Erdkunde
für höhere Mädchenschulen.
Auf Grund von A. Mrchhoffs Schulgeographie
unter Berücksichtigung der Lehrpläne vom 12. Dezember 1908
bearbeitet von
Dr. Felix Lampe,
Professor.
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für die 1. Masse.
der Allgemeinen Erdkunde.
Erdkundliches Lesebuch.
Mit Abbildungen im Text.
-
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B»alle a. d. S.
Verlag der Buchhandlung des Waisenhauses
1911.
Alle Rechte vorbehalten.
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Luchdruckerei des Waisenhauses in Halle a.
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Inhalt.
§ i.
§ 2.
§ 3.
§ 4.
§ s.
§ 6.
I. Abriß der Allgemeinen
1. Die Erde als Weltkörper.
Unser Sonnensystem S. 1.
Unser Mond S. 4.
Die Doppelbewegung der Erde S. 7.
Größe und Gestalt der Erde S. 11.
8 9.
8 10.
§ 7-
s 8.
Geophysik (Schwere, Wärme, Magne-
tismns der Erde) S. 14.
Darstellungen der Erde S. 17.
(Merkator-Entwurf S. 18, Äqua-
torialentwurf S. 20, Polarentwurf
S. 22, Kegelentwurf S. 23, Flam-
fteedscher Entwurf S. 25, Azimutal-
entwurf S. 25, Zahlentafel zur
mathematischen Erdkunde S. 27).
2. Die Lufthülle der Erde.
Luftdruck und Wind S. 28.
Wärme und Niederschlag S. 32.
§ 11.
8 12.
Erdkunde.
3. Das Meer.
Der Meeresboden S. 36.
Meerwasser S. 38.
4. Das Land.
Festland und Inseln S. 46.
Bodenerhebungen S. 49.
5. Die Landgewässer.
§ 13. Flüsse S. 56.
§ 14. Seen S. 60.
6. Die Bewohner.
Pflanzen- u. Tierverbreitung S. 61.
Mensch und Erde S. 63.
Entwicklung des Welthandels S.65.
Der Handelsverkehr der Gegen-
wart S. 68.
(Die wichtigsten Verkehrsmittel
S. 68, Eisenbahnlinien S. 69, See-
dampferltnien S. 76, Telegraphen
S. 82.)
§ IS.
8 16.
§ 17.
8 18.
II. Erdkundliches
1. Einleitung: 6.
Überblick über die Geschichte der Erd-
künde S. 84.
7.
2. Berichte von Entdeckungs- und
Forschungsreisen.
1. Marco Polo. Von der edlen und Pracht-
vollen Stadt Quinsai S. 89.
2. Jakob Cook. Entdeckung der Weihnachts-
insel und der Sandwichsgruppe S. 92.
3. Alexander v. Humboldt. Ideen zu einer
Physiognomik der Gewächse S. 104.
4. Heinrich Barth. Empfang in Kukaua.
Der Tschadsee S. 117.
5. Ferdinand v. Richthofen. Reise in
Schantnng S. 124.
10.
11.
12.
Lesebuch.
Fridtjof Nansen. Während der Drift
im Polarmeer, Frühjahr und Sommer
1894 S. 133.
Erich v. Drygalskt. Entdeckung von
Kaiser Wilhelm II.-Land S. 147.
Länderkundliche Darstellungen.
. Alfred Kirchhoff. Deutschland und
sein Volk S. 155.
. Albrecht Penck. Die deutschen Kalk-
alpen S. 161.
, Joseph Partsch. Die Grafschaft Glatz
S. 172.
, Otto Krümmel. Die Nordsee S. 181.
. Felix Lampe. Der Stadtplan von
Berlin S. 186.
Abkürzungen.
N. O. S. W. = Nord, Ost, Süd, West,
n. ö. s. w. = nördlich, östlich, südlich,
westlich.
nö. sö. sw. nw. = nordöstlich, südöstlich,
südwestlich, nordwestlich,
ns. = nordsüdlich,
ow. = ostwestlich.
Br. = Breite.
L. = Länge.
E. = Einwohner.
C. = Celsius.
Vgl. = Vergleiche,
z. T. = zum Teil,
f. = folgend,
d. h. = das heißt,
z. B. = znm Beispiel.
I. Abriß der Allgemeinen Erdkunde.
1. Die Erde als Weltkörper.
§ i.
Iluser Sonnensystem.
Die Astronomie oder Sternkunde lehrt uns viele Millionen von I. Welt-
Sternen kennen; man findet deren immer mehr, je besser die Fernrohre ^ör*in-
werden. Durch ein gutes Fernrohr betrachtet, löst sich auch der mattweiße
Lichtschimmer der Milchstraße in Zahllose Fixsterne aus. Sie umzieht
den ganzen Himmel fast in einem größten Kreis, von dem uns also nur
die eine Hälfte zu Gesicht kommt. Vielleicht scheinen uns die Gestirne
der Milchstraße nur dichter gehäuft zu sein; denn wir befinden uns mög-
licherweise im mittleren Teil einer etwa linsenförmigen Fixsternwelt,
nehmen also wahrscheinlich nach deren Rande zu die meisten Gestirne
hintereinander wahr. Außer der Milchstraße bemerkt man noch ebenso
mild schimmernde, inselartige Flecken am nächtlichen Himmel, die Nebel-
flecken. Sie schweben vermutlich außerhalb unserer (linsenförmig ge-
dachten) Fixsternmasse in noch größeren Fernen des Weltalls. Einige von
ihnen bestehen gleich der Milchstraße aus nichts als Fixsternen, andere
freilich bloß aus leuchtendem Stoff von gasartigem Aggregatzustand. Man
nimmt an, daß dies glühende Gasmassen gewaltigen Umfangs sind, ans
denen sich noch keine Himmelskörper durch Verdichtung und Teiluug ge-
bildet haben; man hält sie also für werdende Sternenwelten; und wirklich
gibt es auch gasige Nebelflecken mit deutlich ausgesonderten Fixsternen,
also vielleicht in der Entwicklung begriffene Sternenwelten.
Unser Sonnensystem ist soweit von den anderen Sonnen unserer II. Souuen-
Fixsternlinse entfernt, daß selbst von dem nächsten Fixstern das Licht, das fj)jtclU-
doch 300 000 km in der Sekunde zurücklegt, 4^ Jahre braucht, um imÄeltäll"
zu uns zu gelangen. Sonnenlicht eilt in rund 8 Minuten zur Erde. Geben
wir dem mächtigen Umfang unserer Erdbahn (936 Mill. km) die Größe
vom Umfang eines Pfennigs (etwa 55 mm), so müßten wir nach dem
Lampe, Erdkunde. Heft 4. i
2
I. Abrih der Zillgememen Erdkunde.
nämlichen Maßstab den uns nächsten fremden Fixstern doch erst in nahezu
3 km Entfernung, die anderen in verschiedenen, aber stets noch viel größeren
Fernen ansetzen. Also könnten diese Fixsterne seit Jahren schon vernichtet
oder doch erloschen sein, und wir würden sie gleichwohl noch sehen.
2. Körper Der Zentralkörper unseres Systems, die Sonne, ist eine so riesen-
große Kugel, daß man auf jeden ihrer Durchmesser 108 Erden reihen
a) Sonne, könnte. Denkt man sich die Erde in die Mitte der Sonnenkugel versetzt
und diese als Hohlkugel, so könnte sich der Mond innerhalb dieser Kugel
nicht allein um die Erde in seinem wirklichen Abstand von ihr bewegen,
sondern er würde dann der Sonnenoberfläche nicht einmal viel näher sein
als der Erde. Die Sonne besteht aus einer in ungeheurer Hitze glüheuden
Stoffmischung, die nur 1.4 mal so schwer ist wie Wasser, und wird von
einer zarten Gashülle umgeben, die zwar minder heftig glüht als der
Kern, aber doch noch so heiß ist, daß in ihr z. B. selbst Eisen gasförmig
vorkommt. Ihre Oberfläche zeigt mitunter dunkle Flecken, vielleicht vor-
übergehende Verschlackungen ihrer dem furchtbar kalten Weltraum zu-
gekehrten Außenseite. Diese Sonnenflecken unterliegen beständiger Ver-
änderung: Alte verschwinden, neue entstehen, und nach je 11 Jahren erreicht
ihre Anzahl den Höhepunkt: 11jährige Periode des Flecken-Maximums.
Aus der Bewegung der Sonnenflecken wissen wir, daß sich die Sonne in
ungefähr 25 Tagen ostwärts um ihre Achse dreht.
'■>) Ihre Die Planeten und deren Monde sind wahrscheinlich losgetrennte,
Trabanten, verhältnismäßig ganz kleine Teile der in entlegenster Urzeit ungeheuer viel
größeren und außerordentlich viel feineren Sonnenmaffe, die vormals den
gewaltigen Raum bis zu dem äußersteu Planeten erfüllte. Sie bewegen
sich in wenig voneinander abweichenden Bahnebenen rechtläufig, d. h.
gegen O., um die Sonne, die Monde dabei meist wieder rechtläufig um
ihre Planeten und wie diese rechtläuftg um ihre Achse, als seien sie wieder
abgesprengte Massen ihrer nachmals dichter zusammengezogenen Planeten.
(Kometen.) Fast nur Kometen und Meteoriten haben auch rückläufige Bewegung,
also gegen W.; die sehr langgestreckten elliptischen Bahnen der Kometen
weichen so sehr von den planetarischen ab, daß sie an den verschiedensten
Stellen des Himmels auftauchen können, auch an planetenfreien, z. B.
nahe dem Pol.
(Planeten.) Die Planeten folgen nach ihrem Abstand von der Sonne in dieser
Reihe: 1. Merkur, 2. Venus (Morgen- und Abendstern), 3. Erde,
4. Mars, 5. die etwa 700 Kleinen Planeten, deren Sonnenabstände
zwischen iy2 und 6 des Abstandes der Erde von der Sonne betragen, so
daß z. B. „Eros" der Erde näher kommt als „Mars", „Achilles" sich
§ 1. Unser Sonnensystem.
3
weiter von ihr entfernt als der Jupiter, 6. Jupiter, 7. Saturn,
8. Uranus, 9. Neptun.
Nur die beiden Nachbarn der Erde, Venus und Mars, gleichen ihr
ungefähr an Größe; Merkur ist weit kleiner und zugleich wegen seiner
steten Sonnennähe meist nur mit dem Fernrohr bei Abend- oder Morgen-
dämmerung erkennbar. Die Kleinen Planeten sind erstaunlich klein;
manche ließen sich z. B. aus die Fläche der Südersee legen, ohne deren
Küste zu berühren; weit übertreffen dagegen unsere Erde an Größe die vier
Planeten außerhalb des Ringes der Kleinen Planeten, besonders Jupiter,
in dem die Erde 1357mal Platz fände, und Saturn. — Die Entfernung
des Neptuns von der Sonne ist 30 mal größer als die der Erde; legt
der Sonnenstrahl den Weg bis zur Erde in wenig mehr als 8 Minuten
zurück, so braucht er über 4 Stunden zu dem Weg bis zum Neptun. Nach
einem der drei Keplerschen Gesetze verhalten sich die Quadrate der Um-
lausszeiten aller Planeten wie die dritten Potenzen ihrer Abstände von
der Sonne; ihre Bahngeschwindigkeit verringert sich also in viel stärkerem
Maße, als ihr Abstand von dem Zentralkörper ein größerer ist. Ein
Neptunsjahr dauert darum etwa 165 Erdjahre.
Außer den beiden innersten Planeten und den Kleinen Planeten (Monde/)
besitzen alle übrigen Planeten Monde; Saturn hat deren 10 und außer-
dem mehrere in einer Ebene gelegene Ringe, die ihn gürtelförmig unl-
schließen. — Am ähnlichsten der Erde ist der Mars. Er hat zwar 2 Monde,
bekommt aber Licht und Wärme in annähernd ähnlicher Menge von der
Sonne wie die Erde (vergl. dagegen Merkur und Neptun!), hat eine wölken-
durchzogene Atmosphäre, anscheinend Schneefall, Meere, Inseln und Fest-
lande, vielleicht auch Flüsse und Gebirge. — Die Meteoriten, die kleinsten (Meteore.)
uns bekannten Weltkörper, oft nur von Kanonenkugelgröße, zugleich die
weitaus zahlreichsten Genossen unseres Sonnensystems, setzen teilweise in
dichten Scharen ganze Ringe zusammen, ähnlich den Bahnen der Kleinen
Planeten; manche Kometen durchmessen in diesen Ringbahnen den Welt-
räum. Nahe den Stellen der Erdbahn, in welchen wir uns am 10. August
und am 12.—14. November zu finden pflegen, schneiden solche Meteoriten-
ringe die Erdbahn; darum nähern sich in diesen Zeiten ganze Schwärme
von Meteoriten der Erde. Durch deren Anziehungskraft werden sie aus
ihrer Bahn gerissen und durch Reibung an der mit ungeheurer Ge-
schwindigkeit durchmessen^ Lust in Weißglühhitze versetzt: Stern-
schnuppen. Feuerkugeln nennen wir die Meteoriten, die auf die Erd-
oberfläche fallen, statt wie die Sternschnuppen in den Höhen der Atmo-
sphäre zu verschwinden. Das tun alltäglich im Durchschnitt etwa ein
1*
4
I. Abriß der Allgemeinen Erdkunde,
Dutzend. Die meisten Feuerkugeln bestehen aus trachytischem Gestein,
wenige aus Eisen (Meteoreisen); stets zeigen sie die nämlichen chemischen
Grundstoffe, wie sie auch auf Erden vorkommen. Dasselbe lehrt von allen
übrigen Gestirnen die Spektralanalyse, d. h. die Untersuchung ihrer
Lichtstrahlen im Spektroskop.
§ 2.
Unser Mond.
I. Maße. Unser Mond ist nur 384 T. km oder 60 Erdhalbmesser von der
1. Wirkliche. gr^c entfernt. Sein Durchmesser beträgt nur wenig mehr als \/4 von
dem der Erde. Dächte mau sich die Erde zu eiuem Ball von rund 13 ein
Durchmesser zusammengeschrumpft, so entspräche der Mond einer Murmel
von 3y2 cm Durchmesser, die Sonne aber einer riesigen Kugel von 14 m
Durchmesser. Man müßte sich den Erdball dann rund l1/2 km von der
Sonnenkugel und die Mondmnrmel nicht ganz 400 m vom Erdball entfernt
vorstellen.
2. Tchenibm'e, Wegen der verhältnismäßig geringen Entfernung erscheint uns
der Mond beinahe so groß wie die viel größere, dabei jedoch auch viel
fernere Sonne. Teilen wir einen größten Kreis am Himmelsgewölbe,
von dem wir natürlich bloß eine Hälfte zu überschauen vermögen, z. B.
einen solchen, der durch den Nord- und Südpunkt unseres Horizoutes sowie
durch unser Zenit geht, in 360 Grade, die uns sichtbare Hülste folglich in
180 Grade, so kommen nahezn 2 Sonnenbreiten zu durchschnittlich
32 Bogen-Minnten auf je eiuen Grad und noch näher 2 Vollmonds-
breiten zu durchschnittlich 31 Bogen-Minuteu. Die Größe eines Winkels,
den wir von unserem Auge als Scheitelpunkt nach den Endpunkten eines
Monddurchmessers ziehen (= 31'), heißt die scheinbare Größe seines
Durchmessers. Weil der Mond die Erde nicht in einem genauen Kreis,
sondern in einer Ellipse umwandelt, ist aber dieser scheinbare Durchmesser
nicht immer von gleicher Größe. In der Erdnähe erscheint uns der Mond
sogar größer als die Sonne, in der Erdferne verringert sich dagegen sein
scheinbarer Durchmesser unter das Mittel von 31'.
II. Ttellun- Genau in derselben Zeit, in welcher der Mond sich einmal um die
!U"' Erde dreht (siderischer ' Monat), vollendet er auch die Drehuug um
seine Achse, zeigt uns folglich immer nur die eine Hälfte seiner Ober-
fläche. Während der jedesmaligen Drehung der Erde um ihre Achse gegeu
* ©iberisch [stbmfch], weil der Mond am Ende dieses Umlaufs wieder bei
demselben Fixstern (lateinisch sidus) am Himmel anlangt, bei dem er sich am An-
fang befand.
K 2. Unser Mond.
5
O. bleibt der Mond hinter der hierdurch verursachten scheinbaren, west-
lichen Bewegung der Sterne mit dem ganzen Himmelsgewölbe merklich
zurück, bis er zuletzt wieder an derselben Stelle des Himmels, d. h. bei
denselben Sternen, steht wie mehrere Wochen vorher beim Beginn seines
Umlaufs; in dieser Frist ist nun aber die Erde auf ihrer Bahn um die
Sonne ebenfalls weitergerückt; daher befindet sich nun die Sonne an einer
östlicheren Stelle des Himmels, und der Mond braucht deshalb noch mehrere
Tage, um wieder in die anfangs eingenommene Stellung zu Erde und
Sonne einzutreten (synodischer^ Monat, 29y2 Tage). Befindet sich
der Mond zwischen Sonne und Erde, so steht er in Konjunktion; be-
findet er sich auf der entgegengesetzten Stelle seiner Bahn, so steht er in
Opposition. Konjunktion und Opposition heißen die Syzygien
[füzügten], die Mondstellungen mitten zwischen den Syzygialpunkten seiner
Bahn die beiden Quadraturen. Bei Konjunktion haben wir „Neumond";
wir sehen dann den Mond überhaupt uicht, weil er uns seine zu dieser Zeit
von der Sonne unbeleuchtete Hälfte zukehrt und bei Tage am Himmel steht.
Bei Opposition ist „Vollmond", bei den Quadraturen „erstes" und „letztes
Viertel". Fielen Erd- und Mondbahn in die nämliche Ebene, so müßten
wir bei jedem Neumond eine Sonnenfinsternis, bei jedem Vollmond eine
Mondfinsternis erleben; da sich aber jene zwei Bahnebenen in einem Winkel
von 5 0 schneiden, haben wir die Verfinsterungen viel seltener. Die Durch-
schnittsgrade beider Bahnebenen heißt die Knotenlrnie; sie wechselt
beständig die Lage, indem sie innerhalb der Erdbahn in rund 19 Jahren
eine Umdrehung vollendet. Vollständige Verfinsterungen gibt es nur dann,
wenn bei Konjunktion oder Opposition die Knotenlinie in die Verbindungs-
linie von Sonnen- und Erdmittelpunkt fällt.
Auf dem uns so nahen Mond gewahren wir schon mit unbewaffnetem III. Ober-
Auge dunklere und hellere Flächen, aus denen die Einbildungskraft ein flache.
„Mondgesicht" oder den „Mann üit Mond" gemacht hat. Im Fernrohr
erscheinen uns die dunklen Flächen als Ebenen, die hellen als Gebirgs-
länder voller Ringgebirge mit steilen Kegelbergen in der Mitte, die wie
Vulkaue auch Krater besitzen uud deu höchsten Bergen der Erde bisweilen
an Höhe nicht nachstehen, wie man aus der Länge ihres Schattens schließen
darf. Der Mond besitzt kein Wasser und keine Atmosphäre, folglich keinerlei
Pflanzen- und Tierleben'. Auf seiner ewig lautlosen, ganz öden Ober-
fläche wechselt ein vierzehntägiger Tag, der zugleich ein heißer Sommer
1 Synodisch genannt von griechisch synoclos, d. h. Zusammenkunft (nämlich
von Sonne und Mond in der Zeit des Vollmonds), denn der synodische Monat
ist die Zeit zwischen einer Neumondstellung und der nächstfolgenden.
6
I. Abriß der Allgemeinen Erdkunde.
ist, mit einer ebenso langen eisigen Winternacht; denn kein Luft- und
Wolkenschirm mäßigt dort Zu- und Ausstrahlung der Wärme.
*
* *
. Berech- Wegen der geringen Entfernung des Mondes von der Erde kann
Mond" mQU ^en ^staud der Mittelpunkte beider Himmelskörper voneinander
tfernung. besonders scharf durch Beobachtung feststellen. Dies geschah zuerst im
Jahre 1752 durch gleichzeitige Beobachtung der Mondhöhe während des
Eintritts des Mondes in den Ortsmeridian in Berlin und in Kapstadt.
Beide Orte liegen fast genau auf demselben Meridian. In vorstehender
Figur bedeutet der Kreis einen Durchschnitt der Erde im Berliner Meridian
durch Nordpol (X) und Südpol (8); AEA ist also der Durchschnitt des
Äquatorkreises. Der Beobachter in B (Berlin) sieht den Mondmittelpunkt
(M) von seinem Zenit, d. h. von demjenigen Punkt des Himmels, den
der verlängerte Erdradius EB trifft in dem Winkelabstand «, der Be-
obachter in X (Kapstadt) in dem Winkelabstand ß. Dem kleineren Zenit-
abstand des Mondes in B entspricht mithin eine größere Mondhöhe, d. h.
em größerer Winkelabstand des Mondes vom Horizontkreis des Beobachters,
der angedeutet ist durch die B berührende Tangentialebene (hier zur Linie
verkürzt); umgekehrt verhält es sich in X. Sind nun die Zenitabstände
a und ß ermittelt, so kennt man von dem Viereck EBMK die beiden Seiten
EL und EX als Erdradien, den Winkel E (Summe des Breitenabstandes
von Berlin, 521/,, °, und von Kapstadt, 34 0 = 86y2 °), ferner den Winkel
bei B (180 — a°) sowie den bei X (180—^); aus diesen Stücken ergibt
sich die Größe des ganzen Vierecks, mithin auch diejenige der Diagonale
EM, d. h. der Entfernung von Mond- und Erdmittelpunkt.
§ 3. Die Joppelbewegung der Lrde.
7
Natürlich müßte in unserer Figur der Punkt M viel weiter von E
abgerückt werden, wenn die Mondferne in gleich-em Maßstab mit der Erd-
große dargestellt werden sollte (EM müßte dann 60 mal so groß sein wie
EL oder EX). Der Winkel bei M ist also in Wirklichkeit weit kleiner
als in unserer Figur. Befindet sich der aus seine Entfernung von E> zu
prüfende Ort eines Himmelskörpers aber noch viel weiter von uns als der
Mond, so wird zuletzt der Winkel, den die Verbindungsgeraden dieses Ortes
M mit zwei wenn auch noch so weit voneinander abstehenden Punkten der
Erdoberfläche (z. B. N und S) bildet, unmeßbar klein. Schon die Ent-
fernung der Sonne läßt sich deshalb nicht auf diese einfache Weise ermitteln.
Denn da die Sonne im Mittel 149 Mill. km von uns entfernt ist, müßte
man den Punkt M, wenn er nun den Sonnenmittelpunkt bedeuten sollte,
23 400 Erdradien weit von E aus ansetzen, d. h. die Linie EM 23 400 mal
so groß machen wie EB oder EK. Wenn die Sehne BK so lang wie
ein Erdradius ist und senkrecht zu EM steht, ist der Winkel BMK (die
„Sonnenparallaxe") 8,8 Sekunden groß. Selbst der sorgfältigsten
Beobachtung in B und K gelingt die Messung der kleinen Winkel a und ß
dann nicht mit der zu fordernden Genauigkeit. Ist M ein Fixstern, so
laufen BM und KM parallel.
§ 3.
Die Doppelbewegung der Erde.
Die Rotation oder Umdrehung der Erde um ihre Achse ist jedes-1. Der Tag.
mal vollendet, wenn bei der scheinbaren täglichen Himmelsdrehung ein t. Sterntag.
und derselbe Fixstern abermals kulminiert, d. h. seinen höchsten Punkt am
Himmel in unserem Meridian erreicht; denn bei der ungeheuren Ent-
fernung der Erde von den Fixsternen außerhalb unseres Sonnensystems
gegenüber der Ausdehnung der Erdbahn darf man die Stellung der Erde
zu ihnen im ganzen Jahr als sich gleichbleibend betrachten. Diese Zeit
einer einmaligen Rotation heißt ein Sterntag. Im Verlaus eines Jahres 2. Sonnentag,
verändert nun die Sonne ihren Ort am Himmel fast gleichmäßig so, daß
sie in einer den Himmelsäquator unter etwa 23^/z 0 schneidenden Ebene,
der Ekliptik^, scheinbar ostwärts vorrückt und am Ende des Jahres
1 Die Ekliptik ist die Bahn des Erdumlaufs um die Sonne, also des schein-
baren jährlichen Umlaufs der Sonne am Himmel. Weil nur in dieser Bahn-
ebene Sonnen- und Mondfinsternisse eintreten, nennt man sie Ekliptik-, d. h.
Verfinsterungs ebene, und den Kreis, in der sie das scheinbare Himmelsgewölbe
schneidet, die Ekliptik.
8
I. Abritz der Allgemeinen Crdkunde,
:onnen-
mittag^
(Meridüiiie.j
wieder genau da gesehen wird, wo sie am Anfang desselben stand; mithin
beträgt dieses Vorrücken täglich ungefähr Vz«? des Kreisumfangs der
himmlischen Ekliptiklinie, oder fast 1 °. Ihn diesen Betrag muß die Erde
folglich an jedem Tage weiter ostwärts rotieren, damit sie wieder genau
die Stellung zur Sonne wie beim Beginn der Rotation erwerbe. Diese
Zeitdauer einer Erdumdrehung von einer Sonnenkulmination zur nächsten
heißt ein Sonnentag; er ist der der bürgerlichen Zeitrechnung zugrunde
liegende Tag, an welchem sich mithin die Erde um fast 361 * dreht. Der
Sterntag ist also um y3C1 kürzer als der Sonnentag; und die eigent-
liche Erdrotation vollzieht sich in 24 Stunden weniger beinahe 4 Minuten.
— Infolge der vou der Erdrotation gegen O. herrührenden, scheinbaren
Sonnenbewegung gegen W. fällt der Schatten aller Gegenstände auf Erden
vormittags auf die W.-Seite des betreffenden Ortsmeridians1, nach-
mittags aus die O.-Seite. Zu Mittag fällt der Schatten auf der n. Erd-
Hälfte, abgesehen von Zeiten höchster Sonnenstände innerhalb der heißen Zone,
gegen N. und muß gleichzeitig am
kürzesten sein, weil dann die
Sonne am höchsten steht.
Die Schattenrichtung zur
Zeit des wahren Sonnenmittags,
also den Meridian eines Ortes,
stellt man fest, indem man senk-
recht zur tzorizontalebene (z. B.
der eines Tisches) im Mittelpunkt
mehrerer konzentrischen Kreise
einen zugespitzten Stift errich-
tet; man bezeichnet vormittags
den Punkt des Kreises, der auf der W.-Seite durch die Schattenspitze des
Stiftes getroffen wird (auf der obenstehenden Figur z. B. .V), ebenso
nachmittags den jedesmaligen auf der O.-Seite (z. B. Punkt B) und ver-
bindet diese Punkte durch gerade Linien (wie AB); dann gibt die Ver-
biudung der Halbierungspunkte dieser Linien mit dein Fußpunkt des
Stiftes C (bei gut gelungener Beobachtung eine einzige Gerade) den
Meridian
Die Zählung der Meridiane, die man üblicherweise nur in der
Zahl von 360 sich ausgezogen denkt, ist verschieden je nach dem An-
fangs- (oder 0-) Meridian. Den Ferro-Meridian, mit dem man früher
1 Im weiteren Sinne nennt man jede Nordsüdlinie, die man sich dnrch irgend-
einen Punkt der Erdoberfläche gezogen denkt, den Meridian dieses Ortes.
§ 3. Die Joppelbewegung der Lrde,
9
die Meridianzählung begann, zog man genau 20 0 w. vom Pariser Meri-
dian; er geht etwas ö. von der Kanarischen Insel Ferro vorüber; Meridian-
linien mit Zählungsanfang von Paris fallen also mit solchen der Zählung
von Ferro ab zusammen, führen aber andere Ziffern, z. B. 50 0 ö. von
Ferro — 30 0 ö. von Paris. Gegenwärtig wird auch in Deutschland der
Greenwicher Meridian als 0-Meridian benutzt, der 1?V» 0 ö. vom Ferro-
Meridian liegt.
Jeder westlichere Meridian hat 4 Minuten spätere Zeit als der Einheit^
jedesmal östlichere. Auf Grund dessen kann man mit Hilfe eines Chrono- °ct'
meters, d. h. einer Uhr von genauestem, sich lange gleichbleibendem Gang,
stets sicher finden, unter welcher Länge man sich befindet. Hat mau das
Chronometer z. B. nach Berliner Zeit gestellt und findet dann, daß die
Sonne in den Meridian des Aufenthaltsortes eintritt, wenn die Uhr auf
3>> 4ml weist, so befindet man sich 46° w. von Berlin. Je 15 Längen-
grade bilden mithin stets einen Stundenstreifen, d. h. ein vom Nordpol
bis Südpol reichendes Kugelzweieck, dessen O.-Grenze genau 1 Stunde
frühere Zeit hat als dessen W.-Grenze. Hieraus gründet man neuer-
dings in vielen Staatsgebieten die sogenannte Einheitszeit; man stellt
nämlich die Uhren innerhalb eines Stundenstreifens nach der Zeit, die
dem Mittelmeridiau des betreffenden Gebietes wirklich zukommt. Dadurch
zeigen freilich die Uhren in der O.-Hälfte des Stundenstreifens etwas zu
späte, die in der W.-Hälfte etwas zu frühe Zeit; aber man erzielt den
großen Vorteil, daß nun sämtliche Uhren innerhalb des Stundenstreifens
in demselben Augenblick die nämliche Zeit weisen könnend Für Mittel-
europa ist die Zeit des 15. Meridians, der durch Görlitz geht, zur Ein-
heitszeit gemacht wordeu; denn selbst die östlichsten und westlichsten Gegen-
den des Deutschen Reichs stehen nicht viel mehr als 7y2 Längengrade vom
15. Meridian ab. Die mitteleuropäische Zeit weicht von ihrer wahren
Sonnenzeit also um etwa y2 Stunde ab.
Die Erde legt ihre Bahn um die Sonne in 365y4 Tagen zurück. II. Das
Die Erdbahn ist kein Kreis, sondern wie bei den übrigen Planeten eine
der Kreisgestalt sehr nahe kommende Ellipse, in deren einem Brennpunkte
sich die Sonne befindet. In größter Sonnennähe, im Perihel [perchel]
1 d. h. 3 Uhr (liora = Stunde) und 4 Minuten. — 2 Das genaue Stelleu
der Uhren an verschiedenen Orten geschieht nach astronomischer Beobachtung, am
leichtesten durch telegraphische Mitteilung von einer Sternwarte aus. Wo Ein-
heitszeit eingeführt ist, kann also telegraphisch von der Sternwarte aus (oder
durch Einstellen eines Chronometers daselbst) die im betr. Stundenstreifen gültige
Zeit allen Orten übermittelt werden-
10
I. Abriß der Allgemeinen Erdkunde.
schwebt die Erde zu Anfang Januar, in größter Sonnenferne im Aphel
[afel], zu Anfang Juli. Die wirkliche Bewegung der Erde in dieser kreis-
ähnlichen Bahn bewirkt den Schein, als verschöbe sich die Sonne in der
Ekliptik zu immer östlicheren Sternbildern. Man nennt den Himmels-
gürtel der Ekliptik, in dem dies geschieht, den Tierkreis; man um-
zeichnete sich nämlich die Sterngruppen auf den Karten zum leichteren Zu-
rechtfinden meist mit Tierfiguren und teilte nun den Umfang der Ekliptik
in 12 gleiche Teile, die Zeichen des Tierkreises, nach benachbarten
Sternbildern genannt. Zur Frühlings- und Herbst-Tagundnachtgleiche
(etwa 21. März, 23. September) steht die Sonne gerade im Himmels-
äquator; etwa am 21. Juni tritt sie in das Zeichen des Krebses, etwa
am 22. Dezember in das des Steinbocks; sie beschreibt an diesen Tagen
den n. oder Krebs-, bezüglich den s. oder Steinbocks-Wendekreis.
Mit den genannten 4 Tagen beginnen die „astronomischen" Jahreszeiten;
die der naturgemäßen Jahresteilung, die „meteorologischen" Jahreszeiten,
dagegen 3 Wochen früher. Jene Anfänge der astronomischen Jahreszeiten
verschieben sich öfters von einem Tage auf den anderen (1896 fand z. B.
der Sommeranfang schon am 20. Juni statt), weil die Zeit eines Umlaufs
der Erde um die Sonne durch die Frist von 365 oder 366 Tagen ohne
Rest nicht teilbar ist.
«Kalender.) Der von Julius Cäsar eingeführte und nach ihm benannte Julia-
nische Kalender nahm die Zeitdauer eines Erdumlaufs um die Sonne
genau zu 365^4 Tagen an und ließ nach je 3 Jahren zu 365 Tagen
ein Schaltjahr zu 366 Tagen folgen. Da aber jene Zeitdauer in Wirk-
lichkeit um etwas über 11 Minuten kürzer ist als 365y4 Tctige, so zählte
man seit Julius Cäsar immer in 400 Jahren 3 Schalttage zu viel. Des-
halb verordnete Papst Gregor XIII. 1582, daß innerhalb 400 Jahren
stets 3 Schalttage weniger als bisher in den Kalender aufgenommen
würden (Gregorianischer Kalender), und übersprang 10 Tage im
Kalender; denn weil man im Lauf der Jahrhunderte irrtümlich 10 Tage
als Schalttage statt als gewöhnliche Kalendertage aufgeführt hatte, schrieb
man damals z. B. am Tage der Frühlings-Tagundnachtgleiche den
11. März statt 21. März. Die osteuropäischen Nationen griechischen Be-
kenntnisses (z. B. die Russen) führen noch jetzt den Julianischen Kalender,
dessen Fehler seit 1900 auf 13 Tage gestiegen ist. Man reduziert das
russische Datum folglich auf das richtige, indem man 13 Tage demselben
19 Dezember
hinzufügt. Beispielsweise bedeutet ^Qnuar ^ert *°e^er "nac^
altem Stil" der 19. Dezember, „nach neuem Stil" der 1. Januar heißt.
§ 4. Größe und Gestalt der <£rbe.
11
§ 4.
Größe und Gestalt der Erde.
Zur Bestimmung der Größe und Gestalt der Erdkugel dienen die I. Kugel,
Gradmessungen. Wäre die Erde wirklich eine Kugel, so brauchte man
nur die Länge eines einzigen Grades irgend eines größten Kreises auf
ihrer Oberfläche zu messen; der Umfang dieses Kreises wäre dann 360 mal
so groß wie der gemessene Grad, und mit Hilfe bekannter Sätze der Kreis-
und Kugelmessung fände man sehr leicht die Größe des Durchmessers, der
Oberfläche und des Inhalts unseres Planeten.
Kreise sind jedoch aus der idealen Erdoberfläche nur der Äquator II. Rota-
und die ihm gleichlaufenden Kreise. Aus der Länge eines Äquatorgrades
zu 111.307 km folgt demnach eine Gesamtlänge des Äquators von
11.307 X 360 = 40 070 km und eine Länge der Äquatordurchmesser von
12 755 km.1 Dagegen haben die Messungen der Breitengrade ergeben,
daß ihre Breite, d. h. der Bogen, der je einem Winkelgrad der Meridian-
Quadranten entspricht, gegen den Gleicher hin etwas ab-, gegen beide
Pole etwas zunimmt: Erst in der Breite unserer Ostseeküste erreichen die
Breitengradgürtel eine Breite von 111.3 km, am Äquator sind sie kaum
IIO.5 km breit, an den Polen 111.7. Weil kürzere Gradbogen stärkere
Krümmung bezeichnen, so sehen wir daraus, daß die Meridiandurchschnitte
der Erde keine Kreise sind. Sie sind Ellipsen mit der Erdachse als
kleinerer Achse; der Erdball stellt also ein Sphäroid, d.h. eine nur
kugelähnliche Gestalt dar, nämlich ein Rotations-Ellipsoid mit
Schwellung nach der äquatorialen Mitte zu, mit Abplattung nach den Polen
hin. So geringfügig ist indessen diese Abweichung von der Kugelgestalt,
daß die Erdachse (12 712 lim lang) nur um 43 km kürzer ist als die
Durchmesser selbst des größten Erdkreises, d. h. des Erdgleichers; deshalb
kann sie bei einem Globus von gewöhnlicher Größe gar nicht nachgeahmt
werden. Bei getreuer Nachbildung würde ein Globus, dessen Äquatorial-
durchmesser 1 m ist, einen Polardurchmesser von 997 mm erhalten. Die
mittlere Länge der Erddurchmesser, d. h. die, welche jeder Erddurchmesser
haben würde, wenn man die Masse der Erde in genaue Kugelform brächte,
beträgt 12 740 km, die der Erdradien folglich 6370 km.
* ^ *
1 Nennen wir U den Anfang des Äquatorkreises, so finden wir dessen Durch-
messer als — mithin (da n — 3.14158) als ^^ = 12755 km.
71 ^-14160
12
I. Abriß der Allgemeinen Erdkunde.
III.Breiten- Die Vermessung eines Breitengrades ist eine Ausgabe der Geodäsie
®mesfintg^ oder Erdmessung; dieser Arbeit des Geodäten muß natürlich die astro-
nomische Breitenbestimmung vorangehen, denn es gilt, den kürzesten (ns.)
Abstand zweier aufeinanderfolgenden Parallel- oder Breitenkreise zu er-
Mitteln. — Die geographische Breite eines Ortes kann aus dreierlei Weise
gefunden werden:
I. MÜ Hilfe 1. Durch Messen der Polhöhe, d.h. des Winkels, um deu sich
öu Polhohe. ^cr über den Horizout des Standortes erhebt. Ist uuser Stand-
ort A, der Durchschnitt unserer Horizoutebene HH', die Erdachse NS (nebst
dem rechtwinklig zu ihr stehenden Durchschnitt des Äquatorkreises), CAZ end-
lich der nach unserem Zenit verlängerte Erdradius uuseres Staudpunktes,
so erscheint uns bei nächtlicher Sternbetrachtung der Himmelspol in der
? Richtung der Linie AB. Dann ist also
AB parallel CN, weil sie beide aus
den Himmelspol zustreben, also sich im
Unendlichen scheiden, Z.ZAB = L ACN
als Gegenwinkel, L BAH = L ACE
als deren Ergänzungen zu 90°. Da
aber L ACE den Breitenwinkel des
Punktes A bezeichnet, nämlich dessen
Entfernung vom Äquator in Breiten-
graden ausgedrückt, so ist hierdurch be»
wiesen, daß die Breite eines Ortes
der Polhöhe desselben gleich ist,
folglich jene durch Messen der Polhöhe
Dieser Satz gibt die Definition der Breite
für die wirkliche Gestalt der Erde.
2. Durch Messen der Sonnenhöhe, d. h. des Winkels, um den
sich der Mittelpunkt der Sonnenscheibe zur wahren Mittagszeit über den
Horizont des Standorts erhebt. Das geschieht, ohne weitere Berechnung
zu erfordern, an den beiden Tagundnachtgleichen. Da nämlich an diesen
zwei Tagen die Sonne sich im Himmelsäquator befindet, so ist in der
obigen Figur. AI), die vom Standort nach der Mittagssonne hin gezogene
Linie, wieder parallel CE (aus demselben Grund wie vorher AB und CN),
L ZAD= L ACE als Gegenwinkel, folglich auch Z. DAH'-= L ACN
als deren Ergänzung zu 90 0; d. h. die Sounenhöhe zur Tagund-
nachtgleiche ist das Komplement des Breiteuwinkels. Findet
man z. B. in Berlin jenen Winkel — 37y2 so folgt daraus eine Breite
von 521/2°; aus der Sonnenhöhe anderer Mittage läßt sich die mittlere,
ohne weiteres gefunden wird.
2. Mit Hilfe
der Tonnen-
höhe.
13
d. h. die der Tagundnachtgleichen aufs sicherste berechnen, mithin an jedem
sonnenhellen Mittag durch die Sonnenhöhe die Breite eines Ortes fest-
stellen. Umgekehrt ist natürlich auch aus dieser jene sofort zu erkennen;
Berlin muß also eine mittlere Sonnenhöhe von 90—521/, = 371/«0
haben, mithin am längsten Tag, wo die Sonne 23y2° über dem Himmels-
äquator steht, eine Sonnenhöhe von 37y2 + 23y2 = 61 °, am kürzesten
Tag eine solche von 37y2 — 23ya — 14 °.
3. Durch Messen des Mittagsschattens, also nach gleicher Z.^Mit Hilse
Untersuchungsart wie 2, nur unter Anwendung einfachster Mittel, daher ^sch^ens^'
Mittelpunkt der Sonnenscheibe, und fällt zur Mittagszeit der Schatten
des Stabes von A nach ß, so ist die Stabhöhe, dividiert durch die
% Schattenlänge, der Zahlenausdruck für die Tangente des Winkels ß; daraus
ergibt sich dieser mit Hilfe der trigonometrischen Tafeln. Weil nun ß
(als Außenwinkel) « y so ist a = ß—y oder (weil / 6) a = ß—ö.
Da d, der Winkel, unter dem uns der Halbmesser der Sonnenscheibe
erscheint, ungefähr y4 0 beträgt, so lautet dieser Satz in Worten: Der
aus Stabhöhe nnd Schattenlänge gefundene Winkel, ver-
ringert um y4 °, ist die Sonnenhöhe; die mittlere Sonnenhöhe aber
ist das Komplement der Breite. Freilich ist in Wirklichkeit das Schatten-
ende mir unsicher bestimmbar, weil der Kernschatten allmählich in ver-
schwommenen Halbschatten übergeht.
* *
*
Wegen der kugelähnlichen Gestalt der Erde ist unser Gesichtskreis IV. Horizont,
auch bei größter Durchsichtigkeit der Luft überall beschränkt; bei gleich-
mäßig freiem Ausblick in der Ebene oder auf dem Meere ist er ein Kreis,
dessen Größe mit der Höhe des Standpunktes wächst. Das von der Schnee-
14
I. Abriß der Allgemeinen Erdkunde.
foppe aus bei völlig durchsichtiger Luft zu umspannende Gesichtsfeld würde
72 500 qkm, d. h. nahezu die Größe von Bayern umfassen.
§ 5.
Geophysik.
(Schwere, Wärme, Magnetismus der Erde.)
I. Schwere. Die Punkte der einzelnen Parallelkreise haben zufolge der Erd-
weichungen ^eljung naturgemäß eine sehr verschiedene Geschwindigkeit. Die den
durch Breiten- Polen nahen Oberflächenpunkte der Erde durchwandeln ihre Tageskreise
Höhenlage ™ derselben Zeit eines Sterntages, in der die Punkte des Gleichers
40 070 km zurücklegen, also mit 465 m Geschwindigkeit bahtnfaufen.1
Je größer aber die Schnelligkeit der Drehung, desto größer auch die
Zentrifugal- oder Fliehkraft, d. h. das Streben des rotierenden Punktes,
sich von der Drehungsachse zu entfernen. Infolge dieses nach den niederen
Breiten zu erhöhten Widerstrebens gegen die alle Gegenstände nach dem
Erdmittelpunkt ziehende Kraft der Schwere zeigt sich diese äquator-
wärts verringert. Etwas trägt hierzu auch der Umstand bei, daß der
Mittelpunkt der Erde den niederen Breiten ferner, den höheren näher liegt;
denn die Erdgestalt ist nur sphäroidal, nicht genau kugelgleich. Zwar wirkt
jedes kleinste Massenteilchen der Erde anziehend, nicht nur der Erdmittel-
punkt; aber die Resultante der Anziehungskräfte sämtlicher Massenteilchen
äußert sich in der Wirkung des Anziehens säst genau nach dem Mittel-
punkt hin. Ein Sekundenpendel, d. h. ein Pendel, dessen Länge so gewählt
ist, daß es an einem bestimmten Ort genau in je einer Sekunde eine
Schwingung macht, schlägt also, wenn es für eine höhere Breite bemessen
ist, in niederen Breiten zu langsam, bis man es etwas verkürzt. Ein
richtig gehendes Sekundenpendel muß an beiden Polen 996, in Deutsch-
land 994, am Äquator 991 min lang sein. Dem entsprechend schlägt das
in geringer Seehöhe richtig gehende Sekundenpendel zu langsam, wenn
man es auf höhere Berge bringt, d. h. vom Erdmittelpunkt entfernt, ohne
die Breite des Ortes zu verändern.
2. Spezifisches Die Erde besteht aus dichterem Stoff als die auderen uns be-
Gewicht, fauuten Weltkörper, abgesehen vom Merkur und von den Eisenmeteoriten.
Durch Abwägen eines und desselben Körpers in verschieden großen Ab-
ständen vom Erdmittelpunkt bei unverändertem Abstände der Gewichts-
1 Diese Sekundengeschwindigkeit von 465 in erhält man, indein man die
Äquatorlänge durch 84164, d. h, durch die Sekundenzahl des Sterntages (S. 7)
dividiert.
§ s. Geophysik.
15
stücke hat man gefunden, um wie viel er in höherer Lage weniger wiegt
als in tieferer, d. h. um wie viel die Anziehungskraft der Erde auf jenen
Körper bei vergrößertem Abstand sich vermindert; hieraus berechnete man
die Masse der Erde, endlich hieraus und aus der bekannten Größe der
Erdkugel deren spezifisches Gewicht auf Da die Außenseite des
festen Erdkörpers aus Gesteinen besteht, deren spezifisches Gewicht meist
nur 2.5—2.g beträgt, so muß also die Erde weiter nach ihrem Innern
hin aus viel dichteren, wahrscheinlich eisenartig schweren oder noch
schwereren Stoffen zusammengesetzt sein. Auch die Erdrinde weist nicht
überall eine gleichmäßige Dichte auf. Sie ist unter den Ozeanen größer
als unter den Sockeln der Festländer, unter Gebirgen öfters geringer als
unter angrenzenden Ebenen. Man nimmt an, die Ursache für zu geringe
Dichteverteilung sei in Massendefekten innerhalb der Erdkruste zu suchen.
Es ist ein Irrtum, zu glauben, daß die Schwere eines Körpers
d. h. der Druck, den er auf seine Unterlage ausübt, oder der Widerstand,
den er dem Versuch ihn zu heben entgegensetzt, gar nicht von der Erde
abhinge, sondern seine von ihm allein geäußerte Kraft darstelle. Viel-
mehr ist die Schwere eines Körpers stets doppelt bedingt: 1. von seiner
Größe und der Dichte (dem spezifischen Gewicht) seiner Masse, 2. von der
Größe und Dichte des Weltkörpers, in dessen Anziehungsbereich der Gegen-
stand sich befindet. Bei uns würden alle Körper schwerer sein als sie
wirklich sind, wenn die Erde, die auf sie unterbrochen anziehend wirkt, aus
noch dichterem Stoff bestände, oder wenn sie bei gleicher Dichte größer
wäre. Auf der Sonnenoberfläche würde jeder Körper sogar 28 mal
schwerer sein als auf der Erde, weil die Sonne, obwohl ihr spezifisches
Gewicht nur 1.4 ausmacht (soviel wie das von Lehm oder Koks), eine un-
geheure Größe besitzt. Dagegen z. B. auf den Mond versetzt, würde jeder
irdische Körper nur noch y6 des Gewichtes besitzen, das er auf Erden
wahrnehmen ließ. Eine Doppelzentnerlast (100 kg) der Erde würde auf
der Oberfläche des Mondes von einem Kinde gehoben werden können; denn
sie übte dort nur einen Widerstand wie auf Erden 17 kg.
Die Temperatur der Erdoberfläche wird durch die Ein- und Aus- II. Wärme,
strahlung der Sonnenwärme bestimmt (Insolation), also durch das Maß^-^^^ung
der Sonnenwärme, das abhängig ist von der Zeitdauer der Bestrahlung Sonne,
und vom Einsallswinkel der Sonnenstrahlen, und von der Erwärmbarkeit
der bestrahlten Teile der Erdoberfläche. Der Gang der täglichen Tempe-
ratur ist aber ein Stück unter der Sodenoberfläche nicht mehr wahrnehm-
1 Das mittlere spezif. Gew. des Merkur ist 5.66, der Venus 5.41, das der
übrigen Planeten weit kleiner.
16
bar, und noch etwas tiefer hört auch der Einfluß der jahreszeitlichen
Unterschiede in der oberflächlichen Bodenerwärmung auf. In den tro-
pischen Gegenden, die nur geringe Schwankungen in der täglichen wie
jährlichen Temperatur kennen, liegt die Bodenschicht, die von der Ober-
flächenerwärmung nicht mehr berührt wird, ziemlich dicht unter dem
Boden, bei uns etwa 20 m tief.
2. Eigen- Von der thermisch im Jahreskreislauf nicht mehr veränderlichen
'^Erde.^ Schicht unter der Oberfläche nimmt die Wärme des Erdkörpers
nach der Tiefe hin ausnahmslos zu, jedoch in sehr ungleicher
Schnelligkeit, am schnellsten in Steinkohlenlagern. Bei durchschnittlicher
Zunahme der Wärme des Erdiuneru um 1 0 auf je 33 m und einer Wärme
der obersten thermisch unveränderlichen Schicht von z. B. 0" kann man
trotzdem in der (noch nie erbohrteu) Tiefe von 33 X 100 oder 3300 m
unter dieser Schicht noch kein Sieden des Wassers erwarten; denn der
Siedepunkt erhöht sich mit dem Druck, dieser aber ist, je weiter gegen den
Erdmittelpunkt hin, desto gewaltiger. Die tiefsten Bergwerke reichen kaum
über 1 km in die Tiefe; mit dein Erdbohrer erreichte man bisher eine
solche von 2.24 km (bei Czuchow in Oberschlesien). Diese Tiefen reichen
nicht aus, um etwas andres über das Erdiunere zu lehren als die be-
ständige Zunahme der Eigenwärme des Erdkörpers wenigstens im Gebiet
der Erdrinde. Alle Stoffe, die ihn zusammensetzen, müßten bei ähnlich
sich weiter fortsetzender Erwärmung nach der Tiefe zu sich in gasförmigem
Aggregatszustand befinden, falls der nach dem Erdinnern hin sich steigernde
Druck das gestattet. Wo es im Gebiet der Erdkruste zu Disfereuzeu des
Druckes kommt, gibt es in der Tat Ansammlungen von Gasen und Herde
von flüssigen Gesteinsmassen. Durch Aufsteigen in Zonen niedrigeren
Druckes, gegebenenfalls bis an die Oberfläche, geben sie in der Gestalt
von Erdbeben und Vulkanausbrüchen einige Knude von den thermischen
Zuständen tieferer Schichten, nicht aber von der Beschaffenheit des gesamten
Erdinneren.
II F. Mngue- Eine rätselhaste Eigenschaft der Erde ist ihr Magnetismus; er
t1 yinit<?. l)on ^er 0onne beeinflußt und unterliegt sowohl ununterbrochen vor
sich gehenden regelmäßigen, als auch plötzlich eintretenden unregelmäßigen
Veränderungen, die in ursächlicher Beziehung zu solchen auf dem Sonnen-
körper stehen. — Der wertvollste Nutzen, den wir vom Erdmagnetismus
ziehen, liegt in seiner Kraft, die im Kompaß schwingende Magnetnadel
(Deklination.) in eine bestimmte Richtung zu bringen. Nur aus wenigen Linien der
Erdoberfläche weist die sogenannte Nordspitze derselben wirklich genau
gegen N., sonst ist ihr uberall ö. oder w. „Mißweisung", d. h. Abweichung
§ 6 Darstellungen der Crde. 17
vom Ortsmeridian (Deklination) eigen. Die Linien gleicher Mißweisung
(Jfogonen) ziehen meist ähnlich wie die Meridiane, wandeln aber im
Lauf der Jahrhunderte langsam gegen W. oder gegen O. Deutschland
hat in unserer Zeit w. Deklination; sie beträgt jetzt im äußersten Osten
Deutschlands 4 °, tri Berlin 9 °, im äußersten Westen Deutschlands 13
und verringert sich örtlich in 10—15 Jahren um 1 °. Befestigt man eine (Inklination.)
Magnetnadel in ihrem Schwerpunkt an einer horizontalen Achse, so daß
sie sich der magnetischen Anziehung folgend frei um diese drehen kann, und
stellt sie so auf, daß die Drehungsebene in den magnetischen Meridian
fällt, dann neigt die Nadel mit einer Spitze sich nach unten. Diese
Neigung (Inklination) beträgt am magnetischen N.-Pol auf der uord-
amerikanischen Halbinsel Boothia Felix ebenso wie am magnetischen S>-
Pol * 'im s. Südviktorialand w. des Roßmeeres 90 °, in Berlin gegen-
wärtig etwa 67 °, am magnetischen Äquator, einer Linie, die bald n., bald
s. vom geographischen Äquator die Erde umzieht, 0 Die Linien gleicher
Inklination (Jsoklinen) gehen meist von O. nach W. und verschieben
sich wie die Jsogonen.
Die kleinen, täglichen Störungen des Magnetismus siud am un- Polarlichter,
bedeutendsten, wenn die Sonne die wenigsten Flecken hat, am beträcht-
lichsten in den Jahren der Sonnenflecken-Maxima, fast zuckend vor dem
Eintritt der Polarlichter, auch an Orten, wo man diese prachtvollen
Lichterscheinungen sich nicht über den Hunmel ausbreiten sieht. Die Polar-
lichter werden am häusigsten in den beiden Polarzonen gesehen. Arktische
Nordlichter treten gewöhnlich gleichzeitig mit antarktischen Südlichtern
auf, schon in unseren Breiten aber selten, innerhalb der Wendekreise fast
nie oder doch nur schwach.
§ 6.
Darstellungen der Erde.
Naturgetreu läßt sich die Erde nur abbilden als Globus, d. h. als I. Globus.
Kugel. Karten stellen zwar die Erdoberfläche in der Ebene dar, ver-
mögen das aber nur durch Verzerrung der wirklichen Lagenverhältnisse;
denn man kann weder die Kugeloberfläche als Ganzes noch ihre einzelnen
Teile zur Ebene ausglätten^ ohne ihre Gestalt zu verändern. Karten Ii. ®nvtc.
sind also immer nur annäherungsweise getreue Abbilder der Erd-
oberfläche. Bei kleineren Abschnitten der Kngeloberfläche ist jedoch ihre
Abweichung von der Ebenenform weniger merklich. Auch beim Apfel
1 Der magnetische N.-Pol ist auf einer Expedition von Roß im Jahre 1831
gesunden, der S.-Pol von Shackleton 1908 au der von Gauß berechneten Stelle.
Lampe, Erdkunde. Heft 4. 2
18
I. Abriß der Allgemeinen Erdkunde.
kann man kleine Schalenabschnitte kaum von einer Ebene unterscheiden,
dagegen größere Schalenteile nicht in eine Ebene breiten, ohne daß sie
a) Projektion, zerreißen. Die Entwurfsweise der Karten wird Projektion genannt.
Es handelt sich bei jedem einzelnen Kartenentwurf darum, ein für den
betreffenden Zweck geeignetes Gradnetz zu wählen, das von demjenigen
auf dem Globus nicht allzu fehr abweicht. In dieses Maschcnnetz der
Grenzlinien von Breiten- und Längengraden werden dann Küstenlinien,
Flüsse, Gebirge, Ortschaften usw. möglichst naturgetreu eingetragen unter
Zugrundelegung eines bestimmten Maßstabes,
d) Maßstab. Der auf der Karte angegebene Maßstab drückt stets das gewählte
Längen Verhältnis aus. Der Maßstab 1:25 000 z.B. bedeutet mit-
hin, daß jeder 1 mm betragende Abstand zweier Punkte auf der Karte einen
Abstand von 25 000 mm oder 25 m in der Wirklichkeit ausdrückt. Der
Flächenmaßstab einer solchen Karte wäre also 1:25 000; selbst von
Kartenblättern dieses großen Maßstabs (1:25 000) gehörten nicht weniger
als 625 Millionen Stück dazn, um die aus dem Blatt dargestellte Land-
schast damit zu überdecken. Es ist der Maßstab der „Meßtischblätter",
die von den Militärbehörden der 4 deutschen Königreiche aufgenommen
werden. Die aus 675 Blättern bestehende einheitliche Karte des Deutschen
Reiches, die ebenfalls von der preußischen Landesausnahme und den topo-
graphischen Bureaus in München, Dresden und Stuttgart hergestellt ist,
besitzt den Maßstab: 1: 100 000.
M e r k a t o r - E n t w u r f.1
1. Merkawr- Um die ganze Erdoberfläche als ein ebenes Viereck darstellen zu
Entwurf. können, denkt man sich die Erdkugel in einen sie im Äquator berührenden
Zylinder verwandelt, dessen Achse die Erdachse ist; die Meridianlinien
trägt man aus die Außenseite (den Mantel) des Zylinders da ein, wo
jene von den erweiterten Meridianebenen geschnitten wird; die Parallel-
kreise werden als parallele Geraden senkrecht zu den Meridianlinien in
Abständen nach einem bestimmt berechneten Gesetze eingezeichnet; und
schließlich schneidet man den Zylindermantel längs irgend eines Meridians
auf und rollt ihn in die Ebene, so daß er ein Rechteck bildet mit lauter
geradeu Gradnetzlinien.
Die 360 Kugelzweiecke der Längegrade erscheinen somit als Recht-
ecke, die 180 Breitengrade auch, jedoch läßt man sie nicht wie jene einander
gleich in die Breite. Durch die widernatürliche Ausbreitung der Längen-
1 Cr heißt nach dein verdienstvollen dentschen Geographen Si rem er (lati-
nisiert: Mercator, Händler, Krämer), der ihn erfnnden und zuerst 1569 ans seiner
großen Erdkarte zur Anwendung gebracht hat.
19
grade, die nach beiden Polen doch ganz spitz zulaufen sollten, werden
nämlich die Ländergestalten in höheren Breiten bei dieser Entwurssart
in der Richtung von O. nach W. arg ausgezerrt- um das gleiche in der
Richtung von N. nach S. zu erzielen, verbreitert man alle Breiten-
grade in demselben Maße, in dem man die Längengrade unter der näm-
lichen Breite über die Natur ausdehnt, am meisten deshalb die gegen beide
Pole hin. Auf solche Weise wahrt man die Formähnlichkeit der Länder-
gestalten: Die Karte ist winkeltreu, d. h. sie gibt die Winkelgrößen
unverändert so wieder, wie sie auf der Erdoberfläche selbst oder auf dein
Globus erscheinen, jedoch ist sie nicht fläch eutreu; denn ihr Maßstab
wächst mit der Polnähe der Breitengrade. Grönland z. B. erscheint mehr
denn dreimal so groß wie Australien, während in Wirklichkeit das uin-
gekehrte Verhältnis stattfindet. Der Merkator-Entwurf hat einen ganz
besonderen Wert für den Seemann; denn eine Karte nach diesem Ent-
wurf zeigt die Umrisse aller Länder naturgetreu, und die Meridiane und
Parallelkreise schneiden sich wie in der Wirklichkeit rechtwinklig.
Die Seekarten werden daher stets nach Merkator gezeichnet, denn nur auf
solchen Karten findet der Seemann seinen Knrs, d. h. die Richtung, in
welcher er zu steuern hat, geuau durch den Winkel, den eine gerade Linie
mit denen des Gradnetzes bildet.^
1 Hält der Seemann zwischen Anfangs- und Endpunkt seiner Fahrt den-
selben Kurs inne, so beschreibt er auf der Meeresfläche eine Kurde, die den
Namen Loxodrome erhalten hat. Die kürzeste Verbindungslinie beider Punkte
ist der Hauptkreisbogen zwischen ihnen.
2*
20
Aquatorial-Entwurf.
2. Stereo- Zur Darstellung der ö. und w. Halbkugel der Erde in je einem
Äquatorial- ^re*§ (Planiglob denkt man sich den Augenpunkt des Darstellers in
Entwurf, demjenigen Punkt des Äquators, der die Oberflächenmitte der nicht dar-
zustellenden Halbkugel bezeichnet, diese Halbkugel selbst aber abgehoben,
dagegen die darzustellende durchsichtig wie Glas. Als Zeichenebene der
Karte wählt man denjenigen Kreis, der diese beiden Halbkugeln voneinander
trennt sin untenstehender Figur im Durchschnitt dargestellt als Linie NS) und
zeichnet jeden Punkt der abzubildenden Halbkugeloberfläche dort ein, wo
iT
eine Verbindungslinie zwischen ihm und dem Augenpunkt die Zeicheuebeue
trifft, z. B. den Punkt 70, wo der 70. Parallelkreis den Meridian NAH
schneidet, als Punkt 70 auf der Linie KS. Der Meridian NAS wird also
dabei zu der Geraden NS als ns. Mittellinie der Planiglobkarte, der Halb-
kreis des Äquators, der in A diesen Meridian kreuzt, wird ebenfalls zu
einer Geraden, die jene als ow. Mittellinie durchkreuzt; sämtliche übrigeu
Linien des Gradnetzes erscheinen als Bogen, die Meridiane wenden ihre
Hohlseite dem geraden Mittelmeridinn zu, die halbierten Parallelkreise die
ihrige dem Pol ihrer Halbkugel.
Weil alle dem Auge näheren Dinge uns größer erschauen als
ebenso große, aber dem Auge fernere, so erscheinen bei diesem Äquatorial-
1 d. h. eine in die Kreisebeue (planum = Ebene) umgewandelte Globnshälfte.
21
Entwurf die Gradnetzmaschen, die doch innerhalb jedes Breitengürtels
einander an Größe völlig gleichen, in der Mitte des Kartenbildes viel
kleiner als nach dem ö. und tu. Kartenrand (tute die nebenstehende Ab-
bildung dieses Entwurfs zeigt). Die Meridiane, die tatsächlich unter
gleicher Breite völlig gleichen Abstand voneinander haben, treten nämlich
nach dem ö. und tu. Kartenrand weiter voneinander ab und gleichfalls die
Parallelkreise, die deshalb gar nicht mehr einander gleichlaufend erscheinen.
Die gleich großen Entfernungen der Kreuzungspunkte 70, 50, 30, 10
aus dem Meridian NAS der obigen Figur verkürzen sich je nach ihrem
zunehmenden Abstand vom Augenpunkt auf der Linie NS innerhalb der
Zeichenebene um so mehr, je näher sie hier der Kartenmitte liegen; dies
zeigt, daß auch in gleicher Längenlage die Parallelkreisabstände vom
Äquator aus gegen N. und D. widernatürlich zunehmen. Folglich stellt
diese Eutwurssart Landes- und Meeresteile abermals nicht nach gleichein
Maßstab dar, sondern nach der Kartenmitte hin in kleinerem, nach der
Peripherie hin in größerem. Indessen ist die Fälschung der Größenver-
hältnisse doch bei weitem nicht so groß wie beim Merkator-Entwurf (man
vergleiche wieder Grönland mit Australien). Die Abbildung ist, wie bei
der von Merkator, eine winkeltreue.
Außer der zuletzt erörterten Art der Kartenprojektion, der söge- 3. Ortho-
nannten stereographischen, gibt es noch eine orthogonale, d. h. A^ato^al-
rechtwinklige. Bei ihr denkt man sich den Augenpunkt unendlich fern von Entwurf.
1 Abriß der Allgemeinen Erdkunde.
der Zeichenebene, aber ebenso wie bei der stereographischen über der Mitte
derselben; die Verbindungslinien der abzubildenden Punkte mit dem Augen-
punkt treffen diese Ebene folglich rechtwinklig. Dadurch prägen sich zwar
die auf die mittlere legend des Planiglobs fallenden Räume naturwahr
aus, jedoch alle randständigen erleiden so arge Verkümmerung wie beim
Betrachten der nämlichen Halbkugel auf einem Globus. Man verwendet
deshalb orthogonale Entwürfe fast nie zu Planiglobkarten. Die Abbildung
ist weder winkel-, noch flächentreu.
Polar-Eutwur f.
4. Stereo-' Der Polar-Eutwurf unterscheidet sich vom äquatorialen dadurch,
^r$oIar=61 ^ ^cr Augenpunkt sich statt in der Äquatorebeue in der Erdachse befindet
Entwurf, und die Zeichenebene nicht rechtwinklig auf dem Äquator steht, sondern
die Äquatorebene selbst ist.
Bei der stereographischen Polar-Entwurfsweise liegt der Augen-
punkt im Pol, im N.-Pol bei Abbildung der S.-Halbkugel^ int S.-Pol
bei Abbildung der N.-Halbkugel. Die Meridiane erscheinen als gerad-
linige Strahlen vom Pol aus, die Parallelkreise als konzentrische Kreise.
Wiederum kommen die mittleren Gegenden (als die vom Beschauer fer-
neren) viel kleiner zum Ausdruck als die randständigen.
5. Ortho- Beim orthogonalen Polar-Entwurf denkt man sich wieder das
^Polar- ^U9C *n unendlicher Ferne von der Bildfläche, auf der der Ort jedes
Entwurf. Bildpunktes durch Lotfällen vom darzustellenden . Punkt aus gefunden
wird. Der Vergleich der Figur oben, die das Entstehen dieser Entwurfs-
weise verdeutlicht, und der auf Seite 23, die diesen Gradnetzentwurf
selbst darstellt, lehrt, daß letzterer zwar die Ränder der Kreiskarte bis zur
Unerkennbarkeit zusammenschrumpfen läßt, sich aber gut eignet zu natur-
getreuer Abbildung des engeren Raums um den Pol. In der obigen
Figur bedeutet ACA den Äquatordurchmesser, ANA den über ihm stehen-
§ 6. Darstellungen der ifrbe.
23
den meridionalen Halbkreis der Erdoberfläche, gebildet aus den beiden
Quadranten (Meridianhälften) AN und NA. Die auf dem Bogen ANA
einander gleichen Abstände der Parallelkreisdurchschnitte 20, 40, 60, 80
projizieren sich dnrch ihre Lote in ungleichen Größen auf der Linie AGA
in der Bildebene, am schlimmsten verkürzt nach den beiden Endpunkten
Parallelkreise zu nahe an den Gleicher.
K e g e l - E u t w u r f.
Der Kartenentwurf auf den Mantel eines Kegels ist insofern 6. Kegel
für uns der wichtigste, weil er am meisten sich eignet für die Kartierung euttma'f
von Ländern mittlerer Breiten, also sämtlicher Länder Europas^ vor allem
unseres Vaterlandes.
Zu diesem Zweck denkt man sich über diejenige Erdhalbkugel, der
das darzustellende Land angehört, einen Kegel gestülpt, und zwar so,
daß seine Achse in die Richtung der Erdachse sällt und sein Mantel die
Erdkugel in demjenigen Parallelkreis (BB') berührt, der die Mitte des be-
treffenden Landes durchzieht. Nun erweitert man die Ebenen der Meridiane
bis zu ihrem Durchschnitt mit dem Kegelmantel und erhält dadurch aus
ihm Strahlen von der Kegelspitze A nach dem Kegelrand (wie sie aus
der rechten Seite unserer Figur ausgezogen sind). Diese Strahlen bilden
die Meridiane des Kegelentwurfs; rechtwinklig zu ihnen legt man Kreise
24
um den Kegelmantel als Breitenkreise oberhalb wie unterhalb des Be-
rührungskreises BB', die ebensoweit voneinander abstehen wie die ihnen
entsprechenden Parallelkreise auf der Oberfläche des Globus. Schneidet
man schließlich den Kegelmantel längs eines Meridians auf und rollt ihn
ab, so läßt er sich in eine Ebene ausglätten und zeigt das uns von jeder
Karle Deutschlands wohlbekannte Gradnetz: Die Meridiane erscheinen als
Strahlen, die alle gleichmäßig nach S. auseinanderweichen, die Parallel-
kreise als Bogenstücke konzentrischer Kreise mit der Hohlseite gegen N.
7. Bonnes Bei Kegelkarten, die sich durch eine große Anzahl von Breiten-
Entwurst grn£,en ausdehnen, z. B. bei solchen von ganz Europa oder gar von ganz
Asien, macht sich ein llbelstand der Kegel-Entwurfsweise unangenehm
bemerkbar: Die Längengrade haben stets nur auf dem mittelsten Breiten-
kreis ihre wahre Breite, sind dagegen sowohl nördlich als südlich von
demselben breiter als in der Wirklichkeit. Nm dem abzuhelfen, trägt
man bei derartigen Kegelkarten nicht bloß auf dem mittleren Breitenkreis,
sondern auf allen die Meridiandurchschnitte in ihrer naturgetreuen Ent-
fernung ab und verbindet die zu einer und derselben Länge gehörigen
Schnittpunkte durch Bogenlinien. Dieser veränderte Kegelentwurf
unterscheidet sich demnach von dem reinen durch bogige Mittagslinien,
die in der O.-Hälfte wie in der W.-Hälfte der Karte ihre hohle Seite
der Kartenmitte zukehren. Er wird nach dem Franzosen Bonne [fron']
der Bonnesche Entwurf genannt und pflegt bei der Darstellung ganzer
Erdteile viel angewandt zu werden, abgesehen von Afrika.
§ 6. Darstellungen der Lrde.
25
F l a m st e e d s ch e r Entwurf.
Nach dem Engländer Flamsteed Iflamstid^ wird eine Entwurfsart«. Flamsteeds
genannt, die sich für Kartierung äquatornaher Erdräume gut eignet, be- n 10111'
sonders für Afrika, das sich fast gleichweit nord- und südwärts des Gleichers
ausdehnt. Äquator und sämtliche übrigen Breitenkreise bilden bei ihr
wie im Merkator-Entwurs parallele Gerade, jedoch in naturgetreu gleich-
großem Abstand voneinander; der mittlere Meridian wird ebenfalls als
gerade Linie eingetragen, die anderen Meridiane hingegen wie beim Bonne-
scheu Entwurf als Bogeitlinien, die im naturgemäßen Abstand, also wie
auf dem Globns, die Breitenlinien durchschneiden, folglich dem Mittel-
meridian ihre Hohlseite zuwenden.
Diese Entwurfsweise ist zwar gleich der Bonneschen flächentreu, denn
beim Vergleichen der Gradnetztrapeze jeder Breitenlage bemerken wir, daß
die Parallelkreise wie die Meridiane ihre Abstände naturgetreu einhalten.
Der Übelstand besteht jedoch in der zu beiden Seiten des Mittelmeridians
immer mehr wachsenden Winkeluntreue. Denn je mehr wir uns von
jenem Meridian nach O. oder nach W. entfernen, um so spitzwinkliger
durchschneiden die Meridiane die Breitenkreise; das verursacht zumal beim
Flamsteedschen Entwurf mit seinen geradlinigen Parallelkreisen eine der-
artige Verzerrung nach dem rechten wie nach dem linken Kartenrand hin,
daß solche Entwürfe für die Kartendarstellnng von Erdräumen weit-
gedehnter ostwestlicher Erstreckung sich wenig eignen.
A z i m u t a l - E u t w u r f.
Zur Kartendarstellung einzelner Teile der Erdoberfläche jedweoer 9. Azimutal
Lage empfiehlt sich wegen Naturtreue der Azimutal-Entwurs, der deshalb Entwurf,
auch immer häufiger in unseren Atlanten Anwendung findet.
Er heißt danach, daß die einzelnen Punkte des Kartenbildes so wie
bei der Kartenaufnahme des mit dem Auge des Beschauers zu beherrschenden
Gesichtskreises bestimmt werden durch Azimut und Entfernung. Azimut
bedeutet die horizontale Richtung, in welcher dem in der Mitte des Gesichts-
kreises stehenden Beobachter irgend ein Punkt erscheint; das Azimut be-
stimmt man durch Messen („Peilen") des Winkels, den der auf den Punkt
gerichtete Augenstrahl des Beobachters mit der Verbindungslinie seines
Standpunkts nach dem Nordpunkt des Horizonts hin bildet (der Ostpunkt
z. B. hat also das Azimut 90 °, der Westpnnkt 270 °, da man hierbei die
Winkelgrade über die ganze Peripherie des Gesichtskreises durchzuzählen
pflegt und zwar „im Sinne des Uhrzeigers", d. h. von N. über O., S., W.).
Kennt man nun außer der Richtung, in der ein Gegenstand dem Beschauer
erscheint, auch noch dessen Abstand, so läßt sich sein Ort genau in die
Karte eintragen.
20
1. Abriß der Allgemeinen Erdkunde.
Zur Herstellung einer Landkarte im Azimutal-Entwurs denkt man
sich das viereckige Kartenblatt so aus den Globus gelegt, das es diesen
in der Mitte des darzustellenden Gebiets (in nebenstehender Figur im
Pnnkt A) berührt, und überträgt sodann alle Dinge, zuvörderst die
Kreuzungspunkte des Gradnetzes,
nach Richtung (Azimut) wie Abstand
von A aus dem Globus auf die
Ebene des Kartenblatts. Um neben
möglichster Winkeltreue auchFlächen-
treue zu erzielen, macht man die
Fläche des Kartenbildes genau gleich
derjenigen der darzustellenden Kugel-
kappe („Kalotte"), in unserer Zeich-
nung alsodersphürischenFlächeöAO
mit der kreisförmigen Grundfläche,
die hier perspektivisch zur Ellipse
verkürzt erscheint und den Durchmesser HC hat. Weil aber die sphärische
Oberfläche der Kalotte ebenso gesetzmäßig größer ist als der Basiskreis
der letzteren, wie der Kreisbogen stets größer ist als die zugehörige Sehne,
so muß der Kreis des Kartenbildes (mit dem Durchmesser ITC!') folglich
auch jenen Basiskreis (mit dem Durchmesser BC) an Größe übertreffen.
Obwohl also alle Punkte der um A zu beschreibenden konzentrischen Kreise
der Karte genau den nämlichen geradlinigen Abstand von A einhalten,
wie die Pnnkte der Globusoberfläche, deren Abbild sie sind, in sphärisch
gekrümmter Linie von A abstehen, so sind sie voneinander selbst doch
weiter entfernt als letztere, denn sie gehören gedehnteren Kreisen an.
Diese Sperrung erscheint am unmerklichsten in der Kartenmitte, weil hier
die Kartenkreise nur wenig ihre Urbilder an Umfang überragen, sie wächst
aber nach außen.
