64 B. Zur Länderkunde. 8. Die Grafschaft Glatz. Von August Sach. („Die Deutsche Heimat", 2. Aufl., Halle 1902, Buchhandlung des Waisenhauses.) Wenn man von Schweidnitz der Bahn nach Südosten folgt, so dehnt sich gerade- aus und nach links hin eine weite Ebene aus, wie man jie seit der Lausitz so unab- schlich nicht erblickt hat; desto schärfer aber wird sie zur Rechten durch die Wand des Eulen- und Reichensteiner Gebirges beschränkt, die sich gleichfalls weiter hinaus- zieht, als das Auge zu reichen vermag. Von dem bläulichen Grün des waldigen Rückens heben sich in der Höhe die grauen Felseuwerke der Friedrichsfeste Silber- berg ab, weiter südlich am Fuße und an weißen Erdflecken erkennbar, Reichenstein mit seinen Arsenikhütten; zwischen beiden wird man zuletzt einen dunklen Qnerspcilt gewahr, der die Stelle bezeichnet, wo die Neiße sich einen Eingang durch das Ge- birge gebrochen. Wie um diese schmale Pforte zu überwachen, erhebt sich abwärts am Fluß über deu langen Hügelrücken des Hartenberges die viertürmige Burg von Kamenz; nach einem der mächtigsten Entwürfe Schinkels erbaut, glänzt sie über die geschichtlich bekannte Zisterzienserabtei stolz hinaus in die Ebene wie gegen das Ge- birge. Wenn irgendwo hat man hier das Gefühl, einer Landesgrenze gegenüber- zustehen. Man erwartet wie jenseit des Riesengebirges so auch hinter diesen Kämmen über buutgescharte Hügel in die reichen Ebenen Böhmens hinabzuschauen; sobald man aber die prächtige Enge des Tales von Wartha durchschritten, dessen Flußrauschen, Felsenklippen, Wälder und Felder lebhaft an das Neckartal bei Heidelberg erinnern, oder auf den Hochstraßen über Silberberg oder Reichenstein die Höhenzüge selbst erstiegen hat, sieht man sich erstaunt durch eine zweite Gebirgsparallele, die im Ab- stände von 25 km den Horizont abschneidet, von dem eigentlichen Böhmen abermals getrennt und statt dessen von allen Seiten in eine ganz eigene Landschaft einge- schlössen, die, dem preußischen Schlesien wie ein Gartensaal angebaut, in die Ge- lände Böhmens und Mährens hineinspringt. Die Grafschaft Glatz ist eiu Gebirgsland eigentümlicher Natur, voll der merk- würdigsten Gegensätze, die es jedoch zu einer Einheit wieder versöhnt und verbindet. Bei jedem Schritte spürt man, daß man Norddeutschland hinter sich gelassen, und fühlt doch zugleich, daß man in Süddeutschland noch nicht eingedrungen ist. Neben der deutlichsten Gleichmäßigkeit in der allgemeinen Gestaltung des Bodens tritt uns der sreieste Wechsel an landschaftlichen Einzelbildern entgegen. Dort von Mähren her steigt die gewaltige Gruppe des Glatzer Schneebergs empor, eine dreieckige Ge- birgsmasse, deren erhabene Grundlinie die Grafschaft gegen das Gebiet der zur Donau eilenden March abriegelt; von der alten Glatzer Festung her reichen die Quader- steine des Heuscheuergebirges keilförmig mitten ins Land herein und fallen an der nördlichen Ecke zu dem seltsam zerrissenen Sandsteingebirge von Adersbach und Weckelsdorf ab, die ganz zu Böhmen gehören. Ursprünglich ein geschlossenes Ge- birge aus Quadersandstein, entstanden diese Felsbildungen, ähnlich denen in der Sächsischen Schweiz, durch Waschungen eindringender Gewässer, die den Sand fort- führten, die Spalten vergrößerten uud nur die festen Massen stehen ließen. Die merkwürdige Gruppe der Adersbacher Steiue, die Goethe im Jahre 1790 besuchte, bildet gleichsam einen Wald von Stämmen und eine Menge von Jrrgängen, die ohne Führer schwer zu durchwandern sind. Diese sehen wie Pfeiler, Wände oder Türme aus, jeue sind oben regelmäßig abgerundet; einige ragen 40 bis 50 m hoch