayern einträchtig über Deutschlands Zukunft wachen, welche die Vorsehung durch Ew. Königliche Majestät in neue Bahnen gelenkt hat."
Lüd und Nord waren einig. Aus dem Zollbnnd mußte in kurzer Zeit ein Vollbund werden.
9. Die Wacht am Rhein.
Der Gründung des neuen Reiches war auch Frankreich feindselig; denn es erblickte seit Jahrhunderten sein Heil in Deutschlands Zerrissenheit. Die Kunde von Königgrätz erweckte daher Erbitterung gegen Napoleon, weil er den Aufschwung Preußens nicht gehindert. Um die Aufregung zu beschwichtigen, forderte dieser in Berlin eine „Entschädigung" am Rheine; „Mainz oder der Krieg!" sagte der Botschafter Benedetti am 6. August 1866 zu Bismarck. „Gut, also Krieg!" lautete die gelassene Antwort; und der König entschied: „Keinen Zoll breit deutschen Landes".
Napoleon hatte damals die Republik Mexico augegriffen und den Bruder des Kaisers von Österreich, Erzherzog Maximilian, zum Kaiser des halb eroberten Landes erhoben, gab ihn aber preis, als die wiedergeeinte Union „Amerika für die Amerikaner" beanspruchte. Der arme Habsburger wurde standrechtlich j867 erschossen.
Zu einem großen Kriege nicht gerüstet. vertagte daher Frankreich die „Rache für Sadowa". Da wählten die Spanier den Erbprinzen Leopold von Hohenzollern zum König. Die angebliche Besorgnis, das ' Weltreich Karls V. werde wieder erstehen, bot dem kriegslustigen Paris den Vorwand zu wüstem Kriegs-Getöse. Als darauf Leopold auf die Krone verzichtete, schickten die französischen Machthaber an Benedetti telegraphischen Befehl, von dem König Wilhelm in Ems eine schriftliche Versicherung zu verlangen, daß er die
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Kandidatur eines „preußischen Prinzen" nie zulassen werde.
Ruhig, aber fest wies der königliche Greis die Zumutung ab.
Die kaiserlichen Minister wollten darin eine Beschimpfung Frankreichs erblicken. Das Kriegsgeschrei: „Nach Berlin!" übertönte die Stimme besonnener Warner.
Der Krieg nm den Rhein sand Deutschland einig, wie es ^
Bismarck schon vor sechs Zahren vorausgesagt. Die „Wacht am Rhein" erklang von den Alpen bis zum Meere. Fürsten und Völker scharten sich voll hohen Vertrauens zu Gott, „dessen Gericht den Frevler straft", um den beleidigten König, der selbst den Oberbefehl übernahm über das deutsche „Volk in Waffen", öffentlich gelobend, er wolle „dem deutschen Volke Treue um Treue entgegenbringen und unwandelbar halten".
Wieder eilten Jünglinge und Männer freiwillig unter die Fahnen, selbst aus fernen Erdteilen. Unter der Leitung der erhabenen Kaiserin und ihrer ebeln Tochter wibmeteu sich bie deutschen Frauen unb Mädchen unter dem Schutze des „Roten Kreuzes" den Kranken uud Verwundeten.
19. Juu Am 19. Juli, dem Todestage seiner Mutter, erneute König Wilhelm den Orden des Eisernen Kreuzes. Lange weilte er in Charlottenbnrg an den Grüften seiner Eltern. In derselben Stunde ward iu Berlin die verantwortungsvolle Kriegserklärung Frankreichs mit der entschlossenen Begeisterung.eines Volkes aufgenommen, das „sein Alles freudig setzt an seine Ehre".
Mit unbeschreiblichem Jubel wurde Kronprinz Friedrich Wilhelm, „die glänzendste Heldengestalt, welche je unter einem deutschen Helme geschritten ist", in Süddeutschland empfangen, dessen Truppen seinem Befehl in der Dritten Armee zugewiesen waren.
Sobald nach Moltkes lang erwogenen Plänen der Aufmarsch vollendet war, brach „unser Fritz" über die Lauter ins Elsaß vor. Er schlug mit seinen Preußen und Bayern den Marschall Mac Mahon bei Weißenburg, worauf Bahnzüge voll gefangener Turkos den „militärischen Spaziergang nach Berlin" eröffneten.