Karten azimutalen Entwurfs müßten eigentlich immer kreisrund
sein, indessen schneidet man sie gewöhnlich vierseitig aus. Fällt der Be-
rührungspunkt (A) in den Pol, so ähneln die Karten der auf Seite 22
abgebildeten Polarkarte (Meridiane strahlig, Parallelkreise alle kon-
zentrische Kreise). Fällt der Berührungspunkt auf den Äquator, so ähneln
sie solchen vom stereographischen Aquatorial-Entwurs (Seite 21). In allen
anderen Fällen erkennt man sie daran, daß nur der Mittelmeridian gerad-
linig verläuft, die übrigen diesem ihre Hohlseite zukehren, während alle
Breitenkreise Bogenlinien (aber nicht Kreisbogen) gleicher Wölbung, so-
wohl n. als s. des Gleichers, darstellen.
Zahlcntafcl zur motheniatischen Erdkunde.
27
Zahlentafel zur mathematischen Erdkunde.
Abstand des nächsten Fixsterns außerhalb unseres Sonnen-
systems van der Erde ..........^Lichtjahres
Mittlerer Abstand der Erde von der Sonne ..... 149Mill. km
Scheinbare Größe der Sonne im Mittel.....32 Bogeuminuten
Scheinbare Größe des Mondes im Mittel .... 31 „ 2
Mittlerer Abstand des Mondes von der Erde 384 000 km (60 Erdradien)
Mondhalbmesser .....................17-10 km
Mondumlauf um die Erde...............27 ^ Tage
Derselbe bis zum Wiedereintritt derselben Phase . . . 29^ „
Winkel zwischen Mond- und Erdbahn ...... 5°
Winkel zwischen Aqnatorebene und Erdbahn oder Ekliptik
(also auch zwischen Erdachse und einer auf der Erd-
bahn errichteten Senkrechten) ........ 23 x/2 0
Sterntag oder wahre einmalige Drehung der Erde um ihre
Achse ................23 St. 56 Min. 4 Sek.
Nmlausszeit der Erde um die Sonne..............365^ Tage
Fortbewegung der Erde in ihrer Bahn um die Souue in
der Sekunde fast ........... 30 km
Rotationsbewegung jedes Äqnatorpunktes in der Sekunde 465 m
Länge der Erdachse ........... . 12712 km
Länge der Äquatordurchmesser............12755 „
Mittlere Lauge der Erddurchmesser...........12740 „
Also mittlere Länge der Erdhalbmesser............6370 „
Länge der Äquatorlinie .......... . 40070 „
Also Länge jedes Äquatorgrades........111.^7 „
Breite eines Breitengrades «Länge einesMeridiangradcs)amÄquator 110.5 km
Zunahme dieses Wertes polwärts bis zu ...... 111.7 „
Länge des Sekundenpendels am Äquator......991 mm
Dieselbe in Mitteleuropa..............994 „
Dieselbe an beiden Polen.................996 „
Ferro - Meridian.............17 -/z^w.Gr.
Pariser Meridian.............21/3°ö. Gr.
Größe der Aussichtsweite (weun Ii die Höhe des Stand-
Punktes, in Metern ausgedrückt, bedeutet) . ... Ii. 3.8 km
Arealgröße der Aussichtssläche.........h. 45.3 qkm
' Ein Lichtjahr bedeutet die Entfernung, die der Lichtstrahl in einem Jahr
durchmißt, also das Produkt der Sekundenzahl eines Jahres mit 300 000 km (fast
9.5 Billionen km). —■ * Zwei Vollmondbreiten bedecken also fast genau einen
Grad eines größten Himmelskreises.
28
3. Die Lusthülle der Erde.
§
Luftdruck und Wind.
r. Luftdruck, Die Lufthülle oder Atmosphäre umgibt den Erball in Gestalt
einer Hohlkngel. Die Luft wird nach oben immer dünner, so daß der
Arensch in ihr schon bei 9—10 km Höhe kaum noch zu atmen vermag.
Die Meteorologie oder Wetterkunde und die Klimatologie oder
Klimakunde macheu uns mit der Wichtigkeit des Luftdrucks für alle
atmosphärischen Bewegungserscheinungen bekannt. Er wird durch Queck-
silber-Barometer oder Aneroid-Dose gemessen. Das Grundgesetz lautet:
Die Luft bewegt sich stets vou der Gegend des höheren Drucks
nach der des niederen, vom barometrischen „Maximum" nach dem
barometrischen „Minimum".
In den höheren Schichten der Atmosphäre nimmt der Luftdruck
naturgemäß ab, denn die Dichte der unteren Teile einer Luftsäule wird
eben durch deu Druck des über ihr lastenden Nestes derselben verursacht.^
Aber auch int Niveau des Meeresspiegels greuzen, schon infolge ungleicher
Erwärmung, schwerere au leichtere Luftschichten; deshalb kommt die Luft
auf Erden nie zur Ruhe. Linien gleichen Luftdrucks (dieser gemessen im
Niveau des Seespiegels oder auf dasselbe rechnerisch zurückgeführt) heißen
Isobaren.
II. Wind. Stürme entstehen durch plötzliche und starke Luftauflockerung, d. h.
durch Erzeugung eines besonders tiefen Minimums; von allen Seiten
drängt danu die schwere Luft iu die aufgelockerte Luftsäule, das Sturm-
zentrum, heftig hinein. Wo sich der Luftbewegung die geringsten Hemm-
uifse entgegensetzen, änßert sie sich am stärksten, so auf Bergeshöheu, weiten
Ebenen (z. B. die Burane Jnnerasiens), vollends auf dem Meere (z. B.
die Taifune in südostasiatischen Meeren). Wegen der meist geradlinigen
Fortbewegung des Sturmzentrums ist es auf Grund der Kenntnis von
' Deshalb kann man erreichbare Höhen der Erdoberfläche mittels des
Barometers, nämlich nach dem Grade ihrer Luftverdünnung messen. Andere
Höhenmessungen sind 1. die trigonometrische durch Messung des Höhentvinkels;
sie ist bei nicht zu ersteigenden Höhen das allein anwendbare Verfahren; 2. das
Nivellement, d. h. die Abmessung der Bodenerhebung von einem der Höhe nach
bekannten Ausgangspunkt Strecke für Strecke mit der Meßlatte bis zu der zu
bestimmenden Höhe hin, so bei Eisenbahnbauten.
§ 7. Cuftbrucfc und wind.
29
gerade herrschender Lustdruckverteilung mit Hilfe telegraphischer Benach-
richtigung möglich, herannahende Stürme vorauszusehen und Sturm-
Warnungen zu erteilen. Z. B. tut das für Nord- und Ostseeküsten die
Hamburger See warte, die überhaupt ähnlich wie das Kgl. preußische
Meteorologische Justitut Wetterprognosen, d. h. Voraussagen über
den mutmaßlichen Gang der Witterung für den nächsten Tag unter Bei-
gäbe von Wetterkarten versendet. Aus ihnen sind Luftdruckverteilung
und Winde zu ersehen, wie sie an einem bestimmten Zeitpunkt geherrscht
haben und ist die mutmaßliche Weiterentwicklung der Witterung zu er-
schließen. Prognosen für längere Zeiträume haben sich noch nicht er-
möglichen lassen.
Das wintermilde Becken des Mittelmeeres stellt gegenüber den im Fallwinde.
N. umliegenden höheren, also rauheren Festländern das Gebiet eines
Minimums dar im Gegensatz zu einem Luftdruckmaximum, das z. B. auf
den Hochflächen der Auvergne und denen der istrischen Karstlandschaft
oft im Winter sich herausbildet. Dann wird die Luft von den Höhen
kräftig herabgesogen, d.h. über die Cevennen stürzt der Mistral, über die
Ränder des Karstes die Bora wie eine kalte Windkaskade hinab. Wenn
n. der Alpen ein Minimum, s. ein Maximum liegt, entsteht ähnlich der
Föhn als Fallwind von großer Heftigkeit. Gefürchtet sind die eisigen Fall-
winde aus NO.-Asien über das Stanowoi-Gebirge zum Ochotskischen Meere.
Auch sanftere Luftauflockerungen werden Ansaugungs- oder Aspi- See- und
rationszentra für die dichtere Luft ihrer Umgebung. So zieht an Südwind.
Seeküsten tagsüber die Luft in das sich stärker erwärmende Land, nachts
umgekehrt die Landluft nach dem wärmer bleibenden Meere: Wechsel von
See- und Landwind. Ebenso weht die Luft in Gebirgen tagsüber Berg- und
nach den sich rascher erwärmenden Höhen die Abhänge und Talsohlen
hinan, nachts umgekehrt nach dem weniger rasch erkaltenden Umland hinab:
Wechsel von Tal- und Bergwind.
Afrika ist die einzige große Landmasse, die infolge stetig starker Monsun.
Erhitzung auch stets ein barometrisches Minimum einschließt; nur ver-
schiebt es sich mit dem scheinbaren jährlichen Sonnenwandel gegen N.
und S.; es hat deshalb auch beständigen Seewind vom Guineabusen
her. Im n. Ostafrika dagegen wird nur jahreszeitlich die Luft vom
Indischen Ozean angesogen; in anderen Monaten weht sie nach Indien
hinein. Die jahreszeitlichen Wechselwinde oder Monsune beruhen wie
die täglichen Wechsel von See- und Landwinden regelmäßig auf der Aus-
bildung barometrischer Minima in der heißen, barometrischer Maxima in
der kalten Jahreszeit, so in der ö. Union, in Transkaukasten, vor allem
30
I. Abriß der Allgemeinen Lrdkunde.
stillen-
Gürtel.
in SO.-Asien; denn hier erfolgt allsommerlich über Hochasien die stärkste
Luftverdünnung auf Erden, allwinterlich in SO.-Sibirien die stärkste
Luftverdichtung. Nirgends erfährt also die Quecksilbersäule des Baro-
Meters eine solche Senkung unter den mittleren Stand von 760 mm als
im Sommer, nirgends eine solche Steigerung über ihn als im Winter jener
asiatischen Binnengegenden, und dem entspricht die Größe der Wirkung
auf den regenspendenden Sommermonsun vom Meere, den trocknen
Wintermonsun vom Binnenland her. Nur Vorderindien bildet in diesem
Bereich während des Winterhalbjahrs eine Sonderprovinz: Die schwere
zentralasiatische Luft kann nicht die Zinnen des Himalaja überschreiten,
die von der Halbinsel zum warmen Indischen Meer abfließende Winterluft
stammt von dieser selbst, und 2 km über ihr gewahrt man den Luftersatz
durch einen Gegenmonsun vom Meer ins Land.
Auch der große Austausch der Luft durch alle Zonen hindurch bc-
ruht einfach auf Unterschieden des Luftdrucks. Am gleichmäßigsten erfährt
die Erdoberfläche höhere Erwärmung in
der Nähe des Äquators. Hier drängt
daher die Luft in einem fast die ganze
Erdkugel umfassenden Gürtel so sauft
in die Höhe, daß man nichts von Wind
spürt: Gürtel der Windstillen, Kal-
men- oder Stillen-Gürtel. Ihn
begrenzt im S. ungefähr der Äquator.
In der Höhe der Atmosphäre fließt
diese aufgestiegene Luft teils nach der n.,
teils nach der f. Halbkugel ab; die kältere
Luft der höheren Breiten zieht zum Er-
satz von beiden Seiten nach dem Stillen-
Gürtel hin, und mit ihr vereinigt sich ein Teil der oberwärts abgeflossenen
Luft beim 30. n. und beim 25. s. Parallelkreis; diese kommt uämlich bei
ihrem polwärts gerichteten Wege in engere Räume, sucht daher abwärts
drängend Raum zu gewinnen und strömt dann teilweise in höhere Breiten,
teilweise zurück in den Stillen-Gürtel. Die im Stillen-Gürtel empor-
gestiegenen Luftteilchen sinken, durch die Aufsteigung selbst erkaltet, zwar
immer wieder hinab, um dasselbe Spiel unzählige Male von neuem
durchzumachen; durch die hier um beständigsten auswärtsstrebende Luft
sammelt sich dennoch in der Höhe stets eine durch den ständigen Nachschub
verdichtete Luftmasse, die gegen N. wie S. minder dichte Luftschichten
zur Seite hat, diese folglich verdrängt. Da durchschnittlich überhaupt
Südpol
§ 7. Luftdruck und TOttiö.
31
jeder äquatoruähere Breitengürtel einen wärmeren Luftgürtel trägt als der
ihm polwärts benachbarte, so wird auch außerhalb des Stillen-Gürtels aus
ähnlichen Gründen in gleichen Lufthöhen dichtere Lust regelmäßig polwärts
dünnere Luft neben sich haben und sie zu verdrängen bestrebt sein. Hier-
durch ergibt sich im ganzen eine doppelte Luftströmung in der Richtung
vom Äquator nach beiden Polarzonen (Äquatorialström) und eine
doppelte Ersatzströmung beider Erdhälften in entgegengesetzter Richtung
(Polarstrom). Der Passat gehört demnach seiner Züchtung gemäß Passat,
zum Polarstrom, obwohl ein gutes Teil gegenpassatischer Luft immer von
frischem in ihn eintritt. Der gegenpassatische Äquatorialstron: macht sich
anderseits noch in unseren Breiten mitunter hoch oben im Luftmeer bemerk-
lich, denn er ist es, der die höchsten Wölkchen uns aus SW. am Himmel
hintreibt.
Beginnt eine Bewegung, z. B. die eines Pendels, in genauer NS.-
Richtung im Meridian 0 (wie die Pfeile von a aus andeuten sollen),
so wird sie, falls sie immer die gleiche Richtung beibehält, aber bei der
Ostdrehung der Erde allmählich in die Gegend gelangt, die bei ihrem Beginn
der Meridian 60 einnahm, sich mit der Meridianrichtung kreuzen, weil
die Meridiane polwärts aufeinander zustreben; auf diese Art machte
Foueault durch mehrstündiges Schwingenlassen langer Pendel in
hohen Gewölben die Rotation der Erde augenfällig. Bewegt sich nun
ein Lustteilchen anfangs ebenso in der Richtung des Meridians pol- oder
äquatorwärts, so wird uns seine Richtung, wie vorstehende Figur zeigt,
nach einiger Zeit durch den bloßen Einfluß der Erdrotation nicht mehr
als eine meridionale erscheinen: Der Punkt u wird bei beständiger Fort-
bewegung in der Richtung des Pfeiles a b nicht in (1 eintreffen, wenn
32
I. Abriß der Allgemeinen Erdkunde.
sein Meridian in die Stellung eingerückt ist, die vorher der 60. einnahm,
sondern in c. Somit lenkt jede geradlinige Fortbewegung aus
der n. Erdhälfte r., ans der s. l. ab. Zur allmählichen Umsetzung
des S.-Windes in SW.-Wind, desgleichen des N. in NO. auf unserer
Erdhälfte (auf der anderen Halbkugel des N. in NW., des S. in SO.)
trägt aber noch die Tatsache das ihre bei, daß die Luftteilchen von niederen
Breiten raschere Rotationsbewegung mitbringen, dagegen die von höheren
langsamere. Schon in mitteldeutschen Breiten ist die Rotationsgeschwin-
digkeit nur noch 300 m in der Sekunde, also um 165 m gegen die äqua-
toriale vermindert.
Ständige Wie neben den Kalmen die beiden Gürtel der ständigen NO.- und
Monen^ ^ a ffn *e lagern, so im Gebiete von 30° bis gegen 35° zwei erd-
umspannende Wirbel angehäufter Luft, Antizyklonen, deren hoher Luft-
druck den Passaten ihren Ursprung gibt. Diese Luftanreicherung kommt
dadurch zustande, daß der polwärts aus den Kalmen abströmende Gegen-
passat über der nach N. und S. an Raum sich verkleinernden Erdoberfläche
zu Luftstauuugen Anlaß gibt. Über den großen Festlandsmassen der n.
Erdhalbkugel bilden sich im Soinmer freilich Zyklonen, d.h. Wirbel von
angesaugter Luft infolge verminderten Luftdrucks. Dort kommen die Anti-
Zyklonen des großen atmosphärischen Kreislaufs also im Sommer nicht
zur Ausbildung, wohl aber während des ganzen Jahres auf den Meeren
der n. und auf der zum größten Teile meererfüllten s. Halbkugel. Die
polwärts aus den Antizyklonengürteln hinauswehenden Winde eilen, weil
sie aus niederen Breiten großer Umdrehungsgeschwindigkeit in höhere
Breiten von geringer Umdrehungsgeschwindigkeit gelangen, der Erd-
Umdrehung voraus, werden also als W.-Winde empfunden. Wieder ist
Brave die Zone dieser braven W.-Winde aus der S.-Halbkugel ausgeprägter
W.-Winde. anjr j?er n ^ wo ^ immerhin für das Klima des w. Nordamerika und
des w. und mittleren Europa sehr wichtig sind. Im ö. Europa und ö.
N.-Amerika treten auch viele O.-Winde auf.
§3.
Wärme und Niederschlag.
I. Bestand- Die Luft besteht aus einem Gemenge von V5 Sauerstoff- und
öcr ßuft Stickstoffgas. Nur ihrer untersten Schicht ist ihr Wasserdampf bei-
gemengt, dessen Masse so rasch nach oben abnimmt, daß schon in einer Höhe
von wenigen Kilometern die Luft andauernd trocken und daher tief duukel-
blau ist. Die Erwärmung der Erdoberfläche hängt ab von dem Winkel
§ 8. Wanne und Niederschlag.
33
der Insolation, von der Beschaffenheit der bestrahlten Fläche und von
der Diathermansie der überlagernden Luft, d.h. ihrer Durchlässigkeit
für Wärmestrahlen.
Der Gang der Mitteltemperatur in verschiedenen Klimaten.
9 o cc^^1}tn in der heißen Zone (Siugapore): Gleichmäßiger Temperatnrgang.
^andklima in der kalten Zone (Jakntsk): Starke, jahreszeitliche Gegensätze.
i ^ee?I".uct der gemäßigten Zone (London): Ahnlich 1, doch nicht ganz so gleichförmig.
^udklima in der gemäßigten Zone (Moskau): Ähnlich 2, doch nicht gmn so geaensatzreich.
' • Ällma von Mitteleuropa (Berlin): Ausgleich zwischen 3 und 4.
Die Luft erhält ihre Wärme zum kleinsten Teil unmittelbar durch
die Sonnenstrahlen, zum größten Teil von der durch die Sonne erwärmten
Erdoberfläche. Deshalb hängt ihre Temperatur vornehmlich von der
Lnmpe, Erdkunde. Heft 4. o
34
I. Abrifz der Allgemeinen Erdkunde.
Ausstrahlung des Bodens ab. Die Erwärmung der Erdoberfläche ist aber
nach dem Winkel der Sonnenbestrahlung verschieden stark; denn bei
schrägem Einfall verlieren die Sonnenstrahlen mehr Wärme au die Luft
und zerstreuen sich auch über einen größeren Raum der Erdoberfläche.
Außerdem richtet sich der Grad der Erwärmung nach der Ermärmungs-
sähigkeit der bestrahlten Fläche: Das Land erwärmt sich viel stärker
als das Wasser; darum ist das Klima in der Nähe des Meeres gekeuu-
zeichnet durch kühlere Sommer und mildere Winter, dasjenige im Innern
der Festlande durch heißere Sommer und kältere Winter: See- und
Festland-Klima. Die Oberflächentemperaturen des Meeres steigen bis
zu 35 °, die des nackten Bodens bis zu 80". Bewachsener, feuchter, Heller,
glatter Bodeu erwärmt sich nicht so stark und kühlt sich nicht so stark ab
wie nackter, trockener, dunkler, rauher.
Steigt man mit dem Luftballon empor, so vermindert sich anfangs
die Wärme auf je 100 m ungefähr um 1 °. Auf der Landfläche empor-
steigend, beobachtet man daher gleichfalls eine Wärmeabnahme, jedoch nur
eine solche von ungefähr y2° auf je 100 m Steigung.
Weil dünner« und trocknere Luft diathermaner ist, so muß hoch-
gelegener Boden viel rascher sich erwärmen uud durch Ausstrahlung in den
kalten Weltraum auch viel rascher erkalten als tiefgelegener. Die Höhen-
luft muß überall kälter sein, weil sie besonders wenig Wärme von den
Sonnenstrahlen aufnimmt, hauptsächlich aber weil nur so wenig erwär-
mende Bodenmasfe in sie hineinragt. Auch ihre durch Zuleitung wärmerer
Luft aus tieferen Luftschichten verursachte Erwärmung kann stets nur eine
mäßige sein, da aufsteigende Luft sich immer ausdehnt und deshalb er-
kältet, wie sinkende Lust sich immer zusammenzieht und deshalb erwärmt:
Der Föhn (S. 36) ist ein warmer Wind. Die obersten Luftwaffen, in die (ober-
halb 8800 m) kein einziger Berggipfel mehr emporragt, sind andauernd
so furchtbar kalt, daß ihre Temperatur bei den neuerdings veranstalteten
wissenschaftlichen Ballonfahrten nur mit Alkoholthermometern gemessen
werden konnte, weil das Quecksilber in ihnen gefriert (bei —40 °).
Die kühleren Sommer und milden Winter des Seeklimas im
Gegensatz zu denen des Festlandklimas (vgl. die Kurven in der Figur
auf S. 33) werden bedingt:
1. Durch die weit höhere spezifische Wärme des Wassers. Viel
größere Wärmezufuhr ist nötig, um Wasser als um Land 1 0 wärmer zu
machen; bei gleichem Einstrahlungswinkel wird jenes folglich langsamer
oder im gleichen Zeitraum weniger warm, erkaltet aber auch entsprechend
langsamer und weniger.
§ 8. Wärme und Niederschlag.
35
2. Durch Verdunstung von der Wasserfläche aus, welche Abkühlung
der Luft bewirkt, z. B. an der deutschen Ostseeküste, und durch Untersinken
kälterer, also das Aufsteigen wärmerer Wasserschichten, ein Vorgang, der
die winterliche Abkühlung, z. B. im Mittelmeer, verlangsamt.
3. Durch die größere Feuchtigkeit und häufigere Bewölkung des
Seehimmels, z.B. im Klima Großbritanniens.
Die W.-Küsten von N.-Amerika und Europa, von W.-Winden be-
strichen, die über die See heranwehen, haben daher bis in polare Breiten
ähnlich geringe Wärmeschwankungen wie die das ganze Jahr hindurch
unter gleichmäßiger Bestrahlung liegende Tropenzone. Ihnen teilt sich die
Milde des Seeklimas dynamisch mit, d.h. durch Bewegung, nämlich durch
Luftzug vom Meere. Dagegen drückt z. B. bei uns jeder NO. aus dem
festländisch temperierten Rußland die Wärme im Winter um 4 0 herab,
erhöht sie im Sommer aber um 1 °, da die in niedere Breiten ziehende
Luft zugleich den Himmel klärt. Die größten Temperaturextreme finden
sich naturgemäß im größten Festland, nicht an dein ganz von Meer um-
gebenen Nordpol, sondern im NO. Asiens, wo die lange scheinende Sommer-
sonne große Hitze verursacht und eine W.-Küste äußerst fern liegt: Jakutsk
an der Lena erreicht manchmal — 62 0 und -f 38./, unterliegt demnach
Wärmeschwankungen von mehr als 100 ° und erreicht höhere Wärmegrade
als Singapore dicht am Gleicher, wo man noch nie über 34.2° Wärme
bemerkte. — Wärmezonen sollte man daher nicht mit den mathematischen
Linien der Wende- und Polarkreise begrenzen, sondern die heiße Zone
bis zu den beiden Isothermen von 20°, die gemäßigten bis zu denen
von 0 0 ausdehnen. Dann fällt Vorderindien, wie es seiner wahren Tem-
peratur entspricht, ganz in den heißen Erdgürtel, das Britische Nord-
amerika wie Sibirien größtenteils in den nordpolaren, auch wo es unter
deutschen Breiten liegt, Europa so gut wie ausschließlich in den gemäßigten.
Zum Niederschlag gehört zweierlei: Wasserdampfvorrat in der
Luft und Abkühlung. In den obersten Lusträumen kann es also nicht
einmal Wolken geben, und selbst heiße, deshalb zur Aufnahme von Waffer-
dampf sehr geeignete Luft der Tropen kann über weite Ozeanflächen hohe
Gebirge anwehen und doch keinen Regen bringen, falls sie nämlich vorher
ihres unsichtbaren Wassergehalts beraubt wurde, z.B. an der W.-Küste
von S.-Asrika und an der Küste von N.-Chile und S.-Peru. Feuchte
Tropenluft erzeugt die regelmäßigsten und massigsten Regen, weil sie krast
ihrer Auslockerung durch Hitze am höchsten in das Luftmeer aufsteigt,
I. Abriß der Allgemeinen Erdkunde.
mo selbst in der heißen Zone bei etwas über 4 km ewige Eiskülte herrscht.
Zur Zeit der größten Tageshitze (2—3 Stunden nach 12 Uhr), also wenn
die Lust am energischsten nach oben drängt, pflegt plötzliche Wolkenballung
das tropische Gewitter zu erzeugen.
Dem vorwiegend Wagerechten Zug der unteren Lustschichten setzen
sich Gebirge entgegen. Jede genügend seuchte Luft wird daher, weil sie
sich beim Überschreiten eines Gebirges abkühlt, Steigungsregen oder Schnee
abgeben: Gebirge sind darum in der Regel die niederschlagsreichsten Teile
eines Landes. Aber wenn sich die Luft an dem einen Abhang eines Ge-
birges, der „Luvseite", kräftig abgeregnet hat, langt sie auf dem ent-
gegengesetzten, im „Windschatten" liegenden Abhang, an der „Leeseite",
trocken und am Fuße des Gebirges dann sogar wärmer au, als sie vor
Berührung des Gebirges war, falls die Gebirgsumgebung beiderseits un-
gefähr gleiche Seehöhe einhält. Wenn nämlich in diesem Fall die Luft
im Windschatten ebenso tief niedersinkt, wie sie auf der Windseite des
Gebirges angestiegen war, so hat sie den durch das Steigen verursachteu
Wärmeverlust zuletzt nicht bloß voll wiedereingebracht, sondern ist auch
durch die latente Wärme bereichert worden, die beim Umsatz von Wasser-
dampf in Regen frei wird. Die am italienischen Abhang der Alpen starke
Regen ergießende Luft kommt als „Schneefresser" Föhn auf die deutsche
Seite des Hochgebirges. Alle von hohen Gebirgsrändern eingeschlossenen
Ebenen sind daher dürr und waldleer, bei hoher Lage folglich um so
schwankender in der Temperatur von Tag und Nacht, Sommer und
Winter; so die Binnenlnndstriche im W. der Union, so das Innere von
Ungarn, in Kleinasien und Armenien, so ganz Iran und vorzüglich Zentral-
asien. Die Sierra Nevada Kaliforniens und die Austral-Alpeu erhalteu
an der Luvseite ergiebige Steigungsregen; hinter ihrer Leeseite liegen
Wüsten.
3. Das Meer.
§ 9.
Der Meeresboden.
i. Die Man unterscheidet offene Ozeane und deren Glieder in festländischer
^becken^" Umgebung: Meerbusen in engerem Sinn (z. B. von Riga, Biscaya, Guinea,
1. Einteilung. Persien, Bengalen, Carpentaria, Kalifornien), Randmeere (z.B. Nordsee,
§ 9. Der Meeresboden.
37
Gelbes Meer, Japanisches und Ochotskisches Meer, Mejicanischer Busen,
Karibisches Meer) und Mittelmeere, die fast ganz vom Festland um-
schlössen sind (so die Ostsee, das Schwarze Meer, das Mittel- und Rote
Meer). Die Gehäuse der Ozeane bilden die umfangreichsten und tiefsten
Einsenkungen der Oberfläche des festen Erdkörpers; man schätzt ihre mittlere
Tiefe auf etwa 3.7 km. Sie sind bei der allmählichen Abkühlung der
Erdkugel entstanden durch Einsturz der starren, aus Felsmasse bestehenden
Außenseite, weil mit der Abkühlung des Erdkörpers nicht überall eine gleich
starke Zusammenziehung der Erdkruste verbunden war. Vor Flachküsten 2. Böschungen.
senkt sich der Meeresboden sehr sanft, vor Steilküsten rascher zur Tiefe:
Vgl. die deutsche Nordseeküste, die atlantische Küste des s. Nordamerika,
aber die pazifische Küste von Südamerika, die griechische Küste des Jonischen
Meeres. Der Meeresboden besitzt durchweg eintöniges Relief; denn seine
Erhebungen sind fast überall von flachster Böschung und meist nur platten-
artig, einige aber dabei von beträchtlicher Höhe und gewaltiger Ausdehnung.
So setzt sich die unterseeische Hochfläche, die Europa mit Grönland und
dem nördlichsten Amerika überhaupt verbrückt, mitten durch das so viel
tiefere nordatlantische Becken als „Delphin-Rücken" fort über die Azoren
bis zur Küste Südamerikas bei der Amazonasmündung, von wo ein ähnlich
schmaler Hochrücken wie ein Winkelhaken ins südatlantische Becken verläuft,
erst der Ober-, dann der Niederguineaküste parallel, im S. einen seitlichen
Ausläuser zur afrikanischen Küste entsendend. Anscheinend sinkt der Boden
des antarktischen Meeres wieder zu größeren Tiefen ab. Die größten
Meerestiefen (über 5000 in) befinden sich in den drei großen Ozeanen
nicht in der Mitte, sondern mehr nach dem Rand hin: In dem vom Delphin-
Rücken eingehegten NW.-Becken des Atlantischen Meeres s. von Neufund-
land sowie n. von den Kleinen Antillen, im Indischen Weltmeer zwischen
NW.-Australien und den Sunda-Jnseln, im Pazifischen ö. von Aezo, im
NO. von Neuseeland und nahe n. von den Marianen, wo man die größte
bis jetzt bekannte Tiefe von 96L>0 m gelotet hat.
Bedeckt ist der Mm°esboden mit rötlichen oder grauen Tonen und mit Ii. Boden-
Schlamm. In der Nähe des Landes rühren diese Bildungen von den Bildungen.
Resten der Zerstörung durch die Brandungswellen und von den Sinkstoffen
der Landgewässer her, je weiter seewärts, um so ausschließlicher sind sie
durch Milliarden meist kalkiger Gehäuse winzigster Schleimtiere gebildet
oder aus vulkanischer Asche zusammengesetzt, die durch den Wind bisweilen
weit über die Meeresflächen vertragen wird und schließlich ins Meer sinkt.
Festes Felsgestein kommt nur vereinzelt in flachen Meeresteilen vor, wo
Strömungen, die bis zum Grund reichen, ihn reinfegen.
38 I. Abriß der Allgemeinen Erdkunde.
III. Er-^ Die Arbeiten bei der Legung der unterseeischen Kabel gaben den ersten
^geschichtet' ^ulaß, sich mit den Zuständen am Meeresgrund vertraut zu machen. Erst
1. der Tiefsee, die siebziger Jahre des 19. Jahrhunderts verschafften uns deutlichere Be-
griffe von der Beschaffenheit der Tiefsee durch die hierzu ausgesandteu
mehrjährigen Expeditionen dreier Schiffe, des englischen Challenger/
der nordamerikanischen Tuscarora und der deutschen Gazelle. Die
Fahrt des deutschen Dampfers Valdivia (1898), die der deutschen Süd-
polarexpeditiou auf dem Schiff Gauß (1901—1903) und in den letzten
Jahren die Reisen des deutschen Vermessungsschiffs Planet haben die
Kenntnisse dann vermehrt. In den nördlichen Meeren haben besonders
skandinavische Forscher eingehende Untersuchungen angestellt. Die -Ent-
deckung der im weitesten Umfang fortdauernden Bildung von Meeresabsätzen
unter Mitwirkung zahlloser, fast stets nur mikroskopisch erkennbarer Ge-
häuse von abgestorbenen Seetieren, besonders von Foraminiferen, ist erd-
geschichtlich von hohem Wert: Man belauscht so uoch jetzt Vorgänge, wie
sie in entlegenen Zeitfernen, z. B. in der Jura-, Kreide- und Tertiärzeit,
die Erde weitergestalten halfen: Schreibkreide besteht fast ganz aus Fora-
2. der Polar- miniferen. Am wenigsten bekannt ist uns noch das Südliche Eismeer,
meere. ^loß an einer Stelle im SW. des Stillen Ozeans reicht es weit nach S.;
hier, s. von Neuseeland, stehen am Rand des antarktischen Festlandes einige
mehr als ätnahohe Vulkane, der E rebus und Terror. Engländer er-
forschten unter der Führung von Shackleton das festländische Gebiet im
Süden dieser Stelle 1908 bis 88 ° 23', kamen also dem Pol auf rund
170 km nahe; an einer zweiten Stelle im S. des Atlantischen Ozeans sind
Schotten bis gegen den 72.° vorgedrungen. Überall sonst scheint das
antarktische Meer schon in niedrigeren Breiten sein Ende zu finden und
ist von unbewohnten Inseln vor der Festlandküste umgeben. Das Nördliche
Eismeer dagegen iiu N. von Franz Josefsland ist durch den norwegischen
Forscher Fridtjof Nansen bis etwas über 86°, durch die italienische
Nordpolar-Expedition von 1900 ebenda bis etwas über 811/2 0 und nördlich
Grönland vom Nordamerikaner Peary |Ptri] aus mehreren Reisen besucht
worden, die ihn immer weiter dem Pole zuführten, bis er im Jahre 1909
mit der Nachricht heimkehrte, den Pol selbst erreicht zu haben.
§ 10.
Meerwasser.
I. Salz- Das Meewasser ist eine Lösung von Kochsalz nebst einigen anderen
geh alt. Salzarten, die, obschon an Masse weit geringfügiger, den widerlich bitteren
1 Das englische Wort challenger bedeutet Herausforderer.
§ 10. Meermasser.
39
Geschmack verursachen. In je 100 Gewichtsteilen Wasser sind gewöhnlich
3ya Teile dieses Salzgemenges enthalten; sie steigern sich bis gegen 4,
wenn stärker abdunstende Meeresglieder durch eine unterseeische Schwelle
vom offenen Meer nahezu abgeschlossen sind, wie das Mittelmeer bei
Gibraltar, das Rote Meer bei Bab-el-mandeb, weil dann die Mischung
mit ozeanischem Wasser gehemmt ist, mindern sich dagegen bis unter 1,
wenn in ebenso abgeschlossene Meeresglieder viel Süßwasser einströmt, so
namentlich in unserer Ostsee, die demnach nur brackig ist, weil sie mehr
Süßwasser durch die Flüsse erhält als Salzwasser durch die drei Meer-
engen und nur mäßig verdunstet. Auch im Nördlichen Eismeer ist wegen
der starken Zufuhr von Süßwasser aus den großen sibirischen und nord-
amerikanischen Strömen und aus der Menge von Schnee, der im Sommer
z. T. abschmilzt, bei geringer Verdunstung der Salzgehalt gering. Die
Farbe des Meerwassers ist gewöhnlich eine grünliche, zumal beim kühlen
und minder salzreichen polaren Gewässer; das tropische Seewasser, das einer
stärkeren Verdunstung, weil einer größeren Wärme ausgesetzt, folglich
stärker salzig ist, erscheint wie auch das Mittelmeerwasser dunkelblau, nur
über Untiefen grün. Wegen des Salzgehaltes ist das Wasser aller Meere
vor größerem spezifischen Gewicht, also tragfähiger als das der Flüsse und
Süßwasserseen. Schiffe sinken in Süßwasser tiefer ein als in Salzwasser,
und das Meer gefriert erst unter 0 °, so daß man im Nördlichen Eismeer
Wasser von — 3 0 wahrgenommen hat.
Sehr verschieden ist die Temperatur nur an der Oberfläche des 11. Wärme-
Meeres, wo sie in tropischen Gegenden bis 32° steigen kann; in größere
Tiefen vermag die Sonnenwärme wegen der geringen Diathermanfie des
Wassers nicht einzudringen. Die ganz überwiegende Masse aller
Meere ist darum kalt, nur in den niederen Breiten legt sich eine ver-
hältnismäßig ganz dünne wärmere Schicht darüber. Der Boden sämt-
licher Ozeane zeigt sogar eiskaltes Wasser; denn es drängt beständig das
kältere, darum dichtere Wasser der höheren Breiten nach den niederen, wo
die Verdunstung Wasserverluste erzeugt, während der starke Abtrieb von
Eis aus den Polargebieten einen Überschuß an Wasser in den Meeren
höherer Breiten erzeugt. So besteht dnrch die ganze Wassermasse der
Ozeane ähnlich wie im Luftmeer ein beständiger Kreislauf, der auch
den Salzgehalt der offenen Meeresteile überall ausgleicht (vgl. S. 43). Be-
sonders vom antarktischen Meer tritt das kalte Wasser in ganzer Breite in
die drei großen Nachbarozeane ein; der Atlantische Ozean ist deshalb in
seinen südhemisphärischen Breiten und noch unter dem Äquator von kälterem
Wasser erfüllt als in seiner N.-Hälfte, zu welcher der Zutritt arktischen
40
I. Abriß 5er Allgemeinen »krdkunde.
Wassers durch die Meeresbodenschwelle zwischen Europa und Nordamerika
behindert wird. Alle abgeschlossenen Meeresglieder, z. B. das Mittelmeer,
das Rote Meer und einige der Meere zwischen den südostasiatischen Inseln
sind durch die hohe Wasserscheide an ihrem Eingang vor dem Andrang
des kalten Tiefenwassers gesichert; ihre Tiefe zeigt eine Temperatur, die
genau der Winterkälte ihrer Oberfläche entspricht.
Ui. Be- Das Meerwasser ist ständig in Bewegung. Man kann sehr verschiedene
ivc.guilgi.i^ Bewegungen unterscheiden:
1. Nach der erregenden Kraft. Sie kann von außen her auf die
Wassermasse wirken; aber das Meer vermag auch aus sich selbst heraus
Bewegungsvorgänge zu entwickeln.
1. Die a) Zu den von außen her auf das Meer einwirkenden Kräften gehört
Dor a^em ^er Wind. Er erzeugt die Wellen und wirkt bei langanhalten-
:i) von außen der Dauer so auf den Wasserstand ein, daß an etwa entgegenstehenden
wirkende. Küsten (Luvküste) durch Windstauung eine Erhöhung des Wasserstandes
(Wind.» eintritt, an denen dagegen, von wo er herbläst (Leeküste), eine Senkung
und Auftrieb falten Tiefenwassers. So ist an der ostpreußischeu Küste
bei langwährendem Ostwind das Ostseewasser nahe dem Strand kälter als
auf hoher See. Die Passate rufen die Äquatorialströmungen der drei
tropischen Weltmeere hervor; die braven Westwinde drängen den Golfstrom
«Erdbeben) nach Europa, den Kuroschio nach Nordamerika. — Erschütterungen der
(Erddrehung.) Erdkruste rufen Seebebenwellen hervor. — Die Erddrehung lenkt schon
vorhandene Strömungen ab, indem polwärts sich fortschiebende Wasser-
massen, aus Breiten von größerer Drehungsgeschwindigkeit kommend, der
Erddrehung vorauseileu, äquatorwärts gerichtete Strömungen, aus Breiten
von geringerer Dehungsgeschwindigkeit stammend, hinter der Erddrehung
«Anziehung.^zurückbleiben. — Die anziehende Kraft von Mond und Sonne ruft die
Gezeiten hervor.
i>) aus dein b) Das Meer stellt aber auch in sich eine Quelle von Kräften dar,
stammende Bewegungen der Wassermassen veranlassen. In Meeresteilen, wo die
Zufuhr von Wasser ans Festlandflüssen oder Niederschlägen größer ist
(Verschieden- als die Verdunstung, würde der Meeresspiegel höher liegen müssen als
^niegelhöhe.) *m Weltmeer, wenn der Wasseruberschuß uicht in Form einer Strömung
dem Weltmeer zugeführt würde. So fließt das Schwarze Meer durch den
Bosporus ständig nach dem Mittelländischen aus, wo die Verdunstung so
groß, die Wasserzufuhr aber so klein ist, daß auch durch die Gibraltarstcaße
ein ständiger Oberflächenstrom nach O. für die Ergänzung der Wassermasse
sorgen muß; die Ostsee gibt durch einen Oberflächenstrom umgekehrt dem
§ 10. Meerwasser.
41
Atlantischen Ozean einen Wasserüberschuß ab. — Verschiedenheiten im schieden-
Salzgehalt rufen andere Strömungen hervor; denn salzhaltiges, also Z^gehaltes.)
schweres Wasser, wird salzarmes, mithin leichteres, zurückzudrängen suchen.
So dringt ein Tiefenstrom salzreichen Nordseewasses in die salzarme Ostsee,
ein Tiefenstrom stark salzigen Mittelmeerwassers durch die Gibraltarstraße
nach W. — Verschiedenheiten der Wärme des Wassers rusen Unterschiede (Verschieden-
in seiner Dichte hervor, verursachen deshalb Strömungen, meist in vertikaler Wiwne.^
Richtung. Kaltes Wasser strebt nach der Tiefe, warmes nach oben. So
taucht an der O.-Küste von Nordamerika die kalte Meeresströmung in
der Gegend des 45. Breitengrades unter den warmen Golfstrom. Dieser
freilich sinkt beim Eintritt ins Nördliche Eismeer umgekehrt unter das kalte
Wasser, weil es viel salzarmer ist als er. Doch pflegt er die W.-Küsten
von Spitzbergen eisfrei zu erhalten, während die O.-Küste vom Eis des
Polarmeeres blockiert wird. Die Schwankungen im Verhalten der beiden
Wassermassen des nördlichsten Atlantischen Meeres, von denen die polare
wegen ihrer geringen Wärme in die Tiefe gehen, wegen ihres geringen
Salzgehaltes jedoch an der Oberfläche bleiben müßte, während die Golf-
stromgewässer wegen des Salzreichtums sinken, wegen ihrer Wärme die
Oberfläche bilden müßten, scheinen auf die Erwärmung oder Abkühlung
der Luft über ihnen, also auch auf Luftdruck, Winde, kurz auf die Witterung
des n. Europa von Einfluß zu sein. — Die starke Eisschmelze an den (Eisschmelze.)
Rändern der Polarmeere übt eine ansaugende Wirkung aus das Wasser
der benachbarten Meeresteile aus.
Die das Meer bewegenden Kräfte sind nicht sämtlich gleichwertig in
ihrer Energie-Entfaltung, wirken einander z. T. sogar entgegen, während
sie einander in anderen Fällen unterstützen.
2. Nach der Art der Erregung. Manche Bewegungen sind plötzlich 2. Arten der
und unterliegen schnellem Wechsel; andere bewirken ganz langsame Ver-
Änderungen im Bestand der gesamten Wassermasse. Zu jenen gehören alle feU.1)" ^
Wellenbewegungen, auch Seebeben- und stellenweis die Gezeitenwellen, zu
diesen die Strömungen und der große Kreislauf des Wassers zwischen äqua-
torialen und polaren Meeren. Vom Sturm vorwärts getriebene Wellen
können die Geschwindigkeit von Schnellzügen erreichen; die äquatorialen Strö-
mungen legen dagegen nur iy2 bis 2 kro in der Stunde zurück, doch steigert
sich die Geschwindigkeit der Strömungen in Meeresengen, z. B. am Florida-
ström, auf 4 bis 5 km. — Ganz langsam vollzieht sich die Verschiebung
der Strandlinien, durch die manche Teile alten Festlandes meerüberspielt,
dafür Teile alten Meeresbodens bloßgelegt werden. Immerhin sind
Strandlinienverschiebnngen von ziemlich beträchtlichem Umfang selbst seit
42
I. Abriß der Allgemeinen «krdkunde.
der erdgeschichtlich angesehen doch ganz kurzen Zeit feststellbar, die durch
das Vorhandensein von Baudenkmälern und schriftlichen Berichten als
historisch gekennzeichnet wird: Südersee, Dollart und Jadebusen sind int
Mittelalter entstanden, und die deutsche Ostseeküste rückt streckenweis jähr-
lich im Durchschnitt 1 m landeinwärts vor, die adriatische Küste an der Po-
Mündung 75 m meerwärts zurück. Am Golf von Neapel liegen römische
Bauten z. T. unter Wasser, und andere stehen jetzt wieder auf festem Lande,
wo sie einst gebaut sind, müssen jedoch eine Zeitlang unter Wasser gewesen
sein (Säulen bei Pozzuoli). In Kreta liegen Reste von Hafenbauten aus
dem 5. Jahrhundert v. Chr. jetzt 6^/2 in über dem Meeresspiegel 90 in
landeinwärts. Durch Anschwemmungen ist Adria, die alte Seestadt, jetzt
22 km weit ins, Binnenland gerückt, Ravenna, noch im 6. Jahrhundert
n. Chr. Geburt Seehafen, 10 km weit; Pisa lag um Chr. Geburt an
einem Haff fast 4 km vom Meer fern, und liegt jetzt 12 km hinter der Küste;
das Haff ist bis auf Sumpfreste verschwunden. — Ein Hauptunterschied
«Bewegung der Meeresbewegungen liegt darin, daß bei Wellen sich der Bewegungs-
""masse)^ Vorgang fortpflanzt, die betroffenen Wasserteilchen jedoch um eine Ruhe-
läge auf- und abwärts schwingen, ohne wesentlich von der Stelle getrieben
zu werden, während bei Meeresströmungen eine Wanderung der Wasser-
massen selbst statthat.
3. Ans- 3. Nach der Ausdehnung der Bewegung über die Wassermasse,
^ewegiing^ Vertikalströmungen reichen anscheinend tief in das Wasser hinein.
(Tief- Der große äquatorial-polare Kreislauf des Wassers (vgl. die Fig. S. 43)
reichende.» wahrscheinlich ebenfalls tiefe Meeresschichten in sich hinein, wenig-
stens auf der s. Halbkugel, wo die polaren Wassermassen nicht so wie
auf der n. durch unterseeische Schwelleu des Meeresbodens zurückgehalten
werden. Die Seebeben erschüttern das Meer vom Grund zum Spiegel
durch unterseeische Erdbebenstöße und vernichten mitunter ganze Küstenstädte
durch den entsetzlichen Wogenschwall, den sie plötzlich ans Gestade werfen.
Auf hoher See sind sie weniger bemerkbar. Wellen sind dagegen
(Ober- lediglich Erregungen der Wasseroberfläche und reichen nur weuig in
flächliche.j T^f^ Die horizontalen Strömungen haben sehr verschiedene
Tiefenausdehnung, ziehen jedoch im wesentlichen auch nur Schichten bis
zu wenigen hundert Metern in Mitleidenschaft. Die Aquatorialströmungen
verschwinden bei etwa 200 m Tiefe.
(Größe der Die durch deu Wind erregten Wellen erreichen je nach der Windkraft
Wellen.) verschiedene Höhen. Unter Wellenhöhe versteht man den Vertikalabstand der
höchsten Teile des Wellenkammes von den tiefsten des Wellentales. Sie beträgt
bei bewegter See etwa 3 m, bei Sturm bis zu 8 m, in Ausnahmefällen auch
§ 10. Meerwasser.
43
bis zu 15 m. Die Wellenlänge, d. h. der Horizontalabstand von Wellenkamm
zu Wellenkamm, kann bei stark erregter See bis zu 350 in wachsen. Bestän-
diges Anschlagen der Wogen an die Küste in nur minutenlangen Pausen nennt
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man die Brandung, die Wellenerhebung, durch welche das geschieht, die (Arbeits-
Brandungswelle. Ihre Arbeit an der Küste besteht teils in Unter- ^llen^
spülung, Auswaschung, kurz Zerstörung, besonders wenn sie aus Steil-
küsten trifft, teils in Fortbewegung der Sand- oder Gesteinsteile am
44
I. Abriß der Allgemeinen Erdkunde.
Strand, vornehmlich wenn sie schräg auf eine Flachküste aufläuft; dann
treibt die Welle in der Richtung ihres Auflaufens die Sandkörner schräg
strandaufwärts, nimmt sie aber beim Zurücklaufen in einer Richtung senk-
recht zur Küste meerwärts mit, und indem die nächste Welle das Spiel
wiederholt, werden die Gesteinsteile immer weiter abgerollt, also zerkleinert,
und gleichzeitig große Strecken längs der Küste verschleppt. Aus diese
Weise können kleinere Flußmündungen so zugestopft werden, daß Strand-
seen hinter der Küste entstehen (vgl. die sranzösische Küste der „Landes", die
hinterponimersche Ostseeküste), können Dämme, „Nehrungen", vor Küsten-
buchten gebaut werden (z. B. Hela, die Lidi an der adriatischen Küste von
Norditalien), können Inselgruppen durch solche Dämme, „Haken ", zu
einem großen Gebilde verschmolzen werden (z. B. Rügen). Aus offenem
Meer hält die vom Wind erregte Wellenbewegung auch nach eingetretener
Windstille oft noch lange Zeit an und heißt dann Dünung.
(Gezeiten- Stellt N den Mond, die größere Kugel links die Erde dar (die
welle.) Entfernung der Mittelpunkte beider voneinander auf l/:0 verringert gegen-
über dem für die Radien angewandten Maßstab), so wird die Erdstelle A,
weil sie dem Mond um einen Erdradius näher liegt als der Mittelpunkt C,
auch stärker als dieser vom Mond angezogen, sobald der Mond in den
Meridian von A tritt (über A kulminiert); andererseits wird aus bcrn
nämlichen Grund C stärker vom Mond angezogen als die Gegend bei B.
Dadurch erleidet zwar die feste Masse der Erde keine merkbare Beeinträch-
tigung ihrer Gestalt, wohl aber das Meer mit seinen leicht verschieb-
baren Teilchen: Sowohl unter dem Meridian, dessen Bewohnern der
Mond im Zenit steht, als auch unter dem, dessen Bewohnern er gegen die
Fußsohlen („im Nadir") steht, schwillt das Meer zu einer flachen Welle
empor, weil es beiderseits das Streben erhielt, sich vom Erdmittelpunkt (.,
zu entfernen; es ist Flut (Zenit- oder Nadirflut), Ebbe dagegen auf
deu zwei Meridianen, die von den beiden Flutmeridiauen um 90 Längen-
grade entfernt sind, weil von ihnen die Wasserteilchen nach den Flut-
feiten abgelenkt werden.
Ein die ganze Erde umkleidender Ozean würde in der Richtung der
Flut-Meridiane durchschnitten, eine elliptische Verziehung erfahren, und
§ 10. Meerwasser.
45
CS müßte sich jede der beiden Flutwellen mit dem scheinbaren Tages-
wandel des Mondes um die Erde westwärts um den ganzen Erdball ziehen.
In Wirklichkeit verzögert sich nicht nur überall der Eintritt der Gezeiten
durch das natürliche Beharrungsstreben der Wassermasse, sondern der Fort-
schritt der Flutwelle wird auch ein sehr verwickelter durch den Widerstand
der Landmassen, die umzogen werden müssen; so wird Großbritannien wie
Irland von Doppelarmen der Flut umfangen. Hinzu kommt der Umstand,
daß im seichteren Meere die Fortbewegung der Welle sich durch stärkere
Reibung am Meeresboden verlangsamt. So häufen sich besonders an
Flachküsten die langsamer fortkommenden und die rascher aus offener See
ihnen folgenden Flutgewässer an und bewirken zumal in trichterförmigen
Küsteneinschnitten, wie in der Fundy-Bay zwischen Neu-Schottland und
Neu-Brannschweig oder im Bristol-Kanal, starke Erhebungen des Wasser-
spiegels. Regelmäßig aber folgt eine Flut wie eine Ebbe der andern
nach Verlauf eines (scheinbaren) halben Mondumlaufs. Zwischen Hoch-
und Niedrigwasser liegt also fast genau eine Frist von 6y4 Stunden, und
in jedem synodischen Monat tritt zweimal (bei den Syzygien) Springflut,
d. h. höchste Flut, zweimal (bei den Quadraturen) taube Flut, d. h. nie-
drigste Flut, ein; denn auch die Sonne bewirkt aus denselben Ursachen wie
der Mond Flut und Ebbe, nur viel schwächer, da sie uns gegen 400 mal so
fern ist wie der Mond. Doch hemmt die Sonne zeitweise die vom Mond
bewirkten Gezeiten, am meisten bei erstem und letztem Viertel, weil dann
Sonnenflut und Mondebbe, Sonnenebbe mit Mondflut örtlich zusammen-
fällt, und verstärkt sie zeitweise, am meisten bei Neu- und Vollmond,
weil dann die gleichartigen Sonnen- und Mondgezeiten örtlich zusammen-
fallen. Nur die Ozeane werden stark von den Gezeiten ergriffen, viel
weniger schon das Mittelmeer, bloß spurenweise die Ostsee; daher die
große Verschiedenheit des ganzen Zustandes der Nordseeküsten gegenüber
dem Ostseestrand. Selbst größere Landseen, z. B. die Kanadischen, zeigen
Spuren der Gezeiten.
Die Meeresströme befördern große Mengen warmen Seewassers in(Strömungen-)
die höheren Breiten, große Mengen kalten Seewassers in die niederen
Breiten und beeinflussen dadurch das Klima. So bewirken kalte Strö-
mungen, die an der W.-Küste Südamerikas und Südafrikas gegen N.
ziehen, zusammen mit südlichen Abzweigungen des Äquatorialstroms an der
O.-Küste dieser beiden Festländer, daß unter gleichen Breiten die W.-Küste
dieser Erdteile kühler ist als ihre O.-Küste. Der Kuroschio trägt zur
Negensülle und Wärme des japanischen Sommers bei; ein an der japanischen
W.-Küste gegen N. ziehender ebenfalls warmer Strom ermäßigt die Kälte
46
I. Abriß der Allgemeinen Erdkunde.
des japanischen Winters. Der Golfstrom, der sich mit seiner besonders
warmen Wasserfläche fächerförmig von Florida her gegen NO. dnrch das
Atlantische Meer mächtig verbreitert, mildert die Winter Europas, und doch
reicht selbst dieser Strom nicht in große Meerestiefen.
4. Das Land.
§ 11.
Festland und Inseln.
I. Festland. Von den 510 Mill. qkm der Erdoberfläche ist etwas über ein Viertel
1. Land- (29 %) Land. Von den rund 145 Mill. nkm Festland sind 20 Mill., also
ma^en. ,
eine Fläche von der doppelten Ausdehnung Europas noch unbekannt. Das
Land überragt den Meeresboden überall in gewaltigen Massen. Wenn man
sie nach Ablassen des Wassers vom trocknen Grunde der Meeresbecken an-
schauen könnte, müßten sie auch dort als Hochlandmassen erscheinen, wo sie,
wie z. B. in Südamerika, weite Tiefebenen auf ihrem Scheitel tragen.
Verglichen mit ihreu hohen Sockelteilen, d. h. ihrer unterhalb des Meeres-
spiegels liegenden Masse, ist ihr überseeischer Massenteil nur gering; auch
die höchsten Gebirge tragen nur wenig zur Steigerung dieses Volumens
bei. Wollte man beispielsweise aus dem wechselvollen Bodenrelief Europas
einen Landblock mit horizontaler Oberfläche dadurch schaffen, daß man alle
Höhen in die Tiefen trüge, so würde man nur eine Höhe von 300 m über
dem Meeresspiegel erzielen können. Ungefähr 13 mal fänden sämtliche
überseeischen Landmassen in den Hohlräumen der Meeresbecken Platz. —
Genau ist uns zwar die mittlere Seehöhe der Erdteile noch nicht bekannt,
die Mitteltiefe der Meere noch weniger. Jedoch dürfen wir ungefähr für
Europa eine Mittelhöhe von 300 m annehmen, für Australien eine von
310 m, für Amerika 650, für Afrika 660, für Asien 1000 m. Das ge-
samte Festland also mag eine mittlere Seehöhe von rund 700 m haben.
Weil nun die Fläche des Landes zu der des Meeres sich verhält wie 29: 71,
so muß, wenn man die ozeanische Mitteltiefe zu 3., km annimmt, das
Raumverhältnis zwischen überseeischer Landmasse und Meer hiernach sein
29 X 700:71 X 3700 = ungefähr 1:13.
2. Land- Die Verteilung des Landes ist sehr ungleichmäßig: Der „westlichen
Verteilung, gehört nur das schlanke Amerika an, der „östlichen Halbkugel"
hingegen die große Masse der Ostfeste nebst Australien; die „nördliche
Halbkugel" zeigt 40 Hundertteile landbedeckt, die „südliche Halbkugel" 13.
47
Einer «ö. Halbkugel mit Großbritannien als ungefährem Oberflächen-
zentrum steht als landreichster Halbkugel eine stv. wasserreichste gegenüber
mit Neuseeland als Oberflächenzentrum. Trotzdem ist der Zusammen-
hang sämtlicher Festlande ein kaum unterbrochener; denn unterseeisch
schließen alle Festlande sich zu einem einzigen Sockel zusammen. Eine
negative Strandlinienverschiebung um nicht einmal voll 200 m würde die
Beringsenge schließen und nur bei den Kleinen Snnda-Jnseln eine Lücke
zwischen Java, den: dann südlichsten Festlandstück Asiens, und Australien
lassen. Eine weitere Strandverschiebung um 2000 m würde auch diese
Lücke noch schließen und die unterseeische Hochfläche zwischen Schottland
und Grönland in eine überseeische Brücke zwischen beiden verwandeln
Diese Island tragende Hochfläche macht nebst der Beringsenge das Nörd-
liche Eismeer zum abgeschlossensten aller Ozeane.
In bezug auf Gliederreichtum und Küstenzackung gilt die Regel: 3- Land-
• , , CtrtßC^CT'lltTCT
Die ganz (oder fast ganz) der N.-Hemisphäre angehörigen drei Erdteile L
sind reicher gegliedert und haben krausere Küstenlinien als die drei anderen
(N.= und S.-Amerika dabei als zwei Erdteile betrachtet, entsprechend ihrer
erst späten Vereinigung miteinander). Nach S. zu laufen die Erdteile
meist spitz aus; vgl. S.-Arnerika, Asrika, Vorder- und Hinterindien, Apen-
ninen- und so.-europäische Halbinsel, N.-Amerika. — Den Großen Ozean
umgeben rings Gebirgsketten, die überaus vulkanreich sind. An seiner südost-
und ostasiatischen Seite sind sie zum Teil in Jnselbogen aufgelöst, so daß hier
eine Reihe von Randmeeren und eine scheinbar reiche Gliederung der Küste
erzeugt ist; aber im ganzen ist sein Becken zwischen Festländer gebettet,
deren Aufbau im küstennahen Gebiet dem Steilrande des Meeres parallel
läuft. Der Atlantische Ozean liegt dagegen zwischen Erdteilen, deren innerer
Bau quer gegen die Küste läuft, so daß Flachküsten häusig, weit ins Land
greisende Buchten und Meerbusen nicht selten, aus dem Lande hervorragende
Halbinseln wenigstens auf der Nordhalbkugel mehrfach vorhanden sind.
Unter Gliederung eines Erdteils versteht man seinen Besitz an 4. Küsten-
Halbinseln und Inseln, unter seiner „Küstenentwicklung" die geringere ^Wicklung,
oder größere Ausdehnung seiner Küstenlinie im Vergleich zur Größe seines
Flächenraums. Um Landmassen auf ihre Küstenentwicklung miteinander
zu vergleichen, darf man jedoch nicht die Länge ihrer Küstenlinie (L)
ohne weiteres durch ihre Flächengröße (F) dividieren, sondern durch die
Quadratwurzel aus dieser Größe. Vergliche man z. B. eine genau
quadratische Insel A von 1 km Seitenlänge hinsichtlich ihrer Küsten-
entwicklung mit einer andern, ebenfalls quadratischen Insel B von
2 km Seitenlänge nach jener Weise, so würde man für A erhalten
48
■i 8 Jj
7 = 4, für Bt = 2; während sich nach der Formel —— das Verhältnis
4 y_p
..4 8
für A auf —=f für B auf ——, für beide also auf 4 stellt, wie es
naturgemäß für völlig gleiche Gestalten auch völlig das gleiche sein muß.
Für Europa, Asien und Nordamerika ergibt sich auf solche Weise ein an-
nähernd gleicher Zahlenausdruck für den relativen (auf die Arealgröße be-
zogenen) Küstenreichtnm 9 bis 10, für Südamerika, Afrika und Australien
dagegen nur 5 bis 6.
II. Inseln. Halbinseln und Inseln sind oft durch positive Straudliuienver-
schiebung entstanden, z. B. durch Senkung des Festlandes, indem dann seine
tiefer gelegenen Teile von Wasser bedeckt wurden; daher sind sie als Höhen-
reste versunkenen Landes so oft von Gebirgen oder Hochflächen erfüllt und
umgeben von den nun Untiefen gewordenen, früheren Niederungen, z. B.
Großbritannien und Irland. Solche Halbinseln und Inseln sind also mehr
oder weniger vollständige Abgliederungsgebilde. Versinkt ein Konti-
nent nicht bloß an seinem Rande, sondern in seiner ganzen Fläche größten-
teils ins Meer, so bleiben znletzt nur seine höchsten Erhebungen als Rest-
inseln überseeisch. Ursprünglich Inseln sind dagegen die Korallen-
inseln, ganz flache Eilande, welche die Brandung über Korallenriffen auf-
geschüttet hat, und die Vulkaninseln, Hochinseln, welche unterseeischen
vulkanischen Ausbrüchen ihren Ursprung verdanken.
Abgliederungsinseln liegen naturgemäß stets in der Nachbar-
schaft festländischer Küsten. Hierhin gehören Tasmanien und Neuguinea,
fast alle amerikanischen Inselgruppen, also der arktische Archipel, die Großen
und Kleinen Antillen, die pazifischen Küsteninseln im N. und S., ferner
Madagaskar, Ceylon, die Archipele von Hinterindien bis zu den Alenten,
endlich fast sämtliche Inseln Europas, unter denen die Kykladen beweisen,
daß durch Landversenkung Gebirge auf den Meeresgrund gelangen können,
wo ohne diese Ursache nie echte Gebirge vorkommen.
Restinseln sind wahrscheinlich die Nenseeland-Gruppe und die ant-
arktische Landmasse, die man als einen lückenhaften Ring von teilweise
großen Inseln angesehen hat, der ssö. von Kap Hoorn und streckenweis
s. vom Indischen Ozean bis über den Polarkreis nach N. vorragt. Nach
den neuesten Entdeckungen scheint es aber, als ob geschlossenes Festland,
nicht viel kleiner als das australische, um den Südpol sich ausdehnt; in
diesem Fall würden also nur die vorgelagerten Inseln in die Klasse der
Abgliederungsinseln gehören, und Kaiser Wilhelm II-Land mit dem
erloschenen, kleinen Vulkan Gaußberg wären Teile des sechsten Fest-
49
landes der Erde. Sie wurden von der deutschen Südpolarexpedition unter
Erich v. Drygalski mit dem Schiffe Gauß entdeckt (1902).
Koralleninseln können fast nur in tropischen Meeren entstehen;
denn die Korallentierchen bauen ihre Riffe auf seichtem Felsboden, und
zwar bauen sie, falls er in langsamer Senkung begriffen ist, steil in die
Höhe; denn nur so vermögen sie sich in der ihnen unentbehrlichen Ober-
flächenschicht des Meeres zu behaupten; nach Verschwinden der letzten Land-
spitze sind sie als Atolle gleichsam Gedenksteine früher dagewesenen
Landes; aus blinden, d.h. unsichtbaren Riffen wurden sie durch Aufschütten
von Korallenbrocken und Korallensand vermittelst der Brandung überseeisch.
Koralleninseln sind natürlich immer schmal, weil sie aufgetauchte Stücke
langgezogener Küstenriffe darstellen, und niemals viel höher sind, als die
Brandung reicht. Ein großer Teil der Inselwelt des Großen Ozeans, z. B.
die Paumotu-, die Marshall-Jnseln und die überwiegende Mehrzahl der
Karolinen, sind Koralleneilande, ebenso die Bahama- und Bermuda-Jnseln,
im Indischen Ozean die Amiranten, Tschagos-Jnseln, Lakkadiven und
Malediven.
Vulkaninseln gibt es dagegen in allen Zonen; sie pflegen
größer und ihrer Entstehung gemäß mehr rundlich zu sein als Korallen-
inseln, kommen aber ganz wie diese ebensowohl küstennah (Stromboli,
Santorin) als küstenfern vor, z. B. einsam im Indischen Weltmeer mitten
zwischen dem südlichsten Afrika und dem südlichsten Australien Neu-
Amsterdam und St. Paul. Sehr zahlreich sind vulkanische Inseln im
Großen Ozean und an seinen Rändern.
§ 12.
Bodenerhebungen.
Morphologie ist die Lehre von der Gestaltung, d. h. den Erhebungs- J. Formen
formen, dem Relief oder der Plastik der Erdoberfläche. Nur selten ist
Oberfläche der Landmassen unter den Meeresspiegel eingetieft. Solche Sen-
ken oder Depressionen (bis zu —400 ni) kommen nur da vor, wo es in-
folge zu großer Trockenheit entweder an Wasser gebricht, sie in Binnenseen zu
verwandeln (Sahara, Tarimbecken), oder wo doch nicht Wasser genug zufließt,
um den in ihrer Tiefe vorhandenen Binnensee zur Meeresspiegelhöhe aufzu-
fülleu (Kaspisches Meer, Totes Meer); die Senke an der niederländischen
Küste ist nur durch eine künstliche Rückdämmung der Nordsee entstanden. Die 2. Er-
überseeischen Bodenmassen scheiden sich in Ties- und Hochlande, Einzel- Übungen,
berge und Gebirge, und diese a) ihrer Form nach in Massengebirge,
Kammgebirge, Gruppengebirge, b) ihrer Entstehung nach in Fal-
Lampe, Erdkunde. Heft 4. a
50
I. Abriß der Allgememen Crdkunde,
tungsgebirge, Horstgebirge und vulkanische Gebirge. Ihre Erhebung
ist im Vergleich zur Größe der Erde immer nur unbeträchtlich; selbst der
höchste aller Berge, der Mount Everest, dürfte auf einem Globus von 1 in
Durchmesser nur 2/3 mm hoch dargestellt werden.
II. Wände- Unablässig verändert sich der Umfang, mehr noch das Relief des
^Boden- Landes, während die fast dreifach größere, meerbedeckte Außenseite des Erd-
formen, balls eben durch das Meer vor zerstörenden Eingriffen von außen her
besser geschützt wird. Hauptursachen jener steten Umgestaltung sind:
1._^tranb= 1. Verschiebung der Strandlinie, sei es im positiven oder im
Verschiebung, ncga^t,cn Sinne. Bei jedem Absinken von Land und bei Überflutung
der eingebrochenen Stelle durch das Meer muß eine Erniedrigung des
gesamten Meeresspiegels, also eine negative Strandlinienverschiebnng
an anderen Küsten, eintreten; eine positive, wenn auch von gering-
sügiger Größe vollzieht sich a) ganz allgemein und unablässig infolge
von langsamen: Aufhöhen des Meeresbodens seitens der über den Meeres-
boden sich fort und fort breitenden Sedimente, d) örtlich dadurch, daß
die Massenanziehung des Wassers durch das Küstenland stärker wird,
z. B. bei Emporfaltung eines Gebirges im Binnenland. Diese Massen-
anziehnng bewirkt überhaupt, daß der Meeresspiegel nicht mit der
idealen Oberfläche des Rotations-Ellipsoids zusammenfällt, sondern zu
einer gegen das Land hin ausgerichteten, schrägen Ebene etwas über
die rechtwinklige Lage znm Erdradius emporgezogen ist. Allerdings
ist die Dichtigkeit der Erde nicht gleichmäßig, und zwar vielsach unter
Gebirgen geringer als unter Ebenen, unter dem Festland als unter dem
Meere; denn von den höheren Teilen der Erde tragen die Gewässer an-
dauernd Massen zu den tieseren herab. Dieser Umstand wirkt abschwächend
aus die Massenanziehung ein, der das Meer seitens der Festländer ausgesetzt
ist (S. 15). — Weil die Höhe der Jnnenwärme einer Landmasse von dem
Wärmegrad abhängt, der dicht unter der Bodenobersläche dauernd herrscht
und der mittleren Lufttemperatur der Örtlichkeit entspricht (S. 15,16), so
muß sich eine Landmasse durch äußere Abkühlung, z. B. infolge von Be-
deckung mit Gletschereis, zusammenziehen, durch äußere Erwärmung,
z. B. nach dem Abschmelzen großer Jnlandeisdecken, ausdehnen; das ver-
ursacht bei Küstenländern ebenfalls säkulare Strandlinienverschiebung, so
daß z. B. in Skandinavien, einem zur Eiszeit grönländisch übergletschert
gewesenen Gebiet, „alte Strandlinien" der Eiszeit in noch deutlichen
Streifen hoch über dem gegenwärtigen Meeresspiegel erkennbar sind.
2. Zerstörung Z. Steter Angriff a) der Atmosphärilien bewirkt Verwitterung,
^sph^irMeu"'entweder trockene oder nasse; jene tritt in Ländern mit trockenem Klima
5 12. Bodenerhebung?»,
51
ein, z. B. in Jnnerasien (Iran, Tibet, Tarimbecken, Dsungarei, Mongolei;
auch im Innern Kleinasiens), in vielen Teilen Afrikas (Deutsch-Südwest-
afrika, Kalahari, Sahara und Ägypten bis uach Arabien), in den Wüsten
S.- und N.-Amerikas zwischen den Andenketten, der Sierra Nevada und
den Felsengebirgen, wo bei klarem Himmel auf glühende Tage bitterkalte
Nächte, auf heiße Sommer strenge Winter solgen und die Gesteine infolge
des Wechsels von Ausdehnung und Zusammenziehung gesprengt werden,
bis die Teile klein genug sind, daß die bei so großen Wärmeschwankungen
eintretenden, starken Winde sie umlagern können. Bei der nassen Verwitte-
rung handelt es sich um Eindringen der Nässe in den Felsgrund, der dadurch
bis iu große Tiefe chemisch verändert und, zumal wenn er aus Kalkstein
besteht, ausgehöhlt, an der Oberfläche durch abwechselndes Frieren und
Auftauen der einsickernden Wasserteile mechanisch gesprengt, zerbröckelt wird.
Vgl. die Karstgebiete von Bosnien, Jstrien und Krain, des Schwäbischen
Jura, des s. Hochlandes der Auvergne.
b) des fließenden Wassers. Es wirkt zunächst linear durch d) durch
Erosiou, d.h. Ausnagung, Auswaschung, eine Angriffsweise, die in den
Hohlformen der noch erhaltenen Landmasse erkennbar ist, vornehmlich in
Talgebilden, z. B. den Durchbruchstälern der Elbe, Donau und Altmühl,
des Rheins und der Mosel, des Alt und Jsker, des Ebro, des Ganges
und Indus. Das Meer arbeitet bei positiver Verschiebung der Strand-
linie dagegen flächenhaft durch Abrasion, d. h. Abwetzung, so daß fast
gar nichts mehr von der angegriffenen Unebenheit des Bodens übrig ist;
aufs großartigste geschieht das bei der allmählichen Vernichtung ganzer
Küstengebirge und Inseln (Helgoland) durch die Brandungswelle. Doch
kann im einzelnen auch das Meer lineare Auswaschungen vornehmen,
z.B. wenn die Brandung an einer Steilküste eine Hohlkehle ausnagt; im
großen können umgekehrt die Flüsse durch jahrmillionenlange Arbeit, unter-
stützt von der Gehängeabspülung, ein Bergland zur leise gewellten Fast- (Geogra-
Ebene (englisch: peneplain) also aus gliederreicher Oberfläche zur nur noch phischerKreis-
undeutlich gegliederten Numpffläche umgestalten. Zunächst folgen die
Rinnsale, Bäche, Flüsse einfach dem Bodengefäll, graben sich dabei in die
Unterlage ein und lagern die fortgeschwemmten Gesteine vor dem Bergland
ab, sobald das Gefäll gering geworden ist. Ein solches Gebiet ist noch in
der Jugendzeit seiner Ausbildung. Weitere Abspülung der Gehänge
durch den Regen und die Erosion der fließenden Gewässer schafft immer
ausgedehntere Talformen, vereinigt immer mehr Einzelflüsse zu einheit-
lichen Stromsystemen und erhöht immer mehr das ebene Aufschüttungs-
land um das Gebirge, so daß der Gegensatz zwischen dem formen-
4*
52
I Abriß der Allgemeinen Erdkunde.
3. Aufbau
durch Wind
und Wasser.
4. Vulkaui-
mns.
reichen, viel zerschnittenen, reich gegliederten Oberland um den Oberlauf
der Ströme und dem einförmigen, flachen, ungegliederten Unterland am
Unterlauf klar herausgearbeitet wird: Der Reifezustaud der Gegend ist
erreicht. Schließlich hat die Abspülung die wesentlichsten Schroffheiten der
Formen im Oberland ganz beseitigt und das Unterland so aufgehöht, daß
der Gegeusatz verwischt ist: Das Gebiet ist im Greisenalter; eine ein-
heitliche Rumpffläche ist geschaffen worden. Ruft nene Gebirgsbildung
später neue Unebenheiten hervor, dann beginnt das Spiel von neuem, bis
ein zweiter „geographischer Kreislauf" vollzogen, eine zweite Rumpffläche
geschaffen ist.
3. Aufbauende Tätigkeit des Windes erzeugt Dünen, am Meer bei
Flachstrand wie in Wüsten, und häuft Löß an, z.B. in der oberrheinischen
Tiesebene, im n. China; aber auch Fluß- wie Meerwasser baut auf:
Alluvium, Marschboden, z.B. an der Elbmüudung, in Holland.
4. Vulkanische Ausbrüche, Eruptionen, erzeugen Explosions-
trichter, z. B. die Eifelmaare, oder in größerem Maßstab ganze
^enkn ngsfelder,
den Hirschberger Kessel vor dem Riesengebirge.
Gebirgs-
bildung.
a) Arten.
