98 Buch III. Allgemeiner Theil der historischen Geographie. System mit dem anderen schlug, um schließlich keines für wahr zu, halten, da erschien in Christus der Vollender unseres Glaubens, und im Christenthum die Religion, die den Menschen frei macht vom Banne der Natur und der Nationalität. Daher eben ist das Christen¬ thum die Weltregion. Erst das Christenthum hat uns eine Menschheit, eine Gemeinsamkeit der Interessen aller Völker gelehrt, während im Heidenthum auch der vorgeschrittensten Völker eine „barbarische" Welt der heimischen Cultur und Bildung entgegengesetzt wird. Und so erleben wir es denn, wie das Christenthum allmählich alle Völker der Welt umfaßt und die Bedürfnisse aller befriedigt, weil es, wenn nur recht erkannt, keiner Nationalität feindlich entgegentritt. Je mehr dies anerkannt wird, desto eher werden auch die verschiedenen christlichen Kirchen, von allen Schlacken gereinigt, in eine große Kirchengemeinschast zusammenfließen. — Von der Lebenskräftigkeit der christlichen Kirche zeugen aber besonders in unseren Tagen die Missionen, die fast nur von Protestanten und Katholiken ausgehen, während die in Formelwesen erstarrte griechische Kirche kaum irgend welche Fortschritte nach Außen macht. Diese Missionsthätigkeit der christlichen Kirche hat auch ein hohes geographisches Interesse. Häufig sind die Missionäre man denke nur an Livingstone — zugleich geographische Entdecker, wo aber dies nicht der Fall ist, da verdanken wir den Missionären wenigstens die genaueste Kunde fremder Volkstümlichkeit und fremder Sprache. Ein charakteristischer Unterschied zwischen der Missionsthatigkett der Protestanten und Katholiken besteht darin, daß der protestantische Missionär beim fremden Volke nie feine Nationalität verleugnet, stets z. B- Engländer oder Deutscher bleibt, während der katholische Missionar sich den Sitten der Fremde anbequemt, unter den Chinesen z. B. voll¬ ständig als Chinese auftritt. Daher hat oft der Katholicismus, wenig¬ stens äußerlich, raschere und größere Erfolge aufzuweisen. Der Islam endlich ist als ein Versuch zu betrachten, die geoffen¬ barten Religionen des Juden- und Christenthums mit dem uralten Glauben der semitischen Völker zu verbinden. Der Gott der Muhamcdaner ist zwar kein beschränkter Volkesgott, wie der Jehova der juden es war, sondern erscheint als einziger Gott der ganzen Menschheit, aber da der Sterndienst und die damit verbundene Astrologie die Semiten früh an das Walten eines unabänderlichen Geschickes glauben gelehrt hatte, so erscheint dieser Gott nicht als liebender Weitregierer und Vater, son¬ dern gleich den irdischen Herrschern des Orients in seiner unendlichen Allmacht auch mit unendlicher Willkür herrschend: der Glaube an ihn macht den Menschen nicht frei, sondern erst recht zum Knechte jener Schicksalsherrschaft, der niemand entgehen kann. Daher aus der ein n Seite jener weltenstürmende Fanatismus, der statt mit dem Worte, mit dem Schwerte den Glauben ausbreitet, auf der ruderen Seite Me durch die Hoffnung auf ein üppiges Sinnenleben tm jenseits erleichterte resignierte Ergebung in den vermeintlichen Willen Gottes, welche den sittlichen Verfall der Völker, das rasche Zerbröckeln muhamedamscher Staaten, ja auch die immer ärger werdende Verödung der twn Juha-