6.Aug. Zwei Tage später errang er den großen Sieg bei Wörth;
1870 ju derselben Stunde erklommen in nicht minder todesmutigem Ansturm brandenburgische, rheinländische, hannoverische Regimenter und hohenzollerische Füsiliere der Ersten und Zweiten Armee die steilen Spicherer Höhen bei Saarbrücken. Der Wahn der Unbesiegbarkeit der Franzosen verflog wie Nebel vor der aufgehende» Sonne.
Die Thore Frankreichs waren gesprengt. Die Franzosen begannen „sich rückwärts zu concentrieren", nach Paris; Mac
i
Mahon über CHZ-lons, Marschall Bazai ne, welchem der uii .fähige Kaiser seine „Rheinarmee" anvertraute, über Metz. Aber im Norden dieser Festung verlegte ihm am 14. August General v. Steinmetz bei Colombey-Nouilly mit den Ostpreußen ».Aug. und Westfalen seiner Ersten Armee den Weg, im Süden trat ihm am 16. die Zweite Armee entgegen; fünf Stunden i6.äug. hielt sich das dritte Armeekorps gegen die ganze Rheinarmee (Brandenburg gegen Frankreich!), bis magdeburgische Kürassiere und Altmärker Ulanen Hülse brachten; in grausem Todesritte nahmen sie mehrere Batterien und sprengten französische Kürassiere auseinander, die ihnen in die Flanke sielen. Mit gleicher Todesverachtung fochten schleswig-holsteinische Dragoner gegeu französische Garde zu Pferde. Als Oberst v. Auerswald, seinen Garde-Dragonern vorauseilend, in die Brust geschossen ward, übergab er einem Rittmeister in dienstlicher Form das Kommando, brachte ein Hoch auf de» König aus und ritt zurück, um zu sterben. Erst daS Eintreffen des Feldherrn selbst, des Prinzen Friedrich Karl, entschied diese furchtbare Schlacht bei Mars-l a - T o u r.
Unter des Königs eigener Leitung tobte am 18. die letzte ls.siug. blutigste Schlacht in weitem Bogen westwärts der Festung, bei Gravelotte, bis die Sachsen, von der Garde unterstützt, unter . ihrem Kronprinzen im Norden das Dorf St. Privat nahmen und im Süden General, v. Frausecky uach fünf Meilen langem Marsche sein pommerisches Corps zur Entscheidung heranführte; Moltke selbst ging mit gezücktem Degen voran zum siegreichen' Sturme gegeu die Höhen von Gravelotte. Mit Mühe fand man für den königlichen Sieger, der wieder im Granatenfeuer gestanden hatte, ein Stübchen zur Nachtruhe.
Die Hauptmasse der Ersten und Zweiten Armee hielt nun unter dem „Roten Prinzen" Frankreichs größtes Heer in Metz wie ein eiserner Reif umschlossen. Eisenbahn und Telegraph zogen sich int Kreise um die Festung, sodaß bei jedem der zahlreichen Ausfälle sofort Hülfe erbeten und geschickt werden konnte.
Die Dritte Armee aber trat mit einer neugebildeten Vierten unter dem Kronprinzen Albert von Sachsen den Vormarsch nach Paris an. Da brachten die verwegenen Ulanen die überraschende Kunde, 'Mac Mahon ziehe hinter den Ar-gönnen nordwärts, offenbar um Bazaiue zu entsetzen. Kühn und schlagfertig wie immer, ergriff das Große Hauptquartier seine Maßregeln. Die beiden Kronprinzen zogen, rechts abschwenkend, bald im Regen bald im weißen Kalkstaub unaufhaltsam den „französischen Thermopylen" zu. Prinz Albert erreichte die Maasübergänge vor den Franzosen. Dem flnß-