Oder sie lassen durch Ausstoßuug großer Lavamassen weite Decken vul-
kanischen Gesteins entstehen, so um den Columbia- uud deu Schlangen-
sluß in N.-Amerika, oder mehr oder minder glocken- und domförmige
Einzelberge, z.B. Vogelsbcrg, Siebengebirge, Landskrone, die teils ein-
maligem Ausbruch ihr Dasein verdanken („monogen" — einmal entstanden)
oder häufigeren Eruptionen („polygen" — vielfach entstanden); dazu ge-
hören auch Schichtvulkane wie der Vesuv, d.h. Berge, dereu Mantel
aus Auswürflingen und aus Aschenmassen aufgebaut ist, die riugs um die
Auswurfsstelle sich in ständig wachsenden Wällen aufhäuften, nicht allein aus
feuerflüssig ausgestoßenem Gestein. — Von Vulkauen kennt man mindestens
325 tätige, darunter einige erst vor kurzem entstandene, und noch mehr er-
loschene. Sie durchbohren mit ihren lavagefüllten Schloten siebartig das Ge-
stein der Erdrinde uud sind meist unfern dem Meere reihenartig geordnet; die
großartigste Vulkanreihe zieht vom O. des Bengalischen Meerbusens um das
ganze Pazifische Weltmeer herum. Nur der Australkontinent ermangelt der
tätigen Vulkane. Eruptionen früherer Erdalter ergaben die Porphyr-,
Basalt-, Phonolith- und Trachytberge, dereu Masse als feuerflüssige Lava
aus dem Erdiunern quoll, ohue daß es aus lauter Lava zu bestehen braucht;
sie besitzen zwar keine Krater, die basaltischen jedoch gewöhnlich Kegelform
wie die Vulkane der Gegenwart.
5. Gebirgsbildung. Sie kann auf drei Weisen vor sich gehen:
1. Einsturz von Felsmassen, welche die in höherer Lage bleibenden Teile
53
als Horstgebirge erscheinen lassen, z.B. Schwarzwald, Wasgenwald;
2. Auffaltung der Erdrindenmassen zu Gebirgsrücken, z. B. Karpaten,
Balkan, Kaukasus, besonders häufig an den Küsten, wie am voll-
kommensten O.-Australien und die pazifische Seite Amerikas zeigen: Wo
Faltungsgebirge gegenwärtig dem Meere fern liegen, läßt sich in der Regel
beweisen, daß sie in früheren Zeiträumen der Erdgeschichte Festlandküsten
bildeten (Ural, Alpen); 3. Fortbewegung von ganzen Teilen der Erdober-
fläche über Nachbargebiete. Solche Uberschiebungsdecken find bisher
vornehmlich an einigen Stellen der Schweizer Alpen nachgewiesen.
Im Dienste der genaueren Morphologie der Gebirge, der Oro- b) Anlässe,
graphie, steht die Orometrie, die Lehre von den Maßen der Gebirge.
Sie lehrt, daß viel umfassender als der Vulkanismus die „Tektonik", d. i.
Gebirgsbildung, au der Ausgestaltung der Erdoberfläche arbeitet. Vermutlich
war die Erde einst feuerflüssig, erstarrte erst im Laufe unberechenbar langer
Zeiträume durch Ausstrahlung ihrer Wärme in den äußerst kalten Weltraum
und unterliegt noch gegenwärtig wie jeder sich abkühlende Körper einer lang-
samen Zusammenziehung; dadurch sinken entweder Teile der Oberfläche
ins Innere oder andere schieben sich bei der Zusammenziehung über Nach-
barteile oder es runzelt sich die eine oder andere Zone der Außenseite
gleich der Schale eines durch Trocknen zusammenschrumpfenden Apfels.
Unsere Figur stelle einen Querschnitt durch ein Faltungsgebirge mit
mehreren Kämmen dar; mau sieht sofort, daß ein solches Gebirge bei
Wiedereinebnuug seiner verborgenen Schichtgesteine im gegenwärtigen Ab-
stand vom Erdmittelpunkt zwischen seinen einschließenden Felsmassen am Fuß
nicht Raum fände, daß mithin die frühere Horizontallage seiner Schichten
nur in einer Zeit möglich war, als die Erde noch etwas umfangreicher
war. Ausgeglättet würden die Felsschichten des Schweizer Jura 5, die
der Schweizer Alpen sogar 120 km weiter reichen als jetzt der Gebirgs-
fuß; die horizontal gedachten Schichten des Schweizer Jura würden dem-
nach bis gegen Bern und Lausanne, die der Westalpen bis in Mailands
Länge sich erstrecken. Auch sieht man, daß der Faltenwurf nicht durch
Druck aus der Tiefe entstanden sein kann, denn dadurch bliebe die Über-
faltung bei 1 unerklärlich. Kammgebirge entstehen durch Seiteu-
schub nachgiebiger Massen der Erdrinde gegen festere, und die meisten der
alltäglich sich ereignenden Erdbeben werden als Folge von Fortsetzungen
dieser säkular langsamen Aufprefsuug der Gebirge erkannt.
5t
c) Umfor- Sobald ein Kammgebirge sich zu erheben beginnt, setzt auch schon
mungen. Umformung durch Atmosphärilien und fließende Gewässer ein; je
kräftiger sie wirkt, desto mannigfaltiger wird die Modellierung der eintönigen
Falten. Flüsse, die ein Gebirge in seiner gegenwärtigen Höhe nie hätten
durchnagen können, vermochten das doch (S. 51), weil sie die Arbeit begannen,
als das Gebirge erst in der Entstehung begriffen war. Während rinnende
Gewässer nur auf der Linie ihrer Rinnsale den Boden erodieren, ist die
Verwitterung mit dem Abtragen der gesamten der Luft ausgesetzten Ober-
fläche ohne Unterlaß beschäftigt: Denudation oder Abdeckung; vgl.
1—4 der Figur auf S. 53. Durch solche Abdeckung gelangen allmählich tiefere
Schichten zum Vorschein (durch Abdecken der Felsschicht a die nächst tiefere
bei 2 und 3, durch Abdecken von d bei 4 sogar die noch tiefere), und zwar
am meisten entlang dem Gebirgskamm, welcher der Verwitterung als ältester
und höchster Teil des Gebirges ani meisten ausgesetzt gewesen ist. Häufig
besteht deshalb der Kamm jetzt aus kristallinischem Urgestein, welches mit
(schon etwas schiefrigem) Gneis und Glimmerschiefer aufwärts in immer
deutlicher geschichtete Gesteinsmassen übergeht, die dann gewöhnlich die
Gehänge des Gebirges decken und nach der Altersreihe der Formationen
so aufeinander folgen, daß regelmäßig die älteren unter den jüngeren zu
lagern pflegen (außer bei Überkippungen wie in uuserer Figur bei 1).
Nie sindet sich dieser ungeheure Schichtenbau aller Formationen voll-
ständig vor; denn von jeher wechselte auf Erdeu die Grenze von Land
und Meer, und nur die Stellen konnten sich mit den Absätzen aus dem
Meer einer bestimmten Formation bedecken, die zu deren Ausbildungszeit
unterseeisch waren. Die Denudation kann anderseits eine Formation örtlich
ganz vernichten oder doch nur Trümmerreste von ihr da übrig lassen,
wo sie vorher die ganze Bodenoberfläche bildete, z. B. Jura und Trias
im Südwestdeutschen Becken, das Schichtgestein im Bereich der über-
wiegend archäischen Zentralalpen. Faltungsgebirge können in die Ruinen-
gestalt sogenannter R u m p f g e b i r g e übergehen, indem die Denudation
ihre Kämme mit Ausnahme etwa derjenigen aus besonders hartem Gestein
bis gegen den Gebirgssockel hin abträgt, so daß man zuletzt die alten
Kammfaltungen des Gebirges nur noch in den faltenartigen Biegungen
der Gesteinsschichten der Hinterbliebenen platienförmigen Gebirgsmaße
zu erkennen vermag: Rheinisches Schiesergebirge, Harz, die Gebirge Skandi-
naviens. Rumpfgebirge gehöreu also ihrer Form nach zu den Massen-
gebirgen. Der Entstehung nach gehören sie mit der Rumpffläche (S. 51)
zusammen.
6. Gletscher, 6. Dn6 Eis. Die Höhe der Schneegrenze richtet sich nur im all-
z 12. Lodenerhebungen.
55
gemeinen nach der Breitenlage, weil sie weniger von der mittleren Jahres- a) Ursprung.
wärme abhängt als von der Schneefülle des Winters und von der Wärme
und Feuchtigkeit des Sommers. Neben den Lawinen bewirken die Gl et-
scher den Abraum des Schnees der Hochgebirge oberhalb der Schneelinie;
sonst würden solche Gebirge durch Auflagerung des Schnees immer höher
werden, die Alpen jährlich um etwa 1 m. Die Gletscherbewegung beruht auf d) Bewegung.
dem langsamen Niedergleiten längs dem abwärts geneigten Gletscherbett und
auf der Schmiegsamkeit des Gletschereises, diese Schmiegsamkeit aber wieder
darauf, daß unter dem Druck, den die oberen Teile des Gletschers auf die
unteren ausüben, beständig Eisteilchen schmelzen und als Wasser in die
feinen Haarspalten des Gletschers austreten, wo sie, des Druckes zeitweise
ledig, wieder zu Eis erstarren, und so immer fort. Mit dem Gletschereis
rutscht der Felsschutt der Moränen talabwärts. Man unterscheidet c) Moränen.
Randmoränen, d.h. Reihen von Blöcken, die, von den umgebenden Tal-
gehängen durch Verwitterung losgelöst, auf den Rändern des Gletschers
auflagern, Mittelmoränen, die bei der Vereinigung mehrerer Gletscher
dadurch entstehen, daß sich die aneinanderstoßenden Randmoränen der Teil-
gletscher zu breiteren Blockreihen auf der Oberfläche des zusammen-
gesetzten Gletschers vermengen, und die Grundmoräne. Von Fluß-
geröllen unterscheidet sich der Moränenschutt durch regellose Zusammen-
Häufung großer und kleiner Steine, öfters auch durch Scharfkantigkeit,
derjenige der Grundmoräne bisweilen durch spiegeleben geschliffene Flächen,
die auch das Gletscherbett zeigt; die Ecken und Kanten der Gesteins-
trümmer der Grundmoräne, die das Gletscherbett berühren, ritzen es gerad-
linig und werden selbst gekritzt. Geschrammte Felsen verraten daher oft noch
die frühere Gletschertätigkeit, wenn der Gletscher längst verschwunden ist.
Oberflächen- und Grundmoränen häufen ihren Schutt zuletzt als End-
moräne an der Stelle auf, wo der Gletscherbach am Gletscherende her- 6) Gletscher-
vortritt. Er erhält sein Wasser zum geringsten Teil vom Abtauen des
Gletscherendes, der „Gletscherzunge", hauptsächlich vom Abtauen der ganzen
Gletscheroberfläche in den wärmeren Tagesstunden; das Tauwasser sammelt
sich dann aus unzähligen Eisspalten auf dem Grund des Gletschers und
tritt schließlich im Gletschertor zutage, stets molkig trüb von fein zer-
riebenem Gesteinsschutt.
Eis wirkt also wie fließendes Wasser und Wind sowohl abtragend e) Abräu-
und fortbewegend wie aufschüttend. Es vermag durch Druck und Ver- ^sw^nde
Witterungsvorgänge vorhandene Hohlformen, durch die es als Gletscher Tätigkeit des
strömt, weiter auszuarbeiten; so sind durch die gewaltigen Eismassen der Gletschereises.
Eiszeit die von Bächen und Strömen vorher geschaffenen Talformen in den
56 I. Abriß der Allgemeinen Erdkunde.
Alpen bedeutend übertieft. Beim Transport werden die Moränen nicht
so stark zerstört wie die Bachgerölle. Die Ablagerung des Gletscherschuttes
an der Stirn des Gletschers erfolgt meist in der Form geschwungener
Hügelzüge. Wenn die Masse des Eises so anschwillt, daß das gesamte
Land von ihr überdeckt ist, entsteht Inlandeis, wie es noch jetzt Grön-
land und das Südpolarlaud bedeckt, während es in der Eiszeit z. B. auch
ganz Skandinavien, die Ostsee und das n. Deutschland nebst den russischen
Ostseeländern und Finnland überzogen hat. Es trägt natürlich keine Ober-
flächenmoräne, ist jedoch wie die Gletscher in Bewegung und transportiert
eine Grundmoräne. Ihre Reste bilden gegenwärtig z. B. den Boden des
Norddeutschen Flachlandes.
5. Die Landgewässer.
§ 13.
Flüsse.
Die Hydrographie oder Gewässerkunde teilt sich in die Meeres-
künde (§ 9, 10) und in die Lehre von den Landgewässern (§ 13, 14).
I. Quellen. Quellen, die aus geringer Bodentiefe hervorkommen, besitzen eine
der Mitteltemperatur des Quellorts gleiche oder fast gleiche Temperatur,
in der heißen Zone also, falls der Boden nicht hoch liegt, meist über 20
Thermen entquellen sehr oft solchen Bodenstellen, deren Inneres in große
Tiefe reichende Spalten besitzt, die oft zugleich vulkanischen Ausbruchs-
massen den Weg an die Oberfläche bahnen und einst gebahnt haben; sie
kommen daher nicht nur in der Umgebung fortdauernd tätiger Vulkaue vor
(Neuseeland, Island), sondern sprudeln auch mitunter in Gegenden, wo,
wie in Böhmen seit den Basaltansbrüchen der Tertiärzeit, der Vulkanis-
mus völlig erloschen ist, z. B. die Quellen in Karlsbad und Teplitz-Schönau.
Einige Quellen sind als Mineralquellen ausgezeichnet durch ihreu
Reichtum an Mineralstoffen, z. B. Kreuznach, Wiesbaden, Ems, Kissingen,
andere als Sauerbrunnen durch die Menge von Kohlensäure, die sie
aus der Tiefe mitbringen, z. B. Selters, Fachingen. Da alle Quellen durch
Zusammensickern des Regenwassers im Erdboden entstehen, so fließen sie
um so reichlicher, je weniger der zur Erde fallende Regen verdunstet oder
je weniger schnell er an der Oberfläche fortrinnt: Wälder, die stets in ihrem
Schatten die Verdunstung hemmen, begünstigen darum die Quellenbildung
sehr, und unvorsichtige Entwaldung hat schon manche Quellen versiegen
57
machen. Die Gebirge, gewöhnlich die niederschlagreichsten Teile eines
Landes, sind auch die ergiebigsten Heimstätten der Quellen. Wo Regen,
wenn auch in Menge fällt, aber im völlig horizontalen Boden sich zu aus-
tretenden Adern nicht sammeln kann, finden wir keine Quellen, so an der
friesischen Küste.
Im Trockenklima der Steppen enthalten die Flußbetten meist nur II. Flüsse,
zeitweise Wasser, in der trocknen Zeit höchstens vereinzelte Wasserlachen, 1- Arten,
die indessen gewöhnlich verbunden sind durch das unsichtbare, vor Ver-
dunstung besser geschützte Sickerwasser des Untergrunds (Grundwasser),
das die Umgebung jedes Flußbetts durchtränkt. Im Gegensatz zu diesen
nur zeitweise wassergesüllten Flüssen heißen die andauernd fließenden
perennierende; sie können auch in Steppen oder selbst in Wüsten vor-
kommen, wenn die aus der Qnellgegend mitgebrachte Wassermasse reichlich
genug ist, um die starke Verdunstung des trocknen Gebietes überstehen zu
können: Nil, der Amu und Sir, die im Tarim sich sammelnden Flußadern
Qstturkistans, die Flüsse im W. der Union.
Wasserscheiden ziehen sowohl über Gebirge als auch durch 2. Wasser-
Ebenen, denn schon die geringste Bodenschwellnng genügt zur völligen schaden.
Scheidung der Flußgebiete. Selten verwischt eine Bifurkation diese
Scheide, z. B. im Obrabruch, zwischen Hase und Else (zur Weser), Orinoko
und Casiquiare, öfters unterirdischer Wasseraustausch durch Anzapfung
eines Flusses, z. B. die obere Donau durch die Aach zum Rhein. Häufig
kommeu im Gebirge Talwasserscheiden vor, z.B. das Toblacher Feld.
Im Oberlauf pflegen die Flüsse den weitaus größten Teil des3. Gliederung
Höhenunterschieds zwischen Quelle und Mündung rasch zu durchmessen; Soitfcö.
hier ist ihr Gefälle naturgemäß das stärkste; dementsprechend überwiegt
die Erosion.- Im Mittellaus ist die Erosion meist abgeschwächt, weil
hier das Gefälle schon stark vermindert zu sein pflegt; der Fluß führt kein
grobes Geröll mehr mit sich, sondern nur noch Sand und Schlamm. Es finden
schon häufig teils am r., teils am l. Ufer bei vorübergehendem Austreten des
Flusses aus seinem Bett Anschwemmungen statt, bei Biegungen stets auf
der Innenseite, weil das strömende Wasser dort die geringste Geschwindig-
keit hat; die Außenseite einer Biegung wird dagegen unterspült und zeigt
deshalb meist Steilufer, die Innenseite Flachufer. Auch entstehen Sand-
bänke und Werder, zwischen denen der Fluß in Schlangenlinien (Serpen-
tinen) hinzieht, wie das gewöhnlich geschieht, wenn das Gefälle sich ver-
ringert und der Fluß um so leichter von einem Hemmnis seines Laufs
au dem einen Ufer nach der entgegengesetzten Unterseite hin abzubiegen
veranlaßt wird. Ist die Schlängelung zu groß geworden, dann durchbricht
I. Abriß der Allgemeinen Erdkunde.
bei gelegentlichem Hochwasser der Fluß seine Schleift, legt sein Bett
gerade und läßt den früheren Lauf als Altwasser zurück. Im Unter-
lauf überwiegt die Anschwemmung: Gröberer Schutt zu Sandbänken ist
nicht viel mehr übrig; der langsame Strom führt meist nur noch feine
^chlammteilchen (Flußtrübung), läßt gegen die Mündung hin auch diese
liegen, besonders bei der Mündung ins Meer, in dessen salzigem Wasser
die Sinkstoffe weit leichter zu Boden sinken als im Süßwasser, und trennt
sich in dem weichen Boden seines Deltas leicht in Arme. Natürlich ändern
sich alle vorgenannten Verhältnisse, sobald die Stärke des Flußgefälles
anders als gewöhnlich über den Flußlauf verteilt ist, z. B. wenn Hochland-
flüsse gerade kurz vor ihrer Mündung plötzlich verstärktes Gefälle haben,
wie z. B. oft iu Skandinavien und in Südafrika. Überall beobachtet man
die größte Stromgeschwindigkeit nach der Mitte des Flußspiegels hin,
besonders über der tiefsten Rinne des Flußbetts, im sogenannten Strom-
strich, denn an den Ufern (wie am Grunde) verzögert die Reibung des
Wassers an der Wandung des Bettes den Lauf.
4. Geschwin- Die Geschwindigkeit der Flußbewegung hängt außer vom Gefälle
^Fluß-^' auch von der Menge des Wassers ab, die ein Fluß fortschiebt. Der Druck
bewegung. der oberen Strommassen auf die flußabwärts ist aber bei Hochwasser am
ärgsten; deshalb reißen die Ströme so oft ihre im ruhigen Fluß abgesetzten
Schwemmgebilde bei Hochwasser wieder ein. Der Amazonas treibt seine
gewaltige Wassermasse (80 000 Kubikmeter in der Sekunde) noch kräftig
über seine Mündung hinaus ins Meer, obgleich das Gefälle seines schon
viele Tagereisen vor der Mündung seeebenen Spiegels vollkommen 0 ge-
worden ist.
Fluß- Wo ein Fluß seine Schnelligkeit verringert, setzt er stets die infolge
nblagenmg. f}{erüon nicht mehr fortzutragenden Sinkstoffe zu Boden. Deshalb bilden
Nebenflüsse beim Eintritt in einen viel langsamer strömenden Hauptfluß
immer eine Schuttablagerung („Schuttkegel"), und zwar in dem oberen,
stilleren Winkel ihrer Mündung, während der Nebenfluß an dem entgegen-
gesetzten, also den: unteren Winkel, den seine Mündung mit dem Haupt-
slitß bildet, durch verstärkten Druck auch kräftiger erodierend auf die dort
gelegene Uferstrecke wirkt; so sehen wir alle Alpenzuflüsse des Po an
ihrer Mündung flußabwärts gezogen; die Etsch wurde zuletzt vom Po
ganz unabhängig. Die Meereseinschnitte, in welche die südrussischen Flüsse
sich einst ergossen, sind durch die „Barrenbildung", d. h. an ihrer Öffnung
abgesetzte Flußsinkstoffe, längst zu Limanen geworden. Am umfangreichsten
ist der Schuttkegel des Hoang-Ho; fast die ganze Ebene von Tschili und
Schantung ruht auf ihm. Der Schuttkegel der Lütschine hat den einst
§ 13. S lüffe.
59
einheitlichen Alpensee in den Thuner und Brienzer zerlegt, der Adda den
Mezzola- vom Komersee getrennt. — Flußdeltas zeigen sich am regel- (Delta.)
mäßigsten in Binnenseen. Entweder bleibt der Fluß im See: Dann ge-
schieht es im Trockenklima, daß die heftige Verdunstung den Seespiegel
sinken, folglich den Schuttkegel des Flusses als Delta mehr und mehr
hervorwachsen läßt (Wolga, Amu, Sir). Oder der Fluß tritt wieder aus
dem See heraus, dann wetzt er diese Ausmündungsstelle allmählich tiefer
aus, zapft dadurch gleichsam den See an und läßt durch solche Erniedrigung
des Seespiegels ganz regelmäßig an seiner Eintrittsstelle in den See das
Delta auswachsen. Gestaltlich sind die Deltas völlig verschiedenartig, vergl.
das gabelzinkige Delta des Mississippi mit dem Rheindelta. Bisweilen
durchzieht der Fluß sein Delta sogar nur einarmig, so der Ebro.
Jeder Fluß hat seine Geschichte, die stets weit in vorgeschichtliche m. gntiuicf*
Zeitfernen zurückreicht. Bei Katarakten und Wasserfällen, die durch Ero- ^schichte
sion immer langsam flußaufwärts rücken, sehen wir den Fluß in unab- ^
lässiger, harter Arbeit begriffen; trotzdem haben Niagara und Rheinfall laufen,
seit Menschengedenken kaum ihr Aussehen geändert. — Der Rhein lehrt
uns, wie ein Strom durch ungeheuer lange geologische Zeiträume von seiner
Quelle bis zur Mündung stückweise auswachsen kann. Sein Oberlauf in
der Schweiz, sein Weg durch die Oberrheinische Tiefebene, das Tal im
Schiefergebirge sind 3 Teilstücke, deren jedes eine eigene Entwickluugs-
geschichte hinter sich hat. Als die Nordsee noch nicht ihren Boden ein-
genommen hatte, floß auf ihm der Rhein gen N., und Themse wie Weser
waren seine Nebenflüsse. Umgekehrt würde er durch die in geschichtlicher
Zeit begonnene, noch gegenwärtig fortschreitende niederländische Land-
senkung ohne den Deichschutz so viel an Gebiet verloren haben, daß er
bereits heute über 70 km weit ö. von der Stelle münden müßte, wo er
als Maas noch jetzt das Meer erreicht. — Aber auch völlig neue Rich-
tungen können die Flüsse im Lauf der Zeit annehmen, woraus bisweilen
große Umgestaltungen ganzer Flußsysteme hervorgehen. So strömte ehe-
mals ein großer Strom aus dem Weichseltal stets im S. des Baltischen
Landrückens entlang nach W. und mündete bei der Stätte von Hamburg;
dann brach er sich seitlich Bahn durch den Landrücken nach dem Stettiner Hass,
noch später ebenso nach der Danziger Bucht. Nach dem Gesetz, daß ein
Fluß, nachdem er einen kürzeren Weg gewonnen, stets den früheren,
längeren allmählich aufgibt, weil er dort weniger Gefäll hat, also eher
aufschwemmt, hier aber eher erodiert, würdeu wir mithin bei Hamburg und
Stettin gar keine Flußmündungen haben, seitdem jener Urstrom östlichere,
mithin kürzere Straßen zum Meere fand; indessen die früheren Neben-
^0 I. Abriß der Allgemeinen Erdkunde.
flüsse der Weichsel, nämlich die spätere Elbe und Oder, nahmen nun die
Betten der alten Unterläufe für sich in Anspruch und wurden selbständige
Flüsse; einzelne Stücke des alten Tales, so w. von Bremberg, gerieten in
die unvermeidliche Versumpfung.
§ 14.
Seen.
1. Entstehung. Die Landseeu sind mitunter Reste des leeres, die bei seinem
Rückzug in den Muldentiefeu des früheren Meeresbodens zurückblieben:
Rest - oder Reliktenseen; meistenteils aber entstanden sie als ur-
sprüngliche Binnenseen erst nach dem Austauchen des Landes aus
dem Meere durch Ausfüllung von Bodenvertiefungen mit Flußwasser,
mancher Weiher auch nur durch das Regenwasser. Beim Vordringen des
Meeres gegen das Land können umgekehrt ursprüngliche Binnenseen auch
Meeresteise werden: Sudersee.
Große Tiefe verrät bisweilen die Reliktennatur der Seen, so beim
Kaspischen Meer (bis zu säst 900 m) und Baikalsee (bis zu 1350 in),
sicher geht diese jedoch erst aus deu ozeanischen Sedimenten im Seeboden
mit versteinerten Resten ozeanischer Organismen oder Abdrücken hervor
sowie teilweise aus der fortlebenden Reliktenfauna oder -Flora, d. h. aus
den Tieren oder Gewächsen des Meerwassers, die sich die Seen aus ihrer
ozeanischen Vorzeit bewahrt haben. Im Baikalsee leben z. B. Seehunde,
die es sonst nur im Ozean gibt. Gar keinen Beweis bietet der Salzgehalt
des Wassers.
2. Salzgehalt. Wenn Reliktenseen nach ihrer Abschnürung vom Meer von Flüssen
durchzogen werden, so füllen sie sich auch allmählich mil deren Süßwasser;
nur wenn Flußverbindung mit dem Ozean fehlt, behalten sie Salzwasser,
z. B. das Kaspische Meer, der Aralsee. Hingegen werden ursprüngliche
Binnenseen, wenn ihnen der Abfluß fehlt, so gut wie abflußlose Länder,
ausnahmslos salzig; selten geschieht das durch Eintritt von Sole aus
der Umgebung des Seebeckens, meist einfach wegen der ständigen Ver-
dunstung des Wassers. Das Tote Meer, der Urmia- und der Große
Salzsee in Utah bestehen ungefähr zu y4 ihres Wassergewichts aus Salz,
sind also ungefähr 7 mal so salzreich wie das offene Weltmeer. Abflußlose
Seen mit durchklüftetem Boden, wie sie in Gegenden aus Kalkstein vor-
kommen, sind dagegen nicht salzig, weil sie nur scheinbar, nämlich nur
oberirdisch des Abflusses ermangeln, so der Zirknitzer- und der frühere
Kopaissee.
61
6. Die Bewohner.
§ 15.
PslmiM- und Tiewerbreituilg.
Die Pflanzen und Tiere sind in ihrer Verbreitung zunächst durch
die Ausdehnung von Land und Wasser beherrscht. Man unterscheidet
deshalb Land-, Süßwasser- und Meeresflora wie -Fauna. Die Gewächse
sind außerdem besonders an das Klima, die Tiere mehr noch als an dieses
an das Vorkommen derjenigen Pflanzen oder anderer Tiere gebunden,
von denen sie sich ernähren.
Wo Wärme und Feuchtigkeit aiu größten ist und feine Eiszeit das i. Fauna
reiche Erbe vergangener Erdalter vernichtet hat, da ist auch jedes der ^ft'"
beiden organischen Naturreiche in üppiger Fülle vorhanden: Amazonas- länder.
gebiet, atlantisches Afrika, Monsun-Asien. Aus den Polarzonen ist Wald
und Waldsanna durch die anhaltende Kälte, aus Steppe und Wüste durch
zu langen, beziehungsweise fast völligen Regenmangel ausgeschlossen. Deu
langen Trockenperioden der Steppen widerstehen Gräser und andere Mono-
kotylen, z. B. Liliengewächse, am besten wegen der unterirdischen Wurzel-
stöcke, der Knollen oder Zwiebeln, mit denen sie ausdaueru, wenn ihre
oberirdischen Teile in der Dürre absterben; wühlende Nager, die von den
unterirdischen Pflanzenteilen leben, sind darum regelmäßige Bewohner
der Steppe; grasreiche Steppen beherbergen serner die großen Herden der
Hnstiere, und sie wieder ziehen die großen Raubtiere nach sich; das Kamel
verträgt keine Nässe, ist aber das unentbehrlichste „Schiss der Wüste", der
Elesant umgekehrt der Bewohner warmer und seuchterer Striche. Assen
und Palmen gehen nirgends weit über den Tropenraum hinaus. Wie
uach den beiden Polen zu die organische Welt immer ärmer wird, von
Gewächsen zuletzt fast nur noch Moose und Flechten vorkommen, z. B. auf
den Tundren, so auch in niedrigen Breiten die Gebirgshöhen hinauf:
Höhenabstusnng. Der Weinstock zeigt, wie Temperatur und Lusttrübung
zusammen Pflanzengrenzen bestimmen; im milden England, in dessen
S. Lorbeer und Myrte im Freien gedeiht, kommt er wegen der reich-
lichen Luftfeuchtigkeit uicht fort. Die Rotbuche zeigt, daß die Dauer einer
bestimmten Mmdestwänne durch den ganzen Jahreskreislauf hin mitunter
wichtiger fein kann als die Durchschnittswärme des Jahres oder bestimmter
Jahreszeiten; denn ihr Vorkommen im Gebirge oberhalb der Höhengrenze
der Eiche beweist, daß sie härtere Kälte besser verträgt als die. Eiche; da-
gegen weicht ihr Verbreitungskreis in O.-Europa weit uach S. zurück.
62 I. Abriß der Allgemeinen Erdkunde.
II. Meeres- Der ein Ganzes bildende Raum der Weltmeere mit semer von Pol
orqamSmen. cn r • v <->-• r r , . ^
zu Pol tn der Tiefe so gut wie gleichartigen Temperatur gestattet die
allerweiteste Verbreitung der Organismen. Bis ans ihren eiskalten, licht-
armen Grund hinab sind die Ozeane belebt, und zum Teil von Tierarten,
die durch alle Zonen hindurch gefunden werden; die Riffkorallen freilich
find Meerestiere, die an bestimmte Wärme gebunden sind. Das zerstückte
Land gestattet dagegen nur solchen Pflanzen und Tieren Ausbreitung
über deu Küstenring ihrer Heimat in ferneres Land, die weit zu schwimmen
oder weit zu fliegen vermögen oder deren Keime dazu imstande sind. Da
dieses Vermögen gar nicht gewöhnlich ist, so sind noch gegenwärtig die drei
Festlandmassen zugleich die drei Hauptprovinzen der Organismenverteiluug.
III. Tier- Der Grad der Übereinstimmung von Flora und Fauna jetzt durch
Pflanzen- ^ S^ccr getrennter Landmassen bietet ein scharfes Mittel dar, um zu
gcographie. bestimmen, ob und wann dieselben vordem verbunden waren; denn im
Lauf lauger Zeiträume erfährt die organische Welt manche Wandlungen,
und diese greifen nicht leicht übers Meer hinüber oder gar von einer Welt-
insel zur anderen. So muß die Trennung der Britischen Inseln von
unserm Festland sich erst vollzogen haben, als schon Menschen die Erde
bewohnten; die Abgliederung der Großen Sunda-Jnseln geschah frühestens
im späteren Tertiäralter, wie mir aus der Säugetiergemeinschaft mit
Hinterindien ersehen; Alte und Nene Welt blieben am längsten im hohen
Norden miteinander verbunden, wo allein näher verwandte oder dieselben
Pflanzen- und Tierarten begegnen; Madagaskar hat sich wie Australien
schon in frühtertiären oder vortertiären Zeiten abgelöst, Polynesiens Insel-
slur hat nie mit einem Festland zusammengehangen; denn sie besitzt gar
keine eigenen Säugetiere. Jene Länder bergen nur Reste einer noch niedrigen
Entwicklungsstufe dieser Tierklasse; gerade im Tertiäralter traten die großen
Säugetiere auf, besonders die in Australien gänzlich fehlenden Raubtiere.
Australiens Eigenart beruht auf der Erhaltung uralter Tier- und
Pflanzenformen, die einst auch über Ost- und Westfeste verbreitet waren,
hier jedoch später dnrch kräftiger organisierte Tiere und Pflanzen ver-
drängt wurden. Amerika zeigt selbständige Neuschöpfungen: Kolibris,
Kakteen, dabei Südamerika eine der australischen ähnliche Sonderstellung
in seiner Fauna und in der Abwesenheit der Kiesern; am reichsten aus-
gestattet mit Organismen, namentlich aus den obersten Ordnungen der
Säugetierklasse ist die größte Erdfeste, die Alte Welt, und in ihr sind
wieder saunistisch und sloristisch am innigsten verwandt die Erdteile, die
einander am innigsten berühren, Asien und Europa.
§ 1(3. Iiiensch und tfrbf.
63
§ 16.
Mensch und Erde.
Das Menschengeschlecht scheint seinen Ursprung in einem tropisch I. UrHeim
warmen und tropisch früchtereichen Teil der Ostfeste gefunden zu haben;
denn das Gebiß des Menschen deutet auf anfänglich ausschließliche Er-
nährung durch Früchte. Von da hat der Mensch bei wachsender Anzahl
seinen Siegeszug in heißem Kampf mit den an Kraft ihm weit überlegenen
wilden Tieren bis in die höchsten Breiten angetreten; zuerst dienten ihm
Steinwaffen, nachmals in Feuer bearbeitete Erz- und Eisenwaffen. Das
Fell des erlegten Tieres deckte in kalten Ländern die Blöße des Körpers,
dessen Maugel an Behaaruug darauf hinweist, die Wiege des Menschen-
geschlechts müsse in heißen Ländern gestanden haben. Unbewohnt von
Menschen blieben nur fern vom Festland gelegene Inseln.
Unser ursprünglich völlig gleichartiges Geschlecht trennte sich bei der II. Rnss
Zerstreuung über alle Festlande in einzelne Nassen, deren körperliche und
sprachliche Verschiedenheit sich in einer langen Reihe von Jahrtausenden
festsetzte, während deren sich die Rassen getrennt hielten. Australien wurde
das Land der Australschwarzen, Amerika das der Indianer und
Eskimos; südlich von der Sahara bildeten sich Buschmänner nebst
Hottentotten, besonders aber die Neger; die übrige Ostfeste fiel fast
ganz der Mittelländischen Rasse und der Mongolischen anHeim;
nur der äußerste SO. und teilweise Madagaskar der Malaiischen, deren
Auszug auf die Jnselschwärme der Südsee bis nach Neuseeland und der
Oster-Jnsel zur polynesischen Spielart führte. Die echten Austrat-
inseln sind von Papuas, Vorderindien ist noch großenteils von Dravidas
bewohnt.
Unbewohnt sind nur das autarktische Land, die nördlichsten Insel- in. Woh
gruppeu in der Längenlage Europas und so völlig einsame Eilande wie dichte
die im südlichen Indischen Ozean. Die sehr ungleich verdichtete Menschheit
vermehrte ihre Anzahl ununterbrochen durch den natürlichen Zuwachs,
d. h. den Uberschuß der Geburten über die Sterbefälle, namentlich inner-
halb der Kulturländer; armselig streifende Wanderhorden, gegen die Kultur
sich verschließende Volksstämme pflegen dagegen rasch auszusterben, wenn
kultivierte Menschen sich ihres Landes bemächtigen, da diese die Nahrungs-
quelleu desselben besser zu erschließen verstehen und nicht weite Landstrecken
wenigen Arbeitsscheuen überlassen mögen, wo viele Fleißige seßhaft leben
können (vergl. die Australschwarzeu und die Indianer der Vereinigten
Staaten Amerikas, die Hottentotten und Buschmänner Südafrikas).
64
I. Abriß der Allgemeinen Erdkunde.
iVr' ®liturB Ju den vorgeschichtlichen Zeiten, d. h. lange vor der schriftlich über-
"l^Asien"^ ^cfcr*en Geschichte, waren die Menschenstämme sklavisch abhängig von
Europa/ ihrem Wohnraum, weil sie noch nicht gelernt hatten, die Natur nach ihren
Bedürfnissen teilweise sich Untertan zu machen. Das geschah zuerst iu
Ägypten und Vorderasien, dann in Südeuropa, Indien und China. Wo
die allzugütige Natur zwischen den Wendekreisen Nahrung von selbst spendet
und kaum Bekleidung nötig macht, leben noch jetzt viele Völker in Träg-
heit dahin; auch wo im hohen Norden das Verlangen nach Nahrungs- und
Bekleidnngsmitteln beständig die ganze Kraft in Anspruch nimmt, gelangt
der Mensch nie zu höherer Ausbildung. Nur der landreiche nördliche
Gürtel des gemäßigten Klimas, wo die Natur uicht von selbst ernährt,
ohne Arbeit zu fordern, aber die Arbeit durch Fruchtsegen doch belohnt,
ist die Heimat der Menschheitsgesittung, die in der Neuzeit von Europa aus
zur Weltkultur sich ausbreitet und bis zn einem gewissen Grade die Erd-
natur beherrscht statt ihr bloß zu dienen.
2. Australien, Bis auf Kolumbus gab es in Amerika, bis 1788 in Australien ans
1 ' geographischen Ursachen kein Melk- und Zugtier, folglich feilt Hirtenleben,
keinen Wagen oder Schlitten, abgesehen vom Hundeschlitten der Eskimos,
in Australien auch keinen Ackerbau; weder nach Amerika noch nach Austra-
lien hatte sich bis dahin die ostfestliche Erfindung des Eisengewinns aus
Eiseusteiueu verbreitet. Hauptsächlich die Engländer und die Deutscheu,
diese aber bis 1884 leider nur im Gefolge der Fremden, haben jene neue
und diese neueste Welt zum Segen der Menschheit umgewandelt: Amerika
nährt schon Europa mit seinem Fleisch und Getreide und hat ein weit
größeres Eisenbahnnetz als Europa; iu deu besseren Gegenden Australiens
erblüht britischer Wohlstand an der Stelle des uralten Elends wandernder
Horden. Weit und breit sucht man mit glücklichem Erfolg durch Ein-
bürgern (Akklimatisation) nützlicher Gewächse und Tiere die Erde dort
dem Menschen nutzbar zu macheu, wo sie derselben nur durch geologisches
Verhängnis entbehrte. Der Welthandel ist rüstig bestrebt, den Be-
darf der Völker auch da zu befriedigen, wo die örtlichen Naturverhältnisse
die Mittel dazu nicht gewähren; Kolonialwaren, Rohstoffe für die In-
dustrie, zumal Baumwolle, werden in die gemäßigte Zone verfahren, wo
die meisten und arbeitsamsten Menschen wohnen, dafür Fabrikate nach den
Ländern der Rohstofferzeugung zurückgegebeu.
Immer werden die Polarzonen sowie Steppen uud Wüsten die am
spärlichsten bewohnten Erdräume bleiben, Länder mit guter Benetzung bei
genügender Wärme und nicht zn magerem Boden die weit reicher bevöl-
kerten uud somit uach Altägyptens und Mesopotamiens großem Urbild die
65
Hauptstätten der Arbeitsteilung und dadurch der Arbeitsbesserung, der
Erfindungen. Steinkohlenreiche Striche werden große Städte erwachsen
lassen; denn sie sind der natürliche Boden der die Menschheit am stärksten
verdichtenden Maschinenindustrie; durch die Ausfuhr in kohlenleere Gegen-
den verteuern sich die Kohlen zu sehr, namentlich bei Landtransport. Alle
Siedlungsanlage und Stadtblüte uuterliegt geographischen Bedingungen,
größtenteils auch die menschliche Gesundheit: Krankheiten wie Gelbes Fieber
sind räumlich umgrenzt, folglich geographisch beeinflußt. Selbst der Be-
stand der Staaten ist nur dann von Dauer, wenn sich das Staatsgebiet
einem durch seine Natur einheitlichen Landraum anschmiegt; denn nur in
einem solchen hängen die Bewohner, selbst bei ungleicher Abstammung,
durch ähnliche Bedürfnisse und Bestrebungen näher zusammen und ver-
langen deshalb naturgemäß nach einheitlichem, staatlichen Schutz; darum
fallen so oft Länder, Nationen und Staatsgebiete räumlich miteinander
zusammen, und deshalb neigen Staatengebilde, die aus verschiedengearteten
Landräumen und uneinheitlichen Völkern durch geschichtliche Entwicklungen
zusammengeschweißt sind, ungleich mehr zu Zerfall als die von Natur in
sich zusammenhängenden.
Dauernd ist das Leben der Menschheit an geographische Bedin-
gungen geknüpft. Wir haben uns vor den schädlichen zu schirmen, sollen
die segensreichen durch Umsicht und Tatkraft verwerten. In der Vervoll-
kommnung dieser Doppelkunst wurzelt alle materielle Kultur, diese Er-
nährerin auch der geistigen Entwicklung.
§ 17.
Entwicklung des Welthandels.
Der wechselseitige Verkehr unter den Völkern wird hauptsächlich Vorbe-
dadurch hervorgerufen, daß ihre Länder gemäß ihrer veschiedenen Natur
und sie selbst gemäß ihrer verschiedenen Betriebsamkeit ungleichartige Handel.
Güter erzeugen, deren Austausch Sache des Handels ist. Der ruhige
Verkehr unter den Menschen wäre aber unmöglich ohne den Frieden,
der zunächst nirgends bestand, weil jeder in dem Fremden nur einen Feind
sah; folglich setzt der Verkehr gleichwie die Vervollkommnung der Ver-
kehrsmittel höhere Gesittung voraus. Deshalb ist das Bedürfnis zum
Handel zu den verschiedenen Zeiten ungleich entwickelt gewesen, hat auch
nicht die gleichen Waren betroffen. Der Wert des jährlichen Gesamt-
Umsatzes im Welthandel wird jetzt auf 125 Millionen Mark geschätzt.
Im Altertum beschränkte sich der lebhaftere Völkerverkehr wesent- Handel im
lich auf die Länder um das Mittelmeer und auf SW.-Asien. Zwei Altertum,
Lampe, Erdkunde, Heft 4, k
66 I. Abrih der Allgememen Erdkunde.
Mittelmeervölker vornehmlich vermittelten ihn durch ihre Seefahrten aus
dem Mittelmeer und im NW. des Indischen Ozeans, zuerst die Phönizier,
dann deren Schüler in der Schiffahrtskunst, die Griechen. Die Phönizier
handelten Rohstoffe ein: Purpurschnecken, Wolle, Metalle, Sklaven, die
damals die Arbeitskraft darstellten; sie führten dafür die bei ihnen her-
gestellten Kleidungsstoffe und Waffen aus. Athen bedurfte der Getreideeiu-
fuhr. Jedoch wagte sich die Schiffahrt der Alten nicht weit über die Küsten
hinaus, nicht auf „hohe See". Sie reichte kaum über Vorderindien hin-
aus, am W.-Rand des „Erdkreises" bis nach den Britischen Inseln und
einem Teil Skandinaviens, das man für eine Insel hielt, anderseits nur
einmal bis nach der Küste von Oberguinea. Mit China verknüpfte der
Seidenhandel; aber fast nur asiatische Händler brachten die kostbaren
Seidenstoffe aus dem „Land der Serer", d. h. China, durch Jnnerafien
an die östlichen Grenzen des Römerreichs.
Im Mittelalter erweiterte sich der Völkerverkehr über den
größten Teil der Ost feste. Die Ausbreitung des Islam über N.-
Afrika, die Iberische Halbinsel und SW.-Asien bahnte zum erstenmal fried-
lichem Handelsverkehr die Wege in jenem ganzen Länderraum vom Sudan
bis nach Turan. Der arabische Seeverkehr umspannte die Küsten des
Indischen Ozeans von O.-Afrika bis zum Malaien-Archipel. Die kühnen
Fahrten der Normannen zuerst wagten sich über den nordatlantischen
Ozean nach Island und Grönland. Der deutsche Kausmannsbund der
Hanse bändigte die Seeräuberei auf Nord- und Ostsee, befuhr mit seinen
Flotten, nur deutsche Waren an Bord, diese beiden Meere und errichtete
seine Handelskontore in England wie in N.-Rußland, verkehrte in Bergen
und in Wisby. Auch sie bezogen Wolle (England), Pelze (Rußland),
Fische für die Fastenzeit (Norwegen), alfo Rohstoffe, und führten Fabrikate
aus, freilich auch deutsche Weine. Marco Polo und christliche Mis-
sionare durchwanderten Jnnerasien. Im Zeitalter der Kreuzzüge er-
rangen die Italiener die Vorrangstellung im Mittel meerverkehr;
im 14. Jahrhundert führten sie den Gebrauch des Kompasses in die
europäische Seefahrerkunst ein, vermochten sich nun also auch bei Nacht und
Nebel auf hoher See zurecht zu finden, entdeckten die in Vergessenheit
geratenen Kanarien, Madeira, die Azoren und wurden die Lehrmeister
der Portugiesen. Diese befuhren unter dem Antrieb ihres großen
Prinzen Heinrich des Seefahrers im 15. Jahrhundert das Meer an den
westafrikanischen Küsten weiter und weiter nach S. und erreichten 1486
das Kap. Hauptgegenstand des Handels wurde die Einfuhr von Gewürzen
und kolonialen Nahrungsmitteln.
§ 17. Entwicklung des Welthandels.
67
Die Neuzeit verknüpfte alle Erdfesten miteinander. Sie wird Handel der
eingeleitet durch Kolumbus' Entdeckung des tropischen Amerika 1492 euä" '
und die Ansfindnng des Seewegs nach Indien um das Kap durch den
Portugiesen Vaseo da Gama 1498. Diesen beiden Großtaten schloß
sich die des Portugiesen Magellan an, der in spanischem Dienst
1520 die S.-Spitze des amerikanischen Festlandes umfuhr und 1521 die
Südsee bis nach den Philippinen durchsegelte, so daß nach seinem daselbst
erfolgten Tode sein Geschwader die erste Erdumsegelung ums Kap
herum bis 1522 vollenden konnte. Das Nuder, das noch im Mittelalter
größtenteils neben dem Segel zur Fortbewegung der Schiffe benutzt war,
ganz durch Segel kraft ersetzend, dem Kompaß und den immer mehr ver-
besserten Seekarten vertrauend, befnhren fernerhin die Europäer alle
Meere, erwarben in allen fremden Erteilen Besitzungen und gründeten
Kolonien. Die Einfuhr von Zuckerrohr, später von Tabak, Kaffee und
Kakao wird wichtig; im 17. und 18. Jahrhundert spielt eine große Rolle auch
der Sklavenversand von Asrika zu den amerikanischen Pflanzungen. So
verbreitete sich, nachdem Cook auf seinen drei großen Fahrten die Südsee
entschleiert und Australiens Kolonisierung angeregt hatte, europäische Ge-
sittung über die ganze Erde an der Hand des Weltverkehrs und Welt-
Handels. i
Anfänglich zogen nur die Spanier und Portugiesen Vorteil von Beteiligung
der Entdeckung der ozeanischen Verkehrsstraßen. Eifersüchtig schlössen ins- Öer^|.^jj^"eu
besondere die Spanier alle übrigen Nationen aus ihren amerikanischen
Besitzungen ans; sie maßten sich ein Monopol, d.h. das Alleinrecht auf
Handel, für ganz Amerika (außer Brasilien) an. Allmählich indessen
nahmen trotzdem die seefahrenden Nationen West- und Mitteleuropas teil
am überseeischen Verkehr und an überseeischer Besitzergreifung und schlössen
Amerika als Ziel des Handels und der Besiedelung keineswegs aus. Schon
im 16. Jahrhundert befuhren Franzosen und Engländer mit ihren
Flotten die Ozeane und erwarben sich nachmals sogar allein unter allen
Europäern Besitz in sämtlichen Erdteilen. Im Kampf mit Spanien^ dem
um 1600 Portugal gehörte, eroberten sich die Niederländer ihr oft-
indisches Kolonialreich. Deutschland entfaltete erst im 19.Jahrhundert
von neuem feine Seehandelsmacht, besonders von Hamburg und Bremen
aus, seitdem das bis dahin spanische Amerika frei geworden und das
spanische Monopol gefallen war. Volle Sicherheit erfuhren die allerwärts
am Welthandel sich beteiligenden deutschen Kauffahrer und die über die
ganze Erde verstreuten Ansiedler deutscher Nation nicht vor 1871. Erst
seit diesem Jahre gibt es eine deutsche Flagge, eine deutsche Kriegsflotte;
5*
68
I. Abriß der Allgemeirien «krdkunde.
NUN erst konnte deutscher Kolonialerwerb mit Aussicht ans dauernden Er-
folg geschehen, der deutsche Weltverkehr dem sranzösischen mindestens
ebenbürtig werden. Umfangreiche Übertragungen von Kulturpflanzen und
Haustieren fanden statt: Die Apfelsinen wurden im 16. Jahrhundert von
den Portugiesen aus S.-China inü Mittelmeergebiet gebracht; die Kartoffel
kam im 17. Jahrhundert nach Europa, wo die Provinz Brandenburg jetzt
den eifrigsten Anbau auf Erden treibt. Mais und Kakao wurde aus
Amerika, dafür aus Afrika Kaffee (Brasilien) und aus Europa Weizen
(Nordamerika, Argentinien) dorthin verpflanzt. Das Schaf wurde in
Australien heimisch, das Hausrind in den Steppen Südamerikas und den
Prärien Nordamerikas. Das Dromedar ist durch die Araber im 7. Jahr-
hundert nach Afrika gebracht.
§ 18.
Der Handelsverkehr der Gegenwart.
I. Die wichtigsten Verkehrsmittel.
Verkehrs- Im 19. Jahrhundert haben die Verkehrsmittel ungeahnte Ver-
mttteI' vollkommnung erfahren. Seit 18$0 breitete sich der Bau von Eisen-
bahnen über alle Erdteile aus, seit 1838 durchfährt mau die Meere mit
Dampfschiffen, seit 1840 eilen durch deu elektrischen Telegraphen
die Gedanken der Menschen mit Blitzesschnelle über Land und Meer, und
neuerdings verbindet drahtlose Funkentelegraphie Schiffe auf offenem
Meer untereinander oder mit der Küste. Die ältesten Verkehrsmittel,
menschliche Kraft (Trägerkarawanen in Afrika, chinesische Schubkarren)
oder Tiere (Elefanten in Indien, das Pferd und Kamel in Jnnerasien
und Afrika, das Rind in S.-Afrika, das Lama in S.-Amerika) sind noch
immer in weiten Gebieten der Erde die einzig anwendbaren. Wo die
Warenumsätze umfangreicher und der Wunsch nach Beschleunigung des
Verkehrs dringend ist, werden sie mehr und mehr durch maschinelle
Kräfte ersetzt, besonders durch den Dampf, zmu Teil auch durch Elektri-
zität. Kraftfahrzeuge spielen bisher im Welthandel noch eine untergeord-
nete Rolle; der Luftverkehr mittels lenkbarer Luftschiffe oder Flugmaschinen
ist bisher noch Liebhaberei, Sport oder Mittel zur Kriegführung.
Eisenbahnen. Eisenbahnen sind die schnellsten Beförderungsmittel für Personen
und Güter; in je einer Stunde legen Personenzüge durchschnittlich 35 km
zurück, Schnellzüge 45—70, Expreßzüge über 70 bis zu 100. Daher hat
man in so volkreichen Räumen wie Europa und Vorderindien, aber auch
in undicht bevölkerten, jedoch wirtschaftlich fo hoch entwickelten Ländern
wie den Vereinigten Staaten neuerdings massenhaft Eisenbahnen gebaut.
§ 18. Der Handelsverkehr der Gegenwart.
69
China allein unter allen dicht bevölkerten und arbeitsamen Gebieten blieb
bis vor kurzem ohne Eisenbahn wegen starrsinniger Abneigung der Chinesen
gegen die fremde Erfindung. Die Eisenbahnen der ganzen Erde haben
bis jetzt bereits eine Länge von rund 910 T. km erreicht, so daß man
sie etwa 2 Dutzend mal um den Äquator legen könnte.
Billiger freilich ist die Benutzung von Flüssen und Kanälen. Schiffe.
Wo bei minderzähliger Bevölkerung Ströme mit geräumigen Dampfern
befahren werden, genügen diese oft selbst für den Personen- und Post-
verkehr. So ist die Wolga abwärts von Nischni Nowgorod ohne Eisen-
bahn an ihren Ufern, streckenweise sogar der Mississippi abwärts von
Saint Louis. Reichem Verkehrsleben freilich genügt das nicht. So zeigt
der norddeutsche Rhein neben seinen zahlreichen und leistungsfähigen Per-
sonen- und Schleppdampfern Eisenbahnen auf beiden Uferseiten. Der
Handelsverkehr wird Wasserstraßen ihrer Billigkeit halber immer vor
Eisenbahnen bevorzugen, wenn die Schiffe für den bestimmten Zweck rasch
genug befördern und die Bahnen die Ware bis zur Unverkäuflichkeit ver-
teuern würden. Schwere oder umfangreiche Waren verfolgen darum vor-
zugsweise den Wasserweg. Rußland versendet sein Getreide weit mehr
auf feinen Fluß- und Kanallinien als auf der Eisenbahn; das engmaschige
Kanalnetz Englands dient vornehmlich der Steinkohlenverfrachtung; Holz
wird, wenn irgend möglich, überall verflößt. Der eilige Reisende, die
Post, leicht verderbliche Waren, überhaupt Güter von geringem Gewicht,
mäßiger Ausdehnung, aber hohem Wert bevorzugen dagegen die rasche
Eisenbahn; deshalb vermag in mancher Hinsicht die große transsibirische
Bahn mit den Dampfern um Südasien herum zu wetteifern, und deshalb
kann von vielen westdeutschen Jndustrieerzeugnissen Antwerpen, obwohl
nur durch die Eisenbahn erreichbar, gegen Rotterdam bevorzugt werden,
wohin doch der vortreffliche Rheinweg offensteht. Beim überseeischen
Verkehr strebt Post- und Personenbeförderung auf die Häfen zu, die mög-
lichst weit nach dem Meer hinaus liegen, um lange die Eisenbahn benutzen
zu können; Frachten dagegen suchen die Häfen auf, die weit landeinwärts
liegen, um die teuere Beförderung mit der Bahn abzukürzen. So werden
Brindisi und Neapel von Personen und Post, Trieft und Genua von Last-
gut bevorzugt; so kommt englische Kohle über Hamburg, aber die englische
Post über Vlissingen.
II. Binnenländischc Verkehrslinien.
1. Europa.
Die längste Schnellverkehrsader durchzieht Europa in seiner Lage der Ver-
Haupterstreckung von SW. nach NO. nahe seiner Mittellinie: Die
70
I. Abriß der Allgemeinen Erdkunde.
Eisenbahn von Lissabon über Madrid, um das W.-Ende der Pyrenäen,
weiter über Paris, Berlin, Warschau, Moskau, Samara, von wo ostwärts
der Anschluß an die transsibirische Eisenbahn erreicht wird.
An diesen Hauptstamm setzen sich viele Eisenbahnzweige, vornehmlich
die folgenden:
1. von Paris aus:
a) gegen N. über Calais, die Lücke des Kanals durch Dampserver-
bindung mit Dover schließend, nach London, von hier einerseits
nach Liverpool, anderseits durch Mittel- und Nordengland über
Sheffield, Leeds, Neweastle nach Edinburg und Glasgow,
d) gegen O. die Linie des „Orient-Expreßzugs" über Straßburg,
München, Wien, Budapest nach Konstantinopel,
e) gegen SO. nach den Mittelmeerhäsen, nämlich über Lyon nach
Marseille oder über die Westalpen durch den Mont-Cenis-Tunnel
nach Turin, auch wohl von Genf oder Basel her über die
Schweizer Alpen durch den Simplon-Tunnel im Ober-WalliS
nach dem Langensee, nach Mailand oder Turin, sei es zum
Dampferanschluß in den tyrrhenischen Häfen (Genua, Neapel),
sei es zu dem in Brindisi mittels der italienischen Rückenbahn
über Ankona;
2. von Berlin aus:
a) gegen NW. nach Hamburg,
b) gegen N. über Warnemünde mittels Dampffähre nach Kopen-
Hägen oder über Saßnitz, Trelleborg nach Stockholm,
c) gegen NO. über Königsberg nach Petersburg,
d) gegen SO. durch Schlesien Galizien nach Odefsa oder Bukarest,
e) gegen SSO. über Dresden, Prag, Wien nach Trieft,
f) gegen S. über München und den Brenner nach Bologna und
entweder über Florenz nach Rom oder über Ankona wie 1 o,
j?) gegen SW. über Halle, Eisenach oder Nordhausen, Kassel nach
Frankfurt a. M. und Basel, dnrch den St. Gotthard nach Mai'
land;
3. von M o s k a u aus steruförnüg nach Petersburg, Kiew, der S.-
Spitze der Krim, Wladikawkas, Samara (dahinter die Gabelung
gegen SO. nach Orenbnrg am Nralfluß, gegen NO. über das
Uralgebirge, jenfeit dessen sich beim 55. Parallelkreis die süd-
sibirische Bahn anschließt).
Länge der I" Ausdehnung des Eisenbahnnetzes stehen den übrigen Staaten
Eisenbahnen, voran: 1. Deutschland, 2. Rußland, 3. Frankreich, 4. Österreich-Ungarn,
71
5. Großbritannien und Irland. Fast jeder dieser Staaten besitzt eine
Eisenbahn-Gesamtlänge von mehr als dem halben Äquatorumsang; nur
die Britischen Inseln füllen diese Halblänge nicht voll aus, Deutschland
dagegen und nahezu auch Rußland (seinen asiatischen Anteil ausgeschlossen)
nähern sich bereits sogar mit ihrer Eisenbahnlänge der anderthalbfachen
Länge des Gleichers. Anders freilich ist die Gruppierung der Staaten,
wenn man nicht an die absolute Schienenlänge, sondern an die rela-
tive denkt, d.h. die Größe des Staatsgebiets in Rechnung zieht. An Dich- bahnen.
tigkeit des Eisenbahnnetzes würde dann Belgien allen Ländern weit voran-
stehen, an zweiter Stelle Großbritannien, an dritter Deutschland folgen,
die Vereinigten Staaten Amerikas (S. 75) erst an neunter, und das euro-
päische Rußland unter den europäischen Ländern erst an sechzehnter Stelle.
Innerhalb Deutschlands hat natürlich Preußen die längsten Eisenbahnen, Bahnanschluß
aber das Königreich Sachsen das dichteste Eisenbahnnetz. Es gibt inner- 3Ummjferttel'
halb des Deutschen Reichs kaum einen Punkt, den man von Berlin aus
nicht binnen 24 Stunden erreichen könnte. Selbst die gewaltige Verkehrs-
erschwerung im S., bewirkt durch die Alpen, ist für Deutschland durch
den Eisenbahnbau überwunden' Es hat nicht nur in seinem O. durch den
Tauern- oder Semmering-Tunnel leichten Anschluß an den ihm nächsten
Mittelmeerhafen Trieft (auch durch die offene Mährische Pforte zwischen
Sudeten und Karpaten), sondern es erreicht von der Rheingegend her durch
den Gotthardtunncl über Mailand auch ebenso schnell Genua und von
München her über den Brenner die italienischen Bahnen, die nach Brindisi
oder Neapel führen.
Die im W. durch Lostrennung Belgiens und der Niederlande Bahnanschluß
Deutschland verloren gegangene Seeküste hat es gewissermaßen durch die 3UC Norb|ic.
Schienenwege dieser beiden Nachbarreiche für seine Verkehrsbewegung
wiedergewonnen. Belgien, durch keine Flußader mit Deutschland ver-
bunden, steht nunmehr mittels seines äußerst dicht gefügten Bahnnetzes in
so enger Fühlung mit Norddeutschland, daß Antwerpen die Dienste eines
deutschen Ausfuhr- und Auswanderungshafens im fernen W. versieht. Vlis-
fingen, der äußerste Wefthafen der Niederlande, wurde ein gesuchter deutscher
Uberfahrtsort nach London; denn zur möglichst raschen Beförderung von Per-
sonen wie Postsendungen muß man streben, sein Ziel möglichst geradlinig
und dabei doch mit möglichst langer Benutzung der schnellen Eisenbahn
zu erreichen.
Eine große Erleichterung sür den wechselseitigen Verkehr zwischen Nordostsee-
unserer Nordsee- und unserer Ostseeküste ist durch den 1895 eröffneten InnaL
Nordosts eck anal geschaffen. Er erspart die Umfahrung der Jütischen
72
I Zibritz der Allgemeinen Erdkunde.
Halbinsel, wenn man von einer zur anderen unserer beiden Meeresküsten
gelangen will, läßt die deutschen Ostseehäfen somit weit schneller als bisher
vom Kanal und der Nordsee aus anfahren und gestattet in Kriegszeiten
unserer Kriegsflotte freie Bewegung längs unserer ganzen Doppelküste,
ohne daß dänische Sunde durchfahren werden müssen.
2. Asien.
Vorderindien. Vorderindien allein hat durch die englische Regierung ein großes
Eisenbahnsystem empfangen. Bombay als Hauptausfuhrhafen steht mit
den beiden anderen wichtigsten Handelsplätzen Kalkutta und Madras in
Schienenverbindung. Netzartig ziehen sich bereits gewaltig lange Schienen-
wege über Dekan und Ceylon, dichter noch über das flache Hindostan,
das nicht nur hierin der Po-Ebene Italiens ähnelt. Auch für die Heeres-
bewegungen im Kriegsfall ist es wichtig, daß das ganze Indus- und
Gangesgebiet von Eisenbahnen durchzogen wird bis zur Festung Peschawar
am Fuß der Randgebirge von Afghanistan.
^Asien^ Außerdem hat nur noch das russische Asien mehrere wichtige
Eisenbahnlinien aufzuweisen. Die Jsthmusbahn durch Trauskau-
kasien über Tiflis nach Baku verknüpft die pontischen mit den kaspischen
Schiffahrtslinien nnd findet ihre wichtige Fortsetzung in der trans-
kaspischen Eisenbahn. Diese geht aus vom kaspischen Gestade schräg
gegenüber von Baku, zieht genau in der Richtung des Kaukasuskammes am
Fuß des nordpersischen Randgebirges nach SO., biegt dann nach NO. um,
durchzieht die Merw-Oase, überschreitet den Amu, wendet sich von Buchara
im Bogen ostwärts nach Samarkand und von dort mit einem NO.-Zweig
nach Taschkent, mit einem längeren O.-Zweig zwischen den Tienschan-
ketten gegen den Nordfuß der Pamirplatte hin bis zum kleinen Orte
Andidschan. Sie erschließt also Turan von der kaspischen Westseite her,
wohin kein Flußtal leitet. Ein zweites Mal wird Turan noch unmittelbarer
an das russische Eisenbahnnetz angeschlossen, indem von Taschkent eine
vornehmlich militärischen Zwecken dienende Strecke, dem Sir folgend, um
das N.-Ufer des Aralsees herum nach Orenburg geleitet ist. Bedeu-
tungsvoller noch ist die transsibirische Eisenbahn, die das Eisenbahn-
netz des europäischen Rußland durch Südsibirien an das ostasiatische an-
schließt. Sie führt über Omsk und Jrkutsk nach der Mandschurei, durch-
mißt sie gegen SO. bis nach Wladiwostok und entsendet innerhalb der
Mandschurei einen s. Zweig nach Port Arthur am Gelben Meer. Das
ist die längste aller Eisenbahnen der Erde, eine ostfestliche Pazifiebahn, an
die das nun endlich gleichfalls im Ausbau begriffene chinesische Eisenbahn-
system anwächst. Die Fahrt von Petersburg nach Wladiwostok (10 200 km)
§ 18. Der Kandelsverkehr der Gegenwart.
73
wird in 15 Tagen zurückgelegt. Von Wladiwostok geht eine andere Bahn
nordwärts an den unteren Amur, auf dem im Sommer Dampfer-, im
Winter Schlittenverkehr die Ortschaften verbindet; doch ist auch eine Eisen-
bahn längs des Flusses im Bau.
In ganz Jnnerasien ziehen noch wie vor alters bloße Karawanen Juuerasien.
ihre Wege. Das zweihöckrige Kamel ist Beförderer der Lasten; Per-
sonen benutzen die zähen mongolischen Ponys. In Tibet sind Daks und
Schafe, auch Hunde Lastträger. Die Städte am Süd- wie Nordrande
des Tarimbeckens, die spärlichen Siedelungen Tibets und der Dsungarei
sind unter sich und mit der Mongolei und Westchina durch Karawanen-
wege verbunden.
Von Asiaten selbst hatten bis vor kurzem nur die Japaner ihrem Ostasien.
Lande die Wohltat der Eisenbahnen angedeihen lassen, wie sie sogar Korea
schon mit Eisenbahnlinien zu durchziehen begannen, als sie vor dem letzten
großen ostasiatischen Krieg den Angriff der Russen erwarteten. In China
sind durch Europäer und Nordamerikaner eine Reihe von Bahnbauten in
Angriff genommen und zum Teil durchgeführt, die sowohl den N. des
Landes mit dem S. wie das Innere mit der Küste in Verbindung bringen
sollen. Auf Java haben die Niederlande einige Bahnstrecken angelegt. Im
mohammedanischen SW.-Asien fährt die Lokomotive erst an recht wenigen Westasien.
Stellen. Gelder der Muselmänner erbauen lediglich die Pilgereisenbahn
nach Medina und Mekka; ihr einer Zweig beginnt bei Damaskus, der
andere bei Haifa; sie zieht durch das Ostjordanland. Sonst haben euro-
päische Gesellschaften den Bahnbau ausgeführt, so die von Jafa nach
Jerusalem, von Beirut nach Damaskus und in Kleinasien zwei Strecken
von Smyrna aus, besonders aber eine vornehmlich mit deutschem Kapital
angelegte Diagonalbahn von Skutari gegen SO. bis zum Taurus, die
später einmal durch Mesopotamien an den Persischen Meerbusen führen
soll, so daß dann der „Orient-Expreßzng" von Paris fast bis an die
Schwelle von Indien fährt. Eine Abzweigung von ihr aus führt nach
Angora im Herzeu Kleinasiens.
3. Afrika.
Afrika ist unter allen Erdteilen in seiner Verkehrsentwicklung am Schiffahrt,
weitesten zurückgeblieben. Seine großen Binnenseen im tropischen O. hat
man eben jetzt erst mit Dampfern zu befahren begonnen; seine Ströme
sind noch unreguliert; keine Kanäle verbinden die Seespiegel und Fluß-
systeme oder umgehen die zahlreichen, die Flußschiffahrt hemmenden Strom-
schnellen; nur die an Stromschnellen reiche Strecke des unteren Kongo
wird seit kurzein durch die Kongobahn aus der linken Stromseite um-
74
I. Abriß der Allgemeinen Erdkunde.
Ägyptische gangen. Größere Eisenbahnlinien besitzt nur Ägypten, Algerien und
Eisenbahnen. das Britische S.-Afrika. Das Nildelta war durch seine
tafelglatte Schwemmlandflnr dem Bahnbau sehr förderlich, und er lohnte
sich besonders auf der Linie Alexandrien-Suez, weil sich der Durchgangs-
verkehr zwischen Europa und S.- wie SO.-Asien auf die schmälste Stelle
der Ostsee zusammendrängte und vor Eröffnung des Suezkanals (1869)
der Schnellverkehr über das Mittelmeer und der über den Indischen Ozean
sogar allein durch jene Eisenbahnlinie zusammenschlössen. Jetzt reicht
Süd- die Eisenbahn gegen S. bis Chartum. Die längste afrikanische Eisenbahn
" Bahnen^ über 3500 km weit von der Kapstadt nach NO. bis über die S.-
Grenze des Kongostaates. Sie berührt die Diamantenfelder am unteren
Vaalfluß und läuft von da weiter nordwärts längs der Grenze von
Transvaal durch Britisch - Betschuanaland über Bulawayo (bulowäjo),
die Hauptstadt des auf goldreichem Boden neu begründeten englischen
Kolonialbesitzes Rhodesia zwischen Limpopo und Sambesi und weiter
entweder nach NO. über den Sambesi oder in einem nach SO. offenen
Bogen bis nach Beira, einem Hafen in der portugiesischen Mozambique-
Kolonie am Indischen Ozean. Der großartige Betrieb der Goldbergwerke
in Transvaal hat erwirkt, daß die goldreichste Gegend des s. Transvaal
bei Johannesburg mehrfach mit der Küste des Indischen Ozeans durch
Eisenbahnen verbunden wurde, nach O. mit der portugiesischen Delagoa-
Bai, nach SO. mit Natal und nach SW. durch die Oranje-Kolonie hin-
Kolonial- durch mit dem Kapland. Im Britischen Ostafrika ist eine Eisenbahn von
de^^ropen Mombas bis zum Viktoria-See in Betrieb, schmalspurig wie die meisten
tropischen Kolonialbahnen, die den Verkehr erst entwickeln sollen. Was
sonst in den deutschen Schutzgebieten, im portugiesischen, englischen und
französischen Kolonialbesitz (hier abgesehen von Algerien mit seinem
entwickelten, bis an die Sahara vorstoßenden Bahnnetz) und in: Kongo-
staat an Bahnen bisher gebaut ist, beschränkt sich auf Stichbahnen
zur Erschließung des Hinterlandes der Küste oder ans Bahnen zur Strom-
schnellenumgehung.
4. Australien.
Die Austral-Engländer haben sich trotz ihrer geringen Zahl des
Eisenbahnbaues äußerst rüstig angenommen und dadurch erst die Mög-
lichkeit geschaffen, die Erzeugnisse des Binnenlandes, dem schiffbare Flüsse
fast durchweg fehlen, rasch und billig zur Küste und somit in den Welt-
Festland. Handel zu bringen. Auf dem australischen Festland reichen die Eisen-
bahnen der drei Oststaaten und Südaustraliens schon tief ins Innere:
Von Adelaide in die Seenniederung, von Sydney und besonders zahlreich
§ 18. Der Handelsverkehr der Gegenwart.
75
von Melbourne aus über das küstennahe Hochgebirge bis zu den schiff-
baren Flußlinien des Murray-Systems. Auch Westaustralien hat Eisen-
bahnen, von Albany und Perth in das Goldgebiet von Coolgardie. Die
dichter besiedelte S.-Insel Neuseeland besitzt sogar schon ein ziemlich Neuseeland.
engmaschiges Schienennetz, das selbst über die Neuseeländischen Alpen an
die NW.-Küste hinüberreicht.
5. Amerika.
Nordamerika hat neuerdings in Ausbildung seiner Verkehrswege Nord-
Europa überholt, die Eisenbahnlänge in den Vereinigten Staaten über-
trifft die von Deutschland um das Sechsfache. Das große Hemmnis '
der von keinem Flußtal gegen O. erschlossenen pazifischen Bodenschwelle mit
ihren alpenhohen Gebirgen wurde durch kühne Eisenbahnbauten bewältigt.
Die wichtigsten unter ihnen durchmessen das Festland als wö. Trans-
kontinentalbahnen vom atlantischen bis zum pazifischen Gestade. Die
älteste (seit 1869 bestehende) von New Jork über Chicago nach San Francisco
ist die meistbesahrene. Sie wird gewöhnlich Pazisicbahn genannt, ob-
wohl so eigentlich nur ihr zur Südsee führendes Weststück vom Missouri
ab heißt. In gleichem Sinne kann man auch die übrigen nordameri-
kanischen Transkontinentalbahnen Pazisicbahnen nennen. Sie führt in
6 Tagen vom verkehrsreichsten Hafen der O.-Küste zum verkehrsreichsten
Hafen der W.-Küste. Ebenso schnell gelangt man aus dem Gebiet des
Britischen Nordamerika durch die kanadische Pazisicbahn von Quebek
zur Stadt Vancouver gegenüber dem SO.-Ende der Insel Vancouver.
Diese einzige in britischer Breite verlausende Pazisicbahn schafft die
rascheste Verbindung zwischen England einerseits, Ostasien und Ost-
australien anderseits. Neben diesen 2 gibt es noch 6 Pazisicbahnen:
1. vom W.-Ende des Oberen Sees zur Columbia-Mündung, 2. von Phila-
delphia und 3. von New Orleans in den äußersten SW. der Union,
4. von Vera Cruz über Mejico nach der mejicanischen SW.-Küste, 5. die
über die Landenge von Tehuantepek, 6. die Panamabahn durch die
Landenge von Panama. Diese Bahn ist schon seit 1855 vorhanden und
verknüpft an der schmälsten Stelle ganz Amerikas die darum hierhin
strebenden Schiffahrtslinien von der atlantischen und pazifischen Seite,
solange der im Bau begriffene, für den Weltverkehr dereinst bedeutsame
Kanaldurchstich von Panama noch nicht fertig ist. — In der wasser- Wasser-
reichen Osthälfte der Vereinigten Staaten dient außerdem ein ganzes Netz ftra^eri'
natürlicher und künstlicher Wasserstraßen insbesondere dem Güterverkehr.
Durch einen Umgehuugskanal des Niagarasalls auf der britischen W.-
'^eite gelangen Seeschiffe mäßigen Tiefgangs bis nach Chicago. Von
76
I. Abriß der Allgemeinen Erdkunde.
Chicago führt der Jllinoiskanal zum Illinois, verbindet also die Kanadi-
sehen Seen mit dem Mississippisystem. Andere Kanäle verknüpfen jene
Seen sowie den Mississippi ostwärts mit den Flüssen der atlantischen Küste,
die das Alleghaniegebirge günstig durchbrechen. Von ihnen ist der wichtigste
der Erie-Kanal, weil er von Busfalo an der O.-Spitze des Eriesees ö.
zum Hudson führt, mithin den Warenverkehr des Binnenlandes mit New
Aork vermittelt.
Süd- Südamerika hingegen ist mit seinen Verkehrswegen noch fast so
a,ncri£a. Afrika. Nur die beiden Südrepubliken Chile und
Argentinien besitzen nebst dem südlichsten Brasilien ausgedehntere Eisen-
bahnen; man fährt von Valparaiso oder Santiago über die Kordilleren
(Cumbre-Paß) nach Buenos Aires. Das ganze Innere des tropischen Süd-
nmerika kennt noch keine einzige Bahn; das riesengroße Amazonenstromsystem
liegt noch völlig unbenutzt da. Peru und Ecuador haben zwar den Ruhm der
drei höchsten Volleisenbahnen der Erde; aber die Strecken enden auf der Hoch-
fläche als Sackgassen, ohne die O.-Kordillere zu überschreiten, dienen folg-
lich nur örtlichen Bedürfnissen, nicht dem Weltverkehr.
