80 Deutschlands Stellung in der Weltwirtschaft. D. Deutschlands Stellung in der Weltwirtschaft. (Zur Lektüre.) Wie aus unerschöpflichen Quellen haben sich reiche Ströme deutscher Volks- kraft und deutscher Geistesbildung über die Welt ergossen. In den Zeiten der Völkerwanderung hat der dem deutschen Blute innewohnende Wandertrieb die Germanenstämme nach dem Süden und Westen geführt, nach Frankreich, Spanien und Afrika, nach Italien, dann bis tief nach Ungarn hinein und wieder nord- wärts nach England. Und schon bald nach der Einigung der deutschen Stämme unter den ersten kraftvollen Sachsenkaisern, dann unter den Hohenstaufen und später in der Zeit des Deutschherrnordens erwiesen die Deutschen ihren Berus als Kolonisatoren der Nord- und Ostmarken in heißen Kämpfen gegen Wenden und Sorben, Obotriten und Preußen. Mit der Gewinnung der Ostsee ergaben sich nunmehr die Voraussetzungen für einen internationalen Handel, der von London bis Nowgorod, bis Stockholm und Bergen reichte. Es begann unter Lübecks Führung die Blüteperiode der deutschen Hanse. Mit den Kreuzzügen traten dann die italienischen Handelsstädte mehr in den Vorder- gruud, und die Wohnplätze im Süden Deutschlands begannen aufzublühen: Wien, Augsburg, Ulm und Nürnberg. Die Entdeckung neuer Handelswege am Ausgange des Mittelalters fand die Deutschen nicht untätig, wenngleich die romanischen Nationen, die Portugiesen und Spanier, daran den Hauptanteil hatten. Die Fngger und Welser ins- besondere waren bestrebt, die neuen Verkehrsverhältnisse sich dienstbar zu macheu. Sie haben Flotten aus spanischen Häsen ausgehen laffen und sich am spanischen Gewürzhandel beteiligt, ja selbst zu Eroberungen und Kolonisationen sind sie fortgeschritten. Venezuela wurde besetzt und sollte richtiger Welserl and heißen. Doch ohne Unterstützung durch das Reich, dem eine Flotte fehlte, wurden die deutschen Kolonisatoren immer mehr aus ihren Handelsbeziehungen verdrängt, und aus diesem Umstände erklärt sich wohl auch die sonst unbegreifliche Untätig- keit der Hanse in jenem großen Umschwung der internationalen Verkehrsverhältnisse. Die grauenvollen Zeiten des Dreißigjährigen Krieges vollendeten noch den Verfall des deutschen Handels zu Land und zur See. Holland und England rissen das deutsche Erbe an sich. Wohl versuchte der Große Kurfürst, der in der Schule der Holländer herangewachsen war und die Bedeutung des Meeres als Quelle der Völkergröße kennen gelernt hatte, die Schöpfung einer Handelsflotte und die Gründung einer Kolonie in Westafrika. Im Jahre 1683 wurde trotz des Ein- spruchs eifersüchtiger Mächte von einem Teile der Küste Besitz ergriffen, das Fort Groß-Friedrichsburg errichtet, und verheißungsvolle Handelsbeziehungen wurden eröffnet. Aber schon sein Nachfolger, der erste preußische König Fried¬ rich I., hatte für diese Bestrebungen wenig Interesse, und Friedrich Wilhelm I., der Vater Friedrichs des Großen, betrachtete vollends das ganze Kolonisation^- wesen als „Chimäre" und verkaufte 1719 seinen Besitz der Holländisch-West- indischen Kompagnie für 6000 Dukaten.