1. Sept.
1870
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abwärts weichenden Feinde schoben sich, rechts und links des Flusses, beide Heere nach, zwischen inne die beiden bayerischen Armeecorps: eine Zange, welche Mac Mahon den Weg nach Metz wie nach Paris in immer engerer Umschließung sperrte. Da nahm er ostwärts der kleinen Festung Sedan seine Stellung zur letzten Schlacht, mit beiden Flügeln an die Maas sich lehnend. Aber schon in der Nacht und im Morgengrauen des 1. September schlangen im Norden die Preußen mit Württembergern, Thüringern, Hessen, im Osten die Sachsen, im Süden die Bayern um ihn den ehernen Ring, welchen der Sieg der Bayern in dem gräßlichen Straßenkampf umBazailles und ber Stm'm ber Hessen unb Nassauer aus ben Kalvarienberg von Jlly unzerbrechlich zusammenschweißte. Verzweifelte Anläufe ber feinblichen Reiterei würben unerschrocken zurückgeschlagen. Um 4 Uhr mußten bie Franzosen nach Seban zurück. Das rasenbe Gebränge auf ben Brücken und unter den Thoren erinnerte an den Übergang über bie Beresina. Eben wollten bayerische Jäger bie Wälle ersteigen, ba erschien bie weiße Fahne.
Von seinen Palabiiten umgeben, bem Kronprinzen, Moltke, Bismarck, betten er zum Danke für ihre Mitwirkung feuchten Auges bie Hand reichte, empfing der König von dem französischen General Reiße ein Schreiben Napoleons, der bei Mac Mahon war: „N’ayant pas pu inourir au milieu de raes troupes, il ne me reste qu’ä remettre mon epee entre les mains de Votre Majeste.“ Auf der Säbeltasche eines Husarenlieutenants schrieb der König die Antwort, in welcher die Tapferkeit der französischen Truppen Anerkennung fand.
Wie ein Blitz flog die Botschaft durchs Heer: „Napoleon gefangen mit 100000 Mann!" Als König Wilhelm im Feuerscheine ber in Braub geschossenen Dörfer in sein Quartier ritt, brängten sich bie Soldaten heran in grenzenloser Freude; sie hatten Kerzcheu im Gewehrlaufe stecken, die leuchteten wie ant Weihitachtdbaum, und weithin klang durch die Nacht: „Nun danket alle Gott mit Herzeit, Mund und Händen!"
Das war die Gebnrtsstunde des Deutschen Reiches.
Und durch Allbeutschlanb ging das Jauchzen: „Der Herr hat Großes an uns gethan; Ehre sei Gott in der Höhe!" — Allüberall staub ber Entschluß fest: „Wir wollen sein ein einzig Volk von Brübern" — bis ans ($nbe ber Tage. —
In Paris warb unter beut Ginbrucke bes Tages von Seban bie Republik ausgerufen. Die neue Regierung erklärte: „keinen Zoll unseres Gebietes, keinen Stein unserer Festungen!" Einstweilen zogen bie Deutschen an ber Aisue unb Marne abwärts, Paris zu bezwingen. Eine schwere Ausgabe! Hinter fünfzehn
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abgesonderten Forts lag ein Ringwall mit 94 Bastionen; ber Gouverneur, General Trochn, verfügte über 300000 Mann National- und Mobilgarden. Die Vierte Armee spannte sich nordöstlich, die Dritte westlich und südlich von der Marne ■ bis zur Seine. Alle Ausfälle wurden ruhmvoll, leider auch
^ mit teuern Opfern zurückgeschlagen. Der Riesenstadt wurde die
Zufuhr abgeschnitten; das Gas erlosch wegen Kohlenmangels. Pferdefleisch wurde teuer; die Elefanten unb Kamele des Jardin des Plantes kamen ans Messer und anderes noch ungebräuchlicheres Wilbbret.
Allmählich rückten bie Entsatzheere heran, welche ber neue Minister bes Innern, ber „Diktator" Gambetta in wahnwitzigem Eifer ans bem Boben stampfte. Auch ans Rom würbe bie seitherige Besatzung abgerufen; alsbalb rückten bie Italiener ein; im Quiriual-Palaste nahm ihr König seinen Wohnsitz.