III. Seedampferlinien.
i. All- Der die ganze Erde umspannende Weltverkehr und Welthandel
gemeine*. nur h^rch Benutzung des Weltmeers. Wegen der Schnellig-
keit und Sicherheit wird auch für den Gütertransport das Dampfschiff
1. Dampfer vor dem Segelschiff bevorzugt. Dampfer sind ungleich unabhängiger
und Segler. ü0m Wind als Segler und fahren drei- bis fünfmal rascher als diese.
Weil ein Dampfer also in derselben Zeit 3 bis 5 Hin- und Rückfahrten
ausführt, in der ein Segler nur eine bewältigt, bringt jener drei- bis
fünfmal so viel ein, kostet freilich an Betrieb auch mehr, weil er außer
der Kohle auch größerer Bemannung bedarf. Die rund 2000 Dampfer
der deutschen Handelsflotte, die mehr als 4600 Schiffe zählt, bedeuten
an Leistungsfähigkeit so viel wie mindestens 6000 Segler von gleicher
Tragkraft. Man rechnet deshalb bei Vergleichungen des Tonnengehalts
der Flotten die „registrierte", d. h. wirkliche Tragfähigkeit des Dampfers
stets mindestens dreifach gegenüber der des Seglers, weil sie für die Lasten-
bewältigung so viel mehr bedeuten. Trotzdem sährt noch beinahe die Hälfte
aller Seefrachten der Billigkeit halber unter Segel. Im allgemeinen
läuft ein Schiff die Wege und zu den Zeiten, wie die vorhandenen Lasten
es vorschreiben. Dampferlinien mit regelmäßiger Ab- und Rückfahrtszeit
2. Subven- Postdampferlinien ") und festbestimmten Anlegeplätzen konnten sich
Strecken, zuiual auf Strecken mit noch nicht andauernd starkem Verkehr erst kräftig
77
entfalten, seitdem die die Kosten tragenden Privatunternehmer oder Gesell-
schaften vom Staat festbestimmte Jahresunterstützung („Subvention")
erhielten. Das aber förderte dann stets den Handel auf diesen Linien
außerordentlich, weil der Handel auf festgesetzte Termine für Ausfahrt und
Rückfahrt großes Gewicht legen muß. Neuerdings besitzt auch Deutschland
solche vom Reich subventionierte Postdampferlinien nach Afrika, SO.- wie
O.-Asien und Australien; der Norddeutsche Lloyd in Bremen stellt die
auf diesen Linien fahrenden „Reichspostdampfer" und verwaltet ihre
Fahrten. Den Verkehr zwischen Deutschland und Amerika versieht außer
ihm vornehmlich eine nicht minder bedeutende, in Hamburg ansässige
Schisfahrtsgesellschast, die Hamburg-Amerika-Linie, die auch nach
Afrika und Asien Schiffe sendet. Diese Gesellschaften sind die größten
Reedereien auf -Erden und besitzen die vornehmsten, pünktlichsten Schnell-
und Postdampfer.
Weil der Verkehr zur See viel wohlfeiler ist als der zu Lande, I. Häfen,
suchen die Warenfrachten im Welthandel aus dem Landesinnern so bald
wie möglich die Seeküste zu erreichen und dann wieder so weit wie möglich
den Seeweg einzuhalten; daher liegen so viele bedeutende Handelsstädte
in der innersten Nische von Meerbusen, z. B. London und Hamburg, Genua
und Trieft, Odessa und Petersburg. Die von England oder Deutschland
nach Indien, Ostasien, Australien und Ostafrika bestimmte Post (Briefe wie
Pakete) geht auf der Eisenbahn quer durch das europäische Festland nach
Marseille, Neapel und Brindisi und wird dort an Bord der nach Indien
fahrenden Postdampfer übernommen, während die Frachtstücke auf ihnen
um W.-Europa herumgehen.
Da die handelsmächtigsten Nationen hauptsächlich die W.-Hälste 4. Dichtig-
Europas und die O.-Hälfte Nordamerikas bewohnen, so ist das nord-
atlantische Meer der verkehrsreichste aller Meeresräume. Um
aber auch die O.-Seite der Ostfeste und die W.-Seite der Westfeste rasch
und billig zu erreichen, richtet man die Seefahrten auf die mittlere
Landverengung beider Erdfesten zur Vermeidung des Umwegs um
Afrika und Südamerika. Eine Zone von eingebrochenen Landschollen führt
wö. um die Erde; zu ihr gehört das europäische Mittelmeer, die Meeres-
Straßen und Becken in der südostasiatischen und in der westindischen Insel-
weit. Diese „Bruchzone" trennt die drei Erdteile der Südhalbkugel, Afrika,
Australien und Südamerika, von den drei nordhemisphärischen, Europa,
Asien und Nordamerika. Deshalb drängt sich der Seeverkehr besonders
eng in dieser Bruchzone zusammen und am dichtesten an ihren drei
schmälsten Stellen, der offenen Straße von Singapore, der künstlich ge-
78
I. Abriß der Allgemeinen Erdkunde
schasfenen von Suez und der erst im Bau begriffenen von Panama.
Solange der mittelamerikanische Kanal noch fehlt, benutzt Post- und Per-
sonenverkehr den Seeweg zur Panama-Enge uud dann die Panama-Eisen-
bahn; der Güterverkehr zieht hingegen größtenteils die nordamerikanischen
Überlandbahnen vor, unter Umständen sogar die Fahrt dnrch die Magellans-
straße, weil der Weg über Panama die zwar knrze, aber sehr tenre Eisen-
bahnverfrachtung daselbst nebst doppelter Umladung erfordert.
1. Von Europa nach Südost-Asien und Australien.
tl. Einzelne Die beiden stärksten Menschenansammlungen befinden sich in Europa
^gebiete*' und Ul den Monsunländern Asiens von Vorderindien bis Japan.
1. Ostfahrt. Jenes ist der Raum der großartigsten Fabrikation, diese sind ein Raum
a) Handels- umfassender Rohstosserzengung (Weizen, Baumwolle, Kaffee, Tee, Seide);
gegenstände. tiefer Rohstoffe, diese sind ein Gebiet ansehnlichen Absatzes
europäischer Fabrikate, dem sich im SO. noch Australien anschließt, das
zwar viel weniger bevölkert ist, aber auch Rohstoffe (Wolle) gibt und
Fabrikate empfängt. Daher durchziehen die Handels- und Verkehrsstraßen
das Mittelmeer uud deu Indischen Ozean vornehmlich in der Richtung
von NW. nach SO. und umgekehrt.
i>) Handels- Gamas Seeweg ums Kap war viel zu weit. Zumal der ge-
luefle' waltige Aufschwung des Handels zwischen England und Indien drängte
auf die Wegverkürzung über das Mittelmeer. Nur 100 km Landunter-
brechung, die Suez-Enge, sperrte diesen Weg sür alle Schiffe. Man be-
förderte die Postsendungen aus deu Dampfern der Peninsular Steani
Navigation Compam1 bis uach Alexandrien, auf anderen Dampfern
von Suez nach Indien; nachmals übernahm jene Gesellschaft die Fahrten
durch das Rote Meer nach Indien mit und heißt seitdem Peninsular an<l
Oriental Steani Navigation Companj'.2 Sie wurde seit 1869 die
wichtigste Schiffahrtsgesellschaft für Europas Verkehr gegeu SO. auch
hinsichtlich der Warenbeförderung: Die Eröffnung des Snez-Kanals
zwischen Port Said im N., Suez im S. erhob plötzlich das seit Kolumbus
etwas verödete Mittelmeer zu dem befahrensten aller Meere nächst
dem nordatlantischen; über seine Fläche kann man nuu von England bis
1 Tie Peninsular Steani Navigation Company, d. h. Halbinsel - Dampffchisf-
fahrts-Gesellschaft, führte ihren Namen danach, daß sie ursprünglich nur die
Sendungen nach der Pyrenäischen Halbinsel, nämlich nach Gibraltar besorgte. —
2 Meist abgekürzt als 1' and 0 [pi änd o], wie die Hamburg-Amerika-Linie ans
den Anfangsbuchstaben ihres vollständigen Namens Hamburg-Amerikanische-Paket-
fahrt-Aktien-Gesellschaft das Wort HAPAG gebildet hat.
79
c) Verkehrs
gesell-
schaften.
(Englische)
nach Odessa ohne Nniladung alle Waren verschiffen, die nach Vorder-
oder Hinterin dien, nach dem Malaien-Archipel oder Australien,
nach China oder nach Japan bestimmt sind. Segler vermeiden aller-
dings den Suezkanal wegen der im Roten Meer herrschenden höchst un-
günstigen Windverhältnisse. Deshalb gehen die Massenfrachten, die billiger,
aber nicht rascher Beförderung bedürfen (z.B. Reis), auf Segelschiffen
noch immer um Südafrika herum. Aus Postdampfern wird überhaupt nur
Eilgut befördert; doch gibt es auch zahlreiche Kauffahrtei-Dampfer für
Frachtbesörderung.
Die Postdampser der und O" fahren von London über
Gibraltar und Malta in 10 Tagen bis Brindisi, wo sie die an jedem
Freitag aus London über Paris dorthin gesandte „Indische Überland-
post" empfangen, dann über Suez und Aden iu 15 Tagen bis Bombay.
Von hier gehen andere P and 0-Dampfer in 4 Tagen bis Colo m b o,
in. weiteren 14 Tagen über Singapore bis Hongkong, in weiteren
8 Tagen bis Yokohama. Summiert man die Fahrtdauer aus diesen
Linien bei unmittelbarer Reise von Aden nach Colombo (ohne den Ab-
stecher nach Bombay), so erhält man für die Fahrt von London nach
Yokohama nur 46 Tage, wenn man den Aufenthalt in den Hafenplätzen
nicht einrechnet. Wieder andere Dampfer derselben Gesellschaft fahren
von London nach Kalkutta in 33 Tagen, eingerechnet einen je 1 tägigen
Aufenthalt in Neapel und Colombo.
Ähnlich verlaufen die Fahrten der deutschen Postdampser (Deutsche!
aus den ostasiatischen und australischen Linien, sowohl die von Hamburg
aus als die des Norddeutschen Lloyd von Bremerhaven aus. Von
Schanghai aus besuchen Schisse der Hamburg-Amerika-Linie Tsingtau.
In Singapore schließt an die ostasiatische Strecke eine Verbindungslinie
nach Kaiser Wilhelm-Land an (s. von Borneo und Celebes, dann
durch die Molukkeusee in 16 Tagen bis Friedrich Wilhelmshasen) und
uach dem Bismarck-Archipel (in weiteren 7 Tagen bis Simpsonhasen).
Hier sührt auch die deutsche Strecke vou Australien nach Japan vorüber.
Die Hamburg-Amerika-Liuie läßt Schisse durchs Rote Meer auch in den
Persischen Gols gehen. Dagegen ist die Schiffahrt nach den südostasiati-
schen Inseln und nach Australien ganz in der Hand des Norddeutscheu
Lloyds.
Die schisse der großen Marseiller Gesellschaft der Messageries
maritimes1 befahren gleichfalls die südostasiatische sowie die südaustralische
(Französ.)
1 Messageries maritimes — Tee-Postschiffe.
80
Linie und setzen diese bis Neukaledonien fort. Sic fahren naturgemäß
auch Saigon nebst der Küste von Tongking an. Die übrigen Nationen
Europas befahren höchstens asiatische Linien. Die Schiffe des Oster-
reichischen Lloyds versehen von Trieft aus außerdem den Poststdienst
im ö. Mittelmeer neben französischen, italienischen und russischen. Die
politische Schiffahrt ist fast ausschließlich russisch.
Das südlichste bewohnte Land der östlichen Erdhalbkugel, Ren-
seeland, steht durch die allerlängste Postdampferlinie mit Europa iu
Verbindung: Von Plymouth an der S.-Küste von Cornwall fährt ein
Dampfer über Tenerife und Kapstadt, bloß noch einmal an Tasmaniens
Küste anlegend, in 44 Tagen bis Wellington uud von da auf nur wenig
kürzerer Strecke über Rio de Janeiro und Tenerife in 40 Tagen zurück.
2. Von Europa nach Afrika.
2. Afrika- Am regelmäßigen Schiffsverkehr mit Afrika sind alle europäischen
Verkehr. Nationen beteiligt, die daselbst Kolonialbesitz erworben haben, mit Aus-
nähme Belgiens. Allen steht wieder voran England, das hauptsächlich
die Schiffahrt längs der W.- und O.-Küste Afrikas versieht. Seine
rascheste Postdampferfahrt nach der Kapstadt von Southampton über
Madeira dauert nur 18 Tage.
Mit Ägypten verknüpfen sämtliche europäische Linien, die nach
dem Suez-Kanal führten. In 3 Tagen bringen die englischen Dampfer
IJ and O von Brindisi sowie die des Norddeutschen Lloyd von Neapel
nach Port Said. Im übrigen aber ist die Verknüpfung der N.-Küste
Afrikas vornehmlich in den Händen der Italiener (w. bis nach Tunis)
und der Franzosen (von Tuuis bis Orau). Von Marseille aus kann
man in ly2 Tagen nach Tunis, iu 1 Tag nach Alger gelangen.
Die „Deutsche Ostafrika-Linie" verbindet Deutschland mit den
Häfen von Deutsch-Ostafrika von Hamburg aus über Neapel, Suez
und Aden in 31 Tagen (Tanga), wenn man den je IV^ägigen Aufenthalt
in Rotterdam und Lissabon abrechnet; sie befördert die in Neapel auf-
genommene Post in 19 Tagen. Einige Schiffe laufen auch Alger an.
Die Dampfer der Westafrikanifchen „Woermann-Linie" fahren
von Hamburg bis Togo (Lome) 17, bis Kamerun 19, bis ^ wakop -
mitnb 23 Tage.
3. Von Europa nach Amerika.
3. Ameri- Von Europa ziehen die weitaus meisten Schiffahrtslinien gegen L-W.,
Verkeh? nac^ den volk- und erzeugnisreichen Gebieten Nordamerikas, vor allem
nach den Vereinigten Staaten, demnächst nach den an Kolonialwaren i
"!
§ IS. Det Handelsverkehr der Gegenwart.
81
reichen Landen Westindiens und Südamerikas. An dieser Schiff-
fahrtsbewegung nehmen alle Nationen der W.-Hälfte Europas teil, Haupt-
sächlich die Engländer und die Deutschen.
Viele und wichtige Dampferlinien nach Amerika gehen von Liverpool
aus. Von hier erreicht man Kanada in gut 7 Tagen; im Sommer ist
Quebek Zielpunkt, im Winter wegen Gefrierens des Lorenzstroms
Halifax. Nicht ganz so lange dauert die Fahrt von Liverpool, Cux-
Häven oder Bremerhaven nach New Jork (6—8 Tage). Deutsche Schnell-
und Frachtdampfer verbinden Hamburg und Bremen in regelmäßigem
Verkehr mit den meisten atlantischen Häfen der Union von Boston bis
nach New Orleans. Postdampfer des Norddeutschen Lloyds legen die von
der Gibraltarstraße aus rein ostwestliche Fahrt von Genua nach New f)ork
in 11 Tagen zurück.
Die rascheste Überfahrt nach der Panama-Enge ist die von
Southampton nach Colon (in 19 Tagen). Auch Hamburger Schiffe
verkehren regelmäßig nach Westindien und Mittelamerika. Von Liverpool
nach Rio de Janeiro fährt man 3 Wochen, ebenso lange von Hamburg
nach Bahia (eingerechnet einen 1 tägigen Aufenthalt in Lissabon); 2 Tage
später trifft man in Rio ein. Nach Buenos Aires dauert die Fahrt
von Hamburg (über Madeira) gegen 4 Wochen. Die weiteste Ausfahrt
eines Postdampfers nach Amerika ist die von Hamburg durch die Magel-
lansstraße bis zur peruanischen Hafenstadt Callao (in 72 Tagen); sie
wird überhaupt an Länge nur übertroffen von einigen Linien, die Eng-
land mit Australien und Neuseeland verknüpfen.
4. Über die Südsee.
Amerikanische Postdampfer fahren wie im Atlantischen Ozean so 4. Verkehr
auch in der Südsee fast nur längs den eigenen Küsten, z.B. zwischen
Panama und San Francisco in 16 Tagen; die Fahrt von Colon Ozean,
nach New Jork dauert nur eine Woche. Die ganze Südsee wird jedoch
im N. auch von einer amerikanischen Linie, San Francisco-
Yokohama, in 16 Tagen durchmessen, außerdem von der etwas kürzeren
englischen, Vancouver-Yokohama, in 12 Tagen. Die umfang-
reichste Postlinie durch die Südsee ist abermals eine englische; sie führt
von San Francisco über Honolulu, Pago-Pago auf den Samoa-
Inseln und Auckland in 26 Tagen nach Sydney.
Eine Schnellreise um die Erde wäre bei genauen Anschlüssen der
Dampfer an die Eisenbahnen ohne Aufenthalt jetzt in 42 Tagen aus-
führbar: Von Berlin mit der Eisenbahn nach Wladiwostok lh1/2 Tage,
Lampe, Erdkunde. Heft 4. (j
82
I. Abriß der Allgemeinen Erdkunde.
mit dem Dampfer nach Tsuruga an der W.-Küste von Hondo und mit
der Eisenbahn nach Jokohama 23/4 Tage, dann weiter mit Dampfer nach
Vancouver 12 Tage, mit der Bahn durch Kanada 31/i Tage und nach
Europa mit dem Dampfer sowie mit der Bahn nach Berlin 8y2 Tage.
IV. Telegraphen.
Die Stangenreihen der elektrischen Telegraphenleitungen ziehen sich
durch alle Erdteile, die unterseeischen Kabel durch alle Meere, abgesehen
von den beiden Polarmeeren. Seit 1876 besitzt Deutschland und nach
seinem Vorbild Frankreich auch im Binnenland ein Netz unterirdischer
Kabel, die vom Wetter keinen Schaden erleiden und im Kriegsfall nicht
so leicht wie oberirdische Leitungen zu zerreißen sind.
Der Telegraph dient ohne Unterlaß in Friedenszeiten dem Handel,
um Preishöhe und Nachfrage nach Waren augenblicklich in weiteste Ferne
mitzuteilen, Neuigkeiten aller Art den Zeitungen der ganzen Erde srisch
zu übermitteln, amtliche Anordnungen rasch auszubreiten, diplomatische
Verhandlungen zwischen entfernten Staaten zu beschleunigen. Unersetzliche
Dienste leistet er natürlich auch im Krieg. Die Länge der deutschen Tele-
graphenlinien, einschließlich der bayrischen und württembergischen, beträgt
210 T. km, zu denen noch 107 T. km Fernsprecherlinien kommen. Die
Leistungsfähigkeit der in Nauen bei Berlin eingerichteten Station für
Funkentelegraphie ist so gesteigert, daß gelegentlich Verständigungen bis
Kamerun (Luftlinie etwa 5400 km) ohne Zwischenstation gelungen sind.
Wichtig sind die drahtlosen Fernsprecheinrichtungen besonders für die Ver-
ständigung von Schiffen untereinander und mit dem Lande.
Die Telegraphenlinien gehen nicht allein den Eisenbahnen entlang,
sondern sie durchziehen auch weite Erdräume ohne Eisenbahnen, so Austra-
lien von Port Darwin im NW. bis Adelaide im SO., desgleichen Nord-
asien, schon ehe es die südsibirische Eisenbahn gab, von Jekaterinburg
über Jrkutsk nach der Amurmündung und Afrika von S. nach N. Ohne
Telegraphen in noch sehr großen Gebieten ihres tieferen Inneren sind nur
die beiden wirtschaftlich zurückgebliebensten Erdräume Afrika und Süd-
amerika; doch zwischen Buenos Aires und Santiago überschreitet der
Telegraph die Anden. Mit den gegenwärtig bestehenden oberirdischen Tele-
graphenlinien könnte man die Aquatorlinie 58 fach, mit ihren Drähten
190 mal umziehen.
Die unterseeischen Kabel verlaufen naturgemäß gleich den
Hauptschiffahrtslinien von Europa aus überwiegend nach SO. durch
Mittelmeer, Rotes Meer nach Bombay, von Madras über Singapore nach
§ 18. Der /sandelsverkehr der Gegenwart.
83
Ostasien und anderseits nach Port Darwin, von Sydney nach Neuseeland,
in noch viel zahlreicheren Strängen aber gegen SW. nach Amerika.
Weitaus die meisten transatlantischen Kabel gehen von den äußersten
SW.-Enden Irlands und Englands sowie vom NW.-Ende der Bretagne
nach dem äußersten SO. - Vorsprung Neufundlands, dem NO. - Vor-
sprung Neu - Schottlands und nach Boston als der nächsten Großstadt
der Union von Europa aus. Denn bei den großen Kosten, welche die
Herstellung der Kabels ihre Legung und ihre Ausbesserung verursachen,
gilt es, die Linien für sie möglichst kurz zu wählen oder doch längere
Linien durch Hinführen über Inseln stückweise herzustellen, damit beim
Zerreißen der Kabel nicht gar zu lange Stränge vielleicht ganz eingebüßt
werden. Als Stützpunkt für die nordatlantischen Kabel sind daher Inseln
wie die Azoren, die Bermudas oder die Kapverden sehr wichtig. So
gehen die beiden deutsch-amerikanischen Kabel von Emden aus zuerst nach
den Azoren. Das Stille Weltmeer mit seinen ungeheuren Wasserflächen,
spärlichen Jnselunterbrechungen und seinen gewaltigen Tiefen hatte bis
vor kurzem kein durchgehendes Kabel; nunmehr verbindet ein englisches
Vancouver über die Fiji-Jnseln mit Australien (Queensland), ein solches
der Vereinigten Staaten San Francisco über Hawaii und Guam mit den
Philippinen. An dies schließt sich ein deutsches Kabel von Tsingtau über
Schanghai und ein deutsch-niederländisches von der südostasiatischen und
papuanischen Inselwelt her. Hiermit ist also in unseren Tagen der ge-
waltige, den ganzen Erdball umspannende Ring telegraphischer Verbin-
düngen geschlossen worden.
1 Das nur 40 km lange Kabel zwischen Dover und Calais kostete z. B.
180000 Mark. Die Leitungsdrähte der Kabel werden aus strickartig zusammen-
gewundenen dünnen Kupferdrähten („Kupferlitzen") hergestellt; mehrere von ihnen in
Kautschukumhüllung bilden den dicken Kabelstrang, der auswendig noch mit Eisen-
drahten in spiraligen Gewinden geschützt ist.
6*
II. Erdkundliches Lesebuch,
1. Einleitung.
Überblick über die Geschichte der Erdkunde.
Alles menschliche Leben wurzelt irgendwie in der Erde, in den
natürlichen Grundlagen für materielle und selbst geistige Kultur. Deshalb
verschlingt sich alles Wissen und Können der Menschen, die doch an die
Erdscholle gebunden sind, irgendwo einmal mit geographischen Kenntnissen.
Deshalb haben an der räumlichen Erweiterung der Bekanntschaft mit
Ländern und Meeren handelnde Kaufleute wie erobernde Könige, Aben-
teurer, denen der Heimatboden unter den Füßen brannte, wie fromme Geist-
liche, die ihren Glauben in die Ferne trugen, Kriegs- und Seemänner
wie Zeitungsschreiber reichen Anteil genommen, nicht nur forschende
Gelehrte der verschiedenen Wissenschaften. Froher Wandersinn und kecke
Lust, bei Entbehrungen und Neuentdeckungen den Mannesmut zu zeigen,
Ruhmsucht, Erwerbsfreudigkeit und Neigung zur Erweiterung politischer
Macht haben neben dem reinen Drang nach Erkenntnis als Triebfedern
zur Ausfahrt in fremde Lande und durch unbekannte Meere gedient.
Weitreichende Kunde von Ländern und Völkern besaßen bereits die
Könige Ägyptens und Mesopotamiens, ausgebreitete Bekanntschaft
mit Meeren und ihren Küsten die phönizischen Kauffahrer; doch erst
die Griechen begannen, rein um der Erkenntnis willen, Geographie zu
treiben. Schon aus dem 6. vorchristlichen Jahrhundert werden Karten
erwähnt; Herodot (geb. um 485 v. Chr.) ist Vater der länder- und
völkerkundlichen Beschreibung; Aristoteles (gest. 322) bewies, was schon
lange vor ihm als sicher angenommen war, die Erde sei eine Kugel.
Maße und Zahlen freilich und erstaunliches Wissen von den Gestirnen
übernahmen die Griechen von Babyloniern, Phöniziern, Ägyptern; aber
den Umfang der Erde mathematisch genau zu messen und zu berechnen,
ein Gradnetz zu entwerfen, wagten zuerst sie. Bei Ptolemäus (um 150
n. Chr. Geb.) hat die Geographie des Altertums ihren Höhepunkt erreicht.
(Einleitung. Überblick über die Geschichte der Erdkunde.
85
Sie ging wie so vieles aus dem Umkreis der griechisch-römischen Kultur
in den Stürmen der Völkerwanderung den Menschen wieder verloren.
Das christliche Mittelalter blickte zu stark aus geistlichen Augen,
als daß es nicht mehr nach dem Jenseits denn nach gründlicher Tat-
sachenkenntnis über das Diesseits sich hätte sehnen sollen. Selbst die
Karten, z. T. Meisterwerke fleißiger Miniaturmalerei künstlerisch begabter
Geistlicher, sind in Anlage und Inhalt durch theologische Erwägungen
bestimmt: Die Erde ein Kreis mit dem Mittelpunkt Jerusalem, die ganze
obere Hälfte dem gleichsam vornehmen Erdteil Asien mit dem Paradiese
an der höchsten Stelle einräumend. Weit mehr wußten damals die weit-
gereisten Araber von den Ländern der Erde.
Ungeheuer groß ist die geographische Leistung der Renaissance-
Zeit. Alle Kenntnisse des Altertums, der griechische Aristoteles und
Ptolemäus, lebten auf, und man schenkte auch den Berichten der
Reisenden aus dem späten Mittelalter endlich den verdienten Glauben,
vor allem denen des Marco Polo (geb. 1254), des venezianischen
Kaufmanns; er war durch das ganze innere Asien bis zum Mongolen-
khan Kublai gewandert, hatte China und das s. Asien bereist und, nach
vierundzwanzigjähriger Abwesenheit heimkehrend, die erstaunlichsten Berichte
über die Kulturhöhe und den Reichtum Ostasiens erstattet. Der Wunsch,
zu jenen Wunderländern der Seide, der Gewürze, des Goldes unmittel-
bare Handelsverbindungen anzuknüpfen, besonders seit die türkische Herr-
schast im 15. Jahrhundert die früher benutzten Wege durch Vorder-
asien und Ägypten ungangbar gemacht hatte, gab den mächtigsten
Anstoß zu den Entdeckungsfahrten im 15. und 16. Jahrhundert. Die
Verwertung des Kompasses, nautischer Instrumente zum Messen
der geographischen Länge und Breite, die Anfertigung besserer Karten
erleichterten die großen Reisen, die von Portugiesen und. von Italienern
vornehmlich in portugiesischen und spanischen Diensten später auch von
Engländern, von Franzosen und Niederländern unternommen wurden.
Von der Küstenschiffahrt ging man zur Reise in das offene Meer hin-
aus über. Das Ziel war zuerst Indien und China nebst Japan; der
Zweck Sucht nach Bereicherung und Eifer, das Christentum auszubreiten,
der Weg zunächst ein doppelter, entweder die Fahrt um Afrika herum
nach Osten (Bartholomäus Diaz am Kap der Guten Hoffnung 1489,
Vasco da Gama in Indien 1498) oder nach Westen (Kolumbus in
Amerika 1492). Nachdem man gewiß geworden war, Westindien und
die im N. und S. angrenzenden Länder seien nicht ein Teil Asiens,
sondern stellten einen neuen Erdteil dar, begannen die Unternehmungen,
86
II. Erdkundliches Tesebuch,
ihn im S. und N. zu umfahren (Magellan 1520). Noch James Cook
(geb. 1728) wurde von den Engländern entsendet, um die n. Umfahrt
aufzusuchen. Er gehört zu den bedeutendsten Entdeckungsreisenden
aller Zeiten. Auf zwei langen Fahrten klärte er die Kenntnisse von
der Ausdehnung Australiens, Neuseelands, Neu-Guineas, drang weit
ins Eis des Südpolarmeeres ein und fand viele Inseln im Großen
Ozean aus, z. B. die nach der Londoner geographischen Gesellschaft
benannten Gesellschafts-Inseln. Ans seiner dritten Reise fand er bei
einem Streit mit Sandwich-Insulanern den Tod. Seine schlichten
Berichte bekunden umfassenden Blick, der für Natur und Menschenleben
in ihren mannigfachen Erscheinungsformen offen steht. Der vornehme
Gesichtspunkt, es komme bei den Entdeckungsfahrten zuerst an auf
Förderung der reinen Erkenntnis der Wahrheit an sich, wird herrschend.
Der erste, der einen Globus herstellte, war der Nürnberger Martin
Behaim (gest. um 1474), und bei der Kartographie und der Anfertigung
nautischer Instrumente im Entdeckungsalter spielen deutsche Humanisten
eine ehrenvolle Rolle. Kein größerer Meister der Kartographie lebte im
16. Jahrhundert als Gerhard Mercator (gest. 1594) und keine geogra-
phische Darstellung durch das Wort war gelesener als die Kosmographie
von Seb. Münster (gest. 1552). Auch an den Entdeckungsfahrten fuchten
Welser und Fugger zu Handelszwecken sich zu beteiligen; aber die
politische Zersplitterung des deutschen Reiches, der Mangel an einer
schützenden Kriegsflotte, dann der Niedergang des deutschen Wohlstandes
im 17. Jahrhundert machten es den Deutschen nicht möglich, am ersten
großen Zeitalter der Entdeckungen hervorragend tütigen Anteil als Reisende
zu nehmen. Um so rühmlicher haben sie sich während der zweiten Zeit
der Entdeckungen im 19. Jahrhundert hervorgetan. Schon Cook war
auf seiner zweiten Reise begleitet durch die Gebrüder Forster. Georg
übersetzte den Bericht über die dritte ius Deutsche; er hat anregend auf
Alexander v. Humboldt eingewirkt (1769 —1859). Humboldts
glänzender Name steht an der Spitze der jüngsten Entwicklung der
Erdkunde. Sein Ziel war es, über die sammelnde Anhäufung von
Einzelbeobachtungen und Einzeltatsachen, wie sie bei Cook noch vor-
waltet, hinauszugehen und den ursächlichen Zusammenhang der Dinge zu
ergründen. Mit umfassender Gelehrsamkeit untersuchte er die Eigen-
arten des äußeren wie inneren Baues der Gebirge, ihre Anordnung
über die Fläche der Erde hin, den Verlauf der Küste, die Wärme-
Verhältnisse in der Luft, die Beziehungen der Pflanzenverbreitung zu
Klima und Boden, die Kräfte des Erdmagnetismus und der Erdwärme.
87
Das alles beobachtete er auf weiten Reisen in Mittel-, Südamerika und
Asien und studierte es an der Hand der vorhandenen Literatur. Was er
aber darüber schrieb, das zeigt ihn, den Zeitgenossen Schillers und Goethes,
zugleich als Künstler der Darstellung, als den Bruder Wilhelms v. Hum-
boldt, des feinsinnigen Philosophen und des Freundes der Weimarer Großen.
Er ist nicht so sehr Geograph an sich wie Naturforscher im allgemeinen.
Sein Zeitgenosse Karl Ritter steht neben Humboldt als Begründer der
ueuen streng wissenschaftlichen Erdkunde. Schon Herder hatte die Bezie-
Hungen zwischen der Eigenart der Länder und der Geschichte ihrer Völker
zum Gegenstand vertieften Nachdenkens gemacht. Mit reicherem Tatsachen-
wissen setzte Ritter diese Richtung fort, wie Humboldt den ursächlichen
Zusammenhängen zwischen örtlich beisammen befindlichen Erscheinungen
nachspürend. Allzu oft mußte bei ihm jedoch philosophische Abstraktion
aushelfen, wenn gesicherte Ergebnisse der Einzelforschung für ein festes
Lehrgebäude noch fehlten, und bei aller geistvollen Nachdenklichkeit gelang
es Ritter nicht völlig, der Geographie als Wissenschaft ein einheitliches
Wesen zu verleihen. Die Erde blieb ihm die Schaubühne, auf der die
Entwicklung der Völker sich vollzog.
Die zweite Zeit der Entdeckungen im zweiten und letzten Drittel
des 19. Jahrhunderts hat Aufklärung über die weiten Strecken des
binnenländischen Südamerika, Afrika, Australien und Asien gebracht, die
bisher nur unvollkommen oder gar nicht bekannt waren. Unter den
Meeren waren vornehmlich die beiden polaren der Schauplatz kühner
Entdeckungsfahrten. Noch immer haben Handelsunternehmungen, Missions-
mühen und politische Machterweiterung in Gestalt von Kolonial-
erwerbungen Anstoß zu vielen Reisen gegeben; aber immer genauere
Nachricht verlangte die Wissenschast. Fachmännische Erforschung geo-
logischer und klimatologischer Art, pflanzen-, tiergeographische und wissen-
schaftskundliche Beobachtung, völkerkundliche und sprachwissenschaftliche
Aufnahme der Länder und Volksstämme mit immer mehr verfeinerten
Forschungsweisen trat ergänzend zu den bloßen Kartenaufnahmen und
ersten Erkundigungen über die äußerliche Lage, Höhe und den Umfang
von Bergen und Flüssen, Seen und Siedlungen, wie jeder Reisende von
Tatkraft und Umsicht sie bisher hatte heimbringen können. Klarer
wurde man sich über den Begriff der Länderkunde als einer Wissenschaft,
die jede Landstrecke wie eine Persönlichkeit mit individuellen Wesens-
zügen anschauen müsse. Heinrich Barth (1821 —1865), ein Schüler
Ritters, Georg Schweinfurth (geb. 1836), Gustav Nachtigall (gest.
1885), alles deutsche Afrikareisende, die zugleich Gelehrte von hohem Range
88
II. Erdkundliches Lesebuch.
hinsichtlich der Gediegenheit ihrer Forschungen, der umfassenden Weite
ihrer Beobachtungen sind, haben die Zeit gründlicher landeskundlicher Er-
forschung der durchwanderten Gegenden glänzend eingeleitet. Oskar Peschel
igest. 1875) war dann einer der führenden wissenschaftlichen Geographen
in der 2. Hülste des Jahrhunderts. Er betonte, obwohl er auch der
Völkerkunde nicht vergaß, die Betrachtung des Formenschatzes in den
Landschaften, also die „Morphologie" der Erdoberfläche. Vor allein aber
hat Ferdinand v. Richlhofen (1833—1905), ursprünglich Geolog, nach
Reisen in China (1868—1872), die für die wissenschaftliche Erkenntnis
Ostasiens bahnbrechend gewirkt haben, der Erdkunde genauer und schärfer
als alle Geographen zuvor Ziel, Grenzen und Nichtuug gesteckt. Sie ist
die Wissenschaft von der Erdoberfläche mit dem, was auf ihr sich befindet,
indem sie die wechselseitige Abhängigkeit örtlich benachbarter Einzelerschei-
nungen und ihre ursächliche Gebundenheit aneinander aufdeckt. Sie hat
nicht nur Tatsächliches zu beschreiben, sondern sie erklärt die gegenwär-
tigen Zustände aus vergangenen Entwicklungen, indem sie Verständnis
für die Kräfte eröffnet, die den Boden nach Stoff und Form umbilden,
die Witteruugserscheinungen hervorrufen und die Eigenart des Pflanzen-,
Tier- uud Menschenlebens bestimmen, soweit das alles aus örtlichen
Verhältnissen deutbar ist.
Wohl hat der amerikanische Journalist Stanley in den Jahren
1874 —1877 Afrika zum ersten Male von O. nach W. durchquert, etwas
später der deutsche Offizier Hermauu Wißmann (gest. 1905) von W.
nach O. durchzogen, so daß der Lauf des Kongo und seiner s. Neben-
flüsse wie das Gebiet der großen Seen im inneren, äquatorialen Afrika
bekannt wurde; wohl hat der russische Offizier Nikolai Przewalskij
(gest. 1888) und der Schwede Sven Hedin (geb. 1865) Großes für die
Entschleierung des inneren Asien geleistet, ist der Amerikaner Peary am
weitesten im Nordpolargebiet nach N. vorgestoßen (1908), sind die Engländer
Scott und Shackleton im ersten Jahrzehnt des 20. Jahrhunderts am
tiefsten in antarktische Länder eingedrungen, nachdem lange zuvor James
Clarke Roß, der schon den magnetischen Nordpol gefunden hatte (1831),
am ergebnisreichsten die Küsten des s. Eismeeres befahren hatte (1842).
Aber nachdem etwa 19/20 der Erdoberfläche in den Hauptzügen des äußeren
Aufbaues bekannt sind, gilt es jetzt die eingehende Durchforschung der
Land- und Meeresrünme mit verfeinerten Instrumenten und Beobachtung^
reisen, wie sie nur Männer der Wissenschaft zu handhaben verstehen.
In der topographischen Aufnahme des Geländes und bei der Herstellung
genauer Karten leistet besonders das Militär Ausgezeichnetes, ebenso
Berichte von «kntdeckungs- und Forschungsreisen. 1. Marco Polo.
89
die Marine bei Küsten- und Tiefenvermessnngen. Selbst die Volkstum-
lichen Reiseschilderungen der Polarforscher F. Nansen (geb. 1861) und
E. v. Drygalski zeigen, obschon umfangreiche, inhaltvolle wissenschaftliche
Veröffentlichungen ihrer Beobachtungen den ersten Berichten über den
äußeren Verlauf der Entdeckungsfahrt an die Seite gestellt wurden, wie
vielseitige und ins Wesen der Dinge dringende Gedankengänge gegen-
wärtig den Geographen beschäftigen im Gegensatz zu den Tatsache an
Tatsache reihenden Aufnahmen früherer Reisender, und die im folgenden
mitgeteilten Proben aus. landeskundlichen Schilderungen deutscher Uni-
versitätsprosessoren über deutsche Landschaften (Kirchhofs gest. 1907,
Penck geb. 1858, Partsch geb. 1851, Krümmel geb. 1854) vermitteln
einen Einblick in das Wesen erdkundlicher Schilderung. Arbeitsteilung
hat auf dem Boden wissenschaftlicher Geographie bereits wie Sonder-
Wissenschaften erwachsen lassen Meeres- und Seenkunde. Gletscher- und
Gewässerforschung, Morphologie der Erdoberfläche, Pflanzen-, Tier-,
Wirtschafts- und Siedelungsgeographie. Je nach der Eigenart des zu
behandelnden Gegenstandes zeigt die Erdkunde das Antlitz einer Natur-
Wissenschaft oder ist volkskundlichen, geschichtlichen, volkswirtschaftlichen Ge-
daukengängen und Untersuchuugsweisen verwandt. Sie sucht die Aufgabe
zu lösen, wie die Mannigfaltigkeit örtlich benachbarter Einzelerscheinungen
in der Natur wie in der Kulturwelt zum einheitlichen Bilde zusammen-
zufassen sind. Dabei muß der Geograph die Fähigkeit zu selbständiger
Beobachtung auf eigeuen Reifen ebenso gut entwickeln wie die einer kri-
tischen Sichtung und Verarbeitung von fremden Beobachtungen, die ihm
von den Grenz- und Nachbarwissenschaften dargereicht werden.
2. Berichte von Entdeckungs- und Forschungsreisen.
1. Marco Polo/
„Von der edlen und prachtvollen Stadt Quinsai" (Hangtschou in Tschekiang).
Nach Verlauf von drei Tagen erreicht man die prächtige und edle
Stadt Quin'sai, ein Name, welcher „die Himmelsstadt"- bedeutet, den
* Aus der „Bibliothek wertvoller Memoiren. Lebensdokumente hervorragender
Menschen aller Zeiten und Völker. Herausgegeben von Dr. Ernst Schultze. 1. Band.
Sie Reisen des Venezianers Marco Polo im 13. Jahrhundert. Bearbeitet und heraus-
gegeben von Di°. Hans Lemke. Hamburg 1907. Im Gutenberg-Verlag Dr. Ernst
Schultze (Preis 5,60 Ji) ©.378 ff. — 2 Unrichtig gedeutet. Anscheinend war Polo des
90
II. Erdkundliches Lesebuch.
sie vor allen anderen Städten in der Welt verdient wegen ihrer Größe und
Schönheit und auch wegen der Kurzweil, Freude und Wollust, die man
dort findet, so daß die Einwohner glauben können, sie weilten im Paradiese.
Die Stadt wurde öfters von Marco Polo besucht, der sorgfältig und
fleißig alles beobachtete und sich nach allem erkundigte, was sie betraf.
Er machte sich Aufzeichnungen, aus denen folgende Einzelheiten wieder-
gegeben werden sollen.
Nach der allgemeinen Schätzung hat die Stadt hundert Meilen
im Umfange. Ihre Straßen und Kanäle sind sehr weit, und es gibt da-
selbst Marktplätze, die eine außerordentlich große Ausdehnung haben, weil
sie eine ungeheure Menschenmenge aufnehmen müssen. Auf der einen
Seite der Stadt liegt ein See mit frischem, klarem Wasser, anf der
andern aber ein Strom, dessen Wasser durch zahlreiche große und kleine
Kanäle in die Stadt geleitet wird. Diese führen allen Schmutz in den
See und von dort in das Meer, so daß stets eine reine und gesnnde
Luft in der Stadt vorhanden ist. Überall kann man auf deu Gassen
gehen, fahren und reiten und daneben auf den Kanälen in Schiffen da-
hingleiten. Die Straßen und Kanüle sind so groß, daß sie Raum
bieten für die Boote auf der einen und für die Wagen auf der andern
Seite, welche ganz bequem mit den für die Bedürfnisse der Bewohner
nötigen Gegenständen dahinfahren können. Man sagt allgemein, daß die
Zahl der Brücken, der großen und kleinen, sich auf zwölftausend belaufe.
Die, welche über die Hauptkanäle geschlagen sind und in Verbindung
mit den vornehmsten Straßen stehen, haben so hohe und mit solcher
Kunst aufgerichtete Bögen, daß Schiffe mit ihren Masten unter ihnen
wegfahren können, während zu gleicher Zeit über sie Karren und
Menschen hinwegziehen; so gut ist auch der Auf- und Abstieg von den
Straßen der Höhe des Bogens angepaßt. Wären diese Brücken aber
nicht so zahlreich, so könnte man nicht so bequem von einem Platze zum
andern gelangen.
Außerhalb der Stadt zieht sich ein Graben, der sie auf der einen
Seite umfaßt, etwa vierzig Meilen hin; er ist sehr breit und mit Wasser
Chinesischen nicht mächtig. Der alte Name Quinsai (eigentlich King-tsze) heißt Residenz.
Jbn Batüta (um 1340), ein arabischer Reisender, nennt Hangtschoufu die größte von
allen Städten der Erde. Seit 1127 hatten die Kaiser ihren Wohnsitz in ihr. Die
Mongolenkaiser verlegten ihn später nach Peking: aber durch den Großen Kanal hob
sich unter ihnen die Handelsbedeutung des Platzes, der eine Hauptoermittlungsstätte
für den Binnenverkehr aus dem s. China (Reisfrachten!) ins n. wurde. Die Entfer-
nungsangabe M. Polos bezieht sich auf das n. gelegene Wukiang (bei Polo Vagin).
Berichte von Cntdeckungs- und Forschungsreisen. 1. Marco Polo.
91
gefüllt, welches aus dem vorerwähnten Flusse kommt. Ihn ließen die
alten Könige des Landes ausgraben, damit, wenn der Fluß seine Ufer
überströmen sollte, das überflüssige Wasser sich in diesen Kanal ergösse.
Zu gleicher Zeit sollte er auch als Verteidigungsmittel dienen. Die
Erde, die daraus gehoben ward, wurde nach der einen Seite geworfen,
und das sieht nun aus, als wenn viele Hügel den Platz umgäben. In
paralleler Richtung mit der Haupstraße. aber auf der andern Seite der
Plätze, läuft ein sehr breiter Kanal, auf dessen näherer Seite geräumige
Warenhäuser von Stein aufgeführt sind; und das geschah zur Bequem-
lichkeit der Kaufleute, die mit ihren Gütern aus Indien und anderen
Gegenden kommen, damit sie einen zweckmäßigen Stand für den Markt
haben. Auf jedem der Plätze versammeln sich an drei Tagen in jeder
Woche vierzig- bis fünszigtansend Personen, welche auf den Markt
kommen, um sich mit jeglichem Vorrate zu versehen. Da gibt es eine
Menge Wild aller Art und eine unbeschreiblich große Zahl von Enten
und Gänsen; denn diese werden sehr leicht auf dem See gezogen, so daß
man zum Werte eines venezianischen Silbergroschens ein Paar Gänse und
zwei Paar Enten kaufen kann. Da gibt es auch Schlachthäuser und Fleisch-
bänke, wo das Vieh geschlachtet wird, um die Tische der reichen Leute
und der hohen Magistratspersonen zu versorgen. Das Volk der niederen
Klassen macht sich kein Bedenken daraus, jede andere Art von Fleisch
ohne Auswahl, auch wenn es unrein ist, zu verzehren. Zu allen Jahres-
zeiten gibt es aus den Märkten eine Menge von Kräutern und Früchten
aller Art und besonders Birnen. Auch sind zur Zeit der Reife Pfirsiche
von lieblichem Geschmack vorhanden, gelbe und weiße. Trauben wachsen
hier nicht; sie werden jedoch in gut getrocknetem Zustande aus anderen
Gegenden eingeführt. Dasselbe gilt auch von dem Weine, den die Ein-
wohner nicht sehr hoch halten, da sie an ihr eigenes Getränk aus Reis
und Gewürzen gewöhnt sind. Von dem Meere, welches fünfundzwanzig
Meilen entfernt ist, wird täglich den Fluß auswärts nach der Stadt eine
ungeheure Menge Fische gebracht; auch im See gibt es Fische im Über-
fluß, und eine Menge Menschen haben keine andere Beschäftigung, als
sie zu sangen. Es gibt verschiedene Arten, je nach der Jahreszeit, und
durch den Genuß der Abfülle, die sie aus der Stadt erhalten, werden sie
groß und fett. Wenn man die Menge der eingeführten Fische sieht,
könnte man glauben, es sei unmöglich, sie zu verkaufen, und doch sind
sie in Zeit von wenigen Stunden verschwunden; so groß ist die Zahl der
Einwohner und zwar der Leute, die sich solchen Luxus erlauben können;
denn Fisch und Fleisch wird bei einer Mahlzeit gespeist. Die Straßen,
92
II. Erdkundliches Lesebuch.
die mit den Marktplätzen in Verbindung stehen, sind zahlreich, und in
einigen von ihnen gibt es kalte Bäder in denen Diener beiderlei Geschlechts
bereit sind, die Abwaschung bei Männern und Frauen vorzunehmen.
Die Besucher dieser Anstalten sind von Kindheit an gewohnt, in kaltem
Wasser zu baden, was sie der Gesundheit für sehr zuträglich halten.
Doch haben sie an diesen Badeplätzen Zimmer, die mit warmem Wasser
versehen sind, zum Gebrauch der Fremden, die, weil sie nicht daran ge-
wohnt sind, den Schauer des kalten Wassers nicht vertragen können.
Alle pflegen sich täglich zu baden und besonders vor ihren Mahlzeiten.
2. Jacob Cook.
Entdeckung der Weihnachtsinsel und der Sandwichs-Gruppe.1
Seit unserer Abreise von England waren nunmehr bereits siebzehn
Monate verflossen. Hatten wir gleich diese Zeit nicht ohne Nutzen hin-
gebracht, so fühlte ich doch, daß ich jetzt erst recht ansing, mich dem eigent-
lichen Endzweck meiner Reise zu nähern.- Aus den Gesellschafts-Jnseln
hatte ich mich genau erkundigt, ob man dort von einigen nordwärts oder
nordwestwärts gelegenen Inseln etwas wußte; allein in dieser Gegend
kannte man keine. Wir bekamen auch nichts zu sehen, was einigermaßen
als Anzeige von nahem Lande hätte gelten können, bis wir in 8° südlicher
Breite allerlei Vögel, nämlich Tölpel, Tropikvögel, Meerschwalben,
Fregatten und einige andere Arten erblickten. Unsere Länge war damals
205° ö. Greenwich. In der Nacht zwischen dem 22. und 23. Dezember
querten wir den Äquator in 203° 15' ö. Länge, wo die Abweichung der
1 „Des Capitain Jacob Cooks dritte Entdeckungsreise, welche derselbe auf Befehl
und Kosten der Großbrittannischen Regierung in das Stille Meer und nach dem Nord-
Pol hinauf unternommen und mit den Schiffen Resolution und Discovery während der
Jahre 1776 bis 1780 ausgeführt hat. Aus den Tagebüchern des Capitain Cook und
der übrigen nach seinem Ableben im Commando auf ihn gefolgten Befehlshaber Clerke,
Gorn und King, ingleichen des Schiffswundarztes Herrn Anderson herausgegeben. Aus
dem Englischen übersetzt von Georg Forster." 2. Band. Berlin 1787 bey Haude und
Spener. 1. Bd. S. 446 ff. — 2 Die „Geheime Instruktion für Capitain I. Cook",
„gegeben durch die zur Verwaltung des Amtes eines Großadmirals von Großbritan-
nien und Irland bestellte Kommission" beginnt mit den Worten: „Nachdem uns der
Graf Sandwich den Willen Sr. Majestät eröffnet, daß man einen Versuch anstellen
sollte, eine nördliche Durchfahrt aus dem Stillen ins Atlantische Meer zu entdecken,
haben wir beschlossen, wegen Eurer auf den vorigen Reffen erprobten Geschicklichkeit
Euch auch die Führung der gegenwärtigen Reise anzuvertrauen". Die Fahrt sollte
um das Kap der Guten Hoffnung nach den Gesellschaftsinseln und von dort nordwärts
weiter gehen.
Berichte von Cntdeckungs - und Forschungsreisen. 2. Jacob Cook.
93
Magnetnadel ungefähr 6° 30' betrug. Am 24., eine halbe Stunde nach
Tagesanbruch, sahen wir Land, welches sich bei unserer Annäherung bald
als ein flaches Eiland zeigte, dergleichen in diesem Ozean so viele vor-
Händen sind; nämlich ein schmaler Kreis Landes, der inwendig einen See
einschließt. An zwei oder drei Orten standen etliche Kokospalmen, im
ganzen aber sah das Land sehr öde uud unfruchtbar aus. Da ich
Ankergrund gefunden hatte, entschloß ich mich vor Anker zu gehen und
den Schildkrötenfang zu versuchen, wozu diese dem Anschein nach ganz
unbewohnte Insel der rechte Ort zu sein schien. Wir gingen also
in dreißig Faden1 vor Anker, und gleich darauf mußte ein Boot unter-
suchen, ob irgendwo eine Landung möglich wäre, welches mir noch sehr
ungewiß schien, da das Meer längs dem Strande überall in fürchterlichen
Brandungen tobte. Das Boot kam mit der Nachricht zurück, daß man
nirgend einen Landungsort gesehen habe, daß aber in den Untiefen
außerhalb der Brandung eine Menge Fische befindlich wären. Am fol-
genden Morgen schickte ich bei Tagesanbruch von jedem Schiffe ein Boot
ab, um noch einen Versuch zu machen, ob sich ein Landungsort sinden
ließe. Zwei andere Boote mußten sich dem Strande nähern, dasebst einen
kleinen Anker fallen laffen und fischen. Ihr Fang war auch so glücklich,
daß sie bereits um acht Uhr mit mehr als zwei Zentnern an Fischen
zurückkehrten, welches mich denn aufmunterte, sie gleich nach dem Früh-
stück nochmals auszuschicken. Gegen Mittag kamen meine Cntdeckungs-
boote zurück. Der Lotse meines Schiffes brachte mir die Nachricht, daß
man ungefähr anderthalb Seemeilen weiter nordwärts eine Öffnung im
Lande und einen Kanal in die innere Lagune gefunden hätte, wo man
bequem aussteigen könne. Diesem Bericht zufolge lichteten die Schiffe
ihre Anker und gingen wieder in zwanzig Faden Tiefe, vor einem
kleinen Jnselchen, welches im Eingang der Lagune lag, vor Anker.
Hier ist der Boden feiner, dunkler Sand, und an jeder Seite der kleinen
Insel geht ein Kanal in die Lagune, der aber nur für Boote tief genug
ist. In der Lagune selbst ist das Wasser überall schr seicht. Am 26.
früh erteilte ich Herrn Kapitän Clerk Befehl, ein Boot mit einem
Offizier in die südöstliche Gegend der Lagune abzuschicken, indes ich selbst
mit Herrn King die nordöstliche untersuchen würde, um Schildkröten zu
sangen. Ich wollte eigentlich die äußerste östliche Spitze besuchen; allein
der Wind war uns zu heftig entgegen und nötigte uns, etwas weiter
hin, auf einer sandigen Fläche zu landen. Wir wateten bis an ein kleines
1 Längenmaß = 6 Fuß = rund 180 cm.
94
II. Erdkundliches Lesebuch.
Eiland, wo wir weiter nichts als etliche Vögel antrafen. Herr King blieb
daselbst, um die Sonnenhöhe ^ um Mittag zu beobachten; ich aber begab
mich indessen nach dem Lande, welches gegen Nordwesten die See einschließt.
Dieses war noch öder als das kleine Jnselchen, welches ich eben verlassen
hatte; ich fand aber, indem ich über die Landspitze nach dem Meeresstrande
ging, fünf schlafende Schildkröten, wovon wir eine fingen. Nach diesem
Fang sahen wir keine mehr, und mußten uns daher gefallen lassen, an
Bord zurückzukehren, wohin uns Herr King bald folgte. Herrn Clerks
Leute waren südwärts an Land gegangen und hatten mehrere Schildkröten
gefangen, weshalb ich auch nicht zweifelte, daß uns der Fang noch ge-
lingen würde. Herr Kapitän Clerk hatte eine Partei Mannschaft am
Lande übernachten lassen, die auch so glücklich gewesen war, zwischen
vierzig und fünfzig Schildkröten im Sande auf den Rücken zu legen, welche
den Tag über fleißig an Bord geschafft wurden. Am 28. landete ich in
Begleitung Herrn Baylys auf der kleinen Insel, welche im Eingang
zwischen den beiden in die Lagnne führenden Einfahrten liegt, um zu der
bevorstehenden Sonnenfinsternis die Teleskope zu richten; denn die Beob-
achtung dieses Phänomens war eine Hauptursache, weshalb ich hier vor
Anker gegangen war. Am 30. morgens ging ich nebst den Herren King
und Bayly auf der kleinen Insel ans Land, um die Sonnenfinsternis zu
beobachten. Bis gegen 9 Uhr war der Himmel bewölkt, dann aber machten
wir uns einen Sonnenblick zunutze, um die Höhe zur Berichtigung der
Zeit nach der Uhr zu beobachten. Hierauf überzog sich der Himmel
wieder bis halb zehn Uhr, da die Finsternis bereits angegangen war. Ich
verfolgte die Beobachtung bis eine halbe Stunde vor dem Ende der
Finsternis, wo ich wegen der fürchterlichen Hitze, welche durch das Zurück-
prallen der Strahlen vom Sande noch vermehrt wurde, aufhören mußte.
Von Zeit zu Zeit zogen Wolken an der Sonne vorüber, indes war doch
der Austritt völlig sichtbar, dessen Zeitpunkt wir folgendermaßen bestimmten:
Herr Bayly um 9 Std. 26 Min. 3 Sek.. Herr King um 0 Std. 26 Min.
1 Sek., ich um 0 Std. 25 Min. 37 Sek. Herrn Baylys Instrument und
das meinige hatten einerlei Vergrößerung; wir hätten also nicht so sehr
voneinander abweichen sollen; vielleicht kam. der ganze Unterschied daher,
daß ich eine Erhabenheit im Monde nicht gewahr ward, welche die beiden
andern Beobachter sahen.
Nachmittags kamen die Boote mit der sämtlichen Mannschaft von
der sö. Gegend zurück, einen Matrosen von der Discovery ausgenommen.
1 Zum Zweck der Bestimmung der geographischen Breite.
95
der bereits zwei Tage lang vermißt wurde. Anfänglich waren ihrer zwei
irre gegangen; weil sie aber über den Rückweg nicht einig werden konnten,
hatten sie sich getrennt, und einer war nach einer Abwesenheit von vier-
undzwanzig Stunden endlich zu seinen übrigen Kameraden am Strande
zurückgekommen. Er hatte in diesem Zeitraum viel ausgestanden, denn
auf der ganzen Insel gibt es keinen Tropfen frischen Wassers, und in
der Gegend, wo er sich befand, war auch nicht ein einziger Kokosbaum
befindlich. Um seinen Durst zu löschen, bediente er sich der sonderbaren
Ersindung, Schildkröten zu schlachten und ihr Blut zu trinken. Ebenso
seltsam war sein Erquickungsmittel, wenn er müde ward; er zog sich
alsdann aus und legte sich eine Zeit lang in das seichte Wasser am Strande
nieder. Jedermann wunderte sich, wie es möglich gewesen wäre, daß diese
beiden Leute sich hätten verirren können. Das Land von der Seeküste
bis zur Lagune war nirgends über drei Meilen breit, und die Aussicht
war nach allen Seiten frei. In der ganzen völlig ebenen Gegend
standen nur einige zerstreute Gebüsche, und an vielen Stellen konnte man
die Masten der Schiffe erblicken; allein es war ihnen nicht einmal ein-
gefallen, sich nach diesem Merkmal zu orientieren, ja sie hatten sogar
vergessen, in welcher Gegend der Insel die Schiffe vor Anker lägen, und
wußten sich so wenig zu raten, als ob sie eben aus den Wolken gefallen
wären. Wenn man aber bedenkt, was für seltsame Geschöpfe die meisten
Matrosen sind, sobald sie an Land kommen, so möchte man sich wieder
darüber wundern, daß nicht noch mehrere sich verirrt hatten. Auch von
denen, die mit mir anlandeten, hatte sich wirklich einer verlaufen; er be-
hielt indes so viel Überlegung, daß er einsah, die Schisse müßten unter
dem Winde1 liegen, und kam zurück, als wir eben seine Abwesenheit inne
geworden waren. Kapitän Clerk erfuhr kaum, daß einer der Verirrten
noch in dieser hilflosen Lage wäre, als er unverzüglich eine Partei be-
orderte, ihn aufzusuchen. Weil aber auch diese am folgenden Morgen
nicht zurückkam, schickte ich zwei Boote in die Lagune, damit an mehreren
Orten zugleich Nachsuchung gehalten würde. Bald darauf kam endlich
jene Partei mit ihrem Verlornen zurück, und hierauf rief ich meine Boote
durch ein Signal wieder an Bord. Dieser arme Teufel hatte noch weit
mehr Ungemach erlitten als der erste; denn er war nicht nur länger in
der Irre gewesen, sondern hatte sich auch geekelt Schildkrötenblut zu
trinken. Ich ließ hierauf einige Kokosnüffe und Iamswurzeln auf dem
kleinen Eiland, wo wir die Finsternis beobachtet hatten, in die Erde
1 In Lee, d. h. Windschutz.
96
II. Erdkundliches Lesebuch.
Pflanzen und an einer anderen Stelle etwas Melonensaat aussäen.
Ferner ließ ich aus der Insel eine Flasche mit folgender Inschrift zurück:
Georgius Tertius Rex, 31. Decembris 1777. Naves Resolution, Jac.
Cook, Pr. Discovery, Oar. Clerke, Pr.
Am 1. Januar 1778 ließ ich unsere Schildkrötenfänger mit allem,
was sie noch gefangen hatten, an Bord bringen. Wir hatten für beide
Schiffe gegen dreihundert Schildkröten gefangen, deren jede im Durch-
schnitt zwischen neunzig und hundert Pfund wog. Sie waren alle von
der Gattung, die man die grüne eßbare See-Schildkröte (testudo Mydas
Linn.) nennt, und so schmackhaft, wie sie nur irgendwo in der Welt sein
können. Außerdem fingen wir an der Angel so viele Fische als wir
während unsers Aufenthaltes verzehren konnten.
Das Erdreich auf der Insel ist an einigen Stellen leicht und schwarz
und besteht daselbst augenscheinlich aus vermoderten Kräutern nnd dem
Auswurf der Vögel, mit dem Sand vermischt ist. An andern Stellen
hingegen sieht man nichts als Seeprodukte, und zwar zerbrochene Stein-
korallen und Muscheln, die in langen, schmalen Furchen mit der See-
küste parallel liegen, welche dadurch beinahe das Ansehen eines um-
gepflügten Feldes bekommt. Sie müssen also von den Wellen aufgeworfen
worden sein, ungeachtet sie gegenwärtig zum Teil eine englische Meile
weit von dem Meere entfernt liegen. Es scheint also außer allem
Zweifel, daß diese Insel allmählich durch den Anwurf des Meeres ge-
bildet worden und noch aus ebendiese Art zunimmt; denn nicht nur die
Bruchstücke von Korallfelsen, sondern auch selbst manche Muscheln sind
viel zu groß, als daß sie vom Seestrande an die Stellen, wo wir sie
fanden, gebracht sein könnten. An mehreren Stellen gruben unsere Leute
nach frischem Wasser, aber sie fanden auf der ganzen Insel nicht einen
Tropfen. Dagegen sahen wir im Innern verschiedene Teiche mit salzigem
Wasser, welche höchstwahrscheinlich von dem Seewasser, das bei hoher
Flut durch den Sand dringt, angefüllt werden. Einer von den Verirrten
hatte in der südöstlichen Gegend auch Salz gefunden. Wir bemerkten
auch nicht die geringste Spur, daß je ein Mensch vor uns die Insel
betreten hätte. In der Tat, wer das Unglück hätte, hierher verschlagen
oder hier zurückgelassen zu werden, würde schwerlich sein Dasein lange
erhalten können. Fische und Vögel sind zwar in Menge vorhanden;
allein ich wüßte nicht, womit er seinen Durst stillen sollte, zu schweigen,
daß bei dem gänzlichen Mangel an Pflanzenspeise gar bald die nachteiligen
Folgen eines gänzlich aus dem Tierreich hergenommenen Unterhalts zum
Vorschein kommen würden. Auf der ganzen Insel zählt man ungefähr
Berichte von Lntdeckungs- und Sorschungsreisen. 2. Jacob Cook.
97
dreißig Kokosbäume, auf denen wir aber nur wenige Nüsse fanden. An
einigen Orten fanden wir einige niedrige Bäume. Herr Anderson
hatte außerdem ein paar Gesträuche und zwei oder drei kleine Pflanzen
angetroffen, die er indes alle schon auf Palmerftons Eiland^ und Ota-
lutea gesehen hatte. Unter den niedrigen Bäumen saßen eine Menge
Meerschwalben (Sterna), von einer noch nicht beschriebenen Art. Sie sind
oben schwarz, unten weiß, mit einem weißen Bogen an der Stirne, und
etwas größer als die gewöhnliche Meerschwalbe oder der Pinsel (Noddy;
Sterna stolida Linn.) Die meisten hatten ihre Jungen schon ausgebrütet,
und diese lagen unter den Alten auf der bloßen Erde; einige hatten aber
noch Eier, die etwas größer als Taubeneier, bläulich und schwarz gefleckt
sind, und von denen sie nicht mehr als eines legen. Außerdem fanden
wir auch eine Menge Tölpel von der gewöhnlichen Gattung (Pelecanu&
piscator Linn). Diesem Verzeichnis müssen wir noch Fregatten- und
Tropikvögel, Brachhühner, Sandpfeifer, einen kleinen der Grasmücke ähn-
lichen Landvogel, Landkrabben, kleine Eidechsen und Ratten hinzufügen.
Weil wir hier das Weihnachtsfest feierten, nannte ich das Eiland
Weihnachtsinsel.^ Sie scheint nur ungefähr fünfzehn bis zwanzig See-
meilen im Umfange zu haben. Ihre Gestalt gleicht einem halben Zirkel
oder dem Monde im letzten Viertel. Die Nord- und die Südspitze,
welche gleichsam die beiden Hörner vorstellen, sind zwischen vier und fünf
Seemeilen voneinander entfernt. Die Weihnachtsinsel ist in geringer
Entfernung vom Rande mit einem Riff von Korallenfelsen umgeben.
Während unseres hiesigen Aufenthaltes hatten wir, ein paar Tage aus-
genommen, beständig frischen Wind aus Ost oder auch Ost bei Süden.
Die Wogen kamen von Norden und brachen sich am Riff in erstaunlichen
Brandungen. Wir hatten diese hohle See bereits vor Entdeckung der Insel
empfunden und empfanden sie auch noch etliche Tage nach unserer Abreise.
Am 2. Januar 1778 lichteten wir mit Tagesanbruch die Anker
und fuhren bei schönem Wetter und frischem Ostsüdostwinde nordwärts.
Täglich zeigten sich Vögel von den oben angeführten Gattungen und
zwischen 10° und 11° Breite sahen wir mehrere Schildkröten. Dies alles
hält man für Zeichen eines nahen Landes; gleichwohl entdeckten wir
keines, bis am Morgen des 18. mit Tagesanbruch eine Insel zum Vor-.
schein kam, die in Nordost zu Osten lag. Bald darauf sahen wir noch
mehr Land im Norden, das vom vorigen gänzlich abgesondert war, und
1 Zwischen Tonga- und Gesellschaftsinseln n. der Cook-Jnseln. — * Christmas -
Island, halbwegs zwischen Gesellschafts- und Sandwich-Inseln.
Lampe, Eidkunde. Heft 4. n
98
II. Erdkundliches Lesebuch.
so wie jenes hohes Land zu sein schien. Um Mittag lag nns das erstere
in der vorigen Richtung nur einen halben Strich östlicher und acht bis
neun Seemeilen entfernt; zu gleicher Zeit lag ein hoher Berg am östlichen
Ende des andern Landes im Norden einen halben Strich südlich. Unsere
Breite war damals 210 12'; die ö. Länge 200° 41'. Nunmehr fingen
schwache Lüftchen an mit Windstillen abzuwechseln, so daß wir um
Sonnenuntergang noch nenn bis zehn Seemeilen vom nächsten Lande
entfernt waren.
Am 19. bei Sonnenaufgang sahen wir die zuerst entdeckte Insel
mehrere Meilen weit gen O. entfernt, und sie war also für uns,
denen dies gerade gegen den Wind lag, unerreichbar. Ich segelte
daher auf die andere Insel zu und entdeckte bald eine dritte gen WNW.
in einer Entfernung, daß wir sie noch eben sehen konnten. Mit Hilfe
eines frischen Windes aus Ost bei Nord waren wir um Mittag von dem
nächsten Teil des zweiten vor uns liegenden Landes noch ungefähr zwei
Seemeilen weit entfernt. Bisher hatten wir noch gezweifelt, ob das
Land bewohnt wäre; allein nunmehr sahen wir einige Kanus vom
Ufer abstoßen und den Schiffen entgegenkommen. Ich ließ sogleich die
Schiffe beilegen, damit die Einwohner Zeit gewönnen, sich uns zu nähern.
In jedem Kahn befanden sich drei bis sechs Mann, die uns eine über-
raschende Freude verursachten, als sie uns bei ihrer Annäherung in
otaheitischer Sprache anredeten. Nach einigem Zureden kamen sie an die
Seite des Schiffes; aber nichts konnte sie bewegen, an Bord hinauf-
zusteigen. Ich band einige kupferne Medaillen an einen Strick
und ließ sie in eines der Kanus hinab, wo man sogleich einige
Makrelen an ihrer Stelle an den Strick befestigte. Diesen Versuch
wiederholten wir mit einigen kleinen Nägeln oder Stückchen Eisen,
auf welche sie einen weit höhern Wert setzten als auf alles andere.
Sie gaben dafür eine größere Menge Fische nebst einer Pataten-
Wurzel und hatten also offenbar Begriffe vom Tauschhandel oder
von Geschenk und Gegengeschenk. Sonst bemerkten wir in ihren Kanus
nichts als eine Art Fischernetze und einige Flaschenkürbisse; doch bot uns
einer noch Zeug, das er um den Leib geschlagen trug, zum Verkauf an.
.Diese Leute waren von brauner Farbe, mittlerer Statur und wohl-
proportioniert. In den Farbenschattierungen wichen sie nicht sehr von-
einander ab, hingegen bemerkten wir einen Unterschied in den Gesichts-
zügen, die bei einigen beinahe europäisch waren. Die meisten trugen ihr
Haar kurz abgeschnitten, andere ließen es fliegen, und noch andere hatten
es auf den Scheitel in einen Schopf aufgebunden. Von Natur war es
Berichte von Lntdeckungs - und 5orschungsreisen. 2. Jacob Look.
99
wohl bei allen schwarz gewesen; allein die meisten hatten es, wie in den
Freundschaftsinseln ebenfalls Mode ist, mit irgend etwas gefärbt, so daß
es braun oder verbrannt aussah. Die meisten hatten Bärte. Von
Zieraten konnten wir nichts an ihnen gewahr werden, auch waren ihre
Ohren nicht durchbohrt; aber aus ihren Händen und um die Hüften be-
merkten wir einige wenige Punkturen. Die Stückchen Zeugs, die sie um
den Leib trugen, waren mit rot, schwarz und weiß bemalt. Dem Anschein
nach waren diese Männer sehr gutmütig; sie hatten nicht einmal Waffen
bei sich, ausgenommen einige kleine Steine, welche sie wahrscheinlich zu
ihrer Verteidigung mitgenommen hatten, die sie aber in See warfen, so-
bald sie fanden, daß sie überflüssig wären.
Da sich an dieser ö. Spitze der Insel kein Ankerplatz zeigte, segelte
ich unter dem Winde längs der Südostküste hinab und hielt mich dabei
eine halbe Seemeile vom Strande entfernt. Sobald wir unseren Lauf
fortsetzten, verließen uns die Kanus; allein sowie wir längs der Küste
hinfuhren, kamen andere zu uns, die einige Spanferkel und recht fchöne
Pataten mitbrachten und sie, wie die vorigen für das erste, was man
ihnen anbot, vertauschten. Für einen Nagel von mittlerer Größe erhielten
wir verschiedentlich ein kleines Ferkel. Damit war uns nun sehr gedient;
denn der Vorrat von Schildkröten, den wir auf der Weihnachtsinsel so
glücklich erbeutet hatten, ging nunmehr zu Ende, und ein Land, wo
Lebensmittel in Überfluß waren, dünkte uns eine höchst willkommene
Entdeckung. Wir fuhren bei verschiedenen Dörfern vmbei, von denen
einige nahe am Meere, andere höher im Lande lagen. Aus allen stürzten
die Einwohner in hellen Haufen hervor und stellten sich auf Anhöhen, um
unsere Schiffe zu beschauen. Das Land steigt hier mit einer sanften
Lehne vom Strande bis an den Fuß der Gebirge, die in der Mitte der
Insel liegen, an ihrem östlichen Ende aber bis an die See stoßen, wo wir
wagerechte Schichten darin entdeckten. Waldungen sahen wir nur in der
höheren, inneren Gegend der Insel, einige wenige Bäume um die Dörfer
abgerechnet, in deren Nähe wir ferner Pflanzungen von Pisangs und Zucker-
rohr und Felder zum Anbau der Wurzeln bemerkten. Die Nacht tat allen
Untersuchungen Einhalt und wir brachten sie mit Kreuzen zu. Als wir
uns bei Tagesanbruch dem Lande wieder nähern durften, eilten uns sofort
einige Kähne entgegen, die gepfropft voll Menschen waren. Einige derselben
wagten es endlich, auf unser Verdeck zu steigen, und bezeigten dann über
alles, was sie im Schiffe sahen, einen so hohen Grad von Erstaunen,
als ich auf allen meinen Reisen noch nirgends bemerkt hatte. Ihre
klugen flogen gleichsam von einem Gegenstande zum andern wild umher,
100
II. Erdkundliches «Lesebuch.
und dabei gaben uns ihre seltsamen Gebärden deutlich zu erkennen, wie
neu ihnen dieses alles sei, und daß noch nie Europäer hierher gekommen
wären. Alle unsere Waren, bloß das Eisen ausgenommen, schienen ihnen
völlig unbekannt; doch auch hiervon hatten sie entweder nur gehört oder
in entfernten Zeiten einmal eine geringe Quantität erhalten. Soviel
wußten sie, daß es eine Materie sei, die besser als eines ihrer Landes-
produckte zum Schneiden und Bohren gebraucht werden könne. Wir
fragten sie, ob sie wüßten, was Eisen wäre? Hierauf erwiderten sie so-
gleich: wir wissen es nicht, ihr wißt es aber, und wir kennen es nur als
Toi oder Hamaeti (Beil oder ein anderes Instrument). Wir zeigten
ihnen Glaskorallen; aber auch diese waren ihnen noch ganz unbekannt.
Zuerst fragten sie, was es für Dinge wären? und bald darauf, ob sie sie
verschlucken sollten? Als wir ihnen hierauf zu verstehen gaben, daß es
Zieraten wären, die man ins Ohr hinge, gaben sie sie sogleich als uu-
brauchbar zurück. Ebenso machten sie es mit einem Spiegel, den man
ihnen anbot, der sie aber wenig reizte. Irdene Teller und Porzellan
waren ihnen so neu, daß sie fragten, ob sie von Holz gemacht wären;
doch wünschten sie etwas davon mitnehmen zu können, um es am Lande
vorzuzeigen. Sie besaßen viel natürliche Höflichkeit oder fürchteten sich
wenigstens, uns zu beleidigen; daher fragten sie, ob sie sich setzen müßten,
ob es erlaubt wäre, auf dem Verdeck auszuspucken, und dergleichen mehr.
Einige sprachen ein langes Gebet, ehe sie an Bord kamen; andere sangen
hernach und machten Bewegungen mit den Händen, wie wir sie bereits
bei den Tänzen der vorhin besuchten Insulaner gesehen hatten. Diesen
glichen sie überdies noch in einer andern Rücksicht. Sobald sie nämlich
zu uns heraufgestiegen waren, stahlen sie alles, woran sie Hand legen
konnten, oder sie nahmen es vielmehr vor aller Augen in der Meinung,
daß wir es entweder nicht übelnehmen oder doch nicht verbieten würden.
