90 B. Zur Länderkunde, 11. Italien, eine länderkundliche Skizze. Von Theobald Fischer. („Italien", Hamburg 1893, Verlagsanstalt und Druckerei A.-G. vorm. I. F. Richter.) Die Lage und Weltstellung Italiens ist eine sehr günstige, schon als die mittlere der drei südeuropäischen Halbinseln erscheint sie den beiden anderen gegenüber be¬ vorzugt. Mitten im Mittelmeere gelegen, das Nordwestbecken desselben vom Süd- ostbecken trennend, beherrscht es zugleich die eiue der Verbindungslinien beider und nimmt teil an der Beherrschung der großen Welthandelsstraße, welche der großen Achse des Mittelmeeres solgt. Eiue lange schmale Landbrücke vom Rumpfe Europas hinüber zur Festlandsmasse von Afrika, erscheint Italien als das Herzland des ganzen Mittelmeergebiets und zur Beherrschung desselben bestimmt. Italien scheint nach Westen, ist aber imstande, von den vortrefflichen Häfen von Venedig, Brindisi und Tarent, welche mit dem nahen Gegengestade die Ungunst der adriatischen Küste aus- zugleichen streben, auch zum Osten in Beziehungen zu treten. Mit einer Landgrenze von uur 1400 km Länge verbindet Italien eine Küstenlänge von 6341 km und ist so ein durchaus maritimes Land, denn selbst seine meerfernsten Großstädte Turiu uud Mailand haben nur eiue Meerferue vou 105 bzw. 120 km, d. h. gleich Hamburg. Die Küstengliederung Italiens ist namentlich im Westen eine reiche; küstennahe Inselgruppen, wie die toskauischen und kampanischen, erhöhen den Wert derselben; die großen, nach der Gesamtheit ihrer Verhältnisse italienischen Inseln Sizilien, Sar- dinien und Korsika, teils küstennah, teils in Seeweite gelegen, bilden als Jnsel-Jtalien eine wesentliche Ergänzung des eigentlichen Halbinsellandes, beide zusammen eine solche des mehr festländischen Charakter tragenden Po-Landes. Der Reichtum Italiens an natürlichen Häfen ist ein verhältnismäßig großer; wo dieselben den Anforderungen der Neuzeit nicht mehr genügten, wie in Genua, Neapel, Palermo, konnten sie durch Kunst verbessert werden; wo sie ganz fehlten, waren sie unschwer zu schaffeu, wie bei Livorno, oder man vermißte sie weniger als in irgendeinem der Mittelmeerländer, weil Italien, wohl im wesentlichen dank seiner Oberflächengestalt, weit seltener von Stürmen heimgesucht ist als Griechenland, Südfrankreich, Spanien oder gar Al- gerien. Ein sehr großer Teil auch des inneren Verkehrs vollzieht sich so stets zur See, und selbst mit den Nachbargebieten verkehren Küstenfahrer, da die Meerenge von Otranto nur 72,8, die vou Pantellaria nur 150 km breit ist, fo daß man bei hellem Wetter von Sizilien aus wohl das hohe Kap Bon drüben in Tunesien erblicken kann. Es erscheint so dieses Land wie zum Ausgangs- uud Brennpunkte des Seever- kehrs im ganzen Mittelmeere geschaffen, wie es nahezu zwei Jahrhunderte in der engeren Welt des Altertums und Mittelalters der Hauptsitz des Verkehrs gewesen ist. Und gleiche Bedeutung vermöchte es wohl wieder zu erlangen, wenn sich seine Gegengestade im Osten und im Süden einmal wieder beleben werden. Der Straße von Gibraltar und dem Suez-Kanal gleich nahe, vermag es auch am Weltverkehr der Neuzeit mit Erfolg teilzunehmen. Aber noch mehr, auch von wichtigen festländischen Straßen wird Italien gekreuzt; in meridionaler Richtung von denen, die in Genua, Venedig, Neapel und Brindisi endigen, in äquatorialer von denen, welche über Mailaud und Turin geheu. Mailand ist der eigentliche Kreuzungspunkt dieser Straßen, der Mittelpunkt aller Alpeustraßen, die dort vom Simplonpasse im Westen bis zum Stilsser Joch im Osten radienförmig zusammenlaufen. Infolgedessen