Zur rechten Zeit siel Metz. Tag unb Nacht staub die Hälfte ber Belagerungstruppen gefechtsbereit, die Infanterie mit dem Gewehr in der Hand, bie Reitei' neben ben gesattelten Pferben. Um das Dorf Noisseville, bnrch besten Wegnahme bie Franzosen am 31. August einen Durchgang zu Mac Mahon öffnen wollten, stritt preußische Linie, sowie die niederschlesische unb posensche Laubwehr ber Division Kummer mit Kolben i.@tpt. unb Bajonett Tag unb Nacht, bis bie Lücke sich wieder schloß.
Durch die Ausfälle wurde die Lage Bazaines immer verzweifelter.
Am 27. Oktober ergab sich die Stadt und die „Rhein- 27-D,t-slrmee": 173000 Mann mit 3 Marschällen, dazu 66 Mitrail-leusen und zahllose Feld- und Festuugsgeschütze. Am 29. hielt die Division Kummer ihren Einzug in die vor drei Jahrhunderten verlorene deutsche Stadt.
Nun führte Friedrich Karl feine Truppen und die des Großherzogs Friedrich Franz von Mecklenburg gegen die Loire-Armee, die Paris entsetzen wollte. Orleans hatten die bayerischen Helden räumen müssen; jetzt ward es zurückerobert, die Loire-Armee und ebenso im Januar bei Le Man6 die West-■ Armee zersprengt. Die letzte Hoffnung der Pariser scheiterte
mit der Nordarmee, welche Manteuffel bei Amiens, Göben bei St. Quentin besiegte.
Einen Monat früher als Metz, genau 189 Jahre nach dem 28. Scp>. Einzug Lnbwigs XIV., ergab sich Straßburg bem General Werber. Aus dein Rhein tauchte das Kurpriuzenschwert wieder empor, welches der große Kurfürst nach dem Tode seines Lieblingssohnes in Straßburg ingrimmig in die Flut versenkt hatte. Als Werder auch Belfort belagerte, den Schlüssel zu
I
— 330 —
Burgund, zog General Bourbaki heran, mit 15O OOO Mann, meist abenteuernden Prahlhänsen verschiedener Länder, um im Rücken der deutschen Heersäulen durchzubrechen gegen den Oberrhein. Nach glänzendem Gefechte bei Nuits am 18. Dezember mußten die Badener weichen. Aber an der Lisaine, die bei i-.-i7.Jan. Mömpelgard dem Doubs zufließt, hielt Werder in drei-1871 tägigem Heldenkampfe stand gegen vierfache Übermacht. Auf
feinen Zuspruch erwiderten die badischen Soldaten uud die ostpreußische Landwehr: „Wir lassen keinen durch!" Das Wort wurde treu gehalten trotz mörderischer Verluste uud grimmiger Winterkälte. General Manteuffel, der mit neuen Truppen heranflog, drängte die geschlagene Armee auf Schweizer Boden, ( wo sie entwaffnet wurde.
'imaa.'SwHyJi Auch Paris mußte die Waffen strecken nach einer Reihe von Ausfällen, bei deren Abwehr namentlich die Garden bei Le Bourget im Norden und die Württemberger bei Eham-pigny im Süden blutige Lorbeeren ernteten. Die Forts wurden den Deutschen übergeben, die Besatzung blieb kriegsgesaugen in der Stadt, in welche 30 000 Deutsche ihren Einzug hielten.
Im deutschen Hauptquartier zu Versailles schloß Thiers, das Oberhaupt der Republik, den vorläufigen Frieden, welcher dann zu Frankfurt bestätigt wurde. Das Elsaß samt einem Teile Lothringens mit Metz wurde ein deutsches Vorland zum Schutze gegen weitere Eroberungsgelüste Frankreichs. Fünf Milliarden Franken mußten als Entschädigung für die Kriegskosten bezahlt werden. So büßte Frankreich für die leichtfertige Gewissenlosigkeit seiner Lenker!
Für die vergossenen Ströme teuern Blutes aber brachte das deutsche Heer noch eilten köstlicheren Preis heim als Elsaß-Lothringen mit all seinen blonden Köpfen uud blauen Angen. i8.3aii. Am 18. Januar 1871 wurde König Wilhelm I. der Siegreiche 1871 in Versailles im prunkenden Spiegelsaale Ludwigs XIV. in Gegenwart der meisten deutschen Fürsten zum Kaiser ausgerufen. Großherzog Friedrich von Baden, von jeher einer der eifrigsten, opferwilligsten Vorkämpfer deutscher Einheit, hatte die Herzensfreude, auf den ersten Kaiser des neuen Reiches das erste Hoch auszubringen.