Allein wir halfen ihnen bald aus diesem Irrtum und, als sie sahen, daß
wir ein wachsames Auge über sie hatten, ließen sie in der Folge von
diesem Zugreifen ab.
Während der Zeit, daß unsere Boote die Küste genauer unter-
suchten, kreuzten wir ab und zu. Gegen Mittag kam Herr Williamson
zurück und berichtete, daß er unweit eines Dorfes hinter dem Strande
einen großen Teich gesehen hätte, worin nach dem Bericht der Ein-
geborenen frisches Wasser wäre. Diesem Orte gegenüber sei guter Anker-
gruud befindlich. Er hätte auch an einer andern Stelle anzulanden
versucht, allein die Einwohner wären in großer Menge an die Boote
gekommen und Hütten versucht, die Ruder und Flinten, kurz alles, woran
Berichte von Cntdeckungs- und Sorschungsreisen. 2. Jacob Cook.
101
sie Hand legen konnten, den unsrigen aus den Händen zu reißen. Er
habe in diesem Gedränge Feuer gegeben, und es sei einer auf dem Platz
geblieben. Diesen letzten Umstand erfuhr ich indes nicht eher, als bis
wir diese Insel verlassen hatten; folglich war mein ganzes Betragen so
eingerichtet, als ob nichts dergleichen vorgefallen wäre. Der Erschossene
wurde von seinen Landsleuten aufgehoben und weggetragen. Zu gleicher
Zeit entfernten sich alle Insulaner von den Booten, fuhren aber dennoch
fort, unsern Leuten Zeichen zu geben, daß sie anlanden möchten. Herr
Williamson lehnte aber ihre Einladung ab. Übrigens glaubte er nicht,
daß sie im Sinne gehabt, irgend einen seiner Leute umzubringen oder
ihm das geringste Leid zuzufügen, sondern daß nichts als Neugier sie
gereizt habe, so nach allem zuzugreifen, wogegen sie doch auch das Ihrige
gern hergegeben hätten. Zwischen drei und vier Uhr nachmittags ging
ich in drei bewaffneten Booten ab und nahm zwölf Seesoldaten mit,
um sowohl das Wasser des Teichs zu untersuchen, der hinter dem Dorfe
in einem engen Tale lag, als auch die Gesinnungen der Einwohner
kennen zu lernen, die vor ihrem Dorfe auf dem Strande zu mehreren
Hunderten versammelt waren. In dem Augenblicke, da ich ans Land
sprang, fiel die ganze Versammlung der Einwohner auf ihr Angesicht
und blieb in dieser demütigen Stellung liegen, bis ich sie mit den nach-
druckvollsten Zeichen zum Aufstehen brachte. Sogleich überreichten sie
mir eine Menge kleiner Ferkel mit Pisangstämmen, wobei sie ungefähr
dieselben Zeremonien beobachteten, die in den Sozietäts- und andern Inseln
bei dergleichen Gelegenheiten gebräuchlich sind. Einer sagte dabei ein
langes Gebet her, worin der ganze Haufe zuweilen einstimmte. Ich gab
ihnen zu verstehen, daß ich ihre Geschenke annähme, und überreichte ihnen
dagegen, was ich in dieser Absicht mitgebracht hatte. Nach diesem vor-
läufigen Geschäfte stellte ich eine Wacht am Strande aus und ließ mich
von einigen Einwohnern nach dem Teiche führen. Er war groß genug,
um den Namen eines Sees zu verdienen, denn wir konnten das Ende davon
nicht absehen; er war zum Wasserschöpfen gut gelegen, und das Wasser
selbst von gutem Geschmacke.
Indem wir mit den Schiffen von Osten her längs der Küste hin-
gesegelt waren, hatten wir bei jedem Dorfe einen oder mehr weiße
Gegenstände wahrgenommen, die wie Pyramiden oder eigentlicher wie
Obelisken aussahen. Eine solche Pyramide fiel besonders von unserem
jetzigen Ankerplatz in die Augen und schien nicht weit entfernt und etwa
fünfzig Schuh hoch zu sein. Um diesen Obelisk näher zu betrachten,
hatte ich mich eben jetzt auf den Weg gemacht. Unser Wegweiser ver-
102
II. Erdkundliches Lesebuch.
stand vollkommen wohl, wohin ich wollte; allein da die Pyramide jenseit
des Teichs lag und wir den weiten Umweg nicht machen wollten, um
auf jene Seite hinüberzukommen, so begnügten wir uns damit, einen
andern Obelisk zu besuchen, der zwar nicht so ansehnlich wie jener, aber
weit näher, nämlich diesseits des Teiches ungefähr eine halbe Meile weit
von uns vorhanden war. Als wir hinkamen, ward ich gewahr, daß er
auf einem Begräbnisplatz oder Makai stand, der übrigens in mancherlei
Rücksicht mit den Plätzen dieser Art auf andere Inseln des Südmeeres,
hauptsächlich aber in Otaheiti, die auffallendste Ähnlichkeit hatte. Wir
erfuhren auch bald, daß die verschiedenen dazu gehörigen Dinge eben die
Benennungen hätten wie in jenen Inseln. Dieser Platz hatte eine läng-
liche Figur, war ansehnlich groß und mit einer vier Schuh hohen, stei-
nernen Mauer umgeben. Innerhalb derselben bestand das lockere Pflaster
aus kleineren Steinen, und an einem Ende stand die Pyramide, welche
in der Landessprache Hinananu heißt. Sie war augenscheinlich denen,
welche wir von den Schiffen bemerkt hatten, vollkommen ähnlich; die
Grundlage betrug vier Schuh ins Gevierte und die Höhe zwanzig Schuh.
Die vier Seiten bestanden aus düunen Stangen, welche mit Reisern und
Zweigen durchflochten waren und wie ein schlechtes Stück Korbmacher-
arbeit aussahen. Oben war die ganze Maschine offen und inwendig von
oben bis unten hohl. Sie schien einigermaßen in Verfall geraten zu sein,
allein überall sah man hinlängliche Spuren, daß das Ganze ehedem mit
einem dünnen, grauen Zeuge überzogen gewesen war. Eben diese Art
Zeuges scheint zu gottesdienftlichen Gebräuchen besonders bestimmt zu
sein, denn es hing in ziemlicher Menge hin und wieder im Marai herum;
auch befand sich etwas davon unter den Geschenken, die man mir bei
meiner ersten Anlandung gleichsam aufgedrungen hatte. Vor dem Hina-
nanu oder Obelisk standen verschiedene Stücken Holz, die einigermaßen
wie menschenähnliche Figuren geschnitzt waren, uud ein zwei Schuh hoher
mit Stücken Zeug bedeckter Stein, Hoho, der dem Gotte dieser Insel,
Tongarua, geheiligt war. Nahe bei den geschnitzten Figuren, aber außer-
halb der Mauer des Marais, stand eine kleine Hütte, nicht größer als
ein Hundestall, die sie Haripahu nannten. Vor derselben sah man ein
Grab, worin, laut der Aussage unserer Begleiter, der Leichnam eines
Weibes liegen sollte.
An der entgegengesetzten Seite des eingeschlossenen Raumes stand
ein Haus oder ein Schuppen, der ungesähr vierzig Fuß lang, gegen zehn
Fuß hoch und in der Mitte ebenso breit, an beiden Enden aber etwas
schmäler war. Der Eingang dazu befand sich in der Mitte derjenigen
103
(Seite, die dem Hofe zugekehrt war. Inwendig, dem Eingange gegenüber,
standen an der Wand zwei hölzerne Bilder, die, mit ihren Untersätzen
aus einem Stück verfertigt, in allem etwa drei Schuh hoch, nicht übel
gearbeitet und von keiner schlechten Zeichnung waren. Man sagte uns,
es wären Abbildungen von Göttinnen. Eine trug auf dem Kopfe einen
geschnitzten Helm, welcher dem Helm der alten Krieger sehr ähnlich war;
die andere hatte eine zylindrische Mütze, fast wie der Kopfputz, der in
Otaheiti Tamau genannt wird. Beide Figuren waren mit Stücken
Zeugs umgürtet, welche ziemlich tief hinabhingen. Zur Seite einer
jeden war ein kleines geschnitztes Holz befindlich, welches auf eine ahn-
liche Art mit Zeug behangen war. Zwischen, oder eigentlich vor den
Untergestellen lag ein Haufen Farrenkrant, welches offenbar in einzelnen
Stauden hierher getragen sein mußte; denn einiges war ganz verwest,
anderes aber noch völlig frisch und grün. In der Mitte des Hauses
vor den beiden Bildern sahen wir einen länglichen Raum, der mit
Steinen eingeschlossen und Lappen von dem oft erwähnten Zeuge bedeckt
war. Wir erfuhren bald, daß sieben Oberhäupter, deren Namen man
uns auch nannte, hier begraben lägen. Der Ort selbst hieß Hinini.
Indem wir aus dem Hause traten, sahen wir dicht am Eingange einen
kleinen viereckigen Raum und daneben einen etwas kleineren. Wir
befragten unsern Führer, was diese Räume zu bedeuten hätten, und
erhielten sogleich zur Antwort, in dem einen liege ein geopferter Mensch
begraben, in dem andern aber ein Opferschwein. Unweit dieser Gräber,
beinahe in der Mitte des Marai, fanden wir drei andere viereckige,
geschlossene Räume, und bei jedem zwei geschnitzte Hölzer nebst einem
Haufen Farrenkraut. Dieses waren, wie man uns sagte, die Gräber dreier
Oberhäupter. Zugleich erzählte unser Führer ganz deutlich, so daß wir
ihn unmöglich mißverstehen konnten, daß daselbst drei Opferleichname be-
graben lägen, nämlich für jedes Oberhaupt einen. Es schmerzte mich sehr,
daß überall in diesem unermeßlichen Ozean unter Völkern, die zwar
offenbar zu einem Stamme gehören, aber gleichwohl so weit getrennt sind,
daß sie nichts voneinander wissen, dergleichen blutige Opfergebräuche
stattffnden; noch mehr aber betrübte mich die immer stärkere Überzeugung,
daß diese barbarische Gewohnheit hier mehr als irgendwo im Schwange
sein müsse. Diese Insel schien nämlich mit dergleichen Begräbnis- und
Opferplätzen, wie der eben beschriebene, reichlich versehen, und der hiesige
war allem Anschein nach einer der unbedeutendsten, denn eine Menge
solcher Plätze, die wir auf unserer Fahrt längs der Küste bemerkt hatten,
sielen ungleich mehr ins Auge.
104
II. Erdkundliches Lesebuch.
Es verdient angemerkt zu werden, daß die Inseln im Südmcere
oder im Stillen Meere, womit unsere neueren Reisen die allgemeine
Geographie bereichert haben, mehrenteils in Gruppen beisammen liegen,
und daß verhältnisweise nicht so viel einzelne dazwischen gelegene Eilande
vorhanden sind, wiewohl manche, die gleichsam als Glieder der Verbindung
zwischen den verschiedenen Gruppen liegen können, vermutlich noch unbekannt
sein mögen. Wie zahlreich der hiesige neuentdeckte Archipel sei, muß
durch weitere Entdeckungen noch bestimmt werden. Jetzt sahen wir
fünf zu demselben gehörige Inseln. Auch gaben uns die Eingeborenen
Nachricht von einer flachen Jnfel in der Nähe. Außer diesen sechs
Inseln, welche die hiesigen Einwohner mit Namen zu unterscheiden
wußten, sind ihnen, wie wir aus ihren Unterredungen schließen konnten,
sowohl ostwärts als westwärts noch einige andere bekannt. Ich
nannte die ganze Gruppe dem Grasen von Sandwich zu Ehren die
Sandwichs-Jnseln.
3. Alexander v. Humboldt.
Ideen zu einer Physiognomik der Gewächse.^
Wenn der Mensch mit regsamem Sinne die Natur durchforscht oder
in seiner Phantasie die weiten Räume der organischen Schöpfung mißt,
so wirkt unter den vielfachen Eindrücken, die er empfängt, keiner so tief
und mächtig als der, welchen die allverbreitete Fülle des Lebens erzeugt.
Überall, selbst nahe an den beeisten Polen, ertönt die Luft von dem Ge-
sang der Vögel wie von dem Summen schwirrender Insekten. So oft man
den Rücken der peruanischen Kordilleren oder, südlich von Leman-See,
den Gipfel des Weißen Berges bestieg, hat man selbst in diesen Einöden
noch Tiere entdeckt. Am Ehimborazo, fast achttausend Fuß höher als
der Ätna, sahen wir Schmetterlinge und andere geflügelte Insekten.
Höher als der Kegelberg von Teneriffa auf den schneebedeckten Rücken
der Pyrenäen getürmt, höher als alle Gipfel der Andeskette, schwebte oft
über uns der Kondor, der Riese unter den Geiern. Raubsucht und
Nachstellung der zartwolligen Vicunnas, welche gemsenartig und Herden-
weise in den beschneiten Grasebenen schwärmen, locken den mächtigen
Vogel in diese Region. Zeigt nun schon das unbewaffnete Auge den
ganzen Lnftkreis belebt, so enthüllt noch größere Wunder das bewaffnete
1 Ansichten der Natur mit wissenschaftlichen Erläuterungen von Alexander
v. Humboldt. 2 Bände. 3. vermehrte und verbesserte Ausgabe. Stuttgart und
Augsburg. 1859. I. G. Cottascher Verlag. (Bd. 2 S. 3 ff.).
Berichte von Lntdeckungs- und Forschungsreisen. 3. Alexander v, Humboldt,
105
Auge. Rädertiere, Brachionen * und eine Schar mikroskopischer Geschöpfe
heben die Winde aus den trocknenden Gewässern empor. Unbeweglich
und in Scheintod versenkt, schweben sie in den Lüften, bis der Tau sie
Zur nährenden Erde zurückführt, die Hülle löst, die ihren durchsichtigen,
wirbelnden Körper einschließt, und den Organen neue Erregbarkeit ein-
haucht. Die atlantischen gelblichen Staubnebel, welche von dem kap-
verdischen Jnselmeere von Zeit zu Zeit weit gegen Osten in Nordafrika
in Italien und Mitteleuropa eindringen, sind nach Ehrenbergs glänzender
Entdeckung Anhäufungen von kieselhaltigen, mikroskopischen Organismen,
Viele schwebten vielleicht lange Jahre in den obersten Luftschichten. Neben
den entwickelten Geschöpfen trägt der Luftkreis auch zahllose Keime
künftiger Bildungen, Jnsekteneier und Eier der Pflanzen, die durch
Haar- und Federkronen zur langen Herbstreise geschickt sind. Selbst den
belebenden Staub, welchen bei getrennten Geschlechtern die männlichen
Blüten ausstreuen, tragen Winde und geflügelte Insekten über Meer und
Land den einsamen weiblichen zu. Wohin der Blick des Naturforschers
dringt ist Leben oder Keim zum Leben verbreitet.
Dient aber auch das bewegliche Luftmeer, in das wir getaucht sind
und über dessen Oberfläche wir uns nicht zu erheben vermögen, vielen
organischen Geschöpfen zur notwendigsten Nahrung, so bedürfen dieselben
dabei doch noch einer gröberen Speise, welche nur der Boden dieses
gasförmigen Ozeans darbietet. Dieser Boden ist zwiefacher Art. Den
kleineren Teil bildet dir trockene Erde, unmittelbar von Luft umflossen;
den größeren Teil bildet das Wasser, unaufhörlich in der Werkstatt der
Wolken, wie in den pulsierenden Gefäßen der Tiere und Pflanzen zersetzt.
Organische Gebilde steigen tief in das Innere der Erde hinab, überall
wo die meteorischen Tagewasser in natürlichen Höhlen oder Grubenarbeiten
dringen können. Das Gebiet der kryptogamischen unterirdischen Flora
ist früh ein Gegenstand meiner wissenschaftlichen Arbeiten gewesen. Heiße
Quellen nähren kleine Hydroporen, Konserven und Oscillatorien 2 bei den
höchsten Temperaturen. Dem Polarkreise nahe, an dem Bären-See im
Neuen Kontinent, sah Richardson den Boden, der in 20 Zoll Tiefe im
Sommer gefroren bleibt, mit blühenden Kräutern geschmückt. In dem
Ozean erscheinen gallertartige Seegewürme, bald lebendig, bald abgestorben
als leuchtende Sterne. Ihr Phosphorlicht wandelt die grünliche Fläche
1 Rädertiere gehören zu den Würmern, sind mikroskopisch klein, leben meist
im Wasser. Brachionen oder Brachiopoden sind Würmer, die muschelartig in zwei-
klappigen Schalen festhasten. Sie sind schon im Cambrium sehr häusig. — 2 Hydro-
poren sind Wasserkäfer, Konserven und Oscillatorien Algengatwngen.
106
des unermeßlichen Ozeans in ein Feuermeer um. Unauslöschlich wird
mir der Eindruck jener stillen Tropennächte der Südsee bleiben, wenn
aus der duftigen Himmelsbläue das hohe Sternbild des Schiffes und
das gesenkt untergehende Kreuz ihr mildes Licht ausgössen, und wenn
zugleich in der schäumenden Meeresflut die Delphine ihre leuchtenden
Furchen zogen. So sind auch die verborgensten Räume der Schöpfung
mit Leben erfüllt.
Wir wollen hier bei den Geschlechtern der Pflanzen verweilen;
denn auf ihrem Dasein beruht das Dasein der tierischen Schöpfung.
Unablässig sind sie bemüht, den rohen Stoff der Erde organisch anein-
anderzureihen und vorbereitend dnrch lebendige Kraft zu mischen, was
nach tausend Umwandlungen zur regsamen Nervenfaser veredelt wird.
Derselbe Blick, den wir auf die Verbreitung der Pflanzendecke heften,
enthüllt uns die Fülle des tierischen Lebens, das von jener genährt und
erhalten wird.
Ungleich ist der Teppich gewebt, welchen die blütenreiche Flora
über den nackten Erdkörper ausbreitet: dichter, wo die Sonne höher an
dem nie bewölkten Himmel emporsteigt; lockerer gegen die trägen Pole
hin, wo der wiederkehrende Frost bald die entwickelte Knospe tötet,
bald die reifende Frucht erhascht. Doch überall darf der Mensch sich
der nährenden Pflanzen erfreuen. Auf dem nackten Steine, sobald
ihn zuerst die Lust berührt, bildet sich in den nordischen Ländern ein
Gewebe sammetartiger Fasern, welche dem unbewaffneten Auge als farbige
Flecken erscheinen. Mit zunehmendem Alter verdunkelt sich ihre lichte
Farbe. Das fernleuchtende Gelb wird braun, und das bläuliche Grau
der Leprarieu-Flechten verwandelt sich nach und nach in ein staubartiges
Schwarz. Die Grenzen der alternden Decke fließen ineinander, und
auf dem dunkeln Grunde bilden sich neue, zirkelrunde Flechten von
blendender Weiße. So lagert sich schichtenweise ein organisches Gewebe
auf das andere; und wie das sich ansiedelnde Menschengeschlecht bestimmte
Stufen der sittlichen Kultur durchlaufen muß, so ist die allmähliche Ver-
breitung der Pflanzen an bestimmte physische Gesetze gebunden. Wo jetzt
hohe Waldbäume ihre Gipfel lustig erheben, da überzogen einst zarte
Flechten das erdenlose Gestein. Laubmoose, Gräser, krautartige Gewächse
und Sträucher füllen die Kluft der langen, aber ungemessenen Zwischen-
zeit aus. Was im Norden Flechten und Moose, das bewirken in den
Tropen Portulaca, Gomphrenen^ und andere fette, niedrige Uferpflanzen.
1 Blütenkräuter, besonders in Mittel- und Südamerika verbreitet und artenreich.
Bericht« von Lntdeckungs- und Sorschungsreisen. Z. Alexander v. Humboldt. 107
Die Geschichte der Pflanzendecke und ihre allmähliche Ausbreitung über die
öde Erdrinde hat ihre Epochen, wie die Geschichte der wandernden Tierwelt.
Ist aber auch die Fülle des Lebens überall verbreitet, ist der
Organismus auch unablässig bemüht, die durch den Tod entfesselten
Elemente zu neuen Gestalten zu verbinden, so ist diese Lebensfülle und
ihre Erneuerung doch nach Verschiedenheit der Himmelsstriche verschieden.
Periodisch erstarrt die Natur in der kalten Zone; denn Flüssigkeit ist
Bedingnis zum Leben. Tiere und Pflanzen liegen hier viele Monate
hindurch im Winterschlaf vergraben. In einem großen Teile der Erde
haben daher nur solche organische Wesen sich entwickeln können, welche
einer beträchtlichen Entziehung von Wärmestoff widerstehen und ohne
Blattorgane einer langen Unterbrechung der Lebensfunktiouen fähig sind.
Je näher dagegen den Tropen, desto mehr nimmt Mannigfaltigkeit der
Gestaltung, Anmut der Form und des Farbengemisches, ewige Jugend
und Kraft des organischen Lebens zu. Wenn man aus unseren dick-
laubigen Eichenwäldern über die Alpen- oder Pyrenäenkette nach Welsch-
land oder Spanien hinabsteigt, wenn man gar seinen Blick auf einige
afrikanische Küstenländer des Mittelmeeres richtet, so wird man leicht zu
dem Fehlschlüsse verleitet, als sei Baumlosigkeit der Charakter heißer
Klimate. Aber man vergißt, daß das südliche Europa eine andere
Gestalt hatte, als pelasgische oder karthagische Pflanzvölker sich zuerst
darin festsetzten; man vergißt, daß frühere Bildung des Menschengeschlechtes
die Waldungen verdrängt, und daß der umschaffende Geist der Nationen
der Erde allmählich den Schmuck raubt, welcher uns in dem Norden er-
freut, und welcher (mehr als alle Geschichte) die Jugend unserer sittlichen
Kultur anzeigt. Das Malerische italienischer Gegenden beruht vorzüglich
auf dem lieblichen Kontrast zwischen dem unbelebten, öden Gestein und
der üppigen Vegetation, welche inselförmig darin aufsproßt. Wo dieses
Gestein minder zerklüftet, die Wasser auf der Oberfläche zusammenhält,
wo diese mit Erde bedeckt ist (wie an den reizenden Ufern des Albaner
Sees), da hat selbst Italien seine Eichenwälder, so schattig und grün,
als der Bewohner des Nordens sie wünscht. Auch die Wüsten jenseits
des Atlas und die unermeßlichen Ebenen oder Steppen von Südamerika
sind als bloße Lokalerscheinungen zu betrachten. Diese findet man, in
der Regenzeit wenigstens, mit Gras und niedrigen, fast krautartigen
Mimosen bedeckt; jene sind Sandmeere im Innern des alten Kontinents,
große pstanzenleere Räume, mit ewig grünen, waldigen Ufern umgeben.
Nur einzeln stehende Fächerpalmen erinnern den Wanderer, daß diese
Einöden Teile einer belebten Schöpfung find. Im trügerischen Lichtspiele,
108
II. Erdkundliches Lesebuch.
das die strahlende Wärme erregt, sieht man bald den Fuß dieser Palmen
frei in der Luft schweben, bald ihr umgekehrtes Bild in den wogenartig
zitternden Luftschichten wiederholt. Auch westlich von der peruanischen
Andeskette, an den Küsten des Stillen Meeres, haben wir Wochen ge-
braucht, um solche wasserleere Wüsten zu durchstreichen. Hat eine
Gegend einmal ihre Pflanzendecke verloren, ist der Sand beweglich und
quellenleer, hindert die heiße, senkrecht aufsteigende Luft den Niederschlag
der Wolken, so vergehen Jahrtausende, ehe von den grünen Ufern aus
organisches Leben in das Innere der Einöde dringt.
Wer demnach die Natur mit einem Blicke zu umfassen und von
Lokalphänomenen zu abstrahieren weiß, der sieht, wie mit Zunahme der
belebenden Wärme, von den Polen zum Äquator hin, sich auch allmäh-
lich organische Kraft und Lebensfülle vermehren. Aber bei dieser Ver-
mehrung sind doch jedem Erdstriche besondere Schönheiten vorbehalten:
den Tropen Mannigfaltigkeit und Größe der Pflanzenformen; dem Norden
der Anblick der Wiesen uud das periodische Wiedererwachen der Natur
beim ersten Wehen der Frühlingslüfte. Jede Zone hat außer den ihr
eigenen Vorzügen auch ihren eigentümlichen Charakter. So wie man an
einzelnen organischen Wesen eine bestimmte Physiognomie erkennt, wie
beschreibende Botanik und Zoologie, im engern Sinne des Worts, Zer-
gliederung der Tier- und Pflanzenformen sind, so gibt es auch eine
Naturphysiognomie, welche jedem Himmelsstriche ausschließlich zukommt.
Was der Maler mit den Ausdrücken „Schweizer Natur", „italienischer
Himmel" bezeichnet, gründet sich auf das dunkle Gefühl dieses lokalen
Naturcharakters. Luftbläue, Beleuchtung, Duft, der auf der Ferne ruht,
Gestalt der Tiere, Saftfülle der Kräuter, Glanz des Laubes, Umriß der
Berge: alle diese Elemente bestimmen den Totaleindruck einer Gegend.
Zwar bilden unter allen Zonen dieselben Gebirgsarten, Trachyt, Basalt,
Porphyrschiefer und Dolomit, Felsgruppen von einerlei Physiognomie.
Die Grünsteinklippen in Südamerika und Mexiko gleichen denen des
deutschen Fichtelgebirges; denn die unorganische Rinde der Erde ist gleich-
sam unabhängig von klimatischen Einflüssen. Alle Formationen sind
allen Weltgegenden eigen und in allen gleichgestaltet. Überall bildet der
Granit sanft rundliche Kuppen. Auch ähnliche Pflanzenformen, Tannen
und Eichen, bekränzen die Berggehänge in Schweden wie die des süd-
lichsten Teils von Mexiko. Und bei aller dieser Übereinstimmung in den
Gestalten, bei dieser Gleichheit der einzelnen Umrisse nimmt die Grup-
Pierling derselben zu einem Ganzen doch den verschiedensten Charakter an.
Georg Forster in seinen Reisen und in seinen kleinen Schriften, Goethe
Berichte von Cntdeckungs - und Forschungsreisen. 3. Alexander v. /sumboldt.
109
in den Naturschilderungen, welche so manche seiner unsterblichen Werke
enthalten, Buffon und Chateaubriand haben mit unnachahmlicher Wahr-
heit den Charakter einzelner Himmelsstriche geschildert. Solche Schil-
derungen sind aber nicht bloß dazu geeignet, dem Gemüt einen Genuß
der edelsten Art zu verschaffen; nein, die Kenntnis von dem Natur-
charakter verschiedener Weltgegenden ist mit der Geschichte des Menschen-
geschlechtes und mit der seiner Kultur aufs innigste verknüpft. Denn
wenn auch der Anfang dieser Kultur nicht durch physische Einflüsse allein
bestimmt wird, so hängt doch die Richtung derselben, so hängen Volks-
charakter, düstere oder heitere Stimmung der Menschheit großenteils von
klimatischen Verhältnissen ab. Die Dichterwerke der Griechen und die
rauheren Gesänge der nordischen UrVölker verdankten größtenteils ihren
eigentümlichen Charakter der Gestalt der Pflanzen und Tiere, den Gebirgs-
tälern, die den Dichter umgaben, und der Luft, die ihn umwehte. Wer
fühlte sich nicht, um selbst nur an nahe Gegenstände zu erinnern, anders
gestimmt in dem dunkeln Schatten der Buchen, auf Hügeln, die mit ein-
zeln stehenden Tannen bekränzt sind, oder auf der Grasflur, wo der Wind
in dem zitternden Laube der Birke säuselt? Melancholische, ernst erhebende
oder fröhliche Bilder rufen diese vaterländischen Pflanzengestalten in uns
hervor. Der Einfluß der physischen Welt auf die moralische, das geheimnis-
volle Jneinanderwirken des Sinnlichen und Außersinnlichen gibt dem
Naturstudium, wenn man es zu höheren Gesichtspunkten erhebt, einen
eigenen, noch zu wenig erkannten Reiz. Wenn aber auch der Charakter
verschiedener Weltgegenden von allen äußeren Erscheinungen zugleich ab-
hängt, wenn Umriß der Gebirge, Himmelsbläue, Wolkengestalt und Durch-
sichtigkeit des Luftkreises den Totaleindruck bewirken, so ist doch nicht zu
leugnen, daß das Hauptbestimmende dieses Eindrucks die Pflanzendecke ist.
Dem tierischen Organismus fehlt es an Masse; die Beweglichkeit der
Individuen und oft ihre Kleinheit entziehen sie unseren Blicken. Die Pflanzen-
schöpfung dagegen wirkt durch stetige Größe auf unsere Einbildungskraft.
Umfaßt man mit einem Blick die verschiedenen phanerogamischen
Pflanzenarten, so erkennt man in dieser wundervollen Menge gewisse
Hauptformen, auf welche sich viele andere zurückführen lassen. Zur Be-
stimmung dieser Typen, von deren individueller Schönheit, Verteilung
und Gruppierung die Physiognomie der Vegetation eines Landes abhängt,
muß man nicht (wie in den botanischen Systemen aus andern Beweg-
gründen geschieht) auf die kleinsten Fortpflanzungsorgane, Blütenhüllen
und Früchte, sondern nur auf das Rücksicht nehmen, was durch Masse
den Totaleindruck einer Gegend individualisiert. Unter den Hauptformen
110
der Vegetation gibt es allerdings ganze Familien der sogenannten natür-
lichen Systeme. Bananengewächse und Palmen, Kasuarineen^ und Koni-
seren werden auch in diesen einzeln aufgeführt. Aber der botanische
Systematiker trennt eine Menge von Pflanzengruppen, welche der Phy-
siognomiker sich gezwungen sieht, miteinander zu verbinden. Wo die
Gewächse sich als Massen darstellen, fließen Umrisse und Verteilung der
Blätter, Gestalt der Stämme und Zweige ineinander. Der Maler (und
gerade dem feinen Naturgefühle des Künstlers kommt hier der Ausspruch zu!)
unterscheidet in dem Hintergrunde einer Landschaft Pinien oder Palmen-
gebüsche von Buchen-, nicht aber diese von andern Laubholzwäldern!
Bei den Landtieren scheinen vorzüglich Temperaturverhältnisse, von
den Breitengraden abhängig, die organische Entwicklung genetisch begünstigt
zu haben. Die kleine und schlanke Form unserer Eidechse dehnt sich im
Süden zu dem kolossalen, schwerfälligen, gepanzerten Körper furchtbarer
Krokodile aus. In den ungeheuren Katzen von Afrika und Amerika,
im Tiger, im Löwen und Jaguar, ist die Gestalt eines unserer kleinsten
Haustiere nach einem größeren Maßstabe wiederholt. Dringen wir gar
in das Innere der Erde, durchwühlen wir die Grabstätte der Pflanzen
und Tiere, so verkündigen uns die Versteinerungen nicht bloß eine Ver-
teilung der Formen, die mit den jetzigen Klimaten in Widerspruch steht,
sie zeigen uns auch kolossale Gestalten, welche mit denen, die uns gegen-
wärtig umgeben, nicht minder kontrastieren als die erhabenen, einfachen
Heldennaturen der Hellenen mit dem, was unsere Zeit mit dem Worte
„Charaktergröße" bezeichnet. Mächtige Dickhäuter, elefantenartige Masto-
donten, eine Landschildkröte von sechs Fuß Höhe bevölkerten vormals
die Waldung, welche aus riesenhaften Lepidodendren, kaktusähnlichen
Stigmarien und zahlreichen Geschlechtern der Cykadeen^ bestund. Unfähig
diese Physiognomie des alternden Planeten nach ihren gegenwärtigen
Zügen vollständig zu schildern, wage ich nur diejenigen Charaktere aus-
zuHeben, welche jeder Pflanzengruppe vorzüglich zukommen. Bei allem
Reichtum und aller Biegsamkeit unserer vaterländischen Sprache ist es
doch ein schwieriges Unternehmen, mit Worten zu bezeichnen, was eigent-
lich nur der nachahmenden Kunst des Malers darzustellen geziemt.
Wir beginnen mit den Palmen, der höchsten und edelsten aller
Pflanzengestalten; denn ihr haben stets die Völker (und die früheste
1 Sträucher und Bäume von schachtelhalmähnlicher Erscheinung, besonders in
Australien und den Malaien-Inseln heimisch. — 2 Lepidodendren gehörten zu den
Bärlapp ähnlichen Gewächsen: Schuppenbäume der Steinkohlenzeit; Stigmarien sind
Teile von ihnen und von Siegelbäumen. Cykadeen sind Palmfarne.
Berichte von Lntdeckungs - und Sorschungsreiscn, 3. Alexander v. Humboldt. III
Menschenbildung war in der asiatischen Palmenwelt, wie in dem Erdstriche,
der zunächst an die Palmenwelt grenzt) den Preis der Schönheit zuerkannt.
Hohe, schlanke, geringelte, bisweilen stachlige Schäfte endigen mit
anstrebendem, glänzendem, bald gefächertem, bald gefiedertem Laube.
Die Blätter sind oft grasartig gekräuselt. Die Palmenform nimmt an
Pracht und Größe ab vom Äquator gegen die gemüßigte Zone hin.
Europa hat unter seinen einheimischen Gewächsen nur einen Repräsentanten
dieser Form, die zwergartige Küstenpalme, den Chamärops, der in
Spanien und Italien sich nördlich bis zum 44. Breitengrade erstreckt.
Das eigentliche Palmenklima der Erde hat zwischen 20^^ und 22°
Reaum. mittlerer jährlicher Wärme. Aber die aus Afrika zu uns
gebrachte Dattelpalme, welche weit minder schön als andere Arten dieser
Gruppe ist, vegetiert noch im südlichen Europa in Gegenden, deren
mittlere Temperatur 120 bis 13^" beträgt. Palmenstämme und
Elefantengerippe liegen im nördlichen Europa im Innern der Erde ver-
graben; ihre Lage macht es wahrscheinlich, daß sie nicht von den Tropen
her gegen Norden geschwemmt wurden, sondern daß die ftliniate. wie die
durch sie bestimmte Physiognomie der Natur, vielfach verändert worden
sind. Zu den Palmen gesellt sich in allen Weltteilen die Pisang- oder
Bananenform, die Scitamineen und Musaceen der Botaniker: Ein
niedriger, aber saftreicher, fast krautartiger Stamm, an dessen Spitze
sich dünn und locker gewebte, zartgestreifte, seidenartig glänzende Blätter
erheben. Pisanggebüsche sind der S hinuck feuchter Gegenden. Auf
ihrer Frucht beruht die Nahrung fast aller Bewohner des heißen Erd-
gürtels. Wie die mehlreichen Getreidearten des Nordens, so begleiten
Pisangstämme den Menschen seit der frühesten Kindheit seiner Kultur.
Semitische Sagen setzen die ursprüngliche Heimat dieser nährenden
Pflanze an den Euphrat, andere mit mehr Wahrscheinlichkeit an den Fuß
das Himalajagebirges in Indien. Nach griechischen Sagen waren die
Gefilde von Enna das glückliche Vaterland. Wenn die sikulischen Früchte
der Ceres, durch die Kultur über die nördliche Erde verbreitet, einförmige,
weitgedehnte Grasfluren bildend, wenig den Anblick der Natur verschönern,
so vervielfacht dagegen der sich ansiedelnde Tropenbewohner durch Pisang-
Pflanzungen eine der herrlichsten und edelsten Gestalten.
Die Form der Malvaceen und Bombaeeen^ ist dargestellt
durch Eeiba und den mexikanischen Händebaum, Cheirosstemon: Kolossalisch
' Bombax ceiba, der Wollbaum, ein 25 m hoher südamerikanischer Baum,
dessen Samen eßbar ist, während die ihn einhüllenden Wollfäden zu Polsterungen
verwendet werden; der ausgehöhlte Stamm dient als Kahn.
112
II. Erdkundliches Lesebuch.
dicke Stämme mit zartwolligen, großen, herzförmigen oder eingeschnittenen
Blättern und prachtvollen, oft purpurroten Blüten. Zu dieser Pflanzen-
gruppe gehört der Affenbrotbaum, welcher bei mäßiger Höhe bisweilen
30 Fuß Durchmesser hat. In Italien fängt die Malvenform bereits an,
der Vegetation einen eigentümlichen südlichen Charakter zu geben. Da-
gegen entbehrt unsere gemäßigte Zone im alten Kontinent leider ganz
die zartgefiederten Blätter, die Form der Mimosen. Den Vereinigten
Staaten von Amerika, in denen unter gleicher Breite die Vegetation
mannigfaltiger und üppiger ist als in Europa, fehlt diese schöne Form
nicht. Bei den Mimosen ist eine schirmartige Verbreitung der Zweige,
fast wie bei den italienischen Pinien, gewöhnlich. Die tiefe Himmelsbläue
des Tropenklimas, durch die zartgefiederten Blätter schimmernd, ist von
überaus malerischem Effekte.
Eine meist afrikanische Pflanzengruppe sind die Heidekräuter;
dahin gehören dem allgemeinen Charakter oder Anblick nach auch die
Epakrideen^ und Diosmeen^, viele Proteaceen^ und die australischen
Akazien mit bloßen Blattstielblättern (Phyllodien), eine Gruppe, welche
mit der der Nadelhölzer einige Ähnlichkeit hat und eben deshalb oft
mit dieser durch die Fülle glockenförmger Blüten desto reizender kon-
traftiert. Die baumartigen Heidekräuter, wie einige andere afrikanische
Gewächse, erreichen das nördliche User des Mittelmeeres. Sie schmücken
Welschland und die Cistusgebüsche^ des südlichen Spanien. Am üppigsten
wachsend habe ich sie auf Teneriffa, am Abhänge des Piks von Teyde,
gesehen. In den baltischen Ländern und weiter nach Norden hin ist diese
Pflanzenreform gefürchtet, Dürre und Unfruchtbarkeit verkündigend.
Unsere Heidekräuter sind gesellschaftlich lebende Gewächse, gegen deren
fortschreitenden Zug die ackerbauenden Völker seit Jahrhunderten mit
wenigem Glücke ankämpfen. Sonderbar, daß der Hauptrepräsentant der
Familie bloß einer Seite uuseres Planeten eigen ist! Von den 300 jetzt
bekannten Arten von Erica findet sich nur eine einzige im Neuen Kon-
tinent von Pennsylvanien und Labrador bis gegen Alaska hin.
Dagegen ist bloß dem Neuen Kontinent eigentümlich die Kaktus-
form: Bald kugelförmig, bald gegliedert, bald in hohen, vieleckigen Säulen
1 Heidekraut ähnliche Strauch er und Kräuter Australiens. — 2 Eine durch
Reichtum an ätherischen Ölen ausgezeichnete Pflanzenfamilie, besonders im Kapland
^ufig. — 3 Eine Familie immergrüner Holzgewächse mit annähernd 1000 Arten, die
aber fast alle den Ländern der s. Halbkugel angehören. — * Dieser f.-europäische
Strauch schwitzt ein Harz aus, das als Ladanum früher ein Heilmittel war, jetzt aber
nur noch als Räuchermittel Verwendung findet.
Berichte von Lntdeckungs- und Sorschungsreisen. 3. Alexander v. Humboldt. 113
wie Orgelpfeifen aufrechtstehend. Diese Gruppe bildet den auffallendsten
Kontrast mit der Gestalt der Liliengewächse und der Bananen. Sie
gehört zu den Pflanzen, welche Bernardin de St. Pierre ^ sehr glücklich
vegetabilische Quellen der Wüste nennt. In den wasserleeren Ebenen
von Südamerika suchen die von Durst geängsteten Tiere den Melonen-
kaktus, eine kugelförmige, halb im dürren Sande verborgene Pflanze,
deren saftreiches Inneres unter furchtbaren Stacheln versteckt ist. Die
säulenförmigen Kaktusstämme erreichen bis 30 Fuß Höhe, und kandelaber-
artig geteilt, erinnern sie durch Ähnlichkeit der Physiognomie an einige
afrikanische Euphorbien. Wie diese grüne Oasen in den pflanzenleeren
Wüsten bilden, so beleben die Orchideen den vom Licht verkohlten Stamm
der Tropenbäume und der ödesten Felsenritzen. Die Vanillenform zeichnet
sich aus durch hellgrüne, saftige Blätter wie durch vielfarbige Blüten
von wunderbarem Baue. Die Orchideenblüten gleichen bald geflügelten
Insekten, bald den Vögeln, welche der Duft der Honiggefüße anlockt.
Das Leben eines Malers wäre nicht hinlänglich, um, auch nur einen
beschränkten Raum durchmusternd, die prachtvollen Orchideen abzubilden,
welche die tief ausgefurchten Gebirgstäler der peruanischen Andeskette
zieren. Blattlos, wie fast alle Kaktusarten, ist die Form der Kasua-
rinen, einer Pflanzengestalt, bloß der Südsee und Ostindien eigen:
Bäume mit schachtelhalmähnlichen Zweigen. Doch finden sich auch in
anderen Erdstrichen Spuren dieses mehr sonderbaren als schönen
Typus.
So wie in den Pisanggewächsen die höchste Ausdehnung, so ist in
den Kasuarinen und in den Nadelhölzern die höchste Zusammenziehung
der Blattgefäße. Tannen, Thuja und Zypressen bilden eine nordische
Form, welche in den Tropen seltener ist und in einigen Koniferen
(Damarra, Salisburia) ein breitblättriges Nadellaub zeigt. Ihr ewig
frisches Grün erheitert die öde Winterlandschaft. Es verkündet gleichsam
den Polarvölkern, daß, wenn Schnee und Eis den Boden bedecken, das
innere Leben der Pflanzen wie das Prometheische Feuer nie auf unserem
Planeten erlischt.
Parasitisch, wie bei uns Moose und Flechten, überziehen in der
Tropenwelt außer den Orchideen auch die Pothosgewächse^ den alternden
Stamm der Waldbäume; saftige, krautartige Stengel erheben große bald
pfeilförmige, bald gefingerte, bald längliche, aber stets dickadrige Blätter.
* Französ. Schriftsteller (1737 — 1814). — 2 Sträucher, deren untere Zweige
Wurzeln treiben; in Ostindien und SO.-Asien heimisch, z. T. als Rankgewächse.
Lampe, Erdkunde. Heft 4. v
114
II. <krdkundlich?s tejebuch.
Verwandte Formen sind: I^otiios, Oraeoutium, Lal^äinm, das
letzte bis zu den Küsten des Mittelmeeres fortschreitend, in Spanien und
Italien mit saftvollem Huflattich, mit hohen Distelstauden und Acanthus
die Üppigkeit des südlichen Pflanzenwuchses bezeichnend. Zu dieser Arum-
form gesellt sich die Form der tropischen Lianen, in den heißen Erd-
strichen von Südamerika in vorzüglichster Kraft der Vegetation. Unser
rankender Hopfen und unsere Weinreben erinnern an diese Pflanzengestalt
der Tropenwelt. Am Orinoco haben die blattlosen Zweige der Bauhinieu-
oft 40 Fuß Länge. Sie fallen teils senkrecht aus dem Gipfel hoher
Swietenien herab, teils sind sie schräg wie Masttaue ausgespannt, und
die Tigerkatze hat eine bewundernswürdige Geschicklichkeit, daran ans- und
abzuklettern. Mit den biegsamen, sich rankenden Lianen, mit ihrem
frischen und leichten Grün kontrastiert die selbständige Form der bläu-
lichen Aloegewächse: Stämme, wenn sie vorhanden sind, fast ungeteilt,
eng geringelt und schlangenartig gewunden. An dem Gipfel sind saft-
reiche, fleischige, langzugespitzte Blätter strahlenartig zusammeugehäust.
Die hochstämmigen Aloegewächse bilden nicht Gebüsche, wie andere gesell-
schaftlich lebende Pflanzen; sie stehen einzeln in dürren Ebenen und geben
dadurch der Tropengegend oft einen eigenen melancholischen (man möchte
fast sagen afrikanischen) Charakter.
Wie die Aloeform sich durch ernste Ruhe uud Festigkeit, so charak-
terisiert sich die Gras form, besonders die Physiognomie der bäum-
artigen Gräser, durch den Ausdruck fröhlicher Leichtigkeit uud beweglicher
Schlankheit. Bambusgebüsche bilden schattige Bogengänge in beiden Indien.
Der glatte, oft geneigt hinschwebende Stamm der Tropengräser übertrifft
die Höhe unserer Erlen und Eichen. Schon in Italien fängt im Arundo
Donax3 diese Form an, sich vom Boden zu erheben und durch Höhe
und Masse den Naturcharakter des Landes zu bestimmen. Mit der Gestalt
der Gräser ist auch die der Farren in den heißen Erdstrichen veredelt.
Baumartige, bis 40 Fuß hohe Farren haben ein palmenartiges Ansehen;
aber ihr Stamm ist minder schlank, kürzer, schuppig rauher als der der
Palmen. Das Laub ist zarter, locker gewebt, durchscheiuend und an den
Rändern sauber ausgezackt. Diese kolossalen Farrenkräuter sind fast aus-
schließlich den Tropen eigen; aber in diesen ziehen sie ein gemäßigtes
Klima dem ganz heißen vor. Da nun die Milderung der Hitze bloß
1 Dracontium, Caladium und Arum sind Gattungen der Araceen-Familie, sämtlich
Knollengewächse; Arum, der Aronsstab, ist mit den meisten Arten im Mittelmeergebiet
und tu. Asien heimisch, die andern in Mittel- und S.-Amerika. — ^ In Ostindien
und S.-Amerika verbreitete Schlingpflanzen. — 3 Spanisches Rohr.
Berichte von Cntdeckungs- und Forschungsreisen. Z. Alexander v. Humboldt.
115
eine Folge der Höhe ist, so darf man Gebirge, welche zwei- bis drei-
tausend Fuß über dem Meere erhaben sind, als den Hauptsitz dieser Form
nennen. Hochstämmige Farrenkräuter begleiten in Südamerika den wohl-
tätigen Baum, der die heilende Fieberrinde darbietet.^ Beide bezeichnen
die glückliche Region der Erde, in welcher die ewige Milde des Früh-
lings herrscht. Noch nenne ich die Form der Liliengewächse mit schilf-
artigen Blättern und prachtvollen Blüten, eine Form, deren Hauptvater-
land das südliche Afrika ist; ferner die Weidenform, in allen Weltteilen
einheimisch, und in den Hochebenen von Quito, nicht durch die Gestalt
der Blätter, sondern durch die der Verzweigung, in Schmus Molle2
wiederholt, Myrtengewächse und Lorbeerform.
Es wäre ein Unternehmen, eines großen Künstlers wert, den
Charakter aller dieser Pflanzengruppen, nicht in Treibhäusern oder in den
Beschreibungen der Botaniker, sondern in der großen Tropennatur selbst,
zu studieren. Wie interessant und lehrreich für den Landschaftsmaler
wäre ein Werk, welches dem Auge die aufgezählten sechzehn Hauptformen
erst einzeln und dann in ihrem Kontraste gegeneinander darstellte! Was
ist malerischer als baumartige Farren, die ihre zartgewebten Blätter über
die mejikanischen Lorbeereichen ausbreiten, was reizender als Pisang-
gebüsche, von hohen Guadua- und Bambusgräsern umschattet? Dem
Künstler ist es gegeben, die Gruppen zu zergliedern; und unter seiner
Hand löst sich (wenn ich den Ausdruck wagen darf) das große Zauber-
bild der Natur, gleich deu geschriebenen Werken der Menschen, in wenige
einfache Züge auf.
Am glühenden Sonnenstrahl des tropischen Himmels gedeihen die
herrlichsten Gestalten der Pflanzen. Wie im kalten Norden die Baum-
rinde mit dürren Flechten und Laubmoosen bedeckt ist, so beleben dort
Cymbidium und duftende Vanille den Stamm der Anakardien und der
riesenmäßigen Feigenbäume. Das frische Grün der Pothosblätter und
Drakontien kontrastiert mit den vielfarbigen Blüten der Orchideen. Ran-
kende Bauhinien, Passifloren und gelbblühende Banisterien^ umschlingen
den Stamm der Waldbäume. Bei dieser Fülle von Blüten und Blättern,
bei diesem üppigen Wüchse und der Verwirrung rankender Gewächse wird
es oft dem Naturforscher schwer, zu erkennen, welchem Stamme Blüten
1 Chinarinden-Baum. — 2 Peruanischer Pfefferbaum, ein Strauch mit gefie-
derten Blättern, weißen Blüten und roten Beeren, der von Mejiko bis Chile häufig ist. —
8 Passionsblumen sind Kräuter und Sträucher im tropischen Afrika und Amerika, hier
viel von den Kolibris besucht.
8*
116
II. Erdkundliches Lesebuch.
und Blätter zugehören. Ein einziger Baum bildet eine Gruppe von
Pflanzen, welche, voneinander getrennt, einen beträchtlichen Erdraum
bedecken würden. In den Tropen sind die Gewächse saftstrotzender, von
frischerem Grün, mit größeren und glänzenderen Blättern geziert als in
den nördlicheren Erdstrichen. Gesellschaftlich lebende Pflanzen, welche
die europäische Vegetation so einförmig machen, fehlen am Äquator bei-
nahe gänzlich. Bäume, fast zweimal so hoch als unsere Eichen, prangen
dort mit Blüten, welche groß und prachtvoll wie unsere Lilien sind.
An den schattigen Ufern des Magdalenenfluffes in Südamerika wächst
eine rankende Anstolochia, deren Blume von vier Fuß Umfang sich die
indischen Knaben in ihren Spielen über den Scheitel ziehen. Im süd-
indischen Archipel hat die Blüte der Rafflesia1 fast drei Fuß Durchmesser
und wiegt über vierzehn Pfund.
Die außerordentliche Höhe, zu welcher sich unter den Wendekreisen
nicht bloß einzelne Berge, sondern ganze Länder erheben, und die Kälte,
welche Folge dieser Höhe ist, gewähren dem Tropenbewohner einen selt-
samen Anblick. Außer den Palmen und Pisanggebüschen umgeben ihn
auch die Pflanzenformen, welche nur den nordischen Ländern anzugehören
scheinen. Zypressen, Tannen und Eichen, Berberisfträucher und Erlen
(nahe mit den unsrigen verwandt) bedecken die Gebirgsebenen im südlichen
Mejiko, wie die Andeskette unter dem Äquator. So hat die Natur dem
Menschen in der heißen Zone verliehen, ohne seine Heimat zu verlassen,
alle Pflanzengestalten der Erde zu sehen, wie das Himmelsgewölbe von
Pol zu Pol ihm keine seiner leuchtenden Welten verbirgt. Diesen und
so manchen anderen Naturgenuß entbehren die nordischen Völker. Viele
Gestirne und viele Pflanzenformen bleiben ihnen ewig unbekannt. Die
krankenden Gewächse, welche unsere Treibhäuser einschließen, gewähren
nur ein schwaches Bild von der Majestät der Tropenvegetation. Aber
in der Ausbildung unserer Sprache, in der glühenden Phantasie des
Dichters, in der darstellenden Kunst der Maler ist eine reiche Quelle des
Ersatzes eröffnet. Aus ihr schöpft unsere Einbildungskraft die lebendigen
Bilder einer exotischen Natur. Im kalten Norden, in der öden Heide
kann der einsame Mensch sich aneignen, was in den fernsten Erdstrichen
erforscht wird, und so in seinem Innern eine Welt sich schaffen, welche
das Werk seines Geistes ist, frei und unvergänglich wie dieser.
1 Die Riesenblume gehört zu den ^riswloc-dia-(Osterluzei-) Gewächsen, die in
der n. gemäßigten Zone, im Mittelmeergebiet und überall in den Tropen artenreich
auftreten.
Berichte von Cntdeckungs - und Forschungsreisen. 4. Heinrich Barth.
117
4. Heinrich Barths
Empfang in Kukana, Der Tschadsee.
Mittwoch den 2. April 1851 sollte ich endlich die Hauptstadt des
Fürsten erreichen, an den wir ausdrücklich gesandt waren2; ja eigentlich
bildete der Hof von Bornu das Ziel des ganzen Unternehmens. Und
wie nahte ich diesem Manne! Ohne Mittel, ohne Bevollmächtigung im
ärmlichsten Aufzuge!
Zu früher Stunde traten wir unseren letzten Tagemarsch an. Ich
hatte die Absicht, meinen Leuten vorauszueilen und wurde bald durch
einen Trupp Tugurtschi (einheimische Reisende) in diesem Entschluß
bestärkt. Sie erklärten mir nämlich auf das Bestimmteste, daß ich in keinem
der am Wege liegenden Dörfer einen genügenden Vorrat von Wasser
finden würde, um mein Pferd zu tränken; nur an dem nie versiegenden,
aber fernen Brunnen von Bescher würde dies möglich sein. Um nun mein
armes Tier in den heißen Tagesstunden nicht ohne einen erquickenden
Trunk zu lassen und um in der Residenz noch bei guter Zeit anzukommen,
eilte ich den Meinigen voraus. Dabei gab ich ihnen die strengste
Weisung, mit den Kamelen so schnell als möglich nachzufolgen.
Mittlerweile war der Charakter der Landschaft ein anderer geworden.
Der Sandboden, welcher die Gegend am Komadugu entlang bezeichnet
hatte, hörte auf, und Ton trat an deffen Stelle. Die Ebene war holz-
reich und wurde von Zeit zu Zeit von flachen, beckenartigen Einfenkungen
unterbrochen, die aus schwarzem, tonigem Moorboden bestanden. Diese
Einsenkungen bilden den charakteristischen Zug der ganzen Landschaft,
welche die Südwestecke der großen mittelafrikanischen Lache bis zu einer
Entfernung von mehr als fünfzehn deutschen Meilen von ihrem gegen-
wärtigen Ufer umgibt. Während der Regenzeit sammelt sich hier das in
der ganzen Umgegend fallende Wasser; da es eine Menge vegetabilischer
1 Reisen und Entdeckungen in Nord- und Central-Afrika in den Jahren 1849
bis 1855 von vr. Heinrich Barth. Im Auszuge bearbeitet. 2 Bände. Gotha 1859
Justus Perthes. (1. Band S. 336 ff.). — 2 Barth sagt darüber: „Im Sommer 1849
legte Herr James Richardson der englischen Regierung den Plan zu einer größeren
Expedition nach einigen der wichtigeren Königreiche von Mittelafrika vor, wobei er als
Hauptzwecke die Abschaffung des Sklavenhandels und die Anknüpfung von Handels-
Verbindungen vor Augen hatte." Barth und Dr. Lverweg sollten ihn als wissen-
schaftliche Beobachter begleiten. Sie trennten sich anfangs 1851 nach etwa einjähriger
Reise in Taghelel, etwa 21/2° n. von Kano. Richardson wollte geradeswegs nach Kuka
(Kukaua) ziehen, Barth und Sinder sollten ihn nach einigen Umwegen dort wieder an-
treffen: aber Richardson war noch auf dem Wege zur Hauptstadt von Bornu gestorben.
118
II. Erdkundliches Lesebuch.
und animalischer Stoffe mit sich führt, wird nach seinem allmählichen
Austrocknen der Boden reich befruchtet und vortrefflich geeignet zum Anbau
der Massakua (Holcus cernuus), einer Art Winterkorn, welche einen be-
trächtlichen Zweig des Landbaues in Bornu ausmacht. Übrigens hatte die
ganze Landschaft mit ihrem schwarzen Erdreich, nur von mittelgroßen, dünn-
belaubten Mimosen bekleidet, einen überaus düsteren, einförmigen Charakter,
der auf mich bei meinem einsamen Ritt einen tiefen Eindruck machte.
Ich erreichte Bescher gegen Mittag. Es ist dies nicht ein einzelner,
zusammengelegener Ort, sondern eine in zerstreuten Weiden sich aus-
breitende Dorfschaft, umgeben von üppigen Weilern und reichlich mit
Wasser versehen, weshalb denn auch ein großer Teil der Reiterei des
Scheichs hier einquartiert ist. Ich konnte den Brunnen nicht gleich
finden und mußte mir eine Erpressung von 40 Muscheln gefallen lassen,
die mir ein Mann dafür abforderte, mein Pferd zu tränken. Als ich
mich eben in dem Schatten eines Talhabaumes niedergelassen hatte, um
unterdessen ein wenig zu ruhen, kam die Frau des Mannes — diesmal
entschieden dessen bessere Hälfte —, schalt ihn, einen so ungerechten
Handel mit einem unerfahrenen Fremden gemacht zu haben, und brachte
mir bald darauf einige Erfrischungen zum Ersatz für das erpreßte Geld.
Unter dem Eindruck so freundlicher Teilnahme setzte ich meinen Weg
langsam fort und erreichte endlich mit meinem müden Gaul das Dorf
Kalilua, den letzten Ort vor Kukaua. Wer kann es mir verdenken, wenn
ich jetzt, als ich die Stadt vor mir sah, nur zögernd meinen Weg ver-
folgte? Auch die in der Hitze der Mittagssonne zitternd schimmernde,
hohe Lehmmauer trug dazu bei, mich zu verwirren; einen Augenblick
wußte ich uicht, ob es Kunst oder Natnr sei. Dann sprengte ich ent-
schlössen darauf zu, und hinein ging es durch das leidlich feste Tor. —
So ritt ich in meinem höchst einfachen Aufzug, auf schlechtem Gaul und
ohne Begleiter oder Geleitsmann, bei den neugierig Gaffenden meinen
Weg erfragend, den Dendal, d. i. die Königsstraße, entlang, die rechts
und links von den bescheidenen Wohnungen der Großen des Reichs
eingefaßt und im Osten von dem ansehnlicheren Palast des Scheichs ab-
geschlossen wird. Als ich nach dem Scheich fragte, staunten mich die
Sklaven mit offenem Munde an, und es dauerte lange, bis ich eine
Antwort bekam.
Ich hätte keinen günstigeren Augenblick für meine Ankunft wählen
können, sowohl um die Stadt im günstigsten Lichte zu sehen, als auch
für einen herzlichen, warmen Empfang. Der Vezier wollte eben zur
täglichen Nachmittagsaudienz zu dem Scheich reiten; sein schönes, statt-
Berichte von Sntdeckungs- und Forschungsreisen. 4. Heinrich Barth.
119
liches Kriegsroß stand gesattelt vor der Türe seines Palastes, und etwa
100 Reiter, Araber und Sklaven mit Flinten, freie Eingeborne mit
Speer und Lanze im buntesten Kleiderschmuck, standen bereit ihn zu be-
gleiten. Ich wartete kaum einen Augenblick, da trat Hadj Beschir
— so hieß der hohe Würdenträger — heraus, eine große, kräftige Gestalt
mit offenen, wohlwollenden und lebenslustig lächelnden Zügen, denen nur
die hellschwarze Farbe und die Narben der Einschnitte einen fremdartigen
Charakter gaben. Seine Kleidung war ein eigentümliches, aber höchst
passendes Gemisch einheimischer und arabischer Tracht, wie sie hierzu-
lande bei den Vornehmen üblich ist. Mit freundlichem Lächeln begrüßte
mich der Vezier, indem er bemerkte, daß er mich schon aus dem Briefe
kenne, den ich an seinen Agenten in Sinder gerichtet habe, und der ihm
zu Häuden gekommen sei. So ritt er davon mit seinem Troß.
Wohlgemut und voller Vertrauen folgte ich dem Führer, den er
mir mitgegeben, mich in das für mich bestimmte Quartier zu bringen.
Ich wußte nun, daß ich es mit einem biederen, offenen Manne zu tun
habe und schöpfte wieder Atem in meiner bedrängten Lage. Kaum hatte
ich mein Quartier in Besitz genommen, als sich die verschiedenen Mit-
glieder von Herrn Richardsons ehemaligem Dienstpersonal bei mir ein-
stellten und mehr oder weniger dringend den rückständigen Lohn verlangten.
Dieser betrug zusammen mehr als 300 spanische Taler; dazu kam aber
die viel größere Schuld an den Kaufmann Mohammed e' Ssfaksi. Ich
aber besaß nicht einen Taler, keine einzige Ware von Wert; überdies er-
wartete der Scheich sowohl als der Vezier ein hübsches Geschenk von
mir, und der Nachlaß Richardsons war zum Teil verschleudert, zum Teil
in fremden Händen. Um die Leute vor der Haud zu beruhigen, gab ich
ihnen mein Wort, daß ihre Forderungen vollständig bezahlt werden sollten,
nahm einen derselben in meine Dienste und sprach mein Bedauern dar-
über aus, daß ein Teil der ehemaligen Diener Herrn Richardsons am
Tage vor meiner Ankunft fortgegangen sei, ohne ihre Bezahlung erhalten
zu haben. Ich will hier gleich bemerken, daß es mir in der ersten
Woche meines Aufenthalts in Kukaua gelang, zur teilweise» Befriedigung
dieser Menschen 70000 Muscheln, freilich gegen schwere Zinsen, vom
Vezier geliehen zu erhalten.
Am andern Morgen ging ich, dem Vezier meine Auswartung zu
machen, und nahm einige Kleinigkeiten zum Geschenk für ihn mit.
Mittellos und ungewiß, ob die britische Regierung mich überhaupt
bevollmächtigen würde, unser Unternehmen weiter zu verfolgen, durfte ich
nicht daran denken, mir dasjenige Ansehen zu geben, welches mir als
120
II. Erdkundliches Lesebuch.
anerkanntem Haupt der Mission und als Vertreter Ihrer britischen
Majestät zugekommen wäre. Ich erklärte daher dem Vezier einfach nur,
daß ich hoffe, er werde nach dem Tode unseres Leiters auch aus meinem
Mund die Versicherungen der freundschaftlichen Gesinnung der britischen
Regierung gegen ihn. seinen Herrn und dessen Reich annehmen, obwohl
wir gegenwärtig, selbst zur Ausführung unserer wissenschaftlichen Zwecke,
ganz von ihrer Freundlichkeit abhängig wären. Dieselbe Zurückhaltung
beobachtete ich auch am andern Tag in der Audienz beim Scheich selbst.
Ich fand in dem Herrscher von Bornu, Omar, einen höchst einfachen,
wohlwollenden und selbst aufgeweckten Mann; er war damals 36 Jahre
alt. Seine Züge waren regelmäßig und angenehm, nur etwas zu ab-
gerundet, um den vollen Ausdruck männlicher Energie zu haben. Auf-
fallend aber war mir feine schwarze Hautfarbe; denn sie war von einem
so dunkeln und glänzenden Schwarz, wie man selten in Bornu gewahrt.
Es mochte dies wohl ein Erbstück seiner Mutter sein, einer Prinzessin
von Baghirmi. Die Kleidung des Scheichs war sehr einfach. Das
Audienzzimmer war eine hohe, luftige, wohlgeglüttete und geschmückte
Halle. Meine Geschenke waren sehr unbedeutend; das Wertvollste unter
ihnen war neben einer schönen, seidenen Kopfschnur und einer euro-
päischen Ledertasche eine kleine niedliche Ausgabe des Koran, die ich auf
meiner früheren Reise in Ägypten für einige dreißig Taler gekauft hatte.
Im ganzen hätte ich in der Tat keinen freundlicheren Empfang, weder
vom Scheich, noch von seinem Vezier, erwarten können. Spät abends ließ
mich der Vezier zu einer geheimen Unterredung einladen, in welcher ich
alle meine Wünsche erreichte. In dem vertraulichen und freundschaftlichen
Gespräch versprach mir Hadj Beschir außerdem Schutz und Beistand im
ausgedehntesten Maße« Bezaubert von feinem umgänglichen Wesen und
voll der besten Hoffnungen kehrte ich erst spät in meine Wohnung zurück.
Nachdem es mir in dieser Weise gelungen war, unserer Sendung
und mir selbst Achtung zu verschaffen, überließ ich mich meinen Studien
und Forschungen mit um so größerer Heiterkeit; auch fand ich genügsame
Gelegenheit zu denselben. Viele ausgezeichnete Persönlichkeiten von weit
entfernten Ländern hielten sich gerade zur Zeit in Kukaua auf, zum Teil
auf der Wallfahrt von oder nach Mekka begriffen, zum Teil durch den
Ruf von den gastfreundlichen und wohlwollenden Eigenschaften des
Veziers angelockt.
Das Gebiet der eigentlichen Stadt und ihrer Vorstädte war in der
Tat ebenso interessant, als die weitere Umgebung, namentlich in den
letzten Monaten vor der Regenzeit, über aller Maßen einförmig und
Berichte von Lntdeckungs- und Sorschnngsreiftn. 4. Heinrich Barth. 121
trostlos. Schon die Anlage der Residenz an und für sich trägt viel dazu
bei, dem Bilde, welches sie darbietet, Abwechselung zu verleihen. Sie
besteht aus zwei ganz getrennten Städten, deren jede mit einer Mauer
umgeben ist und eine eigene Bevölkerung beherbergt. Der Wohnplatz der
Reichen enthält ziemlich stattliche, sür sehr große Haushaltungen ein-
gerichtete Gebäude, während der andere Stadtteil mit Ausnahme einer
einzigen Hauptverkehrsstraße, des die Stadt von Ost nach West durch-
ziehenden Dendals, mehr aus engen Quartieren mit schmalen, krummen
Gäßchen besteht. Diese beiden Städte sind durch einen Platz getrennt,
der, etwa eine Viertelstunde breit, in der Mitte eine weite, offene Straße
bildet, zu beiden Seiten derselben aber dicht mit Wohnungen besetzt ist.
Die Anlage der Wohnstütten ist von aller Regelmäßigkeit weit entfernt,
so daß das Ganze ein Bild der interessantesten Verworrenheit bietet.
Rings um beide Städte dagegen reihen sich kleine Dörfer oder Gruppen
von Hütten und große, einzeln stehende Meiereien.
Der bedeutende Unterschied, der in der ganzen Physiognomie der
beiden Städte Kano und Kukaua herrscht, muß zum großen Teil auf die
Verschiedenheit im Charakter des Bornu-^ und des Haufsa-Volkes zurück-
geführt werden. Recht lebendig tritt die Verschiedenheit der beiden Völker-
schaften bei dem weiblichen Geschlecht hervor. Die Bornu-Frauen sind
im allgemeinen viel häßlicher, breite, kurze Figuren mit großen Köpfen,
breiten Nasen mit weit offenstehenden Nasenlöchern, durch eine rote Perle
im Nasenflügel nur noch mehr verunstaltet. Dessenungeachtet sind sie ganz
so gefallsüchtig, legen aber ihre Eitelkeit in einer rohen, weit Ungeschick-
teren Weise an den Tag als die Hanssa-Frauen. Nie habe ich ein Haussa-
Weib in der Weise vieler Bornuerinnen auf der Straße einherstolzieren
sehen, den Rock — um mich dieses Ausdruckes zu bedienen — lang am
Boden hinschleppend, mit den ausgebreiteten Armen die Zipfel eines über
die Schultern gezogenen Stückes gedruckten Manchester-Kalikos in seiner
ganzen Farbenpracht vor sich haltend. Das Beste an der Kleidung oder
dem Schmuck der Bornu-Frauen ist der Silberschmuck, welchen sie auf
dem Hinterkopfe tragen und der einer hohen Figur sehr gut steht.
Der belebteste Teil der beiden Städte ist der große Verkehrsweg,
welcher sie von West nach Ost durchschneidet und gerade auf die Wohnung
des Scheichs in der Oststadt zu führt, die Königsstraße. Eine ähnliche
Straße gibt es, mehr oder weniger großartig, in jeder Landstadt. Den
1 Das Volk von Bornu ist eine Mischrasse aus Sudannegern, Saharavölkern
<Tibbu), Arabern.
122
II. Erdkundliches Lesebuch.
„Dendal" entlang drängt sich den ganzen Bormittag und Nachmittag über
eine große Menge von Reitern und Fußgängern, Freie und Sklaven, Fremde
und Eingeborne, jeder in seinem besten Anzüge, um dem Scheich oder
dem Vezier einen Besuch abzustatten, oder einen Auftrag auszuführen,
um Gerechtigkeit oder Beschäftigung zu erlangen, oder um ein Geschenk
zu bekommen. Auch ich bin oft diesen vielbetretenen Weg gegangen,
diese Hauptgasse des Ehrgeizes hierzulande. Gewöhnlich aber machte
ich mich zu ungewohnter Stunde auf, früh am Morgen, während der
glühenden Mittagshitze oder am Abend; denn zu solchen Stunden
durfte ich am ehesten erwarten, den Vezier oder auch den Scheich allein
Zu treffen.
Was den Marktverkehr von Kukaua anbetrifft, so werden täglich kleine
Märkte, „Durria", am Nachmittag an verschiedenen Stellen abgehalten
und ein wöchentlicher Hauptmarkt, „kasuku", an einem jeden Montag.
Auf der Durria findet man so ziemlich dieselben Waren wie auf dem
Kasuku, nur nicht in derselben Menge und zu so billigen Preisen. Auf dem
bedeutendsten der kleinen Nachmittagsmärkte sah ich sogar Kamele, Pferde,
Ochsen in beträchtlicher Anzahl feilgeboten. Ist der Marktverkehr schon
wegen der mangelnden Ordnung beschwerlich, so wird er es noch viel
mehr durch das Fehlen eines fest bestimmten Tauschmittels.
Scheich Omar wollte einen' oder zwei Tage in Ngornu, dem
Lieblingsaufenthalt feines Vaters, mit dem ganzem Hofe zubringen und
ging am 23. April dahin ab. Vom Vezier eingeladen, ebenfalls dorthin
zu kommen, folgte ich am andern Tage nach. Der Weg nach Ngornu
zeigte dieselbe trostlose Einförmigkeit, welche die ganze Umgebung
Kukauas charakterisiert. Anfangs war nichts zu sehen, als die melan-
cholische Asclepias, und das ganze Land erschien als eine ungeheure
Asphodeloswiefe^; dann nahm das niedere Gestrüpp überhand, bis
allmählich einige Bäume die Landschaft belebten und zuletzt eine niedere
Waldung bildeten, die, fast ausschließlich aus Mimosen bestehend, nicht
minder einförmig war. Dabei führte der Pfad durch tiefen Sandboden;
nur in einiger Entfernung zeigten sich kleinere und größere Weiler.
Zur Regenzeit breiten sich hier ansehnliche Lachen oder Teiche aus;
zur Zeit aber war alles trocken und ausgedörrt. Anderthalb Stunden
vor Ngornu hörte der Baumwuchs wieder auf, und es folgte nun eine
ungeheure, fruchtbare Ebene, zur Zeit aber ebenfalls wieder mit der
1 Asphodelos ist eine Gattung der Liliaceen-Familie. In Homers Odyssee
ist die Asphodeloswiese ein Aufenthalt der abgeschiedenen Seelen.
Berichte von Lntdeckungs- und Lorschungsreisen. 4. Heinrich Barch. 123
unvermeidlichen Asclepias überwuchert. Als ich etwa um 1 Uhr nach-
mittags nach Ngornu kam, lag alles im tiefsten Schlaf; Scheich Omar
war während der Nacht gereist, und seine Höflinge suchten sich nun
durch eine desto längere Siesta zu entschädigen. Ngornu ist ein hübscher
und sehr umfangreicher Ort, damals volkreicher als die Hauptstadt, mit
dem Anschein der Wohlhabenheit; zur Zeit aber war es so überfüllt mit
Menschen und Pferden, daß ich am andern Morgen froh war, als ich
wieder im Sattel saß, um dem großen binnen-afrikanischen See, dem
Hauptziele unserer Unternehmung, den ich in geringer Entfernung wähnte
zuzueilen. Rasch ging es über eine endlose, grasige Ebene, auf welcher
das Auge vergeblich einen Ruhepunkt suchte. Endlich erreichten wir
einen seichten Sumpf, der, bald sich ausdehnend, bald zurückweichend, sehr
unregelmäßige Umrisse zeigte, so daß unser Vordringen sehr erschwert
wurde. Vergeblich bemühten wir uns eine lange Zeit, aus dem Bereiche
des Sumpfs herauszukommen, und ich strengte meine Augen ebenso ver-
geblich an, in der Ferne einen Blick auf offenes Wasser zu erhalten.
Welch' verschiedenartigen Anblick gewährte die Landschaft, die wir
jetzt durchritten, im Winter von 1854 auf 1855! Während wir bei
unserem heutigen Ausflug — zu einer Zeit, wann die Wassermasse des
Sees noch wenigstens drei Monate lang bei der ungeheuren Verdunstung
ohne namhaften Zufluß bleiben mußte — nur Spuren des feuchten
Elementes gefunden hatten, war in jenem Winter die Stadt Ngornu
mehr als zur Hälfte vom Wasser verschlungen; ein tiefer, meilenweit
offener See hatte sich im Süden derselben gebildet, und unter ihm lagen
die fruchtbaren Gesilde weithin begraben. Diese große Umgestaltung des
Terrains scheint die Folge davon gewesen zu sein, daß die aus Muschel-
kalk bestehenden untern Schichten des Bodens im vorhergehenden Jahre
nachgegeben hatten, und so das Seeufer aus dieser Seite bis an zwanzig
Fuß gesunken war. Aber auch ohne solche besonderen Ereignisse besteht
eben die Eigentümlichkeit des Tschad darin, daß er bei dem wechselnden
Zufluß und der ungeheuren Verdunstung seine Ufer jeden Monat
ändert und daher nicht mit dauernder Genauigkeit im allgemeinen
kartographisch dargestellt werden kann. So gewann ich schon an diesem
Tage die Überzeuguug, daß es uns höchstens möglich sein würde, die
Ufer des Sees in allgemeinen Umrissen niederzulegen und etwa die
Grenzen des höchsten und des niedrigsten Wasserstandes für diejenigen
Uferstrecken anzugeben, die zu untersuchen uns vergönnt sein würde.
