92 Zweite Periode des Mittelalters. ihn Gregor vor sich kommen und sprach ihn des Bannes ledig, wenn er in Augsburg erscheinen, bis dahin aller königlicher Handlungen sich enthalten und dem Papste gehorsam sein wolle. Dann las Gregor in Heinrichs Gegenwart eine heilige Messe. Als er die Hostie geweiht hatte, brach er dieselbe, nahm die eine Hälfte und sprach: „Deine Freunde, meine Feinde, beschuldigen mich vieler Ungerechtigkeiten und Laster. Siehe hier ist der Leib des Herrn. Bin ich schuldig, so möge er mich auf der Stelle tödten. Nach diesen Worten aß Gregor die eine Hälfte der Hostie und als er gesund und unverletzt blieb, reichte er die andere dem König und sprach: „Die Großen des Reichs haben wegen harter Verbrechen Deine Ausschließung aus der Kirche verlangt; bist Du unschuldig, so nimm diese noch übrige Hälfte vom Leibe des Herrn und rufe Gott zum Zeugen Deiner Unschuld an; dann will ich Dich in alle Deine Würden wieder einsetzen und fortan Dein Ver¬ theidiger sein." Heinrich erblaßte; er fühlte sich nicht frei von Schuld und entzog sich dem Gottesgericht. Nach der Messe lud Gregor den König zum Frühmahle ein, unterredete sich mit ihm und entließ ihn unter ernsten Ermahnungen. voTden i'onf Heinrich fand die Stimmung der lombardischen Großen ganz ver¬ darben Jer- ändert. Sie empfingen den König schweigend, kalt, mit Verachtung; achtet, die Bürger nahmen ihn nicht in die Städte auf und kamen ihm auch nicht entgegen, sondern brachten ihm in sein Lager vor die Stadt hinaus, was sie zu liefern gehalten waren. Jetzt empfand Heinrich die erlit¬ tene Demüthigung doppelt; er änderte seine Gesinnung, brach sein Wort, sammelte die lombardischen Großen wieder um sich und hinderte die Fürsten^wäh- ^bise des Papstes nach Augsburg. Da traten die deutschen Fürsten len Rudolf in Forchheim zusammen und wählten aus Anrathen päpstlicher Gesandten ^en Herzog Rudolf von Schwaben zum König (1077). Derselbe ward Könige, alsbald zu Mainz gekrönt, aber am nämlichen Abend von den Bürgern zur Stadt hinaus gejagt. Auf die Nachricht von Rudolfs Wahl er¬ schien Heinrich mit seinem Heere in Deutschland, ließ in Ulm seinen Gegner durch einen Fürstenrath zum Tode verurtheilen und dessen Herzogtum Schwaben dem treuesten seiner Freunde, Friedrich von Hohenstaufen, zuerkennen. Der Krieg zwischen Rudolf und Heinrich Rudolf Mt dauerte drei Jahre. In der Schlacht bei Merseburg fiel Rudolf durch Gottfriedsb Hand des Herzogs Gottfried von Bouillon, welcher die Reichsfahne von Bouillon, trug und den Gegenkaiser tödtlich verwundete. Jetzt mehrte sich Heinrichs Anhang rasch. Gregor hatte nämlich geweissagt, noch in diesem Jahre (1080) werde der falsche König sterben; er hatte Heinrichs Tod gemeint, Rudolfs Tod war erfolgt.