Kaiser Wilhelm verließ den Boden Frankreichs mit Worten warmen und wohlverdienten Dankes an seine Soldaten „für-alles, was Ihr in diesem Kriege durch Tapferkeit und Ausdauer geleistet habt". In allen Schrecken des Krieges hatten sie sich eines gesitteten Volkes würdig gehalten, versöhnlich gegen die unschuldigen Eingeborenen des feindlichen Landes, menschlich und hilfsbereit gegen feindliche Verwundete und Gefangene. —
— 331 —
Ein Krieg voll unvergleichlicher Ruhmesthaten, zu welchen alle deutschen Stämme ihr redlich Teil beigetragen, hat Deutschland wieder zum Mittelpunkte, zum Herzen Europas gemacht. Aber es ist und will sein ein Hort des Friedens und der Gerechtigkeit für alle Lande. Voll Ehrfurcht blickte die ganze Welt empor zu dem großen Kaiser Wilhelm I-, der in treuer Arbeit sein Reich immer fester zusammenfügte. Als er im 92. Lebensjahre starb, da trauerte die ganze Erde: vom eisernen Kanzler, welchem Thränen die Stimme erstickten, als er dem Reichstag die Trauerbotschaft mitteilte, bis in die Blockhütte im fernen Amerika oder im Innern Afrikas. Unterbeut Mitgefühl ber Menschheit sank schon nach 99 Tagen der _ Regierung sein herrlicher teohit Kaiser Friedrich ins Grab.
Mit der hingebenden Treue und nimmermüden Thatkraft, welche seine Vorfahren unsterblich gemacht hat, waltet unser junger Kaiser Wilhelm II. seines verantwortungsvollen Amtes. In echtem Zollernsinne sucht er den Armen den Schutz des Gesetzes und ein sorgenfreies Alter zu sichern. Unablässig ist er bemüht, im Bunde mit Österreich und Italien die Schrecken eines neuen Krieges fernzuhalten und zu ^diesem Zwecke seinen Deutschen das beste Heer, die besten Schulen zu schaffen. Möge Gottes Segen ruhen auf dem edein Streben des kaiserlichen Herrn und unserem geliebten Vaterland einen ehrenvollen Frieden erhalten und innere Eintracht!
Kaiser-Tafel.
KlciWeiiige dürsten.
V Die Karolinger
2. Die Lachsen
(Pippin der Kurze 751—708) Lltirl der Kroße 7gs-8m Ludwig der fromme — 840
Ludwig II. bcr Deutsche —876 (Karl II. der Kahle —577)
(Karlmann) Karl III. der Diese — 887
I
Arnulf von Kärnten — 899 I
Ludwig III. das Kind — 911 Konrad I. 911—918
Heinrich I. 919—930__________
Otto l. der Kroße -973 (Heinrich von Bayern) (Ciubgarb Otto II. — 983 (Heinrich ber Zänker)
. verm. mit I
I Konrab dem Roten) CDtto III. — ioo2 Heinrich II. der heilige
Alfreb bcr Große in (Eitglatib 871—901
3. Die Salier
Nonrsd H. 1024-39
I
Heinrich HI. — ioqg
I
Heinrich IV. - noo
Heinrich V. (Agnes ^Friedrich von Büren od. Waiblingen)
- 1125
Lothar v. Sachsen •
— 1137
(Friedrich) $t011Mb III 1137-52
I
^rtcörti I. der Rotbart —noo (Heinrich der «me)
Kanub der Große
Wilhelm der Eroberer in England '(UHIands Cnillcfer)
iZrrgor VII. der Große 1073—1085
t{. Die Hohenstaufen
Heinrich VI Philipp v.Schwaben
1190—97 1198—1208
OttO IV. 1198—12U
Friedrich II. 1215-1250
I
Aonrad IV. 1250—1254 !