Mißmutig betrat ich die Stadt wieder und klagte bei dem Vezier
über den erfolglosen Ritt. Er versprach mir nun einige Reiter mitzugeben,
124
II. Erdkundliches Lesebuch.
die mich am Ufer des Sees bis nach Kaua bringen sollten, von wo ich
dann nach Kukana zurückkehren könnte. So brach ich dann am andern
Morgen in Begleitung zweier Reiter abermals auf. Meine Führer
schlugen sogleich einen nordöstlichen Kurs ein, und ich hörte nun, daß
das offene Wasser in der von mir am vorigen Tage verfolgten genau
östlichen Richtung gerade am weitesten von Ngornu entfernt fei. Nach
einem Ritt von einer halben deutschen Meile über eine bäum- und leblose
Grasfläche betraten wir sumpfigen Boden, und bald stieg uns das Wasser
bis an die Kniee im Sattel. So erreichten wir den Rand eines offenen
Seebeckens, umgeben von Papyrusstauden und hohem Schilfrohr. Ich
konnte mich nun überzeugen, daß der Tschad zum Teil wenigstens offenes
Wasser besitze, woran ich schon zu zweifeln angefangen hatte. Ich konnte
vom Sattel herab das Wasser mit dem Munde erreichen und hatte so
Gelegenheit, mich zu überzeugen, daß es vollkommen süß, und daß es eine
auf Vorurteil beruhende Annahme sei, wenn man in Europa behauptet,
das Wasser des Tschad müsse salzig sein, da er keinen Ausfluß habe.
Allerdings gibt es viele Ortlichkeiten rings um den See her, deren
Boden von Natron durchsetzt ist, welches sich den unbedeutenden, nach
Überschwemmungen zurückbleibenden Ansammlungen von Wasser aus dem
See mitteilt. Aber auch dies ist nur der Fall, wenn diese Becken eine
geringe Tiefe haben; sind sie voll, so ist der Natrongehalt nicht bedeutend
genug, und das Wasser bleibt süß. Diese meine Angabe ist vollkommen
bestätigt worden durch die folgenreichen Beobachtungen, die Herr Prof.
Ehrenberg an der von Dr. Vogel eingesandten Probe von Tschadschlamm
angestellt hat, und die ergaben, daß dieser Schlamm voll von Pflanzen-
resten sei, daß also der darauf sich ausbreitende See unzweifelhaft ein
Süßwafsersee sein müsse. Aus allen Nachrichten, die ich sammeln konnte,
muß man den Schluß ziehen, daß das tiefe, offene Wasser des Tschad als
eine Art Sackerweiterung des Flusses von der Mündung des Schari sich
nach dem westlichen Ufer hinüberziehe und der übrige größere Teil des
Sees aus überschwemmtem Wiesenland bestehe.
5. Ferdinand v. Richthofen.^
Reise in Schantung.
i. April. Als ich heute von einer Anhöhe herab die Gegend betrachtete,
(1869) Raubte ich mich in das Great Basin 2 versetzt. Die Art der Beleuchtung,
1 Ferdinand v. Richthofens Tagebücher aus China. Ausgewählt und heraus-
gegeben von E. Tiessen. 2 Bände. Berlin 1907. Dietrich Reimer (Ernst Vohsen).
[1. Band S. 167ff.] — 2 Der w. Teil der Wüste zwischen den s. Coloradohochflächen
Berichte von Cntdeckungs- und Sorschung-reisen. S. Ferdinand v. Richthofen.
125
die Kahlheit der Berge, die Formen und Farben der Gesteine, welche
dadurch deutlich werden, die Art der Lagerungsverhältnisse, welche sich
noch aus weiter Entfernung klar erkennen lassen, die breite, eintönige
Berebenung im Osten mit sanfter Böschung von den Flanken abwärts,
die breiten, sandigen, wasserlosen Flußbecken — alles dies ist charak-
teristisch für das Great Basin. Nur die zerstreuten Dörfer zeigen, daß
hier ein anderes Volk wohnt als die wandernden Indianer. Auch ließ
sich selbst von der Höhe erkennen, daß der Talboden größtenteils aus
festem Gestein besteht, nicht aus sandigen Anschwemmungen wie im Great
Basin, und zu einer andern Jahreszeit würde das Grün der Talvege-
tation einen wohltätigen Unterschied bilden, während die kahle Farbe,
welche die Landschaft jetzt hat, die erwähnte Ähnlichkeit noch vermehrt.
Im Vernichten der Vegetation zeichnen sich die Chinesen in
trauriger Weise aus. Die Vorfahren der jetzigen Generation haben die
Wälder ausgerottet; dann wurden auch die letzten Reste der Sträucher
vertilgt. Oft habe ich die Leute auf kahlen Bergflächen sorgsam die
Wurzelstöcke der Strüucher aufsuchen und aushacken sehen, um sie als
Brennmaterial zu verwenden. In Schantung aber, bei Tschisu wie hier
im W, ist auch dieses Stadium vorüber; denn es gibt längst keine
Strüucher mehr. Man ist daher zur Ausrottung der Gras- und Kraut-
Vegetation herabgestiegen. An Berggehängen wie an Feldrainen sieht
man oft Scharen von Leuten emsig beschäftigt, mit eigens zu diesem
Zweck verfertigten Instrumenten erst das trockene Gras abzumähen und
dann die Wurzeln auszuhacken. Ganze Flüchen werden in einem Tage
vollständig verödet. Die Praxis muß alt sein, dafür spricht die Anwen-
dung derselben Werkzeuge im Osten und Westen; diese Werkzeuge aber
werden zum Teil im südlichen China verfertigt. Es ist gewiß ein gutes
Zeichen für Klima und Boden, daß die Berge noch immer mit einer
dünnen Vegetation bedeckt bleiben. Dies ist der einzige Nutzen, den die
Bevölkerung von ihren Bergen zieht. Ich fragte, warum man nicht Schaf-
Herden auf den Bergen weiden lasse und mit dem Erlös Kohlen ein-
führe. Man antwortete, niemand habe so viel Geld, um Schafe zu kaufen.
Es fehlt dem Volke durchaus an jedem Trieb nach neuen Unterneh-
mungen und Verbesserungen. Sie bewegen sich in den vor Urzeiten von
den Ahnen vorgezeichneten Wegen und weichen nicht einen Zoll breit davon
in Arizona und der kalifornischen Küstenkordillere n. von los Angeles, v. Richthofen
hatte diese Gebiete Kaliforniens bereift, ehe er zu seinen Forschungswanderungen durch
China (1868 —1872) nach Asien zurückkehrte.
126
II. Erdkundliches Lesebuch.
ab. Jeder sorgt nur für seinen Lebensunterhalt. Ehrgeiz und Wetteifer.
Vorwärtsbewegung existieren nicht. Da es aber keinen Stillstand gibt,
so schreitet das Volk auf denselben Bahnen stetig zurück, auf denen seine
Vorfahren fortgeschritten sind.
2. April. Die alte Fahrstraße geht in nw. Richtung fort. Es ist eine der
alten Kaiserstraßen, welche von Peking aus nach verschiedenen Teilen des
Reiches angelegt waren. Früher, als noch die Kaiser selbst zu reisen
pflegten, waren in bestimmten, sehr kurzen Entfernungen Stationen für
Pferdewechsel und Unterkunft; Flüsse und kleine Wasserrisse waren über-
brückt und die Straßen in guter Ordnung. Jetzt sieht man die Ruinen
der zum Teil wahrhaft großartigen Brückenbauten, und die Stationen
sind verschwunden; man erblickt nur noch in kurzen Abständen massive,
kubische Bauten von etwa 4 Metern im Geviert mit einer steinernen
Galerie und einem Wachthaus auf der oberen Fläche. Sie sind mit
großen Kalksteinquadern verkleidet und, wiewohl meist in Ruinen, doch
nicht ganz vernichtet. Sie dienten dazu, bei der Ankunft des Kaisers
Kanonen abzuschießen. Sechs Kaiscrreisen sollen auf dieser Straße ge-
macht worden sein.
Heute war das Fahren eine Tortur. Es ging meist über Karren-
felber1 von Kalkstein, das Fuhrwerk blieb in ewigem Stürzen und Stoßen.
Wären die Wagen nicht so massiv gebaut, so könnten sie das nicht eine
halbe Stunde aushalten; und doch geschieht fast alle Beförderung von
Fracht auf Schiebkarren. Die Leute ächzen und schwitzen unter der
schweren Arbeit. Die Last ist 299 — 399 Pfund und die Reibung be-
trächtlich. Dazu noch das ncm plus ultra von holprigen Straßen. Es
braucht hier meist zwei Mann zu einem Karren, und ist der Wind günstig,
wie heute, so wird ein Segel aufgespannt. Mich dauern oft die armen
Leute, die so schwere Arbeit für wenig Lohn tun müssen. Allein, sie
kennen nichts Besseres und scheinen ganz glücklich dabei zu sein. — Die
Oberfläche ist hügelig, die Hügel sind gerundet uud steigen bis 199 m
über die Flußbetten an. Bis Sintai bestehen sie ans Konglomerat und
sind öde; hinter diesem Ort beginnt Ton und mit ihm eine schöne Land-
schaft, das fruchtbarste, reichste Gebiet, das ich bis jetzt in Schantung
gesehen habe.
5. Aprii. Das Tal von Tai-ngan-su ist sehr fruchtbar und zählt viele große
Ortschaften, die das Gepräge des Wohlstandes tragen. Die Stadt liegt
1 Karren sind mehrere Meter tiefe Rinnen, manchmal geradezu Schluchten,
welche namentlich durch den schmelzenden Schnee in Kalksteinflächen eingefressen sind.
Besonders häufig sind sie nahe der Schneegrenze in den n. Kalkalpen.
127
unter einem hohen Berg, dem Tai-schan; aber ich konnte nur seine
schwachen Umrisse sehen, denn es trat nachmittags ein eigentümliches
Wetter ein. Ein dünner Wolkenschleier bezog den Himmel. Die Hitze
ivar bei leichtem SM.-Wind ebenso groß wie an den vorausgegangenen
Tagen. Um 1/23 stellte sich mit einigen Wirbeln ein Nordwind ein.
der um 4 Uhr zum Orkan und Sandsturm wurde. Die Lust war dick
von Staub und Sand, und Wagen und Passagiere waren mit einer
Lage davon bedeckt, als wir Tai-ngan erreichten.
Die imposante Masse des Tai-schan mit seinem Hauptgipfel zeigte 6. April,
heute ihre schrossen Formen in völliger Klarheit. Sie erhebt sich unver-
mittelt aus der Ebene von Tai-ngan. von welcher sie südlich begrenzt
wird, und ist eines der kristallinischen Gebirge, die den Charakter der
Gipfelmasse eines versenkten Hochgebirges an sich tragen. Sein Gipfel
ragt ungefähr 1300 in über die Ebene von Tai-ngan auf. und diese hat
wahrscheinlich eine Meereshöhe von nahe an 200 m. Das Gebirge ist
ganz kahl und felsig und von Schluchten durchrissen, die durch verzweigte
Jöcher getrennt werden. Der Fuß ist ein flacher Schuttkegel.
Betteln ist hier ein Gewerbe. Wovon sollten auch sonst diese armen
Leute leben? Alte Frauen uud Kinder haben ihre bestimmten Plätze, an
denen sie sich durch kleine Steinwälle vor Wind schützen und auf die
Reisenden lauern. Das Betteln beginnt mit dem Auftreten des unfrucht-
baren Steingerölls und hört mit feiner Verbreitung auf. wie es auch
bisher auf meiner Reife auf die öden Strecken des Landes beschränkt war.
ein Zeichen, daß es nur aus Not geschieht, nicht aus Faulheit wie in Italien.
Die Erinnerung an die Fahrt über dieses Steingeröll läßt einen
Schauder zurück. Schon auf dem Schuttkegel bei Tai-ngan war die
Straße sehr schlecht. Hier aber hört die Beschreibung auf; denn man
würde ihr nicht glauben, da man das Fahren über so große Blöcke nicht
für möglich halten würde. Eigentliche Schotterung kennen die Chinesen
nicht, sonst hätten sie längst auf dieser frequentierten Paffage eine gute
Straße. An der schlimmsten Stelle wußten sie kein anderes Mittel, als
lange Granitgneis-Säulen quer über die Straße dicht aneinander zu legen.
Man fährt darauf wie auf einem steinernen Knüppeldamm und freut sich
in der Tat, wieder in die unregelmäßige Bewegung des Balancierens
über runde Blöcke zurückzukehren. Eigentümlich sind schiefe Ebenen an
solchen Stellen, wo ein schneller Niveauwechsel eine künstliche Anlage
notwendig macht. Sie sind ebenfalls aus Gneisquadern konstruiert, die
durch die lauge Abnutzung poliert sind. Die Esel setzen sich auf die
Hinterfüße, und Esel und Wagen gleiten hinab wie auf einer Eisfläche.
128
II. Erdkundliches Lesebuch.
Der Fuhrmann hält die Deichsel und gebraucht alle seine Kräfte zum
Hemmen und Lenken. Solche Flächen sind bis 15 m lang.
Ich suchte an dem Schutte vergeblich nach Gletscherspuren: auch
am härtesten Gestein waren keine Kritzen bemerkbar. Die Wasser in dem
Talweg fließen anfangs südlich, dann erreicht die Straße eine Wasser-
scheide, ungefähr 40 m über Tai-ngan, und nun bleibt das Gefälle
nördlich. Schon ehe man den Gneisboden verläßt, erweitert sich das
Tal, der Boden wird fruchtbarer, die Ortschaften sind größer und zahl-
reicher, das Betteln ist zu Ende. Das Tal wendet sich nach Norden.
Links besteht das Gebirge sortdauernd aus kristallinen, rechts aus
Sediment-Formationen; die Grenze ist ganz scharf. Der landschaftliche
Charakter ist dadurch außerordentlich pittoresk, und wäre ich Aquarellmaler,
so würden sich mir hier Gegenstände zu schönen Darstellungen bieten,
nan-fil In Tsi-nan-fu angelangt, bekam ich ein leidlich gutes Quartier mit
April, einem besonderen Hofraum, der neugieriges Volk abhält. Die Wohnung
ist mitten in der Stadt an einer belebten Straße. Merkwürdig ist die
geringe Breite der Straßen, in Anbetracht daß Tsi-nan-fu das Zentrum
eines bedeutenden Handels und Verkehrs ist, der auf Karren, Packtieren,
Schiebkarren und Scheiisis* geschieht. Schon gestern bei unserer Einfahrt
mußten wir mehrmals lange anhalten, um den vor uns aufgestauten
Strom ablaufen zu lassen. Zwei Strömungen von Fahrzeugen neben-
einander sind unmöglich, daher müssen die nach einer Richtung ziehenden
an bestimmten Stellen anhalten, um den Gegenzug passieren zu lassen.
Da alle Bewegungen in langsamem Tempo vor sich gehen, so erscheinen
die Straßen sehr lebhaft. Kaufläden mit den verschiedensten Waren, die
zur Schau gestellt sind, und langen Aushängeschildern drängen sich zu
beiden Seiten und wechseln mit Restaurants, Garküchen, Teehäusern,
Werkstätten usw. Die Straßen sind mit großen Steinen gepflastert, die
Häuser sind niedrig, der Anblick einförmig wie in den meisten chinesischen
Städten. Wie Peking ist auch diese Stadt reich an großen Bäumen, die
beim Überblick einer größeren Strecke wohltätig ins Auge fallen. Die
innere Stadt ist durch eine zweite Mauer von den Borstädten geschieden.
Nachdem ich durch längere Zeit fast nur die Physiognomie der Land-
bevölkerung gesehen hatte, fiel es mir hier auf. eine große Anzahl echt
südchinesischer Gesichter zu sehen. Der Kaufmannsstand vornehmlich ist
ein anderer Menschenschlag als der Tagearbeiter und Landbewohner.
Diese haben etwas, was wir als mongolisch oder tartarisch bezeichnen
1 Tragstühle.
Berichte von Entdeckung? - und Sorschungsreisen. S. Serdinand v. Richthofen.
129
würden: Einen männlicheren, markigeren Gesichtsschnitt, mit weniger schiefen
Angen und häufig mit Kinn- und Schnurrbärten. Bei den Kaufleuten
findet sich die weichliche chinesische Physiognomie mit glatten Gesichtern,
herabhängenden Augenlidern und Neigung zu einem aufgedunsenen Aussehen.
Hier ist eine Franziskaner-Mission nahe meiner Wohnung. Schon
früh erkundigten sich die Herren nach den angekommenen Fremden, wo-
rauf ich ihnen meine Karte schickte und sie ihren Besuch machten. Der
Bischof erschien in seinem chinesischen Ornat mit Kette und Kreuz, was
ihm ein gutes Ansehen gab. Er ist ein alter Italiener, mit weißem
Kinnbart, seit 20 Jahren in China, in höflichen Manieren und in der
Lebhaftigkeit noch ganz Italiener, in äußeren Formen ganz Chinese
geworden. Er kam in einer Sänfte, schickte eine chinesische Karte, auch
waren Begrüßung und Abschied ganz chinesisch. Ich machte nachmittags
meinen Gegenbesuch. Vor drei Jahren bauten sie eine kleine, aber recht
hübsche, freundliche Kirche aus Kalksteinquadern mit Glockenturm. Einer der
jüngeren Patres schmückte die Decke mit Freskogemälden, seinem Erstlings-
werk in der Malerei, und der Bischof beschäftigte sich damit, selbst die
Orgel zu bauen. Es ist ein eigener Kontrast zwischen diesem stattlichen,
ganz europäischen Gebäude und den einfachen, vollkommen chinesischen
Wohnungen der drei Missionare. Sie haben weder Bücher noch Karten
und besitzen von Lage und Geographie Chinas kaum oberflächliche
Begriffe. Zeitungen kennen sie nicht und haben von dem Gang der Welt
nur eine schwache Idee. Der Bischof war während seiner zwanzigjährigen
Residenz nur zweimal abwesend, einmal in Peking und einmal in Tschifu.
Mit der Lebensweise sind auch die Bedürfnisse chinesisch geworden. Bei
dem alten Herrn fand ich meine frühere Beobachtung bestätigt, daß sich
nämlich bei denen, die lange unter Chinesen als ihresgleichen gelebt
haben, die Gesichtszüge chinesisch gestalten. Bei oberflächlichem Anblick
würde man den Bischof für einen Chinesen der besseren Klassen halten.
Man muß auf einer Seite die Einfachheit und Selbstaufopferung solcher
Missionare bewundern, kann aber ans der andern nur bedauern, daß sie
geistig nicht höher stehen und nicht fortschreiten. Sie stehen in dieser
Beziehung weit hinter den intelligenteren unter den protestantischen
Missionaren zurück und noch viel weiter hinter den Jesuiten, die, als
Körperschaft, an Intelligenz und Bildung alle andern Missionare überragen.
Um so unangenehmer fällt es auf, wenn man hier bei den Franziskanern
noch immer jene Eifersucht auf die Jesuiten wahrnimmt, die früher so ver-
hängnisvoll in der Missionsgeschichte von China gewesen ist. Ich brauchte
nur die Jesuitenmissionen zu erwähnen, so gab sich Eifersucht kund.
Lampe, Erdkunde. Heft 4. a
130 II. Erdkundliches tesebuch.
9. April. Heute früh machte ich einen Ausflug uach dem Hwanghö, der in
seinem neuen Bett 6 km von Tfi-nan-fu fließt. Das Dorf Lo-kou,
wo ich ihn erreichte, ist der Schiffahrtsplatz für diese Stadt und besteht
wesentlich aus großen, soliden Häusern reicher Kaufleute und Spediteure.
Der Ort hat dadurch einen substantiellen Charakter, und Tsi-nan-fu er-
scheint ihm gegenüber als ein großer Kleinhandelsplatz. Der Hwanghö
ist hier ein nngefähr 250 m breiter Strom mit gelbem, sedimentreichem
Wasser. Die Strömung beträgt etwa 21f2 Knoten.^ Die Ufer stehen
rund 7 in über dem jetzigen Wasserniveau; bei Hochwasser soll der Fluß das
ganze Bett erfüllen und zuweilen seine Ufer überschreiten. Die größte
Überschwemmung war vor mehr als zehn Jahren, eine kleinere vor drei
Jahren. Ich sah ein ganz neu erbantes Dorf auf erhöhten! Grund,
3 lmi vom Fluß abliegend, und hörte, daß die Bewohner sich aus dem über-
schwemmten Grund dorthin geflüchtet hatten. Es lagen hier viele Fluß-
schiffe, keine einzige Dschunke. Diese Flußschiffe fahren angeblich noch
500 Ii2 weiter stromabwärts bis Tie-mönn-kwan, wo die Waren auf Seeschiffe
umgeladen werden. Die Lente sagten, der Strom bei Lo-kön sei tief und
behalte die gleiche Tiefe bis Tie-mönn-kwann, was freilich mit den Schiff-
fahrtsverhältnissen nicht stimmt. Der Hwangho steht mit dem Großen
Kanal nach N. und S. in Verbindung, und die Schiffahrt auf diesem
soll bis Tientsin offen sein.
Die Ebene bei Tsi-nan-fn ist sehr fruchtbar. Sie besteht aus fein-
geschichtetein Alluvium von trocknem und lockerem, glimmerigem Lehm.
Sie ist ein wahrer Garten: die Saaten stehen üppig, Gemüse und Obstbau
blühen, soweit man davon in China sprechen kann.
Sehr merkwürdig war ein scheinbar vertrocknetes Wasserbett von
120 m Breite. Der Fußsteig führte am Rande hin, und es war ver-
lockend, aus dem Stanb ans den scheinbar harten Grund zu gehen. Der
Führer warnte uns, ihn zu betreten, da wir darin versinken würden. Es
klang absurd; aber er hatte es kaum gesagt, so sah ich schon Splingaert 3
neben mir einsinken und mußte ihn herausreißen.
1 Die an der Loggleine befestigten Erkennungsmarken, mit deren Hilfe man
beim Ablauf der Leine die Schnelligkeit des Schiffes feststellt. 2l/a Knoten würden
nahezu 5 km in der Stunde sein; etwas rascher geht der Rhein bei niedrigem Mittel-
wasser an Kehl bei Straßburg vorüber. — 2 10 Ii — 1 Stunde Weges, d.h. ans
schwierigem Gelände eine kürzere Strecke als auf leichtem, im Durchschnitt etwa 11i —1/2 km.
— 3 Ein junger belgischer Vlaeme, der bereits einige Jahre in der Mongolei und
in China weilte und geläufig chinesisch sprach. Seit der Schantungreise, bei der er
zum ersten Male v. Richthofen begleitet, blieb er bei ihm. Später heiratete er eine
Chinesin, trat in den Staatsdienst und brachte es zu einflußreichen Stellungen.
Berichte von Lntdeckungs- und Forschungsreisen, s. Serdinand V. Richthofen.
Ich machte eineil Abstecher nach den Kohlenfeldern von Putsüen. Die 12. April.
Franziskaner von Tsi-nan-fu haben dort einen Schacht. Der größte Betrieb
ist gegenwärtig 3 H westlich. Ein Versnch, die dortigen Verhältnisse zn
untersuchen, schlug vollständig fehl. Schon mehrfach habe ich die Er-
fahrung gemacht, daß Fremde dort am schlimmsten daran sind, wo viele
Arbeiter zusammen sind. Hier trafen wir eine größere Zahl als an irgend
einem früher besuchten Orte. Kaum waren wir bei den Gruben erschienen,
so umringten uns in dichtem Knäuel weit über tausend Arbeiter. Sie
streckten die Hälse, die hinteren drängten auf die vorderen, und diese lagen
in der Tat aus uns. Mit Mühe bewegten wir uns von der Stelle nach
einem Verwaltungshaus, wo wir Informationen erwarteten. Aber die
Menschenmenge drängte nach, und mehr und mehr wurden gewaltsam durch
die Tür in das Haus gepreßt, so daß wir Gefahr liefen, Gewalt brauchen
zu müssen, um nicht buchstäblich in dem kleinen Raum erdrückt zu werden.
Wir mußten das Haus wieder verlassen und bewegten uns als Zentrum
des Knäuels langsam von der Stelle. Es war wahrhaft schmerzvoll, am
Boden Pflanzenabdrücke liegen zu sehen und nicht einmal die Hand danach
ausstrecken zu können. Denn schon warnten uns zwei oder drei Ver-
nünftige, die sich uns als Freunde zugesellt hatten, daß Gefahr drohe,
und zogen uns an den Röcken fort, da jede Minute Verzögerung die bis
dahin unschnldige Aufregung zum lauten Toben und zu Gewalttätigkeiten
steigern konnte. Es blieb nichts übrig, als ihnen zu folgen, mit uns die
immer lauter werdende Menge. So kamen wir im benachbarten Dorf an,
wo unsere Freunde uns plötzlich in ein großes Portal zogen. Die Menge
drängte nach, aber nur wenige waren eingedrungen, als es mit Anstrengung
gelang, die festen Tore zu schließen und zu verriegeln. Draußen tobte die
Menge fort und versuchte, die Tore zu erbrechen, aber vergebens, und nach
und nach verzog sich der größere Teil. Wir befanden uns in der Residenz
eines reichen Grubeneigentümers, der uns sehr artig behandelte.
Bis Tschang-schan folgten wir heute der Straße nach Tschifu; von 13. April,
dort gingen wir südlich ab, um im Siau-fu-Tal aufwärts nach Po-schan
zu gehen. Die erste Strecke Weges ist interessant. Ostlich von Tschang-
schan-hsien erhebt sich mitten aus der Ebene ein großes verzweigtes Ge-
birge mit starren Gipfeln zu 600 m Höhe. Der höchste Gipfel wird hier
der Tschang-schan genannt. Die Berge find felsig und wild, mit schroffen
Graten und steinigen Abhängen, obwohl kühne Felsformen fehlen. Nach-
dem die Straße den Ostfuß des Tschang-schan verlassen hat, betritt sie eine
weite Verebenung, in der mehrere Kreisstädte gelegen sind. Schon diese
Anhäufung großer Städte und die Kleinheit der Verwaltungsdistrikte be-
9*
II. Erdkundliches Lesebuch.
weisen eine dichte Bevölkerung und große Produktion, und in der Tat
zeichnet sich das Tal in beiden Hinsichten aus. Die Zahl der Ortschaften
ist groß, und jedes, auch das kleinste Dorf, ist mit einer Umfassungsmauer
umgeben, wie dies überhaupt seit Tai-ngan-fn allgemein war. Diese
Mauern wurden meist nach der letzten Rebellion, aber erst seit zwei Jahren
erbaut. Sie geben den Ortschaften ein stattliches Aussehen, raubeu ihnen
aber den ländlichen, friedlichen Charakter. Sie sind aber auch klägliche
Monumente der Schwäche einer Regierung, welche selbst gegen solche
Rebellen nicht stand zu halten vermag, denen diese dünnen Mauern zu
stark wären. Es ist immer ein trauriges Zeichen, wenn Mauern den
stärksten Schutz gewähren! Die meisten Mauern sind aus Lehmziegeln
erbaut, mit stattlichen Toren und großen Türen, die in allen Städten des
Nachts verschlossen werden.
Die Produktionskraft des Bodens ist sehr bedeutend; er ist ungemein
fruchtbar und klein parzelliert. Die Saaten stehen üppig; Sommerfrucht
wird zum Teil erst jetzt gesät, Winterweizen bedeckt große Strecken. Man
sät ihn in Furchen von etwa 50 cm Abstand; dazwischen werden im
Juni Bohnen gesteckt. Es wird hier viel Baumwolle und Seide gewonnen,
in der Ebene die gewöhnliche Seide vom Maulbeerbaum, in den Bergen
vom Eichen-Seidenwurm. Auf deu Feldern von Tsi-nan-su an sind
Brunnen, und da es seit vier Wochen nicht geregnet hat, so werden die
Felder künstlich bewässert. Gegen abend sieht man allenthalben die Leute
an der Wiude stehen und das Wasser heben, das aus 2—6 m Tiefe kommt.
Das gibt den Feldern selbst bei der jetzigen Dürre ein frisches Aussehen.
Überhaupt ist das frische Grün der Landschaft sehr wohltuend. Die Vege-
tation schreitet mächtig vorwärts. Die Obstbäume stehen in Blüte, und
einzelne Ortschaften gewähren ein herrliches Gemisch der rötlichen Baum-
blüteu und der grünen Blätter. Dieses Tal ist überdies reicher an
Bäumen als alle vorher gesehenen. Die Straße ist oft mit Reihen von
15 in hohen Weiden eingefaßt. Dazu kommen nun noch die Maulbeer-
baumpflanzuugen. Und doch: um wieviel schöner könnte auch diese Land-
schaft sein,, wenn die Bekleidung der Berge nicht vertilgt worden wäre
und die Unsitte des Ausrottens der Graswurzelu nicht herrschte.
Eine auffallende Erscheinung in China überhaupt, besonders aber in
der Nähe eines reichen Handelsplatzes, ist das Fehlen von Landsitzen reicher
Leute. Innerhalb der Städte bauen sich reiche Leute ein nach ihren Be-
griffen stattliches Haus, aber ein Bedürfnis nach den Freuden des Land-
lebens scheinen sie nicht zu kennen. Marko Polo schwärmt noch von den
schönen Landsitzen bei Hang-tschou, aber auch dort existiert etwas Derartiges
Berichte von Cntdeckungs- und Forschungsreisen. 0. Sribtjof Nansen.
133
nicht mehr. Überhaupt ist etwas dem europäischen Landleben Ahnliches in
China nicht zu finden. Das kleinste Dorf ist städtisch: die Häuser stehen
eng zusammen und schließen die schmale Fahrstraße ein. Es gibt Kram-
lüden, Bäcker, Garküchen usw., kurz, jedes Dorf ist wie ein aus einer
Kleinstadt herausgeschnittenes Stück. Trotz des engen Znsammenwohnens
haben zahlreiche Schweinefamilien, Hühner und Hunde ohne Zahl bei
den Menschen Platz. Das intime Verhältnis, das zwischen den Chinesen und
diesen Haustieren besteht, gewährt ihnen auch in der kleinsten Hütte Raum.
Mit der Bevölkerung waren wir in den letzten Tagen sehr zufrieden. 24. April.
Die Leute haben im allgemeinen einen sanften, liebenswürdigen Charakter und
sind arbeitsam, daher haben auch die Dörfer hübsche Häuser trotz des
armen Bodens. Wir kamen an manchen Ort, wo Fremde vorher noch
nicht gewesen waren. Daß die Leute von Neugierde geplagt waren, ist
natürlich; aber sie benahmen sich durchaus anständig, so daß ich sie immer
nur ungern aus dem Zimmer verdrängte, wohin es sie mächtig zog. Wir
trafen einige ganz intelligente Männer. Man sieht hier sehr viele alte
Leute: Greise von mehr als 90 Jahren lassen sich zu uns fahren, um
einmal die fremden Eindringlinge gesehen zu haben. Noch ist uns nichts
gestohlen worden, obwohl viel Gelegenheit dazu gewesen ist. Trotz dieser
guten Eigenschaften aber sind die Leute hier ebenso schmutzig wie in an-
deren Gegenden. Die Odeurs, welche einem beim Eintritt in ihre Woh-
nungen empfangen, sind grauenhaft und erregen sofort Übelkeit. Die
Kleidung ist freilich reinlicher und ordentlicher als anderswo. Manche
sinifizierte Europäer sind der Ansicht, daß die Gerüche Chinas gesund
seien, ja, daß der Schmutz ihrer Wohnungen der Gesundheit förderlich sei.
Die vielen alten Leute, die man sieht, widerlegen diese Behauptung nicht,
wenigstens was die Chinesen selbst betrifft. Ich glaube, daß ich und
mancher andere mit mir einen einmonatlichen Aufenthalt in einem chinesi-
schen Hause der gewöhnlichen Klasse nicht überleben würde; denn der Ekel
würde einen langsamen Hungertod herbeiführen.
6. Fridtjof Nansens
Während der Drift im Polarmeer, Frühjahr und Sommer 1894.
Ich habe während der ganzen Dauer unserer Drift * dem Eise große
Aufmerksamkeit gewidmet, nicht nur in bezug auf seine Bewegung, sondern
1 Fridtjof Nansen, In Nacht und Eis. 3 Bände. Leipzig, F. A. Brockhaus.
Bd I ©.365 ff (Auswahl.) — 2 Die Fram verließ Norwegen im Sommer 1893, fror Ende
September n. der Neusibirifchen Inseln ein, trieb durch das Polarmeer inmitten
der Eismasfen bis Mitte August 1896 und war nicht ganz 2 Wochen später in Tromsö.
134
II. Erdkundliches Lesebuch.
auch hinsichtlich seiner Bildung und seines Wachstums. Am 10. April
maß es etwa 2,31 in, am 21. April 2,41 m, am 5. Mai 2,45 m, am
21. Mai 2,52 111, am 9. Juni 2,58 m. Es nahm also fortwährend an
Mächtigkeit zu, obwohl der Schnee auf der Oberfläche rasch geschmolzen
war, und sich auf den Schollen große Süßwassertümpel gebildet hatten.
Am 4. Juli betrug die Stärke 2,57 m. Ich bohrte an vielen Stellen,
fand aber überall dasselbe: Unter der alten Scholle lag eine dünne, ziemlich
lockere Eismasse. Anfänglich dachte ich, es sei eine dünne Eisscholle, die
hinuntergeschoben worden sei; später entdeckte ich aber, daß es tatsächlich
neugebildetes Süßwassereis auf der unteren Seite des alten Eises war;
es war auf die 3 m tiefe Süßwasserschicht zurückzuführen, die durch das
Schmelzen des Schnees auf dem Eise entstanden war. Infolge seiner
Leichtigkeit schwamm dieses wärmere Süßwasser auf dem salzigen See-
wasser, das an seiner Oberfläche eine Temperatur vou ungefähr —1,5 0 0
hatte. Auf diese Weise kühlte sich das süße Wasser durch die Berührung
mit dein kälteren Seewasser ab, und es bildete sich auf dem erfteren, wo es
mit dem darunter befindlichen Salzwasser in Berührung kam, eine dicke
Eiskruste. Diese Eiskruste war es, welche die Dicke des Eises an der
Unterseite vermehrte. Im Laufe des Sommers nahm das Eis infolge des
Schmelzens an der Oberfläche etwas ab. Am 23. Juli war das alte Eis
nur 2,23 m und mit der neugebildeteu Schicht 2,49 m dick; am 10. August
hatte die Stärke des alteu Eises bis aus 1,94 m abgenommen, während
die Gesamtdicke 2,17 m betrug. Am 3. September betrug die Gesamt-
stärke 2,02 m und am 30. September 1,98 m. Im Laufe des November
und im Dezember nahm sie ganz langsam zu. Am 11. Dezember erreichte
die Gesamtstärke 2,11 m, am 3. Januar 1895 2,32 m, am 18. Januar
2,48 rn, am 6. Februar 2,59 m. Daraus ist ersichtlich, daß das Eis direkt
durch Gefrieren keine irgendwie beträchtlichere Stärke erhält. Das Zu-
sammenschieben infolge des Druckes kann jedoch Blöcke und Schollen von
ganz anderer Dicke hervorbringen. Oft passiert es, daß die Schollen in
mehrere Schichten untereinander geschoben werden und zusammenfrieren,
so daß sie wie eine ursprüngliche zusammenhängende Eismasse aussehen.
Auf solche Weise erhielt die „Fram" ein gutes Lager unter sich.
Juell und Peder haben sich während des Winters oft darüber ge-
stritten, wie dick das Eis sei, welches die „Fram" unter sich habe. Peder,
der schon früher viel Eis gesehen hatte, behauptete, es müsse mindestens
6 rn dick sein, während Juell das uicht glauben wollte und zwanzig Kronen
wettete, daß es nicht so stark sei. Juell hatte sich anheischig gemacht, eine
Bohrung vorzunehmen, doch reicht unser Bohrer leider nur 5 m ties. Da-
Berichte von Lntdeckungs-^und Lorschungsreisen. S. Sridtjof Nansen.
135
gegen hat Peder es unternommen, den fehlenden Meter wegzuhauen. Der
Sache wurde dadurch ein Ende gemacht, daß Juell unvorsichtigerweise dem-
jenigen zehn Kronen bot, der für ihn bohren wolle. Bentsen nahm ihn
beim Wort und machte sich sofort mit Amundsen an die Arbeit; er meinte,
er habe nicht immer Gelegenheit, so leicht zehn Kronen zu verdienen. Sie
arbeiteten bis spät in die Nacht; als sie 4 m tief gekommen waren, glitt
der Bohrer etwas hinein; und es stieg Wasser in dem Loche auf; doch war
es nicht von Bedeutung, und gleich darauf stieß der Bohrer wieder auf
Eis. Sie arbeiteten noch eine Zeitlang, bis endlich der Bohrer nicht
weiter reichte, worauf Peder gerufen wurde, um seinen Meter wegzu-
hauen. Er und Amundsen hackten darauf los, bis sie von Schweiß durch-
näßt waren. Wie gewöhnlich war Anmndsen sehr eifrig; er schwor, er
würde es nicht aufgeben, bis er hindurch sei, und wenn es 10 m sein
sollten. Bentsen war mittlerweile an Deck gegangen, doch schickte man
ihm jetzt Nachricht, das Loch sei ausgehauen und das Bohren könne wieder
beginnen. Als man nur noch ein paar Zentimeter bis zu 6 m hatte, sank
der Bohrer durch, worauf das Wasser in die Höhe sprang und das Loch
füllte. Nunmehr ließen sie eine Lotleine hinab, mit der sie in der Tiefe
von 10 in wieder auf Eis stießen; so waren sie gezwungen, die Arbeit
aufzugeben.
Die Temperatur auf dem Eise hält sich zur Sommerszeit um den
Nullpunkt herum; aber wenn der Winter allmählich herankommt, sinkt sie
an der Oberfläche rasch. Von da dringt die Kälte immer tiefer bis zur
Unterseite des Eises, wo sie sich natürlich in gleicher Höhe mit der des darunter
befindlichen Wassers hält. Wir beobachteten beständig die Temperatur
des Eises in verschiedenen Schichten, um sestzustellen, wie schnell dieser
Abkühlungsprozeß des Eises während des Winters stattfindet, und in
welchem Maße die Temperatur nach dem Frühjahr zu wieder steigt. Die
niedrigste Temperatur des Eises war im März und Anfang April in 1,2 m
Tiefe ungefähr — 16 0 C und bei 0,8 m Tiefe ungefähr — 30 0 C.
Nach Anfang April begann sie, langsam zu steigen. Bei diesen niedrigen
Temperaturen wird das Eis sehr hart und spröde, so daß es durch einen
Stoß oder durch das Zusammenschieben leicht berstet oder zerbricht. An-
dererseits wurde das Eis im Sommer, wenn die Temperatur sich in der
Nähe des Schmelzpunktes hielt, zähe und elastisch, so daß es bei Zu-
sammenschieben nicht 'so leicht zerbrach. Dieser Unterschied im Zustande
des Eises im Sommer und im Winter machte sich auch dem Ohre be-
merkbar, da das Zusammenschieben im Winter stets von Getöse begleitet
mar, während das zähe Sommereis sich fast geräuschlos zusammenschob,
136
II. Erdkundliches Lesebuch.
so daß selbst die heftigsten Pressungen in unserer Nähe hätten stattfinden
können, ohne daß wir es hörten. In der unmittelbaren Nähe der „Fram"
blieb das Eis sast das ganze Jahr hindurch vollständig ruhig, und das
Schiff war hier bis jetzt noch keinem großen Eisdruck ausgesetzt gewesen.
Es lag sicher und wohlbehalten auf der Eisscholle, an welche es fest-
gefroren war, und hob sich immer mehr, als die Oberfläche des Eises
unter der Einwirkung der Sommersonne allmählich wegtaute. Im Herbst
begann das Schiff wieder ein wenig zu sinken, entweder weil das Eis unter
seinem Gewichte nachgab, oder weil dieses an der unteren Fläche etwas
wegschmolz, so daß es nicht mehr dieselbe Schwimmfähigkeit besaß wie
früher.
Inzwischen ging das Leben an Bord seinen gewohnten Gang. Nun
wir Tageslicht hatten, war natürlich mehr Arbeit verschiedener Art auf
dem Eise zu tun als im Winter. Schon mehrfach habe ich unsere erfolg-
losen Bemühungen, beim Loten den Grund zu erreichen, erwähnt; leider
waren wir auf so große Tiefen nicht vorbereitet und hatten keinen Tiefsee-
Lotapparat mitgebracht. Wir mußten uns daher helfen, so gut wir
konnten, und zwar, indem wir eine der Stahltrossen des Schiffes opferten,
um daraus eine Lotleine herzustellen. Es hielt nicht schwer, auf dem
Eise einen genügend großen Platz zur Anlage einer Neepschlägerei zu er-
richten, in welcher die Arbeit rasch fortschritt, obwohl eine Temperatur
von — 30 0 bis — 40 0 C nicht gerade die angenehmste ist, um in der-
selben mit Gegenständen wie Stahldraht umzugehen. Das Stahlkabel
wurde in seine einzelnen Stränge zerlegt und aus diesen eine neue biegsame
Lotleine hergestellt, indem wir zwei derselben wieder zusammendrehten.
In dieser Weise fertigten wir eine Leine von 4000—5000 m Länge an
und konnten damit endlich den Grund erreichen. Die Wassertiefe
schwankte zwischen 3300 und 3900 in. Das war eine be-
merkenswerte Entdeckung; denn wie ich schon wiederholt erwähnt habe,
hatte man bisher angenommen, daß das unbekannte Polarbecken seicht und
mit zahlreichen unbekannten Ländern und Inseln besetzt sei. Auch ich
hatte, als ich meinen Plan skizziert hatte, noch geglaubt, daß es seicht sei
und von einer tiefen Rinne durchschnitten werde, die vielleicht die Fort-
setzung der Tiefsee im Nordatlantischen Ozean wäre. Aus der Annahme
eines seichten Polarmeeres hatte man geschlossen, daß die Regionen um
den Pol herum früher aus einer ausgedehnten Landfläche bestanden hätten
und die vorhandenen Inseln nur die Überreste derselben seien. Ferner
hatte man angenommen, daß dieses ausgedehnte Polarland der Ur-
sprungsort vieler unserer Tier- und Pflanzenformen gewesen sei, die ihren
Berichte von Cntdeckungs- und Forschungsreisen. 6. Srtbtjof Nansen. 1 37
Weg von dort nach unseren Breiten gefunden hätten. Diese Mutmaßungen
scheinen jetzt auf einer etwas schwachen Grundlage zu beruhen. D i e
große Tiefe deutet an, daß hier keinesfalls in einer
sehr jungen geologischen Zeit Land gewesen ist;
diese Tiefe ist ohne Zweifel ebenso alt wie die des
Atlantischen Ozeans, von welcher das Polarmeer
fast sicher einen Teil bildet.
Eine weitere Aufgabe, der ich große Wichtigkeit beimaß, und die ich
schon häufig erwähnt habe, war die Feststellung der Temperatur des Meeres
in verschiedenen Tiefen, von der Oberfläche bis hinab zum Grunde. Diese
Messungen stellten wir so oft an, als die Zeit es uns gestattete; sie er-
gaben überraschende Resultate und zeigten das Vorhandensein w ä r -
meren Wassers unter der kalten Oberflächenschicht.
Zunächst sinkt die Temperatur von der Oberfläche abwärts bis in die Tiefe
von 80 m, worauf sie bis 280 m wieder steigt, um bei 300 m aufs neue
zu sinken und bei 325 m nochmals zu steigen. Dort beträgt sie -{- 0,49 0 G.
Darauf sinkt sie, um bei 450 m wieder zu steigen, und sinkt dann bis
2900 m stetig, steigt aber auf dem Grunde langsam wieder an. Ein ähn-
liches Steigen und Fallen fanden wir bei fast allen Messungsreihen, welche
wir vornahmen, und die Schwankungen von einem Monat zum anderen
waren so gering, daß sie in den korrespondierenden Tiefen sich oft nur auf
ein paar Hundertstel eines Grades beliefen. Gelegentlich stieg die Tempe-
ratur der warmen Schichten sogar noch höher, als hier angegeben. So
betrug sie am 17. Oktober bei 300 in Tiefe -f- 0,850 C, bei 400 m
-f 0,78 0 und bei 500 m + 0,62 °, worauf sie gleichmäßig sank, bis sie
nach dem Meeresgrunde zu wie vorher stieg.
Wir hatten nicht erwartet, in diesen öden Regionen viel Vogelleben
anzutreffen, und waren daher nicht wenig überrascht, als uns am Pfingst-
sonntag, 13. Mai, eine Möve einen Besuch abstattete. Später sahen wir
regelmäßig Vögel verschiedener Art in unserer Nachbarschaft, bis dies
endlich ein tägliches Ereignis wurde, dem wir keine besondere Beachtung
niehr schenkten. Meist waren es Elfenbeinmöven (Larus eburneus),
Stummelmöven (Rissa Aridactyla), ein Eissturmvogel (Procellaria gla-
cialis) und hin und wieder eine Tauchermöve (Laims glancus), eine
Silbermöve (Larus argentatus) oder eine Grilllumme (Uria grylle); eins
oder zweimal sahen wir auch eine Raubmöve (wahrscheinlich Lestris para-
sitica), z. B. am 14. Juli. Am 21. Juli besuchte uns auch eine Schnee-
ammer (Plectrophanes nivalis). Am 3. August bemerkte ich in meinem
Tagebuche: „Heute ist mir endlich ein sehnlicher Wunsch erfüllt worden;
138
ich habe Roßmöoen geschossen, drei Stück an einem Tage. Dieser seltene
und geheimnisvolle Bewohner des unbekannten Nordens, der sich nur
gelegentlich sehen läßt, von dem niemand weiß, woher er kommt und
wohin er geht, und der ausschließlich aus jener Welt stammt, zu welcher
nur die Phantasie sich aufschwingt, gehört zu dem, was ich vom ersten
Augenblicke, seitdem ich diese Gegenden gesehen habe und das Auge über
die einsamen Eisflächen schweifen ließ, zu entdecken gehofft hatte. Und
nun kam er, als ich es am wenigsten gedacht hatte! Ich hatte einen
kleinen Spaziergang auf dem Eise in der Nähe des Schiffes gemacht, hatte
mich neben einen Eishaufen gefetzt und ließ die Augen nach Norden
schweifen, wo sie an einem Vogel haften blieben, der über einer großen
Eiskette schwebte. Nachdem ich meine Flinte geholt hatte, waren es ihrer
zwei, die beständig um das Schiff herumflogen. Als ich sie auf dem Eise
. verfolgte, schoß ich bald eine und war, als ich sie aufnahm, nicht wenig
erstaunt, einen kleinen Vogel, ungefähr von der Größe einer Schnepfe,
zu fiuden. Gleich darauf schoß ich auch die andere, und später im Laufe
des Tages noch eine dritte. Als ich die letztere ergriff, war sie noch nicht
ganz tot und brach ein paar große Garnelen aus, die sie in einer der
Rinnen gefangen haben mußte."
Ängstlich behielt ich die Hunde im Auge, aus Furcht, daß ihnen etwas
zustoßen könnte, auch um sicher zu sein, daß sie in guter Verfassung
blieben; denn meine ganze Hoffnung beruhte auf ihnen.1 Mehrere von
ihnen waren allerdings totgebissen und zwei von Bären getötet worden;
aber wir hatten noch sechsundzwanzig übrig und außerdem zum Ersatz für
etwaige Verluste die jungen Tiere, von denen wir acht am Leben gelassen
hatten. Als das Frühjahr weiter vorgeschritten war, ließen wir die
letzteren an Deck herumlaufen, und am 5. Mai wurde ihnen die Welt noch
beträchtlicher erweitert. „Kvik" war sehr stolz, als sie ihren Nachwuchs
in die Welt hinausführte, und jagte in freudigster Stimmung umher, ob-
wohl sie erst kurz vorher von einer weiten Schlittenfahrt zurückgekehrt
war, auf welcher sie im Geschirr wie gewöhnlich gute Dienste geleistet
hatte. Am Nachmittag bekam einer der schwarz und weißen jungen Hunde
einen Anfall von Verrücktheit. Wie ein Rasender rannte er und bellte um
das Schiff herum; dabei biß er, während die anderen ihn verfolgten,
alles, was ihm in den Weg kam. Endlich gelang es uns, ihn vorn auf
Deck einzuschließen, wo er noch eine Zeitlang weiter raste, dann sich aber
1 Falls das Schiff nicht weit genug nach 3!. getrieben wurde vder falls es im
Eis unterging, sollte mit Hilfe der Hunde die Schlittenreise über das Meereis an-
getreten werden.
Berichte von Lntdeckungs- und Sorschung-reisen. 6. Fridtjof Nansen^ 139
beruhigte; jetzt scheint er wieder ganz wohl zu sein. Das ist schon der
vierte, der einen ähnlichen Anfall gehabt hat. Ich hatte mich an diese
kleinen Polargeschöpfe so gewöhnt, die ihr sorgloses Dasein an Deck vcr-
brachten und von morgens bis abends und auch noch in die Nacht hinein
um uns herum spielten und jagten. Ich kann ihnen stundenlang mit
großen! Vergnügen zusehen, mich mit ihnen wie mit kleinen Kindern be-
schäftigen und um das Oberlicht herum Verstecken spielen, wobei sie vor
Freude außer sich sind. Die Hunde scheinen den Sommer nicht gern zu
haben; es ist ihnen zu naß auf dem Eise und zu warm.
Montag, 28. Mai. Ach, ich bin dieser endlosen weißen Flächen so
müde, die nicht einmal zu Schneeschuhfahrten zu benutzen sind, abgesehen
davon, daß die Rinnen einen überall hindern! Das erste, wonach meine
Augen schauen, wenn ich morgens den Fuß auf Deck setze, ist der Flügel
am Besanstopp/ um zu sehen, wie der Wind weht; dorthin schweifen sie
immer wieder während des ganzen Tages, und dort ruhen sie auch zuletzt,
bevor ich in die Koje gehe. Aber er weist immer nach derselben Richtung,
West und Südwest, und wir treiben bald schneller, bald langsamer west-
wärts und nur wenig nach Norden. Ich zweifele jetzt nicht an dem Er-
folge unserer Expedition, und mein Irrtum in der Rechnung ist doch nicht
so groß gewesen; ich glaube aber kaum, daß wir höher als bis 85 02 treiben
werden, wenn überhaupt so weit. Es hängt davon ab, ob Franz-Joseph-
Land sich weit nach Norden ausdehnt. Ist das der Fall, dann wird es
hart sein, die Erreichung des Pols aufzugeben. Es ist dies im Grunde
nur eine Frage der Eitelkeit, reines Kinderspiel im Vergleich zu dem, was
wir tun und noch auszuführen hoffen, und doch muß ich bekennen, daß ich
töricht genug bin, den Pol erreichen zu wollen, und wahrscheinlich den
Versuch dazu machen werde, wenn wir in nicht allzu langer Zeit in seine
Nachbarschaft gelangen.
Dieser Mai ist mild; die Temperatur ist in letzter Zeit mehrfach um
den Nullpunkt herum gewesen, und man kann sich beim Auf- und Abgehen
in die Heimat versetzt glauben. Selten sind mehr als ein paar Grad
Kälte, allein es kommen jetzt die Sommernebel mit gelegentlichem Reif.
In der Regel ist jedoch der Himmel mit seinen leichten, flüchtigen Wolken
fast wie der Frühlingshimmel im Süden. Auch an Bord bemerken wir,
daß es milder geworden ist. Wir brauchen kein Feuer mehr im Ofen, um
1 S. 152. — 2 In der Tat erreichte das Schiff den 85. Parallel erst im Früh-
jähr 1895 und gelangte im November bis ungefähr an den 80. Nansen setbst hatte
es mit einein Gefährten im März 1895 verlassen und war mit Hundeschlitten bis
86° 14' gelangt. Er traf fast gleichzeitig mit der Fram 1896 in Norwegen ein.
140
II. Erdkundliches Ecfcbuch.
es uns wann und gemütlich zu machen, obwohl wir uns in dieser Hinsicht
niemals großem Luxus hingegeben haben. Im Proviantraum beginnen
der Reif und das Eis zu schmelzen, die sich an der Decke und den Wänden
gebildet haben. In den Räumen hinter dem Salon, sowie im Schiffs-
räum haben wir eine große Reinigung vornehmen und das Eis und den
Reif abscheuern und auftrocknen müssen, um unsere Vorräte vor dem Ver-
derben zu bewahren, da sonst die Feuchtigkeit durch die Umhüllungen dringt
und der Rost Löcher in die Blechkisten frißt. Außerdem haben wir lange
Zeit die Luken zum Raum offen gehalten, so daß stets ein tüchtiger Luftzug
hindurchging und ziemlich viel Reis verdunstet ist. Es ist übrigens merk-
würdig, wie wenig Feuchtigkeit wir an Bord haben. Dies rührt von der
soliden Bauart der „Fram" her, sowie davon, daß das Deck über dem
Raum an der Unterseite getäfelt ist. Ich gewinne dieses Schiff mehr und
mehr lieb.
Am Norabend des Johannistages mußten wir natürlich in üblicher
Weise ein Freudenfeuer haben, doch scheint nach meinem Tagebnche nicht
das richtige Wetter dafür gewesen zu sein: „Sonnabend, 23. Juni. Der
nördliche Wind mit nassem Schnee hält an. Düsteres Wetter. Südliche
Drift. 81° 43' nördlicher Breite, das sind 9 Minuten südwärts seit
Montag. Ich habe manchen Johannisabend unter verschiedenen Himmeln
erlebt, aber nie einen solchen wie diesen. So fern, so fern vom Leben,
allem, was dieser Abend sonst umfaßt! Ich denke an die Fröhlichkeit, die
um die Freudenfeuer in der Heimat herrscht, höre das Kratzen der Fiedel,
das Lachen, die Geschützsalven mit dem Echo, das von den blauen Höhen
antwortet. Und dann blicke ich hinaus über die endlose, weiße Fläche in
den Nebel, das Schneewetter und den Wind, der den Schnee vor sich her
treibt. Hier ist wahrlich keine Spur von der Fröhlichkeit des Johannis-
tages. Eine traurige, düstere Landschaft; nichts als Weiß in Weiß, Gran
in Grau! Keine Schatten, nur halb verwischte, in Nebel und Schnee-
schlämm verschmelzende Formen; alles befindet sich im Zustande der Auf-
lösung, und bei jedem Schritte gibt der Fleck, aus dem man steht, nach.
Die Schneeschuhe sinken tief ein, das Wasser reicht einem oft bis zu den
Knöcheln, so daß es schwer ist, die Schneeschuhe wieder herauszubekommen
und weiterzuschieben; aber ohne Schneeschuhe würde man noch schlimmer
daran sein. Hier und dort wird das einförmige, grauweiße Wirrsal durch
kohlschwarzes Wasser unterbrochen, das sich in schmälern und breitern
Rinnen zwischen den hohen Hügeln hindurchwindet. Auf der schwarzen
Oberfläche sind weiße, schneebedeckte Schollen und Eisstücke ausgestreut,
die wie weißer Marmor auf schwarzem Grunde aussehen. Gelegentlich
Berichte von Cntdeckungs- und Forschungsreisen. 6. Sridtjof Nansen.
141
trifft man einen größern, dunkel gefärbten Tümpel, wo der Wind das
Wasser faßt und kleine Wellen bildet, die gegen den Rand des Eises schlagen
und spülen, das einzige Leben in dieser wüsten Einöde. Diese spielenden
Wellen kommen einem wie ein alter Freund vor. Hier verzehren sie auch
die Schollen und höhlen deren Ränder aus. Man könnte sich sast in süd-
lichere Breiten versetzt glauben. Aber alles ringsherum ist mit Eis be-
kleidet, das in stets sich ändernden, phantastischen Formen emporsteigt, im
Gegensatz zu dem dunkeln Wasser, auf welchem das Auge einen Moment
vorher geruht hatte. Ewig ruhelos, wird der reine, blauweiße Marmor
dieses wandernden Eises modelliert mit der verschwenderischen Freigebig-
keit der Natur, welche die herrlichsten Bildhauerwerke um sich entstehen
läßt, die vergehen, ehe ein Auge sie erschaut hat. Weshalb? Das Ganze
ist ein einziges, wechselndes Spiel der Schönheit! Es wird nur durch die
Launen der Natur beherrscht, die genau jenen ewigen Gesetzen folgt, die
nicht nach Ziel oder Absicht sragen. Vor mir erhebt sich eine Eiskette hinter
der andern, mit einer Rinne nach der andern dazwischen. — Im Juni war
die „Jeanette" 1 zerdrückt worden und gesunken. Was dann, wenn die
„Fram" zwischen das Eis gerät? Nein, das Eis wird sie nicht besiegen!
Und wenn es trotz alledem doch geschehen sollte? — Als ich umherblickte,
siel mir der Johannisabend ein. Weit drüben in der Ferne stiegen
die Masten zum Himmel aus, in dem schneeerfüllten Nebel dem Blicke
halb entschwunden. Wahrlich, die Leute, die unter diesem Deck hausen,
haben Mut, Mut oder blindes Vertrauen aus ein Manneswort. Es
ist alles ganz schön, daß der, welcher einen Plan ausgeheckt hat,
und sei er auch noch so unvernünftig, mitgeht, um ihn auszuführen;
er tut natürlich sein Bestes für das Kind, das seine Gedanken ins Leben
gerufen haben. Aber sie — sie hatten kein solches Kind zu pflegen;
sie hätten ohne weiteres sich von einer Expedition, wie diese, fernhalten
können. Weshalb sollte ein menschliches Wesen sich vom Leben lossagen,
um hier ausgelöscht zu werden?"
(Sonntag, 24. Juni.) Der Jahrestag unserer Abfahrt von der
Heimat. Nördlicher Wind, noch immer südliche Drift. Die heutigen
1 N. der Neusibirifchen Inseln 1881. Gegenstände von der Jeanette waren
3 Jahre später in Grönland gesunden. Daraufhin baute Nansen seinen Plan, mit
einem gegen Eisdruck widerstandsfähigen Schiffe sich der Strömung anzuvertrauen, die
wahrscheinlich von der Untergangsstätte der Jeanette am Pol vorüber nach Grönland
führe. Dies Schiff müsse ein schwimmendes Laboratorium für die Untersuchung der
Polarwelt darstellen. Die Bedeuwng der Fahrt Nansens beruht 1. auf der glänzenden
Durchführung dieser Methode, 2. auf der Feststellung, daß der N.-Polarraum Tiefste
ist, 3. auf der Erforschung der Eigenarten dieses Polarmeeres.
142
Beobachtungen ergaben 81 "41,7' nördlicher Breite; so geht es also
nicht weiter! Ein langes Jahr; vieles hat sich ereignet, wenn wir auch
nicht so weit vorgedrungen sind, als ich erwartet hatte. Ich sitze und
schaue aus dem Fenster nach dem Schnee, der vom Nordwind getrieben,
draußen herumwirbelt. Ein merkwürdiger Johannistag! Man sollte
denken, wir hätten Schnee und Eis genug gehabt; ich sehne mich in-
dessen nicht gerade nach grünen Feldern, jedenfalls nicht immer. Im
Gegenteil, stundenlang sitze ich da und mache Pläne für spätere Reisen
über das Eis nach unserer Rückkehr von dieser Expedition . . . Ja,
ich weiß, was ich erreicht habe, und mehr oder weniger, was mich
erwartet. Es ist alles ganz schön, daß ich Pläne für die Zukunft ent-
werfe, aber zuhause . . . Nein, ich bin heute abend nicht in der Stimmung,
um zu schreiben; ich will mich niederlegen.
(Mittwoch, 11. Juli.) Jetzt sehne ich mich fast nach der Polarnacht,
nach dem ewigen Wunderland der Sterne mit den: geisterhaften Nordlicht
und dem durch die tiefblaue Stille segelnden Mond. Dann ist's wie ein
Traum, wie ein Blick in das Nebelreich der Phantasie. Da gibt es keine
Formen, keine schmerlastende Wirklichkeit, nur eine Vision, gewoben aus
Silber und den violetten Tönen des Äthers, von der Erde aufsteigend und in
die Unendlichkeit hinausschwebend .. . Dieser ewige Tag mit seiner drücken-
den Wirklichkeit interessiert mich nicht mehr uud lockt mich nicht mehr aus
meinem Lager heraus. Das Leben ist ein einziges, unaufhörliches Hasten
von einer Aufgabe zur andern. Alles muß geschehen, nichts darf ver-
nachlässig! werden, Tag auf Tag, Woche auf Woche, und der Arbeitstag
ist lang uud endet selten früher als lange nach Mitternacht. Aber überall
zieht sich dasselbe Gefühl der Leere und des Sehnens hindurch, aus das
mau nicht achten darf. Ach, zu Zeiteu kann man sich nicht frei davon
halten, und die Hände sinken willenlos und kraftlos herab, so müde, so
unaussprechlich müde. O, es heißt, daß man den Frieden des Lebens
bei den Heiligen in der Wüste finden könne. Wüste ist hier wahrlich
genug, aber Friede — ihn kenne ich nicht. Es fehlt wohl die Heiligkeit.
(Mittwoch, 18. Juli.) Heute Vormittag unternahm ich mit Blessing
einen Ausflug, um Proben von braunem Schnee und Eis zu sammeln, sowie
im Wasser Algen und Diatomeen zu suchen. Die Oberfläche der Schollen ist
fast überall von schmutzigbrauncr Farbe, oder wenigstens ist doch diese Art
von Eis die vorherrschende, während reinweiße Schollen ohne Spur eines
schmutzigen Braun auf ihrer Fläche selten sind. Ich dachte mir, diese braune
Farbe müsse von den Organismen herrühren, die ich im Oktober vorigen
Jahres in dem frischgefrorenen, bräunlichroten Eise gefunden hatte; allein die
Berichte von Entdeckung-- und Lorschungsreisen. S. Fridtjof Nmrsen. 143
Proben, die ich heute mitnahm, bestehen zum größten Teil aus minerali-
schein Staub, vermischt mit Diatomeen und andern Bestandteilen organi-
scher Herkunft. Blessing hatte zu Ansang des Sommers auf der Ober-
fläche des Eises mehrere Proben gesammelt und dieselbe Beobachtung ge-
macht. Ich muß das noch weiter untersuchen, um zu sehen, ob all dieser braune
Staub mineralischer Natur ist und infolgedessen vom Lande herrührt. In
den Rinnen fanden wir Mengen von Algenklumpen von derselben Art,
wie wir sie schon früher oft wahrgenommen hatten. In fast jedem kleinen
Kanal waren große Ansammlungen davon. Wir konnten auch sehen, daß
an den Seiten der Schollen eine braune Schicht sich von der Eisoberfläche
tief ins Wasser hinab erstreckte. Sie rührte von einer auf dem Eise
wachsenden Alge her. Im Wasser schwammen ebenfalls eine Anzahl
kleinerer, zäher Klumpen, einige von weißer, andere von gelblichroter Farbe,
von denen ich mehrere sammelte. Unter dem Mikroskop schienen sie sämt-
lich aus Ansammlungen von Diatomeen zu bestehen, unter denen sich aber
auch eine Anzahl größerer, roter Zellenorganismen von ganz charakteristi-
schem Aussehen befand. Alle diese Diatomeenansammlungen hielten sich
in einer gewissen 'Tiefe, ungefähr einen Meter unter der Oberfläche des
Wassers; in einigen der kleinen Rinnen erschienen sie in größeren Mengen.
In derselben Tiefe schien auch die vorstehend erwähnte Alge hauptsächlich
zu gedeihen, während einzelne Teile derselben bis zur Oberfläche auf-
stiegen. Offenbar halten diese Ansammlungen von Diatomeen und Algen
sich genau in jener Tiefe, in welcher die obere Süßwasserschicht auf dem
Seewasser ruht. Das Wasser an der Oberfläche war ganz süß; die
Diatomeenmassen sanken darin unter, schwammen aber, wenn sie das See-
wasser darunter erreichten.
Vom Morgen bis zum Abend, ja bis spät in die Nacht hinein werde
ich vom Mikroskop vollständig in Anspruch genommen und sehe nichts von
dem, was um mich her vorgeht. Ich lebe mit diesen zierlichen Wesen in
ihrer eigenen Welt, wo sie, eine Generation nach der andern, entstehen
und sterben, im Kampfe ums Dasein sich gegenseitig bekriegen und ihre
Liebesangelegenheiten mit denselben Gefühlen, denselben Leiden, denselben
Freuden verfolgen, die jedes lebende Wesen, von dem mikroskopischen
Tierchen bis zum Menschen erfüllen. So heiß wir menschlichen Wesen
auch kämpfen, um uns den Weg durch das Labyrinth des Lebens zu bahnen,
ihre Kämpfe sind sicherlich nicht weniger erbittert als die unsrigen — ein
rastloses Hin- und Herjagen, wobei alle anderen beiseite gestoßen werden,
um für sich selbst das, was nötig ist, zu erobern. Was ist das Leiden
des Einzelnen in diesem großen Jagen? Und dieses sind kleine einzellige
144
Schleimklumpen, die zu Tausenden und Millionen auf fast jeder Scholle
überall in diesem grenzenlosen Meere leben, das wir als das Reich des
Todes zu betrachten geneigt sind. Die Mutter Natur hat eine merk-
würdige Fähigkeit, überall Leben hervorzurufen; selbst das Eis hier ist
ein fruchtbarer Boden für sie. Als die Sonnenstrahlen auf die Oberfläche
des Eises größere Macht ausübten und den Schnee schmolzen, so daß sich
Tümpel bildeten, waren aus ihrem Grunde bald gelblichbraune Flecken
zu sehen, so klein, daß man sie anfänglich kaum bemerkte. Tag für Tag
nahmen sie an Größe zu und schmolzen, wie alle dunkeln Gegenstände
die Wärmestrahlen absorbierend, allmählich das darunter liegende Eis,-
wobei sie runde, oft mehrere Zentimeter tiefe Löcher bildeten. Diese
braunen Flecken waren die erwähnten Algen und Diatomeen. Sie ent-
wickelten sich im Lichte des Sommers rasch und pflegten den Boden der
Löcher mit einer dicken Schicht zu erfüllen. Doch gab es nicht nur
Pflanzen; das Wasser war auch von Schwärmen von kleinen Tierchen be-
lebt, meist Infusorien und Flagellaten, die sich von den Pflanzen nähren.
Ja, ich fand sogar Bakterien; also selbst diese Regionen sind nicht frei
von ihnen!
(Donnerstag, 27. September.) Ich habe beschlossen, daß von morgen
an, so lange das Tageslicht anhält, jeder täglich zwei Stunden, von
11 bis 1 Uhr, sich im Schneeschuhlaufen üben foll. Es ist dies not-
wendig. Wenn etwas passieren sollte, das uns zwingt, den Rückweg
über das Eis zu nehmen, so befürchte ich, daß einige von unserer Schar,
so ungeübt, wie sie jetzt sind, ein großes Hindernis für uns bilden
würden. Mehrere von ihnen sind Läufer ersten Ranges; fünf oder
sechs würden ebenfalls bald Vergnügen daran finden, wenn sie es lernten;
hätten sie einen weiten Marsch zu machen und wären ohne Schneeschuhe,
so würde es mit uns allen vorbei sein. — Von da ab pflegten wir regel-
mäßig in corpore aufs Eis zu gehen. Abgesehen davon, daß es eine
gute Übung war, war es auch ein großes Vergnügen; jeder schien gute
Fortschritte zu macheu, und alle gewöhnten sich an den Gebrauch der
Schneeschuhe auf diesem Terrain, obwohl sie auf den Unebenheiten zwischen
den Eishügeln oft genug zerbrachen; wir flickten und nieteten sie dann zu-
sammen, um sie bald wieder zu zerbrechen.
(Sonntag, 14. Oktober.) Ich lese von den unendlichen Leiden, die
frühere Polarforscher auf jedem Grade, ja auf jeder Minute ihres nördlichen
Kurses auszustehen gehabt haben; es erweckt innerlich beinahe ein Gefühl
der Verachtung für uns, die wir hier warm und behaglich auf dem Sofa
liegen und unsere Zeit mit Lesen und Schreiben, Rauchen und Träumen
Berichte von Lntdeckungs- und Forschungsreisen. 6. Sridtjof Nansen.
145
verbringen, während der Sturm über uns die Takelung rüttelt und schüttelt
und das ganze Meer ein einziges Schneetreiben ist, durch welches wir Grad
für Grad nordwärts geführt werden, dem Ziele entgegen, dem auch unsere
Vorgänger, ihre Kräfte vergebens vergeudend, entgegengestrebt haben. Und
dennoch: „Die Sonne sinkt, es kommt die Nacht."
(Montag, 15. Oktober.) Lief heute Morgen auf Schneeschuhen oft-
wärts; immer noch derselbe Wind und derselbe Schneefall. Man muß in
diesen Tagen sorgfältig auf seinen Weg acht geben, da das Schiff in größerer
Entfernung nicht mehr sichtbar ist, und sollte man den Rückweg nicht sinden,
nun dann--. Aber die Spuren bleiben ziemlich deutlich, da die Schnee-
kruste an den meisten Stellen blank ist und der treibende Schnee sich nicht
darauf festsetzt. Wir bewegen uns nordwärts, und mittlerweile hält die
arktische Nacht langsam und majestätisch ihren Einzug. Die Sonne stand
heute niedrig; ich sah sie wegen der im Süden befindlichen Wolkenbänke nicht,
doch verbreitet sie ilir Licht über den fahlen Himmel. Dort hat die Herr-
schaft jetzt der Vollmond, der die große Eisfläche und das Schneetreiben
im hellen Lichte badet. Wie eine solche Nacht doch die Gedanken des Men-
schen erhebt! Wenn man das gleiche auch schon tausendmal gesehen Hai:
Es macht denselben feierlichen Eindruck, wenn es wiederkehrt, so daß man
den Geist von seinem Banne nicht frei machen kann. Es ist, als ob man
in einen stillen, heiligen Tempel trete, wo der Geist der Natur auf glitzern-
den Silberstrahlen dnrch den Raum schwebt, und die Seele niederfallen
und anbeten — die Unendlichkeit des Weltalls anbeten muß.
(Dienstag, 16. Oktober.) Ich sehe die ganze Sonnenscheibe gegen
Mittag über dem Horizont als eine elliptische rote Feuerkugel. Es ist
wohl das letzte Mal, daß wir ihre Majestät in diesem Jahre gesehen
haben — also Lebewohl!
(Donnerstag, 18. Oktober.) Ich setze die Temperaturbeobachtungen
fort, ein ziemlich kühles Vergnügen, wenn das Thermometer bis — 29 0 C
gefallen ist und Wind weht. Die Finger werden einem leicht ein bißchen
steis und gefühllos, wenn man die nassen oder mit Eis bedeckten Metall-
schrauben mit den bloßen Händen regulieren, das Thermometer mit einem
Vergrößerungsglase ablesen will, um eine Genauigkeit bis auf den hnn-
dertsten Teil eines Grades zu erzielen, und dann die Wasserproben in
Flaschen füllen soll, die man dicht an die Brust halten muß, um den Inhalt
am Gefrieren zu verhindern. Ich danke!
Heute abend um 8 Uhr hatten wir hübsches Nordlicht. Es schlängelte
sich wie eine feurige Schlange in einer Doppelwindung über den Himmel;
der Schweif war etwa zehn Grad über dem Horizont im Norden, von wo
Lampe, Erdkunde. Hest 4.
146
II. Erdkundliches Lesebuch.
er sich in vielen Windungen in östlicher Richtung ausbreitete, worauf er
umkehrte und in Gestalt eines Bogens von 30—400 über dem Horizont
sich westwärts wandte, um im Westen hinabzusinken und sich in eine Kugel
aufzurollen, aus welcher sich mehrere Äste über den Himmel ausbreiteten.
Die Bogen waren in lebhafter Bewegung, während von Westen nach Osten
glänzende Strahlenbüschel schössen und die ganze Schlange unaufhörlich
in neuen Windungen sich bewegte. Allmählich stieg sie über den Himmel
bis fast zum Zenit empor, während gleichzeitig die oberste Biegung oder
der oberste Bogen sich in mehrere schwächere Wellen teilte, die Kugel im
Nordosten intensiv leuchtete und an mehreren Stellen aus den Bogen, und
namentlich aus der Kugel und der am weitesten entfernten Biegung im
Nordosten glänzende Streifen zum Zenit emporschössen. Die Beleuchtung
hatte jetzt ihren Höhepunkt erreicht; die Farbe war hauptsächlich ein kräf-
tiges Gelb, obwohl sie an einzelnen Stellen sich einein Gelblichrot näherte
und an anderen grünlichweiß war. Als der obere Bogen den Zenit er-
reichte, verlor die Erscheinung etwas von ihrer Helligkeit und verteilte sich
allmählich, bis nur noch am südlichen Himmel eine schwache Andeutung vou
Nordlicht übrig war. Als ich im Lause des Abends wieder an Deck kam,
hatte sich fast das ganze Nordlicht auf der südlichen Hälfte des Himmels
angesammelt; man sah einen niedrigen Bogen von fünf Grad Höhe im
Süden tief unten über dem dunkeln Abschnitt des Horizonts. Zwischen
dieser Stelle und dem Zenit befanden sich noch vier weitere unbestimmte,
wallende Bogen, deren oberster gerade über den Zenit lief, wobei hier und
dort, namentlich aber aus dem untersten Bogen im Süden, lebhaste Streifen
aufwärts schössen. Am nördlichen Teile des Himmels waren keine Bogen
zu sehen, sondern nur Strahlenbündel hier und dort. Heute abend sind
wie gewöhnlich Spuren von Nordlicht am ganzen Himmel zu beobachten;
oft sind auch leichte Nebel oder Streisen deutlich sichtbar, und der Himmel
scheint beständig mit einem leuchtenden Schleier bedeckt zu sein, in dem sich
da und dort dunkle Löcher befinden. Es ist kaum eine Nacht, ja, ich kann
wohl mit Sicherheit sagen, es ist keine Nacht, in welcher man nicht Spuren
von Nordlicht unterscheiden kann, sobald der Himmel klar wird oder in
den Wolken selbst nur ein Spalt ist, groß genug, um erkennbar zu sein.
In der Regel haben nur aber starke Lichterscheinungen, welche in unaus-
hörlicher Ruhelosigkeit über das Firmament tanzen, hauptsächlich jedoch am
südlichen Teile des Himmels erscheinen.
(Freitag, 26. Oktober.) Gestern abend waren wir aus 82 0 3' nörd-
licher Breite. Heute ist die „Fram" zwei Jahre alt. Zur Feier der Ge-
legenheit hatten wir ein besonderes gutes Diner, bestehend aus gebratenem
Berichte von Lntdeckungs- und Forschungsreisen. 7. Erich v. Drygalski. 147
Heilbutt, Schildkröte, Schweinsrippen mit grünen Bohnen und Erbsen,
Plumpudding (zum ersten Male richtigen, brennenden Plumpudding) mit
Eiersauce, und zmn Schluß Erdbeeren. Wie gewöhnlich bestand das Ge-
tränk aus Wein, d. h. Zitronensaft mit Wasser und Zucker, und Kronen-
Malzextrakt. Allgemeine Magenüberladung. Nach Tische Kasfee und
Honigkuchen, wozu Nordahl Zigaretten spendierte. Allgemeiner Feiertag.
Ich sitze allein in meiner Kabine, und meine Gedanken gleiten über
die verflossenen beiden Jahre zurück. Welcher Dämon ist es, der die Fäden
unseres Lebens zusammenwebt, der uns uns selbst täuschen läßt und stets
auf Wege hinnusschickt, die wir nicht selbst gewählt haben, die wir nicht
zu gehen wünschen? War es nur das Pflichtgefühl, das mich drängte?
O nein! Ich war einfach ein Kind, das Abenteuer in unbekannten Gegen-
beu suchte, das solange davon geträumt hat, bis es schließlich glaubte, es
habe das Abenteuer wirklich gefunden. Und es ist mir in der Tat be-
schieden, dieses große Abenteuer des Eises: Tief und rein wie das un-
endliche All, die schweigsame sternblinkende Polarnacht, die Natur selbst
in ihrer ganzen Tiefe, das Geheimnis des Lebens, der unaufhörliche Kreis-
lauf des Weltalls, das Fest des Todes, ohne Leiden, ohne Not, ewig in
sich selbst. Hier in der großen Nacht stehst du in all deiner nackten Ein-
falt, von Angesicht zu Angesicht vor der Natur; du sitzest andächtig zu
Füßen der Ewigkeit und lauschest und lernst Gott kennen, den Allwaltenden,
den Mittelpunkt des Alls. Alle Rätsel des Lebens scheinen dir klar zu
werden, und du verlachst dich selbst, daß du dich hattest mit Grübeln ver-
zehren können; es ist alles so klein, so unaussprechlich klein. . . . Wer
Jehovah sieht, muß sterben.
7. Erich v. Drygalski.^
Entdeckung von Kaiser Wilhelm Il.-^nud.
Von 2 Uhr morgens am 17. Februar * ging es unter Volldampf nach
S. hinab und, wenn wir ausbiegen mußten, gegen SW. Bald wurden
die Schollen aber zahlreicher und dichter, und gegen 7 Uhr morgens war
uns Stillstand geboten. Wir konnten vorläufig weder vorwärts noch auch
zurück und beschlossen, den schönen Tag zu Arbeiten auszunutzen, soviel
es ging. Es begann mit der Erlegung eines Krabbenfreffers," dessen
* Zum Kontinent des eisigen Südens. Von Erich v. Drygalski. Deutsche
Südpolarexpedition. Fahrten und Forschungen des Ganß 1901—1903. Berlin 1904
Georg Reimer. S. 234 ff. — * Mitte August 1901 verließ der Gauß Deutschland,
Ende Januar 1902 Kerguelen. Mitte Februar 1903 gelang die Befreiung aus dem
Eise des Winterlagers; Ende November war man wieder in Kiel, dem Ausgangsort. —
3 Eine Robbenart mit spitzer Schnauze und hellbraunem Fell.
10*
148
II. Erdkundliches Lesebuch
Magen Steine enthielt, und zwar Granit und Hornblendeschiefer mit
Granaten. Bidlingmaier und Vahsel gingen auf die Schollen zu
magnetischen Messungen hinaus, mußten aber scharf im Auge behalten
werden, weil das Eis lebhaft trieb und seine Lagen verschob, so daß es
gegen 1 Uhr mittags schon Schwierigkeiten hatte, sie zurückzuholen; ich
selbst lotete und fand 3080 in. Daran schlössen sich Schöpf- und Tem-
peraturserien, welche die von früher her bekannte Wärmeschichtung im
Wasser des südlichen Eismeers derart bestätigten, daß unter der kalten
Oberflächenschicht in schnellem Übergang eine wanne Unterschicht folgt,
deren Temperatur dann gegen den Boden hin zunächst schnell und dann
immer allmählicher abnimmt bis zu etwa —0,3° am Boden, i Das
Wetter war herrlich, doch die Sonne blendete so stark, daß wir die Schnee-
brillen gebrauchen mußten. Die Bodenprobe hatte ausfallenderweise viel
Globigerinen und verhältnismäßig wenig Diatomeen.2 Die Gesteins-
partikel darin hatten meistens Geschiebeform, ihrem glazialen Ursprung
getreu; dazwischen aber fanden sich auch scharfkantige Brocken, die vul-
kanisch sein konnten.
Durch das Treiben des Eises waren wir allmählich so blockiert, daß
wir uns wenig bewegen konnten. Nur in NW. sahen wir eine offene
Bucht und beschlossen, den Weg dorthin zu forcieren. Es ging sehr müh-
sam hindurch; doch die Schollen waren verhältnismäßig nicht groß und
wichen aus, wenn der „Gauß" sich in die Ritzen dazwischen hinein wühlte.
Auch waren sie vielfach morsch, zerbrachen leicht und lösten sich schließlich
in einen etwa 100 in breiten Streifen eines schwammigen Eises auf, wel-
cher keine Schwierigkeiten mehr bot. Um 10 Uhr abends hatten wir das
offene Wasser erreicht. Der folgende Tag sollte uns den endgültigen
Einzug ins Eis bescheren. Auffallend war, daß das Plankton hier
anderen Charakter hatte; Diatomeen waren fast verschwunden, Copepoden 3
erschienen. Auch Albatrosse umschwärmten das Schiff gleich wie Sterna,
Kaptaube und Prion,1 die sich ans offene Wasser halten. Wir verfolgten
im Laufe des Vormittags sw. Kurse und passierten der Reihe nach ver-
schiedene Zungen von lockerem Scholleneis; sie lösten sich von den fest-
liegenden Scholleneismassen los, in denen wir an den vorigen Tagen weiter
östlich gestanden hatten. Wir verfolgten den Rand der kompakten Masse
1 Vgl. die Verhältnisse im Nördlichen Eismeer, S. 137. — 2 Diatomeen sind
sehr kleine, kieselgepanzerte Algen; Globigerinen wie Foraminiferen und Radiolarien
gehören zu den Rhizovoden, winzigen Urtierchen, die aus jedem Teil ihrer Sckleim-
Masse Würzelchen wie Füße vorstrecken und zurückziehen können und meist in zierlichen
Kieselpanzern stecken. — 8 Kleine Krebse. — i Taubensturmvogel; Sterna s. S. 97.
Berichte von Lntdeckungs- und Lorschungsreisen. 7. Erich v. Drygalski.
149
gegen SW. Nur wenige Berge umgaben uns, und es schien, als hätten
wir nun einen guten Weg nach Süden voraus. Im Laufe des Nachmittags
am 18. Februar wurde das Eis allerdings dichter, dazu kam Schnee und
Regen bei östlichem Wind auf, der an Stärke zunahm. Die See war
gering; wohl aber machte sich eine westliche Dünung 1 bemerkbar.
Um 3 Uhr nachmittags wurde eine Zunge durchschnitten, deren Ende
gegen NW. nicht mehr abzusehen war. Danach hatten wir Eis nun auch
an Steuerbord ^ und fuhren zwischen Schollen, die alle aber noch den Ein-
druck starker Zersetzung machten. Sie ragten wenig über das Wasser
hinaus und hatten jene bekannten Tischformcn über Hohlkehlen, die durch
das Schwanken der Wasseroberfläche eingefressen werden, nur stark zer-
setzt und mit durchlöcherten Oberflächen. Beim Anprall fielen sie aus-
einander. Die Ausfaserung der kompakteren Massen in nw. streichende
Zungen rührte von dem ö. Winde her, welcher die am meisten zerfressenen
und dadurch am leichtesten beweglichen Teile aus dem Zusammenhang mit den
großen Komplexen gelöst hatte. Wir diskutierten in jenen Tagen mehrfach
darüber, wie diese Eisformen zu bezeichnen wären, ob als Pack-
eis oder als Treibeis, nachdem wir an der äußersten Kante in den ge-
rundeten Schollen mit aufgewulsteten Rändern das „Pancakeeis" kennen
gelernt hatten. Die Engländer würden Packeis in allen jenen Fällen
sagen, wo es sich um dichte, schwer zu durchfahrende Eiskomplexe handelt,
die aus Schollen verschiedener Größe und verschiedener Stärke bestehen,
während Treibeis jene Eisformen genannt werden, die geöffneter
sind und leichter durchfahren werden können. Bei dieser Unterscheidung
zwischen Treibeis und Packeis seitens der Engländer haben praktische Ge-
sichtspunkte die bestimmende Rolle gespielt: Treibeis ist für Schiffe passier-
bar, Packeis weniger. Im Südpolargebiete liegen die Verhältnisse etwas
anders als im Norden. Mit wirklichem Packeis im wahren Sinne des
Wortes, also mit aufeinander geschobenen und gepackten Schollen hat man
es, wenn überhaupt, nur in nächster Nähe des Landes oder der Eisberg-
stauungen zu tun, während ungepackte Schollen bis in die Nähe der fest-
liegenden Eisfelder vorkommen und bis dorthin auch Zeichen von Treiben
und Drehen, also die Formen des Pancakeeises haben. Ich würde es .
hiernach für richtig halten, im Südpolargebiet den Unterschied zwischen
Treibeis und Packeis fallen zu lassen und nur vou Scholleneis zu sprechen
im Gegensatz zu den Eisfeldern an den Eisbergbänken und am Inland-
eisrand. Denn wenn die Schollen auch noch so dicht sind, kann der nächste
* Seegang, der auch nach Abflauen des erregenden Windes noch anhält. —
* Die ganze rechte Schiffsseite, Backbord die linke, beim Blick nach vorn.
150
Wind die Situation fast bis zur Küste hinab vollständig ändern, so daß
man sie leicht durchfahren kann wie das Treibeis, während diese Verhält-
nisse im Norden weit konstanter sind.
Um die Mittagszeit des 18. Februar hatten wir gelotet und 2890 m
Tiefe gefunden. Es ging gut; doch wir mußten den Draht vor dem Eise
schützen, daß uns beim Stilliegen umringte. Wir hatteu verhältnismäßig
nur wenige Eisberge um uns, und darunter einige von Tafelform. Gegen
6 Uhr abends wurden die Schollen größer, aber nicht sehr mächtig. Ihre
Oberfläche sah frisch aus und war nicht mehr so stark zersetzt; auch die.
Eisberge mehrten sich. Wir bahnten uns den Weg durch Waken und
Rinnen, die der starke, östliche Wind offen hielt; sein Feuchtigkeitsgehalt
hatte die üble Folge, daß sich alles auf dem Schiffe mit Glatteis überzog.
Auch wuchs er an Stärke, so daß das Schiff sich schwer halten ließ. Schon
der folgende Tag zeigte, daß der vorangegangene über unser Schicksal ent-
schieden hatte. Die Nacht war sehr unruhig gewesen. Wir loteten morgens
in Lee eines mächtigen Eisberges, welcher uns vor dem heftigen Winde
schützte, bei unsichtigem. Wetter und feuchtem Schneefall. Kaum aber hatte
die Lotung begonnen, da stand die Maschine schon und das Lot schlug
bei 240 m Tiefe auf Grund. Weder Bodenwasser noch Schlamm kam
mit herauf, doch die Röhre war stark und frisch verletzt, das Aufschlagen
auf Grund in dieser geringen Tiefe also sicher bewiesen; nur darüber be-
stand noch Zweifel, ob es vielleicht auf einen weit fortgefetzten Fnß des
großen Eisberges, neben den: wir lagen, aufgeschlagen wäre oder wirklich
aus Grund. Es stürmte dabei fort aus SO. mit einer Stärke von 6 bis 7
in heftigen Böen/ während es in Pauseu dazwischen auch ganz flau war.
Dichte Bewölkung, fast Nebel bedeckte den Himmel; der Schnee hatte nach-
gelassen. Auf deu Schollen erschienen Pinguine, uud zwar zum ersten
Male die großen Kaiserpinguine (Aptenodytes Forsten), mächtige
Tiere, die sich schwimmend über das Eis fortbewegten und dann, vor uns
ins Wasser flüchtend, hier zunächst scheuer erschienen, als wir sie später
kennen lernen sollten. Im Plankton fanden sich viele Diatomeen und
Vanhöfsen meinte, hier Ähnlichkeiten mit dem Fjordplankton Grönlands
zu erkennen, was ebenso auf Landnähe beutete, wie die Flachseelotung, die
wir gehabt, uud der Wind, der Föhneigenschaften erkennen ließ, da dem
1 Windstöße von begrenzter Zeitdauer und räumlich beschränkter Ausdehnung,
meist von schweren Wolken und reichlichen Niederschlägen begleitet. Die Windstärke
wird meist nach einer zwölfteiligen Skala angegeben, in der die Stärke 6 einen heftigen
Wind von 15 in Geschwindigkeit in der Sekunde bedeutet, 7 einen von 18 m Ge-
schwindigkeit.
Berichte von Entdeck >mgs- und Lorschungsreisen. 7. (Erich v. Drygalski. 151
feuchten Niederschlag am Tage vorher jetzt ein fester gefolgt war, ganz
wie es sich bei den Föhnen Grönlands zu folgen pflegte.
Um 12 Uhr loteten wir zum zweiten Male, um zu entscheiden, ob
wir zuvor auf einem Eisfuß gelotet hatten, fanden aber wieder geringe
Tiefe, so daß die Flachsee nun erwiesen war. Die Grundprobe, die hier
mit herauf kam, bestand aus grobem Grand und Sand, deutete also auch
auf Landnähe hin. Wir konnten aber nichts sehen, denn das Wetter wurde
dichter und dichter, der Schnee trieb und benahm jede Fernsicht. Plötzlich
gegen 5 Uhr merkten wir eine s. Dünung, hoch aber kurz. Die Wasser-
färbe wurde grüuer, die Eisschollen kleiner und morscher. Wir schienen
uns trotz der s. Kurse offenbar wieder größeren offenen Wasserflächen zu
nähern und diskutierten, ob wir den Scholleneisgürtel passiert und nach
S. hin wieder schiffbares Meer vor uns hätten, vielleicht ein w. Analogon
zu dem im O. so weit herabreichenden Roßmeer am Viktorialand. Aller
Stimmung hob sich; denn wir hatten gegen S. freien, ungehinderten Weg.
Ich bemerke hierzu, daß die Ansichten über das Südpolargebiet bisher
dahin gingen, daß ein fester, vereister Landkern von einem dichten Schollen-
einsgürtel umringt sei, daß man innerhalb desselben aber freie Fahrt
finden und stellenweise bis zu hohen Breiten vordringen könnte, wie es Roh
gelungen war.l Daß die Verhältnisse etwas anders liegen, werde ich später
erörtern, und führe obiges nur an, weil es für unsere damalige Auffassung
der Sachlage von Wichtigkeit war. Sofort wurden Segel gehißt, was
schwierig genug ging, da Taue und Segel bis zu 3 cm Dicke mit Glatteis
bezogen waren und nur mit Mühe davon befreit wurden. Auf das Schiff
brach beim Hissen der Segel ein wahrer Regen von Eisstücken hernieder.
Die Maschine drehte dabei weiter; wir hatten mit ihr im Eise bereits
recht günstige Erfahrungen gemacht, indem sich in den Waken mit HV2 At-
mosphären Druck über 6 Knoten Geschwindigkeit erzielen ließen. Bei
dem starken Luftzug in der Feuerung und dem ruhigen Wafser zwischen den
Schollen hielt sie somit völlig, was sie versprochen, so daß wir gern vergaßen,
daß sie auf offenem Ozean nicht die gleiche Geschwindigkeit hergeben
konnte.
Schon am Abend des 19. Februar hinderte das Eis nicht mehr, die
Kurse zu wählen, welche wir wollten, wenn auch der Wind das Steuern
erschwerte. Diese Situation hielt am folgenden Tage noch an. Eisfreies
Meer mit vielen Bergen darin und dabei starker böiger Wind aus SO.
Die See war kurz und stoßweise und hatte viele Kämme, woraus man
* Vgl. S. 88.
152
II. Erdkundliches Lesebuch.
schließen konnte, daß sie mit den freien Wasserflächen im Norden nicht in
Zusammenhang stand. Mehrfach schlugen die Seen über das Schiff; doch
die Glatteisbildungen wurden geringer. Die Niederschläge hatten nach-
gelassen, und es mar sichtiger geworden. Wir loteten am Vormittag 690 m,
also wieder etwas mehr als am Tage zuvor. Da wir weiter westlich
standen, als bei der letzten Lotung, schlössen wir hieraus, daß der Rand des
Landsockels nicht rein ow. streicht, sondern auch südlicheren Richtungen folgt.
Bei diesem Kurs blieb es am 20. Februar bis 12 Uhr mittags; wir trieben
durch den heftigen Wind. Die Schrattsegel1 wurdeu gesetzt, um das Schiff
zu stützeu, was uns wieder mit einem wahren Eisregen überschüttete, so daß
man Schutz suchen mußte; au Deck war Schueebrei und Glatteis — kurz
alles denkbar ungemütlich. Man wärmte sich so gut es ging. Ich trug
jetzt dicke Jägerwolle, einen Marinesweater darüber und dann noch eine
dicke wollene Weste und Rock. Erst gegen Abend wurde es flauer, so daß
wir direkt gegen SO. halten konnten.
Am 21. Februar wurde ich in der Frühe mit der Nachricht geweckt:
Wirhaben das Land! Sogleich auf Deck hinauf, sah ich zusammenhängende,
einförmige weiße Konturen und an einer Stelle im NO. dunklere Flächen,
die sich bei der Annäherung aber auch als Eis erwiesen. Es war un-
zweifelhaft, daß das Eis alles auf Land lag, denn man sah auf seiner Ober-
fläche dunkle Spalten zu bestimmten Systemen geordnet. Überall endete
dieses Inlandeis mit einem Steilrand von 40—50m Hohe im Meer;
die Flächen dahinter mochten bis zu 300 in aufsteigen, gingen aber bald
in flachere Neigungen über, so daß man ihr Ende nicht absah. Eisfreies
Land war im ganzen Umkreis nirgends zu sehen, und unter einer riesigen
Jnlandeisdecke war alles begraben. Um 4 Uhr morgens loteten wir und
erhielten vom Boden grünen Schlick, also ein Kontinentalsediment. Van-
Höffen fischte Plankton und fand es verändert, nämlich vorzugsweise Peri-
dineen.^ Um uns herum lagen vor dem Rande des Inlandeises viele
Eisberge, doch alle in großer Ruhe; sie zeigten meistens keine Wasserkehlen
in den höheren Teilen, hatten also ihre ursprüngliche Lage noch beibehalten.
Nach der Lotung bogen wir ab zu w. Kurs, uachdem wir noch vorher eine
Robbe geschlagen, die auf einer der Schollen schlief, die zwischen den Eis-
1 Der Vordermast des Gauß war mit 5 Raasegeln, d. h. viereckigen Segeln
an den horizontalen Raaen, aufgetakelt, der mittlere oder Großmast ebmso wie der
Hintere oder Besanmast mit je 2 Schrattsegeln, d. h. unten breiten und oben
schmalen oder geradewegs dreieckigen Segeln, wie sie auch von Vordermast zum
Klüverbaum reichten, dem nach vorn aus dem Bug vorspringenden Stangenbaum. —
* Zu den Infusorien gehörig.
Berichte von Lntdeckungs- und Sorschungsreisen. 7. Crich v. Drygalski. 153
bergen — nicht sehr zahlreich — umhertrieben. Es war eine Wedellrobbe,
wie sich später herausstellte, also die Art, welche wir dann den ganzen
Winter hindurch fast ausschließlich hatten. Sie hatte Fische gefressen, so
daß der Mageninhalt bei der Öffnung fürchterlich stank. Auch erwies sich
ihr Fleisch, als wir es uoch am selben Tage genossen, als tranig, was bei
den früheren Robben nicht der Fall gewesen war. Das hatte zur Folge,
daß diese Robbenart als Nahrung längere Zeit vermieden wurde, bis uns
später einmal der Hunger antrieb, und wir fanden, daß sie ebensowenig
tranig schmeckt wie die anderen Robben. Der Grund des ersten Miß-
erfolges mag an der Zubereitung gelegen haben, vielleicht auch an der
vorwiegenden Fischnahrung, die sie gehabt. Um uns schwirrte ein kleiner
Oceanites/ und auf den Schollen standen Pinguine umher; in dem klaren
Wetter war es ein herrliches Bild, die ewige Ruhe des Eises, welche vor
und auf diesem neuen Lande alles umfing.
Die Frage war nun zu entscheiden, welchen Weg wir weiter nehmen
sollten. Die Küste des Inlandeises zog von ONO. gegen WSW.; nach S.
hin ging es hier mit dem Schiff also nicht, und wir hatten nur die Wahl
zwischen O. und W. Kapitän Ruser hatte ostwärts zu gehen gedacht, doch
ich wählte den Westkurs. Wir einigten uns, daß beide die gleichen Aus-
sichten hätten, und keiner vor dem anderen einen Vorzug besäße, insoweit
es das Streben auf Erreichung höherer s. Breiten betraf. Ich wählte den
Westkurs, weil mir durch die Landsichtungen, die wir gehabt, der Anschluß
an die im O. gelegenen, durch Wilkes 2 bekannt gewordenen Landstämme
gesichert erschien, und weil es in unserem Plane lag, solche Entdeckungen
dann gegen W. hin zu verfolgen. Eisfreies Land war hier in der
ganzen Umgebung nicht zu sehen, auch nicht an den höheren dunkleren
Flächen, die wir im NO. hatten. Es wäre möglich, daß Landkanten darin
zutage treten, gesehen aber haben wir solche nicht, und so hatten jene Ge-
biete für uns außer der größeren Höhe nichts wesentliches vor den w. vor-
aus, die wir nunmehr verfolgten. Die Eisküste blieb in dem gleichen
Charakter. Die Kammlinien, welche man auf der Oberfläche gegen den
Horizont sich abheben sah, waren nicht gerade, sondern schwach gewellt;
überall senkte sich von ihnen ein sanfter, dann immer stärkerer Abfall
bis zur Eismauer im Meere. Stellenweise sonnten sich die Spalten zu
bestimmten Systemen, aus denen man die Formen des Untergrundes ab-
leiten konnte. Man schloß, daß das Land unter dem Eise ein flaches
1 Meerläufer, eine Sturmschwalbenart. — * Charles Wilkes, nordamerikanischer
Admiral, entdeckte auf einer Forschungsfahrt im W. des Viktorialandes eine Küste,
das Wilkes-Land.
154
Hügelland war wie die Eisoberfläche, die es bedeckte. An einer Stelle
ging der Abfall der Oberfläche so allmählich hinab, daß es nicht unmöglich
schien, daß er in gleicher Weise hier bis znm Meere reichte; er endigte dort
hinter Eisbergen, welche die Küste blockierten. Wir mögen bis auf 3 km
an der Küste gewesen sein; Eisberge lagen noch dazwischen, aber nicht
sonderlich dicht, und soviel war sicher, daß es zur Landung dort keinen
Ort gab. Direkt uach W. ging es nun nicht mehr, weuu emer oder der
audere das auch zunächst nicht wahr haben wollte. Doch dehnte sich dort
vor uns eine -Reihe von Eisbergen in etwa sn. Erstreckung aus, von
Scholleneis umgeben, zwischen welches ich nicht hineingehen wollte. Es
waren Riesenkolosse von kleinen Trümmern umlagert, die zum Teil wenig-
stens festzuliegen schienen. Nur im NW. sahen wir in der Ferne eine
breitere Lücke, auf die wir dann zuhielten. Wir hielteu auf eine Öffnung
zwischen zwei Eis kanten zu, deren eine mir alt und fest erschien,
während die andere an Steuerbord lockerer war. Ich gestehe, daß mich bei
dieser Eiufahrt ein gewisses Grauen erfaßte. Bekannt war hier nichts; wir
wußteu vor allem auch nichts von dem Küstenverläufe; wir waren lediglich
auf das augewiesen, was wir um uns sahen — und dieses war Eis.
Was nun in den folgenden Stunden geschehen ist, weiß im einzelnen
niemand; dieses oder jenes Bild ist bei uns haften geblieben, doch der all-
gemeine Eindruck war, daß wir ein Spielball der Elemente ge-
wesen. Der Wind war zum Schneesturm angewachsen, der jede Aussicht
benahm. Wir kämpften unter vollem Dampf dagegen an, bald auf s., bald
auf n. Kurs, ohue aber etwas ausrichten zu können. Sicher ist es, daß
wir mit dem Sturme gewaltig trieben wie das Eis um uns her, das in
Bergen und Schollenrändern bald hier bald dort in dem Nebel erschien,
wo es vorher nicht war, und uns somit nur die allgemeine Bewegung ver-
riet. Die Unsichtigkeit zeitigte optische Tänschuugeu ohue Zahl. Niedrige
Schollen, die an uns herandrängten, erschienen zu mächtigen Bergen ver-
größert, die auf uns zutrieben nnd im nächsten Augenblick über uns zu-
sammeuzubrechen drohten, um das Schiff und alles, was darin war, unter
sich zu begraben, und die dann, wenn sie das Schiff berührten, in dem
Nebel zerrannen oder als kleine Schollen zur Seite trieben. Dazwischen
aber gab es auch wirklich mächtige Berge, denen es auszuweichen galt.
Im Innern des Schiffes hörte man unablässig die Signale für die
Maschine, oben an Deck die Kommandorufe zu dem Matrosen am Nuder.
So verging Stunde auf Stuude. An die Stelle der Erregung trat Nefig-
nation; denn zu machen war nichts. Nur wenn das Eis gegen das Schiff
preßte und rieb, entstand wohl auch der Gedanke, ob es der letzte Angriff
155
wäre, oder ob es sich wieder auseinanderziehen würde. Gegen 4 Uhr
morgens wurde das Scheuern an der Bordwand stark und anhaltend, uin
dann in gleichmäßig schwächere Töne überzugehen. Es war, als wären
wir nun völlig blockiert. Die Maschine arbeitete krampfhaft, doch das
Reiben hörte nicht auf; dann aber stand die Maschine und im Schiff trat
Stille ein. Ein kurzer Schlummer beruhigte etwas die von der wilden
Nacht erregten Gemüter.
Als ich an: Morgen des 22. Februar 1902 an Deck trat, war die
Situation gegen den vorigen Tag vollkommen verändert: Am Morgen
vorher der Anblick des neuen Landes und frische frohe Tatenlust in dem schiff-
baren Meer, heute ein Sturm mit Schnee und Nebel und das Schiff von
dichtem Eise umklammert, das schon fast ruhig lag und nur noch schwach
an seinen Wänden rieb. Wir lagen unbewegt; in diesem Sturme locker
zwischen Eisbergen zu treibeu, wäre auch eine furchtbare Aufgabe gewesen.
Damals bestand vereinzelt noch die Ansicht, daß wir die Küste unmittelbar
nach W. hätten verfolgen sollen, was aber später durchweg als zu unserem
Heile unterlassen erkannt wurde. Auch davou wurde gesprochen, daß wir
abends nicht hätten gegen den Wind nach O. wenden sollen, sondern uns
lieber dem im W. vor uns liegenden Schicksal und dem Sturm überlassen.
Die Wendung nach O. hatte zwar unsere Festlegung nicht verhindern
können, aber sie doch an einer Stelle zuwege gebracht, wie sie günstiger nicht
gedacht werden konnte. Ein weiterer Fortschritt nach W. in jener Nacht
hätte zu langer, vielleicht zu ewiger Einschließung geführt. Niemals wie
an jenem Abend habe ich empfunden, was es heißt, Entschlüsse zu fassen:
Anhalt dazn gab es nicht und darum der Ansichten viel, ohne daß irgend
ein bestimmter Rat daraus zu erseheu war. Man handelt nach reiflichsten:
Erwägen schließlich doch auf gut Glück; denn das Schicksal wird durch die
Elemente bestimmt.
3. Länderkundliche Darstellungen.
8. Alfred Kirchhofs^
Deutschland und sein Volk.
Sein Vaterland kennen lernen ist unerläßliche Vorbedingung dafür,
es richtig zu würdigen. Es fällt indessen bei Deutschland und seinem Volk
* Mensch und Erde. Skizzen von den Wechselbeziehungen zwischen beiden. Von
Alfred Kirchhoff. Aus Natur und Geisteswelt. Sammlung wissenschaftlich gemein-
verständlicher Darstellungen aus allen Gebieten des Wissens. 31. Bändchen. Leipzig
1901, B. G. Teubner (S. 119ff.).
156
nicht eben leicht, jene Vorbedingung zu erfüllen, da uns von Gau zu Gau
stark individuelles Gepräge aufstößt. Versuchen wir in flüchtiger Wander-
skizze zu zeigen, wie vielfach dieser reizvolle Wechsel von Landschaft und
Volkstum aus gegenseitiger Beeinflussung beruht.
Im Algäu an den Quellbächen der Jller und weiter östlich in den
Bayrischen Alpen erhebt sich der Boden unseres Reichs wie nirgends sonst
bis über die Schneegrenze. Hier allein jagt man die Gemse, wohnen halb-
nomadisch die Sennhirten in wettergebräuntem Blockhaus nur sommers-
über auf der grünen Alpenmatte, die sich einschaltet zwischen die schnee-
bedeckten Zinnen des Hochgebirgsgrates und die tannendunkle Zone der
unteren Gehängestufe. Auch sie wird häusig unterbrochen vom lichteren
Grün der Weideländerei, während Feldfluren ganz zurücktreten im Land-
fchaftsbild, beschränkt gewöhnlich auf die Talsohle in der Umgebung der
Dorfschaften. Tiefer Natursrieden lagert über dem Ganzen. Rinderzucht
nebst Waldwirtschaft ernährt eine spärliche Anzahl genügsamer Menschen.
Gleichviel ob Schwaben im W., Bayern im O. ■— die Alpennatur drückt
den Bewohnern ganz gleichartigen Stempel auf. Gesundheit und Kraft
spricht ihnen aus dem Antlitz, aus dem rüstigen Gang selbst auf schwin-
delndem Pfad an jäher Felswand. Stets von Gefahr bedroht durch über-
menschliche Mächte, ist der Alpler ein aufrichtig frommer Mensch, nur kein
Kopfhänger. Das erhebende Bewußtsein des Gelingens, der Überwindung
von Gefahren ist hier mehr als anderwärts in Deutschland mit den ein-
fachsten Arbeiten verbunden, mit dem Niederbringen einer Kötze Heu, dein
Holzflößen, dem Botenweg. Das stimmt zur Fröhlichkeit, die sich im
Echo weckenden Jauchzer und Jodler Luft macht, genährt von der körper-
lichen Frische in dieser herrlichen, Gesundheit spendenden Natur.
Noch eine Strecke weit erfreuen uns ins nicht mehr hochgebirgige Vor-
gelände hinaus, soweit es noch wesentlich von alpenhaftem Klima beherrscht
wird, die ihm angepaßten Lebens formen: die Zerstreutheit der Einzelgehöfte
in noch vorwiegend für Viehhaltung verwendeter Flur, ihr Holzbau mit
dem weit vorspringenden, gegen den Sturm steinbeschwerten Dach, unter
dem auf zierlicher Holzgallerie die vom Regen so oft benetzten Kleidungs-
stücke trocknen, der Tiroler Kremphut bei beiden Geschlechtern, das Loden-
wams, der kurze, das Ausschreiten nicht hemmende Frauenrock, der feste
Bergschuh. Dann aber wird die Landschaft eben, das Klima minder
niederschlagsreich, je mehr wir uns längs den rauschen Alpenflüssen Jller,
Lech und Inn der Donau nähern. Da wohnt ein ackerbauendes, bier-
brauendes Volk in geschlossenen Siedelungen. Inmitten ihrer Feldflur liegen
ansehnliche Dörfer mit hohen, roten Ziegeldächern, und manche altberühmte
Länderkundliche Darstellungen, 8. Alfred Kirchhofs,
Stadt mit ehrwürdigen, hochragenden Gotteshäusern erinnert an eine große
Vergangenheit. Regensburg und Augsburg erzählen schon durch ihren
Namensklang, wie hier der Germane einst römische Städte nach seiner
Weise ausbaute. Die Blüte von Augsburg und dem münstergekrönten
Ulm wurzelte in der vormaligen Bedeutung der süddeutschen Donauhoch-
fläche sür den Handel zwischen den Mittelmeerhäfen und dem viel früher
als Ostdeutschland kulturmächtigen rheinischen Westen. Augsburg verrät
durch den modernen Aufschwung seiner Webeindustrie den regeren Sinn für
gewerblichen Fortschritt, der die Schwaben vom Lech westwärts überhaupt
vor den behäbigeren Bayern auszeichnet. Über alle Städte des Alpen-
vorlandes aber kam München empor, dieses glänzende Zyklopenauge auf
der breiten Stirnfläche unseres Südens, das lebensvolle Verkehrszentrum
dieser Ebene, die stets berufen war, zwischen Nord und Süd, Ost und
West, zu vermitteln, der große Getreidemarkt für die getreidearmen
Alpengaue, die erste Bierbraustadt der Welt.
Bloß das Donautal über Passau hinaus verbindet die süddeutsche
Hochfläche mit Österreich, eine Vielzahl bequemer Talwege hingegen, die
durch den Jura führen, verklammern mit dem übrigen Deutschland. Sie
führen uns ins südwestdeutsche Becken, ganz eingesponnen ins süddeutsche
Rheinsystem, mit dem Rheinstrom von Basel bis Mainz in seiner tiefsten
Rinne. Im Maingebiet wohnen die nach ihm benannten sö. Franken.
Sie haben auf dem mageren Keupersandboden inmitten des Regnitzlandes
unter dem Schutz der noch heute die Stadt auf steilem Felsen überragen-
den, alten Kaiserburg ihr Nürnberg gegründet, die einzige Stadt des Reichs,
die durch das erfindungsreiche Schaffen ihrer Bürger die Blüte seiner
mannigfachen, durchaus nicht bodenständigen Gewerbe seit dem Mittel-
alter bis zur Gegenwart bewahrt hat. Sonst ist der Mainfranke werk-
tätiger im Anbau seines fruchtbaren Triasbodens. In der Bamberger
Gegend bis gegen Schweinfurt hin bilden Hopfenberge eine Landschafts-
zierde, im wärmeren Unterland, so tfm die alte Bischofsstadt Würzburg,
Weinberge. Im lieblichen Neckarland haben die Nachkommen schwäbischer
Juthungen ihre Heiiuat zu einer Stätte harmonischer Durchdringung von
Anbau und Gewerbefleiß umgeschaffen. Der Ackersegen der Felder, der
glänzende Obst- und Weinertrag der Bodenabstufung bis zu den Tal-
sohlen des Neckargeflechts ist es nicht allein, was die Menschenfülle des
Ländchens ernährt; überall sehen wir das starke Flußgefälle zu industriellen
Anlagen verwertet und die Steinkohlen vom norddeutschen Rheinland auf
Schienen- wie Wasserweg heranfahren zum maschinellen Großbetrieb.
Mehr gesondert nach den Bodenformen erweist sich Anbau und Ge-
158 II. Erdkundliches Lesebuch.
werbe auf der süddeutschen Rheinebene gegenüber ihren beiderseitigen Ein-
schlußgebirgen. Jene hat sich von jeher den Namen „Deutschlands
Garten" verdient bei ihrem ertragreichen Boden, ihrem milden Klima.
Bis zur Pfalz hin hält der hier noch für Bootfahrt etwas zu ungestüme
Rhein die Uferlande im O. und W. auseinander; deshalb waren sie trotz
gleichartiger Wirtschaftsweise ihrer Bewohner staatlich immer getrennt,
erst die Pfalz vermählt auch politisch die beideu Uferseiten.
Getrennt entfaltete sich die wie immer von so vielen Zufälligkeiten
abhängige Geschichte des Gewerbes in den schön bewaldeten Umrahmnngs-
gebirgen: der Schwarzwald wählte sich die Holzschnitzerei, aus der sich
dann Uhrenmanufaktur und Herstellung von Musikinstrumenten, selbst kost-
barer Orchestrien entwickelte, der Wasgau die Baumwollweberei, deren
Hauptsitz jedoch Mülhausen blieb, wo das Vorbild der Textilindustrie der
Schweiz, der Mülhausen früher angehörte, noch heute nachwirkt. Die
von Saarbrücken und Aachen bis nach Sachsen und Oberschlesien ver-
breiteten Steinkohlenlager bewirkten es aber, daß die moderne Groß-
industrie Deutschlands doch eine ganz vorwiegend norddeutsche wurde.
Süddeutschland ist auch hierin dem Norden nur dort mehr angeglichen,
wo der Kohlenbezug aus dem norddeutschen Rheinbezirk, zumal aus dem
für den Wasservertrieb so günstig gelegenen Ruhrkohlenbecken nicht zu
teuer ist. Darum sind im südwestdeutschen Becken so jugendliche Städte
wie Mannheim, Ludwigshafen norddeutsch rasch gewachsen, Landstädtchen
des Donangebiets wie Straubing oder Amberg in der Oberpfalz dörflich
klein geblieben. Krupps weltberühmte Gußstahlwerke in Essen holen sich
ihr Eisen aus Nähe und Ferne, selbst ans Spanien, jedoch durch ihren
Kohlenbedarf sind sie an die Rnhrgegend gefesselt; verschlingen doch die
Kruppschen Maschinenöfen jährlich iy4 Millionen Tonnen Steinkohlen.
Älterer Bedeutung für gewerbliche Anregung der Bewohner unseres rhei-
nischen Schiefergebirges sind allerdings die Erzvorkommen gewesen. Die
Schwertfegerei von Solingen ist so alt wie die Bleicherei und Weberei an
der Wupper, aus der jene gewaltige Industrie der Doppelstadt Elberfeld-
Barmen mit dreimal hunderttausend Einwohnern hervorging. Überhaupt
haben die drei Faktoren, Kohlenreichtum, großer Vorrat an Eisen-, Zink-
und Bleierz nebst angeerbter Neigung des Volks zn gewerblichem Verdienst,
dort am Nordsaume des Schiefergebirges und ins bergisch-märkische Land
hinein an der Hand der Großindustrie die größte Massenverdichtung der
Deutschen gezeitigt.
Das gefeiertste Stück des Rheintals von Bonn aufwärts bis Bingen
entrollt uns das lebensvolle Bild der verjüngten Schaffenstätigkeit unseres
159
Volkes auf fast allen Gebieten. Eng aneinander reihen sich um den ver-
kehrsreichen Strom die schiefergedeckten Städte und Dörfer, diese oft nur
in einer einzigen Häuserzeile eingeklemmt zwischen dem grünen Rhein und
den nicht hohen, aber steilen Felsen seines gewundenen Tales, deren düsteres
Grau von Rebengrün und stellenweise von Eichenwald verhüllt wird. Alles
atmet Frohsinn nnd fortschreitenden Wohlstand; hier und da schaut noch
ein römischer Wachtturm ins srisch pulsierende Leben der Gegenwart; neben
Burgruinen aus dem Mittelalter grüßen vornehme Landsitze, schmucke
Schlösser von den Höhen. Es ist das rechte Heim des weinfröhlichen
Franken, der hier seit zwei Jahrtausenden haust und seinerseits dieser gott-
gesegneten Taluug den Stempel seiner energischen Schaffenslust auf-
geprägt hat. Doch dieselben Rheinsranken wohnen auch auf den plattigeu
Flächen zur Seite von Rhein, Mosel und Lahn; indessen wie zurück-
geblieben, wie weltabgeschieden und arm, wo der naßkalte Fels- oder Ton-
boden der Eifel, des Hunsrücks, des Westerwalds, über den der Nordwest
Regenschauer und Schneewehen treibt, die Aussaat so kümmerlich lohnt!
Ostwärts folgt das Hessische Bergland, das seit alters ein sleißiges,
tapferes Bauernvolk ernährt, ohne Steinkohlen- und Erzschätze im grellen
Gegensatz zum Rheinland bis ins 13. Jahrhundert völlig der Städte ent-
behrte, auf seinen anmutigen, aussichtsreichen Basaltkuppen, wie dem
Petersberg bei Fulda, der Milseburg, dem Kreuzberg der Rhön aber alte
Andachtsstätten besitzt zum Beleg des nur scheinbar barocken Satzes „Basalt
macht fromm".
Wo in den noch weiter östlichen Gliedern unseres MittelgebirgS-
raumes, dem thüringischen, dem sächsischen, dem schleichen, für den
Ackerbau gut geeigneter Niederungsboden rauheren Höhen benachbart liegt,
da meldet meistens schon das Fichtengrün der letzteren und die falbe
Flur mit den langgezogenen Rechtecken der Acker zu ihren Füßen, wie die
Bodenerhebung die Beschäftigung der Menschen regelt. Besonders schön
aber kann mau dort bei den Bergbewohnern die Wahrheit des Satzes
kennen lernen: „Not ist die Mutter der Künste!" Läge da setteres Erd-
reich, das die Waldrodung zum Feldbau lohnte, und wäre der Winter nicht
zu lang und zu rauh, so würdeu die armen Leute aus dem Harz, dem
Erzgebirge nicht so emsig in den lichtlosen Erdenschoß eingedrungen sein,
um mit Lebensgefahr Metalladern anzuschlagen in immer höher gesteigerter
Kunst, wodurch diese Gebirge zu Musterschulen des Berg- und Hütten-
wesens für die ganze Welt geworden sind; es würde ebensowenig jene groß-
artige Fülle hausgewerblicher Industriezweige erwachsen sein, die Kunst
der Glasfabrikation eine so hohe Vervollkommnung erreicht haben, wie es
160
II. Erdkundliches Lesebuch.
der Fall ist vom Thüringer Wald bis in die Waldgründe der Sudeten. Die
Regel, daß die Volkszahl nach den höheren Gebirgsstufen sich mindert, ist
durch den Bienenfleiß und die mit Kunstsinn gepaarte, hochgradige Ge-
schicklichkeit dieser Gebirgsbewohner mehrfach ins Gegenteil verkehrt
worden. So leben die Erzgebirgler auf der fast keine Feldfrucht neben der
Kartoffel tragenden Kammhöhe ihres Gebirges in dichteren Scharen, volk-
reicheren Dörfern als unten die Bauern auf dem fruchtbaren Löß des
ebenen Vorlandes an der Pleiße, Mulde und Elbe. Ihre Vorfahren kamen
als Bergleute auf die luftigen Höhen; als dann die Erzschätze allzubald
versiegten, blieben die Nachgeboreneu mit leidenschaftlicher Heimatsliebe auf
der armen Gneisscholle, suchten und fanden Verdienst durch Schnitzerei,
Tischlerei, Spitzenklöppeln und Feinstickerei, so daß sie mit fast chinesischer
Anspruchslosigkeit bei Kartosfelkost und Blümchenkaffee ein zahlreiches,
auskömmlich lebendes, fangeslustig sröhliches Völkchen wurden.
Großartiger freilich offenbart uns zu gnterletzt das Norddeutsche Tief-
land den Sieg unserer Nation über eine von Haus aus kargende Natur.
Wie hat es der Deutsche verstanden, selbst dem dürftigsten Diluvialsand in
steigenden Mengen Nahrungsmittel abzugewinnen, sogar in den Mooren
sich ein sauber wohnliches Obdach, ja Wohlstand zu schassen. Eben bei der
harten Arbeit, die sich Jahr um Jahr erneuert, wenn hier der Landmann
sich und den Seinen das Dasein fristen will, ist der harte Menschenschlag
groß geworden, der in Treue und Tüchtigkeit, Ausdauer und Kraft den
Kern des Preußischen Staates ausgestalten, mithin die Grundlage unseres
Reiches legen half. Die Wegsamkeit der Ebene schon als solcher, die
Schiffbarkeit ihrer Ströme, die Zwischenlage zwischen den Gebirgen mit
ihren der Niederung versagten Kohlen und Metallen auf der eiuen, den?
Meer auf der andern Seite erzeugte eine Entfaltung von Handel und In-
dustrie, die im Zeitalter des Dampfer- und Eisenbahnverkehrs eine vor-
dem ungeahnte Höhe erklomm. „Arbeit schafft Wohlstand und Macht",
das lehrt uns das Emporkommen gerade dieses Nordens unseres Vater-
landes aus den früheren ärmlichen Zuständen besonders vernehmlich. Dem
Wirtschastsfortfchritt dieses Raumes vor allem, gar nicht bloß der politischen
Vorrangstellung Preußens ist es beizumessen, daß das Schwergewicht des
neudeutschen Reiches im Nordosten liegt. Bis tief ins Mittelalter konzen-
trierte sich das geistige Leben, das Aufblühen größerer Gemeinwesen Haupt-
sächlich auf den Südwesten Deutschlands. Nunmehr ist die Pflege von
Kunst und Wissenschaft bis in unsere östlichsten Grenzmarken vorgedrungen,
und große wie mittlere Städte sind über unser ganzes Tiefland verteilt.
Sie ordnen sich namentlich in drei Reihen. Eine verfolgen wir von
länderkundliche Darstellungen. 9. Albrecht pen&.
161
Aachen über Leipzig bis ins Vorland der Sudeten; sie hält sich in der
Nähe des Gebirgsfußes, wo der Boden der Niederung tonhaltiger, deshalb
fruchtbarer ist, und nutzt den Marktvorteil aus, wie er sich überall darbietet
durch den Erzeugungsgegensatz zwischen Gebirge und Ebene. Eine zweite
fällt in die große mittlere Verkehrsachse, die zugleich ein Stück der gesamt-
europäischen von Paris über Moskau ausmacht: Sie besteht vorzugsweise
aus Brückenorten wie das steinalte, ewig jugendfrische Cöln, Hannover,
Magdeburg, das natürliche Hauptzentrum des Verkehrs der Nordostniede-
rung Berlin, ferner Frankfurt a. O., Posen. Die dritte besaßt die Küsten-
städte, die erst durch den Kaiser Wilhelm-Kanal an einen einheitlichen, rein
deutschen Schisfahrtsweg gelangten. Sie waren zum guten Teil schon zur
Hansezeit Deutschlands Stolz als Organe seines Überseehandels nach Eng-
land, Skandinavien, Rußland. Bei vorzugsweiser Richtung dieses See-
Verkehrs über das Baltische Meer mußte Lübeck das Venedig des Hanse-
bundes werden. Nuu schaut unser weltumspannend gewordener Handel
naturgemäß zumeist geu NW., wo in der innersten Nische des einzigen
Weltmeergolfes mit deutschem Küstenanteil das deutsche London durch seine
tatkräftige Bürgerschaft zum ersten Handelshasen des europäischen Fest-
landes entwickelt ward. Was wäre Deutschland ohne Hamburg! Aber
wir dürfen hinzufügen: Was wäre Hamburg ohne Deutschland mit seiner
riesenhaften Arbeitsleistung, mit seinem machtvollen Reichsschutz!
Wir Deutsche im Reich gehören eben zusammen uicht bloß durch uralte
oder erst auf diesem Boden geknüpfte Verwandtschastsbande und eine mehr
denn tausendjährige gemeinsame Geschichte, nein, vor allem durch unser
Vaterland. Das haben wir zu Nutz und Frommen sriedlichen Schaffens
gemeinsam zu schirmen durch unser starkes Heer, und an der allertreusten
unserer Grenzen, an der Küste, durch unsere endlich erlangte, herrliche
Kriegsflotte, die der Kauffahrerflotte unter schwarz-weiß-roter Flagge auf
allen Meeren der Welt als Schild dient. Aber dies Vaterland fordert nicht
bloß unser einmütiges Zusammenhalten als die nötige Schutzfeste unseres
Daseins. Es heischt auch unsere Dankbarkeit. Ihm danken wir über alle
kleinen ^tammessonderungen hinaus die ernste Zucht zur Arbeit, Sparsam-
keit und guter Sitte, den gemeinsamen Pulsschlag eiues treuen Herzens.
9. Albrecht Penck.^
Die deutschen Kalkalpen.
Kündet der zunehmende Reichtum an Niederschlägen das Gebirge
gleichsam aus der Ferne, so verknüpfen noch inniger die Flüsse die deutschen
1 Unser Wissen von der Erde. Allgemeine Erdkunde und Länderkunde, heraus-
gegeben unter fachmännischer Mitwirkung von Alfred Kirchhoff. 2. Band: Länder-
Lampe, Erdkunde. Heft 4. i.
162
II. Erdkundliches Lesebuch.
Kalkalpen mit ihrem Vorlande. Gespeist von reichlichen Niederschlägen,
verlassen das Gebirge zahlreiche kräftige Wasseradern, von welchen nur
die kleineren in Seebecken geklärt werden, während die größeren, nament-
lich der Inn, die Salzach, die Isar und der Lech all das Gesteinsmaterial
mit sich fortwälzen, mit welchem sie von den Wildbächen der Alpen beladen
wurden. Sie schütten damit ihr Bett auf den unteren Teilen der Schotter-
flächen und in den Tälern der Tertiärlandschaft auf der Hochebeue fort-
während auf, gelegentlich bei großen Fluten weite Flächen mit grobem Ge-
röll bedeckend. Es fliehen daher die Niederlassungen die Ufer der un-
gestümen Alpenflusse oder nahen sich ihnen nur, wenn sie in tiefen Gräben
eingesenkt sind. Mit dem Gerölle aber schwemmen jene Flüsse auch die
Samen von alpinen Pflanzen an, die dann als Versprenglinge weit außer-
halb ihres Verbreitungsbezirkes an das Hochgebirge mahnen. Die Not
hat dazu geführt, auch diesen reißenden Alpenflüssen der oberdeutschen Hoch-
ebene Zügel anzulegen. Große Strecken sind geradgelegt und die sonst stetem
Wechsel unterworfenen Ufer sind befestigt worden. Im geregelten Bette
können die Flüsse jene Schottermassen völlig mit sich fortwälzen, welche sie
sonst über das Uferland breiteten; aber nun entwickeln sie ihre Tätigkeit uach
anderer Richtung hin. Schütteten sie früher ihr Bett mit ihren Schottern
zu, so vertiefen sie nun den Kanal, den ihnen der Mensch zugewiesen hat.
In ungefähr zwanzig Jahren hat der Lech bei Augsburg sein Bett um 12 m
und die Isar das ihre bei München um 4 m tiefer gelegt.
Zwischen diesen ungestümen Kindern der Alpen, deren Wassernlasse bei
den Hochfluten des Sommers vierzigmal größer werden kann als beim
Niederwasser des Winters, nehmen sich die Flüsse des Alpenvorlandes selbst
sehr eigentümlich aus. Ruhig, vielfach gewunden fließen sie zwischen schil-
figen Ufern dahin, mit sich nur feinen Sand und kein gröberes Geröll
führend. Ihr Wasser erhält durch zahlreiche, in ihm suspendierte vegeta-
bilische Substanzeu eine dunkle Färbuug, gegen welche das tiefe Blau oder
Grün der Alpeuflüsse bei Niederwasser oder deren lehmiges Gelbbraun bei
den Hochfluten des Sommers in grellen Gegensatz tritt. Teils quer, teils
in schräger Richtung über das Alpenvorland hinwegströmend, behalten die
Alpenflüsse ihren Charakter bei und drücken ihn schließlich auch der Douau
auf, so daß diese, obwohl dem Schwarzwalde entspringend, doch das Aus-
sehen eines Alpenstromes erhält, dessen Lauf die Nordgrenze des Einflusses
der Alpen auf ihr Vorlaud und zugleich auch vom letzteren selbst bildet.
Trotzdem die oberdeutsche Hochebene in ihrem südlichen Teile bereits
künde von Europa. Wien nnd Prag, F. Tempsky; Leipzig, G. Freytag 1889.
. (S. 145 ff)
Länderkundliche Darstellungen. 9. Albrecht penck, 163
Höhenunterschiede aufweist, welche an die Verhältnisse mancher Mittel-
gebirge erinnern, trotzdem sie auf ihrem Südsaume eine deutlich entwickelte
Vorbergzone besitzt, ist doch das Alpen gebirge scharf und deutlich gegen
sie abgesetzt und erscheint in überwältigender Majestät über den Vorbergen.
So großartig ist seine Erscheinung, daß vor ihm die Höhenunterschiede des
Vorlandes klein erscheinen, was die Meinung erweckte, daß sie überhaupt
nicht bestünden. Berg ist auf Berg getürmt, eine Kette überragt die an-
dere, und die erste Zone des Gebirges, die au dessen Fuß das Auge gefangen
nimmt, tritt gegen die nächstfolgenden zurück, wenn man einen weiteren
Standpunkt, vielleicht bei München nimmt. Aber auch diese zweite Zone
schrumpft zusammen, wenn man weiter zurücktritt und vom nördlichen
Saume des Alpenvorlandes den Blick dem Gebirge zuwendet. Dann erscheint
an klaren Sommertagen eine Reihe schneeiger Gipfel, welche sich wie eine
erstarrte Wellenlinie am blauen Himmelsgewölbe abzeichnet. Das sind die
in das Reich des ewigen Schnees getauchten Häupter der Zentralalpen.
Unter ihnen tritt im Bilde ein Band grotesker Felsgestalten entgegen,
welche nicht in so schön harmonischer Weise ineinander verfließen, nicht so
ruhig auf- und abwogen, wie die zentralen Alpen; es ist dies die Zone der
Kalkalpen. Vor ihnen lagern sich langgedehnte dunkle Rücken ohne aus-
gesprochen Gipfel, bewaldet bis hoch hinauf, bald fortlaufend, bald wieder
große Lücken lassend, in welchen die Kalkalpen bis an die Hochebene heran-
reichen. Dies ist die Zone der Flyschberge.
Was das Auge mit einem Blicke aus der Entfernuug überschaut, ist
räumlich weit voneinander geschieden; die einzelnen Zonen, in welche sich
das Gebirge gliedert, sind derart gestellt, daß die folgende immer die vor-
hergehende überragt. Dieser streng regelmäßige Aufbau verleiht den Alpen
im Süden des Deutscheu Reiches eiue ungemein einfache, klare Anordnung;
aber indem das Gebirge sich mit seinen größten Höhen am weitesten von
seinem Vorlande entfernt, und indem das letztere sich höher erhebt als
irgendwo sonst in den Nachbargebieten, während die Gipfel den benachbarten
der Schweiz an Höhe nachstehen, macht die Kette int Süden des Deutschen
Reiches nicht jenen überaus großartigen Eindruck wie die Alpen der Schweiz.
Aber die deutschen Alpen sehen geschlossener aus als ihre Schweizer Nach-
barn; unmittelbar treten sie an ihr Vorland, so daß sie hier einen scharf
ausgesprochenen Fuß besitzen; es fehlt ihnen ferner die Gliederung durch
große, tief einschneidende Täler, welche dem Blick ermöglichen, bis in das
Herz der Schweizer Alpen einzudringen. Nur an drei Stellen wird die
gesamte Erhebung der deutschen Kalkalpen von Tälern durchbrochen, welche
von den innersten Ketten des Gebirges kommen. Zwei derselben markieren
11*
164
LI. Erdkundliches Lesebuch.
gerade ihr Ende, nämlich das Rhein- und Salzachtal, und nur eines nimmt
genau ihre Mitte ein Es ist dies jene Pforte, in welcher der Inn die
Alpen verläßt. Deutlich spricht sich in diesen Verhältnissen die Tatsache
aus, daß die Längsgliederung vor der Quergliederung überwiegt. In
der Tat ist der Aufbau der einzelnen Gebirgsteile derart, daß einer parallel
dem anderen gelagert ist. Ein großer Zug von Längstälern trennt die
zentralen Alpen von den Kalkalpen, und in diesen tritt wiederum die
parallele Anordnung der einzelnen Glieder hervor. Zerstückelt und in
einzelne Gruppen zerlegt ist nur die äußere Zone des Gebirges, die der
Flyschberge. Als geschlossene Mauer liegen die deutschen Alpen vor ihrem
Vorlande, während sich die Schweizer Alpen durch zahlreiche, große Täler
gegen dasselbe öffnen.
Dieser Gegensatz ist maßgebend geworden für die historische Ent-
wicklung. Während die Schweizer Alpen mit ihrem Vorlande eine staat-
liche Gemeinschaft bilden, sind sowohl die deutschen Alpen als Tirol stets
von ihrem bayrisch-schwäbischen Vorlande getrennt gewesen. Jahrhunderte
haben an der Ausbildung einer politischen Grenze gearbeitet, welche schließ-
lich die südliche des Deutschen Reiches geworden ist, und die hin- und her-
springt, sich aber nicht im geringsten um geographische Provinzen kümmert.
Es sei daher gestattet, hier jenen ganzen Komplex des Gebirges in die Be-
trachtung zu ziehen, welchem das deutsche Alpenland angehört, das sind
die nördlichen oder deutschen Kalkalpen zwischen Rhein und Salzach.
Sie bilden ein geschlossenes Ganze für sich. Durch die großen Längstäler
der Salzach, des Inn und der Jll von den Zentralalpen getrennt, unter-
scheiden sie sich wesentlich von denselben durch das Material ihres Aufbaues
und ihre Oberflächenbeschaffenheit. Wie ihr Name bereits andeutet, do-
minieren in ihnen kalkhaltige Gesteine, welche der mesozoischen Gruppe zu-
zuweisen sind, und nirgends treten in ihnen jene für die Zentralalpen
charakteristischen kristallinen Schiefer auf. Zugleich werden sie durch das
Salzachtal scharf von ihrer östlichen Fortsetzung geschieden, während int
W. das Rheintal eine noch viel tiefer greifende Sonderung von den
Schweizer Alpen bewirkt. Dieser so umgrenzte Gebirgsstreifen umfaßt
die deutschen Kalkalpen und läßt die bereits angedeutete Sonderung von
Flyschbergen und echten Kalkalpen deutlich auf seiner ganzen Längser-
streckung erkennen, wiewohl er sich in mehrere Gruppen sehr verschiedener
Gestaltung scheiden läßt. Es sind dies die Algäuer, Bayrischen, Berchtes-
gadener und Kitzbüchler Alpen. Hiervon sind die letzteren ganz außerhalb
der Grenze des Reiches gelegen. Die großen Längstäler, welche die Zentral-
alpen von den deutschen Kalkalpen trennen, geben diesen fast einen ebenso
165
deutlich abgesetzten Südsuß, wie die angrenzende Hochebene ihnen den
ausgesprochenen nördlichen Fuß verleiht. Zwischen diesem Nord- und Süd-
fuße der deutschen Alpen erhebt sich keineswegs ein einheitlicher Gebirgs-
kämm, sondern es befindet sich hier eine große Zahl einzelner Ketten, Berg-
grnppen und Höhen, welche bald sest miteinander verknüpft, bald nur lose
aneinander und nebeneinander gelagert find, und zwischen welchen der First
des Gebirges hin- und herspringt, eine ebensolche Zickzacklinie beschreibend
wie die bayrisch-tiroler Grenze, dabei jedoch im allgemeinen sich dicht"an
den Südfuß haltend. Gerade aber diese reichhaltige Anordnung der ein-
zelnen Gebirgsglieder bedingt die großen Gruppierungen im ganzen.
In den Algäuer Alpen ordnen sich die Kämme derart, daß sie von
einem Punkte, welcher dem Arlberge benachbart ist, nach W., N. und O.
ausstrahlen. Ihre Längserstreckung steht somit in keiner Beziehung zur
Richtung des ganzen Gebirges, sie bedingen eine strahlige Anordnung der
Täler von Bregenzer Ache, Jller und Lech, welche im allgemeinen schräg
zur StreichungSrichtung des Gebirges gestellt sind. Die einzelnen Täler
werden zwar durch Pässe miteinander verbunden, aber keiner derselben sinkt
unter 1500 in Höhe herab, und ihre Anordnung bringt es mit sich, daß keine
durchlaufende Kommunikation durch diesen Teil der deutschen Kalkalpen
möglich ist. Die einzelnen Täler bilden dementsprechend in sich abge-
schloffene Gebiete, von welchem nur das eine, das gegen das Vorland in
großer Breite geöffnete Jllertal, zum Deutschen Reiche gehört. An dessen
Hintergehänge erhebt sich die Mädele-Gabel auf 2650 m, den höchsten
deutschen Berg dieser Gruppe bildend, während auf österreichischer Seite
die Passeier Spitze 3028 m hoch ansteigt. Die Gliederung dieses
Teiles der deutschen Alpen hat unverkennbare Ähnlichkeit mit der der
Schweizer Alpen, namentlich wenn hinzugenommen wird, wie innig die
Algäuer Gruppe durch den Arlberg mit den im S. liegenden Rätischen
Alpen verknüpft wird, so daß hier die Trennung von Kalk- und Zentral-
alpen bei weitem nicht so scharf zur Durchbildung gelangt ist, wie weiter
im O. An die benachbarte Schweiz erinnert auch die Form der Gipfel
und namentlich der Charakter des Jllertales. Grüne, saftige Matten
steigen hoch an den Berghängen empor, wo der Wald immer nur parzellen-
weise auftritt, so daß sie allmählich in die Region der Alpen übergehen.
Gleichsam ausgestreut sind über sie Gruppen des stattlichen Bergahorns,
welche sich manchmal zu schattigen Hainen zusammendrängen. Nackte Fels-
Partien, kahle Schutthalden fehlen den Gehängen des Tales gänzlich, das
sich bis Oberstdorf als breite, ebene Fläche im Gebirge ausdehnt, um sich
dann talaufwärts zu verästeln. Das Lechtal allerdings ist steriler und
166
II. Erdkundliches Ecfcbuch.
trägt bereits die Charaktere der Bayrischeil Alpen zur Schan, während um-
gekehrt das verzweigte Talsystem der Bregenzer Ache gänzlich das Gepräge
der Appenzeller Alpen in der benachbarten Schweiz besitzt. Diese Ver-
schiedenartigkeit der Täler ist wenigstens teilweise davon abhängig, daß
sich das Lechtal in die eigentlichen Kalkalpen erstreckt, während die beiden
anderen lediglich der Flysch- und Molassenzone angehören; dazu kommt
allerdings noch der Umstand, daß die algäuer Bevölkerung eine weit inten-
sivere Bodennutzung betreibt, als die benachbarte bayrische.
Die Bayrischen Alpen können als das ideale Muster eines Ge-
birges mit paralleler Anordnung gelten. Die einzelnen Ketten stehen neben-
einander wie die versteinerten Wellen der wogenden See; schroff erheben
sie sich, steilen Firsten vergleichbar, welche dann plötzlich, wie abgeschnitten,
auf beiden Seiten enden. Zwischen diesen einzelnen, firstähnlichen Gebirgs-
ketten schalten sich mehr oder weniger breite Längstäler ein, welche gleich
den Ketten oft nicht unbeträchtliche Erstreckung besitzen. Dieselben werden
aber durch zahlreiche, kurze Quertäler miteinander verknüpft, welche die Ab-
schnitte der einzelnen Ketten markieren. Auf diese Weise entsteht in den
Bayrischen Kalkalpen ein sehr reich entfaltetes Talnetz, weswegen sie trotz
der stattlichen Höhe ihrer Ketten und Gipfel doch nach allen Richtungen
hin wegsam sind und fast in beliebiger Weise der Länge oder Quere nach
durchwandert werden können. Je nachdem in diesem Talnetze entweder
die Längstäler oder die Quertäler vorherrschen, erhält das Gebirge einen
verschiedeneu Charakter. Ihre im W. an das Lechtal anstoßenden Partien
zeigen ein ausgezeichnetes Vorwalten der Längstäler, und dieser Typus
hält bis zu dem großen Quertale an, in welchem der Inn die Kalkalpen
durchbricht. Indem die Flüsse hier bald einem Längstale folgen, bald
dasselbe in kurzem Quertale verlassen, um ein anderes Tal zu erreichen,
zeigen sie einen vielfach gebrochenen Verlauf, und es sind nicht die Fluß-
täler als solche, an welche sich das Leben im Gebirge knüpft, sondern es
sind die großen Längstäler, in welchen sich dasselbe konzentriert; da ist das
große Partenkirchener Tal, das sich am Fuße des Wettersteingebirges, an-
gesichts des höchsten Gipfels des Deutschen Reiches, der Zugspitze
(2960 in), erstreckt, da ist das Tal von Jachenau und Bayrisch Zell. Allein
diese Längstäler stehen nicht nur untereinander in vielfacher Verbindung,
sondern es führen auch häufige niedrige Pässe über die Bayrischen Alpen
nach dem großen Längstale des Inn, worunter namentlich der Fernpaß
(1250 in), der Seefelder Paß (1176 m), der Achenpaß (994 m) und
Spitzingpaß (1100 m) zu nennen sind. Allen diesen Pässen kommt erhöhte
Bedeutung deswegen zu, weil sich südlich von ihnen die tiefsten Pässe der
Länderkundliche Darstellungen, S. Albrecht penck. 167
Zentralalpen, Neschenscheideck und Brenner, öffnen. Östlich voin großeil
Quertale des Inn tritt ein Wechsel der Physiognomie der Bayrischen Alpen
dadurch ein, daß von hier an die Quertäler vorwaltend werden. Drei
Quertäler durchsetzen hier die ganze Gruppe, nämlich das Jnntal selbst,
ferner das Tal der Chiemseeache und schließlich das die Ostgrenze bildende
Saalachtal, welche untereinander durch mehrere Längstäler verknüpft
werden. Infolge dieser vorwaltenden Quertäler verwischt sich in diesem
Teile der Bayrischen Alpen jene Wasserscheide, welche ihre westliche Hälfte
charakterisiert. Nord- und Südseite des Gebirges treten nicht in Gegen-
satz zueinander. Allein da dieser im Birnhorn gipfelnde Teil der
Bayrischen Alpen von den zentralen durch die vorgelagerten Kitzbüchler
Alpen getrennt ist, und den zentralen Alpen selbst die entsprechenden Pässe
fehlen, hat dies reichgegliederte Talnetz bei weitem nicht die Bedeutung
erhalten wie das der westlichen Bayrischen Alpen.
Die zahlreichen, einzelnen Ketten der Bayrischen Kalkalpen sind derari
geordnet, daß die äußeren den inneren an Zusammenhang und Höhe nach-
stehen. Die von den Flyschrücken gebildete, durch die beckenartig ver-
breiterten Ausgänge der Quertäler vielfach zerstückelte, äußerste Zone er-
hebt sich kaum über 1500 rn (Trauchberg). Die nächste Zone steigt int
Mittel bis zu 1900 in, gelegentlich auch bis 2000 m au, und erst die
inneren, nahe der Südgrenze der Gruppe gelegenen Ketten reichen an
3000 m. Diese inneren Ketten des Gebirges sind es, welche die eigentüm-
liehe Charakteristik desselben bewirken. Schroff und steil erheben sie sich
mauerartig über den Längstälern an ihrem Fuße, nur ein Stück klimmt
der Wald an ihnen empor, dann folgeil Halden von Schutt, welche mit
dem steilsten Böschungswinkel sich an das Felsgebäude anlegen. Dieses
ragt nackt und kahl, bäum- und strauchlos, uubedeckt von Matten oder
Alpen auf. Blendend weiß ist der Fels, und indem er bald in die roten
Strahlen der untergehenden Sonne getaucht, bald in Schatten gehüllt,
bald wieder vom grellen Lichte der mittägigen Sonne Übergossen wird,
wechselt er fast stündlich seine Färbung, ein Schauspiel gewährend, das
nur die Dolomiten des südlichen Tirol oder die Karawanken Krains in
annäherndem Maße zu gebeu vermöge». Oben auf dem Firste der Mauer
treten nicht sonderlich gut markierte Spitzen hervor, in engen Grenzen
schwankt die Firstlinie zinnenartig auf und ab. So ist das Wetterstein-
gebirge mit der Zugspitze, welches sich ostwärts iu das Karwendelgebirge
fortsetzt, so ist vor allem das wilde Kaisergebirge gestaltet.
Eigentümlich für das bayrische Gebirge ist der Reichtum an Seen.
Noch in Tirol liegen Achensee (133m tief) und Plansee (76m tief);
II. Erdkundliches Cefebuch.
den Fuß der Zugspitze netzt der inselreiche, eines oberirdischen Abflusses ent-
behrende Eibsee. Näher mu Fuße des Gebirges liegt der 198 m. tiefe
Walchensee nahe dem Ende eines großen Talzuges, der die ganzen Kalkalpen
quert. Unweit von ihm liegt bereits am Fuße des Gebirges der Kochelsee,
volle 200 m tiefer. Aber trotzdem existiert keine Gemeinschaft zwischen
beiden; der Walchensee wird durch die Jachen direkt zur Isar entwässert,
während der Kochelsee seine Wasser mit der Loisach nach N. sendet. Es
gewährt namentlich vom Gipfel des Herzogenstandes einen wunderbaren
Anblick, diese beiden Seen in verschiedener Höhe fast unmittelbar neben-
einander zu sehen. Interessant ist auch der Blick in der Fortsetzung des
Walchensee-KochelseetaleS nach der Isar, welche über den Walchensee auf-
blinkt und sich letzterem zu nähern scheint, tatsächlich aber plötzlich
umbiegt.
Ein fast noch größerer und entschiednerer Wechsel als zwischen Algäuer
und Bayrischen Alpen findet zwischen diesen und der Berchtesgadener
Gruppe statt. Sind die beiden ersten im Grunde genommen nur durch
die Anordnung der Gebirgskämme verschieden, so zeichnen sich die Berchtes-
gadener Alpen vor beiden durch die Formen ihrer Erhebungen aus. Wie
bei ihren österreichischen Nachbarn herrschen bei ihnen anstatt der Gebirgs-
ketten und firstähnlichen Kämme plumpe Felsenmassive vor, welche keine
ausgesprochene Längsrichtung besitzen, sondern sich als kastenähnliche,
regellos gelagerte Klötze erweisen. Zwischen ihnen erstrecken sich häufig
Täler, deren Verlauf im wesentlichen durch die Kontur jener Massive be-
dingt wird, weswegen sie weder als Längstäler noch als Quertäler gelten
können. Nicht selten aber erstrecken sich zwischen diesen Massiven auch
ganz tief gelagerte Landschaften, wahre Becken, welche sowohl durch ihre
sanften Bodenformen als auch durch ihre reiche Vegetation von ihrer
grotesken, aber kahlen Umgebung abstechen. In dem schmalen Raum?
zwischen Saalach und Salzach zeigen die deutschen Kalkalpen jenen merk-
würdigen Typus, und sie tragen ihn hier vielleicht in seiner schönsten Ent-
wicklung. Zwischen den Felsklötzen des Unterberges, des Lattengebirges und
der Reiter-Alm im N. sowie dem riesigen Massive des Steinernen Meeres
im S. erstreckt sich hier der liebliche Talkessel von Berchtesgaden, welcher
seine Ausläufer nach S. in das Gebiet des Steinernen Meeres hineindrängt.
Zwischen diesen beiden, dem Tale des Königssees und des Wimbach, er-
hebt sich, unähnlich den umringenden Felsklötzen, gleich einer schönen Doppel-
Pyramide, der Watzmann zu 2714 m als höchster deutscher Berg dieser
Gruppe, die auf österreichischer Seite in dem auf die Übergofsene Alm
ausgesetzten Hochkönig mit 2938 m kulminiert. Stattlich erscheinen diese
länderkundliche Darstellungen 0. Albrecht penck.
Erhebungen von dem nur 600 m hoch gelegenen Becken von Berchtesgaden,
dessen Bodeu eine einzige zusammenhängende Wiese, durchzogen von Reihen
des Bergahorns, darstellt. An den Gehängen der Berge dehnen sich darüber
dunkle Wälder bis zu einer Höhe von 1500—1600 m aus, über welchen
sich die nackten Wände der Felsklötze erstrecken. Diese selbst erscheinen fast
unnahbar. Vielfach gewundene Pfade führen an ihnen herauf, die, wenn
sie die schroffe Wand erklommen haben, auf eine verhältnismäßig ebene
Fläche führen. Auf den niederen Massiven dehnen sich hier Matten aus,
die höheren liegen völlig nackt und kahl, und das höchste, die Übergossene
Alm, ein Ausläufer des Steinernen Meeres, liegt gänzlich unter ewigem
Schnee begraben. Aber erscheint auch jeue Fläche auf den ersten Blick als
eben, so mangeln ihr doch nicht charakteristische, höchst eigentümliche Züge
des Reliefs. Ihr Boden ist von mehr oder weniger tiefen Einsenkungen
gleichsam durchlöchert, welche den Dolmen des Karstes gleichen, oder durch-
furcht vou Rillen, denen das Wasser fehlt. Ja es treten sogar ganze, große
Becken ohne oberflächlichen Abfluß entgegen, in denen nur hier und da sich
Seen finden, die ihre Waffer durch unterirdische Kanäle talabwärts senden.
Es ist die Karstformation, die hier in den bezeichnendsten Zügen ihres
Reliefs entgegentritt. Die Gehänge der Felsmassive selbst tragen eine Bil-
dung, die sonst zwar in den Kalkalpen nicht fehlt, aber nirgends in so
großartiger Weise wieder entgegentritt. Da und dort nämlich zeigt die
Wandung eines Felsklotzes eine Nische oder Einbuchtung mit ebenem Boden,
welche wie ein enormes, in den Felsen eingearbeitetes, antikes Amphitheater
erscheint. Das sind die Kare, die hier teils hoch oben über den Tälern
liegen, teils aber namentlich auch am Anfange jener Täler ausgebildet
sind, welche aus dem steinernen Meere in das Berchtesgadener Land führen.