(MonmMit)
f 1218
Vticljarb "‘v Xälucnl|ct5
Heinrich II. Plantagenet
(Uhlands Srrtrim de Born)
Johann
Ghneland
kndwig IX. der heilige " f 1270
5. Verschiedene Häuser
( Rudolf I. 1273-1291
Adolf von Nassau
■ 1298
11 Albrecht I. - i3os
J2 t « I
I (Friedrich d. Schöne)
Heinrich VII. —1313
Ludwig IV. 11347
1330 s> 1 üiari IV. 1340—78
4p
:S
Wenzel —1400
(Ruprecht v. d. Pfalz) ] 9 — 1410
Karl VII. von Frankreich (Sctjilkrs Jungfrau von (Drlrtms)
k SigiMund^-1437 Albrecht H3f—1139
*ki,f ™-
.Maximilian I — 1519 + IlMM- Papst Julius II.
Papst Leo X.
(Philipp der Schöne)^ ivmA fa S*Wnwv^ j
6. Die Habsburger
1 - irr .Maximilian II. — 1S7S (Karl von Steiermark)
lrarl V. - isöo Ferdinand 1. - iöo4 + Ö L|l&e|,einciYfef
^'11 £jeinrich II. Elisabeth —1803
(Spanien)
i Rudolf II.
'Dpx ' ! Cl —1012
iSfaMu)
Mathias —1019
Franz II. Karl IX. Heinrich III. (Maria Stuart) —1589
Heinrich IV. Wonrüon —1010
M)PX O<m0 (jfcMJtttfj
Zollcrn-Lchl.
Johann Sigismund 1003—19 Georg Wilhelm — 1640
1012
— 1619
-lülO
der Große — 1688
Friedrich III. = König Friedrich I
Ferdinand II. —1037 Ferdinand III, -1027
Leopold I. 1658—1705
1688—1701
1701—1713 1740
Joseph I. — i7ii Karl VI. — 1740 Friedrich Wilhelm I. —mo Karl VII. von Bayern 1742—45
Friedrich II. der Große (August Wilhelm) Franz 1.5tephan^,Maria (Lheresia
I — 1765 — 1780 \
— 1786 I — , J cn<
Friedrich Wilhelm »
| — 1797
Friedrich Wilhelm HI-
— 1840
Joseph II Leopold II.
| — 1790 — 1792
Franz II. —1800
Kaiser v. ©ftcrreid; 1804—35
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Ludwig XIV. Karl II. (England) i“1715 Wilhelm III.-1702 — petcr d. Große
—1725 tRußland)
Ludwig XV.—1774
I
Zarin Katharina II.
1762-1796
Ludwig XVI.
Friedrich Wilhelm IV. Wilhelm I = Kaiser Wil!
f 1861 — 1888
Friedrich Hl. ms
«iBayoIcou i.
1804-15 Ludwig XVIII. Karl X.
Ludwig Philipp (©rl«ms) 1830-1848
' Viktoria
ITTT Don England
. Franz Joseph I. Napoleon III. feit 1837
"1848* ' 1852-1870
Viktor (Emanuel otöiien)
Wilhelm II.
Kunibert seit 1878
papst Leo XIII. sti, 1878
— 338 -
mm ^ Ingalies.