Vergleichbar mit dem Zirkus von Gavarnie in den Pyrenäen, schließt ein
Felsentheater das Wimbachtal ab, dessen Boden über und über mit losem
Kalkschutt bedeckt ist, aus welchem das Wasser versiegt. Kahl und nackt ist
das Tal, selbst auf seinem Boden der Vegetation entbehrend. In voll-
endetem Gegensatze hierzu tritt das andere der beiden Täler. Sein Boden
wird von dem klaren Spiegel des Königsse es eingenommen, welcher
zwischen schroffen, kahlen Felsen dieselbe Biegung beschreibt wie das Wim-
bachtal, um dann mit seinem durch einen Bergsturz abgedämmten, oberen
Ende, dem Obersee, in einem Zirkus sich zu erstrecken, welcher an Groß-
artigkeit den von Oo in den Pyrenäen übertrifft. In solch Felsentheater
stumpf endend, steht der Königssee einzig unter den Seen der deutschen
Alpen da: Von schroffen Wänden gebildet, werden seine Ufer pfadlos;
188 m tief senkt sich das Becken in die Tiefe. Die Sage behauptet, daß
170
es seine Wasser durch die Felsen in das Salzachtal sendet, wo bei Golling
ein mächtiger Quell dem Gebirge entspringt. Es hat jedoch kein Experiment
diese Sage zu bekräftigen vermocht; vielmehr widersprechen zahlreiche Tat-
sachen der Volksmeinung, und der Abfluß des Sees erfolgt ausschließlich
durch die Königsseer Ache.
Bewirkt die Anordnuug der einzelnen GebirgSglieder namhafte Ver-
schiedenheiten der einzelnen Teile der deutschen Kalkalpen, so erhalten die-
selben ein außerordentlich homogenes Aussehen durch die klimatischen
Verhältnisse, welche ihnen allen gemeinsam sind. Die Temperatur ist
begreiflicherweise großer Mannigfaltigkeit unterworfen; die tiefen und breiten,
meist unter 600 m herabgehenden Talsohlen genießen Jahresmittel von
über 7 0 (Berchtesgaden), während in den engeren Tälern sich der Einfluß
der Lage sehr geltend macht. Die wö. sich erstreckenden erscheinen ver-
hältnismäßig wann, weil ihr Nordgehänge einer langen Besonnung teil-
haftig wird; die sn. streichenden hingegen, welche nur auf kurze Dauer die
Sonne genießen, sind abnorm kalt (Bad Kreuth, 845 iu, 4,69°; Hohen-
Peißenberg auf dem Alpenvorlande, 994 m, hingegen 5,89 °). Diese
Temperaturverschiedenheiten in der Horizontalen treten aber gegen die-
jenigen in der Vertikalen durchaus zurück. In entschiedener Weise nehmen
die Temperaturen nach oben ab, und in 2000 m Höhe dürften Jahresmittel
von 0 0 vorkommen (Wendelsteinhaus, 1730 m, 1,76 °), aber da im Som-
mer die Temperaturabnahme mit der Höhe rascher erfolgt als im Winter,
so genießen die nicht allzu hoheu Teile des Gebirges verhältnismäßig milde
Winter. Diese ungemein verwickelte Temperaturverteilung im Gebirge
ist namentlich für dessen Fauna bedeutungsvoll. Sie ermöglicht, daß das
bewegliche Wild mit Leichtigkeit die ihm zusagende Temperaturzone auf-
suchen kann, indem es bald auf der Höhe, bald unten im Tale lebt. Daher
können sich hier Tierformeu erhalten, welchen die Temperaturschwankungen
ebener Länder die Lebensbedingungen entziehen. Es bergen die Alpen einen
Rest der alten, im übrigen nunmehr fast ganz aus Europa verdrängten
Antilopenfauna, die Gemse, welche, auf deutschem Gebiete vor übermäßigen
Nachstellungen geschützt, sich in einer Zahl von 20 000 Individuen er-
halten hat.
Ahnlich wie mit der Temperatur der deutschen Kalkalpen verhält es
sich mit ihren Niederschlägen. Auch diese sind ungemein wechselvoll ver-
teilt. Die Hauptmasse derselben erhält der Fuß des Gebirges und die von
hier aus eindringenden Täler; denn das schräg zur Richtung der feuchten
Nordwestwinde gestellte Gebirge veranlaßt die aus dieser Richtung kom-
menden Winde aufzusteigen und sich der mitgeführten Feuchtigkeit zu er-
171
ledigen. Die Niederschlagshöhen erheben sich daher am Nordabfall des
Gebirges im Mittel bis auf 1500 mm und mehr, im Bade Kreuth sowie
am Forst Hause Falleck im Deutschen Reiche nirgends vorkommende Größen
erreichend (2011 mni), während sie auf der Südseite der Kalkalpen gegen
das Jnntal und das Salzachtal und im Innern des Gebirges weit geringer
sind. Die Niederschlagsmengen nehmen aber mit der Erhebung nicht durch-
weg zu, sondern mindern sich wieder von etwa 1700 m Höhe an (Wendel-
stein 1900 min), so daß die Gipfelregionen trockener sind als die Täler
und hier die scheinbar umgekehrte Tatsache entgegentritt wie in den Mittel-
gebirgen, welche nicht über die Zoue der Maximalniederschlagsmenge auf-
ragen.
Die reichlichen Niederschläge am Nordrande der deutschen Kalkalpen
bewirken, daß die Vegetationsgrenzen bei weitem nicht so hoch aufragen
wie in den Zentralalpen. Bereits in Höhen von 1500 in beginnt der Baum-
wuchs spärlich zu werden; bei 1800 m hört er gänzlich auf. Er überdeckt
daher von den einzelnen Zonen des Gebirges nur die nördliche, die der
Flyschberge, vollständig, und es ist nicht bloß eine Folge ihres Gesteins-
charakters, sondern auch durch klimatische Verhältnisse bedingt, wenn die
höheren Partien der Kalkalpen waldlos sind. In größeren Höhen finden
sich nur in geschützten Lagen Lärchen und Zirbeln bis 1800 m, und eS
erfüllt den Forstmann mit Bedenken, daß solche hochgelegenen Baumgruppen
sich nicht mehr verjüngen. Die Latsche oder Krummholzkiefer (Pinus
Montana) reicht nur bis auf 200 m; kurz, die Baumgrenze liegt im Mittel
300—400 m tiefer als in den Zentralalpen. Dennoch aber sind die dent-
schen Kalkalpen ein ausgezeichnetes Waldgebiet; denn sie bleiben mit ihrer
auf 1500 m zu schätzenden mittleren Erhebung gerade unter der obexen
Baumgrenze. Nahezu die Hälfte ihrer Fläche trägt dichten Wald, und kaum
ein Viertel derselben gehört der Alpenregion an, in welcher sich allerdings
neben den auf jeder Bergterrasse angesiedelten Alpenwiesen auch große, öde
Fels- und Schuttflächen ausbreiten. Aus dieser Alpenregion erheben sich
nur sehr wenige Gipfelpartien heraus; denn obwohl die Schneegrenze
analog der Baumgrenze in den Kalkalpen viel tiefer liegt als in den Zen-
tralalpen und in ungefähr 2500 m Erhebung zu suchen ist, ragen nur sehr
wenig ausgedehnte Flächen, meist nur Bergspitzen oder scharfgeschnittene
Grate über sie heraus und sind vermöge ihrer geringen Fläche kaum zur
Ansammlung beträchtlicher Schneemassen geeignet. Es fehlen daher den
deutschen Kalkalpen die bleibenden Schneefelder der Gipfel fast gänzlich,
und damit fehlt im allgemeinen die Veranlassung zur Gletscherbildung.
Dagegen sammelt sich in tiefen Schründen des Gebirges häufig Schnee,
172
welcher während des Sommers nicht abtaut und gelegentlich zur Bildung
von kleinen Gletschern Veranlassung gibt.
Die Berchtesgadener Alpen bergen in manchen ihrer Kare solche mäch-
tige, bleibende Schneehäufungen, welche tief unter der Schneegrenze ge-
legen sind. Fast bleibend ist das Schneefeld zwischen dem großen und
kleinen Watzmann (1900 111), eine stetige Schneefläche findet sich ün Hinter-
gründe des Kares von Scharitzkehl (1300 m), am Fuße des Watzmannes
unweit des Königssees stellt die Eiskapelle sogar in nur 820 m Höhe eine
bleibende, durch Lawinenstürze immer neu genährte Schneefläche dar.
Der Blaueis im Berchtesgadener Lande und der Hochalp-Ferner ans der^
Südseite der Mädele-Gabel im Algäu endlich sind echte Gletscher, welche
von solchen unterhalb der Schneegrenze sich aufspeichernden Firnmassen
gespeist werden. Das erstere liegt in einer tiefen Schlucht, welche gegen
Sonnenstrahlen dnrch hochaufragende Felswände fast völlig geschützt ist.
Sein von mächtigen Endmoränen umrahmtes Ende reicht bis 19'00 m herab.
Nur ein einziger Gletscher der deutschen Alpen, der Plattach-Ferner, ent-
springt einem über der Schneegrenze gelegenen Firnfelde. Es lagert auf
einer Hochfläche des Wettersteingebirges und ziert den Südfnß der Zugspitze.
10. Joseph Partsch.^
Die Grafschaft Glatz.
An der Grenze dreier Meeresgebiete liegt die Grafschaft Glatz; nach
drei Ländern sendet sie ihre Gewässer, vormals auch die von ihnen nieder-
getragenen Holzlasten ihrer weiten Waldungen auseinander. Und doch
ist sie eine unverkennbar geschlossene geographische Einheit, die aus dem
vielgestaltigen Sudetenbergland scharf sich heraushebt. Darüber entschied
trotz der engen Verwachsung mit dem Altvatergebirge und dem Walden-
burger Bergland der Einbruch des zentralen Senkungsfeldes, das lange
Zeit noch vollständiger als heute die Gewässer seines hohen Bergrahmens
an sich zog und zu nördlichem Abfluß nach Schlesien vereinte. Im S.
von Mittelwalde bei Bobischau bildet nur eine flache Geröllebeue von 534 in
Höhe die Wasserscheide zwischen Neiße und Erlitz, Oder und Elbe, und
die nähere Untersuchung ließ keinen Zweifel, daß in tertiärer und alt-
diluvialer Zeit die Grenze des Neißegebietes südlicher auf dem Liesdorfer
Walde (897 m) gelegen habe. Nicht nur das Quellgebiet der Stilleu
1 I. Partsch, Schlesien. Eine Landeskunde für das deutsche Volk auf wissen-
schaftlicher Grundlage. II. Teil: Landschaften und Siedelungen. 2. Heft, Mittelschlesien.
Breslau 1907. Ferdinand Hirt.
Länderkundliche Darstellungen, 10. Joseph partsch.
173
Adler mit Grulich, sondern auch das südlichere Tal von Rothwasser, md-
leicht sogar das Hochtal der March haben damals mit ihren Gewässern
die Neiße verstärkt. Erst die mächtige Geröllschüttung des Beckens, in
dem das Gefälle der Bergbäche plötzlich sich abschwächte, schus die Vor-
bedingung für die Trennung der heute in die Schotterbänke tief einschnei-
denden Gewässer, für ihre Aufteilung zwischen die drei Nachbarländer und
das Zurückweichen der Südgrenze des Neißegebietes, der natürlicheu Grenze
der Grafschaft Glatz.
Wie der Begriff dieses Ländchens sich entwickelte, die alte böhmische
Feste allmählich als Mittelpunkt des größten Teiles der Landfläche auer-
kannt wurde, die ihre Wasserläuse unter ihren Mauern zusammenströmen
ließ und von der Burghöhe ziemlich vollständig überblickt wurde, das kann
hier nicht näher dargelegt werden. Es mag genügen, das Jahr (1459)
der Erhebung des Ländchens zur Grafschaft durch Georg Podiebrad und
die Bestätigung durch Kaiser Friedrich III. (1462) in Erinnerung zu
bringen. Allerdings war damit noch nicht die heutige Grenze des Land-
chens gesichert; noch bestand selbständig daneben die Herrschaft Hummel,
die beide Abhänge des von der Burg Landfried (Homole) gekrönten Passes
zwischen Reincrz und Nachod umfaßte. Ihr Anschluß brachte der Graf-
schaft Glatz auch das Lewiner Ländchen aus der böhmischen Seite dieses
Passes zu. Noch später, erst 1586, ward ein südlicheres Stück der West-
grenze der Grafschaft an den Erlitzsluß vorgerückt, in das Längstal, das
zwischen dem Habelschwerdter Gebirge und den böhmischen Kämmen seineu
breiten Wiesengrund ausspannt.
Greift hier die Grafschaft ins Elbgebiet über, so wird ein durch
das Wassernetz und auch durch die ältesten Erinnerungen ihr zugewiesener
Landstrich, das Braunauer Ländchen, zu Böhmen gerechnet. In dieser
Ausdehnung von 1636 qkm füllt die Grafschaft heute die landrätlichen
Kreise Habelschwerdt, Glatz, Neurode. Die hohe Lage der Grafschaft be-
schränkt ihren Anbau; nur der dreiundzwanzigste Teil ihrer Fläche ist
Weizenboden, nur der zwanzigste trägt Gerste, und auch wenn man die
Roggenfelder hinzuzieht, trägt nur ein Fünftel des Ländchens Brotfrucht;
mehr als eiu Drittel decken Wälder. Für die nähere Würdigung ihres
Wirtschaftslebens bietet die Kreisleitung keine rechte Grundlage, eine bessere
die natürliche Gliederung des Bodens, der Gegensatz der Senkungsfelder
des Innern gegenüber den umfangenden Gebirgen. Schon das dürre
statistische Bild hat eine eindringliche Beredsamkeit. Meine Rech-
nungen ergaben für 1900 folgende Durchschnittszahlen:
174
Der Osten . .
Der Westen. .
Die Mitte . .
Der Norden .
| Einwohner auf
; qkm 11 ({Ii m
.! 379,5
. | 406,4
. 1 644,1
. ' 195,7
Wald
qkm
158,5
208,7
100,4
58,4
Acker
qkm I %
Reinertrag
Mk. pro ha
42 152,9 40,3 ca. 9( 3-20)
51 142,1 35 „ 7( 3-12)
15 428,8 65 „25(10-40)
30 109,9 56 „19(10-30)
57
70
122
188
Waldige Gebirge rahmen den fruchtbaren Kern der Grafschaft ein,
der von ihnen Schntz gegen Wetter, Wind und Widersacher, dazu arbeits-
kräftige Gewässer, Bausteine und Holz empfängt, neuerdings auch eine
Steigerung des eigenen Lebens durch den Zustrom der Sommergäste aus
den Städten des Flachlandes, die von heilkräftigen oder erfrischenden
Quellen, von der würzigen Waldlnst des BerglandeS, vom rüstigen Wan-
dern auf seinen aussichtsreichen Höhen und durch seine schattigen Täler eine
Aufmunterung ihrer Lebenskraft erwarten. An der Ostseite des Länd-
chens ragt, seine Gesamtheit beherrschend, die Masse des Schneeberges allein
über die Waldgrenze empor. Die Schweizerei (1224 m), deren Weide-
gründe die schon der Verkümmerung nahe, lockere oberste Waldregion
lichten, die höchste Siedelung des Ländchens, ist das Ziel einer der Straßen,
die den weiten Forstbesitz des Prinzen Friedrich Heinrich durchflechten uud er-
schließen; sie ist der Nastort der Bergwanderer, die nun von dem stolzen Turm
die früher nur stückweise vom Rande des flachgewölbten Bergscheitels ge-
meßbare Rundsicht mit einem einzigen, weitgreifenden Umblick erfassen.
Ch° erreicht erst in beträchtlicher Ferne am Anstritt der Täler aus den
Bergen dörfliche Siedelungen. Denn das Gebirge umfängt ein tief bis
an seinen Rand herabreichendes Waldkleid, der stolze Besitz weniger großer
Grundherrschaften (Gras Althann-Mittelwalde, Prinz Friedrich Heinrich
Schnallenstein und Seitenbcrg, Graf Magnis-Kieslingswalde), die mit ein
paar kleinen Bauernwaldungen eine geschlossene Forstfläche von nahezu drei
Ouadratmeilen allein ans dein preußischen Abhänge des Gebirges bilden.
Der wohlgepflegte Wald beherrscht so das wirtschaftliche Leben diefes
Berglandes; er dringt hier und da selbst erobernd gegen den Bereich
früherer Rodungen vor, wenn ein Grundherr seinen Besitz abrundet durch
gelegentlich sich bietende Erwerbungen kleiner Felder, Wiesen und Häuschen,
die in den Wald eingreifen oder ihm näher kommen, als den Forstleuten ge-
nehm ist. Waldarbeit beschäftigt auch eine Menge Kräfte in den Dörfern,
die längs der Bäche eine Strecke in das Gebirge hineindringen. Erst
neuerdings stellt der Fremdenverkehr diese von Hans aus armen Dörfer
teilweise freier auf eigene Füße. Das gilt am vollsten von Wölfelsgrund.
länderkundliche Darstellungen, 10. Joseph partsch. 175
Seine Häuschen, die oberhalb des prächtigen Sturzes der Wölfel, des
schönsten der schleichen Wasserfälle, den Bach fast eine halbe Stunde auf-
wärts begleiten, richten sich freundlicher her zum Empfange der Sommer-
gaste, und in die Nische eines besonders vollkommen geschützten nördlichen
Seitentales schmiegt sich das schnell zu hohem Rufe gelangte Sanatorium
— der sicherste Bergeplatz für zarte, das unwirsche Winter- und Frühlings-
wetter des windigen Flachlandes scheuende Rekonvaleszenten, die wohl-
tuendste Stätte der Erholung für alle, die im Ringen ums Dasein, in der
Erfüllung einer anspruchsvollen Berufspflicht, oder im Widerstand gegen
Prüfungen des Geschickes ihre Kräfte nachlassen fühlen. Gewiß werden
auch andere Dörfer am Rande des waldigen Gebirges durch den Sommer-
verkehr Leben gewinnen. Am wenigsten können darauf rechnen die in
naturgemäß beengter Lage aus einer merkwürdigen Staffel des Bergrandes
ihre Häuschen ausstreuenden Dörfer Thanndorf und Urnitzberg.
Dies ausgedehnte, vom Schneeberg beherrschte Waldgebiet wird von
dem Waldgürtel des Reichensteiner Gebirges geschieden durch das Tal der
Landecker Viele. Seine nw. Hauptrichtung stimmt überein mit dein
Streichen der Schichten alter Schiefer längs ihres Oberlaufes bei Wil-
Helmstal wie ihres Unterlaufes durch die lange Dorfzeile Kunzendorf-
Ullersdorf-Eifersdorf. Nur der nö. ausgreifende Mittellauf des Landecker
Bogens fällt in die nö. streichenden Gneise und Glimmerschiefer des Reichen-
steiner Gebirges hinein. Jedenfalls ist das Bieletal ein Erosionstal hohen
Alters, weit älter als das Senkungsfeld, das die Gewässer der Neiße sam-
melt. Die Quelladern der Viele furchen mit tiefen, schinalen Tälern
die Abhänge des Schneegebirges und des Bielegebirges, das zwischen ihm
und dem Reichensteiner Gebirge die Verbindung herstellt. Verkehrsarme
Straßen ziehen ihnen entlang zu hohen Pässen empor; die von der Mohre
nach Altstadt in Mähren hinüberführende (Scheitelhöhe 817 m) vermag
den zu dörflichem Dasein zurückgesunkenen Städtchen Wilhelmstal
(560 Einw.) keinen Ersatz zu bieten für das Fehlschlagen der bergmännischen
Hoffnungen seines Begründers. Nur unvollkommene .Bergpfade führen
von der Viele und ihrer langen Gersdorfer Häuserreihe über Höhen von
etwa 1000 m hinüber nach Goldenstein und Freiwaldau. Die Vereinigung
der Quelltäler der Viele vollzieht sich in den zusammenhängenden Dörfern
Seitenberg (1100 Einw.) und Schreckendorf (1300 Einw.), wo die Ver-
waltung der prinzlichen Forsten, die Glasfabrik Oranienhütte und eine
Zündholzfabrik die einheitliche Grundlage des wirtschaftlichen Lebens deut-
lich kennzeichnen. Der Marmorbruch von Seitendorf kam dem Gruud-
Herrn zustatten bei ornamentaler Ausstattung feines Schlosses Kamenz.
176
Aber im Sommer dringen auch dauernde Gäste und flüchtige Besucher
zahlreich in diese Täler. Sie bilden das Ausflugsgebiet des Bades Landeck.
Bei ihm schließt die von der mächtigen Gestalt des Schneeberges be-
herrschte, nördlich gerichtete Talslucht; das Tal biegt freundlicher sich
öffnend nordwestwärts gegen die nahe Stadt Landeck (1905: 3480 Einw.)
um, in der die Straßen von Jauernik, Reichenstein, Glatz zusammen-
treffen, heute teils entlastet, teils neu belebt durch den Verkehrszufluß der
Eisenbahn. Genährt durch diesen Verkehr und doch von ihm nicht beun-
ruhigt, entfaltet sich in stillem Talwinkel das behagliche Leben des an-
mutigsten der schleichen Badeorte. Viel ist geschehen zur Pflege und
zweckmäßigen Verwertung der namentlich von Frauen aufgesuchten Therme
(28,50 C) und zu mannigfacherer Entwicklung der Kurmittel, auch zur
Erhöhung der Annehmlichkeit des Aufenthaltes zahlreich zuströmender Kur-
gäste (ca. 6000). So hat sich die Wirksamkeit des Kurortes bedeutend
gesteigert, seit Friedrich d. Gr. hier 1765 die Leiden bekämpfte, die des
Siebenjährigen Krieges harte Anstrengungen ihm eingetragen hatten.
Auch Friedrich Wilhelm III. und die Königin Luise haben hier verweilt.
Wie hängt das Volk an diesen Erinnerungen der Vorfahren! Es ist, als
fehle der Volksseele etwas, wenn Generationen hindurch keine Fühlung
mehr zwischen den schönen Winkeln der Heimat und dem Empfinden der
Herrschenden sich herstellt, wenn über Norwegens Fjorden die Anziehungs-
kraft der Täler, wo treue deutsche Herzen schlagen, ganz in Vergessenheit
gerät.
Wesentlich verschiedenen Verhältnissen begegnen wir bei mancher
augenfälligen Ähnlichkeit der Hauptzüge des Bildes im westlichen Berg-
rahmen der Grafschaft. Auch er umschließt große Wälder, die größten
des Ländchens; sie decken — trotz des Zuschlages des sonnigen Lewiner
Gebietes — mehr als die Hälfte der Bodenfläche. Nur liegen sie nicht
vorwiegend in den Händen einzelner Großgrundbesitzer, sondern des
Staates. Ihm gehören namentlich die großen Forsten der Quadersand-
steinplatteu (Karlsberg, Reinerz, Nesselgrund) — nur hier und da ge-
lichtet von einem Moor, einer Glashütte, einem hohen Walddorf. Sic
allein umfassen 121 qlciu Holzungen. Dazu treten 15 des Habel-
schwerdter Stadtforstes; der Nest ist meist herrschaftlicher Besitz (Schnallen-
stein, Tscherbenei, Gellenau, Rückers, Waldstein, Wallisfurth). Dem
Waldreichtum des Kreises Habelschwerdt entspricht trotz des reichlichen
Vorrats guter Bausteine das volle, nirgendwo in Mittelschlesien gleich
entschieden herrschende Vorwalten des Holzbaues, der im Klima des Ge-
birgeS unbestreitbar große Vorteile bietet. Die Verhältniszahl der massiven
Länderkundliche Darstellungen. 10. Joseph partsch.
177
Gebäude, die im Kreise Neurode 62 %, im Kreise Glatz noch 46 °/o be-
trug, sinkt hier aus 36 %, die der Holzbauten (Neurode 34, Glatz 51)
steigt aus 60! Und die Holzdächer weisen in den drei Kreisen die noch
steilere Stufenleiter der Verhältniszahlen 16, 47, 81 auf. Neben der
Verwertung aller Arten von Bauholz sind gerade in diesem Teile der
Grasschast, zumal im Erlitztale, mit Industriebetrieben Versuche gemacht
worden. Die jüngste Zeit hat ihnen eine liebevoll eingehende Darstellung
gebracht. Sie zeigt, welch schweren Stand die ungünstige Verkehrslage
und die Schwäche der unsteten Wasserkräfte der Industrie dieses Gebirges
bereiten. An Unternehmungsgeist, Fleiß und Beharrlichkeit hat es weder
den Holzstossmühlen, noch der Fabrikation von Holzstisten, Zündhölzern
gesehlt. Aber die Zündholzindustrie hat, seit der Übergang zu der Her-
stellung schwedischer Zündhölzchen die Zusuhr russischen Espenholzes for-
dert, den Vorzug der Bodenständigkeit verloren und vermag den Vor-
teilen anderer Produktionsgebiete nur die billige Arbeitskraft gegenüberzu-
stellen. Namentlich aber stützt sich aus diese weitgehende Genügsamkeit
der im langen Winter nach noch so karg gelohnter Arbeit greifenden Berg-
bewohner die Hausindustrie der Schachtelmacherei, die im Kreise Habel-
schwerdt, zumal dem Erlitztal, an 2800 Hände beschäftigt.
Das Ackerland nimmt wohl im Lewiner Ländchen die Hälfte, sonst
aber kaum ein Drittel der Landobersläche in Anspruch. Zu der unwirt-
lichen Höhenlage gesellt sich hier, soweit der Quadersandstein reicht, die
Armut des Bodens und, wo der Sandstein sehlt und die Feldspatgesteine
des Urgebirges eine bessere Krume versprechen, an den steilen Lehnen bei
Spätenwalde und Voigtsdors, die Geißel der Wildwasser. Die Dörfer
sind im allgemeinen klein (meist nur 150 bis 160 Einwohner), im Gebirge
baudenartig aufgelöst in zerstreute Häuser, die ihr Wiesenland düngen
und bewässern. Diese aufgelockerten Siedelungen gehen erstaunlich hoch.
Grundwald (780—960 m) gilt als das höchste Dorf des preußischen Staates
Nur im Lewiner Ländchen und im Tale der Reinerzer Weistritz trifft man
neben ihren kleinen Städten von 1400 und 3000 Einwohnern noch je ein
großes Dorf: Tscherbenei (2930) und Rückers (2080), — bäuerliche Ge-
meinwesen lang im Tal hingestreckt, aber auch eifrig in der Verarbeitung
des Holzes und der Bausteine der nahen Berge. Außer ihnen zählt hier im
Westen nur noch ein Dorf mehr als 1000 Einwohner, Friedersdorf auf der
entholzten Plänerplatte, über welche die waldumkränzten Felsen der Heu-
scheuer herausragen, — ein Bauerndorf in hoher Lage (550—650 m).
südlichen Teile des Halbelschwerdter Gebirges walten Taldörser vor,
lang dem Dorfbach ihre Häuser anreihend, oft anmutig eingebettet in eine
Lampe, Erdkunde. Heft 4. i
178
II. Erdkundliches Lesebuch.
Furche zwischen steilen Höhen in windgeschützter, dem Obstbau holder Lage.
Der Großgrundbesitz tritt hier im Westen im allgemeinen zurück. Selten
nur bildet ein Dominium den Kern der Gruppierung der Bauernhäuser
und der Weberhütten. Für die Dürftigkeit des Bodens geben dem Sand-
steingebiete die Steinbrüche einigen Ersatz, seit die Eisenbahnen diesem
Quadergebirge nahekamen und der Sandstein von beiden Hängen des
Heuscheuergebirges selbst bei fernen Bauten, wie dem des Berliner Domes,
in Wettbewerb treten konnte.
Unter den Schätzen des Bodens aber gebührt auch hier der erste Platz
den Heilquellen, die ihm entsteigen. Erst die tiefer dringende Erforschung
des Gebirgsbaues wird die Bedingungen ihres Hervorbrechens klarer be-
leuchten. Ihre Reihe eröffnet hart an der Landesgrenze, nahe der Mettau,
das Bad Kudowa, bisher von Norden über böhmische Bahnen oder auf
schwieriger, die Heuscheuer streifender Bergstraße erreichbar. Von der neuen
Bahn Reinerz-Nachod erwartet man eine bedeutende Steigerung des Be-
fuches, der die kapitalkräftige Gesellschaft, in deren Besitz das Land über-
ging, durch große Neubauten und Vervollkommnung der Einrichtungen ent-
gegenzukommen sich beeisert. Die kohlensäurereichen Quellen, die alkali-
scheu Säuerlinge von recht mannigfacher therapeutischer Verwendung
sprudeln in einem Talgrund hervor, der frei gegen S. und W. sich öffnet,
gegen N. und O. aber wirksamer Deckung durch steile Höhen sich erfreut.
Um den Teichspiegel seines Parkes entfaltet die Saison ein freundliches,
aber keineswegs geräuschvolles Leben. Als eine Stätte deutscher Gesittung
ist der Platz von besonderem Wert, weil er nicht nur dicht gegenüber das
tschechische Nachod hat, sondern auch in seinem Rücken hinauf gegen die
Wilden Löcher und die Heuscheuer Dörfer von zäh sich erhaltender slavischer
Muttersprache. Auch sonst erinnert im Lewiner Ländchen, dessen Weber-
dörfer sich um ein Städtchen von geringer Wirkungskraft (1905
1350 Einw.) verteilen, viel an den natürlichen Zusammenhang mit
Böhmen.
Erst wenn man an den Plänerkegel mit den Trümmern der Burg
Landfried, des Hummelschlosses, vorüber die wichtige Paßhöhe überschritten
hat, tritt man auf Reinerzer Boden ganz ins Innere der Grafschaft.
Reinerz ist nicht etwa eine alte Bergstadt, wenn auch Eisengruben in der
Nähe früher im Betriebe standen und der Name „Schmelze" an die letzten Ver-
suche ihrer Verwertung erinnert. Der Name der Stadt ist vielmehr aus
einer der Genetivsormen erwachsen (Reinhards), von denen die nächste
Nachbarschaft in Rückers ein zweites Beispiel gibt. Reinerz (1905.
3140 Einw.) hat lange in Tuchmacherei und Leinenhandel die Haupt-
Länderkundliche Darstellungen. 10. Joseph partsch.
179
wurzeln seines bescheidenen Lebens gesehen. Erst die zweite Hälfte des
18. Jahrhunderts hat die kalte und die laue Quelle von Reinerz entdeckt
und zu Ehren gebracht, alkalische Säuerlinge, die namentlich von Kranken
der Atmungsorgane aufgesucht werden. In den letzten Jahrzehnten ist viel
geschehen, um die Mannigfaltigkeit und die Wirksamkeit der Kurmittel
zu erhöhen. Die Trinkkuren sind durch die 150 m lange Wandelbahn
unabhängiger geworden von des Wetters Gunst. Die Badeeinrichtungen
sind zu sehr vollkommener Entwicklung gebracht worden. Nur über das
als Vorhalle der Baderäume angelegte Palmenhaus mit den kühlen Stein-
sliesen und der von dem Stoffwechsel feucht gehaltener Gewächse ver-
änderten Luft dürften die Urteile geteilt bleiben. Gerade Reinerz ist kein
Ort, wo man Grund hat, sich nach Kühle und Schatten zu sehnen. Der
Morgen findet den flachen Talgrund nach kräftiger nächtlicher Ausstrahlung
zu empfindlicher Frische erkaltet, und nachmittags verschwindet die Sonne
ziemlich früh hinter den Bergen, die im SW. das gegen NO. sich öffnende
Tal abschließen. Die längere Besonnung der vordersten Villen des Tal-
einganges wird als ein entschiedener Vorzug empfunden. Am höchsten
wird Reinerz der rüstige Kurgast schätzen, der nicht auf die nächsten
Spaziergänge sich zu beschränken braucht, sondern an den landschaftlichen
Reizen der weiteren Umgebung sich zu erfreuen vermag; er dürfte Reinerz
vor Landeck den Vorzug geben. Aber der „genius loci" hat in Landeck
einschmeichelndere, freundlichere Züge.
Noch am Fuße des Gebirges hat sich ein jüngerer Kurort zweiten
Ranges entwickelt, in Alt - Heide, am Rande des Senkungsfeldes der
inneren Grafschaft. Man kann kein erfrischenderes kohlensaures Wasser
trinken als den Josephs-Brunnen; auch den Bädern der Eisensäuerlinge,
der sogenannten Stahlquellen, wird vortreffliche Wirkung nachgerühmt.
Jedenfalls ist die Lage am Ausgang des Höllentales, der Engschlucht, in
welche die Weistritz abwärts von Rückers, zu Füßen der jugendlichen Burg
Waldstein sich vertieft, überaus anmutig und vereint mit den Schlender-
gängen der nächsten Umgebung eine wohltuende, durch die Bahnlinie er-
höhte Bewegungsfreiheit für weitere Ausflüge. Auch hier ist die Kapital-
kraft einer Aktiengesellschaft für die Entwicklung des Kurortes eingetreten.
Zu den Badeorten gefellt sich eine lange Reihe lockender Sommer-
frischen, denen oft der besondere Charakter ihrer Lage eigentümliche Vor-
züge sichert. Namentlich Dörfer am Rande der vom Heuscheuergebiete
weit südostwärts ins Innere der Grafschaft hinein streichenden Quadersand-
steinplatte, die mit armer Bodenkrume ein sehr spärlich entwickeltes Wasser-
netz verbindet, Orte, wie Falkenhain, heben sich unverkennbar, sowie der
12*
180
II. Erdkundliches Lesebuch.
Fremdenstrom ihre Flur berührt. Dieser das Gebirge suchende Verkehr
mildert ein wenig den bedeutenden Abstand, der in den wirtschaftlichen Ver-
Hältnissen die Bewohner der Berge von den weit günstiger gestellten Sie-
delungen des Senkungsfeldes trennt.
Nur ein Zug des Naturbildes verbindet beide Naturgebiete zu gleichem
Verhängnis: die verheerende Kraft der gewöhnlich unscheinbaren, aber
nach kräftigen Güssen furchtbar anschwellenden Gewässer. Wie der Fort-
schritt der Besiedelung nach aufwärts sie bisweilen über die Höhengrenze
natürlicher Lebensfähigkeit hinausgeführt hat, so sind nach einer Zeit, die
hochwasserfreie, sichere Lagen für ihre Wohnplätze wählen konnte, spätere
Geschlechter in notgedrungener Verwegenheit an die Bäche selbst herab-
gestiegen und haben oft erst durch deren Einschränkung sich selbst die Grund-
läge einer Heimstatt zu schaffen sich erkühnt. Aber schon die ursprüngliche
Dorfanlage der mittelalterlichen deutschen Kolonisation hat ihre Häuser-
zeilen derartig an den Dorfbächen aufgereiht, daß die Berührungsflächen
des Hochwassers mit den Siedelungen um Vielfaches größer wurden, als
es bei einer fester geschlossenen, rundlichen Dorsanlage hätte geschehen
können. Diese starke Bebauung der Talsohlen beschränkt auch eins der
Abwehrmittel, die Anlage von Staubecken zur Aufspeicherung des Hoch-
wassers und planvoller Verwertung dieser Wasservorräte im Dienste der
Industrie, noch bestimmter, als es die Natur allein tut, auf den Berg-
rahmen der Grafschaft; selbst in ihm sind die dafür geeigneten Örtlichkeiten
spärlich genug.
Auch diese Aufgaben der Gegenwart lassen den Unterschied der wirt-
schaftlichen Kraft des Gebirges und des tiefer liegenden mittleren
Kernes der Grafschaft deutlich erkennen. Er wird großenteils gebildet
durch Senkungsfelder. Ihr Vorteil gegenüber dem Bergrahmen ruht nicht
allein in der geringeren Meereshöhe, der milderen Temperatur, den
mäßigeren Niederschlägen, sondern mit dem bedeutenden Alter dieser klima-
tischen Vorrechte steht auch eine günstigere Bodenbeschaffenheit in ursäch-
licher Verbindung. Die abtragende Wirkung der Atmosphäre hat auf den
Höhen des Bergkranzes die einst auch hier in weiter Ausdehnung entwickelte
Kreideformation bald vollständig beseitigt, bald wenigstens so weit, daß
ihre tonreicheren oberen Lagen verschwunden und hauptsächlich die Bänke
des Quadersandsteins erhalten geblieben sind; dagegen hat die in tiefere
Lage herabgesunkene Mitte der Grafschaft eine viel geringere Abfpülung
erfahren; die dem Pflanzenleben reichere Nährstoffe bietende oberste
(senone) Abteilung der Kreideformation, die sogenannten Schichten von
Kieslingswalde, sind nicht nur bei diesem Dorfe, sondern auch sonst in
Länderkundliche Darstellungen. 11. Gtto Krümmel.
181
ansehnlicher Verbreitung erhalten geblieben. Sie bilden ebenso wie die
mergelichen Glieder der älteren Plänerbildungen einen vortrefflichen Acker-
boden. Und jenseits der Nordgrenze des am Roten Berge endenden Neiße-
Grabens hat auch das Diluvium zu der Bodenbildung des Innern der
Grafschaft seinen Beitrag geliefert. Die Ziegeleien vor der Westseite von
Glatz schließen einen mit Geschieben nördlichen und zum Teil wirklich
nordischen Ursprungs gespickten Lehm auf, den eine in die Grafschaft ein-
gedrungene Zunge der Vereisung Norddeutschlands hier als Grundmoräne
hinterlassen hat.
Die Mitte der Grafschaft ist ein kräftiges Bauernland und ein Gebiet
mäßig großer Rittergüter. Fast in jedem Orte paaren sich Dominium und
Rustikale und wetteifern (die Herren meist mit etwas überlegenem Erfolge)
in der Pflege des fruchtbaren Bodens. Wenn aber die Dichte der Be-
völkerung hier den Durchschnitt Schlesiens und insbesondere auch den
Mittelschlesiens erheblich übersteigt, so trifft davon ein Anteil auf die In-
dustriebetriebe, die der Wasserkräfte der Talsohlen sich bemächtigt und dem
Leben der Dörfer eine höhere Mannigfaltigkeit gegeben haben. Der Wald
ist eingeschränkt auf 15 % der Fläche; der Feldbau nimmt zwei Drittel
des Landes ein, und sein Kreislauf ist es, der bald mit wogenden Ähren-
feldern, bald mit starrenden Stoppeln dem Landschaftsbilde Farbe und
Charakter gibt. Der dichteste Kranz von Siedelungen, ein anmutiger
Wechsel von Dörfern und Städtchen, geleitet die Neiße. Nicht umsonst
vereinen sich am oberen Ende ihres nördlich gerichteten Talweges die
lockenden Dorfnamen Schönau, Schönfeld, Schöntal in beinahe aufdring-
_ lichem Wettbewerb. Die senonen Tone von Kieslingswalde bilden hier
bereits um Mittelwalde den Untergrund des sorgsam entholzten Landes
in wohltuendem Gegensatz zu den steilen, steinigen Gneishöhen der west-
lichen und östlichen Nachbarschaft. Nur die bedeutende Höhenlage schränkt
hier die Wahl der Feldfrucht und die Ernteerträge noch ein.
11. Otto Krümmels
Die Nordsee.
Die Nordsee ist durch die flache Doggerbank in zwei Teile geschieden: Bodenrelief,
der nördliche von 40 m Tiefe erst rasch, dann allmählich zu 80 und 100 m
1 Die deutschen Meere im Rahmen der internationalen Meeresforschung. Öffent-
licher Vortrag, gehalten im Institut für Meereskunde am 5. und 6. März 1903 von
Dr. Otto Krümmel. Veröffentlichungen des Instituts für Meereskunde und des
Geographischen Instituts an der Universität Berlin. Heft 6. Berlin 1904. E.S.Mittler
und Sohn. (S. 7 ff.)
182 It. Erdkundliches Lesebuch.
Tiefe abfallend und schließlich gegen die über 1000 m tiefe Färber
Rinne in steilerer Böschung abgesetzt. Als eine mäßige Anschwellung
liegt hier die Große Fischerbank mit Tiefen zwischen 60 und 70 m
in der Mitte der Fläche. Nach der britischen Seite hin ist eine über 80 in
tiefe, südlich bis fast auf die Höhe von Newcastle vordringende Mulde ge-
legen, die unsre Fischer den Fladengrund, englischen Cemeterv oder
den Friedhof nennen.
Die Doggerbank, so groß wie Schleswig-Holstein, von gestreckt
ovalem Umriß innerhalb der 40 in - Linie, ist in ihrem breitesten Süd-
westteile nur 15 m tief. Südwärts ihr unmittelbar vorgelagert ist die
Silberkule, eine Furche von 60 bis 70 m Tiefe, wohin sich, wenn im
Herbst das Wasser auf der Bank abkühlt, die Scholle und Seezunge zurück-
zieht und dann mit Grundnetzen in Massen herausgeholt wird.
Überhaupt ist der Boden der südlichen Nordsee merkwürdig durch
sein wechselvolles Relief. Im ganzen sind die Tiefen nirgends größer als
45 m, auf sehr weiten Strecken sogar nicht über 35 m, so daß die meisten
unserer Kirchen, hierher versetzt, mit ihren Turmspitzen aus dem Wasser
herausragen würden und, wie die Erfahrung gezeigt hat, gesunkene See-
schiffe mit den Stangen ihrer Masten über den Wellen bleiben und damit
den Schiffbrüchigen eine letzte Zuflucht gewähren. Stellenweise haben
wir ausgedehnte ganz ebene Flächen, wie das Gebiet „der breiten
Vierzehn", wo auf einem Areal von 3500 qkm die Tiefen zwischen 23
und 24 m liegen. Das merkwürdigste aber sind die namentlich im Süd-
westteile auftretenden, ganz schmalen, aber langgestreckten und stasfel-
förmig angeordneten Bänke. Die Seekarten zeigen sie uns alle fast nach
demselben Muster gebaut: im Norden sind sie nach NNW., dann nach N.,
im Süden vor der Themsemündung nach NO. gerichtet, ebenso an der
flandrischen Küste. Ihre Länge beträgt 15 bis 20 km, ihre Breite meist
nur 2000 m, bei den landnäheren wird sie größer. Denkt man sich die
Nordsee trocken gelegt, so würden sie als lange Hügelkämme von 20 bis
30 m Höhe ziemlich steil aus dem umgebenden flachen Boden hervorragen.
Die südlichsten Bildungen der Art liegen im Kanal von Dover; sie sind
kürzer als die andern, bestehen auch aus Sand, haben aber, wie die Vor-
arbeiten für das bekannte Tunnelprojekt ergaben, einen Kern von an-
stehendem Gestein der Portlandformation.
Die Entstehung dieser eigentümlichen Bänke ist nicht ganz leicht ver-
ständlich. Englische Geologen haben geäußert, daß sie von den Gezeiten-
strömen aufgeschüttet wären. In der Tat ist die Richtung der Gezeiten-
ströme genau die der Kämme. So finden wir auch ganz analog in Fluß-
Länderkundliche Darstellungen. 11. Gtto Krümmel.
183
betten die Sandbänke ebenfalls vorzugsweise in der Längenrichtung des
Stromes angeordnet. Aber die erwähnten Gesteinskerne geben doch der
Vermutung Raum, daß in den Bänken Reste des alten Festlands enthalten
sind, das einst die Britischen Inseln mit dem N. Frankreichs und mit
Flandern verband, und das wesentlich durch die abtragende Tätigkeit des
Meeres, insbesondere durch Sturmfluten, zerstört worden ist. In den
erwähnten Bänken würden wir dann die letzten Uberreste der festeren Ge-
steinspartien erblicken, zwischen denen die Gezeitenströme alles weichere
und lockere Material weggeführt haben: genau so, wie heutigen Tages die
Düne bei Helgoland als der letzte kümmerliche Überrest einer breiten,
noch vor 200 Jahren vorhandenen Kalksteinbank, die bis zum Unterland
hinüberreichte, erhalten ist und ohne die schützende Tätigkeit des Wasser-
bautechnikers in den Winterstürmen ganz unter Wasser verschwunden wäre.
Der südliche flachere Teil der Nordsee ist jedenfalls der jüngste. Nach
der Eiszeit und vielleicht schon während derselben war der ganze jetzige
Nordseeboden Festland: die Richtung der Doggerbank mit ihrem eigentüm-
lichen Steilabsall nach S. und SW. hin scheint auch auf die Ausgestaltung
durch das von N. und NO. hergekommene Jnnlandeis hinzudeuten. Nach
dem Rückzug des Eises aber wurde dieses Nordseeland von den diluvialen
Tieren besiedelt, die wir auch aus deutschem Boden mit den ersten Menschen
zusammenfinden. Die Hochseefischer holen nicht selten bei der Doggerbank
riesige Knochen herauf, die der Zoologe als Skeletteile vom Mammut,
wollharigem Rhinozeros, Bison, Urochs, Wildpferd, Hyäne, Höhlentiger
erkennt. Diese jetzt auch bei uns ausgestorbenen Säugetiere lebten an den
Ufern des damaligen Rheinstromes, der durch die erwähnte Silberkule nach
NW. sloß und auch die Themse als Nebenfluß empfing. An der Schwelle
der geologischen Gegenwart ist dann erst die Senkung eingetreten, die den
Fluten von N. her Zugang gewährte und die gegenwärtige Küste mit ihren
Watten und Dünen schuf. Die Entstehung der erwähnten Reihenbänke
und der Straße von Dover selbst haben wir uns also als verhältnismäßig
sehr jugendlich vorzustellen.
Um so auffallender steht dieser slachen, aber breit entsalteten Nordsee
die tiese und schmale Norwegische Rinne gegenüber. Ihre Entstehung
dürste doch wohl aus Dislokationen * beruhen, die in viel ältere Zeiten zu-
rückragen, als sie für die Bodenformen der südlichen Nordsee in Betracht
komme. Diese Rinne ist ziemlich sanst gegen den Nordseeschels/ dagegen
um so schroffer gegen das norwegische Felsplateau abgegrenzt: hier finden
* Störungen im Bau der Erdkruste. — * Schelf ist der unterseeische Sockel der
Kontinente bis zur 200 m - Tiefenlinie (Jsobathe).
184
H. Erdkundliches Lesebuch.
sich sogar die ungewöhnlich steilen Böschungen von 8 0 und 10 0 nicht selten.
Überdies ist der innerste Teil der Rinne, das Skager Rak, auch der jiefste.
Die Karten zeigen hier beträchtliche Flächen von mehr als 500 m und eine
schmalere Zone von mehr als 600 m. Nach S. hin werden wir die letzten
bescheidenen Ausläufer der Rinne im Kattegat wiederfinden. Der Wasser-
austausch nach dem Nordmeer hin ist durch eine Schwelle von etwa 280 m
Tiefe, auf der Breite von Udsire,^ beschränkt; an dieser Stelle liegt der
Boden der Rinne nur 150 m unter der benachbarten Nordsee.
_ Meeres- Ein Verständnis für die Wärme- und Salzgehaltsverteilung im Be-
Itromungen. der Nordsee ist nicht zu gewinnen, ohne daß vorher ein Blick auf die
herrschenden Strömungen geworfen worden wäre. Es kommen hier
nur die echten Meeresströme, nicht die Gezeitenströme in Betracht, und wir
wollen, von allen theoretischen Ableitungen absehend, nur die beobachteten
Vorgänge darstellen.
Die Seeleute wußten lange, daß an der deutschen Küste ein schwacher
Strom nach O. und NO. setzt: Er wurde durch die 1874 von deutschen
Leuchtschiffen ausgesetzten Flaschenposten deutlich nachgewiesen. Von den
244 wieder eingelieferten Zetteln waren 95 % nach NO. gegangen. Das
dänische Feuerschiff „Hores Riff", wo täglich der Strom gemessen wird,
hat einen Strom von 4 Sm. in 24 Stunden nach N. im Jahresdurch-
schnitt. Das ist zwar wenig, nur 8,6 cm p. S., aber es würde ge-
nügen, ein Wasserteilchen von Borkumriff bis Hanstholm in etwa 60 Tagen
zu befördern. Weiter im SW. haben wir dann die sehr zahlreichen
Flaschenposten vom Feuerschiff „West-Hinder" seit dem Jahre 1899: In
den ersten beiden Jahren sind 92 % der eingelieferten Zettel nach NO.
getrieben, bis zur Westküste von Jütland hinaus. Die nähere Analyse der
in der Driftperiode herrschenden Windrichtungen hat ergeben, daß die Luft-
strömungen keineswegs der Driftrichtung besonders günstig waren, so daß
an einem aus dem Kanal in die Nordsee eintretenden Strom wohl nicht
zu zweifeln ist. Besonders überzeugend aber sind die Flaschenposten, die
von der schottischen Fischereibehörde massenhaft in der westlichen
Nordsee ausgesetzt sind. Westlich von den Orkney- und Shetland-Jnseln,
auf den Dampferlinien von Edinburgh nach Kristiania, Hamburg und
Rotterdam wurden vom Herbst 1894 bis Ostern 1897 im ganzen 3553
Flaschenposten ausgesetzt; 572 davon sind zurückgekommen. Aus der Zeit-
folge, in der die Flaschen angetrieben sind oder in See treibend aufgefischt
wurden, ergibt sich deutlich ein an der Ostküste Großbritanniens nach S.
1 Udsire Loch ist eine Meerestiefe in der Norwegischen Rinne unter 59 0 w. von
Stavanger.
Länderkundliche Darstellungen. 11. Gtto Jftrümmel.
und dann südlich von der Doggerbank nach O. abbiegender und schließlich
an der Küste der cimbrischen Halbinsel nach N. setzender Strom. Die mitt-
leren Windrichtungen während der ganzen Driftzeit gingen auf den Shet-
land-Jnseln nach NO., auf dem Bellrock-Leuchtturm rechts nach O.: es ist
also auch hier die mittlere Windrichtung im Endergebnis nicht wesentlich
ausschlaggebend. In kürzeren Perioden ist das freilich der Fall gewesen;
starke und andauernde Oststürme haben einzelne Flaschenserien auch nach
SW. bis in den Kanal hineingehen lassen.
Im allgemeinen umkreist also hiernach ein Meeresstrom die Nordsee
entgegengesetzt dem Zeiger der Uhr, wie das übrigens für alle Nebenmeere
der höheren nördlichen Breiten Geltung hat. So gelangt ozeanisches
Wasser durch das Tor bei Fair J.^ aus dem Golfstromgebiet in die Nord-
see hinein, wird zunächst an der Ostküste Schottlands und Englands nach
S. geführt und muß sich schon hier mit Landwasser vermischen. Dann
kommt aus dem Kanal eine Zufuhr von abermals wesentlich atlantischem
Wasser, das aber an der niederländischen und deutschen Küste eine sehr
starke Beimischung von Flußwasser erfährt. Das Ganze geht nach N. und
immer rechts ans Land gelehnt in das Skager Rak hinein. In der Mitte
der Nordsee wird das Wasser im allgemeinen in langsamer Bewegung
nach O. sein.
Vergleicht man damit neuere Karten der Verteilung des Salzgehalts Verteilung des
an der Oberfläche, so zeigt sich in der Regel der Verlauf der Jsohaline von Salzgehaltes.
35 Promille * genau so, wie wir ihn erwarten müssen, d. h. man sieht eine
starke und breite ozeanische Zuströmung von NW. her, eine schwächere
Zunge aus dem Kanal, die Ostseite umrahmt von Landwasser.
Verwickelter aber liegen die Dinge im Skager Rak. Hier sind auch in
gleichen Jahreszeiten die größten Verschiedenheiten zu finden. Der im all-
gemeinen vorherrschende Typus aber wäre doch etwa so zu kennzeichnen:
Aus der Ostsee fließt ständig schwach salziges Wasser ab, das an der
schwedischen Seite des Skager Raks stets weniger als 32 Promille Salz-
gehalt besitzt. Es nimmt im Sommer als ziemliche mächtige und breite
Schicht seinen Weg an der Südküste Norwegens entlang nach W. und
NW., vereinigt sich dabei mit dem aus den regenreichen Fjorden heraus-
tretenden Landwasser und bleibt darum auch an der ganzen norwegischen
Westküste trotz der Nähe des Golfstroms immer unter 34, oft unter 33 Pro-
mille. Im Winter ist das Volumen des schwach salzigen Wassers am
kleinsten, und dann herrscht im Skager Rak eine Mischwasserschicht von 32
1 Zwischen Orkney - und Shetland-Inseln. — 2 Lateinisch pro mille = für
tausend, nämlich Teile Salzwasser: 35 Teile Salz, der Rest Wasser. ^«^9^ 1 t-iesm.rf
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186
H. Erdkundliches Lesebuch.
bis 34 Promille, das sogenannte „Bankwasser" der skandinavischen Ge-
lehrten, das schwerer ist als das baltische, aber doch leichter als das Nord-
seewasser von 34 bis 35 Promille. Durch starke Weststürme kann der
sogenannte baltische Strom ganz in den Ostwinkel des Skager Raks zurück-
geschoben werden. Dabei wird dann auch das Bankwasser zurückgedrängt
und lagert sich aus der Küstenbank vor der bohuslänschen Küste1 bis in die
dortigen Fjordbuchten hinein. Der Herbsthering hält sich anscheinend in
diesem Bankwasser auf, daß dann im Winter milde temperiert ist (etwa 5 °),
während der baltische Strom kaltes Wasser (unter 2° bis —1,5 °) führt.
Bei Ostwinden dagegen breitet sich der baltische Strom weit nach W. hin
aus, das Bankwasser geht mit, und mit ihm verteilt sich der Hering, wäh-
rend in der Tiese das ozeanische Wasser nach O. geht. — Ob diese Wasser-
bewegungen allein das unregelmäßige Erscheinen und Wegbleiben des
Winterherings an den bohuslänschen Küsten erklären, muß dahingestellt bleiben
12. Felix Lampe. ^
Der Stadtplan von Berlin.
Mit einem Blick läßt Berlin sich nicht überschauen. Ob man vom
roten Viereckturm des Rathauses, von der Siegessäule her oder vom 62 in
hohen Kreuzberg aus eine Übersicht gewinnen möchte, immer drängt sich
das wirre Bild eines unschönen Häusermeeres von weiter Ausdehnung
und undeutlicher Gliederung auf, aus ihm einige Kuppeln, Turmspitzen
und viel qualmende Schornsteine emporstrebend, doch kein beherrschender
Punkt, um den alles sich gruppiert; und wer ins Innere der Stadt taucht,
wird auch an kaum einer Stelle behaupten dürfen, hier breite sich um ihn
das ganze Berlin mit all seiner Mannigfaltigkeit aus. So verwirrend
gleichförmig die Häuser und Straßenmassen, die hastenden und drängenden
Menschenmengen zunächst erscheinen mögen, dem aufmerksamen Wanderer
durch die Stadt wird sich doch ein Verständnis dafür eröffnen, wie un-
gemein verschieden die einzelnen Stadtteile in ihrer Eigenart sind.
Am deutlichsten läßt der Stadtplan die Gliederung der Berliner
Häusermassen erkennen. Man erblickt auf ihm in der inneren Stadt die
alte Köllner Spreeinsel zwischen den beiden Flußarmen, wie sie von SO.
nach NW. sich langhin erstreckt. Noch jetzt ist sie von kurzen, unschema-
tischen Straßen im S. durchzogen wie in alter Zeit, im N. aber von den
weiträumigen, großen Gesamtbaulichkeiten und Plätzen erfüllt, die
1 Die schwedische Küste bei und n: von Göteborg. — 2 Land und Leute. Mono-
graphien zur Erdkunde. In Verbindung mit anderen herausgegeben von A. Scobel.
14. Berlin und die Mark Brandenburg. Von Felix Lampe. Bielefeld und Leipzig
1909. Velhagen und Klasing. (S. 99 ff)
Länderkundliche Darftellungen. 12. Selix Lampe.
187
Herrscherhaus und Staat in der Haupt- und Residenzstadt angelegt haben.
Neben Kölln im D. bis zur Stadtbahn liegt das alte Berlin: Leicht ge-
wundene Straßenzüge mit manchem altertümlichen Durchblick; auch die
ältesten Kirchen der Stadt lassen leis die Erinnerung durchsummen durch
den gerade hier mit großstädtischem Brausen besonders machtvoll erklingen-
den Grundakkord modernsten Handelsverkehrs und Gewerbebetriebes.
Diese Mitte des geschäftigen Menschenhaufens, der im weiten, modernen
Großberlin Werte schafft, ist ein Brennpunkt des Wirtschaftslebens ge-
worden. Die Bürgerschaft ist mehr und mehr nach dem Rande des Häuser-
meeres entwichen vor den Geschäfts- und Warenhäusern, den riesigen
„Höfen", um die sich Fabriken, Lagerbauten, Kontorgebäude legen, und
der Raum beanspruchende Verkehr hat ganze Viertel alter Wohnhäuser
schwinden, alte Gassen eingehen lassen vor neumodischen, breiten Straßen-
zügen. Hier beträgt die Wohnungsdichtigkeit nur 36 Seelen auf ein Haus,
in der ebenfalls geschäftsreichen Friedrichstadt auch nur 38, selbst im vor-
nehmen W. dagegen bereits 50. Im S., O. und NW. des Häusermeeres,
also in der Luisenstadt, Stralauer Vorstadt und in Moabit schnellt sie auf
100 hinauf, in den nördlichen Arbeitervierteln gar auf III. In der
Rosentaler Vorstadt hausen 670 Menschen auf 1 da, im Tiergartenviertel
150! Die Entvölkerung der Innenstadt, in der doch das geschäftliche Leben
sich zusammenballt, erforderte naturgemäß eine ungeheuerliche Steigerung
des Verkehrs, und zwar ist sie erst in den letzten dreißig Jahren erfolgt.
Als erste Pferdebahnlinie Deutschlands wurde 1865 die Strecke von Berlin
nach Charlottenburg in Betrieb genommen. Vier Jahrzehnte später hatten
die Straßenbahnen 400 km Betriebslänge, also eine Strecke, die länger
ist als die Eisenbahn von Berlin bis Breslau, und beförderten auf 100
einzelnen Linien 425 Millionen Personen jährlich. Auf Berlin entfällt
jetzt fast die Hälfte des gesamten preußischen Straßenbahnverkehrs, nahezu
30 % des gesamten deutschen, obschon die Berliner Straßenbahnen an
Betriebslänge nur y8 der preußischen, y9 der deutschen ausmachen.
Daraus ergibt sich die Stärke des Berliner Verkehrs. Hierzu kommen
nun noch die Personenbeförderungen auf der Stadtbahn, die jährlich von
rund 125 Millionen Menschen benutzt wird, auf der elektrischen Hoch- und
Untergrundbahn, die von etwa 50 Millionen Menschen in Anspruch ge-
nommen wird, der Omnibusse, die von weiteren 100 Millionen gebraucht
werden und bei denen in den letzten zehn Jahren der Verkehr sich um
150 o/o gesteigert hat gegen nur 120 "/<> der Straßenbahnen. Dabei haben
auch sie sich in dauerndem Betrieb erst seit den sechziger Jahren des neun-
zehnten Jahrhunderts halten lassen.
188
H. Erdkundliches jLesebuch,
Weiter erkennt man auf dem Stadtplan in den Zügen der Elsasser-
und Lothringer-, der Königgrätzer-, Gitschiner- und Skalitzerstraße einen
nach außen vorgeschobenen Ring, der eine Reihe jüngerer Vorstädte mit
Altkölln und Altberlin zur Einheit zusammenfaßt. Auch in ihnen über-
wiegt das Geschäftsleben, wenn auch der in die Ferne greifende Handel
nach und von außen nicht so stark in die Wagschale fällt. Auch hier gibt
es Fabriken und Gewerbebetriebe in Menge, jedoch haben sich auch weite
Häuserviertel und Straßenzüge mit Mietswohnungen dazwischen noch ge-
halten, meist nüchternen Kasernenbauten aus der Zeit von Berlins jähestem
Wachstum, den siebziger und achtziger Jahren des neunzehnten Jahrhun-
derts. Im O. herrscht Kleinberndten- und Arbeiterbevölkerung vor; im
W. wohnen Geschäftsleute und höhere Beamte. Zu den alten Berliner
Vorstädten gehören die Friedrichstadt s. der Straße Unter den Linden und
die Dorotheenstadt n. von ihr. Beide zeigen eine Schachbrettanlage
paralleler, breiter Straßen, die jetzt die vornehmsten Läden für Einzel-
verkauf, die Hotel-, Restaurations- und Kaffeehausbauten enthalten. Hier
sind wie in der Berlin-Köllner Altstadt die Bodenwerte durch die junge
Entwicklung zur Geschäftsstadt geradezu ungeheuer emporgeschnellt. Man
hat 1863 den Durchschnittswert des bebauten Quadratmeter Bodens in
Berlin auf 98,14 Mark, 1906 auf 289,80 Mark berechnet, den Nutzertrag
nach Kostenabzug damals auf 4,91, jetzt auf 11,81 Mark. Die wirklichen
Werte in den geschäftlich lebhaften Gegenden sind jedoch weit höher. Am
Hausvogteiplatz war das Quadratmeter Boden 1865 115, 1885 990,
1905 2000 Mark wert. Ähnlich steht es weit draußen im W. mit Char-
lottenburg, das 1800 300 Einwohner zählte, jetzt über 300 000; hier kom-
men 52 Einwohner auf ein Haus, und der Bodenwert ist im letzten halben
Jahrhundert ums Sechsfache gestiegen. Dies Anwachsen der Werte zwang
natürlich zu tunlicher Ausnutzung der Grundstücke. Schnell veralteten die
Häuser. Mieten für Privatwohnungen wurden schwerer und schwerer er-
schwinglich; deshalb sind die Häuser in der Friedrichstadt durch Geschäfts-
bauten mehr und mehr ersetzt. Mag das Baubild hier aber so modern
sein, wie es will, der Grundriß ist noch der alte, einheitlichem Fürsten-
willen, nicht allmählich wachsendem Verkehrsbedürfnis entsprungen. Schräg
führen Wilhelm- und Lindenstraße zum Belle-Allianeeplatz; doch zwischen
ihnen bleibt das Gegitter rechtwinklig sich schneidender, gerader Straßen,
und am w. Außenrand begleiten das Ganze drei geometrisch angelegte
Plätze, das Viereck des Pariser und das Achteck des Leipziger, das^ Rondell
des Belle-Allianceplatzes.
Von Charlottenburg und anderen Ortschaften des Teltow, Barnim
Länderkundliche Darstellungen. 12. Selix jLampe.
189
ober des Spreetales zogen Landwege zum Brandenburger, Leipziger,
Halleschen, Kottbuser und Schlesischen Tor heran, ebenso im N. zum
Oranienburger, Rosentaler, Schönhauser, Prenzlauer und Königstor. Die
Torbauten sind, das Brandenburger Tor ausgenommen, längst verschwun-
den; doch die Straßenzüge schießen sternförmig noch jetzt an diesen Stellen
zusammen und bedingen Verkehrsknotenpunkte von beängstigender Belebt-
heit. Um die alten Landwege herum aber haben sich die neueren Außen-
viertel erbaut, die Wohnstätten der meisten Menschen unter den zwei
Millionen Berlinern. Meist sind die alten Landwege die Hauptverkehrs-
ädern dieser Stadtviertel geblieben, und wie das Wohnungs- oder Ver-
kehrsbedürfnis das erforderte, haben sich Zwischenglieder eingeschoben. Das
Ganze ist keine einheitliche Anlage wie Friedrich- und Dorotheenstadt und
zeigt im baulichen Straßenbild zu erheblichen Teilen noch den Geschmack
oder Ungeschmack des Jahrzehnts der Entstehung, ist vielfach Massenware
möglichst billig und rasch hergestellter Häuserblöcke, die Mietskaserne neben
Mietskaserne lange, nüchterne Straßen abgeben, und die Plätze sind nichts
als Erweiterungen der zufällig hier zusammenstoßenden Straßenzüge.
Diese Stadtteile rings um den Kern des älteren Berlin sind zugleich Binde-
glieder zwischen Berlin und seinen nächsten Vororten, die so eng mit der
Hauptstadt verwachsen sind, daß die Weichbildgrenzen sich nicht erkennen
lassen, daß Post, Polizei, Gericht sich in den verschiedensten Weisen ihre
eigenen Grenzen festlegen mußten und eine merkwürdige Verwickeltheit der
Verwaltung sich ergeben hat, aus der selbst Eingeweihte nur mühsam sich
herausfinden, zumal wegen der heiklen Frage der Steuereinkünfte und der
Aufwendungen für das Gemeinwohl die einzelnen Gemeinden einander
durchaus nicht nachsichtiges Entgegenkommen zeigen. Die Fabrikarbeiter-
schaft Berlins hat sich in den letzten 25 Jahren vervierfacht, die Gesamt-
bevölkerung doch nur knapp verdoppelt. Die größte Industrie ist in ent-
legenere Vororte abgewandert, wo der Baugrund billiger ist, und die wohl-
habenden einzelnen Steuerzahler meiden auch mehr und mehr den lärmen-
den, staub- und raucherfüllten Wohnbezirk der Großstadt selbst. Leute mit
einem Jahreseinkommen von weniger als 3000 Mark ziehen mehr von
Charlottenburg nach Berlin, die von größerem Einkommen dagegen mehr
von Berlin nach Charlottenburg, und solche von über 20 000 Mark ver-
schwinden aus Berlin mehr und mehr.
Die Vororte sind ganz durch das Wachstum Berlins in ihrem Wesen
bestimmt. Im SO., O. und N. sind sie Arbeiter- und Fabrikstädte
oder Jndustriedörfer geworden, weil die angrenzenden Teile Berlins
Großgewerbe und Arbeiterbevölkerung beherbergten. Im W. und SW.
190
II. Erdkundliches Lesebuch.
liegen die Landhausvororte einer wohlhabenderen Bevölkerung von Groß-
kausleuten, Industriellen und höheren Staatsbeamten, weil sie das Geheim-
ratsviertel der Potsdamer Vorstadt und das Tiergartenviertel fortsetzen.
In Rixdors entfielen für das Jahr 1908 auf den Kopf der Bevölkerung an
Staatseinkommensteuer 7,38 Mark, in Schöneberg 21,93, Charlottenburg
34,34, in Grunewald 180 Mark, und zu Gemeindesteuern trug der Rix-
dorser 19,52, der Charlottenburger 50,76, der Grunewalder 70 Mark bei.
Charlottenburg stand hinsichtlich der Gesamteinnahmen aus Staatssteueru
in Preußen an erster Stelle, Schöneberg folgte nach Frankfurt a. M. und
Wiesbaden an vierter, Berlin mit 20,05 Mark Einkommensteuer erst an
fünfter Stelle unter den preußischen Städten. Das Bild, welches die Vor-
orte in Bauten, Straßenanlagen, Eigenart der Bevölkerung und Straßen-
leben zeigen, ist also ungemein mannigfaltig, ebenso wie das der äußeren
Stadtteile Berlins, während nach dem Inneren der Stadt zu alles durch-
einanderslutet, zu Arbeit und zu Genuß, vermehrt noch durch die Menge
der Fremden. Im Jahre 1896 wurden 560 000 Fremde gezählt, 1906
noch einmal so viel. Außer der Eisenbahn von Stettin nach Breslau führt
eben kein Hauptverkehrsweg durch die Mark, der nicht Berlin berührt.
Mit Hilfe von anschließenden Dampfern kommt man von hier geradeswegs
über Vlissingen nach London, über Warnemünde nach Kopenhagen, über
Saßnitz nach Stockholm. Von Eydtkuhnen und St. Petersburg nach Basel
und Südfrankreich, von Paris im W. nach Warschau und Moskau im O.,
von Hamburg nach Breslau, Ofen-Pest und Konstantinopel, von Stettin
nach Rom und Neapel schneiden sich die Linien in Berlin, und Zwischen-
wege gehen nach Wien und Triest, nach Trier über Koblenz. Welch un-
geheure Steigerung der Verkehrsbedeutung Berlins seit der Eröffnung der
ersten Eisenbahn, der von Berlin nach Potsdam (1838)! In der Ringbahn
schus sich Berlin vor rund einem Vierteljahrhundert bereits eine Ent-
lastungsstrecke für solche Waren, die nur durchgehen sollen, und der Kreis
Teltow hat einen Kanal im Süden um Berlin herum, der Kreis Nieder-
barnim ebenso eine Eisenbahn im Norden erbaut, um vor allem der aus
Berlin wandernden Industrie billige Zu- und Abfuhr sowie Anschluß an
die bestehenden und der Stadt zugute kommenden Verkehrswege zu sichern.
Ebenso verbindet eine märkische Städtebahn die brandenburgischen Ort-
schaften neuerdings untereinander, damit sie nicht genötigt sind, über Berlin
mit sich zu verkehren.
Dies der Plan von Großberlin und was sich von der Stadt im An-
schluß an ihn sagen läßt.
vertag der Muchhandtung des Waisenhauses in Kasse a. d. S.
Zur Einführung
in den
erdkundlichen HlnterriHt
an mittleren und höheren Schulen.
Anregungen und Winke
» von
Dr. Kelw Lampe.
gr. 8. geh. Jts 3,—; geb. J& 3,60.
Ein tiefgründiges, geistvoll geschriebenes Buch, das alle irgend bedeutsamen
Fragen der Methodik in streng sachlicher, klarer Weise behandelt...... Im
Abschnitte „Von den Lernenden" steht Lampe auf der Höhe der wissenschaftlichen
Methodik. Wir bedauern, daß es uns an Raum gebricht, das Buch seinem ganzen
reichen Inhalt nach zu würdigen, und auch das viele Vortreffliche in dem Abschnitte
„Von den Lehrbehelfen" hervorzuheben. Wir behalten uns vor, auf dte Arbeit noch
zurückzukommen, mit der sich Lampe in die allererste Reihe der Methodiker
gestellt hat. Zeitschrift für Schulgeographie.
Die vorliegende Einführung ist ein wertvoller Beitrag zur Methodik des erdkund-
lichen Unterrichts. Ohne den Leser auf eine bestimmte Methode festlegen zu wollen, gibt
L. eine Menge wertvoller Winke und Anregungen, denen man fast allen uneingeschränkt
beipflichten muß. So legt er vor allem die Grenzen der Erdkunde gegen ihre Nachbar-
Wissenschaften, Geschichte und Naturwissenschaften, fest und führt die extremen Forderungen
einerseits der Naturwissenschaftler, andrerseits der Anthropogeographen auf das rechte Maß
zurück, um der Erdkunde ihren Charakter zu erhalten. Man kann nur wünschen, daß
jeder, der die Fülle der erdkundlichen Lehrbücher wieder um eins zu vermehren gedenkt,
um einem wahrhaft dringenden Bedürfnis abzuhelfen, diese Kapitel mit Andacht studiere.
Aber auch was die Gliederung des Stoffes und die Unterrichtsweise betrifft, hat uns L.
etwas zu sagen, und weder der Anfänger noch der Veteran unter den Geographielehrern
wird das Buch ohne Befriedigung aus der Hand legen. Leipziger Lehrerzeitung.
Was Lampe über das Lehrfach, den Lehrstoff, die Lernenden, die Lehrenden und
die Lehrbehelfe sagt, das ist alles so reich und wohlfundiert, auf praktischer Erfahrung
und vernünftigen Grundsätzen beruhend, daß wir das Buch als eine treffliche Methodik
der Geographie bezeichnen tonnen, die wir von jedem Lehrer studiert wünschten.
Neue Blätter aus Süddeutschland.
Wie aus dem Titel hervorgeht, ist das Buch in erster Linie für höhere Schulen
bestimmt. Es enthält aber eine ganze Anzahl vortrefflicher Bemerkungen und Ausführungen,
die es auch für den Geographielehrer der Volksschule, namentlich aber für methodische
Studien wertvoll machen. Schulblatt der Provinz Sachsen.
„Anregungen und Winke" nennt der Verfasser bescheidentlich sein Buch. Es ist
keine stolze, erschöpfend systematisierte „Methodik", will keine neuen Lehrarten empfehlen,
niemand in seine Bahnen zwingen. Es läßt in manchen Einzelheiten im Stich, es zieht
anderseits manches herein, das man in diesem Rahmen vielleicht missen könnte. Und
gleichwohl, ich will das gleich hier aussprechen, es ist das anregendste, ideenreichste, geist-
vollste Buch, das methodische Forschungen auf geographischem Gebiete bisher erzeugt haben.
So viel unsere Methodiker, unter denen Becker hervorgehoben zu werden verdient, schon
bisher an schätzbarem Material, an praktischen Hinweisen sür den Neuling an den Tag
förderten, es muß hier zurücktreten. Keiner wird fürderhin in diesen Fragen mitsprechen
dürfen, der sich nicht vor allem mit Lampe auseinandergesetzt hat.
Geographischer Anzeiger.
Merlag der Wuchhandtung des Waisenhauses in Kalke a. d. S.
SchutgeograpHie
von
Alfred Kirchhoff, Professor der Erdkunde.
21. verbesserte Auflage. (101.bis 105.Tausend^ Herausgegeben von Prof. Dr. Felix Lampe.
Mit 40 Textabbildungen und einer Anhangstafel. In Kalikoband Ji 3,—.
Krdkunde
für hökere Wäöchenschuten. '
Auf Grund von A. Kirchhoffs Schulgeographie
unter Berücksichtigung der Lehrpläne vom 12. Dezember 1908
bearbeitet von
Dr. JetiX Lampe,
Professor.
Heft 1 für die 7. und 6. Klasse: Anfangsgründe. Länder von Mittel- und
Westeuropa. Mit 33 Abbildungen im Text. gebunden Ji 1,50.
Heft 2 für die Klassen 5 und 4: Länderkunde. Anfangsgründe der Allgemeinen Erd-
künde. Mit Abbildungen im Text. gebunden Ji 1,80.
|>eft 3 für die Klassen 3 und 2. Mit Abbildungen im Text. gebunden Ji 2,80.
£)Cft 4 für die Klasse 1. Mit Abbildungen im Text. gebunden Ji 2,—.
Aie Schuhgebiete des Deutschen Aeichs
zum Gebrauch beim Schulunterricht
und zur Selbstbelehrung
dargestellt von
Alfred Kirch h off,
Professor der Erdkunde.
Fünfte, verbesserte und erweiterte Auflage
herausgegeben von Prof. l)r. Aeti? Lampe.
Mit zwei Karten. 8°. kart. Ji 1,—.
Dieses kleine Heft war von Haus aus ein bloßer Sonderdruck des betreffenden
Abschnittes aus der „Schulgeographie". Es wurde nachmals auf mehrseitig geäußerten
Wunsch mehr für den Lehrergebrauch umgewandelt. >
Geographische Mepetitionen
insonderheit im Anschluß an
A. K. Daniels und A. Kirchhofis geographische Lehrbücher.
Tviederholungs < und Übungsbuch in Sragen und Antworten
von
Kermann Schultze.
Dritte neu bearbeitete Auflage- gr. 8. gebunden Ji 2,—.