Seite
Erster Teil. Geschichte des Altertums.....................................3—112
Erster Abschnitt. Die Griechen........................................3—68
I. Götter und Helden.......................................3—13
1. Götter und Götter söhne..................................... 3
2. Die Argonauten ............................................. 6
3. Der Troertrieg. Hektor...................................... 8
4. Odysseus................................................... 10
5. Die Tantaliden............................................. 13
II. Die Ionier und die Dorier................................14—22
1. Die Dorische Wanderung..................................... 14
2. Lylurgos der Gesetzgeber Spartas........................... 15
3. Solou und seine Gesetzgebung............................... 18
4. Die Tyrannen. Peifistratos................................. 20
III. Die Held enzeit der Perserkriege............................22—36
1. König Krösos und die jonischen Kolonien ... 22
2. Kyroö der Perser . . . '........................... 24
3. Kambyses in Ägypten ....................................... 25
4. Dareios und die Skythen.................................... 28
5. Athos und Marathon .............................. 30
6. Xerxes und Leouidas...................................... 31
7. Themistokles und die Seeschlacht bei Salamis . . 33
8. Platää und Mykale.......................................... 35
IV. Der Peloponnesische Krieg................................36—52
1. Peritles und die Glanzzeit Athens.......................... 36
2. Der Ausbruch des Kriege«................................... 39
3. Alkibiades der Unstern Athens.............................. 41
4. Sokrates der Philosoph..................................... 44
5. KyroS und lenophon......................................... 48
6. AgesilaoS und der Friede des AntalkidaS ... 50
V. Das makedonische Weltreich................................52—68
1. ypameinondas............................................... 52
2. Philippos und Demosthenes.................................. 53
3. Der junge Alexander........................................ 56
-1. Vom Strymou bis in die Sahara............................. 58
5. Da« Ende des Perserreiches...........................• 61
6. Der Herr der Welt.......................................... 64
7. Demosthenes' Ausgang und der Diadocheii-Krieg . 67
— 339 -
Zweiter Abschnitt. Die Römer................................69-
I. Die Könige von Rom.................................69
1. Romulus.........................................
2. Die Horatier und Curiatier .....................
3. Servius Tullius. Der Sturz des Königtums
II. Die Entwicklung der Republik.......................73
1. Porsena.........................................
2. Das VolkStribunat. Der Kampf der Stände . .
3. Die Gesetzgebung der zwölf Tafeln. Virginia. .
4. Veji und die Gallier............................
III. DaS Zeitalter des römischen Heldentums .79
1. Die Samnitenkriege..............................
2. König Pyrrhus von Epirns........................
3. Die Karthager und der Kampf um Sizilien . .
4. Hannibal und der Kampf um die Weltherrschaft.
5. Die letzten Schicksale Hannibals und Karthagos .
IV. Die großen Staatsumwälzungen ... 92-
1. Die Brüder Gracchus.............................
2. Marius und Sulla................................
3. Pompejus . ....................................
4. Cicero und Catilina.............................
5. GainS Julius Cäsar . . ........................
6. Die Begründung der Monarchie....................
7. DaS zweite Triumvirat. C- Cäsar Octavianus .
V. Die Kaiserzeit .................................106-
1. Cäsar AugustuS und das Haus der Julier . . .
2. Die Flavier. Pompeji und daS Kolosseum . ■ .
3. Das Christentum und der Untergang des Reiches.
Zweiter Teil. Geschichte des Mittelalters H3-
I. Die Germanen ..................................115-
J. Land und Seilte ................................
2. Germanischer Götterglaube.......................
3. Die ersten Römerkämpfe..........................
4. Arminius und die Teutoburger Schlacht....
II. Die Völkerwanderung.............................123-
1. Die Völkerbünde und die Hunnen..................
2. Die Westgoten. Alarich..........................
3. Attila und die große Hunnenschlacht auf dem Katalanischen Felde....................;..............
4. Vandalen und Ostgoten. Theodorich ....
5. Die niederdeutschen Völker......................
III. Das Christentum und das Kaiserreich . 135
1. Die Bekehrung der Germanenvölker................
2. Der Islam. Mohammed.............................
3. Xereö und Tours.................................
4. Pippin und Karl der Große.......................
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5. Karl ber Große als FnebenSsürst ...................
6. Die Teilung beS fränkischen Reiches................
IV. Die Sachsen- unb Franken-Kaiser . . 148-
1. Heinrich I.........................................
2. Otto ber Große.....................................
3. Die romanische Kunst. Bernward von Hilbesheim
4. Die Klöster.................................... .
5. Konrad II. unb Heinrich III........................
6. Heinrich IV. und Gregor VII........................
V. Die Staufer und die Kreuzzüge . . . .158-
1. Der erste Kreuzzug .'..............................
2. Konrab III. uub sein Kreuzzug......................
3. Das Rittertum .....................................
4. Kaiser Friedrich ber Rotbart.......................
5. Der briste Kreuzzug. Die Ritterorben ....
6. Der Ausgang ber Hohenstaufen und ber Kreuzzüge
VI. Fürsten und Städte.....................................169—
1. Habsburg und Luxemburg.............................
2. Die Bauern und die Schweizer Eidgenossenschaft .
3. Handel unb Gewerbe. Die Hansa......................
4. Die gotische Baukunst. Erwin von Steinbach . .
5. Die Konstanzer Kirchenversammlung unb ber Hussitenkrieg ...........................................
VII. Der Anbruch der neuen Zeit.................179-
1. Die Jungfrau von Orleans...........................
2. Die Magna Charta unb bie beiden Rosen . . .
3. Der Humanismus. Francesco Petrarca ....
4. Die Erstnbung bes Buchbruckes. Johann Gutenberg
5. Die Auffinbuug bes Seeweges nach Jnbien. Vasco ba Gama .............................................
6. Die Eutbecknng Amerikas. Christoph Columbus .
7. Die erste Erbnmsegeluug. Ferbiuaub Magalhaes .
8. Kaiser Max ........................................
Dritter Teil. Geschichte der Neuzeit . . . 193-
I. Die Reformation........................................195-
1. Martin Luther......................................
2. Der Reichstag zu Worms. Luthers Lebensarbeit .
3. Der Bauernkrieg....................................
4. Karls V. Kriege uub bie Augsburger Konfession .
5. Zwingli unb Calvin........................' . .
6. Der Schmalkalbeuer Krieg. Moritz von Sachsen .
7. Albrecht Dürer ....................................
II. Die Kämpfe ber Gegenreformation . . 209-
1. Ignatius von Loyola................................
2. Philipp II.........................................
3. Der Freiheitskampf ber Nieberlänber................
4. Elisabeth von England uub Mariä Stuart . .
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5. Die Armada
6. Heinrich IV.
III. Der Dreißigjährige Krieg . . . .
1. Maximilian von Bayern...................
2. Wallenstein.............................
3. Gnstav Adolf......................
4. Bernhard von Weimar.....................
IV. Ludwig XIV. und d er Große Kurfürst . . 228—!
. 216 . 217
219—227
219
221
223
225
Die englische Revolution. Oliver Cromwell . .
Ludwig XIV. der „Sonnenkönig".........................
Die Hohenzollern und die Mark Brandenburg
Der Große Kurfürst....................................
Die Schlacht bei Fehrbellin...........................
Prinz Eugenius. Der Pfälzer Mordbrennerkrieg. i. Der Spanische Erbfolgekrieg ..........................
V. Preußen uitd Österreich................................. 245-
1.
2.
3!
4.
5.
6.
1.
2.
3.
4.
5.
6.
Peter der Große.........................................
König Friedrich Wilhelm I. und sein Sohn ,
Maria Theresia..........................................
Friedrich der Große im Siebenjährigen Kriege Friedrichs des Großen Friedenswerk . . . . Das Josephinische Zeitalter ............................
2.
3.
4.
5.
6.
9.
10.
11.
12.
VI. Die französische Revolution. Napoleon I. 262-1. Der FrciheitSkamps der Amerikaner . .
Die französische Revolution ....
Die Herrschaft des Schreckens ....
Die erste Koalition. Napoleon Bonaparte Ägypten und Mareugo. Konsulat und Kaiserreich
Austerlitz, Jena, Kolberg ........................
Preußens Wiedergeburt. Die Königin Luise Spanien. Der Krieg mit Österreich 1809 .
Das Gottesgericht in Rußland 1812 . .
Das Volk steht auf!................................
Der Sturm bricht los. — Blücher . . .
Leipzig und Waterloo ..............................
VII. Das Zeitalter Kaiser Wilhelms . .
1. Der Wiener Kongreß 1814/15...........................
2. Die Orientalische Frage. Die Griechen
244 228 230 232 234 23h 239 242
-262
245 247 250 252 256 259
—302
262
266
269
273
276
279
282
286
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3.
4.
5.
6.
7.
8.
Die Juli- und die Februar-Revolution .
Der deutsche Einheitstraum und das „tolle Jahr" Napoleon III. Die Einigung Italiens . . . .
Der amerikanische Sklaven krieg......................
Wilhelm I. Schleswig-Holstein........................
Der Deutsche Krieg 1866 .......................
9. Die Wacht am Rhein
. 302-331 . . 302
. . 304
307 310 314 316 318 321 325
L
Fürstentafel...................................333-337
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